Über die Justizreformen unter K. Leopold II. etc. 243
Was indessen unter diesen Umständen kommen musste, war un
ter dem seit 1790 herangewachsenen Geschleclite eine gänzliche Un-
kenntniss der durch Jahrhunderte bestandenen Justizverfassnng. Als
} sie aufgehört hatte, praktische Wichtigkeit zu haben, kamen die oft
nicht einmal niedergeschriebenen Gewohnheitsrechte in Vergessen
heit, die Fragmente des geschriebenen Rechtes, in so weit sie nicht
hei einzelnen Materien des bürgerlichen Gesetzbuches noch Anwendung
hatten, kamen in Vergessenheit oder wurden unverständlich, und schon
um das Jahr 1798 waren die Beamten äus'serst selten, welche noch
in ihrer Gegend nach dem alten Rechte ihr Amt hätten führen können.
Um 1810 fand man keine Menschen mehr, welche noch zusammen
hängende Begriffe von dem alten Rechte und den alten Gemeindever
fassungen hatten, später fand man nur noch fragmentarische Kennt
nisse bei Einzelnen und selbst das, was die Registraturen an Acten
aus der früheren Zeit enthielten, wurde der jüngeren Generation schon
fremd.
In den Gemeinden nahm auch das Interesse an den Gemeinde
angelegenheiten ab, so dass jene, die nicht in die Gemeindeausschüsse
kamen, sich fast gar nicht darum bekümmerten. Beitragen mochte,
dass die grösseren Städte in der Verwendung ihrer Einkünfte durch
die Gesetze sehr eingeschränkt wurden, und in den kleineren Ge
meinden nebst ähnlichen Einschränkungen auch bestimmte Verbote
bestanden, die Gemeindeeinkünfte so wie ehemals zur Steuerzahlung
zu verwenden. Nur darin zeigte sich noch Einiges von der alten
Gemeindeverfassung, dass die Städte bis zu den in den Jahren
1806 und 1808 erfolgten Einschränkungen alle Magistratspersonen
wählten, und auf dem Lande dort und da die Gemeindevorsteher
stellen an einen gewissen Besitz gebunden waren.
Diese Verhältnisse wurden in den neueren Zeiten von denjenigen,
welche die alten Volksrechte überall als das Heilmittel gegen die
schädlichen Einflüsse des Zeitgeistes betrachteten, viel zu wenig ge
würdigt; beiihrergehörigenWürdigung aber sieht man, worauf grosse
Justizreformen, wenn man sie heut zu Tage wollte, sich beschränken
f müssten.
16 *