Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 67. Band, (Jahrgang 1871)

Ueber Kant's mathematisches Vorurtlieil und dessen Folgen. 
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Giltigkeit der Mathematik als Wissenschaft wird von niemand 
bezweifelt. Das Vorhandensein apriorischer Urtheile gleich 
dem, dass jede Veränderung ihre Ursache voraussetze, beruht 
aber auf dem allgemeinen apriorischen' Nachweis, dass es der 
gleichen überhaupt geben müsse, und dieser wird, wie eben ge 
zeigt, unter der (vom Skepticismus wenigstens eben bestrittenen) 
Voraussetzung geführt, dass es eine gewisse Erfahrung gebe, 
und daher, da eine solche, wenn alle Regeln, nach denen sie fort 
geht, wieder empirisch wären, unmöglich wäre, auch ,erste Grund 
sätze' geben müsse, wofür man empirische Regeln ,schwerlich' 
würde gelten lassen. Hier steckt der ganze Beweis in dem 
Wörtchen ,schwerlich'. Könnte man sie überhaupt dafür gelten 
lassen, so brauchten ,erste Grundsätze' eben nicht nothwendig 
a priori zu sein und Hume behielte Recht! Müssen aber alle 
,ersten Grundsätze' wirklich a priori sein, so braucht eine un 
sichere Erfahrung eben auch nicht auf sichere, also apriorische 
Grundsätze zu führen, und die Regel, welche eine problema 
tische Erfahrung befolgt, könnte immerhin selbst ,empirischer' 
Natur sein. Wohl werden apriorische Grundsätze eine gewisse, 
d. i. in sich nothwendig zusammenhängende und allgemein- 
giltige Erfahrung begründen können, und setzt eine gewisse, 
(keinem Zweifel unterliegende) Erfahrung dergleichen voraus; 
niemals aber werden nach Kant’s eigener, von ihm selbst unbe 
achtet gelassener Warnung apriorische Sätze als solche aus der 
Erfahrung eingesehen werden können! 
Kuno Fischer (a. a. 0. III. 285) hebt hervor, dass die Ent 
stehungsgeschichte der transcendentalen Aesthetik lange vor der 
Zeit der endgültigen Abfassung der Vernunftkritik beginnt. Schon 
im Jahre 1764 in der ,Untersuchung über die Deutlichkeit der 
Grundsätze der natürlichen Moral und Theologie' (I. 65) zeigte 
Kant, dass die Mathematik die synthetische Lehrart haben dürfe, 
weil sie alle ihre Begriffe synthetisch bildet. In der Abhandlung 
,von den ersten Gründen des Unterschiedes der Gegenden im 
Raume' (III. 113) vom Jahre 1768, schreibt er dem Raume, unab 
hängig von dem Dasein aller Materie und selbst als dem ersten 
Grund ihrer Zusammensetzung eine eigene Realität zu. In der 
Inauguraldissertation (1770) endlich: ,De mundi sensibilis at- 
que intelligibilis forma atque principiis' bezeichnet er (III. 146) 
bereits sowohl Raum als Zeit mit dem Namen: intuitus singu-
	        
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