Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 116. Band, (Jahrgang 1888)

Zu Aristoteles'’ Poetik. 
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daneben stossen wir auf das, was man füglich eine Schranke 
der Einsicht des grossen Eintheilers nennen darf. Ich denke 
an seine genetische Zurückführung der Kunstfreude auf die 
Freude an Nachahmungen und dieser letzteren auf die Lust 
am Combiniren (48, b 16: x£ v/mgxov, olov outo? sy.sT- 
vog), somit auf etwas rein Intellectuelles. Wer darin den 
Urquell des Kunstgenusses, mit Einschluss der Poesie, 
erblicken kann (48 b 3 ff.), von dem darf man wohl behaupten, 
dass er seine eigene, an Geist überreiche, an Gfemüth und 
Phantasie vergleichsweise arme Natur mit der durchschnittlich 
so ganz anders gearteten Menschennatur überhaupt verwechselt 
hat. Steht doch am Anfang aller Poesie, wie wir gegenwärtig 
mit voller Zuversicht behaupten können, die Lyrik, auf welche 
dieser Begriff von ,Nachahmung' zum mindesten ganz und 
gar keine Anwendung findet. 
Die Art, wie die ,zwei natürlichen Ursachen' der Dicht 
kunst eingeführt werden, hat mit Recht Yahlen’s Befremden 
erregt (Beiträge I, 12). Wie seltsam in der That, dass während 
die erste derselben gleichsam zwiespältig — in Nachahmungs 
trieb und Nachahmungslust gesondert •— auftritt, die zweite 
nicht irgendwie scharf hervorgehoben, sondern nur in dem 
Schlusssatz beiläufig miterwähnt wird und wie unterwegs auf 
gelesen erscheint (y.axä oussv Ss ovxo; fjg.fv xoü (j.t|A£lc0at y.al xr ( c 
Erweiterungen, die gewissermassen schon in ihm liegen, zur Aufnahme 
grösserer Schöpferkraft fähig gemacht; wodurch die Geschichte einer 
Gattung geistiger Schöpfungen im Alterthum eine noch grössere Aehn- 
lichkeit mit dem Keimen, Wachsen und Blühen organischer Natur- 
producte bekommt 1 . So nahe kommt Aristoteles an der obigen Stelle 
diesem Gedanken, dass ihm sogar das typische Bild der historischen 
Schule, jenes vom Naturwuchs menschlicher Dinge vorzuschweben 
scheint in den Worten: y.aza u'.xpov qu'rfiq, rpoayov rtuv oaov sy (yveto 
oavspov auxij;, wobei man kaum an etwas anderes denken kann als an 
das Hervortreten der Spitzen einer keimenden Pflanze (vgl. Ueberweg’s 
Uebersetzung: ,indem man jeden hervortretenden Keim zur Entwicklung 
brachte 1 ). Auch sonst ist dem Stagiriten dieses Bild nicht fremd; ge 
braucht er es doch in jenem prächtigen Wort, welches mit höherem 
Schwünge als ihm sonst zu eignen pflegt, die Herrlichkeit der gene 
tisch-historischen Betrachtungsweise überhaupt feiert, Pol. I, 2: 
,wer da die Dinge vom Anfang her erwachsen sähe (s; oipyjjs ~x 
upavo.xxx ouop-Eva (fXf'ks'.Ev), der würde sie so am schönsten erschauen 1 .
	        
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