Ueber Hume’s empirische Begründung der Moral.
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Besitz wirklicher oder vermeintlicher Wahrheit übt auf densel
ben eine so unwiderstehliche Gewalt, dass er, wenn er auf
Grund der erkannten Mangelhaftigkeit natürlicher Erkenntniss-
quellen auf denselben Verzicht leisten soll, er lieber zum
Glauben an das Vorhandensein übernatürlicher Erkenntniss-
quellen seine Zuflucht nimmt, als dass er die Hoffnung, die
Wahrheit zu erlangen, ein- für allemal aufzugeben sich ent
schlösse.
Wie hier der natürlichen eine übernatürliche, so tritt im
oben angedeuteten Falle der theoretischen eine praktische Er-
kenntnissquelle zur Seite. Wie die Offenbaning das Trans-
cendente, alles dasjenige, dessen Erkenntniss ausserhalb der
Grenzen der natürlichen Erkenntniss, so umfasst die praktische
Erkenntnissquelle das Gute, dessen Erkenntniss ausserhalb des
Bereiches der theoretischen Erkenntnissquelle gelegen ist. Die
natürliche Erkenntniss ist für die Ei-kenntniss des Transcen-
denten, die theoretische, für jene des Guten incompetent;
woraus folgt, dass die Zweifelhaftigkeit, womit die erstere be
haftet ist, ebensowenig dem Sein und der Erkennbarkeit des
Transcendenten, wie jene, welcher die letztere unterliegt, dem
Sein und der Erkennbarkeit des Guten anzuhaben vermag.
Weltliche Wissenschaft und Offenbarung schliessen im ersten,
theoretische Philosophie und Ethik im zweiten Falle ein Com-
promiss untereinander. Während die erstgenannte dem Zwmifel
preisgegeben, das Transcendente als Gegenstand der Offen
barung aber über allen Zweifel erhoben wird, wird hier der
Inhalt der theoretischen Philosophie als ungewiss, jener der
praktischen aber als gewiss dargestellt,
Philosophen dieser Art unterscheiden sich von den voll
ständigen Skeptikern einer-, den vollständigen Dogmatikern
andererseits, die es auf allen Gebieten sind, dadurch, dass sie
auf dem Gebiete der theoretischen Philosophie Skeptiker, auf
dem der praktischen dagegen Dogmatiker sind. Dieselben sind
innerhalb der Philosophie mit jenen Scholastikern zu ver
gleichen, welche ausserhalb der Philosophie ein ähnliches Ver-
hältniss -zwischen dem Inhalt des Wissens und des Glaubens
in der Art herstellcn zu können meinten, dass sie als Philo
sophen Ungläubige, als Theologen dagegen Gläubige sein
wollten. Solche gingen von dem Grundsätze aus, dass, w r as in