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des Menschen hervorgehend. Das Gedachte und Gefühlte bedurfte
einer leiblichen Bekleidung, um in seiner Identität wieder erkannt
und anderen mitgetheilt werden zu können. Der Zweck, um dessent-
willen der Geist den Stoff schuf, drückte diesem also im Momente der
Schöpfung seine — wenn auch noch rohe — Form auf; eine formlose
Menschensprache ist ein Unding.
Am allerwenigsten bedarf es der weiteren Bemerkung, dass
Sprachen welche die Verhältnisse der Erscheinung, derenBezeichnung
die Wurzel darstellt, in so umfassender und bis ins minutiöse Detail
eingehender Weise zum Ausdruck bringen, wie dies bei den ural-
altaischen thatsächlich der Fall, bereits zur Zeit, wo sie die denModili-
cationen des Wurzelbegriffes entsprechenden Exponenten feststellten,
auch für die viel näher liegenden, auf denselben Anschauungen
beruhenden und mittelst derselben Exponenten zu bezeichnenden
Verhältnisse der Declination und Conjugation einen bestimmten Aus
druck besessen haben. Wenn sich nun dessungeachtet an den Verbal
formen — denn nur um diese handelt es sich, da die Identität der
Casuszeichen keiner Verkennung unterworfen — die Verwandtschaft
nicht erkennen lassen will, so muss man den Grund darin suchen, dass
man den Gesichtspunct, von dem aus die in den Verbalausdruck
einbezogenen Verhältnisse zu betrachten sind, nicht zu treffen verstand.
In derThat, wer mit den Anschauungen über den Zeitausdruck, die
er an den europäischen Sprachen entweder unmittel bar gewonnen oder
aus philosophischen Deductionen construirt hat, an die Analyse des
Verbums in den von stammfremden Einflüssen nicht berührten Sprachen
des ural-altaischen Stammes tritt, wird sich nimmer mehr zurecht finden,
auch wenn die materiellen Veränderungen welche die formellen
Bestandtheile der Sprache durchgemacht haben, nicht so bedeutend
wären, als sie es in der That sind, und daher nur bei vielseitiger
vergleichender Betrachtung erkannt werden können.
Wenn ich nun in vorliegendem Aufsätze es unternehme die Tem
pus- und Moduscharaktere der einzelnen hieher gehörigen Sprachen
einer vergleichenden Analyse zu unterziehen, um ihre Identität nachzu
weisen, so bestimmen mich hiezu dieselben Gründe, welche den Aufsatz
„über Wurzelsuffixe in den ural-altaischen Sprachen“
veranlassten. Auch ist es wieder Castren’s meisterhafte Arbeit über
die samojedischen Sprachen, so wie die Ausdehnung des Gesichtskreises
nicht blos über die unzweifelhaft zu demselben Sprachkreise gehörigen