Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 125. Band, (Jahrgang 1892)

Die rhetorica ecclesiastica. 
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VII. Veranlassung' zur Abfassung. 
Ehe man sich im frühen Mittelalter einem Fachstudium 
zuwandte, mussten die sogenannten artes der Reihe nach durch 
genommen werden. Das Trivium der Grammatik, Dialektik 
und Rhetorik (artes liberales) bildete, häufig mit dem Gesammt- 
namen der Logik bezeichnet, die Vorstufe weiteren Studiums. 
Das hieran sich anschliessende Quadrivium der physischen 
Wissenschaften (artes naturales) fand weniger Schüler 1 oder 
mindestens nicht ein so eingehendes Studium. 
Hochangesehene Kirchenväter —- Ambrosius, Hieronymus 
und Augustinus — hatten für das später sogenannte Trivium das 
Lesen der classischen wissenschaftlichen Schriften der Heiden 
welt geradezu befürwortet (c. 9, 10, 18, D. 37), weshalb auch 
Carl der Grosse deren Studium als ein Hilfsmittel zum richtigen 
Verständniss der heiligen Schrift mittelst eines besonderen Capi- 
tulars 788 den Bischöfen und Klöstern seines Reiches wärmstens 
anempfohlen hat. 2 Dagegen waren die Ansichten der Päpste 
über den Werth einer solchen Lectüre für Christen getheilt, 
bis schliesslich der Betrieb des Studiums classischer Litteratur 
in der Voraussetzung gestattet wurde, dass die Exegese der 
heiligen Schrift und die Dogmatik von dieser Seite manchen 
Gewinn ziehen könne. 
Im 12. Jahrhundert wurden classische Studien durch St. 
Bernhard und seine Schüler eifrigst betrieben. Bekannt ist 
sein Ausspruch, dass die Gelehrten unter seinen Zeitgenossen, 
wie Zwerge auf den Schultern der Classiker-Riesen ruhend, 
von ihrem erhöhten Sitze aus einen weiteren Ausblick und eine 
leichtere Erkenntniss ohne eigenes Verdienst gemessen. 3 
Auch sein berühmter Gegner auf theologischem Felde, 
der Peripateticus Palatinus, Abälard, hat in seiner Theologia 
christiana — welche philosophische Betrachtungen mit den 
Problemen der Theologie verbindet, indem sie neben der Au 
torität auch Vernunftgründe zur Beweisführung verwerthet — 
1 Vgl. Epist. Petri Blesensis, Nr. 101; bei Bulaeus, Hist. univ. Paris, 
Bd. II, S. 571. 
2 Walter, Corp. jur. germ. H, S. 63. 
3 Sehaarschmidt, Joannes Saresberiensis, S. 66.
	        
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