SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
ZWEIUNDNEUNZIGSTER BAND.
AVI EN, 1879.
IN COMMISSION BEI KAKL GEROLD’S SOHN
BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
ZWEIUNDNEUNZIGSTER BAND.
JAHRGANG 1878. — HEFT I—III.
WIEN, 1879.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN
BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
300122
Druck von Adolf Holzhausen in Wien
k. k. Universitäts-Unchdruckerei.
INHALT.
Seite
XX, Sitzung vom 9. October 1878 3
Pfizmaier: Nachträge zu japanischer Dialectforscliung.
II. Abtheilung 7
Härtel: Studien über attisches Staatsrecht und Urkunden
wesen. III 87
^Biidinger: Krösus’ Sturz 197
XXI. Sitzung vom 16. October 1878 223
XXII. Sitzung vom 23. October 1878 225
/Büdinger: Lafayette in Oesterreich 227
XXIII. Sitzung vom 6. November 1878 299
. Maassen: Ein Commentar des Elorus von Lyon zu einigen
der sogenannten Sirmond’schen Constitutionen 301
XXIV. Sitzung vom 13. November 1878 326
XXV. Sitzung vom 20. November 1878 328
..Mühlbacher: Die Urkunden Karl’s III 331
Schubert: Miscellen zum Dialekte Alkmans —'T . . . 517
XXVI. Sitzung vom 4. Deeember 1878 595
XXVII. Sitzung vom 11. Deeember 1878 597
^Maassen: Eine burgundische Synode vom Jahr 855 . . . 599
XXVIII. Sitzung vom 18. Deeember 1878 612
Pfizmaier: Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa . . 615
SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
XCII. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1878. — OCTOBER
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. I. Hft.
1
Ausgegeben am 4. Jänner 1879.
XX. SITZUNG VOM 9. OCTOBER 1878.
Der Vice-Präsident begrüsst die Classe bei ihrem
Wiederzusammentreten und die anwesenden neugewählten
wirklichen Mitglieder Herrn Professor Dr. Lorenz Ritter von
Stein und Herrn k. u. k. Hof- und Ministerialrath Alfred
Ritter v. Krem er insbesondere.
4
Der Vicepräsident gedenkt ferner des Verlustes, welchen
die Akademie und speciell diese Classe durch das am 9. Sep-
tember zu Wetterhöfl bei Iglau erfolgte Ableben des w. M.
Herrn k. k. Hofrathes und Professors Dr. Karl Tomaschek
erlitten bat.
Die k. k. Akademie der Wissenschaften in Krakau über
sendet ein Beileidsschreiben, in welchem dieselbe die Theil-
nalime über das erfolgte Ableben des Präsidenten Freiherrn
von Rokitansky ausdrückt.
Von Herrn Leopold von Beckh-Widmanstetter, k. k.
Hauptmann in Trient, wird mit Zuschrift sein Werk, betitelt:
,Studien an den Grabstätten alter Geschlechter der Steiermark
und Kärntens', von Herrn Hofrath Ritter von Beck, Director
der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, das im Druck und Verlag
derselben erschienene Werk : ,Das Buch der Schrift, enthaltend
die Schriften und Alphabete aller Zeiten und aller Völker des
gesammten Erdkreises' zusammengestellt und erläutert von
C. Faul mann, für die akademische Bibliothek übersendet.
Herr Dr. Joel Müller legt sein mit Unterstützung der
kaiserl. Akademie erschienenes Werk: ,Masechet Soferim' vor.
Herr Dr. Constant Ritter von Wurzbach, k. k. Regierungs-
rath, in Berchtesgaden, legt den siebenunddreissigsten Theil
des ,Biographischen Lexikons des Kaiserthums Oesterreich'
mit dem Ansuchen um den üblichen Druckkostenbeitrag vor.
Herr Professor Simion Ljubiö, Director des Landes-
National-Museums zu Agram, ersucht um eine Subvention be
hufs photographischer Veröffentlichung egyptischer Inschriften,
welche in dem Agramer Institute sich befinden.
5
Herr E. J. Blücher, zu Neuhäusel in Ungarn, ersucht
um eine Subvention zur Ermöglichung einer zweiten Auflage
seiner ,Grammatica Aramaica'.
Von dem w. M. Herrn Dr. A. Pfizmaier wird eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: -,Nachträge zu
japanischer Dialectforschung, II. Abtheilung' vorgelegt.
Das w. Mitglied Herr Professor Dr. Wilhelm Hartei
legt eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung unter
dem Titel: ,Studien über attisches Staatsrecht und Urkunden
wesen IIP vor.
Das w. M. Herr Professor Dr. Büdinger legt eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor, welche den
Titel führt: ,Krösus’ Sturz, eine chronologische Untersuchung'.
Herr Dr. E. Mühlbacher, Privatdocent an der Inns
brucker Universität, legt eine Abhandlung vor unter dem
Titel: ,Die Urkunden Karls III.' und ersucht um deren -Ver
öffentlichung in den Sitzungsberichten.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux Arts de Bel-
gique: Bulletin. XLV1I 0 Annee, 2 e Serie, Tome 45, N os 5, 0 et 7. Bruxelles
1878; 8°.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Preussiselie, zu Berlin: Monatsbericht.
Juni 1878. Berlin, 1878; 8°. — Ueber die Lehre des Aristoteles von
der Ewigkeit der Welt, von Eduard Zoller. Berlin 1878; 4°. — Ueber
die Abfassungszeit der Schrift vom Staate der Athener, von A. Kireh-
hoff. Berlin, 1878; 4°. —• Zwei Giebelgruppen aus Tanagra, von Ernst
Curtius. Berlin 1878; 4°. — Die Namen der Meere in den assyrischen
Inschriften, von Eb. Schräder. Berlin, 1878; 4°. — Die Formen der
Ethik, von Friedrich Harms. Berlin, 1878; 4°.
6
Akademie, König!. Bairische, zu München: Sitzungsberichte der philosophisch
philologischen und historischen Classe. 1878. Heft II, III und IV.
München, 1878; 8°.
Gesellschaft, gelehrte estnische, zuDorpat: Sitzungsberichte. 1877. Dorpat,
1878; 12».
— — allgemeine geschichtforschende, der Schweiz: Quellen zur Schweizer
Geschichte. II. Band. Basel, 1878; 8°.
— — k. k. geographische, in Wien: Mittheilungen. Band XXI (n. F. XI).
Nr. 6 und 7. Wien, 1878; 8».
Mittheilungen aus Justus Perthes’ geograph. Anstalt, von Dr. A. Peter
mann. XXIV Band. 1878. VIII, IX. Gotha, 1878; 4°. — Ergänzungs
heft Nr. 55. Gotha; 4°.
,Revue politique et litteraire“ et ,Revue seientifique de la France et de
l’Etranger“. VIII 0 Annee, 2 e Serie, N os 3—44. Paris, 1878; 4°.
Santiago de Chile: Anuario estadistieo de la Republica de Chile. Tomo XVII.
Santiage de Chile, 1876; in-fol. — Quinto Censo jeneral de la Poblacion
de Chile. Valparaiso, 1876; in-fol. — Sesiones ordinarias de la Cimara
de Diputados en 1875. Num. 1. — Sesiones estraordinarias de la Camara
de Diputados en 1875. Num. 2. — Sesiones ordinarias de la Camara de
Senadores en 1875. Num. 1, — Sesiones estraordinarias de la Csimara
de Senadores en 1875. Num. 2.
— — Anales de la Universidad: l a seccion: Memorias cientificas e literarias.
1875 & 1876. Coleccion de Tratados celebrados por la Republica de
Chile con los Estados estranjeros. Tomo II. Santiago de Chile, 1875; 4».
— ■— Historia de Chile durante los cuarenta afios trascuridos desde 1831
basta 1871, por Ramon Sotomayor Valdes. Tomo I. Santiago de Chile,
1875; 8°. —• La Crönica de 1810 por Miguel Luis Amunätegui. Tomo
I y II. Santiago, 1876; 8°.
— — Memoria de Relaciones esteriores y de Colonizaeion de 1876. Santiago
de Chile. 1876; 8°. — Memoria de Justicia, Culto e Instruecion publica
en 1876. Santiago de Chile, 1876; 8°. — Memoria de Guerra y Marina
en 1876. Santiago, 1876; 8». — Memoria del Interior en 1876. 1 y 2 Vo
lumen. Santiago de Chile, 1876; 8°. — Memoria de Hacienda en 1876.
Santiago de Chile, 1876; 8». — Memoria de Intendente de Valparaiso.
1875/76. Valparaiso, 1876; 8°. — Estudio sobre el Censo de 1875.
Santiago, 1877; 8°.
Verein, historischer für Oberfranken zu Bamberg: Vierzigster Bericht über
Bestand und Wirken im Jahre 1877. Bamberg, 1878; 8 n .
— — historischer für Schwaben und Neuburg: Zeitschrift. IV. Jahrgang.
1., 2. und 3. Heft. Augsburg, 1877/78; 8».
Pfizmaier. Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
7
Nachträge zu japanischer Dialectforschung.
II. Abtlieilung.
Von
Dr. A. Pfizmaier,
wirkl. Mitgliede der k. Akademie der Wissenschaften.
In der hier zusammengestellten Arbeit bringt der Ver
fasser eine neue Ergänzung zu japanischer Spracl 1 kenntniss,
wobei er auf dieselbe Weise wie bei einer früheren gleich
namigen Abhandlung vorging. So wichtig und erspriesslich
weitere Forschungen auf diesem Gebiete auch sein würden,
lässt sich in Betracht der ungewöhnlichen Mühe, welche auf
solche Untersuchungen verwendet werden muss, nicht be
stimmen, ob auf das Gelieferte noch Fortsetzungen folgen
werden. Das für jetzt Aufgenommene umfasst vier ganze Buch
staben des zu Grunde gelegten, nach dem Muster des Sanscrit
alphabetisch geordneten japanischen Syllabariums und einiges
darüber. Es enthält innerhalb der gezogenen Gränzen alles,
was in dem Wa-kun-siwori Neues und Beachtenswerthes vor
kommt, mit Ausnahme sehr weniger Gegenstände, welche, als
der Aufklärung bedürftig, gelegentlichem ferneren Nachdenken
überlassen wurden.
Kiri-no uki-nami ,schwimmende Wellen des Nebels', kiri-
no umi ,Meer des Nebels', kiri-no ma-galci ,Hürde des Nebels'
sind Ausdrücke, welche bezeichnen, dass man eine Sache für
etwas anderes ansieht, als sie ist (mi-tate-taru kotoba). Beispiele
davon, dass man eine Sache für etwas anderes ansieht, als sie
ist, sind noch: den Mond für Schnee ansehen (tsuki-wo juki-ni
mi-tate-taru), den Schnee für Blumen ansehen (juki-wo fana-ni
mi-tate-taru).
8
Pfizmaier.
Es gibt Ausdrücke, in welchen kiri ,Nebel' thätig ge
macht, d. i. in welchen aus diesem Worte ein Zeitwort ge
bildet wird (kiri-ioo fatarakasi-taru kotoba). So in dem Idzumi-
siki-be-nikki: kiri-taru sora ,der umnebelte Himmel'. In dem
Murasaki-siki-be-nikki: fono-utsi-kiri-taru nsita ,der düster um
nebelte Morgen'. Ingleichen in dem Gesclilechte Gen: imiziü
kiri-watareru ,es hat sehr stark herüber genebelt'. Usu-giri-te
,dünn nebelnd' ist von usu-giri ,dünner Nebel' abgeleitet. In
dem Fü-ga-siü heisst es:
Tsuju-fukaki j ma-gaki-no fana-wa \ usu-giri-te \ wo-kabeno
matsu-ni | tsuki-zo katafuku.
,Wo der Thau tief, | die Blumen der Hürde, | indess sie
dünn umnebelt, | an den Fichten der kleinen Mauer | der Mond
sich neigt.'
Zur Bezeichnung des Bohrers (kiri) finden sich die
Wörter toivosi-giri ( )-» Tjl zJ 4^ l) ) ^durchdringender Bohrer',
maru-giri ,runder Bohrer', fira-giri ,breiter Bohrer', mi-tsu
me - giri ,dreieckiger Bohrer', (jo)-giri ,viereckiger
Bohrer', tsubo-giri ,Topfbohrer‘. Für das letztere Wort sagt
man auch maru-giri ,runder Bohrer'. In dem Werke Nitsi-jo-
zö-zi ,vermischte Schriftzeichen für den täglichen Gebrauch'
findet sich mai-giri O H 4? >J ) ,tanzender Bohrer'.
Kiri ,äusserste Gränze' ist die Abkürzung von kagiri.
Fi-wo kiru ,Feuer stechen' ist die Lesung von ||| ,durch
stechen'. Kiru hat die Bedeutung kiri-suru ,mit dem Bohrer
stechen'. (kiri-fi) ,Feuer des Bohrers' ist ein Feuer,
welches man zuwege bringt, indem man mit einem Bohrer
Holz durchbohrt. In dem göttlichen Palaste von I-se bedient
man sich noch gegenwärtig eines solchen Feuers und bereitet
damit die göttliche Opferspeise. In dem Zi-no kagami hat
H| die Lesung (fi)-no yjv (ki) kiru ,das Feuerholz durch
bohren'.
Kiroro-ka ( F \Zl j] ) hat die Bedeutung von kirara-
ka ,schimmernd'. Das im gemeinen Leben übliche me-wo
giro-giro-su ,das Auge mit Glanz erfüllen' hat die Bedeutung
magirawasi-si ,mit etwas verwechselt werden oder ähnlich sein'.
Ki-wata ( 4^ )7 ) ,Baumwolle' hat den Sinn Flock
seide von Bäumen'. Es ist die im gemeinen Leben übliche
Benennung eines jetzt in der Welt allgemein verbreiteten
Nachträge zu japanischer Dialectforscliung. II.
9
Gegenstandes. In dem westlichen Indien gab es seit den
ältesten Zeiten Baumwolle, doch in China begann man erst
gegen das Ende des Sung sie aus Samen zu ziehen. In Corea
hatte man den Samen ursprünglich erhalten. In Japan bringt
man sie seit den Zeiträumen Jei-roku (1558 bis 1569 n. Chr.)
und Ten-sei (1573 bis 1591 n. Chr.) herüber, und sie ist ein
tägliches Bedürfniss des ganzen Volkes geworden. In der
Sprache der rothhaarigen Menschen (Holländer) heisst sie kato-
un lcoro-i ( ~jj C? (V V H y \ ). Man sagt, kato-un habe die
Bedeutung lci-wata ,Baumwolle', koro-i habe die Bedeutung
kusa ,Pflanze'. 1
Die Blüthen der Baumwollstaude heissen (teö) Schmetter
linge'. Die Früchte heissen jv)|i (momo) ,Pfirsich'. Diese Namen
bezeichnen die Aehnlichkeit. Auch der Fon-sö (Pen-thsao) sagt,
die Früchte seien gleich Pfirsichen.
Was man durch die Zeichen ^ ,Flockseide von
Bäumen' ausgedrückt hat, sind vier verschiedene Dinge. Im
hohen Alterthum sagte man in Japan jufu ( ~7 7?). Es war
das Tuch, welches man aus dem Baste des Baumes taku
verfertigte. Dieser Baum, welcher dem Papierbaume (kbzo)
ähnlich und von Farbe weiss war, wird für den Baum gehalten,
den man heutzutage in den östlichen Reichen Japans mit dem
Namen sina (belegt. In China benannte man mit
dem Namen eine Art Rainweide (^l|t), welche in Japan
ebenfalls to-tsiu oder auch masa-ki heisst. Das dritte ist das,
was mit einem bei den südlichen Fremdländern üblichen Namen
panja ( ) 3 genannt wird. Das vierte ist das gegen
wärtige lll j£ % (men-ke-fu) ,Tuch der Baumwollblüthen'.
Ku ,kommen' ist der Uebergang von ki.
Ku als Lesung von |||| ,Reich' ist die Abkürzung von kuni.
Die Rückkehr von kon ist ku. Desswegen sagt man ima
ma-ude ku statt ima ma-ude kon ,man wird jetzt in die Ver
sammlung kommen'.
1 Holländisch leatoen (Aussprache katun) ,Katun‘ und grooi ,Wuchs 1 .
2 Sina, als Name eines Baumes, wird in den Wörterbüchern der Japaner
nicht verzeichnet. Er findet sich jedoch in dem Aino-Wörterbuche Mo-
siwo-gusa unter den japanischen Namen der Bäume.
3 Der indische Baum Pagna, welcher Baumwolle liefert.
10
Pfizmaier.
Kui ( 7/ ) ist so viel als kujuru ,bereuen'. Man findet
es in dem Nippon-ki und in dem Man-jeö-siü. Durch ja i ju
je jo findet eine Abwandlung- statt (fatarakeri)■ Man sagt
ferner ltui-no ja-tsi-tabi ,achttausendmalige Reue'. Es ist die
Abkürzung von ku-irü ( 7/ -'f )]y). In einem Gebete findet sich
auch lmbi ( 7? ). Dieses darf nicht kuwi ( ) geschrieben
werden.
Die Worte (saki)-tatanu kui ,die nicht vorangehende
Reue' haben die Bedeutung: kö-kuai saki-ni tatazu ,die Reue
geht nicht voran'.
Kujeru { 77 jjj ) ist die Lesung von y|lj- ,zergehen'.
Die Rückkehr von je ru ist ju. Daher wird kuju (77 ~t \ in
dem Man-jeo-siü gelesen.
Kuwo ( 7/ y? ) kommt in der Musik Saibara vor. In
einem Werke wird auch kubo ( 7? gesagt. Es soll ein
Wort von der Art wie wotsi-kubo ,Fallgrube', tani-kubo ^hai-
tiefe' sein.
(Wata)-wo kukumu ,Baumwolle in dem Munde halten'
bedeutet (deo) ,ein Buch Papier'.
Kugutsu [7/ ^ 77j ist in dem Siü-tsiü-seo die Lesung
von (tsutsumu) ,einhüllen'. Es bedeutet, dass man die Pflanze
^ (kugu) flicht und daraus Säcke verfertigt. Die Auf
zeichnungen zu dem Man-jeo-siü sagen: es bedeutet, dass man
aus dünnen Stricken ein Behältniss für die Habseligkeiten
macht, welches die Bauersleute in der Hand tragen (fosoki
nawa-wo motsi-mono ireru mono-ni site inaka-no mono-no
motsu nari).
In dem Wa-mei-seö ist kugutsu die Lesung von Mim ’T*
,Puppe'. Das Koje kuai-rai-si hat gegenwärtig die Bedeutung
nin-gib-dzukai ,Puppendreher', wobei statt ¥ (n) auch frli (*■)
gesetzt wird. Man sagt auch te-kugutsu, kugutsu-fa (7/
77 und im gemeinen Leben de-korobo-mawasi ( y* ZI 1Z2
/JfW A ). Man vermuthet, das Wort habe den Sinn, dass
man im Einhergehen die Umhüllung (kugutsu) auf dem Rücken
trägt und Spiele auf führt.
1 Kugvtsu-fa kann für Icugutsu-favi ,Puppen spannend* gesetzt sein, was
jedoch nirgends angegeben wird.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
11
In Gedichtsammlungen bezeichnet kugutsu ein ausschwei
fendes Mädchen. Es ist eine Art Tänzerin. In dem chinesischen
Werke ,Eintragungen von dem Hofe und dem freien Felde'
findet sich eine Geschichte der Puppendreher (Icuai-rai-si). Es
heisst daselbst: Die Männer behandeln Bogen und Pferde,
machen ein Geschäft aus der Jagd. Einige werfen zwei
Schwerter, spielen mit sieben Kugeln. Einige lassen Holz
puppen tanzen und im Zweikampfe kämpfen. Sie verwandeln
Sand und Steine in Gold und Geld. Sie verwandeln Pflanzen
und Bäume in Vögel und vierfüssige Thiere. Die Frauen haben
traurige Augenbrauen, weinen, schwärzen die Augenbrauen,
schreiten mit gebrochenen Lenden, lächeln als ob sie Zahn
schmerz hätten, gebrauchen Mennig, legen Schminke auf,
tanzen und singen bei ausschweifenden Tönen der Musik. —
Unter den Gedichten, die man zu verfassen pflegte, waren
daher Namen wie wo-gura-jama-moto-no sato ,das Dorf des
Fusses des Berges von Wo-gura', o-o-masu-gaiva mine-no toma-
ja ,das mit Stroh gedeckte Haus des Berggipfels von O-o-
masu-gawa', wo-no-no sino-bara-no uje-no sato ,das Dorf über
Sino-bara in Wo-no'. Man sagt, der Sinn, dass man Puppen
dreht (nin-gib-wo tsuko-no kokoro) sei nicht ersichtlich. In dem
Fokori-bukuro-seö heisst es: Der Mann macht ein Geschäft
aus der Tödtung des Lebens, das Weib betreibt zur Seite die
Sache des ausschweifenden Mädchens. — Ima-jb ,die gegen
wärtige Weise', furu-gawa-jb ,die Weise von Furu-gawa', asi-
gara-take-no sita ,unter dem Bambus von Asi-gara', saibara
,die Musik Saibara', sato-tori-ko-no uta ,das Lied des jungen
Vogels des Dorfes', sode-furü-no uta ,das Lied des Aermel-
schüttelns', tsuzi-uta ,das Lied des Kreuzweges' sind Ton-
weisen der damaligen Zeit.
In dem Nippon-ki findet sich kukuri-wo-no fakama ,Bein
kleider der gebundenen Schnüre'.
Kuke-dzi hat die Bedeutung: verborgener Weg.
Kitkern ( J?- J\y ) ist die Lesung von (+ ft)
,steppen'. Da es verborgenes Nähen (kakusi-nü-no koto) ist,
steht es mit kuke-dzi ,verborgener Weg' in Verbindung. In
dem Utsuwo-mono-gatari findet sich kuke-bari ,verborgene
Nadel'.
12
Pfizmaier.
(Kusa) ,Art“, den Wörtern angehängt, ist von kusa
,Pflanze' abgeleitet. So in nagusavii-gusa ,Tröstung', atsukai-
gusa ,Vermittelung', kakotsi-gusa ,Trübsinn“', warai-gusa ge
lachter“.
Kusaru ( '1)" Tis ) wird auch für kusari-suru ,anketten“
gebraucht. In einem Gedichte heisst es: Kami-jama-no \ sono-no
afufi-wo | kusari-tsutsu ,die Malven des Gartens | des Götter
berges | indess man ankettet“. Bei einer Perrücke (kadzura)
bezeichnet es, wie viel Mangelndes man beim Anketten braucht
(kakuru-wa iku-tsu-mo kusari-te motsijuru).
Kusa-bi, durch ausgedrückt, bedeutet ,Pflanzen
feuer“. Man sagt kusa-bi moje-fatsu ,das Pflanzenfeuer lodert
auf“, kusa-bi hefuri-tatsu ,das Pflanzenfeuer raucht“ und anderes.
Es bezeichnet vergleichungsweise den Hauch der aufkeimenden
Pflanzen.
Kusa-bi { ■?/ tf) heisst auch ein gewisser Fisch. Der
selbe ist nicht länger als fünf bis sechs Zoll. Er ist in dem
Jamato-fon-sö abgebildet.
Kusa-fafi ( ^7 ) 'l tl) findet sich in dem Geschlechte
Gen. In dem Nippon-ki ist es die Lesung von
,allerhand vermischte Dinge“.
Kusa-dzuka ist in dem Kami-jo-bumi die Lesung von
£ £ ,Pflanzenbündel“. In dem Jen-gi-siki findet sich adzitka
( y ~J] j. Es ist so viel als awo-kusa-dzuka ,Bündel von
grünen Pflanzen“.
Kusa-no ito ,Fäden der Pflanzen“ bezeichnet die Dünn
heit der Blätter der Pflanzen.
.Kusa-musubi ,Pflanzenknüpfen“ hat den Sinn des im ge
meinen Leben üblichen m m (sb-sb) ,der Anfang eines
Werkes“. Daher sagt man es auch von einem geleisteten Ehe
versprechen (kon-in-no jaku-ioo nase-si koto), wo es den Sinn
von ,knüpfen und einrichten“ hat.
In Gedichten hat kusa-musubi ,Pflanzenknüpfen“ den Sinn,
dass man beim Einherschreiten durch die dichten Pflanzen
der Sommerfelder (natsu-no) die Pflanzen knüpft und sie zu
Geweben des Weges macht (kusa-wo musunde mitsi-no ori-to
sttru).
Kusa-fito-gata, in dem Nippon-ki durch ||| ,Geist von
'V‘1
Futtergras“ ausgedrückt, bedeutet: Menschenbild aus Pflanzen.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
13
Es ist das, was heutzutage wara-nin-gib ,Menschenbild von
Stroh, Strohmann* genannt wird. In dem Jen-gi-siki findet
sich kuro-gane-no nin-gib ,eisernes Menschenbild', kane-no nin-
gio ,goldenes Menschenbild'.
Kusa-wa mina-gara ( ^7 '!)" ) ^ ^ -j- "Jf y ) hat, wie als
richtig angenommen wird, den Sinn Jcusa-ioa mina-nagara ,die
Pflanzen alle'. In dem Man-jeo-siü hat das Zeichen ^ ,alle'
die Lesung mifia-Jcara ( ~j~ Jj ~7 )- Die Angabe, dass mina-
gara die Bedeutung (mi)-nasi-lcara ,durch das Zustandebringen
des Sehens' habe, wird für unbegreiflich gehalten. In einem
Gedichte Tei-ka’s heisst es: mina-kara kasumu | faru-no icaka-
kusa ,allesammt in Höhenrauch | des Frühlings junge Pflanzen'.
In dem Gi-siki-teö haben die zwei Zeichen und ^ die
alte Punctirung mina-kara ( £ 1- ll y )•
Kvsi ( 77 £/ ) ist die Lesung von ^ ,wunderbar'. Wm
(kusi-bi) ,reingeistig' hat den Sinn von -Jjj- (kusi-bi) wunder
bare Sonne'.
Zur Bezeichnung des Kammes (Jcusi) findet sich in Ge
dichten loakare-no Jcusi getrennter Kamm', tsuge-no 100-gusi
,kleiner Kamm von Buchsbaum', tsuku - si -gusi ,Kamm von
Tsuku-si‘, sasi-gusi ,stechender Kamm'. Man findet ferner eri-
gusi ,eingeschnittener Kamm', maki-gusi ,zusammengerollter
Kamm', Jcara-gusi,chinesischer Kamm', sita-gusi,unterer Kamm',
Jco-gusi ,kleiner Kamm', toki-gusi ,weiter Kamm', bin-rb-gusi
,Betelnusskamm'.
In dem Zi-no kagami ist Jcusi die Lesung von ,goldene
Blumen als Zierrath'. Man glaubt, es könne denselben Sinn
wie Jcusi ,Kamm‘ haben. Man sagt auch, bedeute einen
Kamm mit einseitigen Zähnen (Jcata-fa), (kk + ) einen
Kamm mit zwei Reihen Zähnen (moro-fa). In dem Tei-kun
findet sich Jcusi-fiJcu ,Kämme ziehen', d. i. verfertigen.
Kusi-no fa-wo fiJcu ,die Zähne des Kammes ziehen' ist ein
Gleichniss von der Bedeutung j||j ,dichte Haufen wie bei
dem Mähen des Getreides machen'. Es ist ein längst vor
gekommener Ausdruck.
7L -7- (Jco-u-si) ,Khung - tse' hatte ehemals die Lesung
Jcu-si ( 7/ 2k )■ Dieselbe Aussprache Jeu hat Jf\j in Jcu-ziaku
,Pfau‘.
14
Pfizinaier.
In dem Geschlechte Gen heisst es: koi-no jama-ni-iva ku
si - no tafure ,auf dem Berge der Liebe fällt Khung - tse zu
Boden'. Es ist so viel als das im gemeinen Leben übliche
tatsu-no tsumadzuki ,das Straucheln des Drachen'.
^ ,Stecken, Pflock' hat in dem Wa-mei-seo die Lesung
take-no kusi ,Bambusstecken'. Kusi-zasi ,den Pflock oder Speiler
aufstecken' hat in dem Kami-jo-bumi und in dem Jen-gi-siki
die Bedeutung: anderen Menschen die Felder rauben, die eigenen
Feldtafeln aufstellen und den Besitz streitig machen (fito-no
ta-ivo ubai ono-ga ta-fuda-wo tatte ai-arasb).
In dem Kuö-dai-ki hat JpL die Lesung kusi-zasi ( 47 iy
)■ Das Wort hat die Bedeutung Jj|. "|| ,das Haupt des
Hingerichteten auf einen Baum hängen'. j|| "H" (ked-siü)
mit der Aussprache des Koje hat im gemeinen Leben auch
die Bedeutung ^ ^ (goku-mon) ,Thor des Gefängnisses'.
Man nennt so den Platz, wo das Haupt aufgehängt wird.
Kusi-no kami, das in den Gedichten des Ko-zi-ki vor
kommt, ist soviel als kusuri-no kami ,Gott der Arzneien'. Die
Rückkehr von su ri ist si. Eine Angabe, dass es jjjp (kusi)-no
kami ,wunderbarer Gott' bedeute, wird für unrichtig erklärt.
Es Heisst, bei kusi ,wunderbar' könne die Partikel no nicht
gesetzt werden, wovon kusi-bi , wunderbare Sonne', kusi-dama
,wunderbare Seele' Beispiele sind. Das Wort bezeichnet den
Gott Suku-na-fiko-na-no mikoto.
Das Wort |g| jijjtj (ku-zu) ist in der Abhandlung: ,Die
poetischen Ausdrücke der japanischen Sprache', I. Abtheilung,
letzte Seite, erklärt worden.
Kususi ( ^7 X 27 ) ^ i n Gebeten die Lesung von
,wunderbar'. In dem Seö-tokki findet sich die Form kususi-ku,
in dem Man-jeo-siü die Form Jcusuwasi-ki ( df 4~)-
In dem Makura-sö-zi findet sich der Ausdruck kususi - ü suru
,wunderbar sein', in dem Geschlechte Gen der Ausdruck kususi-
karan fito ,ein Mensch, welcher wunderbar sein wird'.
Kusu-kasima ( )7 is 1 W ) wird in dem Nippon-ki
das Zeichen gelesen. Man gibt dem Worte die Bedeutung
(kususi) ,wunderbar'. Hinsichtlich der Endung kasima wird
dasselbe mit ßsu-Jcasima, welches die Lesung von ,lärmend'
ist, verglichen.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
15
Ku-zetsi steht für )IJ (ku-zetsu) ,Mund
und Zunge', d. i. ,vieles Reden, Zank'.
Kudatsi ( (7 (A =j~ ), durch jjSj* ,schräg, schief' und
,herabsteigen' ausgedrückt, bedeutet: auf der Neige sein. Das
in dem Ko-kon-siu enthaltene moto kudatsi - te jaku ,das Ur
sprüngliche geht auf die Neige' hat den Sinn jowai-no kcitamuku
,die Lebensjahre neigen sich'. Das in dem Man-jeo-siü ent
haltene jo kudatsi ,die Nacht ist auf der Neige' hat den Sinn
jo-no fukeru ,es wird tiefe Nacht'.
In dem Nippon-ki ist zu sehen, das der Falke (taka) in
der coreanischen Sprache kutsi ( (7 j~ ) genannt wird. Das
Wa-mei-seö sagt: Die zwei Zeichen 'pL ku tsi werden
schnell jj}J (kutsu, kuts) gelesen. In Faku-sai (Kutara) sagt
man (ku - tsi,). In der heutigen coreanischen Sprache
bezeichnet man den Falken durch das Wort mai ( -f j.
Kutsi-ba ,verfaulte Blätter' wird auch von der Färbung
(some-iro) gebraucht. Man unterscheidet aivo-kutsi-ba ,grüne
verfaulte Blätter', ki-kutsi-ba ,gelbe verfaulte Blätter', aka-
kutsi-ba ,rothe verfaulte Blätter'. In der Sammlung des Auf
lesens des Hinterlassenen findet sich kutsi -ba-iro-no wosi-lci
,bedauerlich von Farbe der verfaulten Blätter'.
In dem Fei -ke- mono -gatari liest man: Kutsi - biru - wo
kajesi-te nikumanu mono-zo na-kari-keru ,die Lippen zurück
ziehend, war man nicht ohne Verdruss'.
Kutsi-jose ,den Mund nahe bringen“ ist ein Wort, welches
von Beschwörern (kannagi) gesagt wird. Es bedeutet: den
Geist eines Verstorbenen herbeirufen und indem man ihm den
eigenen Mund leiht, dessen Willen verkünden (mb-zia-no tamasi-
i-wo maneki ono-ga kutsi-wo kari-te sono kokoro-wo noburu).
Man sagt, was eine Beschwörerin in dem Busen trägt, werde
usiro-botoke späterer Buddha' genannt und sei aus dem Schädel
eines wunderbar gestalteten Menschen verfertigt. Man nennt
diese Sache das Geschäft eines Bezirksbeschwörers (agata-mi-Jco).
Kutsi - morafu, durch ausgedrückt, hat den Sinn von
kutsi-ni morafu ,in den Mund bekommen, Speise erhalten'.
In dem Zi-no kagami findet sich die Lesung morai-famu
(t7 HA A)-
16
Pfizmai er.
Kutsi-salci-ra ist in dem Wa-mei-seo die Lesung von m
,Mundwinkel'. Man sagt auch kutsi-wald. Saki-ra bedeutet:
Vordertheile. Auf ähnliche Weise wird in dem Geschlechte
Gen eine beredte Zunge (ben-zetsu) durch juta - kehl saki-ra
,reichliche Vordertheile' (des Mundes) bezeichnet. Kutsi-fasi,
welches in dem Zi-no kagami die Lesung von 0 , Mundwinkel'
ist, soll die Bedeutung kutsi-fasi ,äusserste Enden des Mundes'
haben. Uebrigens ist kutsi-fasi das gewöhnliche Wort füj-
,Schnabel'.
In der gesprochenen Sprache sagt man kutsi-waki-no ki-
naru mono ,ein Mensch mit gelben Mundwinkeln'. Es ist eine
Anspielung auf die jungen Vögel, deren Mundwinkel noch nicht
schwarz sind.
Bei kutsu ,Schuh' unterscheidet man ke- gutsu-no kutsu
,Filzschuh', fana -kiri-gutsu ,Schuh mit abgeschnittener Nase',
fuka-gutsu ,tiefer Schuh', asa-gutsu ,seichter Schuh', fana-taka-
gidsu ,hochnäsiger Schuh'. In dem Zi-no kagami hat ( ^ -f- m
die Lesung kutsu-no kibisu ,Ferse des Schuhes'. Bei dem
Kriegsheere hat man Schuhe, welche iwa-kutsu ,Felsen-
schuhe' genannt werden. Dieselben werden aus Schnüren (^
wo) verfertigt und eignen sich zum Betreten steiler Anhöhen
(ken-so-ivo fumi-ni josi).
Das Wort kutsu atarasi-to ije-domo kafuri-to sezu ,ist der
Schuh auch neu, macht man ihn doch nicht zur Mütze' be
zieht sich auf eine Stelle des chinesischen Werkes schue-yuen
(der Garten der Gespräche): ,Ist die Mütze auch abgenützt,
man muss sie nach oben geben. Ist der Schuh auch neu, er
muss unten bleiben.'
Von kutsurogu ,locker sein' abgeleitet sind das in dem
Geschlechte Gen vorkommende kutsurogi-gamasi-ku und das in
dem Makura-sö-si vorkommende kutsuro-ka-ni, beides ,locker'. Im
gemeinen Leben hat kutsurogu den Sinn von ff ( a n-kio)
,ruhig leben'.
Kuni-tami ist die Lesung von A ,Menschen des
Reiches'. Als Ursache wird angegeben, dass % £ (kuni-
bito) der kleine Name des Kaisers Go-sa-ga gewesen. Man
habe daher diesen Namen vermieden und die Zeichen ü A
nicht, wie es sein sollte, kum-bito, sondern kuni-tami ,Volk
des Reiches' gelesen.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
17
Kunuga ( ff ft) ist in dem Nippon-ki die Lesung
von ,festes Land'. Es ist die Umwendung von kuni-ga,
welches seinerseits so viel als kuni-gata ,Gestalt des Reiches'
bedeutet.
Kunntsi ist in dem Man-jeö-siü die Ab
kürzung von huni-utsi ,in dem Reiche'. Die Rückkehr von
ni u ist nu.
Kunuga -no mitsi ,Weg des Festlandes' steht in dem
hTippon-ki für fohu-rohu-db ,Weg des nördlichen Festlandes',
einen sieben Reiche in sich fassenden Landstrich. In dem
Foku-san-seo wird kuni-ga-no mitsi gelesen.
Kune.ru ( )\y ), gewöhnlich durch ( P + |§j) aus
gedrückt, hat den Sinn von ,boshaft, feindselig sein'. Man
glaubt, es von kuri-neru ,haspeln und läutern' ableiten zu
können. In der Einleitung zu dem Ko - kon - siü findet sich
luomina-fesi-no fito-tohi-wo kuneru ,der Baldrian um eine Stunde
feindselig'. Es wird bemerkt, dass dieses sich zwar auf den
alten Gegenstand Wo-no-no kaze’s bezieht, sonst aber dunkel
ist. In einem Gedichte heisst es:
Alii - no no - ni ) nama - mehi - tateru | womina -fesi \ ana-
kasilcamasi | fana-mo fito-toki.
,Der auf dem herbstlichen Felde | schmeichelnd steht, |
der Baldrian, | eine sehr lärmende | Blume zu einer Stunde'.
Es wird gesagt, ana-kasimasi ,sehr lärmend' bezeichne
das feindselige Gemüth des Weibes (wonna-no fon-sib kune-
gune-silci nari). Kuneru bezeichne den eingewurzelten Hass
(furi-te uramuru). So finde man kuneru namida-no ta-makura
,Handpolster 1 der Unmuthsthränen'.
Womina-fesi ,Baldrian' ist der Name eines Mädchens.
Dasselbe war mit Wo-no-no Jori-kaze, einem Manne des
Stammhauses des Kaisers Fei-zei, vertraut. Sie ging nach
Fatsi-man, um ihn zu suchen. Als sie hörte, dass er ausser
ihr eine Verbindung habe, stürzte sie sich in dem Fö-ziö-gawa,
wo sie ertrank.
Das oben erwähnte Fatsi-man ist der Tempel Fatsi-man
auf dem Berge Wotoko-jama in Jama-siro, Kreis Ku-se.
Fö-ziö-gawa ist M. £ JH (fb-zio - gawa) ,der Fluss, in
1 Ta-makura ,Handpolster 4 bedeutet: den Kopf auf die Hand stützen.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. I. Hft. 2
18
Pfizmaier.
■welchen man das Leben wirft'. Dieser Fluss fliesst an dem
Fasse des Wotoko-jama vorbei. Er erhielt seinen Namen, weil
man in dem achten Monate eines jeden Jahres in ihn lebendige
Fische wirft.
Kumari ( // )J ) findet sich für kubari ,vertheilen'
gesetzt.
Kubi-fososi ,dünnhäuptig' bezeichnet in dem Geschlechte
Gen einen schwachen Menschen (fito-no jowaki). In dem Kriegs
heere gebraucht man den Ausdruck fodasi-kubi ,gefesseltes
Haupt'.
Kufi-ze, kui-ze ( )7 'tf )> durch und andere Zeichen
ausgedrückt, hat so wie kufi, kui ( ) die Bedeutung jeda-
naki Id ,ein Baum ohne Aeste', ein Pfosten. In dem Ko-zi-ki
wird dafür kufi-fi ( ^7 t ^ ) gelesen.
Kufi-dzi ( 77 ^ , ein Wort von ungewisser Ableitung,
ist in dein Wa-mei-seö die Lesung von (jjj -f- ). Es be
deutet eine Falle für vierfiissige Thiere (keda-mono-wo toru-
no käse).
Kubibisu (77 X ) ^ in dem Zi-no kagarai die
Lesung von ,Ferse'. Es ist so viel als kubisu und das im
gemeinen Leben übliche kibisu.
Knfi-utsu ( tl 't? ^}) in dem Wa-mei-seö durch m
ausgedrückt, hat die Bedeutung: Pfosten oder Pfähle ein-
schlagen. In dem Ko-zi-ki findet sich die Lesung wi-gnfi-utsu
tpyy
Kubo ist in dem Nippon-ki die Lesung von Jj|| ,Ferse'.
In dem Rei-i-ki ist es die Lesung von [HJ ,Höhlung'. Das
Fokori-bukuro-seö sagt, kubo sei ein verschiedenes Wort für
iK It (fefe). Als Lesung von m ,Erdkloss‘ wird es durch
tsutsi-kubo ,Erdhöhlung' erklärt.
Kubosi ( ist die Lesung von ,tief, hohl'.
Es bezeichnet eine eingefallene Stelle (kuje-fore-taru tokoro).
Man sagt auch kubo und kubomu. In dem Zi-no kagami hat
ft ,beschmutzt' die Lesung kubo-ka-ni
Kubo-te ist in dem Jen-gi-siki die Lesung von 3|F jftfg
, Trinkschale von Blättern'. Das Wort hat den Sinn von kubo-
te ,hohle Hand'. Es werden Steineichenblätter mit Bambus
nadeln bearbeitet und ein Gegenstand gleich einem abgetheilten
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
19
Kästchen (wari-go) verfertigt. In dem Sö-i-siü liest man Icnmi-
jama-no \ kasiwa-no kubo-te ,hohle Hand der Steineiche des
Götterherges'. Das in dem Jen-gi-siki vorkommende kubo-
sakadzuki ,hohler Weinbecher' ist dasselbe. Es waren irdene
und hölzerne Gefässe. Man glaubt, dass der Gegenstand, den
man gegenwärtig tsubo-zara ,Topfschüssel' nennt, davon her
stammen könne.
Kubo-sa ( i)- j ist in dem Nippon-ki die Lesung
von 5fi|j ,Gewinn'. In dem Mon-sen hat ,Gewinn' die
Lesung kuba-sa ( ^7' ij* j, was dasselbe ist.
Kuma ist in dem Nippon-ki die Lesung von ‘jjjy ,vor, an
der Vorderseite'. Es kommt in dem Wa-mei-seö häufig vor.
Kumi-kami soll die Bedeutung ,Kragen des Mantels' (uica-
gi-no jeri) haben. Man sagt auch kubi-kami. Ferner hat kumi-
kami die Bedeutung: geflochtenes Haupthaar. Man sagt, wenn
die Barbarenreiche (jebisu-guni) in Unordnung waren, habe man
geflochtenes Haupthaar getragen (kam.i-wo kumi-te wiru). Wenn
sie zur Ordnung gebracht waren, habe man das Haupthaar
aufgelöst. Von der Zeit, in welcher die Welt in Gehorsam sich
hinneigt (jo-no sitagai-nabiku toki), sage man daher Jcumi-kami-
wo toku ,man löst das geflochtene Haupthaar'.
Zur Bezeichnung der Wolken (kumo) finden sich die
Ausdrücke kumo-no magaki ,Umzäunung der Wolken', kumo-
no to-zasi ,Thorbalken der Wolken', kumo-no sigarami ,Pfahl
werk der Wolken', kumo-no tsutsumi ,Damm der Wolken',
kumo-no mi-wo ,Wasserweg der Wolken', kumo-no uki-nami
,sch wimmende Wellen der Wolken', lcumo-no fane ,Flügel der
Wolken', kumo-no asi ,Fiisse der Wolken'. Es sind Wörter,
welche andeuten, dass man eine Sache für etwas anderes
ansieht.
Kujasu ( ^7 "Y X ) ist in dem Man-jeo-siü die Lesung
von yJJj ,zergehen'. Es ist so viel als kuju. Die Rückkehr
von ja su ist ju. In dem Nippon-ki findet sich iwa-kvjasu
("f A ^7 X)- hat den Sinn von iwa-kudzururu ,die
Felsen stürzen ein'. In dem Man-jeö-siü liest man dafür auch
iwa-guje ( "f ) ^ T j. Man bedient sich dieses Ausdrucks
noch heutzutage in den Gegenden von Si-koku.
Mari-kuju (W I) ZL ) hat in dem Nippon-ki die Be
deutung: den Ball werfen. Kuju steht für keru ,treten'.
2*
20
Pfizmaier.
Kurando { 77 7 2S l'') steht für kura-udo {77 7 ^7 l'\)
,Mensch der Kammer'. Im gemeinen Leben sagt man auch
kura-udzu {77 7 t?
Kura-ziri (77 7 i7 lj ) ist in dem Nippon-ki die Lesung
von , unter dem Sitze'. Es ist dem Worte kura-gami
( 77 y ~jf <E )> welches die Lesung von Jsjj ,Aeltester des
Sitzes', entgegengesetzt.
Kuri ( 7? )J ) hat in der Mundart von San - in - db die
Bedeutung isi ,Stein'. In der Geschichte des Kaisers Wo-zin
findet sich i-kuri ( 77 0 )• 7 isi e i n Anfangswort. Noch
gegenwärtig benennt man kleine Steine mit dem Worte kuri-isi.
Auf kuri ,Kastanie' beziehen sich die Wörter kake-guri-go
,zerstossene Kastanien', fira-guri-go ,breite Kastanien', jude-
guri-go ,gesottene Kastanien', kawa-guri-go ,geschälte Kastanien'.
Man glaubt, fira - guri - go ,breite Kastanien' könne so viel als
das gegenwärtig übliche utsi-guri ,geschlagene Kastanien' sein.
Man sagt ferner kuri-no sibu oder kuri-no sibu-kawa ,die dicke
Schale der Kastanie', kuri-no iga ,die stachelige Schale der
Kastanie'. Was man im gemeinen Leben ^ (siaku-si)
,Kochlöffel' nennt, soll jjM >Schaft der Kastanie' sein.
Kuri-musi ist das Kastanieninsect. Es ist von Gestalt
rund und von Farbe weiss. Man vergleicht daher mit ihm die
Schönheit eines neugebornen Kindes. Es gibt ferner ein Insect,
welches ti & (ni-guri-musi) ,das ähnliche Kastanieninsect'
heisst. Dasselbe legt sich an die Pflanze nin-sen (Ginseng).
Kuri als Lesung von jgij- ,Küche' ist die Abkürzung
von kuri-ja.
Kuri ist ferner die Lesung von yö ; flie in dem Wasser
befindliche schwarze Erde'. Es ist die Lautumwendung von
Jcuro ,schwarz'.
In dem Zi-no kagami ist kuri die Lesung von ( Ipä -f- jp| )
sehr ,schwarz'.
Kuri-ja ist in dem Wa-mei-seo die Lesung von jjjJ ,Küche'.
Das Wort ist von ungewisser Ableitung. Man glaubt, es könne
den Sinn von kuro-ja ,schwarzes Haus' haben. In den Zi-no-
kagami findet sich die Lesung mana-kuri-ja. Mana (w )
hat die Bedeutung ,Fisch'.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
21
Kuri-zome ist in dem Nippon-ki die Lesung von
, schwarze Färbung'. Es hat den Sinn von kuri-zome ,Färbung
des schwarzen Schlammes'. Dieselbe Bedeutung hat kun-iro.
In dem Rei-I-ki hat ,vorschützen' die Lesung kuruferu
( 27 )l/ IL/j. Man sagt sonst kakotsukuru.
Kuru-be-ki ( 27 )\y ) ist in dem Wa-mei-seo, bei
den Werkzeugen der Seidenspinnerei, die Lesung von mm
,sich umdrehen'. Es ist ein Werkzeug zum Abwinden der
Seide, und das Wort ist demgemäss so viel als kuri-te feru gu
,Werkzeug zum Abwinden der Seide'. In den östlichen Reichen
bedient man sich noch immer dieses Wortes. Je nach der
und mai-ba
Oertlichkeit sagt man
( x? )AT). Das Makura-sö-si sagt kuru-fe-ki-mono.
Kuru-tsu fi steht in dem Nippon-ki für kuru fi ,der
kommende Tag'. Ebenso kuru-tsu tosi für kuru tosi ,das
kommende Jahr'. Tsu ist ein Hilfswort.
Kurumekaseri ( fi? )\y yi jj )J ) ist in dem Zi-no kagami
Bedeutung ist ungewiss. Man
die Lesung von I
erklärt es durch
,sich abmühen'.
Kuruma-ivo kakuru ,den Wagen anhängen' bezeichnet das
Alter von siebenzig Jahren. Ein Gedicht sagt:
lma-sara-ni \ kake-si kuruma-ivo \ fiki-tsurete | nana-no oi-
raku | kokoro-wo-zo jaru.
,Jetzt wieder | den angehängten Wagen | in Gesellschaft
ziehend, | in dem Alter der Sieben | die Gedanken send’ ich aus.
Kuruma-wo arafu ,den Wagen waschen' kommt in dem
Man-jeo-siü vor. ,Der den Wagen waschende Regen' wird in
China der Regen des sechsten Tages des siebenten Monats
genannt.
In Ausdrücken wie nani-kure ,wohl etwas', waza-kure
,wohl eine Sache' wird kure für gleichbedeutend mit J|L (köre)
,dieses' gehalten.
Kure ist die Lesung von J^. (go) ,Reich U'. Dieselbe
wird dadurch begründet, dass man, um in das Reich U zu
gelangen, zwei Coreaner Namens Kure-fa und Kure-si zu
Führern nahm, was in der Geschichte des Kaisers Wö-zin zu
sehen. Der Ort, an welchem man Menschen von U (kure-bito)
sich ansiedeln liess, heisst jt^i (kure-bara), was in dem
22 Pfiziuaier.
Ko-zi-ki und Nippon-ki zu sehen. Er gehört zu dem Kreise
Take-tsi in Janiato.
Kure ist auch die Lesung- von u ,Nutzholz'. Man findet
sugi-no kure ,Nutzholz von Cypressen', fi-no kure ,Nutzholz von
Lebensbaum', kure-fasi ,Treppe von Nutzholz', a-ki-no kure
,Nutzholz des Reiches A-ki'. In diesen Wörtern wird kure
durch ausgedrückt. Man hat auch das Zeichen (7fC + ü)
gebildet. Man erklärt dieses durch ^ ,Wandpfeiler'.
Obgleich die Zeichen verschieden sind, gehen die Wörter in
einander über. Im gemeinen Leben nennt man kure die
Latten des Dachstuhls. Man glaubt, dass die im gemeinen
Leben üblichen Ausdrücke gure-tsuku ( d/ 1 ' \y ^ (7 ) und
gureri-to naru ( R/ )J ~J- )(y ) ebenfalls von kure ,Nutz
holz' abzuleiten seien. 1
In einem Gedichte Sai-giö’s findet sich das Wort kure-fune.
Es bedeutet ein Schiff, auf welchem Nutzholz (kure) aufge
häuft ist.
In den Gegenden der vier Reiche (si-koku) gebraucht
man, um viele über einander gehäufte Dinge (mono-wo o-oku
tsumi-kascme-taru) zu bezeichnen, das Wort lturo. Man sagt
ki-guro ,Haufen von Holz', icara-guro ,Haufen von Stroh', kuri-
guro ,Haufen Kastanien', fije-guro ,Haufen Schwadengras'. Man
glaubt, dass kuro im Sinne von ^ (kuro) ,Erdhügel' zu
Grunde liegt. In Ise sagt man matsu-guro ,Haufen von Fichten'.
Zusammensetzungen mit kuro ,schwarz' sind sa-guroki
,schwärzlich', usu-guroki ,lichtschwarz', zuzu-kuroki ,dunkel
schwarz'. Man vermuthet hinsichtlich des letzteren Wortes,
dass zuzu (X "* } für susu (X ^ ) jRuss' gesetzt ist.
Kuro-bi ,der schwarze Tag' ist der Todestag. Man sagt
auch marobu fi ,der sich umwälzende Tag'.
Kuronbo ( X D 2/ TjW) ,der Sauerteig von Weizen' soll
den Sinn von lturo-fo ,schwarze Aelire' haben. Man sagt auch
mugi-ka-u-zi.
Kuronbo ist ferner der Name einer Muschel, -welche in Sanu-
ki, Ka-ga und anderen Reichen vorkommt. Es soll die Muschel
^ ( u4 °) seiu -
1 Diese zwei Ausdrücke kommen sonst nirgends vor und werden auch
nicht erklärt.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
23
Kuronbo als Name eines Stammes südlicher Barbaren,
wird durch M ilf M (kon-ron-nu) ,Sklaven des Gebirges
Kuen-lün' ausgedrückt. Es sind Eingeborne des Reiches Kafuri
(des Kafferlandes). In einem chinesischen Werke heisst es:
In Kuang-tscheu halten sich die Reichen häufig Dämonen
sklaven. Es gibt von diesen einen Stamm, welcher nahe an
dem Meere wohnt. Sie tauchen in das Wasser, ohne mit den
Augen zu winken. Man nennt sie Sklaven von dem Gebirge
Kuen-lün.
Man erzählt: Zu Ka-no in Ina-ba war ein Mann, welcher
sieben Schuhe hoch war. Derselbe war zur Zeit des Feldzuges
gegen Kö-rai gefangen genommen worden und dorthin gekommen.
Er stammte aus dem Reiche des Kuen-lün und war äusserst
schwarz. — In dem Buche der Tsin heisst es: Die Kaiserin
von dem Geschlechte Li war von Gestalt lang und von Farbe
schwarz. Die Menschen des Palastes nannten sie Kuen-lün.
Den schwarzen Zucker (kuro-sa-tb) nennt man auch
(kon-ron-siä) ,Zuckerrohr des Kuen-lün'.
Die Holländer geben diesen Menschen den Namen koronbo
( ZJ \I1 ZS Tjf) und kommen gegenwärtig mit ihnen nach Naga
saki. Diese Menschen sind geschickte Taucher. Da die Menschen
dieses Reiches von Farbe schwarz sind, so bezeichnet man alle
schwarzen Menschen mit dem Namen koronbo ( ZI tl ZS jjf“). 1
In Naga-saki sagt man auch das Wort SS JIBf (kuro-su) ,schwarze
Knechte'. Es sind die ' holländischen Schiffleute (o-ran-da-no
funa-bito).
Kuro-ki siro-ki ,schwarzer Wein, weisser Wein'. Man
gebraucht beides bei dem Feste des grossen Kostens (dai-zib-
je). Der weisse Opferwein hat die ihm eigenthümliche Farbe.
In dem schwarzen wird beim Darreichen Pulver des schwarzen
Hanfes (kuro-go-ma-fun) umgeschüttelt. Gegenwärtig wird als
weisser Wein (siro-ki) der gewöhnliche Opferwein (mi-ki)
verwendet. Der schwarze (kuro-ki) enthält das, was man
* m (jake-fai) ,gebrannte Asche' nennt. Das Jen-gi-siki
1 Koronbo statt kuronbo kommt in Wörterbüchern nicht vor. Das letztere fehlt
übrigens auch in dem Sio-gen-zi-kö. Was koronbo betrifft, so scheint das
selbe für Colombo auf Ceilan zu stehen. Auch der Name kafuri ^ ~Jj ^7 )J j
,Kaffern‘ wurde sonst nirgends genannt.
24
Pfizraaier.
sagt: kusa-ki-no fai mi-masu ireru, ,man gibt drei Gantang
Asche der Bäume und Pflanzen hinein'. In dem mittleren
Alterthum (naka-goro) ist daraus der schwarze Hanf (kuro-go-
ma) geworden.
Kuro-gi aka-gi ,schwarzer Baum, rother Baum' wird von
dem Vogelsitze (tori-i) eines Tempels gesagt. ,Schwarzer Baum'
ist ein Baum mit der Rinde. ,Rother Baum' ist ein Baum mit
abgeschälter Rinde.
Kuwa ( y ) ist das Koje
fortgesetzten Nippon-ki findet sich
c|i. ,Nest'. In dem
(kuwa-si-kin)
,Nestbrocat'. Es wird auch von dem Damast (aja) gesagt.
In dem Fon-teo-siki steht yj> Jji (seo-kua-kin) —<
(ikkuwa) ZL JjS (ni-kuwa) ^ (go-kuwa-kin) ,ein
Nest, zwei Nester, fünf Nester des kleinen Nestbrocats'. Hin
sichtlich des Ursprungs dieser Benennung sagt man, in dem
In-fu heisse es: ,Einst wollte Jemand dem Tode entlaufen und
vertraute seine Seele einem Bienenneste an. Der Dämon suchte
ihn und fand ihn nicht'. Man sagt auch, das Wort beziehe
sich auf das Nest des Paradiesvogels. Nach Einigen ist es die
Abbildung der Gestalt einer zerschnittenen Papaya (mokkua-
100 kiri-taru katatsi-wo utsusi-taru nari).
Kuwa ) in der Bedeutung ,Schuh' ist das Koje
von ?j$j[; (kutsu) ,Schuh'.
Kuwa-so f ^7 j*/) ist das Koje von mm ,das, womit
man vorübergeht'. Es ist ein Geleitsbrief, den man an dem Gränz-
passe vorzeigt. Einige nennen es ^ (den-kuiöa). Gegen
wärtig heisst es kitte (4- ^ 7 1 )- In dem östlichen Spiegel
heisst es auch jjrJ (kuwa-sio) ,Schrift des Vorübergehens'.
In den Eintragungen des Hofes und des freien Feldes findet
sich pjy jjjj| (kua-sio-teö) ,Schrifttafel, mit welcher man
vorübergeht'.
fiff O iuwa - so )-bune ist ein mit einem Geleitsbriefe
versehenes Schiff. Die Schiffe und Flösse, welche in den
Gränzpass einfahren, bitten ebenfalls um einen Geleitsbrief.
Einen kleinen Geleitsbrief dieser Art nennt man j|fj (,den-
db). Die Sache ist dieselbe.
Kuwan-raku ( *7 2/ j ) ist das Koje von |g^
,Ergötzung'. Dass man in dem Hause
Nachträge zu japanischer Dialectforschnng. II.
25
Krankheit (bib-ki) nennt, wird für ein entgegengesetztes Wort
gehalten. Das Wort soll denselben Sinn haben, wie das in den
Worten der Vermeidung vorkommende igl (nctguscimi) ,Trost',
welches für Krankheit gesagt wird.
Kuwa-u-zin ( iV) ist das Koje von ]Jj|j]
,der wüste Gott'. Das Wort wird im gemeinen Leben für
kamado-no kanii ,Gott des Herdes' gebraucht, kommt jedoch
in den Erklärungen der Lehre Buddha’s nicht vor. Das Jomi
der obigen Zeichen ist araburu kami ,grausame Götter'. Man
findet es in dem Ko-zi-ki.
Ke ist das Jomi von ^ ,Luft, Geist'. Es ist nicht das
Koje. Dieses ist ki ( ).
Ge, die Trübung von ke ,Luft' bezeichnet in Gedichten
den Zustand der Sache. So na-ge ,das Nichts', ivosi-ge ,das
Bedauerliche', uresi-ge ,das Erfreuliche', medzurasi-ge ,das
Merkwürdige'.
Ke statt ki ,Baum' ist ein Uebergang des Lautes. Ebenso
ke statt ki ,kommen'.
In dem Geschlechte Gen wird in den Fällen, wo kare
,desswegen' (Abkürzung von lcaru-ga ju-je) gesagt werden
sollte, ke ( ) gesagt. Die Rückkehr von ka re ist re. Es
heisst, dass noch gegenwärtig in den Gränzorten nicht karu-ga
ju-e oder kare, sondern ke gesagt wird.
Ke ist ferner das Koje von n ,Gränze'. Das Gen-zi-
mono-gatari sagt in diesem Sinne ke-kake-taru ,eine Gränze
angebracht'. Noch gegenwärtig sagt man ke-wo fiku ,Gränzen
ziehen', d. i. auf dem Papiere Linien ziehen. In dem Aus
drucke ff (lce-biki) ,Linien des Papiers' hat ff die Be
deutung kudari ,Zeile'. In dem Jen-gi-siki findet sich dafür
nm (ke-ran) ,Gitter der Gränze'. Ebenso findet sich ^ |j|]
(u-si-ran) ,Gitter der schwarzen Fäden' und # ^ ^ (fana-
gata-ke)-wo-utsu ,Gränzen der Blumengestalt entwerfen'.
In das Papier Büge (■wori-me) machen und etwas darauf
schreiben, nennt man wori-ke ,gebrochene Gränzen oder Linien'.
Die weissen Linien nennt man kb-gai-ge ,Haarnadellinien'.
26
Pfizmaier.
Ke heissen auch die Felder des Schachbretts (go-ban).
Es ist das Koje von ( p» -f- ,Netz'. Man findet auch
( p» + ^|v) ,viereckiges Netz'.
In Kei-si-gutsu ,Holzschuh' ist kei-si das umgewendete
Koje von m * ,Holzschuh'.
ilps -y* (Kei-si) ist die Unterlage des die kaiserlichen
Speisen enthaltenden irdenen Gefässes (go-fan-no kawara-ke-no
sita-ni oku mono).
Kei-kei ( %- 'f / ) wird von der Stimme des Fasans
gesagt. Es heisst kisi-wa kei-kei-to naki-te fororo-to fa-wo utsu
,der Fasan schreit und schlägt mit den Flügeln'. Gegenwärtig
sagt man ken-ken ). Um die Stimme des aufsteigenden
Falken (taka-no se-ko) zu bezeichnen, schreibt man kei-kei-fb-fb
(Jr 1 { P' P ( ) und jei-jei-fo-fb (X 1 ( P> P ( )■
Ke -u (PP) ist in dem Gen-zi die Lesung von jJ|L
,Erhebung'. Es soll kijo-u ( 27 p ) geschrieben werden.
Auch für (ka-u) ,Kindlichkeit' findet sich die Lesung
ke-u (PP)-
Kegasi-suru hat die Bedeutung: verunreinigen. Statt kega-
rawasi ,unrein sein' sagt man auch kegarai ( p ~)f y )
und liegaru.
Ke-gijo-u ( p ^ 3 P )? das in dem Makura-sö-si vor
kommt, hat die Bedeutung ^ (ke-gijosi) ,von Geist klar'.
Keku ist in Adjectiven die Dehnung der Endung ki. So
in n-keku für uki,traurig', tsura-keku für tsuraki , schmerzvoll',
naga-kelcu für nagaki ,lang', samu-keku für samuki ,kalt'. Das
in dem Ko-kon-siü vorkommende nani-zo-ioa jo-keku wird durch
nani-ka-wa joku 1 ,irgendwie gut' erklärt. Die Rückkehr von
Ice-ku ist ku.
In dem Fei-ke-mono-gatari wird ge-ge (dp* ' ) durch
^ T ausgedrückt. Es wird vermuthet, dass das Wort die
Bedeutung wara-gutsu ,Strohschuhe' habe. Die Stelle lautet
uma-ni-wa norade ge-ge-ivo faki ,ohne auf das Pferd zu steigen,
1 In dem Wa-kun-siwori wörtlich: nani-ka-wa joki ^ j nari, was
eigentlich nur den Sinn erklärt. Da vor nari die Endung ki gesetzt
werden muss, konnte joku, welches in dem Beispiele für jo-keku steht,
nicht geschrieben werden.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
27
Strohschuhe anziehend In dem Sei-sui-ki findet sich uwa-ge-ge.
Es ist so viel als das gegenwärtig übliche zb-ri ,Strohschuhe'.
In den Einrichtungen für die Krieger wird m a
,Knechte' durch ge-ge { ^ ) übersetzt. Man glaubt, es habe
den Sinn von T V (ge-ge) ,die Unteren'. Gegenwärtig sagt
man sita-zita ,die Unteren'.
Ke-ke-siü iy 7 )> welches in dem Geschlechte
Gen vorkommt, ist ein gegenwärtig im gemeinen Leben übliches
Wort. Man sagt, es sei so viel als (ke)-siü ,merkwürdig'.
Kekere-naku ( dy 7 } kommt in dem Ko-kon-siü
vor. Man sagt, es sei in der alten Sprache des Reiches Ka-i
ein umgewendetes Wort für kokoro-naku ,unbesonnen'. In der
Sammlung des U-dai-zin von Kama-kura findet sich kelcere-
are-ja ( )j- 1/ ~j* ]y ) ,wird man die Absicht haben?'
Noch gegenwärtig sagt man in Totomi im gemeinen Leben
kekene-tsu ( )y- ^ (7 ) statt kokono-tsu ,neun'.
Ke-siki-bami, das in dem Geschlechte Gen vorkommt, hat
den Sinn von zave-taru ,scherzhaft'. Das I-se-mono-gatari hat
auch ke-silri-wo toru ,ein Gesicht annehmen'.
In dem Man-jeö-siü hat J5. sonderbares Gemütli' die
Lesung ke-siki kokoro.
Ke-si-karu ist so viel als (ke)-siltu aru ,wunderbar
sein'. Andere Formen sind ke-siki, ke-siü.
Ke-susamazi, das in dem Makura-sö-si vorkommt, hat die
Bedeutung schauerlich'. Ke ist (he) ,Luft, Geist'. Gegen
wärtig sagt man im gemeinen Leben ko-susamazi ( ZI 7
Ke-son, das in dem Geschlechte Gen vorkommt, ist ^ ;j£|
(ke-son) ,Schaden des Hauses'.
Keta ist die Lesung von ,viereckig'. Man sagt sonst
keta-naru.
Für kedasi ,nämlich' liest man in dem Man-jeo-siü auch
kedasi-ja und kedasi-ku-mo.
Ketanu ( 7 ) ist so viel als kesanu ,nicht auslöschen,
unlöschbar'. Ketanu omoi ,unlöschbarer Gedanke' ist ein von
dem Feuer entlehnter Ausdruck.
Für keda-mono ,vierfiissiges Thier' wird von Einigen auch
kafu ke-mono ( 7 7 *£ 7) gelesen. In den langen
28
Pfizmaier.
Gedichten des Ko-kon-siü heisst es keda-mono-no | kumo-ni
foje-ken ,die vierfüssigen Thiere | werden in den Wolken ge
bellt haben'. Dieses bezieht sich auf eine alte Sache des
Königs von Hoai-nan, bei welchem Hühner und Hunde die
Arznei der Unsterblichen kosteten und zu dem Wolkensitze
emporflogen.
Ketsi (*-+) hat die Bedeutung Jcesu ,auslöschen'. In
dem I-se-mono-gatari heisst es tomosi-ketsi ,das Licht aus
löschen'. In dem Zi-no kagami hat *||| ,das Feuer anfachen'
die Lesung fi-ketsi-wosamu. Das in der gemeinen Sprache
übliche i-i-kesu ,widerlegen' wird in dem Geschlechte Gen
durch ketsi-te (*■ + ?) ausgedrückt.
Ke-tsi ( =£■ ) in der Bedeutung ,wunderbare Sache'
(ajasi-ki koto) ist die Umwendung' des Koje von j|£ (ke-zi).
Ketsi §r *) in dem Geschlechte Gen von der am
achtzehnten Tage des ersten Monats stattfindenden Feierlichkeit
nori-jumi ,Bogen der Vorschrift' gesagt, ist das Koje von
,knüpfen'. Auch das Abgesperrtsein des Schachspiels (go-no
da-me-sasu) wird durch ketsi-sasu ausgedrückt. Ketsi hat hier
ebenfalls die Bedeutung ,knüpfen'.
Ketsu steht in Gedichten häufig für kesu ,auslöschen'. Es
steht auch für kitsune ,Fuchs'. So in mi-ketsu-no kamt ,der
Gott der drei Füchse'.
Für kedzuru ,kämmen' sagt man gegenwärtig kusi-lcedzuru
,mit dem Kamme kämmen'. In dem Makura-sö-si und dem
Geschlechte Gen findet sich kedzuvi-gusi ,Kamm zum Kämmen'.
In dem Zi-no kagami hat ,kämmen' die Lesung kasira-
kedzuru ,den Kopf kämmen'. In dem Jamato-mono-gatari steht
kasira-kai-kedzuri.
Kedzuri-bana ,geschabte oder geschnittene Blumen' sind
künstliche Blumen, welche man am fünfzehnten Tage des
Frühlingsanfangs aus Weidenzweigen verfertigt und auf die
Thore, Thüren und Zugänge der Hallen steckt. Es ist dasselbe,
was in dem Kagerö-nikki durch #J * kedzuri-ki ,geschabte
Bäume' ausgedrückt wird. Gegenwärtig ist es bei den Bewohnern
von Je-zo Sitte, dass, wenn ein Mensch stirbt, man ihn in der
Erde begräbt und Weidenzweige darüber steckt. Diese Zweige
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
29
werden an den Spitzen dünn geschabt und dem Riedgras
(tsu-bana) ähnlich gemacht. Man sagt, dass man dieselben auch
zu Vorgesetzten macht, wenn man den Geistern opfert.
^ llj’ (ke-no) ist der ursprüngliche Name eines Reiches.
Dasselbe wurde später in ein oberes und unteres getheilt.
jt m hat in dem Wa-mei-seo die Lesung kami-tsu ke-no ,das
obere Ke-no‘. t m hat ebendaselbst die Lesung simo-tsu
ke-no ,das untere Ke-no'. Gegenwärtig sagt man kbdzuke
( ) unc ^ simotsuke ( ^ )•
Das in dem Kami-jo-bumi vorkommende ke-no ara-mono
ke-no nigo-mono ,Wesen mit rauhen Haaren, Wesen mit weichen
Haaren' bezeichnet Vögel und vierfüssige Thiere.
Ke-baja hat die Bedeutung ke-baja ,schnell von Geist'.
In dem Sei-sui-ki heisst es sib-zoku ke-baja-ni miju ,der Anzug
erscheint lebhaft'. Es ist ein Ausdruck wie ke-zajaka ,hell
von Geist'.
~~J\ (ge)-bi ,niedrig, gemein' ist ein Wort der gewöhnlichen
Sprache, welches dem Worte ± (zib)-bi, vorzüglich, vornehm'
entgegengesetzt ist. Bi ist die Zusammenziehung von buri
,Art, Weise'. Aehnliche Wörter sind mija-bi ,Weise des
Palastes, zierlich', fina-bi ,Weise der Landstadt, bäuerisch'.
Kefu, keo ( £• )7 ) ,heute' steht für kono ß oder ko-fi
,dieser Tag'. Ko und ke, ferner fi und fu gehen in einander
über. Man liest auch kofu ( Z! (7 )■
Ke-fu (7r7) ,eine Art Tuch aus dem östlichen Mutsu'
ist das abgekürzte Koje von (keu-fu) ,enges Tuch'.
Man sagt sonst ke-fu-no foso-nuno ,enges Tuch, dünnes Tuch'
und ke-fu-no seba-nnno ,enges Tuch, enges Tuch'. 1 In der
Gegend von Tsu-garu bereitet man daraus Kleider für die
Bestellung der Aecker. Man sagt, dass es auch takuri-nuno
{'17 7 0 y) genannt wird. In einem erdbeschreibenden
Werke heisst es, dass dieses Tuch (foso-nuno) aus dem Bezirke
I-fo kommt. Gegenwärtig ist i-fo ( "f 7 ) der Name einer
Gattung Tuches.
1 Dieselbe Bedeutung im Koje und Jomi. Doch ist die gewöhnliche Schreib
weise vou ke-fu sonst (ke-fu).
30
Pfizmaier.
In Satsu-ma hat kefu ( )j- ) die Bedeutung 1 tsune ,be
ständig, gewöhnlich'. Es heisst, man sage desswegen so, weil
das Feuer des Gipfels Fi-ke-fu ( ff ) auf dem Berge
der Nebelinsel 1 beständig brennt.
Omofi-no kefuri ,der Rauch der Gedanken' wird in Ge
dichten häufig gesagt, indem man das in omofi,Gedanke' enthaltene
fi auf fi ,Feuer' bezieht. 2 Man sagt daher in Bezug auf die
Gedanken auch kefuri-kurabe ,Wettstreit des Rauches' und
anderes.
Man sagt ferner midzu-kefuri ,Wasserrauch', tsutsi-kefuri
,Erdrauch', ju-kefuri ,Rauch des heissen Wassers'.
In dem Geschlechte Gen findet sich maju-no atari utsi-
kefuri ,das starke Rauchen der Gegend der Augenbrauen'. Es
bezeichnet das zierliche, glänzende Aussehen (niwoi-jaka-naru
fei). Kefuri ist hier die Wurzel des Verbums kefy.ru,rauchen'. In
demselben Buche findet sich ko-no me-mo utsi-kefuri ,die Knospen
der Bäume rauchen stark'. Es heisst auch kefuri-icatareru ,es
hat hinüber geraucht'. Es bezeichnet das Hervorspi'iessen der
Baumwipfel (ko-zu-e-domo-no moje-idzuru). Mojuru bedeutet so
wohl ,brennen' als ,sprossen'.
^ m (Min-jen) ,Rauch des Volkes' ist so viel als
K P (min-Jco) ,Thüre des Volkes'. In dem Jen-gi-siki steht
—‘ ^ (itsi-jen) ,ein Rauch' statt —■ f (ilcko) ,eine Thüre'.
Die Eintragungen des Hofes und des freien Feldes enthalten
:>ü (iku-jen) ,wie viele Rauchstellen' als ein Wort für
Zählungen von Thüren des Volkes. Gegenwärtig sagt man
iku-kamado ,wie viele Herde'.
Kefuri-no nami ,Wellen des Rauches' bezeichnet gleich
kumo-no nami ,Wellen der Wolken' das Hinüberblicken in die
Ferne (towoku mi-watasu tei).
Keri ist die Tauchänte, sonst niwo und kai-tsuburi genannt.
Sie erhielt den Namen von ihrer Stimme, welche wie keri-keri
1 Dieser Name ist auf der japanischen Karte nicht zu sehen, wohl aber
ein Berg Namens satsu-ma-fu-zi ,der Fu-zi von Satsu-ma £ . Derselbe liegt
in dem Kreise Je-no.
2 Was in der Abhandlung des Verfassers: ,Die poetischen Ausdrücke der
japanischen Sprache £ bei demselben Worte om.oi-no kefuri gesagt wird,
ist demnach zu berichtigen.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
31
klingt. Gattungen der Tauchänte sind jama-geri ,Bergtauch-
änte', kawa-geri ,Flusstau ehänte', umi-geri Meer tauchänte ', inu-
geri ,Hundetauchänte', nabe-geri ,Kessel tauchänte'.
Ke-osaruru, das in dem Geschlechte Gen vorkommt, hat
die Bedeutung wl (ke)-osaruru ,der Geist wird niedergedrückt'.
Ko ist die Abkürzung von köre ,dieses'. So ko-wo-ba statt
kore-wo-ba.
Ko als Lesung von ,Korb' ist die Abkürzung von Kago.
Für Ko , Tripang' welches die Lesung von ,Meer
ratte' ist, wird nebst nama-ko ,roher Tripang' auch tawara-ko
( ^ ^7 y Z2 ) ,Tripang der Strohballon' gesagt. Das letztere
Wort ist In Bun-go gebräuchlich.
Ein Sprichwort lautet: nama-ko wara-nite tsunagu ,den
Tripang mit Stroh festbinden'. Es will sagen : Wenn man etwas
mit Stroh bindet, geht es plötzlich auseinander (wara-nite
kukure-ba tatsi-matsi tokuru).
Speisen von Tripang sind furi-ko ( )J ZI ), ko-datami,
sasi-ko.
In einem Kübel zerstossene Bohnen (woke-ni suri-hudaki-
taru mame) nennt man im gemeinen Leben go ( Zf )• Das
Wort ist die Trübung von ^ (ko) ,Mehl'.
Go ist in einigen Verbindungen das Koje JtJ] (go) ,be
stimmte Zeit'. So in afu-go, b-go (~Y ZZf) ,die Zeit, wo
man zusammentrifft', togen-go ,die Zeit, wo man erreichen wird',
jaman-go ,die Zeit, wo man aufhören wird'.
Koi ( Z7 ) ist in dem Nippon-ki und Wa-mei-seö die
Lesung von ,kalt und frostig'. Es hat die Bedeutung
des gegenwärtig üblichen kogojuru ,frieren'.
Koi ( ZI 'f ) ist ferner in dem Man-jeö-siü die Lesung
von M >umwenden'. Man findet dafür auch kojaru ( ZJ ^ %/ )•
Koi-fusi ( ZJ "f 2>) kommt in dem Man-jeö-siü vor.
Es hat die Bedeutung: ,umgestürzt liegen'.
Koi-marobi ( ZJ •'f 1Z7 ), das in den Man-jeö-siü
vorkommt, ist so viel als das gegenwärtig übliche koke-marobu
,Umstürzen, zu Boden fallen'.
Das in Erzählungen vorkommende Ko-u-zi ( ZI £j> )
wird für g (kon)-zuru ,ermüdet, erschöpft sein' gehalten. Es
32
Pfizmaier.
heisst mono-no ke-ni kd-zi-ni-keru-ni-ja ,vielleicht von dem Geiste
der Wesen erschöpft'. Das Zunehmen der Krankheit (jamai-
no tsumoru koto) wird im gemeinen Lehen durch kd-suru,
(uPZlls) ausgedrückt, was als dasselbe Wort betrachtet
wird. Ebenso sagt man, dass das in dem Munde der Landleute
(i-naka-bito) gebräuchliche gotsi-tari ( Zt ^ ^ Ij ) 1 denselben
Sinn habe.
Ko-ioo ( 3 ^ ) hat die Bedeutung ,kleine Schnur' und
wird von den Schnüren des mit dem Namen fan-fi ,halber Arm'
bezeiclmeten Kleides gesagt.
Kowo-tsi ( ZI 7^ ) ist die Lesung von ,klein er
Weg'. Wo ist der Nachklang (fibiki) des Wortes ko ,klein'.
Man sagt das Wort im Gegensätze zu o-o-tsi ,grosser Weg'.
Gegenwärtig sagt man allgemein ko-dzi (17 ^7 )■ ln der
Musik Saibara findet sich kon-tsi ( ZI 2S )•
Kowo-bai ( ZI ) ist in dem Siü-I-siü die Lesung
von ,rother Pflaumenbaum'. Man liest sonst kd-bai
(17 i? "f ). Wo ( y) steht für u ( $? J, gleichwie ba-sewo
;7) fü r ba-se-u ,Banane' gesagt wird.
In dem Ko-zi-ki findet sich siwo-koworo-koworo ,die Salz-
fluth ist gefroren', midzu-koworo-koworo ,das Wasser ist ge
froren'. Koworo-koworo ( ZI y? \II ^ ) ist so viel als koru
( ZI )ls) ,gefrieren'. Wo ist der Nachklang von ko.
Koga ( ZI ~)f) ist die Lesung von ,Fass'. In Si-
koku sagt man gegenwärtig saka-woke ,Weinzuber'.
Kogaruru ,versengt, angebrannt sein' wird in Sina-no für
riü-tei ,Thränen vergiessen' gesagt.
Kogarasi ( 3 7 ) hat die Bedeutung ko-arasi,Baum
sturm'. Es ist ein Sturmwind, der durch die Bäume zieht. Die
Schreibart 7fc $f (ko-garasi) ,die Bäume ausdorrend' ist
unrichtig. Garasi statt cirasi ,Sturmwind' ist bequeme Aus
sprache. Auf ähnliche Weise hat der Name _3l. 'f 4 JK die
Lesung i-garasi statt i-arasi.
Kokisi ( ZI Is' ) ist in dem Nippon-ki die Lesung von
J ,König'. Man findet auch konikisi (31 — ^ 27 )■ Beides
1 Dieses Wort ist sonst nirgends vorgekommen und dessen Beziehung zu
kö-zi nicht klar.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
38
bezeichnet den König eines auswärtigen Reiches. In einem
Werke heisst es: Der König von Faku-sai (Kutara) heisst
m mm (o-rä -ha). Das Volk nennt ihn |||)
(ko-ki-si). Beides ist das chinesische J (tob) König.
Koki-tasiku ( Z2 4~ iS ) kommt in der Geschiclite
des Kaisers Sei-mu vor. Es ist mit koko-taku ( ZJ ^^7^7 )
vieles' gleichbedeutend. In dem Man-jeö-siü findet sich koki-
taku ( U 4- & )■
Ko-gutsi ( ZI (7' 4* )> das in Erzählungen vorkommt, be
deutet |U (ko-gutsi)-no fakama ,Beinkleider mit kleiner
Mündung'. Es ist dem Worte o-o-gutsi ,Beinkleider mit grosser
Mündung' entgegengesetzt. Ko-gutsi, als ein Wort der ge
sprochenen Sprache, ist * P (ko-gutsi) ,Mündung des
Baumes'. Man sagt jen-no ko-gutsi ,Ausgang des Vorhauses',
ki-no ko-gutsi ,Abschnitt eines Baumes'.
Kokumi ( 17 (7 ~Z. ) ist in dem Wa-mei-seö die Lesung von
f + J=}4 1 ,böses Fleisch'. Man hält es für die Zusammen
ziehung von koki umi ,dicker Eiter'. Es findet sich auch ama-
sisi ('f' ^ ), von welchem man glaubt, dass es so viel
als amaru sisi,überflüssiges Fleisch' sein könne. In der Bannung
Naka-tomi’s findet sich die Verbindung siro-uto kokumi. Es
bedeutet den weissen und den schwarzen Aussatz, Krankheiten,
welche eine Strafe des Himmels sind.
Gohu-no mono, das in dem Geschlechte Gen vorkommt,
bezeichnet eine Tonweise ( [Jjj ). Die eigentliche Bedeutung
von goku ( 11 77 ) wird nicht angegeben. Es kann ^ (goku)
,Gipfelung‘ sein.
Goku-no obi kommt in dem Siü-I-siü vor. Es hat die
Bedeutung 4Ü. 'üT (gioku-no obi) ,Edelsteingürtel'.
Tsi-isaki koke ,kleines Moos' ist die Lesung von ^ £
,Steinkleid'. Ausserdem findet sich matsu-no koke ,Fichtenmoos‘,
ja-no je-no koke ,Dachmoos'. Koke-goromo ,Mooskleid', koke-
musiro ,Moosteppich' sind Wörter, welche bezeichnen, dass
man eine Sache für etwas anderes ansieht (mi-tate-taru kotoba).
Dasselbe sind Icoke-no sode ,Moosärmel', hoke-no tamoto ,Moos
ärmeltiefe'. Koke-no to ,Moosthüre', koke-no iwori ,Mooshütte'
hat beides die Bedeutung der Zurückgezogenheit (kan-kio-no tei).
1 In dem hier dargelegten Zeichen wird
Sitznil gsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. I. Hft.
r umschlungen.
3
von
S4
£ fi zmaiet.
Kokera ( Z2 y ) ,Schindel' hat die Bedeutung ko-no
kedzuri-taru ,abgeschnittenes Holz'.
Kokera steht ferner für koke ,Moos'. Ra ist ein Hilfswort.
In dem Kagero-nikki heisst es: Kokera tsui-taru matsu-no jeda
,bemooste Fichtenäste'. Es ist dasselbe wie das in dem Man-
jeö-siü vorkommende koke-oi matsu-no \ jeda-wo ivori-tori ,der
bemoosten Fichten | Aeste brechend und nehmend'.
Koke-no midzura ,der Haarschopf des Mooses' bezeichnet,
dass man das Moos für einen Haarschopf ansieht.
Für koko-taku ,viele' sagt man auch koko-baku. Taku und
baku gehen in einander über.
Kokonu-ka ( ZI ^ H ) ste bt für kokono-tsu ka ,neun
Tage'. Die Rückkehr von no-tsu ist nn.
Kokoro-jamasi bedeutet: das Herz erkranken machend.
Man liest kokoro-jamasi-ki jo-wa ,die das Herz erkranken
machende Nacht'.
Kokoro - sirabi ist so viel als kokoro-siri ,im Herzen
kennend'. Die Rückkehr von ra bi ist ri.
Kokono-tsu jeda ,neun Aeste' bedeutet ,neun Lampen'. Das
Je-zi-tai sagt: Man stellt neun Lampengestelle von schwarzem
Pech auf die vier Seiten, die vier Ecken und in die Mitte
dieser Tafel. Man nennt dieses: die neun Lampen.
Ko-sa-fuku hat die Bedeutung: die Rohrflöte blasen. Man
sagt, die Menschen der Insel Je-zo blasen aus ihrem Munde
etwas, das gleich dem Nebel und verfinstern dadurch den
Himmel (kutsi-jori kiri-no gotoki mono-wo fuki-idasi-te sora-wo
kuraku su). Dieses ist Zauberkunst. Es heisst ferner, das Wort
bedeute, dass sie, nachdem sie in das Meer gestiegen, empor
schwimmen und die Salzfluth blasen (umi-ni iri-te notsi uki-
agari-te siwo-wo fuku). In den östlichen Reichen hat ko-sa
( ZI die Bedeutung Hängebrücke'. 1 Ko-sa, durch
m m ausgedrückt, ist auch eine Rohrflöte des Landes Hu.
Dieselbe wird aus zusammengerollten Schilfblättern verfertigt.
1 Die hier gesetzten zwei Zeichen sind Koje, dessen Lesung nicht an
gegeben wird. Auch ist weder die Verbindung dieser zwei Zeichen, noch
das Wort ko-sa in der ihnen entsprechenden Bedeutung anderswo gefunden
worden. Dass ihnen die Lesung kake-tsi oder lcake-fasi ,Hängebrücke“
zukommt, ist nur eine Vermuthung.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
35
Kosi ( Zl durch ^ (kosu) /überschreiten' ausgedrückt,
ist der Name eines Reiches. Eine alte Erklärung sagt, dieses
Reich heisse so, weil- es nordwärts liegt, wenn man die Berg
treppe von Tsuno-ga 1 übersetzt. Gegenwärtig ist das Reich
Kosi in zwei Theile, ein vorderes und ein hinteres, getheilt.
Das erstere heisst Icosi-no mitsi-no kutsi, insgemein jetsi-zen.
Das letztere heisst hosi-no mitsi-no siri, insgemein jetsi-go.
Hierzu zählt man noch ein mittleres Reich, welches kosi-no
mitsi-no naka, insgemein jetsu-tsiu genannt wird. Einige sind
jedoch der Meinung, dass kosi aus ^ (Ico-si), dem Namen
eines Kreises des Reiches Jetsi-go, entstanden sein könne.
Die Laute kasi werden in einigen Wörtern durch kosi
ausgedrückt. So in fumi-todorohosi statt fumi-todorokasi ,mit
Geräusch auftreten', kikosi-mesu statt kikasi-mesu ,hören 1 .
Für kosi-no kagamaru ,die Lenden krümmen sich' sagt
man futa-je-ni naru ,zweifach werden'.
Ko-gosi ,kleine Lende', fiki-gosi ,gezogene Lende' sind
gewisse Anzüge (sib-zoku).
Gattungen von Sänften (kosi) sind ta-gosi ,Handsänfte',
(si-fb)-gosi ,Sänfte der vier Gegenden', fari-gosi ,aus-
gespannte Sänfte', klJ. (jb-jo) ,Edelsteinsänfte', sira-gosi
,weisse Sänfte', aziro-gosi ,Sänfte von Flechtwerk', naga-tsnka-no
kosi ,Sänfte mit langen Handhaben', ita-gosi ,Brettersänfte'
tsnri-gosi ,Hakensänfte'. Die letztere heisst auch (naka-
giri) ,in der Mitte zerschnitten'.
Zu den Zeiten Asi-kaga’s wurden den Häusern Ki-ra,
Isi-basi und Sibu-kawa gefirnisste Sänften mit langen Hand
haben erlaubt. Die gefirnissten Sänften (nuri-gosi) der gegen
wärtigen Zeit sind nach dem Muster jener Sänften.
Kosiki ist die Lesung von ^ ,Kochtopf'. Man bringt
das Wort mit kasiku ,Speise kochen' in Verbindung. Einige
sagen, es habe die Bedeutung von kosi-ki ,überschreitende Luft'.
Für kosiki wird auch su-kosiki gelesen. Man vermuthet, dass
su die Bedeutung von su ,Thürmatte' habe. Uebrigens hat
kosiki-no su ,Thürmatte des Kochtopfes' die Bedeutung: Deckel
des Kochtopfes. Man sagt dafür auch kosilci-buta.
' (Tsuno-ga.) ist der alte Name des Kreises Tsura-ga in Jetsi-zen.
3*
36
P f i z tu a i e f.
In dem Wa-mei-seö hat ,Gürtel des Kochtopfes'
die Lesung 1 kosiki-wara ,Stroh des Kochtopfes'. Man hält das
Wort für so viel als tsuki-no wa ,Mondrad'. Ueber letzteres
Wort findet sich nichts als die Angabe, dass es ein Geräthe
des Bonzenkleides ist. Ebenso ungewiss ist die Bedeutung des
Wortes kosiki-nuno ,Tuch des Kochtopfes'.
Das Man-jeö-siü sagt: kosilii-ni-wa \ kumo-no sn kaki ,in
dem Kochtopfe | ziehen die Spinnen ein Netz'. Es bezeichnet
die Armuth eines Hauses.
Kosiki bedeutet ,Nabe' in kuruma-no kosiki ,die Nabe des
Wagens'.
Kosiki ist ferner der Name eines kleinen Baumes mit
rothen Früchten, ebenso der Name einer auf Feldern wachsenden
kleinen Pflanze.
Kosi-wi ( I? tS pf:) ist im gemeinen Leben so viel als
semusi, kuguse ,höckerig'. Es hat den Sinn von kosi-wi Ver
weilen der Lenden'.
Kosi-garami ( ZI iZ ~)f y ^ ) bedeutet: von Lenden ge
bunden'. Das Sei-sui-ki sagt: musi-mono-ni ai-te kosi-garami-no
fu-zei kana ,welch’ ein lendengebundener Zustand, wobei man
in das Gedämpfte kommt!' Auch in dem früheren Tai-fei-ki
finden sich die Schmähworte: kosi-garami-no aioo-zamurai ,ein
lendengebundener grüner Aufwartender', kosi-garami-no zo-nin-
gara ,lendengebundene Leute'. Das Wort bezeichnet die Un
tüchtigkeit schwacher Krieger.
Koso ist in dem Man-jeö-siü die Lesung von >bitten'.
Es ist ein Wort des Bittens und Begehrens (koi-negb kotoba).
Man sagt koki-koso ,möchte man doch schöpfen', mije-lcoso ,möchte
es doch erscheinen'.' Sonst ist koso ein Hilfswort, wie in kore-
koso ,dieses', kare-kore ,jenes'.
In dem Take-tori-mono-gatari ist koso ( I? yl ) die Lesung
von ^ ,Mist'. Man sagt sonst koje.
Kosobasi [ZI )Y Jp) ,kitzelig' heisst ursprünglich
kosobajusi. Davon abgeleitet ist kosoguri ,kitzeln'. Kosobasi
wird durch und SI füfe ausgedrückt. Pn Bezug auf den
Kummer bat es so wie namida-gumu ,die Augen sind voll
Thränen' die Schreibart pjj£ Jl|_ ,saure Nase'. Es bezeichnet,
dass die Nase kitzelig wird (fana-no kosobaku naru-wo iü).
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
37
Im gemeinen Leben sagt man siri-kosobasi ,an dem Gesässe
kitzelig'. Es bedeutet, dass die Fusssohle überaus kitzelig ist,
so dass sieb dieses bis zu dem Gesässe erstreckt (asi-no ura
kosobasi-no fana-fadasi-ku-te siri-ni ojobu-wo ijeri).
Ko-tabi wird für kono tabi ,dieses Mal' gesagt.
Ko-dama hat den Sinn von ko-dama ,Baumseele'. Es ist
der Geist der Bäume. Derselbe ist von der Gestalt eines
Hundes ohne Schweif. In dem Geschlechte Gen findet sich
ten-gu ko-dama ,der Himmelshund, der Baumgeist', kitsune-ko-
dama ,der Fuchs, der Baumgeist'. Bei Aki-teru hat ko-dama
die Bedeutung jama-fiko ,Echo'.
Im gemeinen Leben hat ko-dama die Bedeutung: in Stücke
zerbrochenes Silber. Es ist so viel als ko-dama ,kleine Kugel'.
Gota-gota ( Zf / j, welches für das Koje von *p|*
gehalten wird, ist ein inr gemeinen Leben übliches Wort. Es
bezeichnet vermischte unbrauchbare Dinge, was auch im Chine
sischen durch W # * ausgedrückt wird. Man sagt auch
gota-tsuku ( ~jt ^ ) und gota-maze ( Zt ~<T j^)- Ger
Zeichen *jlj* bedient man sich beim Schreiben der Wörter
koma-mono-ja ,Bude mit kleinen Waaren', gota-bako ,Kiste mit
unbrauchbaren Dingen', gota-bukuro ,Sack mit unbrauchbaren
Dingen', gota-ni ,unbrauchbarer Absud oder Brühe'.
In ko-tsi ,Thalwind, Ostwind' steht tsi wie in faja-tsi
,heftiger Wind'. In der Sammlung der Häuser von I-se liest
man ko-tsi-tefu kaze ,der Wind, welcher der Thalwind heisst'.
In der Sprache der Lieu-khieu-Inseln sagt man kotsi ( )
für figasi ,Osten'.
Die Schiffer der mittleren Reiche benennen den Wind des
dritten Monates des Jahres mit febari-gotsi (■''XjY Ij Zt
,der klebende Ostwind 1 , den Wind des zehnten Monates des
Jahres mit fosi-no (iri)-gotsi ,der Ostwind des Eintrittes
der Sterne'. Die hier gemeinten Sterne sind die eingefädelteh
Sterne (subaru-fosi) ,das Siebengestirn'. Von dem neunten
Monate des Jahres angefangen, bis zu der Mitte des ersten
Monates des künftigen Jahres, in welche Zeit der Aufgang und
Untergang des Siebengestirnes fällt, verändert sich das Wetter
leicht. In Je-do sagt man simbsa-gotsi ,der Ostwind von Simösa'.
Das Reich Simösa liegt im Osten des Reiches Musasi.
38
Pf izmai er.
Im gemeinen Leben hat ko-tsi die Bedeutung kono kata
,diese Seite'. Man glaubt, tsi könne die Abkürzung von mitsi
,Weg' sein.
Gotsi ( Zf ) ist die Zusammenziehung von goto - ui
( Zf p» iy ). So in nori-gotsi-tamafu ,einen Befehl erlassen',
jitori-gotsi-tamafu ,ein Selbstgespräch halten' für nori-goto-si-
tamafu, fitori-goto-si-tamafu. Die Rückkehr von to si ist tsi.
In De-wa gebraucht man für den Ausdruck sore-to-mo-to
iü koto ,eine Sache, welche so heisst' das Wort sore-gotsi-ra
Kotsi-nasi ( ZI iS ) ist so viel als (kotsu)-nasi
,ohne Knochen'. Es bezeichnet den Mangel an Uebung, die
Unerfahrenheit. In dem Geschlechte Gen findet sich kotsi-
naku-mo kikoje-otosi-te ,ungeübt es überhörend', kewai-ijasi-ku
kotoba-dami-te kotsi-na-ge-ni ,von Aussehen gemein, bei Mangel
an Uebung die Worte falsch aussprechend'.
Kotsidami ( ~J =£• ^ ) hat in dem Man-jeö-siü die
Schreibung j|f. ijj|j (koto-itami) ,die Sache schmerzt' und ==3“ )JjS
(koto-itami) ,das Wort schmerzt'. Die Rückkehr von to i ist tsi.
Dabei ist dcimi die Trübung von tami. Es heisst: fito-goto-no
sigemi kotsi-dami ,die Worte der Menschen vielfältig, als Worte
schmerzlich'. In dem Gen-zi-mono-gatari, bei Sei-seo-na-gon
und in anderen Werken scheint daher das Wort den Sinn
von rb-gawasi-ki koto ,unordentliche, verwinde Sache' zu be
zeichnen.
An einer Stelle des Man-jeo-siü hat kotsidami die Schrei
bung % A f§ —• ,haarige Menschen Haupthaar drei'. Die
haarigen Menschen sind die Menschen von Je-zo. Weil die
selben vieles Haupthaar haben, wird damit das Ungemach
(mutsu-kasi-ki koto) verglichen und die Lesung in diesem Sinne
gegeben. Auch in dem Geschlechte Gen findet sich mi-gusi
ito-naga-u kotsitaki ,das Haupthaar sehr lang und die Sache
schmerzlich'.
Kotsu (zi 3^) ^ as K°j e von ,Knochen'. Im ge
meinen Leben bezeichnet man einen in den schönen Künsten
erfahrenen Menschen durch kotsu-wo je-tari ,er hat Knochen
erlangt'. Es ist so viel als & 1S1 (fi-niku-no) fare-taru ,Haut
und Fleisch sind offenbar'.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
39
Gotsu ( Zf hat die Bedeutung Jcoto-su ,die Sache thun',
auch Jcoto-su ,das Wort aussprechen'. Die Rückkehr von to su
ist tsu. Man findet nori-gotsu ,Befehle geben', JciJcoje-gotsu
,gehört werden', matsuri-gotsu ,die Sache des Opfers verrichten',
die Herrschaft ausüben.
Go-te ( Zf ZK ) findet sich in dem Geschlechte Gen für
nori-gotsi ,befehlen'. Es heisst daselbst mi-kado-no mi-kutsi-
dzukara go-te-tamajeru ,der Kaiser hat mit eigenem Munde
befohlen'.
Statt kotoi (ZJ T' ) , Stier' sagt man im gemeinen Lehen
kottei ( ZJ y W "'f )•
Koto-fogi ( ZI > ^ 4?) bedeutet: mit Worten beten.
Auf ähnliche Weise sagt man ije-fogi ,in dem Hause beten',
kamu-fogi ,zu den Göttern beten'.
Koto-waki bedeutet: mit Worten unterscheiden.
Koto-dama bedeutet sowohl ,Geist der Worte' als ,Geist der
Sache'. Es bezeichnet die geistige Bestätigung, die Erfüllung.
Koto-no fa hat die Bedeutung: Blätter des Wortes. Es
ist so viel als kotoba ,Wort‘. Weil die Worte vielfältig und
glänzend sind (sigelcu saka-juku-wo mote), nennt man sie fa
,Blätter'. Es wird in Bezug auf japanische Gedichte häufig
gesagt. Koto-no fa-no mitsi ,der Weg der Blätter des Wortes'
bedeutet den Grund, den Sinn (db-ri) des Gedichtes. Koto-no
fa-kaze ,der Wind der Blätter des Wortes' bedeutet die Ai-t,
die Weise (fü-gi) des Gedichtes. Koto-no fa-no fana-wa
,die Blumen der Blätter des Wortes' bedeutet die Schönheit
(uruwasi-ki) des Gedichtes. Koto-no fa-no mori ,der Wald der
Blätter des Wortes' bedeutet die Vielheit (o-o-ki) der Gedichte.
Koto-no fa-no umi ,das Meer der Blätter des Wortes' bedeutet
die Tiefe (fukaki) des Gedichtes.
Koto-date, in dem Man-je6-siü durch ausgedrückt,
hat den Sinn: Worte hinstellen.
Koto-waza ( ZU V* *7 ist die Lesung von |j^ Sprich
wort'. Dieses Zeichen wird durch ^ ]|f. ,Sache des Wortes'
erklärt, demgemäss koto-waza ebenfalls ,Sache des Wortes' be
deutet. Durch l|j ausgedrückt, bedeutet koto-waza einfach
,Sache, Geschäft'. Man findet koto-waza sigeki ,mannigfache
Geschäfte'.
40
Pfizmaier.
Koto-tofu, durch =y ausgedrückt, bedeutet ursprünglich:
mit Woi’ten fragen. In den ältesten Werken hat es die Be
deutung sprechen' und wird auch =1? ,Worte sprechen'
geschrieben. In dem Man-jeo-siü findet sich koto-tovoanu tori
sura ,selbst der nicht sprechende Vogel'. In dem I-se-mono-gatari
findet sich iza hoto-towan ,wohlan, man wird sprechen'.
Koto sa-gi (nt 49 ist eine Art Stift (||| batsi),
mit welchem man die japanische Harfe schlägt (wa-gon-wo
kaltu batsi-no tagui nari). Man sagt, dass man ihn aus Ochsen
horn verfertigt. Zu der obigen Erklärung wird bemerkt, dass
man das Spielen der japanischen Harfe durch ImJcu ,kratzen'
bezeichnet, aber faziku ,schnellen' nicht sagen dürfe. Sa-gi
wird sonst ^ * (sa-gi) geschrieben, was wohl so viel als
san-gi ( dj" iV ■4'*') ,Rechenholz'.
Koto-nasi-bi ) hat die Bedeutung koto-
nasi-buri ,die Weise des Nichtseins einer Sache'. Bi steht
für furi, bari ,Gestalt, Weise'. Man findet auch koto-nasi-bu
( I? r* 4“ Es tat auch die Bedeutung ^
(koto-nasi-ifi) ,Sagen des Nichtseins', was so viel als koto-mo
na-ge-ni i-i-nasu ,vorgeben, es sei an der Sache nichts'.
Koto-musubi ,Binden des Wortes' ist in dem Nippon-ki
die Lesung von ^ /Versprechen'.
Koto-tafe-ni, koto-taje-ni ( ZJ —) ist in dem
Nippon-ki die Lesung von ,besonders'. Man glaubt, es könne
den Sinn von tk l» (lcoto-tafe) ,besonders erträglich' haben.
In dem Zi-no kagami wird es auch für tic V gelesen.
Koto-jozasu ( ZJ f'» 3 X ) ’ st die Lesung- von ^
,eine Sache anvertrauen' und anderen denselben Sinn aus
drückenden Zeichen. Man schrieb auch w <*. ,das Wort
anvertrauen'. In einem Werke ist es die Lesung von m
,versiegeln'. Jozasu ( ^ 4)*’ 1 ) ist die Lautumwendung von
(josu) ,anvertrauen'.
Koto-mo naki oder koto-naki ,ohne eine Sache' hat den
Sinn von jorosi-ki fodo ,gute, vortreffliche Eigenschaft'. Es
hat auch den Sinn von nasu koto-mo naki ,ohne eine Sache,
welche man verrichtet'. Man liest koto-naki wagimo ,meine
vortreffliche Schwester', koto-mo naki musume ,ein vortreffliches
Mädchen', katatsi ito-koto-nasi ,von Gestalt sehr vortrefflich'.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
41
Kona-ta [zi -J-ist in dem Wa-mei-seo die Lesung
von * ffl (midzu-ta) ,Wasserfeld'. Es bedeutet: reifes Feld.
Kona steht für ko-nasu /reif'. Man liest kona-ta tsukuru ,das
Feld bebauen'.
Ko-nasu ( 17 X ) ist ^ em Nippon-ki die Lesung
von ,reif'. Man glaubt, dass das Wort sich auf ko-nasu
,Mehl bereiten' beziehen könne.
Ko-nasu, für naburu ,verspotten' gebraucht, soll den Sinn
von ,reif machen' (ko-nasi-tate-suru) haben. Man sagt fito-wo
ko-nasu ,die Menschen verspotten', mi-ko-nasu ,durch Blicke
verspotten', i-i-ko-nasu ,mit Worten verspotten' und anderes.
Der Ausdruck fito-wo ko-ni nasu ,einen Menschen zu Staub
machen' wird hiermit in Verbindung gebracht.
Ko-nasu gebraucht man noch in den Ausdrücken ta-wo
ko-nasu ,ein Feld eggen', ine-wo ko-nasu ,Reispflanzen dreschen',
(sioku)-wo ko-nasu ,Speisen verdauen'.
Kona-mi ( ZI ~j~ £ ) ist in dem Wa-mei-seo die Lesung
von :||fc ,frühere Gattin'. In der Geschichte des Kaisers
Zin-mu findet sich kona-mi-ga nago ,das Weib' die frühere
Gattin'. Das Wort steht für kona-me ,reifes Weib'.
Kona-me ( Z/ ~j~ yi) wird als Lesung von :f|E ,reife
Gattin' verzeichnet. Einige lesen dafür moto-tsu me
,ursprüngliches Weib'.
Wenn ein Mensch etwas mit Beschwerlichkeit sagt (fito-
110 mutsu-kasi-ku iü), so nennt man dieses im gemeinen Leben
koneru ,kneten'.
Ko-ne-maki hat die Bedeutung: ,kleine Umwickelung beim
Schlafen'. Es ist das spätere Wort jo-gi ,Nachtkleid'.
In De-wa gebraucht man für kono jb-na sono jb-na ,von
dieser Art, von der Art' die Worte kotta sotta [ ZI ^ X y ^ :£?).
Ko-no mi oder ki-no mi bedeutet die Frucht der Bäume.
Kaja-no mi, eigentlich ,Frucht des Riedgrases' ist die Frucht
der Pflanzen.
Ko-no kami ,älterer Bruder' hat die Bedeutung ko-no
kami ,der Plöhere der Söhne'.
In der Geschichte des Kaisers Ten-tsi ist ko-no kami
die Lesung von ,der Obere des Geschlechtes'. In der
Geschichte des Kaisers Ten-mu findet sich dafür (uzi)-no
42
Pfizmaier.
(wosa) ,der Aelteste des Geschlechtes'. In späteren Zeiten
sagte man
Kono kimi ,dieser Gebieter' ist ein verschiedener Name
für den Bambus. Es bezieht sich auf ein Wort Wang-tse-yeu’s
von Tsin, welcher von dem Bambus sagte: Wie könnte ich
einen Tag ohne diesen Gebieter sein?
Ko-no fa-bune hat die Bedeutung: Schiff des Baumblattes.
In der Geschichte von Sagami heisst es: Das auf dem Flusse
herumfahrende Schiff sieht von fern wie ein Baumblatt aus.
Ein Gedicht sagt:
Nami-no uje-ni | kogi-tsuisu juke-ba \ jama-dzi-kami \ arasi-
ni tsireru | ko-no fa-to-ja min.
,Auf den Wellen | rudernd wenn man weiter zieht, | ein
über dem Bergwege | von dem Sturmwind zerstreutes | Baum
blatt wohl wird man seh’n.'
Ko-no kure-sige ,die Blätterfülle des Abends der Bäume'
kommt in dem Man-jeo-siü vor. Es bezeichnet die Dunkelheit
unter den Bäumen. Man liest auch ko-no kure-jami .die
Finsterniss des Abends der Bäume', ko-no kure-gakuri ,das
Versteck des Abends der Bäume'.
Ko-no fito-tsu ge ( ZI J V* ^ ^ * n ^ em K am i-
jo-bumi die Lesung von —* ^ ,ein Kind'. Ge ist die Trübung
von ke ,Baum'. In dem Ko-zi-ki findet sich ¥z (ko-no)
Kofa, kowa ( 17 Aj heisst an dem Nutzholz (sai) die
Stelle der Rinde (Icawa-me-no tokoro). Man denkt dabei an
kowasi ,starr'.
Kofa ( 17 ) I ) bezeichnet ferner, dass an den Blättern
der Luftblume kleine Insecten haften (ran-no fa-ni ko-musi-no
tsuku).
Ko-bana ( ZI ist in dem Nippon-ki die Lesung
von ,Nachkommen, Enkel'. Die Lesung fatsu-ko ZI )
ist dasselbe.
Für koiva-ifi ,feste Reisspeise' sagt man im gemeinen
Leben
Auf dem Berge Ki-no saki in
Tadzi-ma findet sich ein Stein, welcher kowa-mesi-isi ,Stein der
festen Reisspeise' heisst. Man nennt ihn auch Zfa (faku
fan-seki) ,Stein der weissen Reisspeise'. In diesem Steine sind
Nachträge zn japanischer Dialectforschung. II.
43
Krystallknospen enthalten, welche sich zu einer grossen oder
kleinen Kugel gestalten.
Von Arten des Karpfens (kofi, koi) werden verzeichnet ike-
goi ,Teichkarpfen/, fi-goi ,Eiskarpfen', ko-goi ,kleiner Karpfen',
jebisu-goi fremdländischer Karpfen'. Der kleine Karpfen (ko-
goi) heisst auch mazika ( ~K iß ~)j )■ In Mi-no heisst er futsi-
ama-goi ,Regenkarpfen des Wirbels'.
Das Wa-mei-seo sagt, Pj^ ^ (ko-u-fi) ,Verstopfung der
Kehle' habe im gemeinen Leben die verderbte Aussprache
ko-fi ( L7 ). Ferner wird ko-fi ( Z7 ) in dem Wa-mei-seo
als Lesung von -|- f|f) .geschwollene Füsse' angegeben.
Es ist dasselbe Wort, welches gegenwärtig im gemeinen Leben
koi- zun e ( j \iX?) lautet -
An dem Fusse des Berges Fu-zi liegt ein Dorf Namens
ko-ß-ike-mura ,Dorf des Teiches der geschwollenen Füsse'. Alle
Menschen dieses Dorfes werden von der genannten Krankheit
befallen. Der daselbst befindliche Teich erhielt den Namen
ko-ß-ike ,Teich der geschwollenen Füsse'. Die Erscheinung
hat ihren Grund darin, dass die Menschen das Wasser dieses
Teiches trinken. Auch Menschen aus anderen Gegenden ziehen
sich die Krankheit zu, wenn sie in diesem Teiche die Füsse
waschen. Man hört auch, dass es in dem Reiche Tadzi-ma,
Kreis Ja-bu, einen Ort gibt, an welchem alle Bewohner diese
Krankheit bekommen. Ferner befindet sich an dem Pfeilberge
(ja-no jama) in dem Reiche Satsu-ma ein Fluss. Man sagt,
den Menschen, welche durch diesen Fluss waten, schwellen die
Füsse an.
Köln, durch ausgedrückt, ist die Wurzel von koburu
,schmeicheln'. Das Zi-no kagami hat für kobüru die Lesung
kobu ( Zl 7").
Kobi ( ZI bedeutet auch kogare-ifi ,verbrannte Reis
speise'.
ICofidzi ( ZI £ 7') ist in dem Wa-mei-seo die Lesung’
von U , Schlamm'. Man sagt auch fidzi ( t ■**)• Ko wird
daher für (ko) ,dicht' gehalten. In Gedichten wird das
Wort häufig auf kofi-dzi ( Zl ,Weg der Liebe' bezogen.
Kofi-nomu (ZI tl 7 A); ^ as ' ü dem Man-jeö-siü vor
kommt, hat die Bedeutung: bittend beten.
44
Pfizmaier.
Kofi-no javia ,Berg der Liebe'' bezeichnet die Anhäufung
des Gedankens (omoi-no tsumoru). Es soll in Jettsiü einen
Berg dieses Namens geben. Ferner findet sich das Wort unter
den verschiedenen Namen des Berges Ju-dono in De-wa. Das
in dem Geschlechte Gen vorkommende kofi-no jama-ni-wa ku-
si-no tafure ,auf dem Berge der Liebe fällt Khung-tse' soll ein
von Alters her überliefertes Wort sein.
|H jfjj 1 (Koku-fu) ,Sammelhaus des Reiches' ist der Sitz
des Vorstehers eines Reiches, gleichsam die Hauptstadt. Für
einen solchen Sitz ist ein besonderer Kreis bestimmt. So be
findet sich das Sammelhaus des Reiches I-se in dem Kreise
Mi-je. Gegenwärtig bedient man sich der Aussprache ko-fu
(3 7)
In dem Fu-boku-siü liest man kofu-no mina-to ,das Wasser
thor von Kofu'. Der Ort befindet sich in dem Reiche I-ga,
Kreis A-fe. Kofu ist das verderbte Koje |g| jjVp (ko-fu) ,Sammel
haus des Reiches'. Einige betrachten kofu als Lesung von
,lieben'. Dasselbe ist der Fall bei kofu-no jasiro ,Altar
von Kofu'.
In dem Wa-mei-seö ist kofu ( I? ) die Lesung von |jj||
,Schwan'. Es ist eigentlich das Koje. Das Zi-no kagami
liest kofi ( ^7 ). Man sagt, es sei das gegenwärtig übliche
Wort H| (ko-no tori) ,Storch'. Man sagt auch kofu-tsuru
{uyy )v\
Kofu (17 ^7 4 bei dem Brettspiel gesagt, ist das Koje
von äplj ,mit Gewalt entreissen'. In dem Geschlechte Gen
findet sich omoki kofu. Es bedeutet (kofu)-ni tori-te tsumuru
,mit Gewalt wegnehmend bedrängen'.
Kofu f?) ist das im gemeinen Leben übliche Koje
von Ep ,Schild'. Das richtige Koje ist kafu ( fj f7 \ Man
sagt kame-no kofu ,Schildkrötenschale' und anders.
Ko-bu ist das Koje von (kon-fu) ,zuckerhaltiges
Meergras'. Man sagt auch kon-bu. Der alte Name ist firo-me.
Ehemals brachten es die Fremdländer des Reiches Mutsu als
Tribut in das Amt der Abtheilung des Volkes. Man unter
scheidet nawa-ko-bu ,Meergras der Stricke 1 , firo-ko-bu ,breites
Meergras', koma-ko-bu ,kleines Meergras'. In dem Tei-kun
findet sich u-ga-ko-bu ,Meergras von U-ga'. U-ga heisst das
Nachträge zu japanischer Dialectforschnng. II.
45
jenseits von Fako-date gelegene Meer. Gegenwärtig gibt man
diesem Meergras den Namen « m (isi-tsuki) ,an die Steine
geheftet'. Dasjenige von rother Farbe ist das vorzüglichste.
Es gibt einen Gegenstand Namens sima-ko-bu ,Insel-Meer-
gras'. Derselbe ist eine Art Meerkürbis (umi-fetsima). Er ist
nicht essbar.
Kobu ( 17 j/) ist die Lesung von ,Beule'. Man glaubt,
das Wort stamme von ko-bu ,Meei - gras‘, weil dieses die Beulen
leicht heilt. Das Wa-mei-seo sagt: ko-bu-kuan !}j|j |||L (riü-jei)-
wo wosamuru ,mit Kugeln von Meergras heilt man Geschwüre
und Kröpfe'.
Ki-no kobu, durch (* -j- i[| ) ausgedrückt, ist eine Beule
an Bäumen.
Ko-butsi ( ZJ y* y ) bedeutet ein gewisses Triebwerk,
welches man ehemals osi ( yj“ Jy j nannte. Es besteht darin,
dass in einem Korbe eine Peitsche angebracht wird (kago-no
naka-ni mutsi-wo si-kake-taru). Man hält das Wort für so viel
als ko-butsi ,Korbpeitsche'.
Kofosi-ki ( ZI 2^ ■4')> d as in dem Nippon-ki und in
dem Man-jeo-siü vorkommt, ist so viel als koi-si-ki ,was er
sehnt wird'.
Kobo-meku ( ZI Äjf yi ) hat den Sinn von kobotsi-meku
,das Aussehen des Zerstörens haben'. In dem Jei-kna-mono-
gatari heisst es: jorodzu-ioo kobotsi-warai kobo-meki-nonosiri
,Zehntausende zerstörend, lachend, im Zerstören schelten'. Es
drückt auch den Ton des Knarrens und Rollens aus. Das
Makura-sö-si sagt: asiü akure-ba sib-si nado-mo obo-mekasi-kobo-
meku ,wenn man schlecht öffnet, knarren die Schubfenster
unsicher'. Tn dem Geschlechte Gen steht dafür kobo-kobo
Es heisst: bib-bu tatamu oto kado-no zib-wo
akuru oto'kobo-kobo ,der knarrende Ton beim Zusammenlegen
des Windschirms, beim Oeffnen des Thürschlosses'. In dem
Kagero-nikki, in dem Geschlechte Gen und in anderen Werken
wird das Wort auch von dem Rollen des Donners gebraucht.
In dem Zi-no kagami hat ,Steine herabrollen' die Lesung
koboferu ( Z2 11y).
Kofori-no kafi-ko (l7 ^ ij y tl li D) bedeutet:
Seidenraupen des Eises. Es bezieht sich auf die Worte des
46
Pfizmaier.
chinesischen Dichters Tnng-po: Die Seidenraupen des Eises
kennen nicht die Kälte. Die Feuerratten kennen nicht die Hitze.
