Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 66. Band, (Jahrgang 1870)

Müller, Die Vocalsteigerung- der indogermanischen Sprachen. 
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Die Vocalsteigerung der indogermanischen Sprachen. 
Von Dr. Friedrich Müller, 
Professor an der Wiener Universität. 
Eine den indogermanischen Sprachen ganz eigenthümliche Er 
scheinung, durch welche sie vor allen andern Sprachen sich aus 
zeichnen, ist die Vocalsteigerung. Auf ihr basirt hauptsächlich die 
indogermanische Flexion, jenes Princip, auf welchem die indogermani 
schen Sprachen als solche beruhen. Durch die Vocalsteigerung stehen 
die indogermanischen Sprachen zu den beiden anderen flectirenden, 
nämlich den semitischen und den hamitischen Sprachen, in einem 
förmlichen Gegensätze. 
Wir fassen die Flexion als eine innige Verbindung von Stoff- 
und Form-Elementen zu einer die Sprachform begründenden Einheit. 
Sie existirt also nur dort, wo die Scheidung zwischen Stoff und Form 
vorhanden ist und Stoff- und Formwurzeln von der Sprache strenge 
auseinander gehalten und ihrer Natur nach angewendet werden. 
Sprachen, welche zwar Stoff und Form in der Rede scheiden, aber 
die Form lautlich nicht bezeichnen, können also eine Flexion nicht 
besitzen. 
Eine Scheidung von Stoff und Form finden wir in den drei 
entwickeltsten Sprachen der mittelländischen Rasse, den indo 
germanischen, semitischen und hamitischen nämlich, durchgeführt. 
Von einander aber sind diese drei Sprachstämme wieder durch die 
Behandlung der Stoffelemente während des Processes der Formbil 
dung streng geschieden. Die hamitischen Sprachen verwenden dabei 
die Stoffelemente theils in ihrer ursprünglichen Einfachheit, theils 
zu concreten Stämmen entwickelt, die semitischen Sprachen nur in 
der letzteren, in ihrer vollsten Entwicklung auftretenden Form. Dabei 
bleiben wieder die Stoffelemente in ihren lautlichen Bestandteilen
	        
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