IV. Abhandlung: Gomperz. Platonische Aufsätze. IV.
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IV.
Platonische Aufsätze. IV.
Von
Theodor G-omperz,
wirkt. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
(Vorgelegt in der Sitzung am 11. Oktober 1905.)
1.
Hermann Diels hat in seinen , Fragmenten der V° r_
Sokra.tiker' S. 544 als Fgm. 8 des Thrasymachos ein bisher nicht
beachtetes, selbst in den Oratores Attici fehlendes Bruchstück
des chalkedonischen Rhetors ans Licht gezogen. Es ist im Kom
mentar des Hermias zum platonischen Phädros enthalten und
lautet wie folgt: ol Osol oiiy öpü<ji m Mptbmw ob yap oäv ~'o [AeyicTov
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Zunächst erstaunt man darüber, daß Platon solch einem
Lobredner der Gerechtigkeit die Reden in den Mund legen
konnte, die er Thrasymachos in den ersten Büchern des ,Staates'
geliehen hat. Was ich ,Griechische Denker' II 2 365 gegen die
Geschichtlichkeit dieser Darstellung bemerkt habe, erfährt durch
dieses Bruchstück ohne Zweifel eine erhebliche Verstärkung.
Dem genauer Aufmerkenden scheint sich aber zugleich ein Ein
blick in mindestens eine der Q.uellen der Antipathie zu eröffnen,
die Platon augenscheinlich gegen den chalkedonischen Redner
gehegt hat. Die Worte oi Oeoi ouy opwai xd ävOpihictva sind
ja nichts Geringeres als der präzise Ausdruck einer
der drei Häresien, die in den ,Gesetzen' aufs schärfste
verurteilt und deren Vertreter mit der Todesstrafe
bedroht werden (vgl. Leges XII 948 e ). Ob diese Leugnung
göttlicher Fürsorge in den Reden des Thrasymachos mehrfach
wiederkehrte oder nicht, ist uns zu wissen nicht vergönnt; aber
auch nur als eine einmalige gelegentliche Äußerung war sie
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. CLII. Bd. 4. Abb. 1