Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 177. Band, (Jahrgang 1917)

Materialien zur Quellenkunde der Kunstgeschichte. 
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überhaupt die Peripetie althellenischen Lebens verkörpert er 
blickt. Es ist die Verkündigung der geistigen Schönheit, 
um die es sich hier handelt; sie taucht freilich schon früher 
bei den Dichtern, wie Sappho, auf. Diese Forderung des 
seelischen Ausdrucks im Körper wird durch Sokrates, der 
bekanntlich von Hause aus Bildhauer gewesen war, in den 
Xenophontischen Gesprächen mit dem Maler Parrhasios und 
dem Bildner Kleiton ausgesprochen. Wenn Xenophon sagt, 
daß der erstere durch diesen direkten Einfluß der Maler der 
Grazien geworden sei, so ist das nur ein pragmatischer Aus 
druck für die Wendung im hellenischen Kunstleben, die auf 
Praxiteles hinleitet und von Julius Lange meisterhaft analysiert 
worden ist. Diese Art des Schönen ist nun freilich Messungen 
nicht zugänglich, sie erhält auch bei Sokrates sofort die Folie 
des Moralischen, die von da ab immer wieder mit ihr ver 
bunden worden ist. Die Richtung auf die praktische Ethik, 
auf Tugend und Tüchtigkeit, tritt auch in Sokrates’ weiteren 
Versuchen, das Schöne zu umgrenzen, hervor, in seiner Iden 
tifizierung des Schönen mit dem Brauchbaren und Zweck 
mäßigen, die trotz ihrer Beschränktheit und Einseitigkeit 
immer wieder hervorgetreten ist, noch in der materialistischen 
Auffassung der von Sempers genialem Werk ausgehenden 
Richtung, wenn auch mit anderer Betonung. Und noch der hl. 
Augustinus hat eigenem Bekenntnis nach in seiner heidnischen 
rhetorischen Jugend ein Buch de pulehro et apto verfaßt. In 
Sokrates’ berühmten Extremen des ,schönen 1 , weil brauchbaren 
Mistkorbes und des , häßlichen 1 goldenen Schildes liegen aber 
die Keime zu jener einflußreichen Lehre vom Angemessenen, 
dem Dekorum, das durch Vermittlung der alten Rhetorik in 
der Kunstlehre der Renaissance eine so wesentliche Rolle ge 
spielt hat. Dann tritt bei ihm jener concetto der Auswahl der 
schönen Teile durch den Künstler hervor, etwas, das wohl 
auch seine Herkunft aus alten Atelierpraktiken nicht verleugnet 
uud dank der langlebigen griechischen Anekdote bis in die 
Theorie der Renaissance hinein Leben behalten hat. 
Wir gelangen zu dem Manne, dessen Gestalt schon im 
Altertum mit dem Zauber des Göttlichen umwoben war und 
dessen Geisteskraft noch heute die Welt im Bann hält, zu 
Platon. Seine Hypostase des begrifflichen Denkens in das 
Sitzuugsber. d. pkil.-hist. Kl. 177. Bd. 3. Abh. 5
	        
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