Koma ,Füllen' wird als ko-uma ,kleines Pferd' betrachtet.
Koma-ga take ,Berghöhe des Füllens' heisst ein Berg in der
Gegend von Saiwai-sima in Sina-no. An der Ostseite dieses
Berges befindet sich ein grosser Stein von der Gestalt eines
Füllens. Man sagt, dass im Frühlinge das Schmelzen des
Schnees zuerst bei diesem Steine beginnt. Nach einer anderen
Erklärung ist zu sehen, dass in dem Zeiträume Ten-fei (729
bis 748 n. Chr.) das Reich Sina-no ein göttliches Pferd, dessen
Leib schwarz, Mähne und Schweif weiss waren, zum Geschenke
machte. Der Berg habe davon seinen Namen erhalten.
Hinsichtlich koma als Lesung vo n r^i M (kb-rai) ,Corea'
wird vermuthet, dass es ein coreanisches Wort sei. Man bringt
hiermit in Verbindung, dass für OJ+ö) ü (koma-inu)
,Hund Koma' auch ist i ^ (koma-inu) ,coreanischer Hund'
gebraucht wird. ( 3 + Ö .) (koma) ist ein Thier, welches
einem Wolfe ähnlich ist und den Schafen nachjagt.
Koma als Lesung von iS| ,Kreisel' soll ebenfalls aus
koma ,Corea' entstanden sein. In dem Nippon-ki heisst es:
Die Krieger des Heeres von Kö-rai sangen, tanzten und führten
Musik auf. Dem Worte (gaku) in jjfl ,Musik auf
führen' wurde die Lesung koma gegeben. Das Wa-mei-seo
liest koma-tsukuri ( D V jZ 27 ij ). In dem U-dzi-siü-i findet
sich koma-tsufuri ( Z7 ~V ^ )j ). Der chinesische Kreisel
(tb-goma) ist ein grosser Kreisel.
Koma ,Schachstein' wird von koma ,Füllen' abgeleitet.
Auch in China wird ein Schäclistein mit ,Pferd' bezeichnet.
Man glaubt, dass koma ,Steg einer Laute' (sa-mi-sen) von koma
,Schachstein' abgeleitet sein könne.
Koma wird in dem Wa-mei-seo die Katze genannt. Es
ist die Abkürzung von nelco-ma ZI ’v) ,Katze'.
Ko-ma hat ferner die Bedeutungen *.B0 (ko-ma) ,zwischen
den Bäumen' und /\\ [jjj (ko-ma) .kleiner Zwischenraum'.
Ko-mafi ( Zt V ^ J, ko-ma.wi ( D V ^ j, im gemeinen
Leben durch 7fc H ,Tanzen des Baumes' ausgedrückt, ist
die Lesung von (7j^ + ^)- Es bedeutet das mit dem Vor
dache (noki) zusammenhängende Holz, welches sich an dem
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
47
äussersten Rande des Balkens (taru-ki) befindet. Es ist das,
was im gemeinen Leben firo-go-mai ( [2 Zt ^ tl ) g e_
nannt wird.
Koma-inu, durch (f + Ö) * ausgedrückt, soll das
aus Corea herüber geführte Bild des Löwen (si-si-no zb) sein.
Man sagt, es befinde sich jetzt an dem südlichen Thore des
östlichen grossen Klosters. Es wird jedoch bemerkt, dass
koma-inu von si-si ,Löwe' verschieden sei. Koma-inu sei
ursprünglich so viel als ff (jama-inu) ,der wilde Hund aus
dem Reiche Koma'. Die Angabe, dass es inu-bito ,Hunde
mensch' bedeuten solle, sei ebenfalls unrichtig. Inu-bito ,Hunde
mensch, Leibwächter' sei alte Sache Fi-no sumeri-no mikoto’s
und komme in dem Kami-jo-bumi vor. In dem Jei-kua-mono-
gatari heisse es: dai-zib-si-wo täte mi-tobari-no maje-no koma-
inu ,den grossen Ruhesitz hinstellend, den vor dem kaiserlichen
Zelte befindlichen Hund von Koma'. Ferner heisse es: mi-
joboro-no soba-no si-si koma-inu ,der zur Seite des kaiser
lichen Knechtes befindliche Löwe und der Hund von Koma'.
Hieraus folge, dass si-si und koma-inu zwei verschiedene Dinge
sein müssen. Auch in dem Makura-sö-si stehe mi-sitsurai si-si
koma-inu-nado ,die aufgestellten Löwen und Hunde von Koma'.
In dem Rui-siü-zö-jeö heisst es: Fidari-ni si-si iro-ni
ki-naru-ni kutsi-wo firaki migiri-ni koma-inu iro-ni siroku kutsi-wo
firakazu ,der Löwe zur Linken ist von Farbe gelb und öffnet
den Mund. Der Hund von Koma zur Rechten ist von Farbe
weiss und öffnet den Mund nicht'. Man sagt, der Löwe öffne
den Mund, weil man ihm einen Edelstein in den Mund gibt.
Bei der Einsetzung des Kaisers in seine Rangstufe wird zur
Rechten und Linken des zugetheilten glänzenden Thores ein
kupferner Hund hingestellt. Die Sache ist dieselbe.
In dem Wa-mei-seo ist koma-inu ,Hund von Koma' der
Name einer Tonweise.
Koma-nuku ist die Lesung von ,die Hände falten'.
Es hat den Sinn von te-wo koma-nuku ,die Hände klein auf
reihen'. Man liest auch koma-nuku sode ,die Aermel, welche
man ineinander legt'. In dem Man-jeö-siü hat das Wort auch
die Lesung tamu-daku ( )■
Koma-gajeru ( l! durch ^ ausgedrückt,
bedeutet: wieder jung werden (oi-te futa-tabi waka-gajeru).
48
Pfizmaier.
Man sagt auch waka-gajeru ( TLs )• Man liest auch
kusa Jcoma-gajeru ,die Pflanzen werden wieder jung'. Ob das
Wort von koma ,Füllen' oder von homa ,klein' abzuleiten sei,
wird nicht angegeben.
Koma-no tsumadzuki ,das Straucheln des Füllens' bezieht
sich auf das Wort: fito-ni koirarure-ba nori-taru koma-no
tsumadzuku mono ,wenn man von einem Menschen geliebt wird,
strauchelt das Füllen, auf welchem man reitet'.
Komi ( ZI j, in dem Nippon-ki durch und (y -f- )
ausgedrückt, bedeutet midzu-no komu ,eindringendes Wasser',
(y + soll mit niwa-tadzumi ,stehendes Wasser' gleich
bedeutend sein.
Verdorbener Reis (ßjfc ^;) wird komi ( Zd z_ ) genannt.
Man sagt auch komi- * (bei).
Kondzu ( Z] W ,zubereiteter Trank' ist so viel als
ko-midzu ,dickes Wasser'. Man sagt auch tsukuri-midzu ,zu
bereitetes Wasser'. In dem Wa-mei-seo hat j§J| ,dicker Wein'
die Lesung ko-midzu ( 17 "2. ^ )•
Ko-mura (=? 4 y) ist in dem Wa-mei-seo die Lesung von
,zwei Bäume, welche gemeinschaftlich Schatten geben'.
Es hat den Sinn ,Schaar der Bäume'. Man findet auch die
Schreibung mn (ko-mura) ,Dorf der Bäume'. In dem Wa-
mei-seo ist ko-mura auch die Lesung von ,Axthelm'.
In dem Reiche Jamato, Kreis Take-tsi, gibt es einen
Altar, welcher j|W (karu)-no (ko-mura)-ni masi-masu
kami-jasiro ,der Altar des in dem Baumdorfe von Karu
wohnenden Gottes' heisst.
Kon-dei ( Zd Zd y* ) ist das umgewendete Koje von
m % ,starkes Kind'. Das Nippon-ki hat die Lesung tsikara-
bito ,Mensch der Stärke'. Das Wort war ehemals eine allgemeine
Benennung für Knechte. Gegenwärtig bezeichnet man damit
eine Art Krieger zu Fusse (asi-garu). Das Fei-ke-mono-gatari
sagt kon-dei -icarawa. Der Ort, wo die Knechte (tsiü-gen)
wohnen, heisst a Jür (Kon-dei-sio).
Kome ist in dem Wa-mei-siö der Name eines Fisches.
Man glaubt, es sei der Fisch, welcher gegenwärtig jei (n)
,Scholle' genannt wird.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung II.
49
Kome-ja hat in dem Ko-kon-siü die Bedeutung: wird man
vielleicht kommen? Es heisst daselbst: lcöme-ja-to omofu\
mono-kara ,weil man glaubt, dass man vielleicht kommt'.
Gome [yt yl ) ist in einigen Ausdrücken so viel als guru-me
( yi ). welches seinerseits für kuru-kurv-to ,rings herum,
rund herum' gebraucht wird. So in tsumn-gome ,der Saum
rund herum', nhvoi-gome ,der Geruch rund herum', ne-gome
,die Wurzel rund herum', fana-gome ,die Blumen rund herum',
kuruma-gome ,der Wagen rund herum'.
In dem Wa-mei-seö hat kome ( Zf yi ) die Bedeutung:
dünner Flor. 1 Die Streifen dieses Stoffes sind gleich dem Beis
(sono aja-no kome-no gotoku naru nari). In dem Zi-no kagami
findet sich kome-no kinn ,Reiskleid'. Es ist eine Art Sommer
kleid (ka-tori). Der Stoff hat Aehnlichkeit mit dem gegen
wärtigen Flor (tsiri-men), der Grund ist Damast (aja). Man
sagt auch kome-ori ,Florgewebe'.
ln dem Wai-mei-seö ist komo ( 17 -£ ) die Lesung von
j|j| ,Matte'. Man fiudet nngn-komo ,lange Matte', fa-gom.o
,Blättermatte', wori-gomo ,gebrochene Matte', kaja-su-gomo
,Thürmatte von Riedgras' m (fa)-gomo ,Flügelmatte,' wosi-
gomo ,Essmatte'.
Komo ist ferner die Lesung von -|- Jfft) ,blühendes
Schilfrohr'. Man liest so, weil diese Pflanze zu Matten ver
wendet wird. (-H* -f JIR ) ,Haupt des blühenden Schilfrohrs'
hat in dem Wa-mei-seö die Lesung komo-tsuno ( Z? ■£ y y )
und komo-futsuro ( 17 y y D )• Dasjenige, welches auf
dem Wasser schwimmt, heisst ugida ( -5C)-
In dem Wa-mei-seö und in dem Ko-zi-ki ist komo die
Lesung von ifjt ,Meermalve'. Man hält die Pflanze für
eine Art Hornblatt (mo) und glaubt, das Wort habe den Sinn
von ko-mo ,kleines Hornblatt'. Es heisst, diese Pflanze habe
Aehnlichkeit mit der Pflanze foda-wara yCy y)' 1 und
setze viele runde Sachen an (marulci mono o-oku tsukeri).
Ko-motari. ( Z? ^ lj ), das in dem Ko-kon-siü vorkommt,
hat den Sinn von ko-ivo motsu ,Söhne haben'. Man sagt noch
1 Das der Lesung zu Grunde liegende Zeichen ist dadurch herzustellen,
statt das
2 Dieser Pfianzenname ist sonst nirgends
Sitzungslier. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. I. Hft.
dass in dem Zeichen
m
Classenzeiclien ^ gesetzt wird,
vorgekommen.
4
50
P f izmaier.
gegenwärtig iku-tari-no ko-wo motsu ,mehrere Söhne haben'. In
dem Geschlechte Gen findet sich ko-motsi-no kimi ,ein Gebieter,
welcher Söhne hat'. Noch heutzutage ist in der Sprache der
Landleute ko-motsi ,Kinder habend' die Benennung eines Weibes.
Kojaru ( ZI ^ JL/ ) ist ein altes Wort, welches ,umwenden'
bedeutet. Man sagt auch koi (ZI )• In dem Nippon-ki findet
sich Icojaseru ( Zl '\Z lis )• Las in dem Ivo-zi-ki vorkommende
tsuku-jumi-no kojaru bedeutet jumi-wo fusuru ,den Bogen um
kehren'.
Ko-ja-ta ( Z2 ) soll eine alte Halle bedeuten. Man
glaubt, es habe den Sinn von ko-ja- ^ (ta) ,Halle des kleinen
Hauses'.
Koju ist so viel als kojeru ,überschreiten'. Man sagt auch kosu.
Ferner hat koju die Bedeutung ,fett sein'. Das Transitivum
kojasu hat die Bedeutung ,düngen'.
Ko-jvfi hat die Bedeutung ,kleines Binden'. Es ist das
Gehänge der schwarzen Mütze (je-bo-si-kake). Man macht ein
zollweise schwarz und weiss gesprenkeltes Band, welches dünner
als ein Schwertgehänge ist, zum Gehänge der schwarzen Mütze
(issun madara-ni siroku kuroku utsi-mazije-taru kumi-no katana-
no wo-jori fosoki-wo je-bo-si-kake-ni suru). Man nennt dieses
auch (t.eö-do-kake) ,niedliches Gehänge', was in
dem östlichen Spiegel zu sehen ist. Es heisst, dass man damals
längst gewohnt gewesen, das Zeichen Jg (do) mit dem Koje
laute dzu [’y) auszusprechen, dass man also teo-dzu-kake
gesagt habe.
Kojomi ,Kalender' soll aus ka-jomi ,den Tag des Monates
(ka) lesen' entstanden sein. Man zählt nämlich futsu-ka ,zweiter
Tag', mi-ka ,dritter Tag' u. s. w. und gab demgemäss den
Namen. Zu den Zeiten des Kaisers Kin-mei (540 bis 571) kam
der erste Kalender in Japan an. Man gab den Worten j-jT
,Text des Kalenders' die Lesung kojomi-no tamesi ,Muster des
Kalenders'. In dem Foku-san-seö heisst es: An dem ersten
Tage des eilften Monats überreicht man an ,dem Hofe den
kaiserlichen Kalender.
Die Geschichtschreiber des Nordens sagen: Die Türken
kennen keinen Kalender. Sie verzeichnen bloss nach den
grünen Gräsern. — In den Gedichten der Thang heisst es:
In dem Gebirge hat man keine Tage des Kalenders. Wenn
Nachträge zn japanischer Dialectforschung. II.
51
die Kälte zu Ende ist, kennt man nickt das Jahr. — Ebenso:
In den Häusern der Felder hat man nicht die fünf Grundstoffe.
Wasserfluth und Dürre wahrsagt man aus dem Geschrei der
Frösche. — Die fünf Grundstoffe' gelten ebenfalls für einen
Kalender.
Besondere Kalender sind kana-gojomi, 1 Jpf ^ (Mb-to)
~k $2 (äai-hib-si)-hojomi ,Kalender des grossen Schriften
malers der Mutterstadt', i-dzu mi-sima-gojom.i ,Kalender des
Altares von Mi-sima in I-dzu‘, i-se zin-gü-gojomi ,Kalender des
göttlichen Palastes von I-se'.
Das Wort kojomi-no faka-se vielseitiger Gelehrter des
Kalenders' ist in der Geschichte des Kaisers Kin-mei zu sehen.
Ko-jo-nasi (Z] 3 £y ), das in dem Gesclilechte Gen
vorkommt, hat die Bedeutung kore-jori nasi ,nichts als dieses'.
In dem Kawa-umi-seo wird ihm der Sinn von (koju)-nasi
,ohne Ueberschreiten' gegeben. Die kaiserlichen Aufzeichnungen
der acht Wolken erklären: koto-no foka-no IcoJcoro ,es hat den
Sinn des Ausserordentlichen'.
Ko-ra ( Zt y ) ist in dem Man-jeo-siü die Lesung von
-f- ,Söhne'. Es heisst daselbst iza-ja leo-ra ,wohlan, Söhne!'
Die Töchter werden häufig mit Söhnen verglichen.
In dem göttlichen Palaste befindet sich ein Gebäude,
welches ko-ra-no tatsi ,Gebäude der Söhne' genannt wird. Man
schreibt (ko-ra). In dem Jei-seo-ki findet sich auch
(ko-ra fawa-ra) ,Söhne, Mütter'. Im gemeinen
Leben benennt man den Ort der gottesdienstlichen Musik
(kagura-sio) mit o-ko-ra-ko (Aj~ ~J y ZI }■ Ko ,Söhne' ist so
viel als mono-imi-no ko ,die den Göttern dienenden Mädchen'.
Ko-ri ( ZJ lj ) heisst im gemeinen Leben ein Reisekoffer.
Es wird ff ^5 geschrieben und auch kd-ri ( )J j aus
gesprochen. Einige schreiben ifflP (ko-ri) ,Knochenweiden',
und wird in diesem Sinne auch janagi-go-ri gesagt. Man nimmt
dünne Weidenzweige, hält sie an das Feuer, damit sie biegsam
werden und verfertigt daraus Koffer.
Für misogi-suru ,den Leib waschen' sagt man im gemeinen
Leben kori-wo kaku, kori-wo toru und betrachtet es in der
1 Die Bedeutung von kana ~jj -f J wird nicht angegeben.
4*
52
Pfizmaier.
Bedeutung: den Schmutz kratzen, den Schmutz wegnehmen.
Es heisst, kori sei so viel als kawa-ori ,in den Fluss hinab
steigen'. Man schreibt auch (ko-ri) ,Trennung des
Schmutzes'. Das Buch Mu-riö-gi sagt: midzu joku kori-wo arb
,das Wasser besitzt die Eigenschaft, den Schmutz zu waschen. —
Indessen wird angegeben, dass kori die Bedeutung (kawori)
,Wohlgeruch' habe und aus dem bei den Buddhisten üblichen
Worte (kori-midzu) ,wohlriechendes Wasser' entstanden
sein müsse. Dabei wird vermuthet, dass das in kori-wo kaku
vorkommende kaku die Abkürzung von kakuru ,anhängen' sei.
Kori-zu-ma ( ZJ ij X ) hat die Bedeutung 7 m
(kori-zu) ,nicht abgeschreckt, nicht gewitzigt werden'. Ma ist
ein hinzugefügtes Wort. In dem Man-jeo-siü wird auf ähnliche
Weise awazu-ma-ni-site statt awazu-site ,indem man nicht zu
sammentrifft' gesagt.
In dem Nippon-ki hat ,Wohlgerüche, Weihrauch
brennen' die Lesung kori-wo taki-te. In dem Man-je6-siü liest
man (kori) (nure) ru (tafu) ,die getünchte Pagode
der Wohlgerüche'. Das Jen-gi-siki sagt: Die Halle ('gj’ db)
wird (kori-taki) ,Weihrauchbrennen' genannt. Man
glaubt, kori ( I? 1) ) könne kefuri kori-nu ,der Rauch zerrinnt'
bedeuten. In einem Buche heisst es: Der Weihrauch ist der
Abgesandte Buddha’s. Desswegen muss man Weihrauch brennen
und überall bitten. Es wird angegeben, dass bei japanischen
Göttern von dem Opfer der Blumen gesprochen, aber von
Weihrauch nichts gesagt wird. Kori-taki ,Weihrauchbrennen',
welches oben auf eine Halle (db) bezogen wird, heisse daher
eine Halle Buddha’s. Dass in dem Feste Si-fö-bai ,Verehrung
der vier Gegenden' Weihrauch vorkommt, soll dem Kuö-gokki
entnommen und eine Sache späterer Zeiten sein.
Kori-saku fana ,die gefroren aufblühende Blume' soll die
Knospe der Pflaumenblüthe (mume-tsubo) bezeichnen und den
Sinn von kori-fana-tsubomi ,gefrorene Blumenknospe' ausdrücken.
Für koru ,gefrieren' sagt man auch koforu ( V )\y )■
In dem Ko-zi-ki findet sich koworo-koworo ( ZI 13 / ). Wo
und fo gehen in einander über. x
Statt koru .abgeschreckt, gewitzigt sein' sagt man auch
koriru ( ZJ l] }ls)-
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
53
In dem Man-jeö-siü hat w ,Holz fällen' die Lesung koru
( 37 )ly ). Dass koru ,fällen' von Bäumen, kam ,mähen' von
Pflanzen gesagt wird, ist ein Doppelausdruck t'o-go).
Beide Wörter haben gemeinschaftlich den Sinn von Jciru
,schneiden'.
Koru tsuju hat, wie angenommen wird, die Bedeutung:
gefrierender Thau.
Koro ,Zeit', gewöhnlich durch ausgedrückt, wird, da
man auch ^ (koro) schreibt, für die Lautumwendung von
kuru ,kommen' gehalten. So in den Wörtern alcuru koro ,die
Zeit der Morgendämmerung', tosi-goro ,Jahre hindurch', tsuki-
goro ,Monate hindurch', fi-goro ,durch Tage', tsika-goro ,unlängst'.
In dem Man-jeö-siü ist koro die Lesung von ,selbst'.
Man bringt damit in Verbindung, dass gegenwärtig etwas, das
von selbst geschieht (zi-nen-no koto), durch korori-to ausgedrückt
wird. ,von selbst klar', in Bezug auf die Quelle (mina-
moto) gesagt, wird koro-akira gelesen.
In den östlichen Liedern des Man-jeö-siü wird
(ko-ra) ,Söhne' durch ko-ro ( ZI tl) wiedergegeben.
Ebenso haben die vier Zeichen —■ Di — [wl ,einmal
liegen, dreimal zugewendet' die Lesung koro ( ZI IV )• Es ist
ein Spielzeug der Kinder. Auch in dem Fokori-bukuro-seö hat
unter den Spielzeugen der Kinder das Wort Ät die Lesung
koro. Es wird darüber bei dem Worte tsuki-jo gesprochen.
In dem Nippon-ki ist koro die Lesung von ppj ,beide'.
Es gibt Wörter, in welchen koro für koru ,gefrieren' steht.
So in ono-goro-sima ,die von selbst gefrierende Insel' koro-
(zame) ,der gefrierende Roche'.
Korori hat Gemeinschaft mit kururi ,rund herum' und
bezeichnet so wie dieses das Umwenden.
Ko-ro-ri (ZI C7 1) ) hat die Bedeutung: Kürbis. Das
Wort stammt von dem Koje ^ (ko-ro), welches die
Lesung fuku-be ,Kürbis' hat. Dass man ko-ro-ri ,Kürbis' für
m m (kon-ton) ,Chaos' sagt, ist wegen der runden Gestalt
des Kürbisses.
Korobi ( 37 L7 ^ j ist in dem Kami-jo-bumi die Lesung
von p|| g|j| ,zur Rede stellen, einen Verweis geben'. Es hat
den Sinn von korobasu ,niederwerfen'. In dem Man-jeö-siü hat
a m die Lesung koro-busu ( ZI D X ) »selbst liegen'.
54
Pfizmaier.
Korobi ( Z2 D ) lieisst ferner ein Baum, aus dessen
Früchten Oel gepresst wird. Dieser Baum wird auch abura-
giri genannt.
Koromo usurete bedeutet koromo usuku-te ,indem das Kleid
dünn ist'. Koromo atsurete bedeutet koromo atsukn-te ,indem
das Kleid dick ist'.
In dem Wa-mei-seo hat J|jf; -^r, ein Bezirk des Reiches
Mi-kawa, die Lesung koro-mo. Das Koje von J|j§; (kijo) wird
zu koro ( ZI td ) umgewendet. Koro-mo-gawa, der Name eines
Flusses des Reiches Mutsu, wird ^ % )W (koro-mo-gawa)
geschrieben.
£ (Koromo)-ga saki ,das Vorgebirge des Kleides' liegt
in dem See Su-wa in Sina-no. Ein Gedicht sagt:
Sina-no-naru \ koromo-ga sald-ni \ kite mire-ba \ fu-zi-no uje
kogu | ama-no tsuri-bune.
,In Sina-no | zu dem Vorgebirge des Kleides | als ich kam
und sah, | über dem Fu-zi ruderte | der Seefischer Angelboot.'
In den Fu-boku-siü findet sich kore-mo-ga saki als Name
dieses Vorgebirges. Man sagt, jeden vierten Monat des Jahres
spiegle sich, obgleich das Reich Ka-i dazwischen liegt, das
Bild des Berges Fu-zi in dem Wasser des Sees Su-wa ab.
Koro-koro hat in dem Man-jeo-siü bloss die Bedeutung
(koro) ,um die Zeit'. In dem Ko-zi-ki hat es den Sinn
von korobi ,umdrehen'.
Koro-koro warafu bedeutet: mit verdecktem Munde lachen.
Man bringt es mit dem chinesischen (ko-ro), welches
dieselbe Bedeutung hat, in Verbindung.
Kororo-ku ( ZI IV A ty ) werden in dem Wa-mei-seo die
Zeichen Bt}j fl||| gelesen. Man vermuthet, es bedeute eine
heisere, umgedrehte Stimme (ko-e-no karete koro-koro).
Koromo-de ,Hand des Kleides' ist so viel als sode ,Aerinel'.
Es ist in dem Man-jeo-siü die Lesung von ^ ,Aermel'. Als
Polsterwort von (ta-no kamt), einem Orte des Kreises
Kuri-moto in Omi, wird es im Sinne von (ta-no Jcami)
,über der Hand' genommen.
Koromo-no jami ,Finsterniss des Kleides' soll ein mit Tinte
gefärbtes Kleid bedeuten. Man liest das Wort in dem Sin-
ko-kon-siü.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
55
Koromo-side-utsu bedeutet: Kleider vielfach klopfen. Side
(' ly y»') Steht für sige vielfältig'. Ke und te gehen in ein
ander über.
Kowa-nasi ( ZI L') ist in dem Zi-no kagami die
Lesung von BÖ ,grosssprechen'.
Ko-ojobi ( 17 5j- Kj tf') ist in dem Wa-mei-seö die Lesung
von ,kleiner Finger'. Gegenwärtig sagt man im ge
meinen Leben ko-jubi.
Sa wird häufig als Anfangswort gebraucht. So in sa-jo
,Nacht', sa-koromo ,Kleid' statt jo, koromo. Auch in der ge
sprochenen Sprache sagt man sa-;^J| (wäre) für wäre ,ich'. In
dem U-dzi-siü-i kommt dieses ebenfalls vor.
Sa als Lesung von ^ ,eng‘ steht für sebasi. Die Rück
kehr von se ba ist sa.
Sa als Lesung von yj> ,klein' hat den Sinn mit sa ,eng'
gemein.
In dem Man-jeö-siü ist sa die Lesung des Zeichens pjß
,so, dergestalt'. Es steht für sika ,so'. Die Rückkehr von
si ka ist sa. Es findet sich als Hilfswort in Wörtern wie sari
,so ist es', sa-mo ,so auch', sara-ba ,wenn es so ist', sa-nomi
,nur so'.
Am Ende der Wörter wie in sajake-sa ,Klarheit', sabisi-sa
,Einsamkeit', wabisi-sa ,Kümmerniss', soll sa ein Wort sein,
welches die Beschaffenheit und die Umstände einer Sache leb
haft ausdrückt (zi-zid jo-dai-wo tan-zuru kotoba).
Sa hat ferner die Bedeutung igf (ma) ,wahr'. Das in
dem Ko-zi-ki vorkommende sa-wo-sika ,der wahre Hirschbock'
wird Ä % M (sa-wo-sika) geschrieben.
In Erzählungen finden sich Wörter wie sa-to ivarafu ko-e
,der Ton des Lachens', si-gure sa-to sitaru ,das Träufeln des
Rieselregens', sa-to kaworu ,das Duften'. Dass man dieses
sa-to für das Koje des Zeichens ,das Sausen des Windes'
ausgibt, wird für unbegreiflich gehalten. Es wird geglaubt,
dass es sa ,klein' bedeute und denselben Sinn wie das Wort
so-to ( }-» ) ,in schwacher, geringer Weise' habe. Gegen
wärtig sagt man satto (1)" jy ).
56
Pfizmaier.
Sa (ij - ) als Lesung von ,der fünfte Monat
des Jahres' ist in dem Kami-jo-bumi zu sehen. 3Ü. M
,die Fliegen des fünften Monats' hat daselbst die Lesung sa-bafe
( dt" )• Dieselbe Bedeutung hat sa in sa-nafe ,Sprossen
des fünften Monats', sa-midare ,Regen des fünften Monats'
und anderen Wörtern.
Dass sa (df) für ^ (ja) ,Pfeil' gesetzt wird, ist der
Uebergang desselben Endlautes. In dem Nippon-ki hat —• ^
,ein Pfeil' die Lesung fito-sa. Man liest fito-sa, futa-sa ,ein
Pfeil, zwei Pfeile' im Sinne von : einmal, zweimal einen Pfeil
abschiessen. In dem Man-jeö-siü hat iä di ,geworfener Pfeil'
die Lesung naguru sa. Zudem ist so ja zurückgekehrt sa.
So-ja ist ein geschnitzter Pfeil.
Sa als Lesung von >jjg ,Affe' ist die Abkürzung von
saru. So in den Ortsnamen sa-sima, sa-nage.
Sa, den Zeitwörtern angehängt, ist die Abkürzung von
sama ,Art, Weise'. So in afu-sa ,das Zusammentreffen', kiru-sa
,das Schneiden', juku-sa ,das Gehen', kajeru-sa ,das Zurück
kehren', idzu-sa ,das Austreten', iru-sa ,das Eintreten'. In
Mutsu, ferner in Fi-zen und Fi-go wird sa den Namen der
Reiche und Menschen angehängt.
Sa-a ( 1)" y j ist ein Wort, mit welchem man die Menschen
anleitet (fito-wo izano). A ist der Nachklang von sa ,so‘.
Sa-aivo (dtr 7), das in dem Man-jeö-siü vorkommt,
ist so viel als tada-awoki ,ächt grün'. Man sagt noch gegen
wärtig in demselben Sinne masawo (T dj~ jj?).
Sai-gusa (ij- -j ^dj") ist in dem Nippon-ki die Lesung
von ins ^ ,glückliche Pflanze', was für die ursprüngliche Be
deutung gehalten wird. Man sagt auch saki-gusa (ij- 4: J/'Jj-J.
Das letztere ist in den Büchern die Lesung von ,drei
Zweige'.
Das Wa-mei-seö gibt an, dass für saki-gusa glückliche
Pflanze' von Einigen auch mi-no fa ( ,5 j gesagt wird.
Mi-no fa ist so viel als mi-tsu fa ,drei Blätter'.
In dem Zin-gi-rei heisst es bei der Erklärung des Opfers
Sai-gusa: Es ist das Opfer des Altares von Isa-gawa. Man
schmückt mit den Blüthen der Pflanze der drei Zweige (sai-
gusa) die Weingefässe. Desswegen heisst das Opfer: sai-gusa.
Nachträge zu japanischer Dialeetforgcliung. II,
57
Man glaubt, dass sai-gusa so viel als sa-juri fl)* ZL 1) ) jLilie'
ist. Da die Lilie sieb auf der Spitze des Stammes gleich-
massig in zwei Aeste theilt und auf dem Grunde des Stengels
die Blätter einander gegenüber stehen, werde man sie mit der
glücklichen Pflanze (sai-gusa) verglichen haben. Der ursprüng
liche Name der Lilie (sa-juri) ist sawi f 1)* wie in dem
Ko-zi-ki zu sehen. Sawi-gusa ,Lilien pflanze' und saki-gusa
,glückliche Pflanze' bilden einen Uebergang der Laute. Da das
genannte Opfer in den vierten Monat des Jahres fällt und die
Lilien um diese Zeit blühen, so könne die Sache jedenfalls passen.
Sai-bari ( 1)* ß ) ^ )J ) wird für ßj] ^ (sai-fari) ,erster
Weiderich' gehalten. Fari wird auch für fagi ( ) j ,Weide
rich' gebraucht. Nach einer Erklärung bedeutet es
(sai-fari) ,glücklicher Weiderich' und ist ein Wort der Lob
preisung. In der Musik Saibara heisst es: sai-bari-ni koromo-wa
suran ,mit dem ersten Weiderich das Kleid wird man reiben'.
In dem Nippon-ki findet sich fari-suri-no mi-zo ,das mit Weide
rich geriebene kaiserliche Kleid'. Das Man-jeo-siü sagt: ma-
fagi mote sareru koromo ,das mit wahrem Weiderich geriebene
Kleid'. Man glaubt, es könne etwas gleich dem Kleiderstoffe
sino-bu-zuri ,das Geriebene von Sino-bu' sein.
Saifaß, saiwai (1)* -'f ) J |^ ) ,Glück' ist ßjß (saki)
,glücklich' und das Hilfswort faß ( )^ tl )• Wenn faß als
Hilfswort gebraucht wird, hat es den Sinn des in der gewöhn
lichen Sprache üblichen Wortes si-awase-ni ,durch Zufall'.
Das Wörterbuch Zi-wi sagt: Wenn man etwas nicht erlangen
soll, aber es erlangt, ferner wenn man nicht entkommen kann,
aber entkommt, so nennt man dieses ^ (saiwai) ,Glück'.
Wenn man das Wort in Briefen gebraucht, so drückt es eine
Bitte aus (negb kotoba-to naru). Man vermuthet, dass es dann
vielleicht die Bedeutung j|jj‘ ,vorwärts wachsen' habe. In
buddhistischen Liedern wird saldfafi ("i)- ) geschrieben.
In den Worten der Gebete findet sich sakifafe ( 1)~ ^ ).
In dem Man-jeo-siü findet sich auch sakifafu f fl)- ^ ).
Das in den Erzählungen des mittleren Alterthums vor
kommende sai-wai-keru ( d)~ ß -£r)Ls) ist so viel als
das in dem Nippon-ki enthaltene ^ £ ,sich an einen Ort
begeben, ihn beglücken', dessen Lesung mesu (XX).
58
Pfizmaier.
n n (Sai-fawi) bedeutet: zweimal sich verbeugen.
Viermal vor den Göttern sich verbeugen, benennt man in
Japan mit ppj (rib-tan) sai-fawi ,zwei wiederholte Ver
beugungen'.
Man sagt, dass ehemals eine aus Papier verfertigte Zeichen
fahne (J^ Zai) den Namen -I? n (sai-fawi) ,zweimal sich
verbeugen' geführt habe und aus diesem Namen das Wort
J|| (zawi) ,Zeichenfahne' entstanden sei. Dagegen wird von
Anderen dargethan, dass dem genannten Worte der Ausdruck
^ (zai-fei) ,bunte Opfergabe' zu Grunde liegt.
In dem Zi-no kagarni hat ^ ,schmähen' die Lesung
sakinamu ( +}- rjz Z, )• Das Wort wird für so viel als das
gewöhnliche sainamu ( dj* f -j- ) ,ausschelten' gehalten.
Sai-sai-silci ( d)~ -f / 'Z ^ ) hat die Bedeutung saja-
saja-siki ,klar'. '
Sa-u, sb ( dj“ fp ) wird im gemeinen Leben für oto-dzure
,Nachricht' gesagt. Es ist das Koje von (sa-u) ,links
und rechts'. In dem Kin-fisseo heisst es: Sa-u-ni ojobazxi ,es
reicht nicht nach links und rechts', d. i. es verlautet nicht.
In Erzählungen findet sich sa-u-naku ,ohne Nachricht' und
anderes.
In dem Geschlechte Gen heisst es: sa-u-ni-mo ma-na-ni-mo
,in Pflanzenschrift und in wahren Zeichen'. /Sa-u (+)" ) ist
das Koje von ]||f ,Pflanze'.
In dem Ausdrucke sa-u-suru ka-u-suru ,auf diese Weise
thun, auf jene Weise thun' wird der Laut sa (ij - ) zu sa-u
( Ifp ) gedehnt. Sa ist die Rückkehr von sika ,so'. Sa-u-suru
hat die Bedeutung von sika-suru ,so thun'.
Sa-u (ff ) als ein Wort der Bejahung ist so viel als
sa-aru ( dj“ y j ,so ist es'. Die Rückkehr von am ist u.
Sa-u (dj" fz ) ,Glück und Unglück bestimmen' ist das
Koje von ,beobachten'. In dem Geschlechte Gen findet
sich jamato-sa-u ,die Beobachtungskunst von Jamato'. Man
vermuthet, dass diese Kunst in dem genannten Reiche über
liefert worden sei. Ein Menschenbeobachter heisst * A
(sb-nin). Man sagt, dass Fudzi-wara Naka-nawo und Andere
solche Meuschenbeobachter gewesen.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
59
Sa-u-ka ( t)" A? j] ) ist in clem Geschleckte Gen die
Lesung m ^ ,Lieder singen'. Gegenwärtig wird sio-ga
(ly ^ 7 jf ) ausgesprochen. Sa-u-ka hat auch die Bedeutung
JEfl ^ (sa-u-ka) ,früher Gesang'. Faja-uta
welches die Lesung des letzteren Wortes ist und sich auf
die gottesdienstliche Musik (kagura) bezieht, soll davon ver
schieden sein.
Sa-u-zoku ( +)' )/''(7 ) ist in Erzählungen die Lesung von
zjjfe , Anzug 1 . Man findet auch sa-u-zoki-te (dj" f? W )•
Es ist so viel als sa-u-zoku-site ,den Anzug bewerkstelligend'.
Die Rückkehr von ku si ist Id. Auf ähnliche Weise ist sa-u-
zohasu so viel als sa-u-zoku sasu ,den Anzug
bewerkstelligen lassen'. Die Rückkehr von ku sa ist ka. In
dem I-se-mono-gatari hat wonna-no sa-u-zoku ,Anzug des Weibes'
die Bedeutung josofi ,Putz'. Gegenwärtig sagt man für sa-u-
zoku allgemein sija-u-zoku, sio-zoku ( 2/ A? (7 ).
Sa-u-zimi (d)~ )£? £)> <E. )> das in dem Geschlechte Gen
vorkommt, soll das umgewendete Koje von iE # , richtiger
Leib' sein.
Sa-jeda ist die Lesung von ,kleiner Ast' und wird
von dem Bambus gesagt. In dem Mo-siwo-gusa hat daher der
Bambus den Namen sa-jeda-gusa ,die Pflanze der kleinen Aeste'.
Die Flöte, welche Fei-nori-mori bis zu seinem .Tode bei
sich trug, wird ebenfalls sa-jeda genannt. In dem Sei-sui-ki heisst
es, da es in tiefer Nacht kalt gewesen (jo-no fuhuru mama-ni
saje-kere-ba), habe sie diesen Namen erhalten. 1 Indessen hat die
in einem Palaste der südlichen Hauptstadt aufbewahrte Flöte
der kleinen Aeste (sa-jeda-fuje) eben drei kleine Aeste (fodo-
josi-ni ko-jeda mi-tsu ari).
Mit saivo ( dj“ t' 1 ) ,Stange' zusammengesetzt sind mono-
fosi-sawo ,eine Stange zum Trocknen der Kleider', kara-usu-
no sawo ,die Stange des chinesischen Mörsers'.
In dem Man-jeo-siü wird fito-dama-no ^ (sawo)-
naru ,die grüne (unreife) Seele des Menschen' gesagt. Saivo
ist so viel als sa-awo ,grün'. Sa in die Länge gezogen, birgt
den Laut a in sich. Sa hat die Bedeutung yJ-> (sa) ,klein'.
Es ist das gegenwärtig übliche Wort masawo (dj~ ) ,ächt
1 Das Wort könnte demnach als saje-da ,kühles Feld 4 betrachtet werden.
60
Pfizmaier.
grün', welches die Zusammenziehung von masa-awo. Auch in
dem Geschlechte Gen findet sich iro-wa sawo-ni siroku ,die
Farbe acht grün und weiss'.
In der verschlossenen Abtheilung des Palastes befindet sich
ein Ort, welcher ^ (saivo)-no ^|j (ma) ,Zwischenraum der
Stangen' genannt wird.
Sa-wotome-gusa ,Pflanze des Mädchens des fünften Monats'
heisst in den östlichen Reichen die blühende Magenwurz (fana-
sio-bu). In der Nähe von Je-do und in Ka-ga heisst sa-wotome
das Wasserinsect mai-mai-musi ,Einauge'.
Sawo-fime Jj* jj? ^ ytdurch Ji|i und andere
Zeichen ausgedrückt, ist der Name der dem Frtihlinge Vor
gesetzten Göttin. Man glaubt, dass sawo die Bedeutung sa-aioo
,klein grün' haben könne.
In Kuan-tö ist sawo-fime der Name der Pflanze dzi-wb
( *7 ^7 ) ,Beinwell'.
Die jungen Falken, die von dem dritten Monate des
Jahres angefangen in dem Hause mit Netzen gefangen werden,
heissen ebenfalls sawo-fime. Man sagt, es sei ein Wort für
awo-taha ,grüner Falke'.
In dem Kami-jo-bumi ist sdka ( ij - j] ) die Lesung von
,losmachen'. Es ist so viel als saku ) ,zerreissen'.
Saka ( dp j] ) als Lesung von *|^ ,weise' ist die Ab
kürzung von sakasi.
In dem Nippon-ki ist saka (Jj* jj ) die Lesung von TCh
,Mütze'. Es wird von dem Hahne gesagt und mit saka ,Berg
treppe' verglichen. Noch gegenwärtig hat to-saka, Abkürzung
von tori-saka, die Bedeutung ,Hahnenkamm'.
Saka (jj ) als Lesung von ,Scheffel' ist in dem
Nippon-ki zu sehen. In dem Man-jeö-siü wird ^Sjg| ,hundert
Aufhäufungen' geschrieben und momo-saka ( dp j] )
gelesen. Man erklärt es mit w ^ ,hundert Scheffel'. Da
sowohl als für ,Scheffel' gebraucht werden und sijaku
() auch das Koje von ^ ist, so glaubt man, das
Koje sijaku sei zu saka umgewendet worden. Ebenso sei saka
als Lesung von ^ (siaku) eigentlich das umgewendete Koje.
Saka als Lesung von R ,Schuh, ein Längenmass' ist
ein aus dem Koje sijaku gebildetes Jomi. Auf ähnliche Weise
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
61
hat ^ .rother Sperling' die aus dem Koje siju-ziaku
( ZL ) entstandene Lesung su-saka ( X 77 )■
Indessen wird gesagt, das Wort komme in dem Ko-zi-ki vor
und habe die Bedeutung + (so-fakari) ,zehn Messungen'.
Die Rückkehr von so fa sei sa, und ka sei die Abkürzung
von kari.
Saga (dj- ) ist in dem Nippon-ki die Lesung von
jj^ glückliches Vorzeichen', ^ ,gut' und ,angehorne
Eigenschaft'. Es wird mit sugu ,gerade' und suga ,klar' ver
glichen. Auf die ursprüngliche Eigenschaft bezieht es sich in
den Ausdrücken jo-no saga ,die Eigenschaft des Zeitalters',
saga min ,die Eigenschaft sehen werden', saga-wo kakusu ,die
angeborne Eigenschaft verbergen', saga-wo aravmsu ,die an-
geborne Eigenschaft an den Tag legen'. Dass jedoch in der
Geschichte des Kaisers Kö-toku das Zeichen ,Fleck, Fehler'
die Lesung saga hat, wird als unrecht bezeichnet.
Saga-mi, der Karne eines Reiches, ist die Umwendung
des Koje der Zeichen ^ (sa-u-mo). Saga ist die Laut-
umwendung von sa-u mi die Lautumwendung von
m,o ("E;)- Auf ähnliche Weise hat * # (sa-u-raku) die
Lesung saga-ra (ij~ ~tt ~7 )■ Der Name hat, wie man sagt,
ursprünglich die Bedeutung m. m (saka-mi) ,von der Berg
treppe sehen', weil es ein Reich ist, auf welches man von Asi-
gara und Fako-ne herabsieht. Man sagt ferner, in mu-sa-
(kamt) ,oberhalb Musa' sei nm weggelassen worden und man habe
das Reich im Gegensätze zu dem Reiche Musasi 1 so benannt.
Saga-mi-garca ,Fluss von Saga-mi' soll der heutige Fluss
Ba-niü-gawa in Saga-mi sein.
In dem Kami-jo-bumi ist sa-gami die Lesung von ßjjdj pji
,beissend'. Es wird die Bedeutung sa-kami ,klein beissend' haben.
In dem Rei-i-ki hat •f||| ,Gelehrter' die Lesung saka-siri
O tl 1/ IJ )• Das Wort ist die Zusammensetzung von saka
,verständig' und siri ,Wissen'.
Saka-gnri ( Ij ) ist in dem Wa-mei-seo die Lesung
von ,vom Wein zornig oder rasend'. Es ist die Abkürzung
von saka-ikari. Das Zi-no kagami liest saku-kari ^7 ~)j Ij j.
1 Musasi müsste demnach die Abkürzung von mu-sa-simo ,unterhalb Musa‘
sein, was jedoch in der Erklärung 1 des Wortes musasi nicht angegeben wird.
62
Pf izm aier.
Sakasi-ra ,Verleumdung' soll, wie angenommen wird, den
Sinn von saka-sima ,verkehrt' haben. Dagegen wird eingewendet,
dass in dem Man-jeö-siü das Wort die Schreibung ^ jjt.
(sakasi-ra) hat und ihm der Sinn von sakasi-datsi-te mono-suru
,sich für weise ausgeben' zukomme. Es sei, wie man gegen
wärtig kasiko-date ,Schaustellung von Scharfsinn' sagt. Aus dem
Worte wurde auch das Zeitwort sakasirafu ( ~Jj 2/ 7 ^ )
gebildet. In dem I-se-mono-gatari ist sakasi-ra die Lesung des
Zeichens ,Affe'. Es ist eine Lesung der Bedeutung. Diese
Lesung wird in dem Sinne des gegenwärtig üblichen (sarn)-
kasikosi ,affenklug' angewendet. Das Man-jeo-siü sagt:
Ana mi-niku \ sakasi-ra-ico su-to | sake-nonxanu \ fito-wo
joku mire-ba | saru-ni-ka-mo niru.
,Sehr abscheulich! | Der, um zu verleumden, | keinen
Wein trinkt, | den Menschen gut wenn man betrachtet, | ist
er einem Affen auch ähnlich'.
Sakasi-meki ,wie Verleumdung ausselien', sakasi-datsi
,Entstehen der Verleumdung', sakasi-gari ,verleumden wollen',
sakasi-buri ,Weise der Verleumdung' und andere Wörter,
welche je nach den Stellen ihres Vorkommens sich verändern,
behalten die Bedeutung sakasi-ra ,Verleumdung'.
Saka-jaki (^ j, durch |j|| ,Mondstirn' und
M ft ,Ersatz des Mondes' ausgedrückt, ist das geschorene
Vorderhaupt. Es soll die Bedeutung von ll|J (saka-kagajaki)
,Glanz der Mütze' haben.
Saka-fogafi ist in dem Nippon-ki die
Lesung von ^ ,langes Leben'. Es hat die Bedeutung saka-
fogi ,bei dem Weine beglückwünschen'. Die Rückkehr von
ga fi ist gi.
Saka-tate-me ,das den Wein hinstellende Mädchen' ist ein
dem Palaste des grossen Gottes von I-se und dem Palaste
Tojo-ke zugeselltes Mädchen. Es sind deren je zwei, welche
den ältesten Obrigkeiten ein mit den Blättern des heiligen
Baumes (saka-ki) umwundenes Weingefäss darreichen.
Saka-makura, durch ,Polster der Bergtreppe'
ausgedrückt, ist ein Polster, welches bei dem Feste des grossen
Kostens und des neuen Kostens über die achtfache Flurmatte
(ja-je-tatami) gelegt wird. Dasselbe ist drei Schuh lang und
vier Schuh breit.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
63
Saga-niJcuki ( ~ 4-) ' lat den Sinn von saga-
naku nikumasi-ki ,unheilvoll und abscheulich'. Das Siu-i-siü
sagt: fito-no mono i-i \ saga-nikuki jo-ni ,in einer Welt, in der
die Reden der Menschen unheilvoll und abscheulich'. Auch in
dem Murasaki siki-be-nikki heisst es: mono-i-i saga-naku ,die
Rede unheilvoll'.
Saki-ku d^rch 2p £ ,ruhig und sicher
sein mögen' ausgedrückt, ist in dem Kami-jo-bumi ein Wort,
mit welchem man den Abreisenden das Geleite gibt. Es heisst
saki-ku owasi-mase ,reise glücklich'. Man glaubt, es habe die
Bedeutung (saki-knru) ,glücklich kommen'.
Saki-tama ist in dem Wa-mei-seo die Lesung von ^ zjjb
,glücklicher Geist'. In dem Nippon-ki wird saki-mi-tama ge
lesen. Gegenwärtig sagt man im gemeinen Leben saki-tama
toru ,den glücklichen Geist nehmen'. Es bedeutet: die Ge
danken anderer Menschen ermessen.
Saki-mori ist in dem Nippon-ki die Lesung von Kr A
,Mensch des Dammes'. Es hat die Bedeutung |I|^J (saki-mori)
,Wächter des Vorgebirges'.
Sa-gu-zi ( ij~ ?/' ), durch ^ ausgedrückt,
soll das Koje für mi-ketsu-no kami ,Gott der drei Füchse' sein.
Es ist der Gott, welchem die Ackersleute opfern und den sie
für den Gott der Felder halten. Man sagt auch, es sei das
Koje von 'g* p ,Gott des Palastes des Gebetes'. Das
Wort ist mit sija-gu-zi ( welches das Koje von
»± @ si ,Palastvorsteher des Altares' ist, nicht zu ver
wechseln.
Sa-kusa-me ( 1j“ (7 y( ) soll die Schwiegermutter des
Weibes (siüto-me) bedeuten und so viel als llic (sa-
kusa-me) ,Weib der frühen Pflanzen' sein. Auf ähnliche Weise
soll auch sa-naje-wotome ,Mädchen der frühen Sprossen' gesagt
werden. Man findet auch sa-kusa-me-no to-zi ,das Weib der
frühen Pflanzen, die alte Mutter'.
Saku-na-dari (ij~ ^7 ij j hat die Bedeutung
(sakit) -js (na) jjj- (dari) ,schmal und lang herablassen'. In
den Worten eines Gebetes heisst es: jama-jama-no kutsi-jori
saku-na-dari-ni Icudasi-tamafu ,von den Ausgängen der Berge
lässt er in schmaler und langer Herablassung herab'. Eine
64
P f i z m a i e r.
andere Erklärung sagt, die Rückkehr von ku na sei ha, und
das Wort bedeute jjj (saka-tare) ,verkehrt herablassen*.
Sake-bumi ,zerrissene Schrift*, durch * ausgedrückt,
ist ein geheimes Schreiben, durch welches man an Andere
einen Befehl sendet.
Sasi-abura bedeutet das Lampenöl. Das in dem Geschlechte
Gen vorkommende si-soku sasi-tn bedeutet: die Lampe anzünden.
Sase-mo ( 4)~ ) ,Schafgarbe* ist die Lautumwendung
von sasi-mo ( "t ) - D as Makura-sö-si sagt sase-mo-gusa.
Sada ( durch ,Mitte* ausgedrückt, wird von
dem Lebensalter gesagt. Es soll von sadame ,Bestimmung* ab
geleitet sein. In dem Makura-so-si findet sich ito sada-sugi furu-
furu-siki fito ,ein im Alter sehr vorgeschrittener, ältlicher
Mensch*. Es kommt in dem Gen-zi-mono-gatari häufig vor.
Was zu der Wahl des Zeichens & ,Mitte* Anlass gegeben,
ist nicht bekannt. Dasselbe wird als unpassend betrachtet.
Nach einer Erklärung ist das dreissigste Lebensjahr die Gränze
für die Ileirath des Weibes. Das Wort bezeichne daher das
überschrittene dreissigste Lebensjahr. Es habe den Sinn sadame-
sugi ,die Bestimmung überschreitend*. Im Allgemeinen soll sada
mit koro ,Zeit* gleichbedeutend sein.
Sato ,Dorf* wird im gemeinen Leben für das Haus des
Weibes gebraucht.
Sato-gajeri ,die Rückkehr in das Dorf* bedeutet, dass eine
Braut an dem dritten Tage nach ihrer Vermälung in das Haus
ihrer Aeltern zurückkehrt. Gegenwärtig sagt man auch itsu-
ka-gajeri ,die Rückkehr in fünf Tagen*.
Sa-ni-tsurafu (1j~ zr. ^ y f?) ist in dem Man-jeö-siü
zu sehen. Sa ist ein Anfangswort. Ni-tsurafu bedeutet ft
(ni) tsukeru ,Mennig auflegen*. Man findet auch ni-tsükafu
i-ytyy Sa-ni-tsurafu kimi imo woto-me ,der den
Mennig auflegende Gebieter, die jüngere Schwester, das
Mädchen* bezeichnet das rothe Angesicht. Wörtern wie momidzi
,Ahorn*, fimo ,Band* angehängt, bezieht sich der Ausdruck auf
die rothe Färbung.
Sa-ni-nuri-no fune bedeutet ein mit schmalem Mennig
angestrichenes Schiff. Es ist ein bunt bemaltes Schiff. Man
sagt auch, sa sei die Abkürzung und Umwendung von sofo
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
66
( y? und daher sa-ni ) so viel als (sofo-ni)
,rothe Erde'.
Sanu-ki ( der ^ ame e “ es Ke i c ^ es ) i st das
Koje von §|f |1|^ (san-ki). Es ist auch der Name von Gebieten
der Reiche Jamato, Kadzusa und Ina-ba. Es hat hier wie dort
und als Name des Reiches die Bedeutung (sa-nuki)
',eng durchgezogen'. Man glaubt, es bezeichne die Gestalt des
Landes. Nach einer Erklärung hat es die Bedeutung
(sawo)-no ||jj (tsuki) ,Einstimmung der Stangen', ln dem Auf
lesen des Hinterlassenen der alten Sprache (ko-go-siü-i) sei zu
sehen, dass Lanzenstangen (foko-zawo) als Tribut gebracht
wurden. Die Rückkehr von no tsu sei nu, und wo sei weg
gelassen worden.
Für (ne) ,schlafen' wird in Gedichten häufig sa-ne
(+)~ ?) gelesen. Das in dem Man-jeo-siü vorkommende sa-
ne-naranaku-ni ( -jp- -f- -j- ff ™ ) ist so viel als sa-ne-
naku-ni ,olme zu schlafen'.
Sa-ne-kozi-no ne-lcozi ( i)~ fr ZI i)/ ^ Z/ if ) ist ein
altes Wort für ^5 (f oru ) ,gi’aben'. Sa ist ein Anfangswort.
Ne-kozi hat die Bedeutung Iß US ,mit der Wurzel ausgraben'.
Safa (d)~ A) i st * n dem Kami-jo-humi die Lesung von.
,viel'. Safa-ni hat die Bedeutung o-oku atsumari ,in Menge
versammelt'. Es heisst tadzu safa-ni naltu ,die Störche schreien
in Menge'. Wo safa, sawa ( 1)* ) j ) ein den Gedichten eigen-
thümliches Wort ist, wird es für die Abkürzung von sale-ioa
O y" a) ,also‘ gehalten. Es sind Ausdrücke wie kimi-wa
sa-wa ,der Gebieter also', ima-wa sa-wu jetzt also'.
Sa-ba ( 1j* )Yj ist in dem Geschlechte Gen die Abkürzung
von sara-ba ,wenn es so ist'.
Safasu, Saioasu (tf* a X)> durch (M + #) ausge
drückt, bezeichnet den zusammenziehenden Geschmack. Es hat
den Sinn von sawa-jaka-ni suru ,erfrischen'. Das Wort kommt
in sawasi-gaki ,herbe Feigen', ko-zawasi, dem Namen eines
Baumes, und anderen Ausdrücken vor.
Der im gemeinen Leben übliche Ausdruck za-fai-no josi asi
hat die Bedeutung: die Namentafel ist gut, schlecht. m m
(za-fai) ist eine mit dem Namen beschriebene Tafel. Einige
schreiben M- SE (za-fai).
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. XCII. Bd. I. Hft. ü
66
P fiz mai e r.
ausgedrückt, hat die Be-
Scibaku ( 77 j, durch ;
deutung: zertheilen. Sabaki-gami ist getheiltes Haupthaar.
Sabaraka f 1j“ ~y fj ) wird mit sabaku in dem noch
gegenwärtig üblichen kami-wo sabaku ,das Haupthaar theilen'
verglichen und dem Worte der entsprechende Sinn gegeben.
In dem Makura-sö-si findet sich kami-no uruwasi-ki-ga suso
sabaraka-ni ,der Saum des schönen Haupthaares getheilt'. In
dem Geschlechte Gen findet sich kami-sabaraka ,das Haupt
haar getheilt'.
Sa-bafe-nasu ( +)' )Y "p ) hat nach der Schreibart
des Nippon-ki die Bedeutung: ; der Ton der Fliegen' und ,gleich
den Fliegen des fünften Monats'. In dem Man-jeo-siü ist es
ein Polsterwort. Es heisst daselbst sa-bafe-nasu | sawagu ije-
bito ,des fünften Monats Fliegen gleich, | verstörte Menschen
des Hauses' und sa-bafe-nasu \ sawagu ko-ra ,des fünften Monats
Fliegen gleich, | verstörte Kinder'.
Sabi O t!) ist in dem Nippon-ki die Lesung von
,Haue' und II ebenfalls ,Haue'. Beide Zeichen werden auch suki
( ) gelesen. In dem Ko-zi-ki ist sabi die Lesung von 'J'7J
,kleines Schwert, Messer'. Man glaubt, es habe den Sinn von sa-
bije ,klein erkalten'. Fije ( \f JT j ist die Lesung von 7] ,Messer',
wie in dem Kami-jo-bumi an dem Worte Ys 7i (awo-fije) ,grünes
Messer, Bambusmesser' zu sehen. Das Messer wird fije ,erkalten'
genannt, weil es ein kalter Gegenstand (fija-jaka-näru-mono) ist.
,Rost' hat die Lesung sabi, weil er an der Haue oder
an dem Messer (sabi) entsteht. Das Zi-no kagami liest kane-no
sabi ,Rost des Metalls'.
In Redensarten ist sabi so viel als sa-buri ,Aussehen,
Gestalt'. Sa ist ein Hilfswort, bi steht für buri. Die Rückkehr
von bu ri ist bi. Nach Anderen ist es so viel als susabi ,vor
wärts schreiten'. So in den Ausdrücken katsi-sabi ,siegend vor
wärts schreiten', uma-bito-sabi ,die Gestalt eines vortrefflichen
Menschen', wotome-sabi ,Mädchengestalt', wotoho-sabi ,Jünglings
gestalt', kami-sabi ,göttliche Gestalt', okina-sabi ,Greisengestalt'.
Safu, (f~))7) ist in dem Man-jeö-siü die Lesung von [jjp
(safaru) ,abschliessen'. Die Rückkehr von fa ru ist fu.
Saburu (t7V) hat die Bedeutung sa-buru ,so sich
benehmen'. Es ist mit sabi ( Jp ) gleichbedeutend. Saburu
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
67
-3p (ko) bezieht sieb in den Man-jeö-siü auf lustwandelnde
Frauen und Mädchen. In demselben Werke wird hami-saburu
( tl Z. dp y**KS) statt kami-sabi ,göttliche Gestalt' gelesen.
Safe (tp'X) als Lesung von (|) + ^) ist so viel als
safe-giru ,einschliessen‘.
Safe ( -fp-\) als Lesung von ^ ,Verbot' in dem Man-
jeo-hiu ist so viel als safari (dp ) I )j ) ,verschlossen sein'. Es
ist die Abkürzung von safarase O A y -fe) abgeschlossen
machen', wobei farase zu fe wird.
Sa-feJci (dp^X^p), der Name eines Kreises des Reiches
Aki ist das Koje von (sa-faJcu). Dass (faku)
die Aussprache feki (^s ;p ) hat, ist eine Verwechslung der
Laute wie in dem Worte wb-fehi ,gelbe Flügelfrucht', welches
auch wo-baku ausgesprochen wird. Der Kreis erhielt ursprüng
lich diesen Namen weil die Menschen von Jezo daselbst lärmten
(safa-meki). Das Wort safa-meki ,lärmen' wurde zu sa-feki
zusammengezogen. Die Rückkehr von fa me ist fe.
Safedzuru ( dp-X durch pjjj^ und andere Zeichen
ausgedrückt, bedeutet: zwitschern. In dem Man-jeo-siu findet
sich safidzuru ( 1p ). Es hat die Bedeutung |5j|t jjj
(safe-idzuru) ,verschlossen hervorkommen' und bezieht sich auf
die Vögel. Es heisst, man sage so, weil die unbekannte Sprache
der Vögel verschlossen ist und nicht verstanden werden kann
(iza-sirazu tori-no kotoba-wa saivari-te tsü-zi-gata-kere-ba ijeri).
In dem Nippon-ki hat ^ ,chinesische Sprache' die
Lesung kara-safedzuri chinesisches Gezwitscher'. In dem Ge-
schlechte Gen wird safedzuri-te ,zwitschernd' von der unver
ständlichen Sprache der Seelischer gesagt. Noch gegenwärtig
sagt man wohl safedzuru (sajedzuru) ,zwitschern' von der
Sprache eines Menschen, den man nicht verstehen kann. In
dem Man-jeö-siü findet sich in demselben Sinne auch koto-safegu
die Sprache verschlossen', kara-koto-safegu ,die chinesische
Sprache verschlossen'.
Sa-fosu ( dp 7p X ) wird für sa-fosu ,klein trocknen' ge
halten. Man liest nurete sa-fosu ,feucht geworden trocknen'.
Sa-ma in dem Sinne von mono-no suki-ma ,Zwischenraum
einer Sache' hat die Bedeutung sa-ma ,schmaler Zwischenraum'.
68
Pfizmaier.
Sa-ma ,Schiessscharte in einer Mauer', gewöhnlich durch
£ m ausgedrückt, hat die Bedeutung sa-ma ,Zwischenraum
der Pfeile'. Sa ) wird für ja ( ~ s ^ > ) ,Pfeil' gebraucht. Man
sagt auch ja-za-ma ( ^ I) 4 ' V ), was ,schmaler Zwischenraum
der Pfeile' bedeuten würde.
In Naga-sima 1 ist sama ( ij" y ) die Benennung eines
Kindes (seö-ni).
Samadaru ( +)- wird für so viel als sama-
midaruru ,das Aussehen verwirrt oder verstört' gehalten. Man
findet in Erzählungen ei-samadaru ,von Trunkenheit verstört',
naki-samadaru ,vom Weinen verstört und Anderes.
Samii ( ij~ } ist so viel als samuru oder sameru er
wachen, nüchtern werden'. Man sagt jume-ni samu ,aus dem
Traume erwachen', sake-ni samu ,von dem Weine nüchtern werden'.
Samuru oder sameru hat auch den Sinn von suzumu er
kalten'. Man sagt ju-no sameru ,das heisse Wasser erkaltet',
atsusa-no sameru ,das Wetter (die Hitze) kühlt sich ab', kokoro-no
samuru ,das Herz erkaltet'.
In dem Rei-i-ki ist samu ( ij~ ) die Lesung von
,wieder lebendig werden'.
San-ko-sidzumaru, ein im gemeinen Leben übliches Wort,
bedeutet: der Ruf der Berge verstummt'. Es heisst: Die Ge
wohnheit tll Pf (san-ko) ,die Berge rufen' statt T|| (man-
zai)-wo jobu ,den Ruf: zehntausend Jahre! anstimmen' zu sagen,
ist zu den Zeiten des Kaisers Wu von Han aufgekommen.
Das Rö-jei-siü (Sammlung von Gesängen) enthält die Verse:
Jorodzu-jo-to | mi-kasa-no jama-zo | jobafu naru \ ame-no
sita koso | tanosi-karu-rasi.
,Zehntausend Alter! | der Berg der drei Hüte | den Ruf
anstimmt. | Unter dem Himmel alles | wird freudig sein'.
Arten des Rochen (same) sind katsu-wo-same ,Thunfisch
rochen', awo-ira-gi ( f 7 "f 7 4~ )> ( d>ura-ho ( (7‘ y Z7 ),
fira-kasi-ra ,Breitkopf', (neko-zame) ,Katzenrochen', aju-zame
,Blickenrochen', kotsi-zame ( 3 Jf 1 'yi ), (fi)-zame ,Eis
rochen', J|| (fosi-zame) ,Sternrochen', tjj^. (teb)-zame ,Schmetter
lingrochen'. Unter den Speisen wird angeführt (no-ma-gi),
1 Naga-sima ,die lange Insel 1 ist eine Stadt an dem Fusse einer Feste in
I-se, Kreis Ivuwa-na.
\
Nachträge zu japanischer Dialectforachung. II.
69
m * (sio-bokuj-zame ,der das Holz schlagende Roche'. Der
letztere hat in To-sa den Namen Jcase-ftika (jj j7 1i )
,Delphin'.
Für sa-mo ,so' gebraucht man auch sa-mo-jci und sa-mo
koso-wa. Der Ausdruck sa-mo-to aru fito bedeutet: ein so
beschaffener Mensch. Sa-mo-to aru ist so viel als das gegen
wärtig übliche sa-mo-to-rasi-i.
Sa-ja steht für sika-ja ,so wohl'. In dem Geschlechte
Gen heisst es: sa-ja ari-tsuran ,so wird es wohl gewesen sein'.
Ferner wird geglaubt, dass sa-ja ( dj" ) '^° Abkürzung
von sa-ja-u (dj- V? ) ,auf solche Weise' sei. So in dem
Ausdrucke sa-ja-no tsui-de-ni ,bei einer solchen Gelegenheit'.
In den Liedern der Geschichte des Kaisers Zin-mu findet
sich ija saja ||j£ (sild)-te. Man erklärt dieses durch suga-
tatami-wo ija-safa-ni siku ,die Riedgrasmatten in immer grösserer
Menge breiten'. Saja ( dj- W ) ' st c ^ el ' Lautübergang von safa
(t)- )^) ,viel‘.
In dem Man-jeö-sm hat jpj ,klar' die Lesung saja ( I)“ W )'
Das Wort hat die Bedeutung sajuru ,hcll sein'. In dem Ko-
kon-siü findet sich saja-ni-mo mi-si-ka ,man hat deutlich auch
gesehen'. Saja-ni soll die Bedeutung sajaka ,deutlich' haben.
Saja ,Damast' ist die Abkürzung von sa-aja. Sa ist das
Koje von jg}) (sa) ,Flor'. In Erzählungen wird daher sa-aja
(dj- y geschrieben. Auf ähnliche Weise ist sa-rin( dj- )J 2S )
das Koje von # w. ,Damast'. Dieses Wort bedeutet jedoch
in Wirklichkeit einen Webstuhl für Damast.
Zur Bezeichnung der Scheide des Schwertes (katana-no
saja) finden sich in dem Sin-roku-deö die nicht mit Ge
wissheit zu erklärenden Wörter siri-zaja ( Ij dj"'' W ), kari-
zaja ( j] ij dj-») W ; mise - zaja U t -r W) ? sage - zaja
0)-£*•#?).
Sajaka ,hell, deutlich' soll so viel als saje-jaka sein. In
dem Nippon-ki hat (isagijosi) ,rein' die Lesung sajamete
(dj" W W )• Der Sinn ist derselbe.
Das in dem Ko - zi - ki vorkommende ana sajake
CT i-dj-W*-) wird durch take-no fa-no ko-e ? das Rauschen
der Bambusblätter' erklärt.
70
Pfizmaier.
Sajageri ( if~ ^ )J ) hat in dem Nippon-ki die Be
deutungen ,nicht beruhigt, lärmend'. Es hat den Sinn von
sawagu ( 1j~ 7 7*) d n Unordnung sein, lärmen'. Das Ko-zi-ki
hat dafür sajagi ( if "V 4' )• Uie Rückkehr von ge ri ist gi.
Sajagu ( ij* ) ist so viel als sajageru, welches das
abgewandelte sajageri. Die Rückkehr von ge ru ist gu. In
Gedichten bezeichnet es das Rauschen der Blätter, auch das
Rauschen der Dunstdecke (fusuma). So sino-no fa-no sajagu
simo-jo ,die Reifnacht, in der die Blätter des kleinen Bambus
rauschen'. Das Man-jeo-siü sagt: asi-be-naru \ fagi-no fa sajagi
,an dem Schilfufer | des Weiderichs Blätter rauschen'. In einem
Liede des Ko-zi-ki heisst es: taJcu-busuma sajagu-ga sita-ni
,unter der Dunstdecke aus Papierbaum, der rauschenden'. Es
wird angegeben, dass das gegenwärtig übliche Wort sajasu
( X ) denselben Sinn haben könne. 1
Saju (ij" 3.) ist so viel als sajeru ,kühl sein'.
Sa-ju (yrzL) , durch |^J ,weisse Brühe' ausgedrückt,
ist eine klare Brühe. Sa hat den Sinn von su ( X ) >f ar blos,
einfach'.
Savasi-ja bedeutet einen Bleicher. Es hat den Sinn : Haus
der gebleichten Leinwand (sarasi).
Saranu-wakare ,eine Trennung, welche nicht so ist' be
deutet ivakarezu ,sich nicht trennen'.
Arten des Affen (saru) sind mame-zaru , Bohnenaffe', sima-
zaru ,Inselaffe', aka-zaru ,rother Affe'.
Ein Sprichwort sagt: saru-ni je-bo-si ,dem Affen die
schwarze Mütze'. Ein anderes Sprichwort sagt: saru-mo ki-kara
otsuru ,auch der Affe fällt von dem Baume'. Es bedeutet, dass
der Verständige tausendmal überlegt und gewiss einmal fehl geht.
Zu den Zeiten des Kaisers Go-dai-go sammelten sich die
Affen und schlugen die Glocken. Die Heeresmenge vereinigte
sich und warf den Feind zurück. Dieses wird in dem Tai-
fei-ki erzählt.
Saru-fofo hat die Bedeutung: Affenwange.
Man erklärt es durch fo-no utsi sioku-wo kakusu ,in den Wangen
Speise verbergen'.
1 Dieses Wort sajasu wurde sonst nirgends aufgefnnden.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
71
Saru-fofo ,Affenwange' heisst ferner eine kleine rothe
Muschel. Dieselbe ist fleischfarben uncl hat Aehnlichkeit mit
der Wange des Affen. In dem südlichen I-se nennt man sie
tsin-me-gai (’f* 2/ 7 ff H )■ In Tsuku-si heisst sie uma-no
tsume-cjai ,Muschel des Pferdehufes'. In To-sa sagt man tafu-gai
(7 7Ä> Man sagt auch JÖL (tsi)-gai ,Blutmuschel'.
Ein Absud von hundert Arzneipflanzen heisst ebenfalls
saru-fofo ,Affenwange'. Derselbe ist von Farbe roth.
• Ein Gesichtspanzer m » welcher saru-fofo genannt
wird, schützt von den Wangen abwärts.
In dem Ko-zi-ki ist zu sehen, dass (sa-ivi) der
ursprüngliche Name der Berglilie (jama-juri) ist. Der Fluss
m # (sa-wi)-gawa in Jamato erhielt von diesem Worte den
Namen. Man sagt, sa-ivi habe die Bedeutung sa-juri. Die
Rückkehr von ju ri sei i, und toi in sa-toi sei ein Uebergang
des Lautes. Eine andere mögliche Ableitung wurde bei dem
Worte sai-gusa erwähnt.
Sa-wi-sa-ivi ( flj* ^ / ) hat die Bedeutung sawagi-sawagi
,in einander gewirrt'. Die' Rückkehr von iva-gi ist wi. Das
Man-jeö-siü sagt: tama-ginu-no sa-wi-sa-iui sidzumi ,das Edel
steinkleid versinkt in Wirrung'. Man schreibt dafür auch
sa-e-sa-e ( t)" 2 \ )■
Si-u-toku (Jy fp 'p. ff \ das in dem Geschlechte Gen
vorkommt, soll die Bedeutung S JS (sijuku-toku) ,alte
Tugend, Tugend des früheren Zeitalters' haben.
Sigafu ( ff 7 ) den Sinn von tsugafu ,zusammen
fügen'. In der Erklärung Aki-teru’s heisst es: siga fu-wa kusa-wo
kari-te tabanete su-e-ioo musubi-awasuru-wo in ,das Wort be
zeichnet, dass man das gemähte Gras zu Bündeln macht und
diese an den Enden zusammenbindet'. Man sagt auch svgafu
( ff 7/7 )• Formen sind sigafete ( fy ff 7 ) un d sigasi
( ff f In einem Gedichte heisst es: sigajete kimi-ga
mi-mahu-sa-ni si-lsu ,zusammenbindend, zum Futtergrase des
Gebieters macht’ ich es'. Mi-maku-sa ,der Umstand, dass man
sehen will' wird hier als mi-ma-kusa ,sein Futtergras' hingestellt.
Ferner: fatsu-se-ni kusa-ioo \ sigasi-kake-tsutsu ,in Fatsu-se die
Pflanzen | zu binden im Begriffe'. Sigasi ist für sigawasi gesetzt,
72
Pfizmaier.
Si-garami soll den Sinn ^ (si)-garami ,Binden von Reisig'
haben. Es ist die Einfassung- eines Flusses mit Pfahlwerk.
Man liest noch midzu-no si-garami ,Pfahlwerk des Wassers',
nami-no si-garami ,Pfahlwerk der Wellen', i-de-no si-garami
,Pfahlwerk des Wassergrabens'. Im bildlichen Sinne bezeichnet
es jede Einfassung. So in sode-no si-garami ,Einfassung des
Aermels', kaze-no si-garami ,Einfassung des Windes', koke-no
si-garami,Einfassung des Mooses', fana-no si-garami ,Einfassung
der Blumen'.
Sika-su-ga-ni (Zj ~Jj X 7/ — ), c ^ as ’ n dem Man-jeo-siü
häufig vorkommt, ist so viel als das in späterer Zeit gebräuchliche
sa-su-ga-ni ,in der That'. Es hat den Sinn sika-suru kara-ni
,weil es so ist'.
In dem Reiche Mi-kawa befindet sich eine Durchfahrt,
welche sika-su-ga-no toatari genannt wird. Man liest es in dem
Kin-jeö-siu und in dem Sara-sina-nikki.
Siki ( iy' ^ j ist in dem Nippon-ki die Losung von
,Feste'. Man vermuthet, dass es ein coreanisches Wort sei.
,Frauenschuh'wirdjapanisclidurchsikiri^ Ij )
und kon-go (ZI 2S Zt) erklärt. Es heisst, für den Boden
eines solchen Schuhes gebrauche man Leder, die Umhüllung
sei eine Matte (musiro). Das Wort sikiri bezeichne daher eine
Abschliessung (fedate-aru). In dem U-dzi-siü-I findet sich dafür
sikire ( G> R/ ), in einem anderen Werke auch M PJ (siri-
kiri). Gegenwärtig sagt man sekire ( ^ ]y ).
Kon-go ist ^ (|J)j (kon-gb) ,eisenhart'. Hinsichtlich des
Ursprungs dieser Benennung wird angegeben, dass der Bonze
An-zen zur Zeit seiner Armuth Strohschuhe wob und
daraus einen Erwerb machte. Desswegen befragt, antwortete
er, es sei seine eisenharte (kon-gb-no) Gemüthsstimmung. In
I-se werden Strohschuhe von Riedgras (sage) mit dem Namen
kon-go belegt. Kon-go-zaka ,Bergtreppe der Strohschuhe' ist
daher auch ein Ortsname.
Den von einer männlichen Buhlerin (j§ m nan-seo)
mitgenommenen Mann nennt man ebenfals kon-go ,Strohschuh'.
Siki-wi ij ) ist in dem Nippon-ki die Lesung von
,Matte'. Es hat den Sinn von siki-wi ,ausgebreitet sein'.
Nach den Gebräuchen breitete man ehemals über den Boden
eine Matte und setzte sich darauf. Gegenwärtig sagt man go-za.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
73
& Ä (Siki-si) ,Farbenpapier' ist gestreiftes Papier. In
dem Geschlecbte Gen heisst es siroki siki-si-nite täte- ^ (bumi)
nari, es ist eine auf weissem Farbenpapier dargereichte Schrift.
In dem Makura-sö-si wird mitsi-no Jcu-no kami ,Papier des
Reiches Mutsu' und siroki siki-si ,weisses Farbenpapier' neben
einander gestellt.
Siki-si-gata ,Gestalt des Farbenpapiers' soll das bestimmte
Mass dieses Papieres bezeichnen und ein Wort späterer Zeiten
sein. Nach einer Erklärung habe das von dem Dichter ^
Tei-ka gebrauchte Farbenpapier der abhängigen Stadt des
Berges Wo-gura ursprünglich so geheissen.
Das in dem Wa-mei-seö vorkommende siki-si soll eine
Denkschrift bezeichnen. Man glaubt, es könne so viel als some-
gami ,gefärbtes Papier', die in Gedichten enthaltene Lesung
sein. Gegenwärtig sagt man iro-gami ,Farbenpapier'.
Das auf den Rücken der Frauenkleider angebrachte
Papier wird ebenfalls siki-si genannt. Man glaubt, das Wort
könne von siki-si-gata ,Gestalt des Farbenpapiers' abgeleitet sein.
Die Bretter, mit welchen man die Bücher zusammenhält
(fumi-basami-no ita) nennt man ebenfalls siki-si-gata ,Gestalt
des Pflanzenpapiers'. Man sagt auch (sb-si-gata)
,Gestalt des Schreibbuches'. An dieselben war ein Band (fimo)
befestigt.
Das oben angeführte fimi-basami, auch fun-basami ge
schrieben, bedeutet eigentlich ,Bücherscheere'. Es war nämlich
in den alten Zeiten Sitte, die Bücher mit Stöcken von zwei
Seiten zusammenzuhalten.
Ehemals gab es einen Speisekorb ( ge), welcher siki-
si-gata ,Gestalt des Farbenpapiers' hiess.
Siki-gami ( ~tt S. )> w °für auch siki-no kami steht,
wird durch ,Mustergott' ausgedrückt. Man tindet auch
das Wort ik (siki-busi) ,Musterliegen'. Es bedeutet in
Wirklichkeit die ungeheuerliche Zauberkunst vermittelst des
verständigen Geistes (Jjjjjj siki-zin) eines Menschenbildes.
In dem Sen-siü-seo heisst es in Bezug darauf: mono-no ||jj:
(siki)-ni nan kakari-te ,an den Verstand eines Wesens sich
hängend'. In der alten Geschichte wird (siki)-ni mazinai
, Verzauberung durch das Muster' gesagt. Man sagt, die
74
P f i z m a i e r.
Verzauberung entstehe durch ein stellvertretendes Menschen
bild. Auch Kaiser Schi-tsu von Yuen tödtete, wie erzählt
wird, O-hö-ma und erlangte die Haut eines reifen Menschen.
Man hält dieses für die Weise der Unrechten Verwünschung.
Das Sen-siü-seo sagt: An einem Orte des tiefen Gebirges
von Taka-.no, wo man Schädel und Knochen sammelte, wurde
ein Fürst und Reichsminister her vorgeb rächt. Derselbe diente
öffentlich in der Vorhalle des Hofes, nahm den Gehalt seines
Amtes in Empfang und ist noch am Leben.
Ferner wird erzählt: In einem Gebirgsdorfe stürzte ein
Berg plötzlich ein und viele Menschen des Dorfes fanden
dadurch den Tod. Später war ein Mensch, welcher an dem
Fusse einer mehrere hundert Klafter hohen Felsenwand ein
Haus gebaut hatte. Derselbe sah eines Tages, dass der Schatten
eines Menschen sich an dem Felsen abgezeichnet hatte. Die
Farbe würde täglich tiefer. Die Gestalt war sichtlich vorhanden,
Mund, Nase, Ohren, Augen schienen sich zu drehen und zu
bewegen. Als er sich näherte und hinblickte, war es ein voll
ständiger Mensch. Er gab ihm Speise und da dieser sie ver
zehren konnte, nahm er ihn mit in sein Haus und ernährte
ihn. Jener Mensch von der Felsenwand, schien um die Zeit
zwanzig Jahre alt zu sein. Nach einem Jahre Hess man ihn
ein Weib nehmen, und er erhielt einen Sohn. Dieser Sohn ist
noch gegenwärtig am Leben. So wurde es von den Landleuten
überliefert. Dinge dieser Art sind sehr wunderbar.
Siki-sinobu soll für sikiri-ni sinobu fortwährend ertragen'
gesetzt sein. In dem Man-jco-siü wird es M geschrieben,
wobei man den Sinn von sitafu ,sich sehnen' vermuthet.
Siku ist in dem Kami-jo-bumi und Man-jeo-siü die Lesung
des Zeichens ^ ,erreichen'. In dem Ko-zi-ki liest man ofi-
siki-si ,man hat im Verfolgen erreicht', ln den späteren Liedern
liest man oboro-tsuki jo-ni siku mono-zo naiki ,in der Nacht des
trüben Mondes ist Niemand, der erreicht'.
Sigure-no ito ,Fäden des Rieselregens' ist ein Wort, welches
bezeichnet, dass man eine Sache für etwas anderes ansieht,
als sie ist.
Sigure-dzuki ,der Monat des Rieselregens' bezeichnet den
zehnten Monat des Jahres. Noch gegenwärtig sagt man wo-
sigure ,der kleine Rieselregen'.
In den Gedichten Tei-ka’s findet sich sigure-no oku ,der
Hintergrund des Rieselregens 1 '. Es hat den Sinn von fukaki
sigure ,der tiefe Rieselregen'.
Siku-siku ist in dem Man-jeo-siü die Lesung von
,oft, häufig'. Man findet auch siku-siku-ni. Es ist so viel als
siba-siba.
Siku-siku und siku-siku-to soll ferner von sikeru ,dunkel,
trüb' abgeleitet sein und hat, von dem Regen und den Thränen
gebraucht, den Sinn ,in geringem Masse'. Man findet faru-
same-no \ siku-siku fure-ba ,der Frühlingsregen, | leise wenn er
fällt' und taje-gataku kanasi-ku-te siku-siku-to naku-jori foka-
no koto-zo naki ,in dem unerträglichen Leid gibt es nichts
anderes als das stille Weinen'. Gegenwärtig sagt man auch
siku-foku ).
Sikumeru (i^ yi )ly ) wird in dem Ko-kon-siü von dem
Wehen des Windes (kcize-no fuki-sikü) gesagt. Die Rückkehr
von ku me ist ke, wesshalb das Wort für sikeru ( iy ß- )
gehalten wird. Sikeru hat den Sinn von jpß (sikiru) unaus
gesetzt sein'. Nach einer Erklärung soll das Wort bloss den
Sinn von siku ,breiten' haben und meru ist des Versmasses
wegen hinzugefügt worden. Es soll in diesem Falle ein den
überflüssigen Ton bezeichnender Ausdruck sein.
In dem Nippon-ki hat % It ,trüber Himmel' die Lesung
fi-sike ( ti 2^ h~ )- so viel a ^ s fi-no sikeru ,die Sonne
ist umwölkt'. Sike ist mit sigure ,umwölkter Himmel und
Rieselregen' verwandt. Die Rückkehr von ku re ist ke. Noch
gegenwärtig sagt man dafür in den östlichen Reichen gemei
niglich sike und in den westlichen Reichen gemeiniglich sigure.
Das in den Liedern des Nippon-ki vorkommende sike-
sikeku )y 2y ^7 ) hat den Sinn von (ojobu) ,sich
erstrecken'.
Sikodzu { iy ZI ) ist in dem Zi-no kagami die Lesung
von p©£ ,verleumden'. Es hat den Sinn von siko-suru ,hässlich
machen 1 . Es hat auch den Sinn von si-i-koto-suru ,mit Gewalt
Reden führen'. Die Rückkehr von to su ist tsu. Man sagt
sonst gewöhnlich sikodzuru.
Ferner kommt sikodzu als Lesung von (kara-tatsi)
,chinesischer Citronenbaum' vor.
76
P f i z m a i e r.
Sisi-ja ist in dem Nippon -ki ein Jagdpfeil. Es soll
dasselbe sein, was in späteren Zeiten no-ja ,Feldpfeil' genannt
wird.
Sizi-ne (^ ^) hat den Sinn von sigeki ne ,mannich
fache Wurzeln'. Man liest in einem Gedichte asi-no sizi-ne-no
sizi-ne-ja-wa suru ,des Schilfrohrs mannichfache Wurzeln, bilden
sie wohl mannichfache Wurzeln?'
Sisi-icaki ,Theilung des Fleisches' ist in dem Wa-mei-seo
die Lesung von jjp; ,die Muskeln'.
Sisi-buje hat die Bedeutung ,Hirschflöte oder Hirschpfeife'.
Es ist eine Pfeife, mit welcher man die Hirsche herbeilockt.
Das Tsure-dzure-gusa sagt: Zu einer aus den Holzschuhen
(cisida), welche das Weib an den Füssen trägt, verfertigten
Flöte kommen die Hirsche des Herbstes gewiss heran. —
Gegenwärtig gebraucht man die Haut der Ohren des Hirsches
oder die Haut eines trächtigen Hirsches. Man sagt, dass man
auch Froschhaut für vorzüglicher hält. In dem Thai-piug-
kuang-ki heisst es: Aus dem Fette über dem Herzen des
Hirsches verfertigt man Flöten. — In den Denkwürdigkeiten von
Liao heisst es: In der ersten Decade des siebenten Monats
schiesst man Plirsche. Um Mitternacht heisst man die Jäger
das Horn blasen und die Stimme der Hirsche nachahmen.
Wenn die Hirsche sich dann sammeln, schiesst man sie.
Zi-suwi ( ly' x #) ist das Koje von i Je ,selbst
Wasser' und hat die Bedeutung: sich in das Wasser stürzen
(ono-dzukara midzu-ni tö-suru). Es ist nicht das gegenwärtig
übliche Wort A * (niü-sui) ,in das Wasser gehen'.
Zi-suwi, als das Koje von g ,selbst kochen' ist so
viel als sin-sui-ivo sitasi-ku suru ,mit Brennholz und Wasser
sich befreunden'.
Sise ( lS "fe J ist die Zusammenziehung von sinase
( ) ,sterben machen'. In dem Nippon-ki ist sise-
matsuru die Lesung von ,tödten'. In den Liedern des
Ko-zi-ki findet sich inotsi-wa na-sise-tamai-so ,tödte nicht das
Leben', ferner nusumi-sisen-to ,um zu rauben und zu tödten'.
Sita-naga ,lang von Zunge' bezeichnet die Geschwätzigkeit.
Sidari-fa bedeutet: herabhängende Blätter.
Sita-kubi ,unterer Hals' ist in dem Wa-mei-seö die Lesung
von m ,das herabhängende Fleisch unter der Kehle, der Koder'.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
77
Sita-fimo wird in dem mit wahren Schriftzeichen ge
schriebenen I-se-mono-gatari durch T 0 ,unteres Band' aus
gedrückt. Es ist der Lendentheil des Unterrockes. Man sagt
auch sita-jufn-fimo ,das untere bindende Band'.
Sittori (2; y h )J ) ist ein gemeines Wort für sito-jaka.
Es hat den Sinn von ,tief versunken'.
Sidzuri-no Juki bedeutet, dass der angehäufte Schnee von
den Vordächern herabfällt (noki-ba-nado-jori tsumareru juki-no
otsuru). Man glaubt, sidzuri könne den Sinn von sidzu-ori
,leise herabkommen' haben.
In dem in einem Gedichte vorkommenden Ausdrucke inotsi-
sinamasi ,das Leben wird sterben' ist sinamasi ( -j- -v l/)
so viel als sinan ,sterben werden'.
VjJl (‘S’ina-no), der Name eines Reiches, hat in dem
Ko-zi-ki die Schreibung m m (sina-no). Weil der Baum
Sina aus diesem Reiche stammt, kommt das Wort sina häufig-
unter den Namen der Kreise und Bezirke dieses Reiches vor.
So in den Namen Sara-sina, Kura-sina, Fani-sina. Der genannte
Baum, dessen Blüthen von weisser Farbe sind, wird mit dem
Papierbaume (kadzi-no ki) verwechselt. In den göttlichen Auf
zeichnungen von Su-wa, einem Kreise des' Reiches Sina-no,
baut man einen Erdhügel (ivolca) und pflanzt auf ihn zwei
Papierbäume (kadzi-no ki). Ferner wird überliefert, dass man
den Blättern des Papierbaumes (kadzi-no fa) den Namen
(zin-mon) ,göttliches Blumenmuster' gab, wobei man glaubt,
dass es einen Sinn haben konnte. Der Baum Sina ist ein
Baum des Alterthums.
Eine andere Erklärung sagt, das Reich Sina-no habe
seinen Namen erhalten, weil es eine Gegend ist, in welcher
es Stufen und Bergtreppen gibt (sina-sakaru). Es wird an
gegeben, dass in der That Sina-no unter den japanischen
Reichen die höchste Lage hat und dass, wenn man von den
benachbarten Reichen der vier Gegenden kommt, zu ihm empor
gestiegen wird.
Es gibt eine Pflanze von Sina-no (sina-no-gusa) und eine
Goldblume von Sina-no (sina-no-kiku).
In dem Reiche Sina-no wachsen keine Pomeranzen, kein
Thee und kein Bambus. Gegenwärtig bringt der Kreis I-na
grossen Bambus (o-o-dake) hervor.
78
Pfizmai er.
SirU-sen (2s — 2/ 1 ), das in dem Sin-i-siü vor
kommt, hat den Sinn von si-sen ,sterben werden 1 . Sini-senu
( is .zx y welches ebendaselbst vorkommt, hat den Sinn
von si-senu ,nicht sterben 1 .
In dem Reiche Mi-no gibt man dem abgeschälten Baste
des Papierbaumes (kami-no M) den Namen sino (2/ 7 )• Man
vermuthet in dem Worte eine Um Wendung von sina, dem Namen
des oben unter sina-no erwähnten Baumes. Es ergibt sich,
dass dem unter den Namen der Bäume in keinem Wörterbuche
verzeichneten sina die Schreibung n (sina) jClasse 1 zukommt.
Sinafi { 2s 1 ~)r \L )> sinafu ( Jy 1-7) hat die Bedeutung:
sich herabbiegen, sich herabneigen. Man findet janagi-no sinafi
,die Weidenbäume biegen sich herab 1 , fudzi-no sinafi ,die Färbe-
röthe biegt sich herab 1 , fana-no sinafi ,die Blumen biegen sich
herab 1 . In dem Man-jeo-siü findet sich faru-jama-no sinafi-
sakari-te ,die Berge des Frühlings sich herabneigend und
getrennt 1 . Ferner tatsi-sinafu himi-ga sugata ,des sich herab
neigenden Gebieters Gestalt 1 .
Sino-ni ( 2s 1 J — ) hat den Sinn von sinafu ( 2J 1~ 7 )
,sich herabneigen 1 . Man liest sino-ni omofu ,herabgeneigt denken 1 ,
sino-ni tsuju tsiru ,herabgeneigt verstreut sich der Thau 1 . Das
Man-jeö-siü hat auch sinu-ni (2s 1 7 —■ )• Die Angabe, dass
das Wort den Sinn von sigeki jmannichfaltig 1 haben solle, wird
als unrichtig bezeichnet.
Sino-no me-gusa ,Pflanze der Morgendämmerung 1 ist der
Baum ;|jj| (mukuge) ,der Eibisch 1 .
Siba ( 2S )Y) ist in dem Ko-kon-siü die Lesung von
,jetzt 1 . Es hat den Sinn von sibasi ,eine Weile 1 .
(Siba) heisst auch ein Spiel der Knaben. Dasselbe
wird sonst % m (guiva-so) ,Fichte der Dachziegel 1 genannt.
Siba-bune ist ein mit Reisholz beladenes Schiff. In dem
Geschleclite Gen findet sich dafür auch siba-tsumi-bune. Ferner
wird durch das Wort ein fortgetriebenes Schiff (ulcare-taru
fune) bezeichnet.
In der Sammlung der Beziehungen der alten Gegenstände
des eigenen Hofes heisst es: In dem Dorfe O-o-fidzi, Reich
De-wa, befindet sich ein breiter Teich. Man stellt daselbst
jedes Jahr Buddha, den Meister der Arzneimittel, auf und bringt
ihm an dem achten Tage des vierten Monats das Opfer. Vordem,
«
■
Nachträge an japanischer Dialectforschung. II. 19
als man über dem Rande des Teiches des Rasenplatzes (siba-
wara) andächtig betete, riss sich ein vier bis fünf Schuh
messendes Stück Rasen los und schwamm schaukelnd in. dem
Teiche umher. Man nannte es ein Rasenschiff (^ -jfj* siba-
bune) und rief: Lustwandle gemächlich! — Nach einer Weile
kehrte dieser Rasen zu dem ursprünglichen Orte zurück und
blieb an den Boden geheftet.
Siba-burui-bito (2/ ^ )Ls ll ^ ) so ^ einen alten
Menschen bezeichnen und hätte demnach den Sinn: ein häufig
zitternder Mensch. In dem Geschlechte Gen heisst es: kono-mo
kano-mo-ni ajasi-lci siba-burui-bito-to-mo ,hier und dort als ein
wunderbarer häufig zitternder Mensch'.
Siba-buri-ßto (^2^ A) hat die Bedeutung:
,Mensch von der Gestalt des Reisholzes' siba). Man findet:
jama-gatsu siba-buri-fit.o saje tatsi-komi-te, der Bergbewohner,
der Mensch von der Gestalt des Reisholzes kommt nur herein.
In I-jo sagt man sife (^2/ ) für sifina
,unreifes Getreide'.
Sibira ( y ~7 ) soll die Bedeutung (uwami) ,Ueber-
kleid' haben. In dem Nippon-ki wird firabi ( Y. ~7 ) u,lf l
fira-obi ,breiter Gürtel' gelesen.
Sibiri ( 2^ )J ) hat so wie sibira die Bedeutung ,lahm'.
Bin Sprichwort sagt: sibiri mijako-je agare ,der Lahme gehe
nach Mijako hinauf'. In dem Sammelhause des Lächerlichen
heisst es: Im gemeinen Leben sagt man: Lahmer! Lahmer!
Steige auf die Nasenspitze. Dieses bedeutet: Wenn man Staub
auf die Nasenflügel legt, so bleibt er sofort liegen.
Für siburu ,von Geschmack zusammenziehend' sagt man
im gemeinen Leben sibu-kuru ( iy )]y). Bei Tschuang-
tse heisst es: Bei Krankheit ist es bitter und geht nicht ein. —
Das an dieser Stelle gebrauchte ,bitter' wird auch siburu
,von Geschmack zusammenziehend' gelesen. Man sagt, das
Wort habe den Sinn von kisimu ( 4- 2^ A ) ,stecken bleiben'.
Sibuku f 2^ ) hat den Sinn fpf (siki-fuku)
,wiederholt blasen'. Man sagt kaze sibuku ,der Wind bläst
fortwährend'.
Von einem Schiffe gesagt, bedeutet sibuku, dass das
•Schiff auf ein Hinderniss stösst und nicht vorwärts kann. Man
80 Pfizmaier.
glaubt, es könne den Sinn von siburu haben. In dem letzteren
Worte wird nämlich, wie oben zu sehen, der Sinn von liisimu
,stecken bleiben' vermutliet.
fjjjjlj (Siwo-ij ist ein Salzbrunnen. In dem zu dem
Kreise I-boku 1 in Mutsu gehörenden Lehen Tsuki-no Wa liegt
ein Dorf Namens (o-o-siwo) ,das grosse Salz'. Daselbst
befindet sich ein Salzbrunnen (siwo-i). Viele Menschen des
Volkes beschäftigen sich damit, aus diesem Brunnen zu schöpfen
und Salz zu bereiten. Man sagt, bis zu dem Meere seien von
allen Seiten dieses Dorfes vier Tagereisen. Ein Gedicht des
Bonzen Sai-giö sagt:
Ama-mo nahu | ura narazu-site | mitsi-no ku-no \ jama-
gatsu-no kumu \ o-o-siiuo-no sato.
,Ohne Seefischer, | was keine Bucht ist, | wo Mitsi-no
Ku’s | Bergbewohner schöpfen, | das Dorf des grossen Salzes'.
Siwo-no jama ,Salzberg' ist der Name eines Berges in
dem Reiche Ka-i. In dem Ko-kon-siü liest man: siwo-no jama
sasi-de-no iso ,das vorragende Meerufer des Salzberges'. In
dem Reiche Ka-i ist kein Meer. Man sagt jedoch, dass sich
auf dem genannten Berge ein Wassergraben (mizo) befindet,
welcher Salz auswirft.
In den jüngsten Jahren trat in Ni-fu, Kreis I-i-taka in
I-se, in dem dort befindlichen Flusse Ebbe und Flutli ein,
wodurch das Wasser dieses Flusses Salzwasser wurde. Man
glaubt, dieses sei der Grund, dass man einem Berge jener
Gegend den Namen siwo-ta-jama ,Berg des Salzfeldes' und
einem Thale den Namen siwo-ta-dani ,Thal des Salzfeldes'
gegeben habe. Bis zu dem Meere sind von den naheliegenden
Orten über fünf Ri.
Fana-siwo ,Blumensalz' ist gesiegeltes Salz. Ä Ü (ziü-
jen) ,Waffensalz' kommt in der jüngsten Zeit aus Sa-do.
Siwo-jaku ,Salzbrennen' ist eine Beschäftigung der Männer.
Siwo-koku ,Salz schöpfen' ist eine Beschäftigung der Weiber.
In China ist es ebenso Sitte.
Asa-siwo ,Morgenfluth' ist die Fluth des Meeres. Jufu-
siwo ,Abendfluth' ist die Ebbe.
1 Der Kreis P it I-boku wird unter den Kreisen des Reiches Mutsu
sonst nirgends verzeichnet.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
81
Siwo-fi ist die Ebbe. In dem Man-jeö-siü wird nani-wa-
gata siwo-fi ,die Ebbe der Seite von Nani-wa' häufig gelesen.
An dem dritten Tage des zweiten Monats versammelten sich
nämlich an dem Meerufer von Sumi-josi in Setsu Vornehme
und Niedere in Schaaren. Auch an dem göttlichen Altäre von
Sumi-josi'in Tsiku-zen soll an diesem Tage das Opfer der
Ebbe stattfinden. Ferner sagt man, dass man in dem Reiche
To-sa die Tintensteine von Sakura-fama an diesem Tage in
dem offenen Meere wegkratzt und nimmt. In dem Fi-setsu-
roku ist zu sehen, dass die Muschel ifäjj (sia-ko) am dritten
Tage des dritten Monats mit dem Eintritte der Ebbe zum
Vorschein kommt. Dass die heutigen Menschen sich damit
beschäftigen, Muscheln aufzulesen, hat nahezu denselben Sinn.
Siwo-zimu ( ^ ) oder siwo-zimuru soll den Sinn von
nazimi-taru ,vertraut sein' haben. In dem Geschlechte Gen
findet sich jo-ni siwo-zimuru ,mit der Welt vertraut sein'. In
einem Gedichte heisst es: kokoro-jori \ tada uki-koto-ni \ siwo-
zimi-te ,in dem Herzen | nur mit Trübsal | indess man ver
traut ist'.
Siwo-gama ,Salztopf' bezeichnet die Salzschüssel. Es ist
der Herd, auf welchem man Salz brennt (siwo-wo jaku kamado).
Siwo-gama kommt auch unter den Namen einer Harfe
(^ß sib-no koto) vor. In dem Makura-sö-si ist es der Name
der japanischen Harfe (jamato-koto).
Siwo-gama-giku ,Goldblume des Salztopfes' ist der Name
einer Pflanze.
Siwo-midzu ,Salzwasser' ist in dem Zi-no kagami die
Lesung von jijijj (usiwo) ,Fluth des Meeres'.
Siwo-midzu-wo utsu ,das Salzwasser schlagen' wird von
der Vermeidung des Schmutzes (kegare-wo sakufu) gesagt. Es
hat den Sinn, dass die Fluth des Meeres reinigt. Es wird in
der Bannung I-za-nagi-no mikoto’s erwähnt.
[5® (Siwo-ju) bedeutet ,Salzbrühe'. Bei dem Besuche
des grossen göttlichen Palastes machte man unter dem zweiten
Vogelsitze (tori-i) von Salzbrühe Gebrauch und bewerkstelligte
dadurch die grosse Bannung. Dieses ist in dem Jen-gi-siki
zu sehen.
(Siwo-siru) bedeutet ,Salzsaft'. In dem fort
gesetzten Nippon-ki heisst es: In dem Vorhofe verbeugte man
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. 1. Hft. 6
82 Pfizmaier.
sich den Gebräuchen gemäss vor den vier Gegenden des
Himmels und der Erde und trank gemeinschaftlich Salzsaft. —
Man hält dieses für die alte Weise, einen Vertrag zu be
schwören. Auch in den besonderen göttlichen Verzeichnungen
heisst es: Nach der Weisung Tojo-tama-fiko’s gab man ihm
Salzwasser (siwo-midzu). Er trank es und sagte: Wenn ich
diesen Schwur breche, möge ich für ewig aufhören, Salz zu
verzehren. — Diese Art zu schwören war ursprünglich auf
der Insel Tsusi-ma in Gebrauch. Später wurde es allgemein in
der Welt beobachtet. Man hält es für dasselbe, was heutzutage
usiwo-tsigiri ,Uebereinkunft der Meerfluth' genannt wird.
Siwo-jake ,das Salzbrennen' bedeutet, dass das Meer
brennt und Luft emporsteigt (umi-no jalcete ki-no tatsi-noboru).
Auf dem wüsten Meere soll dieses öfters Vorkommen. Nach
der im siebenten Jahre des Zeitraumes Mei-wa (1770 n. Chr.)
eingetretenen Dürre sah man von dem Sonnenuntergänge des
achten Tages des siebenten Monats angefangen bis zu der
siebenten Stunde im Norden rothe Luft. Man sagt, in Mijako
habe es geschienen, als ob es in Waka-sa wäre, von Waka-sa
habe man es in der Gegend des Nordwestens gesehen. In den
Reichen bemerkten es zu gleicher Zeit die Menschen von Je-do,
Ka-ga, To-sa und Bi-tsiü mit eigenen Augen. Die Nacht war
auf allen Seiten roth. Nach Mitternacht zog es sich auf einen
Nebenweg und verschwand. Es hatte sich allmälig erweitert
und nach Osten und Westen geneigt. Es heisst, dass selbst
achtzig- und neunzigjährige Menschen dieses noch nicht ge
sehen hatten. In den westlichen Reichen gab man dieser Er
scheinung den Namen vmi- Km (kuwa-zi) ,Feuersbrunst des
Meeres'. In diesem Sommer waren die Binnenseen sehr klar und
hatten die Farbe der Fischschuppen. Alle Menschen sprachen
von der wunderbaren Sache.
Zu den Zeiten des Kaisers Go-fuka-kusa-no In, in den
Jahren des Zeitraumes F6-dzi (1247 bis 1248 n. Chr.), zeigte
sich an dem achten Tage des siebenten Monates in der nörd
lichen Gegend rothe Luft. Dieselbe hatte die Gestalt eines
Wiesenbrandes (no-bi) und war mit einiger weisser Luft ge
mengt. Sie verdeckte das nördliche Nössel (den grossen Bären)
und war nach einer Weile zernichtet. Dieses ist in dem Fiaku-
ren-seö zu sehen und war nahezu dasselbe.
Nachträge zu japanischer Dialectforschnng. II.
Siwo-no matsu ist der Name einer Art Asche. Es wird
vermuthet, das Wort bedeute ^ (siwo)-no (matsu) ,Salz
fichte 4 . Diese Asche ist seit dem Zeiträume Jei-zin (1467 bis
1468 n. Chr.) bekannt. Man hat tüchtig Erde hineingegeben
(tsutsi-wo joku iri-taru nari). Sngi-no fai ,Cypressenasche 4 und
M-wa,ta,-no fai ,Baumwollenasche' eignen sich zu Räucherwerk,
was in dem Tei-gen-seo zu sehen ist.
Siwo-wo fumu bedeutet: das Salz treten. Fumu ,treten 4
bezeichnet eine wirkliche Handlung. In den Verzeichnungen
der Sitten und der Erde von Tan-ba heisst es: Die Himmels
tochter hasste den alten Mann Wa-na-sa und das alte Weib
Wa-na-sa. Sie sprach: Es ist kein Unterschied von wüstem
Salze. — Das im gemeinen Leben übliche Wort siwo-ni mom.a-
ruru ,mit Salz gerieben werden 4 ist dasselbe. In einer Erklärung
wird auch gesagt, es sei ein Wort, welches darin seinen Ur
sprung hat, dass Fo-susori-no Mikoto, von dem Edelsteine
des Vollseins der Salzfluth (siwo-mitsu-ni) gequält, die Füsse
erhob und das Leiden des Ertrinkens nachabmte.
Siwo-no mitsi-fi ,Fülle und Trocknen der Salzfluth 4 be
deutet die Ebbe und Fluth des Meeres. Man sagt, das Leben
des Himmels und der Erde betrage einhundert neun und
zwanzigtausend sechshundert Jahre. Sie athmen in einem Tage
und einer Nacht zweimal aus und zweimal ein. Wenn sie den
Athem einziehen, steige die ursprüngliche Luft empor und in
dem die Erde versinkt, ströme das Meerwasser über. Bei dem
■ Ausathmen schwimme die Erde wie früher und desshalb ent
stehe die Ebbe.
^ J|jt (Si-ma), der Name eines Reiches, hat den Sinn
von sima ,Insel 4 . In den fortgesetzten späteren Verzeichnungen
von Nippon findet sich: Kreis Tö-si in I-se. Dabei heisst es,
dass I-se getheilt wurde. Man sagte desshalb i-se-sima ,Insel
von I-se 4 . Gegenwärtig gehört der Kreis Tö-si zu dem Reiche
Si-ma. Einige sagen, das Land sei ursprünglich zwischen dem
Reiche I-se und Mi-kawa gelegen und von dem Meere ver
schlungen worden. Man habe später das östliche Ufer des
Reiches I-se abgeschnitten und daraus das Reich Si-ma ge
macht. Es wird bemerkt, dass, wenn man die Gestalt des
Landes betrachtet, dieses glaubwürdig erscheine. Es werde
dieses festgesetzt, indem auch erzählende Werke bestätigen,
6*
84
P f i z m a i e r.
dass in der Bucht von I-zö auf dem Meeresgründe, in einer
Tiefe von mehreren tausend Klaftern ein Vogelsitz (Tempel-
gitter) vorhanden war.
Sima-no ^ (ju) ,Brühe der Insel' heisst ein Ort des
Kreises Adzuma in dem Reiche Ködzuke.
In dem Reiche I-ga schafft man aus dem Erdboden eine
Erde, welche gleich einem rothglänzenden Steine ist. Man gibt
ihr den Namen |I{|| (sima) ,Insel' und gebraucht sie als Düngung
für die Felder (ta-no jasinai-to su).
Simi-mi ( 2/ ^ ) soll den Sinn von ||| (sigesi) ,dicht'
haben. Man liest ame-mo simi-mi ,der Regen ist dicht', tsuju-
mo simi-mi ,der Thau ist dicht'. Die Lesung von ,zu Ende
sein' ist es in den folgenden Versen des Man-jeo-siü: aka-ne-
sasu | firu-wa simi-mi-ni ,der rothe Wurzeln treibende | Tag
wenn zu Ende geht'. Man sagt, das Wort sime-me ( Jy yi )
sei dasselbe. Nach einer Erklärung liest man simi-ra ( iE. 5? )■
Man gibt an, dass es auch so viel als simi-simi ,durchdringend'
sein könne. Auf ähnliche Weise werde ito-do statt ito-ito ,sehr,
überaus' und ara-ra statt ara-ara ,roh' gesagt.
Simi-tsuJcu ( iy E. ^ 47 ), das in dem Geschlechte Gen
vorkommt, soll die gleiche Bedeutung in der gegenwärtigen
gesprochenen Sprache haben. Es hat den Sinn von some-tsuhu
,färbend auftragen'. In dem Ko-kon-siü liest man auch simi-wa
tsuku und Anderes.
Sin-za-u-bune ist ein neugebautes Schiff. Sin-za-u ist das
Koje von ,neu verfertigen'.
Gegenwärtig zur Bezeichnung der Braut eines vorzüg
lichen Mannes und Grossen gebraucht, soll sin-za-u, sin-zb das
Koje von ^ ,tiefes Fenster' sein. In dem Geschlechte
Gen findet sich josoi fuhaki mado-ni i-te ,geschmückt an dem
tiefen Fenster weilend'.
Ferner bezeichnet das Wort eine Buhlerin (#g #§).
Man bezieht es in diesem Sinne auf m m (sin-zb) ,neu ge
schmückt'. Eine Stelle in den Gedichten der Thang lautet:
Neu geschmückt, eigentlich die Welt übertreffend.
Sime ( 2s 1 yt) Nt in dem Nippon -ki und Wa-mei-seö
die Lesung von ,ein Wahrzeichen'. Es hat diesen Sinn
in sime-jufu ,ein Wahrzeichen knüpfen', sime-sasu ,ein Wahr
zeichen hinstellen', simesi-no ,Feld des Wahrzeichens'.
Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
85
Simo-fusa, simosa ( i> -£ der Name eines Reiches,
wird durch (simo-fusa) ,untere Quaste', eigentlich ,unterer
Hanf' ausgedrückt. Nach dem Ko-gon-siü-i wurde in der alten
Sprache für Jjjpji (asa) ,Hanf' das Wort ^ (fusa) ,Quaste'
gesagt. In dem Wa-mei-seo und I-se-mono-gatari wird simo-tsu
fusa für den Namen dieses Reiches geschrieben. Tsu ist ein
Hilfswort.
. Simo-tsu ke ( ^-) als Name eines Reiches ist
die Lesung von jjlj’ ,unteres Feld'. Es ist die Abkürzung
von sim.o-tsu ke-no ,das untere Ke-no'.
Simo-tsu ke kommt ferner als der Name eines blüthen-
tragenden Baumes vor. Man sagt auch b it (nikkuo)-simo-
tsu ke ,Simo-tsu ke von dem Nikkuo'. 1 Das Wort ist von
dem Namen des Reiches abgeleitet. Unter den Bliithen dieses
Baumes gibt es rothe und weisse. Tpf (Nan-kib)-simo-tsu
ke ,Simo-tsu ke von der südlichen Hauptstadt' ist eine kleine
Art. In dem Fu-boku-siü liest man: simo-tsu ke-ja | ko-dake-ni
maziru \ adzi-sa-wi ,mit Simo-tsu-ke, | mit kleinem Bambus sich
mengt | der Wasserstrauch'. Der Baum findet auch unter den
in dem Siü-i-siü enthaltenen Namen der Gegenstände.
Jama-simo-tsu ke ,Simo-tsu ke der Berge' ist ebenfalls
ein kleiner Baum, ebenso kusa-simo-tsu ke ,das pflanzenartige
Simo-tsu ke'.
Simo-no fana ist die Uebersetzung des in den Gedichten
der Thang vorkommenden ,die Blumen des Reiffrostes'.
Sija ( jy ) drückt die Verspottung aus. In dem Ko-
zi-ki findet sich a-a sija-ko-sija ( f' Ls 1 ^ ZJ LS )■ Es
bedeutet das Verlachen (aza-warai-mono). Das Nippon-ki hat
a-a sija-wo ( f 2s ^ 3? )■ Die Laute ko und wo gehen in
einander über. Man sagt sonst das Wort, wenn man die
Menschen schmäht (fito-wo nonosiri-ni ijeri). Das Fei-ke-mono-
gatari sagt: sija kafuri-wo utsi-otose ,die garstige Mütze zu
Boden werfen'. Ferner sija-tsura-wo muzu-muzu-to-zo fumare-
keru ,das garstige Gesicht unsicher haltend, wurde er nieder
getreten'. In dem I-so-fo-mono-gatari findet sich sija-kasi ,die
garstige Fessel'. In dem Kon-siaku-mono-gatari heisst es: sija-
tsura-wa saru-ni ni-te kokoro-iva fisaki-me-ni otoreri ,das garstige
1 Nikkuo ist der Name eines Berges in dem Reiche Siinösa.
86
Pfizmaier. Nachträge zu japanischer Dialectforschung. II.
Gesicht ist demjenigen eines Affen ähnlich, das Herz ist
schlechter als dasjenige einer Handelsfrau'. Ein Scheltwort ist
sija-asi utsi-won-ten mono-wo ,o möchte man sich doch den
garstigen Fass brechen!' Ferner findet sich: sija-goromo-kubi
tori-te ßM-tate-jo ,nimm den garstigen Kragen des Kleides und
ziehe empor!'
Die Wörter B Q # (0110-ga tsitsi ono-ga fawa)
,der eigene Vater, die eigene Mutter' haben in dem Man-jeö-
siu die Lesung sija-ga tsitsi sija-ga fawa ,der garstige Vater,
die garstige Mutter'.
Ziju-boku ( iß ZL Tjf f7) ist das Koje von 7jt ,in
das Holz dringen'. Es bezeichnet die Regeln der Schreibekunst
(fippo) und bezieht sich auf den chinesischen Schönschreiber
Wang-hi-tschi. In den Beurtheilungen der Schrift wird gesagt:
Der Pinsel Wang-hi-tschi’s dringt drei Zoll tief in das Holz.
Verbesserung.
S. 17, Z. 5 von unten statt: stürzte sich in dem Fö-ziö-gawa, zu lesen:
stürzte sich in den Fö-ziö-gawa.
Hartei. Studien über attisches Staatsrecht and Urtundenwesen.
87
Studien über attisches Staatsrecht und
Urkunden wesen.
III.
Von
Wilhelm Härtel,
wirkt. Mitgliede der k. Akademie der Wissenschaften.
Wir haben aus der Untersuchung der probuleumatischen
Formel und ihrer Varianten (Sitzuugsber. XCI S. 183 ff.) man
cherlei über parlamentarischen Usus erfahren, aber nichts was
uns in der Erkenntniss des Unterschiedes probuleumatischer
Decrete und Volksdecrete mehr als die verschiedene Sanctio-
nirungsclausel förderte; denn die doppelte Möglichkeit der Be
deutung, welche man der Formel und in dieser vor allem den
Worten ei? rrjv itpdwYjv sy.x.A7]a(av oder ev r?) xponf) ey.y.hyjcha geben
kann, wird durch keine der mitgetheilten Varianten unzweideutig
entschieden; man kann annehmen — und das ist die allgemein
getheilte Ansicht —, dass der mit eJ/tjcficOat ty; ßouXjj eingeleitete
Antrag ganz und wörtlich, wie er mitgetheilt wird, im Rath gestellt
und ohne jede Veränderung, nachdem er hier angenommen worden
war, in der Ekklesie wiederholt worden ist, um sofort ein end
gültiges Votum des Demos zu provociren, dass also die ,nächste
Ekklesie' von der Rathssitzung, in welcher der Antrag eingebracht
worden war, zu rechnen ist, oder aber, dass die bezüglichen An
träge im Rathe mit Rücksicht auf die Vorlage in der Ekklesie
stilisirt worden sind und der Demos über sie in allen ihren
Theilen abgestimmt habe, so dass also die nächste Ekklesie
von jener aus, in welcher die Anträge eingebracht wurden, zu
zählen wäre. Aus jeder der beiden Erklärungen ergeben sich
staatsrechtliche Consequenzen einschneidender Art. Nach der
ersteren ist die Bule competent ohne vorhergehende Befragung
des Demos jeden Antrag fertig einzubringen, die Ekklesie aber
kann das Meritorische. annehmen, verwerfen, amendiren; nichts
88
II ar tel.
als das zu ISoi;s irj ßouXrj tretende "/.st: tü o^p.to in den Präscripten
der Decrete verräth etwas von der Ingerenz des Demos. Nach der
anderen Erklärung hat das Volk mitzusprechen, ob die bezüg
lichen Anträge eingebracht und auf die Tagesordnung einer
bestimmten Ekklesie gesetzt werden sollen oder nicht, und ge
langt durch diese erste Lesung zur vollen Kenntniss des Gegen
standes und seiner Motivirung; indem es eine Yorabstimmung
(-poystpotovi'a) vollzieht, erhebt es den Antrag des Rathes auf
Einbringung zum Beschluss, während die Entscheidung über
das Meritorische einer weiteren Verhandlung und Abstimmung
Vorbehalten bleibt.
