Zur Kypsele der Kypseliden in Olympia.
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sie über ihn so reichlich streut, dass die Augen des Betrachters
beunruhigt sicli von ihm wegwenden. Damit schädigt sie
ihre ganze Wirkung, aber ihr jugendliches Empfinden kennt
die Kühe nur als Zwang. Und wie sie nun mit ihrer Orna
mentik zu Ende ist, da füllt sie die leeren Räume mit herüber
und hinüber sich bunt durcheinander schlängelnden Schrift
zeichen, was, nebenbei bemerkt, der Standpunkt des Meisters
unseres Werkes gewesen ist. Früh lernt sie an den tekto
nischen Grenzen Halt machen, aber um optische kümmert sie
sich niemals. Welchen Fleiss wenden doch die alten Vasen
maler daran, den Mundrand ihrer Gefässe auszuzieren, und wie
oft greifen sie mit ihren Bilderstreifen sogar in das Innere ihrer
Amphoren und Deinoi hinein. Erst als wir jene nie ermüdende
Verzierungslust kennen und bewundern gelernt hatten, waren
uns die Schildbeschreibungen Homers und Hesiods nicht mehr
blos poetische Episoden. In ihnen tritt das Princip, den vor
handenen Raum auf das Aeusserste auszunützen, ganz klar
hervor, das ganze Weltall, wie es sich in den Köpfen der
Menschen jener Zeit gespiegelt, findet auf dem Rund des
Achillesschildes seinen Platz und findet ihn eben darum, weil
seine Grundeintheilung in concentrische Kreise die denkbar
höchstgetriebene Raumökonomie in sich fasst. Und ohne ein
ähnliches Verfahren wäre es kaum verständlich, warum zum
Schmucke für die doch immerhin kleine Kypsele fast die
ganze mythische Welt jener Tage aufgeboten worden sei.
Es ist längst erkannt, dass jenes System der Raumein-
theilung durch concentrische Kreise wie es die Schildbeschrei
bungen des Epos zeigen, nur ein Specialfall des Eintheilungs-
principes der archaischen Kunst ist. An der Wandung der
Gefässe wird es durch ein System von Parallelkreisen ersetzt,
die Kreise werden zu Streifen, wenn der Körper, den sie
umziehen sollen, geradliniger Structur ist. Der Zoplioros des
ionischen Gebälkes ist nicht nur seinem Material nach ein
Petrefact. Das Wesentliche der Kreisform wahrt der Bild
streifen dadurch, dass sich seine Enden zusammenschliessen.
Dass diesem Raumsystem, wenn es folgerichtig zu Ende ge
dacht ist, und Folgerichtigkeit ist hellenischem Kunstgefühl
unerlässliches Bedürfniss, ein eigenthunilidies Orientirungs-
princip zukommt, das mit den uns so geläufigen Begriffen