Na gl. Gerbert und die Rechenkunst des 10. Jahrhunderts.
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Gerbert und die Rechenkunst des 10. Jahrhunderts.
Von
Dr. Alfred Nagl.
(Mit vier Tafeln.)
Uie arithmetischen Texte, welche Olleris unter dem
Titel: Regula de Abaco com-puti in seine Ausgabe der
Werke Gerberts 1 aufgenommen hat (pag. 311 — 318) und welche
daselbst zum ersten Male eine Veröffentlichung durch den
Druck nach zwei Handschriften des 11. und des 12. Jahr
hunderts 2 erfuhren, fand ich zu meiner nicht geringen Ueber-
raschung im vorigen Jahre vollständig, jedoch mit einer be-
merkenswerthen Abweichung zu Anfang in einem Codex in
Bern (no. 299), welcher bislang dem 10. Jahrhundert zugetheilt
wird, enthalten. Schon Friedlein war mit dieser werthvollen
Handschrift in eine wenngleich nur mittelbare Berührung ge-
rathen; er lernte auf seinem Wege nur die erste Seite unserer
Texte kennen, und es zeigt sich, dass seine Annahme, es sei
nur dies'e eine Seite (s. u. Tafel I) als ein Fragment er
halten, auf einem Irrthum beruht. Die Rückschlüsse, welche
sich aus dem Vorhandensein dieser Handschrift auf die Ent
wicklung des Rechenwesens und namentlich auf die bisher
noch ziemlich dunkle Stellung Gerberts in derselben ergeben,
sind bedeutsam genug, um sie zum Gegenstände einer be
sonderen Studie zu machen. Wir werden diese Gelegenheit
1 A. Olleris, Oeuvres de Gerbert, pape sous le nom <le Sylvestre II, Cler-
mont-Ferrand et Paris 1867.
2 Codex Reginae Suecoruin Vaticanus no. 1661, XI“', und Codex'von
Montpellier H. 491, XII" 1 ' sec.