Full text: Die Staatsbahn von Wien bis Triest mit ihren Umgebungen

über welche die Zeit ihr umgestaltendes Zauberwort ausgesprochen hat, oder wenn 
wir mit dem Bilde, das sie uns darstellt, dasjenige vergleichen, das ein Anderer 
uns von ihr entwirft, der sie vor läͤngeren Jahren besucht hat. Mit Staunen 
müssen wir uns gestehen, daß die Statigkeit unveranderlicher Verhältnisse fast ver— 
schwindet unter der Neuheit des Charakters, den die verjüngende Gegenwart ihnen 
aufgedrückt hat. 
»Das Alte stürzt, es ändert sich die Zei, 
Und neues Leben blüht aus den Ruinen!«*) 
Einen solchen Zauber hat auf manche Gegenden unseres großen und schoͤnen 
Vaterlandes das Wunder der neuen Zeit, das Eisenbahnw esen, ausgeübt, 
und die Spuren dieses Wunders nach einer Richtung hin, nämlich nach der 
südlichen, verfolgt das Werk, dem diese Zeilen zur Einleitung dienen. Es hat 
den Zweck, den Reisenden auf der Eisenbahn vom Herzen der Monarchie aus, 
von Wien durch die österreichischen Propyläen der norischen Alpenwelt nach 
Steiermark und, die ganze Länge dieses herrlichen Gebirgslandes hindurch, so 
wie durch einen Theil von Krain vor der Hand bis Laibach d. i. bis dahin 
zu begleiten, wo ihn der Ariadne-Faden der Neuzeit verläßt, und die „länderver— 
knüpfende Straße“ der alten Zeit seine Weiterführung übernimmt. 
Ein derartiger Uebersprung ist am besten geeignet, den oben erwähnten Ver— 
gleichungspunct zwischen Jetzt und Einst darzubieten. War Reisen einst — Leben, 
so ist Reisen jetzt — Fliegen; war es vordem ein sorgfältiges Sammeln der Ein— 
drücke, ein Zusammenstückeln interessanter Landschaftsbilder aus einzelnen Mosaik⸗ 
— Einzelnen zum Allgemeinen, so ist es 
jetzt ein flüchtiges Durchkosten des massenhaften Genußstoffes, ein momentanes Er⸗ 
fassen des Skelettes der bereisten Landschaft, das die Analyse erst nachträglich zu be⸗ 
fleischen sich bemühen mag. So hat mit der Form des Reisens das Object desselben 
sich ver ändert, und mit beiden dessen Zweck. Der letztere ist ein vorherrschend prak⸗ 
tischer oder wenigstens materieller geworden. Man reist nicht mehr, um zunächst vie⸗ 
ler Menschen Sitten und Städte kennen zu lernen, wie ehedem, sondern um so bald 
als moͤglich den Ort zu erreichen, wo man seine Geschäfte abzuthun hat, oder um in 
kürzester Frist und mit der geringsten Beschwerde ein betraͤchtlich Stuͤck Landkarte 
verschlungen zu haben. Nur die Haupt- und Knotenpuncte, welche nicht immer 
ihre landschaftliche, geschichtliche oder naturhistorische Bedeutung, sondern oft nur 
technische, mercantile oder locale Ruͤcksicht dazu stempelt, haben Gewicht und Gel⸗ 
tung; was mitten inne liegt, wenn noch so interessant, geht in die Brüche. 
Doch sei dem wie immer, auch diesem Zwecke muß Rechnung getragen wer— 
den, wenn ein Reisewerk den Anforderungen der Gegenwart entsprechen und dem 
Reisenden einen kenntnißreichen, zeitgewandten, mit einem Worte praktischen 
Führer und Gesellschafter ersetzen soll. Es steht zu hoffen, daß das vorliegende 
*) Schiller's »Wilhelm Tell« IV. 2.
	        
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