III. Abh.: J. Müller. Kritische Studien zu den Briefen Senecas.
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III.
Kritische Studien zu den Briefen Senecas.
Von
Johann Müller,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Die Briefe Senecas stehen liente in Correctheit und Les
barkeit des Textes weit hinter den Dialogi und den Büchern
De beneficiis und De clementia zurück. Zumeist waren es die
musterhaften Ausgaben von Gertz, welche jenen Schriften
diesen Vorzug gebracht haben. Dann aber batte allerdings
dort die Kritik auch ein weniger complicirtes und schwieriges
Geschäft als bei den Briefen. Zwar ist auch hier in jüngster
Zeit durch wiederholte Collation der Handschriften und durch
eingehende Untersuchungen über dieselben wenigstens für
einen Theil der Briefe über die handschriftliche Grundlage
des Textes genügende Klarheit hergestellt. Aber bei dem
grösseren Tlieile ist das Verhältniss der Handschriften unter
sich und ihr Werth für die Textesgestaltung noch immer nicht
allen Zweifeln entrückt, und man hat es hier nicht so bequem,
sich der Führung einer einzelnen Handschrift vertrauensvoll
überlassen zu können. Es muss vielmehr in vielen Fällen fehler
hafter Ueberlieferung durch sorgfältige Abwägung äusserer und
innerer Gründe erst bestimmt werden, welcher Ausgangspunkt
zur Verbesserung zu nehmen sei. So weit die berührten Ar
beiten dieses Geschäft gefördert haben, werde ich mich natür
lich auf sie in den folgenden Erörterungen stützen und ich
hoffe, dass mir nichts, was Erwähnung und Berücksichtigung
verdient, entgangen ist.
11, 1 Hie (verecundiae rubor) illum, quantum suspicor,
etiam cum se conßrmaverit et omnibus vitiis exuerit, sapientem
quoque sequetur. nulla enim sapientia ncituralia corporis aut
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXVI. Bd. 3. Abh. 1