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VIII. Abhandlung: Susta.
Auch die Urbarialaufzeichnungen zeigen jetzt diesen Rück
gang des öffentlichen Schriftwesens. Sie verschwinden für eine
Zeit fast ganz, da fast alle Voraussetzungen ihres Entstehens
fehlen.
Denn die Königsmacht übt keine socialwirthschaftliche
Politik mehr aus. Sie ist zu sehr mit den auswärtigen Händeln
beschäftigt, besonders mit dem Kampfe um den Primat in
Europa. Der Verwaltung selbst königlicher Güter wird keine
Sorgfalt zugewendet, das Lehenswesen zehrt sie langsam auf.
An eine staatliche Initiative in Gutsbeschreibungen wird nicht
mehr gedacht.
Aber auch der private Grossgrundbesitz fühlte kein Be-
dürfniss eigener grösseren Urbarialaufzeichnungen. Wir sahen,
wie die alten Polyptycha der rheinländischen Klöster von
Prüm oder Weissenburg in Vergessenheit gerathen und erst im
18. Jahrhundert wieder ans Licht gebracht werden. Selbst
der Name Polyptychon verschwindet ganz. In den östlicheren
Theilen waren überhaupt solche Arbeiten noch nicht entstanden,
da hier der Grossgrundbesitz erst im Werden war. Seit den
Karolingerzeiten hat hier besonders die kirchliche Grundherr
schaft ihre erobernde Thätigkeit begonnen. 1 Sie ist hier das
junge, kräftige Wirthschaftselement, wächst im Fluge durch
grosse Rodungen und verzehrt die Hufen der freien Bauern.
Bis um die Mitte des 11. Jahrhunderts dauert die hohe Fluth
der kirchlichen Erwerbspolitik; 2 das Gros der freien Bauern
fügt sich in das Zinsverhältniss der Grundherrschaft. Der so
entstehende Grossgrundbesitz ist anderer Art als der gallisch
römische. Er hat keinen Pächterstand von Colonen, sondern
eine ausgedehnte, auf Hörigkeit gegründete Eigenwirthschaft
und zerstreute Censualen, von denen sich Jeder unter anderen
Bedingungen tradirt hat.
Unter diesen Umständen können wir keine grossen Ur
barialaufzeichnungen aus dem damaligen Deutschland erwarten.
Das Schriftwesen ist im Rückgänge, eine geschlossene einheit
liche Unterthanenclasse, deren Verhältniss zum Herrn durch
1 S. darüber Inaina-Sternegg, Ausbreitung der grossen Grundherrschaften
in Deutschland, Leipzig 1878.
2 Lamprecht, Deutsches Wirthschaftsleben I, 675.