IV. Abh.: Fr. Müller. Beitr. z. etymolog. Erklärung d. griecb. Sprache.
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IV.
Beiträge zur etymologischen Erklärung der
griechischen Sprache.
Von
Dr. Friedrich Müller,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Die Abfassung eines etymologischen Wörterbuches dieser
oder jener Sprache ist keine leichte,, ja oft sogar eine sehr
gefährliche Arbeit. Nicht etwa deswegen, weil der zu be
handelnde Gegenstand auf einer unsicheren Grundlage ruht,
sondern weil er von allzu grossem Umfange ist und neben
manchem ganz Sicheren noch viel Zweifelhaftes oder ganz
Unsicheres in demselben sich findet. 1 Es ergeht einem hier un
gefähr so wie auf dem Gebiete der vergleichenden Mythologie.
Jener Forscher, der sich blos auf das beschränkt, was man
mit Sicherheit zu erklären vermag und dabei das Unsichere
ganz bei Seite lässt, wird eine exacte Arbeit zu liefern im
Stande sein, während deijenige, der alle Mythen ohne Aus
nahme zu erklären unternimmt, nicht umhin können wird —
um mich eines kurzen Ausdruckes zu bedienen — ein wenig
zu ,schwindeln'. Und hierin ist eine grosse Gefahr für die
Wissenschaft gelegen.
Nachdem Georg Curtius mit seinen ,Grundzügen der
griechischen Etymologie' das vor ihm und von ihm selbst auf
1 Am leichtesten und sichersten lässt sich ein etymologisches Wörterbuch
dann verfassen, wenn das Material in den verschiedenen Phasen der
Sprachentwicklung nach Zeit und Raum in umfassender Weise herbei
geschafft werden kann, wie z. B. auf dem Gebiete der romanischen und
germanischen Sprachen. Hier kann aber die Forschung beim Latein,
Gotischen, Altdeutschen, Altnordischen Halt machen, also gerade dort,
wo die grössten Schwierigkeiten für den Etymologen erst beginnen.
Sitzungsber. d. phil.-hist. OL CXXXY1. Bd. 4. Abh. 1