Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 112. Band, (Jahrgang 1886)

Ueber den Abschluss des herodoteischen Geschichtswelkes. 
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runden, — mittelst der Voraussetzung nämlich, ,dass durch eine längere 
Unterbrechung der Arbeit Herodot in Etwas aus dem Zusammenhänge ge 
kommen war 1 (Ueber die Entstehungszeit u. s. w. 2 6). Allein dass diese An 
nahme — welche, nebenbei bemerkt, ans zwei Unwahrscheinlichkeiten eine 
Wahrscheinlichkeit zu erzeugen bemüht ist, etwa gleichwie zwei Verneinungen 
eine Bejahung ergeben — ganz und gar nichts besagt und das Unerklärliche 
nicht um ein Haar breit erklärlicher macht, dies habe ich bereits einmal 
(Herod. Stud. II, 79) ausreichend hervorgehoben. Oder vielmehr nicht aus 
reichend. Denn ob, wie oft oder wie lauge die Lebensarbeit des Halikar- 
nassiers unterbrochen ward, das werden wir niemals auch nur mit annähernder 
Sicherheit zu sagen wissen; so viel aber ist völlig gewiss, dass er trotz aller 
Störungen und Unterbrechungen, welche die Ausarbeitung des Musenwerkes 
erleiden mochte, die vielfach durcheinaudergeschlagenen Fäden stets in fester 
und sicherer Hand hielt, mag nun seine Gedächtnisskraft sich dazu ge 
nügend erwiesen oder er (was ungleich glaublicher scheint) zum mindesten bei 
jeder Wiederaufnahme der Arbeit das bis dahin Geschriebene mit aufmerk 
samster Sorgfalt wieder und wieder gelesen haben. Denn dass jener Kirchhoff ’ 
sehe Erklärungsversuch nicht nur anfechtbar, dass er vielmehr unbedingt 
unzulässig ist, dies erhellt (von der so kunstvoll verflochtenen, vom Haupt 
thema, insbesondere in den ersten Büchern, fortwährend abschweifenden und 
oft auf verschlungenen IVegen wieder zu ihm zurückkehrendenCompositiou ab 
gesehen) sofort, sobald man sich der vielen Vor- und auclißückverweisun- 
gen erinnert, von welchen letzteren meines Wissens in diesem Zusammenhänge 
befremdlicher Weise noch nicht die Rede gewesen ist.* Ich will aus der Zahl 
dieser Fälle (man vergleiche VI, 19 mit 1,92 und V, 36; V, 36 mit I, 92; 
V, 4 mit IV, 94) nur einen speciell namhaft machen, der von geradezu aus 
schlaggebender Bedeutung ist. Ich meine VII, 94, wo es von den Karern 
heisst: ouxot ok olxtvs; apoxspoy EzaXfovxo, ev rot? txpcbxo.tai xcuv Aoywv s'ip^xa:, 
womit auf I, 171 zurückgewiesen wird: xo yöcp kxXziov sovxe; M(vcd xe xanjxooi 
zal /. z ), s6 u.£ vo l A k A e y e ; iiyo-i xi; vrjoouc —. Derselbe Schriftsteller also, 
der sich des Vorkommens einer so geringfügigen Angabe in einem der frühesten 
Abschnitte seines Werkes •— einer Angabe überdies, auf welche zurückzu 
greifen keinerlei Notlnvendigkeit vorlag — an so später Stelle mit Sicherheit 
erinnert, soll zugleich vergessen haben, einen in eben jenen Abschnitten (ist 
doch das Cap. 171 zwischen 106 und 184 gelegen!) enthaltene belangreiche 
und so lange sie ungetilgt blieb im höchsten Masse irreleitende Doppelzusage 
zu tilgen? So launenhaft wirkende Factoren, wie es unter solchen Voraus 
setzungen das Erinnerungsvermögen oder die Arbeitsweise Herodot’s wären, 
kann, so meine ich. die historische Kritik so wenig in Betracht ziehen, als 
etwa die Physik das Dasein intermittirender Naturkräfte anerkennt. Die 
etwaige Erwiderung aber, nicht ein Vergessen oder Ueberselien, sondern der 
Mangel eines redactionellen Abschlusses habe jene Anomalien verschuldet, ist 
* Hierin irrte ich. Ernst Bachof hat in seinem vortrefflichen Aufsatze 
.Die ’Aooüpioi Xoyot des Herodotos 1 (Jahrbücher für dass. Philol. 1877) 
bereits von diesem entscheidenden Beweisgründe Gebrauch gemacht. 
(Correcturnote.)
	        
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