Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 108. Band, (Jahrgang 1885)

Zur Kypsele der Kypseliden in Olympia. 
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sie über ihn so reichlich streut, dass die Augen des Betrachters 
beunruhigt sicli von ihm wegwenden. Damit schädigt sie 
ihre ganze Wirkung, aber ihr jugendliches Empfinden kennt 
die Kühe nur als Zwang. Und wie sie nun mit ihrer Orna 
mentik zu Ende ist, da füllt sie die leeren Räume mit herüber 
und hinüber sich bunt durcheinander schlängelnden Schrift 
zeichen, was, nebenbei bemerkt, der Standpunkt des Meisters 
unseres Werkes gewesen ist. Früh lernt sie an den tekto 
nischen Grenzen Halt machen, aber um optische kümmert sie 
sich niemals. Welchen Fleiss wenden doch die alten Vasen 
maler daran, den Mundrand ihrer Gefässe auszuzieren, und wie 
oft greifen sie mit ihren Bilderstreifen sogar in das Innere ihrer 
Amphoren und Deinoi hinein. Erst als wir jene nie ermüdende 
Verzierungslust kennen und bewundern gelernt hatten, waren 
uns die Schildbeschreibungen Homers und Hesiods nicht mehr 
blos poetische Episoden. In ihnen tritt das Princip, den vor 
handenen Raum auf das Aeusserste auszunützen, ganz klar 
hervor, das ganze Weltall, wie es sich in den Köpfen der 
Menschen jener Zeit gespiegelt, findet auf dem Rund des 
Achillesschildes seinen Platz und findet ihn eben darum, weil 
seine Grundeintheilung in concentrische Kreise die denkbar 
höchstgetriebene Raumökonomie in sich fasst. Und ohne ein 
ähnliches Verfahren wäre es kaum verständlich, warum zum 
Schmucke für die doch immerhin kleine Kypsele fast die 
ganze mythische Welt jener Tage aufgeboten worden sei. 
Es ist längst erkannt, dass jenes System der Raumein- 
theilung durch concentrische Kreise wie es die Schildbeschrei 
bungen des Epos zeigen, nur ein Specialfall des Eintheilungs- 
principes der archaischen Kunst ist. An der Wandung der 
Gefässe wird es durch ein System von Parallelkreisen ersetzt, 
die Kreise werden zu Streifen, wenn der Körper, den sie 
umziehen sollen, geradliniger Structur ist. Der Zoplioros des 
ionischen Gebälkes ist nicht nur seinem Material nach ein 
Petrefact. Das Wesentliche der Kreisform wahrt der Bild 
streifen dadurch, dass sich seine Enden zusammenschliessen. 
Dass diesem Raumsystem, wenn es folgerichtig zu Ende ge 
dacht ist, und Folgerichtigkeit ist hellenischem Kunstgefühl 
unerlässliches Bedürfniss, ein eigenthunilidies Orientirungs- 
princip zukommt, das mit den uns so geläufigen Begriffen
	        
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