Die erstere Auffassung ist, soweit ich sehe, die herrschende.
Zu der anderen glaube ich in den Demosthenischen Studien II
S. 413 ff. [51 ff.] den Weg gebahnt zu haben, indem ich für eine
Reihe parlamentarischer Verhandlungen diese beiden Stadien der
ersten Lesung und Schlussverhandlung und für das erste den
terminus technicus itpqgjjetpoTOvi'a nach wies. Ausdrücklich bezeichnet
unsere Ueberlieferüng beim Ostrakismus jene auf einen bestimmten
Termin fixirte Verhandlung mit diesem Namen, bei welcher
die Vorfrage gestellt wurde, ob in diesem Jahre das Scherben
gericht abgehalten werden solle oder nicht, oder in welcher,
wenn die politische Lage dies erheischte, wohl auch der Rath
einen Antrag auf Abhaltung stellen konnte. Wir erkannten den
Vorgang dort, wo die Ekklesie richterliche Functionen ausübte,
indem der Rath zu diesem Zwecke nicht eine Ekklesie be
rufen und vor diese ohne Weiteres mit Klage und Strafantrag
treten durfte, sondern wo mit dem Volke vorerst zu vereinbaren
war, ob und in welcher Versammlung eine solche Verhandlung
stattzufinden habe. Es gelang ferner aus Demosthenes ein
Zeugniss dafür beizubringen, dass die Hauptverhandlung über
den Frieden und das Biindniss mit Philipp vom Jahre 346 v. Cli.,
bei welcher die makedonischen Gesandten eingeführt wurden,
durch einen in einer früheren Ekklesie gefassten Beschluss vor
bereitet und eingeleitet wurde, und in Bezug auf einen Ispa
•/.cd osia betreffenden Antrag Protokolle der beiden ekklesia-
stischen Verhandlungen nachzuweisen. Dass wir es dabei nicht
mit einer exceptionellen Procedur, sondern mit einem auf einer
allgemeinen Bestimmung der Geschäftsordnung beruhenden Ver
fahren zu thun haben, deutete ich bei jener Gelegenheit bereits
Studien über attisches Staatsrecht und Urlcundenwesen. III.
89
an, ohne dass ich über Bedeutung- und Tragweite derselben noch
zu jener festen und richtigen Meinung gelangt war, in welcher
mich wiederholte Durchforschung und eingehende Prüfung des
inschriftlichen Materials immer mehr bestärkten; sie allseitig zu
begründen ist Zweck der folgenden Untersuchung, für welche
der erste Theil dieser Studien eine möglichst solide Grundlage
schaffen sollte.
Aber gleich an der Schwelle dieser Untersuchung soll
bereitwillig zugestanden werden, dass meine Auffassung auf
den ersten Blick wenig geeignet scheint, den Unterschied
zwischen den beiden Urkundenarten begreifen zu lassen; denn
sie setzt ausnahmslos erste Lesung, also eine wesentliche gleiche
Behandlungsart aller Anträge, ob dieselben vom Rath oder von
wem immer herrühren mochten, voraus. Weit mehr empfiehlt sich
für diesen Zweck die traditionelle, indem man nach ihr in den
probuleumatischen Decreten die Urkundenform jener Anträge
erblicken kann, welche vom Rathe gestellt und in der Ekklesie
angenommen, also mit einem Probuleuma vor den Demos ge
langten, während jene Anträge, welche mit Umgehung der
Bule unmittelbar in der Ekklesie eingebracht und angenommen
worden waren, in der Form des Volksdecretes beurkundet
wurden. In zutreffender Weise lautete dann die Sanctionirungs-
formel der ersteren säcljs f?j ßoulöj y.a: tw insofern vom
Rathe der Antrag ausging und auch in meritorischer Hinsicht
von ihm ausgearbeitet in die Ekklesie kam, die der anderen Icoijs
tw cvj[j.w, indem der Rath ausser der geschäftsmässigen Behandlung
durch das aus seinem Schoss hervorgehende Präsidium und den
Rathsschreiber damit nichts weiter zu tliun hatte. Und in einem
Punkte scheint auch diese Erklärung das Richtige zu treffen,
im Uebrigen aber wesentlicher Modificationen zu bedürfen.
So formulirt nämlich negirt sie den wichtigsten Satz attischen
Staatsrechts, dass kein Antrag ohne Probuleuma des Rathes
vor die Ekklesie kommen durfte (p.ypev sav aitpoßoökeuTOv ei?
iy.y.kvjciay statp^pecOat), welcher durch einzelne Verletzungen —
uns sind kaum zwei sichere Fälle bekannt — die zudem nicht
unangefochten blieben, nicht aufgehoben wird, ja wie ich in
meinen Demosthenischen Anträgen (Commentationes phil. in
honorem Th. Mommseni Berlin 1877 S. 519 ff.) und in den De
mosthenischen Studien II 365 ff. [1 ff.] gezeigt zu haben glaube,
6**
90
H a r t e 1.
durch jede eindringendere Untersuchung des parlamentarischen
Lebens Athens nur immer mehr bestätigt wird. Sie birgt aber
auch die Gefahr in sich in irrthiimliche Meinungen nach ent
gegengesetzter Richtung abzuirren, indem sie, mit Berufung
auf den Wortlaut der probuleumatischen Formel Seoö/Oa'. ty)
ßouXrj tou? xpoeSpou? oi av Xäyioci xpoeSpEueiv ei? tyjv TcpwT^v
sy.zXyj aiav yp^p-aTicai y.xX. dem Ratlie das Recht zugesteht, was
ihm gut schien und wann es ihm gut schien, als fertigen An
trag vor das Volk zu sofortiger Abstimmung zu bringen. Und
das ist ein Punkt, der sich wenn auch nicht durch einen über
lieferten staatsrechtlichen Satz direct, so doch nicht minder triftig
durch allgemeine Erwägungen und wohl bezeugte parlamen
tarische Vorgänge widerlegen lässt. Dem Volke bliebe allerdings
auch dann die Entscheidung; aber es ist etwas anderes nach
reiflicher Ueberlegung nicht blos der knappen Anträge sondern
auch der Motive oder sofort und unvorbereitet zu entscheiden.
Die vor dem Zusammentritt des Volkes publicirte Tagesordnung
konnte ja nur kurz die zur Verhandlung kommenden Gegen
stände, kaum den Wortlaut der Anträge, sicherlich nicht den
Motivenbericht des Antragstellers enthalten. Der Rath wäre
dann zu einem Einfluss gelangt und es wären Missbrauche
oder wenigstens Klagen über Ueberraschungen und Ueber-
rumpelungen des Volkes unausbleiblich gewesen. Nirgends aber
führt auch nur die mindeste Spur unserer Ueberlieferung darauf
oder auf ein derartiges Verfahren und Verhältniss der parla
mentarischen Competenzen.
Im Gegentheil, wenn auch nicht die litterarische Ueber
lieferung, so lassen doch die Inschriftenreste keinen Zweifel
darüber, dass einerseits das Volk auf die Festsetzung der
Tagesordnung nächster Ekklesien und dadurch auf die An
nahme und die Vorberathung gestellter Anträge Einfluss nahm,
andererseits, dass wenn irgend Jemand ausserhalb des Rathes
in der Ekklesie die Initiative zu einem Antrag ergriff oder
irgend wie der Gang der Debatte dazu Veranlassung gab,
dieser dem Rathe nicht entzogen, sondern ihm vor der defini
tiven Abstimmung zur Vorberathung oder wenigstens Ein
bringung zugewiesen wurde.
Schon Köhler hat im Hermes V 14 auf solche Vorgänge
aufmerksam gemacht, indem er zu der nun im CIA. nr. 7G
Studien über attisches Staatsrecht und ürkundenwesen. III.
91
abgedruckten Inschrift erklärend bemerkt: ,Das Interesse des
Beschlusses liegt in dem von dem gewöhnlichen Geschäftsgang
abweichenden Verfahren. Während nämlich in der Regel An
träge an das Volk vom Rathe aus gelangten, war im vor
liegenden Fall ein Volksbeschluss dem Rathsbeschlusse voraus-
gegangen, welcher letztere aber dann nichtsdestoweniger an das
Volk zu erneuter Beschlussfassung zurückgelangte. Politische
Gründe sind dabei nicht vorauszusetzen, da einerseits die
Zusammensetzung des Rathes in der betreffenden Zeit einen
Conflict der beiden Gewalten nicht wahrscheinlich macht, und
andererseits der Gegenstand nicht der Art gewesen zu sein
scheint, um eine aussergewöhnliche Pression der Volksver
sammlung auf den Rath zumotiviren; der Verlauf der Debatte
in der ersteren konnte an und für sich ohne tiefere Beweg
gründe zu einem derartigen anticipirten Beschlüsse führen 4 .
Köhler kam es nicht darauf an diesen Vorgang erschöpfend
zu behandeln und er begnügte sich dort, einige der Erklärung
der behandelten Inschrift dienende Analoga beizubringen, indem
er nur auf den Beschluss aus Ol. 110, 4 bei Rang. 2277 (= ’E<p.
apy. 1303 und Beule l’Acropole II p. 340), jetzt CIA. II nr. 126,
ferner Rang. 545 (— ’Ecp. dp-/. 1452), jetzt CIA. II nr. 75,
endlich auf Rang. 463 (= ’Ecp. dp/. 1406 und 1997), jetzt CIA.
II nr. 98, welchen Volksbeschlüssen die in einer früheren Ek-
klesie erfolgte Decretirung eines 7tpoßouXeop,a zu Grunde liegt,
verweist. Die inschriftlichen Belege sind aber weit zahlreicher
als es danach leicht scheinen könnte. Obwohl dieselben nicht gleich
artig sind, sondern unter verschiedenen Gesichtspunkten ihre Er
klärung finden müssen, glaubte ich sie doch und zwar alle, auch
jene Reste, welche überhaupt nur so gedeutet werden könnten,
selbst die voreuklidischen Inschriften nicht ausgeschlossen,
hier zusammenstellen zu sollen, indem die Aneinanderreihung
nach der Abfolge der Inschriften im Corpus geschieht.
1) CIA. I nr. 22 1 Frg. de, den Beschluss über die Ordnung
der Verfassung Milets enthaltend :
Z. 12 [iocp]epSG0[ai s]q xbv orjp.ov mo xo --
Es ist nicht mit Sicherheit zu entnehmen ob der genannte
Demos der von Milet oder der athenische ist; mir scheint
aber letzteres wahrscheinlich.
fFsWJHBA
92 Härtel.
2) CIA. I nr. 37. In dem auf die Ordnung der Tribute
bezüglichen ersten Decrete wurde Frg. f—m, o, p auf Antrag
des Rathes (vgl. Z. 40) beschlossen:
Z. 17 ff. - - sqEve'f/.oijcji e[<;] x'ov Stjjaov y. ovj. . . to e]m
s[®Jwv aoxßv, o<p[e'X£tv yjliaq opayjxaq \zpa]q xrjjfi ’AQ]7)va[ta ]
p[ *a]i xw[t] Sy)[X0(ji'(j) '[ su0uvec0ü) p,up£]aai | [opa]x|jwja[i
smaxoq xöv xp]uxä[vsü)v. *a]l sav xt? aXXo? Si[ (j.]y) eivat
x|[aq] xa^fsi? a —lata ] £xi xvji; xpuxav£i'[a? vj av
xpuxajveüv), ax|[i]p.0(; Ia[xw y.ai] xa y[pYjp.axa] aüxoü S[v)p,6ai]a sa[x]u>
y.ai xij<; Oeou [xo Exiosy.a.xov],
Z. 22 ff. £^£V£]vy,£xw §s xjauxa eq [xov] 8ij|jt,ov [vj x[p]u-
xa[vs(]a exavayneg, sx£t[oav xaytaxa .EasXOfl,] ec xpixvjv r^pipav
[xpöxjov p,sx[ä xa ie]p«. e[av] os [p,rj S]tax[p]ay0^ ev xa6[xr),
ypy)[j.cm'c7ai x£p]i xoixou xpw[x]|ov xv) [ucr]x£paia[i <;uve]y<o? [e]ü)<;
[ocv S];ax[p]ay0Yj exi xv)[i; eipr](/.£VV)? xpuxajvei'ai;.
Z. 25 ff. eav 3[e p.]|rj EijEfvEfjuwai kq [xov Svjp/Jov ■») [p,v)] Sifaitpa^wjoi
£Xt offiöv a[uxßv, euOuveaOw [j.u]ptao( §p[ayp.vj]|<jiv e['/taox]oq xwp.
[xpoxavjeuv x,xA.
Eine Verfügung über Verhandlungen der Ekklesie scheint
auch das Amendement dieses Decretes Z. 40 ff. enthalten zu
haben, wie die Worte [xo'uq xp]uxavei[?] o'i av xöxe xuYyävwai xpu-
x|[avs6ovx]s? vermuthen lassen. Ich möchte nicht zweifeln, dass
dieser Entwurf eines Arbeitsprogrammes der unter der Prytanie
Aegeis abzuhaltenden Ekklesien von dem Demos genehmigt
und demnach wohl einige Zeit vor dem Beginn der Prytanie
Aegeis beschlossen worden sei. Anderer Meinung ist Kirchhoff
in seiner Bemerkung zu dieser Inschrift S. 21. In den Prä-
scripten ist sicher ergänzt xv)[t ßouXrj y.ai x<j> St^-mo].
3) CIA. I nr. 38 Frg. e, vermuthlich zu dem mit Frg. c
und d Z. 15 beginnenden Amendement — y.ptxo? eks • x[ä p.ev
aXXa y.aöäxep 6 Sstva] gehörend :
Z. 18 [. . xyjv ßouArjv x|p]oßouA£ucaaav £y[cr£V£YX£Tv kq xov ovjp.ov - -,
Z. 19 x£pi, ty) 5axsp[aia —, Z. 20 [xjijj; aipsoEwi; ypYj[p,axt —.
Vgl. Supplem. S. 13.
4) CIA. I nr. 40, die Decrete der Methonäer enthaltend.
In dem zweiten heisst es:
Z. 32 Ioo^£v xrj ßouXij y.ai [xu Sijp,j(j)]. — Z. 52 7ce[p]i oe
['Hy]-i)oraöA£[o)c yjp^p.axioas, exsioav £oeA[0y] -q | x]pu[xav]s(a -q
Studien über attisches Staatsiecht und Urkundenwesen. III.
93
0£UT[c'pa] p,sTa Ta? ev tw vswpiw s[üöu? | sSpa?] sxKAYjOiav [7tojijaav-
te? 1 tjuv[e|^w? os xoetv T[ä? £n[xXY)d'a]<;, Iw? av Si[axp]a^0^, aXXo
os xpoxpY)p.a[TtW | to>jtw]v iay]8ev, säp.|j.v)t’. ot oTpaTY][Y]ot oewvTa[i],
Es folgte dann Z. 56—60 der in der zweiten Prytanie zu Stande
gekommene Volksbeschluss über Hegesipolis.
5) CIA. I nr. 49 lautet das Amendement des Idyperbolos:
Z. 6 'YxspßoXo? sixs • Ta p.ejy aXXa y.aOdxsp —], Z. 7 [tyjv 3]e
AiavTioa xpuTavstav, sTCipävJ, Z. 8 [sy.y.XY]atav xocjYjcjai Ssza
f)p.£pwv, ottoOev t - Z. 9 - - t • ty]v 3’ «GOajcrfov xoisiv, Z. 10
ty)? AiyYjioo? xpuTavjEi'a?], Z. 11 |y) ßou]X7) (?) Tuepl toütwv xev[t —
Die Ergänzung Z. 8 habe ich nach nr. 55 vorgenommen.
6) CIA. I nr. 55. Es handelt sich um die Ausrüstung
einer Flotte, wie Kirchhoff vermuthet, für die Expedition nach
Sicilien Ol. 91, 1; für die Bedürfnisse der Strategen wird ver
ordnet Frg. c:
Z. 5 [oEOoyJp.svov rj skipspstv, OTav SeY}[i], Z. 6 [sx.y.]XY]o(av
Tcoi^cavTWV Sey.a ^[p.spwv], Z. 7 [Tr]sp' aXXou (AYjSevb? xpoTEpov,
Z. 8 [tyjv 3]s EyzXrjffi'av xoislv tou? xpuTa[vst<?], Z. 9 - - ou toi?
CTTpaTYjYot? twv vswv, Z. 10 — ot? • xspi 3s to'j fy.itXou TWV vswv,
Z 11 [s]xavop0ouo9at ev tw Sv)p.w 6--, Z. 12 [sJy,y,XY)<j(av
XOICÜVTWV, OTav y.e[Xe6wat] V.x\.
7) CIA. I nr. 59 Z. 36 heisst es in dem Amendement
des Diokles:
säv 8s ooy.vj ainou? y.ai
[aXXou Tuy_Eiv ayaflou, tyjv] ßouXvjv xpoßouXeüaaaav
[e^EVEYZ£W El? TÖV 8y)|/,]oV.
8) CIA. I nr. 79. Inhalt und Beziehung des Decretes
sind nicht mit Sicherheit festzustellen:
Z. 17 —18 xpY)p,aTiiieiv 8e at)T0t[? OTav ] y.aOyjTat,
xpcJ)T0t[? p.ETa Ta ispa
9) CIA. II nr. 18, in dem mit Z. 6 [ra p.ev aXXa y.a0a~sp ty)]
ßouXY] ■ ExaivEcrai 3e beginnenden Amendement des Kephalos
heisst es:
Z. 16 <p]a£v£Ta'. SidipopOi; y) | [gtyjXyj ty) ev ty) äxpoxjöXs'. <jty)Xyj
xpoßouX[e|6uoK7av tyjv ßooXYjv xspt] aÜTwv [e]£evspisw e? t|[ov Syjp.ov
] to t[ou] MuTiXYjvaiou ty)[v ßouXijv xpoßouXsöaacra]v e^sv[e'("/.]e1v
e? TOV 8?)'[[MV y.TX.
94
Hartei.
10) CIA. II nr. 61. Die Präscripte des Decretes sind
nicht erhalten:
Z. 27 äxoüoao[av Be xvjv] ßou[Xv]v ä]vxa|[v]aY l Y vwaxo H-® vwv x[wv
ävaYSYpoW^wv (?) sv xij] •/a)o/.o[0|'(‘ ( -/.]ei xpo? xä avxYeYp[ap-p.EVa
ev xai? gxy]Xo:i? e]äv x[ivöj?] odv] xpoßouX£Üaow[av e?£V£Yxeiv ei?
x'ov B]vjp.ov, cjxw; | a]v äxoioa? 6 cv][J.c? ßoü[XeuY) xxw? dxoTrXvjpjw-
Orjaexfai xa | ejXXewcovxo! xxX.
11) CIA. II nr. 65, in dem auf die euboeischen An
gelegenheiten bezüglichen Volksdecret (vgl. Z. 1 [eooijev xw
CYi]p.w):
Z. 5 ff. [Beoo/Oa|i x]w xepi p.ev xwv exiGxp[ax£utja|j.evwv e?
x|yj]v yßpTi xvjv ’Epexpiewv xvjv ßoo[Xv]v TCpoßouXe6aa]|aav li;eve[Y]xeiv
ei[? rvjv xxpibxYjv £■/./,]jXvjGtav, oxw? av [ojixvjv owoiv xaxa [xou?
vcp.o'J? xxX.
Vgl. Xenophon Hell. I 7, 7 eBo^e — xvjv (3e) ßouXvjv xpoßou-
Xeücaoav ei<jeve^xelv oxw xpoxw oi avBpe? xptvotvxo.
12) CIA. II 1 nr. 76, ein Proxeniedecret enthaltend:
Z. 7 ff. sootjev xvj ßouXvj y.al xw B[f ( p.w. Aio|y]s[iV]wv e[tiu]ev •
STcetOYj 6 Bvjp.[o? ejj/%ia|xai 7t]p[oßou]Xe6aaaav xv)p.[ßouXv]v | e^e-
ve^y-etv e]? xöv ovjp.ov [xxepl xpoljevioc]? Ti. . . tpevioa xw Aiv[iw
x<xi] | a[b]xw x[«]i exyövoi?, e<]«]<pt[c0ai x9j]|i ß[ouXvj x]ou? xpoEBpou?
oi [Sv x6|yx“ V(j)<71 xpjoeopeuovxe? e[? xvjv 7cp|tl)xv)v ejxxXvjacav xcpo-
f)ei[vat xepi x oüxcojv, [yv]cÖ(ji.vjv [B]e [i?]u|.i,[ßdXXeoOat 1? | xov ovjpiov]
oxi [Boxei xi) ßouXvj
13) CIA. II nr. 82 b , ein Proxeniedecret enthaltend:
Z. 8 [e]xeax[axei ■ e3oi?ev xyj ßouXvj]i xa! x[w Bv]p.ci) •
eixjev • st^TjepftaQoa xvj ßouXvj, exejiav] 6 o[vjp.o? E(|«]tpic7xai xvjv] ßou-
Xv)[v ixpoßouXeiaaoav eaJeveiYxfsivj-
womit sich der Eingang von 75 Z. 7 exetovj o Bvjp.Jo? e4[v]<fccrxai
und 66 Z. 14 vergleichen lässt.
14) CIA. II nr. 96. Z. 1 ist von den Präscripten nur er
halten [x]vj ß[ouXvj ?, es folgte Z. 2 ein Antrag auf Belobung
[ex]aive[aoa], dann:
Z. 5—10: . . . iwv • [xxsp]’: 3[e xwv ]| iowv e^evfeyxeiv
ei? xov] | o^p.ov ei? [xvjv xpwxvjv exxX]|v;aiav, y vi ')|a[y)v Be ?up.-
ßdXXeJjoOa’. xrj? [ßouX^? oxi Boxei x]|ei ßouXel .
Studien über attisches Staatsrecht und Urbundouvresen. III.
95
15) CIA. II nr. 98. Von den Präscripten ist nichts erhalten.
Z. 4 ff. heisst es:
oxw; [8’] olv y.[a]'t IIpÖTt; 6 [ £upv;Tai] xapa tou By)|j.ou
toü ’AOvjvat'wv c[tou av o£Y)Ta]t aYaGov, t[y)]v ßouXYjv xpoßou-
Xsf'joaaav ec^evsykeiv s[i]; tov 3y)|i,ov etc; tyjv xpt!)[^jv £y.y.]XY]<rtav.
16) CIA II nr. 126:
Z. 6 ff. [eBo^ev TW o]|v)|J.w y.at ts~i ßou[XsI • AtöcpaVTO; ( I>paa]jt-
y.AEtSou Muptv[o6ato; stxsv • xspi w]|v KaXtTsXY); Xspffst oti (viel
leicht y.at nach 409 Z. 5) o ovjp.o; etj«i)<p(]|oraTO auTw xpoß[oüX£U[i.a,
s^Yjcpi'oOat] | ty) ßouAsl tou; [ptsv xposBpou; ypY)||Aa]Tt<7at Tcspt auT[oü
ev ty) irpwTY) EWtX|Y)<j](a, Y v d)[J.yjv Be [au[j,ßäXXEc;Oai ty); ß|ou]XYj;
ei; tov Brj[piov ; oti Boxe! ty) ß|ouXYj], sxatvsaat
17) CIA. II nr. 175 b (S. 412):
Z. 9 sBoijev [r?) ßouXJfi xat tw Bi)ptw • No[0 Ato]|p,eieb[;
Eixe • irjept 6>v o By;|j.o; xp[cT£pov Etl'öcstcTai Ext] | ty); — too];
xpirtavEta;, [tou; xposopou; o'i äv Xdy]|watv sv tw oy)|aw]i xpo-
EppElistV
18) CIA. II nr. 310:
Z. 11 äyaOsi Tu/Et csßoyGat tw B'/jp.w sxatvs!j]ai Atcypwva üpo-
^evou — xat 0T£<pavwc[at crTScpavw euvotoc ]; svExa xat cptXo-
Ttp.[(a; ty;; xpo; tov By)|j.ov] • sip^VY); Be fsvopivYl; caot av twv
x]oXtTWV ßou'AEÜWVTat A6[y)V ], XEpt toutwv twv avopwv
E^EfvsyXc'lV TY]V ßoulvY)V Et;] TOV 0Y)[J.0V oxto; XtX.
, Vs. 23 incipiebat alterum decretum., haud dnbie illud ipsum de
quo vs. 15 —19, praescriptum fuit‘ Köhler.
19) nr. 367:
Z. 3 [Ej'.oEVEY'/.felv], Z. 4 [xpJotjaYayeiv, Z. 5 ff. [oTav.xpwTOv
ot]ov t’ Et - Etva[t oe y'G? y -7.1 o!x(a; I-ptTrJcrtv y.at xpeofooov
xpo; t]y;v ßouXvjv xpo)[TW [j.ETa Ta tspä ata.
Die Präscripten fehlen; in den Summarien ist nur Yjp.o; erhalten.
Köhler ergänzte ['II ßouAY). '0 3]vjpi.o;.-
20) AOvjvatov VI152, das Volkgdecret für die Söhne Leukons
enthaltend:
Z. 53 ff. XEpt Oe twv ypYjjj.ccTwv twv [ocp|ct]X[o](j.svwv toi; xatot
Tot; Asuy.wvo; cx[w;] | av äxoXaßwotv, yp'i)|j.aTtoat tou; xpoEc[pou; j
ot] av AaywTi xposBpEÜstv ev tw 8y)|aw [ty) | 5y]8ÖY) sxt oby.a xpökov
|j.ETa Ta tspa, o[xw; ajv] äxoXa[ß]5vTs; Ta y_pVj(j.aTa p.Y) rptaXwcrft
TW | B]y)|J.W tw AÖYjvaiwv.
96
Hartei.
Dass man die Verhandlung über einen Gegenstand auch in
der Weise beschleunigte, dass zu diesem Zwecke eine eigene
Ekklesie ausgeschrieben wurde, kann aus folgenden Stellen
hervorgehen, die ich als den vorausgehenden verwandt hier
anreihe:
nr. 381 Z. 5:
|y.y.Ar ( Gi[a ev] | iw 0£axp[o) cüvy.krpoi;] y.axä dr^iyicrp.a o . . . | aiaq
0op[ix,ioi; sittev • — Z. 9 [- sSoijsv to) o]-/;p.(i) — Z. 29 ayaOEp
x6-/ei Cieoiyßou xw Svjgw y.xX.
nr. 389 Z. 3:
iy.y.AYpi'a l[v i y.axa S - - cxjpaxo? ’Ep^isu? [eute •
xöv ^pOEOpwv Ixsi^l^e — ] wv floAueüy.TGU 2u[— q y.ai cug-
xpoeopot ■ sooi;]ev xst ßouhsl y.a[t tm ov5p.o) zta.
nr. 459 Z. 3:
[- IxxXyjgta ev xw] Osaxpo) ■!] p.£xay_0sTj[ija] ly. ÜEipaieo)? y.axa xo
t!)i5ipi[ap.a o ewrjsv — Z. 5 s[ooi;]sv xw o-ijp.w — Z. 9
ä[ya0r) xu/Yj oeo]6[/0ai xw S^p-w y.x/..
Durch die mitgetheilten inschriftlichen Zeugnisse wird
zunächst besser als durch alle Präscripte und Lehrbücher der
Alterthümer die staatsrechtliche Thatsache in das hellste Licht
gestellt, dass die Bule für jedweden Antrag, woher immer er
kommen mochte, die vorberathende oder wenigstens einbringende
Behörde war. Einige dieser Anträge, welche sie zur Ver
handlung zu bringen und zu begutachten angewiesen wird oder
welche auf die Tagesordnung bevorstehender Ekklesien gesetzt
werden, sind von der Art, wie Köhler bereits erkannte, dass
sie auf die Initiative des Demos zurückgeführt werden können,
unverkennbar jene, welche in einem Amendement ihren Platz
haben, wie die unter 3. 5- 7. 9 angeführten. Aber ebenso
sicher steht es, dass die Verhandlung anderer auf Antrag des
Käthes durch Volksbeschluss genehmigt wurde, d. h. dass der
Rath sich vom Volke autorisiren liess, Ekklesien auszuschreiben
und ein Probuleuma in einer nächsten Versammlung dem Volke
vorzulegen. Dies lehren die unter 2. 4. 6. 10. 14. 17. stehen
den Beispiele. In den anderen Fällen kann es zweifelhaft
scheinen, ob der Rath oder der erste beste Antragsteller in der
Ekklesie einen derartigen Beschluss veranlasst habe, wie bei 8.
11. 12. 13. 16. 18. 20. In keinem von allen diesen Decreten-
resten aber führt eine Spur darauf — am ehesten könnte man
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
97
noch bei 8 zweifeln —, dass sie eine blosse Massregel des
Ratlies enthalten; alle Mal bescbliesst das Volk ty;v, ßooXvjv ^ps-
ßooXeiaacav sljsve^xeiv oder auch, was sehr zu beachten ist, ein
fach e^svefxeTv, ivxX-qcrlav irowjoat. Der Demos beschliesst mithin
vorher, ehe die Bule mit einer fertigen Vorlage vor die Ekklesie
getreten, nicht die Annahme, sondern die Einbringung der
betreffenden Anträge.
Wenn die bisher geltende Ansicht die richtige ist, dass
der Rath Ekklesien ohne weiteres auszuschreiben und jeden
beliebigen Antrag mit seinem Probuleuma in die erste beste
sofort zur Debattirung und Abstimmung zu bringen allein com-
petent war, sind mir weder diese bloss die Feststellung der
Tagesordnung betreffenden, wie 2) und 4) vom Rath ausgehen
den Beschlüsse des Demos noch die Art, wie in den probuleu-
matischen Decreten 12) 13) 17) des vorausgegangenen Volks
beschlusses gedacht wird, verständlich; denn die Worte etteigr t
b Sfj|xo? eiti;®igtgcc ty)v ßouXvjv xpoßooXsuaacav sqsvEY'/.sw E<iv;cp!<j0ai xr (
ßouXp toü; TtpoEopou; beziehen sich ihrer Fassung nach nicht etwa
auf das Psephisma der Ekklesie als ein günstiges Präjudiz der
nun eingeleiteten Entscheidung wie 16), noch sind sie wohl
passend im Munde desjenigen, dem allein die Competenz zu-
stand Eaevs-punv. Ich meine, aus dieser Formulirung der Raths
anträge geht mit nicht geringerer Evidenz als aus dem cor-
respondirenden Zug der in der Ekklesie angenommenen Be
schlüsse tyjv ßouXr,v (TrpoßouXsÜGacrav) e!;evefxstv die Thatsache her
vor, dass in diesem Punkte weder der eine noch der andere
parlamentarische Factor allein und für sich competent war,
sondern dass es auf die Uebereinstimmung beider ankam. Denn
es wäre sonst nicht erfindlich, weshalb das Volk Gegenstände,
an denen gar nichts Eigenartiges zu entdecken ist, nicht sofort
abtliun konnte, sondern bei dem Beschluss, der Rath solle sie
einbringen, stehen bleiben musste.
Es geht aber zugleich aus dieser Formulirung so zahl
reicher Anträge und Beschlüsse klar hervor, dass sich ihnen
gegenüber die früher als möglich aufgestellte Erklärung, dass
in Volksdecreten unmittelbar in der Ekklesie eingebrachte und
sofort angenommene Anträge beurkundet wurden, nicht halten
kann. Aber wie weit ging dann das Recht der Bule? Wo
begann das unbeschränkte Recht des Demos?
Sitzuagsber. d. phil.-hist. 01. X01I. lid. I. Ht't. 7
98
Hartei.
Diese so dunklen und sich widersprechenden Beziehungen
zwischen den beiden grossen Staatskörperschaften klären sich
wie auf einen Schlag, wenn man die Einbringung der Anträge
von der Verhandlung und Abstimmung über ihr Meritorisches
trennt und beide als selbständige Vorgänge fasst.. Dann war
die Einbringung jener staatsrechtliche Akt, der allein zu seiner
Vollendung der Uebereinstimmung der Bule und des in der
Ekklesie repräsentirten Demos bedurfte, während der Demos
über die verfassungsmässig eingebrachten Gegenstände selb
ständig entschied und wenn sie von einem meritorischen und
nicht blos einem formellen, sich jedes sachlichen Vorschlags
enthaltenden Probuleuma des Rathes begleitet waren, auch im
Widerspruch mit den Anträgen des Rathes entscheiden konnte.
Hatte der Rath in Bezug auf die Durchbringung eines
Antrages keinen anderen als einen rein moralischen Einfluss,
was ja schon die Formulirung des zweiten Theiles der pro-
buleumatischen Formel ffup.ßdXXec0at xr;? ßouXvj? ei? x'ov
oyjp,ov oxt Boxet xr ( ßoiAj] gegenüber der Textirung des ersten
oeScyOat xvj ßouXj) xou? xxpoeBpou? ypr^xav.aai. klar genug andeutet,
so übte er ein verfassungsmässiges Recht in Bezug auf die Ein
bringung in der Art, dass kein Antrag gegen seinen Willen,
aber auch nicht nach seinem Willen allein dem Volke zur
Beschlussfassung unterbreitet werden durfte. Es müsste doch
als ein merkwürdiger Zufall erscheinen, wenn dem nicht so
wäre, dass dort, wo die Competenz des Rathes definirt wird,
wie in dem Satz ouBev eav aitpoßo6Xeuxov et? x'ov oyjp.cv eiotpepeoGai
oder wo, wie in den zusammengestellten Fällen, ein Raths
beschluss zu provociren und die dafür typische Phrase xr)v
ßouXv)v ('irpoßouXsüaarav) eaevsyy.etv zu gebrauchen Gelegenheit war,
in jenen Worten und in dieser Phrase so ausschliesslich das
Einbringen accentuirt würde. Auch ist es unter dieser Voraus-
sehung leicht begreiflich, weshalb der Antragsteller zunächst
und vor allem constatirte hi^oioOat xjj ßouXrj xou? xxpoeBpou? xxX.,
was, wenn die Einbringung eines Antrages vom Rathe allein
abhing, mindestens überflüssig gewesen wäre.
Ich habe kaum gegen den einen Theil meiner Behauptung,
dass nach staatsrechtlicher Theorie gegen den Willen oder über
den Kopf des Rathes kein Antrag eingebracht werden sollte,
Widerspruch zu besorgen, weit eher dagegen, dass es dazu auch
Studien über attisches Staatsrecht und tJihnndcmresen. III.
99
der Zustimmung' des Volkes bedurfte. Dieser Widerspruch lässt
sich aber als unbegründet zurück weisen. Wenn ich mich nicht
täusche, wird nämlich einmal in einem Rathsantrag die Ein
bringung ausdrücklich von der Zustimmung der Ekklesie ab
hängig gemacht.
Auf der Stele CIA. II nr. 114 nämlich ist uns ausser
anderen Aktenstücken der Auszug aus einem Rathsprotokoll
erhalten A Z. 4—16 (S. 51), in dessen ersten Zeilen der Rath
den Phanodemos belobt und bekränzt und zugleich verordnet,
dass dieser Beschluss auf das Weihgeschenk, welches der Rath
gestiftet hatte — es ist dies der uns erhaltene, nicht auf der
Akropolis, sondern in der Stadt gefundene Stein — gesetzt
werde. Unmittelbar darauf heisst es:
Situ; 8’ av y.at 6 | 8rjp.o§ sibw; xä s4v]itcp.eva ty) ßouXij TtEpi
<t>avoS^p.ou xtp.vjGEi y.ai aux'o; [y.]at GTEoavoKiEi, 2av Soy.eT xw
S^p.w y.aÖotzep x^ ßouXvj tob; xposSpou; ot av Xd/wciv xpoe-
Speösiv sv | xw 8vjp.(|) ei; ty)v xpd)TY]V ey.x.Xr ( aiav /pY]p.axi<jai nep!
d’avoo^p.ou y.ai avaKvwjvai xios xb tl^iptap.a -'oYYpap,p.a-sa x«
ov)j;.(ü, y V( *>1 a 4 v 3s ijujxßaXXsaOai xr,; ßouXyjc eic.TOV 8[ij]lp.ov oxt
Scxst tt, ßouXrj — eiratvEirat aux'ov äpsxrj; svey.a y.al Siy.aiouuVY;;
xvj; ei; TYjv ßouXvjv y.at x'ov Sv]|j,ov t'ov ’A0Y]vaEü)v [y.ai xou; aup-
pja^ou; y.ai oxecpavfwjaai ‘/puew cteipdvw aico A opa/p.wv EXEiSav
xa; cböüva; eil), to 8s üpYupiov sivai xo die, xbv exeoavov 6~60sv
av x<i) 3-^p.w ooy.sl -/.xX.
Im Weiteren wird noch die Aufschreibung und Aufstellung
dieses Beschlusses- auf der Akropolis beantragt. Daraus wie
aus dem Mangel eines Zusatzantrages über die Geldbeschaffung
für den Kranz ist es ersichtlich, dass das uns vorliegende
Decret nicht das vom Volke genehmigte, sondern der Entwurf
zu demselben, ein blosser Auszug aus dem Rathsprotokoll ist;
denn der perfecte Volksbeschluss würde allein und für sich auf
der Burg aufgestellt gewesen sein und hätte eine nachträgliche
Bestimmung über die Deckung der Kosten aufzuweisen. Man
kann vermuthen, dass die Einbringung aus irgend welchen
Gründen unterblieb und der sehr ehrenwerthe Rathsmann
Phanodemos in der Art gleichsam entschädigt wurde, dass man
das -poßouXsupa äzupov dem perfecten Ehrenpsephisma des Ratlies
beifügte. Vielleicht war aber das die Veranlassung, dass der
Rath, um auch den Schein eines Uebergriffes zu meiden,
7*
100
Hartei.
jenen beschränkenden Zusatz, der sonst als selbstverständlich
unterbleiben durfte sav ooy.el tm 8f|m -/.aOaxsp xf ßauXvj der pro-
buleumatischen Formel vorausschickte. Vielleicht lag- sie blos
in der ganz ungewöhnlichen und beispiellosen Aufzeichnung
eines unfertigen, probuleumatischen Antrags. Allein man kann
dagegen einwenden, dass die bisher festgehaltene Beziehung
der Worte eav Bo/fj tw Bfp.w y.aöä-ep xvj ßouXf auf den voraus
gehenden Satz eine recht befriedigende Erklärung zulasse. Ich
gebe es zu, wenn das völlig Ueberflüssige, als was der Bedin
gungssatz eav Boy.f| -v.ta. dann erscheint, befriedigend genannt
zu werden verdient, indem ich die Unbeholfenheit der ganzen
Satzverbindung nicht urgiren will. Man hätte aber dann min
destens eav ooy.f a^toc eivat tu 8f|j.w y.aöcraep xf, ßouXfj (erg. eäo^e)
zu erwarten; denn wie die Worte stehen, können sie nur be
deuten ,wenn das Volk beschliesst wie der Rathh So gefasst
ist aber die Beziehung der Worte auf xou? Trpoeopou; y.x'A. allein
einfach und ungesucht und sie wäre wohl längst bemerkt worden,
wenn es nicht als unzweifelhaft gegolten hätte, dass der Rath
unbekümmert um die Meinung des Demos wenigstens einbringen
konnte, was und wann er etwas wollte. Die Worte also, richtig
bezogen und verstanden, bezeugen, dass der Antrag des Rathes
auf Einbringung der Ratification durch das Volk bedurfte und
mit sic xv)V Tipur^v b/.y'Kr^'wt vom Standpunkte des Rathsantrags
aus im günstigsten Fall die zweitnächste Ekklesie gemeint
sein konnte.
Mit diesem Zeugniss lässt sich vielleicht die Formulirung
eines andern probuleumatischen Decretes, dessen lückenlose
Erhaltung ein widerspruchloses und noch klareres Zeugniss für
den zu beweisenden Satz liefern würde, vergleichen, nr. 73, 2,
in welchem dem Philokles des Euldes Sohn das bislang nach
dem Tode seines Vaters provisorisch versehene Amt eines
Volks- und Rathsheroldes definitiv verliehen wird. Die scharf
sinnige Herstellung der arg zertrümmerten Inschrift verdanken
wir Kirchhoff (Philol. XV 409, vgl. Hermes I 15). Es heisst
Z. 14 ff.:
[. . e4Y)<ptc9ai xfj ßou]X9j, eTceiofvj] avfp ü[Y]aOöc
[eYsvsxo o TiaTY)p xou OjiAoy.AEOU? Ttspi x[o]v ofp.o-
[v xov ’Aörjvafcüv y.al x]f,Yy.ä0o8ov xou Sfp.ou, l'irjip-
[i'c0a'. ty) ßouXf xou]? TxpoEopoug bi av xu^^ctv-
Studien über attisches Staatsrecht und Urknndenwesen. III.
101
[wat 7cpoeSp£6ovx£i;] dq rrjv •äpüirp; d/:/.'/:/]da-
20 [v /pY]|j.«xiaat icepl tbjtXoyXsous tou EuyXsouc,
[y.al sav p.ev •/p^aipto]? y.al y.oa[uoq Sonst siva-
|t otaxsp ÜTCYjpe'njx.s] zpuiävcot xoiq asi Trpux—
javefaasiv, Yvri>p.Y)V i;]up,ßdXXea0ai 1% ßouXvjs e-
[tp xov Srjp.ov, oxt Sonst] x-p ßouXrj eivat tyjywq-
[punet'av tptAoy.Asl y.aOsbxsjp xw rcaxpl auxou y.xX.
So unsicher auch der Wortlaut wegen der starken Ergänzungen,
besonders Z. 21 wegen p.sv und Z. 23 wegen des nach "/vtiVv
fehlenden os erscheinen mag, so dürfte doch feststehen, dass
auch hier die Weiterführung der Sache von dem Ausfall einer
die Einbringung begleitenden Vorverhandlung abhängig gemacht
wird, die man nicht leicht anderswo als in der Ekklesie sich
wird denken wollen.
Weit klarer tritt aber die Ingerenz des Demos bei der Ein
bringung in jenen wenigen Fällen hervor, wo das Fehlen der
Worte eiiv)cpicj6ai x-p ßouXvj es ganz unzweifelhaft macht, dass ein
in seiner Gesammtheit zu ratificirender Rathsantrag dem Demos
unterbreitet worden war. Belege bieten folgende Inschriften:
1) 17 b , eine auf die Beschwörung und die Aufschreibung
des mit den Chalkidiern von Euboea' geschlossenen Bundes
vertrages bezügliche Urkunde aus 01. 100, 3 = 378/7 v. Chr.:
nüppavSpo? efesv • irep't 2>v X-
[efouai.v] oi XaXy.io/p, TtpocaYfajYsIv auxou; u-
[p'o; xov B]i)p.ov es tyjv x:pd)xr)V eny.XY]tn'av, ~f~
10 [vüp.Yjv] 3s |up.ßdXXsa0ai x-ijc ßouXvj; o[vi] 8o-
[y.et xyj]t ßouXi) Se/ w eo0at xt]v aup,p.a/ w fa[v] x-
[apä xwv] XaXy.tS|sto]v xur/Y] avaOYj y.a0a ex-
aYY[sXXov]io:[t ojj XaXxiSvjc y.xX.
Ich bemerke, dass diese Urkunde keine Ausnahme von der
II S. 119 gemachten Beobachtung begründet; denn als dieser
Beschluss gefasst wurde, scheint die Verhandlung über den
eigentlichen Vertrag abgeschlossen gewesen zu sein, es han
delte sich nur mehr um die Beschwörung und Aufschreibung
desselben. Vgl. 66 b .
2) 49, eine auf die Verhandlungen mit den Kerkyräern,
Akarnanen und Kephallenen über die Aufnahme in den Seebund
bezügliche Urkunde aus 01. 101, 2 = 375/4 v. Chr.;
102
Hartei.
e3o[<;e xyj ßouXvj y.al xw 8i5|xu]t • Kp[ix]—
5 [s]o; eilte • xepi wv Xe^ouaiv sv xp ßouXijji o'i xx[p]ea-ß[si]—
[?] xwv Kepy.upaiwv y.al x[wv ’Ay.apvdvwv y.a]l xwv Ksfa[X]~
Xyjvwv, exatvdaat p.sv x[ou? xpsaßeic; Kepx.]upaiwv [y.]a-
l ’Axapvavwv y.al Ke<paX[XYjvwv, oxi etulv av]8pe? [a]yafO]—
ol, xept xov ovjp.ov xov [’Aörjvai'wv x.al xouc] <jupp.dyou<; [x.|-
10 al vuv y.a! sv xw xxp6c[0£V ypövw • ctxw? 8’] av itpayßsp]
2>v Seovxat, YtpocaYaYSpv auxou? e? xov SjYjp.ov, y v [A]p.[y)]-
v 3e i;up,ßaXXeaOai xvj? [ßouXij?, oxi Sox.es] xvj ßouXv)-
i dvapjpd^ai xwv ytoXswv x[wv ^xouawv xä o]vop.axa [ej?
xyjv c>xy]Xy)V xyjv ywivyjv xw[v oujjip.dywv xbv] YP°Wa[x]ä-
15 a xyj? ßouXiji; y.al d?xooo5va[i xo'u? opy.ou? xxA.
Dass das Fehlen der Worte xou? ixpoeSpou? o’i av Xaxwaiv xpoeSpeüeiv
es? xyjv xp(l)xv)v ev.vXrfliä') vor ixpoaaYaYEiv i n diesen beiden Fällen
von keiner wesentlichen Bedeutung ist, kann das dritte und
vierte Beispiel zeigen.
3) 66 b , eine auf den Bundesvertrag mit den Königen
der Thraker, Päonen und Illyrier bezügliche Urkunde aus
01. 106,1 = 356/5 v. Chr.,
eSoijev]
7 [xfj ßou]>.p y.al xw oyj|aw • KaXXi(j6e[vvj? ewuev • ayty.Qfi x6]-
[;yvj xou OYjp.jou xou ’AÖYjvaiwv, Se[/]eo9[ai p.sv xyjv aup.p,a^{a]-
[v juvio? ’keys.i 6 aSsXfflbp o Ksxstxspscc . . . ä]
8s[Xo aujxou cruvOsoöai y.al xbv
ovj|.io wv KexpwtöpiSi [y.al xol? aSsXcpot; y.al A]-
umteifw xw üaiojvt y.al Fpaßw [xw ’IXXupiw, xou? 8s icpo]-
sSpou? [o'i Sv Xdywat ix]poeSp[e6eiv e? xyjv YtpwxYjv aotXvjm]-
av xpoo[aYaYsIv itpo? xb]v Sijp.ov xbv äSeXipbv xj-
15 bv Kexpfsxöpto?
Buchstabenreste in Zeile 18 [xyj? ßouXjvj? sc xbv [oYjjp.ov lassen
vermuthen, dass auf die Nennung der in der Ekklesie vorzu
führenden Gesandten der andere Theil der probuleumatischen
Formel folgte.
4) In dem Volksdecret (’AÖYjvaiov VI 152 ff., Rh. Mus.
XXXIII 420) aus 01. 108, 2 = 347/6 v. Chr. steht mitten
unter anderen Anträgen, welche die Verhältnisse mit Spartokos
und Pärisades, den Söhnen und Erben Leukons von Bosporos
regeln, Z. 53 ff.:
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
103
xepi Se xüv /pY]|j.ixTuv xüv [o<p]—
[Et]X[o][Asv(0V toi? xaici xol? Aeuy.iuvo? cx[u?]
av axoXaßucriv xpY)|V.ax!aat xou? xpoeßpou?]
[otj äv Xd/uai xpoESpeüeiv ev tu opiau [ty]]
[öy]36v) stcI or/.a xpuxov [rsxd xd lEpa, S[xu? d]-
[v] aitoXa[ß]övxs? xd /p^ij.axa pd] e-piaküofi tu]
xüv ’AOyjvatuv. ooüvai o[e xa]? üxfypesl]-
[aj? a? aixouoi Sxdpxoxo? y.ai IIaipw[äor l ? y.xX.
In 175 b ist das Fehlen der Worte E’ir,cpfc0ai xp ßouAp vor der
probuleumatisclien Formel nicht vollkommen sicher.
5) Nicht ganz gleichartig ist der später noch näher zu
besprechende und mitzutheilende Beschluss für die Samier aus
01. 94, 2 = 403, 2 v. Chr., nr. l b , in welchem Kephisophon in
den ersten Zeilen 7—13 beantragt die Samier zu beloben und
die früher zu ihren Gunsten in Antrag gebrachten Beschlüsse
rechtskräftig zu machen und einiges Andere, was bei dem
Zustand der Ueberlieferung dunkel bleibt; dann
xposaya-fetv 3£ t-);v xrpeaßet[av]
[xüv Zap.tuv e? xov Byjp.]ov /prjp.axfcaoöat sav xou Seuvxai • xaXeoai
oe y.ai exi
15 [Sefxvov xyjv xpEcßjelav xüv Eapluv g? xo xpuxaveiov e? aüpiov.
In einem unmittelbar folgenden Decrete, das aber in eine
andere Prytanie desselben Jahres, in welcher der Antragsteller
des vorigen Schreiber war, gehört, beantragt ein Anderer:
17 [exaivgoat IIcayjv x'ov] Sdp.iov oxi av})p ayaSö? ecxiv xepi Aöqvatou?,
y.ai ävO’ uv
[ , Souval auxü x'ov 8ijp,o]v Bupeidv xevxay.ooia?
opa/p.a?
[ , oi Se xapl]ai Sovxuv x'o apyupiov •
xpoua^aYEtv oe aüx'o
[v e? x'ov ov)p.ov y.ai eüpeoöai xa]pd xou o^p.ou o xi av SGvYjxai ayaOov.
Ein zu diesen Beschlüssen gehöriges, die Auszeichnung auf die
Söhne des Poses und vielleicht andere Samische Gesandte
erstreckendes Amendement verlangt:
36 [ iva oe eupuvxai y.ai aAAo dyahov xapa] xou of ( p.ou, xpoadyeiv
auxou? xou? xpu [xdv gi]-
[? E? xyjv xp&TYjv ey.y.Xvjoi'av p.Exä xd lsp]a- xpocaya^eiv 3e y.ai
xou? Gel? to[u? 11ooeou|
104
Hartei.
[xou? xpiixaveic I? xv)V ßouXljv t? x^v xp(ox]v)v eopav • xaksaat Ss
•/.a'i y.xA.
Wir entnehmen aus diesen Zeilen des aus dem Archontat
Euklids stammenden Decretes, dass damals noch die Prytanen
die Function des xpocavaystv ei? xrjv xpc!)xr]v e-/.-/.Xrjciav ausübten,
welche wenige Jahre später in die Hände der xpisäpoi überging.
C. Schaefer wies auf das Proxeniedecret nr. 41, welches einen
weiteren Beleg für die alte Einrichtung enthalten soll, ot 8e
xpuxavst? oi aei itpuxaveöovxe? xpooavsvxtov (de scribis senatus, S. 27).
Allein das xpoaaYstv, von welchem 41 die Rede ist, bleibt auch
nach der Einsetzung der xposopot Sache der Prytanen, wie 119 und
605 zeigen können. Der eigentlichen Einführung durch das Prä
sidium der Ekklesie gingen Empfang und Verhandlung in der
Bule voraus und mit Rücksicht darauf heisst es an Stelle des
allgemeineren xpoaaYovxwv z. B. 115: xou? xpuxavstc dt av xpuxa-
veüwatv exip.eXetc0ai oxw? av xpoacBou xu'^avst.
Es sind also, auch von l b abgesehen, eine verhältniss-
mässig grosse Zahl von Inschriften, in welchen jener Zug der
probuleumatischen Formel vermisst wird, auf welchen allein die
bisherige Ansicht sich berufen konnte, um das Recht der Ein
bringung und diesen Akt ausschliesslich dem Rath zu vindiciren.
Es lässt sich sogar auf Grund des vorliegenden inschriftlichen
Materials vermuthen, dass ed>YjipiG0at xij ßouXvj in den probüleu-
matischen Decreten der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts, wenn
es auch nicht in der Regel gefehlt haben mag, so doch nach Be
lieben gesetzt und nicht gesetzt wurde. Damit ist aber jene
widerlegt, indem es mit der Annahme, dass der Rathsbeschluss,
xouc xposcpouc — (xpooaqfaifelv) xpYjp.axtcat, nicht bloss perfect,
sondern auch schon realisirt war, schlechterdings unvereinbar
ist, dass der Sprecher sich nun noch in der Ekklesie erhoben
haben sollte, um zu beantragen, xou? xposäpou? — (xpooay«y4|)
-/pY][j.axf(7ai. Nach unserer Auffassung der probuleumatischen
Anträge ist die Auslassung ohne Belang, indem ihre Ein
bringung von Seiten des Rathes es als selbstverständlich er
scheinen liess, dass das auf Grund eines Rathsbeschlusses
geschah und der Präsident über den Antrag abstimmen lassen
musste, wie er vorgelegt worden war; das Ergebniss dieser
Abstimmung war die Annahme des Ganzen, xo'u? xposäpou? ot Äv
xposSpeietv ei? xv)v xpwxvjv IjotXvjafav /pv;p.axi'oai mit einbe-
Studien über attisches Stuatsrecht und Urkundenwesen. III.
105
griffen, und die Sanctionirungsformel e8o£s ty) ßouXfl Kai xu
bezeugte, dass nicht einen Theil des Antrages der Rath und
den andern das Volk angenommen hatte, sondern dass Volk und
Rath zusammen und in Uebereinstimmung den ganzen perfect
gemacht haben. Es ist nun andererseits aber auch kein Zufall
mehr, der etwa noch durch einen günstigen Fund corrigirt
werden könnte, dass uns kein einziges probuleumatisches Decret
mit ei}iY]f(ä$ai x<j> of ( |j.w an der Spitze der probuleumatischen
Formel erhalten ist.
Wenn man die Beweiskraft der unter 1) mitgetheilten
Inschrift dadurch abzuschwächen hoffen konnte, dass man den
Ausfall der Worte s'}r]<pic0sa xp ßouAvj dem Steinschreiber zur
Last legt, so sperren alle anderen einer solchen Ausflucht den
Weg. Dort gehen Theile des Antrages voraus, die unmöglich schon
um dieser Stellung willen zum Inhalt des mit xou? oe -pisSpoo?
/pvjp.axlaai oder beginnenden Rathsbeschlusses bezogen
werden können, man wäre denn geneigt, in dem, -was der Formel
vorausgeht, Beschlüsse zu erblicken, welche der Rath ohne die
Ekklesie zu fassen berechtigt war. Das aber verbietet der
Inhalt klärlich. Es ginge vielleicht bei 2), wo es sich um
blosse Belobung der Gesandten handelt, geht aber nicht bei
3) 4) 5), wo Beschlüsse vorliegen, wie oe^saöat xyjv aujjp.ayjav,
welche der Rath auf probuleumatischem Wege in weiter un
massgeblicher Weise beantragen, selber aber niemals fassen
konnte. Hätte er dieselben aber wirklich in diesem Sinne be
antragt, dann war ihre Stelle hinter yviop.-^v Be cjup.ßa/AeaÖca ty;?
ßooX^; ei? xov Svjp.ov cxi SokeI xp ßouAY), z. B. 8e-/ec6ai p.sv xyjv crug,-
IJ.a/lct') und entsprechend in den anderen Fällen. Wie also
nicht bezweifelt werden kann, dass der erste Theil dieser An
träge vom Volke beschlossen worden ist, so muss es der zweite
mit der probuleumatischen Formel beginnende Theil sein. Das
Volk besehliesst mithin die vom Rathe beantragte Einbringung
eines Antrages und setzt als Termin der Verhandlung eine
nächste oder in der Regel die nächste Volksversammlung fest.
Immerhin kann die Textirung dieser Decrete auffällig
erscheinen, indem mitten unter andere Anträge ein probu-
leumatischer eingefügt wurde und die probuleumatische Formel
in einer so gekürzten und entstellten Gestalt vorliegt, wie 4)
und 5), dass sie kaum mehr erkennbar ist. Die Aufklärung
106
Härtel.
dieser Cumulirung ist auf Grund unserer Ansicht nicht schwierig.
Nämlich nicht auf einmal, sondern nach und nach wurde es in
der Zeit nach Euklid üblich, dass die zur öffentlichen Aufschrei
bung bestimmten Decrete, wie sie in den Rathsprotokollen
standen, ausgestellt, ja vermuthlich diesen entnommen wurden,
was ohne jede weitere Aenderung ihres Wortlautes geschehen
konnte, indem sie nach unserer Auffassung dort so stilisirt
eingetragen waren, wie sie der Antragsteller in der Ekklesie
zu verlautbaren hatte. In der Regel stellte man noch, wie
im 5. Jahrhundert durchweg, den Text der Decrete aus den
Protokollen der Volksversammlung zusammen, in welchen das
Verhandlungsergebniss über einen probuleumatischen Antrag
kurz mit den Worten xou; Txpoeopou? — ei? xrjv irpdj-vjv IxkXvjci'ay
(icpo<raY*Y e ‘ v ) verzeichnet gewesen sein mag. In der
selben Versammlung mochte aber auch manches Andere auf
dieselbe Angelegenheit Bezügliche bereits definitiv entschieden
worden sein und es konnten Abstimmungsresultate erster und
zweiter Lesung in einer Urkunde vereinigt werden, und dies
um so eher, als ja immer häufiger die Beurkundung der ver
fassungsmässig geschehenen Einbringung auch als Zeugniss
für den meifitorisch conformen Ausfall der Schlussverhandlung
zu gelten pflegte.
Aber nicht weniger einfach erklärt sich von diesem
Standpunkt aus die gekürzte Fassung der probuleumatischen
Formel in den angeführten Decreten. Sie schlich sich bei der
Umwandlung des Rathsantrages über die Einbringung in den
Volksbeschluss unwillkührlich und wie von selbst ein, indem
hiebei äjfv^wöai x-?) ßoeXrj nothwendig fallen musste, der zweite
Theil derselben aber (3? 4. 5) oder wenigstens ein Stück
davon e.lq xcv ovjgov (1. 2) für überflüssig gehalten wurde, indem
es sich, von 1 abgesehen, ja gar nicht in erster Linie um Be
urkundung des Meritorischen des probuleumatischen Antrages
handelte, sondern neben anderen bezeugt werden sollte, dass
ein Termin der Verhandlung oder der Einführung fremder
Gesandten beschlossen worden sei. Bei 4) kann man sich den
noch etwas abweichend von dem früher Bemerkten (II S. 117 ff.)
die Sache so denken, dass in derselben Ekklesie, welche über
das von Androtion beantragte Ehrendecret in zweiter Lesung
verhandelte, vom Rathe ein probuleumatisches Decret, an dessen
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
107
Spitze nicht Androtion als Antragsteller stand, über die Schuld
forderung der Söhne Leukons eingebracht wurde, in welchem
die Verhandlung ohue nähere Bestimmung si? xrjv 'ixpdruvp b/:/j:r r
at'av, d. h. auf die Tagesordnung der ersten regelmässigen
Ekklesie nach den Dionysien und nach der ausserordentlichen,
die am 18. Elaphebolion stattfinden sollte, gesetzt war. Andro
tion mag nun, um den Abschluss zu beschleunigen, beantragt
haben, dass die Sache schon auf die Tagesordnung der ausser
ordentlichen Versammlung gestellt werde (xvj oySoY) etc! os-/.a),
ohne das Meritorische des Probuleuma irgend zu berühren;
daher denn nur der amendirte Theil der probuleumatischen
Formel, nicht aber das ganze Probuleuma in seinem Anträge
Aufnahme fand.
Für den Nachweis der Competenz des Demos hinsichtlich
der Einbringung ist noch die oben unter 16) mitgetheilte In
schrift nr. 126 von besonderem Interesse. In dem Protokoll
dieses Decretes finden wir die Instanzen,, durch welche das
selbe perfect wurde, in einer von allen andern Protokollen
abweichenden IVeise geordnet, nämlich sfSoijev xw Svjp.« y.cd xp
ßauXp. Während Böckh diese Abweichung auf einen Fehler
des Steinschreibers zurückführte, der, nachdem er xp ßouXp vor
xw cpp.w aus Versehen ausgelassen hatte, es hinten nachbrachte
(Epigr. chronol. Studien, S. 14), erkannte Köhler das Zutreffende
dieser Stellung, durch welche auf das in diesem Falle voraus
gehende Votum des Demos (Z. 8 o op[j.oc si]/p®(<jaTO auxw ixpoßsuXsup.a)
hingewiesen wird. Darin liegt ein feiner Zug. der athenischen
Kanzlei, aber fein und sachlich treffend doch nur unter der
Voraussetzung, dass sich die Präscripte auf die Urkunde,
durch welche der Einbringungsakt nach staatsrechtlicher An
schauung perfect wurde, bezogen, fein auf Kosten der Sache,
wenn sie zu der Urkunde gehören sollten, welche an sich und
ohne weiteres die Decretirung des Meritorischen des Antrags
durch die Ekklesie zu bezeugen bestimmt war. Denn zur Be
zeugung dessen ist doch die gewöhnliche Formel s3o£s ip ßouXp
xod xo> besser oder allein geeignet, indem unter allen
Umständen das eco^e tö> cpp.M die Verhandlung abschloss. Die
umgekehrte Stellung der Instanzen hätte die falsche Meinung
erzeugen müssen, dass der Wille des Demos zu seiner Ratifica
tion der nachträglichen Zustimmung der Bule bedurfte. Galt
108
Hartei.
aber die Urkunde der genehmigten Einbringung, welche zwar
factisch, aber nicht rechtlich dem Schlussvotum präjudicirte,
dann begreift man die abnorme Fassung ISoäje xw o-^.w y.xt xyj
ßouAv), indem in diesem Falle abweichend von dem gewöhn
liehen Gang der Dinge — wir haben früher die Fälle dieses
Verfahrens zusammengestellt — die Genehmigung von dem
Volke, welches den Rath nicht bloss zur Einbringung eines
etwa von anderer Seite in der Ekklesie gestellten Antrages,
sondern zur meritorischen Feststellung und Einbringung auf
gefordert hatte, früher gegeben war; sie besagt, dass der Rath
auf Grund der vorausgehenden Abstimmung der Ekklesie die
Einbringung des folgenden Antrages beschlossen und hebt
durch die abweichende Stellung nichts als den Auftrag und
provocirende Initiative des Volkes scharf hervor.
Ja es hätte bei Decreten, die aus einer derartigen vom
gewöhnlichen Geschäftsgang abweichenden Behandlung hervor
gingen, nach der Analogie der beiden in diesen Studien
I S. 620 ff. besprochenen, durch looijsv xyj ßou/öj charakterisirten
probuleumatischen Decrete 168 und 403, über deren Ab
stimmung in der Ekklesie kein Zweifel sein kann, die Sanctio-
nirungsformel auch ungenau heissen können sSoi;ev xü ov;p.(p.
Und so heisst sie in der That auf einer Urkunde, die augen
scheinlich den hier entwickelten Bedingungen entspricht, näm
lich in der früher I S. 616 mitgetheilten und besprochenen
Inschrift nr. 409, wo auf die durch die Raumverhältnisse ge
sicherte Ergänzung ISoijsv xw o^p.w im Protokoll ein Decret mit
der probuleumatischen Formel folgt und in dessen ersten
Worten sehr wahrscheinlich auf eine vorausgehende Willens
äusserung des Demos berufen wurde.
Das seinem Inhalte nach nicht näher erkennbare Decret
war insoweit vorbereitet, dass es Jemand in der Ekklesie
gelegentlich eines Berichtes der Strategen beantragt und der
Demos seine Einbringung gutgeheissen, also wie es auf den
oben zusammengestellten Urkunden heisst, beschlossen hatte:
xv ßouArjv I^evsyxeTv eic xov of^.ov ei? xi;v xxpwxv iy.xA.yjaiav, aber es
war nicht rechtskräftig (y.üpiov); um es zu werden, dazu bedurfte
es der Zustimmung des Rathes zur Einbringung und der auf
Grund eines so perfect gewordenen probuleumatischen Decretes
vorzunehmenden Schlussabstimmung. In unserem Falle hat der
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
109
Rath dem vorausgehenden Votum conform, oxu? av y.uptat at oupsat
Sxrtv, beschlossen xolip xpoeopcu; oitivs? av XayuGt zpoeBpeveiv v.q
ty)v TCp(J)Tr)v £’/./.kvjaiav •/p^p.aTtcra! und das voi'liegende Einbringungs-
Decret concipirt, welches wieder als Urkunde des definitiven,
meritorisch gleichlautenden Volksbeschlusses diente. Dieser
Vorgang ist durch die wahrscheinliche Ergänzung y.al s' cvj[j.o|c
et|%i<TTa]i und den ausgesprochenen Zweck cxuc av y.up’.at al
cupsai 5)0-1 v hinreichend verbürgt. Vielleicht ist auch an Stelle
von y_pY;[jiaTkai zu ergänzen xpoG$Tvai, welcher Ausdruck in dem
gleichartigen Decret, 76 und in 47 erhalten ist (vgl. über
xpoGeivat Köhler im Hermes V 14 ff.).
Weshalb aber selbst in solchem Falle die Ausstellung
eines eigenen Decretes ganz wie bei den auf gewöhnlichem
Wege eingebrachten Anträgen und nach demselben Formular
nothwendig war, Hesse sich kaum verstehen, wenn es nicht
ein unverbrüchlicher Grundsatz attischen Staatsrechtes gewesen
wäre p.vjosv sav dxpoßo6keuTov et? ty.y.Xvjvtav skcpepecQai, so dass sich
jeder Antrag vor der Schlussabstimmung damit hat gleichsam
ausweisen müssen, und wenn nicht der Akt des eksvsY - /,stv die
Uebereinstimmung der in diesem Punkte gleichberechtigten Ge
walten, der Bule und des Demos, so dass die eine gegen den
Willen der anderen ihn nicht zu vollbringen vermochte, zur
Voraussetzung hätte. Wie uns das oben (I S. 620) mitgetheilte,
auf die Angelegenheit der Kitier gehende Decret lehren konnte,
musste diesem Gesetz selbst dann entsprochen werden, wenn
der Rath, aus welchen Gründen immer, nicht mit einem meri-
torischen Antrag vor das Volk treten konnte oder wollte.
Unter diesen Umständen wäre es das Verkehrteste, den
Unterschied zwischen probuleumatischen und Volksdecreten sich
in der Art zurecht zu legen, dass, während das eSo^s ty) ßouAf (
y.al tu ovjj.u jener auf das Zusammenwirken von Rath und Volk
bei ihrem Zustandekommen hinwiese, das blosse sooijs tu ovjp.u
dieser eine Ingerenz des Rathes ausschlösse; denn das gleich
berechtigte Zusammenwirken von Rath und Volk bezog sich
einzig und allein aufdenEinbringungsaktund es ist eine gegenüber
den dargelegten Thatsachen unhaltbare Meinung, dass diesem Akt
die vom Volk ausgegangenen Beschlüsse nicht unterworfen gewesen
sein sollten. Unzweifelhaft sind die Vollvsdecrete, wie sie ja ohne
Unterschied bei gleichem und gleichartigem Inhalt der Beschlüsse
110
Härtel.
in Anwendung- kommen, so wie die probuleumatischen vom Rathe
vorberathen und eingebracht worden und das Volk hat in gleicher
Weise über sie in verschiedenen Ekklesien, in einer ersten und
zweiten Lesung, verhandelt und abgestimmt. Wenn demnach
die verschiedene Beurkundung derselben mit Rücksicht auf die
parlamentarische Verhandlung der Anträge nicht begründet
werden kann, so ist doch durch diese Aufdeckung einer ersten
und zweiten Lesung zum Verständniss derselben ein Schritt
gethan. Sowie die probuleumatischen Decrete sich auf die Ein
bringung der Anträge in die Ekklesie, also die erste Lesung,
beziehen, so stehen die Volksdecrete mit der Schlussverhandlung
im Zusammenhang. Die Quelle der ersteren sind die Raths
protokolle, die Quelle der letzteren die Protokolle der Ekklesie.
Der Wortlaut jener ist vom Standpunkt der über ihr erstes
Stadium noch nicht hinausgekommenen Verhandlung, der Wort
laut dieser vom Standpunkt der Schlussabstimmung, auf welche
das sie regelmässig einleitende idiyjsicOai (oeoö/Oou) tw c-jp.«
hinweist, concipirt. In den ersteren erfahren wir nur durch
ISo^e if\ ßsuAp v.a\ tu o-jgw in den Präscripten, dass der Akt
der Einbringung zurückgelegt sei, aus dem Context nicht ein
mal das; die letzteren verrathe'n über die zurückgelegten Stadien
der Verhandlung des Antrages nichts. Als Ausgangspunkt der
ersteren erscheint der Rath und dass ihr Sprecher ein Mitglied
des Rathes sei, ist die natürlichste und allein begründete An
nahme. Woher die letzteren stammen, ob ihr Antragsteller
Rathsmann oder einfacher Bürger war, das lassen sie unschwer
schon jetzt errathen.
Ich glaube durch die bisherige Untersuchung, wenn ich
für meine Hypothese weiter nichts vorzubringen hätte, erwiesen
zu haben, dass der Verhandlungsmodus, welchen ich in den
Demosthenischen Studien für eine beschränkte Zahl von An
trägen wahrscheinlich machte, für alle Anträge gleichmässig
galt und nehme für den Einbringungsakt jedes Antrages den
Ausdruck Trpc/EtpcTovta, gestützt auf das Zeugniss Harpokrations,
in Anspruch, welches selbst nun in einem etwas anderen Lichte
erscheinen und einen unverächtlichen Beleg für die Richtigkeit
der entwickelten Hypothese geben dürfte. Es lautet:
IIPOXEIPOTONIA: sfoixsv ’AGijvvjm toiouto ti Yr/vsaOat, o-crav
ßouAvjs TipsßsuXsu'äcYjc thoepqiM eie, tov cijp.ov -q yvwp.Tj •
Studien üW attisches Staatsrecht und Urkunden wesen. III.
111
xpixspov ylvExai /eipoxovfa ev t?) £•/.'/.),YjGi'a xixepov Soy.sÜ xept töv
TipoßcuXeuöe'vTOV cy.EiiacOat tgv Bvjp.ov, ^ dpxei to xpoßoÜAEU|Aa.
Tauxa 3’ uxooY]nai’v£Tai ev tw Auciou xpo? tyjv MiijiSv^gou ypatp-jv.
Ich habe bereits bei Besprechung dieses Zeugnisses a. a. 0.
II 421 [59] dargelegt, dass wir es mit einer blossen Vermuthung,
welche ein Erklärer der uns verlorenen Lysiasstelle mit einiger
Unsicherheit vorbrachte, zu thun haben und die daraus geflossene
traditionelle Vorstellung über die Bedeutung dieser Vorfrage
in Schwierigkeiten verwickelt, indem man sie entweder sehr
hoch anschlagen oder als ganz bedeutungslos wird betrachten
müssen. Denn wenn z. B. Schümann in den GA. I 384 lehrt
,War vom Rath ein Probuleuma abgefasst, so wurde dies vor
gelesen und nun die Vorfrage gestellt, ob das Volk damit ein
verstanden sei, oder die Sache noch fernerer Beratliung unter
zogen wissen wollte', so ist die Bedeutung der Vorfrage eine
ganz ausserordentliche, wenn wir mit der günstigen Beantwortung
derselben den Antrag als definitiv angenommen ansehen sollen,
indem ja dann selbst eine weitere Debatte gänzlich ausge
schlossen gewesen zu sein scheint; wenn aber gleichwohl auch
in dem Falle einer dem Rathsantrag günstigen Vorentscheidung
derselbe debattirt und amendirt werden konnte, dann begreift
man den Zweck der ganzen Einrichtung erst recht nicht,
indem das Resultat der zweiten Abstimmung nicht selten sofort
das der ersten dementiren musste. Die Unbestimmtheit des vor
liegenden Zeugnisses gibt uns ein Recht, dasselbe nach Mass-
gabe unserer Einsicht zu ergänzen und von seinen Wider
sprüchen zu befreien, selbst auf die Gefahr hin, vielleicht nicht
den Sinn des ersten Erklärers zu treffen, sondern wohl nur
das, was er aus der ihm vorliegenden Stelle hätte folgern sollen
oder deutlich in ihr ausgesprochen war, zu diviniren.
Wie der Wortlaut des Zeugnisses errathen lässt, handelte
es sich bei Eysias um die Einbringung eines Antrags von
Seiten des Rathes oxcTcev ty;? ßou).Yj? .xpoßouksuffdcYjc eiatpep^zai ei?
töv Sy)[aov ■/) yvw|j.v], also um die Discussion eines Decretes mit
der Formel tob? xpoeopsu? o'i oev Xdyueiv xpoeSpeusiv /p-^p.an'rai, yvei-
MV Se cjup.ßaXXscOat ty;? ßouXvj? ei? tov Sy)|aov, und in Bezug
auf diesen Akt war der Ausdruck xpo^etpoTovia angewandt worden,
den es zu erklären galt. Dass es sich nicht um die defini
tive Abstimmung über das Meritorische handeln konnte, war
112
Hartei.
deutlich und ergab der Wortsinn; daher es ganz richtig heisst
■rcpÖTepov yivstcc. ^sipaxovta ev xp sy.yAvjxia, leider aber auch un
bestimmt; denn das itpcxepov ermangelt der Beziehung. Sie wäre
gewonnen, wenn wir schreiben dürften ev xivi b.y'kr^a. Aber wir
dürfen dreist ergänzen itpiv xob? xxpoeopcu: of äv Xa/wcav irpoeSpEustv
zic, ty)v xpd)XY;v Ey.zX^cfav exri^ipicai, weil eine Ergänzung un
erlässlich und eine andere nach den vorausgegangenen Er
wägungen nicht denkbar ist. Auch das ist augenscheinlich,
dass sich die xetpoxovia oder wie richtiger zu sagen war die
Sia^EtpoTovta auf den zvreiten Theil der probuleumatischen Formel,
ot! ooy.ei xjj ßsuXr, y.xX., bezog und so bezogen durchaus verständ
lich und angemessen erscheint. Das Volk sollte entscheiden,
nicht ob die Vorschläge des Rathes anzunehmen oder zu
verwerfen sein, sondern was allein der Wortlaut anzunehmen
gestattet, ob dieselben genügen, ob nicht formelle Bedenken
gegen dieselben sprechen, ob sie nicht einer Erweiterung oder
Beschränkung bedürftig seien, ob sie in der Form, wie sie der
Rath eingebracht hatte, die Grundlage der weiteren Verhandlung
bilden sollen oder nicht. Das war der Ort, wo jeder Niclitbuleut
mit seiner Meinung hervortreten und das Probuleuma amen-
diren oder bekämpfen konnte. Das war auch die Stelle, wo,
wie später gezeigt werden soll, die YP 3! ?ü 3c«P«v6|mi>v Platz
greifen und den Gang der weiteren Verhandlung bis zur er
folgten richterlichen Prüfung, welche xvie die Debatte in erster
Linie die formellen Seiten der Anträge zum Gegenstand hatte,
sistiren konnte. So aufgefasst erlangt das Zeugniss des Harpo-
kration, wie ich meine, ohne Gewaltsamkeit Sinn und Zusammen
hang und bestätigt in erwünschter Weise die auf anderem
Wege gewonnene Annahme einer ersten Lesung.
Durch die Vorlage und Annahme eines probuleumatischen
Antrages, der, wie wir nun durch das Zeugniss des Plarpokration
wissen, bei dieser Gelegenheit debattirt und amendirt werden
konnte, war also das Volk von der Sache in Kenntniss gesetzt
und eine nächste Ekklesie zur Verhandlung und Abstimmung
fixirt. Dass das nicht immer die nächste Ekklesie sein musste,
dass die Schlussverhandlung von der ersten Lesung durch
einen längeren Termin getrennt sein konnte, lässt sich noch aus
der Art, wie in einigen Volksdecreten auf den Eiubringungsakt
berufen wird, nachweisen. Aus der oben unter 17) mitgetheilten
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenweson. TTI.
113
Inschrift nr. 175 b , obwohl ihre Herstellung nicht ganz sicher ist,
scheint hervorzugehen, dass die Einbringung und erste Ab
stimmung über den Antrag eine oder mehrere Prytanien vor der
Schlussverhandlung, auf welche sich die Präscripte beziehen,
stattgefunden hatte (xlspt wv o ovy/oc Txp[cxspov Etliyjoiaxat im vqc,
(So]? -puxavEia? -/.ta.). Sicherer steht die gleiche Annahme
bei dem Decret des Archippos, welches also lautet, CIA II
nr. 230 Frg. a Z. 4 ff.:
[sy.y.Xv)<j]ta zupfet • xwv TtposSpwfv l-stk/^tiisv . . .]o0so; Kuba . •
soo!;sv xw[t Sv^jaw ■ joopovo; Aay.t. strav • [xspt wv
"Apyimtoc jXjsysi y.at -q ßouXv) ixposfßouXeuasv irept aujxoö,
£t]n)<pfa0ai tw c[f ( p.w, sTxatvsaat [j.s]v xov ’Apyt , oxt avrjp
äyaGoc ect[iv Tipi tvjv ixqXtv tyj]v ’A0Y)vafwv y.at vöv [y.at sv tw EjjwxpoaGjEV
Xpövw y.ai -ost [oxt ouvaxat aya06y]. axstpavwoai 5s ’Ap|yj.--ov ypuow
axstpäjvw axo X cpayjj,w[v <piX.oxtp.fa? evezev t]v;^ ei; ’A0r ( vaf[ouc •
etce'.Sy) Ss ] auxou ’A0r,va w 6 o-^p.ofp , stvat
aöx]bv ’'A[px]t[xxov y.at xou; sy.yövou; ’A0r,vatouc] y.at tpuXijv y.xX.
Denn es wäre befremdend, dass in solcher Weise auf das
probuleumatische Decret hingewiesen wird, wenn eben dies
nicht einige Zeit vorher angenommen worden wäre; die Schluss
verhandlung war in diesem Falle vielleicht verschoben worden,
bis Archippos in Athen angekommen war oder auch aus irgend
einem anderen Grunde. Das wird auch bestimmend gewesen
sein, dass nicht das probuleumatische Decret als Urkunde
ausgestellt wurde. Nur hätten wir mit Rücksicht auf das ein-
gebrachte •xpoßouXsup.a in den Präscripten nach Analogie der
früher (II S. 101 ff) besprochenen Fälle eoo^ev xp ßouXv; y.at tw
oy)|aw zu erwarten, während looirsv tw 81i)|aw gesetzt ist. Dieser
Mangel ist ein neuer Beleg für den sattsam erwiesenen privaten
Charakter des Denkmals (vgl. I S. 572. 580. 583).
Man wird dasselbe wie bei 230 auch noch in einigen
anderen Fällen voraussetzen dürfen; jedenfalls aber wird auch
in diesen die Einbringung des Antrages als ein mit der
Schlussverhandlung nicht identischer Akt bezeichnet. So in
CIA. II l b , Z. 16:
sti^pfcOai ob ’AOvjvafwv xw Sv)p.w y.üpta
[sivai Ta EijjY)(pt<j|A]sva zpcxspov xspt Xap.twv y.aOäiTEp •q ßouX->)
-poßouXsüaaoa
[e C xbv ovjp.ov EoJljVEyZEV,
Sitzungsbcr. d. phil.-liist. CI. XCII. Hd, I. Hft.
8
114
Hartei.
und in dem mit, den Arkadern, Achäern, Eleern und Phliasiern
01. 104,3 = 362/1 v. Chr. abgeschlossenen Bundesvertrag
57”, der früher II S. 102 mitgetheilt wurde, wo es heisst Z. 12:
[oyj o]s ot cup.jj.cr/oi 56-,'p.a sia-jvstvy.av ei? t[y)V ßoua]—
[y)v Sje/ecOai ty]v zaOä eTOrpf£X[XovT3t o]
[i ’Apjy.aoec 7.y.\ ’A/aio! y.al ’HXslo'. y.ai OXeftaaioi •/.«]-
[! -q ßou]Xf ( xpoußoüXeuffsv y,a-a vau-TOt, 8e86[/Qai tw 8]-
[■jp.w, eijvai yu[i.]jÄyoui
Ueber die der Erklärung nicht geringe Schwierigkeiten berei
tende Inschrift l b werden wir gleich eingehender zu sprechen
haben. Was aber 57 b betrifft, so steht es durch das von mir
in den Demosthenischen Studien II 445 [83] ff. Gesagte fest,
dass derartige Staatsverträge in zwei Ekklesien verhandelt
wurden. In der ersten kam das probuleumatische Decret, auf
welches Z. 16 angespielt wird, zur Mittheilung und Verhandlung,
das vorliegende Volksdeeret ist Resultat und Protokollauszug
der zweiten Ekklesie. Es ist immerhin denkbar, dass in diesem
Falle zwischen der ersten und zweiten Ekklesie einige Zeit
verstrich und dies Veranlassung war, dass auf das halbvergessene
Probuleuma verwiesen wurde, wozu bei unmittelbarer Aufein
anderfolge der Ekklesien kein Grund vorlag. Auch lässt sich
für eine solche Verweisung kein zweites Beispiel aus einem
nach demselben Modus verhandelten Staatsvertrag beibringen.
Für eine längere Trennung der Schlussverhandlung von
der ersten Lesung haben sich noch andere directe Belege nach-
weisen lassen, indem in einigen probuleumatischen Decreten
nicht die nächste Ekklesie, sondern genauer jene Ekklesie, welche
über derartige Verhandlungsgegenstände zu entscheiden pflegte,
ausdrücklich bezeichnet wird. Die betreffenden Inschriften
sind bereits oben zusammengestellt worden (II S. 186); es sind
nr. 309. 318. 331. 382 (nach der dort proponirten Herstellung).
’AO-jvocov VI S. 135 (nr. 10 und 11). Von besonderer Wichtig
keit ist für uns 309, die also lautet Z. 15 ff.:
[- - atyotQy) tu^y) e(jur)©fc]9a[i] r?j ßon/ö] xou[c xpoeepoup ot
«v Xä/wGiv s]v tm]i Sv(p,<i) xpoeSp[e6eiv Stav a\ vjp.spai
£?V/.(oc]iv [a]! £•/. tou vöp.ou ypY)[[j. aTioai xepi xoXcTeiac (?)
TTjjc oci)[p]sät:, yv(Ü)|j.y)v os [^U|j.ßVAXsoOai vqc ßouA^c st]c tc[v]
Studien über attisches Staatsreclit und Urkundenwesen. III.
115
§yjp.cv ct! Soy.£! [rr, ßou)^, e-awecat Aia/pjwva [Il]po?[e]vou dpir^[c
svcv.ev y.ai <pt7^oxtp.{ä<; vj]v £/u(v) oia[x]£7.e! irpb? x[ov Sv)|j.ov xbv
’AÖnjvatwv y.ai (rc]s®av(5(j[a]t ^puew a[x£<pävw d~b . 8pa/p,tov • sivat]
§’ aüxov y.ai ’A0y;vaT[ov y.ai £y.ycv5uc y.ai ypaijjjaffOat ®uav;c y.ai
S-(5[p.ou y.ai opaxpi'ac ~r t z ßo6AsTa]t y.aOa'itEp -/.ai oi rcpÄ[yovo!
aiiToS (?). — Z. 30 ff. Tofu? os 7cpuTav£tc oi-av tuy$C><o<hv
T:puTav£!ÜovT[si; Soüvat xvjv vj<pov tcspi tijp owp£ä<; sTrsiääv
s-'.y.ufpuOvi, s'.axyayEiv Bl xi)v S]ox.ip.a«av xob; Osop.foQsxac et? xo
zpöxov Biy.acij^piov y.axä xol»; vc|ao[uc. avaypatta! oe xo '/.TA.
In diesem Deerete mangelt eine feste Bestimmung des
Termins für die feierliche Abstimmung der Vollversammlung,
welche in den übrigen Bürgerrechtsdiplomen auf die nächste
Versammlung oder die Versammlung einer bestimmten Prytanie,
nachdem die Verleihung in der Ekklesie perfect geworden
war, gesetzt zu werden pflegt; hier heisst es hingegen: xob; oh
~puxavs'.<; o'i äv xuy^dvtoai Txpuxaveiovxe? Souvai xyjv itr^ov vr\c, SupEac
ewetBav Eixty.upwQ-p. In ewxupouv haben wir offenbar den terminus
technicus für die bei der Schlussverhandlung erfolgte Annahme
eines Antrages zu erkennen. Die günstige Abstimmung bei der
ersten Lesung genehmigte die Einbringung, das Meritorische
der Anträge erhielt dadurch noch keine Rechtskraft, welche
erst die zweite Lesung brachte. Diese Auffassung liesse sich,
wenn uns nur die Schlusszeilen des Decretes erhalten wären,
leicht anfechten, indem man das e-iy.upobv auf das Votum des
Gerichtshofes beziehen könnte, der die Würdigkeit des Neu
bürgers zu prüfen hatte. Aber ich kann den Umstand nicht
als zufällig ansehen, dass das einzige Decret mit der Phrase
ezEioav £X!y.up(ü0f], ausdrücklich einen späteren Termin für die
Verhandlung in der Ekklesie in Aussicht nimmt und darin nur
eine ungesuchte Erklärung für ihre in den uns erhaltenen
Decreten ganz singuläre Anwendung erblicken. Was aber jeden
Zweifel ausschliesst, ist die Thatsache, welche in dem letzten
Capitel dieser Untersuchung nachgewiesen werden wird, dass
die richterliche Revision auf den Abschluss der ekklesiastischen
Verhandlungen und Abstimmungen folgte, niemals aber zwischen
denselben ihren Platz hatte.
Einen weiteren Beweis für die Richtigkeit dieser An
schauung kann jene freilich in mehrei'en Punkten dunkle In
schrift liefern, in welcher Kephisophon in einem Amendement
116
H a r t et.
beantragt, dass die Anträge, wie sie zu Gunsten der Samier
in einem probuleumatischen Decret gestellt worden waren, y.ipix
seien, was so viel wie ETttzupouaSät in der vorhergehenden Ur
kunde bedeutet, d. h. durch Volksbeschluss endgültig angenom
men werden; es ist dies nr. l b , die nach Köhler lautet:
5 ["ESo^sv TYj ßouXr ( y.ai xw gtJjj.w • Havojiovlq sicpuxaveuE, ’Apppioq
K[—c | £Ypap.p.aT£Uc, Euy.Xsi'cv]q Yjp-/e, Ka]XX(aq "QaÖsv sjrsoxdxsi ■
K-r^wotpwv [swxsv • j ssatv^aai xouq Eagiouq oxi sialv] avopsq ayaOoi
Trspi ’AOvjvai'ouq, y.a! fcfavxa | xipia slvai a icpöxspov o 8v;|J.oq]
stjjYjqdoaxo o ’A0Yjvato>v xw cv;p.w xw Efaplwv |
10 ]xoi y.sXeüouctv ig Aay.s8xtp.Civx ovxiva || . . . .
absovxai ’A0v)vai'wv auvzpdxxsiv TtpousXs-
o[0ac | oup.Txpaxjxövxtov xotc Eap.toiq oxt äv
Suvwvxai ava0ö[v - | ex.e£vwv, ETcatvouoi
Ss ’AOrjvatoi ’Ecsclouq y.ai Nox[w}q | oxi J
Eap.iwv xobq liqw cvxac • "poxa^aYslv Se xyjv Tipssßs^av | xwv
Eapioiv sq xov Sijp,]ov /pT)p.axioac0ai sav xou bs'wvxat • y.aAEcai Se
15 y.ai £-t || [Sswcvov xv;v irpsaßjstav xöiv Sap.iwv ec xo lipuxavslov sq
aiipiov • K-rjoico^oiv j [sitee- xa p.lv aXXa y.]a0ä7csp xy; ßouX^ ■ silr)-
©w0ai oe ’A0v;vai'wv xw ovjp.w y.6pia | [sivat xa stir ( c iop,]sva
-poxspov TtEpt 2 a u. (w v y.aOa-ep r t ßouXv; icpoßouXsüaa-ca
[sq xov ovjp.ov äoJijvEYxev • zaXs'aai Se xrjv xpsoßsiav xwv Eapuwv
E~i oeitevov | [sq xb zputavsTojv sc aiipiov.
So stark auch die nothwendigen Ergänzungen scheinen
mögen, so sind sie doch in den Zeilen, auf die es uns an
kommt, 7. 16 und 17, ziemlich sicher und stützen sich gegen
seitig. Ueber die Veranlassung des Decretes bemerkt in für
mich überzeugender Weise Köhler gegen eine Verinuthung
Kumanudis’, der es unter das Archontat des Phrasiklides
01. 102,2 = 371/0 gestellt hatte: Restituendum erat nomen
Euclidis archontis. Lysa.nder yuum in fine belli Peloponnesiaci
post diuturnam obsidionem, urbe Samiövum potitus esset, populäres
expid.it, optimates in urbem reduxit (Xen. Hell. II 3, 6). Pro
expulsis popularibus, qvi post proelium apud Aegos flumen com-
missum soli ex sociis in ßde Atheniensium manserant (Hell. II2, 6),
legibus reipublicoe vix restitutis grato anirno ab At.hmiensibus
haec decreta facta, sunt. Vgl. Grote IV 492 der Meissn. Ueber-
setzung. Wahrscheinlich haben die Athener auf die Nachricht
von dem Schicksale, das den Demokraten von Samos nach der
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
117
Eroberung der Stadt widerfahren, ehe noch eine Gesandtschaft
derselben in Athen erschienen war, eine Reihe von Beschlüssen
gefasst, deren Verhandlung bis zum Eintreffen der Deputation
vertagt wurde und die sich nach der Lage der Dinge auf die
üblichen, Verbannten zu gewährenden Privilegien bezogen haben
werden. Auf diese noch nicht rechtskräftig gewordenen, in
einem probuleumatischen Decrete vorliegenden, also nur über die
erste Lesung hinausgekommenen Beschlüsse, beruft der Haupt
antrag und das Amendement. Der Sinn des letzteren lässt
eine mehrfache Auffassung zu.
Man könnte annehmen, dass es Kephisophon, welcher den
Hauptantrag stellte, darauf ankam, dass die Genehmigung
dieses noch in derselben Ekklesie, in welcher er eingebracht
wurde, erfolge; denn er scheint in einem probuleumatischen
Decrete niedergelegt, welches zwar von der später üblichen
und festen Form ab weicht, aber durch 'xpcravEiv 05 ty)v ^peußstav
Z. 13 als solches einigermassen charakterisirt wird. Könnte ja
selbst diese Form statt der gewöhnlichen tou? xpoiopoui; o'i av
Xtxyjouiv itposBpsüstv sic rf ( v ixpdixrjv exxXrp(av izpaaayaysX'/ in der
Absicht gewählt scheinen, um die Schlussabstimmung in der
selben Versammlung und die Zulassung der Samier in der
nächsten Ekklesie, eav xou Sswvxai, zu ermöglichen. Mir dünkt
aber diese Erklärung nicht wahrscheinlich, weil der Rath und
sein Antragsteller diese ihre Absicht in einer jede Unklarheit
ausschliessenden Weise formuliren mussten und weil die Worte
des Amendements ‘/.xOaxsp r; ßouXr, 'TxpoßooXeucraaa iafyeyy.sv nicht
sowohl auf ein eben eingebrachtes, in Discussion stehendes,
als vielmehr auf ein vor einiger Zeit dem Volke unterbreitetes
Gutachten hinweisen. Auch hat die frühere Besprechung der
Textirung dieses Decretes ergeben, dass dasselbe aus dem Proto
kolle der in den Praescripten bezeichneten Ekklesie floss und
wie einige andere ältere Urkunden Beschlüsse erster und zweiter
Lesung vereinigt haben dürfte. Was Z. 6—13 steht, enthält das
Resultat der Schlussabstimmung über die fraglichen Anträge und
man darf sich demnach nicht wundern, dass wir über das Merito-
rische derselben nichts hören; denn diese Inschrift diente sicher
lich nicht zu ihrer Beurkundung, sondern zur Beurkundung
der den Gesandten zugesprochenen Auszeichnungen. Die folgen
den Zeilen enthalten den probuleumatischen Antrag auf Ein-
118
Hartei.
führung der Gesandten in die nächste Ekklesie, zu welchem
sich das Amendement in engste Beziehung setzt.
Man wird der Tendenz desselben am nächsten kommen,
wenn man gerade in den Worten y.aQdxep ■I] ßou'Arj TcpoßouXeiaacra
äsr/Vc-f/.ev seinen Schwerpunkt sucht. Der Hauptantrag ging da
hin, die Beschlüsse zu Gunsten der Sander in der Form zu
sanctioniren, in welcher dieselben das Volk angenommen hatte
([xiip'.a elvat ä Ttpörepov 'o ovjp.oq] sipyj®wwco o ’Aövjvatwv, wo die Er
gänzung 6 durch das folgende b ’AOyjvosimv völlig gesichert
ist). Wir denken dabei an die Einbringungsverhandlung. Ver-
muthlich waren bei jener Gelegenheit die Rathsanträge ver
ändert worden, vielleicht von den den Samiern zu gewährenden
Gnaden einige in Abfall gekommen. Als der Fortgang der
Debatte der jetzigen Versammlung eine günstigere Stimmung
erkennen liess, stellte derselbe Rathsmann, Kephisophon, von
welchem der Hauptantrag herrührt und den wir uns am besten
als Patron der Samier denken werden, den Zusatzantrag, dass
die Beschlüsse in der Form genehmigt werden, in welcher sie
ursprünglich die Bule der Ekklesie proponirt hatte. Um was
es sich also handelte, das war die Sanctionirung eines probu-
leumatischen Decretes mit Weglassung der Zusätze, die es bei
seiner Einbringung erfahren hatte. Die Verhandlung war also
in diesem Falle über die Einbringung der Anträge und ihre
dabei erfolgte Amendirung nicht hinausgekommen. Unter ge
wöhnlichen Umständen hätte die Schlussabstimmung in einer
nächsten Ekklesie stattgefunden und wäre die Abfassung einer
weiteren Urkunde unterblieben. Als sich die Ankunft der
samischen Gesandten verzögerte, da wurde die. Verhandlung
durch den vorliegenden Antrag wieder aufgenommen. Wäre
uns das gesammte diesen Gegenstand betreffende Aktenmaterial
auf dem Stein erhalten, so würden wir das Hauptstück, das
vorausgegangene probuleumatische Decret, sicherlich nicht ver
missen, denn das unterliegt, wie bemerkt, keinem Zweifel, dass
die vorliegende Inschrift nicht zur Beurkundung jener Privi
legien , sondern als Urkunde der der Gesandtschaft zu er
weisenden Ehren aufgezeichnet worden ist. In Bezug auf die
Privilegien ist der Antrag ein rein formeller, die Schlussabstim
mung provocirender; über das Meritorische derselben verräth
er nichts.
Studien über attisches Staatsiecht und Urkundenwesen. III.
119
Nähme man aber an, dass es sich um die einfache Be
stätigung längst perfecter Volksbeschlüsse handelte, dann wäre
der Wortlaut unseres Decretes auffällig und es wäre nicht zu
begreifen, wie der Zusatzantrag noch auf ein Rathsgutachten
recurriren könnte, das durch die Annahme von Seiten des
Demos als solches nicht mehr existirte. Es kann also darüber
noch nicht endgültig entschieden gewesen sein. Was wir dem
nach auch aus diesen Beispielen entnehmen, ist, dass erste
Lesung und Schlussverhandlung in der That durch einen
längeren Zeitraum getrennt sein konnten.
Zu beachten ist endlich auch noch die zweimalige Be
antragung- der Ladung der Gesandten zum Ehrenmahl im Pry-
taneion, die doch nicht wohl als eine Einladung zu demselben
Diner von Seiten desselben Gastgebers verstanden werden darf,
aber nach der gewöhnlichen Auffassung solcher Decrete kaum
anders verstanden werden könnte. Offenbar gilt die Ladung
im Amendement für den Tag nach dieser Volksversammlung,
die Ladung im Hauptantrag für den Tag nach der Einführung
derselben, d. i. also für den auf die nächste Versammlung
folgenden. Ebenso ist die doppelte Ladung im ersten An
trag und im Zusatzantrag in den Inschriften 38 und 54 auf
verschiedene Tage zu beziehen, wie ich meine, in ähnlicher
Weise, die erste auf den Tag nach der Einführung. Wie in
diesen Amendements, so steht nicht selten das xaXsaai eie, x'o
Ttpuvavsiov iq. aüpiov ganz am Schluss nach der Bestimmung über
die Aufzeichnung (CIA. I 20. 23. 24. 4L 96, II 2. 3. 4. 30.
42. 45. 46. 68. 69. 86. 103. 115. 116. 165. 174. 209), so dass
man sich der Vermutluing kaum entschlagen kann, dass sie
wohl auf eine Anregung in der Ekklesie in kurzem Wege aus
gesprochen und nur wegen ihrer Geringfügigkeit nicht als be
sonderer Antrag vermerkt wurde. Nur einmal tritt sie uns in
der förmlichen Fassung eines Amendements entgegen nr. 52 c
Z. 30 ff., doch so, dass dasselbe zugleich die Belobung der
Gesandten beantragt (sTOwera: Kai y.aA'cat).
Als ein weiterer Beleg dafür, dass die Abstimmung über
einen Gegenstand von der Einbringungsverhandlung getrennt
werden konnte, darf vermuthlich auch nr. 12, eine aller
dings sehr zerrüttete Inschrift, angeführt werden. Dieselbe
scheint sich auf einen Vertrag mit Seuthas, dem Könige der
120
Hartei.
Odrysen, zu beziehen, mit welchem zuerst unter Thrasybulos’
Vermittelung 390 v. Chr. ein Bündniss geschlossen worden war.
Nach der Verordnung der Aufschreibung der Urkunde folgen Be
stimmungen, die vielleicht durch Amendement hinzukamen —
wenigstens scheint Z. 0 nach ävaXia'/op.evcov das Wörtchen ta
sicher, welches an die Amendirungsformel ta [p.ev ct/J.a y.aöxitep
rfj ßouXr,] zu denken nahe legt — und Z. 9—13 heisst es mit
allerdings starker, aber hinlänglich sicherer Ergänzung:
[ojcüvai os ty)[v] <l[‘ö<pov tob? 7tputdvei? tob? [j.eta tr)v] ’Eos'/Ör/tofa
trputaveüovta? iv tfl npwtYj aa]XK)ff{a Grsfpt touttov, t'ov oe opzov
’AOrjyjfj&iv cp.Jöoai tob? ct[patv;You? xal tob? ouAapyou? xai tobe]
taEidp/ou?.
Wären uns nur diese Zeilen erhalten und nicht auch ein Rest
von Z. 8 sv r?j y v wp]a t?) -eb[0]o'j, hinter welcher nur für wenige
Worte Platz sein konnte, so wäre nicht zu zweifeln, dass wir
es hier mit einer Bürgerrechtsverleihung zu thun haben, deren
Formular zu der Zeit, welcher die Inschrift angehören muss,
mit diesen Worten die feierliche Schlussabstimmung der Voll
versammlung bezeichnet, nachdem vorher die Ertheilung durch
die Abstimmung in einer gewöhnlichen Ekklesie ausgesprochen
worden war. So heisst es z. B. in nr. 54 Erg. l> Z. 10 etvai
os ’Aotuy.p[drr,v ’AGyjvaiov xa]ji ex^ovou? abtob, y.at eiva[i abtov <puAv)?] |
yotivo? |a]v y.-o-ppatj^txt p£a]l [oyjfAou y.ai| | eppatpia?, worauf Z. 16
folgt id)v oe tiv;<fov oojvat it£p[l] | autoo tob? •Äpuravet? tob? [p,etä] tr,v
’Ay.ap.javtioa Ytputav[e6]ovta? ev tijfe 7j]p(l>tY) e|y.x,Xr ( ota. Aber da für
das, was der Bestimmung Souvai oe tyjv tbrjipov nothwendig vor
ausgehen muss, in unserem Falle kein Raum ist, darf man
dieselbe nicht auf die Schlussabstimmung über eine Bürger-
rechtsertheilung beziehen, sondern wird an die Feststellung
einer Ekklesie zu denken haben, welcher der voranstehende,
eben eingebrachte Beschluss zur Sanction vorgelegt werden
sollte. Das Amendement mag nur in der Bestimmung des
Termins von dem Hauptantrage abgewichen sein. Wer diese
Vermuthung nicht acceptirt, wird, was mir weniger wahrschein
lich dünkt, annehmen müssen, dass der im Hauptantrag über
gangene Satz über die feierliche Abstimmung noch nachträg
lich hinzugefügt wurde. Hingegen lassen die Worte tob? ttpu-
tdvst?, die in nr. 95 allein von dem Amendement des Epiohares
enthalten sind, eine mehrfache Ergänzung zu, z. B. tob? Se tpo-
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
121
xä]vstq [oixivsq av Xdyum sxip,£Xeic:8a'., ckwc av aüxw aup.xpaxxwo'. ou
av SerjTai (vgl. 119, 115). An eine Aufgabe, wie sie in den
Resten der Inschrift CIA. I nr. 37 Z. 4 ff. angedeutet und
gleichfalls durch Amendement einer Prytanie übertragen wird,
ist natürlich nicht zu denken: xäq | [oe xaiqstq], ocat [ xouq
xp]uxavst[q], ot av xoxs Tuy/avuci xpux[avEuovx]sc, zat xo[ x]o
Stzaaxijptov, oxav Tcepl xwv xdi;[E(i>v jj,] cztoq av ä
Ich habe bisher jenes Document zurückbehalten, welches
die Annahme erster und zweiter Lesung und das zeitliche Inter
vall zwischen beiden gegen jeden Widerspruch sichert, weil
vorerst der Beweis erbracht sein sollte, dass alle Anträge, welche
Gegenstände sie immer betrafen, dieser Procedur unterworfen
waren, damit nicht aus der Eigenart des G-egenstandes eine be
schränkte Geltung dieses Verfahrens gefolgert werde. Ich meine
die auf die Angelegenheit der Kitier bezügliche Inschrift nr. 168
aus Ol. 111, 4 = 333/2 v. Chr., über welche ich bereits in
den Demosthenischen Studien II 430 ff. [68] und was ihre
Präscripte betrifft, in diesen Untersuchungen eingehender ge
handelt habe. Da dieselbe zugleich über die noch nicht
gelöste Frage der Veranlassung verschiedener Beurkundung
attischer Volksbeschlüsse vollen Aufschluss verspricht, mag sie
nochmals ihrem Wortlaut nach hier mitgetheilt werden.
[0]eo{. 'Ext Ntxoxpflerou$ äpyovxoq ix\ xvjq AifElooc xpwxv;c
zpuxavsiaq • xwv xposSpiov E-etj/rj<pi£ev 0s6<j>tXoq «hrjYC'jffioq •
xoocqsv xt; ßouXij • ’AvxtSoxoq ’AwoXXojt&pou SuxaXijxxtoq sixsv •
XEp; uv XifouGiv ot Ktttslq xxepi xrjq iopuoEtwc xr) ’Aaspooixy] xob
icpou, i'brflt'aÖat xsi ßobXsT xobq xposopouq st av Xdy_w[a]t xpos-
opsustv Etc XYJV XpWXVjV SZzXv) ff l'aV XpOGayaYStV abxobq zat
Xpvjp.axfaai, Yvtip.vp os ?u|./.ßdXXs50a! xvjq ßouXrjq de, xov ovjp.ov
oxi Soy.st xi) ßouXst, azouxavxa xbv Svjp.ov xwv KtxtEt'wv xept xvjq
uopöostwq xov tEpob zat äXXou ’A0v)vatwv xob ßoyXop.svou ßouXsü-
xacGat o xt av auxw oozst aptaxov elvai.
’E-t Ntzozpäxooq dp/ovxoq ext xvjq llavotovtSoq Ssuxspaq
xcpuxavEtaq • xwv zposBpwv ex£^vjij>£ev «havoaxpaxoq OiXaöif)q •
eBocev xw Snjp,w- Auzoupyoq Auy.oippovoq BooxdoYjq etxsv • zspt
üv oi evxopot ot K'.xistq sootqav s'vvop.a izsxEiistv atxobvxsq xbv ovjp.ov
•/wptou evzxvjfftv sv w tSpüaovxat tspbv ’Atppooixvjq, o£8o-/_0at xw
o/p.w Souvat xotq sp.xbpotq xwv Ktxiswv evzxqstv /[wjptov sv w
122
Har t el.
ISpüoovtzi ~b iepov tij«; ’AipoBmj;,' y.aOäzsp y.at ot A'.^tc-cioi tö
vr { z "Tctso; lepov tBpiwai.
Darin besitzen wir urkundliche Zeugnisse über die beiden
Verhandlungen, welche wir nur dem Umstande zu danken haben,
dass nicht ein Rathsschreiber die Aufschreibung zu besorgen
hatte, sondern die in der kanzlistischen Praxis Athens wenig
bewanderten Kaufleute aus Kition, welche beide auf ihr Gesuch
bezüglichen Aktenstücke glaubten verewigen zu sollen. Der
Rathsschreiber hätte sich mit dem zweiten begnügt, aus dem
allein wir über die zurückgelegten Stadien der Verhandlung
nichts erfahren haben würden. So sehen wir, dass der Rath das
Gesuch der Kitier mit seinem Probuleuma in einer Ekklesie der
ersten Prytanie des Jahres Ol. 111,4 zur Vorlage und ersten Lesung
gebracht, in welchem die Einführung der Petenten und die
Verhandlung auf die nächste Ekklesie festgesetzt wurde. Diese
zweite Verhandlung, in welcher das Gesuch in günstigem Sinne
erledigt wurde, fand innerhalb der zweiten Prytanie desselben
Jahres statt.
Aus diesem so klaren Zeugniss die Thatsache einer
doppelten Verhandlung zu entnehmen, hat vor allem der Um
stand gehindert, dass man der, wie früher nachgewiesen wurde,
ungenauen Sanctionirungsformel des ersten Decretes soo^s ~~r\
ßouA-fj wesentliche Bedeutung beimass und dadurch, sowie durch
den allerdings eigenartigen, die meritorische Feststellung des
Antrages dem Volke reservirenden Vorschlag bewogen, in dem
ersten Stück ein reines Rathspsephisma erblicken und die Prä
scripten desselben auf die Rathssitzung beziehen zu müssen glaubte,
in welcher es zu Stande kam. Aber wenn das für diesen Fall
richtig wäre, so müsste derjenige, welcher zugleich den Rath
für allein competent hält Anträge einzubringen, alle anderen,
probuleumatischenDecreten Vorgesetzten Protokolle auf die Raths
versammlungen beziehen, welche die betreffenden Gegenstände
auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung stellten. Obwohl
ich nicht zu befürchten habe, dass man diesen Standpunkt gegen
die von mir vorgebrachten Gründe zu behaupten versuchen
könnte, so sollen doch jene Thatsachen, welche ihn völlig be
seitigen, nicht unerwähnt bleiben. Sie liegen in den probu-
leumatischen Decreten, deren Präscripte ausdrücklich die Volks
versammlung, auch Zeit und Ort derselben, nennen, in welcher
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
123
sie zu Stande kamen, auf welche sie demnach allein bezogen
werden können, wie 190. 270. 280. 303. 304. 305. 306. 308.
314. 315. 316. 317 (vgl. 318). 322. 325. 330. 331. 334 u. s. w.
Ein weiteres Argument wäre gewonnen, wenn es gelänge zwei
identische Protokolle eines bei derselben Ekklesie zu Stande
gekommenen probuleumatischen und eines Volksdecretes zu
finden. Nun haben wir solche Decrete, die an demselben Tage
zu Stande kamen, nämlich nr. 125 und 126, 173. 174 und
’AOvjvatov VI 131, 109 und das Ehrendecret der Söhne Leukons,
aber davon sind die beiden ersten vermuthlich probuleumatisch,
die anderen Volksdecrete. Aber glücklicher Weise rindet sich
noch ein Paar nr. 471 und 472, welche den aufgestellten Be
dingungen ganz entsprechen. Die Präscripten des probuleu
matischen Decretes 471 sind identisch mit jenen des Volks
decretes und beziehen sich auf eine und dieselbe Ekklesie. Es
geht mithin durchaus nicht an, das Protokoll des ersten Decretes
der Inschrift nr. 168 auf die Rathssitzung zu beziehen trotz
loocjs ty) ßou/.-f;, welches in nr. 403 gleich fehlerhaft steht, nur
dass hier der Fehler durch das danebenstehende ezzXrpix augen
scheinlich constatirt werden kann (vgl. I S. 620).
Wir werden nun auf Grund der erläuterten Beispiele mit
schärferem Blick leicht und sicher an anderen Urkunden In-
dicien auffinden, welche auf erste Lesung und Schlussverhand
lung führen. Wie uns nr. 168 den Gang der Verhandlung in
seinen beiden Stadien vorführt, die Procheirotonie und die
Schlussverhandlung und die in beiden Versammlungen gefassten
Beschlüsse mit vollständigen Präscripten bietet, welche über
das Intervall derselben Aufschluss geben, die gleiche Einsicht
gewährt die Inschrift nr. 186 über die Euenor decretirten Ehren.
Auch sie umfasst zwei Decrete, deren erstes leider zu Anfang
verstümmelt ist, deren zweites aber das Resultat der Schluss
verhandlung in der Form eines Amendements zu dem voraus
gehenden probuleumatischen Decret enthält, welches bei der
in einer früheren Ekklesie stattgehabten Procheirotonie ange
nommen worden war und in üblicher Weise als Urkunde auf
gezeichnet wurde. Die Inschrift lautet Z. 1 ff.:
\-poaa'(y.'[]v.v Efujijvopa [ixp|b:; xov §ijp.ov, Yvw]g[r ( v] os £up.ßdk-
AetYÖai v]?js | ßou>% sic xov] o^p.ov, 8xi ooy.si xj) ßoupdjli], e[xx£iS]v)
Eu[^va>p A|x.apväv xpbGup.öi; ssxijv] | xspl xov ovjp.ov xbv AO^vaiiov
124
Hartei.
y.ai xosl cx(i | Sjüvaxai dyaOäv, sivai (os) aüxbv xpoc;svo[v] | -/.at
si)spy£ci;v xoü ov;p,ou xoü AOijvaiwv »aji aüxbv x.ai ex,Y°vou?, xai
sivai aüxw y.aO|axsp xoT? ä’XXoi? eüspYexat?. xai avaYp[d]|(Jiat xoBe
xo ev cxijXir) XiGi'vi) xblv ypap.p.axsa xij? ßouXij? "/.ai axvjcrai
ev dap![o]x6Xsi, st? cs xrjv ävaypacpYjv vrfi ox-jXij? [ojoüjvat xbv
xaplav xoü Sv5p.su A A opay_p.a? e|y. | xw]v xaxä tii;cp[ap,axa äva-
Xtaxcp.svwv xw | [Svjp.ju.
Daran schliesst sich das Volksdecret mit neuen Präscripten:
[’ExJi dnXcy.Xeou? ap/ovxo? sxi xvj? OiveESo? eva[xji)?] xpuxavs(t)a?,
i] EüOuysvi;? 'Ihpaicrxoc-jp.ou K.y]<pi[c|ie]ü? Eypap.p.dxsusv • BapyijXtwvo?
Seuxepa l<jx[a|p.e]vou, xpixet y.ai eiy.ocxsi xij? xpuxaveia? • h/.y.[X r,c]!a •
xoiv xpoeSptov exEtpijcp'.^ev EüaXy.o? <X>aXi;p£[6|? • ejSoijev xw §v5p,cp •
Atosavxo? <£>pao-aXsiSou M[up|pt]vo6aio? stxev- xa p.ev äXXa y.aGdxsp
x-?j ßouXet - | [et]£[Sy) Se Eüijvtop Eurpttou St’ süspysai’av xpöl;sv|[o]?
eyevexo xoü o-jp.ou xoü ’A0i)va((i)v y.ai axavxa oa|[a] xpoasxaijEV
aüxw 6 oijp.o? 6 A0i)vai'wv y.ai iSt'a | y.ai xo.iveT sxcp.sXsxai, dya0[Et]
xü/_st Ei|<i)<pia[0ai] | xw Si5p.(p ExatVE<ra(t) p.ev Eü^vopa Eiirjmou y.a[i
axejjijavtdijai 0aXXoü axstlavw ipiXoxtpia? eve[xa xai | s]xtp.sXei'ac,
Eivat os aüxw y.ai syyövo[i? yr ( ? y.ai | oijjua? eyxxi)<jiv axe^ovxt
xwv [y.oivwv y.ai xtov ie|pwv], Extp-EXscOat Se aüxoü [xvjv xe ßouXip
xr,v asi ß|ouXsüo]uaav y.ai xo[ü? xpuxavs 1 .? xoü? dsi ovxa?. | avaypatjjat
Se x
An unserer Auffassung des Verhältnisses beider Decrete kann
kaum ein Zweifel obwalten. Dass das erste das Probuleuma
des Rathes enthielt, das steht durch die Formel im Eingang
xpoaayaysiv Eüijvopa xp’o? xbv Sijp,ov, yvwp.^v Se ^up.ßaXXsaOat xij? ßouXij?
st? xbv ovjp.ov sicher. Wir bedürfen der Präscripte desselben
nicht, um überzeugt zu sein, dass über die Anträge in einer
Ekklesie vor dem dreiundzwanzigsten Tage der neunten Pry-
tanie des Jahres 01. 114, 3 procheirotonirt wurde, dass dasselbe
zwar bei dieser ersten Lesung angenommen, aber noch nicht
rechtskräftig geworden war; denn hätte in jener Sitzung bereits
die Schlussverhandlung und definitive Abstimmung stattgefunden,
dann könnte es in dem zweiten Decret nicht heissen xa p.sv
äXXa y.aGdxsp xjj ßouXjj. Ein Amendement kann doch nur mit
Rücksicht auf ein eben noch vorliegendes Probuleuma, nicht
aber zu einem längst fertig gewordenen Beschluss eingebracht
werden. Dass aber das Probuleuma in der Ekklesie, in welcher
Diophantos seinen Zusatzantrag stellte, zur ersten Mittheilung
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
125
und Verhandlung' gekommen sei, das anzunehmen verbietet
klärlich das dem Zusatzantrag Vorgesetzte Protokoll. Allein
dagegen lässt sich einwenden, dass das Amendement auf die
Verleihung der Proxenie, welche im Hauptantrag ausgesprochen
wird, als auf einen abgeschlossenen Akt hinweist (etciSy; ixpöäpsvop
syevexo). Ich kann aber nicht zugestehen, dass das erste Decret
ein eigentliches Proxeniedecret ist. Das von Köhler in eckige
Klammern gesetzte 3e zeigt deutlich, dass hier einige Worte
ausfielen, von welchen der Infinitiv sivat 3s auxby rcpclpsvov abhing,
etwa o 3v;p.op i'W^iaxTo. Euenor war also längst Proxenos und
petitionirte um die Zuerkennung gewisser dieser seiner Stellung
gebührender Privilegien. Diesem Gesuche willfahrte der Raths
antrag im allgemeinen : y.at sivat aüxw •/.aOaitsp xoi: oAaoi? suEp-pExatp
(vgl. 116 etva'. y.at xolp ’EAaiousiotp xd aoxd y.xA.). Das Amendement
oder der Volksbeschluss specificirte dieselben und fügte weitere
Auszeichnungen hinzu, nachdem es vermuthlich Euenor ge
lungen war, vor dem Demos seine Verdienste in das beste
Licht zu stellen, und wurde so zum Hauptbeschluss, welchen
man durch die Vorsetzung eigener Präscripte als solchen gegen
den sonstigen Usus hervorheben zu sollen meinte.
