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Werner.
sie fällt unter den Gesichtspunkt des Guten als zweckent
sprechende Vollkommenheit, unter den Gesichtspunkt des
Schönen als das zur Bewunderung Hinreissende. Die von
Conti gegebene Begriffsbestimmung des Schönen 1 trifft also
im Ganzen mit jener Rosmini’s zusammen, mit welchem er im
Gegensätze zu Gioberti auch darin einverstanden ist, dass die
göttliche Wesenheit als die absolute Schönheit zu fassen sei.
Daraus folgt dann weiter auch, dass er die aufwärts steigende
Stufenreihe des Schönen in einer der Rosminischen Auffassung
derselben ähnlichen Weise darstellt. Er hat mit Rosmini und
Gioberti die Unterscheidung zwischen natürlichem und über
natürlichem Schönen gemein, welches letztere er mit der Lehre
vom Erhabenen und Göttlich-Schönen in Verbindung bringt,
und hiebei eine vermittelnde Stellung zwischen Rosmini und
Gioberti einnimmt. Er geht aber entschieden von Beiden ab,
und bricht grundsätzlich mit der idealistischen Metaphysik des
Schönen, wenn er die Natur als Musterbild aller Kunst erklärt;
er will damit nicht etwa zu den Theorien der empirisch-
sensistischen Aesthetiker zurückkehren, welche das Wesen des
Kunstschönen in der treuen Wiedergabe der Natur sahen,
sondern strebt, dem specifischen Charakter seines Realismus
getreu eine mittlere Stellung zwischen der idealistischen und
empiristischen Aesthetik an. Dieser seiner Stellung gemäss
beruht ihm die Kunst des Schönen theils auf imitativer Be
obachtung der Natur, theils auf sinnreicher Erfindung; letztere
tritt als Zweites und Nachfolgendes zur imitativen Beobachtung
hin, sofern der Geist des Künstlers, nachdem er durch die
Natur als erste Lehrmeisterin informirt worden ist, zufolge
der ihm einwohnenden Idee des Unendlichen die unbegrenzte
Möglichkeit zur Ersinnung neuer, durch die Erfahrung ihm
nicht subministrirter künstlerischer Concepte in sich trägt, und
gleichsam die ewigen Urbilder der Dinge zu erahnden vermag.-
1 Bellezza e ordine di perfezione ammirato. O. c., I, p. 34.
2 La mente ha concetto dell’ infinito, e indi e quasi divinatrice degli
archetipi eterni, ciö non ammette dubbio; e come lo proviamo tutti
naturalmente, cosi ne rendono testimonianza i maggiori poeti e artisti,
dair Alighieri a Michelangelo, da Raffaello al Bartolini, e anclie lo
attesta Giocomo Leopardi nel canto alla sua donna e in piü luoglii.
O. c., I, p. 79.