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J. Dieme r.
ihre Wahrheit zu beseitigen; ja man konnte um so mehr Bedenken
tragen, sie unbedingt anzunehmen, als durch sie das Leben unsers
Dichters gegen die hergebrachte Meinung um mehrere Jahrzehnte
vorgeschoben wird und als die Folgerungen, welche daraus für die
Geschichte der Poesie und insbesonders des Versbaues und Reimes
hervorgehen, sich mit den Ergebnissen der bisherigen Forschun
gen nicht recht vereinbaren lassen. Auch mochte der Fall, bei
einem unserer ältesten, und wir dürfen wohl auch sagen ausgezeich
netsten Dichter, von dem man bisher fast nichts wusste, nun sogar
seine Büchersammlung aufgefunden zu haben, zwar für die Literatur
geschichte sehr interessant, aberauch so aussergewöhnlich erscheinen,
dass man trotz aller Wahrscheinlichkeit sich schwer entschliessen
konnte, daran zu glauben. — Es blieb daher in hohem Grade
wünschenswerth über unsere Vermuthung noch weitere Belege auf
zubringen, welche sie zur vollen Gewissheit erheben konnten.
Wo diese allenfalls noch zu finden seien, war, nachdem das
Bücherverzeichniss vorlag, kaum zweifelhaft. Denn gehörten diese
Bücher wirklich unserem Dichter, so mussten sich in seinen Werken
doch auch einige Spuren oder Anklänge nachweisen lassen, dass er
sie benützt habe. Je bestimmter diese Nachweise sind und je mehr
die Anzahl der aus der Schenkung benützten Werke zunimmt, einen
desto höheren Grad der Wahrscheinlichkeit muss nothwendig auch
unsere Vermuthung erhalten.
Unter den geschenkten Büchern rührt eine auffallend grosse
Menge von Honorius von Autun her, welcher man nirgend ander
wärts begegnet; es schien daher angezeigt, diese vor Allem genauer
zu untersuchen, und zwar nicht blos die gedruckten, sondern auch
jene Handschriften davon, welche sich vielleicht noch in unseren
Kloster- und Staats - Bibliotheken finden mochten.
Zu diesem Behufe unternahm ich im Herbste des Jahres 18S6,
um mit den näher liegenden zu beginnen, einen kleinen Ausflug nach
Göttweig und Melk. Meine Zeit hierzu war gemessen , meine Hoff
nung etwas von Belang zu erreichen, nur sehr gering. Die Ergeb
nisse übertrafen daher leicht meine Erwartungen, sie sind jedoch
wichtig genug, so dass ich sie der Berücksichtigung der Forscher für
würdig halte.
Ihre Darlegung und zum Theil die durch sie angebahnten
weiteren Belege für meine Vermuthung bilden den Vorwurf der gegen-