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VI. Abhandlung;: Kr ei big;.
lauf nur dann innerlich wahrgenommen werden kann, wenn er
wirklich vorhanden ist, zählt zu den Evidenzen, an die sich
noch keine Skepsis ernstlich gewagt hat. Ein Zweifeln daran,
daß ein Erlebnis ohne qualitativ-intensive Beschaffenheit oder
ohne zeitliche Bestimmtheit unwahrnehmbar wäre, darf ebenso
als Ungedanke gelten. Täuschungen gibt es im Bereiche der
inneren Wahrnehmung nicht. Das Bestehen eines Unbewußten
psychischer Natur würde nur beweisen, daß das Bemerken
eigener Zustände oder Abläufe ausbleiben, nicht aber, daß ein
Nichts unmittelbar erfaßt werden könne. Der Umstand, daß
das innere Wahrnehmungsurteil, wie bereits erörtert, das Sein
und Bestimmtsein seines realen Gegenstandes unmittelbar und
ohne Mitwirkung des Prinzips vom zureichenden Grunde er
faßt, macht das Erkennen des Psychischen frei von Transzendenz
und evident gewiß, wenn auch nicht a priori im Sinne der Un
abhängigkeit von der Erfahrung. 1 Jene Immanenz verbürgt aber
andererseits die Richtigkeit der These, daß das realisierende Auf
fassen die allgemeine Wahrnehmungsform der inneren Wahr
nehmung ist, womit sich der Kreis unserer Betrachtungen wider
spruchsfrei schließt.
14.
Es sei uns gestattet, zum Beschlüsse unserer Untersuchun
gen nach bewährtem Brauch ihre allerwesentlichsten Ergeb
nisse in einige rekapitulierende Thesen zusammenzufassen:
1. Für die äußere Wahrnehmung ist konstitutiv: a) der
Empfindungsanteil, b) der Auffassungsakt, bestehend aus einem
Willensanteil (der Aufmerksamkeit) und aus einem Denkanteil
(dem Wahrnehmungsurteil).
2. Das primäre äußere Wahrnehmungsurteil entspricht einem
bejahenden Existenzialurteile, welches das reale Sein der Außen
dinge und Vorgänge (des Physischen) setzt; das sekundäre äußere
Wahrnehmungsurteil prädiziert den Objekten ihre Bestimmt
heiten (Beschaffenheit und Räumlichkeit).
1 Unseres Erachtens sind überhaupt Urteile, die ein Sein oder Bestimmt
heit aussagen, grundsätzlich aposteriorisch; apriorische Urteile, die in
der Natur der beurteilten Materie beglaubigt sind, gibt es nur über Be
ziehungen zwischen deutlich erfaßten Vorstellungsgegenständen. Näheres
in Kreibig, Intellektuelle Funktionen, Wien und Leipzig, 1909, p. 172,
293—298.