Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 77. Band, (Jahrgang 1874)

Kant und die positive, Philosophie. 
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sieht, durch diesen, der ihm aus Berlin, wo er sich damals 
aufhielt, eine Uebersetzung desselben gesandt hatte. Von einer 
directen Einflussnahme Kant’s auf die positive Philosophie 
kann daher keine Rede sein; auch hat Comte, wie Littre an- 
fiilirt, niemals einen anderen philosophischen Vorläufer als 
solchen anerkannt, als Condorcet. Nicht einmal Turgot, dessen 
Verwandtschaft, wie Littre nachgewiesen hat, mit Comte’s 
Ideen so bedeutend ist, dass sogar das sociologische Gesetz 
des letzteren bei jenem, obgleich nur als eine ,idee a mediter', 
auftritt, ist von ihm als solcher genannt worden. Nichtsdesto 
weniger gehört Kant’s Schrift, wenn nicht in die Reihe'der 
jenigen, durch welche, nach Littre’s Ausdruck, Comte selbst 
hindurchgegangen, doch unter diejenigen, ,par oü a passe la 
Philosophie positive“'. Er findet in ihr ,un des plus importants 
prodrömes, un de ceux, qui annoneaient le mieux l’oeuvre de 
Comte encore enfermee dans l’avenir' (p. 39). 
Welches ist nun diese Schrift? Dieselbe ist wie Comte’s 
Biograph sagt, ,inconnu en France'; in Deutschland dagegen ist 
sie zwar nicht unbekannt, aber zu wenig gekannt. Aus der 
Uebersetzung des Titels ,Idee d’une histoire universelle au 
point de vue de l’humanite' wird nur ein Kenner des Origi 
nals zu ei’rathen im Stande sein, dass die im Jahre 1784 er 
schienene Abhandlung: ,Tdee zu einer allgemeinen Geschichte 
in weltbürgerlicher Absicht' gemeint sei. Dieselbe war zuerst 
in der Berliner Monatschrift (1784, Nov. S. 380—411) ab 
gedruckt, vier Jahre vor dem Erscheinen der praktischen Ver 
nunft (1788) und sechs vor jenem der Kritik der (teleologischen 
und ästhetischen) Urtheilskraft (1790) abgefasst. Sie verdankt, 
wie eine von Kant selbst beigefügte Bemerkung uns lehrt, 
ihren Ursprung einer ,ohne Zweifel einer Unterredung mit 
einem durchreisenden Gelehrten entnommenen' Aeusserung 
Kant’s, die in der Gothaischen Gelehrten-Zeitung (1784, S. 95) 
sich findet, und von dem Herausgeber der Werke desselben, 
G. Hartenstein, in der Vorrede zum 4. Bande p. XI. wieder 
abgedruckt worden ist. Sie lautet: ,Eine Lieblingsidee des 
Herrn Prof. Kant ist, dass der Endzweck des Menschen 
geschlechts die Erreichung der vollkommensten Staatsverfassung 
sei, und er wünscht, dass ein philosophischer Geschichtschreiber 
es unternehmen möchte, uns in dieser Rücksicht eine Geschichte 
Sitzungsber. d. phil.-kist. CI. LXXVII. Bd. I. Hft. 3
	        
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