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V. Abhandlung: Schönbach.
Wie verträgt es sich aber mit dieser These, daß der
Kodex noch Cantica und Hymnen, das Symbolum Athanasianum,
ja sogar eine Heiligenlitanei enthält? Zunächst halte ich an
der Meinung fest, daß Hymnen und Cantica von dem Über
setzer der Psalmen selbst bearbeitet worden sind, vielleicht
auch das Symbolum, was alles meines Erachtens (vgl. S. 102
f. 117) sich mit der Abfassung des Werkes in der älteren Zeit
der Waldenser ganz wohl verträgt. Die Heiligenlitanei wird
schwerlich von demselben Übersetzer herrühren, der immer
blicschoz für fulgura sagt, indes hier 183 d bleccen — blekzen
gebraucht wird (die Litanei stammt übrigens nach den Namen
der bevorzugten Heiligen — auch S. Radegundis kommt darin
vor, die nicht vor der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein
getragen sein kann — gleichfalls aus Österreich). Auch die
Einrichtung der Handschrift für den Klostergebrauch wird
kaum von dem alten Waldenser hergestellt worden sein.
Über ihre Provenienz sagt uns die Handschrift nichts
anderes, als daß in ihr verschiedenemale der Eigentumsvermerk
des Dorotheenstiftes zu Wien sich findet. Wir besitzen zur Zeit
über die Geschichte dieses Stiftes regulierter Chorherren des
heil. Augustin nur die Arbeit von J. C. Stelzhammer, die als
10. Band der ersten Abteilung der (kirchlichen) Topographie
von Niederösterreich 1836 erschienen ist. Das Stift ist erst
im 15. Jahrhundert gegründet worden (a. a. 0. S. 18), die Ka
pelle jedoch, deren Einkünfte zur Fundierung dienten, war
bedeutend älter und scheint nach mitgeteilten Urkunden dem
Deutschen Orden gehört zu haben. Das hilft aber um nichts
weiter, und irgend eine Aufklärung über die Art, wie unsere
Handschrift in das (1786 aufgelöste) Haus der Chorherren von
St. Dorothea (heute befindet sich an dessen Stelle das Dorotheum,
das Versatzamt der Stadt Wien) gelangt ist, läßt sicherst dann
erwarten, wenn einmal die Geschichte der Handschriften der
kaiserlichen Hofbibliothek möglichst nach rückwärts wird for
schend verfolgt werden. —
Ehe ich diese vorläufige Darstellung schließe, der ich im
Laufe der Zeit eine Ausgabe des Waldenserpsalters folgen
lassen will, darf ich nicht unterlassen, der Verwaltung der kaiser
lichen Hofbibliothek, namentlich Herrn Hofrat Karabacek
und Herrn Kustos Ferdinand Menöik, meinen aufrichtigen