Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 161. Band, (Jahrgang 1909)

Chori saecularium — Cantica puellarum. 
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Mädchenlieder, der bis zu den Nonnen in die Klöster drang, 
wie Wachernagel 1 meinte, keine weltlichen Reigen und Gesänge 
der Mädchen, die sich am Anfänge des 9. Jahrhunderts nach 
heidnischer Sitte noch in die Kirche oder doch in deren Nähe 
drängten und später an Festtagen auf der Straße oder in den 
Häusern sich vernehmen ließen, wie Müllenhoff und Scherer in 
den Denkmälern 2 sagen. 
Auch die weitere Bestimmung des Kanon 9 der gallischen 
Synode und des Kanon 21 der S. 5 angeführten Kanonen 
sammlung nec convivia in ecclesia praeparare hat man aus 
dem germanischen Heidentum zu erklären versucht. Man bezog 
das Verbot auf die heidnischen Opfermale. Es war eben einmal 
beliebt, Anklänge an das germanische Heidentum zu suchen. 
Und wer sie suchte, hat sie meist auch gefunden. Das Verbot, 
das die gallische Synode ausspricht, stammt aber, ivas übersehen 
wurde, gar nicht aus germanischer Zeit und war ursprünglich 
für nicht-germanische Länder erlassen worden, in denen das 
Heidentum längst ausgerottet war. Das dritte Konzil von Kar 
thago, das im Jahre 435 tagte, bestimmte in Kanon 30: 3 Ut 
nulli episcopi vel clerici in ecclesia conviventur, nisi forte trans- 
euntes hospitiorum necessitate illic reficiantur. populi etiam ab 
huiusmodi conviviis, quantum fieri potest, prohibeantur, und 
erläuterte dadurch, was das Konzil von Laodicäa in Kanon 28 
und 55 4 verordnet hatte: Qnod non oporteat in domiciliis di- 
vinis id est in ecclesiis convivia quae vocantur agapae fieri; 
nec intra domum dei comedere vel accubitus sternere; quod 
non oporteat sacerdotes aut clericos ex collatis vel commessa- 
tionibus convivia celebrare. Durch diesen Beschluß der afri 
kanischen Kirche, der im Konzil von Hippo wiederholt wurde, 
sah sich aber der verwilderte und demoralisierte gallische Klerus 
nicht bestimmt, die Veranstaltung von Gelagen in den Kirchen 
zu unterlassen. Man sieht das aus den Verhandlungen der Synode 
1 Wackernagd, Geschichte der deutschen Literatur, S. 38. 
2 Denkmäler, 2. Aufl., S. 364\ 3. Aufl., 2. Band, S. 154. Vgl. R. Kögel, Alt 
hoch- und altniederdeutsche Literatur, Grundriß der germ. Philologie, 
Band 1, Abschn. VIII, S. 166. 
3 Mansi, l. c., tom. III, col. 885. Wiederholt als Kanon 29 im Konzil von 
Hippo. Mansi, l. c., tom. III, col. 923. Ivo, Decret., pars I1I S cap. 74. 
4 Mansi, l. c., tom. II, col. 579. 590. 
Sitzungsber. d. phil.-hisfc. Kl. 161. Bd. 2. Abh. 2
	        
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