Auf gleicher Stufe mit dem datirten Amendement dieser
Inschrift steht das Amendement auf nr. 119, deren Decret
wegen der allein erhaltenen Schlussworte Z. 1 [slvat 3s y.|a]t
a[u]xw sppscöat ixapd x|o]u ovjp.ou [oxou dv ä^top fi | a]Y<*9ov, wie später
gezeigt werden wird, als probuleumatisch anzusehen ist. Das
selbe hat wenigstens zum Theil neue Präscripte :
'ESoipsv xoiji 3r,p.(i) • . . . . *p]|dxr ( p ’A9y)v[ s] up slirsv ■
xd [p.sv dtXXa y.a9d]j'xsp xsl ßou[Äsi • e—siSyj oe] | ’AixsbAvjc Zio[-upou
Bu^dvxjjtp? xpd[xjxs[t 3xi Süvaxat] | crfa9ov — Z. 14 [EtiY)<pi'a9at xw] |
3-^p.w stva[t AttsAAv;v Zo)-];upou Bu£ct[vxiov xpö^svo] jv y.xA.
Selbst wenn es für uns nicht feststünde, dass bei der
ersten Lesung eine Abstimmung über das Meritorische des
Antrages nicht stattfand, während nach den Worten e4r)(j>fc9ai
xtp o-rnJM der Zusatzantrag durch Abstimmung angenommen
worden sein muss, führten uns die Präscripte, so mangelhaft
sie sein mögen, darauf, dass das Amendement in einer späteren
Versammlung zum Beschluss erhoben wurde.
Dass es das gleiche Bewandtniss mit dem auf nr. l b Z. 17
begegnenden Zusatzantrage hat, welcher bezweckte, dass ein
126
Hartei.
früher eingebrach tes Probuleuma ohne die Veränderung, die
es bei der Einbringung erfuhr, ratificirt werde, ist früher dar
gelegt worden.
Einen vierten Beleg bietet das probuleumatische Ehren-
decret des Phaedros nr. 331. Auch dieses hat einen Zusatz
antrag, der sich zwar nicht durch selbständige Präscripte wie
die eben besprochenen auszeichnet, aber durch seine von anderen
Amendements abweichende Form und durch die Art, wie der
Rathsantrag als x'o zpoxepov bezeichnet wird, nicht un
deutlich verräth, dass dasselbe aus dem Protokoll jener Ekklesie,
in welcher die zweite Lesung und Schlussverhandlung über den
Hauptantrag stattfand, aufgenommen wurde. Es lautet:
Z. 91 Auavopo? Auc.äoo'j AvacXuoxicc ewrev dya[0]et xü^ei bebbyßa.'.
t<7) ofjgu, xd gsv aXXa [xajvxa -xpaxTsiv -jtEpi xffi Swpsa? fjC sl'-rp/.ev
[ ( I>]aiäpoc -/.axi xo TrpöxEpov dr^aiap.a 3 Aüavopoi; eizsv,
xouc Se GsagoBexap shayaysvt odixÖ) vrjv oiy.tp.ariav zrjc Swpea? sl?
xo Sr/.acrjpiov y.axx xov vogov.
Seinen eben vorgebrachten Antrag hätte der Rathsmann
Lyander unmöglich so bezeichnen können; ja er hätte ihn ver-
muthlich, wenn er nicht bereits in erster Lesung angenommen
gewesen wäre, nicht Ajoiop.a, sondern ^poßdiXsupa genannt. Dass
aber xb xpoxspov d/ip-fioga so viel bedeutet, als das früher an
genommene oder wenigstens eingebrachte, nicht aber das an
früherer Stelle geschriebene, dafür lässt sich, wenn es dessen
bedarf, auf CIA. I nr. 51 Supplent,. S. 17 und Kirchhoff’s Be
merkung- verweisen. ’E? ob xb A/joiop.a xb xrp6[xspov Ej-avopOßaai
xov Ypapp.axsa xvjc ßouXvj: heisst es dort Z. 38 in einem der Prä
scripte entbehrenden Decret Z. 28—44 Frg. f g von einer Ver
besserung, welche der Schreiber an einem früheren Beschluss
vornehmen soll, und Kirchhoff bemerkt: ceterum extrema haec
(er meint Z. 28—44) aliquo post priora temporis intervallo
addita esse non solum iriäe perspicitur, quod diversa manu ex-
arata sunt, verum etiam eo comprohdtur, quod et litteris scripta
sunt minus diductis propter spatii scilicet angustias et vs. 28
prius illud decretum vocatur xb zpöxspov: tjrj<pi<J|J.a, ut quamvis desint
vs. 28 praescripta solemnia, tarnen adpareat extrema haec non
eodem atque priore die acta esse. Noch deutlicher wird in der
Inschrift der Söhne Leukon’s das Ehrendecret des Vaters Z. 28
mit xb (i^oiop.a xoö oijp.ou xb xrpöxspov Edr^ctopivov Asizwvt bezeichnet.
Studien üfcer attisches Staatsreclit und Urlnmdenwesen. III.
127
Leicht möchte Jemand auch die Spuren eines bei der
Schlussverhandlung gestellten Amendements in nr. 162 erkennen
wollen, denn auf die vorausgehende Verfügung der Aufzeich
nung Z. 11 ff. t'ov 3s v6|aov tovos xal x[ov we]pl xfj«; s^sxacsoi; x[wv
ava^patpat sv axr)X=i XtOtvjet y.al axvjtjat sv axpozoXr, y.xX.
folgt:
Z. 14 [—]'!;<;• 2xipo<pop[ifiWoi; sxJxt] icxapivcu ■ vop.o—, Z. 15
[Auy.oüpjycx; Aux6ipp[ovoi; BoujxääY]; e?ius[v] ■ o-wc a —, Z. 16 [ap.]®o-
pr^ ot a[pYupol xa]t xä xa[v]ä xai xaX[Xa xxX.
Es werden Anordnungen über Staatsopfer und Feste, über
die dabei thätigen Beamten, über die Kassen, welche die
Zahlungen dazu zu leisten haben, und über heilige Schätze
getroffen (s. Köhler im Hermes I 312 ff.). Allein es darf die
Verhandlung darüber nicht in der Volksversammlung gedacht
werden, denn, wie bereits Köhler CIA. II S. 67 bemerkt, in
nomothetis liaec acta esse videntur.
Noch weniger sicher steht es, dass uns in nr. 131 ein
Zusatzantrag mit selbständigen Präscripten erhalten sei,
Z. 1 —11 [Ypap.p.]ax[s—. b Seiva] | sitts • [xä p.sv aXXa xaGatxsp
xet] | ßouXe[t, dvai 2s ] | y.ai äx[sXstav xal 'fic y.al otx) tac
EY[*.xr ( fftv ’AövjvvjGiv xat ejjtvat [a'uxw y.aQä-sp xolc dcXXjjoi? itfpo^evoi?
xp'oc xbv iioAs]|p,ap/[ov —
Denn das erste Wort ist nicht ein Rest von sYpap.p.axsus, sondern
vielmehr von ypapgaxsa rqc ßouXyjc, der das vorausgehende, uns
verlorene Decret aufzuschreiben angewiesen wurde.
Wenn es uns schon höchst auffällig erscheinen muss, dass
die attische Kanzlei zur Beurkundung der Beschlüsse des Demos
sich der Einbringungsdecrete bediente, welche eigentlich nichts
besagen, als dass ein Antrag verfassungsmässig von der Bille
vor das Volk gebracht und in Verhandlung genommen wurde,
hingegen über das Resultat der entscheidenden Abstimmung
nichts verrathen, so vermögen wir uns in diese Art der Aus
stellung amendirter Decrete noch schwerer zu finden. Für elfte
res haben wir eine Analogie in den Bürgerrechtsdiplomen und
jenen Decreten, welche, um rechtskräftig zu werden, entweder
vor einen Gerichtshof oder die Nomotheten gebracht werden
mussten. Keines dieser Aktenstücke ist von dem Standpunkte
aller zurückgelegten Instanzen concipirt, sondern die Bürger
rechtsdiplome , die wir an späterer Stelle zusammenstellen
128
Har tel.
werden, verordnen nur, dass die feierliche Abstimmung der
Sechstausend, welche den Volksbeschluss zu ratificiren hatte, in
der nächsten oder einer der nächsten Versammlungen stattzu
finden und dann die gerichtliche Prüfung des ganzen Aktes zu
erfolgen habe. Ebenso bestimmten die anderen — wir können
dies allerdings nur aus je einem Beispiele entnehmen — dass
der Gegenstand von den Thesmotheten (nr. 331) oder den
Nomotheten (nr. 115 b Z. 40 ev os toT; vop.cQsxat[<;] t[oJuc •äpoEäpjouc;
o't av *pos8pe6«stv | [y.ai xbv i]*^töbr)v icpoervo(ioO@jäJ|[^at xö äpf]6ptov
x[o]üxo |j.£p^£W x|[ou; ä'xoSJsy.xa; xu> xapia xou Svjp.j[ou y.axa x'ojv evtauxbv
sy.ix.c~o'>) in Verhandlung genommen werden solle. Dass diese
Instanzen im Sinne der Beschlüsse des Volkes entschieden,
können wir aus der erfolgten Aufschreibung entnehmen; über
das Resultat der Verhandlungen wird nichts mitgetheilt, von
nr. 162 vielleicht abgesehen. Die Praxis der athenischen Kanzlei
aber, welche die Amendements mit selbständigen Präscripten
bezeugen, ist noch um Vieles unverständlicher. Weshalb ver
bindet sie auf denselben Gegenstand bezügliche Beschlüsse ganz
disparater Natur und verschiedener Ekklesien? Warum wurde
nicht das probuleumatische Deeret in die Form des Volks-
decretes umgesetzt und diesem das bei der Schlussverhandlung
durchgegangene Amendement als gleichartig ohne Präscripte
angereiht? Es muss — oder was wollte man Anderes daraus
schliessen? — feste Regel gewesen sein, Beschlüsse, die durch
ein Probuleuma des Rathes veranlasst waren, durch die Aus
stellung dieses Probuleuma in unveränderter Form zu beur
kunden. Ferner möchte man vermuthen, dass Zusatzanträge,
welche bei der ersten Lesung gestellt wurden, dem Probuleuma
ohne, solche der Schlussverhandlung mit neuen auf diese Ekklesie
bezüglichen Präscripten angefügt wurden. Fiel ein solcher länger
aus, dann blieb nichts übrig, wie nr. 186 zeigt, als die Auf
schreibung dieses und die Anweisung der Kosten neu in Antrag
zu bringen, weil die im Hauptantrag ausgeworfenen nicht aus
reichen mochten. In den Protokollen der Ekklesien aber war
über die zweite Lesung und Annahme probuleumatischer An
träge, wie die Besprechung der Inschrift nr. P ergab, nur kurz
bemerkt hi^ofaöai xo> or,[j.w y.üpta sivat xx icpöxspov £j;Y;cpiap,Eva xu>
oVp.w ev vfi ostvi Ey.y.Xyjcrta. Daraus wird weiter der Schluss ge
zogen werden dürfen, dass für die in Volksdecreten nieder-
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
129
gelegten Beschlüsse keine, probuleumatischen Anträge vorhanden
waren oder wenigstens keine solchen, welche zur Beurkundung
derselben sich geeignet hätten.
Es ist für die Frage, welche uns beschäftigt, nicht ohne
Ertrag, die Zusatzanträge des weiteren zu verfolgen und selbst
an ihnen den tiefgreifenden Unterschied zwischen probuleuma
tischen Decreten und Volksdecreten nachzuweisen, indem die
selben, je nachdem sie Amendements der einen oder anderen
Art sind, eine verschiedene Marke erhalten. Auch mag bei
dieser Untersuchung die Heranziehung der voreuklidischen amen-
dirten Decrete — es sind dies CIA. I nr. 20. 22. 27". 31. 36. 37.
38. 41. 43. 44. 49. 51. 59. 64. 81. 83. 89. 101? 116 e (Supplem.
S. 24) — gestattet sein, obgleich wir unter ihnen probuleuma-
tische Decrete und Volksdecrete nicht durch jene untrüglichen
Merkmale, welche den nacheuklidischen anhaften, zu unter
scheiden in der Lage sind. Die Normalform amendirter Anträge
auf Urkunden der nacheuklidischen Zeit ist die, dass auf den
Hauptantrag 6 oelva eitcv das Amendement mit den Worten
icx. |j.ev dXXa y.aOdzsp xvj ßouAjj folgt, woran sich der Inhalt des
selben meist mit einer Partikel des Gegensatzes (oe) anschliesst,
also z. B. wie CIA. II nr. 38 Z. 6:
Kspahoc etxs • xd p.sv aXXa y.aOcfeEp [x]-
jj ßouXer dvaYpdjjat Se <E>avc-/.ptxo[v]
xbv Haptavbv -po^svov -m\ EuspHe]-
xyjv aux'ov y.al xouc iv.yo'touq y.xA.
Diese auch allen voreuklidischen Decreten bis auf vier (nr. 27".
31. 41. 59. 101?) gemeinsame Form finden wir in folgenden
Urkunden: nr. l b (Z. 28). 18. 38. 41. 52". 54. 55. 85. 95. 119.
131. 135(?). 138. 146. 163. 186. Der Namen des Antragstellers
ist ausgelassen nr. 115, xd p.sv d7Aa y.aOsfesp xjj ßou)^ vielleicht
nr. 302”, wenn dies nicht als ein zweites Decret mit mangeln
den Präscripten anzusehen ist. In mehren Fällen ist der amen-
dirte Hauptantrag ein probuleumatischer (nr. 52". 54. 55. 95.
115. 186.) oder es hindert nichts anzunehmen, dass auf den
Steinen einmal probuleumatische Anträge vorangingen (nr. 18.
38. 41. 85. 119. 131. 138. 146. 163. 302 b ).
Von dieser Fassung weicht eine andere ab, wie sie m-. 86,
nr. 331 und das Ehrendecret der Söhne Leukon’s (’A0r,v. VI
Sitzungsber. d. pbil.-bist. CI. XCII. Bd. I. Hft. 9
130
H artel.
152) Z. 66 bieten, indem es nicht heisst xd pAv &Xka. xaÖdxep
vfi ßouXyj, sondern xd pAv äXka -/.aÖdxsp K^tpicöSoxoc, xd pAv akka
xavxa y.axd x'o xpöxspov tlv)c/ic7p.a S Aiavopoc e?xs, xa pAv äAAa y.aO axsp
’AvSpoxfwv. Damit lassen sich jene anderen aus CIA. I ver
gleichen, nr. 27“. 31. 41. 59 und vielleicht 101.
Das Amendement von 27“ ist in diesen Studien I S. 588
mitgetheilt und besprochen worden. — In nr. 31 stand neben
dem ausführlichen Hauptbeschluss (die Zeile zu 35 Buchstaben)
über die Aussendung und Einrichtung der Kolonie von Brea
in kleinerem Format (die Zeile zu 17 Buchstaben) das Amen
dement des Phantokles:
[4>]avxoxAi)s eixs • xxspi
[p,]sv xt)? ec, Bpeav axot-
[y.jfac xaOcfacsp Arjp.oy.X-
IelfSyji; Hxs ‘ d>avxoy.Ae-
[a] oe •npoaajaye'iv xtjv ’E-
[p]e/ w 07)fSa xpoxavsfa-
[v] xpo? xt]v ßouXrjv sv xi]
[t] 7rpd)XY) sbpa - e? Se
|B]peav e^ÖyjxfiW y.al X,e-
[u] -pxwv fevai X0U5 axo-
[f]y.0U5.
Wer den Hauptantrag eingebracht hatte, auf welchen sich Phan
tokles beruft, stand auf dem verlorenen Theil des Steines: es
war ohne Zweifel Demokleides, den man auch erwählt hatte
xaxaaxYjaat xtjv axoixfav auxoxpdxopa (Z. 8). — Die Inschrift nr. 41
ist zu lückenhaft überliefert, um mehr als die Möglichkeit einer
solchen Ergänzung in Z. 8
2[ sixe • xd pAv dXka y.aOaxjsp ITaxpoyAsfo^c
zuzugehen. Es ging ein anderes Decret voraus, dessen Schluss
bestimmungen über Aufstellung und Ladung der Aphytaeer zum
Ehrenmahl noch ersichtlich sind. — Dasselbe gilt von nr. 101,
wo man sich die Trümmer Z. 9 xd pAv, Z. 10 7)5 stxs in
ähnlicher Weise zurechtlegen könnte : xd pAv [äXka y.aödxEp
j t)c sixe. •— nr. 59 ersetzt uns diesen Verlust trümmer-
hafter üeberlieferung vollständig. Hier stellt Erasinides den
Hauptantrag Z. 5:
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
131
’Epaoivßijs ewt-
[e ■ ETtaivloa]: ©paoößouXov w- ovxa d’vSpa aya0o-
[v xept xov 8ij]|/.ov xov ’Äörjvafwv v.t\.
Daran schliesst sich ein Znsatzantrag Z. 14:
iioxAii? sfee •
[xd p.lv aXXa y.aOa^sp x^ ßouX9j ■] eivat Bl Gpaau-
[ßoöXcp yukrjq xe etvai xai Sr ( fj.ou x.]ai ©paxpta? w-
[v ä't ßobloqxai xxA.
in welchem in Angelegenheiten Apollodors und Anderer Ver
fügungen getroffen werden und auch die Aufschreibung dieser
Beschlüsse verordnet wird. Darauf folgt Z. 38:
Euoiy.oc eixe • xd p.!v
[aXXa xaGdixep Aio*Xi)S ‘ xxspl] Bl x£5[v] BupoBoy.vjs-
[dvxwv k%\ xw <Jiv)jpf<j|i,aTi,] 3 e<pr)<p[E]o0Y) ’AcroXX-
[ootopw, xy)V ßouXijv ßooXeucrja: ev xfl xxpihxrj s3-
[pa ev xw ßoiAeuxyjpijw y.ai y.oXdi^siv y.xX.
An der Richtigkeit der Ergänzung kann kaum ein Zweifel sein.
Dass die Beziehung des Amendements des Archestratos zu dem
vorausgehenden Antrag des Antikles in 27“ insoferne ver
schieden ist, als dieser nicht als Zusatzantrag eingeführt wird,
habe ich a. a. 0. 588 dargelegt. Dieselbe erklärt sich viel
mehr durch die analoge Fassung der Amendementsformel zweier
nacheuklidischer Inschriften, nämlich CIA. II nr. 86 und A07,-
vmov VI 152.
Die Präscripten und der Anfang des Hauptantrages sind
uns in nr. 86 nicht erhalten. Derselbe lautet von Z. 9 ab:
stvai 31 y.ai wp61;sv|ov xou or,p.ou xoü A0Y)vafo>v Sxpaxwjva xov ZiBwvoc
ßaciXea y.ai aux'ov | y.ai ey.-povcuc' x'o 31 (W^icp.a xöSs ävjaypaijjdxo)
o ypap,p,axebs vr^ ßouXvjc ] ecx^Xy) Xi0!vy] cey.a v;p.sp«v y.ai | xaxa-
6fxw ev äy.po-öXs:, ec 31 xv)v d|vaypa<fv)v vqq crx^X'f)? Soüvat xobp j
xap.iap xw vpap.p.axei vf t $ ßouXvjg Aj AA cpayjp.ac, ey. xwv Sexa xaXdv-
xwv • x|oiY)<jO(G0(i> 31 y.ai cüp.ßoXa ■q ßouXr) T:p|b<; xov ßamXea xov
StBwvEuv, oiio| av o ov)p.o? b AOvjvaiwv eio - ?) sav xi | -sp.Tcrj 6
SiSwviwv ßactXeb? oEop.|svoc vr t c, ccohsojc, y.ai 6 ßaoiXebc 6 2|to[o)]vfci)v
eßfl oxap.xE|ATTY) xtva o)|? aux'ov o oijp.ss o A0r ( vaiü)v • xaXsoa|i 31
y.ai ex:i i;evta xov vjxovxa xapd | xob SiSwvfwv ßaoiXsox; sc x'o itpu-
xa|vetov es aöptov.
Msvl^evo; entev • xd p.lv aXXa xa9d|xep K.Y)<piooSoxo? ■ czooat
3’ dv StSwjvtüJV oixoüvxs? euZßüvi y.ai to7u;xeu6|j.svo'. i'xiS^p.öciv
9*
132
Hartei.
■mx l|Mtop|Cotv ’AO^vnj«, äjeiivat auTob^ j/.e||btV.tov xpaiTsafiat
p,Y)Se /opvpfbv | p.Y]§£va xat^p^Jcai p.Y]S’ siapopav | p,Y)§epiav em-
Ypapsiv.
Unter cup.ßoAa versteht Böckh hospitii signa oder tesserae.
Vermuthlich handelte es sich dabei um gegenseitige Erleichte
rungen des Handelsverkehrs, jedenfalls um einen nicht un
wichtigen Punkt, der aber in der Fassung des Decrets als
etwas Nebensächliches zwischen Hauptantrag, der durch die
Bestimmung des dvafptätjiö« als abgeschlossen erscheint, und
Amendement eingeflickt ist. Man könnte meinen, auch hierin
einen etwa in der Ekklesie erst eingebrachten Zusatzantrag
vor sich zu haben, der, weil er von demselben Antragsteller
wie das Hauptdecret herrührte, kurz angeschlossen ward, und
dass sich der zweite Zusatzantrag zu dem ersten formell in
Beziehung setzte, mit dem er auch inhaltlich genauer stimmt.
Das eben besprochene voreuklidische Decret nr. 59 könnte
diese Auffassung nur empfehlen. Nun lässt sich zwar ver-
muthen, dass mancher als Amendement gestellte Antrag nicht
als solches beurkundet worden sei. Ich habe früher darauf
hingewiesen, dass nicht selten die Einladung in das Prytaneion
als ein Anhängsel auf den abgeschlossenen Antrag folgt. Die
selbe mit anderen wichtigeren Bestimmungen oder solche allein
finden sich so z. B. 12. 17. 69. 84. 87. 89. 115. 115 b (Z.30—51).
136. 147. 164 u. a. m. Jedoch in dem vorliegenden Falle, wo durch
eine solche kurze Zusammenfassung die Beziehung des zweiten
Amendements geradezu unverständlich würde, ist diese Annahme
ausgeschlossen und bleibt es weit wahrscheinlicher, dass das
Proxeniedecret und was unmittelbar darauf folgt von demselben
Antragsteller herrührte und ursprünglich zusammengehörte, also
ein Theil des Hauptantrages war.
Das zweite ähnlich formulirte Amendement enthält das
Ehrendecret der Söhne Leukon’s, welches Androtion, des Andron
Sohn, der Gargettier beantragt hatte, Z. 66:
II | . c, Tip.oxpaTouc KpuDEU? sTk£• ta [p.ev ak\y. -/.[aOajjrsp
'AvSpoiiwv- uTEpavoicaft oe x,a! ’Atcoa]|X<1)Viov tsv Aeuxcovo? ubv
£7. TO) fv
Der vorausgehende Hauptantrag ist, obwohl Ioo^e tw 8’jp.o) in
den Präscripten fehlt und den Charakter des Decretes nicht
bezeugt, durch den Mangel der probuleumatischen Formel zu
Studien über attisches Staatsrecbt und Urkundenwesen. III.
133
Anfang' hinreichend in seiner Beschaffenheit eines Vollcsdecretes
verbürgt und dasselbe ist ohne Bedenken für nr. 86 anzu
nehmen, worauf übrigens schon der Auftrag au die Bule führt
;coc7)cac0(i> oe y.at cü|pißoAa Y) ßouX'ij v.ta.. die in einem probuleuma-
tischen Decret ohne Zweifel anders stilisirt wäre.
Ist dies richtig, so ergibt sich daraus, dass die Amen-
dirungsformeln, je nach dem Charakter der Anträge, zu welchen
sie gehörten, verschieden lauteten, dass auf ein probuleuma-
tisches Decret ~'o. pAv äXka y.aOäxep ty) ßoukjj, auf ein Volksdecret
ra [j.sv akka xaOaitep 6 Selva folgte, und somit der Unterschied
der beiden Beschlussarten selbst in diesen unscheinbaren Zügen
in feinster Weise zur Geltung kommt. Der antragstellende Buleut
verschwindet hinter der Autorität des Käthes, als dessen Refe
rent er fungierte; der antragstellende Idiot erscheint als Besitzer
und Vertreter seines Vorschlags. Als Ausnahme davon darf
nicht etwa das auf ein probuleumatisches Decret folgende Amen
dement der Inschrift 331 angeführt werden:
AuavSpo; AuctdSou ’AvacpkuaTio? eticev ■ dyaOsT tü/si SeSo^Oat tm
S'i^p.M, Ta pAv aAAa xd'na TTpccTteiv Tiepi tyji; cwpsä; r t c, stnfjxev
<J>atSpo? y.aTa to xpÖTSpov A^aicrp.a 8 AuavpSo? eixev,
in welchem der Antragsteller selbst seinen Antrag in formeller
Hinsicht verbessert und wie es scheint durch die abnorme Form
eben diese Selbstverbesserung hervorgehoben werden sollte.
Ueberdies geschah diese Verbesserung, wie wir sahen, gele
gentlich der zweiten Lesung, und es wird auf das Probuleuma
als einen bereits bei der ersten Lesung wenigstens genehmigten
Beschluss (tW^tcrp.a) berufen.
Unter den auf probuleumatische Decrete bezüglichen
Amendements haben mehrere einen charakteristischen Zug,
nämlich nr. l b . 119. 163. 186. 331 und 302 b , wenn hier wirk
lich ein Zusatzantrag vorliegt; es folgt auf vd pAv oiXka y.aOazsp tyj
ßouAv) unmittelbar oder durch wenige Worte getrennt l(ju]cpto'Oat
(l b . 119. 186) oder Scoc/Oai tm Bfjp.w (302 b . 331) oder wie 163
liirjcpiaQai tm 8f ( p.to, Ta pAv aAAa y.a0ä[iTSp tyj ßouAY)]. Von dreien
derselben (119. 186. 331) wurde nachgewiesen, dass sie nicht
zugleich mit dem probuleumatischen Antrag, sondern in einer
späteren Ekklesie, bei welcher die Schlussabstimmung vor
genommen wurde, gestellt wurden. Wer wird zweifeln, dass
dasselbe auch von den anderen zu gelten habe? Somit wird
134 Hartei.
unsere frühere Untersuchung über den Charakter jener Ekkle-
sie, auf welche die Protokolle der Inschrift l b Z. 1—19 zurück
gehen, von einer neuen Seite bestätigt.
Die verschiedene Textirung der Zusatzanträge lehrt mit
hin, dass die Einbringung eines Antrags und die Schlussver
handlung von einer Debatte begleitet sein konnte, dass bei der
ersten und zweiten Lesung die Amendirung gestattet war und
die Schlussverhandlung nicht bloss zu der leeren Formalität
eines bereits durch die Genehmigung der Einbringung so gut
wie approbirten Beschlusses zusammenschrumpfen musste.
Die bisherige Untersuchung hat über die probuleumatischen
Decrete nach allen Seiten hin genauen und, wie ich auch glaube,
sicheren Aufschluss gebracht. Für die zweite Gattung, die
Volksdecrete, liessen sich nur einige negative Bestimmungen
gewinnen. Es hat sich als eine feste Praxis der athenischen
Kanzlei herausgestellt, dass Beschlüsse, welche durch einen
Antrag des Käthes veranlasst waren, in der Zeit nach Euklid
in der Form probuleumatischer Decrete beurkundet zu werden
pflegten. Indem ich daraus die Folgerung ziehen zu müssen
glaubte, dass für die in Volksdecreten ausgefertigten Beschlüsse
keine probuleumatischen Anträge Vorlagen, scheinen wir nach
diesen langen Untersuchungen auf den Ausgangspunkt zurück
geführt worden zu sein, ohne das erwünschte Ziel erreicht und
eine mit der nicht wegzuschaffenden, klaren Forderung attischen
Staatsrechts p,Y]Ssv sav axpoßoöXeufev ei? rr ( v ex/XrßiaN EiGtpspscOat
vereinbare Erklärung gefunden zu haben. Wir können uns
nicht mehr dabei beruhigen zu sagen, dass die Volksdecrete
den Protokollen der Schlussverhandlung entnommen worden
seien, während die probuleumatischen Decrete das Verhand-
lungsergebniss der ersten Lesung enthalten; denn es wäre un
begreiflich, weshalb probuleumatische Anträge, welche bei der
zweiten Lesung amendirt worden waren, in der Art beurkundet
wurden, dass man für den Hauptantrag das Protokoll der
ersten, für den Zusatzantrag das Protokoll der zweiten Lesung
zu Grunde legte; es wäre bei der nun erkannten Feinfühlig
keit der attischen Kanzlei auf das höchste befremdend, dass
Studien über attisches Staatsrecht und- Urkundenwesen. III.
135
in diesen Fällen zwar der Zusatzantrag durch sein ra ;j.sv äXXa
y.a0<feep ty) ßouAvj bezeugte, dass der Hauptantrag aus der Mitte
des Rathes ausgegangen sei, die Präscripte der Volksdecrete
hingegen diesen Hauptantheil des Rathes durch ihr ISo^e tm
är,|j.o) verdecken durften, da es so leicht war durch ’ioccs. xp
ßouXr) y.ai To) ory.M dem Anspruch auf das Verdienst, an dem
Beschluss mitgearbeitet zu haben, wenn ein solches vorhanden
war, gerecht zu werden. Es scheint demnach die Folgerung
zwingend: der Rath hatte an dem Zustandekommen der in
Volksdecreten beurkundeten Beschlüsse keinen Antheil, die
selben sind über seinen Kopf hinweg unmittelbar in der Ekklesie
verhandelt und angenommen worden. Diesem Schluss steht
aber die unanfechtbare Thatsache entgegen, die sicherer nicht
bezeugt sein kann als sie es ist und durch diese Studien noch
besser begründet wurde, dass ohne Rathsbeschluss kein Antrag
vor die Ekklesie gelangen konnte. Wir sind, um diesen schroffen
Widerspruch zU lösen und die einander aufhebenden That-
sachen auszugleichen, nicht blos auf Vermuthungen und wenig
Vertrauen erweckende Compromisse angewiesen. Ein inschrift
liches Zeugniss weist den nicht zu fehlenden Weg einer reinen
Lösung.
Früher ist bereits das einzige uns erhaltene Beispiel
zweier auf denselben Gegenstand bezüglicher Urkunden, eines
vom Rath ausgegangenen Einbringungsdecretes und eines
Decretes, welches das Ergebniss der Schlussverhandlung ent
hält, mitgetheilt worden (nr. 168). Letzteres hat die regel
mässige Form der Volksdecrete mit eSol;e xö> o-qp-o) in den Prä
scripten und erinnert mit keiner Silbe an die Betheiligung des
Rathes, die uns durch das probuleumatische Decret verbürgt
ist. Diese Betheiligung ist aber auch eine eigenthümliche, von
der in allen anderen probuleumatischen Decreten sich geltend
machenden Ingerenz dieser Behörde abweichende. Der Rath,
vor welchem die im Piräeus ansässigen Kaufleute aus Kition
mit dem Gesuche um die Erlaubniss zur Erbauung eines
Aphroditetempels erschienen waren, beantragt nämlich in der
Ekklesie auf Grund eines Beschlusses:
xob? TiposSpou? oi av 7,a'/wci -üpoeäpeueiv ei? xijv iipu>TY]v «utkrjaiav
’KpoGO.'fa.^ü'i auxobi; y.ai /pY)|/.ax(ca'., §e i;u[J.ßä/O,£50a[ zrjc,
ßouX-?j<; sie xbv 8ijp.ov 3xt Sonst x^ ßouXet, ay.ouGavxa t'ov oyjp.ov
136 Hartei.
twv Ktxtfilwv T£p! ir}q iSpicrsio)? xoü 'lep.'pQ •/.a\ uWou
’A.0v]va(wv xoO ßouXoptsvou ßouXeuuacOat o xi av aüxw So’/.sT
aptuxov etv.ai.
Er beantragt also, dass der Gegenstand auf die Tagesordnung
der nächsten Ekklesie gesetzt und die Petenten, um ihr Gesuch
zu begründen, eingeführt werden, enthält sich aber jedes meri-
torischen Vorschlags, ob und unter welchen Bedingungen das
Gesuch gewährt oder ob es nicht gewährt werden solle. Nach
dem dieser Antrag vom Volke angenommen worden war, wurden,
wie wir aus den Präscripten des zweiten Decretes entnehmen,
die Petenten in einer Ekklesie der nächsten Prytanie eingeführt,
und da stellte nicht Antidotos, der als Antragsteller an der
Spitze des ersten Decretes steht, sondern Lykurgos den Antrag,
dem Gesuche unter gewissen Bedingungen zu willfahren. Das
Ergebniss dieser Abstimmung konnte also insoferne richtig durch
soo<;s tw svjp.w bezeichnet werden, als das Meritorische des Antrags
einzig allein von der Ekklesie ausging, das Probuleuma des
Ruthes aber sich auf die Einbringung, also den formellen Theil
der Durchführung, beschränkt hatte. Wie wiederholt bemerkt
wurde, verdanken wir die Kenntniss eines derartigen Probuleuma
dem Zufall und nichts steht demnach der Annahme im Wege,
dass der Rath eben so häufig mit einem fertigen Vorschlag vor
den Demos trat, als er es diesem, d. h. dem ersten besten
Bürger in der Ekklesie freigab, Sachen zu berathen und
Anträge zu stellen, indem er sich mit der blossen Einbringung
begnügte. Mochte er so oder so verfahren, in jedem Falle war
dem Gesetze entsprochen, welches verlangte |j.y;oev iS.') axpoßoü-
Xeuxov elopepesOat eiq xvjv iy.v.Krflh.'). Denn dass auch ein ohne
materielle Vorschläge eingebrachter Antrag kein a7cpoßo6X£uxov
war, lehrt das erste Decret der Inschrift nr. 168.
Ich würde, wenn auch dieses Verfahren der blossen Ein
bringung von Seiten des Rathes durch kein weiteres Beispiel be
stätigt noch durch anderweitige Erwägungen als etwas Zulässiges
und liebliches wahrscheinlich gemacht werden könnte, keinen
Augenblick Bedenken tragen, die uns erhaltenen Volksdecrete *
und ihre Sanctionirungsformel eoo^e tw ofjp.w in der Art zu er
klären, dass der Rath an dem Inhalt der so ausgefertigten Be
schlüsse keinen Antheil -hatte. Aber schon von anderer Seite
wurde die Ansicht geltend gemacht, dass das Probulexxma nicht
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
137
allemal concrete Anträge enthalten musste. Allerdings die von
Schoemann dafür beigebrachten Belege sind nicht ganz be
weisend. Denn das in den Thesmoph. Vers 372 mitgetheilte
Probuleuma, wenn es wirklich ein Probuleuma ist, betrifft nicht
einen gewöhnlichen Verhandlungsgegenstand, sondern es handelt
sich um die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens und es
kann mindestens fraglich sein, ob die Bule in einem solchen
Falle der Sache mit einem fertigen Vorschlag präjudiciren
durfte (vgl. Demosthenisclie Studien II 422 [60] Anm. 1). Mehr
beweist die in Demosthenes’ Kranzrede § 169 gegebene Dar
stellung jener Ekldesie, welche am Tage nach dem Eintreffen
der Nachricht von der Besetzung Elateas durch Philipp statt-
fand. Zwar ging derselben eine Rathssitzung voraus (ol piv
Tip'jxdvs'.q ty)v ßouXvjv ey.xXouv d.q xo ßcuXeux^piov, up.et<; §’ de, tyjv iv:/Jkr r
efav exopiüsaÖe, v.cd ixplv exeivijv -/p^p.axtoai zal itpoßouXeüaai
xäc b crjp.s? äv(o y.aOfjxo) und es kam ohne Frage ein Probuleuma
zu Stande. Wenn aber Demosthenes’ Erzählung correct ist und
man aus seinem Schweigen über die darin enthaltenen Anträge
einen Schluss ziehen darf, wird dasselbe nicht mehr als die
Aufforderung zu Vorschlägen enthalten haben; denn er fährt
so fort § 170: v.ai p.exa xaüO’ il>q v)X0sv fj ßouXr) y.ai dTrippfsiXav ol
itpuxdvsts xd TipoarjYYeXp-sv’ eauxoiq y.at xov vjv.ovxa ixap^payov •/.a'/.shoq
sixsv, ^poixa p.sv o y.vjpu!; ‘xiq dyopeieiv ßoüXsxaf. Indessen hatte
Demosthenes ein Interesse, die Sache in jener Art darzustellen,
wobei seine Initiative in das hellste Licht trat, und es ist seine
Darstellung auch dann nicht unrichtig, wenn wir annehmen,
dass er als Mitglied des Rathes in dem Probuleuma dasjenige
beantragt hatte, was er dann als Redner in der Ekklesie ver-
theidigte. Wenn auf Grund dieses Berichtes nicht mit voller
Zuversicht auf ein positiver Vorschläge entbehrendes Probuleuma
geschlossen werden kann, so setzt uns eine Reihe von Inschriften
in die Lage, ein analoges Verfahren des Rathes in anderen Fällen
zu constatiren.
Wie der Rath bei der Behandlung des Gesuches der Kitier
nr. 168 sich darauf beschränkte, dasselbe in geschäftsordnungs-
mässiger Weise einzubringen, auf das ihm zustehende Recht meri-
torischer Beantragung hingegen gänzlich verzichtete, indem er
jeden Theilnehmer an der Ekklesie aufforderte Anträge zu stellen,
so hat er in anderen Fällen gewissermassen auf dieses Recht
138
Härtel.
einen partiellen Verzicht geleistet und über den Inhalt seines
probuleumatischen Decretes hinaus es der Ekklesie freigegeben
Anträge zu formuliren, dem Petenten weitere Gnaden zu fordern.
Schon auf voreuklidischen Inschriften lässt sich die wenig
variirte Formel, durch welche das geschah, nach weisen, so
CIA. I nr. 51 (Supplern. S. 17) Frg. fg Z. 36:
[sivai 31] | y.ai vuv £Üpi'axsa0at auxou? csapä x[ou o]f ( p.ou xou A0r r
vaiwv o v. dv ooy.p d'faGfbv aAAo oxou dv Seawai.
und in dem nach 01. 106 aufgezeichneten, aber 01. 92, 3
= 410/9 v. Chr. gefassten Beschluss, der im CIA. II nr. 128
steht, möchte ich die Z. 11 erhaltenen Reste etwa ergänzen:
[auxou? os süpsoSa: ei? xo ao]txxbv m dv | [osüovxai tmpa xou cy][j,cu,
stcJeiov} sio! | [ävcps? a-paGoi ■Tispi A0v)vat]ou?.
Indessen findet sich eine derartige Cession nicht bloss in
probuleumatischen, sondeim auch in Volksdeci-eten, und hie und
da ist der Wortlaut ein solcher, dass die Realisirung weiterer
Anträge an Bedingungen geknüpft ist oder wenigstens nicht
für den Augenblick in Aussicht gestellt wird, wie 423 Z. 10 ff.:
e[iv]a: os auxu xai £15 xb
[aoktov d]Ttö'S£wvup.svw xi)V cxpb?
[A0Y)vai'o]ui; süvoiav supsoOat y.ai aA-
[Äo dva6b]v oxou dv oov.v)(t) äfy.oc, siva:
und ähnlich 327. 402. 414. 438. 443. 455. Solche Versprechungen
hatten keinen grösseren oder px-aktischeren Werth, als wenn
es in dem auf eine «hooGt? bezüglichen Beschlüsse nr. 334 heisst,
um die Opferwilligkeit der Bürger zu steigern, Z. 20 ff.:
Eivai os xoi? siaboüot [cxscavtoOrjvai xs xa]l euatv£0^vat y.ai xipw]-
Grjvat üsb xoü S^[p,ou y.aGoxt dv p ai;t]o? sxaoxo? abxüv,
(vgl. Seeurk. XIV b Z. 25 S. 466 Böckh), oder wenn dem
König von Sidon zu melden entboten wird nr. 86 Z. 4 ff:
y.ai dxxoy.pivaoGai xq> vjxovxi ccjapd xou S'.ooxvüov ßao'.Xeo)?, oxt y.ai |
sc xov Xoixov ypovov S>v äv-qp ayaO/o? ctspi xov Sijp.ov xbv AGy)-
vaim ou|y. Icxi 0 xi äxuyqGsi xapd X0Y]vaiü)|v oxv dv osr,xat,
oder den Söhnen und Ei’ben Leukons von Bosporos Z. 17:
y.ai dixavyslAsiv auxol? xou? crpsoßst? oxi xauxa xxotouvxs? ouotvo?
dxu/cqoouoiv xou of/p.ou xou AOv)vaüov.
Anders steht es damit, wenn dieselben ohne eine solche
Beschränkung verheissen werden. Dabei ist es nicht ohne Be
deutung, ob dies in einem Volksdecret, durch welches eine
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
139
Verhandlung in der Regel für den Augenblick als beendet zu
gelten hat oder in einem probuleumatisch.cn Decret geschieht.
Zur ersteren Classe gehören folgende Fälle:
1) nr. 164, ein die Kolophonier betreffendes Volksdecret,
wie aus dem Mangel der probuleumatischen Formel zu erkennen
ist. Dasselbe beantragt Z. 19 ff.:
e[tvai o’ aoTOt? y.at a]|XXo afciöbv sav tivos [ostovxat eJupfsaOa: itapä
too S^]j|j.ou Tou ’Aörjvatwv.
Die Aufschreibung wird zum Schluss angeordnet.
2) nr. 231. An dieses Decret, welches Z. 18 die Bestimmung
enthält [stvat os aüxtl) y.at a/Cho trfa9]bv süpsaQat ir[apa tou c/p.ou], schliesst
sich, ohne dass ein Schreiber dasselbe auszufertigen angewiesen
wäre, ein zweites, welches aber einem anderen Jahre angehören
muss, indem die Stellenzahl nicht denselben Archontennamen
wie im vorausgehenden einzusetzen gestattet. Köhler datirt das
erste eit’ ’Ap/_wraou ap-/ovxoc, d. i. 01. 115, 3 = 318/7 v. Chr.,
das zweite ex'r Av)|i.ox.Xet8ou 01. 116, 1 = 316/5 oder eiet llpaqc-
ßouXou 01. 116, 2 = 315/4 v. Chr. Die Aufschreibung des ersten
Decrctes mag durch das zw'eite veranlasst worden sein.
3) nr. 307. Es folgt auch hier auf das erste Decret ein
zweites, gleichfalls aus einem anderen Arcliontat stammend
und vielleicht nicht einmal auf dieselbe Person, sondern nur auf
den Träger desselben Ehrenamtes bezüglich (a-fwvoQETYji;). Beide
sind Vollcsdecrete. Im ersten heisst es Z. 20:
etvat os aüxto [ocjvxt rote [eu0uva? ttjc y.axä xov vojj.ov
süpsaOat itapä xoü or ( [j.ou ayaOjov oxou av Soy.]|et ät;io<; Etvat. ava-
Ypätbat oe y.xA.
Wenn das hier gegebene Versprechen realisirt wurde, so
geschah das später und wenn darüber eine öffentliche Urkunde
ausgestellt wurde, musste sie nicht auf demselben Stein auf
gezeichnet oder auch nur an demselben Orte ev xw ts|j.evsi tou
Aiovüaou, der für eine besondere Kategorie von Decreten reservirt
war, aufgestellt sein.
4) nr. 108 Frg. a. Diese Inschrift enthält ein Volksdecret,
durch welches Orontes das Bürgerrecht verliehen wurde. In
Frg. b und c, welche Rangabis und Köhler derselben Tafel wie
Frg. u vindiciren, findet sich Z. 10 die Bestimmung:
[xapa] xa ev t</3e tu 4()(p[wp.axt] y £ TPap-p-eva y.at aXXo dtyaGov o
xt &'/ [b|6v[-rjxat
Hartei.
140
Doch lässt sich zweifeln, ob diese Fragmente zu demselben
Decret wie Frg. ci gehören; wenigstens lassen die Worte [Yo
dpjyüptov Xaßcvxa? cxcGev av 6 oijp.o? [d/t;tpt'tJYjxai] eher an ein pro-
buleumatisches Decret denken (vgl. 114 Frg. a Z. 4—16 x'o äs
dpyuptov eivGct, x'o ei? xov oxecpavov 6x60ev av xtp o'^p.« boxet). Wenn
dies richtig ist, würde dieses Beispiel zu der folgenden Classe
gehören. Dass ein weiteres Decret auf den Stein angeschlossen
war, ist nicht ersichtlich, aber möglich.
Nach dem früher Bemerkten kann die Zugehörigkeit der
Inschrift l b in eine der beiden Classen zweifelhaft erscheinen.
Es wird beschlossen, Poses vor den Demos zu bringen Z. 24 ff.:
xpoaayayetv oe aüxoj[v e? tov ävjp.ov y.ai eüpsaOat xa]pd xou äv}p.ou
o xt av ouvv^xai ayaGov.
Unmittelbar daran schliesst sich das Amendement Z. 28:
[xd p.ev aXXa xaGdjxsp x-?j ßouXrj, exatveoat äe üoavjv xov | [Sdp.tov
y.ai xou? üet?, exet5y) aväpe? dyjaGoi eiatv xrepi xov ä-/jp,ov xbv ’Aöyj-
vaiwv,
durch welches für ihn zugleich ein Kranz im Werthe von
1000 Drachmen, für die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft
aber beantragt wird Z. 36:
[Tva oe euptovxat y.ai a'XXo ayaGov xapd] xoü äv[p,ou, xpooayetv
aüxou? xou? xpu[xdvet|? kg xi]v xpo)TT)V ey.y.Xrjaiav p.sxd xd isp]a.
Ausser einer weiteren Zeile ist uns nichts auf dem Stein er
halten. Die Aufzeichnung der früheren Beschlüsse so wie dieses
wird Z. 30 beantragt worden sein, [y.at xüpta etvat xd e<[Y)?tap,eva
xpöxepjov üxo xou ofjp.ou xoü ’A.0r ( va£cov y.at dvaypdj'[4at
ev 'tjx^Xyjji XtOivrj, ot os xaplat xapao-/evxo)v, so dass man
ergänzen möchte dvaypd[t[at xaüxx y.at xoos xb t]//[<f>top,a ev avq-
Xy]]i XtGtvv]. Ebenso fehlt es an Indicien, den Charakter der
Decrete 207. 327 und 368, welche eine ähnliche Formel auf
weisen, zu bestimmen.
Zu der anderen Classe gehören folgende:
1) nr. 55. Das probuleumatische Decret beantragt, Mene
laos einzuführen (xpocrayetv et? xbv ärjp.ov ei? xrjv xpOxv;v exxXv)siav),
ferner ihn zu beloben und Z. 17:
eivat äe y.at eupeoGxt aüxw xxpd xou äv[p.o-
[u e]av xt äuvrjxat y.ai a'XXo ayaGov • xaXeaat äe [y.at]
[MsJveXaov exi Sevta ei? xb xpuxavetov ei? [aiiptov].
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
141
Daran schliesst sich nach einer Zeile Zwischenraum, ohne dass
die Ausfertigung- des Decrets angeordnet wird:
pdxu]poc ewxev • xa p.£v aXXa ya0aiX£[p x?j ßouXrj] ■
[e-TTS'.jSYj [S]e y.ai ot xpo-fovoi ol [MeveXäou suspy]-
[exai •Jjcav] xoü o^p.ou xou ’Ä0Yj[va(wv, stvai y.ai]
[MeveXaov EÜEp-f£]xY)[v .
Das Amendement entbehrt leider, jedoch wie nicht zu zweifeln
ist, nur zufällig jener charakteristischen Züge, woran es als ein
bei der Schlussverhandlung eingebrachtes sicher zu erkennen
wäre. Aber es ist eine und dieselbe Person, der Rathsmann
Satyros, von welchem Antrag und Amendement, herrühren, ganz
wie in nr. l b (Z. 2 und 15). 54 und 331. Und wie es l b bei
der Schlussverhandlung geschah, dass Kephisophon den Haupt
antrag zu Gunsten der Samier verbesserte, so meine ich hat es
auch hier mehr Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Satyros
bei dieser Gelegenheit, nachdem das Volk der Person seines
Schützlings sich geneigt gezeigt, über den Rathsantrag hinaus
ging, als dass er denselben schon in jener Ekklesie, in welcher
er eingebracht wurde, in Stich Hess. Jedenfalls war der Inhalt
des Amendements, wie die Aufschrift MsväXao? IkXayiüv süspysrr^
zeigen kann, Hauptsache, ebenso wie 54. 119. 186 und viel
leicht 131, und wird in demselben auch die öffentliche Auf
schreibung bewilligt worden sein.
2) nr. 119. Von dem zu Ehren Apelles’ verfassten pro-
buleumatischen Decret ist nur der Schlusssatz erhalten [slvat
ol y.|a]i a[ü]xw s[üpsij0ai r.aza x|o]u Svjp.ou [sxou av aijiog rj | ä]ya06v,
woran sich nach einer Zeile Zwischenraum das zweite Decret
anscldiesst:
Z. 4 "Eoo^sv TÖ[c ■ . . . .«p]|dTYJ? ’A0Y)v[ s]|u?
ewxev • xa [p.ev aXXa y.aOajjTirep xsl ßou[Xei • i~siSvj Se] | ’AxsXXijs
Zw[w6pou Bu^ävxjA? xpc^fjTefi o xi Suvaxai] | ayaObv u[—]s[p xou
äv)p.ou xojju ’A0Yjvatwv [xai xol; dxpa]|x[v)Y]oi? olc (V) mXt<; ey.7xs|J.7x]|s:[t]
Gup.~p[axx£i cxou av] | Ssi'<o[v]xa[i, sdr/jcucrOat xw] | ov)p.(p siva[i
’AtoXX^v Zw-||6pou Bulgc[vxiov wp6|evo]|v y.ai £U£p[y£x^v xoü Svj[xo]|u
xoü ’AOyjvfafwv aüx'ov y.ai] | sxyovouq y.xX.
Zum Schluss wird das dvaypdijjai beantragt. Dass dieses Amen
dement in der Schlussverhandlung eingebracht wurde, ist früher
festgestellt worden. Dass in demselben der Schwerpunkt des
142
Hartei.
Beschlusses zu suchen ist und dadurch die bei der ersten Lesung
Apelles eröffnete Aussicht realisirt wurde, liegt auf der Hand.
3) nr. 252. Die Beschaffenheit des Steines führt nicht
darauf, dass auf das probuleumatische Decret mit den Worten
Z. 24 _
st[vai os y.ai otüxw süpsaGaji ixapa xoG or,p.ou a[XXo ayaOov oü ctv
oov.fi a^toq eivat. aj'/a.ypä'lioa Be x6B[e tö i/fytapia y.xX.
ein Zusatz oder ein weiteres Decret folgt. Auch wird die
Aufschreibung sofort beantragt. Zu beachten ist, dass der
Herakleot, welchem die Ehre der Bekränzung zu Theil ward
nicht in die Ekklesie eingeführt werden soll, also wohl kaum
zu der Zeit sich in Athen aufhielt und die Verheissung weiterer
Gnaden mit Rücksicht auf sein Versprechen, dem Volke auch
in Zukunft zu dienen, gegeben worden sein mag.
4) nr. 421. Auf das besprochene probuleumatische Decret
zu Ehren eines gewissen Miltiades, dessen Formel früher I S. 611
richtig gestellt worden ist, ävaGst x[ö/et 8e§oj£0at x^ ßouhrj xou?
'hct.yo'naq ^poeBpoui; si]p xyjv smoooav ey.x.Xr ( [(nav /pv;|J.axtaai xepi xouxwv xxX.
und dessen Schlusssatz lautete Z. 17. 18 [eivat o]e aimo -/.aGcxt
s'irrpppsXfXexo w eüpecGat y.ai oiWo ayaObv Ttapd] xoü är,jj.ou, folgt
mit selbständigen Präscripten das zweite Decret, über dessen
Inhalt sich aus der trümmerhaften Ueberlieferung und, da
die Reste augenscheinlich nur die Motivirung betreffen, nichts
erkennen lässt, das man aber von dem vorausgehenden um
so weniger wird trennen wollen, als in demselben über die
Aufstellung nichts verfügt wird. Die Präscripte nun sind in
folgender Weise hergestellt worden:
Frg. b Z. 4 [’Exi xoü Beivip ap/ovx]o? exi xrjp 'Ix:“oGo>vxi[oo<:
q ixpuxaveta;, -1) 6 Betva - - - H]ouxdov]<; sYp[a]pip.dx[su£v •
— (övoc , t xvjc -puxajvetac • ex,x[Xn]s(a] y.u[pta —xw]p.
spoeßpwv eitetk^ipi^ev —jxip.o; xt[p, — y.at aop.jxpösopot •
[eooijev xfj ßouXfl xai x£> B^gu • o Betva - - - stusv • STietoi)
MiXxucBv)]? Sü)iXo[u] y.xX.
Es ist daraus so wenig wie aus den zusammenhangslosen Resten
des Contextes die Gattung des zweiten Decretes zu erkennen.
Wenn aber die Vermuthung enger Zusammengehörigkeit beider
richtig ist, so müsste es in den Präscripten des zweiten wie
in nr. 119 eBo^e xw Bvjp.w heissen.
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
143
5) nr. 467 Z. 102 und 471 Z. 96. In dem zweiten pro-
buleumatischen Decret beider Inschriften stellt zwar:
elvat Be aüxö y.al SXko ayaOov eüpeoGai icapa xou B-^p.ou cxou av
oov.fi aipo? slvat. avaYpd'l'“ 1 oe y.xk.,
aber sie gehören zu den in üblicherweise vereinigten Epheben-
decreten, von welchen eine weitere ausserhalb dieser Verhandlung
dem Kosmeten zugekommene Auszeichnung doch wohl von
vornherein ausgeschlossen war.
6) nr. 269. Vielleicht darf auch diese zwei Decrete
enthaltende Inschrift den vorausgehenden angereiht werden,
obwohl die wenigen Reste des ersten mit den Worten
elva[i 8’ aÜTto y.a'i uKko ayaObv e|u]p&0ai x:apd to[ü] B[y;p.ou oxou
av ooy.fi aijio? e|T|vai, Stcw? av 6 S^(j.o[i; faivyjxai /äpixa? im-
Bi|8]ou? xoT? euepYex[ai?]
schliessenden Decretes kein sicheres Urtheil gestatten, ob
dasselbe probuleumatisch war. Doch in demselben fehlt die
Verordnung der Aufschreibung und das zweite ist ein unzweifel
haftes Volksdecret.
7) nr. 54. Mit Berücksichtigung dieser Umstände lässt
sich nun wohl das Fragment b der früher II S. 125 behandelten
Inschrift nr. 54 in den ersten Zeilen in folgender Weise ergänzen
und dieselbe den hier zusammengestellten anreihen:
Z. 1 T.pooa.';]-
®M £ P V oe zat ’ÄGXUZpaxYjv zai xouc ezire]-
irxwzi[xa? ei? x'ov 8r,p.ov o~wc av süpwv]-
xai x:apd [xoü B^p.ou oü av äiijioi woiv ^YaG]-
cv • zaXecrai [oe zxA.
Denn alle anderen Indicien dieser Inschrift stimmen. Das
vorausgehende Decret ist probuleumatisch, enthält keine Ver
fügung über das avaYpaiiat, welche erst das folgende Amen
dement Frg. b Z. 24 nachträgt und auch hier liegt in ihm der
Schwerpunkt des Ganzen und nach Kirchhoff’s Ergänzung in
Frg. a Z. 7 ist es derselbe Kratinos, der den Hauptantrag
und das Amendement einbrachte. Wir werden aus denselben
Gründen wie bei nr. 55 an die Schlussverhandlung zu denken
haben. Es wäre auffällig, dass die mit Auszeichnungen sonst
nicht haushälterische Bule sich den wegen Atticismus verbannten
Delphiern gegenüber sollte eine solche Zurückhaltung auferlegt
144
Hartei.
haben. Sie wird ihre Gründe gehabt haben, die meritorische
Erledigung der ganzen Angelegenheit mit den Privilegien der
Verbannten durch die eingesetzten Worte oder ähnliche der
Grossmuth des Demos zu überlassen.
Ausser diesen probuleumatischen Decreten gibt es noch
fünf mit der besprochenen Formel, welche aber schon durch
die Fassung derselben nicht die Aussicht auf weitere Decrete
bei der Schlussverhandlung selbst, sondern im Laufe der Zeit
eic t'o 7.0'.-6v und bedingungsweise eröffnen: 402. 423. 438. 443.
455. Es ist bezeichnend, dass in diesen fünf unmittelbar auf
jene Verheissuug die Verordnung der Ausfertigung folgt, was
andeuten kann, dass man. die Sache diesmal für abgeschlossen
ansah. Auch sind dieselben nicht von einem zweiten Decrete
begleitet. In drei Inschriften, welche die gleiche Verheissung
enthalten, 207. 327. 368, ohne dass sich der Charakter der
Decrete feststellen Hesse, wird die Aufschreibung beschlossen,
auf keiner folgt ein zweites Decret. 327 lautet die Verheissung
unbestimmt elq tov [J.cia TaÜTa -/pövov. Fast wie ein Amendement
nehmen sich in 368 die auf die Ladung in das Prytaneion und
die Aufschreibung und Aufstellung folgenden Worte elvai S[sJ
aÜTw[i vm\ eüp£a0at ayajQjov xapa toü Sr ( p.ou, o[tou av coy.Yj a^tbc] sivat aus.
Endlich mag nicht unerwähnt bleiben, dass ein Rathsbeschluss
Eudoxos dem Sypalettier die Aussicht eröffnet sivat [8s] aiiTw
y.7.1 TOpä toü o[^[j.o]o [cüpso0ai ayaObv o v. av S]üvr)Tat (nr. 114 C.
Z. 13) und 592 die Kleruchen von IPephaestia einem athenischen
Bürger ausser vielen Ehren -pöoooov xpb? rijv ßouldjv y.at tov S^jaov
[~pw]t[m |j.ETa] Ta ispä xat d7A[o] ayaOov [E]ü[pEG0ai oü av Sojzsl d^io?
Eivat decretiren.
Was sich aus dieser Zusammenstellung gewiunen lässt,
ist in mehrfacher Beziehung interessant. Das in Volksdecreten
ausgesprochene oder durch Amendement beantragte Anrecht
auf weitere Auszeichnungen hat in keinem nachweisbaren Falle
eine unmittelbare Folge. Wo hier auf das erste Decret ein zweites
folgt, steht dies in keiner directen Beziehung zu dem voraus
gehenden Antrag. Auch ist in diesen Fällen die Aufzeichnung
der Decrete, was auf den Abschluss der Verhandlung für diese
Gelegenheit hinweist, verfügt, bis auf den einen Fall nr. 164,
in welchem aber die mit Sicherheit erschlossenen verschiedenen
Archontennamen in den Präscripten auf Verhandlungen ver-
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
145
schiedener Jahre führen. Auf probuleumatische Anträge
aber mit einer solchen Clausei folgt, wenn sie nicht ausdrücklich
durch ihre Fassung auf eine Realisirung dieses Anrechts in
der Zukunft oder unter Bedingungen hinweist, ein zweites
Decret, welches in drei Fällen schon durch die Form des
Amendements sich in unmittelbarste Beziehung zu dem voraus
gehenden probuleumatischen Decrete setzt, einmal mit zum
Theil, einmal mit vollständig neuen Präscripten versehen ist;
dabei lässt das erste regelmässig die Verordnung über die
Aufzeichnung offen, während in den anderen probuleumatischen
Decreten ohne ergänzendes Decret dieselbe gegeben ist.
Aus diesen Thatsachen ergibt sich mit voller Evidenz,
dass die fragliche Bestimmung in den Urkunden nicht eine
blosse Phrase war, sondern rechtlich praktische Bedeutung
hatte. Tritt diese zunächst auch nur in den wenigen probuleu
matischen Decreten mit folgendem Zusatz greifbar zu Tage,
so ist sie darum nicht für die anderen in Abrede zu stellen,
und das um so weniger, als es in Athen in ausgebreiteterem
Masse, als nach den dafür aufzubringenden Zeugnissen jetzt
scheinen mag, Sitte war, sich um Auszeichnungen und Gnaden
in förmlicher Weise zu bewerben. Ja vielleicht war es mehr
als Sitte und geradezu Gesetz, von dem nur gegenüber hervor
ragenden Persönlichkeiten, deren Ehrendecrete wir ja zumeist be
sitzen, und in Anbetracht besonderer Leistungen für den Staat
Umgang genommen werden mochte. Wenigstens führt darauf
der Wortlaut der bezüglichen Zeugnisse, von welchen mir
folgende zur Hand sind: Aus dem wiederholt erwähnten Amen
dement in dem Ehrendecret des Phaedros nr. 331 Z. 94 xa [j.ev
äWa icävxa irpdmiv Trspl xr ( ? Bwpsa? -qq clxYjy.ev «balopoc, ist zu ent
nehmen, dass die Auszeichnung eines so verdienten Mannes,
wie ihn die Motivirung schildert, nicht als eine spontane Action
des Rathes, sondern auf Bewerbung erfolgte. Auf Grund eines
Gesuches wurde die Proxenie verliehen nr. 423 Z. 5 oeB6[a0at | Be
aütü y.jai [irp]o!;£[v]![av] y.ai za! o[i|xt'a<; Iy-/.xy;c'.v] a!tYjca[[j.s]vw y.axä
xb[v | vo|j.ov y.TA. und nr. 438 [BeoocjOai] 31 auxw y.ai it[po!;sv(av alvqcz-
pijvw y.axä xbv v6p,o[v xxX. Ja wenn es unmittelbar darauf heisst
[eivai B£ aubfo y.ai xb] Xoötbv <piXoxip,ou[p.£V(ö y.ai aXXo a-faObv £u]p£G0ai
~apa xou [3y5|j.ou oü av Sov.fj aijio?] eivai, möchte man fast meinen,
dass der Petent mehr zu erringen gehofft und mit dieser Clause!
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. I. Hft. 10
146
Härtel.
auf die Zukunft vertröstet wurde. Bewerbung um die Präroga
tiven eines EÜspysTr,; lässt auch eine allerdings auf einen be
stimmten Fall bezügliche Stelle des Lysias voraussetzen : RfPoly-
stratos XX 19: ei piv ijevo; tu; eX0a)v üp,a? v) -/_p-jp.ax<z pxsi ^ euepyexY);
avaypaif^vat vjcjt'cu, eboxe 3v aux<7>. Wäre nr. 455 Z. 9 die Ergänzung
[oeSöjcöai oe auxw y.a't xoAixetav [zaxa x'ov vbp,ov aixY]aapiv]w richtig,
woran gezweifelt werden kann, so hätten wir hierin ein Zeug-
niss, dass auch um die attische Staatsbürgerschaft petirt werden
musste. Indessen steht dies durch die Hauptstelle über die
Bürgerrechtsverleihung in der RgNeaera § 90 S. 1375, 14 ff.
fest (-/.ai ijoY) xcat xou o^p.ou Sövxo; xyjv Swpeav XöyM e|axaxv)0£vxo<;
uxb xüv aixoüvxwv), wenngleich unter den aüxouvxec, was auch
gleichgültig ist, nicht ausschliesslich die Candidaten verstanden
werden müssen, sondern auch Freunde derselben verstanden
werden können. Waren die guten Freunde zufällig Rathsherrn
dieses Jahres, so konnten sie selbstverständlich, ohne dass ein
förmliches Gesuch vorlag, das Anliegen ihrer Proteges vertreten
und die Initiative zu Anträgen ergreifen. Doch muss dieses
Petitionsrecht einem jeden Athener offen gestanden haben, und
Feldherrn, Gesandte, die Proxenoi fremder Staaten werden
es nicht selten ausgeübt haben, um sich für Dienste, die ihrer
Person oder dem Staate geleistet worden waren, erkenntlich zu
erweisen. Indem der Rath solchen Männern die Ehre und das
Verdienst nicht nehmen wollte, einen Beschluss durchgesetzt
zu haben, wird er sich, wenn er das Verlangen begründet fand,
auf die verfassungsmässige Einbringung beschränkt und ihnen
damit die Möglichkeit, die Anträge selber zu stellen, erschlossen
haben. Dass er in anderem Falle solche Gesuche nicht einfach
zu den Akten legen durfte, möchte ich auch ohne Beweis für
sicher ansehen; die Unterlassung concreter Anträge in dem probu-
leumatischen Decret wird dann als selbstverständlich erscheinen.
Dass aber derjenige, welcher mit einer solchen Petition vor
dem Rath erschien, wenn er nicht Mitglied dieser Behörde war,
nicht selbst ohne weiteres einen förmlichen Antrag stellen
konnte, steht ja nach dem, was in den Demosthenischen Studien
II 365 [3] ff. darüber gesagt worden ist, ausser Frage. Auch
kann auf nr. 475 verwiesen werden, wornach Diognetos aus Oa,
der xapia; vauzXvjpwv, vor dem Rathe (xpocoSov xotv;cdp.evo? xp'o^ xyjv
ßouXvjv) mit dem Ersuchen erschienen war, sTtzupwtrat kauxw dnjaHGp.a
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
147
— es handelt sich um die Stiftung eines Bildes —, der Raths-
mann Stratophon aber den Antrag auf Bewilligung stellte.
Uns sind aber sogar noch zwei an den Rath adressirte
Bittgesuche dieser Art im Original erhalten. Die interessanten
Schriftstücke, deren Charakter, so viel ich weiss, bisher nicht
erkannt worden ist, stehen unter dem falschen Titel x Vrff.z\i. r j.zy.
in der Plutarchischen Vita der X Redner S. 850 e (= S. 290
und 293 West.) und stammen unzweifelhaft aus dem Archiv,
wo sie dem betreffenden Protokoll der Ekklesie als Beilagen
angeschlossen waren. Dieselben dienen dort als urkundliche
Belege der 847 d (= S. 288 West.) in Demosthenes’ Bio
graphie mitgetheilten Thatsachen: %povw 8’ üoxspov ’AOrjvaToi Gixvjcfv
t’ ev itpuxavei'w toi? auffevem AYjjj.oc0evouc ISoaav y.ai aüxw xexeAeu-
zrp/.izi ty)v eixcva äveOexav ev äyopä em Fopyio'j apyovxo? (01. 125, 1
= 280/79 v. Chr.), ai-^cap.evou auxw xa? oiopeac xou dSekctooo
Arjy.oydpoug, S> y.ai auxw zakiv 6 uPo? Adyyriq A-^p.o-/äpou<;
Asuy.ovosut; ^x^xaxo owpeäp eitl üuSapdxou dp^ovxo? (01. 127, 2
= 271/0 v. Chr.) osy.dxw UGxspov exet, xvjv z^qq eiy.ovoq gxocgiv ev
dtyopa y.ai gixy)giv ev itpuxavefo) aöxü xe y.ai eyyivwv aei xu xpexßuxdxo)
xai "poeoptav ev axact xoT? dyöaiv. y.ai eaxi xd (i^tpfcpaxa 6~ep a\ufO-
xepwv avayeypap.p.eva.
Der Eingang des ersten der betreffenden Bittgesuche
lautet: Az\\>.oydp-qq Adyr t zoq Aeuy.cvceuc aixel Ar ( [j,oG0svei xw Ar ( p.oc0evoui;
ITaiavteT Swpedv ebtova yaAy.vjv. ev dyopä aal g(xy)giv ev Ttpuxaveiw y.ai
icpoeopi'av auxw y.ai eyyovoiv aei xw ’icpeaßuxdxw, euepyexy) y.ai GUgßoüXw
yeyovixt y.x/.., worauf die ausführliche Motivirung folgt, welche
in Psephismen dem Antrag vorauszugehen pflegt. Das zweite
beginnt: ’Ap/wv t]u0apaxo?. Ady-qc Aqp.oyd.paiq Aeuy.ovoeu:; aixet owpeav
xvjv ßou/.Yjv y.ai xov Svjp.ov xwv ’AOrjvafwv A^p.o^äpei Ady-qzoq Aeuy.cvoeÜ
e’.y.öva yaK-y.fiv ev dyopä y.ai gIxyjgiv y.xA., worauf die gleich aus
führliche Motivirung folgt. Gegen die Authenticität dieser
Urkunden lässt sich kaum ein begründetes Bedenken erheben.
Man mag sich wundern, dass der Biograph nicht lieber den
Originaltext der Inschriften mitgetheilt. Ob er nun dies zu thun
in der Lage war oder nicht, für die Thatsaclie, die er urkundlich
begründen wollte, waren die gewählten Schriftstücke passender.
Und auch eine andere Urkunde, welche dieselbe Quelle uns
in dem Leben des Redners Lykurgos, dem ein Jahr später
dieselben Ehren wie Demosthenes zu Theil wurden, erhalten
10*
148
Hartei.
hat, stellt nicht eine Abschrift der bezüglichen Stele dar, von
welcher wir in nr. 240 ein Duplikat besitzen, sondern ist Copie
oder Auszug einer Beilage aus Akten, die im Metroon lagen
(s. C. Curtius im Philol. XXIV 89 ff. 112 ff). Die an der
erhaltenen Inschrift controlirbare Echtheit dieser Urkunde stellt
die Echtheit unserer beiden Bittgesuche ausser Frage.
Da die beiden Petenten, wie eben ihre Gesuche erkennen
lassen, nicht Mitglieder des Rathes waren, mag derselbe,
■wenn er ihre Vorschläge sich nicht aneignete, ein probuleu-
matisches Decret nach dem nr. 168, 1 vorliegenden For
mular abgefasst und ihnen damit den Weg als Antragsteller
zu fungiren eröffnet haben. Die Sanctionirungsformel der so
zu Stande gekommenen Decrete war dann sio-s t<o Sy^.u,
indem kein meritorischer Rathsantrag dabei im Spiele war,
und so lautet sie wenigstens in dem wohl auf ähnliche Weise
provocirten Ehrendecret des Lykurgos. Es stimmt gut und ist
sehr bezeichnend, dass in den drei Fällen, die ich nachzuweisen
vermochte, wo die Bittsteller sich in eigener Person an den
Rath gewandt hatten 331. 423. 438, dieser selbst in probuleu-
matischen Anträgen ihre Petita einer günstigen Entscheidung
entgegenführte. Die Petenten konnten doch nicht, ihre Staats
bürgerschaft vorausgesetzt, als Antragsteller in eigener Sache
fungiren, so wenig es in einem verwandten Falle dem Priester
des Heros Iatros nr. 403 geziemt hätte. So erklärt es sich
auch, dass die Belobungen der abtretenden Prytanen, welche
aus den letzten Tagen der Prytanie der belobten Phyle oder
dem Anfang der folgenden datiren, niemals vom Rathe selbst
ausgehen und nicht in der Form probuleumatischer Decrete,
sondern in Volksdecreten ausgesprochen werden (vgl. 390. 391.
392. 417. 425. 431,1. 432 und darnach auch 426). Veranlassung
der Auszeichnung war ein Bericht der abtretenden Phyle und
die Auszeichnung hatte doch dann nur Werth und Bedeutung,
wenn sie als ein spontaner Akt der Ekklesie erfolgte. Ich
möchte mich auch nicht dagegen sträuben, -wenn Jemand be
hauptete, dass derartige Anträge auf kurzem Wege in erster
und zweiter Lesung angenommen wurden. Nicht anders stand
es mit jenen Belobungen, auf welche der gesammte Rath nach
Ablauf seiner Amtszeit, wenn er seinen Verpflichtungen voll
nachgekommen, einen gebührenden Anspruch hatte. Auch diese
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
149
werden, wenn auch nicht immer, direct, ohne dass der Rath sich
selber ein günstiges Probuleuma ausstellen musste, und auf kurzem
Wege durch die Ekklesie verliehen worden sein. Wenn Andro-
tion, durch dessen Vertheidigung wir über diesen Vorgang unter
richtet werden (Demosthenes RgAndrot. §. 5 ff.), sich nicht scheute,
obwohl er Mitglied der Bule war, den Antrag auf Belobung zu
stellen, aber nicht die Form der probuleumatischen Beantragung
wählte, sondern direct in der Ekklesie mit seinem Antrag auf
trat, so hatte er seine Gründe, die ihm ein solches Verfahren räth-
lich erscheinen Hessen, oder Demosthenes insinuirt ihm solche.
Die probuleumatischen Anträge mit eiva: cs y.ai Evps<j0at
xapä xov OY^p.oo ov av ooy.Y) o Sslva atjio? Etvai oder Ss^xai durften
demnach mit jenem Decret, welches das Gesuch der Kitier
einbrachte (nr. 168, 1), als gleichartig zusammengestellt werden.
Wie dort der Rath auf sein Recht concrete Anträge zu stellen
gänzlich verzichtete, so leistete er hier einen theilweisen Verzicht.
Der rechtliche Werth der Clausei ist demnach offenbar ein pro-
buleumatischer und nur der Form nach verschieden von dem,
was der Rath in der Angelegenheit der Kitier beantragte
dy.oucavxa t'ov Svjp.ov xwv Ktxtstcov xat aXXou ’AOnjvafwv xou ßovXop.EvGu
ßouXsiiaaaOat o xi av aüxw Soy.et aptaxov sivat. Welches aber ist der
Werth derselben in Volksdecreten, wenn sie nicht ausdrücklich
auf die Zukunft beschränkt wird? Darüber geben zwei In
schriften eine Andeutung, nämlich CIA. I nr. 59 Z. 36, wo auf
Grund eines Amendements beschlossen wird:
Eav Se ooy.Y) auxou? v.ou
[aXXou xujteiv aYaOoü, xyjv] ßouXvjv xpoßouXsiaacrav
[e^eve'P'.eIv ei? xov oripjov
und CIA. II nr. 98, wo es heisst Z. 5:
Sud); [§'] av y.[a]i üpöxi? o [ e'6pv;xai] xapä xov Sy5(v.o'j xov
’AOvivafuv o[xcv av Sev)xa]i dyaOov, x[y)]v ßouXv)v 7xpoßouXfc[iiaaaav
üjjevefÄeiv e[i]? xov ovjp.ov Et? xrjv xxptofxrjv EZ.y.jXviatav.
Sie begründete für den Petenten den Anspruch auf ein seinen
Wünschen entgegenkommendes Probuleuma. Auf einen solchen
Beschluss berief sich also Kaliteles in der früher behandelten
Inschrift nr. 126:
[xepi S]|v KaXtxeXr,? Xe[yei oxt 6 orjp.o? e(j)Y)<pt]jtjaxo auxw xpo-
[ßoüXsup.a, E'iT)ipta0at] | xp ßouXeT xov? [piv xposSpou? xpY]p.ja]xiaai
xept avxov ev xvj xpwxv] szy.X'^ojta y.xX.
150
Härtel.
Wir haben bisher bereits eine Reihe von Möglichkeiten
geltend gemacht, durch welche die Ekklesie in die Lage kommen
konnte, Anträge anzunehmen, auf deren Inhalt der Rath keinen
Einfluss genommen und deren Sanctionirungsformel dem ent
sprechend, wie in dem zweiten Decrete der Kitier, soocje t<7>
o-(5ijui) und nicht sSo^e ty) ßoukv) y.ai tu lauten musste. Die
Möglichkeiten sind damit nicht erschöpft, jedoch ohne Anhalt in
unserer Ueberlieferung nicht leicht zu erschöpfen, noch weniger
leicht zu umgrenzen. Aber man wird zugeben, dass es in einem
Staate wie Athen hundert Dinge gab, welche auf technischer
Einsicht beruhten, das allgemein politische Gebiet, auf welchem
die Thätiglceit des Rathes sich bewegte, nur streiften und die,
mochten sie nun von anderen Behörden, Commissionen oder
sachverständigen Privaten angeregt werden, zu ihrer Durch
führung der Einwilligung des Demos bedurften. Der Weg, vor
diesen Anträge zu bringen, führte einzig und allein durch die
Bule. Dass in solchen Fällen der Rath sich auf die blosse Ein
bringung beschränkte und weder er noch eines seiner Mitglieder
im Rathe das Sachliche in Vorschlag brachte, ist eben so begreif
lich, wie dass die auf solche Art zu Stande gekommenen Be
schlüsse durch eooäje tu of^v.w charakterisirt wurden. Dieses Ver
fahren lässt sich durch ein Beispiel illustriren, worüber ich
bereits in den Demostlienischen Studien II 366 [4] meine Meinung
äusserte, die sich nun in einigen Punkten schärfer und richtiger
präcisiren lässt. Timarch hatte nämlich als Mitglied des Rathes
den Gedanken auf Verbauung der Pnyx-Gründe angeregt und ein
probuleumatisches Decret durchgesetzt, welches nach Aeschines’
Bericht RgTim. § 81 ungefähr dahin gelautet haben muss: itep'i twv
oiwjtjewv twv sv ty] Iluy-vi Sofp.a eljsveyy.stv tyjv sv ’Apeiw xdyw ßouXvjv
dg tov Svjp,ov, tou? o£ ’Kpoe.opyjc, di äv Xaywac TpoeBpsustv dg tyjv xponrjv
r.pOQa'(c/.'(€b) tyjv ßouXyjv v.y.l ypr^mv.aca. Denn der Gegen
stand berührte die baupolizeiliche Competenz des Areopags.
In der nun folgenden Ekklesie, in welcher der Areopag
erschien, tritt als Antragsteller ein Areopagite auf (§ 81 vqg
ydp ßouX?j<; vqg £v ’Ap£tw irayw xpoaoBov itoiou|j,evr); Trp'o; tov ot)|j.ov
y.aTOt to ii-qtfiGp.a t'o toutou o oüto? Eip^y.E 1 . 7T£p: twv oiy.^oowv twv £v
[Ju’/.v!, tjv p.ev 6 tov Xoyov Xoywv £•/. twv ’ApeoxayiTwv AutoXuzo;).
Noch instructiver ist in dieser Beziehung eine Stelle des
Platonischen Protagoras, 319 b, wo Sokrates die gescheiten
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
151
Athener lobt, die in technischen Fragen sich nur durch Fach
leute berathen lassen wollen: opw ouv, Stov ouXAeyöjj.ev ei? tyjv
ey.y.AT)ai'av, exetoav jj,ev xepl oiy.ooojj.ia? ti oev) xpa!;ai Tr,v xöXiv, tou?
oiy.ooojj.ou? jj,£Taitep,xop.evou? aup.ßoüXou? xepl twv okoBojj,T)jj.dTü>v,
oxav oe xepl vauxvjyia?, tou? vauxrjyoi?, zai xaXXa xavTa oütw?. Wenn
in solchen Fragen sich ein Anderer, mag er auch sonst das
grösste Ansehen geniessen, als Berather und Antragsteller auf
drängt, y.aTayeXwot y.ai öopußouoiv, ew? av ^ auro? axoaTfl 6 exi/etpwv
Aeyeiv xaTa0opußr)0et? v) oi To!;6Tai auröv dtpeXy.uowc.v v) eljaiptiwai
y.eXeuövxojv twv xpuxdveojv. Ich möchte nicht zweifeln, dass eine
derartige Rücksicht den Rath bestimmte, sich mit der Ein
bringung des Gesuches der Kitier zu begnügen. Wenigstens
war Lykurgos der Butade in solchen Fragen der berufenste
Fachmann und gewohnte Berather — y.ai xepi iepoW xoXXax.1?
elxE erzählt uns seine Biographie —, der als Antragsteller an
der Spitze des Volksdecretes steht. Das probuleumatische
Decret 168, 1 kann zeigen, in welcher Form das, was Plato
tou? oiy.oS6jj.ou? jj.eTaxejj.xea0at oujj.ßo6Xou? nennt, in der Regel ge
schehen sein mag, und dass diese vernünftige Absicht durch
nichts besser als die Einrichtung einer doppelten Berathung
und Lesung gefördert wurde, bedarf keiner weiteren Aus
einandersetzung.
Ich habe endlich in meiner Abhandlung (Demosthenische
Anträge in den Commentationes philologae in honorem Th. Momm-
seni S. 518 ff.) noch auf eine Art Anträge aufmerksam gemacht,
welche von Nicht-Buleuten direct in der Ekklesie angeregt
wurden, und nachzuweisen gesucht, dass auch diese dem regel
mässigen Geschäftsgang, der, wie ich damals noch nicht erkannt
hatte, aus Einbringungs- und Schlussverhandlung bestand, unter
worfen waren. Wenn der Rath, den sie also behufs der Ein
bringung zu passiren hatten, dieselbe sich nicht aneignete, son
dern auf die blosse Einführung sich beschränkte, werden auch
diese als Beschlüsse in ihren Präscripten das Charakteristicum
der Volksdecrete eoo?£ tm or ( jj.w aufgewiesen haben.
So nothwendig also in probuleumatisehen Decreten die
Sanctionirungsformel sco?s Tp ßouAp y.ai tm oy^jj-u lautete, so konnte
sie in Beschlüssen, welche auf den bezeichneten Wegen zu
Stande kamen, nur eSoije tm cyjjj.m heissen, obwohl dieselben in
Beziehung auf ihre Einbringung nicht axpoßoüXeuTa waren. Uns
152
Hartei.
mag diese Exactheit der Bezeichnung, diese feine Unterschei
dung formeller und materieller Ingerenz befremden. Aber die
selbe wird von der attischen Kanzlei selbst dort gehandhabt,
wo wir noch weniger Zweck und Nutzen derselben aufzuspüren
vermögen. Es ist eine feine Entdeckung Köhler’s (Urkunden und
Untersuchungen zur Geschichte des delisch-attischen Bundes S. 67
und 137), dass sich die in den Quotenlisten vom 22. bis 29. Jahre
vorkommende Rubrik der toXsis ä? oi ioiüfrai IvsYpa^av <?&pov «pepetv
darauf bezog, dass in diesen Fällen die Feststellung der Tribute
der zum ersten Seebund gehörigen Gemeinden auf Antrag von
Nicht-Buleuten erfolgt war, welchen das Recht des Eintritts
und der Antragstellung in den betreffenden Rathsverhandlungen
mit der Beschränkung auf die Tributfeststellung ausdrücklich
reservirt worden war. Wie hier der Name der Bule, durch
deren Abstimmung doch die Anträge Rechtskraft erhielten,
verschwiegen wurde, so war für sie in den Präscripten jener
Beschlüsse kein Platz, die von ihr nicht auch meritorisch fertig
gestellt worden waren.
So scheinen wir denn durch diese Untersuchungen zu
einem Resultat gelangt zu sein, welches weit abliegt von dem,
was ich in den Demosthenischen Anträgen und besonders in dem
zweiten Hefte der Demosthenischen Studien S. 365 [3] ff. ermittelt
zu haben glaubte, indem der Nachweis von der Unerlässlichkeit
der Vorberathung die Bule mit weitgreifendem Einfluss und
überwiegender Machtfülle ausgestattet, hingegen das politische
Actionsrecht ausserhalb der Bule stehender Bürger einigermassen
geschmälert und gebunden erscheinen Hess. Der Widerspruch
ist nur ein scheinbarer. Die Unterscheidung eines bloss for
mellen und eines meritorischen Probuleuma schmälert die poli
tische Stellung und Bedeutung des Rathes in keiner Weise.
Sie nimmt ihm nichts von seinen verfassungsmässigen Rechten.
Er cedirt von Fall zu Fall nach freier Entschliessung seine
Prärogative der Antragstellung. In Bezug auf die Sanctio-
nirung des Inhalts hatte er nie ein Recht und konnte keines
cediren, indem das Volk den Willen desselben annehmen, ver
werfen oder verändern durfte, wie es wollte. Und sein nichts
mehr als moralischer Einfluss auf die Annahme des concreten
Inhalts der Anträge, die er nicht selbst stellte, war dieser
etwa aufgehoben, wenn er dieselben mit einem bloss formellen
Studien über attisches Staatsrecbt und Urkundenwesen. III.
153
Prob'uleuma vor das Volk brachte? Kam dieser durch den
von ihm beschlossenen Akt der Einbringung zu weniger klarem
Ausdruck, als wenn er sie selbst formulirt und gestellt hätte?
War es dann weniger seine Pflicht, was von solchen Petitionen
und Anregungen an ihn von aussen heran trat, zu erwägen und in
Bezug auf ihre Nützlichkeit und Angemessenheit zu prüfen?
Oder hatte er es nicht als einbringende Behörde in seiner Hand
von Nicht-Buleuten herrührenden Anträgen, die er nicht billigte,
Schwierigkeiten zu bereiten und wenn er denselben den Ein
gang in die Ekklesie schliesslich nicht wehren konnte, sie mit
einem die Ablehnung empfehlenden probuleumatischen Votum
vor das Volk zu bringen? Nur wird man dafür selbstverständ
lich nicht inschriftliche Belege verlangen wollen. Aber in be
zeichnenderweise illustriren doch diese seine prohibitive Gewalt
jene Volksbeschlüsse, welche — wir dürfen, weil wir die be
sonderen Anlässe nicht kennen, nicht sagen — eine Pression
auf ihn ausübten, aber ihn doch verpflichteten, gewisse Gegen
stände innerhalb einer bestimmten Frist vor das Volk zu bringen,
wie unter den oben S. 92 ff. zusammengestellten Belegen be
sonders CIA. I nr. 37. 40. 49. 55, II 65. 96. 98 lehren können.
Ja ich meine dass, was meine Auffassung der Sanctio-
nirungsformeln dem Ansehen des Käthes scheinbar nahm, sie ihm
in anderer Beziehung reichlichst ersetzt. Denn wenn man in so
consequenter und so feinfühliger Weise die Beschlüsse nach der
meritorischen und bloss formellen Betheiligung des Rathes bei
ihrem Zustandekommen unterschied und charakterisirte, dann
muss in derFormel ISoije ßouXp y.a't xw ov5|j.« jener nicht probu
leumatischen Decrete, welche wir oben II S. 101 ff. zusammen
stellten, mehr als eine archaisirende Phrase liegen. Der Rath,
und nicht irgend ein Bürger ausserhalb desselben, muss das
Meritorische derselben entworfen und beantragt haben. Sie
betreffen, wie ausführlich dargelegt und im Einzelnen nach
gewiesen wurde, Staatsverträge oder berühren durch die Per
sonen, welchen sie gelten, internationale Beziehungen, also die
höchsten Interessen des Staates, und legen damit Zeugniss ab,
dass die Initiative und politische Führung des Volkes in den
wichtigsten Staatsangelegenheiten in der That von der Bule
ausging. Demnach könnte es aber um so mehr befremden,
dass so gut wie kein eigentlicher Staatsvertrag in der Form
154
H artel.
eines probuleumatischen Decretes beurkundet vorliegt; denn
davon macht selbst nr. 49 keine Ausnahme, indem diese Urkunde
sich wohl auf die Bundesaufnahme der Korkyraeer, Kephallenen
und Akarnanen bezieht, aber nicht etwa einen Bundesvertrag
wie nr. 17 und die anderen a. a. 0. mitgetheilten darstellt; und
dass auch die probuleumatischen Decrete 17 b und 66 b nicht die
Beschlüsse enthalten, durch welche die betreffenden Staats
verträge perfect wurden, wird sich kaum in Abrede stellen
lassen (vgl. oben S. 101). Aber die Sache scheint aufgeklärt
werden zu können.
Wir haben bereits früher II S. 117 ff. darauf aufmerksam
gemacht, dass die Urkunden dieser Gattung das alte voreukli
dische Protokollformular, nachdem dasselbe längst antiquirt und
durch neue Formen ersetzt war, mit der grössten Zähigkeit
festhalten. Wie hierin deutlich das Streben zu erkennen ist, die
Regelung der internationalen Beziehungen in jenen altehrwürdigen
Formen und Weisen zum Ausdruck zu bringen, welche das
mächtige, meerebeherrschende Athen geschaffen hatte und welche
auf Hunderten von Stelen zum ewigen Gedächtniss eingegraben
waren, um so weniger mochte man geneigt sein, die neue
kanzlistische Methode, die Beschlüsse der Ekklesie durch Aus
züge aus den Protokollen der Rathsversammlungen in der Form
probuleumatischer Decrete zu beurkunden, selbst wenn ein
weiteres Hinderniss nicht im Wege stand, in Anwendung zu
bringen. In der Regel war aber in Folge der eigenthümlichen
parlamentarischen Behandlungsart internationaler Verträge das
Rathsprotokoll oder die in die Form eines Probuleuma gebrachten
Vorschläge des Rathes gar nicht geeignet, um als Urkunde des
aus den Verhandlungen sich erst ergebenden, meistens auf
einem Compromiss der Paeiscenten beruhenden Vertrages zu
dienen. In den Demosthenischen Studien II S. 446 [84] ff.
ist nachgewiesen worden, dass, nachdem durch Volksbeschluss
die Einführung fremder Gesandten und die Verhandlung über
ihre Botschaft genehmigt, und dazu eine ordentliche oder ausser
ordentliche Ekklesie festgesetzt worden war, der Vertrag nicht in
dieser selbst zum Abschluss kam, sondern dass noch eine zweite
Ekklesie dazu erforderlich war. In der ersten legte der Rath sein
Probuleuma vor, welches allerlei mit dem Verhandlungsgegen
stand in näherer und entfernterer Beziehung stehende Vor-
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
155
schlüge, wie auf Auszeichnungen der Gesandten, den Modus der
Verhandlung- und der Eidabnahme, Wahl von Gesandten u. dgl.
enthalten konnte. In der ersten Versammlung- war es diesen
Vorschlägen wie jedem anderen Rathsantrag gegenüber Jeder
mann gestattet, seine Meinung zu äussern und Anträge zu stellen,
welche das Probuleuma in wesentlichen Punkten umgestalten
konnten. Ja es mochte der Rath, wenn es gelang, die Gesandten
für den neuen Vorschlag zu gewinnen, sich gerne mit demselben
einverstanden erklären. In jedem Falle waren die vom Rath
und Anderen gemachten Vorschläge auf Grund der hierauf statt
findenden definitiven Verabredung mit den Gesandten in eine neue
abstimmungsfähige Gestalt zu bringen, welche für weitere Amen
dements nicht mehr zugänglich war. Denn so lautete die gesetz
liche Bestimmung über die beiden Ekklesien, welche Demo
sthenes in seinen Antrag über die Verhandlungen mit Philipps
Gesandten unverändert aufnahm (vgl. Aeschines RvdGes. §65):
tyj [j.ev irpotepa TÖv £•/.•/.Xy^iüv au|AßoukeiSeiv tov ßouXöp.svov, sv ty) o’
ümspa tou? xposopoui; £xi<kr)<pi'i(Eiv rag -p/Op-ac, Xöfov os pd) xpotiOsvai
(vgl. Demosthenes RwdGes. § 15 ev p [sc. ty) uexspaia] tr ( v sip^vvjv
eoEt zupoucOai). Die definitive Form des Vertragsinstrumentes
war also nur aus dem Protokolle der Schlussverhandlung zu
entnehmen und konnte demnach auch nur nach dem Formular
der Volksdecrete d. i. ohne die probuleumatische Formel und
mit dem charakteristischen E^r^tcOai (BeSg/Ocxi) t<o ovjp.w beur
kundet werden. In dem Präscript wurde aber im Unterschiede
zu allen anderen Volksdecreten die Sanctionirung durch die
Worte eSo^e ty; ßouXp vwci tw B-jp.w ausgesprochen, wie nun wohl
feststehen wird, nicht bloss um dasselbe auch in diesem Stücke
den voreuklidischen völlig conform zu gestalten, sondern weil
der Rath an der Feststellung des Vertrages meritorisch den
wesentlichsten Antheil genommen hatte. Dieselbe Art der Be
urkundung wurde in einigen wenigen Ehrendecreten von Bürgern
fremder Staaten in Anwendung gebracht, unter welchen 27.
,52°, 2 und 70 (vgl. 128) den voreuklidischen Concepten so
stx-eng nachgebildet sind, dass sie sogar der Einleitungsformel
BsBcyJki tö> or ( [j,w entbehren. Vgl. oben II S. 109 ff. und 194.
So werden nun auch die Beziehungen zwischen den beiden
Decreten nr. 51 und 52, über welche die frühere Untersuchung
II S. 120 ff. zu vergleichen ist, und die Fassung des ersteren
156
Hartei.
verständlich sein, über welche noch ein Wort gestattet sein mag,
um eine irrige Erklärung eines Punktes des ersten Decretes,
welche ich in den Demosthenischen Studien vorbrachte II
S. 410 [48], zu berichtigen. Das erste Decret hat die Ein
leitung der Verhandlung mit den Gesandten Dionysios des
Aelteren zum Inhalt und es kann kein Zweifel sein, dass was
Z. 5 folgt (s. den Text oben II S. 122) als Rathsantrag zu
betrachten ist und dass dieser in allen seinen Theilen der
Genehmigung des Demos unterbreitet wurde. Die Stilisirung
ist so singulär, wie der Fall selbst; wenigstens haben wir keine
zweite Urkunde, welche diesen Instanzengang der Verhandlung
auszuführen Veranlassung hatte. Gleich singulär ist auch die
ganze Phrasirung der probuleumatischen Formel. Der pro-
buleumatische Antrag ist zum Theil formell, zum Theil meri-
torisch. Formell, indem er dahin geht, über das Schreiben
Dionysios’ ein Gutachten des Synedrions einzuholen, das Syne-
drion und die Gesandten in die nächste Ekklesie zu bringen
und über ihre Botschaft daselbst zu verhandeln; meritorisch,
indem er eine Reihe von Auszeichnungen für Dionysios und
seine Söhne in Vorschlag bringt, über welche, wie nun klar
sein wird, in dieser Ekklesie nur procheirotonirt, in der nächsten
erst definitiv entschieden werden konnte. Ein meritorischer Raths
antrag, die Abmachungen mit den Gesandten betreffend, konnte
in dieser Versammlung gar nicht eingebracht werden, weil ja
erst nach erfolgter Genehmigung der Rathsanträge durch das
Volk die Verhandlung mit den bei dieser politischen Frage
betheiligten Symmachen beginnen sollte, von deren Ausgang es
wesentlich abhängen mochte, was der Rath hinsichtlich der Pro
positionen des sicilischen Herrschers dem Volke zur Entscheidung
vorlegen sollte. Diese Vorlage wird in der nächsten Ekklesie,
in welcher über die Auszeichnungen abgestimmt wurde, oder
später, jedenfalls in der ersten der zwei Ekklesien, welche für eine
Symmachie-Berathung gesetzlich vorgeschrieben waren, erfolgt
sein. Es liegt auf der Hand, dass der Rathsantrag, welcher
diese Vorlage enthielt, nicht in der gewöhnlichen Form eines
probuleumatischen Decretes abgefasst sein konnte, indem ja
nicht mehr zu beschliessen und so auch nicht zu beantragen
war r izpo(ja'(a'(zi'> xou? irpecßst? sic t'ov ovjp.ov eie, rf,v ccpür^v 6'/.-/.Xy]<jGv
TMpa:mkiQO.')xo.z tcuc cupp.ayou^ ~oitq xpoeopout; z.ai ypYjp.oai'^eiv zepi 2>v
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
157
Xiqouctv, sondern in demselben tlieilte einfach der designirte
Referent den Inhalt des mit den Gesandten vereinbarten Ver
trages mit, .. . ioco? ewce • e~atv setzt p.ev Aiovücnov xbv ZizsAta-; apjyovxa,
eivat bk aüx'ov y.od xou<; ijyövcuq xoü oij|.».0!j xou ’AOvpat'cov elq
xbv (xsl ypovov eiri xoteoe y.x'A., welcher mit oder ohne weitere Ver
änderungen, die diese Ekldesie proponiren konnte, in der darauf
folgenden in jener Form sanctionirt wurde, wie ihn uns die
Inschrift nr. 52 bietet.
Gesetzt den Fall, dass ein derartiger Antrag des Rathes in
unveränderter Form in der zweiten Ekldesie zum Beschluss er
hoben und als Vertragsurkunde aufgeschrieben worden wäre, so
könnte dieselbe schlechterdings nichts von dem gewöhnlichen For
melwerk probuleumatisclier Decrete enthalten. Und das müsste
auch derjenige zugeben, welcher die wohl bezeugte Abhaltung
zweier Ekklesien, wenn es sich um die Feststellung wichtiger
Staatsverträge handelte, zu bezweifeln sich bestimmt fühlen sollte.
Aus dieser Auffassung des Wesens beider Decretsformen,
welche ich zu begründen suchte, ist für die Verfassungs
geschichte Athens zwar nicht viel, aber doch Einiges zu lernen.
Zu einschneidenden Folgerungen scheint allerdings die That-
sache aufzufordern, dass bisher kein Decret des 5. Jahrhunderts
gefunden worden ist, welches einen Volksbeschluss in der vom
Rathe vorgelegten Form beurkundete. Dass der Rath bei ihrem
Zustandekommen mitgewirkt, bezeugt die Sanctionirungsformel
eootjc xf, ßouAjj y.ai xw ovjpw nicht minder als die regelmässige
Amendirungsformel xa p.sv aXXa y.aÖaxep vr t ßouXvj. Von der pro-
buleumatischen Formel weiss ich aber nur eine winzige Spur
in jener Inschrift CIA. I nr. 57 nachzuweisen, deren trümmer-
hafte Erhaltung am meisten zu beklagen ist, über deren Inhalt
Kirchhoff mit gewohntem Scharfblick bemerkt: Adparet hac
sive lege sive populiscito circumscribi senatus potestatem ita maxime,
ut quas res ei gerere non liceat absque popido accurate definiatur;
er setzt die Aufschreibung in 01. 92, 2 oder 3, die Abfassung
aber viel früher: Ceterum priscae dictionis vestigia in verbis
fragmentorum in eam dedncunt sententiam, ut non. primum illo
anno haec sancta esse existim.em.us, verum renovatam populiscito
continere antiquioris aevi constitutionem aliquam, quae hoc ipso
anno denuo fuerit promulgata. Frg. b Z. 15 dieser Inschrift
lautet: [-pd)|ji.Y;v GoJp.ßdXXecGat vrp ßouXvjv. In den nächsten Zeilen
158
Hartei.
ist von der auiXrjcm die Rede, zwei Zeilen vorher von Krieg;
Zeile 14 möchte man die Wox-te - -va tw o-ftj.to svxb? Et; -/j[|x.Epwv ?]
auf die Einbringungsfrist gewisser Gegenstände beziehen, wie
in den früheren Zeilen eine Abfolge der Vei-handlungsgegen-
stände angedeutet zu sein scheint.
Aber selbst wenn man durch diese Spuren die voreukli
dische Existenz der Fonnel nicht als bewiesen erachten sollte,
möchte ich nicht glauben, dass dieselbe und die ganze Procedur,
auf welche sie uns führte, erst später aufgekommen sei, zumal
die seltenere Amendirxxngsformel ~a p.sv aXXa y.aGaxrEp 6 oetva,
welche früher S. 130 ff. nachgewiesen wurde, kaum zweifeln lässt,
dass man die Volksdecrete deutlich unterschied und wenigstens
durch diesen Zug charäkterisirte. Auch kann ich bei dem
kläglichen Ei-haltungszustand der voreuklidischen Decrete darauf
kein besondei-es Gewicht legen, dass uns bisher kein sichex-es
Beispiel eines Präscriptes mit der Sanctionirungsformel looijs xco
äfjpiw noch eines Deci'etes mit der Einleitungsformel oeoiyjkt xo>
S-qpup bekannt geworden ist. Ja ich würde mich nicht wxxndern,
wenn uns keines mehr bekannt werden sollte. Denn ich könnte
mir ganz wohl denken, dass der immer mehr hervoi-tretende
Tx-ieb zix unterscheiden und zu präcisiren, welchen wir an allen
Stücken des Pi-otokollformxxlars zu beobachten und zu vei’folgen
Gelegenheit hatten, erst spät das Bedürfniss fühlte, auch an der
Sanctionirungsformel reale Unterschiede des Ursprungs und der
Art eines Antrags zum Ausdrixck zu bringen, welche die frühere
Uniformität verdeckte und dass auch Anträge, welche nicht
aus dem Schoss der Bule hervoi-gegangen waren, sondei-n diese
nur als Einbringxxngsbehörde passirt hatten, mit I3oc;e ßouXj;
v.v.\ xw o’pp.w sanctionirt wurden. Dass die Inconseqxxenz in der
Anwendung der Formel osocyOat (E4v;cic03a) xw of ( p.w, welche in der
ersten Zeit nach Euklid bemei-kt wird, den Gedanken an eine
noch nicht völlig durchgedrungene Reform nahe legt, dai’auf
ist früher aufmerksam gemacht worden (II S. 194).
Also mit einem Worte nicht auf VerfassungsVeränderungen,
sondern vielmehr auf einen Wandel der kanzlistischen und
archivalischen Px-axis scheinen mir die verschiedenen Urkxxnden-
formen hinzufühi-en. Während früher für aixszufertigende Be
schlüsse die Protokolle der Ekldesien als alleinige Grundlage
dienten, in welchen dieselben in jener Form eingeti-agen waren,
Studien über attisches Staatsrecht und TJrkundenwesen. III.
159
r
in der man sie zum Zwecke der entscheidenden Abstimmung'
formulirt hatte, kam nach Euklid der Usus auf, Beschlüsse, für
welche ein meritorisches Probuleuma vorhanden war, bis auf
wenige Ausnahmen nur in dieser Form zu beurkunden. Bei
Anträgen, welche nicht die Bule ausgearbeitet, sondern bloss
eingebracht hatte, konnte nur der frühere Modus statthaben.
Dass aber jenes geschehen, dass der erste Akt der Verhandlung,
bei welchem nach der Textirung des Decrets und in Wirklich
keit der Rath eine Hauptrolle spielte, zugleich das Schlussergeb-
niss beurkunden durfte, das scheint in der That eine Bedeutung
und einen Einfluss dieser Körperschaft voraussetzen zu lassen,
welche sie zur Zeit der ausgebildeten Demokratie nicht besass
und ausübte. Doch dieser Gesichtspunkt soll hier nicht weiter
verfolgt werden. Es soll vielmehr zum Schluss dieser Unter
suchung versucht werden, den Zusammenhang des dargelegten
parlamentarischen Verfahrens mit einer anderen Einrichtung
zu beleuchten und bei dieser Gelegenheit einige Urkunden, die
bisher nur nebenbei zur Sprache kamen, eingehender zu prüfen.
Ich meine die xapav6p.ü)v.
Das von Aristokrates als Rathsmann zu Gunsten des
Charidemos veranlasste probuleumatische Decret (^poßoiiheup.a)
wird von Demosthenes in der für Euthykles ausgearbeiteten
Rede, welcher dagegen die Klage der Gesetzwidrigkeit erhoben
hatte, eingehend erörtert, doch gibt die Rede über das Sta
dium der Verhandlung, in welchem sich der bezügliche Antrag
zur Zeit, da er vor Gericht gebracht wurde, befand, keinen
klai-en Aufschluss. Nur so viel ist unzweifelhaft, dass derselbe
als Rathsgutachten fertig vorlag, also im Rathe erledigt war,
als Ax-istomachos, ein athenischer Bürger, mit den besten Nach
richten über die freundschaftlichen Gesinnungen des Kersoblep-
tes und seines Schwagers Chai-idemos ankam und die Wahl
> des letztei’en zum Feldherrn der Bürgerschaft anrieth (§. 14
S. 625, 4 ff. YjToijj.acTO §’ cnuxoI? touto to 7tpoßouXeup.a v.ctl
■üpOGico7.Y)TO, tva ei xxetGOeiVjxe ey. twv O-oGyjeaswv y.ai twv eXiufStov, oc?
ükexeivev 6 ’Apiaxop.a/o?, eüöu? exity-upwceiev 6 Svjixoi;). Nach dieser
Stelle aber scheint es fast, dass der Antrag die Schwelle des
160
Harte 1.
Käthes in der That noch nicht überschritten hatte. Und das
ist die herrschende Auffassung 1 . ,Wider diesen Beschluss des
Ratlies' bemerkt A. Schäfer Dem. u. s. Z. I 381 f. ,ehe der
selbe noch an die Bürgerschaft gebracht war, legte Euthy-
kles von Thria Einspruch ein und erhob die Anklage der
Gesetzwidrigkeit. - - - Seinen nächsten Zweck hatte er er
reicht : so lange seine Klage anhängig blieb, war der Beschluss
suspendirt und, als jener zur gerichtlichen Verhandlung kam,
ohnehin arrsser Kraft: denn die Beschlüsse des Rathes
galten nur für das laufende Amtsjahr. Aber um eine
auch für die Zukunft gültige Entscheidung zu erwirken, kam
es ihm darauf an, das dem Charidemos zugedachte Vertrauens
votum durch richterlichen Spruch aufzuheben und damit dessen
Gegnern in Thrakien Muth zu machen: deshalb brachte er
auch jetzt noch die Sache an den Gerichtshof/ Allein das
wäre doch ein Kampf kaum verständlicher Art, indem es Eu-
thykles darauf angekommen sein sollte, ein Vertrauensvotum,
das ohnehin schon ausser Kraft war und wir können hinzufügen,
wenn es noch nicht vor die Ekklesie gebracht worden war,
niemals in Kraft zu treten gedroht hatte, durch richterlichen
Spruch aufzuheben (§. 94 küaat to dajtpiGp.’ up.lv). Ja es war eine
unbegreifliche Ueberstürzung mit seinem Angriff nicht zu warten,
bis der Demos zu dem Antrag des Aristokrates irgendwie
Stellung genommen, ihn vielleicht abgelehnt, und nicht in offener
Fehde diese Ablehnung vor dem Demos zu betreiben, wenn
dies überhaupt als der rechte Zeitpunkt für die Einbringung
der Suspensionsklage anzusehen ist.
Schömann de comitiis Atheniensium S. 164 behauptet es:
nam dubitari non potest quin etiam ante comitiorum diem.
Senaius consulta ad popidum ferenda, quae cum programmate
aliquot ante diebus promulgata videntur, accusari potuerint (certe
in Aeschinis oratione adversus Ctesiphontem et in Demost.henis
oratione adversus Aristocratem nihil inest, ex quo quis conjiciat,
Ctesiphontis Aristocratisque leges latas ja/m fuisse ad popidum):
neque minus etiam post comitia, ubi iam confirmata erant populi
suffragiis. Damit stimmt nicht ganz, was Meier und Schömann
Att. Proc. S. 285 lehren: ,Es pflegte der, welcher Jemand
wegen eines von ihm vorgeschlagenen Psephismas oder Gesetzes
zapavop.wv anklagen wollte, in der Volksversammlung, ehe
Studien über attisches Stuatsrecht und Urkundenwesen. III.
161
oder nachdem jenes in der Volks Versammlung oder im Col-
legio der Nomotheten durch Stimmenmehrheit angenommen war,
mit einem Eide zu erklären (6xü)p.oai'a), dass er diese Klage
anstellen wollte/ In diesem Sinne definirt Schömann in den
Griech. Alt. I 386 die u-a)|j.oata als Einspruch gegen die Ab
stimmung in der Ekklesie. Eine unbeschränkte Spielweite räumt
hingegen K. F. Hermann Lehrb. der griech. Staatsalterth. §. 132
der Einbringung dieser Klage ein, indem sie ,in jedem Stadium
einer Verhandlung des Käthes oder Volkes' stattfinden konnte
(vgl. Frankel Athenische Geschworenenger. S. 38). — Hingegen
will Bake Scliol. hyp. IV 66, welcher die gegen Gesetzesvor
schläge und Anträge gerichteten Klagen unterscheidet, letzteren
eine begrenzte Frist zuweisen: suspicor et potuisse et debuisse
auctorem psephismatis in ins vocari ante comitia in quibus po-
pulus de ipsa rogatione in suffragia mittendus esset. Sive enim
zpoßouXsup.a factum esset, sive, ut nonnumquam per abusum exstitit,
cbcpoßo6XeuTov ferretur (sicut in psephismate Androtionis), prorsus
incredibile est psephismatis ipsius formidam non ante a Pryta-
nibus in programmate izäci ct/.otcsIv fuisse propositam; nur ein
solcher Antrag wie der des Androtion habe erst in der Ekklesie
(perlato psephismate) angeklagt werden können.
Die von Bake nach Schömann’s Beispiel de comitiis S. 168 2 3
vorgenommene Unterscheidung scheint mir sachlich schon in
der verschiedenen parlamentarischen Behandlung legislatorischer
und gewöhnlicher Anträge begründet zu sein und es lässt sich
auch ohne Nachtheil der hier zu untersuchenden Frage von
Gesetzesanträgen und ihrer gerichtlichen Verfolgung absehen.
Was aber die mitgetlieilten Ansichten über die Zeit der Ein
bringung der Klage gegen gewöhnliche Anträge betrifft, so
sieht man, dass dieselben alle denkbaren Möglichkeiten er
schöpfen, weil eben die überlieferten Thatsachen dies zu ge
statten scheinen, und eine Beschränkung des Zeitpunktes der
Klage auf Grund anderweitiger Erwägungen zu finden suchen.
Schömann mag bedacht haben, dass ein probuleumatischer An
trag vor seiner Einbringung in die Ekklesie rechtlich eigent
lich gar nicht existirt, vielleicht auch, dass der vorschnell an
gegriffene Antragsteller den Schlag durch die Zurückziehung
seines Antrags einfach pariren konnte. Bake mochte es nicht
in Einklang mit der Souveränität des Demos und den Forde-
O
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. XCII. Bd. I. Hft. 11
}
162 Hartei.
rungen einer prompten Executive finden, dass ein rechtskräftig
gewordener Volksbeschluss von dem ersten besten Privatmann
suspendirt und so die Handlungen der Regierung in jedem
Augenblick durchkreuzt werden durften. Dass übrigens der
jenige, welcher einen probuleumatischen Antrag zu Falle zu
bringen beabsichtigte, auch ohne die Veröffentlichung durch das
Programm zurKenntniss desselben gelangen konnte, möchte man
Bake schon deshalb zugestehen wollen, weil ja selbst Beschlüsse,
die der Rath innerhalb seiner Competenz fasste, ebenso der Ypaoi]
xapavcp.wv unterlagen wie Volksbeschlüsse (vgl. Demosthenes
RgEuerg. §. 34 S. 1149, 13 fevopivou toivüv toütou tou ii-qt?la\j.caoq
sv zfi ßouAy) y.x! oüosv'o? ypayop.svou 7tapavöp.(i)v, ak\v. xupi'ou ovto? und
Andokides in der Mysterienrede §. 17).
Aehnliche Erwägungen Hessen Madvig (Eine Bemerkung
über die Gräme der Competenz des Volkes und der Gerichte bei
den Athenenaiern in den Kleinen phil. Schriften S. 379.,) zu
der Annahme gelangen, dass die Suspensionskraft dieser Klage
nicht regelmässig eintrat: ,Es ist aber klar, dass es eine grosse
Menge von Fällen gab, wo die augenblickliche oder mög
lichst schnelle Ausführung eines angenommenen administrativen
Beschlusses (z. B. wegen einer Kriegsunternehmung, einer Ver-
theidigungsmassregel oder einer dringenden Polizeiveranstal
tung u. s. w.) so wichtig war, dass der Ausgang eines weit
läufigen Processes nicht abgewartet werden und keine Anklage,
selbst mit dem Klägereide verbunden, in den Weg treten konnte.
Wir haben aber über die Begrenzung nicht die geringste An
deutung einer Nachricht/ Madvig enthält sich über die Art
der Begrenzung jeder Vermuthung und ich weiss nicht, ob er
dabei an Anträge und Massnahmen, welche athenische Behörden
wie z. B. Strategen vor das Volk zu bringen hatten (vgl. CIA.
I nr. 40 Z. 55), gedacht hat. Ich vermag zwar kein Zeugniss
dafür vorzubringen, dass diese von der ypacpyj ^apav6p.wv eximirt
waren; aber die Annahme scheint mir so selbstverständlich,
dass eher das Gegentheil bewiesen werden müsste. Indessen
sind genug andere Vorschläge dringlichster Art denkbar, auf
welche Madvig’s Bedenken passen, die gegen den Willen des
Volkes zu vereiteln unmöglich in das Belieben des Ersten Besten
gelegt sein durfte. Und doch wird uns eine Thatsache über
liefert, welche dieser Folgerung widerspricht. Gegen den Antrag
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundemvesen. III.
163
Apollodors über die Verwendung- der Schaugelder zu Kriegs
zwecken, der eine administrative Massregel von eminenter
Dringlichkeit betraf (RgNeaera §.3 S. 1346,2 ff.), wird nach
erfolgter Abstimmung eine YP a< P4 xapavop.wv mit Suspensions
kraft eingereicht (vgl. Demosthenisclie Studien I 25 [29]). Auch
ist es wenig wahrscheinlich, dass man die Anträge nach dem
Grade der Dringlichkeit etwa classificirt habe und dass dar
nach oder je nach der Beschaffenheit des Gegenstandes eine
und dieselbe Klage bald von einer so einschneidenden recht
lichen Wirkung begleitet gewesen sei, bald nicht. Vollends
scheint gegen Madvig eine Stelle in der Rede gegen Aristog.
II 8 S. 803, 8 zu sprechen, wo es mit Bezug auf die ypaov)
■rcapavop.wv ohne Beschränkung heisst: oxav v.q <]ir l oi.G\).on:oc, •)) vop.ou
ypaqdjv a~evey/.7) itpb? rob? 0scp.o0exa;, b p.sv vöp.o? -i) xo ä'xupov
suTiv. — y.atTot K&q oby. aroxov, a p.sv feavxsq up.sl? auXAeyevxs«; eifvj-
<pf(jaxOs y.axä xob; vögout;, äy.upa eüvai xtX. Wir werden später darauf
zurückkommen. Und doch sind Madvig’s Bedenken gegen die
politischen Consequenzen dieses unbeschränkten Klagverfahrens
so evident und durchschlagend, dass man, wenn man an dem
bedingungslosen Eintritt der Suspensionskraft der Klage, sobald
sie einmal gestellt war, nicht zweifeln kann, an die bedingte
Zulassung der Klage wird zu denken haben; denn es ist eine
staatsrechtliche Ungeheuerlichkeit zu glauben, dass ein vom
Volk sanctionirter Beschluss gegen seinen Willen durch die
Einsprache des Ersten Besten ohne weiteres hätte inhibirt
werden können; ja wenn uns diese Einrichtung durch die un
zweideutigsten Zeugnisse des Alterthums verbürgt wäre, was
sie nicht ist, müsste sie in Zweifel gezogen werden.
Wenn diese Betrachtungen schon darauf führen, dass die
Klage anhängig gemacht worden sein muss, bevor ein Antrag
durch die Abstimmung über das Meritorische desselben in der
Ekklesie zum Beschluss erhoben worden war, so führt eine Prüfung
der Eigenart dieser ypaf/j zu demselben Resultat. Wie Madvig
in der angeführten Abhandlung nachwies, ruht der juristische
Schwerpunkt derselben in dem Nachweis formeller Mängel
der Anträge und der Verletzung gesetzlich vorgeschriebener
Formen und Regeln des parlamentarischen Verfahrens, eine
Ansicht, die dadurch nicht widerlegt wird, dass factisch die
Kläger eben so sehr oder noch mehr die materielle Seite der
ll*
164
'WtMaHBkMKr.
H a r t e 1.
