Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 138. Band, (Jahrgang 1898)

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VIII. Abhandlung: Susta. 
Auch die Urbarialaufzeichnungen zeigen jetzt diesen Rück 
gang des öffentlichen Schriftwesens. Sie verschwinden für eine 
Zeit fast ganz, da fast alle Voraussetzungen ihres Entstehens 
fehlen. 
Denn die Königsmacht übt keine socialwirthschaftliche 
Politik mehr aus. Sie ist zu sehr mit den auswärtigen Händeln 
beschäftigt, besonders mit dem Kampfe um den Primat in 
Europa. Der Verwaltung selbst königlicher Güter wird keine 
Sorgfalt zugewendet, das Lehenswesen zehrt sie langsam auf. 
An eine staatliche Initiative in Gutsbeschreibungen wird nicht 
mehr gedacht. 
Aber auch der private Grossgrundbesitz fühlte kein Be- 
dürfniss eigener grösseren Urbarialaufzeichnungen. Wir sahen, 
wie die alten Polyptycha der rheinländischen Klöster von 
Prüm oder Weissenburg in Vergessenheit gerathen und erst im 
18. Jahrhundert wieder ans Licht gebracht werden. Selbst 
der Name Polyptychon verschwindet ganz. In den östlicheren 
Theilen waren überhaupt solche Arbeiten noch nicht entstanden, 
da hier der Grossgrundbesitz erst im Werden war. Seit den 
Karolingerzeiten hat hier besonders die kirchliche Grundherr 
schaft ihre erobernde Thätigkeit begonnen. 1 Sie ist hier das 
junge, kräftige Wirthschaftselement, wächst im Fluge durch 
grosse Rodungen und verzehrt die Hufen der freien Bauern. 
Bis um die Mitte des 11. Jahrhunderts dauert die hohe Fluth 
der kirchlichen Erwerbspolitik; 2 das Gros der freien Bauern 
fügt sich in das Zinsverhältniss der Grundherrschaft. Der so 
entstehende Grossgrundbesitz ist anderer Art als der gallisch 
römische. Er hat keinen Pächterstand von Colonen, sondern 
eine ausgedehnte, auf Hörigkeit gegründete Eigenwirthschaft 
und zerstreute Censualen, von denen sich Jeder unter anderen 
Bedingungen tradirt hat. 
Unter diesen Umständen können wir keine grossen Ur 
barialaufzeichnungen aus dem damaligen Deutschland erwarten. 
Das Schriftwesen ist im Rückgänge, eine geschlossene einheit 
liche Unterthanenclasse, deren Verhältniss zum Herrn durch 
1 S. darüber Inaina-Sternegg, Ausbreitung der grossen Grundherrschaften 
in Deutschland, Leipzig 1878. 
2 Lamprecht, Deutsches Wirthschaftsleben I, 675.
	        
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