Voltaire-Studien. 117 Atheismus die früher erwähnten Beweisgänge geltend. Nament lich liess er es sich angelegen sein, die Argumente, welche der Atheismus aus der Thatsache des Weltübels schöpfte, zu entkräften. Doch hatte er gegen diese Doctrin noch weitere Gründe ins Treffen zu führen. Er berief sich auf die ge schichtliche Erfahrung. Italien war z. B. im fünfzehnten Jahr hundert voll Atheisten. Was ergab sich daraus? Dass es so gebräuchlich wurde, Gift wie Nachtessen zu verabreichen, Dolch- stösse wie Umarmungen auszutheilen. Die Zeit des Atheismus ist durch Namen wie Sixtus IV., Alexander VI, Cäsar Borgia gekennzeichnet und gerichtet. 1 Voltaire gibt zwar zu, dass gebildete Leute von guter Lebensstellung und sanftem Cha rakter sich ohne Schaden für die Gesellschaft werden zum Atheismus bekennen dürfen. Allein man denke sich die Armen, die Ungebildeten ohne den Zügel der Religion, ohne die Furcht Gottes. 2 Oder man denke sich einen atheistischen Herrscher ohne das Gefühl der Verantwortlichkeit. ,Un roi athee est plus dangereux qu’un Ravaillac fanatiqueJ 3 Gerade auf das Praktische, die sittliche Wirkung legt Voltaire hier das Haupt gewicht. Nur diejenigen Theisten, sagt er, welche glauben, dass Gott den Menschen ein natürliches Gesetz gegeben habe, besitzen eine Religion, wenn sie auch keinen Cultus äusserlich mitmachen. 4 Eine solche praktische Religion darf um der öffentlichen Moralität willen niemals von der Philosophie be seitigt werden. Der Staat hat ein Interesse an der Existenz der Religion. 5 Besser eine schlechte Religion, als gar keine, 1 Histoire de Jenni, 11. — Essai, 136. 2 On demande ensuite, si un peuple d’athees peut subsister; il me semble qu’il faut distinguer entre le peuple proprement dit, et une societe de philosophes au-dessus du peuple. II est tres-vrai que par tout pays la populace a besoin de plus grand frein, et que si Bayle avait eu seule- ment cinq h six Cents paysans h gouverner, il n’aurait pas manque de leur annoncer un Dieu remunerateur et vengeur. (Art. Atheisme, I.) 3 Que l’atheisme est un monstre tres-pernicieux dans ceux qui gouvernent; qu’il l’est aussi dans les gens de cabinet. (Atheisme, IV.) — Homelie sur l’atheisme (1767). 4 Art. Athee II. 5 II est donc absolument necessaire pour les princes et pour les peuples, que l’idee d’un Etre supreme ereateur, gouverneur, remunerateur et ven-