100 K r e in e r. cessionen (jetzt in Damascus: sejjärah genannt), Derwischtänze, Vortrag heiliger Hymnen und Litaneien u. s. w. 1 Alles das sind Neuerungen der späteren Zeiten, die unter dem Schutze des zunehmenden Aberglaubens und des religiösen Fanatismus sich einbürgerten. Der Eindruck der grossen Epidemien trug zweifellos nicht wenig bei, um die Gemüther für diese Richtung zu stimmen. Gegen die ganz unberechenbar plötzlich hereinbi’echende Todes gefahr, welche Tausende von Opfern forderte und deren schreck liche Macht ganz ausserhalb der gewöhnlichen Naturgesetze zu liegen schien, suchte man Trost und Hilfe in gleichfalls ganz aussergewöhnlichen, auf übernatürliche Kräfte berechneten Uebungen. Es haben sich ganz ähnliche Erscheinungen auch in Europa nach den grossen Epidemien gezeigt. Gleiche Ur sachen rufen unter sonst gleichen Verhältnissen stets dieselben Wirkungen hervor. In dem verhängnissvollen Jahre 1348, in welchem von den mohammedanischen Schriftstellern die als Neuerung bezeichnete feierliche Procession zur Abwendung der Pestgefahr in Damascus stattfand, konnte man allenthalben in Europa Bussfahrten, Bittgänge und Kasteiungen sehen, alles ebenfalls zur Errettung von dem grossen Sterben. Durch Massendemonstrationen glaubte man den Zorn des Allmächtigen beschwichtigen zu können; das Einzelgebet sollte durch die Association wirksamer gemacht, durch die Selbstgeisselung und die Kasteiungen sollte das Erbarmen Gottes gewisser- maassen erzwungen werden. Paarweise, in geordnetem Zuge wanderten die Selbstgeissler, Flagellanten, durch Stadt und Dorf, den Oberleib nackt, von den Hüften hinab in weisse Laken gehüllt, von Kirche zu Kirche zogen sie fromme Lieder singend und schlugen sich mit Geissein, dass das Blut zu Boden träufelte. Die Weiber verschlossen sich in Betsäle und oblagen dort gleichfalls der Selbstgeisselung, während die Geist lichkeit öffentliche Gebete und feierliche Umzüge unter Vor tragung heiliger Reliquien abhielt. 2 1 Die ascetische Richtung ist dem früheren Islam eigenthümlich, die ek statische dem späteren. Vgl. Gesch. der herrsch. Ideen, p. 59 ff. 2 Vgl. Peinlich: I, 3*29.