Anträge, ihre Schädlichkeit und Unzweckmässigkeit aufzudecken
bemüht waren, zumal in manchem Falle eine strenge Scheidung
der formellen und materiellen Seite selbst juristischem Scharf
sinn nicht leicht fällt. Wenn dem aber so ist, dann wäre die
Anbringung der Klage nach der Sanctionirung des Beschlusses
ein unzulässiges ucxspov icpönepov. Die Geltendmachung formeller
Mängel gegen einen Antrag hat ihre natürliche Stelle nur dort,
wo es sich um die Einbringung eines solchen handelt. Ihr
Ziel war die Vereitelung der Einbringung oder, wenn dies
misslang, die Vertagung der Beschlussfassung. Diese Wirkung
hat die Androhung der ypaipvj Trapavbp.wv im Process der Feld
herrn der Arginusenschlacht von Seiten des Euryptolemos und
Peisianax (Xenophon Hell. I 7, 13 ff.). Diese melden unmittel
bar, nachdem der Bath sein Probuleuma eingebracht hatte
(§. 9 y) ßou/dj eiavjvEyxs tyjv eauxYji; yvwp.Yjv KaXXiljsvou ehö'noq), die
Klage an und die Abstimmung über den Antrag des Kallixenos
kann nicht vor sich gehen, wie auch das Volk schreien mag
(ostv'ov elvai, si p.Yj xi? sgcse'. xbv ävjpov itpdxxeiv ö 3sv ßoüXYjxai), ehe
Euryptolemos und Peisianax, durch die Drohung des Lykiskos
gezwungen, dieselbe zurückgenommen haben (•qvayx.dsOYjsav aiievat
xäq xXi^asic); dann erst ist der Weg zur Abstimmung frei. Es
wäre doch ein ganz verkehrtes politisches Manöver, dass sie
nicht lieber bis zum Schluss der Sitzung warteten und dann un
bedroht die Klage einreichten, wenn das gesetzlich möglich war.
Diesen Folgerungen widersprechen allerdings einige That-
sachen der Ueberlieferung, wenn man an der traditionellen Mei
nung über den parlamentarischen Geschäftsgang festhält; durch
die Erkenntniss der ersten und zweiten Lesung löst sich der
Widerspruch auf das einfachste. Ein Fall darf vor der Hand
als eigenartig ausgeschieden werden. Die Vita des Lysias
nämlich erzählt von dem zu seinen Gunsten von Thrasybulos
gestellten Antrag und der dagegen erhobenen Anklage wegen
Gesetzwidrigkeit in einer Weise, welche an der erfolgten An
nahme desselben durch das Volk keinen Zweifel lässt (Plutarch
Leben der X Redner 836 f.): eo’ 015 ypaitav-o; auxw ©pacußouXou
TioXiTEtav p.exä tyjv -/.äOooov eit’ avapjda; 1% xpb EuvAelSou 6 [j.ev
Syjjao; Ey.üpwtiE tyjv ocopsdv, aTCEVEyxap.EVou 3’ ’Ap/fvou ypa^Yjv irapa-
vop.wv Siaxb d-poßouXsuxov Elaa^Ovjvai säXw xb Allein
hier handelte es sich um Verleihung des Bürgerrechts, wobei,
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
165
wie wir später sehen werden, die gerichtliche Prüfung des
Aktes, nachdem er die Ekklesie passirt hatte, in allen Fällen
gesetzlich angeordnet war und von einer ypafp xapavopuov nur
in weiterem Sinne die Rede sein kann.
Aber auch über die früher erwähnte, gegen Apollodors
Antrag eingereichte Ypa<pp xapavcgojv wird so berichtet, dass
eine vor Erhebung der Klage stattgefundene Abstimmung
sich nicht verkennen lässt, RgNeaera § 4 S. 1346, 13: geXXov-
xcov cxpaxEuscöai üjj.öv xavSp|j.e ! . de, xs Eüßoiav y.at "OXuvGov 'iypxfyz
iWjtpiap.a ev xp ßouXp ’AxoXXoBwpoi; ßouXsüwv y.ai xpoßoi-
Xeup.a ei? x'ov cpp.ov Xeywv Biayeipoxovpaat x'ov Bpp.cv elxe ooy.et
xa xeptövxa yppgaxa xpe otoi'/.pxsdic cxpaxiwxota eivat e?xe 6swp'.x.a,
xeXeuövxwv p.ev xüv vcp.wv, oxav xcXsjj.05 p, xa xepiovxa yppgaxa xp?
otoa^asuq axpaxioniy.a eivat, y.üptov Be pyoü|jt,evo<: Beiv xov Bpgov
eivat xepi xwv aüxou 5 xt av ßouXwvxat xpalj.at, op.top.oy.(j); 5s
xa ßeXxtaxa ßouXeuaetv xeo optjtw xw ’AGpvai'wv, m? 'jp.et? xavxe? ep.ap-
xuppaaxe ev e y. e ivw xü -/.atpü' Yevojrevp? yäp xp? Btayetpoxo-
via? ouBei? avxeyetpoxövpaev w? ou Set xcT? yppp.aa xoüxot? expa-
XKOxr/.o!? yppcöai, dXXä y.at vüv exi, eav xou Xoyo? •yevpxai, xapa xävxwv
op.oXoye'txat <!)? xd ßeXxtaxa elxa? dor/.a xd0oi. Bei dieser Gelegen
heit oder unmittelbar darauf erhob Stephanos die Anklage der
Gesetzwidrigkeit. Wäre nun die hier erwähnte Abstimmung
die definitiv entscheidende gewesen, dann bliebe an der Un
richtigkeit der von mir verfochtenen Ansicht kein Zweifel.
Ich habe aber schon in den Demosthenischen Studien I
(Sitzungsber. der Akademie LXXXVII 29 [25]) auf die überaus
vorsichtige Stilisirung der ganzen Stelle, welche den Gang der
Verhandlung in einem für Apollodor möglichst günstigen Lichte
erscheinen lassen will, hingewiesen. Meine dort gegebene Auf
fassung glaube ich bis auf den letzten Satz über die Zeit
der Einbringung der fpafp aufrecht halten zu können, nur
dass die Ergebnisse voraussetzungsloser Interpretation jetzt
erst in die rechte Beleuchtung treten. Der Wortlaut spricht
deutlich, dass es sich um die Einbringung eines probuleu-
matischen Decretes handelt (ei^ve-pte xpoßoüXeuga ei? x'ov opp.ov),
welches zunächst nur darauf abzielte, wie alle Decrete dieser
Art, dass die Ekklesie in die Verhandlung des Antrages eingehe
und eine nächste Versammlung für die Schlussverhandlung und
Abstimmung festsetze. Dazu stimmt auch allein die Motivirung
166
Hartei.
des Antragstellers. Indem derselbe aber darauf hinweist, dass
sein Antrag mit den bestehenden Gesetzen im Einklang- sei
und Zweifel an der Competenz der Ekklesie zu beseitigen
bemüht ist (y.üpicv o’ yiyo6[j.svo? Selv t'ov 8fjp,ov sivat), verräth er
deutlich genug, dass gegen denselben von gegnerischer Seite der-
artigeBedenken geltend gemacht worden waren oder zu erwarten
standen. Derjenige, welcher die fpa^i) xapavop.wv anzustrengen
entschlossen war, durfte mit solchen Einwendungen zu vereiteln
hoffen, dass das Volk in die Verhandlung einwillige, und diese
Abstimmung abwarten. Lehnte dasselbe den Rathsantrag ab
xou? xposäpou? ot av \dyjoui xposSpeisiv si? tyjv xpdm)V «akvjafav
/prjp.axiaa!, so hatte er erreicht, was er wollte; ging es darauf
ein, so konnte er nun seine Klage anmelden und damit war
die zweite Lesung bis zur Entscheidung dieses Zwischenfalls
vertagt. Das Volk bewilligte aber die Einbringung in diesem
Falle, vielleicht mit ausdrücklicher Beziehung auf den Ausgang
des Processes, wodurch die Zustimmung der Gegner (oüosk dvxs-
XstpoxovYjaev) verständlich würde, und Steplianos führte nun seine
Klage durch. Wenn aber an der obigen Stelle von diesem für
Apollodor günstigen Ausgang der ersten Lesung in einerWeise
erzählt wird, die an die günstige Entscheidung des Meritorischer.
seines Antrages zu denken nahe legt, cüosi; avT£-/Eip<n6v7]irev toc
ou Set Tct? /_pvfy.ac'. -coiioig ctpazimixoit; ypvjoöai, so ist das eben
eine Auslegung dieses für die Schlussverhandlung und -abstim-
mung unpräjudicirlichen Ausfalls der ersten Lesung, deren be
scheidene und vorsichtig negative Fassung bei der Tendenz
der ganzen Darstellung, Apollodor als den siegreichen Besiegten
erscheinen zu lassen, zu der Grösse des parlamentarischen
Triumphes der entscheidenden Abstimmung nicht stimmen
würde.
Wir haben nun Anhaltspunkte gewonnen, um mit einiger
Aussicht auf Erfolg die weit dunkleren Stellen der Aristocratea
prüfen zu können. Von einer Abstimmung hat man dort so wenig
eine Spur finden wollen, dass eben darauf die Annahme basirt,
noch ehe ein Antrag die Bule verliess, habe gegen denselben die
Klage der Gesetzwidrigkeit anhängig gemacht werden können.
Ich habe früher bereits dagegen geltend gemacht, dass ein
Probuleuma, welches noch nicht in die Ekklesie eingeführt
war und die erste Lesung passirt hatte oder zu passiren im
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
167
Begriffe stand, für den Feind gar kein Object des Angriffes
sein konnte, wenn man nicht schon die blosse Absicht einer
parlamentarischen Handlung strafen wollte. An diesen ersten
Akt der Einführung kann aber an allen Stellen, wo des Pro-
buleuma in der Bede Erwähnung geschieht, gedacht werden,
wenn derselbe auch so ausdrücklich und unzweideutig, wie dies in
der Rede gegen Neaera der Fall ist, nirgends bezeichnet wird;
auf die Schlussabstimmung hingegen wird mit deutlichen Worten
als einen noch nicht stattgefundenen Akt hingewiesen und ihre
rechtliche Wirkung mit jenen Ausdrücken eitnwpoöv /upoöv be
zeichnet, die wir oben als technisch erkannt haben. Nach §. 14
lag das xpoßouXsuga wenigstens von Seite des Rathes fertig vor,
als Aristomachos in der Ekklesie mit seinen hoffnungerregen-den
Meldungen über Iversobleptes und Charidemos auftrat: vjToip.aaTO
ä’ odiioig touto t'o xpoßouXsujjux y.ai xpoS«5)M]TO, hoc ct TZ£ iade(r;z’ ex
töv i/zoG/Jaemv xoci töv sXxtSwv, äg üxeTstvsv o ’Apt<sio\m/og, ei)0bs
exixopd)ff£iev 6 ovjpioi; y.ai jjwjSsv sp.xoSwv slvj. Die Klage kann dagegen
noch nicht erhoben gewesen sein, wenn man durch die Rede
des Aristomachos die Stimmung des Volkes für den Antrag
zu gewinnen bestrebt war. Aber dasselbe kann auch bis dahin
vom Rathe nicht zurückgehalten worden sein. Aristokrates und
Genossen werden es nicht erst nach jener Rede vor das Volk
gebracht haben, nachdem die günstige Wirkung derselben sich
verflüchtigt hatte, zumal in diesem Falle die Beantragung im
Rathe verfrüht und das Verfahren mit der Auffassung des Klägers
nicht wohl vereinbar wäre, der offenbar in dem Zusammentreffen
der Einbringung des Antrages und dem Erscheinen des Aristo
machos eine abgekartete Intrigue (t'o y.aTaay.e6ao|j.a) erkennen
lassen will. Es kann demnach kaum einem Zweifel unterliegen,
dass Euthykles bei dieser Verhandlung in der Ekklesie seine
Klage anmeldete, wie längst Weber richtig erkannte, indem
er bemerkt: sed qiium senatus in eo esset ut populum de eo pro-
posito in suffragia mitteret, statim surrexit Euthykles et se in
judicium vocaturum esse rogationis latorem et xapavöp.ou ypa^rjv
instituturum juravit, eoque modo rei cognitionem distulit. Man
könnte sich allerdings den Vorgang nach der Analogie des
vorhin besprochenen Falles so vorstellen wollen, dass Euthykles
zunächst Aristokrates und seinen ,zufälligen' Fürsprecher Aristo
machos bekämpfte, um die Abweisung des probuleumatischen
168
Hart el.
Antrags zu bewirken, und erst als die Verhandlung über den
selben zugelassen war, die Klage anmeldete; allein eine gleich
zu besprechende weitere Stelle legt die Annahme näher, dass
die Anmeldung der Klage vor der vpo-/stpoxovt’a und mit so
triftiger Begründung erfolgte, dass letztere darauf hin einfach
unterblieb. Wenn aber als Zweck des planvollen Zusammen
greifens der Freunde des Charidemos hingestellt wird Tva suOb?
smzupdxjstsv 6 oij[i.oc, so kann damit nicht gemeint sein, dass
noch in derselben Ekklesie über das Meritorische des An
trags abgestimmt werden und derselbe in Rechtskraft treten
sollte ; denn das hätte der Kläger sicher nicht unterlassen
ausdrücklich als das gravirendste Moment hervorzuheben. War
derselbe in erster Lesung angenommen und keine Einsprache
erfolgt, dann war er ja ohnehin bis zur nächsten Ekklesie
perfect, mit welcher Frist das sü06s wohl vereinbar ist. Es
wird demnach nur so viel in den Worten liegen, dass man die
zwischen der Beantragung im Rathe und der Schlussabstimmung
liegende Etappe, die Genehmigung der Einbringung, erreicht
haben wollte, ha [mjSev sp.7to3ü)v s’iyj.
Auch an zwei anderen Stellen wird das zupoüv als das
jenige bezeichnet, was durch die Anstrengung der Klage ver
eitelt worden ist, § 18 wv psv xot'vov evez’ sppyjOY] xb xpoßoiiXsüp.a,
tva zupwsEisv o 3'pp.oc e^a-narrfidc, zat St’ ä xvjv Ypa<pv)v Exoir)(jä|j,e0’ vjp.ER
xatmjvt, ßouXbp.EVot zwXusat, xaöx’ Icrxtv und § 180 S. 680,25 Tva o’ ü;
päcxa xouxo xspavetE, tj^<picrp,a xotouxo Trap’ üp.wv eüpsxo, sc; oö y.upwOsvxo;
av, st p.Y) St’ Yjp.a? za! xaüxnjv xvjv ypacp-qv, cpoty.vjvxo p.sv oavEpwp ot oüo
xöv ßaatXewv. Ich will nicht in Abrede stellen, dass diese Worte
nicht auch gegenüber einem Antrag, der, bevor er vor die Ek
klesie kam, vernichtet wurde, gebraucht werden konnten; in
diesem Falle aber erwartete man eine andere, wir wollen sagen,
etwas bescheidenere Redeweise; denn mit welchem Rechte
masste sich der Redner ein so zuversichtliches Urtheil über
die Stellung des Demos zu dieser politischen Frage an, wenn
derselbe damit noch nicht das Mindeste zu thun gehabt hatte?
Wenn demnach § 18 Epp-jOv; xb xpoßo6Xsup.a auf die Einbringung
des Antrages in der Ekklesie zu beziehen sein wird, so gilt
das Gleiche von § 16 ou xotvuv p.ovov ez xouxmv orjXov ecO’ oxi xoüxwv
evez’ ipprfi’r] xb xpoßouXsutj.a 2>v Xe^u, aXXa za! sy. xou tl^ot'ap.axo? auxou
p.apxupt'a xR Eaxtv EU[jt£YE0'pq.
Studien über attisches Staatsrecht und Urlcundenwesen. III.
169
Weit belangreicher ist aber eine letzte Stelle, die, obenhin
betrachtet, gegen unsere Auffassung der Sachlage zu sprechen
scheint. Der Redner formulirt eine von dem Angeklagten zu
erwartende oder vielleicht eine ihm sophistisch insinuirte Ent
schuldigung dahin, dass dieser sagen werde § 92 S. 651,15:
ay.upöv lat: io ^r/p.c'^y-' xpoßouXsup.a yäp saxiv, o vopo? c eizeisix y.eXeusi
xä xvj? ßooXij? ehai (J<Y](p{ffgaTa, firns, y.av auxoü vuv aicotpYj^ior t oOe, rj ys
toXi? (pXaüpov oüoev ixefaexai y.axa io i]/r ( ®icp,a xobxo. Wer möchte
nicht glauben, dass hier nur solche Anträge des Rathes gemeint
seien, die, um rechtskräftig zu werden, der Abstimmung in
der Ekklesie bedürfen, aber an diese noch nicht gelangt sind?
Denn der weitere Ausdruck t|nfoH<j|xa steht wie oben § 16 und
noch sonst der Abwechselung halber an Stelle des engeren xtpo-
ßouXsup.a, worüber ich eingehender in den Demosthenischen
Studien II 416 [54] gesprochen habe. Es war also gemeint
o vcp,o? o’ exexeia y.eXsöei xa xf®ßouXs6p.dxa stvai und so lehrt das
Lex. Rhet. in Bekker’s Anecd. S. 289, das aus der vorliegenden
Stelle schöpfte, unter ^poßo6Xsup,a: io xrjv ßouXrjv xwv ■xsvxay.oaiwv
I xpöxepov y.pi'veiv ib tyrff.op,a, ei y.aXio? eyei, -/.ai oüxw? eicipepeaSai ei? xov
ovjp.ov • y.ai xoüxo y.aXetxai irpoßo6Xeup,a • io Be ixpoßoiiXeop.a xöptov 9jv ä'ypc
eviauxou, p.e0’ o a'y.upov eysvexo, und bei Harpokration heisst es
I 256 D unter ixpoßouXeupa : ib üxb xvj? ßouXvj? ([ivj^iaOev xrptv ei? xbv
Svjp.iv eiaeveyOvjvai. Auf Grund dieser Zeugnisse steht denn auch
heute die Meinung fest, dass probuleumatische Anträge, wenn
sie nicht innerhalb des Amtsjahres der Bule, von welcher sie
ausgingen, vom Volke bestätigt wurden, verjährten, und so
haben auch A. Schaefer III 207 und A. Hug Der Entscheidimgs-
process zwischen Aeschines und Demosthenes S. 7, so weit ich
diese Schrift aus Referaten kenne, den (Konsequenzen dieses
Satzes Rechnung 'getragen und sind, da in den Reden des
Aeschines und Demosthenes von dem sechs Jahre früher ge
stellten probuleumatischen Antrag Ktesiphon’s nicht so gesprochen
wird, dass er als verfallen gelten könnte, besonders ,Aeschines
es als selbstvefstanden annimmt, dass wenn Ktesiphon frei-
» gesprochen werde, an den nächsten Dionysien die Bekränzung
des Demosthenes stattfinde' (Schaefer a. a. 0.), zu der Ver-
muthung gelangt, dass Ktesiphon den Antrag kurz vor dem
Beginn des Processes erneixert habe. Was J. Baerwinkel in
seiner Leipziger Dissertation De Ute Ctesiphontea S. 11 ff.
170
Hartei.
(Sondershausen 1878) mit besonnenem Urtheil gegen dieselbe
vorbringt, halte ich für überzeugend, die Beobachtung aber,
welche sie hervorrief, nicht für widerlegt.
Ueber diese Rechtsfrage nun enthalten die Scholien zu der
Stelle des Demosthenes eine, wenn auch vielleicht nicht ganz un
getrübte, so doch sachlich aufschlussreiche Auseinandersetzung,
die nicht so leicht aus den Worten der Rede selbst zu gewinnen war
und das Vertrauen weckt, dass uns hier unter der vielen Spreu
ein Korn guter alter Tradition erhalten sein könnte. Ich gestehe
um den Preis Andere davon zu überzeugen gerne meinen
Irrthum, mich vorschnell Schoemann’s verwerfendem Urtheil
über die grundlosen Distinctionen Ulpian’s (de, comitiis S. 157 3 )
angeschlossen und diese des Missverständnisses geziehen zu
haben (a. a. 0. S. 416 [54]). Die betreffende Erklärung zu den
Worten b vop.o? Be exeTe'.a y.e?^e6ei Ta vr,q ßouXvj? etvat t]/i)ipfa|j.aTa y.TA.
ist wörtlich folgende: ,Man muss wissen, dass von den von
der Bule angeordneten und beschlossenen Anträgen ein Th eil
zurückblieb bis zum Ende des Amtsjahres der Bule,
ein anderer Theil aber vor das Volk gebracht wurde. Jene An
träge nun, welche der Rath nicht aus der Hand gegeben hatte,
waren jährig und erloschen zugleich mit dem nach einem Jahr
stattfindenden Abtritt der Bule; diejenigen aber, welche vom
Rath vor das Volk geleitet werden mussten, um auch von diesem
die Sanction zu erhalten (t'o -/Jjpoq Xaßeiv), waren nicht jährig.
Das Psephisma des Aristokrates nun war von der Bule an
genommen, sollte aber auch von dem Volke noch angenommen
werden (-/.upwOvjvai); in Folge der Klage blieb es aber in suspenso.
Es ist aber eine sophistische Behauptung, wenn der Redner sagt,
es sei axupov; denn es sei ein xpoßouAeup.a. Dass es ein xpoßouXeup.a
sei, ist wahr; dass es aber öxjpov sei, ist nicht wahr. Das Wort
äy.upov ist aber doppeldeutig; es bedeutet nämlich so viel als
gänzlich aufgehoben und nichtig geworden oder es bezeichnet
das, was der Sanction bedarf, dieselbe aber noch nicht erhalten
hat (t'o otpelXov [J.kv r.uph)6rjvai, oüBexw oe y.upwöev).' Diese Doppel
deutigkeit des Wortes benützte er zu dem sophistischen Kunst
stück und wagte zu sagen, das 4r ( oiap.a sei äy.upov. Ferner sucht
er diesen speciellen Satz dadurch zu beweisen, dass er ihn
dem allgemeinen vorausschickt, indem er sagt 6 vop.o? Be exe'Teia
y.cXsüc'. Ta ßouXvjp etvat Dieser allgemeine Satz nun
s
. Studien über attisches Staatsrecht und TJrtundenwesen, III. 171
ist wahr; denn jährig sind in der That die Rathsbeschlüsse,
dass aber die Behauptung äxupov eTvai x'o d^ciapa doppeldeutig
sei, zeigten wir; das Wort 'xpsßouAeupx ist nämlich gleichfalls
doppeldeutig, indem es alle vor den Rath gelangenden Anträge
bedeutet* (Schob zu 649, 29 = IX 717,12 ff. Dind. loxeov 31 ox; xüv
TtpoaxaxTop.sviuv -/.a! xupoupevwv 5to xrj; ßoukv); tj«)<piapäTWV xä pev ä/pt
fetoreo xrj; ßouArj;, va bk xal et; xbv BSjpov fatyncsio. oaa psv
ouv Toia xvj; ßouk-?;; ii/ijcpiapaxa vjv, xaüx’ vjv e^exeia y.at auvavppelxo ‘xrj
ßouläj pexä eviaux'ov irauop,evr) • oaa oe äub xrj; ßou).-?;; eoet ?cpb; xbv
Syjp.ov icep.q>0?jvat xat x'o y.upo; map’ auxou Xaßsiv, xauxa ouy. vjv emexeta.
t'o xotvuv -ppatsev ’Aptaxoxpäxet &qqtapa ey.upwGv; psv umo x?j; ßou).?;;,
eoet oe auxb y.upwGvjvai y.at mo xou Sv^pouv x?j; ,3s -ppaqr t q SoGsigy);
pexewpov epsive. croot£6ps_vo; 3e 6 p-ijxwp <p-ijaiv auxb äy.upov etvat, Ttpo-
ßoükeupa -päp eTvai. oxt psv ouv mpoßouXsupä eaxtv, ä/.yjGs; • oxt Bs äy.upov
(ob-/, äy.upov libri), ouy. ä),v;0s;. x'o oe äy.upov or/w; Xeyenai. vjxot -pap
x'o TtavxsAö; ävvjprjpevov y.at Sta-ps-ppappsvov, ■/] x'o otpeTXov p,sv y.uptoO’Tjvat,
ouBsnw 3s y.upwOe'v. xaixYjv xyjv opwvuptav Xaßiuv et; /opYj-ptav ao^fapaxo;,
eOäppYjaev skslv äy.upov etvat x'o tj^iptapa. stxa xyjv etSty.-pv xpoxaatv irpo-
, xäija; xy) y.aÖoAou y.axacy.eud(etv iretpaxatXe-pwv, ,5 vöpo; oe eirexeta
xeXeüet xä xvj; ßouX?;; etvat 'iYjsiapaxa*. -ij psv oüv xa0ö),ou mpöxaat;
äXv;0-p; • svauata -pap ü; äXy)0ß; x»jc ßouXij; xä divjcpiapaxa. x'o oe äy.upov
etvat x'o tp-ftptapa, öpwvbpw; As-psaÖat sBetxvupsv • mpoßoüXsupa '(dp eaxtv
bpouu; opdivupov, w; mxvxa xä eiatövxa et; xrjv ßouX?;v dajotap.axa).
Ich beschränke mich kurz hervorzuheben, was mir dieses
lange Gerede an brauchbaren Notizen zu enthalten scheint. Der
alte Erklärer bestätigt also die zwei Arten probuleumatischer
Decrete oder sagen wir richtiger die beiden Stadien, welche
wir in dem Gange der Verhandlung solcher Decrete gefunden
haben, die im Rathe perfect gewordenen, aber noch nicht vor
die Ekldesie gebrachten, tv); ßouXrj; xä d/potapaxa oder tSta xij;
ßoubvj; tlr/otapaxa, die, wenn sie nicht innerhalb der Amtsdauer
der betreffenden Bule die Sanction des Volkes erhalten hatten,
erloschen, zweitens solche, welche in die Ekldesie zwar ein
gebracht, aber noch nicht sanctionirt worden waren, indem die
* Sanction durch eine Suspensionsklage vertagt wurde. Diese
nämlich erloschen nicht mit der Amtsdauer des Rathes, der sie
eingebracht, wenn sie auch nicht in diesem Jahre rechtskräftig
(x.6pta) geworden waren und konnten, im Falle sie durch eine
Klage suspendirt wurden, sofort nach einer günstigen Erledigung
172
TTartel.
der Klage zur Abstimmung gebracht werden. Dies lässt sieh
durch das über das ktesiphontische Probuleuma Bemerkte und
durch eine inschriftlich bezeugte Thatsache erweisen. Das Be-
lobungsdecret des dvaypatpeuc; Kallikratides nr. 190 ist datirt Sxt-
potpopiGvo? svy) y.at vsa, TETapTst xai TptaxctjTrj T?j? orpuTavstac, also vom
letzten Tage des Jahres; dasselbe ist aber probuleumatisch und
konnte mithin erst in der nächsten Sitzung, also der ersten des
folgenden Jahres zur Verhandlung und Abstimmung gelangen.
Die Worte des Scholiasten lassen aber auch eine abwei
chende Deutung zu oder enthalten dieselbe vielleicht sogar in
dem mit oo^op.Evo? os b pv)Ttop beginnenden Theile. Schon ein
anderer Interpret äussert sich also über die Sache bei Dind.
S. 718,18 ff.: a p.ev -fj ßouXi] exupou ytopt? tou Bi^piou, so>g vjpysv,
s~=y.p7.Te'. xat yjv ovtm: sorETEia ■ Ta oe öirb tou ov^pou Y'-pvopEva xat
orXetova p.Evet ypovov, exstS^Ttep tä irpoßouXeüp,aTa r?jc ßouXvj? ouy. eiaij-
yezo slq tov cijp.ov, <xXX’ fy xüpta ywptc; tou oijp.ou, und unterscheidet
also reine Rathspsephismen und Volksbeschlüsse und motivirt
die längere Geltung der letzteren durch die hinzukommende
Autorität des Demos. Das totale Missverständnis liegt auf der
Hand und bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. Aber
auch Schömann erblickte in den iSta rp; ßouXrji; t]n;®t<rp,aTa der
obigen Stelle reine Rathsbeschlüsse und verwarf, weil es eine
handgreifliche Ungereimtheit ist anzunehmen, dass, was der
Rath innerhalb seiner Competenz beschloss, nur ein Jahr lang
zu Recht bestanden haben soll, die ganze Darlegung des Scho
liasten. Mir aber erscheint die Ungereimtheit so gross, dass
ich sie demjenigen, welchem wir die in ihrem ersten Theil klare
und nicht kenntnisslose Darstellung verdanken, nicht glaube
zuschreiben zu dürfen. Ja wenn man annehmen müsste, dass
der Scholiast sich unter l'Sta vq<; ßouXyj; t(/r](p(a|j,aTa Rathsbeschlüsse,
die vor die Ekklesie nicht zu kommen brauchten, um gültig
zu sein, im Gegensatz zu den der Competenz der Ekklesie
unterworfenen Rathsanträgen gedacht hat, womit ich die Worte
tüW xpoaTaTTop.Eviov y.at xupoup,svo)v uifo vqp ßouXiji; ^(ytopaTUv Ta'pJv
aypt aÜT^? toTaTo Tijc ßouXyj? nicht zu vereinigen weiss, so
würde ich für diesen Irrthum eher ihn als seinen Gewährsmann
verantwortlich machen, der nur eine Art von Psephismen, die
probuleumatischen, im Auge hatte und unter ihnen unterschied
solche, die bis zum Ende der Functionsdauer desRathes unerledigt
Studien über attisches Stuatsrecht und Urkundenwesen. III.
173
zurückgeblieben, also über den Rath nicht hinausgekommen
waren (a^pt aü-nj? ÜjTxto ~fjq ßoj’krjq), und solche, welche in der
Ekklesie bereits eingebracht, aber, weil von einer Klage be
troffen, noch nicht in Verhandlung genommen worden waren;
denn man kann unmöglich schon um des Gegensatzes willen
Ta ok 7.al siq tov Srjgov sixep.zeTO in 'fetaxo den Sinn von ,sie
blieben in Kraft' sehen wollen. Aber nur unter dieser Voraus
setzung würden hier wie in der anderen Scholiastennotiz Raths-
psephismen und probuleumatische Anträge einander gegenüber
gestellt sein können.
In dieser Meinung kann einigermassen die Widerlegung des
Schlusses axupiv euxi to tj^tprapwc ■ 7upoßoiiXsu[jMc yap eoxi. 6 vop.o? §k «ktswi
-/.eXeua ia vqq ßouX^? sivat xJjYjcpicj p.ava bestärken, in welchem der
Erklärer ein Sophisma doch nur unter der Voraussetzung er
blicken konnte, wenn er die bloss jährige Geltung gewisser
probuleumatischer Anträge mit Grund in Abrede zu stellen
sich berechtigt meinte. Demosthenes selbst findet wenigstens an
dieser Entschuldigung seines Gegners nichts Sophistisches; er
würde es aber nicht unterlassen haben, eine sachliche Unrichtig
keit auszubeuten. Indem er dieselbe ohne Einwand acceptirt,
dringt er nur auf die Verurtheilung des Antragstellers, weil
sonst ein Anderer morgen wieder den Antrag erneuern könnte
(§. 94 Tt'q fap oü Ypä^ 51 Oxpptöv TraXiv, vjviy.' &•> rj toüt’ onco7ce<peärf6q;
Tiq o’ oüz Den fraglichen Antrag hält er also für
verfallen und abgethan. Der Scholiast irrt, wenn er das Gegen-
theil zu erweisen sucht; aber wenn er dies mit solcher Be
stimmtheit thut, muss er etwas Besseres und Näheres über die
Verjährungsfrist probuleumatischer Anträge gewusst haben; es
muss ihm bekannt gewesen sein, dass nicht alle probuleuma-
tischen Anträge mit dem Amtsjahr der Bule verfielen, nicht
jene, welche bereits in der Ekklesie zur ersten Lesung ge
bracht und hier durch eine Klage suspendirt worden waren,
sondern nur die allein, die im Rathe zwar gestellt waren und in
den Rathsprotokollen standen, aber aus irgend welchem Grunde
noch nicht in der Volksversammlung eingebracht waren. Und
darauf führt auch der Wortlaut der angezogenen gesetzlichen
Bestimmung, welche ohne Zweifel die Buleuten des einen
Jahres verpflichtete, was sie an vor das Volk gehörigen Vor
schlägen und Anträgen vorbereitet hatten, aufzuarbeiten d. h.
174
Hartei.
einzubringen, und wohl auch jenen des nächsten Jahres gebot,
nicht alte Anträge der Sanction zu unterbreiten, sondern die
selben zu erneuern, d. h. selber zu stellen, weil sie ja nur
unter dieser Voraussetzung dafür verantwortlich gemacht werden
konnten.
Wenn aber der Aristokratische Antrag mit Recht unter
die Kategorie der verjährenden gestellt wurde, so folgt noth-
wendig daraus, dass er noch nicht die erste Lesung passirt
hatte, als er von der Klage betroffen wurde; denn damit hörte
er auf to trfi ßouk% zu sein und konnte nur uneigent
lich den Namen ^poßoüXeup.oc führen, wie etwa ein perfecter Volks
beschluss mit dem Namen des Antragstellers z. B. Kavvuvou tyr r
ffliojAa genannt zu werden pflegte; er war ein Syjp.oü äxu-
pov. Dann aber schiene es in der That, dass Euthykles die
■ypatpi] 7rapavc|j.o)v gegen denselben angestrengt hatte, ehe er vor
das Volk gelangt war, wenn es nicht nach Allem, was früher
ausgeführt wurde, weit wahrscheinlicher wäre, dass das geschah
gerade als er eingebracht wurde, so dass in diesem Falle sogar
die Abstimmung über die Zulassung der Verhandlung, bis der
Gerichtshof seinen Spruch gefällt hätte, unterblieben sein wird.
Wir können weiter noch die Zeit der Klageeinbringung
an dem Fall Androtion prüfen, welcher der von Demosthenes
für Diodoros ausgearbeiteten Rede gegen Androtion zu Grunde
liegt. Er ist für diese Frage deshalb interessant, weil die Klage
nicht einen probuleumatischen Antrag, sondern einen unmittel
bar in der Ekklesie von Androtion gestellten betrifft, der sich
auf Bekränzung des abgehenden Rathes, dessen Mitglied Andro
tion selber war, bezog. Man erblickt übereinstimmend den
ersten gesetzlichen Mangel desselben darin, dass ,der von An
drotion eingebrachte und vom Volke angenommene Antrag nicht
vorher dem Rathe vorgelegt war (äxpoßouXeotovjh Vgl. Madvig
a.a.0.384; Schäfer 1320. Es Hesse sich nach dem, was oben S. 148
bemerkt wurde, annehmen, dass bei diesen conventionellenEhren-
decreten die weitläufigen und strengen parlamentarischen Formen
erlassen wurden, in diesem Falle vielleicht nicht ohne Absicht
deshalb, weil der Rath die Bedingung, welche ihn die Ehre der
Bekränzung zu fordern berechtigte, die Erbauung der Kriegs
schiffe, nicht erfüllt hatte. Androtion stellte jedenfalls unmittelbar
in der Ekklesie den Antrag und eine Abstimmung fand sofort
Studien über attisches Staatsrecht und Urlcundenwesen. III.
175
statt (vgl. §. 5 vqj.c<; satt, a-qaa [’AvSpotuov], eotv aq'Mq vj ßouAr, os/.y)
ßoukeücrac Swpea?, O’.äcvai xov §yjp,ov ty;v äo)psav aü-yj. Tau"’ exrjpezo,
oTjtrtv, o imavizr}q, ots^etpoTÖv^aev 6 ovjp.o;, eSo^ev • oüoev Sei, <pv)ci',
■rcpoßouXeup.azoq IvxaüGa, v.azb. yap vojxov ?jv -ca yivvapieva). Aus §. 9
ist zu entnehmen, dass das die Abstimmung leitende Präsidium
dem zu bekränzenden Rathe angehörte, also die Versammlung
vor dem Abtritt des Rathes stattfand, indem Demosthenes in
der Fragestellung des Präsidiums ein Gesuch um den Kranz
sieht, welches zu stellen das Gesetz verbot: ecu Sr, icpb? tout’
ou -/aAsccbv za S(xai' 6p.lv Äviewtetv, Sri xpwxov |j.ev o\ xpoeopsuovzeq zr^
ßouXvji; y.ai 6 Taut’ eTCii}/Y]cfti)<j)v sTuaxävqq ^pditiov y.at Sta^sipoTovtav eSt-
Soaav, CTto boxsl cwpsai; ai;(w? vj ßouXrj ßsßouXsuy.svai y.al ctw pyj.
y.aiio: Toi? ye pvj ahouvTa? pvjoe Xaßelv a^touvtaq tyjv ap)djv 068’ ecic-
pw-tav xpocijxev. Wenn Androtion ganz correct verfahren wollte,
so hätte sein Antrag dahin lauten müssen tyjv ßouKvjv e^evepielv
ei? xpd)TY)v HvMhrßia'/ crepl ZYjq owpeäq, wie es in den oben S. 91 ff.
zusammengestellten Decreten heisst; ein meritorisehes Probu-
leuma zu verlangen, wäre hier wie in den verwandten Fällen,
wo es sich um die eigenen Interessen des Rathes handelte,
reine Formsache gewesen. Die zweite Hypothesis ist darüber
wie über die Zeit der Verhandlung im Irrthum, wenn sie sagt
S. 591, 21: SSet ouv auxbv icpürcov eitjsvsvy.oa z'o tlnj-jispa elc, xtjv
ßouXvjv. ouy. sic^vevy.e Se, cteiSy) veorm äp^aca -})v r t äXkr t ßoukvj, y,ai
ecpoßelto pv; Siaipwv7)0^. z-mgzoc, yäp tov ccpo ocutou GeXei oel^ai y.ay.üc
Tcpot^avxa.
Dasselbe, was über den Antrag Androtion’s gesagt wurde,
gilt von jenem, welchen Aristogeiton gegen Hierokles un
mittelbar in der Ekklesie stellte und der dahin ging, wenn
Hierokles eingestehe, heilige Gewänder genommen zu haben,
ihn auf der Stelle hinzurichten, leugne er es aber, über ihn
Gericht zu halten. ,Ohne dass ein Gutachten des Rathes ein
geholt worden wäre, genehmigte die Bürgerschaft in der Auf
wallung des Zornes dieses Bluturtheil, wie es beantragt war:
und es stand nun daran, dass Hierokles, wenn er die Wahrheit
bekannte, sofort zu Tode gebracht wurde, und wenn er leugnete,
nach kurzer Frist die Strafe erleiden sollte' (Schäfer III. B. 114).
Indessen reichten Phanostratos, der Vater des Hierokles, und
ihm zur Seite als Fürsprecher Demosthenes die Klage der
Gesetzwidrigkeit ein und bewirkten, dass der Beschluss ver-
176
llartel.
nicktet und Aristogeiton in die beantragte Strafe von fünf Talenten
verurtheilt werde. Wir entnehmen diesen Hergang' der Einleitung
des Libanios, der bekanntlich kein classiscker Zeuge ist. Er
nennt den Antrag d-poßauXeuxov und überliefert seinen Inhalt.
Wie dem auch immer sei, an eine sofort nach seiner Einbringung
erfolgte definitive Annahme desselben durch das Volk wird
man nicht denken können. Wahrscheinlich hatte der Rath es
wie in anderen Fällen dem Volke anheimgegeben zu bestimmen,
wie Aristogeiton gerichtet werden solle, was in der Form eines
probuleumatischen Decretes nach dem Muster nr. 168, 1 geschah.
Wenn darauf hin Aristogeiton einen Antrag stellte und das
Volk sofort darüber abstimmte, so mag das nicht der definitiven
Entscheidung gegolten haben, sondern es war eine lipoyetpoxovia
der ersten Lesung. Eine solche vpoyetpsxovt'a kann aber auch
§. 5 und §. 9 der Rede gegen Androtion gemeint sein. Wenig
stens mag darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch sonst
die mit dem Worte SiayetpoTOvia bezeichneten Abstimmungen
sich als Abstimmungen gelegentlich der ersten Lesung erweisen
lassen; so CIA. I 40, worüber ich in den Demosthenischen
Studien II 417 [55] gesprochen, RgTimokrates §. 25 S. 707,25,
RgNeaera §. 5, S. 1346, 26, Xenophon Hell. I 7, 11 und
den Artikel xpoyeipixovia bei Harpokration (s. o. S. 111). Sollte
aber die Abstimmung über den Antrag Androtion’s nicht
diese Bedeutung gehabt haben, sondern es auf eine sofortige
Erledigung desselben abgesehen gewesen sein, dann möchte ich
nicht zweifeln, dass die Ankündigung der Klage vor der Ab
stimmung geschehen war und diese mithin bedingt erfolgte.
Ausser diesen Anträgen bin ich nur noch einen direct in der
Ekklesie gestellten, gegen welchen die Ypa<pf ( xapav6(j.tov ange
strengt wurde, nachzuweisen in der Lage. Es ist jener, durch
welchen Philokrates nach Aeschines RvdGes. §. 13 die Zu
lassung der Gesandten Philipps bezweckte (vgl. Demosthen.
Studien II 386 [24]). Der Annahme, dass die Anmeldung der
Klage in derselben Ekklesie, in welcher Philokrates den An
trag einbrachte, stattfand, steht nichts im Wege; auch könnte
die dabei erwähnte Abstimmung (6 3-^p.oc &k<xq op.cptoiJ.üv eysips-
TÖVTjcsv) sich auf die Einbringung bezogen haben, wenn nicht
nach dem a. a. O. Bemerkten eine Verletzung der parlamen
tarischen Geschäftsordnung wahrscheinlicher wäre. Andere
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
177
Stellen, wo sonst noch der Gesetzwidrigkeitsklage gegen ge
wöhnliche Anträge gedacht wird, lassen über die Verhandlungs
phase und die Suspensionskraft derselben keinen Schluss zu.
Auf Grund dieser Ergebnisse glaube ich, dass nichts im
Weg stehe, einen Satz in der zweiten Rede gegen Aristogeiton
über die Wirkung der jpoifr] irapavöp.wv so zu verstehen, dass durch
dieselbe nicht einem durch die Schlussabstimmung rechtskräftig
gewordenen Anträge seine Gültigkeit genommen ward, sondern
dass ein ordnungsmässig eingebrachter und in erster Lesung
angenommener bis zur gerichtlichen Austragung der Sache aV.upov
blieb, d. h. zu weiterer Verhandlung um sein x.upoc zu erlangen
nicht gebracht werden durfte. Die Worte lauten § 8 S. 803, 2:
otocv ti? iL)(pfep.aTo? fj vop.ou Ypaorjv aTCVSYy.p upo? tou? 0Eapo0ETa?, b
p.sv vopo? t'o ay.upov daxtv, 5 os Sei? •/) Ypaiia? ouoev dvaiG^iws't
ßia^op.svo? akV o ti olv upi.eT<; (er spricht zu den Richtern) iiy]©tGY)u0s,
toütw e[j.p.£VEt, y.olv 7) TtpÖTO? tw 36vac0ai AEyEiv v) xpaTTEtv sv üpuv. y.od-
toi ot; ouy. ätotov, a p.sv ayiavTS? üuelq sd>Y]®{aac0s, oiä
too? vop.ou? ä'y.upa stvai, ttjv oe ’ApicTOYei’Tovo? ßo6Xr)aiv Et? t'o xapayop-stv
•/.uptwTEpav oi'scOai Ssiv twv vop.wv auTtov Y.oaaazrjGai • Die Tendenz
dieser Stelle, wie die der Rede gegen Neaera (§ 4), geht augen
scheinlich dahin, die Bedeutung dieser Abstimmung möglichst
hinaufzuschrauben. Unter unserer Auffassung hat sie dem Votum
des Gerichtshofes gegenüber keine grössere Bedeutung als etwa
die Abstimmung des Demos im Probolenverfahren und, wenn
das durch den Privatkläger provocirte richterliche Urtheil
gegen sie entscheidet, kann die Autorität des Demos sich
ebenso wenig verletzt fühlen wie in jenem Falle. Ich hoffe
nach diesen Erwägungen keinem Widerspruch zu begegnen,
wenn ich in den Worten des Scholiasten zu Aristophanes’ Plutos
Vers 725 tv’ sitop,v6[Ävov] av-'t tcü ixxaXo6j*evov. Eirwgoata oe sgtiv, vjv
Euiotowctv o ßouXop.svo? dvTEtuEiv t]<7)cpio[j.axt etocpepo\j.sv (p ein posi
tives Zeugniss dafür erblicke, dass Klage und Urtheil im
Paranom enprocess sich nicht darauf bezogen, ob ein perfecter
Volksbeschluss seine Rechtskraft behalten sollte, sondern ob
ein Antrag in Verhandlung zu nehmen wäre oder nicht, und
dass mithin die gerichtliche Verfolgung eines Antrags zur ersten
Lesung desselben in engster Beziehung stand. Indem wir auf
solche Art den Zeitpunkt für die Einbringung der Klage fixiren,
erledigen sich auch die gewichtigen Bedenken Madvig’s gegen
Sitzungsber. d. pliil.-hist. CI. XCII. Bd. I. Hft. 12
178
Ü ar tel.
die unbeschränkte Zulassung derselben und die Zweckmässig
keit der Einrichtung einer ersten und zweiten Lesung, der
Trennung der Einbringungsverhandlung von der Schlussver
handlung zeigt sich von einer neuen Seite. Denn es ist klar,
dass, wenn die Anmeldung der YP a ?'0 *;apavcp,cov an diese Ver-
handlungsphase geknüpft war, der Demos es in der Hand hatte,
durch eine Resolution die richterliche Entscheidung zu be
schleunigen und dadurch die Absicht eines muthwilligen Störers
der öffentlichen Geschäfte zu vereiteln, ganz abgesehen davon,
dass ein solcher mit der erregten öffentlichen Meinung um seine
bürgerliche Existenz spielte.
Auf das Strengste sind von den bisher besprochenen
Fällen, wo ein Einzelner auf eigene Faust durch die Anklage
eines Antrages den parlamentarischen Geschäftsgang hemmt
und sich gegen den Willen des Volkes zum Vertreter der
Gesetze aufwirft, jene zu scheiden, wo das Volk auf Grund eines
eigenen Beschlusses sein Votum dem Votum eines Gerichts
hofes unterwirft und Jedermann (tov ßouXc|j.evov) auffordert, vor
diesem dasselbe zu prüfen und anzufechten. Die Verschieden- r
heit liegt nicht nur in der Einleitung des Processes, sondern
auch darin, dass der auftretende Klägei’, wenn er auch unterlag,
keine Strafe zu gewärtigen hatte. Ein solcher Beschluss konnte
in dem ursprünglichen Antrag vorgesorgt oder später gefasst
werden. So wurde er in nr. 331 durch ein Amendement zu
einem probuleumatischen Anträge wie ich glaube bei der Schluss
verhandlung beantragt Z. 92: Auavopog Auaiaoou AvaffiAusTto^ sticev •
ava[ö]eT vs/v. cs.ocyßca to> cvjj.w, tä p.ev dXXa [iralvTa 7cpd-rtEiv xspi
tv^c oupöd; rjq si.TYjy.sv [4>]aISpo? v.sad t'o icpörepov tkwwp.a o A6scvSpo?
ewcev, tou? 3e 0£ap,o0STa<; sicaya'fsiv auT<jj> tyjv Sojugaatav vTjq oiopsä? eie
to Stzaav/^piov v.y.m tov vop.ov, indem der Antragsteller selbst einen
formalen Mangel seines ursprünglichen Antrags verbesserte oder
einem in der Ekklesie lautgewordenen Wunsche damit nachkam.
Der Falb ist insofern singulär, als wir bei Ehrendecreten wie
dem vorliegenden sonst nirgends eine derartige Dokimasie
beantragt sehen. Nur in zwei Decreten, welche E-py-T^cnc *
xai ohiaq verleihen, aber noch mancherlei Anderes enthalten
konnten, begegnen Spuren eines Antrags auf richterliche
Prüfung, nämlich nr. 369 Z. 3 [toüc] oe P tcu? c[ixaoTac], Z. 4 [tyjv
Soy.il(jw(atav Sjupfea?], Z. 5 [oxav dvaxAYjptojOuwiv a\ sy. toü [vop,ou
»
Studien über attisches Staatsreclit und Urkundenwesen. III. 179
vjjjtepai, wozu Köhler auf die früher II S. 186 besprochenen
Inschriften 309. 318 und auf 331 verweist, und nr. 370 Z. 4
-ai auxu sRc] xb 8iy.a[|cr]x[Yjpiov]. Dieselbe tritt uns aber mit einer
gewissen Regelmässigkeit in späteren Bürgerrechtsdecreten ent-
% gegen, mit welchem nr. 331 auch insofern vergleichbar sein
dürfte, als es wie die meisten Bürgerdiplome (vgl. oben S. 146)
auf eine Petition des Geehrten zurückgeht.
Bei der Bürgerrechtsverleihung erscheint die gerichtliche
Prüfung als eine unumgängliche Instanz und findet regelmässig
erst statt, nachdem ein Beschluss alle ekklesiastischen Stadien
durchlaufen hat. Den ganzen Hergang entnehmen wir genau
aus der Rede gegen Neaera § 90 S. 1375, 14 ff. Zuerst hatte
das Volk die Ertheilung zu beschliessen; diesen fertigen Beschluss
musste die nächste Ekklesie, die als Vollversammlung constituirt
war, bei geheimer Abstimmung sanctioniren (siteiSdtv TCtaOvj b
§r;p.o? y.al S2> ty)v äwpsav, oüy ia zupt'av yevecjOat xyjv Ttotvjffiv, eav pw)
tj%<p ei? v>]V imöuaav ey.y.AY]ctav (map äjaxic^tXioi ’A6r ( vaiwv tlYjan'auvwt
•/.pußSrjv t];Y]cpi^o[j,£voi). War das geschehen, so kam hierauf der
i ganze Akt vor das Gericht, welches wie es scheint vor Allem
die erste gesetzliche Voraussetzung der Verleihung, p.r; e^elvai
yoiviaaaOai ’Aövjvatov Sv av [jlyj St’ avSpayaGt'av st? xov Svjptov xov ’Adr r
valtov agtov -fl fevsaGai toXi'x/jv, zu prüfen hatte. Hinsichtlich dieser
Prüfung wird nun der Ausdruck ypottpr; -apavbp.MV gebraucht:
exetxa p.sxä xaüxa ixapavöpiwv ypaov) v ixoi^GS y.ax’ aüxoü xtö ßooXop,svw
’A0-i)vatti)y, y.ai eaxtv eiereXGi'vxa et? xb Stzacx^ptov iBaAey^ai «? ouz ai;c6;
exxt xr ( ? Swpea?, aXXa Ttapä xouc vop,ou? ’AQyjvaio? yiyovav. y.al ■»{Sv; xtai
xoü S^ptou ocvxo? xvjv Soipsav, Xofco eljpniaxrjöevxo? üitb xwv atxoüvxwv
■i:apttv6|Awv ypatfffi -pevopivv)? y.ai elaeXGcfinjs ei? xb Stzatixijptov auveßv) xbv
etXijtpöxa xi)V Swpeav p.}] a^tov stvat aüxr;?, y.ai äepetXExo xb Stzaox^ptov.
Aber zahlreiche Inschriften können lehren, dass der Ausdruck
hier nicht in seinem strengtechnischen Sinn gebraucht ist,
indem es zur Vornahme der gerichtlichen Revision nicht der
Einbringung der '(paar, itapavcp.ojv bedurfte (vgl. Fränkel Die
attischen Geschworenengerichte S. 36). Erst nach der günstigen
* Erledigung des Processes war es dem Neubürger gestattet, sich
in die Register einer Phyle, eines Demos, einer Phratrie ein
tragen zu lassen.
Diese Verhandlungen finden sämmtlich in den Bürger
rechtsdecreten Erwähnung; nur nicht alle zugleich in allen.
12*
180
fl artel.
Wir können darnach mehrere Typen unterscheiden. In dem
einen, der den älteren Inschriften zunächst angehört, steht
neben der Ernennungsformel (eivai x'ov Sslva Aörpalov xal Ey.yovouc
auxou) und der Bewilligung, sich in die Register eintragen zu
lassen (xal ipuXrjq xal 3i5p.ou xal <ppaxplaq o? äv ßouXrjxai) die Fest
setzung des Termins der feierlichen Abstimmung (xo'uq 3e xpuxdvsiq
Souvai -np <Wj<pov xspl auxou xxX.), wie z. B. nr. 54, Frg. b Z. 10:
eivai 3s Aoxuxp[dxY)V ’AÖrjvaiov xa]-
l exyovou? auxou, xal siva[t auxov tpuA^g,]
Ocxivoq [ä]v äv:oYpä4‘0Tat [xa]i [S-^fj-ou xal]
13 <ppaxp!aq
16 xijv 3s ij^jipov Souvai xxep[l]
auxou xouq xpuxaveiq xouq [p.sxct] xyjv Axap,-
avx£Sa xpuxav[sö]ovxaq ev x?j[i Txjpthxyj e-
xxXvjota.
Für rjoxivoq dxoYpdtW;xai ist sonst fjq av ßoüXvjxat Regel. Um von
kleineren Varianten abzusehen, so sind nach diesem Muster
concipirt: 10 b . 51. 108. 115 b (mit dem Zusatz vjc äv ßoüXvjxai d>v
o\ vöpoi Xsyouai). 121 (die letzte Bestimmung fehlt, weil es sich
nur um eine erneute Bestätigung des Bürgerrechts handelt, die
dadurch vielleicht notliwendig wurde, dass der erste Empfänger
die Eintragung in die Register verabsäumt hatte, vgl. 115. 227).
148 (die dritte Bestimmung nicht erhalten). 154. 187. 228. 230
(wo in Bezug auf die Wahl der Phratrie durch Amendement
eine ähnliche Beschränkung hinzugefügt wurde, wie 115 b und
397 im Decrete selbst steht). 243. 263 (die dritte Bestimmung
nicht erhalten). 272. 288. 298? 320. 328 (die dritte Bestimmung
fehlt ohne ersichtlichen Grund und in diesem Mangel liegt ein
neues Argument für die Fälschung der Inschrift). 361? 382.
Ein zweites Formular ist das, wo zu dem dritten Punkte
über die feierliche Versammlung und Abstimmung ein vierter, die
gerichtliche Revision betreffend, hinzutritt, wie nr. 312, Z. 46:
sivat 3e auxov A0Y]va7[o;v] xai xouq eYyovouq auxou xa[i l^jelvai
a[u]xü> YpäitaaOai ipuXvjq y.[a!] o^p.ou xal qspaxplaq yjq dp.ßou|Xv]xdt,
xou; 3s -puxavsiq o'i av [it]|pöxov Xdywciv xpuxavsuetv S[o][üvai xspi
auxou xr ( v 4'ö^ov ei? [x]|v)p.xp(l>xY)v sxxXrjocav, xouq 3e [Gsjjop.oOexaq
[sijaaYaYSiv aüxi) x|v)v ooxip,a[oi']av xvjq Scopeäq elq [x]jb 3ixaaxr ( [pi]ov
oxav xpöxov op6[v] x’ vj • axvjaai y.xX.
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
181
Nach diesem Formular sind concipirt: 223. 229. 273 b . 300. 309.
318. 361? 397. 512? 522? 530, ferner 402, wo aber der dritte
Punkt fehlt. Unter diesen lautet in 402 der erste Punkt S£3oo0ai
Be auxw xoXixeiav, der vierte tob? Be 0e<rp,oOexa?, oxav xXppwax or/.aaxppia
ei? eva y.at xevxaxoai'ou? Btxaaja?.
So gefasst erscheinen dieselben regelmässig in einem dritten
und jüngsten Formular, in welchem die Bestimmung über die
Vollversammlung fehlt, hingegen die gerichtliche Revision als
Bedingung der Verleihung und Einschreibung in die Register
doppelt angeführt wird. Als Muster mag nr. 395 Z. 1 ff.
dienen:
[YVto](j.Y)[v oe i*u[jt.ßaXXea0at xvjc ßouXp? ei? xbv Syjjjlov] oxi Soxep
xp ßouXp ]; Z. 5 äeSöc0a[i Be auxw xai xoXtxei'av Boxt-
(j.aoOevx]t ev xw Sixafuxppi« xaxa x'ov voij.ov, xou? Be OeapjoOexa?
[ox]av [xpwxov xXppwcrtv Btxaaxpptov et? eva y.at] xevxax[o]cto[u?
Btxaaxä?, eiaoiyixyeiv auxw xpv] ooxtp,acriav xa[xa xbv vöp.ov, y.at
eivat auxw ooy.tp,aa]0£vxt Ypä[4a]c[0at ®uXp? y.at Bv]p.ou y.at oppaxpta?
p? äv ß]o[6]Xp[x]at. avaypat^at xxX.
Darnach sind 396. 401. 427. 428. 429. 455. 544? concipirt.
Alle diese Decrete sind probuleumatisch. Bedeutendere Varianten
bietet nur 401 und hier erscheint auch eine Spur anf xpv 4p<pov
Boüvat zu führen, indem es heisst: xou? oe 0e<jp.oOexa?, oxav y.at
w? xXppwaiv Sr/.aijx^ptov ei? eva y.at xevxaxoaiou? Br/.acxac, eioa^aYstv
xpv Boxtp.aatav <juvvet'p.avxa? xal [B]cuvat xept [aujxou xpv tppoov y.at p.p
at auxo —. Nr. 455 habe ich hierher gestellt, obwohl dort
anders ergänzt wird Z. 9 [3eBö]a0at Be auxw xal xoXtxetav [xaxa xbv
vop.ov aixpoa[[v.ev]w, xou? Be 0eop,o0exa? y.xX. Aber es liegt näher,
[Be86]o9at Be auxw xal xoXixeiav [Boxtp,aaOevxi ev Bty.acrxppijw zu
restituiren. Der Artikel xw fehlt dann vor Bty.auxpptw wie in
428, Z. 11.
Von diesen drei Formularen ist offenbar das erste, an
welches sich sogar ein Anklang auf einer voreuklidischen Inschrift
CIA. I nr. 59 findet, das älteste. Daraus, dass in demselben der
gerichtliche Schlussakt vermisst wird, ist aber nicht zu schliessen,
dass die Ertheilungen in älterer Zeit seiner nicht bedurften,
um gültig zu sein; denn diesem Beschluss liegen ganz eigen
tümliche Verhältnisse zu Grunde, welche Kirchhoff’s Scharfblick
glücklich erkannt hat (Sitzungsber. der Berliner Akademie 1861
S. 605) und welche durch die gegebene Zusammenstellung der
182
Har tel.
Formulare, wie icli meine, nur bestätigt werden. Nicht in dem
Hauptantrag, welcher Thrasybulos wegen seiner Theilnahme
an der Ermordung des Phryniclios belobt und bekränzt, sondern
in einem von Diokles herrührenden Zusatzantrag wird beantragt
Z. 15 [ Ta p.ev otk\u -/.aQarap ty) ßouXjj •], sivat Bl 0paau|[ßo6Xw <pukr)?
x£ stvai xai o-^p.ou x.]ai ©pa-ptaq, wj[v äv ßo6XY)xai. ]: y.at xäXka.
xa e|[ sijvai 0pacrußo6Aw![t Tijapa ’AOr,-
vai'wv y.xA. Wenn sich auch nicht errathen lässt, was die Lücken
enthielten, das steht fest, dass sie weder das erste Stück solcher
Diplome sivat 31 abxov ’AOrjvalov y.al xou; auxsu, noch das
dritte xyjv ol ooüvai xxspl auxou xiu; -puxavst? y.xA. enthalten
konnten. Das ist aber sehr auffällig, dass dem Thrasybulos
zwar das, was sich als Consequenz einer perfect gewordenen
Bürgerrechtsertheilung darstellt, das Recht, in einen Demos,
eine Phyle und eine Phratrie einzutreten, zugesprochen wird,
der Beschluss aber, dass er Bürger werde und die feierliche
Abstimmung darüber einzuleiten sei, vermisst wird. Kirchhoff
folgerte überzeugend daraus, dass die Verleihung des Bürger
rechts an Thrasybulos schon in einer früheren Versammlung
beschlossen worden war, ganz wie in dem früher erwähnten Falle
CIA. II 121, wo Phormion und Karphinas nur dasselbe Recht
zugesprochen wird (eXscöai cpuAvjv y,at ovjp.ov ihm tppaxpiav), indem
die auch für sie geltende Verleihung längst als fertiger Beschluss
vorlag. Er nimmt weiter an, dass jener Verleihungsbeschluss
nicht in Rechtskraft getreten war, weil eine ypaipi Trapavoguv
dagegen sowohl wie gegen einen ähnlichen Beschluss für Apollo-
doros, auf welchen sich ein zweites Amendement unserer In
schrift bezieht, eingebracht worden war. ,Der Gerichtshof,
welcher hierüber zu entscheiden hatte, wies die Klage, so weit
sie Thi'asybulos anging, zurück, erachtete aber in Ansehung
Apollodors die Thatsache für erwiesen, dass Bestechungen an
gewandt worden seien, um eine ihm günstige Abstimmung in
der Volksversammlung herbeizuführen, und kassirte demzu
folge den ihn angehenden Theil des Beschlusses. In diesem
Stadium kam die Sache im Elaphebolion von Ol. 92, 3 wieder
vor die Volksversammlung, in welcher der Rath zunächst auf
Bekränzung des Thrasybulos antrug, das Volk dies bestätigte
und anordnete, dass jener erste Beschluss für Thrasybulos nun
mehr in Rechtskraft treten und ihm erlaubt sein sollte sich
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
183
als athenischer Bürger in einen Demos, eine Phyle und eine
Phratrie nach eigener Wahl einschreiben zu lassen, in Sachen
des Apollodoros aber eine eigene Commission ernannte, welche
seine Ansprüche nochmals prüfen und den ihm gebührenden
Antheil an der Belohnung bestimmen solle' (a. a. 0. S. 607).
Schon aus der Art und dem Zusammenhang, in welchem be
antragt wird fuXijs xs stvai y.al 8r)|Jt,ou y.ai ^paipca?, geht demnach
klar hervor, dass dieses Decret gar nicht als Urkunde der
Bürgerrechtsverleihung zu dienen den Zweck hatte; dazu war
einzig der frühere Beschluss, welcher die gerichtliche Prüfung
bestanden hatte, geeignet und Lysias wird §. 71 seiner Rede
gegen Agoratos diesen und nicht den uns erhaltenen produeirt
haben, eine Annahme welche mir gegenüber H. Röhl’s Versuch
(Hermes XI 378), die Widersprüche zwischen der Lysiasstelle
und unserer Inschrift zu lösen, den Vorzug grösserer Einfachheit
zu haben scheint. Die besondere Decretirung des daraus für
Thrasybulos erwachsenden Rechtes war vermuthlich durch die
nächsten verlorenen Worte, welche ihm weitere nur dem ein
geschriebenen Bürger zugängliche Privilegien verliehen, ver
anlasst. Also weit entfernt, dass diese Inschrift als ein Beweis
gegen die gerichtliche Prüfung der Bürgerrechtsverleihung in
voreuklidischer Zeit angeführt werden kann, bestätigen viel
mehr die Vorgänge, welche sie andeutet, die Existenz dieser
Einrichtung. Ueber die gerichtliche Verfolgung des Thrasy-
bulischen Antrages auf Verleihung der Politie an Lysias ist
bereits gesprochen worden. Wenn in der Vita des Lysias
von einer ypasv) itapav6p.wv die Rede ist, welche Archinos erhob,
so ist dies doch wohl in dem Sinne zu verstehen, dass derselbe
bei der Prüfung der Bürgerrechtsverleihung vor dem Gerichts
hof als Kläger auftrat und hier siegte. Auch der Strafver
hängung über den Antragsteller geschieht weder bei Pseudo-
plutarch noch bei Aeschines RgKtes. §. 195 Erwähnung; erst
Max. Planudes zu Hermog. V 343 W. weiss von einer Geld
busse des Thrasybulos zu melden.
Eben so wenig darf aus der mehrmaligen Nichterwähnung
der feierlichen Abstimmung in Decreten des zweiten Formulars
die Abschaffung dieses Aktes gefolgert werden, während die
regelmässige Nichterwähnung im dritten eine solche Vermuthung
allerdings nahelegt. Dazu stimmt auch, dass die Thesmotheten
184
Hartei.
angewiesen werden die Revision vorzunehmen za-ra t'ov vopiov,
d. h. wie es das Gesetz verlangt und dass das nicht eben ein
jüngeres Gesetz war, kann die Rede gegen Neaera lehren. Es
steht demnach diese gerichtliche Revision in weit engerer Ver
wandtschaft zu der Prüfung legislatorischer Anträge vor dem
selben Forum als zur '{pctor, Tiapavöjjuov gegen gewöhnliche An
träge und es wäre deshalb sehr bedenklich, den Zeitpunkt der
Anhängigmachung dieser Klage nach der Analogie des vom
Gesetze für Bürgerrechtsverleihungen ausnahmslos verlangten
und von dem Demos in den ausführlicher concipirten Diplomen
fast regelmässig beschlossenen Revisionsprocesses bestimmen und
annehmen zu wollen, dass die von wem immer angemeldete
Ypasr; Tiapavcpcov selbst einem perfecten Volksbeschluss gegen
über ohne weiteres, auch ohne die Zustimmung des Demos
suspendirende Wirkung ausübte.
NACHTRÄGE.
I S. 549. In Bezug auf die Bedeutung des an der Spitze
der Decrete stehenden Namens des Schreibers hat Carl Schäfer in
seiner inzwischen erschienenen Schrift de scribis senatus populique
Atheniensium (Greifswald 1878) dieselbe Ansicht aufgestellt: diu
multumque consideranti nihil mihi obtigit verisimilius quam ut aclditum
esse scribam pularem utpote eum qui decretum lapidi incidendum cura-
visset fidemque apographi praestaret (S. 12 ff.). In anderen Punkten
habe ich die verdienstliche Schrift noch während des Druckes der
zweiten Abhandlung berücksichtigen können. Hinsichtlich der Be-
standtheile der Protokolle und ihrer Anordnung mag aber Schäfer’s
Urtheil hier noch eine Stelle finden, weil, wie ich glaube, nichts
besser den gemachten Versuch in das Chaos Ordnung zu bringen
rechtfertigen dürfte; er sagt S. 25 : in ceteris autem nihil refert, omnia
cum puloisculo haurire, quoniam unusquisque scriba sive consulto sive
ineuria quaedam addere, quaedam omittere potuisse existimandus tat. Nam
nimis ad liberum arbitrium singulorum reiectum fuisse videtur, utrum hoc
an illud scribere vellent et quo quisque erat ingenio, eo ducebatur.
I S. 561. Professor Kumanudis hat im ’AQvjvcaov VII 95 in
zwischen eine Inschrift aus dem Archontat des Diotimos Ol. 106, 3
= 354/3 v. Chr. mit dem Protokoll a-\- cdb"t f publicirt; c hat
die Porrn s'So^e t?) ßouXvj xai tw ovjp.w. Ausser dem Protokoll ist
nur ein Stück der Motivirung erhalten, welche auf Charakter und
Inhalt des Beschlusses keinen Schluss gestattet. Aus demselben
Jahre ist sonst nur eine Inschrift auf uns gekommen, nr. 71,
deren erste fünf Zeilen zum Theil erhalten sind und den Anfang
eines Protokolles ad'b' (nicht b", wie I S. 566 irrig steht) auf
weisen.
I S. 563. 615. Eine gleichfalls von Kumanudis im ’AÖ/vaiov
VII 93 publicirte, aus dem 4. Jahrhundert stammende und im
Asklepieion gefundene Inschrift hat ein Präscript nach dem Eormular
ad'b"hi?z"cf. Pür g und i scheint kein Platz; auf e", wovon
nur der Namen und Vaternamen ’A]py£Xoyo? ’Apyev erhalten ist,
konnten die Wörter y.ai aop.-posSpoi folgen. Das Interesse der In-
*
186
Härtel.
sclirift liegt darin, dass auf c in der Form sSoije x<n ovjp.ti) im Con-
text des Decretes die probuleumatische Formel folgte Z. 25 ff. Wem
das Decret galt und was es ausser dem Beschluss auf Belobung
und Bekränzung noch enthielt, ist nicht ersichtlich. Es ist ohne
Belang, dass hinter eooije x<j> cvjp.w ein Stück der vierten Zeile frei
blieb, so dass f" die nächste Zeile begann. Aber es ist sicher >
nicht zufällig, dass wie in den gleich mangelhaften Decreten nr. 315
und 352 b , die gleichfalls nicht auf der Burg aufgestellt waren, im
Protokoll g fehlt (vgl. I S. 616).
I S. 581 letzte Zeile. Es ist 15 b statt 14 b zu lesen. Obwohl
das auf dieser und den folgenden Seiten über die Fundgruben der
Abbreviaturen Bemerkte genügen dürfte, um zu beweisen, worauf
es mir ankam, durfte ich das Resultat schärfer dahin fassen, dass,
von Staatsurkunden officieller Aufschreibung abgesehen, Abbrevia
turen aller Art gestattet sind, dass jene nur in den angeschlossenen
Personenverzeichnissen hie und da Abkürzungen am Demotikon,
nie aber in den Präscripten, wo doch so reiche Gelegenheit war,
zulassen. Zahlreiche und interessante Belege mannigfacher Abkür
zungen bieten ausser den genannten Inschriften noch von jüngst
publicirten Stücken ’AOijvaiov YI 388 (Mauerbauinschrift), YII 87 *
(Yerzeichniss der Weihgeschenke des Asklepieion), die von Köhler
in den Mittheil. d. d. arch. Inst. III 173 ff. behandelten otäXai
il;eXeu0Epi)wd. Die Erscheinung verdient wohl eine erschöpfende
Special-Untersuchung, zu welcher ich mit meinem Excurs die An
regung gegeben haben möchte.
I S. 587 ff. Ich bin erst durch die mir während der Correctur
des letzten Bogens zugekommene Sammlung Mdlanges d’dpigraphie
grecque, premier fascicule, par P. Foucart. Paris, 1878 aufmerksam
gemacht worden, dass auch Foucart die wichtige Inschrift in ein
gehender Weise commentirt und sich um das Verständniss derselben
grosse Verdienste erworben hat. Was den fehlenden Bestandtheil b
betrifft, schliesst sich auch Foucart Kumanudis’ Vermuthung an:
dans Vintituld, le nom du secretaire de la prytanie n’est pas mentionnd:
cette omission esl Sans exemple jusqu’ici dans les dderets du V‘ siecle;
il est probable que ce nom avait die gravd au-dessous du bas-relief (S. 6),
welche mit Rücksicht auf die oben I S. 545. 550. 551 gegebene
Zusammenstellung unhaltbar ist. Auch -wenn der Schreiber ausser
halb des Protokolls genannt war, durfte er im Inneren desselben
nicht fehlen. Diese Erklärung setzt also nur eine Singularität an
die Stelle der anderen.
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
187
II. S. 130, Z. 4. Es sollte heissen der Proxenie- und
Euergesiedeerete, wie übrigens der Inhalt des Excurses zeigt;
beiden Arten ist die Aufschrift und die kurze Formel ävafpdtiat
eigenthiimlich, auch wo es sich nur um Verleihung der T:po^svia
oder ebepyecio'. allein handelt.
>
II S. 147. Vergl. Foucart, Mdlanges, S. 32. 35.
II S. 171. Hinsichtlich der Bestreitung der Kosten für die auf
zuschreibenden Inschriften gibt auch Foucart eine Zusammenstellung
der Fälle, wo die Aufschreibung xaXeat xoü oslvoc bewilligt wird
und gelangt in der Hauptsache zu den gleichen Folgerungen: la
regle semble avoir ete de faire payer les frais de la stele aux dtrangers
que concernait le decret ou qui sollicitaient une decision des Atheniens.
Le peuple, comme nous en avons plusieurs exemples pour cette dpoque
(es handelt sich um CIA. I nr. 2 7“), pouvait, par une decision ex-
presse, prendre la ddpense ä sa cliarge; mais c'etait une faveur parti-
culiere, et c’est seulement. dans la suite qu’elle devint Vusage gendral
(Mdlanges, S. 13 und über andere Punkte, welche die Aufschreibung
betreffen, S. 32).
* II S. 172. Die Formel adv y.a't xw Sv)p.w Soy/?) stellt Foucart
(Melanges, S. 38) auch in der ersten Zeile der Inschrift CIA. II
nr. 38 her, nur dass sich hier dieselbe nicht auf die Bewilligung
der Aufschreibung bezieht: aYYeXiJac evay.a [iiapaSou]vai adv y.a|[i
tw]'. oi)p,[(p] Soy-pi], y.at] xt)V eüepY[aai(av) | äv]aYpä(j>[ai y,xX.
III S. 129 ff. Auch Foucart ist die Verschiedenheit der
Amendirungs-Formel nicht entgangen; er versucht sie in folgender
Weise zu erklären, indem er zu CIA. I nr. 27“ Z. 40 bemerkt:
La proposition d’Anticles est independante de cette de Diognetos. Si
c’dtait un amendement au äderet, de celui-ci et s’il avait ete. presente dans
le conseil, on aurait ajoutd xd p.av aXXa y.aOdxsp Aioyvyjxc^, comme nous
le voyons plus loin pour la proposition d’Archestratos (l. 70). Si eile
avait die portee directement d l’assemblde du peuple comme addition ou
modification au probuleuma, nous trouverions la formule usuelle xd p.ev
aXXa y.«6dx:cp Xfl ßouXr ( (Mdlanges, S. 11). Man mag daraus entnehmen,
wie schwierig es ist ohne Scheidung der probuleumatischen Decrete
» und der Volksdecrete die richtige Bedeutung der Formeln zu finden.
188
Hartei.
REGISTER
I.
Register der behandelten Stellen und Inschriften. 1
I = Sitzungsberichte, Maiheft, Jahrgang 1878, Bä. XC, Heft III, S. 543 — 624,
II = Sitzungsberichte, Juniheft, Jahrgang 1878, Bd. XCI, Heft I, S. 101 —194,
III bedeutet die voranstehende Abhandlung.
Aeschines R. g. Timarch § 23 II 193
§ 81 III 150
Demosthenes
R. g. Anärot. § 5 ff. III 149
R. g. Aristokr. § 14 III 159 f.
— — §92 III 169 ff. 173 ff.
Kranzrede (Psephismen) II 102
— — § 169 III 137
R. g. Leptines § 35 II 114f.
R. g. Timokr. § 25 ff. II 192
Schol. zu Demostli. S. 649, 29
III 170 ff.
Diogenes von Laerte VII 10 I 565.
585. 599
Harpokration jtpo^Eipoxovia III llOff.
Inschriften:
’AOijva'.ov
V. Band, S. 424
S. 516
S. 520
S. 522
VI. Band, S. 133
S. 134
S. 135
S. 136
II 103. 160
II 104—108.160
II 164
I 572. 576.
II 170. 187
I 612. II lllf.
I 565
II 186
II 186 f.
S. 152 1595.598. II 112ff.
149f. 189. 192. III
95.102 f. 106 f. 132 f.
S. 158 I 553. 563. 570.
577 f. II 137
S. 269 I 557
’A0.VI. Band, S. 270
S. 271
S. 272
S. 481
S. 489
II 152 f. 191
I 593.595
II 183
1557
II 163
Corpus inseriptionum Atticarum
18 II 168
22* III 91
27* I 587—91. III 131
31 III 130
36 II 191
37 II 192. III 92
38 III 92
40 I547.548.549.il 165 ff III92 f.
41 III 130
49 III 93
51 II 191
55 III 93
57 II 167. III 157f.
58 I 550 f.
59 III 93. 130 f. 149. 181 ff.
79 II 192. III 93
101 III 130
1» II 147. 192. III 103f. 113f.
115—119. 125 f. 140
1° II 163. 175 f. 178
3 II 130.177 f. 179. 180
4 II 180 f.
11 II 174f. 176. 178
12 III 119 f.
14» 1 598. II 194
15 II 144 f.
II
1 Die beiden Indices hat ein junger Philologe, Herr Victor Thumser,
angefertigt.
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. III.
189
►
»
CIA.II 15» 1581
17 11101.147
17» II 144 f. III 101. 154
18 II 171. III 93
19 II 164
20 II 164
25 II 177 f.
25, 2 I 571
27 I 561.571. II 110. III 155
28 II 194
29 II 134. 177—179
30 II129f.134f.173f.176.179f.
33 II 164
34 II 191
36 II 163. 180
38 II 150. 163
41 II 163
44 II 147
49 II 119 f. III 101 f. 154
50 II 130
51 I 595.11 122 ff. III 155 ff.
52 I 557. II 120ff. III 155ff.
52» I 598
52° I 572. II 109. 169. 191
52', 2 I 586f. III 155
54 II 125 ff. III 143 f.
55 II 164. III 140 f.
57 I 571. II 102
57» II 102 f. III 114
61 III 94
62 I 580 f. II 109
64 I 581
65 III 94
66 I 554. III 94
66» III 102. 154.
68 II 194
70 II 110 f. 133. III 155
72 I 561. II 111
73, 1 I 554. II 164. 168 f.
73,2 I 554.11164.168f.III100f.
75 III 94
76 III 90 f. 94
77 1 551. 557. 566. 574. II 132
78 I 551.
82» I 557. III 94
84 II 145. 147
85 II 163
CIA.II 86
89
90
91
95
96
98
105
107
108
109
110
114
116
117
119
119,
120
121
123
124
125
126
127
128
131
135'
136
139
142
146
151
162
164
166
167
168
168,
169
173
175
175»
178
179
lS'l
II 147. III 13 lf. 133
II 181
II 145
II 191
II 163. 193 f. III 120 f.
II 194. III 94
III 95. 149
I 598
I 557. 561
II 194. III 139 f.
I 555.11 103f.
I 598
I558.597.II131.III99f.144
II 164. 194
I 561. 565.568. 585
II 133. III 125. Ulf.
2 I 571. 574
I 585
II 172. III 180. 182
II 132
I 597.11 130
I 554. 559. 598. III 123
I 617. III 95. 107 f. 123. 149
I 597
I 551.555.568.11 110. 163.
169. III 138
III 127
I 579 f.
II 163
ir 164
II 163
II 172
I 606
III 127. 128
II 140. 173. 191. III 139
I 601.606
II 159 f.
I 577. 619-623.11 164. III
. 121 f.
1 I 602.III 151
I 561
II 130
II 132
I 580.11131. III 95.103.113
II 130
I 597
II 133 f. 163
\
SS
190
Hartei.
I i
II
CIA.II 183
183, 2
1 596. TI 133
I 563.598
186 11 161.111 123—125.135 f.
190, 2
191
193
206
209
219
221
222
229
230
230, 2
231, 1
231, 2
233
234
236
237
238 b
240
241
243
245
249
249 b
252
252 b
256 b
258
269
269, 1
270
272
279
280
280 b
287
289
296
299 b
300
302
302 b , 1
305
307
1 571. 574. III 172
I 563. 578. 579. II 137
I 581. 597.598
II 192
I 606. II 191
I 606
I 553. 601
I 596
I 578
I 572. 580. 583 f. III 113
I 572
II 164. III 139
I 616
II 191
I 580. 583. 594. 597
I 563. 593. 595
I 580. 584. 597
I 598
I 572. 574. 575. III 148
I 616
II 151
I 557
I 574. 594 f.
I 595
III 142
I 557
II 163
II 163
III 143
II 164
II 148
II 143
II 131
II 131
I 567. 597f. 616
II 185
II 191
II 140 f.
I 578 f.
I 584 f.
I 568
I 571
II 185 f.
III 139
CIA.II 309
310
315
316
317
318
319
325
326
328
329,
329,
330
331
332
333
334
336
338
343
345 b
348
352 b
359
367
369
371
373 b
375
376
377
381
382
386
391
403
409
409 b
413
420
421
425
431
431,
431,
II 186. III 114f.
III 95
I 615
II 192
II 154 f.
II 154.186. 189
I 584 f.
II 189
I 606
II 152. III 180
1 II 164
2 I 596 f.
I 606
II 186. III 126. 133. 145.
178
I 585 f. II 120.145.154.164
II 144f.
1582. 617 ff. II 155
I 557
I 606. II 185
I 557. 584 f.
I 595
I 610 f.
I 615. II 189
I 611
I 606. II 188. 191. III 95
I 606
I 563. 593. 595
II 190
II 152 f.
II 185 f.
II 184
III 96
II 187 f.
I 611
I 606
1 579. 593. 619 ff. II 131.
157. 164
I 616 f. II 185. III 108
I 557
I 557. 564
I 607
I 611. III 142
I 607
I 580. 613
1 I 556. 606
2 I 553. 601. 606
Studien über attisches Staatsreclit und Urkundenwesen. HI.
191
CIA.II432
438
440
444
445
446
451
454
455
461
465
467
468
469
470
471
472
473
475
477 b
481
I 564. 596
III 145 f.
I 597. 601. 606. 613
II 163
II 163
II 163
I 607. II 163
I 607. 613
III 146. 181
I 565 f.
I 607
I 608 f. 614.111 143
I 557
I 608 f.
I 608 f. 615
I 608. III 123
III 123
I 608
II 165. III 146 f.
I 576 f.
I 572. 575. 609
CIA.II 481, 1
482
482, 1
487
488
489»
496
551
592
593
594
605
Eevue archeol. 1878
S. 119
S. 121
I 594. 597
I 575 f. 609.11 131
I 575.594
I 566. 575. 597
II 140
II 165
II 131
II 170
II 192. III 144
II 190
I 608
II 190
II163. 170
II 177 f. 179
Lysias R. g. Agoratos § 71 III 183
Platon Protag. 319b III 150f.
Pseudoplutareli Vita der X Redner
S. 833 d 1548
S. 850 e III 147 f.
S.852 I 574
II.
Sachliches Register.
Abkürzungen desDemotikonsI 573. [
580—582, der Eigennamen I 582,
technischer Ausdrücke I 582 f.; ganz
ausnahmsweise inPsephismenI580f.
597, in andern Arten von Urkunden
sehr häufig I 581—583. III 186.
Amendement (vergl. Psephismen
[Staatsverträge], Volksdecrete): 1584.
588. II 161.164. 172. 180. III. 92. 93.
96.103 f. 127.129—134.140.144.145.
158; bei der ersten und zweiten
Lesung einzubringen gestattet III
134; zu probuleumatischen Decreten
II 126. 128. III 112. llöff. 129. 133.
143, mit osSoyOai (Eiirj^iaOai) tö OTju.r;)
eingeleitet III 133. 141, mit selbst
ständigem Präscript III 123—128;
zu Volksdecreten II115. III 129; die
Hauptsache enthaltend III141 f. 143;
nicht als solches beurkundet III 132.
I ävaypacpEÜ; (01.114,4—115, 2)1549.
554. 563. 566. 557. 568.578. 579. 612.
II 137. 140, ein jähriger Beamter I
578, mit der Aufschreibung von
Urkunden betraut I 570. 577 f. II
137 f.
Antragsteller in den Präscripten
der Psephismen ohne Demotikon
und Vaternamen I 544f. II 118, mit
Demotikon und Vaternamen I 552.
553.557, nie mit blossem Demotikon
1 557; fehlt I 550 f.; Nicht-Buleuten
als Antragsteller III 134—137.146ff.
150 ff. 175.
Apodekten II 150f.
OtKpoßoÜ). EUTOV: (J17]8eV E(XV C<7rpoßoU-
I,sutov el; e/xLrjaiav Elaifspeadoa III
109 ff. 134 ff. 174. 176 (vgl. probu-
leumatische Deerete, Rath).
Archiv I 592—594.11 170.
s
192 Hartei.
Archont (vergl. Psephismen [Dati-
rung]): in den Präscripten ohne
Demotikon und Yaternamen I 546.
547, durch einen Zusatz näher be
stimmt I 552. II 155, nicht noth- j
wendiger Bestandtheil der Präscripte
I 544, fehlt mit der prytanirenden
Phyle I 572; apytov osuxspo«; I
552 f.
Belobungsdecrete für Festbesorger
und Priester mit unvollständigen Prä
scripten ausgefertigt I 565. 576 f.
615 f. II 142 f. 185 f., von den Vor
stehern der einzelnen Tempelbezirke
ausgeführt II 143.
Budgetposten durch ein Gesetz
bewilligt II 151.
Budgettitel: xa (ei? xa) xaxa 4v)cpL-
ap.axa avaXtay.op.sva xtb S^p-O) II 146.
151, xa xaxa 47)cptap.axa ava)aaxop.s-
va xrj ßouX9j II 146 f., xa os'xa xaXavxa
II 147 ff., xa xaxaßaXXop.sva yp7]p.axa
II 150 f., xa xotva ypjp.axa II 151,
xa axpaxiamxa II 149 f.; fehlt in der
Formel der Kostenanweisung für die
Aufschreibung der Psephismen II
146 f. 150.
Bürger (athenische) werden in öffent
lichen Urkunden mit ihrem Demo
tikon genannt I 553, mit Demotikon
und Vaternamen I 553, nie mit
blossem Vaternamen ebendaselbst.
Bürgerrechtsdiplome I 584. 612.
II 128. 131. 143. 151. 154. 172. 182.
187. 188. III 115. 120. 127 f. 139.
179 ff.; verschiedene Formen der
selben III 180 ff.; auf Grund einer
Bewerbung ertheilt III 146; parla
mentarische Behandlung derselben
III 179. 183; die richterliche Re
vision folgt auf den Abschluss der
ekklesiastischen Verhandlungen III
115. 179, Unerlässlichkeit derselben
III 179. 181. 183.; vgl. ypa<p7) Ttapa-
vopxov.
Dem ade s als Antragsteller 1 597.
Demotikon (vgl. avaypacpsui;, Antrag
steller, Archont, Bürger, ypap-p-axsu;
xrji; ßouXfjc, 6 ypap-p-axso? 6 xaxa ~pu-
xavstav, Präsident der Versammlung,
aup-Tipo'sdpoi): auffällig vor den Vater
namen gesetzt I 557.
o ta^sipoxo v(a III 176.
j 8 to (xyj at;: 6 (oi) stu xrj Bioix^asi oberste
Verwaltungsbehörde II150.151.152,
versieht die Functionen des xapiiai;
xou 0'/jp.ou II 150; in einem ge
fälschten Psephisma fehlt der Artikel
vor BioixTjasi II 152.
st für s in ßaatXsfa, yp a [ J -[J*axst’a, Ssttov-
xat, oiopsia u. a. I 622 f.
Ekklesie beschliesst auf Antrag des
Rathes und in Uebereinstimmung
mit diesem die Einbringung der
Gegenstände (erste Lesung) I 617.
II 124. 193. III 88—105. 107. 110.
112.156.165.167.168, ergreift selbst
die Initiative zu Anträgen III 91.
92.93.96.107—109 153; entscheidet
über die eingebrachten Gegenstände
selbständig in der Schlussverhand
lung III 98. 152, der Termin für die
Schluss Verhandlung wird genauer
bestimmt II 184 f. 186—189, gar
nicht angegeben I 617. II 185f. III
102, sie ist durch längern Zwischen
raum getrennt von der ersten Lesung
III 112—126; die vier regelmässigen
Ekklesien mit bestimmter Tages
ordnung II 188 f., Reihenfolge der
Gegenstände in der Tagesordnung
II 189 ff.: -/p7jp.ax(aai (:rpoaaYaYEtv) sv
ispof«; II 189 f., 7:pwxov p.sxa xa tspa
II 191—193; ausserordentliche III
96. 107; sxxXrjat'a in den Präscripten
bezeichnet I 559, nicht bezeichnet
I 563; vgl. Amendement, corpoßouXsu-
xov, supsaOat, Psephismen, Volks-
derete.
S7:ixupoüv, xupouv, xuptov slvat be
zeichnet die bei der Schlussverhand-
Studien über attisches Staatsrecht und Urkundenwesen. lll.
193
lung erfolgte Annahme eines An
trages III 115 f. 155. 167. 168.
sup^oöai 7capa tou 8v]jj.ou ayaüov ztX. ;
verschiedene Fassung und Bedeutung
der Formel in probuleumatischen
Deereten I 614. III 138. 140-144.
145. 149, in Volksdecreten III 138.
139 f.
Gerichte undElcklesie vgl. ypacprj
-apctvoo'ov.
y pajJ-jxaT EU ; T7j; ßouXrj; (Raths-
schreiber) in den Präscripten ohne
Demotikon und Vaternamen I 544.
545. 546 f. 554, mit Demotikon I
546 f. 552. 554, mit Demotikon und
Vaternamen I 547. 552. 554. II 118,
einmal mit blossem Vaternamen I
547. 552 vgl. 548, fehlt I 545. 563.
564.571 f. 574- 577. 579 f. 584 ff. 595.
597.622; wechselt mit der Phyle
I 545. 554. II 136, wird zwischen
Ol. 103,1 u.Ol. 104, 2 ein jähriger Be
amter I 554. 569. 592. II 136; heisst
später Raths- und Staatsschreiber
(yp. t% ßouXfj; zal tou orj[j.ou) I 569 f.
II 139 oder Staatsschreiber (yp. tou
Srjpou) I 570. II 138, der Titel
ypappatEu; trj; ßouXrj; nicht mehr
nachweisbar II 138; nicht identisch
mit dem ypajj.jj.atEu; b -/.ata nputa-
vstav II 136; mit der Aufzeichnung
der Protokolle und Oberaufsicht über
das Staatsarchiv betraut I 570. II
136.141. 147; besonders bezeichnet
an der Spitze der Psepliismen I 547.
548f., doppelt gesetzt I 562. II 166
•—168; singuläre Stellung desselben
I 561. 583; vgl. Psephismen.
ypajj.jj.atEu; 6 zatä jtputavElav zwi
schen 367 und 363 v. Chr. eingesetzt
II 136, wechselt mit der Prytanie
ebendas., gehört der Phyle der Pry-
tanen an II 137; in den Präscripten
mit blossem Demotikon I 579. II
138; mit der Ausfertigung und öffent
lichen Aufstellung der Psephismen
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XC1I. Bd. I. Hft.
betraut I 570. 578. 585. II 137. 138.
140. 141.
ypacprj jiapavo'jj.wv III 112. 159, der
juristische Schwerpunkt derselben
III 163, Zeit der Anhängigmachung
III 164. 167. 174.176. 177.184, Sus
pensionskraft derselben III164.169.
171. 177.184; bei der Bürgerrechts
verleihung III 164. 179. 182. 183,
gegen probuleumatische Anträge III
165. 167. 169, gegen nicht probu
leumatische Anträge III 174. 175.
176; der Demos beschliesst die
gerichtliche Revision III 178.
Inschriften: Ausfertigung derselben
nur nach Volksbeschluss möglich
II 166. 173 f. 175 selbst bei Wieder
errichtung vernichteter Urkunden II
173, durch Amendement verordnet
II 172, innerhalb einer bestimmten
Frist auszuführen II 140; Auf
schreibung öffentlicher Urkunden
bestimmten Beamten zugewiesen
(vgl. avaypacpsu;, ypajj.jj.aTEu; T/j; ßou-
Xrj;, b ypajj:jj.aTEu; o zara upuravslav),
nicht die vonEphebeninschriften und
Belobungsdecreten für Priester etc. I
575.577.11 141 —142; die Aufschrei
bung wird nicht verfügt II 164 f.
166. III 139. 141. 142. 143. 144, in
Staatsverträgen II 144f., in Troxe-
niedecreten II143, in Privaturkunden
I 577. 621. 622. II 164; Beschlüsse
nicht oder später aufgezeichnet II
165ff. 170f. 176, letzteres, wenn die
Aufschreibung bereits früher vom
Volke genehmigt war, nach Bewilli
gung des Rathes II 174. 176. 178.
180 f.; Aufschreibung nicht notli-
wendig zur Reclitsgültigkeit der
Psephismen II 165 ff., vermehrt nur
die Auszeichnung II 172 f. 181; Du
plikate I 586. II 144. 145. 153ff. 164.
III 148, von Staatswegen verordnet
II 153 f. — die Kosten der Aufschrei
bung werden auf verschiedene Be-
13
194
Ilartel.
hörden angewiesen II 146f. 150—
153, vgl. Apodekten, ö Ire! Tij Stoizrj-
oei, T«[it«5; keine Kosten werden an
gewiesen I 586. II 158. 163—165.
169. 176. 177 f. 194, in Staatsver
trägen II 144, in Proxeniedecreten
II 144; die Parteien haben die
Kosten zu tragen II 169. 171 f.; die
Summe genau angegeben II 151,
Preisscala II 156—161; Bedeutung
der angewiesenen Kosten II 155 f.
161 f., nicht zurückzuführen auf das
Breitenformat II 158, noch auf die
Gesammtzahl der Buchstaben II
158 f. 160 f. — Aufstellungsort einmal
ev Tui ßouXsuT7)p!w II 152; auf einem
und demselben Platze gleichartige
Decrete II 134 — azoiyrfiov ge-
schrieben II 127. 156. 161, mit Ab
weichungen I 612. II 109. 121.129.
158. 159 — Privaturkunden I 553.
572-580. 582. 583—586. 619—622.
II 112 ff. 134. 157. 160. 164. 168 f.
185. 187. 194. III 113. 122, vgl. Pse-
phismen; plastischer Schmuck der
selben I 584. II 111. 113 f. 162, Auf
schrift derselben I 575. II. 130 ff.
XUpOÜV, ZÜpiOV Vgl. IretZUpOUV.
Ladung in das Prytaneion II 115 f.
127. 180. 188. III 130, zweimal
beantragt II 12S.III 119; am Schlüsse
der Psephismen nach der Bestim
mung über die Aufschreibung III
119, piit andern Bestimmungen III
132, 144.
Präscripte der Psephismen: Be-
standtheile derselben I 544. 558 f.,
vgl. Antragsteller, Archont, Ekklesie,
ypappaTEu; t% ßouXijs, ypappaTEUs 6
•/.ata repuxavsiav, Präsident der Ver
sammlung, prytanirende Phyle, Pse
phismen (Datirung), Rath, Sanc-
tionirungsformel; ältestes Formular
I 544 f. 551. 574, Uebergangsformen
I 551.561 f. 568, jüngere Formulare
I 563 f. 567 f., singuläre Formulare
I 564—566. 585. 587. 596; verschie
denes Princip der Anordnung der
Bestandtheile I 591—594; unvoll
ständige I 566. 572. 575. 586f. 596f.
622. II 163, lückenhaft überlieferte
I 566 f.; älteres Formular in Raths-
psephismen I 567. 601, in Staats-
Verträgen und internationalen Ur
kunden I 551. 567. 568. II 109.118f.
121. III 154.
Präsident der Versammlung in den
Präscripten ohne Demotikon und
Vaternamen I 544.555—557. II 118,
mit Demotikon I 557. II 118, mit
Demotikon und Vaternamen (seit Ol.
116, 3) I 557. II121; in der Form (e)
ö Beito EKEUTdcTsi I 555. II118, (e) twv
jrpos'Spcov E^eivj^i^EV 6 Setva (seit Ol.
100, 3) I 555. 601. II 118, tfiv repos-
Sptov 6 Ssfva za! auprepoE-
opoi (seit Ol. 115, 2) I 556. 601, ein
mal IreEilrjoujEV und IreEiIujcualjEv I
565; fehlt in der Form e I 556, in
der Form e I 556. 563. 564. 577; vgl.
<7up.reposopoi.
Probuleumatische Decrete I
603—624; Zeit und Ursprung III
157.158; nicht vorhanden im 5. Jahr
hundert III 157; ihre Sanctioni-
rungsformel in den Präscripten eoo^e
Tij ßouXrj za! tw orjpo> I 599, einmal
e’So^e tw Srjp.w •/.ai Tij ßouXrj I 617.
III107 f. (vgl. Sanctionirungsformel);
probuleumatische Formel I 596. 603.
617. II 182. III 109, ihre Entwick
lung II 183f., unvollständige II116.
183. 185. 193 f. III 102. 105. 106 f„
ohne EiJ)7]cpia0ai Tij ßouXrj II 183. III
101—104 f., singuläre Form der
selben II 112. 116. 185. III 156 f.,
fehlerhafte I 610 ff.; ihr Summarium
(vgl. das.) f) ßouXf[ za! 6 ofjp.o; I 600;
entnommen den Rathsprotokollen
III 106. 110. 134, beziehen sich als
Einbringungsdecrete auf die erste
Lesung III 110, zur Beurkundung
Studien über attiscb.es Stautsrecht und Urkundemveson. III.
195
der Schlussabstimmung verwendet I
III127, nicht durch den Gegenstand,
noch durch die verschiedene Art
der parlamentarischen Behandlung
veranlasst II 182, beurkunden Be
schlüsse, die durch ein Probuleuma
des Käthes veranlasst waren III128.
134. 159. vgl. III 89 f.; Verzeichniss
derselben I 605 — Verjährung pro-
buleumatischer Anträge III 169 —
173.
Procheirotonie (erste Lesung) vgl.
Ekklesie, probnl. Decrete.
jrpoeSpoi (vgl. Präsident der Ver
sammlung) betraut mit dem r.pooa-
yaysiv ei; xrjv j:p(oT7)v ö/.'//.pal au III
104.
7tpoao8os tcpo^ xpv ßouXpv II 153:
"poc xpv ßouXrjv xai xov opu.ou r.pw-
xoi? u.exx xa hpa II 191 f., sav tou
S&ovxai II 191.
Prytanirende Phyle: nothwendiger
Bestandtheil der Präscripte I 544.
558. 571, fehlt I 567. 572. 575. 616;
in der Form (d) fj osiva arpoTavEUE I
544, stets ohne Angabe der Zahl
I 545. 551. 571; in der Form (d') eju
Tp? ostvo? TEpuxavslap I 558. 571, stets
mit Angabe der Zahl I 558. 571,
schon vor Euklid verwendet I 558,
einmal ohne die Zahl I 571; Pry-
tanen betraut mit dem jxpoaayaysfv
Et? xrjv xptox/fj EzxXpaJav III 104.
Psephismen: Datirung durch den
Archonten 1546, durch denArchonten
und ersten Rathsschreiber I 546,
durch den ersten Rathsschreiber
allein I 547, durch die mit der Zahl
versehene Phyle I 558. 569, durch
den Tag der Prytanie und den Mo
natstag I 559. 601. 616 f.; die Dati
rung ist unvollständig I 559. 563.
567. 584. 602. 616 — Legalisirung
derselben durch die Uebersc.hrift des
Rathsschreibers I 549. 569. 579. 586.
591 - Fälschungen I 600. 601. II
152. III 180 — durch Bewerbung
veranlasst III 145 f. — Epheben-
decrete I 597. 606. 607 ff. III 143,
nicht streng officieller Natur I 576.
597. 614f. II 141 f. 155. 163, sind in
späterer Zeit Rathspsephismen I
609. II 102 — Proxenie- und Euerge-
siedecrete II 130.132.143f. 148.153.
171. 181. 182. III 94. 104. 125. 131f.
145 f.; öffentliche entbehren nie der
Aufschrift xpocEvtx tou oeTvg; oder
xou oetvo; xpoctvou 1597. II130— 132,
dieselbe erinnert an die älteste Form
der Beurkundung II 132 f.; private
Abschriften I 581. 597. II HOf. 130.
163. 193; kurze Verleihungsformel
derselben (ctvaypcttlat xijv jxpo^Evtav)
II 129. 133; mehrere Ernennungen
in demselben Decrete II 134; in
Tempeln deponirt II 149 — Staats
verträge I 585. II 101—110. 118—
125. 131. 144 f. 149. 153. 154. 160.
164.171. III lOlff. 113f. 116 ff. 125f.
153f., vgl. Präscripte, Sanctioni-
rungsformel; Aufschrift derselben II
130 f.; parlamentarische Behandlung
derselben II 124. III 154f., in zwei
Ekklesien III 114. 154- 157; nicht
in probuleumatischen Decreten be
urkundet II 119. III 101. 153f. —
vgl. Inschriften.
Rath: ohne Probuleuma desselben
kann kein Antrag vor die Ekklesie
kommen III 89 f. 96. 97. 98. 109.
134. 135. 146. 150. 152; beschränkt
sich öfters auf die blosse Einbrin
gung von Anträgen III 136 f. 146.
148.150 f. 152 f.,verzichtet wenigstens
zumThe.il auf das Recht meritorisehe
Anträge vor die Ekklesie zu bringen
III 137f. 149 (vgl.EÜpEaOai), decretirt
die Ausführung eines vorliegenden
Volksbeschlussos II 175, ertheilt auf
Grund von Volksbeschlüssen die
Bewilligung zur Errichtung von
Stelen II 174. 178—181, leitet die
Verhandlungen mit fremden Staaten
II 119; Bittgesuche an denselben
13*
196 Hartei. Studien über attisches Stautsrecht und Urkundenwesen. III.
III 147 f.; erlässt die Belobungs-
decrete für die Beamten der Pry-
tanen I 607.613.11 138; Vermen
gung seiner Competenz mit der des
Volkes I 609. 613. 614; seine poli
tische Bedeutung III 159; Plenar
sitzungen desselben I 602 ; der Ver
sammlungsort desselben in Präscrip
ten genau bezeichnet I 602.
Rath spsephismen I 596.597.600
— 603, ihre Sanctionirungsformel
Eooije xrj ßouXij I 599, ihr Summa-
rium 7) ßouXij I 599, die den Antrag
einleitende Formel 8eB$y_0ai xrj ßouXij
ebendas.; Verjährung derselben III
169 ff. 172.
Sanctionirungsformel: vor Euklid
sSoije xrj ßouXij zai xot 07j[j.oj I 558.
594, eSo^e xw oijp.0) vor Euklid nicht
nachweisbar II 118. 129; eoo^e xrj
ßouXij regelmässig in den Präscripten
der Rathspsephismen, eoo^e xrj ßouXij
zai xw Srjjrtoin denPräseripten probu-
leumatischer Decrete, Bo^e xü 8ij|«ü
in den Präscripten der Volksdecrete
I 594. 599f. 604ff.; auf ISoäjE xß Brjpa)
folgt die probuleumatische Formel
I 610—619. II 185. III 108. 113, auf
eoo^e xrj ßouXij folgt die probuleu
matische Formel I 619—623, eoo^e
xrj ßouXij zai xff> orjarn an der Spitze
von Volksdecreten I 623—624. II
101—119. 120-129. III 153. 155,
Bedeutung dieser Ausnahme II117 f.
III 153 —157, auf e3o<;e xrj ßouXrj
zai xw 8rj(j.o) folgt ein Rathsdecret
II 129 ff. 173 f.; nachträglich ver
bessert I 580 f. 596, eingetragen II
109; füllt oft eine ganze Zeile aus
I 595; fehlt I 551. 563. 564. 566. 567.
573. 580. 581. 583. 584. 593. 594—
599. 618. II 112. 117.
Summarien I 605—609 (vgl. probu
leumatische undVolksdecrete, Raths
psephismen): müssen stets mit der
Sanctionirungsformel iibereinstim-
men I 585. 604, widersprechen der
regelrechten Anwendung I 607 —
609.
aup.-po'E§poi (vgl. Präsident der Ver
sammlung) I 578, ohne Artikel in
der Formel xwv jipofSptov arxx-hrjrplTev
6 ÖEfva zai aup.xpoEopo: I 556; na
mentlich verzeichnet sammt Demo-
tikon I 556. 567. 593. 595, ohne zai
angefiigt I 557; aupjipoESpot fehlt
I 553. 556. 564. 573. 580. 601.
Tapfac (xapiai) xfjs ßouXij; I 600. II
146 f. 152 f.; xxuxac xou oijp.ou II146.
150.151; xapiat xcöv xrj; 0eou II147 f.,
borgen Geld II 149; xapJa; xtüv
axpaxnoxizcov I 549. 566. 577. 582.
619. II 142.150. 151 f.
Volksdecrete I 604 f. II 147; Zeit
und Ursprung III 157 f.; ihre Sanc
tionirungsformel Eooäjs x<ö 0/ju.oj I
599; die den Antrag einleitende
Formel OESo^Oa: xüi 07j|j.(p ebendas.,
vor Euklid unbekannt II 194, fehlt
ebendas., III 155. 158; ihr Summa-
rium b 8ijjp.o; 1 599; im 5. Jahr
hundert durch die Amendirungs-
formel x& uev aXXa zaOcwxsp ö oeIva
charakterisirt III 158; Unterschied
derselben von probuleumatischen
Decreten II 182. III 89 f. 109 f.; be
ziehen sich auf die Schlussverhand
lung III 106. 110. 117. 134, bei
Staatsverträgen (vgl. Psephismen)
auf die zweite Ekklesie III 114.
155, zur Beurkundung von Be
schlüssen verwendet, denen kein
meritorischer Antrag von Seiten des
Rathes vorausgeht III 128 f. 134.
135.136. 148.150.151 f.; Belobungs-
decrete für Prytanen sind Volks
decrete I 607.
Biidinger. Krösus’.Sturz.
197
Krösus’ Sturz,
eine chronologische Untersuchung
von
Max Büdinger,
wirklichem Mitglieds der kais. Akademie der Wissenschaften.
Nicht leicht dürfte in Alterthum und Neuzeit über eine
chronologische Frage eine so grosse Zahl von abweichenden
Meinungen geäussert worden sein, wie über die Zeit des Unter
ganges des lydischen Reiches. Der gegenwärtige Stand der
Controverse erhellt am einfachsten aus der folgenden Zusammen
stellung der Ansätze. Von den Forschern seit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts nennen: Volney 1 den Januar 557, Georg
Rawlinson 2 und Maspero 3 554, Duncker 4 549, Ernst Curtius 5
547, Clinton 6 eines der Jahre von 548 bis 545, Grote, 7 Geizer 8
und Diels 9 546, Lenormant 10 545 bis 544, Haigh 11 542,
1 Recherche« nouvelles sur l’histoire ancienne (Paris 1814) II, 15 — 30.
Das Gespräch mit Solon fällt hier 564 oder 563.
2 The five great monarchies of the ancient eastern world (London 1871)
III, 376: the most probable date of the fall of Sardis is 554. History of
Herodotus I, 172 (1862): that event cannot have happened earlier than
b. C. 554.
3 Histoire ancienne (Paris 1875) 515.
4 Geschichte des Alterthums (4. Aufl. 1877) IV, 323.
5 Griechische Geschichte 3. Aufl. I. 541 oder 4. Aufl. I. 560 mit der frei
lich irrigen Gleichsetzung von Herbst 547 = ,01. 48, 3‘ für 58, 3 und
dies statt 58, 2.
6 Fasti Hellenici II, 6 und 297.
7 History of Greece (London 1869) IY. 124.
8 Das Zeitalter des Gyges. Rheinisches Museum, neue Folge XXX, 242.
6 Chronologische Untersuchungen über Apollodor’s Chronika. Ebendas.
XXXI, 16 und 20.
10 Manuel d’histoire ancienne (Paris 1869) II, 392.
11 Zeitschrift für egyptische Sprache 1869, S. 5, 1872, S. 126.
KWiiüt
198
Büdinger.
1
Heeren 1 ,um 540‘ oder 538, Bosanquet 2 534 vor Christo. Nur
Maspero, Curtius, Lenormant und Heeren geben keine Gründe
für ihre Ansätze. Die Uebrigen stützen die ihrigen mit mehr
oder minder ausführlichen Beweisen. Die Wichtigkeit des
Ereignisses für die Universalhistorie wird eine zusammen
hängende Prüfung dieser Beweise gerechtfertigt erscheinen
lassen. Vielleicht wird eine solche Prüfung auch zu einem
positiven Ergebnisse führen.
Eine Hauptstütze der bisherigen Argumentationen bilden
Angaben Herodot’s. Unter denselben sind zunächst die schein
baren Gleichzeitigkeiten zu betrachten.
Den nächsten Anhaltspunkt gewährt hier der mit Krösus
verbundene Beherrscher von Babylon ,Labynetos‘: ewpavvsus 8s
tüW Baßuhwviwv t'ov /povov toütov Aaß6v7jios (I, 77). Diesen mit
Nabunahid oder Nabunit, dem Naßovaotcx;, den der astronomische
Kanon als letzten einheimischen König von Babylon fixirt, 3
dem NaßivvnjSos oder Naßovvtooq des Berossos, 4 für identisch zu
halten, scheint G. Rawlinson 5 und Geizer 3 selbstverständlich.
Den Namen Labynetos führen aber bei Herodot zwei oder
vielleicht drei Beherrscher von Babylon. Der eine vermittelt
(I, 74) mit dem Syennesis von Kilikien nach einer Sonnen-
flnsterniss einen Frieden zwischen Alyattes und Kyaxares. Die
Sonnenfinsterniss kann freilich nur die vom 28. Mai 585 sein, 7
während deren Astyages in Medien und unzweifelhaft Nebu-
1 Handbuch (Göttingen 1799) 100: ,Sieg über Crösus c. 540‘; 33: ,Crösus
bis 538‘.
- G. Smith, Assurbanipal: clironological remarks 362.
3 Halma, Table cbronologique des regnes (Chronologie de Ptolemee, Paris
1819) t. I, fase. 2, p. 3. Dazu Schräder, die assyrisch-babylonischen Keil
inschriften, Zeitschrift der deutsch-morgenländ. Gesellschaft XXVI, 165
und KAT. (= die Keilinschriften und das alte Testament), Giessen 1872,
332 (vgl. unten S. 202 Anm. 1). Derselbe, Keilinschriften und Geschichts
forschung (Giessen 1878) 534 gibt in der Uebersetzung eines babyloni
schen Textes die Form Nabunit.
4 In Josephus’ Abschrift: Müller, Fragmenta historicorum Graecorum II,
508, Naßdvvioo; nach Eusebios’ Abschrift in Schoene’s Ausgabe der Chronik
I, 50, 52, wo der armenische Text durch Nabonedus wiedergegeben wird,
p. 49, 51.
5 Five monarehies III, 372.
6 Zeitalter des Gyges 264—268, dem Diels 17 beitritt.
7 Geizer 265.
Krösus’ Sturz.
199
kadnezar in Babylon regiert haben. Herodot’s Autorität muss
deshalb nicht gerade mit Geizer ,bei Bestimmung dieses Er
eignisses gänzlich preisgegeben werden'. Aber es wird doch
auch Niemand mit Grund behaupten können, dass der mit
Krösus verbundene Labynetos nach Herodot’s Meinung ein
anderer als der der Sonnenfinsterniss gewesen sei. Ausge
schlossen bleibt freilich auch nicht, dass ihn Herodot mit dem
von Cyrus in Babylon besiegten für identisch gehalten habe,
wenn gleich die Fassung der Worte eher auf eine neu ein-
treteüde Persönlichkeit schliessen lässt: syovxa xou xaTpo? xoü
siouxou Toiivoga Aaßuvrjxou (I, 188). 1 Dass unter solchen Um
ständen aus dem Anklange des Namens Labynetos an einen
babylonischen überhaupt nichts, am wenigsten aber aus Nabu-
nahid’s Regierungsantritt im Jahre 555 auf einen frühesten
Termin von Krösus’ Sturz auf Grund herodoteischer Angaben
geschlossen werden dürfe, braucht wohl kaum noch gesagt zu
werden.
Eine zweite Gleichzeitigkeit bei Herodot (I, 64 ff.) ist
die mit einer Tyrannis des Peisistratos. Krösus erhält nämlich
auf seine Botschaft zu den Orakeln von Delphi und Theben
die gleichmässige Antwort, wenn er Krieg gegen die Perser
führe, werde er eine grosse Herrschaft auflösen, tou? oe 'EXAvp/wv
Suvaxwxäxou? Guveßo'jXsuov ol e^supovxa cpiXoiii; lipoGÖscOa'. (I, 53). Er
erfährt hierauf bei seiner Ueberlegung, wer diese mächtigsten
Hellenen, die er sich zu Freunden machen solle, sein mögen:
Aa'/.säatp.ovioo; -/.ai ’A0Yjva(ouc r^ol’/O'naq (I, 56). In Bezug auf
das attische Volk erfährt Krösus, dass es in Peisistratos’ Be
sitz stehe (zaT£/6p,£v5v xs v.cd Siecixaapivov), der in dieser Zeit über
die Athener herrschte (xouxov xov ypövov xupavveuovxo^ ’AOrjvatwv, I,
59). Hierauf schildert der Geschichtschreiber in ganz ent
sprechender Episode 2 den Verlauf und Charakter der beiden
ersten Herrschaftsperioden: beide Male gelingt den Gegnern
der Sturz leicht, das erste Mal nach nicht langer Zeit (ou rtoXXov
ypsvov) mit Gewalt (iljeXativougt puv), da seine Herrschaft noch
1 Genau genommen ist freilich Nabunahid in Borsippa und Belsarezer als
König neben seinem Vater und für denselben in Babylon gewesen.
Schräder, KAT. 279 ff. Duncker IV, 361.
2 Insoweit wird das von Dr. Bauer, Entstehung des herodotischen Ge
schichtswerkes, S. 115 ff. Bemerkte zu modificiren sein.
200
Büdi n ger.
nicht wohl begründet ist (xr ( v TUpavvßa oüy.w y.äpxa sppi^upivrjv iyut'i
axreßa'/.E, I, 60); das zweite Mal weicht er sogar ohne Kampf
(paöcbv . . . to xtoieugsva exx’ eauxm cbxaXXGcaaexo £•/. /Op^? xb xta-
patcav, I, 61). Er und seine Söhne haben noch keine nach
haltige Macht, nur Verbindungen in einzelnen Städten (xöv
toXi'wv aixive? cci ixpoatosovxö y.oü xt): so erhalten sie Geld aus
Theben, Truppen aus Argos (I, 61) und kehren im elften Jahre
zurück (I, 62). Wörtlich fährt Herodot, um den Unterschied
gegen die beiden früheren Herrschaften hervorzuheben, fort:
,So begründete Peisistratos, da er Athen zum dritten Male
inne hatte, seine Herrschaft' (epp'Xüxcs xr ( v xupawiSa im Gegensätze
zur ersten Tyrannis) mit Söldnern und Geld. Seine Macht
reicht zum Flusse Strymon, er erobert Naxos, nimmt die sacrale
Reinigung von Delos vor (I, 64). ,Krösus erfuhr', so endet
Herodot’s Schilderung, ,dass es solchergestalt um die Athener
in dieser Zeit stehe' (xoiauxa xbv ^povov xoüxov — y.axeyovxa); die
Lacedämonier aber, fährt er dann fort, seien in einer Lage
gewesen, auf welche die Darstellung nunmehr (I, 65—68) über
geht, um damit zu schliessen, dass diesen der grössere Theil
des Peloponnes bereits ,zugewandt' gewesen sei (v)or) — vjv
xaxe<7xpap.[j.£VY), I, 68) nach dem entsprechenden Ausdrucke alt
schweizerischen Staatsrechts. Der ganze Abschnitt, welcher die
dem Lyderkönige zukommenden Nachrichten über die Allianz
mit den als die Mächtigsten anzusehenden unter den Hellenen
(xobs ä'i 'EXXijvoxv Suvaxwxaxouc eövxaq xpowt^aaixo ©i'Xo'jc, I, 56)
wiedex-geben soll, endet mit der Sendung von Krösus’ Boten
nach Sparta zur Bitte um ein Bündniss (Se^cogevou; aupp.a^fv)?,
I, 69).
Man sieht wohl, dass Herodot’s Ausführung überhaupt
keinen oder nur den Sinn haben kann, Krösus habe einzig
zwischen dem Bunde mit Sparta, welches in dem Peloponnes
die Uebermacht besass, und dem mit Athen zu wählen gehabt,
wo Peisistratos während seiner dritten 1 Tyi-annis eine bis
Thrakien und über die Kykladen reichende Macht begründet
1 Duncker IV, 324 bemerkt freilich: ,der Schein 1 — ,als ob Herodot meine,
Kroesos habe Bundesgenossen in Hellas gesucht, als Peisistratos zum
dritten Male die Tyrannis über Athen übte 1 — ,beruht lediglich auf
Herodot’s Einschiebungssystem. Es kann sich nur um des Peisistratos
zweite Tyrannis handeln, welche den Jahren 550 und 549 angehört'.
Krösus’ Sturz.
