Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 110. Band, (Jahrgang 1885)

Kant und Corate in ihrem Verhältnis zur Metaphysik. 
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immer für einem Grunde unabhängig von dieser entstandener, 
ererbter und mitgebrachter Vorstellungsweisen, als ,Trug- und 
selbstgemachter Götzenbilder (Idole)' durch Bacon, kehrt in der 
Läugnung angeborner, d. i. vor aller Erfahrung und unabhängig 
von dieser vorhandener Ideen durch Locke wieder. Folge des 
ersteren ist, dass im Rationalismus von einer Erfahrungserkennt- 
niss im empirischen, im Empirismus von einer Erkenntniss durch 
reine Vernunft im Sinne reiner Vernunftwissenschaft nicht die 
Rede sein kann. 
Wie es vom Standpunkte der Vernunft als einziger Er- 
kenntnissquelle keine andere Wissenschaft als Vernunftwissen 
schaft, so kann es von dem entgegengesetzten der Erfahrung 
als einziger Erkenntnissquelle keine andere als Erfahrungs 
wissenschaft geben. Der geläufige Gegensatz rationaler und 
empirischer als einander ausschliessender Gattungen von Wissen 
schaften wird innerhalb des Gesichtskreises des Rationalismus 
zu einem solchen innerhalb des Gebietes der Vernunftwissen 
schaft selbst, während er innerhalb des Gesichtskreises des 
Empirismus zu bestehen überhaupt aufhört. Vernunft- und Er 
fahrungswissen stellen im Sinne des Rationalismus nicht zweierlei 
Wissen, sondern ein und dasselbe, das einzig mögliche Wissen, 
das Vernunftwissen in zwei verschiedenen Entwicklnngsstadien 
dar, so dass das sogenannte Erfahrungswissen die unvollkom 
mene, das im engeren Sinne sogenannte Vernunftwissen die 
vollkommene Form des einzig möglichen, d. i. des Wissens 
mittelst reiner Vernunft ausmacht. Im Sinne des Empirismus 
aber verhalten Vernunft- und Erfahrungswissen, von welchen 
das erste auf vom Denken fingirten, das letztere auf von aussen 
gegebenen Ideen beruht, sich wie Nichtwissen zu Wissen, 
Illusion zu Wahrheit, und der Gegensatz der einander aus- 
schliessensollenden Arten des Wissens hört auf, weil das eine 
Glied desselben aufgehört hat überhaupt eine Art des Wissens 
zu sein. 
Wie man sieht, ist die Aussicht, welche der Rationalismus 
den Erfahrungswissenschaften, günstiger, als diejenige, welche 
der Empirismus Wissenschaften mittelst reiner Vernunft eröffnet; 
jener lässt die empirischen Wissenschaften zwar als solche, deren 
Form noch unvollkommen, deren Vollendung erst in ihrer Um 
wandlung in reine Vernunftwissenschaften zu hoffen ist, aber
	        
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