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Krem er.
angeregt, mit Benützung von Sojuty’s Vorarbeit, die Geschichte
der Seuchen im Oriente zum Gegenstände einer besonderen
Abhandlung zu wählen. Es kam der Umstand hinzu, dass
gerade damals der russisch-türkische Krieg zum Ausbruche
kam und, angesichts der beiderseitigen Art der Kriegführung,
ich mit Recht glaubte besorgen zu müssen, dass dieser blutige
und mit starker Vernachlässigung humanitärer und sanitärer
Rücksichten geführte Kampf grosse Seuchen, vielleicht sogar
die Pest im Gefolge haben könnte.
Es schien mir deshalb auch ein sehr dringendes prakti
sches Interesse für die geschichtliche Untersuchung der Pesten
des Orients zu sprechen, ja sogar derselben eine über die ge
wöhnlichen Grenzen einer akademischen Abhandlung hinaus
gehende Wichtigkeit zu verleihen.
Hiebei lassen sich aus der Vergangenheit Schlüsse auf
die Gegenwart und Zukunft ziehen, die eben, weil positive
Thatsachen vorliegen, einen weit höheren Grad der Sicherheit
und Zuverlässigkeit bieten, als die Lehren, welche man sonst
aus der Geschichte ableiten kann und denen gewöhnlich das
nicht immer verdiente Loos zu Theil wird, unbeachtet zu
bleiben.
Die arabischen Chronisten geben zwar in der Regel nur
spärliche Nachrichten über Vorgänge, die ausserhalb des Kreises
der politischen und religiösen Kämpfe liegen, oder sich nicht
an den Namen einer hervorragenden Persönlichkeit knüpfen,
aber dennoch machten sie schon früh Aufzeichnungen über
auffallende Naturereignisse, wie Sonnen- oder Mondesfinster
nisse, Erdbeben, Kometenerscheinungen, Sternschnuppenfälle,
Ueberschwemmungen u. dgl. m.
So wichtig nun auch derlei Nachrichten sein mögen, so
stehen sie doch mit dem Culturverlaufe der Völker in keinem
unmittelbaren Zusammenhänge, und haben aus diesem Grunde
für den Culturhistoriker lange nicht dieselbe Bedeutung wie
für den Naturforscher.
Hingegen sind die Berichte über die grossen Epidemien,
welche seit dem Beginne des Islams immer häutiger auftreten
und bis in die neueste Zeit herab den Orient heimsuchen, für
den Geschichtsforscher von hoher Wichtigkeit.