H a r t e 1. Homerische Studien.
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Homerische Studien
von
Dr. Wilhelm Hartei,
a. o. Professor für dass. Philosophie an der Universität zu Wien.
I.
Niemand, der die Geschichte Homerischer Forschung
aufmerksam verfolgt, wird in Abrede stellen, dass die alt-
epische Sprache uns jetzt in einem ganz anderen Lichte
erscheint als ehedem, dass wir, gestützt auf die sicheren Er
gebnisse der vergleichenden Sprachwissenschaft, ihre Erschei
nungen, die man einer rein äusserlichen Analyse unterzog, im
grossen Umfange als organische Bildungen begreifen lernten.
Wir sehen in oiivop,« yoövaat Soüpaci teAeüo äy.E'.sp.Ev'cv nicht mehr
durch metrisches Bedürfniss hervorgerufene Verlängerungen
der kurzen Vocale oder in den Conjunetivformen iop.ev ßoiiXsiai
£Y£;po;j.sv stSogEv Kürzungen der langen Vocale aus gleichem
Grunde. Es sind gleichberechtigte Formen thcils aus einander
entstanden nach bestimmten Lautgesetzen, thoils Bildungen
recht alten Gepräges, nicht von der Noth des Verses willkür
lich geschaffen, sondern für denselben vom Dichter passend
verwerthet. Die glückliche Entdeckung des Digamma gab die
nachhaltigste Förderung der in dieser Richtung arbeitenden
Forschung; sie berechtigte bis zu einem gewissen Grade, nach
volleren Formen und älteren Bildungen zu spüren. Der Aus
gangspunkt für derartige Untersuchungen sind die Erscheinun
gen des Hiatus und der Längung kurzer vocaliseh oder con-
sonantisch schliessender Silben. Je mehr die vergleichende
Sprachwissenschaft sich dieser Erscheinungen bemächtigt, um