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Müller.
lang- nur auf eine europäische Sprache hinweisen. So lange
eine solche Liste von Wörtern uns nicht vorliegt, haben wir
volles Recht die Ansicht, das Armenische gehöre in die Reihe
der europäischen Sprachen, für nicht begründet zu halten und
entschieden zurückzuweisen
Wenn man nun alles von uns Vorgebrachte überblickt
und unbefangen prüft, so wird man -— wie ich hoffe — die
Ueberzeugung gewinnen, dass meine Ansicht, das Armenische
sei den eränischen Sprachen zuzuzählen, aufrecht erhalten
werden muss. Freilich dürfen wir in demselben weder eine
Tochter des Altpersischen der Keilinschriften noch des Alt-
baktrischen erblicken (dagegen sprechen mehrere wesentliche
Punkte), sondern wir müssen dasselbe als Sprossen einer nicht
näher bekannten Stammsprache, die sich parallel mit dem
Altpersischen und Altbaktrischen von der eränischen Grund
sprache abgezweigt hat, betrachten 2 . Dadurch aber verliert das
Armenische für uns nichts an Wichtigkeit; im Gegentheil, es
darf auch jetzt nicht mehr, wie es bisher leider geschehen,
weder von den Zendphilologen noch von den Sprachforschern
übergangen werden.
1 Die von Hübsehmann (Zeitschr. f. vergl. Spracht., XXIII, 36) angestellte
Berechnung beweist nicht viel, da man, wie er selbst bemerkt, den arme
nischen Sprachschatz noch nicht vollkommen durchforscht und mit jenem
der verwandten Sprachen verglichen hat, dann aber auch der slavo-let-
tische Sprachschatz in einem viel grösseren Umfange als der alt-eränisehe
uns bekannt ist. Uebrigens können wir nicht umhin, auf einen Umstand
in der Arbeit Hübschmanns aufmerksam zu machen, der uns einiger-
massen befremdend erscheint. Hübschmann erklärt einerseits das Arme
nische für europäisch, andererseits zieht er vorwiegend das Eränische
zur Vergleichung heran. Es wäre mir, dem es um Erkenntniss der Wahr
heit, nicht um Befriedigung persönlicher Eitelkeit zu tlmn ist, in der That
lieber gewesen, wenn Hübschmann, nachdem er zur Ueberzeugung gekom
men, das Armenische gehöre zu den europäischen Sprachen, einerseits
meine Ansicht direct als verfehlt erklärt, und andererseits den Nachweis
seiner Behauptung durch Beschränkung auf die europäischen
Sprachen geführt hätte, da auf diese Weise die ganze Streitfrage ver
einfacht worden wäre.
2 Damit verträgt sich der innige Anschluss an das dem Eränischen ver
wandte Slavo - Lettische, welcher namentlich im Festhalten der Gutturalen
(Hübschmann, Zeitschr. f. vergl. Spracht., XXIII, 29 ff.) und der regel
rechten Spaltung der Laute r und l (Hübschmann, a. a. O. 35, doch vgl.
auch die neu-eränisehen Sprachen) deutlich hervortritt.