Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 114. Band, (Jahrgang 1887)

Platonische Aufsätze. 
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liehen auszusondern, durch strenge Beweisführung gleichwie 
durch den Hinweis auf bereits vorgebrachte, aber nicht nach 
Gebühr gewürdigte Argumente zu sichern und in stetigem, 
behutsamem Vorschreiten zu mehren — ein anderes Mittel kenne 
ich nicht, um aus dem Gewirr einander kreuzender Einzelpfade 
endlich in die breite und gefestigte Bahn continuirlicher For 
schung zu gelangen. Der Arbeit des Wegebauers geht jene 
des Feldmessers voraus, der die Richtpunkte ermittelt und 
absteckt, welche die vollendete Strasse dereinst wird verbinden 
müssen. Solch einer bescheidenen Vorarbeit sind die nach 
folgenden Blätter gewidmet. 
1. Der Dialog Menon bildet einen Knotenpunkt platoni 
scher SchriftsteUerei. Zunächst verschlingen sich in ihm Fäden, 
die aus zwei verschiedenen Gesprächen stammen und daher 
auch diese selbst mit einander verknüpfen. Die Durchsichtigkeit 
des wenig umfangreichen Dialogs und sein vergleichsweiser 
Reichthum an positivem Lehrgehalt machen diese Beziehungen 
zugleich deutlich erkennbar und fruchtbar an Folgerungen. Zwei 
dieser Fäden reichen aus dem Protagoras herüber. Es sind 
die hier und dort verhandelten Fragen: 1. wie kann Tugend 
Erkenntniss und somit lehrbar sein, da wir doch keine Lehrer 
derselben aufzuweisen vermögen? 2. wie lässt es sich unter 
derselben Voraussetzung erklären, dass treffliche Staatsmänner 
ihre Söhne nicht zu gleicher Trefflichkeit heranbilden ? Die 
zweite dieser Aporien erhält hier durch die Unterscheidung der 
allein zum Lehren befähigenden ,wissenschaftlichen Erkennt 
nis' und der für die Praxis vielfach ausreichenden ,richtigen 
Meinung' ihre Lösung. Und eben hiedurch wird, da es ja 
haare Thorheit wäre, ein schon gelöstes Räthsel den Lesern 
von Neuem zur Lösung vorzulegen, das Zeitverhältniss der zwei 
Gespräche (wie schon Schleiermacher aufs Beste erkannt hat) 
unwidersprechlich festgestellt. Im engsten Anschluss an diese 
fundamentale Unterscheidung tritt jene glimpfliche Beurtheilung 
athenischer Staatslenker auf, die zu dem giftigen Hohn, mit 
welchem der Gorgias sie überschüttet, einen so denkwürdigen 
Gegensatz bildet. Einen Gegensatz überdies, der allezeit be 
merkt werden musste und mithin, da nicht die Werke eines 
Stümpers vor uns liegen, gewiss auch bemerkt werden sollte. 
Hier wie dort werden vier athenische Staatsmänner ersten
	        
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