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Z immermann.
gewollt', ja selbst wider Willen sich vollzieht. In diesem Sinne
setzen beide, Kant wie Comte, einer Geschichtsconstruction
durch einen launenhaften, obersten Herrscherwillen eine Ent
wicklung der Dinge entgegen, die eines solchen nicht bedarf,
ja wenn ein solcher vorhanden wäre, seinen willkürlichen Ein
griffen zum Trotz nach unabänderlichen Gesetzen sich vollzöge.
Die positive Philosophie erkennt die Existenz einer leitenden
Intelligenz, ausser oder in der Natur, überhaupt nicht an. Die
,Endabsicht der Natur' ist der kritischen zufolge doch keine
beliebige, sondern zum mindesten eine solche, wie sie einer
,Intelligenz' (d. i. einer vernünftigen Natur) eben zugemuthet
werden darf. Der Gang der Geschichte ist ersterer zufolge
überhaupt (durch Comte’s Fundamentalgesetz) ,gebunden'; die
,Absicht' der Natur ist durch deren ,intelligente' Beschaffen
heit gebunden. Jene kann daher zu nichts anderem als zum
Positivismus führen; diese darf auf nichts anderes als die
vollkommenste Erreichung der Bestimmung der Menschheit
gerichtet sein. Wenn diese nicht erreicht würde, meint Kant,
so hätten wir nicht mehr eine gesetzmässige, sondern eine
zwecklos spielende Natur; das ,trostlose Ungefähr' träte an
die Stelle des Leitfadens der Vernunft.
Da nun eine intelligente d. i. vernünftige Natur die
Bestimmung der Menschheit wollen muss, so muss sie auch
alles dasjenige wollen, was zu deren Erreichung unerlässlich
ist. Die Bestimmung selbst aber kann keine andere sein, als
eine solche, die mit einem ,vernünftigen' Naturwillen verträglich
ist. Organe, die nicht gebraucht werden, Anordnungen, die
ihren Zweck nicht erfüllen, wären ein ,Widerspruch' gegen
eine ,teleologische Naturlehre'. Bei allen Thieren bestätige dies
sowohl die äussere als die innere Beobachtung. Daher müsse an
genommen werden, alle Naturanlagen eines Geschöpfes seien
bestimmt, sich einmal zweckmässig und vollständig auszubilden.
Wenn dies für den Menschen nur in der /bürgerlichen Gesell
schaft', und zwar desto vollkommener, je vollkommener diese
selbst ist, möglich sei •— eine Ansicht, in welcher beide
Philosophen einander begegnen — so sei die Errichtung einer
solchen (und zwar der möglichst vollkommenen), damit aber
auch die ,eines gesetzmässigen äusseren Staatenverhältnisses',
von dessen Bestand jene abhängt, das von der Menschheit als