201
hatte. Herodot’s Darstellung der Peisistratidengeschichte mag
in der Grundanschauung und in Einzelheiten irrig sein, wie
sie denn schon von Thukydides berichtigt worden ist. 1 Aber
über seine — wie sich zeigen wird, wahrscheinlich richtige —
Meinung, dass Krösus’ Krieg gegen die Perser stattgefunden
habe, als Peisistratos der mächtigste Herrscher in Griechen
land war, kann kein Zweifel walten. Der Anfang dieser dritten
Tyrannis wird kaum unmittelbar vor die Eroberungen gesetzt
werden können, in deren Besitz ihn die lydischen Boten ge
funden haben sollen, kann aber doch auch nicht über fünfzehn
Jahre vor Peisistratos’ Tode im Jahre 528 oder 527, d. h.
nicht vor 543 oder 542 2 angenommen werden. Nun aber setzt
1 In vollem Gegensätze auch zu Herodot’s den Peisistratiden ungünstiger
Darstellung bemerkt Thukydides VI, 54, 5: ira'njoeüaKV et:! jeXeüjtov 81)
TÜpavvoi oütoi apEtr)V xai Ijuvscriv. Vgl. Bauer, Herodot’s Biographie (Wiener
akad. Sitzungsberichte LXXXIX) 393, und Wilamowitz-Möllendorf, zur
Thukydideslegende (Hermes XII) 337.
2 Der Beginn der Peisistratidenherrsehaft wird von Aristoteles auf 33 -f- 18
= 51 Jahre (Polit. V, 12, p. 161, Bekker) vor Ilippias’ Vertreibung im
Spätjahre 510 (Clinton, Pasti Hell. II, 18) gesetzt, d. h. auf 561, nicht
560, wie auch Clinton (II, 2) irrig rechnet. Hiermit stimmt der parische
Marmor ep. 40 (Corpus inscript. Gr. II, 301, Müller, Fragmenta I, 548
ed. Paris 1874) in der ganz erhaltenen Zahl 297, ao’ oü IlEiaiaTpaTo;
’AOrjvSv ETupctwEuaev; denn die von Boeckh mit lit. B bezeichnete Zählungs
weise der Einrechnung des Anfangsjahres 264 v. Chr. verbietet sich hier
durch jene aristotelische Angabe, so dass man nur 297 -(- 264 = 561/0
und dies als Archontat des Komias behält. Die Dauer der wirklichen
Herrschaft bestimmt Herodot (V, 65) IP etecc e? te xai rpirj-xovra, was schon
Clinton (II, 201) in leidlicher Uebereinstimmung mit Aristoteles fand,
der dem Vater 17, den Kindern 18 Regierungsjahre gibt und Peisistratos’
• Tod hiemit auf 528, schwerlich 527 bestimmt. Die aristotelische Gesammt-
zahl von 17 Regierungsjahren desselben ist durch die beiden Exile unter
brochen, deren zweites nach Herodot (I, 62) ot’ §v8exarou eteo; endet, so
dass für das erste (33—17—10 oder 11 =) 6 oder 5 Jahre bleiben. Aber
the exact places of the years of exile, being nowhere laid upon autho-
rity, has been differently determined by the conjectures of chronologers, wie
schon Grote IV, 29 bemerkt, der auch die ehronological impossibility der
ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts nach Herodot sehr hübsch schildert
III, 151 und 155. Curtius’ Annahme von je anderthalb Jahren für die
beiden ersten Herrschaftszeiten wird durch keine Quellenangabe gestützt,
und Herodot’s ;jeex 8e oü teoXkov ypovov für die erste Tyrannis und vollends
seine Katastrophe bei der zweiten liessen eher auf ganz kurze Termine
schliessen — wenn sie chronologisch überhaupt verwerthbar wären. Fällt
202 Büdinger.
Herodot (I, 153, 176) nicht nur wie alle Anderen die Einnahme
Babylons vom Jahre 538 1 nach dem lydischen Kriege an,
sondern die Belagerung dieser Stadt dauert bei ihm in ein
zweites Jahr (xo Ssüxspov sap, I, 190), ja vor dem Beginne der
selben erfolgt nach seiner Hauptrelation die Unterwerfung des
ganzen Ostens: e~et xs xa Txävxa xrjs -faelpou bmy^dpux hzovffcao
ÄowjpiWi ItxexIösxo Kupo? (I, 178). Anderseits sollen aber Peisi-
stratos’ Eroberungen vor Krösus’ Gesandtschaft stattgefunden
haben. Man sieht leicht, dass diese Behauptungen unmöglich
neben einander bestehen können.
Auch von der Gleichzeitigkeit mit Peisistratos’ dritter
Tyrannis bei Herodot müssen wir daher für unsern chrono
logischen Zweck absehen. Koch bleiben vier andere Zeitangaben
unseres Geschichtschreibers zu erwägen.
Die eine hängt mit der Kettensendung nach Delphi zu
sammen. Der Gott erwiedert auf Krösus’ Vorwürfe xvegen seiner
Täuschung durch das Orakel, drei Jahre habe er, da die Moren
keine längere Frist zugestehen wollten, die Einnahme von
Sardes verzögert: xpG exsa eixaveßaXexo xr;v SapSluv aXwciv (I, 91).
Es ist möglich, 2 dass hiermit die Zeit seit dem Anlangen von
Krösus’■ Weihegeschenken in Delphi bezeichnet wird, wenn
des Gottes Gnade ihm auch ohne die Gaben die Frist ver
schafft haben könnte, die mindestens Herodot keineswegs
(s. unten S. 205) mit den Gaben in directen Zusammenhang
Krösus’ Sturz, wie ich zu erweisen glaube, in das Jahr 541/0, so gewinnt
Herodot’s Darstellung von Krösus’ Botschaft nach Athen hohen Werth,
und wird die dritte Tyrannis, wie ich im Texte angenommen habe, in
der That 543 oder 542 begonnen haben. Dann blieben wahrscheinlich
nur ein paar Monate für die zweite von 554 oder 553 und etwas über
ein Jahr für die erste von 561. Doch bemerkt Clinton II, 203 mit Recht:
these computations are only probabilities and must not be eonsidered as
equivalent to dates, that are supported by testimony.
1 Das Jahr 209 der nabonassariscben Aera als Schlussjahr Nabunahids in
dem astronomischen Kanon entspricht dem Jahre 539 — was auch
Sehrader KAT. 332 übersieht, der 538 gibt, wie überall in der Umrech
nung ein Jahr später. Die Einnahme erfolgt eben im Jahre 210 der
nabonassarisehen Aera = 5. Januar 538 — 5. Januar 537, da der Kanon
jede neue Regierung vom 1. Toth berechnet. Ideler, Ueber die astrono
mischen Beobachtungen der Alten (1806) S. 29—33, Handbuch der
Chronologie I, 111 ff.
2 Duncker IV. 323.
Krösus’ Sturz.
203
bringt. Es ist aber auch eben so möglich, dass die drei Jahre
— deren Stellung in Herodot’s Facit der Mermnadendynastie
noch zu erörtern sein wird — der dreimaligen Anfrage des
Königs in Delphi (sr/pr J <rcY;pta^s'tc to toitov, I, 55) entsprechen
sollen und einfach aus ihr abgeleitet sind. Die problematische
Frist in der problematischen Antwort des Gottes Lässt doch für
Chronologie keine ernstliche Verwerthung zu. 1
Erheblicher ist die Erwähnung des delphischen Tempel
brandes 2 01. 58, 1= 548/7. Der Geschichtschreiber meldet nach
Autopsie und localer, so viel man sieht, unverfänglicher Ueber-
lieferung, dass von Krösus’ goldenem Löwen bei dem Brande
(I, 50) ein halbes Talent Gewicht abgeschmolzen und derselbe
in das korinthische Schatzhaus übertragen worden sei. Un
zweifelhaft ist sonach das Geschenk des Lyderkönigs vor dem
Brande dort angelangt. Aber irgend welche weitere Schluss
folgerung aus dieser Thatsaclie zu ziehen, ist doch schlechter
dings nicht zulässig. Es lässt sich auch nicht beurtheilen, ob
die Delphier oder gar Krösus selbst in dem Brande ein übles
Vorzeichen für dessen Sache erkannt oder nachträglich zuge
standen hätten, wenn sein Sturz nachher erfolgt wäre. Noch
weniger lässt sich behaupten, dass vollends Herodot auf diese
Frage hätte eingehen müssen. 3 Mehr scheinbare Berechtigung
1 ,Ist die Rechtfertigung’ des Orakels bei Herodot auch nur Erfindung der
Priester, so mussten bei so vielfach bekannten Dingen doch die vor
handenen Umstände berücksichtigt werden. 4 Duncker a. a. 0. Ich denke,
die chronologischen Verhältnisse lydisch-persischer Geschichte des sechsten
Jahrhundertes waren bei Herodot’s Anwesenheit in Delphi weder viel
fach, noch überhaupt bekannt und demnach bei der angeblichen Antwort
auch nichts als das Interesse des Gottes zu berücksichtigen.
2 KaTE'/.auOr) Be ’Ep^ixXsfBou p.sv AO^v^aiv ap-/ovro£, 7rp6mp ös' Trj; oyBor); oXup-
7:^aBo? Erst xai 7I£vtsxocjt7); vjv KpoTtoviaT7]<; svlxa AioyvrjTo?. Pausanias X, 5.
Hiemit stimmt Eusebios (ed. Schoene II, 96) nach der armenischen Ueber-
setzung: a. Abr. 1469 ( — 548 v. Chr.), während er nach Hieronymus
das vorhergehende Jahr gab; nach Beiden setzte er sicher Krösus’ Sturz
in das dem Brande folgende Jahr 1470 oder 1469 = 547 oder 548 v. Chr.
Vgl. unten S. 213.
3 ,Gewiss aber ist, dass wenn die Weihegeschenke des Kroesos schon vor
dem Falle desselben durch den Brand beschädigt worden wären, dies üble
Vorzeichen für Kroesos bei Herodot sicher nicht unerwähnt geblieben
wäre. Hienach trage ich kein Bedenken, den Fall des lydischen Reiches
in das Jahr 449 zu setzen. 4 Duncker a. a. O,
204
B ft d i n g e r.
hat noch die Schlussfolgerung, welche Astyages’ Sturz mit den
drei Orakeljahren in Verbindung bringt; denn Herodot sagt
ja (I, 46), dass dies Ereigniss Krösus’ zweijährigem Jammer
um seinen Sohn ein Ende gemacht und ihn zur Orakelbefragung
veranlasst habe. Wer kann aber angeben, wann Cyrus das
Mederreich unterworfen hat? Die Jahre 560, 559, 558 bis 556
sind gleichmässig bezeugt, mindestens für den Beginn von
Cyrus’ Regierung, der freilich keineswegs mit dieser Begeben
heit angesetzt worden sein muss, 1 so dass auf eine spätere
Zahl auch gerathen werden kann. 2 Wer die Orakeljahre auf
dies luftige Fundament legen will, kann mit Volney 557 oder,
den unbekannten Labynetos dazu genommen, mit G. Rawlinson
und Maspero 554 für Krösus’ Sturz nennen oder auch ein
paar andere unter den Fünfziger Jahren wählen. Volney hat
dabei auch noch die Unterredung mit Solon herbeigezogen (vgl.
oben S. 197), die freilich nicht während der zehnjährigen Reise
nach der Gesetzgebung von 594 angesetzt werden kann, wie
von Herodot (I, 29) geschieht. Sie ganz zu verwerfen, ist des
halb freilich schwerlich begründet. 3
Nach den drei Orakeljahren sind die herodoteischen
Regierungszeiten, welche Herodot den Mermnaden zuweist, zu
erwägen. Hier ist zunächst zu erinnern, dass die Gesammt-
summe des Geschichtschreibers von Gyges’ 38, Ardys’ 49,
Sadyattes’ 12, Alyattes’ 57, Krösus’ 14, d. h. 170 Jahren, auch
wenn man den denkbar spätesten Termin von Krösus’ Sturz
unmittelbar vor dem babylonischen Kriege, also 540/39 v. Chr.,
1 Wie Duncker IY, 289 aus Herodot I, 214 schliesst, der doch nur sagt,
Cyrus habe überhaupt (ra ntma) 29 Jahre regiert; Duneker will aber
die Angaben des Ktesias, Deinon und Justin von 30, die des Eusebius
von 31 Jahren — auch der Synkellos gibt 31 noch ausser seinen Auf
zählungen (I, 497 Dind.) als är.mta^oo 7rapä rot; ixjArjaiaarixo?; tatopixof;
— dahin ausgleichen, dass Cyrus 30 oder 31 Jahre vor seinem Tode
die Waffen gegen Medien erhoben habe. Die ausdrückliche Angabe Dio-
dor’s IX §. 23 (II 153 Dind.) gibt allgemein die 55. Olymp. = 560—556.
2 Bosanquet (bei Smith, Assurbanipal 360) nennt wirklich 538, als das auf
das traditionelle Jahr 539 folgende, as preserved by Syneellus both in
the astronomical and the ecclesiastical Canons. Dass dieser aber (I, 438,
446) der biblischen Chronologie halber Astyages, Cyrus’ Grossvater, mit
Nabunahid und mit Darius Medus identificirt, ist Bosanquet entgangen.
3 Ygl. den Anhang am Ende.
Krösus’ Stürz.
205
annimmt, noch immer das Jahr 710/09 1 für Gyges’ Beginn
ergeben würde, das als unzulässig bezeichnet werden muss.
Denn aus Assurbanipal’s Annalen erhellt mit Bestimmtheit,
dass Gyges nach 668, wahrscheinlich zwischen 668 und 660, 2
vielleicht erst 652, gewiss vor 647 3 gestorben und sein Sohn
Ardys ihm erst dann gefolgt ist. Einzelne Zifferänderungen
in den herodoteischen Zahlen 4 führen aber zu nichts; denn
die Gesammtsumme von 170 Jahren präsentirt das Additions
exempel von fünf Generationen 5 zu 33'/ 3 Jahren 0 = 166 2 / 3
mit den vom Apollo dem Schicksale abgebetenen 3 Jahren 7
= 169 2 / 3 . Die vierzehn Tage, welche Krösus noch über 14 Jahre
erhielt (Herodot I, 86), reichen freilich nicht aus, das letzte
Drittel des 170. Jahres zu vollenden. Es wäre nun wohl nicht
unmöglich, dass neben den beiden tageweise gezählten sieben
tägigen Wochen noch vierzehn andere Wochen (= 98 Tagen)
von Herodot’s Quelle genannt worden wären, so dass man
mit 112 Tagen das Drittel eines Jahres von 336 Tagen hätte,
das aus 12 periodischen Monaten von 28 Tagen bestanden
haben würde. Ich finde aber nicht, dass ein solches Jahr für
Lydien nachweisbar wäre — in der solonischen Unterredung
mit Krösus (I, 30) erscheinen sogar nur Gemeinjahre von 360
und Schaltjahre von 390 Tagen — und ich verzichte daher
lieber auf die stricte Ausfüllung des letzten Jahresdrittels.
Aus den Regierungszahlen der einzelnen Mermnaden bei
Herodot wird man nun um so weniger Schlüsse ziehen dürfen.
1 Die Sonnenfinsternis» von 610, wegen deren man, als in Alyattes’ sechstes
Regierungsjahr (Herodot I, 76) fallend, die Dynastiezahlen hinaufrückte,
beruht auf einem Rechnungsfehler. Geizer 264 und oben S. 198.
2 Nur so viel gesteht Schräder, Keilinschriften und Geschichtsforschung
158, zu. Die betreffenden Teste bei Geizer 231 ff.
2 Geizer 239 ff., 263.
4 Bosanquet p. 361 hält Gyges’ Regierungsbeginn 704/3 für fast absolut
sicher und hält sich an die herodoteischen späteren Zahlen genau, indem
er die beiden ersten umstellt, so dass Gyges’ Tod auf 655/4 fiele.
5 Kpoiho; ok -eu.-to'j yovko; auapraoa (Herodot 1, 91) belehrt uns
der Gott.
6 Dass diese Rechnung der yevea übrigens keineswegs bei Herodot aus
schliesslich in Geltung ist, zeigt Bauer, Entstehung des herodoteischen
Geschichtswerkes 39 ff.
7 Vgl. oben S. 203.
4
206
Büdi nger.
Wären sie begründet, so würde man freilich, da Alyattes’
Regierungsantritt in der parischen Chronik auf das Jahr 605/4
gut bezeugt scheint, 1 dessen Ende auf 548/7 und Krösus’ Sturz
auf 534/3 ansetzen müssen. In der That lässt ihn deshalb
Bosanquet (S. 362) von 548 bis 534 regieren, ohne die Un
möglichkeit seines Sturzes nach der Einnahme Babylons und
die noch zu erörternde genaue Bezeichnung von Krösus’ Re
gierungsanfang in derselben parischen Chronik zum Jahre
556/5 in Betracht zu ziehen.
Eine weitere, hier zu erörternde Scheindatirung ist die
der Ableitung des Halys durch Thaies, welche Herodot (I, 75)
freilich selbst für eine griechische Sage erklärt. Thaies’ Tod
wurde aber in den gegen Ende des zweiten Jahrhunderts ge
schriebenen Chronika Apollodor’s in das Jahr 546 verlegt, 2
so dass die Halysschlacht und mit ihr Krösus’ Sturz, wenn
jene bei den Griechen vielfach geglaubte Geschichte 3 wahr
wäre, spätestens in dieses Jahr fallen müsste. Wir werden
aber noch zhi erörtern haben (s. unten S. 214), dass die Jahres
angabe nur auf einem Cirkelschlusse aus Herodot selbst
beruht.
Endlich ist noch festzustellen, dass eine hieher gehörige
scheinbare chronologische Angabe Herodot’s, die auch Berossos
zwischen seine babylonischen Nachrichten in etwas veränderter
Fassung aufgenommen hat, nicht zu einer Bestimmung des
Endes der Lydermacht verwendet werden darf. Herodot sagt
nämlich, Kyros habe erst nach Unterwerfung des ganzen
asiatischen Continents die Assyrer angegriffen, 4 was vorher
1 Erhalten ist von der Zahl 341 (vor 264 = 605 v. Chr.) nur AAA1, die
Ergänzung der im Beginne der Zeile 51 vorhandenen Lücke durch HHHA
stammt von Seiden und ist von Boeckh p. 316 gebilligt, so dass ep. 35
nun lautet: isp' oü ’A(Xuctro))( Au8(tov Eßa)ai).£uaEV |§j HHIJAAAAI. Die
Gründe Selden's und Boeekh’s s. unten S. 213. Gelzer’s Zweifel über die
Zahl (243 Anm. 2) erklärt sich durch ein Uebersehen der Bemerkung
Boeckh’s p. 317 zu ep. 41.
2 Diels 16 und 36.
3 Rawlinson, Herodotus I, 170 n. 7.
1 Küpog zr.ü ts tx Travra -rj; jjjrslpou ujro^elp'.a Eironjaato ’AoauptO'.oi etteti'Osto.
Herodot I, 178. Ebenso Berossos fr. 14: Kupo; — xaTa'jTpe<jia[j.EV0!; trjv Xon:r]v
’Aai'av r.xax'i topp.v)UEV in! Trjs BaßuXwvia;. Müller, Fragm. hist. Graec. II,
Krösus' Sturz.
207
mit den Worten ausgedrückt ist, er habe das obere Asien
.jedes Volk unterwerfend und keines übergehend' bewältigt. 1
Nun bezeichnet er aber einerseits (I, 153) als die Völker,
welche Cyrus nach der Besiegung der Lyder persönlich zu
bekriegen hatte: Babylonier, Baktrer, Saken und Egypter in
eben dieser Ordnung, und lässt anderseits (I, 201) nach der
Eroberung Babylons den Feldzug gegen die Massageten jenseits
des Araxes beginnen, an welchem nach seiner Vorstellung das
asiatische Festland endet (IV, 40). Es wird sich bei diesen
Widersprüchen nur sagen lassen, dass einer der Herodot zu-
gekommenen Berichte den ersten Krieg gegen die Völker des
Ostens zwischen den lydischen und babylonischen gelegt hat.
Für das Intervall zwischen beiden ist aber einen Schluss hieraus
zu ziehen natürlich unzulässig.
Alle diese Widersprüche und chronologischen Unmög
lichkeiten erwogen, wird man darauf verzichten müssen,
Herodot’s herrliche Arbeit für die Zeitbestimmung von Krösus’
Sturz zu verwerthen.
Ktesias’, mindestens nach seiner eigenen Aussage, 2 auf
Autopsie und Erkundigung bei Persern ruhender Bericht über
die Begebenheit ist verloren. 3 Vielleicht geht aber eine Nach
richt Diodor’s 4 auf ihn zurück, nach welcher Cyrus ,mit grosser
Macht' bis zu den Pässen von Kappadokien gelangt, dem
Könige Krösus den ferneren Besitz Lydiens als persischem
Satrapen angetragen, dieser aber vielmehr Cyrus’, als eines
ehemaligen Dieners der Meder, Unterwerfung verlangt habe.
Ist das wirklich Ktesias’ Erzählung, so wird man sagen müssen,
dass bei diesem Herodot’s Schlacht am Ilalys (I, 76) und
508. Eusebius’ Abschrift hat für ’Amav: ßaatXetav, von Schoene, Eusebi
chron. I, 50 mit Recht durch .Persarum regnum' erklärt. Die armenische
Uebersetzung gibt: ,devicit omnia alia regna“.
1 Ta piv vuv xat(D TTjS ’Aa!rj? "Aprcayo; ävctorara IjioIes, xä 8e avto aü-ri); aüxos
Kupo? r.m sOvoc /'.aTcccTpEtpopEvo; *«i ouo'ev roxptefi;. I, 177.
2 Er. 1 in C. Müller, Herodotausgabe p. 45.
3 Fr. 4 über die Belagerung von Sardes ist für meinen Zweck ohne Belang.
4 XX, 31, 4 exc. Vat. ed. Dindorf II, 158. Diodor hatte nach IX, 2 (II,
142 Dind.) bei der Anrufung Solons vom Scheiterhaufen Herodot’s Be
richt, nach XIII, 22 (II, 146 Dind.) bei Erwägung der wp.o'T7)? der Meder
im Gegensätze zu Cyrus’ EOyvMpoauvr] Xenophon, Beide wohl durch Ephoros,
vor sich.
208
B üdinger.
Cyrus’ Eilmarsch vom Schlachtfelde von Pteria gegen Sardes
(I, 79) keine Stelle fanden, also eine ganz abweichende Rela
tion über das Ende des Lyderreiches vorlag.
Ein vollerhaltener Zeuge persischer Ueberlieferungen über
den lydischen Krieg ist aber Xenophon in der Kyropädie. Ich
habe in einem Anhänge einige Quellen derselben darzulegen
gesucht und kann mich hier auf einige allgemeine Bemerkungen
beschränken. 1
Der Zeitunterschied von fünf oder sechs Jahrzehnten
zwischen Herodot’s und Xenophon’s Erkundigungen kommt bei
Begebenheiten, die für Beide in so weiter Zeitferne lagen,
nicht in Betracht. Auf alle Fälle war aber Xenophon an des
jüngeren Cyrus’ Hofe in Sardes und auf dem Marsche von
dort bis Kunaxa hinlänglich und weit mehr als Herodot in der
Lage, von hochstehenden Persern über die vorderasiatischen
Erobei'ungen des Reichsgründers im Ganzen begründete Nach
richten zu erhalten. 2 Durchzogen doch die Truppen des jüngeren
Cyrus von Sardes aus eben Gebiete, welche einst zu Lydien
und Babylonien gehört hatten! Nicht als ob ich die Einzel
schilderungen Xenophon’s oder besser seiner Berichterstatter
für authentisch hielte, oder als ob ich unterschätzen möchte,
was er um seiner philosophischen Zwecke willen einzuflechten
nöthig erachtete. Auch Herodot folgt für Cyrus’ Empor
kommen und die Begründung der Perserherrschaft über Asien
— mit Ausnahme der Eroberung Lydiens, die er von dieser
Quellenströmung ausnimmt — von vier ihm vorliegenden
Relationen derjenigen, welche ,ihm nicht zu übertreiben,
1 Sauppe in der Einleitung zu seiner Edition in der Tauchnitz’schen Samm
lung (1865) gibt mit präciser Beweisführung, der ich nur durchaus bei-
pfliehten kann, S. XXIV—XXVI eine Uebersiclit der Controversen über
Absicht und Glaubwürdigkeit der Kyropädie, welche Breitenbach (3. Aufl.,
Teubner 1875) p. XIII—XXIII von denselben Gesichtspunkten aus im
Einzelnen polemisch ausfühlt. Die Gerechtigkeit aber erfordert doch zu
sagen, dass der auch von Sauppe gelobte Jacob Klerk ,de vita Croesi
(Lugd. Bat. 1825), wenn er auch p. 39 ff. die Brandscene irrig streicht
und überhaupt im Einzelnen durchaus veraltet ist, doch im Ganzen die
richtigen Gesichtspunkte über das Verhältniss Xenophon’s und Herodot’s
zu ihren Berichten gefunden hat. Auf die Controversen selbst näher ein
zugehen, finde ich übrigens für den gegebenen Zweck nutzlos.
2 Bergk in Ersch und Gruber’s Encycl. LXXXI, 392.
Krösus’ Sturz.
209
sondern die Wirklichkeit wiederzugeben schien'. 1 Das ist nun
freilich eine rationalistische Kritik von zweifelhaftem Werthe. 2
In einem Zusatze zu der Schlusserzählung des neunten Buches
(IX, 122) gibt übrigens Herodot einen Dialog zwischen Cyrus
und Artembares vor der Persergemeinde, der ganz an Xeno-
phon’s Darstellung erinnert — einen Dialog, der vielleicht auf
den nach Athen geflüchteten jüngeren Zopyrus zurückgeht 3 —
wie Herodot ja auch die Glaubwürdigkeit der ähnlichen Be-
rathung über die beste Staatsform nach dem Magiermorde
nachdrücklich (III, 80, VI, 43) betont.
Ich denke, man wird Xenophon’s von Herodot abweichen
der Entscheidung über den Werth ihrer Quellen ihre Berechti
gung nicht versagen, die Möglichkeit seiner besseren Infor
mation aber bei gleicher Wahrheitsliebe und besserer kritischer
Schulung eines Schülers des Sokrates — man vergleiche die
nüchterne Bemerkung VII, 2, 29 — durchaus zugestehen müssen.
Nach Xenophon nun begann Krösus’ Krieg gegen Cyrus
überhaupt erst nach einer Aufforderung des Königs von Ba
bylon, und ist Krösus diesem nur zu Hilfe gezogen, 4 während
bei Herodot’s Darstellung von lydischem Gesichtspunkte viel
mehr (I, 77) die Ladung von Krösus ausgeht. Bei Xenophon
werden Babylonier und Lyder vereinigt in einem ersten
Kampfe, in welchem auch der babylonische König fällt, besiegt;
1 AuSol [xev or) m.b IIsp<j7|ai eoeSoüXwvxo — was er nach Xanthos erzählt,
Kirchhoff, Nachträgliche Bemerkungen in den Berliner akad. Abhandl.
1871, S. 49 — EJtioKrjxai 8e or] xo evOeuxev rjjrtv o Xbyo? xov te Küpov, oaxi;
ecüv xrjv Kpoloou £pyr\'i xaÖEiXs za 1 xouc llspcac oxem xpo'jtm qyvjaavxo x%
’AcrfyjC. '£2; ojv IiEpo’&ov jaExE^xspot X^youai ot jjltj ßouXop.evoi asp-vouv xd TXEpi
Kupov aXXa xov eovxa XsyEtv Xoyov, zaxa xauxa ypdtW E-mxdu.EVoc jrepl Kupou
zal xpitpacia; aXXa? Xoywv ooolig tprjvai (I, 95). Der ITauptuntersehied ist,
dass Xenophon auch die lydischen Geschichten nach persischer Quelle
erzählt und für die richtigste Erzählung die sonst gut bezeugte, wenn
auch nicht wahrscheinlichste hielt.
2 Mit Duncker (IV, 279) die medische Version der Sage bei Herodot er
kennen zu wollen, scheint mir, da er die Perser ausdrücklich nennt, un
zulässig.
3 Kirchhoff, lieber die Abfassungszeit des herodotischen Geschichtswerkes
(Berliner akad. Abhandl. 1868) 17.
4 I, 5, 3-; so nennt auch Kyaxares unter den Helfern der Assyrier Krösus
mit seinen Truppen II, 1, 5; dieser selbst sagt noch als Gefangener VII,
2, 22: dvEjtEiaOrjv 6-b xou ’Aaoupfou scp 1 updc axpaxEuEaSat.
Silzungsler. d. pHl.-hist. 01. XCII. Bd. I. Hft. 14
210
B ü d i n g e r.
hierauf zieht Krösus mit den anderen Bundesgenossen ab; 1 aber
auf dem Heimwege erleidet seine Reiterei noch eine Schlappe ; 2
in einer zweiten Schlacht bei Thymbrara — die sich mit der
herodoteischen vor Sardes (I, 80) decken mag — werden Krösus
und seine kleinasiatischen, cyprischen, egyptischen und selbst
babylonischen Verbündeten 3 geschlagen; Krösus’ Heer zerstreut
sich, die Hauptstadt und er selbst fallen in Cyrus’ Hand. 4
Nach demselben Xenophon hat sich aber Cyrus hierauf
unmittelbar gegen Babylonien gewendet, wie ja auch eine von
Herodot’s Relationen (I, 153, s. oben S. 207) die Babylonier
als die ersten nennt, gegen welche Cyrus nach Besiegung der
Lyder zu ziehen hatte. Nach Xenophon (VI, 4, 16) nahm er
den Weg durch Grossphrygien, Kappadokien und das Land
der Araber, d. h. durch das östliche Syrien (VII, 4, 16); auf
dem Wege verstärkte er seine Reiterei um 40.000 Mann. 5
Darin stimmen Beide überein, dass der entscheidende
lydische Krieg von kurzer Dauer war: nach Herodot (I, 77)
war er bei beginnendem Winter beendet. Ueber die Dauer
des babylonischen Krieges hat Herodot die doppelte Angabe,
dass die Ableitung des Gyndes einen ganzen Sommer in An
spruch genommen habe (I, 189), der Angriff auf Babylon
selbst aber in einem zweiten Frühjahre erfolgt sei (x'o oeuxspov
’iao üxsAapire, I, 190). Beide stimmen dann wieder in der
Meldung überein, dass Cyrus die wohlverwahrte und mit Lebens
mitteln nach Herodot auf sehr viele (‘/.äpxa r.oWSn), nach
Xenophon auf mehr als zwanzig (jxXeov •)) d'y.oat) Jahre versehene
Stadt eingeschlossen habe. Wie lange diese vergebliche Ein
schliessung dauerte, sagen Beide nicht; doch bemerkt Herodot,
dass viele Zeit damit vergangen sei (/povou sY-pyvop.EVou cuy_voü).
Ueber die Zeit der Abgrabung des Euphrat bemerkt Xenophon,
1 ITI, 3, 68; IV, 1, 8: o te KpoTco; y.x\ ol aWoi cuij.ij.ay_o'. — IxAewiouci t'o
a-paxo'raoov; der gefallene König der Babylonier wird gerühmt: IV, 6, 2.
2 IV, 2, 29 ff.
3 VI, 2, 9 —12; VII, 1. cuv xe) Baßultüvhov apyov-t Tou; ’Acauptou; VI, 2,
10. Die Egypter werden von den indischen Gesandten auf zwölf Myriaden
geschätzt mit einer Bewaffnung oicbiEp z«i wv c/ojcl VI, 2, 10.
4 VII, 2, 1 und 5.
5 Schon II, 1, ö besitzen diese Araber 10.000 Reiter. Ueber ihre Wohnsitze:
Butters, Land und Leute in der Kyropädie (Zweibrückener Programm
1861) S. 6.
Krösus’ Sturz.
211
dass Cyrus das Heer in zwölf Abtkeilungen getlieilt habe, so
dass jede einen Monat des Jahres die Bewachung dieser Be
lagerungsarbeit zu übernehmen haben sollte. 1 Wie lange das
Ableitungswerk des Flusses aber wirklich dauerte, gibt er mit
dieser Verfügung nicht an. In seine Darstellung lässt sich
auch die herodoteische Abgrabung des Gyndes nicht unter
bringen und damit auch nicht die Zeitbestimmung von einem
,zweiten Frühjahre' in diesem Kriege. Nach dem früher Be
merkten denkt aber auch er an eine, eine Anzahl Monate in
Anspruch nehmende Arbeit zur Ableitung des Euphrat und
ohnehin nicht an eine kurze Dauer des Krieges.
Wenn nun auch der lydische und babylonische Krieg
bei Xenophon als zusammengehörig erscheinen, so wird doch
— die xenophonteische Marschrichtung und Heeresergänzung'
der Perser in Anschlag gebracht und auch Herodot’s zweites
Frühjahr hinzugezogen — die Einnahme Babylons durch mehr
als ein, wahrscheinlich durch etwa zwei oder drei Jahre von
der von Sardes getrennt gedacht werden müssen. In bestimmten
Zahlen wird sich dies Ergebniss so fassen lassen: da die Ein
nahme Babylons nach dem astronomischen Kanon 2 in das Jahr
538 gehört, so muss die von Sardes in den Herbst des Jahres
541 oder 540 fällen.
Die Möglichkeit eines grösseren Intervalles zwischen
beiden Kriegen und mit demselben auch die Zulässigkeit der
beiden späteren Angaben Herodot’s (I, 177, 178) über Cyrus’
zwischen den beiden Kriegen liegende oberasiatische Feldzüge
zu statuiren, muss man natürlich irgend ein Abkommen des
Perserkönigs bis zum Entscheidungskampfe vermuthen. Die
Auskunft gibt Trogus Pompejus (I, 7) oder vielmehr seine ur
sprüngliche Quelle, sei es Ephoros oder Theopompos. Bei dem
ersten Kriege gegen die Babylonier lässt er zwar wie Xenophon
denselben Hilfe von Krösus bringen, victusque jam desolatus
in regnum refugit. Dann aber lässt er mit einer allgemeinen
Wendung, die als Unterwerfung der Babylonier oder als Frieden
mit denselben gedeutet werden kann — compositis iam in
1 — To aTpaT£U[j.a xar^vetp-E 8a>oexa (jip7), ax; jx^va tou iviauxoü exaarov \i.(po<;
cpuXai-ov. VII, 5, 13.
2 Bei Halma; vgl. oben S. 202 Anm. 1.
14*
212
B üdin ge r.
Babylonia rebus — ohne Mühe das fortuna prioris proelii percul-
sum iam Croesi exercitum schlagen und den gefangenen Krösus
mit einer Stadt Barce ausstatten, die wie dieser Theil des
ganzen Berichtes aus Ktesias, so aus dessen Barene entstanden
sein mag. Von der Einnahme Babylons spricht er nicht mehr.
Wundersam müsste es denn aber doch erscheinen, wenn
nicht neben der herodoteischen auch noch eine genaue Ueber-
lieferung über die Zeit der Aufrichtung des Perserregimentes
in Kleinasien sich erhalten hätte. Man wird zunächst annehmen
dürfen, dass im Laufe des peloponnesischen Krieges Hellanilcos,
dessen lesbische Heimat 1 den Untergang des benachbarten un
schädlichen Lyderreiches ohnehin als eine Epoche betrachten
musste, bei seinen chronologischen Aufstellungen etwa in der
freilich etwas problematischen Schrift über Lydien oder in den
Ilcpsr/.x 2 über dieses Datum sich eine zuverlässige Kunde ver
schafft hätte. Denn die Ungenauigkeiten, welche Thukydides
(I, 97) an seiner Ordnung der Thatsachen des fünften Jahr
hunderts rügt, gelten doch Begebenheiten von verhältnissmässig
weit geringerem Belange, während man in den griechischen
Küstenstädten wie auf Lesbos zuverlässig wissen musste, wann
die 'Perserherrschaft in Sardes begonnen habe.
In ursprünglicher Form ist uns Hellanikos’ Datirung
allerdings nicht erhalten. Aber sein Landsmann Phanias von
Eresos muss sie gekannt und dürfte sie in dem chronikartig
angelegten Buche über die Prytanen von Eresos verwerthet
haben, das Boeckh’s Scharfsinn (C. I. Gr. II, 304) als die
Quelle des parischen Marmor erkannt hat. Hier nun findet
sich Z. 56 und 57 als 41. Datirung von 264 v. Chr.:
’Atp’ cü Kpolco? [!£] ’Acta? [eicj AiA©o[u]<; axecxetXev
(sty) HHFJAAAMI äpyo'nzc ’A0y;vy;g([v EüöJuot^jwj. Ueber die
Ergänzung der drei ersten Ziffern der Zahl 292 (vor 264/3 =
556/5 v. Chr.), welche durch die vorausgehende und die fol
genden Angaben gesichert sind, kann kein Zweifel bestehen;
die Ergänzung der ersten Zeile ist zweifelhaft; Boeckh schlägt
1 Wilamowitz-Möllendorf, Memoriae obliteratae, Hermes XI, 293 ff. Sollte
die dort ausgesprochene Vermuthung begründet sein, dass Hellanikos
aus Eresos und nicht aus Mitylene stamme, so würde Phanias’ und somit
der parischen Chronik Abhängigkeit sich noch leichter erklären.
2 Müller, Fragm. hist. Graec. I, 61, 68, IV, 633.
Krösu8’ Sturz.
213
(II, 317) ditltrrciXev A’faüwtov ptavreuaaixetav vor, während C. Müller
(Fragm. hist. Graec. I, 582) eine ältere Conjectur billigt.
Ueber die Bedeutung der Nachricht für unseren Zweck kann
aber auch kein Zweifel sein, wie das Boeckh treffend aus
drückt: Noster regum quas notat epochas ab initio regnorum
sumit et Croesi initium hic significari omnino statuen-
dum est; sed potuit hoc noster ita facere, ut aliquid annotaret,
quod initio regni fecisset Croesus. Wenn sonach Krösus’ Re
gierungsbeginn im Jahre 556/5 durchaus feststeht, so fragt
sich, wann Phanias, eventuell Hellanikos, seinen Sturz ange
setzt habe. Denn bei der eben zunächst folgenden Epoche (42)
der Einnahme von Sardes durch Cyrus (df’ ou Küpe? b Ilspaöv
ßauikcli? ZdpBst; IXaße y.oa Kpotaov Otto [Ilo0ta]<; ajpaX ) ist
mit dem Schlüsse der Zeile (58) auch die Datirung ausge
brochen. Aber (vgl. oben S. 206) der Regierungbeginn von
Krösus’ Vorgänger, des Königs Alyattes, wird von dem Denk
male nach Selden’s wie Boeckh’s Meinung in das Jahr 605/4
gesetzt und somit diesem Könige eine Regierungsdauer von
49 Jahren gegeben. Da nun diese Zahl von der herodoteischen
von 57 Jahren abweicht, aber genau mit derjenigen stimmt,
welche schon der Barbaras wahrscheinlich bei Julius Africanus
fand 1 und welche auch Eusebios aufnahm, 2 so darf man die
15 3 Jahre, welche der Barbaras, Eusebios, die beiden Series
regum und der Synltellos ausnahmslos Krösus zuweisen, auch
als die von Phanias angenommene und im Marmor durch 277
wiedei'gegebene Zahl der Einnahme von Sardes statuiren, d. h.
(277 + 264 =) 541 v. Chr.
1 Dass dieser häufig die directe Quelle des Barbaras sei, erweist Geizer
240. Die Worte lauten: Aliattus alius a. XLVIII1 bei Schoene Eusebii
cbronicorum libri duo I, 220.
2 Sowohl im Kanon, wie chron. pasehale, die armenische Uebersetzung und
Hieronymus zeigen (Schoene II, 90, 91), als in der Chronik (I, 69). Von
den series regum hat die armenische (bei Schoene 14) 45 und die hiero-
nymianische (ib. 30) gar nur 44 Jahre. Der Synkellos hat (455 Dind.)
ebenfalls 49 Jahre.
3 Seltsam genug hat Boeckh doch die herodoteische Zahl von 14 Jahren
vorgezogen und zur ep. 42 daher 278 (-)- 264) = 542 v. Chr. ergänzt,
wie er selbst sagt: numerum constitui secundum ea quae in Canone
ep. 41 dixi (p. 317). Das hätte Haigh (egypt. Zeitschr. 1869 S. 5, 1872
S. 126), der sonst Eusebius’ Zahlen vorzieht, nicht entgehen sollen.
214
Bü dinge r.
Sachlich mag Herodot’s Angabe von 14 Jahren und
14 Tagen der Regierung des Krösus mit der oben (S. 205)
postulirten Ergänzung bis zu einem Dritteljahre mit der viel
leicht nur abrundenden Ziffer von 15 Jahren stimmen. Auch
wird Herodot’s (I, 77) Eixirung der Einnahme auf den be
ginnenden Winter, die ja mit der Entlassung der Contingente
zu Krösus’ Rechtfertigung wegen seiner Niederlage von der
Quelle verwerthet ward, thatsächlieh begründet sein. Alyattes’
Todeszeit in dem attischen Archontenjahre 556/5 ist ander
seits nicht näher überliefert und könnte ganz wohl in den Vor
sommer 555 fallen. Man wird also nur behaupten können, dass
Krösus’ Sturz in den Herbst 541 oder 540, d. h. in eben die
Zeit gehöre, auf welche uns auch Xenophon geführt hatte.
Abgesehen von dem, auch für Herodot sachlich unwesent
lichen, durch die oberasiatischen Kriege gebildeten Intervalle
zwischen den Einnahmen von Sardes und Babylon ist dies Er
gebnis für den Geschichtschreiber durchaus günstig. Der Laby-
netos in Krösus’ Bunde ist nun unzweifelhaft Nabunahid und die
Gesandtschaften an Peisistratos während dessen dritter Tyrannis
nach seinen Eroberungen ohne alles Bedenken, wenn man
eben, wie durchaus zulässig, diese (vgl. S. 201) 543 oder 542
beginnen lässt. Nur ihrerseits die Chronologie des Ausganges
der lydischen Monarchie zu bestimmen, zeigten sich diese wie
alle anderen Angaben Herodot’s ungeeignet.
Zuerst sind sie, so viel ich sehe, in Eratosthenes’
Chronographie verwerthet worden. Diese erscheint gänzlich
als die Grundlage von Apollodor’s Chronika, 1 in welchen gegen
Ausgang des zweiten Jahrhunderts Herodot’s Ansätze für uns
zunächst nachweisbar sind. Apollodor setzte 2 Thaies’ Tod in
das Jahr der Halysschlacht und diese 01. 58, 3 = 546/5. Das
Jahr ergibt sich aus dem Brande des delphischen Tempels 01.
58, 1 = 548/7 (vgl. oben S. 203), vor welchem Krösus’ Ge
schenke anlangten; hiefür muss Eratosthenes, beziehungsweise
Apollodor, das Jahr vorher angesetzt haben, die drei Orakel
jahre in Anschlag gebracht, ergibt die Rechnung das nun
kanonisch werdende Datum. Auch fällt mit Herodot Harpagos’
1 Diels S. 4.
2 Diog. Laert. I, 37, 38, mit Diels’ Erklärung und Emendation S. 16.
Krösus’ Sturz.
215
Zug zur Unterwerfung der Jonier, daher auch die Auswande
rung der Phokäer in das nächste Jahr, also Ol. 58, 4 = 545/4;
die Phokäer gründen während ihres sechsjährigen Umher-
wanderns Elea, also etwa Ol. 60, in welche richtig von
Apollodor Xenophanes’ Blüthe gesetzt wird. 1 Dass mit diesem
eratosthenischen Ansatz von Krösus’ Sturz die noch von
Phanias festgehaltenen Daten lydischer Geschichte unvereinbar
waren, leuchtet ein; sie verschwinden denn auch gänzlich.
Auf Apollodor basirte seinerseits zunächst Sosikrates von
Alexandrien, der das Datum 01. 58, 3 schon als so bekannt
vorfand, dass er kurz 40 Jahre xp'o Kpofcou den Tod Perian-
der’s ansetzen konnte. Unter Kaiser Claudius hat dann Bocchus
und nach ihm im zweiten oder dritten Jahrhundert Solinus 2
kurz von der 58. Olympiade, cum — victor Cyrus intrasset
Sardis, sprechen können. Einzelne, vielleicht Julius Africanus,
dürften hierauf unter solcher allgemeiner Olympiadenangabe
das erste Jahr der Olympiade verstanden haben.
Dieses (= 1469 Abr.) erscheint für Krösus’ Sturz in den
Dynastienzahlen bei Eusebios (II 96 sq.) nach Hieronymus’,
das folgende (= 1470 Abr.) nach der armenischen Ueber-
setzung, in beiden Fällen im Jahre nach dem Brande des
delphischen Tempels (vgl. oben S. 203 Anm. 2). Hieronymus
hat daneben noch in den Daten das echte Apollodorische oder
Eratosthenische Jahr 546 v. Chr = 01. 58, 3 oder 1471 Abr.:
Cyrus Sardis capit. Der Synkellos bringt unbesehen Hieronymus’
beide Jahre (I, 455 und 451 ed. Dindorf). Krösus’ Anfrage
bei den Orakeln hat aber Eusebios nach Herodot’s scheinbarer
Lehre in das vierte und den Beginn — statt der Vorbereitung
— des Krieges in das dritte Jahr vor dem Sturze (1466 oder
1467 Abr. = 551 oder 550 v. Chr.) gesetzt.
Welchen Werth nun die entsprechenden, im Eingänge er
wähnten Datirungen der neueren Forscher in Anspruch zu nehmen
haben, muss ich dem geneigten Leser zu entscheiden überlassen.
1 Diels S. 23 und für Perianders Tod bei Sosikrates S. 20.
2 Soliims ed. Mommsen p. XVII, VIII und das Datum I, 112, p. 30.
216
Büdinger.
ANHANG.
Zu den Quellen der Kyropädie. 1
Es ist bemerkt worden, 2 dass Xenophon in der Kyropädie
an zwei und zwanzig Stellen seine Nachrichten als überlieferte
bezeichne, an vierundvierzig auf seine eigene Beobachtung
zurückführe. Aber es dürfte doch geeignet sein, die Natur
dieser von dem Autor ausdrücklich bezeichneten Quellenberichte
nach ihrem für historische Zwecke wesentlichen Charakter zu
scheiden; manche jener vierundsechzig Notizen kommt dabei
selbstverständlich nicht in Betracht.
Zunächst unterscheidet er ausdrücklich seine eigenen in
dem Werke niedergelegten Vorstellungen von den ihm zuge
kommenen Nachrichten: oaa — eTcuQöp.eOa y.ai -igcdl-fjaOai ooy.o3p.ev
(I, 1, 6). Auch bildliche Darstellung dient ihm als Quelle olov
TtEpYpätpovtat ol Ilepoat I^ovts? (I, 2, 13). Wem er das eigentliche
sachliche und chronologische Gerippe seiner Darstellung ver
danke (vgl. oben S. 208), sagt er nirgends ausdrücklich.
Historische Gesänge und Anekdoten verwerthet er, wie
es scheint, nicht häufig. Von Cyrus’ schöner Erscheinung und
edler Geistesart XefSTat y.ai aSexat In y.ai vOv uxo twv ßapßapwv
(I, 2, 1), was er mit 3iapvr ( pove6ei;ai zusammenfasst (I, 2, 1);
seine beginnende Berühmtheit in Medien Sta axöpaTo? ilyo'i y.ai
ev Xi-fw y.ai ev wbatc (I, 4, 25). Immerhin ist Xenophon diese
auf Gemüthsbewegung gerichtete Tradition bedenklich: wraep
evtot y.ai ev wSat? y.ai ev Xöyot? oiyxpa xtva Xoyotxoioövxe? st? Sayoua
TCipümai ayetv (II, 2, 13). Dass Cyrus gesagt habe, ein guter
Hirt und ein guter König seien verwandten Berufes (VIII,
2, 14) Xöyo? auxou äxopvvjpoveüexat (wie oben otapvr;pov£6exai) ; von
1 Die Citate nach der Dindorf’sclien Ausgabe von 1874.
2 Butters, was ist die Kyropädie? (Zweibrückener Programm 1853j S. XVI.
Krösus’ Sturz.
217
seiner medischen Gemahlin (VIII, 5, 28) sv. v.al vöv 'kcyoq w:
xaY/.äXr,? Ysvcjjivr ( c. Aber diese Tradition behandelte eben nur
irrelevante Dinge.
Nicht immer kann er bei seinem ausgesprochenen Misstrauen
gegen diese Quellengattung solche Geschichtchen und Lieder
meinen, wenn er ein XsYETat, Xsyovt«i, saciv, 6? ^asiv gebraucht.
Er mochte ihnen entnehmen, dass Cyrus alle Verwandten ,wie
noch jetzt bei den Persern üblich' beim Abschiede geküsst
habe (I, 4, 27), dass er beim Abzüge günstige Himmelszeichen
empfing (I, 6, 1), dass Kyaxares roh und unverständig war
(IV, 5, 9), Cyrus sich durch Dienste der Freunde verpflichtet
gefühlt (VIII, 2, 13), gegen Krösus den Grundsatz geltend
gemacht habe, Freigebigkeit mache nicht ärmer (VIII, 2, 15).
Aber man hat doch eine Ueberlieferung anderer Art zu
verstehen, wenn er ähnlich meldet, dass die Perser (X^ovtai)
etwa zwölf Myriaden betragen (I, 2, 15) oder x.zTep.a0op.ev, dass
Cyrus den Polizeidienst, ,die Augen und Ohren des Königs',
durch Geschenke und Güte bildete (VII, 2, 10). Manche In
stitution und Sitte ist ihm, wie jener Polizeidienst, als von
Cyrus herrührend, bezeichnet worden, so: pvjTpa fj v.y.\ vuv ypw-
|j.e6a, äirXfik Stcäczsw tob: xatSac (I, 6, 33), der ironisch kritisirte
Gebrauch, das Liebste mit ins Feld zu nehmen (IV, 3, 2),
die Einrichtung der Garde und der babylonischen Garnison
(VII, 5, 70), der Kriegswagen (VI, 1, 30) und der Spalier
bildung beim Auszuge des Königs (VIII, 3, 9), auch die
Ordnung dieses Auszuges selbst (VIII, 3, 34), die Gnaden
entziehungen gegen säumige Hofleute (VIII, 1, 20), die Ach
tung der von der königlichen Tafel Beschenkten (VI, 1, 30),
die Geldgaben an alle Perser und Perserinnen beim Betreten
des Landes. Auch manche Eigenthumstitel hat er als auf
Cyrus zurückgehend erfahren: von Gütern der ,Freunde' in
allen Ländern der Monarchie (VIII, 6, 5), wie von Besitzungen
der meist medischen und hyrkanischen Krieger, welche in
Cyrus’ Nähe zu bleiben vorzogen (VIII, 4, 28). Bei dem
Rückzuge der Zehntausend hat er namentlich solche Rechts
ansprüche erfahren können.
In die Kategorie der durch den Reichsgründer Ange
siedelten gehören nun auch die Nachkommen der Egypter in
Kleinasien.
I
1
218 Büdinger.
'
In Bezug auf Cyrus’ eigene Thätigkeit gegen Egypten
sagt der Autor zwar in der Einleitung bestimmt (1, 1, 4),
Cyrus habe dasselbe unterworfen. Gegen das Ende des Buches
(VIII, 6, 20) aber meldet er von einer grossen Heeressamm
lung nach den Eroberungen zu einem neuen Feldzuge, auf
dem er angeblich (ev yj Xsyexai) alle syrischen Völker bis zum
rothen Meere unterworfen habe. Mexä 5s xaüxa ■t\ sic Alyuxxov
axpaxeia Xeyexai yeveaöai y.ai y.axa<;xpeijjaG0Ga Alyuxxov. Diesen bedenk
lichen Bericht, der vielleicht auch Herodot I, 1.53 — Aiyüxxioi,
Ix’ o&c exstys xe sxpaxvjAaxeeiv auxs? — Vorgelegen hat, wird man
der Liederüberlieferung zuschreiben und Xenophon’s Behaup
tung in der Einleitung als eine voreilige und von ihm selbst
aufgegebene betrachten dürfen.
Aber ganz anders steht es mit seinen Nachrichten über
die Egypter in Krösus’ Heere. Diese sind so bestimmt und
detailliert, dass man an der vollen Ueberzeugung des Autors
von ihrer Richtigkeit nicht zweifeln kann. Ueber das Anlangen
der egyptischen Hilfstruppen ist er nicht näher unterrichtet.
Er lässt die indische’ Spähergesandtschaft (VI, 2, 10) nur be
richten, dass unter anderen Hilfstruppen auch Egypter ,heran
fahren' an die zwölf Myriaden ,mit langen Schilden und
Speeren, wie sie auch jetzt haben, und mit Aexten'. In der
Schlacht stehen sie hundert Mann hoch und breit — das gibt
eine Myriade; — xouxov yap crtpfat xat olV.ot vögov Iipaaav etvai xwv
xäcjewv (VI, 3, 20). Sie gehen wacker vor: yj ä! äxaOei? syevovxo
— I/Opouv evavxioi xolc niptjaic (VII, 1, 32); auch bei Herstellung
der Schlacht durch Cyrus selbst Ißiwv xe oxt oxicöev ol xoklgioi
y.ai eaxpetpovxo ev xaTq xATpfaTc (VII, 1, 37). Sie allein zeichneten
sich auf Krösus’ Seite aus: Aiyoxxioi p.övoi ^üSoy.i'p^tjav (VII, 1, 46),
so dass Abradatas’, des Gemahles der Pantheia, Abtheilung
vor ihnen floh; dieser selbst fiel, eine seiner Hände ward von
egyptischer Axt durchhauen (VII, 3, 3 und 8). Die Egypter
allein fliehen nicht, bilden einen Kreis, setzen sich, die Waffen
zeigend, hinter ihre Schilde und leiden geduldig: exauyov xoXXd
y.ai Seiva (VII, 1, 40). Cyrus, von Liebe (ayacOei?) und Mitleid
ergriffen — oxi ayaöoi dvope? axwXXovxo — zieht die sie An
greifenden zurück und eröffnet durch einen Herold ehrenvolle
Unterhandlungen mit ihnen (VII, 1, 41). Er bietet ihnen
höheren Sold für die Kriegsdauer und im Frieden denen,
Krösus’ Sturz.
219
welche bei ihm bleiben wollen, Land, Städte, Weiber und
Sklaven (VII, 1, 43). Sie verlangen, nur nicht gegen Krösus
fechten zu müssen und scbliessen im Uebrigen ihren förmlichen
Vertrag auf die von Cyrus angebotenen Bedingungen: ra 8=
aXXa auvoiJ.ohoY^G-aVTS<; eoouav itfortv zai sXaßov (VII, 1, 44). ,Die
damals gebliebenen Egypter sind auch jetzt noch dem Könige
treu* (oi tote eti zal vuv ßastXet-wstoi Siajj.evouci). ,Cyrus
gab ihnen tbeils im innern Asien Städte, welche noch jetzt
Egypterstädte heissen, nahe am Meere bei Ivyme aber Larisa
und Kyllene, welche ihre Nachkommen noch jetzt besitzen' (a?
ev. zat vuv oi ait’ ezelvwv I/oiku). Dieser Vertrag wurde noch im
Lager von Thymbrarä (VII, 1, 45) abgeschlossen.
Die hier genannten Localitäten hat Xenophon hinlänglich
kennen gelernt, als er mit den Kyreiern und dem spartanischen
Heere 1 im westlichen Kleinasien wrnilte, auch erwähnt er in
der griechischen Geschichte (III, 1, 7) bald nach Niederlegung
des Commandos die vergebliche Belagerung des ,egyptischen
Larisa' — r};v AifU'/mav zaXoup,Evr)v — durch Thibron und dann
die freiwillige Uebergabe der Stadt an Derkylidas (III, 1, 16).
Hopliten in Tissaphernes’ Heere mit langen Holzschilden, die
er in der Anabasis (I, 8, 9) mit Afy6xuoi eXe-forto sivai aufführt,
werden eben solche Egypter sein. Man wird annehmen dürfen,
dass Xenophon von diesen kleinasiatischen Egyptern nicht
wenige der auf die Katastrophe des lydischen Reiches bezüg
lichen Nachrichten und unter ihnen w'ohl auch die schöne
Geschichte der Pantheia und von deren Riesengrabe ([j.vvju.a
üxEp[j,EY£0e? iyjjjafri] &q caciv, VII, 3, 16) empfing.
Aber es leuchtet auch ein, dass Herodot dieselben Nach
richten nicht erhalten haben dürfte, da er sich eben die Ge
schichte der Pantheia kaum hätte entgehen lassen. 2
Hier erhebt sich nun die Frage, ob Xenophon auf
Herodot’s Schilderung Rücksicht nehme. Ich glaube die Frage
bejahen zu können, indem ich folgende Stellen erwäge. Herodot
erzählt (I, 80), dass die lydischen Pferde vor dem Geruch der
Kameele gewichen seien, und hiedurch sei Krösus’ Hoffnung
1 Bis 394 nach Nitsehe, Abfassung von Xenophon’s Hellenika, Programm
des Berliner Sophiengymnasiums 1871 S. 30.
2 Butters, was ist die Kyropädie? S. XI kehrt das orientalische Schmuck
werk bei Herodot bereits hervor.
220
B ü d i n g e r.
zerstört worden (oiEoöapxo x<j> Kpciaw -q sX-tc); die Lyder aber,
nicht furchtsam (BstXot), sprangen von den Pferden, kämpften
zu Fusse gegen die Perser und flohen erst, als nach einiger
Zeit beiderseits Leute gefallen waren (ypsvw Tceaövxwv ägsoteptov).
Gegen diese, allerdings etwas ungereimte lydische Darstellung
dürften sich Xenophon’s heitere Worte wenden (VII, 2, 48):
die Kameele schreckten nur die Pferde, die Kameelreiter
brachten Niemand um, noch wurden sie von den Rossreitern
getödtet, da kein Ross herankam. Immerhin, fährt er fort,
schien es nützlich; aber kein Wackerer habe mehr ein Kameel
reiten oder zum Kriegsdienst üben wollen, so dass man die
Thiere wieder für den Train verwendete. — Ferner gelingt
bei Herodot die Einnahme der Burg von Sardes (I, 84), indem
der Marder Hyröades einen lydischen Krieger seinen herab
gefallenen Helm an einem für unersteiglich gehaltenen Felsen
holen sieht und auf diesem Felswege Perser führt. Einfacher
und, wie es scheint, mit oppositioneller Bestimmtheit, lässt
Xenophon eine Leiterersteigung (VII, 2, 2) vorbereiten, dann
(VII, 2, 3) einen ungenannten frühem Burgsklaven aus Persien
auf dem ihm bekannten steilen Pfade Perser führen — was
mindestens begreiflicher ist. — Ein anderes Beispiel ist dies: Auf
Krösus’ weise Rede vom Scheiterhaufen denkt Cyrus nach
Herodot (I, 86), dass er doch auch ein Mensch sei 1 — evvoiaavta
v.ai abzbc ävOpwTOC sd)V —; bei Xenophon spricht er es aus:
o> Kpoicc, srefeep avOpwitoi' ys aagsv ap.ssTepot (VII, 2, 10). Wie
weit Xenophon Herodot sonst berücksichtigt, bleibt noch zu
untersuchen.
Mit den lydischen Nachrichten über die Scheiterhaufen
scene, wie sie Herodot mit manchem Bedenken gibt, befasst
sich Xenophon ebenso wenig als mit den persischen über
Krösus’ wunderbare Befreiung aus Kettennoth, die nur bei
Ktesias erhalten sind (fr. 4 p. 31 Müller). Aber nicht rath-
sam scheint es mir doch, Herodot’s Bericht, d. h. wohl den
Xanthos’ (vgl. oben S. 209), zu verwerfen, wie Trogus’ Quelle
mit der isokrateischen Grosssprecherei argumentirt: passurus-
que Cyrus grave bellum Graeciae fuit, si quid in Croeso
1 Krösus zweifelt über die Thatsaehe bei Herodot (I, 207) noch am Araxes:
E? j-üv äOäva-o; SoxfEi? slvai — e! oe l'yvwza;, oti avOporco; xai au eT;.
Krösus’ Sturz.
221
crudelius consuluisset, oder wie Klenk (vita Croesi 72) aut den
Nachweis von Unwahrscheinlichkeiten hin versucht. Auch die
besonders von Duncker (IV, 328) vertretene Auffassung frei
willigen Sühnopfers nach semitischem Muster kann ich nicht
theilen; denn Herodot’s Quelle, welche doch Krösus wahrlich
freundlich genug gesinnt ist, würde einen solchen Act der Hin
gebung nicht in eine Hinrichtungsscene verkehrt haben. So
zweifellos erschien die Hinrichtungsabsicht, dass Herodot (I, 86)
oder vielleicht schon seine Quelle zwischen drei Motiven der
selben schwankt; eine vierteVersion erscheint dann bei Niko-
laos von Damaskus, da hier (III, 407, 391 Müllei') um seiner
Tugend willen Küpe; ckxeips KpoLov, die Perser [j.z'idhr,') svvjffocv
TOjpdv Kpoicw, worauf erst Cyrus als Zuschauer kommt. In der
That gehen aber die Neueren von der irrigen Voraussetzung
aus, dass das persische Verbot der Leichenverbrennung, das
Herodot selbst bei Gelegenheit der Verbrennung von Amasis’
Leiche (III, 16) hervorhebt und also genügend kannte, in
Krösus’ Falle von ihm übersehen sei. Aber er selbst (VII, 107)
gibt uns vielmehr ein schlagendes Beispiel, dass die Ver
brennung Lebender bei den Persern keineswegs anstössig war,
in der Geschichte des persischen Commandanten von Eion,
Boges, dessen Familie von der Dynastie aufs höchste geehrt
ward, nachdem er freiwillig den Feuertod gewählt hatte. Ich
denke, dass hienach die Möglichkeit zugegeben werden muss,
Cyrus habe Krösus’ und zweimal sieben lydischer Kinder Ver
brennung befohlen, und dass eine lydische Erfindung dieses
Befehles keinen vernünftigen Grund haben kann. Dagegen lässt
sich allerdings denken, dass die Perser den auf alle Fälle
nicht ausgeführten Befehl entweder in eine Fesselung milderten,
wie bei Ktesias geschieht, oder ganz mit Stillschweigen über
gingen, um nur die nachträgliche milde Behandlung des Lyder
königs hervorzuheben — wie eben Xenophon gethan hat.
Mit der beabsichtigten Verbrennung hängt nun freilich
die Anrufung Solon’s und mit dieser Krösus’ früheres Gespräch
mit demselben mindestens bei Herodot oder schon bei Xanthos
einigermassen zusammen. Das Gespräch hat ferner nur Sinn,
wenn Krösus König war, und es war vergebliche Mühe, sich
von der Schwierigkeit wegzuwinden, indem man ihm eine
Mitregentschaft neben dem Vater imputirte. Da ist nun aber
222
Büdinger. Krösus 1 Sturz.
das grosse Hemmniss, dass Solon — denn das Gespräch mit
Krösus als König während Solon’s zehnjälmgem Selbstexil bei
Herodot (I, 29) ist ein Irrthum, weil eine chronologische ,Un
möglichkeit' — nach Phanias’ Bericht (Plut. Solon 32) eXärrova
SuoTv stüjv nach dem Anfänge von Peisistratos’ Tyrannis ge
storben sein soll, der in das Jahr 561/0 gehört (vgl. oben S. 201).
Phanias’ Autorität hat sich uns zu sehr bewährt, als dass ich
sie gegen die eines Herakleides Pontikos hingeben möchte,
nach der Solon jenes Ereigniss cu^vov ypcvov überlebt habe. Es
bleibt aber zu erwägen, ob die seltsame Form des ,zwei Jahre
weniger' als Peisistratos’ Tyrannis nicht vielmehr von zwei
Epochen zu verstehen sei, wie sie Phanias’ Excerpt im parischen
Marmor gibt. Denn hier bildet Peisistratos’ Erhebung von 561/0
allerdings die 40., Krösus’ Thronbesteigung und Sendung nach
Delphi von 556/5 die 41. Epoche; nicht undenkbar wäre
daher, dass in Phanias’ Original eine nächstfolgende Epoche
Solon’s Tod gemeldet und Plutarch nur Jahr und Epoche
verwechselt hätte.
XXI. SITZUNG VOM IG. OCTOBER 1878.
Das c. M. Herr Professor Kviöala in Prag übersendet
eine Abhandlung, betitelt: ,Miscellen zum Dialecte Alkmans',
von Dr. Friedr. Schubert, Gymnasialprofessor und Privat-
docent der classischen Philologie in Prag, mit dem Ersuchen
um Veröffentlichung derselben in den Sitzungsberichten.
Von Herrn Professor Dr. J. Loserth in Czernowitz wird
eine Abhandlung unter dem Titel: ,Fragmente eines Formel
buches Rudolfs von Habsburg' mit dem Ersuchen um Aufnahme
derselben in das Archiv eingesendet.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie Royale des Sciences, des Lettres et des Beanx-Arts de Belgique:
Bulletin. XLVII C Annde, 2° Serie, Tome 46. N° 8. Bruxelles, 1878; 8°.
Academy, the American, of Arts and Sciences: Proceedings. New Series.
Vol. Y. Whole Series Vol. XIII. Parts II & III. Boston, 1878; 8°.
Bern, Universität: Akademische Schriften vom Jahre 1877, 46 Stücke. 4° u. 8°.
Bibli otheque de l’Ecole des Chartes: Revue d’Erudition. XXXIX. Annee 1878.
3 e & 4 e Livraisons. Paris, 1878; 8°.
Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch für das
Jahr 1875. 3. und 4. Heft. Vien, 1878; 8°; — für das Jahr 1876.
9. Heft. Wien, 1878; 8»; — für das Jahr 1877. 1. Heft. Wien, 1878; 8».
Gesellschaft, Deutsche, für Natur- und Völkerkunde Ost-Asiens: Mitthei
lungen. 14. Heft, April 1878. — 15. Heft, August 1878. Yokohama; 4°.
— — Deutsche morgenländische: Zeitschrift. XXXII. Band, 2. und 3. Heft.
Leipzig, 1878; 8°.
— — Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes. VI. Band. Nr. 4.
Leipzig, 1878; 8°.
224
Handels- und Gewerbekammer in Linz: Summarischer Bericht, be
treffend die Verhältnisse der Industrie, des Handel und Verkehres Ober
österreichs im Jahre 1877. Linz, 1878; 4°.
Institution, the Royal, of Great Britain: Proceedings. Voh VIII. Parts
III & IV. Nrs. 66 & 67. London, 1877/78; 8°; — List of the Members,
Offieers and Professors. London, 1877; 8°.
Istituto di correspondenza archaeologica: Vorlage von 27 Blättern des
X. Bandes der ,Monumenti inediti*. Rom.
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbau-Ministeriums für 1877. III. Heft.
1. Lieferung. Wien, 1878; 8°.
,Revue politique et litteraire 1 et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger 1 . VIII e Annee, 2 e Serie, N° 15. Paris, 1878; 4°.
Sociedad cientifica Argentina: Anales. Julio de 1878. — Entrega I. —
Tomo VI. — Agosto de 1878. — Entrega II. — Tomo VI. Buenos-
Aires, 1878; 8°.
Society, the American geographical: Bulletin. 1878. Nr. 2. New-York,
1878; 80.
Survey, Archaeological of India: Report of a tour in eastern Rajputana in
1871/72 and 1872/73 by A. C. L. Carlleyle. Calcutta, 1878; 8«.
Verein für Hamburgische Geschichte: Mittheilungen. Erster Jahrgang.
Nr. 10—12. Hamburg, 1878; 8».
— — für siebenbürgische Landeskunde: Archiv. N. F. XIV. Band. 1. & 2. Heft.
Hermannstadt, 1878; 8°. — Jahresbericht für das Vereinsjahr 1876/77.
Hermannstadt; 8°. —• Bericht über das Freiherr Samuel von Brucken-
thalische Museum in Hermannstadt. I. Die Bibliothek von Ludwig Reissen-
•berger. Hermannstadt, 1877; 8°. — Die Ernteergebnisse auf dem ehe
maligen Königsboden in den Jahren 1870, 1871, 1873 und 1874. Hermann
stadt, 1878; 4°.
— — historischer, für Steiermark: Mittheilungen. XXVI. Heft. Graz, 1878; 8°.
Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen. 15. Jahrgang.
Graz, 1878; 8°.
— — militär-wissenschaftlicher: Organ. XVII. Band. 1. Heft. 1878. Wien; 8°.
XXII. SITZUNG VOM 23. OCTOBER 1878.
Die historische Commission bei der Münchener Akademie
der Wissenschaften übersendet den Bericht über ihre vom
26. bis 28. September d. J. stattgehabte Plenarversammlung.
Das w. M. Herr Professor Dr. Büdinger legt eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor, welche den
Titel führt:- ,Lafayette in Oesterreich, eine historische Unter
suchung'.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Aeademie Royale de Copenhague: Oversigt over Forhandlingar og dets
Medlemmers Arbejder i Aaret 1876. Nr. 3, 1877 Nr. 3 og 1878 Nr. 1.
Kjöbenhavn; 8°.
— — des Inscriptions et Belles-Lettres: Comptes rendus. IV. Serie. Tome VI.
Bulletin d’Ayril-Mai-Juin. Paris, 1878; 8°.
Akademie der Wissenschaften, königl. Baierische: Almanach für das Jahr 1878.
München, 1878; 12°.
— — Bericht der historischen Commission über die XIX. Plenar-Versamm
lung. München, 1878; 4°.
Abhandlungen der historischen Classe. XIV. Band, 1. Abtheilung.
München, 1878; 4°. — Der kirchen-politisclie Kampf unter Ludwig dem
Baier und sein Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland.
Von Dr. Wilhelm Perger. — Die Correspondenz Carls VII. mit Josef
Franz Graf von Seinsheim. 1738—1743. Von Carl Theodor Heigel.
München, 1878; 4°. — Der Elsässer Augustinermönch Johannes Hoff
meister und seine Correspondenz mit dem Ordensgeneral Hieronymus
Seripando. Von August von Druffel München, 1878; 4°.
— — Ueber die lateinische Komödie von Dr. A. Spengel. München,
1878; 4°.
Sitzungsber. d. phil.-Uist. CI. XCII. Bd. I. Hft.
15
226
Bureau, königl. statistisch-topographisches: Württembergisehe Jahrbücher
fiir Statistik und Landeskunde. Jahrgang 1877, 1. und 2. Heft. Stutt
gart, 1878; 4°.
Central-Commission, k. k., zur Erforschung und Erhaltung der Kunst-
und historischen Denkmale: Mittheilungen. IV. Band, 3. Heft. (Neue
Folge). Wien, 1878; gr. 4°.
Ferdinandeum: Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg. III. Folge. XXII. Heft.
Innsbruck, 1878; 8°.
Freiburg, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften pro 1876/77.
31 Stücke 4° und 8°.
Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburg: Zeitschrift. VIII. Band.
Kiel, 1878; 8».
Harz-Verein: Urirundenbuch des in der Grafschaft Wernigerode belegenen
Klosters Ilsenburg. II. Hälfte. Die Urkunden v. J. 1461 -1597. Von
Dr. Ed. Jacobs. Halle, 1877; 8°.
Kasan, Universität: Sitzungsberichte und Denkschriften. Tome XL1V.
1877. Nr. 1-6. Kasan. 1877; 8«.
Klopp, Onno: Zur Ehrenrettung von Leibnitz. Berlin, 1878; 12°.
Philomathie in Neisse: Neunzehnter Bericht vom Mai 1874 bis zum Mai
1877. Neisse, 1877; 8°.
Reumont, Alfredo: Maria Carolina Regina delle due Sicilie e i suoi tempi:
Memoria. Firenze, 1878; 8°.
,Revue politique et litteraire 1 et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger*. VIII e Annee, 2 C Serie, N° 16. Paris, 1878; 4°.
Socidtd des Sciences de Nancy: Bulletin. Serie II. — Tome in. Fascicule VII.
10 e Annde. 1877. Paris, 1878; 8«.
— — des Antiquaires de Picardie: Memoires. III e Serie. Tome IV. Paris,
Amiens, 1878; 8°.
Bü ding er. Lafayette in Oesterreich.
227
Lafayette in Oesterreich.
eine historische Untersuchung,
von
Max Biidinger,
wirklichem Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Die nachfolgenden Untersuchungen sind dadurch veran
lasst, dass ich bei den vor acht Jahren veröffentlichten For
schungen über die Hauptbegebenheiten von Lafayette’s Leben
gerade für die Zeit seiner Haft in Oesterreich auf Lücken des
gedruckten Materiales aufmerksam wurde, welche mir für eine
eindringende JBeurtheilung der Begebenheiten jener Zeit erheb
lich erschienen.
Exceptionell wie seine Verurtheilung durch die europäischen
Mächte, war auch damals seine Freilassung dem Beobachter
entgegen getreten. Von dem seltsamen Ineinandergreifen der
verschiedenartigsten Interessen, französischer, preussischer,
nordamerikanischer, englischer und selbst russischer, welche die
österreichische Begierung in der Angelegenheit Lafayette’s zu
erwägen hatte, vollends von dem dringenden Wunsche dieser
Regierung, den aufgedrungenen Gefangenen entlassen zu können,
geben erst die in der vorliegenden Arbeit benutzten Acten eine
klare Anschauung.
Noch manches erhebliche Stück dürfte sich in öffentlichen,
vornehmlich aber in Privatsammlungen erhalten haben, das
zur vollen Aufhellung der hier berührten Verhältnisse dienen
würde, und zu dessen Mittheilung oder Veröffentlichung diese
Abhandlung vielleicht den Anlass gibt. Die entscheidenden
Momente dürften aber doch schon vorliegen.
15*
228 Büdinger.
Für die gütige Bereitwilligkeit, mit welcher mir alle
hieher gehörigen Acten der Wiener k. k. Sammlungen: des
geheimen Haus-, Hof- und Staatsarchives, des Reichskriegs
ministeriums und des Ministeriums des Innern zu benutzen
gestattet wurde, glaube ich an dieser Stelle noch meinen
wärmsten Dank aussprechen zu müssen.
Die Orthographie der Originalien habe ich beibehalten;
die Interpunction und die Accente habe ich mir zu verbessern
gestattet.
Lafayette in Oesterreich.
229
Mehr als die grossen politischen Bewegungen der Zeit
hat im Herbste des Jahres 1797 Lafayette’s Entlassung aus
österreichischer Haft die Gemüther vieler Zeitgenossen in •
Europa und Amerika beschäftigt. Sein Empfang in Dresden,
in Leipzig und vollends in Halle, wo auch Studenten ihm eine
Nachtmusik brachten, bezeugte die wärmste Theilnahme der
Bevölkerung; 1 der bei dem Baumhause in Hamburg wird von
Augenzeugen als der eines Befreiers oder Siegers geschildert.
,Bei jedem Schritte die Stufe hinan erfuhr er neue Umarmungen
und Händedrücke'. 2
Wir werden anderseits noch zu erörtern haben, wie sorg
fältige Rücksichtnahmen von Seiten der österreichischen Regie
rung genommen wurden, ihm die Reise zu erleichtern und jede
peinliche Erinnerung zurückzudrängen.
Der Befreite erschien aber als ein Wesen, das trotz alle
dem weder in Oesterreich noch in Deutschland oder Frankreich
— wie wir noch sehen werden — geduldet werden könne.
Ueberdies hatte, die Seltsamkeit seiner Stellung zu vermehren,
selbst sein hochverehrter Freund Washington als damaliger
Präsident der Vereinigten Staaten vor zwei Jahren längere Zeit
Anstand genommen, auch nur Lafayette’s Sohn zu empfangen
in ,Erwägung', wie er selbst schrieb, ,des gehässigen Lichtes,
1 Memoires (= memoires correspondance et manuscrits du general Lafayette.
Paris 1837—38, 6 vols.) IV 301. — Die Nachricht aus Halle in Anhang P.
2 Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens (Leipzig 1871)
I, 176. Die Frau des französischen Ministers Reinhard in Hamburg, eine
geh. Reimarus, schreibt 7. October 1797: ,Lafayettens Reise durch Deutsch
land hat gewiss der Sache der Freiheit wichtige Dienste geleistet. Ueberall
stürzte man hervor, um dies Opfer, das dem scheusslichsten Despotismus
endlich entrissen war, zu sehen 4 . Wattenbach, Heidelberger Jahrbücher
1870, S. 729. Hier wird auch S. 732 mitgetheilt, dass einer seiner Ver
ehrer, der doch unter Hoche in der Vend6e gedient hatte, ihm bis Peters
walde in Böhmen entgegenreiste, um ihm als Dolmetscher zu dienen.
230
Büdinger.
in welchem sein Vater der französischen Regierung' erscheint
und meiner eigenen Stellung als Executivorgan der Vereinigten
Staaten'. 1 Die Beziehungen derselben zu Frankreich 2 waren
zur Zeit der Entlassung aus der Haft ohnehin schwierig genug,
und die nordamerikanische Regierung wünschte, wenn irgend
möglich, seit dem Frühjahre 1797 einen vollen Bruch zu ver
hüten. Auch Washington, obwohl seit einem halben Jahre nicht
mehr Präsident, schrieb ihm zwar am 8. Oetober d. J., der Befreite
habe niemals höher in der Liebe des dortigen Volkes gestanden;
aber er genehmigte zugleich, dass der Sohn des Freundes nach
Europa zurückkehre und äusserte sich über die Möglichkeit
der Uebersiedelung der ganzen Familie hinlänglich, indem er
schrieb: ,Wenn Ihre Erinnerungen oder die Umstände Sie mit
Frau und Töchtern zu einem Besuche Amerikas brächten, so
würden Sie bei keinem Einwohner mehr Liebe und Zärtlichkeit
als bei Frau Washington und mir linden'. 3 Und an demselben
Tage schrieb Lafayette selbst an einen amerikanischen Freund, 4
die Freude seiner Befreiung sei ihm ,durch die betrübende
und unerwartete Nachricht von den Zwistigkeiten getrübt
worden', welche zwischen den Vereinigten Staaten und der
französischen Republik ausgebrochen seien, und deren Einzel
heiten er noch nicht kenne.
In viel höherem Grade, als er selbst ahnte, war er ein
Ausgestossener, als er, aus der Olmützer Haft entlassen, ein
Asyl in Holstein fand.
Das Verhältniss, in welchem er zu den constituirten Ge
walten aller Staaten stand, ist, so weit ich sehe, ohne alle
Analogie. Denn mit dem ersten Napoleon, der gleich ihm
1 Lafayette (so citire ich mein 1870 erschienenes Lebensbild desselben), 90.
2 Hildreth, history of the United States (New-York 1871), IV, 702, V, 55
und besonders V, 94, wo die Erwägungen mitgetheilt sind, welche bei der
Ernennung John Marshall’s als einer in Paris gern gesehenen Persönlich
keit in die nach Frankreich zu entsendende Botschaft von drei Cominissären
walteten. Ueber die tieferen Gründe des Conflictes: Sybel, Revolutionszeit
(2. Aufl. 1879), IV, 571 f.
3 Memoires IV, 372 = Sparks, Washington XI, 214, wo einige in der fran
zösischen Uebersetzung- ausgelassene Stellen vollständig sind.
4 Der Brief an Huger in französischer Uebersetzung: Memoires IV, 375,
in deutscher: Varnhagen, ansgewählte Schriften (Leipzig 1875), XVII, 267.
Lafayette in Oesterreich.
231
durch Urtheilspruch der europäischen Mächte geächtet wurde,
hat er doch nichts als die Unverträglichkeit seiner Existenz
mit den gegebenen Staatsordnungen in einem gegebenen Mo
mente gemein.
Die Singularität seiner Stellung gibt sich nicht minder
während seiner Haft zu erkennen. Ich habe an einem andern
Orte 1 dargethan, dass Lafayette nach seiner Flucht von der
französischen Armee am 19. August 1792 zunächst auf Befehl
des kaiserlichen Commandanten von Namur als Arrestant der
Emigrantentruppen mit seiner ganzen Begleitung verhaftet
wurde. 2 Aber der Höchstcommandirende Herzog Albert von
Sachsen-Teschen hat keineswegs, wie man nach der Erinnerung
des Gefangenen 3 annehmen müsste, die Ansicht jenes Comman
danten getheilt, wenn ich auch zugeben will, dass der mit der
Mittheilung seiner Worte betraute Major von Paulus den ent
scheidenden Gesichtspunkt des Herzogs nicht genügend betont
haben mag. Dieser setzte nur klar auseinander, dass bei der
Verhaftung von einem Bruche des Völkerrechtes nicht die Bede
sein könne, da nach allen Kriegsregeln eine bewaffnete Schaar
von fünfzig Personen sich nicht durch eine Armee durch
schleichen dürfe, gegen welche sie bisher im Felde gestanden
habe; aber den Emigranten verschloss er ausdrücklich den
Zutritt zu den Gefangenen.
Herzog Albert erbat sich von Wien Instructionen über
das gegen die Gefangenen einzuhaltende Verfahren. Diese
fehlen in den von mir benutzten Akten. Die Thatsachen aber
beweisen, dass sie den Gesichtspunkten der Emigration mehr
entsprachen: die Armeeofficiere wurden nur aus dem Lande
gewiesen, die der Nationalgarde und Lafayette’s Adjutanten mit
zweimonatlichem Arreste bestraft, die vier Mitglieder der
1 Lafayette 57. Vgl. Memoires III, 413; IV, ‘250. Sollte das Protokoll der Sitzung,
durch welches er zum Gefangenen der Coalition erklärt wurde, nicht in
irgend einem europäischen Archive zu finden sein? In Wien scheint es
nicht vorhanden zu sein. Vielleicht findet sich auch eine Abschrift im
Nachlasse des Baron von Breteuil, der das Königreich Frankreich vertrat.
2 Memoires III, 407—-412.
3 Memoires III, 413. ,Le elief de l’insurrection fraui;.aise, force de s’expatrier
par ce meine peuple auquel il avait appris ä se revolter 1 ist doch Emi
grantensprache, wenn auch der Herzog von einer ,populace, qu’ils ont
souleve contre leur Koy‘ schreibt. Vgl. Anhang A.
232
B ü di n ger.
constituirenden Nationalversammlung' aber nach Luxemburg zu
weiterm Verfahren abgeführt. Ausser Lafayette selbst und
seinen treuen Freunden oder gräflichen Gefolgsleuten, dem
General Latour-Maubourg und dem Hauptmann Bureaux de
Puzy 1 gehörte auch ihr politischer Gegner Alexander Lameth
in diese Kategorie, der sich ihnen als Flüchtling zufällig ange
schlossen hatte. Am 4. September scheinen sie in Luxemburg
angelangt zu sein. 2
Eine Commission der gegen Frankreich vereinigten Mächte,
welcher aber auch ein Emigrant als Vertreter des Königreichs
Frankreich angehörte, verurtheilte ihn zur Gefangenschaft.
Seine Bewachung übernahm die preussische Regierung.
Am preussischen Hofe aber hatte er, abgesehen von dem
Wohlwollen der Schwester des Königs, der Prinzessin Wilhelmine
von Oranien, für seine Gemahlin, 3 an deren Oheime, dem
Prinzen Heinrich, einen damals freilich von den politischen Ge
schäften fern gehaltenen Freund, dessen Treue doch, so viel
man weiss, nie wankend geworden ist. 4
,Das Widrige der Massregel' seiner Gefangenschaft mochte
aber im Anfänge des Jahres 1794 die preussische Regierung
nicht länger vertreten. 5 König Friedrich Wilhelm II. sprach
freilich auch von ,dem österreichischen Hasse' gegen den Ge
fangenen; 0 auf alle Fälle ist aber seine Auslieferung an Oester
reich nicht von dieser Macht begehrt worden.
1 In den Memoires stets: Pusy. Er hat auf seinen Grafentitel trotz der
Revolution nie, wie Maubourg, ganz verzichtet. Vgl. unten S. 259.
2 Brief vom 3. September (Memoires IV, 215): Nous arrivons demain i
Luxembourg. Am 16, sind die Gefangenen bereits in Coblenz.
3 Doch auch sie: sans donner aucune esperance positive. Lasteyrie, vie de
M mo de Lafayette (Paris 1869) 278.
4 Lafayette 48. Die noch immer ungedruckte Correspondenz des Prinzen
mit Lafayette und über denselben wird voraussichtlich auch in der Aus
lieferungsfrage weitere Aufschlüsse geben.
5 Diese, Lafayette S. 37, gegebene Auffassung muss ich nach Einsicht der
Acten freilich festhalten, nicht ganz die, dass die österreichische Regierung
,die Bewachung aus eigener Ueberzeugung 1 übernahm; eine ,Schwäche
gegen französische Hofleute“, die ich supponirte, muss ich nunmehr voll
ends für unerweislich erklären.
6 Memoires IV, 264: ,La haine Autrichienne 1 . Dazu in dem Briefe der Frau
von L. an Madame de Tesse. (Mdmoires IV, 275): Le roi de Prusse a
Lafayette in Oesterreich.
233
Vom 25. Februar 1794 liegt vielmehr ein Bericht des Mi
nisters Thugut an den Kaiser Franz vor, 1 in welchem derselbe
an ,das wiederholt geäusserte Begehren des königlich preussi-
schen Hofes, von der fernem Gefangenhaltung des Lafayette’s
und seiner Mitgesellen enthoben zu werden' erinnert. Er
äussert persönlich über die Iiathsamkeit, auf das Begehren
einzugehen, keine Meinung, erbittet sich vielmehr nur einen
,bestimmten' kaiserlichen Befehl. Wir werden noch sehen, wie
vollkommen begründet seine Bedenken waren. Der Kaiser
aber theilte dieselben auf alle Fälle nicht. Indem er die Ueber-
nahme genehmigte, bezeichnete er die drei Verhafteten — denn
Alexander Lameth ward wegen Krankheit nicht mit über
nommen — als ,Kriegsgefangene'. Er wollte dieselben sonach
nur kraft des Rechtes übernehmen, das ihm ihre Anhaltung
am 19. August 1792 durch seine Truppen gewährte. Er wollte
somit den Beschluss der Coalition über ihre Gefangenhaltung
ignoriren, obwohl Lafayette selbst sich bereits am 3. Septem
ber 1792 keine Täuschung darüber machte, dass er Staats
gefangener sei. 2 In der That betrachtete aber die preussische
Regierung die ihrer Hut Anvertrauten als ,französische Staats
gefangene' und hat sie auch nur als solche endlich übergeben. 3
Das Wiener auswärtige Amt schrieb nur in allgemeiner
Form an den kaiserlichen Gesandten Grafen Lehrbach in Berlin
am 27. Februar 1794: 1 ,Herr Marquis Lucchesini hat hier
öfters im Namen des Königs in Preussen den Wunsch geäussert
und uns angegangen, dass Seine k. k. Majestät den Marquis
ecrit ä Madame de Maison-Neuve que ee n’etait pas Iui, mais l’empereur
qui etait cause de leur ddtention; l’empereur m’a dit que ce n’etait pas
lui, mais le roi de Prusse. (Vgl. unten S. 240, Anm. 4.)
1 Anhang B.
2 Nous-avons pris toutes les manieres non plus de prisonniers de guerre,
ce qui serait absurde, mais de prisonniers d’Etat, ce qui s’explique par
la Constitution des baionnettes. Memoires III, 215.
3 So bezeichnet sie das von dem ,Hauptmann Fritze vom königlich preussi-
schen Mineurcorps“ und dem ,Auditeur Wischke vom königlich preussischen
Gouvernement zu Heisse“ am 17. Mai 1794 in ,Zugmantel“ Unterzeichnete
Uebergabsprotokoll (Registratur des Reichskriegsministeriums 1794, Dep.
Lit G, n. 1063).
4 Friedensacten, Fascikel 67, Repert. Z. Mission nach Berlin. Staatsarchiv.
234 Büäinger.
La Fayette und diejenigen, die mit ihm damals in Gefangen
schaft geriethen, Anfangs in Wesel und nun in Schlesien ver
wahrt werden, 1 in die k. k. Staaten übernehmen möchten. Da
S. Maj., um auch in diesem Falle sich dem Könige gefällig
und eine freundschaftliche Rücksicht zu bezeigen, in dieses
Ansuchen zu willigen geruhten, so ermangle ich nicht, E. Exc.
mit der Bemerkung hievon zu benachrichtigen, dass dieselben
dem kön. preuss. Ministerio diese willfährige Entschliessung
zu eröffnen und zugleich mit demselben, was bei Uebergabe,
Transport und Uebernahme diesfalls zu beobachten wäre, die
Verabredung zu pflegen haben*.
Dennoch verzögerte sich die Angelegenheit bis zum
22. April 1794, von welchem Tage die von Finkenstein und
Alvensleben gezeichnete Note datirt ist, durch welche der Ab
schluss der Sache Lehrbach mitgetheilt wurde. 2 Die Ver
zögerung wurde von dem Wiener Cabinet nicht erwartet, so
dass der Truppencommandant von Mähren bereits am 27. März
dem Gesandten in Berlin den mit der Uebernahme ,der Ge
fangenen* in Troppau betrauten Officier bezeichnete. 3 Noch
einmal hat sich dann die Uebergabe verzögert, bis die Ab
führung aus Neisse am 17. Mai 1794 erfolgte, sie in Zuck
mantel der österreichischen Escorte übergeben und am folgenden
1 Von cler Haft in Magdeburg, die doch ein Jahr, während die in Wesel
nur drei Monate dauerte, ist keine Rede.
2 Bericht Lehrbach’s vom 25. April a. a. 0. Staatsarchiv. Die Auswahl
der geeigneten Festung und die Einrichtung der Haftlocalitäten trug
freilich auch zur Verzögerung bei, wie ein Schreiben des Commandirenden
von Mähren Feldmarschall Botta an Lehrbach vom 25. April in der
Registr. des Reichskriegsministeriums a. a. 0. beweist.
3 F.-M. Botta an Lehrbach: ,des Olivier Wallis’sehen Regiments Haupt
mann Soreth in der Gränzstadt Troppau die Gefangenen übernehmen
wird 1 . Ebenda. — Er übernahm sie in Zuckmantel (vgl. oben S. 233
Anm. 3) und brachte sie nach einer Meldung Botta’s vom 20. Mai (Reg.
des Reickskriegsministeriums a. a. 0.) am 18. Mai Abends halb elf Uhr
in die Olmützer Haft. Nach dem preussischen Verzeichnisse im Staats
archive hatten Lafayette zwei, Latour-Maubourg- und Bureaux de Puzy je
einen Diener in die Gefangenschaft mitnehmen dürfen. In der Rubrik
,was sie täglich an Diäten erhalten 1 , sind für die drei Herren je 2 Thaler,
für die Diener je 8 Groschen angegeben. Die Diäten werden nach dem
für gefangene höhere Offieiere bestimmten Maasstabe berechnet sein.
Lafayette in Oesterreich.
235
Abend nach Olmütz gebi’acht wurden. Kaiser Franz gab nur
im Allgemeinen den Befehl, die Gefangenen mit Humanität und
mit den Aufmerksamkeiten für ihre Erleichterung und ihre
Gesundheit zu behandeln, welche mit ihrer Lage verträglich
seien. 1 So wurden sie nach Olmütz geführt und dort ge
halten. 2
Nicht ohne Bedeutung ist nun die Bezeichnung, welche
Lafayette in den Acten des über die wahre Bedeutung seiner
Gefangenschaft voraussichtlich doch gut untemchteten Polizei
ministers Grafen Pergen gegeben wird. Er erscheint hier im
Herbste 1794 3 als ,der in der Festung Olimtitz in Verwahrung
gehaltene französische Staatsgefangene'. Von dem europäischen
Aufträge ist also auch hier nicht wieder abgesehen und die
Haft, wde in Preussen, als in Vertretung der Emigrantenregie
rung vollzogen aufgefasst. So viel ich sehe, ist das aber des
leitenden Staatsmannes Thugut Ansicht niemals gewesen.
Noch war kein Jahrzehnt verstrichen, seit Lafayette zum
ersten Male in Oesterreich geweilt hatte. Damals, im Sep
tember 1785, war er, noch im vollen Glanze seiner fürstlichen
Lebensstellung und seines amerikanischen Kriegsruhmes, Gast
im Kaunitz’schen Palais in Wien gewesen, hatte die Wiener
Freimaurerloge mit seinem Besuche beehrt 1 und den Manövern
bei Prag beigewohnt. Vielleicht hat bei den zu allen Zeiten
ungewöhnlich gewesenen Freiheiten, die man zunächst dem
Gefangenen liess, die Erinnerung an die Beziehungen mit
gewirkt, welche er damals anknüpfte. Er durfte selbst Spazier-
1 — avec humanite, et des attentions pour leur Soulagement et leur sante
compatibles avec leur position. Instruction Thugut’s an Chasteler im
Anhang D.
2 Das Nähere Lafayette 44. Speciell verfügte ,in Abwesenheit S. M. des
Kaisers 1 Erzherzog Leopold, schon am 6. Mai 1794, dass die Gefangenen
wie in Preussen, im Uebrigen wie Beurnonville gehalten werden sollten,
dem unter Anderm Spazierfahrten gestattet waren. Registr. des Reichs
kriegsministeriums a. a. O.
3 Registratur des ehemaligen Polizeiministeriums: ,Acten des in der Festung
Ollmütz in Verwahrung gewesenen französischen Staatsgefangenen la
Fayette und dessen Wiedereinbringung betr.‘
4 G. Brabee, sub rosa, vertrauliche Mittheilungen aus dem maurerischen
Leben unserer Grossväter. Wien 1879 (Rosner), S. 12.
236
Büdi n ger.
fahrten in Begleitung nur eines Corporals unternehmen, dem
erst nach einem Wechsel im Festungscommando noch ein
Gemeiner beigegeben wurde. 1
Es kann mich in diesem Zusammenhänge sein Flucht
versuch vom 8. November nicht weiter beschäftigen, über
welchen die Acten (vgl. Anhang C) bis in alle Einzelheiten
eine vollkommen authentische Kunde geben. 2 Selbstverständ
lich trat nach dem Missbrauche der ihm gewährten Freiheiten
eine grössere Strenge der Bewachung ein und wurden alle mit
derselben betrauten Militärpersonen bestraft. 3 In wie seltsamer
Lage sich aber die kaiserliche Regierung ihrem europäischen
Aufträge gegenüber befand, zeigt schon die Thatsache, dass der
enthusiastische junge Mediciner aus Südcarolina und der unruhige
deutsche Literat, welche den Fluchtversuch veranlasst hatten,
nach harter Untersuchungshaft, mit halber Einrechnung der
ihnen zuerkannten einmonatlichen Gefängnissstrafe, und gegen
Ersatz der dem Aerar bereiteten Kosten, freigelassen wurden. 4
1 Die seltsame Thatsache erfährt man zuerst aus der Aussage des Kutschers
(Anhang C, n. 2) und wird in dem Vorträge des Hofkriegsraths an den
Kaiser (Anhang C, n. 5) auch besonders gerügt
2 An die Stelle der drei sich vielfach wiedersprechenden Berichte der Be
theiligten (vgl. Lafayette 45 f.) treten diese entscheidenden Nachrichten.
3 Doch lehnte der Kaiser den Antrag ab, den wieder eingebrachten Flücht
ling drei Monate in Eisen zu legen, während er im Uebrigen die ,ange
tragenen Beahndungen derjenigen, die durch ihre Schuld zur Erleichterung
der versuchten Flucht des La Fayette beigetragen haben 4 bestätigte.
Eigenh. Resolution auf den Vortrag vom 16. Jänner 1795 bei einem
Schreiben des Hofkriegsrathspräsidenten Grafen Wallis an Thugut vom
29. Jan. 1795. Staatsarchiv. Die Bestrafung der Militärs s. in Anhang C, n. 5.
4 ,Diese wunderbare Milde 4 sucht Varnhagen in den ,Denkwürdigkeiten
BollmannV, (ausgewählte Schriften Leipzig 1875, XVII, 215) durch weib
liche und fürstliche und freimaurerische Einwirkungen und daraus zu
erklären, dass .die österreichische Regierung im Praktischen von jeher
einen freien Geist gezeigt, der bei ausserordentlichen Dingen nicht karg
am Hergebrachten haftet 4 . Ueber die abweichende Erzählung einer Ver
wandten des andern Gefangenen Huger, die er in Uebersetzung bringt,
urtheilt er mit wesentlich ablehnender Kritik (S. 250); gewiss scheint nur,
dass Huger bei seiner Entlassung von einem Juristen um 50 Goldstücke
geprellt wurde. Da der verdiente Geschichtschreiber hervorragender
Deutscher in Amerika, Herr Dr. Friedrich Kapp, eben mit einem Leben
des Hauptbetheiligten, des Dr. Bollmann, beschäftigt ist, so ist zu wünschen,
dass ihm aus Bollmann’s Papieren eine Aufklärung über diese Sache
Lafayette in Oesterreich.
237
Thugut seinerseits erklärte am 18. December 1796 aus
drücklich und rückhaltslos sein Bedauern, dass man sich von
Seiten Oesterreichs überhaupt auf Lafayette’s Uebernahme ein
gelassen habe. Er wünschte, dass England fortan seine Be
wachung übernehmen oder nach geschehener Auslieferung seine
Freilassung in London verfügen möge. 1 Die englischen Minister
gelingen möge. In den Wiener Archiven sind über den Ausgang des
Prozesses trotz vieler Bemühungen keine anderen Nachrichten zu finden
gewesen, als die in Anhang C, n. 6 enthaltenen, so dass man annehmen
muss, die beiden jungen Leute seien nur wegen der Rauferei mit dem
Corporal Platzer bestraft worden, hätten aber wegen der versuchten Ent
führung eines spazieren gehenden Mannes, der in fremdem Aufträge in
österreichischer ,Verwahrung 1 war, nicht criminell behandelt werden
können. Ob sich die Acten des Olmützer Criminalgerichtes, dem sie über
geben wurden, noch in Brünner oder Olmützer Registraturen erhalten
haben, muss ich weiterer Forschung überlassen.
1 Thugut contradicts the account of ill treatment, exp ress es the wish,
that they had never had anything to do with him (Lafayette)
and assures me, that Madame de Lafayette may leave the prison whenever
she pleases, but that she must not be permitted to go backwards and
forwards. I solicit his release, but find that it is in vain. He says, that
probably he will be discharged at the peace. To which I reply, that
I never had any doubt of that and had taken upon me long ago to give
such assurances, but that I wish, it were done sooner. And add that I
am sure, it would have a good effect in England giving my reasons. He
says, that if England will ask for him, they will be very glad to be rid
of him in that way and that they may, if they please turn him-loose
in London. Morris diary (Sparks life of Morris I, 444). Der dieser
Unterredung entsprechende Brief des in politischen Dingen mit wahrhaft
wunderbarem Weit- und Scharfblicke ausgestatteten Verfassers der Con
stitution der Vereinigten Staaten (Sparks, Morris I, 283 — 286 und 326),
Gouverneur Morris, an Lord Grenville ddo. Vienna December 21st. 1796,
besagt in der entscheidenden Stelle: I mentioned to M. de Thugut the
Situation of M. de Lafayette and found that they wished they
never had taken him and would now be glad to get rid of him, but
see no way, in which it can be done conveniently. I proposed his libe-
ration in a moment of rejoicing for any good news (nämlich von der
Armee); but this did not seem to take. He told me, however, that if
England would ask for him, they would readily give him up and the
king might, if he pleased, turn him loose in London. Now, my lord, I
wish you to consider, that when peace takes place, he will of course be
liberated and go to America. He will have more or less influence there.
I believe, he will have a good deal. You may, if you please, send him
thither under such a weight of notorious Obligation, that he shall be
238
Büdinger.
hätten aber ihrerseits nach der öffentlichen Stimmung 1 das Amt
auch nicht wohl acceptiren können, das ihnen noch bei eines
weit gefährlicheren Gegners ihres Reiches, bei des ersten Napo
leon, Bewachung, gar mancherlei Beschwerlichkeiten verursacht
hat. Und so blieb die österreichische Regierung mit der einmal
übernommenen Verpflichtung beladen.
Inzwischen geriethen Thugut und bis zu einem gewissen
Grade Kaiser Franz selbt mit dieser Haftfrage in steigende
innere und äussere Verlegenheiten.
Als die eigentlichen Herren von Lafayette’s Geschick
betrachteten sich, auch wegen des europäischen Beschlusses —
ineapable of disserving you. And. if you take him now, tliere are two
supposable cases, in wlnch, if he were twenty times a Frenchman, he
would be inclined to serve you: viz. a restoration of the titular monarch,
or the full establishment of the present rulers of his country. In all
eases you would do an act agreeable to America, whieb cost you nothing.
(Dieser Satz, in welchem mehr der Tabakhändler als der Staatsmann
Morris spricht, konnte schon allein Grenville dem ganzen Plane ent
fremden) ; and I am sure, you are not to learn, tliat such things propitiate
more the minds of men, than more solid Services, wliicli, however they
may promote the interests, seldom fail to wound the pride of the obliged
party. Should you incline to this measure, the least hint would induce
the American minister to request it on the part of the United States;
unless (which I should deem the better mode) you did it of your own
motive. The effect would then be great even in France; for though he
is now of no importance there, that nation is highly sensible to every
act of nobleness and generosity. (Sparks, Morris III, 99.)
Ich habe mit Unrecht früher daran gezweifelt (Lafayette 60), dass
es Thugut mit seinem Wunsche Ernst gewesen sei. Aus dem schon
Lafayette 59 citirten Briefe des Duc de Liancourt bei Sparks (Washington
XI, 490) ergibt sich seltsamer Weise, dass die kaiserlichen Minister gerade
bei England durch Lafayette’s Freilassung "Verdacht zu erregen fürchteten.
Bei diesem Anlasse glaube ich denn aber doch der Hoffnung Aus
druck geben zu sollen, dass statt des für den ,general reader“ nach Sparks’
Ausdruck (I, 295) in dessen patriotisch-literarischer Manier gefertigten
Auszugs aus Gouverneur Morris’ Tagebuche dieses selbst und dazu die
europäische Correspondenz ganz vollständig gedruckt werden mögen.
Dass das dreibändige Werk so ganz vergriffen und Gandais' französischer
Auszug so unbrauchbar ist, sollte das neue Unternehmen ermuthigen.
Diesen wahrhaft universalhistorischen Geist, der die Begebenheiten von
1775 bis 1816, meist als praktischer Staatsmann und in den bedeutendsten
Verbindungen, in Reden und Briefen schilderte, wird man erst nach einer
solchen vollständigen Publication ganz würdigen können.
Lafayette in Oesterreich.
239
und bis zu einem gewissen Grade, wie wir sahen, mit Recht
— die französischen Emigranten. Einer derselben sprach noch
am 26. October 1796 in einem Wiener Salon gegen Morris die
Hoffnung endlicher Hinrichtung des Gefangenen aus. 1
Der kühne, überzeugungsvolle und scharfsichtige Leiter
der kaiserlichen Politik mochte nun freilich nach näherer Be
kanntschaft mit dem ganzen Emigrantenthume nichts mehr
zu schaffen haben. Er empfahl schon am 8. Juni 1793 dem
Kaiser die grösste Zurückhaltung gegenüber dem Baron Rolle,
dem Agenten des Quasi - Prätendenten — denn noch lebte
Ludwig XVII. — des Grafen von Provence, Ludwigs XVIII.
Hätte er sich von den kläglichen Utilitätsrücksichten der
Dutzendminister leiten lassen, so würde sein Rath dem Mon
archen gegenüber anders gelautet haben. Denn die Aristokratie
verabscheute ihn 2 ohnehin mit wenigen Ausnahmen. Aber wie
hoch auch Kaiser Franz seinen Rath schätzte, 3 selbst, nachdem
er genöthigt worden war, ihm die Geschäftsleitung zu entziehen,
so scheint er ihn doch den Emigranten gegenüber nur zum
Theil befolgt zu haben. Eben einen der wenigen fürstlichen
Bewunderer Thugut’s, den Grafen von der Marek, hat er im
April 1795 in tiefstem Geheimnisse an den Prätendenten nach
Verona gesendet, um demselben von seinem Entschlüsse, die
Sache desselben zu unterstützen, 4 Nachricht zu geben. Auf
alle Fälle wurde freilich hiermit trotz der spätem Familien
allianz mit Napoleon I. der tiefen Verstimmung vorgebeugt,
welche Ludwig’s XVIII. sich sonst leicht bemächtigte.
Aber nicht nur die Emigranten hatten in Lafayette’s
Sache Partei ergriffen und zwar gegen den Gefangenen. In
ganz unerwarteter Weise erhoben sich Schwierigkeiten zu
1 Lavau-Palliere — seems to flatter himself, that there is yet some chanee
of getting him lianged. Sparks, Morris I, 437.
2 Vivenot, vertrauliche Briefe I, 19.
3 In einem Gespräche mit König Friedrich Wilhelm II. von Preussen am
16. Februar 1797 gab Morris die gemeinsame Besorgniss vor Russland
als das wahre Bindemittel ihrer Freundschaft an: I had stated the interest,
which makes him and the emperor good friends to be their mutual appre-
hensions from Russia (Sparks, Morris I, 453).
4 Be la Marek, correspondance I, 189 (Brüsseler Ausgabe).
240
B ü d i u g e r.
seinen Gunsten, als die am 22. Januar 1795 1 aus den Kerkern
des Nationalconventes entlassene Gemahlin des Gefangenen im
September d. J. mit ihren beiden Töchtern in Wien erschien.
Theils durch die alten Verbindungen der Familie ihres Vaters,
der Noailles, theils durch die ihrer Freundin der Prinzessin
Auguste von Arenberg, Gräfin von der Marek, wusste sie bei
einigen der grössten Familien des Reiches Sympathien für ihre
Sache zu erwecken. 2 Durch den greisen Oberstkämmerer
Fürsten Wolfgang Franz Xaver Rosenberg, ohnehin einen leb
haften Gegner der Thugut’schen Politik 3 wurde sie insgeheim
bei dem Kaiser eingeführt, von ihren Töchtern begleitet. Die
Freilassung ihres Gatten erklärte Kaiser Franz, da seine Hände
gebunden seien und die Angelegenheit nicht von ihm allein
abhänge, für unmöglich. Ihrem Wunsche, mit ihren beiden
Töchtern seine Gefangenschaft theilen zu dürfen, willfahrte er. 4
,Unter anderem sagte er zu ihr, dass sie wohl thäte, dass er an
ihrer Stelle ebenso handeln würde'. 5 In jedem Momente konnten
die Frauen, welche seit dem 16. October 0 1795 die Olmützer
Haft theilten, dieselbe verlassen; aber in dieselbe zurückzu-
1 Lasteyrie, vie de M rae de Lafayette 334.
2 Sie war an eine Schwester des Grafen empfohlen und: eile revit M ines
d’Ursel et de Windischgratz, parentes de M me Auguste d’Arenberg. —
Elle reQut de ces dames les plus toucliantes marques d’amitie. Auch in
einem Briefe aus der Olmützer Haft an den Vicepräsidenten des Hof-
kriegsrathes Grafen Ferraris sendet sie: mille tendres compliments pour
M mes de Windischgratz et d’Ursel. A. a. O. 352, 355, 569.
3 Besonders bezeichnend ist nach seinem am 14. November 1796 erfolgten
Tode Thugut’s bitteres Schreiben vom 2. December bei Vivenot, ver
trauliche Briefe I, 363.
4 Lasteyrie 353, Memoires IV, 272 in einem Briefe der Dame vom 10. Mai 1796.
Die Aeusserung in demselben Briefe, dass der Kaiser die Schuld ausdrück
lich auf Preussen geschoben habe (vgl. oben S. 232, Anm. 6), wird sonst
nirgends erwähnt und scheint nur Schlussfolgerung der entrüsteten Ver
fasserin.
5 Wattenbach (Heidelb. Jahrb. 1870) 731.
6 Das Datum nach der von der Dame bei ihrer Entlassung am 18. Sep
tember 1797 als richtig Unterzeichneten ,specification‘ ihrer Einnahmen
und der für sie geschehenen Ausgaben im Gesammtbetrage von 6151 fl.,
da sie mit ihren Töchtern im Gefängnisse auf eigene Kosten lebte.
Registratur des Reichskriegsministeriums 1797, Dep. Lit. G, n. 11921.
Lafayette in Oesterreich.
241
kehren, wäre ihnen dann nicht mehr gestattet gewesen. Daher
verzichtete die treue Gattin förmlich auf die Erlaubniss. 1
Nunmehr aber gerieth die kaiserliche Regierung durch
die der Familie des Gefangenen gewährte und bei ihren
mächtigen Verbindungen kaum abzulehnende Begünstigung in
eine noch viel peinlichere Lage als bisher, da sie nur für den
Mann einzustehen hatte. Thugut machte schon bei einem Ge
spräche mit Frau von Lafayette in Wien auch gar kein Hehl
aus seiner Verstimmung. Man begreift auch völlig die Er
leichterung, die er kurz vor der endlichen Freilassung empfand,
indem er an einen Freund schrieb, dass er ,recht froh sei, von
der ganzen Caravane' nichts mehr hören zu müssen. 2
Denn es ist doch unläugbar, dass die natürlich strengen
Ordnungen eines Militärgefängnisses nun in der öffentlichen
Meinung doppelt hart erschienen, da sie auf ein Paar junge
Mädchen und auf eine Dame fürstlichen Ranges erstreckt
wurden, die eben erst aus den Kerkern der französischen Re
volutionäre entlassen war, deren hinfällige Gesundheit den
Mangel an frischer Luft alsbald empfand, deren Leiden aus
ihren, trotz aller Aufsicht, 3 doch zuweilen in das Ausland
gelangenden Briefen in weiten Kreisen bekannt wurden und
bei ihrer hingebungsvollen Liebe in steigendem Maasse Mitleid
und Entrüstung erweckten. Gerade auf die Minister mussten
die Vorwürfe der mächtigen Freunde der Gefangenen fällen. 4
Diese selbst hat sich in dem Gefängnisse mit der Lebens
beschreibung ihrer Mutter, der Herzogin von Ayen, ein rühren
des Denkmal gestiftet. Mit einem Zahnstocher und Tusche hat
1 Memoires IV, 286.
2 Je präsume, que Sa M. daignera approuver, que je m’entende avec le
conseil de guerre, pour que tonte cette earavane de Lafayette, femme,
enfants et autres compagnons de captivitä, soient transportäs Ji Hambburg
et consignäs k 1’Americain pour qu’il n’en soit plus question, ce de quoi
je serai fort aise. Thugut an Colloredo 7. Sept. 1797 bei Vivenot, vertr.
Briefe II, 55.
3 Lasteyrie 381 f. In den memoires de la Marquise de Montagu (2 mc ed.
Paris 1865, p. 276) wird die Sache noch als Geheimniss behandelt.
4 Was Thugut in der Anlage D über die unvermeidlichen Hebel eines frei
willig gesuchten Kerkerlebens sagt, ist gewiss richtig, liest sich aber
doch wie eine Rechtfertigung.
Sitzungsber. d. pliil.-Uist. CI. XCII. Bd. I. Hft.
16
B ü d i n g e r.
242
sie dieselbe an den Rand eines Bandes von Buffons Natur
geschichte geschrieben, den die Familie noch heute bewahrt. 1
Aber je höher Jeder sie schätzen musste, der ihr einmal genaht
war, 2 um so schwerer musste auch ihr Geschick erscheinen.
Bei der so getheilten Stimmung wurde das Erscheinen eines
allgemein hoch geachteten Staatsmannes wie Gouverneur Morris
in Wien, im Herbste des Jahres 1796, für die Angelegenheit
bedeutend. Morris kam zunächst, um der Prinzessin Elisabeth
von Frankreich den Rest einer von Ludwig NVI. bei ihm
deponirten Geldsumme zu überbringen und Rechnung über die
Verwendung des Uebrigen abzulegen. 3 Aber er erschien doch
eben persönlich mit der Autorität, welche ihm sein muthvolles
Ausharren als amerikanischer Gesandter während der Schreckens
zeit in Paris und seine Beziehungen zu den hervorragenden
Persönlichkeiten der Coalition gewährten. Es war unmöglich,
ihm gegenüber dasselbe Schweigen zu beobachten, wie gegen
die Reden der englischen Opposition oder selbst gegen Georg
Washington’s Schreiben als Präsidenten der Vereinigten Staaten
vom 15. Mai 1796. 4 Zunächst war Thugut freilich, wie man
denken kann, entrüstet, als er in einem, ihm von Morris vor
gewiesenen Briefe der nach ihrem Wunsche gefangenen Dame
an ihre Schwester von Montagu Anklagen gegen die Regierung
und über die Gefängnissordnung fand, so dass er ihr jede
Correspondenz versagte oder doch thatsächlich erschwerte. 5
Sachlich erklärte er, wie schon im Jahre vorher Fürst Rosen
berg, 6 dass die Freilassung bei dem Frieden erfolgen werde;
denn ein solcher hob die Coalition und ihre Beschlüsse auf.
Von seinem Wunsche, eben durch Morris’ Vermittlung, Lafayette
an England abzugeben, war schon früher (S. 237) die Bede.
1 Memoires de Montagu 273. Den Kindern dieser Dame, welche die Samm
lung publicirten, ist der Brief ihrer Mutter bei Sparks, Morris 1,447, entgangen.
2 Wattenbach a. a. 0. 728. Ueber den Eindruck, den sie auf den Consul
Bonaparte machte, vgl. Lasteyrie 403.
3 Es waren nur noch 147 Pfund Sterling. Sparks, Morris I, 384.
4 Vgl. überhaupt Lafayette 30.
5 Sparks, Morris I, 447, Lasteyrie 381, Montagu 276.
0 ,Vespere que nous allons nous arranger et avoir la paix‘ sagte er zum
Tröste zu Frau v. Lafayette. Memoires IV, 272. Wegen der entsprechen
den Aeusserung .Thugut’s vgl. oben S. 237, Anm. 1.
Lafayette in Oesterreich.
243
Das ist die Lage, in welcher die bisher und auch von
mir selbst ganz irrig aufgefasste französische Scheinvermittlung
eintrat. Ihre Anfänge' fallen noch zu Ende des Jahres 1796
und zu Beginn des folgenden. Denn in einer Depesche des
Generals Clarke vom 14. Thermidor des Jahres V (1. August 1797)
ist von privaten Schritten (demarches particulieres) gesprochen,
welche er in der Angelegenheit seit nahezu acht Monaten (pres
de huit mois) unternommen habe. 2 In den Präliminarien von
Leoben ■— weder in den öffentlichen noch in den eilf geheimen
Artikeln vom 18. April 1797 — ist von den Olmützer Gefangenen,
wie ich mich durch Einsichtnahme der authentischen Akten
überzeugt habe, durchaus nicht die Rede; es ist nur eine
irrige Schlussfolgerung, wenn man in Artikel 9, welcher die
Herausgabe der beiderseitigen Kriegsgefangenen sofort nach
Ratification der Präliminarien bestimmt, eine Absicht auf die
Olmützer Gefangenen finden wollte, die gar nicht in diese Kate
gorie gehörten.
Erst nach dem Abschlüsse der Präliminarien, die allein
Bonaparte’s Unterschrift zeigen, langte General Clarke an. 3
Hierauf — gewiss ist nur, dass es längere Zeit vor dem
1. August geschah 4 —■ haben Beide in Leoben mündlich und,
nachdem sie Leoben verlassen hatten, 5 schriftlich über die
1 Camille Perret, der bei den betreffenden Gesprächen in Wien genannt
wird, erscheint zuerst in der Liste der Personen, für welche Clarke am
5. December 1796 bei seiner beabsichtigten Botschaft zur Abschliessung
eines Waffenstillstandes in Wien freies Geleite verlangte, als secretaire
de legation. (Staatsarchiv.)
2 Das Schreiben folgt vollständig unten S. 250 f. Ich bemerke, dass auch die
erhaltenen Acten zur Vorgeschichte der Präliminarien von Leoben (vgl.
Sybel, Revolutionszeit IV, 364 f. 2. Aufl.) den Gegenstand nicht berühren.
