Kant und die positive, Philosophie.
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sieht, durch diesen, der ihm aus Berlin, wo er sich damals
aufhielt, eine Uebersetzung desselben gesandt hatte. Von einer
directen Einflussnahme Kant’s auf die positive Philosophie
kann daher keine Rede sein; auch hat Comte, wie Littre an-
fiilirt, niemals einen anderen philosophischen Vorläufer als
solchen anerkannt, als Condorcet. Nicht einmal Turgot, dessen
Verwandtschaft, wie Littre nachgewiesen hat, mit Comte’s
Ideen so bedeutend ist, dass sogar das sociologische Gesetz
des letzteren bei jenem, obgleich nur als eine ,idee a mediter',
auftritt, ist von ihm als solcher genannt worden. Nichtsdesto
weniger gehört Kant’s Schrift, wenn nicht in die Reihe'der
jenigen, durch welche, nach Littre’s Ausdruck, Comte selbst
hindurchgegangen, doch unter diejenigen, ,par oü a passe la
Philosophie positive“'. Er findet in ihr ,un des plus importants
prodrömes, un de ceux, qui annoneaient le mieux l’oeuvre de
Comte encore enfermee dans l’avenir' (p. 39).
Welches ist nun diese Schrift? Dieselbe ist wie Comte’s
Biograph sagt, ,inconnu en France'; in Deutschland dagegen ist
sie zwar nicht unbekannt, aber zu wenig gekannt. Aus der
Uebersetzung des Titels ,Idee d’une histoire universelle au
point de vue de l’humanite' wird nur ein Kenner des Origi
nals zu ei’rathen im Stande sein, dass die im Jahre 1784 er
schienene Abhandlung: ,Tdee zu einer allgemeinen Geschichte
in weltbürgerlicher Absicht' gemeint sei. Dieselbe war zuerst
in der Berliner Monatschrift (1784, Nov. S. 380—411) ab
gedruckt, vier Jahre vor dem Erscheinen der praktischen Ver
nunft (1788) und sechs vor jenem der Kritik der (teleologischen
und ästhetischen) Urtheilskraft (1790) abgefasst. Sie verdankt,
wie eine von Kant selbst beigefügte Bemerkung uns lehrt,
ihren Ursprung einer ,ohne Zweifel einer Unterredung mit
einem durchreisenden Gelehrten entnommenen' Aeusserung
Kant’s, die in der Gothaischen Gelehrten-Zeitung (1784, S. 95)
sich findet, und von dem Herausgeber der Werke desselben,
G. Hartenstein, in der Vorrede zum 4. Bande p. XI. wieder
abgedruckt worden ist. Sie lautet: ,Eine Lieblingsidee des
Herrn Prof. Kant ist, dass der Endzweck des Menschen
geschlechts die Erreichung der vollkommensten Staatsverfassung
sei, und er wünscht, dass ein philosophischer Geschichtschreiber
es unternehmen möchte, uns in dieser Rücksicht eine Geschichte
Sitzungsber. d. phil.-kist. CI. LXXVII. Bd. I. Hft. 3