II. Abli.: Schönbach. Studien zur Erzahlungsliteratur des Mittelalters.
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II.
Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters.
Von
Anton E. Schönbach,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Dritter Theil:
Die Legende vom Erzbischof Udo von Magdeburg.
1.
In den Neuen Heidelberger Jahrbüchern VII (1897),
S. 95—120 hat Karl Hel m ein deutsches Gedicht von 804
Versen veröffentlicht, das sich in der Münchner Handschrift
Cod. germ. Nr. 5 Bl. 218“-—223“ befindet und bisher sonst
nirgends nachgewiesen ist. Es behandelt die Geschichte und be
sonders den Untergang eines Erzbischofes Udo von Magdeburg.
Helm ist der Ansicht, die Erzählung sei von einem Geistlichen
verfasst und stelle in legendarischer Umbildung den Tod des
Erzbischofs Burchard III. von Magdeburg dar, der am 21. Sep
tember 1325 von den Bürgern seiner Stadt erschlagen wurde.
Es habe zuvörderst ein mitteldeutsches Original in Reimen
gegeben, das ungefähr 1350 verfasst sei, darnach sei eine
bairische Bearbeitung hergestellt worden, die wir in der Nieder
schrift des Münchner Codex besässen. Diese Vermutungen
sind meines Erachtens unhaltbar. Vor allem ist Helm ent
gangen, dass der deutsche Reimer eine Erzählung in lateini
scher Prosa übersetzt hat. Diese Tatsache war mir schon seit
einiger Zeit bekannt, erst vor Kurzem hat sich aber noch
etliches Material hinzugefunden, das vielleicht gestattet, die
Vorgeschichte des merkwürdigen Mirakels etwas aufzuhellen.
Das beliebte und stark verbreitete Wunderbuch ,Spe-
culurn exemplorunff, ein Hilfswerk für Prediger, enthält in der
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. CXLIV. Bd. 2. Al)b. 1