Die Besprechungen mit dem Baron Vincent und dem Marquis Gherardini
deren Clarke gedenkt, werden in Clarke’s Schreiben jene am (14. Nivose
an V) 5. Dec. 1796, diese am 13. März 1797 erwähnt. (Staatsarchiv.)
3 Sybel IV, 497 f.
4 Das ergibt sich aus dem Anfänge des unten (S. 250)’ analysirten Schreibens
von Clarke und damit fällt die irrige Datirung nach dem Schreiben
Carnot’s vom 1. August 1797 in den Memoires und darnach in der corre-
spondance de Napoleon I, t.. III, p. 302 der Quart-, 228 der Oetavausgabe
mit der ,date pr6sumee d’Udine, 23. Thermidor an V. (10. Aoüt 1797).“
5 Ils ont dejä eu l’honheur de l’entretenir ä Leoben sur cet objet. Me
moires IV, 294.
16*
244
B ü d i n g e r.
Befreiung Lafayette’s Wünsche geäussert. Dieselben waren an
den Marchese di Gallo gerichtet, der ohne Erneuerung seiner
Vollmachten 1 auch nach Abschluss der von ihm in erster Stelle
Unterzeichneten Präliminarien die Unterhandlungen mit Bona
parte weiter führte. Von Bonaparte’s eigener Hand waren die
Restrictionen 2 in dem, formell auch von Clarke — obwohl er
gerade diese Restrictionen missbilligte -—• mit unterschriebenen,
bisher nur in undatirtem Abdrucke zum Vorschein gekommenen
Schreiben verfasst.
Diese Note spricht von dem ,Interesse', welches das Direc-
torium ,an dem Geschicke (sort) der Gefangenen von Olmütz'
nehme, erneuert die Vorstellung (instance) im Namen ihrer Re
gierung. Die Bevollmächtigten hoffen, dass Gallo seine guten
Dienste anwenden werde, ,dass die genannten Gefangenen in
Freiheit gesetzt werden und die freie. Wahl (faculte) haben,
sich nach Amerika oder in jede andere Gegend zu begeben
(se rendre), ohne dass sie sich jedoch gegenwärtig nach Frank
reich begeben können'. Der Kaiser werde hiedurch einen neuen
Beweis seiner Humanität geben, das Directorium verpflichten
und selbst zur Consolidirung der innern Ruhe der Republik
beitragen.
Schon diese Form des Ersuchens war eine wenig ver
hüllte Mittheilung, dass die Befreiung eines Mannes, dessen
Anwesenheit in Frankreich Bonaparte’s Planen nur beschwerlich
sein konnte, dem General keineswegs am Herzen liege. Noch
deutlicher war aber die mündliche Erklärung, die man von
Tbugut ohne Namennennung (l’on a temoigne) erfährt, dass
neben Frankreich auch Italien, das rechtsrheinische Gebiet und
vielleicht Holland' ausgeschlossen wurden. 3 Mit vollem Rechte
konnte Tbugut später 4 den General Clarke erinnern, dass er
1 Sybel, Revolutionszeit, 2. Aufl. IV, 534.
2 Memoires IV, 368 und 366; V 150 n.
3 Meraoires IV, 368 und für das Folgende 366.
4 Vous aurez ete instruit par Mr. Perret (vgl. oben S. 243 Anm. 1), que
les trois prisonniers d’Olmutz auroient ete dejk mis en libertd, si l’on
avoit determine l’endroit ou Ton devoit les conduire et les remettre.
L’on a temoigne, que l’on ne pouvoit les recevoir ni en Italie rii en
France, ni meine au delü du Rhin, ni pent-etre en Hollande. Thugut an
Clarke aus Wien, 12. August 1797. Copie im Staatsarchiv.
Lafayette in Oesterreich.
245
dessen Secretär schon erklärt habe, man würde die Gefangenen
entlassen haben, wenn man nur wisse, wohin sie führen und
wem sie übergeben.
Lafayette’s Freunde im Directorium nun wünschten, dass
er nach Frankreich zurückkehre und auf dem Lande mindestens
einige Zeit lebe. 1 Der Kampf zwischen ihnen und Bonaparte’s
Werkzeugen, der erst mit dem Siege der letzteren in der Um
wälzung des 4. September (18. Fructidor) enden sollte, spiegelt
sich aber auch in diesen ziellosen Unterhandlungen.
Bereits am 4. Mai hatte Thugut mit dem Grafen Colloredo
über die Angelegenheit eine Besprechung. 2
Nunmehr erst hat der Kaiser, so viel man sieht, per
sönlich eingegriffen. Er hatte Niemand gegenüber sich zur
Freilassung der Gefangenen verpflichtet. 3 Thugut aber wünschte,
wie theils erwähnt wurde, theils noch deutlicher hervortreten
wird, die Angelegenheit durch Entfernung 1 der Gefangenen
aus Oesterreich, das sich ganz unnütz mit ihnen beladen hatte,
so rasch als möglich von sich abzuwälzen. Er hat das Freund
und Feind, vertraulich und offen auf das unzweideutigste zu
erkennen gegeben. Aber eine so stürmische Erledigung der
Sache, dass man die Gefangenen einfach freigebe oder etwa
an der Grenze ihrem Schicksale überliesse, war doch auch
unthunlich. Die Rücksichten auf ihren Rang, ihre Bezie
hungen zu einheimischen fürstlichen Familien schlossen jede
Schroffheit aus. Anderseits konnte die Regierung, wenn sie
auch nur Depositarin von Gefangenen der aufgelösten Coalition,
Maudatarin durch die Ereignisse überholter Verfügungen der
Repräsentanten Gesammteuropa’s war, sich nicht in offenbaren
Widerspruch mit sich selbst setzen. Ausdrücklich und feierlich
betont Thugut, dass der Kaiser selbst die Unverträglichkeit der
1 Memoires IV, 366.
2 J’ajoute la lettre concernant Lafayette dont j’ai eu l’honneur d’entretenir
V. E. aujourd’hui. Vivenot, vertrauliche Briefe II, 35. Die Vermuthung
liegt nahe, dass der betreffende Brief eben der der Bevollmächtigten an
Gallo sei; doch scheint mir das Datum etwas früh.
2 — bien que Sa Majeste n’ait contractä aucun engagement pour leur
dÄlivrance. Instruction Thugut’s im Anhang D. So sagte denn auch
Chasteler zu Lafayette: II u’est contracte aucun engagement par rapport
h votre liberte. Anhang E.
246
B ü d inger.
laut bekannten Grundsätze Lafayette’s und seiner Gefolgsleute
,mit denjenigen, welche die Grundlage der Ruhe seiner Staaten
bilden' durch das schriftliche Gelöbniss derselben constatirt zu
sehen verlange, ohne specielle Erlaubniss nie mehr nach Oester
reich zurückkehren zu wollen. 1 Der Kaiser verlangte eben,
wie seine fürstlichen Ahnen von so manch gefangenem Edel
mann, von diesen französischen Rittern das Gelöbniss der
Urfehde. Das Gelöbniss hat aber hier die Bedeutung, dass
die Grundsätze der kaiserlichen Erbmonarchie und des neu
französischen Staates als sich gegenseitig ausschliessend erklärt
werden.
Zur Verhandlung mit den Gefangenen wurde eben der
Officier ausersehen, unter dessen Obhut sie sich vor fünf Jahren
befunden hatten, da sie als Flüchtlinge von der französischen
Armee Schutz suchten: der damalige Commandant von Namur. 2
Es war der Generalmajor Marquis Johann Gabriel von Chasteler,
der seiner Treue, seiner Bildung — er sprach zwölf Sprachen —
und seiner Gewandtheit halber für den Auftrag vorzüglich
geeignet erscheint. 3
Lafayette selbst in den Memoiren und seine Tochter, Frau
von Lasteyrie, iu dem Leben ihrer Mutter haben die Haupt
momente dieser Verhandlung mit der lautern Wahrhaftigkeit
geschildert, die alle ihre Worte kennzeichnet und die nun auch
von Chasteler selbst bestätigt wird. Hier dürften nur folgende
Momente als für den allgemeinen Gang der Begebenheiten
erheblich hervorzuheben sein.
Man wird noch einmal an die Zeiten Ferdinand’s II. und
Wallenstein’s Katastrophe erinnert oder, unpersönlich gefasst,
an das universelle Bedürfniss dieser Monarchie, wenn man liest,
wie in des Kaisers Dienste der General aus Belgien mit dem
1 — l’incompatibilite des principes, qu’ils avoient professes et ne eessoient
de professer hautement avee ceux qui font la base de Ia tranquillite de
Ses Etats, mettoient S. M. dans le cas d’exiger d’eux la promesse par
6crit, qu’ils ... ne rentreroient en aucun temps dans ses provinces Mre-
ditaires saus une permission speciale. Anliang' D. Chasteler bat das Alles
Lafayette wörtlich wiederholt, wie Anhang- E zeigt.
2 Chasteler’s Bericht im Anhang E, vgl. Memoires III, 410.
3 Geboren im Januar 17(33, gestorben im Mai 1815. Biogr. univ. de
Bruxelles 1843 u. d. Namen.
Lafayette in Oesterreich.
247
Hauptmann schottischer Abkunft, dem die Bewachung der
französischen Gefangenen vertraut ist, über ihre Haltung ver
handelt. Ueber die Klagen der Gefangenen habe ich dem an
einem andern Orte Gesagten 1 nichts hinzuzufügen; man kann
nur mit Bedauern lesen, dass eine herrliche Seele, wie sie in
Frau von Lafayette wohnte, durch langes Unglück so weit
gedrückt ward, um über die Langweiligkeit eines Militärdieners
zu klagen und sich von Chasteler belehren lassen zu müssen,
dass ein Staatsgefängniss kein Salon sei. Lafayette selbst
erscheint einige Male aufgeregt, aber stets mit dem reinen
Adel seiner hohen Gesinnung. Auch er sagt, wie etwa einer
seiner gräflichen Vorfahren in der Auvergne in ähnlichem Falle
zu einem Baillif Philipp’s des Schönen gesagt haben würde:
,Ich habe dem Kaiser über mein Betragen und meine Absichten
für die Zukunft keine Rechenschaft zu geben'. Aber er liess
sich doch bald zu der Erklärung herbei: ,Sicherlich werde ich
nach meiner Befreiung in keinem Falle in Seiner Majestät
Staaten zurückkehren; dazu verpflichte ich mich; aber ich habe
Pflichten gegen die Vereinigten Staaten und gegen mein Vater
land Frankreich. Das Letztere kann von mir einen Kriegs
dienst verlangen, den kein Bürger verweigern darf: ich könnte
auch mit einer diplomatischen Mission betraut werden; diese
beiden Fälle ausgenommen übernehme ich das verlangte Ge-
löbniss'. Nur vergeblich waren Chasteler’s in der That wenig-
bedeutende Einwendungen und es würde wohl — selbst wenn
er darauf bestanden haben würde 2 — kaum erhebliche Schwierig
keiten verursacht haben, den von Lafayette gewünschten Vor
behalt einer Verwendung in Frankreichs militärischem oder
diplomatischem Dienste aufzunehmen. 3 Der Zusatz in der
1 Lafayette 7 und 44 f. Doch glaube ich jetzt, dass der Comraandaut dem
Wunsche nach Separation der beiden Töchter bei Erkrankung der einen
hätte nachgeben sollen. Die Klagen erinnern im Ganzen an die meist
eben so unbegründeten über die Behandlung Napoleon’s auf St. Helena,
dem ebenfalls, bis er sie missbrauchte, Anfangs grössere Bewegungsfrei
heit gestattet war.
2 Er sagt bei der ersten Unterredung zuletzt: qu’il les croie necessaires ä lui.
3 Die von Lafayette schriftlich verlangte Formel scheint freilich viel weiter
gegangen zu sein, so dass Chasteler (Anhang E) sagt: les restrictions
qu’il mettait ä l’engagement — le rendaient pour ainsi dire nul.
248
Büdinger.
factiscli von den Gefangenen ausgestellten Verpflichtung 1 besagt
aber viel allgemeiner: ,mit Vorbehalt der Rechte meines Vater
landes über meine Person'.
Lafayette hatte nämlich das Zugeständniss erwirkt, dass
er sich mit seinen Haft- und Fluchtgenossen Latour-Maubourg
und Bureaux de Puzy 2 über die Formel verständigen dürfe:
er hätte es für eine Niedrigkeit gehalten, ohne Vereinbarung mit
ihnen eine Verpflichtung einzugehen. 3 Bei dieser Besprechung
dürfte der Hauptmann Bureaux de Puzy wiederholt haben,
was er sehr bestimmt Chasteler seihst direct sagte, dass er die
Pflichten reserviren müsse, welche ihm, im Falle bleibender
Ausschliessung aus Frankreich, ein neues von ihm noch zu
suchendes Heimatland gegen Oesterreich auferlegen könne. 4
Ein solcher Gedanken hat Lafayette und auch dem hitzigen
Latour-Maubourg durchaus fern gelegen und erklärt erst die
Fassung mit dem ungenannten Vaterland. 5
Die Unterredungen Chastelers mit Lafayette hielten sich
stets in den Grenzen der äussersten Urbanität. Dennoch trat
der universalhistorische Gegensatz zwischen Lafayette’s Ueber-
1 Je auf einem Quartblatt beiliegend: Je soussigne m’engage envers Sa
Majeste 1’Empereur et Roi de n’entrer dans aucun tems dans ses pro-
vinces herdditaires sans avoir obtenu sa permission speciale, sauf les
droits de ma patrie sur ma personne.
A Olmutz le 26 juillet 1797. Lafayette unterzeichnet in dieser
Namensform neben dem Worte: personne. Die beiden Anderen setzen
neben dies Wort nur ein f (fin) und ihre Namen rechts neben, doch
etwas unter das Datum. (Staatsarchiv.)
2 So unterzeichnet er selbst seinen Namen hier und auf der Quittung über
sein Eigentlium bei der Entlassung in Olmütz. (Registratur des Reichs
kriegsministeriums 1797 Lit. G. n. 11921.)
3 Je serai fort aise d’etre hors d’ici le plus tot possible; mais je ne veux
point faire de bassesse; je desire me concerter avec mes compagnons
d’exil. — Talleyrand war übrigens von der Formel der Gefangenen
entzückt. Memoires IV, 364.
4 II appuya avec plus de feu et de fermete que les autres sur la necessite
de reserver dans rengagement ... les droits de la nouvelle patrie qu’il
adoperait, si la France le repoussait de son sein.
5 Puzy, ,dessen melancholische Züge das Gepräge langer Leiden tragen 4 ,
erschien übrigens den Hamburger Damen interessanter als Lafayette, wird
auch von einem so trefflichen ßeurtheiler, wie dem Amtmann Hennings,
gerühmt. Wattenbach, Heidelb. Jahrb. 1870, 728 f.
Lafayeite in Oesterreich.
249
Zeugungen und dem eines Vertreters der alten Staatsordnungen
vielleicht nie unverhüllter zu Tage. Nicht Chasteler, der in
seinem Berichte diese theoretischen Discussionen ganz über
geht, aber Lafayette und seine Gemahlin sind darauf auf
merksam geworden. Chasteler erklärte, der Getangene werde
,in Europa als das Haupt der neuen Lehre betrachtet', worauf
dieser scherzend die Ehre hervorhob, dass der Kaiser mit ihm
als Macht zu Macht (de puissance a puissance) verhandle. Am
Ende gestand doch Chasteler ihm zu: ,Sie sind nicht mehr
gefährlich, denn Ihre Grundsätze sind jetzt in dem Munde aller
Welt'; im Uebrigen brauche er sich nicht zu bekümmern, dass
man ihm den Aufenthalt in Deutschland verwehre; denn seine
Lehre von den Menschenrechten habe dort jetzt genug Apostel. 1
Konnte aber vollends dem Kaiser die hier ausgestellte,
unerhörte und eigentlich unmögliche Formel der Urfehde ge
nügen ? Liess sich nicht vielmehr sagen, dass sie eventuell
die Entlassenen zu allen Agitationen im Interesse ihres alten
oder neuen Vaterlandes in den Erbländern berechtige und den
Conflict ihrer neuen Lehren mit den in Oesterreich gelten
den Grundsätzen, der ausgeschlossen werden sollte, gleichsam
provocire ?
Chasteler kehrte am 27. oder 28. Juli 1797 nach Wien
zurück und der Kaiser entschloss sich zunächst nicht zu einer
Freilassung der Gefangenen. Noch in einem gleich zu er
wähnenden Schreiben Thugut’s bricht dessen tiefer Unmuth,
über die, wie er meint, frivolen Schwierigkeiten durch, welche
ihm dieselben bereitet haben. 2
Die nächsten Actenstücke machen den Eindruck, als ob
Thugut eine sanfte Gewalt zur Erledigung der Sache nicht
ungern gesehen hätte, wenn er nicht gar einer solchen dem Hofe
gegenüber bedurfte. Es war aber die volle und reine Hin
gebung eines Mannes an die Sache der Befreiung, welche
die Schwierigkeiten lösen half. Louis Romeuf, der dies Ver
dienst in Anspruch nehmen kann, hat seinen sonst wenig
1 Jenes nach der Erzählung Lafayette’s an Hennings bei Wattenbach a. a. O.
730, dieses nach der der Frau von Lafayette, Meinoires IV, 295 f.
2 An den Gesandten in Hamburg Baron Buol-Sehauenstein am 9. August 1797
im Anhänge F.
250 Büdinger.
bekannten Namen durch diese Hingebung verewigt und nicht
durch seine spätere militärische Laufbahn, die mit seinem Tode
als General in der Schlacht von Borodino am 7. September 1812
endete. 1
Er war einst Adjutant Lafayette’s als Befehlshabers der
Pariser Nationalgarde und im Feldzuge von 1792 gewesen 2 und
wird am 1. August 1797 von dem französischen Friedensbevoll
mächtigten, Divisionsgeneral Clarke, als der französischen Armee
attachirt bezeichnet. 3 Die Pflichten der Freundschaft führten
ihn nach Wien; sein officieller Auftrag bestand aber nur in der
Ueberbringung von Depeschen an den nunmehr nur wieder als
neapolitanischen Gesandten figurirenden 4 Gallo. Clarke suchte
ihm eben — ohne jeden höhern Auftrag — die Mittel zu
gewähren, nach Wien zu gelangen und hielt sich überzeugt, dass
alle Gedanken Romeuf’s auf das Befreiungsziel gerichtet seien,
welches er freilich ohne Thugut’s grossmüthige Unterstützung
nicht erreichen werde. 5 Seit nahezu acht Monaten — wie
1 Dort nennt ihn auch Thiers 1. 44 unter den hervorragenderen der ge
fallenen Generale.
2 Memoires IV, 248. So bezeichnen ihn auch Thugut und Buol, An
hang F und G nur als ancien aide de camp de Mr. de Lafayette.
Er flüchtete mit Lafayette aus Frankreich, Unterzeichnete die Protestation
gegen die Verhaftung in Rochefort, schied tiefgerührt von Lafayette bei
dessen Abführung nach Luxemburg und zeichnete in einem Briefe an
Puzy dessen damalige letzte Worte für das französische Volk auf, ehe
er seinen zweimonatlichen Arrest in Antwerpen antrat. Memoires III,
409—412. Vgl. oben S. 231.
3 Das betreffende, für diese Untersuchung überaus wichtige Schreiben gebe
icb in dieser und den folgenden Anmerkungen vollständig. Monsieur le
Baron! La personne, qui vous remettra la presente, est le citoyen Romeuf,
officier attache ä l’armee Franchise. (So nennt sich Romeuf selbst in
dem im Anhang M abgedruckten Schreiben an Thugut: officier franpais
expedie par les plenipotentiaires franfais aupres de votre excellence —
was Alles mindestes ungenau ist, aber dem Titel entspricht, den er sich
nach Anhang H bei Parish gegeben hat: officier de l’etat major de l’armee
Fran^aise, envoye d’Italie k Vienne par les plenipotentiaires Franc;.ais.)
4 Des devoirs sacres d’amitie le conduisent ä Vienne oü il a d’ailleurs des
depeches k remettre k son Excellence M r le M is De Gallo, ambassadeur
de Sa M. Sicilienne pres Sa Majeste l’empereur et roi.
'•> J’ai parfaitement senti en cherchant ä lui faciliter les moyens d’arriver
dans cette capitale, que le principal objet de son voyage, celui au succes
Lafayette in Oesterreich.
251
bemerkt — hatte sich Clarke in Privatbesprechungen mit Vincent
und Gherardini in der Angelegenheit bemüht, dazu officielle
Forderungen im Namen des Directoriums ,in Verbindung mit
dem General Buonaparte gestellt, welche ohne Zweifel Erfolg
gehabt haben werden' — auf die er, mit anderen Worten keine
Antwort erhalten hatte. 1 Nun erscheint Romeuf, der im Falle
ihrer Befreiung ihnen ,werthvolle Tröstungen' bringen kann,
deren sie während so langer Zeit beraubt gewesen sind. 5 Die
,Tröstungen' werden wohl Nachrichten von ihren Angehörigen
und von der Erhaltung mindestens eines Theiles ihres Grund
besitzes sein, und Clarke’s Wunsch scheint nur dahin zu gehen,
dass Romeuf den Gefangenen im Momente ihrer Befreiung
beigesellt werde. Ob eine solche überhaupt schon ausführbar
sei, scheint freilich Clarke selbst zweifelhaft gewesen zu sein.
Er fügt daher hinzu, dass er überzeugt sei, der Kaiser
werde persönlich den Gefangenen gern diese Erleichterung
gewähren; in diesem Sinne sei er so frei, dem Minister ,die
verschiedenen Forderungen Romeuf’s' angelegentlich zu em
pfehlen. 3
Das Schreiben hat, wie man sieht, keinen officiellen
Charakter; aber Clarke gibt ihm doch, indem er seine bleibende
militärische und momentane diplomatische Stellung in der
Unterschrift hervorhebt, ein grösseres Gewicht. 1
duquel toutes ses affections et toutes ses pensees sont attachees, ne pou-
vait etre rempli, si vous ne veniez genereusement ä son appuy.
1 Lea demarches particulieres que j’ai fait depuis pres de huit mois tant
aupres de M r le B on de Vincent que de feu M r de Gherardini et les
demandes officielles que j’ai presentees — gibt es in der That noch eine
ausser der oben S. 244 erwähnten? — au nom du directoire executif de
la republique Francjaise conjointement avec le General Buonaparte auront
sans doute ete aecueillies par le sueces.
2 Le citoyen Romeuf, ami des familles des trois prisonniers peut au moment,
oü ils seront rendus h la libertd, leur presenter des consolations pretieuses
dont leur longue captivite les a prive depuis tant de temps.
3 Persuade que Sa Majeste imperiale et royale se fera elle-meme un plaisir
de permettre cet adoucissement ä leurs peines, je prends la liberte de
vous recommander particulierement les diverses demandes qu’il doit
vous faire.
4 Le general de division, ministre plenipotentiaire de la republique fran-
9aise pour la paix avec l’Autriche G. Clarke. Udine le 14 Thermidor
an 5 e (1 er Aoirst 1797 V. S.).
252
B ü d i ij g e r.
Thugut war zu scharfsichtig, um nicht die Verlegenheit
zu erkennen, in welcher sich Clarke mit seinen guten Absichten
befand. Er antwortete daher, wie schon früher bemerkt
(12. August 1797), dass die kaiserliche Regierung die Gefan
genen längst entlassen hätte, wenn man nur wisse, wohin man
sie bringen könne. ,Lafayette schien aber' — so fährt er fort 1
—,darauf zu bestehen, nach Frankreich zurückkehren zu wollen'.
Ein Actenstück, auf das diese Behauptung sich gründete, habe
ich nicht gefunden; an ihrer Richtigkeit lässt sich nach La-
fayette’s Verfahren als er in Holstein die volle Freiheit und
seine Gemahlin den dringenden Wunsch hatte, nach Amerika
auszuwandern, durchaus nicht zweifeln. 2 Von diesen Schwierig
keiten sprach Thugut, nachdem er seinem Aerger über Lafayette,
die Menschenrechte und den neuerlichen Revers gründlich
Luft gemacht hatte, wohl auch mit Romeuf 3 und versicherte
Clarke schliesslich, dass schon seit einiger Zeit durchaus kein
weiteres Hindex-niss gegen die Befreiung bestanden habe. 4
Inzwischen war über den künftigen Aufenthalt der Gefangenen
mit Clarke’s Secretär Perret in Wien mündlich vei’handelt
worden und damals zuerst ist — doch wohl nach einer Aeusse-
rung Lafayette’s (vgl. Anm. 2) — der Gedanken aufgetaucht,
Lafayette dem ehemaligen 5 Consul der Vereinigten Staaten
1 Die beiden ersten Sätze von Thugut’s Antwort sind bereits oben S. 244,
Anm. 4 gegeben. Dann folgt: et de son cot/: M r de la Fayette a paru
insiste k vouloir retourner a France. Den Verfolg des Briefes geben
die Anm. 4 und S. 253 Anm. 2.
2 Lafayette 29. Doch sagt er privatim zu Cliasteler nach dessen im An
hang E abgedruckten Berichte nur: Je vous dirai bien, comme M r de
Chasteler, que mon dessein est toujours d’aller en Amerique; mais que,
prive de toutes nouvelles pres de quatre ans, je ne puis savoir dans quel
etat y sont mes affaires; je desirerais donc dans le cas ou S. M. l’empereur
me rendit ma liberte me rendre dans un port, k Hambourg par
exemple, pour y attendre des nouvelles des Etats-unis.
3 Memoires IV, 298 f.
4 Thugut fährt fort: J’ai fait part de ces difficultes k M r Romeuf, qui m’a
remis la lettre que vous m’aves fait l’honneur de m’ecrire et je puis
Vous assurer, que depuis quelque tems d/jä il n’a pas existe d’autre ob-
stacle k la delivrance de M r de la Fayette et des autres prisonniers
d’Olmutz.
5 Ich entnehme einem mir freundlich zur Verfügung gestellten Auszuge
aus dem Hamburger Staatsarchive, dass der dortige aus Leith in England
!
Lafayette in Oesterreich. 253
John Parish in Hamburg zur Einschiffung nach Amerika zu
übergeben. Thugut’s Wunsch ging nun dahin, dass Clarke,
wohl durch Vermittlung des Directoriums, die etwa nöthigen
Verabredungen mit jenem Consul treffe. Auf diese Weise
allein, meint Thugut, ,werden unsere (österreichischen) und
Eure (französischen) Schwierigkeiten gleichmässig beseitigt'. In
diesem Sinne hat er bereits, um die Angelegenheit so sehr als
möglich zu beschleunigen, Romeuf einen Pass nach Hamburg
ausstellen lassen und ihm geradezu Aufträge an Parish ertheilt,
wie sich denn Romeuf dem Letztem, wunderlich genug, auch
als Beauftragter Thugut’s vorstellte. 1 Auf weitere Darlegungen
— und wir wissen wie verwickelt selbst uns die Angelegenheit
erscheint, in der wir doch nicht Thugut’s Verantwortlichkeit
tragen — lässt sich der Minister nicht schriftlich ein, verweist
aber auf Gallo als einen mit der Sachlage völlig Vertrauten,
schliesst übrigens mit einem bei ihm nicht ganz gewöhnlichen
Ausdrucke von Hochschätzung gegen Clarke. 2
stammende Bürger John Parish am 12. Juli 1793 das Exequatur als
Consul der Vereinigten Staaten erhielt und dies Amt am 30. Deceraber 1796
niedorlegte. Sein Nachfolger Samuel Williams erhielt das Exequatur am
26. Januar 1797, ging aber schon im März 1798 als Consul nach London.
Wenn trotzdem nicht Williams sondern Parish — ,ancien consul“, wie ihn
BuoFs Depeschen bezeichnen — in Lafayette’s Angelegenheit figurirt, so
weiss ich das nicht zu erklären. Parish hatte der Frau von Lafayette
den auf den Namen Motier lautenden Pass nach Wien ausgestellt, der
ihr so nützlich ward (Lasteyrie 352) und ihre Geldangelegenheiten während
der Haft vermittelt.
1 La mission, dont il (Romeuf) a ete cliarge par M*' le baron de Thugut.
Anhang- H.
2 Je pense, Monsieur, que d’apres ce qui en dernier lieu a ete eoncerte
ici avec M r Perret, Vous pourr4s Vous entendre avec le consul des Etats-
unis de FAmerique ä Hamburg k l’effet que les prisonniers soyent eon-
duits dans cette ville et lui soyent remis pour qu’il veuille bien les faire
embarquer. Ils sortiront par ce moyen de 1’AlIemagne oü Vous sentes,
Monsieur, qu’ils ne peuvent pas rester, et ils n’iront point dans les endroits,
on Vous dites qu’ils ne peuvent etre requs, ce qui eonciliera vos diffi-
cultes et les notres. Je ne doute pas que M 1 ' Romeuf, ä qui il a 6t6
donne un passeport, pour se rendre k Hamburg, ne s’employe avec succ&s
auprfes du consul de l’Amerique pour accelerer l’arrangement de eet objet,
sur le quel d’ailleurs, ainsi que sur notre ddsir sincere de la voir
terminer au plutot ä votre satisfaction, M r le Marquis de Gallo Vous
fournira toutes les explications que Vous pourrds lui demander. Recev6s,
ä
254
Büdinger.
P
Von den gespannten diplomatischen Beziehungen 1 Frank
reichs zu denVereinigten Staaten scheint Thugut keine Nachricht
gehabt, auch die Stellung eines amerikanischen Consuls in Ham
burg ganz verkannt zu haben, wenn er meinte, derselbe könne
Lafayette in ein Schiff bringen lassen. So eilig war ihm aber
die Sache, dass Romeuf’s Pass nach Hamburg vom 8. August
datirt wurde. 2 Vom folgenden Tage datirt ein wundersamer
Brief des Empfohlenen, der sich selbst zu einer Art von Ab
gesandten stempelte. In diesem längst bekannten Schreiben, 3
das Thugut unbeirrt an Lafayette gelangen liess, geht er so
weit, einen neuen Kriegsausbruch anzukündigen, wenn die Ge
fangenen nicht freigelassen würden. 4 Dazu war er, wie man
aus Clarke's Brief ersieht, nicht nur nicht autorisirt — wenn
nicht noch ganz andere, mit demselben in Widerspruch stehende
Instructionen Bonaparte’s supponirt werden, die Niemand ge
sehen hat — sondern er gab der Angelegenheit eine drohende
Gestalt, die Thugut schwerlich imponiren konnte, nach dessen
Weisungen er vielmehr durch die Reise nach Hamburg und
auf derselben verfuhr. 5 Der Wahrheit gemäss schreibt er denn
auch im nächsten Monate (Anhang E) an Thugut, die Befreiung
der Gefangenen betrachte er ,als eine Gnade desselben, die
über jeden Preis gehe, und für die er eine lebhafte Dankbar
keit bewahren werde'; sollte sie nicht erfüllt werden, so bittet
iifi
1CTJ'
Monsieur le General, l’assurance de mes Sentiments tres distingues d’estime
et de consideration.
1 S. oben S. 230 Anm. 2.
2 Das Datum in einem Berichte des Gesandten in Dresden, Grafen Emerich
zu Elt.z, ddo. 17. Sept. 1797. (Staatsarchiv.)
3 Memoires IV, 299. Die Lafayette 53 ausgesprochene Vermuthung, dass
der Brief vom 9. September statt 9. August zu datiren sei, erledigt
sich, da sich nun zeigt, dass er auf die Freilassung, wenn überhaupt, so
keineswegs einen unmittelbaren Einfluss übte. Romeuf mag immerhin in
gutem Glauben gehandelt haben, wenn er Lafayette — und nach dessen
und seiner Damen Darstellung auch mir — die Meinung beibrachte, dass
Bonaparte etwas Ernstliches in der Angelegenheit gethan habe. Viel
mehr ist Morris im Rechte, vgl. die Anm. S. 260.
4 Keinen anderen Sinn können doch die schon Laf. 52 citirten Worte haben,
dass die französischen Generale ihren Schritten eventuell weitere Folge
geben würden.
5 Du voyage .. . que vous avez bien voulu diriger, sagt er selbst, Anhang M.
Lafayette in Oesterreich.
255
er nur um einen Pass zu schleuniger Rückkehr zu seinem
General (mon general) in Italien. Und nicht nur Thugut gegen
über, wo solche Worte am Ende doch auch unerklärlich wären,
wenn Romeuf wirklich französische Kriegsdrohungen hinter
sich gehabt hätte, äussei't er sich in dieser demüthig flehenden
Weise. Dem kaiserlichen Gesandten in Hamburg gegenüber
(Anhang G), der über die Sachlage unterrichtet war, ,hat er
sich darauf beschränkt, die lebhaftesten Vorstellungen (instances)
zu wiederholen', dass derselbe doch Thugut,anflehen' möge (pour
que je suppliasse V. Exc.), die Entlassung der Verhafteten zu
beschleunigen.
Erwägt man nun, dass Clarke’s Empfehlungsbrief vom
1. August, gleichzeitig mit Depeschen an den Marquis Gallo,
in Udine Romeuf eingehändigt, sein österreichischer Pass nach
Hamburg aber schon am 8. ausgestellt ward, so kann man
nur annehmen, dass der Brief vom 9. trotz der unzwei
deutigen und doch ganz unbegründeten Drohung, Thugut’s
Intentionen mindestens nicht widersprach. Nach diesen hatte er
die Zusage erhalten, die Befreiung werde eintreten, sobald
eine noch zu besprechende Verpflichtung Parish’s aus Hamburg
in Thugut’s Hände gelangt sei, 1 und seinerseits, wie wir sahen,
sich einfach an Thugut’s sonstige Weisungen gehalten. Wenn
er aber das weitere Zugeständnis erhielt, an Lafayette einen
offenen Brief richten zu dürfen, so wird man doch anzunehmen
haben, dass dieser Brief noch einem weitern Zwrnck als dem
persönlicher Tröstung der Gefangenen diente.
Ich glaube Thugut nicht Unrecht zu thun, wenn ich an
nehme, dass der Minister in klarer Erkenntnis der Lage des
Momentes und mit diesem Briefe in der Hand die Genehmigung
des Kaisers für sein neues Arrangement erwirkt hat.
Denn an demselben Tage (9. August) traf aus Petersburg-
Graf Cobenzl in Wien ein, der die Nachricht brachte, dass,
wie früher England, so nun auch Russland irgend welche
Unterstützung Oesterreichs gegen die französischen Forderungen
1 D’apres la parole positive que j’ai repu de V. E. — —. — la d61ivrance
des prisonniers que vous avez promis si positivement d’effectuer aussitöt
qu’on aurait rempli i Hambourg la condition. Anhang M.
256
Büdinger.
ablehne, 1 mit anderen Worten, dass die erste Coalition definitiv
gelöst sei. Damit war auch Oesterreichs Verpflichtung zur
Bewachung Lafayette’s erloschen.
Und so erging an eben diesem 9. August das Schreiben
(Anhang F) an den kaiserlichen Gesandten in Hamburg, Frei
herrn von Buol-Schauenstein, welches denselben mit ausdrück
licher und wiederholter Hervorhebung eines persönlichen Befehles
des Kaisers zur Eröffnung der entscheidenden Unterhandlungen
ermächtigte.
Thugut scheint die Genehmigung seines Planes nur münd
lich erhalten zu haben, wie denn für dies ganze Stadium der
Angelegenheit Lafayette’s kein Handschreiben des Kaisers
Franz sich in den Wiener Sammlungen vorfindet. Ob ein solches
doch noch sonst erhalten ist oder überhaupt erging, vermag ich
nicht zu sagen.
Der Auftrag an Buol ist weniger bestimmt, als die münd
liche Weisung an Romeuf. Buol wird nur verständigt, dass
der Kaiser beschlossen habe, die durch die eigene Schuld der
Gefangenen, d. h. durch ihren Zusatz zu der Urfehde, ver
zögerte Entlassung derselben, derart auszuführen, dass sie dem
,amerikanischen Consul Parish in Hamburg' 2 übergeben werden,
der ihren Transport nach Amerika oder Holland binnen einer
Woche nach ihrer Ankunft zu veranlassen habe. Romeuf hatte
den Auftrag, die entsprechende förmliche Zusage zu erwirken. 3
Beide hatten sich dann mit Parish zu verständigen, und 1 sobald
man über alle Punkte einig geworden sei, hatte Buol Bericht
zu erstatten, damit die sofortige Beförderung (le prompt achemi
nement) der Gefangenen nach Hamburg statthabe.
Parish war wie alle Agenten der Vereinigten Staaten über
die Absichten der Bundesregierung und des amerikanischen
Volkes genügend unterrichtet. 5 Sofort am 19. August 1797 stellte
er die verlangte Verpflichtung zwar nicht wegen einer Ein
schiffung, aber doch dahin aus, dass er sich ,mit all seiner Macht'
1 Sybel, Revolutionszeit IV, 017.
2 lieber das wirkliche Sachverhältniss war Thugut zunächst nicht unter
richtet und liess es später unbeachtet.
3 Anhang J, S. 286.
4 — des qu’on sera d’accord sur le tout. Anhang F.
5 Lafayette 51.
Lafayette in Oesterreich.
257
(de tout raon pouvoir), die freilich gar keine war, verbürgte,
die Gefangenen zu bestimmen, binnen zehn Tagen nach ihrer
Ankunft Hamburg und das rechtsrheinische Deutschland zu
verlassen. Zugleich gab er der Dankbarkeit des Volkes der Ver
einigten Staaten Ausdruck. 1 Im Uebrigen stellte er Romeuf
alle erforderlichen Geldmittel für die Gefangenen zur Verfügung
und wies einen Olmützer Kaufmann an, sie auszuzahlen. 2
Thugut blieb während dieser fernen Verhandlungen bei
seinen Voraussetzungen und sendete in diesem Sinne noch am
23. August zwei Briefe Lafayette’s an Romeuf und Parish zur
Beförderung an ihre Adresse durch Buol. 3
Inzwischen mochte doch Parish besorgt geworden sein,
dass die in seiner Erklärung fehlende Verpflichtung wegen der
Einschiffung die Befreiung verzögern könne und richtete schon
am 25. August ein Schreiben an Thugut, nach welchem die
Gefangenen bei ihrer Ankunft in Hamburg ein Schiff vor
linden sollten. 4
Romeuf aber glaubte, einmal so weit gelangt, nach Wien
zurückkehren, den Gefangenen ihre Befreiung ankündigen und
' Anhang H.
2 Anhang H und über den mit der Auszahlung betrauten Negocianten
Hirsch in Olmütz Anhang L und O, dazu die specific.ation (vgl. oben
S. 240 Anm. G), wonach er und Sassati die Zahlungen an die Frau von
Lafayette vermittelten.
3 Yous recevez ci-joint la reponse du M is de la Fayette k M. de Romeuf,
ancien aide de camp de ce prisonnier d’Etat, qui s’est rendu depuis peu
h Hambourg, pour ooncerter avec le consul Americain M. Parish le
moyens les plus propres pour le prompt transport de M. de la Fayette
avec ses compagnons soit en Amerique, soit en Idollande. Je vous prie,
Mr. le baron, de remettre des la reception de la presente la reponse sus-
dite ä son adresse. Quant ii son contenu il n’a besoin d’aucune remarque
partieuliere de ma part me bornant h me rapporter a cet egard aux
direetions consignees dans ma ddpeehe du 9 decembre (so für: de ce
mois). Je finis par Vous joindre egalement une lettre de M r de la Fayette
pour M. Parish etant au reste avec une eonsiddration tres parfaite . .
Vienne 23 Aout 1797. (Staatsarchiv.)
4 — un vaisseau pret h faciliter leur passage en Amerique. Anhang .1.
Das war nun freilich auch nicht die von Thugut gewünschte Zusicherung.
Dieser neue Brief kam übrigens erst Ende September in Wien an, als
die Gefangenen schon entlassen waren, wie man aus Thugut’s Antworts-
concept vom 14. October entnimmt, das ich im Anhang O publicire.
Sitzungsfoor. d. pliil.-liist. CI. XCil. Bd. I. Hft. 17
258
Büdinger.
sie nach Hamburg geleiten zu können. In diesem Sinne hatte
er wiederholt durch Parish bei Thugut um die Erlaubniss
seiner Rückkehr und bei Buol selbst um einen Pass nach Wien
nachgesucht, den dieser aber verweigerte. Romeuf nahm die
Ablehnung zwar ruhig und indem er nur seine Freilassungs
bitten wiederholte, hin, 1 reiste aber ohne Abschied von Buol 2
nach Dresden, um dort die Ankunft der Befreiten zu erwarten.
Ich habe nicht feststellen können, ob der langsame Posten
lauf jener Zeit, die nicht ganz entsprechende Erklärung Parish’s
oder neue Bedenken bei Hofe den Beschlusss der Freilassung
verzögerten. In den ersten Tagen des September mussten
Parish’s und Buol’s Briefe in Thugut’s Händen sein, wie ein
verspätetes Mahnschreiben Romeuf’s 3 mit Recht hervorhebt.
Aber erst am 9. September kann Thugut von dem kaiser
lichen Befehle der Entlassung der Gefangenen dem Hofkriegs-
rathe Nachricht geben, den er ersucht, 4 ,sie durch einen vertrauten,
vorsichtigen Officier auf ihrer ganzen Reise begleiten zu lassen*.
In einem Schreiben an Buol wiederholt er dann (13. September)
feierlich, dass von kaiserlicher Seite keine Verpflichtung (aucun
engagement positif) über die Sache gegen Frankreich über
nommen sei. Wenn er auch die Fassung missbilligte, 5 wonach
dieser , Wohltbätigkeitsact* nur aus Interesse für die Vereinigten
Staaten erfolgt sei, so erklärt er doch bestimmt, dass das
besondere Interesse, welches die Vereinigten Staaten der An
gelegenheit zuzuwenden scheinen, viel zu der kaiserlichen
Entschliessung beigetragen habe. Der Kaiser werde den Ver
einigten Staaten bei gegebenem Anlasse stets reelle Zeichen
seiner Freundschaft und seines Wohlwollens geben. 0 Die
1 Anhang H und G, und wegen der Absicht der lieise Romeuf’s nach
Olmiitz Anhang J.
2 — sans me laisser son adresse, daher Lafayette’s an Tlmgut übersendeter
Brief an ihn zunächst unbestellbar sei, schreibt Buol am 6. September 1797.
3 Anhang M.
4 Registratur des Reichskriegsministeriums, 1797, Lit. G, Bd. 21, p. 4612. —
Am 7. Sept. wollte Thugut wohl dem Kaiser referiren. Vgl. oben S.241, Anm. 2.
5 Anhang L.
c Die Wendung konnte, wie Morris mit Recht annimmt (s. u. S. 260, Anm. 1),
auch als Antwort auf das unbeantwortet gebliebene Schreiben des Prä
sidenten Washington an den Kaiser Franz vom 15. Mai 1796 (Lafayette 50
und oben S. 242) gelten.
Lafayette in Oesterreich.
259
amerikanischen Geldunterstützung'en für die Reise der Gefan
genen lehnte er aber mit der Erklärung ah, dass dieselbe auf
Kosten des Hofes erfolgen werde; nur besondere Ausgaben der
Familie Lafayette für Gegenstände der Bequemlichkeit oder
des Vergnügens 1 glaubte er von den Amerikanern bestreiten
lassen zu dürfen.
Und so erfolgte unter Leitung des Oberstwachtmeisters
(Majors) von Auernhammer, dessen Benehmen die Reisenden
sehr rühmten, 2 wie dieser das ihrige, 3 am 18. September die
Abfahrt aus Olmütz 4 in drei Reisewagen; 5 am 24. waren
die früheren Gefangenen in Dresden, von wo Romeuf ihnen
folgte. 6 Am 4. October langten sie unter den im Eingänge
dieser Untersuchung geschilderten Freudenbezeugungen in Ham
burg an.
Nach Buol’s Bericht war an diesem Tage Parish bei
ihm zu Tische; dann hätten sich Beide in Parish’s Wohnung
begeben, wo sich auch Morris eingefunden habe. 7 Nach Morris’
Tagebuch speiste dieser bei Buol; erst nach fünf Uhr sendet
hier Parish Nachricht, dass die Gefangenen angelangt seien;
hierauf bringt vielmehr Morris den kaiserlichen Gesandten zu
1 Anhang L und O: depenses particulieres, dann depenses pour des objets
de commoditS et d’agrement. Parish klagte doch später bei dem kaiser
lichen Gesandten in Hamburg, dass sie dort in zwei Tagen im Gasthause
hundert Ducaten gebraucht hätten (Anhang N, n. 3). Die Militärkasse
wendete für die Reise 4000 fl. auf. Anhang K.
2 Anhang N n. 2 und P; einem Schreiben Buol’s an den Hofkriegsrath
vom 9. October 1797 entnehme ich, dass Auernhammer auch ein ihm
von den Entlassenen ,angetragenes, nicht unansehnliches Geschenk auf
eine edle Weise ausgesehlagen habe 1 . (Registr. d. Reichskriegsministeriums
1797, G, Bd. 24, p. 5352 n. 10649).
3 Eltz an Thugut. Dresden, 25. Sept. 1797 (Staatsarchiv).
4 Registr. d. Reichskriegsmin. 1797 G. Bd. 22 p. 4803 u. 96G7 flgde.
5 Die Quittungen über den Empfang der bei dem Festungseommando bis
dahin deponierten Baarschaften, Schmucksachen u. s. w. Unterzeichneten
Lafayette und Gemahlin, sowie Maubourg erst nach Streichung ihrer Adels
titel, ,Pusy jedoch ausgenommen', wie auf besonderm Blatte richtig mit
einer Entschuldigung wegen des Aussehens dieser ,spdcifications‘ bemerkt
wird. A. a. O. G. n. 11921.
0 Eltz an Thugut, 2. Oct. 1797 (Staatsarchiv).
7 Anhang N, n. 3.
17*
260
Btidinge r.
der ,Ceremonie der Ueberg-abc'. 1 Morris’ Genauigkeit stellt
ausser Zweifel, und gegen die Buol’s ist doch meines Wissens
aucli ein solcher nie erhoben worden. Vollends an eine absicht
liche Täuschung der Regierung in einer offiziellen Relation ist
ebenfalls nicht zu denken. Man wird daher Morris’ unmittel
bare der um einige Wochen verspäteten Aufzeichnung Buol’s
vorzuziehen und die Abweichungen der letztem als immerhin
seltsame Gedächtnissfehler aufzufassen haben. Es wäre ohnehin
wunderlich gewesen, wenn Parisli bei der angekündigten An
kunft seiner Gäste sich nicht zu Hause befunden hätte.
Parish liess nach Buol’s Ankunft die bisherigen Gefan
genen in ein besonderes Zimmer treten, wo der Major Auern-
hammer sie dem kaiserlichen Gesandten in Hamburg vorstellte
hierauf übergab dieser sie mit einigen Worten, die der an
wesende Morris sehr maassvoll fand, dem noch immer in der
Angelegenheit als Consul figurirenden Parish, indem er ihn
nochmals an seine Versprechungen erinnerte. Der Gesandte
1 Die beiden für die Uebergabsfrage erheblichen Stellen aus Morris’ Tage
buch lauten (Sparks I, 457): September 27 th . Mr. Parish and his son call
on me this evening. He has adjusted with tlie Imperial Minister liere,
how Lafayette is to be delivered over. The Minister communicated
M. de Thugut’s letter, which says expressly, that M. de Lafayette is not
liberated at the instance of France, but merely to show the Emperor’s
consideration for the United States of America. — October 4 tl1 . Dine
■with the Baron Buol de Sehauenstein, the Imperial Minister. It is not
tili after five, that Mr. Parish sends word that Mr. de Lafayette and his
companions are come and then I take tlie Baron down to perform the
eeremony of delivering them over. His expressions are tres mesures and
he goes through his part with dignity. — Endlich in einem spätem
Brieffragmente an John Marshall schreibt Morris: notwithstanding this,
it appeared to me, that M. de Lafayette chose to consider himself as
freed by the influenee of General Bonaparte, and I did not c.hoose to
contest the matter, because believing my application had procured his
liberty, it would have loolced like claiming acknowledgments. Had I
known of the President’s letter, I should certainly have connected with
it the manner, in which he was delivered over and drawn the natural
inference. Die Ceremonie der Uebergabe ist, wie ich weiter Sparks I, 458
entnehme, von Parish aufgezeichnet und in Philadelphia in dem mir nicht
zugänglichen Port Folio publicirt worden: the letter of Mr. Tliugut to
Mr. Buol de Sehauenstein is cited as containing the same language as
that recorded in Mr. Morris’ diary.
Lafayotte in Oesterreich.
261
entfernte sich hierauf unmittelbar mit dem Major, um seiner
Regierung Bericht zu erstatten.
Ich denke, ein Maler würde in dieser Uebergabsscene
einen würdigen Stoff linden. Sie bezeichnet aber auch ein
bedeutendes universalhistorisches Moment. Der hochadelige
europäische Vertreter der politischen Ideen der Vereinigten
Staaten wurde hier nach Weisung des niedriggeborenen und
doch entschiedensten, gleichsam des einzig ebenbürtigen Gegners
seiner Ideen aus dem Staate, der in eminentem Sinne die über
lieferten europäischen Ordnungen zu bewahren und stetig zu
entwickeln hat, wieder nach dem fernen Lande gewiesen, in
welches seine Lehrmeinungen zu gehören schienen; aber die
freundliche Form der Zurückweisung bedeutete an sich, wie
mich dünkt, weit mehr als die Verträge mit der französischen
Republik, die Annäherung, welche die Folgezeit vollzogen hat.
262
Bö dinge r.
Anhang A.
Copie der von dem Herzoge Albert von Saehsen-Teschen dem
Obristlieutenant von Mayer in Antwerpen und dem Major
von Paulus in Nivelles ertheilten Instruction.
Registratur des Reichskriegsministeriums, 1792, Depart. Lit. A, n. 3372.
Mons du 24 Aoüt.
Paulus hat die Gefangenen mit 50 Mann Ungar. Infanterie, 30 Husaren,
12 Dragonern, nach Antwerpen zu escortiren, (was später in Bezug auf
Lafayette contremandirt wurde); unter ihm steht der Hauptmann de Bethune;
sa personne est particulierement destinee ä surveiller Monsieur
de la Fayette.
Comme Monsieur de la Fayette et ces autres Messieurs
refusent de donner leur parole 1 et qu’ils sont dans l’opinion,
que c’est agir contre le droit des gens 2 de les avoir arrete,
Mr. le Major de Paulus leur declarera, que Monsieur De La
Fayette et ceux de sa suite ne peuvent nier avoir ete jusqu’iei
manifestement nos ennemis, qui nous ont fait la guerre, qu’ils
ne viennent pas chez nous comme Emigres, mais toujours
imbus de leurs anciens principes, ils auroient continues d’etre
nos ennemis, s’ils ne risquoient d’etre assommes aujourd’hui
de la meme populace, qu’ils ont souleve contre leur Roy; qu’en
outre ils sont venus sur nos avants-postes sans avertissement
quelconque et sans en avoir obtenu la permission et que con-
sequemment d’apres toutes les rögles de la guerre ils sont nos
prisonniers.
1 So schreibt auch Lafayette aus Nivelles am 26. August: on nous avait
demande notre parole comme a des prisonniers de guerre; j’ai repondu
que je ne coopererais pas k une injustice par mon assentiment, qu’ou
n’avait pas le droit de nous retenir. Memoires III, 473.
2 In dem von Rochefort 19. August datirten Gesuche der dreiundzwanzig
Herren um freien Durchzug heisst es schon: qui reclament un libre
passage que le droit des gens leur assure, und am 25. August schreibt
Lafayette selbst einem Freunde: je crois qu’il est impolitique h la cour
de Vienne, de violer le droit des gens envers nous. (Memoires III, 409,
472). Bei dieser Meinung blieb er denn auch stets.
Lafayette in Oesterreich.
263
D’ailleurs, Monsieur de Lafayette et sa suite ayant voulu
passer furtivement, s’accussoient par lä eux-memes avoir prevu,
que nous serions en droit de les arreter et qu’enfin une trouppe
de 50 personnes armees de tonte maniere ne pouvoient, sur-
tout en tems de guerre, traverser libreraent aucun pays du
monde et que chaque gouvernement etoit en droit de prendre
dans ces tems de revolutions les precautions necessaires vis-ä-
vis des personnes dont les sentimens n’invitoient pas ä la
confiance.
Comme Mr. de la Fayette et ces autres Messieurs refusent
de donner leur parole c’est nous avertir de les bien garder.
[Folgen die Vorsichtsmaassregeln.] D’ailleurs comme je ne puis
disposer de leurs personnes avant d’avoir re§u les ordres de
Sa Majeste FEmpereur je dois en etre responsable et j’aban-
donne a Mr. le major de Paulus tous les moyens qiFil trouvera
convenables pour la plus grande surete. — — —
Les officiers de notre armee ou de l’armee Prussienne
qui seroient envoyes ä eux seront admis ainsi que les personnes
envoyees de la part du gouvernement et du ministere Prussien ;
mais ni emigre Fran§ais, 1 ni bourgeois ou habitant de ce pays
sans une permission signee du gouvernement ou du commande-
ment general ne seront admis.
Anhang I}.
Registratur des Eeichskriegsministeriums, 1794, Depart. Lit. G, u. 1063. Copie.
Thugut an den Kaiser. Wien 25. Februar 1794.
,Allergnädig'ster Kaiser, apostolischer König und Herr!
Euer Majestät habe ich bereits von dem durch den Marquis
Luccliessini wiederholt geäusserten Begehren des königl. preussi-
schen Plofes, von der fernem Gefangenhaltung des Lafayettes
1 In der That rühmt Lafayette in einem Briefe an seine Tante vom folgen
den Tage, ilö. August 1794, aus Nivelles: On nous traite avec beaueoup
de politesse et on a eu l’attention de defendre h tout emigrant h cocarde
blanche d’approcher de nous. Memoires III, 47ö.
264
Büdinger.
und seiner Mitgesellen enthoben zu werden, die allerunter-
thänigste Anzeige gemacht.
Um die von Euer Majestät mir allergnädigst angedeutete
diesfalls gewährige Willens meynung zur Uebernahme gedachter,
dermals in Schlesien befindlichen Gefangenen zu vollziehen,
muss ich mir die bestimmte allerhöchste Befehle hierüber
ehrerbietigst ausbitten, wegen den zur Uebergabe dieser Ge
fangenen preussischer Seits wie auch beim Generalcommando
in Prag zu treffenden Veranstaltungen sowohl mit dem Hof
kriegsrath das Einvernehmen zu pflegen, als an den Grafen
v. Lehrbach zur Einverständniss mit dem preussischen Mi
nisterium das Nöthige zu erlassen.
Baron von Thugut.
Wien den 25. Hornung 1794/
Links in der Mitte: ,Ich bewillige die Uebernahme dieser
Kriegsgefangenen und haben Sie sich hierwegen mit dem Hof
kriegsrath einzuvernehmen.
Franz/
Anhang C.
Fluehtacten.
Nr. 1.
In den an den Kaiser gegangenen Acten des Staats-
archives über die Flucht findet sich auch das noch am 8. No
vember 1794 mit dem Corporal Johann Platzer, 31 Jahre alt
,vom 28. August 1793 bei dem hiesigen Staatsgefangenen qua
dienstthuender Profos kommandiert' aufgenommene Protokoll.
Hiernach hat ihm der ungenannte Bollmann zugerufen: ,gebe
er nur den Mann, nämlich den Staatsgefangenen, her', der
Andere (Huger) ihm, da er um Hilfe rief, während er Lafayette
am Halstuch festhielt, ein Taschentuch in den Mund gesteckt.
Er meint aber, dass er demjenigen, der ihm das Schnupftuch
in Hals steckte, einen oder gar zwei Finger möge abgebissen
haben; 1 ,der habe dem Constituten den Säbel weggenommen
1 In der That war keiner der beiden Helfer, sondern Lafayette selbst ge-'
bissen, wie aus seiner Vernehmung vom 9. December 1794 hervorgeht.
Vgl. unten Nr. 5 S. 272.
Lafayette in Oesterreich.
265
und ihn ausgelassen'. ,Daun steckte ihm der andere Mensch
(also Bollmann) ein anderes Schnupftuch oder einen Handschuh
tiefer in den Mund, so dass er nicht mehr rufen konnte'. —
Inzwischen habe er sich ,mit Lafayette bis zur Erde gebalgt'
bis ,ein Pferd ihn auf das rechte dicke Bein getreten', die
zwei Fremden ihn auf den rechten Arm schlugen, so dass er
loslassen musste. Er berichtet nachträglich, dass er an beiden
Händen verwundet sei, wohl durch seinen eigenen ihm aus
der Scheide gezogenen Säbel und ein Pistol. — Die Verwun
dungen werden constatirt. —• Der commandirte Gemeine Johann
Hartwich fuhr voraus, nach seiner Aussage: bis er den Lärm
bemerkte, der ihm von einem Bauernstreite herzurühren
schien: er findet den Handschuh, Säbel und eine geladene
Pistole.
Der Präsident des Hofkriegsrathes, Graf Wallis, meldet
an Thugut, dass auf Befehl des F.-M. Botta den sämmtlichen
Staatsgefangenen ,das Spazierenfahren und Spazierengehen ein
gestellt worden sei, auch dass Lafayette den Stadtverwalter
von Braunseifen, der ihn sich vorführen Hess, zu bestechen
versucht habe'.
Die anliegende Resolutio Caesarea Regia besagt: ,da durch
diesen Vorgang sich abermals besttätigt, dass diese Staats
gefangenen nur auf List und Betrug sinnen, um die gute Art
mit der sie behandelt werden, zu missbrauchen, so ist ganz
recht geschehen, dass alles ihnen zu ihrer Gesundheit bis jetzt
gestattete Ausfahren eingestellt worden ist.
Franz.'
Nr. 2.
Abschrift (Staatsarchiv).
,Constitut
d t0 Olmiitz den 8. November 1794, welches aus Gelegenheit
eines aus der hiesigen Staatsgefangenschaft entwichenen Fran
zosen mit den vier Bauern, welche den Gehülfen des Flücht
lings angehalten und eingebracht haben, aufgenommen worden,
durch aen Herrn FML. Grafen Arco und den Herrn Kreis
hauptmann Freiherrn von Dubsky.'
266
Büdinger.
Zwei der Verhörten erzählen: ,Wir fuhren heut Nach
mittags gegen 3y 2 Uhr eben aus der Stadt und begegneten bei
dem Trimitzer Wirtshaus dem militar-Vieeprofossen weinend
und ganz blutig, welcher sie flehentlich bath, entweder sich auf
das Pferd zu setzen oder aber nur geschwind zu Fuss sich auf
zumachen und denen französischen Deserteurs nachzusetzen,
indem ihnen der Weg gut bezahlt werden wird. Hierüber Helfen
wir ihnen alle vier nach; und weil wir ihnen, da der eine zu
Pferd gegen Sternberg in dem gestrecktesten Gallopp zuritt, der
andere aber zu Fuss gegen die Heiligenberger Waldungen recht
im Flug lief, zu Fuss nicht mehr nachkommen konnten, so rief
ich, Norbert Teimer, dem Franz Ratschek, der eben auf dem
Felde in der Arbeit war, aus vollem Halse zu, sein Pferd aus
dem Pflug zu spannen, aufzusitzen und ihm nachzueilen; welches
er auch sogleich befolgte, sich auf sein aus dem Pfluge gespanntes
Ross sezte, ihm nacheilte und ihn auch glücklich im Walde
anhielt, wo wir vier inzwischen ihm zu Hilfe liefen/
Es folgt die Aussage von Wenzel Polzer, Knecht des
bürgerlichen Bäckermeisters Franz Czasey, welcher Lafayette
täglich spazieren fuhr.
,Der Staatsgefangene, den ich heute -führte, wollte nie
wo anders als nach Qualkowitz und Klein-Wisternitz fahren
und zurück über Bleich über das Wasser zum Burgthor her
ein ; dieses fiel mir Selbsten auf, und ich fragte dahero heut
den Profoss, ob ich links oder rechts fahren soll und erhielt
von ihm die Antwort: ,Ihr wisst schon, dass dieser Herr keinen
andern Weg als jenen nach Q.ualkowitz über Klein-Wisternitz
fahren will'; ich habe also heute diesen Weg wieder einge
schlagen. Zu Qualkowitz beim Wirthshaus sagte der Profoss,
ich sollte hier still halten und voraus bis Klein-Wisternitz
fahren; sie würden aussteigen und mir zu Fuss nachkommen,
weil der Weg zum spatzieren hübsch ist und sich der Arrestant
gut ausgehen könne, damit ihm das Essen und Trinken gut
schmecke. lieber diesen Befehl hielt ich an. Der Profoss und
der Staatsgefangene stiegen ab. Dem gemeinen Mann, der
seit der Zeit als der neue Herr Festungscommandant hier ist,
erst mit dem Staatsgefangenen fahret, weil vorher nur der
Profoss allein mit war, gab der Profoss den Befehl, sich in
die Kutsche zu setzen' u. s. w.
Lafayette in Oesterreich.
267
Nr. 3.
Copie. (Staatsarchiv.)
,Löbliches Oberamt!
In der 7 ten Stunde kam der hiesige Bürger Joseph Drechsler
zu mir und zeigte an, dass er einen unbekannten Menschen
auf der Strasse von Herzogsdorf gegen Braunseifen zu ange
troffen habe, welcher ihm angesprochen, er möchte ihme reitend
den Weg nach Neisse in preussisch Schlesien weisen, er wolle
ihm einige Dukaten bezahlen. Er hat ihm dieses versprochen.
Der Unbekannte bliebe bei einer Scheune, der Joseph Drechsler
kam zu mir mit obiger Anzeige; da er beifügte, er habe einen
prächtigen Engelländer, so befahl ihme, sein Pferd zu nehmen,
sich zu der Scheuer ohne Verzug zu verfügen und mit ihme
gegen Wagelsdorf zuzureiten. Ich nähme meine 7 Knechte,
verfügte mich auf den Weg, welchen der Drechsler passiren
sollte, und als er ankame, wurde er angehalten, zu mir geführt
und um einen Pass gefraget und wer er seye.
In meinem Zimmer fragte er 1 dann ob ich der Bürger
meister seye ; auf die Antwort ,jV nähme er mich bei der Hand
und ginge in das andere Zimmer; er erklärte sich, er habe
keinen Pass, er seye der bekannte Lafayette, ein Staats
gefangener aus Ollmütz, und seye heute nach Mittag in der
4. Stunde von dorten abgereist; dann fragte mich, ob ihm
könnte gehen lassen; wenn ihm nach Preussisch Schlesien
gehen liesse, so wolle er mir 1000 Stück Ducaten bezahlen.
Auf die Antwort, dass ich dieses nicht thun könnte noch wollte,
verspräche mir in Gegenwart meines Schreibers 2000 Stück
Ducaten und machte mir verschiedene Projekte wegen seiner
Flucht von hier, wie ich mich ausreden könnte. Kurz, ich
habe ihn in meinem letzten Zimmer; 2 Mann sind bei ihm in
dem Zimmer, 2 Mann in dem mittlern Zimmer und 2 Mann
auf der Gasse beim Fenster. Heute habe also eine schöne,
ruhige Nacht. Ich bitte um Belehrung, wie, auf was Art er
i Ich. Hs.
268
Bü dinger.
nach Eulenberg gebracht werden solle, ob man ihn schliessen
soll oder nur so per Kallesch mit hinlänglicher Bedeckung.
Braunseifen, den 8 ton November 1794.
Jos. Richter,
Stadt-V erwalter.
P. S. Ohne Zweifel werden Sie wohl dieses Glück dem
Herrn Commandanten in Ollmütz anzeigen. Er sagte, er seye
spazieren geritten und auf diese Art entkommen/
Nr. 4.
Copie. (Staatsarchiv.)
,Aussage des Eullenberger Oberamtmanns Anton Cremer über
die Art der vollführten Handfestmachung und Anherlieferung
des entwichenen Staatsgefangenen La Fayette dd° 9 ton 9ber 1794.
Laut der hier exhibierenden Originalbeilage und respective
von dem Braunseifer Stadtverwalter Joseph Richter an mich
abgestatteten Bericht Nachts um 12 Uhr, ist gestern der Braun
seifer Bürger Joseph Drexler in der siebenten Stunde Abends
zu dem besagten Stadtverwalter gekommen und zeigte an, er
habe einen unbekannten Menschen auf der Strasse von Herzogs
dorf gegen Braunseifen angetroffen, welcher ihn angesprochen,
reitend den Weg nach Neisse in Preussisch Schlesien zu weisen,
er wolle ihme einige Dukaten bezahlen; er, Drexler, habe ihme
auch solches versprochen, und er begleitete ihn bis zu der
ersten Scheuer bei Braunseifen. Dort sagte er, Drexler, zu
ihm, Flüchtling, er seye ein Mann von Weib und Kindern und
besesse eine Wirthschaft, die er nicht verlassen könnte; er
wolle ihm aber deine ungeachtet einen Taglöhner nebst seinem
Pferd zum Wegweiser geben, sagte ihme, er sollte nur hier
bei der Scheuer seiner warten, bis er käme. Der Verdacht
wachse in ihm immer mehr, weil er, Flüchtling, sehr gebrochen
Deutsch sprach und man denen gesamten Unterthanen nach
drücklich eingebunden hatte, dass selbe vorzüglich auf jene
fremde Leute aufmerksam seyn sollen, welche nur der fran
zösischen Sprache kundig sind oder gebrochen Deutsch reden.
Lafayette in Oesterreich.
269
Drexler ging also, ehe er nach seinem Taglöhner zu Haus
gewesen ist, zu dem Stadtverwalter Joseph Richter und zeigte
ihm diesen Vorfall an mit dem Beisatze, dass der Flüchtling
einen prächtigen Engelländer ritte, welches den Verdacht noch
mehr vermehrte. Der Stadt Verwalter Richter befahl auf der
Stelle dem Drexler, sein Pferd zu nehmen und sich zu der
ihme angezeigten Scheuer zu verfügen, sofort ihme den Weg
gegen Weigelsdorf zu weisen und mit ihme neben seiner zu
reiten. Der Stadtverwalter aber nahm seine 7 Knechte zu
sammen und formirte ein ordentliches Piket an den Ort, wo
Drexler und der Flüchtling passiren mussten. Plier warteten sie
mit grösster Ungeduld. Als sie endlich ankommen, sprang
einer von denen stadtverwalterischen Knechten auf Befehl des
selben zu dem Engelländer, grif in die Zügel und nahm ihn
mit Beihilfe der übrigen in Empfang, von wannen ihn der
Stadtwalter in seine Behausung nach Braunseifen führte. Als
er, Flüchtling, in sicherer Verwahrung war, fragte ihn der
Stadtverwalter, ob er einen Pass habe und wer er seye? Worauf
ihn der Ausreisser fragte, ob er der Bürgermeister seye. Auf
die Antwort Ja nahm er ihn, Stadtverwalter, bey der Hand,
gieng mit ihm in das Nebenzimmer, und bekannte, dass er
keinen Pass habe. In der Zwischenzeit suchte der Stadtver
walter Gelegenheit, aus dem Zimmer zu gehen und traf seinen
Handlungsschreiber Gourczelli im Vorhauss, welcher ihm bei
brachte, der arretirte seye der Mons. de la Fayette, den
Gourczelli, als Fayette aus Preussisch Schlesien über Leipnick
nach Ollmütz transportirt wurde, auf den Pass 1 gesehen habe
und diesen nach seiner Gesichtsbildung wohl kenne. Auf
dieses seye Stadtverwalter wieder gleich in das Zimmer gegangen
und habe Arrestanten gefragt, ob er nicht La Fayette seye?
Ueber diese Frage seye der Flüchtling sehr erschrocken und
bekannte endlich, dass er wirklich der Staatsgefangene in
Ollmütz La Fayette seye. Er seye gestern in der 4. Stunde
Nachmittags von dort abgereiset; weiters fragte er ihn, Stadt
verwalter Richter, ob er ihn nicht gehen lassen könnte; wenn
er ihm gehen Hesse, so wolle er ihm 1000 Stück Dukaten
bezahlen. Auf die Antwort, dass er solches nicht thün könnte
1 Bei der Durchreise.
270
Bü dinge r.
noch wollte, verspräche er ihm in Gegenwart obbesagten
Handluugsschreibers Gourczelli 2000 Stück Dukaten und machte
ihm verschiedene Vorschläge, wie er seine That rechtfertigen
könnte; er seye ja aus Ollmütz, einer so wichtigen Festung,
entflohen; wie könnte man ihme es dann so gar sehr übel
aufnehmen, wenn er vorgebe, dass er, Flüchtling, auf diese
oder jene Art auf dem Lande aus einem nicht so sehr ver
wahrten Hause zu entfliehen Gelegenheit gefunden habe. Er
habe sich aber zu gar nichts überreden lassen, stellte in jedes
der drey Zimmer, in welchen Flüchtling auf- und abgieng, zwey
tüchtige Männer zur Wache und eben zwey derlei Männer unter
die Fenster auf die Gasse, damit er von der ferneren Flucht
gesichert seye. — Als Alles dieses in der Ordnung war, machte
er sogleich tlie Anzeige hievon an mich und befragte mich
(Fis.: sich) was zu tliun seye. Der Both kam ungefähr um
12'/ 2 Uhr nach Eullenberg, weckte mich aus dem Schlafe und
als ich zu meinem nicht geringen Erstaunen aus dem Inhalt
des Schreibens entnahm, dass La Fayette in Braunseifen ange
halten und in Verhaft genommen, liess ich an der Stelle meine
Pferde einspannen, fuhr selbsten nach Braunseifen und traf
ungefähr um 2 Uhr daselbst ein, den Arrestanten aber
schlummernd im Bette an; nach einer kurzen Weile aber er
wachte er, und als man mir dieses anzeigte, liess ich mir ihn
kommen und bedeutete ihm, dass er mein Gefangener seye und
dass er sich gefallen lassen müsse, sogleich mit mir weiter zu
fahren. Dieses geschah und ich fuhr mit ihm noch die nämliche
Nacht unter Begleitung zweyer Jäger und drey Männer über
Eullenberg nach Ollmütz. Bei meiner Ankunft übergab ich
ihn sodann dem hiesigen löblichen Festungscommando und
brachte unter Einem den Engelländer, den er ritt, mit.
In Rücksicht dieser bloss aus patriotischem Eifer so
glücklich ausgeführten That, bitte ich dahero sowohl auf (sic!)
den oft besagten Stadt Verwalter als auch den Braunseifer Bürger
Joseph Drexler und den Mitgehilfen in gnädigem Bedacht auf
ihre Belohnung zu nehmen.
Anton Aloys Krömer,
Oberamtmann in Eullenberg.
Lafayette in Oesterreich.
271
Mit diesem wurde die aufgenommene Aussage beschlossen
und dem Oberamtmann aufgetragen, über den Namen des ein-
gebrachten Staatsgefangenen und so viel möglich über die ganze
G-eschichte das strengste Stillschweigen zu beobachten.
Ollmütz, den 9 ten 9ber 1794.
DubskyJ
Aus den Acten der Registratur des damaligen Polizei
ministeriums ergibt sich ferner, dass nach Krömer’s von dem
Statthalter Mährens Grafen Ugarte aus befürworteten und
formulirten, von dem Polizeiminister Grafen Pergen dem
Kaiser vorgelegten Anträge Josef Richter ,Erbfogt und Stadt
verwalter von Braunseifen' eine goldene Medaille, der bürger
liche Rothgerbermeister zu Braunseifen' Josef Dröxler — wie
er sich selbst unterzeichnet — zuerst nur vier Ducaten erhielt
(auch das Archivsprotokoll des Ministeriums des Innern, Mähren
a. 1794, ddo. 22. November notirt das); aber auf ein würdig
gehaltenes Majestätsgesuch vom 17. December 1794, in welchem
er darlegte, dass er keiner Geldentschädigung bedürfe, wurde
ihm eine kleinere goldene Medaille verliehen. Die vier Bauern,
welche Iluger einbrachten, erhielten nach Ugarte’s Antrag je
drei Ducaten.
Nr. 5.
Der Fascikel 1795, Dep. Lit. F, n. 96, in der Registratur
des Reichskriegsministeriums, besteht aus 69 Stück Acten,
darunter die sämmtlichen Originalverhöre mit Bollmann und
Iluger, welche der Polizeiminister Graf Pergen am 9. Fe
bruar 1795 an den Feldmarschall Grafen Wallis als Hofkriegs-
präsidenten sendete; hier finden sich auch diebeidenVerhöre,
denen Lafayette in der Fluchtangelegenheit am 9. und 10. De
cember 1794 unterzogen ward und am Schlüsse des letzten sein
Verlangen der Uebersendung einer Abschrift des Protokolls:
,qu’une copie du dit interrogatoire soit remise dans les mains
d’un ambassadeur ou ministre des etats unis d’Amerique'.
Lafayette unterzeichnet hier, w T ie auf den vorangehenden fünf
Bogen des Protokolls je am Bogenschlusse, dicht unter dem
letzten Worte ,Amerique‘. Auf eine Erörterung der Gründe
seiner Gefangenschaft ging die Commission nicht ein. Er selbst
272
Büdinger.
bestreitet Bollmann’s Weisung nach Hof gehört zu haben, er
kennt den Handschuh als den seinigen an und constatirt, dass
Platzer ihn in den Finger gebissen habe.
Der ,allerunterthänigste Vortrag' des Ilofkriegsrathes an
den Kaiser, der auf Grund dieser Aetenstücke abgefasst wurde,
ist unterzeichnet von ,F.M. G. von Wallis' und darunter:
,Gr. Ferraris' am 16. Januar 1795. Er wurde überreicht am
21., und kam am 24. Januar mit der kaiserlichen Entschliessung
zurück. Er fasst auf neunundvierzig gebrochenen Folioseiten
den Inhalt der Acten mit den entsprechenden Anträgen der
Bestrafung der Militärpersonen zusammen. Es erhalten die
Generale Baron Spleny und Graf Arco, als einander folgende
Commandanten der Festung, wegen Nachlässigkeit Verweise;
der Platzlieuteuant Caspar Jacob wird mit vierzehntägigem
Profosenarrest, Absetzung und normalmässiger Behandlung,
d. h. Pensionirung, bestraft; der Corporal Johann Platzer erhält
sechsmonatliche Degradirung zum Gemeinen, der Gemeine
Johann Harwich (sic!), dessen Ausrede, er habe Bauerngezänk
vermuthet, keinen Glauben findet, vierzehntägige Eisenhaft.
Der Stabschirurgus Karl Haberlein, welcher aus Gutmüthigkeit
gegen die Vorschriften gehandelt, Bollmann’s Correspondenz mit
Lafayette, ohne Ahnung von den mit Citronensäure geschriebenen
Zusätzen, vermittelt hatte, erhält zu den bisherigen noch weitere
vier Wochen Arrest in Eisen, doch das Recht zur Versetzung
auf einen andern Posten auf eigene Kosten. Hierauf fährt das
Referat fort: ,Bollmann und Huger gehören nicht zur militar
Jurisdikzion, die Untersuchung über sie wurde von der poli
tischen Behörde gepflogen und die Bestimmung des Grades ihrer
Strafmässigkeit hat in den Würkungskreis des Hofkriegsraths
keinen Einfluss'.
,Nur Lafayette, insoweit man ihn als einen wirklichen
Kriegsgefangenen betrachten will, gehört zum Militär'. Ein Ent
weichungsversuch bei einem durch kein Gelöbniss gebundenen
Kriegsgefangenen sei nicht strafbar; aber ,er hat den Profosen
zu desarmieren getrachtet, er hat Hand an denselben geleget,
sich mit demselben herumgebalget'; desshalb wird dreimonat
liche Eisenanlegung beantragt: ,es wäre dann, dass Ew. Maj.
aus anderen politischen und in die künftigen Umstände Einfluss
nehmenden Rücksichten es davon abkommen lassen und ledig-
Lafayette in Oesterreich.
273
lieh bey dem ohnehin beschränkten Verhaft bewenden zu lassen
befinden dürften*. Die Entscheidung des Kaisers siehe oben
S. 236 Anm. 3.
Nr. 6.
Registratur des Reiehskriegsministermms 1795, Dep. Lit. F, Bd. IV, pag. 681,
praes. d. 18. Jnny 1795,' n. 863.
,Botta, Marquis F.-M., command. General in Mähren
d to Brünn den 16. Juny a. c. berichtet, dass nach Ausweis der
sich zurückerbittenden Originalanlagen die der Aburtheilung des
Politicums überlassene La Fayettische zwey Fluchtbeförderer
Dr. Justus Erich Bollmann und Amerikaner Franz Kinlöch
Huger nebst der ihnen zuerkannten und von höchsten Orten
bestättigten einmonatlichen Gefängnisstrafe auch zum Ersatz
all jener Unkosten verurtheilet worden, welche dem aerario
bey der Einbringung und Einlieferung des La Fayette selbst
verursachet worden; und da also hierunter auch nicht nur die
dem Untersuchungs-Praeside Obristltt. Geppert vermög Ver
ordnung vom 21. Febr. N. 215 bereits angewiesene 2/ 3 tel Gage
zulage per 60 fl., sondern auch die von demselben ausgelegte
Reisespeesen begriffen sind, worüber das Reiseparticulare an die
Hofkriegs-Buchhaltung abgegeben worden ist, so werde um die
diesfällige Liquidirungsveranlassung das Ansuchen gemacht,
damit solches zur Hereinbringung des ausfallenden Betrages
für ersagten Obristlieutenant dem Olmüzer Criminalgericht über
sendet und zugleich auch der Ersatz der von der Ehegattin
desselben bereits empfangenen 2 / 3 Gagezulage eingeholt werden
könne, wo übrigens zugleich die mit obbesagter Verordnung
vom 21. Febr. für das Olmützer Criminalgericht dahin mit-
getheilte Verhör in Ansehung der Lafayettischen Entführungs
angelegenheit wieder zurückangeschlossen werden/
Anhang I).
Instruction Thugut’s an Chasteler vom 21. Juli 1797.
(Staatsarchiv.)
,La Commission dont Mr. le general Marquis de Chasteler
est charge de la part de S. M. l’Empereur relativement aux
1 Der Act selbst ist cassirt.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. I. Hft. 18
274
B ü d i n g e r.
prisonniers d’Etat frangais detenus ä la forteresse d’Olmutz
roule sur deux objets.
Le premier a trait aux bruits et aux rapports qui ont
ete repandus avec tant d’affectation k l’etranger sur les pre-
tendus mauvais traitements que ces prisonniers y auroient essuyes.
S. M. I. ne peut que juger tout ces bruits faux et calom-
nieux. Cependant ayant a coeur de se procurer tous les bclaircisse-
ments propres a les faire dementir et surtout k prevenir que
par la suite les dits prisonniers par exageration, depit ou esprit
de vengeance ne se permettent de les accrediter et confirmer
eux memes, Mr. le general est Charge de sommer Mr. et
Mad me de la Fayette ainsi que M rs de la Tour-Maubourg et
Bureau de Puzy de declarer les mauvais traitements dont ils
croyaient avoir k se plaindre, de faire ensuite toutes les enquetes
et perquisitions necessaires pour pouvoir apprecier la realite
et l’importance de leurs griefs, en leur confrontant au besoin
les personnes contre lesquelles ils auroient articule des plaintes.
Mr. le Marquis de Chasteler jugera bien lui-meme, que
cette enquete n’aura a porter que sur des objets, dont la realite
formerait des sujets de grief justes et raisonnables. II s’entend,
que tout ce qui est k considerer comme une consequence im-
mediate de la condition de prisonnier d’etat ou des precautions
que la suretb de leur detention exigeoit, ne sauroit entrer dans
un tel examen que pour autant, qu’on y auroit excede sans
necessite et surtout, qu’on auroit contrevenu aux ordres donnes
par Sa M. I. pour faire traiter les dits prisonniers avec humanite
et avec des attentions pour leur Soulagement et leur sante
compat.ibles avec leur position. Ce n’est aussi que sous le minne
point de vue que pourront §tre envisagees les plaintes que
pourra faire Mad e de la Fayette et que M r le gdneral M is de
Chasteler examinera de meme, si elles portoient sur des objets,
qui lui parussent meriter d’etre approfondis.
Comme cette dame et ses filles ont demande comme une
grace d’etre reunies k M r de la Fayette, elles devoient s’attendre
qu’une teile exception a l’usage general des prisons d’Etat ne
pourroit avoir lieu, k moins qu’elles se resignent en meme tems
aux inconvenients et aux precautions auquels le regime d’une
prison d’Etat et leur communication journaliere avec M r de la
Fayette ne permettroient nullement de les soustraire.
Lafayette in Oesterreich.
275
Au cas donc que les griefs de toutes les personnes detenues
mentionees n’aboutissent, ainsi qu’on devroit s’y attendre, qu’a
des plaintes incompetentes ou insignifiantes, Mr. le general
voudra bien faire dresser un procbs verbal detaillant les points
essentiels qui etabliront la moderation et convenance du traite-
rnent qu’eiles ont eprouve, et il les engagera ä y apposer leurs
signatures. Mais au cas qu’il se manifeste par ses enquetes
qu’il ait ete contrevenu aux ordres et aux intentions de Sa M.
et qu’il ait ete donne des sujets de griefs reels et notables ä
quelqu’une des dites personnes detenues, Mr. le gen. Mar is de
Chasteler en fera son rapport detaille en y ajoutant ses idees
sur la maniere la plus convenable d’applanir pareils griefs et
de parvenir ä remplir le desir de S. M. d’obvier pour la suite
a des delats dont l’exageration ne feroit que confirmer de plus
en plus les bruits calomnieux qui se sont repandus.
Quant au second objet de la Commission, dont M r le
M is de Chasteler est Charge par S. M. l’Empereur, il consiste
ä signifier a M rs de la Fayette, de la Tour-Maubourg et Bureau
de Puzy que, bien que la paix avec la France ne soit point
encore defmitivement reglee et que S. M. n’ait contracte aucun
engagement pour leur delivrance, Elle se sentait neanmoins dis-
posee ä les faire elargir sans delai ulterieur; mais que l’incom-
patibilite des principes, qu’ils avoient professes et ne cessoient
de professer bautement, avec ceux, qui font la base de la tran-
quillite des Ses Etats, mettoient S. M. dans le cas d’exiger d’eux
la promesse par ecrits, qu’ils se transporteroient comme ils
l’avoient annonce en Amerique ou pour le moins ne rentre-
roient en aucun tems dans ses provinces hereditaires sans une
permission spdciale et qu’aussitot qu’ils auront satisfait a cette
condition, l’ordre pour leur mise en liberte avec les passeports
et directions necessaires pour leur voyage ultei'ieur seroient
delivres. — Il s’entend au reste que Mad e de la Fayette et
ses filles accompagneront M r de la Fayette et que toutes les
personnes detenues le seront par les domestiques entr6s avec
elles a la forteresse.
Vienne le 21 Juillet 1797.
le B on de Thugut.
18*
276
B ü d i n g e r.
Anhang E.
Bericht Chasteler’s an Thugut.
Olmütz, 26. Juli 1797. (Staatsarchiv.)
Monsieur le Baron!
En suite des Ordres de S. M. l’empereur et roy detaillee
dans l’instruction que V. E. a bien voulu me remettre le 21. juillet
de l’annee courante, je suis parti de Vienne le 23. et suis arrive
ä Olmütz le 24. les ordres du conseil de guerre 1 pour le
commandant de la place ne m’ayant etd remis que le dimanclie
ä midi. Des mon arrivee dans cette forteresse je me suis rendu
cbez Mr. le general major Mikowiny, qui y commande en
l’absence de son Excellence Mr. le general d’artillerie baron
de Schröder; comme la depeche etoit adressee h ce dernier,
qui etoit partis pour les bains de Trenchin, il fit quellesque (!)
difficultes de l’ouvrir; mais lui ayant communique l’ordre du
conseil aulique de guerre, dans lequel etoit insere la copie
de la lettre au commandant d’Olmütz, il l’ouvrit et comme il
etoit neuf heures du soir, je remis au lendemain h dix heures
a voir les prisonniers d’etat en donnant ordre a Mr. le capitaine
Mac-Elligot du regiment de Ligne, a qui leur garde etoit spe-
cialement confiee, de venir cliez moi le lendemain au matin.
Le 25. au matin ä 7 heures Mr. de Mac-Elligot se rendit
cliez moi; il me dit, que la garde des prisonniers lui etoit
confiee depuis huits mois; sur les demandes, (que) je lui fis de
leur traitement, il me dit qu’ils etoient garde dans le corps de
logis de derriere des cazernes du couvent des cy-devants Jesuites
dans les chambres voütdes mais ellevees, bien airees et ayant
une vue agreable et meine tres etendue, et tout le detail que
V. E. trouvera dans les proces vei’bal du traitement des pri
sonniers d’etat.
Pour faeiliter les voyes je le priai de se charger ä 8 heures
au moment oii il entroit cliez les detenus pour leur porter a
1 Die betreffende beiliegende Vollmacht des Hofkriegsratlis, von Gersten
brandt unterzeichnet, am 22. Juli 1797 ausgestellt, am 23. um 12 Uhr
Mittags eingehändigt, ist wie die ebenfalls beiliegende Copie des Rescripts
an den Commandanten von Olmütz, ohne Belang.
Lafüyette in Oesterreich.
277
dejeuner d’un billet, parlequel j’annon§ois k Mr. de la Fayette,
que je serois chez lui k dix lieures pour lui communiquer
des choses importantes ainsi qu’k Madame de la Fayette et
Messieurs de la Tour-Maubourg et Bureau de Pusy. A dix
heures je me rendis au couvent des Jesuites. Monsieur le
capitaine Mac-Elligot vint au devant de moi et me dit, que les
prisonniers tiroient le meilleur augure d’une Commission dont
j’etois charge. Je crois rapeller a V. E., que je comandois dans
le pays et dans la ville de Namur, lorsque'Mr. de la Fayette»
et ses compagnons d’infortune furent arretes a Rochefort; j’etois
le premier comandant des troupes imperiales, auquel ils furent
amenes; et je fus charge de leur garde a Namur jusqu’a ce
que S. A. R. Monseigneur le duc Albert de Saxe-Teschen, alors
gouverneur general des Pays-bas, aye decide de leur sort. Je
les traitai avec toute l’honnetete que je cru leur devoir.
Pour reussir plus aisement dans les deux parties de la
commission, dont sa Majeste l’empereur a daigne me charger,
je crus convenable de parier d’abord a chacun des detenus en
particulier. J’entrai d’abord chez M 1 ' de la Fayette; il vint a
moi d’une maniere fort amicale; je lui dis que j’etois charme
que le choix de mon souverain füt tombe sur la meme per
sonne, qu’ils avaient deja vu k Namur, pour une commission
qui ne leur seroit pas desagreable, et apres quelques propos
obligeants de sa part je lui dis: S. M. I. desirant savoir la
verite des bruits, qui ont ete repandus avec tant d’affectation
chez l’etranger sur les pretendus mauvais traitements, que lui
et les autres prisonniers d’etat auroit. essuye, quoiqu’Elle soit
porte a les croire faux et calomnieux, m’avoit charge d’examiner
la chose, qu’en consequence je le somraais de me dire, sur quoi
il avoit a se plaindre soit des personnes soit des choses. II
me repondit avec feu, que pour des mauvais traitements per-
sonnels il n’en auroit pas soufert; mais pour le reste il etoit
on ne peut pas plus mal; que si ses amis avoient publies des
plaintes, ils ne pouvoient point avoir exagere, que dans aucun
cas il ne vouloit les dementir; je lui dis d’entrer dans le detail
de ses griefs, que j’etois la pour les examiner et pour les
redresser. Il entra alors dans un detail imenses de petites in-
comodites: sur la Situation de sa prison entre deux höpitaux;
me dit que Ton mettoit les morts presque sous ses fenetres,
1
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I
J'
!
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h
278 Büdinger.
que la cunette de la place qui fait egout etoit infect; que la
double grille de ses fenetres lui otoit l’air. 11 ajouta: on
a eu la barbarie de me laisser deux ans sans nouvelles de
ma femme et de mes filles, pendant quelles etoient sous les
eouteaux des Jacobins; Latour-Maubourg et Bureaux de Pussy
sont a trente toises de moi et voilä trois ans que je n’ai pus
les voir. Je lui representai, que le couvent des Jesuitez etoit
situe dans l’endroit le plus elleves de la ville; que sürement
' ces religieux n’auroient pas fait un bätiment aussi magnifique
dans un endroit mal-sain; que tout les logements des chanoines
du cbapitre noble etoient sur la meme exposition; il m’objecta
differentes choses trop longues ä rapporter.
Je passai ensuite au second point de ma mission et lui
dit: Sa Majeste 1’empereur d’apres le desire, que vous en avez
souvent manifeste, exigeoit de lui qu’il passa en Amerique.
M r de la Fayette me dit avec chaleur: l’Empereur m’a fait
arretter en terre neutre contre le droit des gens; je n’ai aucun
compte a lui rendre de ma conduite ny de mes projets ulterieurs;
je ne veux prendre aucun engagement avec lui, qui sembla lui
donner des droits sur ma personne; je vous dirai bien, comme
a Mr. de Chasteler, ajouta-t-il, que mon dessein est toujours
d’aller en Amerique; mais que prive de toutes nouvelles depuis
pres de 4 ans, je ne puis savoir dans quel etat y sont mes affaires;
je desirerois donc dans le cas, oii S. M. 1’empereur me rendit
ma liberte, me rendre ‘dans un port, a Hambourg par exemple,
pour y attendre des nouvelles des Etats-unis. Enfin je lui dis:
S. M. l’empereur, quoique la paix avec la France ne soit point
encore definitivement reglbe, quoiqu’il n’est contracte aucun
engagement par rapport ä votre liberte, se sent neanmoins
disposee ä vous faire elargir sans delai ulterieur; mais que
Fincompatibilite des principes, qu’il avoit professes et ne cessait
de professer hautement, avec ceux, qui font la base de la tran-
quillite de ses etats, le mettoit dans le cas d’exiger, que vous
prissiez l’engagement par ecrit de n’entrer dans aucune de ses
provinces herdditaires sans une permission speciale, et qu’aussitot
qu’il aurait satisfait ä cette cpndition, les ordres pour leur mise
en liberte ainsi que les passeports et directions pour leur voyage
ulterieur seroient delivrdes, que Madame de Lafayette et mes-
demoiselles ses filles accompagneront Mr. de Lafayette. II requt
Lafayette in Oesterreich.
279
cette ouverture avec toute la joye posible. Surement clans aucun
cas, me dit il, quand je serai sorti d’ici, je ne rentrerai dans
les etats de S. M. l’empereur; j’en prend l’engagement; mais,
ajouta-t-il, j’ai des devoirs envers les Etats-unis, j’en ai envers
la France ma patrie; cette derniere peut exiger de moi un
Service militaire, qu’aucun citoyen ne peut refuser; je pourrois
etre Charge d’une mission diplomatique; a ces deux cas pres je
prendrai 1’engagement que vous me demandes. Je lui dis, que
S. M. l’empereur attaclioit sa liberte a cet engagement; que je
ne le croyois pas tente de reprendre le Service militaire; qu’aucune
cour ne recevoit d’agent diplomatique sans que sa personne ne
fut agreable; que ces restrictions etoient inutiles, qu’elles ne
faisoient que retarder son elargissement; mais il me dit qu’il
les croient necessaires a lui meine; qu’au reste il me prioit de
lui faire donner papier, plume et, euere, qu’il pourroit alors
donner par ecrit ce qu’il seroit necessaire par raport h son
traitement et k 1’engagement demande. Je lui dis qu’il auroit
d’abord ce qui lui seroit necessaire et que je repasseroit sur
les cinq heures du soir pour täcber d’arranger les ehoses. Il
me pria de le rejoindre a ses compagnons, je lui dis que le
moment n’en est pas encore venu et nous nous separames.
J’entrai chez Madame de la Fayette; eile löge avec ses
deux filles dans une seule chambre a cöte de son mari; comme
eile comunique avec son mari aux heures du dejeuner, du diner
et du souper, eile avoit ete prevenue par lui en ma faveur;
eile me regut fort honnetement; je lui dis egalement que je
la sommais de me dire de quoi eile avoit k se plaindre dans
une detention qu’elle avoit demande comme une.grace k S. M.
l’empereur. Elle me dit, qu’elle n’avoit jamais pu obtenir deux
lits pour ses filles, quoique l’une ayet eue une maladie con-
tagieuse; qu’il etoit bien dur pour une mere d’avoir ete privee
des nouvelles de son fils; qu’elle avoit tache de lui ecrire sur
la moitie d’une quittance k Mr. Parisch, consul Americain a
Hambourg; mais que deux mois apres le Commandant de la
place Mr. de Schröder lui avöit raporte lui meine les lignes
ecrites a son fils; quelle avoit ecris k V. E. comme ministre
des affaires etrangeres, pour se plaindre de ce procede; mais
qu’elle n’avoit pas regu de reponse; qu’elle et ses filles n’avoient
ni couteaux ni fourchettes, qu’elles etoient obligees de manger
280
Büdinger.
avec leur cloit; qu’elle etoient servie par un soldat malpropre
et maladroit et des plus mausade; puis qu’il ne parloit pas;
qu’enfin les medecins ayant dit, que le seul moyen de la guerir
d’une maladie scorbutique, qu’elle avoit gagnee dans sa prison,
etoit d’en sortir, la cour de Vienne n’avoit voulu lui accorder
sa sortie qu’a condition qu’elle n’y rentreroit plus; que §’avoit
ete demander sa mort, puisqu’elle etoit decidee a rester pres
de son mari. Elle se plaignit aussi du peu de savoir vivre
du major Czermak, k qui leur garde etoit confiee. Je lui
representai qu’en demandant k etre reunie k Mr. de la Fayette
sa comunication journaliere avec son epoux exigeoit qu’elle fut
soumise k toutes les precautions d’usage dans une prison d’etat;
qu’il etoit impossible d’y trouver toutes les attentions auxquelles
le beau sexe a droit de s’attendre dans le monde; et que d’ailleur
j’etois ici pour reparer apres les avoir constate les tords reels,
qu’on auroit pu avoir envers eile.
Sortant de ehez Madame de la Fayette j’entrai cliez Mr.
de la Tour Maubourg. Le lui iis les niemes questions qu’k
Mr. de la Fayette, il me repoudit k peu pres de meme; il y
mit seulement l’emporteinent de son caractere; je lui iis donner
papier, pluine et euere et promis de venir le revoir le soir
a cinq heures. 11 en fut de meine de Mr. de Bureau de Pussy.
Ses reponses plus mesures n’en etoit pas moins energiques; il
apuya avec plus de feu et de fermete que les autres sur la
necessite de reserver dans l’engagement qu’il prendroit de ne
pas rentrer dans les etats de S. M. l’empereur les droits de la
nouvelle patrie qu’il adopteroit, si la France le repoussoit de
son sein; je .lui iis donner egalement les materiaux necessaires
pour ecrire et lui promis de le revoir a cinq lieures.
Je revins k cinq heures. Mr. de la Fayette me remit
une petite note tres exaltes que je joins ici sub litt. A 1 et puis
une grande feuilles de plaintes, toutes plus frivoles les unes
que les autres; je lui fis voir qu’elle tenoit toutes a sa condition
de prisonnier d’etat, que S. M. l’empereur avoit cru devoir lui
1 Auf einem beiliegenden Blatte: litt. A deest. Das Stück ist, wie es
scheint, noch unter Thugut’s Verwaltung ausgehobeu und nicht zurück
gestellt, dürfte aber genau mit dem als declafation remise ä Mr. de Chasteler
besseichneten in den Memoires de Lafayettc IV, 207 stimmen.
Lafayette in Oesterreich.
281
imposer; que puisqu’il vouloit aller en Amerique comine il le
disoit lui merne, je ne voulois que lui en faciliter les moyens
et qu’eniin les restrictions qu’il mettoit k l’engagement de ne
pas rentrer dans les etats hereditaires le rendoit pour ainsi
dire nul.
11 me dit: je suis bien loin d’avoir de l’esprit de vengeance;
je serai fort aise d’etre hors d’ici le plus tot possible, mais je
ne veus poins faire de bassese; je desire me concerter avec
mes compagnons d’infortune pour eoneilier ce que nous devons
aux circonstances et ce que nous devons a nous niemes; je vous
prie, Monsieur de Cbateler (sic!), ajouta-t-il, de nous reunir; cela
nous raprochera et avancera plus les affaires que huit jours de
Conference isolees; je lui promis de lui faire savoir le meine
soir ma resolution.
Je fus chez Mr. de la Tour-Maubourg qui me remit l’ecris
cy annexe sub litt. B. 1 Mr. Bureau de Pusy me remit egale-
ment l’ecrit sub litt. C. 2 Tout deux me proposerent egalement
de lever dans une Conference comme la discution des griefs
et celle du modelle d’engagement k prendre par eux envers
S. M. I. de ne point rentrer dans ses etats hereditaires. ,
Voyant dans ces deux ecris la meine exasperation et la
meine exaltation, que dans celui de Mr. de Lafayette, et croyant
surtout m’appercevoir, que ce (se) mesurant reciproquement ils
ne vouloit pas faire le premier pas en avant pour le raproche-
ment, je hxai au lendemain 26 juillet a 7 lieures du matin
une Conference general chez Mr. de la Fayette, oü Mrs. de la
Tour Maubourg, Bureaux de Pussy, Madame de la Fayette,
Monsieur le capitaine Mac-Elligot et moi se rendoit pour con-
venir definitivement de nos fait. C’etoit le seul moyen de finir.
Le 26. a sept lieures du matin je me rendis chez Mr. de
la Fayette avec le capitaine Mac-Elligot. Je fus (fis) chercher
successivement Mr. Bureau de Pusy et la Tour Maubourg et
apres avoir laisse quelque tems k l’epanchement de la joye de
ces. personnes de se voir la premiere fois depuis 38 mois la
1 Liegt schön geschrieben und wesentlich inhaltsleer auf einem gebrochenen
Folioblatte bei.
2 Der klägliche Inhalt des beiliegenden enggeschriebenen Folioblattes ist
belanglos.
282
B ü d i n g e r.
session comensa; nous eümes des differents griefs sur le traite-
ment; je fis voir que presque la totalite portoit sur les incon-
venients inherent a la condition de prisonnier d’etat, qu’ils
jouisoit d’un local et d’une aisance raisonuable; apres beaucoup
de debats et de repetitions trop longues a repeter, nous con-
yaime (convinmes) de la redaction du protocol cy-annexe en
original sub litt. D. 1 II me paroit fixer les principaux points
de la decence et de la moderation du traitement des detenus;
j’ai voulu toucher quelques autres point. Tout ce que j’ai pu
obtenir c’est, qu’ils fussent omis. Le reste est signe de Mr. et
Mde de la Fayette, de Mrs. de la Tour Maubourg et Bureau
de Pussy.
La redaction de l’obligation de ne plus rentrer dans les
etats hereditaires a soufert la plus grande difficulte; apres vingt
redactions toutes plus inadmissibles les unes que les autres,
apres plusieurs projets de ma part, qu’i (ils) ne voulurent point
admettre; malgre la declaration que je leur fis, que je ne pouvois
admettre aucune restriction; que tout changement pouroit
retarder, par les modifications qu’il metroit aux ordre de
S. ,M. l’empereur, le moment de leur mise en libei’td, je fus
oblige d’admettre les trois obligations cy jointes sub litt. E, F
et G 2 en original.
Je les ai cependant prevenus, qu’il seroit fort posible, que
S. M. l’empereur n’admit pas la restriction sauf les droits
de ma patrie sur ma personne; et que dans ce cas il seroit
possible que leur detention füt prolongee jusqu’au moment oü
ils auroient signe l’obligation dont on leur enveroit le model.
Les detenus m’ayant temoigne le plus vif desir de revoir
leurs domestiques, je leur ai fait venir; de meme que sur leur
demande il leur a öte permis de diner et de passer le reste de
la journee ensemble. M’ayant demande la meme faveur pour
le reste du tems de leur detention, je leur ai repondu, que
n’etant pas sur, que S. M. l’empereur acceptat la restriction
de leur Obligation de ne pas rentrer dans ses etats, je n’etoits
pas autorise ä rien changer a leur traitement.
1 Abgedruckt in: Lasteyrie, vie de M dl! de Lafayette p. 479.
2 Vgl. oben S. 248 Anm. 1.
Lafayette in Oesterreich
• 283
Je les revis encore le soir a sept heures et je pars demain
k cinq heures pour Vienne.
Dans le cas ou il ne conviendroit pas a S. M. l’empereur
de permettre au detenus de se rendre a Hambourg, on pourroit
les expedier sur Amsterdam ou sur tout autre port de la
Hollande.
J’ai l’honneur d’etre avec le plus profond respect, Mr. le
baron, votre tres humble et tres obeissant serviteur
M is de Chasteler, Glm.
Olmütz de 26 Juillet 1797.
Anhang F.
Thugut an Buol-Schauenstein.
Wien, 9. August 1797. (Staatsarchiv.)
L’empereur voulant bien accorder a M rs de la Fayette,
de la Tour-Maubourg et Bureaux de Pussy, prisonniers d’Etat,
detenus dans la forteresse d’Olmiitz la liberte, dont par leur
propre faute 1 et par des difficultes peu reflechies elevees de
leur part ils ont depuis quelque tems eux meines retarde la
jouissance, Sa Majeste est dispose a 2 ordonner qu’ils soient
conduits k Hambourg et remis a M. Parish, Consul Americain,
pour en etre transportes par ses soins en Amerique ou en
Hollande et cela d’autant plus, que le gouvernement francois
lui meine s’est refuse a les recevoir sur le territoire de France.
Pour preparer d’avance les voyes a l’execution de ses
hautes intentions S. M. Vous charge, Mr. le Baron, de Vous
adresser, des la reception de la presente a M 1 ' Parish, ahn de
concerter avec lui les moyens les plus propres et disposer tout
de maniere a ce que les dits trois individus avec leur suite,
puissent, dans le plus court delai et sans depasser la huitairie
apres leur arrivee, quitter entierement le territoire de l’Empire
et se mettre en route pour leur destination ulterieure.
1 Durchstichen: ,par leurs chicanes et leur conduite peu convenante 1 , wofür
Thugut eigenhändig ,et par — — eux meines 1 schreibt.
2 Von’Thugut’s Hand statt ,a trouve bon de‘.
■284 •
B ü d i n g e r.
Je dois Vous prevenir k cette occassion, que le S r Romeuf,
ancien aide de camp de M. de la Fayette, se rend egalement
k Hambourg charge de parier et de couvenir avec le consul
americain des arrangements relatifs au meine objet. Vous
voudrez donc bien, M r le Baron, d’agir (sic!) de concert avec
lui aupres de M r Parish, et des qu’on sera d’accord sur le tout,
me rendre compte de ce qui aura ete arrete definitivement, atin
que les ordres necessaires soient expddies k Olmütz touchant
le prompt acbeminement des prisonniers susdits vers la Ville
de Hambourg.
J’ai rhonneur d’etre etc.
Anbaug G.
Buol-Schauenstein an Thugut.
Hamburg, 19. August 1797. (Staatsarchiv.)
J’avois k peine re§u la depeche, dont V. E. m’a bonore
en date du 9 du courant, que l’ancien Adjutant (sic!) de Mr. de
la Fayette, le Sieur Romeuf, s’est presente chez moi aecompagne
du fils de Mr. Parich (sic!), lequel m’a remis la lettre cijointe en
original de Mr. son pere.
L’officier francais m’a aporte de la part de Mr. le Marquis
de Gallo celle, que j’ai egalement l’bonneur de soumettre ici
k V. E. 1
Quant au desir pressant exprime dans la lettre de
Mr. Parich, pour rendre le sieur Romeuf porteur de cette de
peche, celui-ci m’a fait connoitre que cc desir reposoit l mo sur
l’espoir de mettre une plus grande acceleration dans l’execution
de l’ordre de Sa Majeste de rendre la liberte aux prisonniers
d’Ollmütz et 2 00 sur ce que Mr. Parish l’avoit charge de leur
offrir tous les secours pecuniaires et autres au nom et de la
part des Etats unis.
Comme V. E. ne m’a point autorise d’acorder k cet offi-
cier un passeport pour retourner k Vienne j’en ai decline la
demande, en Fassurant que je rendrois compte saus aucun delai
et de ce dont il etoit convenu avec Mr. Parich, et de l’offre
1 Fehlt in den Acten.
Lafayette in Oesterreich.
285
h, faire de la part de ce Consul. L’Officier a re§u on ne peut
pas mieux mes offres et s’est seulement borne a rbitbrer les
plus vives instances, pour que je suppliasse V. E. de vouloir
bien hater le moment de l’dlargissement des detenus et leur
transport a Hambourg.
J’ose prendre la liberte de joindre ici ma rbponse a Mon
sieur le Marquis de Gallo et une lettre pour Mr. de Blumendorf.
J’ai l’honneur etc. 1
Anhang H.
J. Parish an Buol.
Hamburg, 19. August 1797. (Staatsarchiv.)
D’apres la communication, que m’a donnee Mr. Louis
Romeuf, Officier de l’Etat major de l’armee francaise, envoye
d’Italie a Vienne par les plenipotentiaires fran§ais, de l’audience
que lui a accordb S. E. Mr. le B on de Thugut, premier ministre
de sa M. l’Empereur et Roy, et de l’engagement que S. E. a
paru desirer de moi, avant que S. M. l’emp. et Roy fit ordonner
la liberte des prisonniers d’Olmütz, je m’empresse de prouver
a S. E. mon pressant desir d’y satisfaire et de repondre a la
confiance dont eile m’honore dans cette circonstance.
Je promets donc et m’engage de tout mon pouvoir ä
determiner en consequence les prisonniers d’Olmütz a leur
passage a Hamburg a s’eloigner de cette ville et de toute la
partie de rAllemagne de ce cote ci du Rhin, dix jours au plus
tard apres leur arrive dans cette ville.
Je souscris avec autant plus d’empressement a cet engage-
ment, que j’ai de fortes raisons que cela ne contrariera meine
en rien leurs intentions.
Je saisierai cette occassion, que S. E. M 1 le Baron de
Thugut a eu la bonte de m’offrir, pour lui presenter les hommages
de ma reconnaissance et de celle des habitants des Etats-Unis
d’Amerique.
Je demande avec instance h Monsieur le Ministre de Sa
Majestd l’Empereur et Roy qu’il veuille bien faciliter, autant
1 Der Brief ist von der Hand eines Secretärs geschrieben, von Buol unter
zeichnet.
286
B ü d i n g e r.
qu’il sera en lui, a l’officier francais Louis Rameuf (sic!) les
moyens d’etre lui-meme le porteur k Vienne de la reponse k
la mission, dont il a ete charge par Mr. le b on de Thugut. Cette
derniere faveur sera pour moi du plus grand prix et je prie
d’avance M r le Ministre d’en agreer ma reconnaissance.
J’ai l’honneur etc. 1
Anhang 1.
Parish an Thugut.
Hamburg, 25. August 1797. (Staatsarchiv.)
Monsieur le Baron!
Mr. le ministre de S. M. I. et R. vous aura rendu Compte
dans ses depeches des arrangements pris relativement au passage
des prisonniers d’Olmütz. Je l’ai prie de faire connoitre aVotre
Exc. mon empressement a me conformer aux ordres que vous
lui avies donnes a cet effet.
Qu’il me soit permis de rendre Mr. Louis Rameuf l’inter-
prete des sentiments de reconnaissance que je dois a V. E. pour
la marque honorable de confiance qu’elle m’a donnee dans
cette occassion.
Mr. Rameuf aura l’honneur de rendre compte a V. E. des
dispositions qui ont ete prises pour que les prisonniers trou-
vassent k leur arrivee dans cette ville un vaisseau pret k faciliter
leur passage en Amerique.
J’ose demander k V. E. pour Mr. Louis Ramoeuf la per-
mission d’offrir au prisonniers, tant en mon nom qu’en celui
des Etats-unis, les secours et les soins, qui pourroient leur Itre
nbcessaires, au moment de leur delivrance, quoique je ne doute
pas, que V. E. n’aye fait donner les ordres pour pourvoir a
leurs besoins. J’ose esperer, qu’elle ne me refusera pas la faveur
de donner aux prisonniers cette marque de Mon attachement.
J’ai l’honneur d’etre tres parfaitement
Mr. le Baron
Votre tres humble et tres obeissant serviteur
J. Parish.
1 Dieser, wie der folgende Brief sind von einem Commis geschrieben, von
Parish nur unterzeichnet.
4
k
Lafayette in Oesterreich.
287
Anhang K.
Instruction des Hofkriegsrath.es über die Entlassung der
Gefangenen.
Reg. des Reichskriegsministr. 1797, G, Bd. 21, p. 4612, dd. 10. September.
,Zur Begleitung dieser Gefangenen bis Hamburg wird der
Major Auernhammer vom Staabs-Dragoner-Regiment fürge-
wäblet und demselben über sein Verhalten bei diesem Aufträge
eine Belehrung gegeben, welche in folgendem bestehet.
Die Reise von Ollmütz bis Hamburg, welche mit Post
pferden zu geschehen hat, nebst den Zehrungsspeesen werde
auf Kosten des Hofes aus dem Militärärarium bestritten, wozu
ein Verlag von 4000 fl. aus dem hiesigen Kriegszahlamt gegen
Verrechnung zu erheben seyen.
Während der Reise seyen die Gefangenen gut und so zu
behandeln, dass sie an der Gemächlichkeit keinen Mangel
leiden und in Ansehung der Kost so, wie bisher in Ollmütz
geschah, vex-pfleget werden.
Die Entlassung aus dem Arrest und der Abgang von
Ollmütz habe ohne alle Publizität und die Reise selbst mit
Haltung ordentlicher Mittags- und Nachtstazionen in den Gast
häusern auf der geradesten Route, dabei doch so schleunig als
möglich zu geschehen, wobei auf die thunliche Bequemlichkeit
und Erhaltung der Gesundheit der Entlassenen zu sehen seye.
Ausser zwey Wagen, die sich die Marquise Lafayette an-
schaffen liess, seyen diese Gefangenen mit keinen Wägen ver
sehen. (Hiefür wird Vorsorge getroffen. Maubourg und Puzy fuhren mit
Lafayette’s; der Major folgte in einem dritten Wagen.)
Währender Reise seye darauf zu sehen, dass besonders
in unseren Ländern von den Gefangenen weder ihre bedenk
lichen Bücher und Assignaten noch ungangbare Münzen aus-
gestreuet werden. So seye auch dafür zu sorgen, damit weder
sie noch ihre Domestiken die Gelegenheit bekommen, Bekannt
schaft oder heimliche Zusammenkunft mit unsei-en Untertlianen
oder Landesbewohnern zu machen, diesen heimlich Briefe zu
bestellen oder solche zu empfangen, sondern es müssten die
von ihnen bestellten Briefe oder jene, so an sie einlaufen, alle
zeit zuvor anher mittelst einer Begleitung unterlegt werdend
(Das Folgende der Instruction betrifft Meldungs-, Pass- und Ver
rechnungafragen .)
288
Büdinger.
Anhang L.
Thugut an Buol-Sch auonstein.
Wien, 13. September 1797. Concept. (Staatsarchiv.)
En Vous accussant la reception de la lettre que Vous
m’aves fait l’honneur de m’ecrire le 19. Aoüt dernier, je ne
puis qu’approuver la fagon, dont Vous vous etes explique vis-k-
vis de M. de Romeuf sur le desir, qu’il Vous a (durchstrichen:
montre) marque de se rendre k Ollmütz; son empressement
d’y joindre les prisönniers d’etat franqois, aurait a coup sür
manque son effet, non seulement k cause de leur depart tres
rapproche pour Hambourg, que parce que le negociant Hirsch
a ete authorise par M. Parish k fournir l’argent necessaire aux
depenses particulieres de la famille de la Fayette, dont le trans-
port se fera aux fraix de la Cour.
L’intention de S. M. etant que le depart de ces prisönniers
ait lieu (durchstrichen: ,sans £ und ,incessament £ ; von Thugut’s
Hand die zwei nächsten Worte darüber geschrieben) sans
retard; on vient de faire toutes les dispositions pour en acce-
lerer le moment. Ils seront accompagnes d’un officier intelli
gent et de confiance, qui a ordre de Vous avertir sur le champ
de leur arrivee a Hamburg. Entretemps Vous pourres lui ob-
server k cette occasion, que Sa Majeste, n’ayant contracte aucun
engagement positif avec les Franqois touchant l’elargissement
des prisönniers susdit, (durchstrichen: (Elle n’a ete portee k cet
acte de Bienfaisance que par‘) le motif de hinterest particulier,
que les Etats unis de l’Amerique paroissent y attacher, (am
Rande von Thugut’s Hand das Ende des Satzes:) a beaucoup
contribue k porter sa Majeste k cet acte de bienfaisance; qu’au
reste sa Majeste sera toujours bien aise, de (durchstrichen: ,leur'j
donner (von Thugut’s Hand am Rande bis ,des‘:) aux etats unis
de l’Amerique dans les occasions des marques reelles de son
amitie et de sa bienveillance.
Quant aux expressions obligeantes, dont Mr. Parish s’est
servi k mon egard dans la lettre qu’il Vous a adressee, Vous
voudres bien, Mr. le baron, lui en temoigner toute ma sensi-
bilite et relever en meine temps la manikre honnete et pre-
venante, avec laquelle il s’est prete k l’arrangement propose,
Lafayette in Oesterreich.
289
par lequel l’äffaire des prisonniers va etre conduite a la iin
desiree.
J’ai Fhonneur d’etre etc.
Anhang M.
Eomeuf an Thugut.
17. September 1797. (Grobes Papier in Folio. Wasserzeichen: zwei gekreuzte
Schwerter. Staatsarchiv.)
Monsieur le baron!
D’apres la parole positive, que j’ai recue de votre excellence
et dont le directoire Francais a du etre instruit par les pleni-
potentiaires de la Republique, ä qui je rendis compte 1 de ma
mission, je ne puis attribuer le retard de la delivrance des
prisonniers d’Olmu-tz qu’a celui des postes, dont votre excellence
a eu la bonte de nie prevenir. Je in’empresse donc de lui
repeter que ses instructions ont ete parfaitement remplies; que
le ministre de Sa Majeste I. et R. m’a confirme ce que je
scavais dejk, que l’ecrit souscrit a Hamburg- etait exaetement
conforme a ce que vous aviez juge a propos d’exig-er avant
de mettre les prisonniers en liberte.
Cette depeclie du ministre de S. M. I. et R. avec la decla-
ration requise par votre excellence est partie d’Hambourg- le
20 aoust 2 et a du parvenir ä Vienne le 27. Elle ne peut avoir
eprouve qu’un retard; car outre que je ne nie permets pas de
penser, que les postes imperiales s’avisassent de supprimer la
depecbe d’un ministre de l’Empereur k votre excellence, M r de
Buhol m’a assure lui-meme, qu’elle lui parviendrait sürement
le 27. Je me suis arrete a Dresde aupres des familles La Tour
Maubourg et Pusy, ne doutant pas d’y apprendre en arrivant
la delivrance des prisonniers.
La reponse du general La Fayette ne m’est pas parvenue;
mais comme il est impossible d’apres la nature de ma lettre
et celui de rarrangement qu’elle contient, qu’elle renferme rien,
1 Dieser Bericht sollte doch wohl noch in Paris zu finden sein.
2 Womit sich denn das falsche Datum dieses Briefes vom 17. August statt
17. September von selbst richtet.
Sitzungubcr. d. plül.-hist. CI. XCII. Bd. I. llft.
19
290
Büdinger.
qui puisse y mettre obstacle, je ne regr.ette de ne l’avoir pas
recue, que par le plaisir particulier, qu’elle m’aurait fait et
j’espere que votre excellence voudra bien me la faire tenir.
