Deutsche Studien. II.
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Vielleicht sind die Producte einer früheren Entwicklungsepoche
hier in den Anhang verwiesen?
Wir werden Dietmar von Aist näher betrachten. Er ist
so sehr eine Uebergangsgestalt, dass man zweifeln kann, ob
alles ihm Zugeschriebene auch wirklich von ihm herrührt.
Aber so starke Gegensätze, wie zwischen den vier ersten und
den vier letzten Strophen Kaiser Heinrichs, finden sich bei
ihm nicht.
Wenn wir von Kaiser Heinrich Gedichte hätten aus der
Zeit vor der romanischen Einwirkung, so wären sie die ein
zigen ihrer Gattung; denn für die rheinische Poesie sind
Hausen und Veldeke unsere Anfänge. Was ihnen vorausliegt
kennen wir nicht, wir können höchstens darauf schliessen aus
ihnen selbst. Man vergleiche einmal die ältesten Gedichte
(MF. 48, 23 ff. 48, 32 ff.) Friedrichs von Hausen, dessen
Schule (nach Miillenhoff Zs. 14, 142) jedenfalls noch in die
siebziger Jahre fällt, mit den hier vorliegenden. Wenn Fried
rich von Hausen in seinen Anfängen so dichtete, ist es mög
lich, dass dann der junge Heinrich sich zuerst in der Art des
Dietmar von Aist vernehmen liess? Alles, was wir von der
Entwicklung unserer Lyrik wissen , widerspricht auf das ent
schiedenste. 1
Wir besitzen mithin nur ein Lied von dem Kaiser Hein
rich, und die naheliegende Vermuthung, dass uns andere ver
loren seien, ist mindestens überflüssig. Hätte es solche gege
ben , so würde ' man sie sorgfältig bewahrt haben. Und wäre
Heinrich ein professionsmässiger Dichter gewesen, so würden
dm die späteren Kunstgenossen in ihren litterarischen Stellen
als solchen rühmen.
Die genauen Reime erlauben die Datirung: nicht vor
1184. Aber eben mit diesem Jahre beginnt Heinrichs eigene
politische Thätigkeit, innerhalb deren sich schwerlich Raum
fand für eine von Poesie umleuchtete Liebesepisode. Wenn
1 Ich glaube nicht, dass die ganze Frage hiermit abgeschlossen ist. Ich
will in einer künftigen Abhandlung versuchen, die Liedersammlung des
XIII. Jahrhunderts so genau als möglich wieder herzustellen, welche
unseren Hss. B und C zu Grunde liegt. Bei dieser Gelegenheit komme
ich auf Kaiser Heinrich zurück. Einstweilen möchte ich nur das dak
tylische Lied sicher für ihn gerettet haben.