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H. ß o n«i t /..
Man mag gegründete Zweifel hegen, oh eine neue Übersetzung
der Platonischen Schriften oder eine durchgängige Revision der
durch ihren streng eingehaltenen Charakter eigenthiimlich werth
vollen Schleiermacher'schen Übersetzung mehr zu wünschen war;
man mag noch gegründetere Einwendungen gegen eine Übersetzung
erheben, welche, wie die Müller’sche, ohne auf das Verdienst
charakteristischer Färbung Anspruch zu haben, nicht selten gegen
die strenge Richtigkeit mehr oder weniger stark verstösst: jedenfalls
muss man sich freuen, dass diese Übersetzung für einen gründlichen
Kenner Platon’s die Veranlassung wurde, die Ergebnisse seiner um
fassenden und eindringenden Studien in der Form von Einleitungen
zu dieser Übersetzung niederzulegen. Den wohlthuenden Eindruck
werden die Steinhart’schen Einleitungen auf jeden Leser machen,
dass in ihnen eine Leistung vorliegt, welche nicht zufällig und flüch
tig entstanden, sondern welche die reife Frucht aufrichtiger Begeiste-
rung für den Gegenstand und gewissenhaft ausdauernder Arbeit ist.
Mit sicherer Herrschaft über den fast bewältigenden Stoff legt Stein
hart in der Einleitung zu jedem Dialoge die Gliederung des Gedanken-
ganges dieses einzelnen Dialoges und seine künstlerische Gestaltung
dar, macht uns mit den Personen, deren Gespräch wir anhören, mit den
Zeitumständen, in welche die Haltung des Gespräches verlegt und unter
denen es abgefasst ist, in der Weise bekannt, dass wir den Einfluss
dieser Momente auf die gesammte Composition ersehen, und verfolgt
endlich die Beziehungen jedes Dialoges zu anderen und anderer zu
ihm, dass dadurch jeder einzelne Dialog seine volle Beleuchtung von
der Gesammtheit erhält und die Zusammenstellung und Anordnung
derselbenunsein Bild von Platon’s Geistesentwickelung gibt. Was bisher
in Werken über Platon und über die griechische Philosophie über
haupt und was in den einzelsten Monographien geleistet ist, findet
hier seine Anwendung und seine gebührende Anerkennung, ohne
dass dieser gelehrte Apparat irgend drückend wirkte; der Glanz
der Sprache und der Schwung der Darstellung ist nicht ein
äusserlich aufgetragener Firniss, sondern die aus der Freude an der
Arbeit natürlich erwachsene Bliithe. Diese zuletzt bezeichnten Vor-
ständniss der Platonischen Schriften grösstentheils entziehen. Wem die Behauptung
der Willkürlichkeit zu stark erscheint, der wolle nur den ersten Theil der Einleitung
an allen den Stellen aufmerksam vergleichen, wo der Verf. aus beigehrachten Notizen
etwas als „offenbar und unzweifelhaft“ folgert.