VI. Abhandlung: Hillebrand. Zur Lehre von der Hypothesenbildung.
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VI.
Zur Lehre von der Hypothesenbildung.
Von
Dr. Franz Hillebrand,
a. ö. Professor der Philosophie an der Universität in Wien.
I. Einleitung.
§ 1. In unserem der Metaphysik so abholden Zeitalter
dürfte kaum eine Erscheinung so sehr auffallen wie die That-
sache, dass sich in jeder exacten Wissenschaft die Tendenz
fühlbar macht, ihre erkenntnisstheoretischen Grundlagen einer
neuerlichen Revision zu unterziehen und sozusagen vor dem
Weiterbauen noch einmal auf die Fundamente einen prüfenden
Blick zu werfen und ihre Tragfähigkeit zu untersuchen. Hie-
mit hängt eine zweite Thatsache zusammen, die — auf den
ersten Anblick wenigstens — fast noch mehr in Verwun
derung setzt: nicht wie früher sind es die berufsmässigen Er-
kenntnisstheoretiker, die solcher Forschung sich widmen und
sich etwa eine systematische Darstellung des Gesammtgebietes
der Erkenntnisstheorie zur Aufgabe machen; vielmehr ist die
Erkenntnisstlieorie zerfallen in einzelne Erkenntniss-
theorien, entsprechend den Sonderbedürfnissen der einzelnen
Wissensgebiete; und an die Stelle des berufsmässigen, ausser
halb der Einzeldisciplinen stehenden Erkenntnisstheoretikers
sind die Vertreter jener Einzeldisciplinen selbst getreten, und
jeden von ihnen sehen wir ausschliesslich an dem Theile der
Erkenntnisslehre arbeiten, der im Besonderen seinem Special
fach zugehört. So sehen wir — um nur einige Beispiele an
zuführen — einen Chemiker wie Ostwald um die Feststellung
der constitutiven Merkmale des Begriffes ,Real‘ sich bemühen,
dem Ursprung des Begriffes ,Substanz/ nachgehen, ihn durch
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. CXXXIV. Bd. 6. Abh. 1