Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 139. Band, (Jahrgang 1898)

III. Abb.: Gottli eb. Das Erkenntnissproblem auf naturwissenscb. Grundlage formulirt. 1 
III. 
Das Erkenntnissproblem 
auf naturwissenschaftlicher Grundlage formulirt. 
Von 
Dr. Heinrich Gottlieb. 
I. 
Eine wissenschaftliche Untersuchung pflegt eröffnet zu 
werden mit den Worten: ,Wir' — /Unser Verstand gebietet' 
— ,Unser Causalitätsbedürfniss erfordert' etc. etc. Also vor 
Allem gegeben und Voraussetzung von jedem Verstehen ist das 
verstehen wollende: ,Wir'. Das ,Wir' äussert sich gegenüber 
den Gegenständen als eine in Folge Staunens und Beunruhigung 
Alles bezweifelnde und prüfende Thätigkeit. Es ist die Subject- 
wesenheit. Die Gegenstandswelt gilt als verstanden, sobald wir 
orientirt sind oder es wenigstens zu sein glauben. Wir nehmen 
die Gegenstände nicht auf Treu und Glauben hin. Wir miss 
trauen und überlegen, ob wir die Gegenstände nicht negiren 
sollen. Wir machen einen Unterschied zwischen Schein und 
Wahrheit. Wahrheit ist das, wovon wir voraussetzen, dass wir 
dabei nicht mehr beunruhigt, sondern orientirt sein werden. 
Die mit den Gegenständen sich uns aufdrängende Vor 
aussetzung ist die, dass es neben oder ausser, in oder hinter 
den Gegenständen etwas gibt, das uns noch nicht entgegen 
getreten ist, das wir vielmehr suchen müssen, weil es für uns 
wichtiger ist als der Gegenstand, und dass es bei gehörigem 
Suchen gefunden werden kann. Dieses Unterscheiden zwischen 
Gegenstand und Wahrheit, die höhere Bewerthung der Wahr 
heit, das Streben, sie in oder hinter der Welt der Gegenstände 
zu finden, gehört zum Subjectwesen (Wir). Das Kriterium der 
Wahrheit liegt in uns, im bezweifelnden kennen und erkennen 
wollenden Subjectwesen. 
Sitzungsber. d. pbii.-bist. CI. CXXXIX. Bd. 3. Abb. 
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