Mais ce que je lui demande surtout, c’est de vouloir bien me
mettre ä portee de rendre compte aux plenipotentiaires de la
republique de la delivrance des prisonniers, que vous avez
promis si positivement d’effectuer, aussitöt qu’on auroit rempli
k Hambourg la condition, qui l’a ete exactement et a la satis-
faction du ministre imperial. Je suis d’autant plus presse de
les en assurer moi-meme que dans le cours du voyage que j’ai
entrepris et que vous avez bien voulu diriger, j’ai squ non
seulement par les nouvelles publiques, mais de la part du
ministre des relations exterieures, que le directoire executif
avait fait k cet egard une nouvelle demarebe aupres de sa
Majeste l’Einpereur et Roi. 1
Je demande k votre excellence la (radirt über der Zeile:
reponse) permission de joindre ici une nouvelle lettre de
Mr. Parisli; eile est une confirmation de l’engagement deja
adresse k votre excellence. Je l’adjure avec instance de ne
pas rejetter sa demande; cette faveur sera pour moi au dessus
de tout prix et j’en conserverai une vive reconnoissance. Mais
dans le cas, oii votre excellence ne jugerait pas k propos de
me l’accorder, je la prie de vouloir bien me faire expedier un
passeport, pour que je puisse me rendre aupres de mon general
en Italie par la voie la plus prompte. Je suis avec respect
de votre excellence le
tres humble et tres obeissant serviteur
Louis Romeuf.
Dresde, le 17 Aoust 1797 (v. s.)
! Die Acten enthalten kein solches Schreiben des Pariser auswärtigen Amtes.
Es liegt vielleicht von Seiten Romeuf s eine Verwechslung mit dem ganz
erfolglos gebliebenen Schreiben Carnot’s als Präsidenten des Directoriums
an General Bonaparte vom 7. August 1797 vor (Memoires IV, 293), auf
schleunige Befreiung der Gefangenen zu dringen. Wie wenig sich dieser
an solche Verfügungen kehrte, zeigt Lanfrey, Geschichte Napoleons I., über
setzt von Glümer, I, 223 f.
Lnfayette in Oesterreich.
291
Anhang N.
Buol an Thugut.
Depeschen .aus Hamburg vom 27. September bis 4. November 1707. (Staatsarchiv.)
Nr. 1. — 27. Septembre 1797.
Je venois seulement d’expedier nies depeches de ce jour
d’hui, lorsque Mr. Parich (sic!) se fit annoncer chez moi; je
lui ai d’abord In le rescript de V. E.; il m’a paru bien apprecier
les expressions infiniment obligeantes qu’il renferme p.our les
Etats-unis de FAmerique aussi bien que pour son particulier
et m’a prie de Lui presenter rhommage de sa profonde recon-
noissance. Nous convinmes ensuite, qu’il se rendroit en ville 1
pour recevoir les prisonniers d’etat dans sa maison; je me suis
engage en consequence d’ecrire h Mr. le Comte d’Eltz, pour
le prier de prevenir l’Officier qui doit les accompagner, de
m’avertir a temps du jour de leur arrivee, pour pouvoir le faire
connoitre a Mr. Parich, qui m’a temoigne au surplus le desir,
que j’empecbasse que les noms des prisonniers ne fussent pas
donnes a la porte, pour obvier aux importuns mouvements des
curieux. Cet ancien consul a fini par me representer que, vu
la saison de plus en plus avancante, il ne seroit plus possible
que Mr. de la Fayette s’embarquä pour Pbiladelphie et qu’il
se pourroit aussi que les evenements trop etranges qui etoient
survenus a Paris le 4. 2 ne permissent pas son voyage en
Hollande, de sorte que les circonstances pourroient rendre
absolument necessaire de prendre un troisieme partie; qu’il
m’invitoit en consequence, de demander l’agrement de V. E.
pour le projet qu’il avoit de faire sejourner en attendant la
famille de la Fayette ä Ploen en Holstein, agrement dont il
n’entendoit profiter qu’en autant qu’il n’y auroit pas moyen
de realiser l’engagement pris du transport ulterieur soit vers
la Hollande soit vers FAmerique. J’ajouterai qu’il me semble
que Mr. l J arich est trbs sincbrement dispose il ne point pro-
longer le sejour de ces hotes dans ces contrees-ci. Je supplie
1 Sein Landsitz war Neuensteden, dessen Morris’ Correspondenz oft gedenkt.
2 Der Staatsstreich vom 18. Fructidor. Sybel, Revolutionszeit IV, 582 f.
und über den Zuzug der Emigranten vor demselben die anschauliche
Schilderung bei Wattenbach, Heidelberger Jahrbücher 1S70, S. 727 f.
19*
292
Büdinger.
V. E. de vonloir bien me donner ses oi'dres ä cet egard et
d’accueillir l’hommage du tres profond respect avec lequel
j’ai l’honneur d’etre, Mr. le Baron, de Y. E. le 1 tres humble et
tres obeissant serviteur Buol-Sehauenstein.
Nr. 2. — 4. October 1797.
Je m’empresse, Mr. le Baron, d’avoir l’honneur de rendre
compte ä V. E. de l’arrivee des prisonniers d’Ollmütz, qui a
eu lieu ce soir et a etee incessament suivi de leur remise ä
l’ancien Consul americain Mr. Paricb, en lui rappellant les
engagements contractes ii cet egard. Ces Francois se louent
beaucoup des procedes de Mr. le Major d’Auraeher (sic!) qui
a ete Charge de les accompagner. Cet officier m’a prie d’en
faire part h V. E. et ose attendre de sa bonte qu’Elle daignera
le faire connoitre au conseil de guerre.
Mr. Parich a eu soin de leurs faire occuper encore aujour-
d’hui leur quartier, situe hors de la ville d’Altona et par con-
sequent moins ä portee des importuns mouvements des curieux,
qui beureusement ont ete ecartes ici par les dispositions prises
d’avance a cet effet.
La sante de Mad° de la Fayette ne permettra pas, ii ce
que je presume, sön embarquement pour FAmerique, circon-
stance qui amenera le cas de prolonger le sejour de tonte la
compagnie dans ces contrees-qi; je prends la liberto de me
referer ii ce sujet a la depeche du 27 du mois passe. J’ai
l’honneur etc.
Am 21. October 1797 beschwert sich der G-esandte, dass
noch vor Ankunft der Entschliessung Thugut’s, die Familie
Lafayette vor etwa vierzehn Tagen (il y a environ quinze jours)
nach Ploen gegangen sei. Parish habe sich nicht einmal die
Mühe damaliger Benachrichtigung gegeben. Beiliegend folge
eine Schmähschrift über ihre Gefangenschaft, die übrigens in
den Acten fehlt, [in Ganzen sei der Aufenthalt in Ploen er
wünschter als näher bei Hamburg oder in Kopenhagen.
Nr. 3. — 28. October 1797, ganz eigenhändig.
J’ai re911 Mercredi passe au soir la depeche, que V. E.
a bien voulu me faire adresser en date du 14. avec l’incluse
1 Nur von hier an eigenhändig.
Lüfayette in Oesterreich.
293
pour Mr. Parish; cet ancien consul m’a remis hier l’original
de la lettre, dont j’ai l’honneur de joindre ici copie, me priant,
Mr. le baron, de Vous rendre compte de son contenu.
J’ai profite de cette occasion, pour temoigner a Mr. Parisli
ma juste surprise de ce que les ci-devant prisonniers au lieu
de sortir de Hambourg le soir meine de leur arrivee, ainsi qu’il
me l’avoit bien formellement promis — en m’engageant encore
d’obtenir que les portes de la Ville se fermassent plus tard
que de coutume et que je l’avois mande en consbquence a
V. Excellence en date du 4 — devoient neanmoius y avoir passe
deux jours, qu’au surplus Mrs. de la Tour-Maubourg et de
Bureau de Pusi avoient sejournes depuis a Altona ou le dernier
etoit encore actuellement.
Mr. Parish me protesta, que, bien loin d’avoir voulu m’induir
en erreur, il etoit lui meine sorti de la Ville le 4. au soir dans
la persuation d’autant plus ferme, que les prisonniers le suivraient
incessament, que ceux-ci l’avoient prie de leur obtonir une
nouvelle Prolongation du terme de la fermature des portes,
pretextants qu’ils ne pouvoient se passer de se presenter chez
le ministre de France; qu’il avoit obtenu en vain cette Pro
longation et du payer leur indiscrete depense de 100 ducats
fait ici a l’auberge en deux jours, apres lesquels ils s’en alloient
babiter un village nomme Poppenbüttel a quelques lieues d’ici
d’oii ils s’etoient enfin rendus a Witmold pres de Ploen aupres
de M“ de Tessai leur parente. Quant au sejour, que ferent
(firent) La Tour-Maubourg et Bureau de Puci a Altona 1 et que
ce dernier y continue encore a cause de son enfant inocule,
M 1 ' Parisli m’assura n’en avoir ete aucunement prevenu et
n’avoir d’ailleurs recu aucune nouvelle avant la lettre ci jointe,
qui lui etoit seulement survenue hier, qu’il se rendroit incessa
ment k Altona pour exhorter Mr. de Bureau de Puci de joindre
au plus tot la societe li Witmold.
Pour ce qui est des details de la remise de ces ci-devant
prisonniers, il ne me reste plus rien a ajouter au compte que
j’ai eu rhonneur d’en rendre il V. E. en date du 4. si non que
M r Parish s’etoit rendu en ville des la veille, conformement
aux arrangements rapportes en date du 27 September, et
1 Genauer in Ottensen. Wattenbach a a. O. S. 732.
294
Bit di rigor.
qu’apres avoir cline chez moi le lendemain nous nous rendimes
chez lui, ou nous trouvämes M r et M° de la Fayette, ses deux
filles et de plus M r Mauris (sic!), ancien ministre d’Amerique
k Paris; le S r Parish fit passer les prisonniers dans un apparte-
ment separe ou, apres m’avoir ete presente par M 1 ' le Major
d’Auerhammer, je les lui remis en lui rapellant les engagements
contractes a cet egard, apres quoi je me retirai aussitöt avec le
Major pour expedier sans delai ina depöche du 4.
J’attends les ordres de Votre Excellence, qui me prescri-
vent ce que j’aurai k faire connoitre k Mr. Parish sur la
lettre des ci-devant prisonniers.
J’en prends la liberte de joindre ici une depeche pour
le conseil de guerre, suppliant V. E. d’agreer l’liommage du
profond respect, avec lequel je suis, Mr. le baron, de V. E.
le tres humble et tres obeissant serviteur
Buöl-Schauenstein.
Hambourg le 28 Oct. 1797.
Die Depeschen vom 31. October und 4. November 1797
enthalten nur: jene die Benachrichtigung, dass die am 16. October
für die Gefangenen abgesendeten Briefe Parish übergeben, diese,
dass sie von Parish besorgt seien, dessen Brief beiliege.
Anhang 0.
Thugut an Parish.
Wien, 14. October 1797. (Staatsarchiv.)
A Mr. Parish, Consul des Etats-unis de l’Amerique.
Le 14 Octobre 1797. (Concept.)
Lors de la reception de la lettre que Vous m’aves fait
l’honneur de m’adresser le 25 Aoüt dernier et qui ne m’est
parvenue que vers la fin de Septembre, les prisonniers d’Olmütz
partis le 19 (?) du meine mois, avoient dejk depasse la ville de
Dresde, pour continuer leur voyage k Hambourg, oü dans ce
moment ils doivent etre arrives.
Entretemps Vous aurez appris, M r , par le Baron de Buol
que non seulement il a ete pourvu aux besoins des prisonniers
Lafayotte in Oesterreich.
295
et leur transport fait au fraix de ma 1 cour, mais qu’au 2 sur-
plus ou a permis au negociant Hirsch de fournir conforme-
ment ä Vos desirs, l’argent necessaire aux depenses que la
famille de la Fayette seroient dans le cas de faire pour des
objets de commoditö et d’agrement. Le meme ministre Vous
aura fait connoitre la deference particuliere de S. M. pour
l’interet que les Etats-unis de l’Amerique ont paru attacher
ii la mise en liberte des dits prisonniers, ainsi que toute ma
sensibilite sur la maniere obligeante, avec laquelle Vous Vous
etes exprime h mon egard dans votre lettre a M 1 ' de Buol.
Vous voyes, M r , par ces details qu’on a prevenu 3 en tout
vos desirs touchant la famille de la Fayette; et quant au dessin
de M. Romeuf, il n’a pas dependu de vous de le realiser, car
ä peine s’est-on occupe ici des mesures de precautions usitees
en cas pareils pour lui faciliter son retour en Italie, qu’on a
regu l’avis que, sans attendre les passeports necessaires, il est
reparti de Dresde pour suivre Mr. de la Fayette, de faqon qu’il
semble avoir abandonne ou suspendu au moins pour quelque
temps l’execution de son projet.
Je suis au reste tres charme, Mr., d’avoir ete ä meme de
concourir h ce qui Vous est agreable et je saisis avec plaisir
cette occasion pour vous renouveller l’assurance de
la consideration distinguee avec laquelle
j’ai l’honneur d’etre etc.
Thugut.
Anhang P.
Wallis an Thugut.
2. November 1797. Keic.hskriegsministerium. Registratur des J. 1797, Lit. G,
n. 10850. (Originalact.)
,An den Herrn Minister Baron Thugut. Wien den 2 ten No
vember 1797.
Tit. ist bereits von demjenigen die Mittheilung geschehen,
was der kaiserliche Herr Minister in Hamburg Baron Buol-
Schauenstein wegen der durch den Major Auernhammer von
1 Correctur für notre.
2 Correctur für qu’on.
3 devine durchstrichen.
296
Büdinger. Lafayette iu Oesterreich.
Olmütz nach Hamburg üb erbrachten französischen Staats
gefangenen und des von demselben bey diesem seinem Auftrag
beobachteten guten und klugen Betragens dem Hofkriegsrath
zu vernehmen gegeben hat.
Nun hat der am 22. October hier zurück eingetroffene
Major Auernhammer die anschlüssige 1 Relation eingereicht,
welche nebst dem Erfolg seiner Reise insbesondere zu ersehen
gibt, wie die Gefangenen unterwegs sich betragen haben, in
Dresden von den Gattinnen und Kindern des Mauburg und
Bussy, einem Adjutanten des französischen Generalen Bonaparte
und zwey vormals bei dem Marquis Lafayette gestandenen
Adjutanten erwartet worden sind, Marquis la Fayette in Halle
einen Besuch von Professoren und von Studenten eine Nacht
musik erhalten hat, sonst aber auf der ganzen Reise nichts von
Erheblichkeit vorgefallen ist/
(Das Folgende enthält Verreclumngsfragen. Der Major erhielt noch
88 fl. für die Rückreise.)
' Fehlt.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
XCII. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1878. — NOVEMBER.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft.
20
Ausgegeben am 15. März 1879.
XXIII. SITZUNG VOM 6. NOVEMBER 1878.
Die Direction des k. k. Gymnasiums zu Jaslo erstattet
den Dank für die Bewilligung akademischer Publicationen.
Das w. M. Herr Professor Dr. Maassen legt eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor, welche be
titelt ist: ,Ein Commentar des Florus von Lyon zu einigen
der sogenannten Sirmond’schen Constitutionen'.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Aeademia real das sciencias de Lisboa: Sessäo publica em 12 de Dezembio
de 1875. Lisboa, 1875; 8°. — Sessao publica em 15 de Maio de 1877.
Lisboa, 1877; 8».
— — Conferencias celebradas. Primeira, segunda e tereeira Conferencia.
Lisboa, 1877; 8".
— — Historia e Memorias. Nova Serie. Tomo IV, parte II. Lisboa, 1877;
4°. — Historia da India. Decada 13. Parte I e II. de Rodrigo Jose de
Lima Feiner. Lisboa, 1876; 4°. — Historia do Congo do Visconde
de Paiva Manso. Lisboa, 1877; 8°. —• Corpo diplomatico Portuguez.
Tomo V. Lisboa, 1874; 4°. — Historia dos Estabelecimentos seienti-
ficos litterarios e artisticos de Portugal por Jose Silvestre Ribeiro.
Tomo V, VI e VII. Lisboa, 1876/78; 8°. — ColleQao de Monumentos in-
editos para a historia das eonquistas dos Portuguezes em Africa, Asia
e America. Tomo I. 1° Serie. Historia da Asia. Parte II. Lisboa, 1858/59;
4°. — Tomo II. l a Serie. Historia da Asia. Lisboa, 1860; 4°. — Parte II.
Lisboa, 1861; 4°.— Tomo III. l a Serie. Historia da Asia. Lisboa, 1862;
4°. — Parte II. Lisboa, 1863; 4°. — Tomo IV. l a Serie. Historia da
20*
300
Asia. Lisboa, 1864; 4°. —• Parte II. Lisboa, 1866; 4°. — Tomo V.
1“ Serie. Historia da Asia. Lisboa, 1868; 4°. — Quadro Elementar
das Relacjoes politicas e diplomatieas de Portugal com as diversas po-
tencias do Mundo pelo Jose da Silva Mendes Leal. Tomo XII e XIII.
Lisboa, 1874 e 1876; 8°.
Academia Real de Bellas Artes de San Fernando: Resumen de las Actas y
Tareas durante el ano 1877 por D. Eugenio de la CAmara. Madrid,
1878; 8°. — Discurso por D. Jose Maria Avrial. Madrid, 1878; 8°.
Academie Imperiale de Sciences de St-Petersbourg: Tome XXV. N° 2.
(Feuilles 7 A 14). 4°.
Akademie der Wissenschaften, königl. preussische, zu Berlin: Monatsbericht.
Juli und August 1878. Berlin, 1878; 8°.
Akademija Iugoslavenska znanosti i umjetnosti: Ead. Knjiga XLIV. U Za-
grebu, 1878; 8°.
— — Ogled. Ejecnik hrvatskoga ili srpskoga jezika; obradjuje G. J.
Danicic. Zagreb, 1878; 4°.
— — Monumenta historico-juridica Slavorum meridionalium. Pars I. Vol. II.
Statuta et leges civitatis Spalati cura Prof. Dr. J. J. Hanel. Zagrabiae,
1878; 8°. — Monumenta spectantia historiam Slavorum meridionalium.
Volumen VII. Documenta historiae ehroaticae periodum antiquam illu-
strantia. Zagrabiae, 1877; 8°.
Commissao central permanente de Geographia: Annaes. N° 2. Junho 1877.
Lisboa, 1877; 8°.
Delisie, Leopold: Notice sur un Manuscrit merovingien de la Bibliotheque
d’Epinal. Paris, 1878; Fol.
Gesellschaft, k. ls. geographische, in Wien: Mittheilungen. Band XXI (N. F.
XI). Nr. 8 und 9. Wien, 1878; 8».
Heidelberg, Universität: Akademische Schriften a. d. Jahre 1876. 16 Stücke.
4» und 8».
Mittheilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter
mann. XXIV. Band, 1878; X. Gotha, 1878; 4°.
,Bevue politique et litteraire 1 et ,Kevue scientifique de la France et de
l’Etranger*. VIII e Annee, 2 e Serie, N 0B 17 et 18. Paris, 1878; 4°.
Schwickert, J. J. Dr.: De l’Allemagne litteraire et philologique et des
Travaux de critique et d’interpretation des Anciens, en particulier de
Pindare. Luxembourg, 1879; 8°.
SocietA italiana di Antropologia, Etnologia e Psicologia comparata. Archivio.
Vol. VIII. Fascicolo 2°. Firenze, 1878; 4°.
Wormstall, Joseph Dr.: llesperien. Zur Lösung des religiös-geschichtlichen
Problems der alten Welt. Trier, 1878; 8°.
Maassen. Ein Commentar des Florus von Lyon.
301
Ein Commentar des Florus von Lyon zu einigen
der sogenannten Sirmond’schen Constitutionen.
Von
Friedrich Maassen,
wirkt. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
I.
Nach einem Cod. S. Mariani Antissiod. 0. P. hat Luc
d’Achery in seinem Spicilegium T. XII. p. 48 sq. eine kleine
Rechtssammlung herausgegeben, deren Verfasser durch die
Ueberschrift erkennbar gemacht ist. Sie lautet so: Haec a
domno Floro vivo •prudenti collecta sunt ex lege et canone. 1 Ob
diese Handschrift noch existirt, weiss ich nicht. Ebensowenig
ist mir von einem zweiten Exemplar etwas bekannt geworden.
Ich bin daher genöthig-t mich für die Beschreibung der Samm
lung an den Druck zu halten.
Die Sammlung beginnt mit dem Schluss der sechsten
unter den Sirmond’schen Constitutionen. 2 Dann folgt von der
vierten nichts als die Inscription; 3 der Text ist, offenbar durch
ein Versehen, 4 ausgefallen. Beide Stellen handeln von recht-
1 S. meine Geschichte der Quellen u. s. w. I. S. 874 fg.
2 Nach ihrem ersten Herausgeber so genannt: Jac. Sirmondus Appendix
Codicis Theodosiani novis eonstitutionibus cumulatior. Paris. 1631. Die
ersten achtzehn dieser einundzwanzig Constitutionen sind zuletzt heraus
gegeben von G. Haenel: XVIII constihitiones, quas Jaeobus Sirmondus
ex codicibus Lugdunensi atque Anitiensi . . divulgavit. Bonnae 1844. (Im
bonner Corpus juris Antejustinianei Vol. II. p. 405 sq.) S. über die
Sammlung der achtzehn Constitutionen (,Sirmond’sche Constitutionen
sammlung') meine Geschichte der Quellen I. S. 792 fg.
3 Constantinus ad Felicem praefeclum praetorio.
1 Die Inscription erscheint hier nun als zu dem nächstfolgenden Fragment
(der ersten Sirmond’schen Constitution), dessen Inscription ausgefallen
ist, gehörig.
302 Ma aasen.
liehen Einschränkungen der Juden. Nun folgen Fragmente
der ersten, dritten, sechsten, elften, eine Abbreviation der
fünfzehnten und ein Fragment der zwanzigsten Sirmond’schen
Constitution. 1 Die Reihenfolge wird nur einmal unterbrochen.
Es sind nämlich nach dem Fragment der ersten Constitution
drei Stücke eingeschohen, von denen die beiden letzten
carthagische Canonen wirklich sind (c. 59 und 104 des car-
thagischen Concils der Dionysiana) und das erste ebenfalls Ex
concilio Cartaginensi inscribirt ist, ohne dass ich indess seine
carthagische Herkunft nachweisen könnte. An das Fragment
der zwanzigsten Sirmond’schen Constitution schliesst sich eine
kurze Ausführung über seinen Inhalt. Dann folgen noch
zwei carthagische Canonen (c. 12 und 15 in der Dionysiana).
Die Mehrzahl dieser Stellen handelt, wie ich es hier nur all
gemein bezeichnen will, von der Gerichtsbarkeit der Bischöfe,
der zweite Theil des Fragments der ersten Constitution von
dem Zeugniss der Bischöfe, das Fragment der zwanzigsten
Constitution von dem Asylrecht. Den Schluss dieser Com
pilation bildet mit der Inscription Ex epistola episcopi ad im-
peratorem de baptizatis Hebreis ein längeres Bruchstück eines
Schreibens, in welchem der Kaiser gebeten wird dreiundfünfzig
getaufte Juden mit seiner Autorität gegen Vexationen zu
schützen.
Zur Zeit Agobard’s waren heftige Conflicte mit den in
Lyon in grosser Anzahl befindlichen Juden ausgebrochen. Die
Mauriner haben wohl nicht mit Unrecht die Vermuthung aus
gesprochen, dass Florus die von den Juden handelnden Stellen
mit Rücksicht auf diese Streitigkeiten zusammengestellt habe. 2
Dass auch der Compilirung der übrigen Stellen, welche
von der bischöflichen Gerichtsbarkeit handeln, eine practische
Tendenz zu Grunde lag, wird die folgende Untersuchung
ergeben.
Ich will vorher nur noch bemerken, dass die von Florus
benutzten sogenannten Sirmond’schen Constitutionen sämmtlich
1 Die zwanzigste unter den Constitutionen Sirmond’s, ein Gesetz Valen-
tinian’s III. mit dem Anfang Audemus quidem, ist abgedruckt bei Haenel
Corpus Legum . . . ante Justinianum latarum etc. Lips. 1857. p. 241.
2 Histoire literaire de la France V. 225.
Ein Commentar des Florus von Lyon.
303
bis auf die letzte in einer Sammlung von achtzehn Constitu
tionen enthalten sind, die durch eine früher dem Domcapitel
von Lyon gehörige Handschrift des achten Jahrhunderts über
liefert ist. 1 Die letzte Constitution findet sich unter andern
in einigen gallischen Sammlungen des Kirchenrechts. 2
H.
In dem Cod. A 46 inf. saec. X. der Ambrosiana zu Mai
land 3 ist eine Canonensammlung enthalten, welche ihr Material
mit unbeträchtlichen Ausnahmen der Concordia canonum des
Cresconius, 4 der sogenannten Dacheriana, 5 der sogenannten
Herovalliana, 8 der Sammlung in vier Büchern, 7 der Capitu-
lariensammlung des Ansegisus, einzelnen ausserhalb dieser be
findlichen Capitularien, der unächten Capitulariensammlung
des Benedict, 8 einer Epitome des westgothischen Breviars, 9
den pseudoisidorischen Decretalen und der Collectio Anselmo
dedicata entlehnt hat. Zu dem aus andern Quellen stammen
den Material gehören die von der Gerichtsbarkeit der Bischöfe
und dem Asylrecht handelnden Constitutionenfragmente des
Florus. Sie erscheinen hier, mit einigen Abweichungen, von
1 Ich habe in meiner Bibi. Lat. jur. can. manuscripta (Sitzungsberichte
Bd. 56 S. 173 fg.) zu zeigen versucht, dass der Cod. Phillipp. 1745
(ehemals Jes. 569) identisch sei mit dem Codex Lugdunensis Sirmond’s.
Die Sammlung der achtzehn Constitutionen ist ausserdem noch enthalten
in einer pariser Handschrift des zehnten Jahrhunderts (Cod. lat. Paris.
1452). Es ist wohl eben nicht unwahrscheinlich, dass Florus das der
Kirche von Lyon gehörige Exemplar für seine Sammlung benutzte.
2 S. meine Geschichte der Quellen I. S. 321.
3 Auf f. 15 steht von einer Hand saec. XIV./XV.: late Uber est sancti Dio-
nysii Mediolanen. ordinis sancti Benedicti.
4 A. a. O. S. 806 fg.
5 A. a. O. S. 848 fg.
s A. a. O. S. 828 fg.
7 A. a. O. S. 852 fg.
8 Sie wird hier genannt Capilularia ex canonica auctoritate promulgata.
9 Der zuerst von Petrus Aegidius 1517 unter dem Titel Summae legum
herausgegebene Auszug. Zuletzt von Haenel edirt unter dem Namen
Epitome Aegidii mit der Lex Romana Visigothorum. S. über diesen Aus
zug Haenel in den Prolegomena und Savigny Geschichte d. r. R. i. M.
2. Aufl. Bd. 2 S. 59.
304
M a a s s e n.
denen später die Rede sein soll, in der gleichen Auswahl, Ge
stalt und Ordnung wie bei d’Achery.
Die einzelnen Fragmente sind aber hier von einem Com-
mentar begleitet. Auch die bei d’Achery vorkommende Aus
führung zur zwanzigsten unter den Sirmond’schen Constitutionen
findet sich hier als Theil des Commentars zu dieser Con
stitution.
Dieser Commentar ist es, der in der nachfolgenden Unter
suchung unser Interesse hauptsächlich in Anspruch nimmt.
III.
Der Commentar richtet seine scharfe polemische Spitze
gegen einen bestimmten Bischof.
Derselbe wird höhnend ein Gerichtsbischof, praetorialis
episcopus, genannt.
Er wird beschuldigt, dass er die Geistlichen zwinge ad
saeculare examen zu gehen, ad saecidaria jurgia sie ziehe.
Es wird ihm vorgeworfen, dass er, der an den Brüsten
der Kirche ernährt sei, ihr geringere Ehrfurcht zolle, als der
eben vom Heidenthum bekehrte Kaiser Constantin ihr bot.
Er entehrt die Geistlichen, indem er wie der Usurpator
Johannes zur Zeit Theodosius’ II. und Valentinian’s III. sie
dem Urtheil der weltlichen Gewalt unterwirft; er verdiente
daher wie dieser ein hasserfüllter Tyrann genannt zu werden.
Nicht bloss zieht er andre Geistlichen vor die weltlichen
Gerichte, während doch alle kirchlichen Personen in der
Kirche ihre Richter haben; sondern er präsidirt auch selbst
unsinnigen Processverliandlungen mit ihren Fechterkünsten.
In den Gegenden, in welchen der Verfasser lebt und
welche dieser Bischof so in Unruhe versetzt, haben selbst die
Laien bis jetzt den Grundsatz respectirt, dass die Cleriker nur
vor den geistlichen Richter gehören. Das soll jetzt durch ihn
umgestürzt werden. Er, der selbst nichts Gutes ordnet, sollte
doch mindestens die bestehenden guten Ordnungen nicht
verkehren.
Nicht das evangelische, nicht das apostolische, nicht das
canonische, nicht das römische Recht schützen den Clerus vor
der von diesem Bischof geliandhabten weltlichen Gewalt.
fl
Ein Commentar des Florus von Lyon.
305
Wer führt diese geharnischte Sprache und gegen welchen
Bischof ist sie gerichtet?
IY.
Hat Florus, der Compilator des commentirten Textes,
selbst auch den Commentar verfasst? Offenbar liegt diese
Frage nicht allzu fern.
Von Wichtigkeit scheint hier nun eine Thatsache zu sein,
deren schon oben gedacht wurde. Es hat sich nämlich ein
Stück der Interpretation auch in dem der Ausgabe d’Achery’s
zu Grunde liegenden Exemplar der kleinen Sammlung des
Florus gefunden. Diese Spur führt auf ein Exemplar, resp. eine
Bedaction zurück, welche den ganzen Commentar enthielt.
Indessen würde dieser Umstand allein doch nicht genügeii um
den Florus mit Sicherheit für den Verfasser halten zu können,
da hier noch immer Raum für andre Combinationen bliebe.
Es ist ein andrer Umstand, welcher uns gestattet mit
besserem Grunde auf die Autorschaft des Florus zu schliessen.
Wir besitzen nämlich ein von demselben Florus verfasstes
Gedicht, in welchem ganz dieselben Beschuldigungen, wie in
unserm Commentar, gegen einen Bischof erhoben werden. 1 Nur
werden hier, anders als in dem Commentar, der gewaltthätige
Bischof mit Namen genannt und die bedrängte Diöcese deutlich
bezeichnet. Der böse Bischof ist Modoinus von Autun, die
arme Diöcese aber ist dieselbe, welcher auch der Verfasser
des Gedichts angehörte, die Erzdiöcese von Lyon.
Modoinus, den die Kirche von Lyon erzeugt und genährt
hat, 2 zerreisst das Gesetz und vernichtet das heilige Recht der
Canonen um in den Eingeweiden seiner Mutter zu wühlen.
Quicl, quaeso, sacrosancta tibi nutricula nostra
Atque eadem genitrix eclesia liaec meruit?
1 Herausgegeben von Mabillon Vetera Analecta I. 39G sq. Der Ausgabe
liegt die jetzige pariser Handschrift 2832 zu Grunde. S. u. ,Nachtrag*.
Die Autorschaft des Florus steht ausser Zweifel, da er sich selbst im
Gedicht nennt.
2 Bevor Modoinus Bischof von Autun wurde, war er Abt von St. Georg in
der Diöcese von Lyon. Vgl. Mabillon Ann. II. 629.
306
Maasse n.
Discindis leges, canonum sacra jura revellis,
Dum materna modo viscera proh! subigas (Mab. subigis).
Er verfolgt die Kirche von Lyon, er entreisst ihre Söhne ihrem
friedlichen Wirkungskreis. Florus lässt die bedrängte Kirche
selbst reden:
0 fili Moduine, tibi (nam pignus et ipse
Es nostrum, nostro fotus et in gremio)
Quid rogo commerui, tanto quod tempore tuta
Sedibus e placidis pignora nostra fugas?
Cur hanc persequeris, cur dulcia pignora carpis ?
Von jeher, fährt die klagende Kirche fort, sind die beiden
Stände, des Clerus und der Laien, unterschieden worden und
jeder Theil hat unter seinen eignen Richtern gestanden. Du
aber willst die alte Umfriedung wegräumen, die Schutzmauer
umwerfen und die alten Gränzen verrücken.
Semper distinctus duplex hie ordo cucurrit
Judicibusque suis utraque pars viguit.
Ordinibus sacris reverentia debita cessit,
Plebejos rexit lex sua quemque viros.
Quid mihi nunc veterem tu vis subvertere sepemt
Quid mihi maceriam diruis oppositamt
Cur veteres fines nostro convellere f undo
Niteris et cuncta pervia rura fadst
Modoinus setzt sich durch seine Handlungsweise in Wider
spruch mit den Vorschriften des Evangelium, der Apostel, der
Kirche 1 und der Kaiser Constantin, Theodosius, Arcadius und
Honorius.
Te preme, te perime; nam me spoliare nequibis
Auxiliis fultam semper ubique Dei.
1 Unter den pia jura Dei ist hier offenbar das Recht der Kirche zu ver
stehen, da die Vorschriften Christi selbst schon vorher als ,evangelischer
Schild 1 bezeichnet sind.
Ein Commentar des Florus von Lyon.
307
Post evangelicos clipeos, post tela corusca
Oris apostolici, post pia jura Dei
Me Constantinus reverendo munit ab ore;
Me quoque Theodosius protegit ore pio.
Arcadio dulci praedulcis (Mab. perdulcis) Honorius Tiaerens
Me dulci eloquio laudat, bonorat, amat.
Er, der die alten guten Ordnungen nicht kennt, soll
mindestens aufhören das Gute, was er nicht kennt, zu zer
stören.
Al tu, si veterum nescis pia jura piorum,
Desine, quod nescis, dilaniare bonum.
Er verweigert dem Clerus die ihm gebührende Ehre; er,
der ein Vater des Clerus sein sollte, erhöht sich um diesen
zu erniedrigen; er unterwirft alle mit Ausnahme des Bischofs
und der Aebtissin dem weltlichen Gericht.
Dicere: nullus honor debetur, credite, sacris
Ordinibus, cunct.os pulset ubique forum.
Nam nisi coenobium mater muliebre gubernans
Et sacer antistes, cetera pulvis erunt.
Si pater es cleri, noli contemnere clerum
Nec te sic ut eos erige deicias.
Das sind die wichtigsten Puncte der Anklage, welche
Florus gegen den Modoinus richtet. Die Uebereinstimmung
mit dem Commentar springt in die Augen. Hier wie dort wird
von dem Grundsatz ausgegangen, dass der Clerus seine Richter
nur in der Kirche habe. Hier wie dort Berufung auf die
evangelischen, apostolischen, canonischen Vorschriften und das
römische Recht. Hier wie dort ein Bischof der Schuldige,
der die alten Ordnungen umstürzt, der die Geistlichen dem
weltlichen Gericht unterwirft, der die Andern erniedrigt um
sich selbst zu erhöhen. U. s. w.
Zu dieser Uebereinstimmung der beiden Streitschriften
kommt noch ein bemerkenswerther Umstand. Florus verweist
in dem Gedicht auf eine andre Schrift, in der dasselbe Thema
kurz ausgeführt sei, eine Schrift, in der Modoinus die An
ordnungen der alten der Kirche wohlgesinnten [Gesetzgeber]
mit Müsse studiren könne.
308
Maassen.
At tu, si veterum nescis pia jura piorum,
Desine, quod nescis, dilaniare bonuni
Et cape tranquillus, brevibus (Mab. brevius) quod pagina verhis
Altera pacißco saggerit en studio.
Dass Florus damit eine von ihm selbst verfasste Schrift
meint, ist klar; denn sonst hätte er entweder den Autor nennen
oder doch in andrer Weise die Schrift näher characterisiren
müssen. Wenn nicht eine zweite Schrift desselben Verfassers
gemeint wäre, so würde die Bezeichnung mit pagina altera zu
allgemein und unbestimmt sein.
Wir haben, wie mir scheint, nach allem diesem kein
Recht zu zweifeln, dass die Streitschrift, welche in der Gestalt
eines Commentars zu den Sirmond’sclien Constitutionen die
mailänder Handschrift uns überliefert hat, wie das Gedicht über
die Verfolgung der Kirche von Lyon, von Florus von Lyon
gegen Modoinus von Autun gerichtet ist. Dass in dem Ge
dicht der Name des Gegners genannt ist, hat seinen guten
Grund. Dasselbe hat nämlich die Gestalt eines an seine Adresse
gerichteten Schreibens. Der Commentar dagegen hat keine
bestimmte Adresse. Die concrete, dem Publicum des Verfassers
wahrscheinlich nicht unverständliche Beziehung auf eine be
stimmte Diöcese ist übrigens aus dem Commentar zur fünf
zehnten Sirmond’schen Constitution ersichtlich. Wenn der
Verfasser von einer gesetzlichen Bestimmung sagt, dass sie
,in diesen Gegenden*, in his regionibus, auch von den Laien be
folgt werde, so denkt er dabei zunächst an seine Diöcese.
Will nun trotzdem ein ängstliches critisches Gewissen
nur ,einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit* annehmen, so
habe ich auch dagegen nichts einzuwenden. Nur bitte ich
mir eines zu gestatten: dass nämlich in der nachfolgenden Er
örterung der juristischen Controverse zwischen Florus und
Modoinus ich den Ersteren mit dem Verfasser und den Letzteren
mit dem praetorialis episcopus des Commentars identificire. Ich
versichere auch auf das bündigste, dass dies nur hypothetisch
gemeint ist.
Früher aber ist noch von den oben nur angedeuteten
Verschiedenheiten zwischen der Sammlung der mailänder Hand
schrift einerseits und der Sammlung des Florus in der
Ein Coromentar des Florus von Lyon.
309
d’Achery’schen Ausgabe andrerseits zu bandeln. Es fragt sich:
wie diese Verschiedenheiten zu erklären sind?
Y.
Ich will die Differenzen anführen.
1. Es fehlen in der mailänder Handschrift folgende Stücke
der ersten Sirinond’schen Constitution, die bei d’Achery Vor
kommen :
a) die Worte Sanximus namque — incorruptasque servari,
scilicet ut, mit denen bei d’Achery das Fragment beginnt;
b) die Sätze Multa—- auctoritas und Sive itaque — pervenire.
c) das von dem Zeugniss der Bischöfe handelnde Stück,
welches den Schluss des Fragments bei d’Achery bildet.
2. Dagegen sind in der mailänder Handschrift folgende
Stücke enthalten, welche bei d’Achery fehlen:
a) in dem Fragment der ersten Constitution die Stelle
Quicumque itaque litem — litigantium dirigatur;
b) in der sechsten Constitution die Worte his manentibus,
quae circa eos sanxit antiquitas;
c) ein Fragment der siebenzehnten Constitution, welches
zwischen dem in beiden Sammlungen befindlichen Auszug der
fünfzehnten und dem ebenfalls in beiden vorkommenden Frag
ment der zwanzigsten Constitution seine Stelle hat.
3. Die drei carthagischen Canonen, welche bei d’Achery
die Reihenfolge der Constitutionen unterbrechen, stehen in der
mailänder Handschrift unmittelbar vor denselben.
Nun ist Folgendes klar. Die zuletzt (unter 3) erwähnte
Abweichung in der Aufeinanderfolge der Stücke würde ebenso
wenig wie der Umstand, dass in der mailänder Handschrift
einiges fehlt, was bei d’Achery vorkommt, einen genügenden
Grund bieten zwei Redactionen der Sammlung des Florus
anzunehmen. Es hindert nichts diese Verschiedenheiten auf
Rechnung des Autors der Sammlung der mailänder Hand
schrift zu setzen. Anders verhält es sich mit der Thatsache,
dass in der Letzteren umgekehrt einiges vorkommt, was bei
d’Achery fehlt. Hier bietet sich als die einzig wahrscheinliche
Erklärung die, dass der Autor der genannten Sammlung eine
Redaction der Sammlung des Florus benutzt hat, welche diese
310 Maassen.
Stücke enthielt. Auf die Annahme zweier verschiedenen Redac
tionen führt uns überdies noch ein andrer Umstand. Wie oben
bereits erwähnt wurde, findet sich bei d’Achery ein einzelnes
Stück des Commentars. Wenn wir auf den Inhalt reflectiren,
so erkennen wir die kürzende Hand, welche von dem Com-
mentar nur das beibehielt, was nicht gegen einen bestimmten
Bischof gei’ichtet oder, wie die beiden Sätze: Quid clarius, quid
religiosius dici potuit? und Hoc apertius et absolutius hac lege
precipitur, quod in alio pragmate superius paulo obscurius
fuerat promulgatum, nur in dem Zusammenhang des ganzen
Commentars Sinn und Bedeutung hatte.
Sei dem übrigens wie ihm wolle: möge man eine andre
Erklärung finden, welche noch grössere Wahrscheinlichkeit
bietet, — allemal muss die flüchtigste Vergleichung lehren,
dass die zwischen d’Achery und dem mailänder Codex vor
handene Uebereinstimmung in der Auswahl, Reihenfolge und
Gestalt der Fragmente der Sirmond’schen Constitutionen nicht
dem Zufall zugeschrieben werden, sondern allein in einer ge
meinsamen Quelle ihren Grund haben kann, für die nach dem,
was vorliegt, nur eine von Florus verfasste Compilation —
a domno Floro viro prudenti collecta — zu halten ist.
Ich will noch einen Umstand nicht unerwähnt lassen. Es
sind nämlich Gründe vorhanden welche zu der Annahme be
rechtigen, dass der Commentar sich nicht auf die Sirmond’schen
Constitutionen beschränkt, sondern auch noch andre Belege
für die Rechtsansicht des Verfassers umfasst habe. Davon soll
aber in einem andern Zusammenhang gehandelt werden.
VI.
Suchen wir nun festzustellen: worin denn eigentlich die
Controverse zwischen dem streitbaren Diacon der Kirche von
Lyon und dem Bischof von Autun besteht.
Florus wirft dem Modoinus vor, dass er die Geistlichen
vor die weltlichen Gerichte ziehe. Der Geistliche ist nach ihm
in keiner Sache dem öffentlichen Gericht unterworfen, auch
nicht in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und um weltlicher
Verbrechen willen. An Civilsachen denkt Florus, wenn er
daran erinnert, dass Constantin sogar die Laien genöthigt habe,
Ein Commentar cles Florns von Lyon.
311
ihre Rechtssachen vor dem Bischof zu führen; ebenso, wenn
er den Modoinus beschuldigt, dass er die Cleriker ad saecularia
jurgia ziehe. Dagegen bezieht sich auf Strafsachen — und
wenn nicht auf sie allein, so doch jedenfalls auch auf sie —
das im Commentar zur letzten Constitution Gesagte. In diesem
Gesetz gewährt Yalentinian III. eine ausserordentliche Erweite
rung des Asylrechts. Wer eines Verbrechens angeklagt wird,
der soll, ohne Rücksicht auf den Ort, an dem er sich befindet,
von der Seite eines Bischofs, Priesters oder Diacons nicht mit
Gewalt fortgeführt werden dürfen. Wie soll aber dies Asyl
recht bestehen können, sagt Florus, wenn die, welche zum
Schutz des Angeschuldigten berufen sind, selbst nicht sicher
sind vor weltlicher Gewalt? Dies Raisonnement schliesst jede
Gewaltanwendung staatlicher Organe in Strafsachen der Geist
lichen aus.
Es giebt für den Geistlichen keine andre Gerichtsgewalt
als die der Kirche.
Semper distinctus duplex hic ordo cucurrit
Iudicibusque suis utraque pars viguit —
heisst es im Gedicht. Und im Commentar:
Si omnes ecclesiastici habent utique in ecclesia judices
suos, cur ad alienos judices impellantur ?
Das ist der Standpunct des Florus.
Untersuchen wir jetzt, ob es möglich ist die Rechts
ansicht zu bestimmen, der im Gegensatz zu ihm Modoi
nus folgte.
Seit dem Edict Chlothar’s II. vom Jahr 614 bestand im
Frankenreich für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten der Geist
lichen im wesentlichen folgendes Verhältniss. Die Gerichts
barkeit stand allein der weltlichen Gewalt zu. Aber es musste
da, wo ein Geistlicher der Beklagte war, dem Bischof Gelegen
heit gegeben werden die streitenden Parteien auszugleichen;
sei es nun, dass diese sich sofort an ihn wandten, sei es, dass
durch den weltlichen Richter dem Bischof die Mittheilung
geschah. Das Verfahren vor diesem war jedoch ein reines
Güteverfahren. Kam der Ausgleich nicht zu Stande, so hatte
der Bischof dafür zu sorgen, dass die geistliche Partei dem
weltlichen Forum sich stelle. Das Urtheil zu sprechen war
312
M a a s s e n.
sammt der Execution Sache des öffentlichen Gerichts. Und
auch in Person mussten die Geistlichen vor dem weltlichen
Richter erscheinen. Befreit waren allein die Bischöfe, Aebte
und Aebtissinnen. Diese konnten sich durch ihre Vögte ver
treten lassen. 1
Zunächst lässt nun darüber die Darstellung des Florus
keinen Zweifel, dass Modoinus den von Florus verworfenen
weltlichen Gerichtsstand der geistlichen Personen in bürger
lichen Sachen im allgemeinen anerkannte. Nicht minder ist
aber auch das gewiss, dass er das' von dem weltlichen Recht
den Bischöfen [Aebten] und Aebtissinnen gewährte Vertretungs
privileg nicht bestritt. Es hat sogar den Anschein, dass er
die Befreiung der genannten Personen über das blosse Ver
tretungsrecht hinaus ausgedehnt und dieselben als ganz eximirt
von der weltlichen Gerichtsbarkeit betrachtet habe. Denn da
Florus dem Modoinus kurz vorher vorwirft, dass er die Sub-
jection des Clerus unter das weltliche Forum fordre:
Dicere, nullus honor debetur, credite, sacris
Ordinibüs, cunctos pulset ubique forum,
so kann die unmittelbar darauf angeführte Ausnahme:
Nam nisi coenobium mater muliebre gubernans
Et sacer antistes, cetera pulvis erunt,
nicht füglich von einem blossen den Bischöfen u. s. w. von
Modoinus zugestandenen Vertretungsprivileg verstanden werden.' 2
Die Controverse zwischen Florus und Modoinus bezog
sich aber nicht bloss, wie wir gesehen haben, auf die bürger
lichen Rechtsstreitigkeiten der Geistlichen, sondern auch auf
ihre Strafsachen. Der Standpunct des Florus ist auch hier
klar: er läugnet jede Gewalt des weltlichen Gerichts. Das
1 Vgl. Sohm Die geistliche Gerichtsbarkeit im fränkischen Reich in Zeit
schrift für Kirchenrecht IX. S. 193 fg., insbesondre S. 199—231, ferner
Richter-Dove Lehrbuch des Kirchenrechts 7. Aufl. S. 611 fg. und
E. Loening Geschichte des deutschen Kirchenrechts Bd. 2 S. 507—515.
2 Man müsste also schon annehmen, dass Florus sich über die Rechts
ansicht des Modoinus geirrt und für gänzliche Befreiung von der welt
lichen Gerichtsbarkeit gehalten hätte, was von Modoinus nur als Be
freiung vom persönlichen Erscheinen vor Gericht gemeint war.
Ein Commentar des Florua von Lyon.
313
Semper distinctus u. s. w. des Gedichts 1 und das cur ad judices
alienos impellantur? des Commentars schliessen jede Competenz
desselben aus.
Schwieriger ist es zu erkennen, wie Modoinus die
Stellung des weltlichen Richters aufgefasst habe. 2
Florus wirft ihm vor, dass er den evangelischen, apo
stolischen, canonischen und römischen Vorschriften zuwider-
handle, welche die Cleriker vor weltlicher Gewalt schützten,
dass er die Geistlichen ihrem friedlichen Wirkungskreis ent-
reisse, dass er die Kirche von Lyon ihrer Söhne beraube.
Dass Florus dabei nicht an rein willkürliche Gewaltacte,
sondern an Massregeln denkt, welche auf gerichtlicher Anord
nung beruhten, kann nach dem Zusammenhang nicht zweifel
haft sein. Nicht, dass die weltliche Macht willkürlich gegen
1 S. oben S. 306.
2 Ohne selbst hier auf die Frage eingehen zu wollen bemerke ich nur,
dass über den Stand der fränkischen Gesetzgebung in Betreff dieses
Puncts eine grosse Differenz der Ansichten besteht. Darin stimmen
freilich die’ beiden neuesten Schriftsteller, welche sich eingehender mit
dieser Frage beschäftigt haben, Solnn (a. S. 312 Note 1 a. O. S. 247 fg.)
und Loening (a. a. O. S. 51G fg), überein, dass seit dem Edict Chlo-
thar’s II. vom Jahr 014 bis über die Mitte des neunten Jahrhunderts
hinaus keine wesentliche Aendorung- eingetreten sei. Aber über den
' Sinn des genannten Gesetzes, so weit es von Strafsachen handelt, und
demnach über die auf ihm beruhende reale Gestalt des Verhältnisses
haben beide eine nahezu entgegengesetzte Ansicht. Sohin findet in dem
Gesetz Clotliar’s, dass die Urtlieilsfällung in Strafsachen der Geistlichen
dem geistlichen Gericht und nur die Einleitung des Verfahrens dem
weltlichen Richter zustelien solle. Doch sollen auch hier von persön
lichen Zwangsmassregeln der Bischof, Priester und Diacon regelmässig
befreit sein. Dagegen ist Loening der Ansicht, dass nach wie vor dem
Edict Chlothar’s die Gerichtsbarkeit in peinlichen Sachen der Geistlichen
dem weltlichen Richter zugestanden habe. Das Gesetz verfügte nur,
dass gegen den im weltlichen Strafgericht überführten geistlichen Ver
brecher auch nach Massgabe der kirchlichen Vorschriften ein Disciplinar-
verfahren stattzufinden habe. Waitz- Verfassungsgeschichte II. 488 stimmt
mit Sohm in dem Hauptpunct überein, dass das Urtheil vom kirchlichen
Gericht gesprochen sei. Dove a. a. O. §. 212 Note 17 ist der Ansicht,
dass das Gesetz Chlothar’s über das Urtheil in peinlichen Sachen nichts
entscheide. Dass aber in der carolingischen Zeit die Urtlieilsfällung in
Strafsachen der Geistlichen der Kirche zugestanden habe, bejaht er
(S. 649).
Sitzurigsber. d. pliil,-liisr. CI. XCII. Bd. II. Hit. 21
314 Maassen.
Geistliche verfahre, sondern, dass sie überhaupt Gewalt über
Geistliche sich beilege, bildet hier den Grand der Beschwerde.
Ist es nun nothwendig aus dem, was Florus vorbringt,
zu schliessen, dass Modoinus die weltliche Gerichtsbarkeit in
peinlichen Sachen der Geistlichen anerkannt habe?
Nothwendig ist dies nicht. Wessen Florus den Modoinus
beschuldigt, das kann ebensowohl von Zwangsmassregeln, die
zur Einleitung des Verfahrens dienen, als von eigentlichen
Strafen verstanden werden. Wir müssen, daher darauf ver
zichten diese Frage zu entscheiden.
Florus macht dem Modoinus endlich noch den Vorwurf,
dass er selbst weltlichen Gerichtsverhandlungen präsidire. 1 Er
bezeichnet dies als mit der verecunäia ecclesiastica unverträg
lich. Ein andres Mal nennt er ihn höhnend einen praetorialis
episcopus.
Dieser Punct steht in Zusammenhang mit einer andern
Frage, von der jetzt gehandelt werden soll.
VII.
Es drängt sich nämlich von selbst die Frage auf: wie
hatte denn Modoin, der Bischof von Autun, Macht und Auto-
rität die Geistlichen der Erzdiöcese von Lyon vor die welt
lichen Gerichte zu ziehen und Zwangsgewalt gegen sie anzu
wenden?
Florus sagt uns: er habe den Gerichtsverhandlungen
präsidirt. Modoinus wirkte also im öffentlichen Gericht mit.
Hier sind nun zwei Fälle denkbar.
Entweder Modoinus betheiligte sich an dem Gericht des
Grafen, wo denn ihm der Ehrenvorsitz gebührte. Trotz kirch
licher Verbote finden sich aus der carolingischen Zeit zahl
reiche Beispiele einer Theilnahme von Bischöfen am öffent
lichen Gericht. 2 Es bliebe dann nur zu erklären, wie Modoin,
der Bischof von Autun, dazu kam in der Diöcese seines
—
1 So im Commentar. Dahin kann aucli das Nec te sic ul cos erige deicias
des Gedichts verstanden werden.
2 S. Sohm a. a. O. S. 218 Note 64 und Fränkische Keichs- und Gerichts
verfassung S. 340. S. auch Loening a. a. 0. S. 535.
B
Ein Commentar des Florus von Lyon.
315
Metropoliten, des Erzbischofs von Lyon, eine solche Wirksam
keit zu üben.
Oder Modoinus hielt als königlicher Missus Gericht. 1
Dass er bei Ludwig dem Frommen, zu dessen treuesten An
hängern er zählte, 2 in Ansehen stand, ist ausser Zweifel. Als
Theodulf von Orleans aus seiner Verbannung sich klagend und
hülfeflehend an ihn wendet, 3 antwortet Modoinus, 4 dass er
nicht aufhöre für seine Rückkehr thätig zu sein. 5 Er ist im
Stande dem schwer gestraften Bischof das Mittel zu nennen,
mit dem er den Zorn des Kaisers besänftigen werde. Der
Kaiser habe nämlich versprochen ihm zu helfen, wenn er
selbst bekenne, dass er gefehlt habe. 0 Mit dem mächtigen
Günstling Ludwig’s, dem Grafen Matfrid, steht er in Verbin
dung. 7 Dass Modoinus eine angesehene und einflussreiche
Stellung unter seinen Zeitgenossen einnahm, wird uns auch
anderweitig bestätigt. Einen proretci in den Stürmen, von
denen das Reich heimgesucht sei, nennt ihn Walafridus Strabo. 8
Unser Heisssporn Florus selbst rühmt in einem früheren Ge
dicht des Modoinus ,glänzende Verdienste'. 9 Unter den drei
von Ebo von Reims zu Richtern erwählten Bischöfen, welche
seine Absetzung aussprachen, befindet sich auch Modoinus. 10
Dass er zu Reichsgeschäften rein weltlicher Art verwandt
1 Vgl. über die Königsboten im allg. Waitz III. 471 fg., IV. 340 fg., Ficker
Forschungen II. 118 fg., Solmi Reichs- und Gerichtsverfassung S. 482 fg.
2 S. Dümmler Ostfränkisches Reich I. 80, Simson Ludwig der Fromme
II. 50.
3 Bibi. max. XIV. 46.
4 L. c. p. 48.
Sed gut cessabo nunguam certare precando
Pro reditu vestro quique lahoro libens.
Nidlo alio superare modo puto principis iram
Posse, probes nisi te eriminis esse reum.
Promittit, si te peccasse fateberis ipse,
Consilium Caesar dedere veile tibi.
7 Matfredum crebris appellat epistola diclis
Lectaque sunt vestra verba frequenter ei.
Ille valet lapsis optatam adhibere medelam rel.
S. auch Simson I. 289.
8 Bibi. max. XV. 230.
3 Martine Thesaurus aneedotoruin V. 6IG.
10 S. Simson II. 134.
21*
316
Maassen.
wurde, erfahren wir durch Lupus. Er erzählt, dass, als zu
militärischen Zwecken Aquitanien in drei Districte getheilt
wurde, dem einen derselben Modoinus mit dem Grafen Aut-
bert von Avalon vorgesetzt sei. 1
Nicht ganz ausser Zusammenhang mit unserm Thema
steht es, wenn ich zur Characteristik des Modoinus noch das
Urtheil anführe, welches er selbst über den Clerus seiner Zeit
hatte. Er schreibt dem in der Verbannung befindlichen Theo-
dulf: es sei des Clerus eigne Schuld, wenn er verachtet sei
und keiner, der ihm angehöre, für treu gehalten werde; für
das Wohl des Bruders hege keiner Theilnahme, jeder denke
nur an irdischen Gewinn und jage vergänglichen Schätzen
nach. 2
VIII.
Im Jahr 815 wird Modoinus schon als Bischof von Autun
genannt. 3 Im Jahr 843 finden wir einen Andern als Vor
steher dieser Diöcese. 4 Mabillon, der Herausgeber des an
Modoin gerichteten Gedichts über die gegen die Kirche von
Lyon geübte Gewalt, spricht die Vermuthung aus, dass die ihm
Schuld gegebene Verfolgung der genannten Kirche in die Zeit
falle, da durch die Absetzung des Agobardus die Erzdiöcese von
Lyon verwaist gewesen sei. 5 Das wäre also in die Zeit von 835
bis spätestens 840, wo Agobardus starb. 0 Mabillon meint: es
sei damals einem so einflussreichen Mann wie Modoinus leicht
1 Ep. 28 in Opera Paris 1664 p. 51, bei Migne CX1X. 477.
2 Culpa sacerdotum facit hoc, quod vilis habetur
Ovdo ministerii maximus ille sacri.
Inter eos ejfectus nullus fidus habetur,
Commendat sancto gratia quosque Loco.
Nemo gemit miserans alienae incommoda vitae,
Pro fratris pulsans utilitate sui.
Unusquisque studet terreno incumbere lucro,
Sectalur fragiles deliciosus opes.
In dem Gedicht an Theodulf von Orleans, Bibi. max. XIV. 49.
3 Sickel Acta Ludov. imp. n. 62.
4 Gallia Christiana IV. Instrumenta p. 46 n. 8.
5 In der ersten Anmerkung zu dem Gedicht des Florus a. o. S. 305 Note 1 a. 0.
6 Der Zeitpunct der Wiedereinsetzung des Agobardus steht nicht fest, s.
Simson II. 137 Note 7.
Ein Commentar des Florus von Lyon.
317
geworden in die Gerechtsame dieser Kirche einzubrechen.
Diesen Grund kann ich nach dem früher Gesagten nicht gelten
lassen. Wir sind nicht berechtigt anzunehmen, dass Modoin
etwas gethan habe, wozu er nach weltlichem Recht nicht be
fugt gewesen wäre. Für die Annahme, dass Modoinus einen
kirchlichen Vicariat in der Erzdiöcese geführt habe, 1 wäre es
freilich nöthig vorauszusetzen, dass der erzbischöfliche Sitz
vacant oder impedirt gewesen sei. Aber dafür, dass er als
königlicher Missus Gericht hielt, bedurfte es dessen nicht. Es
ist ein andres Moment, welches mir für diese Zeitbestimmung
in’s Gewicht zu fallen scheint. Es ist nämlich auffallend, dass
Florus mit keinem Wort der durch Modoinus verletzten Rechte
des Erzbischofs gedenkt. Für Florus, der die Competenz der
weltlichen Gerichte über Geistliche nicht anerkannte, musste
das Verfahren des Modoinus nicht bloss eine Missachtung des
geistlichen Gerichtsstandes des Clerus von Lyon, sondern ebenso
sehr auch einen Eingriff in die Rechte der bischöflichen Ge
richtsbarkeit enthalten. Man sollte aber annehmen, dass, wenn
Agobardus in Ausübung seines bischöflichen Amts gestanden
hätte, als Modoinus die Geistlichen der Diöcese von Lyon ,vor
die weltlichen Gerichte zog', Florus nicht unterlassen hätte
daraus, wenn der Ausdruck hier erlaubt ist, Capital zu schlagen.
Indessen bin ich weit entfernt darauf mehr als eine Ver-
muthung gründen zu wollen.
IX.
Die Gesetze der römischen Kaiser über die bischöfliche
Gerichtsbarkeit hatten im Frankenreich keinen Anspruch auf
Geltung. Florus hatte daher schon aus diesem Grunde dem
Modoinus gegenüber kein Recht sich auf sie zu berufen. Des
Florus Zeitgenosse Benedictus Levita, der die erste dieser Con
stitutionen für seine Zwecke geeignet fand, ist daher so vor
sichtig gewesen sie nur mit einer falschen Bestätigung Karl’s des
Grossen in seine Sammlung unächter Capitularien aufzunehmen. 2
1 Wie sie von den Verfassern der Gallia Christiana gemacht zu werden
scheint, vgl. IV. col. 361 mit col. 319 sq.
2 II. 366. Vgl. Richter-Dove a. a. O. S. 619.
318
Maassen.
Aber Florus bat auch die von ihm citirten Constitutionen
theils falsch ausgelegt, tlieils mindestens das nicht berücksich
tigt — insbesondre gilt das von der ersten —, dass sie durch
spätere Gesetze wieder aufgehoben waren.
Den privilegirten Gerichtsstand der Geistlichen vor dem
kirchlichen Forum in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten hat erst
Justinian begründet und in peinlichen Sachen der Geistlichen
ist auch noch durch Justinian nicht den weltlichen Behörden
die Gerichtsbarkeit genommen.
Einige Bemerkungen über das Verhältnis, in welchem
die Auslegung des Florus zu dem wahren Sinn der von ihm
angeführten Constitutionen steht, werden hier am Platz sein.
1. Das Raisonnement, welches Florus an die erste von
ihm interpretirte Constitution (const. Sirmond. 1) knüpft, ist
logisch richtig. Wenn Modoinus die Cleriker in bürgerlichen
Streitsachen vor das weltliche Gericht zog, so setzte er sich
mit der Verordnung Constantin’s in Widerspruch. Nach ihr
sollte jede Processpartei, ob Cleriker, ob Laie, auch gegen
den Willen der andern die Sache zur Entscheidung des bischöf
lichen Gerichts bringen können. 1 Es war also der Cleriker
nie gezwungen seine Sache dem Urtheil des weltlichen Ge
richts zu unterwerfen. Durch eine Constitution des Kaisers
Ilonorius vom Jahr 408, die sich ebenfalls in der von Sir
mond edirten Sammlung [der Handschrift von Lyon | findet, 2
ist aber die bischöfliche Jurisdiction wieder auf das Mass
einer durch freie Vereinbarung der Parteien begründeten
Schiedsgerichtsbarkeit roducirt worden. 3
2. Die Constitution Theodosius’ I. (const. Sirmond. 3),
der Florus sein zweites Fragment entlehnt, handelt von der
Gerichtsbarkeit der Bischöfe in kirchlichen Angelegenheiten. 1
Es folgt nämlich unmittelbar nach der von Florus angeführten
Stelle die Einschränkung: quantum ad caussas tarnen ecclesia-
sticas pertinet rel. Florus konnte daher auf diese Constitution
sich nicht berufen um darzuthun, dass kirchliche Personen
1 S. jetzt vor allen Loening a. a. O. Kd. 1 S. 293 fg.
2 Const. Sirmond. 18.
3 Vgl. Loening Bd. 1 S. 299.
4 Vgl. Loening Bd. 1 S. 287 Note 1.
Ein Commentar des Florus von Lyon.
319
auch iu weltlichen Rechtssachen ihren Gerichtsstand vor dem
geistlichen Richter hätten.
3. Der Usurpator Johannes hatte die den Kirchen von
früheren Kaisern gewährten Privilegien für aufgehoben erklärt
und insbesondre angeordnet, dass die Cleriker indiscretim vor
die weltlichen Gerichte zu ziehen seien. In der dritten von
Florus benutzten Constitution (const. Sirmond. 6) bestätigt
Valentinian III. die Privilegien im allgemeinen aufs neue und
stellt insbesondre die geistliche Gerichtsbarkeit über Cleriker
in der Weise und in dem Mass wieder her, in denen sie
früher bestanden hatte. Daraus ergiebt sich, dass es sich nur
um die Gerichtsbarkeit der Bischöfe in kirchlichen Ange
legenheiten handelt. Denn in bürgerlichen Streitsachen und
wegen Uebertretung der Strafgesetze des Staats gehörten schon
nach dem vor Johannes geltenden Recht die Cleriker vor die
weltlichen Gerichte. In dieser Beziehung hatte also der Tyrann
nichts Neues verordnet. Seine Neuerung bestand nur darin,
dass er die Sachen der Cleriker ohne Unterschied, also auch
solche, die rein kirchlicher Natur waren, vor die weltlichen
Gerichte gewiesen hatte. 1 Florus konnte sich daher für das
von ihm verfochtene Princip, dass der Cleriker überhaupt nur
von einem kirchlichen Gericht gerichtet werden könne, auf
diese Constitution nicht berufen.
4. In einem Gesetz des Kaisers Honorius vom Jahr 412
(const. Sirmond. 11), welches einige die reale Immunität der
Kirchen betreffenden Puncte festsetzt, lindet sich der allgemeine
Satz, dass die Kirchen von allen Lasten frei sein sollen, welche
sie hindern ihre wesentlichen Pflichten zu erfüllen. Wenn
Florus daraus den privilegirten Gerichtsstand der Cleriker ab
leitet, so ist das eine Consequenz, die weder in der Sache
richtig, noch den Dispositionen des Gesetzes entsprechend ist.
Wenn er aber weiter daraus den Schluss zieht, dass ein Bischof
nicht bei weltlichen Gerichtsverhandlungen fungiren dürfe, so
beweist er damit mehr als er beabsichtigt. Denn der Conflict,
in den hier der Bischof mit seinem kirchlichen Beruf geräth,
liegt garnicht in der Beschaffenheit der streitenden Parteien,
1 Vgl. Gothofredus comm. in 1. 47 Cod. Th. de episcopis 16. 2 (Lugd. 1665
T. VI. p. 94) und Loening ßd. 1 S. 306 Note 1.
320
Al aas s en.
auch nicht allein in der Natur, der zu seiner Cognition ge
langenden Sachen, sondern darin, dass er über bürgerliche
Angelegenheiten eine mit Zwangscharacter bekleidete Gerichts
barkeit übt. Nun aber vindieirt ja Florus selbst eine eigent
liche Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Streitigkeiten dem Bischof,
wenn nur einer oder beide Theile Cleriker sind.
5. Diese Stelle ist kein wörtliches Citat, sondern enthält
einen Auszug aus einem Gesetz des Honorius vom Jahr 412
(const. Sirmond. 15), der in seiner absoluten Fassung bei
Florus den Sinn des Gesetzes nicht richtig wiedergiebt. Die
Constitution bandelt von Disciplinarvergehen der Geistlichen,
für welche, nachdem sie bewiesen sind, der Bischof die kirch
liche Strafe verhängt. 1
6. In dem hier angeführten Gesetz Constantin’s vom Jahr
321 (const. Sirmond. 17) ist nicht von der Gerichtsbarkeit
über Cleriker, auch nicht, wie dies der ausgelassene zweite
Theil der Constitution deutlich ergiebt, von einer wirklichen
Jurisdiction der Bischöfe, sondern nur von einer ihnen ver
liehenen privilegirten Schiedsgerichtsbarkeit die Rede. 2 Für
den Zweck des Florus passte daher diese Constitution gar nicht.
7. Von dem letzten Fragment ist schon früher die Rede
gewesen, 3 Die in dieser Constitution Valentinian’s III. ge
währte exorbitante Erweiterung des Asylrechts erfreut sich
in ganz besondrere Mass des Beifalls unsres Florus, nament
lich der Ausspruch des Gesetzes: in sacerdotibus ecclesicim
constare.
X.
In seinem Gedicht über die ungerechte Verfolgung der
Kirche von Lyon beruft sich Florus nicht bloss auf Gesetze
der alten römischen Kaiser, sondern auch auf Edicte der
Gegenwart, in denen ein friedliebender Regent zu den alten
der Kirche erwiesenen Wohlthaten noch neue gefügt habe, ein
Regent, der die Kirche ehre, der in ehrfurchtgebietenden
1 Vgl. Gothofredus comm. in 1. 41 Cod. Th. de episcopis (1.. c. p. 81) und
Loening a. zuletzt a. O.
2 Vgl. Richter-Dove S. 616 und Loening- Bd. 1 S1 291.
3 S. oben S. 311. S. auch Loening* Bd. 1 S. 321.
Ein Commentar des Florus von Lyon.
Kathsversammlungen 1 sich eifrig um ihr Wohl bemüht und
die stolzen Nacken unter das starke Joch gebeugt habe. 2 Ob
Ludwig oder Lothar gemeint sei, möge ein Andrer entscheiden.
Und an welche Gesetze Florus speciell denkt — es könnten
doch nur solche sein, in denen er eine Anerkennung des be
freiten Gerichtsstandes der Cleriker zu finden glaubte —, weiss
ich noch weniger. Möglich wäre ja auch, dass er keine einzelnen
Gesetze, sondern nur die allgemeine der Kirche wohlwollende
Tendenz der Gesetzgebung Ludwig’s oder Lothar’s im Auge hätte.
Der Versuch des Florus mittelst einiger Constitutionen
römischer Kaiser nachzuweisen, dass die Cleriker frei seien
vom weltlichen Gericht, war ein verfehlter. Was Florus auf
alte, aber ächte Kaisergesetze irrthümlich gründen wollte, das
suchten bald darauf zwei geschickte zeitgenössische Impostoren,
der eine unter dem Titel von Capitularien der fränkischen
Könige, der andre unter der ehrwürdigen Firma der ältesten
römischen Päpste, in’s Leben einzuführen. Und es gelang.
XI.
Ich lasse jetzt den Commentar selbst nach der mailänder
Handschrift folgen. 3
1.
Imperator Constantinus Augustus 4 Pro
sanctis serrrper ac venerabilibus habeatur, guicquid episcoporum
1 Das Wort cannikä hat in diesem Zusammenhang' offenbar die weitere Be
deutung, in der es nicht bloss von kirchlichen Versammlungen zu ver
stehen ist. Vgl. Waitz III. 471 Note 1.
2 Quid veterana loquar? nostro nunc ecce mb aevo,
Qua placidus princeps me pietate colit!
Pro me conciliis sudavit sepe vevendis
Pt valido pressit colla superba jugo c
Legibus antiquis edicta recentia junxit
Et bona prisca novis auxit ubiqae bonis.
3 Dem Abdruck des eommentirten Textes liegt für die erste, dritte, sechste,
eilte und siebenzelmte Sirmond’sche Constitution die von meinem verehrten
Freunde und Gönner Herrn Guerrino Amelli vorgenommene Vergleichung
der Handschrift mit Haenel’s Ausgabe der XVIII Constitutiones etc. zu
Grunde. Dagegen setze ich die Abbreviation der fünfzehnten, das Fragment
der zwanzigsten und den Commentar nach meiner Aufzeichnung.
4 Die Puncte machen die Lücken der Vorlage gegenüber dem Text der
Ausgabe erkennbar.
322
M a a s s e u.
fuerit sententia terminatum Quicumque itaque litem habens,
sive possessor sive petitor erit, inter initia litis vel decursis
tempovum curricidis, sive cum negotium peroratur, sive cum jam
ceperit promi sententia, judicium eligit sacrosanctae legis anti-
stitis, illico sine aliqua dubitatione, etiamsi alia pars refragatur,
ad episcopum cum sermone litigantium dirigatur Omnes-
que causae, quae vel praetorio jure vel civili tractantur, epi
scoporum sententiis terminatae perpetuo stabilitatis jure firmentur
nec liceat ulterius retractari negotium, quod episcoporum sententia
deciderit 1
Christianissimus iste imperator in publico litigantes, etiam
si judicialis jam sententia proferatnr, si una pars ad episcopum
proclamaverit, continuo etiam nolente alia saeculares ad eccle-
siasticum judicium dirigit. Noster vero praetorialis episcopus
ecclesiasticos ad seculare examen ire compellit. Apparet,
quantum status ecclesiae dilapsus sit, quando venerabilius sentit
de lionore ecclesiae imperator nuper ex pagano conversus
quam episcopus ab infantia ecclesiae lacte nutritus.
2.
Imperatores Valentinianus, Tlieodosius et Arcadius.
.... Continua lege sancimus, ut nidlus episcoporum vel eorum,
qui ecclesiae necessitatibus serviunt, ad judiciä sive ordinatoriorum
sive exordinatoriorum [judicum] pertrahantur. Habent illi judices
suos nec quicquam his publicis commune cum legibus 2
Si omnes ecclesiastici habent utique in ecclesia judices
suos ; cur ad alienos judices impellantur?
3.
Imperator Tlieodosius et Valentinianus Caesar. Pri-
vilegia ecclesiarum vel clericorum omnium, quae saeculo nostro
tirannus inviderat, prona devotione revocamus. Scilicet ut, quic-
quid a divis principibus singuli quique antistites impetrarunt,
jvgi soliditate servetur nec cuiquam audeat titillare praesumptio,
in quo nobis magis praestitum confitemur. Clericos igitur omnes,
quos indiscretim ad saeculares judices debere deduci infaustus
' Aus const. Sirmond. 1. Haenel 1. c. col. 445.
2 Aus const. Sirmond. 3. Haeuei 1. c. col. 451.
Ein Commentar des Floras von Lyon.
323
praesumptor edixerat, episcopcdi audientiae reservamus, liis ma-
nentibus, quae circa eos sanxit antiquitas.
Quid clarius, quid religiosius dici potuit?
Fas mim non est, ut divini muneris ministri temporalium
potestatum subdantur arbitrio 1
Si tirannus invidens et infaustus praesumptor ecclesia-
sticos dehonestavit, videat episcopus similiter agens, ne simi-
liter cognominari mereatur.
4.
Imperator Honorius et Tbeodosius Augustus . . . .
Vacent ecclesiae solis, quibus bene conscientiae (sic) sunt, divinae
praedicationis officiis, cuncta in orationibus celebrandis horarum
omnium momenta consument. Gaudeant nostra [inj pcrpetuum
liberalitate munitae' 2 , quarum nos erga cultum, pietatis aeterna
devotione gaudemus 3
Hane vacationem präedicationum et orationum perturbat
episcopus, qui et ceteros ad saecularia jurgia pertrahit et ipse
contempta quiete ac verecundia ecclesiastica contentionibus in-
sanis et spectaculis gladiatoris praesidet.
5.
Imperator Honorius et Theodosius Augustus. Epi-
scopos, presbyteros, diaconos et quoscumque inferioris loci Cliri-
stianae legis ministros ab episcopis solum, non ab alio, oportet
accusatos audiri. 1
Luce clarior sententia, quam in bis regionibus etiam a
laicis hactenus observatam nunc per episcopum metuimus sub-
ruendam. Qui cum boni nihil statuat, miror, cur bene statuta
convellit?
6.
Imperator Constantinus Augustus. Judex pro sua
sollicitudine observare debebit, ut, si a se ad episcopos pro-
vocetur, silentium accomodet. Et si quis ad legem Cliristianam
negotium transferre voluerit et illud judicium observare, audiatur,
1 Aus const. Sirmond. 6. Haenel 1. c. col. 456.
2 Cod. unitate.
3 Aus const. Sirmond. 11. llaenel 1. c. col. 463.
4 Eine Abbreviation der const. Sirmond. 15. Haenel 1. c. col. 471.
324
Maass en.
etiamsi negotium apud judicem sit inchoatum, et pro sanctis
habeatur, quicquid ab bis fuerit judicatv.m 1
Hoc apertius et absolutius liac lege precipitur, quod in
alio pragmate superius paulo obscurius fuerat promulgatum.
7.
T'heodosius et Valentinianus Augustus. Audemus qui-
dem sermonem faceve sollicite plus timore capti de sanctis ac
venerabilibus sacerdotibus et secundis sacerdotibus vel etiam levitis
et eos cum omni timore venerari, quibus terra caput inclinat. Et
post pauca. De obnoxiis vero inquiunt: Si qui ambulaverint cum
episcopo vel cum presbytero [vel] etiam cum. diacono, sive in platea
sive in agro sive in quolibet loco, nullo pacto eos retinerv vel
obstringi volumus, quoniam in sacerdotibus ecclesia consistat 2
Reges isti Christianissimi, qui tanta reverentia de ecclesia
locuntur, non frustra audierant: Et nunc, reges, intelligite,
erudimini, qui judicatis terram, servite Domino in timore et
exultate ei in tremore. 3 Mira autem et vera sententia, quod
ecclesia non tarn in lapidibus quam in sacerdotibus constat.
Et ideo juste nunc et religiöse sancitur, ut reverentia, quae •
altai’i et templo exliibetur, eadem sacerdotibus exhibeatur. Et
sicut ibi nemo reum et crimini vel etiam morti obnoxium con-
tingit, ita neque a latere episcopi, presbyteri et diaconi quo
libet loco abripere vel contingere audeant. 1 Sed quomodo
per eos alii protegentur, quos a seculari violentia non evan-
gelica, non apostolica, non canonica, non Romana jura prae-
muniunt? Viderit hujus auctor inquietudinis, quid conetur; nam
spicua ratione bis omnibus contraire convincitur.
1 Die erste, grössere Hälfte der const. Sirmond. 17. Haenel 1. c. col. 475.
2 Aus const. Sirmond. 20. Cf. Haenel Corpus legum . . ante Justiuianum
latarum p. 241.
3 Ps. II. v. 10, 11.
4 Findet sich von lletjea isti bis hier auch in der d’Achery’sehen Ausgabe
der Sammlung des Florus.
Ein Comraontar des Florus von Lyon.
325
NACHTRAG.
Herr Prof. Dümmler hat die grosse Güte gehabt mir
brieflich mitzutheilen, dass Mabillon seiner Ausgabe von Florus’
Gedicht an Modoinus (s. o. S. 305 Note 1) den jetzigen pariser
Codex 2832 aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts
zu Grunde gelegt habe. Die Verse, die in der Handschrift
ohne Ueberschrift sind, finden sich daselbst f. 58r—61r.
Dümmler, der den Codex für die Monumenta Germaniae
verglichen hat, war zugleich so freundlich mir ein vollständiges
Verzeichniss der Abweichungen der Handschrift von dem ge
druckten Text zukommen zu lassen. Obgleich der Satz der
vorstehenden kleinen Abhandlung bereits vollendet war, so
habe ich doch in der Correctur noch von diesen Mittheilungen
für die von mir angeführten Stellen des Gedichts Gebrauch
machen können. Wo es sich bloss um Abweichungen der Aus
gabe von der Schreibweise des Codex handelt, habe ich
ohne weitere Bemerkung die des Letzteren restituirt; sonst
habe ich die vorgenommene Verbesserung dadurch kenntlich
gemacht, dass ich die Lesart der Ausgabe in Parenthese bei
gesetzt habe.
XXIY. SITZUNG VOM 13. NOVEMBER 1878.
Die Direction der k. k. Staatsoberrealschule zu Bielitz
erstattet den Dank für bewilligte akademische Publicationen.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie des Sciences et Lettres de Montpellier: Memoires de la section
des lettres. Tome VI. 2 e fascicule. Annee 1876. Montpellier, 1877; 8°.
— — Memoires de la section des Sciences. Tome IX. I 01 ' fascicule. Annee
1876; 4°. Montpellier, 1877; 4°.
Accademia dello scienze dell’ Istituto di Bologna: Memorie. Serie III.
Tomo VIII. Bologna, 1877 ; 4°. — Serie III. Tomo IX Fascieolo I. e II
Bologna, 1878; 4°.
C entral-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch für das
Jahr 1876. VI. Heft. Wien, 1878; 4".
Genootschap, Bataviaasch van Künsten en Wetenscliappen: Tijdsclirift voor
indische Taal-, Land- en Volkcnkunde. Deel XXIV. Aflevering VI.
Batavia, ’s Hage, 1878; 8°. — Notulen van de Algemeene en Bestuurs-
Vergaderingen. Deel XV. 1877. Nr. 2, 3 en 4. Batavia, 1878; 8°.
Militär-Com i16, k. k. technisches und administratives: Militär-statistisches
Jahrbuch für das Jahr 1875. II. Theil. Wien, 1878; 4°.
Oldskrift-Selskab, kongclige nordiske: Aarböger for nordisk Oldkyn-
dighed og Historie. 1877. I.—IV. Hefte. Kjöbenhavn; 8°. — 1878. I. Heft.
Kjöbenliavn; 8°. — Tillaeg til Aarböger for nordisk Oldkyndighed og
Historie. Aargang 1876. Kjöbenhavn, 1877; 8°.
,Revue politique et litteraire“ et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger'. VIII“ Armee, 2° Serie, Nr. 19. Paris, 1878; 4°.
Societe royale des Antiquaires du Nord: Memoires. Nouvelle Serie. 1877.
Copenhague; 8°.
327
Society, the American pbilosophical, at Philadelphia: List of surviving mem-
bers. Piiiladelphia, 1878; 8°. —- Proceedings. Vol. XVII. Nr. 100.
Philadelphia, 1877; 8°.
— the royal, of Edinburgh: Proceedings. Vol. VIII. Nr. 91. 8°.
— American oriental: Proceedings at Boston, May 29 th , 1878. 8°.
Verein, historischer, von-Unterfranken und Aschaffenburg: Jahresbericht.
für 1877. Würzburg, 1S78; 8°.
— — Die Geschichte des Bauernkrieges in Ostfranken, von Magister Lorenz
Fries. Herausgegeben von Dr. August Schäffler und Dr. Theodor
Henner. 2. Lieferung: Bogen 11—22. Würzburg, 1877; 8°.
Zürich, Universität: Akademische Schriften von 1876 bis 1878. 35 Stücke.
40 und 8».
XXY. SITZUNG VOM 20. NOVEMBER 1878.
Das c. M. Se. Excellenz Herr Joseph Freiherr von Heifert,
Pi’äsident der Centralcommission für Kunst- und historische
Denkmale macht Mittheilungen über eine Reihe von Salz
burger Taidingen.
Das c. M. Herr Prof. Dr. Benndorf ersucht um Auf
nahme der nachfolgenden Notiz in den Anzeiger.
Das c. M. Professor Dr. Adolf Michaelis in Strassburg
theilt mir aus Rom mit, dass zwei Terracotten des britischen
Museums, die ich nach zwei von ihm mir übersandten, aus
Eduard Gerhard’s Nachlass stammenden Photographien auf
Tafel XI meiner Abhandlung über antike Sepulcralmasken und
Gesichtshelme veröffentlicht habe, und von deren Authenticität
er sich mit A. S. Murray in London gemeinsam überzeugt
hatte, nach Erkundungen Dr. Wolfgang Helbig’s in Rom aus
der Werkstatt eines durch täuschende Imitationen etruskischer
Alterthümer bekannten römischen Restaurators herrühren sollen.
Diese Nachricht bietet nach verschiedenen Richtungen so viel
faches wissenschaftliches Interesse, dass ich dieselbe mit
Zustimmung Dr. Helbig’s, der sich in einer der nächsten
Nummern des,Bullettino dell’ instituto di corrispondenza archeo-
logica' näher darüber zu äussern gedenkt, schon jetzt an diesem
Orte veröffentliche. In sachlicher Hinsicht habe ich mich gegen
wärtig auf die Bemerkung zu beschränken, dass durch den
möglichen Wegfall dieser' beiden Stücke, die ich im Original
nicht gesehen habe und voraussichtlich in nächster Zeit nicht
I
329
werde prüfen können, der Gang- und die Ergebnisse meiner
Untersuchung nicht berührt sind. Zugleich benutze ich die
Gelegenheit, Fachgenossen und Sammlungsvorstände in weiteren
Kreisen zu ersuchen, durch Mittheilung etwa noch unbekannter
Exemplare an mich die Fortführung der begonnenen Arbeit,
welche weitere Ausbeute verspricht, freundlich unterstützen
zu wollen.
Das w. Mitglied Herr Hofrath Ritter von Mi kl os ich
legt eine Abhandlung des Herrn Dr. Johann Gebauer ,Uber
die weichen a-, o- und t«-Silben im Altböhmischen' mit dem
Ersuchen des Verfassers um Aufnahme derselben in die Sitzungs-
berichte vor.
Das w. M. Herr Regierungsrath Sehen kl legt eine Ab
handlung des Herrn Dr. R. M. Werner, Privatdocenten in
Graz unter dem Titel-: ,Die Basler Bearbeitung von Lambrechts
Alexander' mit dem Ansuchen des Verfassers um ihre Ver
öffentlichung in den Sitzungsberichten vor.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academy of Scienze of St. Louis: The Transactions. Vol. III. Nr. 4.
St. Louis, M. O., 1878; 8°.
Accademia R. dei Lincei: At.ti. Anno CCLXXIV. 1870/77. Serie terza. Me-
morie della Classe di scienze morali, storiehe e filologiche. Volume I.
Roma, 1877; 4°.
Triplice omaggio alla Santith di Papa Pio IX. Roma, 1877; 4°.
Akademija umiejetnosci w Krakowie: Rocznik zarzadu. Rok 1877. W Kra-
kowie, 1878; 12°.
— — Zbiör wiadomsci do Antropologii Krakowej. Tom. II. Krakow,
1873; 8».
— — Katalog relcopisöw biblioteki universitetu Jagiellonskiegö. Zeszyt 2.
a 3. Krakow, 1878; 8°.
— — Wykaz zabytköw przedhistorycnycli na siemiach polskicb. Zeszyt I.
W Krakowie, 1877; 8°.
— — Pamietnik. Tom. III. W Krakowie, 1870; 4°,
Rozprawy i Sprawozdania z Posiedzeri. Tom. VIII. W Krakowie,
1878; 8°.
Sitzangsbor. 1. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft.
22
330
Akademija umiejetnosei w Krakowie: Scriptores rerum Polonicarmn. Tom.IV.
Krakow, 1878; 8°. ■— Monranenta medii aevi historica res gestas Poloniae
illustrantia. Tom. IV. W Krakowie, 1878; 4°.
— — Sprawozdania komisyi do badania historyi sztuki w Polsce. Zeszyt, II.
Krakow, 1878; gr. 8°.
Bibliotheque nationale: Catalogue des Manuscrits etliiopiens. 1877; gr. 4°.
Documents inedits sur l’histoire de France: Etüde sur les sareophages chre-
tiens antiques de la Ville d’Arles par M. Edmond le Blant. Paris,
1878; Fol.
Gesellschaft, allgemeine geschiehtforschende der Schweiz: Jahrbuch für
schweizerische Geschichte. III. Band. Zürich, 1878; 8°.
— Antiquarische in Zürich: Mittheilungen. Band XX. Heft I. Band XX.
Abtheilung 2. Heft I. Zürich, 1878; 4°.
Institute, the Essex: Bulletin. Vol. IX. Nr. 1—12. Salem, 1877; 8°.
Institution ethnographique: Annuaire 1878. Paris, 1878; 12°.
Instituto di corrispondenza archeologica: Bullettino per l’anno 1877. Roma,
1877; 8°. — Annali. Volume XLIX. Roma, 1S77; 8°.
Ministere de l’Instruction publique et des Beaux-Arts: Arehives des
Missions scientifiques et litteraires. III" Serie. Tome IV. l re et 2 e livrai-
sons. Paris, 1877; 8°. — Tome V. l rc livraison. Paris, 1878; 8°.
— — Rapport sur les Arcliives nationales pour les annees 1876 et 1877.
Paris, 1878; 4°.
,Revue politique et litteraire 1 et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger 1 . VIII 0 Annee. 2 e Sdrie. Nr. 20. Paris, 1878; 4°.
Rostock, Universität,: Akademische Schriften ans dem Jahre 1877/78. 25 Stücke.
4° und 8°.
Societc des Antiquaires de Picardie: Bulletins. Tom. X. 1808 1869- 1870.
Paris, Amiens, 1870. — Tom. XI. 1871—1872—1873. Paris, Amiens,
1873; 8°.
Societes savantes de la France: Bibliographie. I r0 Partie: Departements.
Paris, 1878; 4«.
Society, the Asiatic of Bengal: Rules. Calcutta, 1876; S°.
— — Bibliotheca indica. New Series. Nr. 374 and 375. Calcutta, 1877; 4°.
— New Series, Nr. 384, 385, 389, 390. Calcutta, 1877; 8°. — Old
Series. Nr. 237, 238, 240. Calcutta, 1877; 8».
Journal. N. S. Vol. XLVI. Part. I, Nr. II, III and IV. 1877. Cal
cutta, 1877; 8». - Vol. XLVI. Part. II, Nr. III. 1877. Calcutta; 8".
Proceedings. Nr. VII, VIII and IX. Calcutta, 1877: 8°.
— — A Catalog of Sanskrit manuscripts in private Libraries of the North
western proviuces. Part. II. 1877; 8°. — Part. II. 1878; 8°.
V
Mühlbaeher. Die Urkunden Karls III.
331
Die Urkunden Karls III.
Von
Ur. E. Mühlbaeher,
Privatdocenten an der Universität Innsbruck.
Ich verhehlte und verhehle mir nicht, dass es bedenklich
sei eine diplomatische Arbeit zu veröffentlichen, ohne sie zu
gleich auf möglichst umfassende Benützung der Originale zu
stützen. Eine Bearbeitung der äusseren Merkmale wird aber
nur dann ein befriedigendes Resultat zu bieten vermögen, wenn
sie über das gesammte Material verfügt, sonst gelangt sie bei
dem Versuche die Bruchstücke zu einem Ganzen zu verbinden,
die aus einzelnen Stücken gewonnenen Resultate zu verallge
meinern leicht zu Fehlschlüssen, zu Darlegungen, welche, nur
theilweise gesichert, vielfach der Richtigstellung bedürfen. Die
Originale Karls III. sind weit zerstreut; etwas mehr als die
Hälfte ist in deutschen, der Rest ziemlich gleichmässig ver
theilt in französischen und italienischen Archiven erhalten. Ich
war nicht in der Lage diese zu benützen und selbst das scheint
mir fraglich, ob diese Benützung für eine so kleine Gruppe
sich auch lohnen würde. Ich konnte daher die äusseren Merk
male nicht selbständig behandeln und vermochte nur zer
streute Notizen zu geben. Ein sehr dürftiger Ersatz ist es,
dass ich die Fundorte der Originale, so weit sie mir bekannt
geworden, zur Nutzung für weitere Forschung angegeben habe.
So wichtig die äusseren Merkmale sind, die inneren
Merkmale dürfen mindestens dieselbe Bedeutung beanspruchen.
Und hier glaubte ich die Grenzen der Arbeit weiter ausdehnen
zu sollen. Ausser dem Protokoll und den ständigen Formeln
22*
332
Mühlbach e r.
des Textes verdienen auch die sachlichen Formeln der ver
schiedenen Urkundenarten besondere Beachtung-, wie sie ein
zelne derselben, die der Mundbriefe und Immunitäten, schon
von berufenster Seite gefunden; damit ist auch ein Heranziehen
der vielfach verwandten Formeln der Privaturkunden gegeben.
Ist eine derartige Untersuchung in der Beschränkung auf eine
Kanzlei auch nur ein Bruchstück, so gewinnt doch das Er-
gebniss bei der Stabilität dieser Formeln allgemeinere Gel
tung. Unter den Karolinger Diplomen wird sich kaum eine
andere Gruppe so sehr dazu eignen, als die Urkunden
Karls III.; hier begegnen sich die Eigenthümlichkeiten, welche
sich seit einigen Jahrzehnten in der deutschen, italienischen
und westfränkischen Kanzlei ausgebildet.
Noch ein Umstand schien mir zu beachten. Fickers
Beiträge zur Urkundenlehre sind berufen der diplomatischen
Forschung neue Bahnen zu weisen; die Gesichtspunkte, welche
sie aufstellen, werden für Specialuntersuchungen, deren auch
sie noch bedürfen, massgebend sein müssen. Ich habe sie
daher auch in den Vordergrund gestellt. Dagegen glaubte ich
auf die Dictatfrage nicht speciell eingehen zu sollen; ist eine
solche Untersuchung an sich nur auf Grundlage des nach
Schreibern gesichteten handschriftlichen Materials durchführ
bar, so lohnt auch die Sicherheit des gewonnenen Ergebnisses
nicht immer die geforderte Mühe.
Gleich der Abhandlung über die Datirung der Urkunden
Lothars I. ist auch diese Arbeit eine Vorarbeit zu den Re
gesten der Karolinger. Ich konnte auch für diese den Apparat
der Monumenta Germaniae vollständig benützen und fühle
mich für diese wesentliche Förderung Herrn Prof. Sickel, wie
Herrn Dr. Wartmann für eingehende Mittheilungen über die
interessante Urkunde für Pfävers zu lebhaftestem Danke ver
pflichtet. Die dem Apparat der Monumenta entnommenen An
gaben habe ich mit M. G. bezeichnet und den Namen des
Gewährsmannes beigefügt. Die Uebersichtstabelle ist nach den
Grundsätzen zusammengestellt, welche ich schon bei den Ur
kunden Lothars I. befolgt und in der Arbeit immer nach den
Nummern dieser Tabelle citirt.
Die Urkunden Karls III.
333
1.
Geschichtliche Uebersicht,.
Die Quellen über die ersten Regierungsjahre Karls III.
sind äusserst dürftig. Mit der Einheit des Reichs verschwindet
auch die Einheit der Reichsannalen. Während diese in West-
lrancien durch Prudentius von Troyes (835—861) und Hinlcmar
von Reims (861—882) weitergeführt eine Fülle von Nachrichten
bieten, linden sie im Ostreich durch Rudolf von Fulda eine
selbständige Fortsetzung (838—863). Nach dessen Tod nimmt
ein anderer Mönch desselben Klosters die Arbeit wieder auf
(863—882); so werthvoll diese ist, so macht sich doch ein
einseitiger Standpunkt geltend. Auch die Geschichtschreibung
verfällt der Zersplitterungstendenz des Reiches. Die Annales
Fuldenses geben nur eine Geschichte Ludwigs III. und seines
Theilreiches; die beiden anderen Theilrciche auf deutschem
Boden finden nur so weit Erwähnung, als sie sich mit diesem
berühren. So gewähren sie für die Geschichte Karls III. nur
sehr spärliche Ausbeute; sieht sich doch der Fuldaer Annalist
nicht einmal veranlasst dessen Kaiserkrönung zu verzeichnen.
Diese Lücke vermögen die äusserst dürftigen localen Annalen
in keiner Weise auszufüllen. Ein derartiger Mangel ist auch
für diplomatische Untersuchungen nicht ohne hemmenden
Einfluss.
Als 882 das ganze Ostreich Karl III. zufiel, tritt auch
hier ein Umschwung ein. Die Fuldaer Annalen bieten für die
Zeit von 882—887 sogar zwei selbständige Fortsetzungen.
Die eine — in den Monumenta Germaniae als pars IV be
zeichnet — entstand wahrscheinlichst in Fulda; ohne Bezie
hungen zum kaiserlichen Hofe lässt sie auch die bisherige
Rücksiehtsnahme fallen; sie kargt weder für den Herrscher
noch für seine Rätlie mit rückhaltslosem Tadel. 1 Die zweite
Fortsetzung — pars V — trägt wieder das officiöse Gewand
der Reiclisanualen; sie verzeichnet sorgsam die Reichstage, die
Fostfcier, die Züge des Kaisers. Die gegebenen Daten, denen
freilich vielfach die frühere Genauigkeit mangelt, beweisen,
1 Wattenbacli, Geschichtsquellen 3. A. 1, 172.
334 Mülilbacher.
dass hier gleichzeitige Aufzeichnungen vorliegen. Sie wurde
zweifelsohne am Hofe Karls III. geschrieben.
Während nach dem Schlüsse des Werkes Hinkmars die
Jahrbücher von St. Vaast (Annales Vedastini) verlässliche
Nachrichten über Westfrancien geben, fehlen in Italien histo
rische Aufzeichnungen; es erhielt sich nur hie und da eine
vereinzelte Notiz.
,
Karl III., 1 der jüngste Sohn Ludwigs des Deutschen, ge
boren 839, vermählt 862 mit Richardis, der Tochter des Grafen
Erchanger, sollte nach dem Theilungsentwurfe von 865 Ala-
mannien und Churwalchen erben ; 2 seit dieser Zeit erscheint er
auch als Graf des Breisgaus. 3 Sein Name wird einigen Ur
kunden seines Vaters beigefügt. 1 871 und 873 betheiligte er
sich an der Empörung gegen den Vater; 869 zog er gegen
die Obodriten, 871 führte er ein Heer gegen Karl den Kahlen
nach Burgund, 875 nach Italien; nirgends erntete er Erfolge.
876 August 28 starb Ludwig der Deutsche. 5 Am 8. Oc-
tober schlug Ludwig III. Karl den Kahlen bei Andernach;
1 Der Beiname ,der Dicke“ tritt erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts
auf, Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reichs 2, 292 A. 92. In
Italien liiess man ihn 875, um ihn von Karl dem Kahlen zu unter
scheiden, Karoleto, M. G. SS. Langob. 229. In den italienischen Königs
listen wird er gewöhnlich Carolus rninor genannt.
2 Adonis chron. Cont., Erchanberti Cont. Aug. M. G. SS. 2, 325, 329.
3 Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 148, gegen Dümmler, Ost-
fränk. Reich 1, 560 A. 57, der irrig schon 8G2 annimmt; es heisst
sub Karolo principe, principe in comitatu Prisigauge, comite pctgi illius,
Wartmann nr. 534, 551, 553, 555, 571, 575, 579, 585. An ihn ist auch
das Mandat B. (Böhmer, Reg. Kar.) 836 gerichtet, welches auch vom
Monachus Sangallensis, Jaffe, Bibliotheca 4, 680, erwähnt wird.
4 Als gleichzeitig bezeichnet Sickel, Beitr. zur Dipl. II, Wiener Sitzungs
berichte 39, 128 vgl. 36, 393, die Unterschrift in B. 799 für St. Gallen,
B. 805 für St. Felix und Regula in Zürich, B. 849, 850 für Faurndau,
Pertinenz von St. Gallen, als von Hebarhard selbst nachgetragen in B.
851 Güter im Linzgau betreffend, als unentschieden in B. 782, Schenkung
im Thurgau. Vgl. Ficker, Beitr. zur Urkundenlehre 1, 280. Dazu kommt
noch B. 815, Orig, in Paris, Besitzungen von St. Denis in Alamaunien
betreffend.
5 Dümmler, Ostfränk. Reich 1, 849 A. 1.
Die Urkunden Karls III.
335
unmittelbar darnach hatte er zu Koblenz eine Unterredung mit
seinem Bruder Karl III. 1 ,Im nächsten Monat' im November,
fand bei einer Zusammenkunft der drei Brüder im Biessgau
die Theilung des väterlichen Reiches statt; Karl fiel Alaman-
nien, Churwalchen und wahrscheinlich auch das Eisass zu. 2
Im folgenden Jahre wurde auch Lothringen, das damals ausser
Betracht geblieben war, gleichmässig unter den Brüdern ge-
theilt; 3 doch schon 878 verzichtete Karlmann auf das ihm
zugekommene Stück, dessen Hälfte Ludwig im Mai an Karl
abtrat. 4
Unheilbarer Krankheit verfallen, kehrte Karlmann aus dem
Süden nach Baiern zurück und überliess Italien an Karl; 5
Johann VIII. forderte immer dringender Hilfe gegen seine
Bedränger. u Schon im Mai 879 war die Romfahrt in Aussicht
genommen. 7 Doch erst im Herbste trat. Karl dieselbe an; zu
Orbe traf er mit den westfränkischen Königen zusammen und
zog über den St. Bernhard in die Lombardei. 8 Am 26. October
betrat er den Boden Italiens IJ und nahm es ohne Widerstand
in Besitz. Er hatte den Papst aufgefordert sich am 1. Novem-
1 Hincmari ann. 876, M. G. SS. 1, 502.
2 Ann. Fuld. 876, Regino 876, M. G. SS. 1, 391, 589 vgl. Dümmler, Ost-
fränk. .Reich 2, 61 A. 2, 3.
3 Ann. Fuld. S77, vgl. B. 885.
J Ann. Fuld. 878, über Karls Besitz in Burgund Dtimmler, Ostfränk. Reich
2, 95 A. 34.
5 Erchanberti Cont. Aug. M. G. SS. 2, 329.
6 J. R. (Jaffe, Reg. pont.) 2373, 2374, 2389, 2453 (879 April 3).
^ J. R. 2469 (879 Mai 6), vgl. 2465, 2470.
8 Hincmari Ann. 879.
0 Karolus minor nunc 3. agit annum . . Karolus minor regn. ann. 8 mens.
2 d. 18 per iudietionem 1 anno domini 883. Quando autem Karolus lilius
Iiludowici in Italiam ingressus est hoc est 7 kal. nov. secunda feria
anni incarn. domini nostri J. Chr. 878 ind. 13. Catal. regum Lang.
M. G. SS. Lang. 503. Tagesdatum, feria und Indiction (nach der in
Italien üblichen Septemberindiction) ergeben das Jahr 879. Die allem
Anscheine nach später nachgetragene Regierungsdauer zu dem oben ge
gebenen Datum des 26. Oetobers gerechnet fuhrt auf 888 Jänner 14,
während Karl einen Tag früher starb.
Der erste Zug nach Italien noch erwähnt in Ann. Aug. Jaffe Bibi.
3, 704 und Ann. Weingart. M. G. SS. 1, 66.
336
Mühlbacher.
ber in Pavia einzufinden. 1 Nur eine einzige Quelle bietet über
seinen Aufenthalt in Italien die dürftige Nachricht: 2 Eavennam
veniens paparn Joannem ad se vocari praecepit sed et patriarcham
Foviulianum necnon et Mediolanensem arcliiepiscopum omnesque
episcopos et comites seu reliquos primores ex Italia et ibi ab eis
rex constituitur et ovmes praeter apostolicae sedis episcopum iure-
iurando ad servitium sui constrinxit. Auch der Papst war nach
Ravenna gekommen. 3
Karl dachte bald wieder an die Heimfahrt. Er brach
etwa im Mai 880 auf; 1 von ,Laugobardien zurückkehrend' traf
er Mitte Juni mit den westfränkischen Königen in Gondreville
zusammen. 5 Im Juli zogen diese von Troyes nach Burgund
und eroberten Mäcon; seinem Versprechen gemäss schloss sich
Karl dem Zuge gegen Vienne an. Als Boso die Friedens-
anträge zurückwies, schritt man zur Belagerung dieser Stadt.
Doch ohne Wissen Seiner Verbündeten brach Karl nachts
plötzlich auf, verbrannte sein Lager und zog nach Italien. 0
Der Papst hatte ihn schon wiederholt aufgefordert die Kirche
in ihren Rechten zu schützen und persönlich zu erscheinen. 7
Karls Zug lässt sich nur nach den Urkunden verfolgen;
im November ist er in Pavia, im December in Piacenza; eine
Urkunde von 881 Jänner 4 trägt Actum Regense civitate. s
Am 25. Jänner schreibt Johann VIII. dem König, dass er
Legaten mit Aufträgen an ihn abgeschickt habe, da er sich
ganz entschlossen zeige nach Rom zu kommen. 9 Die Anna-
1 J. R. 2522.
2 Erchanberti Cont. Aug. M. G. SS. 2, 329.
3 J. R. 2507; über die Zeitbestimmung dieses Schreibens Diimmler, Ost-
fränk. Reich 2, 112 A. 81.
4 Die Notiz Diimmlers, Ostfränk. Reieli 2, 114 A. 84, dass der König
noch am 17. Mai einen Rechtsstreit in Mailand entschieden habe, beruht
auf einem Versehen; das Eingreifen des Königs datirt in frühere Zeit,
an der Gerichtshandlung vom genannten Tage ist er nicht mehr per
sönlich betheiligt. Cod. Langob. 502.
5 Hincmari Ann. 880.
6 Ib.; Ann. Vedast. 880, M. G. SS. 2, 198 (1, 519).
7 J. R. 2539 (880 Juni 23), 2545 (September 10), 2548 (October 30)
vgl. 2542.
8 Urk. Karls HI. nr. 28—32.
8 J. R. 2556.
Die Urkunden Karls III.
337
listen registriren nur die Kaiserkrönung in der ewigen Stadt; 1
nur Hinkmar gibt als Krönungstag den 25. December an, 2 den
Tag, an dem Karl der Grosse und Karl der Kahle das kaiser
liche Diadem empfangen hatten.
Schon am 29. März richtet der Papst ein neues Hilfe
gesuch an den Kaiser. 3 Mit einer dürftigen Notiz der St. Galler
Fortsetzung der Annales Alamannici: 1 et tevtio Italiam ing-ve-
ditur sind die Quellennachrichten über dieses Jahr erschöpft.
Den Winter über weilte Karl in Italien. Aus den Ur
kunden ergibt sich, dass er 882 Mitte Februar einen grossen
Reichstag in Ravenna hielt, zu dem auch der Papst gekommen
war. 5 Um diese Zeit ereilte ihn die Nachricht, dass sein Bruder
Ludwig gestorben sei (882 Jänner 20). 6 Karlmann war schon
880 September 22 7 seinem Siechtlmm erlegen und Baiern
bereits 879 von Ludwig in Besitz genommen worden. 8 Damit
war das ganze ostfränkische Reich in Karls Hand vereinigt.
Auf die Kunde vom Tode seines Bruders brach Karl von
Italien auf und zog durch Baiern und Franken nach Worms,
um hier ,im Mai' einen allgemeinen Reichstag abzuhalten und
die Grossen des Reichs zu empfangen; die Baiern hatten ihm
schon bei seinem Durchzuge gehuldigt. 9 Man berieth in Worms
1 Anno ab ine. 881 ind. XIV idem Carolus . . Eoinam profectus a ponti-
fice Romano corona imposita ad Imperium eonsecratus et augustus caesar
appellatus nunc agit imperium. Erchanberti Cont. Aug. M. G. SS. 2, 329;
Ann. Alamann., Weingart., Aug. M. G. SS. 1, 51, 66, 68; zu 882 Ann.
Vedast., Ann. Laub. M. G. SS. 4, 15, Ann. Aug. Jaffe Bibi. 3, 704.
Regino 881, M. G. SS. 1, 592, vermengt den ersten und zweiten italie
nischen Zug. Eine Zusammenstellung der Quellen bei Diimmler, Ost-
fränk. Reich 2, 180 A. 16.
2 In die nativitatis domini. Ann. 880.
3 J. R. 2567 vgl. 2575, 2577, diese undatirt.
4 M. G. SS. 1, 51.
5 Venientibus nobis Ravennam ad Colloquium spiritalis patris nostri Jo
hannis . . ubi multorum episcoporum venerabilis coetus necnon et nobi-
lium procerum caterva eonvenerat. nr. 50, 52—56.
6 Diimmler, Oatfränk. Reich 2, 161 A. 37.
7 Ib. 2, 139, A. 73.
8 Ann. Fuld. 879.
8 Ann. Fuld. p. V vgl. p. IV, M. G. SS. 1, 395. Regino 882 erzählt noch von
verschiedenen Gesandtschaften, die nach Italien abgingen, um den Kaiser
338
M ü h 1 b a c li e r.
über die Zurücktreibung der Normannen, die eben Achen,
Trier, Köln verbrannt, jene Gegenden verwüstet hatten. 1 Ein
ungeheures Heer wurde gegen sie aufgeboten, Karl stellte sich
selbst an die Spitze. Die Baiern, welche bei Andernach über
den Rhein gesetzt, machten mit den Franken einen Versuch
den Feind zu überfallen; unverrichteter Sache kamen sie zurück.
Der Kaiser brach sogleich auf und schloss die Normannen in
Elsloo an der Maas ein. 2 Zwölf Tage währte die Belagerung,
am 21. Juli tobte ein furchtbares Ungewitter. 3 Die Normannen
schienen verloren, als Karl plötzlich mit ihnen einen schmäh
lichen Frieden schloss; man beschuldigte offen Liutward und
andere Räthe der Bestechung und des Verrathes. 1 Die Räuber
wurden um mehr als 2000 Pfund abgekauft, dev eine Nor
mannenkönig Gotfrid liess sich taufen und erhielt die Graf
schaften und Lehen Rorichs. 5 ,Zwei fröhliche Tage brachte
man dort zu', schreibt der officielle Annalist, 1 ’ doch ein anderer
Bericht spiegelt den ganzen Grimm über die widerfahrene
Schmach. 7
In Koblenz wurde das Heer entlassen. 8 Der Kaiser ging
nach Mainz und Tribur, wo er einige Zeit verweilte. 0 Am
1. November wurde ein Reichstag in Worms eröffnet 10 und
zur Besitznahme des ihm angefallenen Reiches aufzufordern. Urkunden
aus Worms vom 17. und 22. Mai, nr. 59, 00.
1 Ann. Vedast. 882; Regino 882 gibt den 5. April als den Tag der Zer
störung Triers an.
2 Seeus litus Mosae fluminis loco qui dicitur Ascloha de Keno miliaria
XIV. Ann. Fuld. p. V. Urk. mit Actum Asloha vom 19. Juli, nr. 61.
3 Ann. Fuld. p. V.
•> Ib. p. IV.
5 Ib. p. IV, V, Ann. Vedast., Hincmari Ann., Regino 882.
6 Ann. Fuld. p. V.
7 Imperator talem contumeliam flocci pendens . . unde exercitus valde con-
tristatus dolebat super se talem vonisse principem qui liostibus favit et
eis victoriam de liostibus subtraxit nimiumque confusi redierunt in sua.
Ann. Fuld. p. IV.
8 Ann. Fuld. p. V.
0 Per plures dies. Ann. Fuld. p. IV. Die offlciellen Annalen bemerken nur:
Rex morabatur in Germania.
10 Sic versus Wormatiam placitum suum kal. nov. habiturus a Nortmannis
recessit. Hincmari Ann. 882. Dagegen die Ann. Fuld. p. V: Ante natale
domini placitum habuit ad Wormatiam. Urk. mit Actum Wormatia vom
Die Urkunden Karls III.
339
, wenig' Nützliches beschlossen'. 1 Von hier kehrte er nach
Schwaben zurück und feierte dort das Weihnachtsfest. 2
In langsamem Zuge kam Karl 883 nach Baiern, zu
Regensburg wurde das Osterfest (31. März) begangen und ein
Reichstag gehalten. 3 Die Nachrichten, welche aus Italien ein
liefen, schienen das persönliche Eingreifen des Kaisers zu for
dern. Johann VIII. war 882 December 15 ermordet und
der Bischof Marinus von Cärä wenn auch einmüthig, doch
nicht auf ganz gesetzmässige Weise auf den päpstlichen Stuhl
erhoben worden. 4
Der Kaiser zog wieder über die Alpen und berathschlagte
bei Verona mit seinen Getreuen über die Lage des Reiches. 5
In Nonantula traf er mit dem Papst zusammen. 0 Hier wurde
auch Wido des Hochverrathes angeklagt und Berengar mit
der Execution beauftragt. 7 Den Sommer über blieb Karl in
Italien. 8 Erst im Winter kehrte er zurück. In St. Gallen
weilte er drei Tage; er genehmigte die Resignation des Abtes
4.—13. November, nr. 63—66. Der von Hinkmar angegebene Termin
kann also unbedenklich als Eröffnungstag angenommen werden.
1 Ann. Fuld. p. IV.
2 Ib. p. V, 882, 883.
3 Ib. p. V, Urk. mit Actum Muneresdorf (Mindersdorf, Ilohenzollern O. A.
Klosterwald nö. Stockacb) vom 13. und 14. Februar. Actum Ulma vom
25. und 26. Februar, Actum Reganespurc vom 23. März bis 5. April,
nr. 69, 70; 72, 73; 74—77.
4 Diimmler, Ostfränk. Heich 2, 190, 216.
5 Ann. Fuld. 883 p. IV. Urk. mit Actum Veroneusi in civitate vom 7. Mai
— das richtige Tagesdatum non mai. im Liber privil. S. Mariae in Or-
gano s. XVI inc. f. 22 im Veroneser Archiv (M. G. Laschitzer), während
De Dionysiis De Aldone et Nothingo 91 und die wahrscheinlich aus
diesem Drucke stammende Abschrift in Bianchinis Sammlungen, Pertz’
Archiv 12, 662, irrig XVI kal. iul. geben — nr. 79; dadurch beseitigen
sich auch die Bedenken Diimmlers, Ostfränk. Reich 2,' 694, Nachtrag
zu S. 219.
6 Ann. Fuld. p. V. Urk. mit Actum Nonantulae vom 24. und 31. Mai, 20.
und 24. Juni, nr. 82, 83, 86, 87, 89, 90. Allem Anscheine nach ist ein
doppelter Aufenthalt in Nonantula anzunehmen.
7 Ann. Fuld. p. V, vgl. p. IV.
8 Ib. p. IV. Urk. mit Actum Murgula von 30. Juli, 1. August, mit Actum
Papiae vom 5.-23. Oetober, nr. 92—94; 96—98.
M ü h 1 b a c h e r.
Hartmot und die Wahl Beimhards, dem er persönlich das
Kloster übertrug.; Bernhard wurde am 6. December geweiht. 1
Um Lichtmess 884 hielt der Kaiser einen Reichstag zu
Kolmar; es wurden Streitkräfte gegen die Normannen, die
Baiern gegen Wido aufgeboten. 7 Mitte Mai wohnte er wieder
einem Reichstage zu Worms bei und entsandte Truppen gegen
die Normannen. 3 Durch Baiern zog er dann an die Ostgrenze
des Reiches; zu Königstetten am Tulnflusse traf er mit Herzog
Swatopluk zusammen; dieser wie Herzog Brazlowo, welcher
das Gebiet zwischen Save und Drau innehatte, leistete den
Lehenseid. 4 Ueber Kärnten rückte er wieder nach Italien und
feierte zu Pavia Weihnachten.® Hier fand auch wenige Tage
später — 885 Jänner 7 6 — eine Reichsversammlung statt, in
der Wido sich durch einen Eid von dem ihm zur Last ge
legten Verbrechen reinigte.
884 December 12 7 war der junge König von West-
francien, Karlmann, gestorben. Noch lebte von dieser Linie
ein fünfjähriger Knabe Karl, welcher sich später den Beinamen
des Einfältigen erwarb. Doch das Westreich, längst die aus
erlesene Beute der Normannen, war furchtbarer bedroht als
je; die einzige Rettung schien in der Vereinigung der Macht
der beiden Reiche in einer Hand zu liegen. Es wurde be
schlossen Karl die Krone anzubieten und Graf Theoderich
nach Italien abgeordnet, um den Kaiser nach Francien zu rufen. 8
1 Eatperti Casus s. Galli M. G. SS. 2, 74. Aus diesem Werke a. a. O. 73
ergibt sich auch ein Actum deperditum; Karl schenkt, postquam omnibus
Italiae Germaniaeque populis suavissimo ovdine imperavit — also 882 bis
883 — auf Bitte des Abtes Hartmot unter Vorbehalt des lebenslänglichen
Nutzgenusses für Liutward die Abtei Massimo an St. Gallen vgl. Urk.
Berengars I. von 904 Juni 1, Wartmann 2, 337.
2 Circa purificationem s. Mariae. Ann. Fuld. p. IV vgl. p. V. Urk. mit
Actum Columbariae vom 14. Februar, nr. 99.
3 Mense maio mediante. Ann. Fuld. p. IV. Urk. mit Actum Wormacia vom
22. Mai bis 11. Juni, nr. 105, 106, 108.
4 Ann. Fuld. p. IV, V. Urk. mit Actum Kadesbone vom 19. und 20. Sep
tember, nr. 110, 111.
5 Ib. p. V.
6 Proximo die s. epiphaniae. Ann. Fuld. p. V.
7 Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 234 A. 8.
8 Ann. Vedast. 884, M. G. SS. 2, 201 (1, 522), Regino 884.
Die Urkunden Karls III.
341
Dieser Einladung folgend brach Karl von Italien auf und
eilte in das Westreich; zu Pontliion empfing er die Huldigung
der Grossen. 1 Er erliess nur an die Lothringer und West
franken den Befehl nach Löwen gegen die Normannen zu
marschiren. er selbst zog in sein Stammreich zurück. 2 In
Frankfurt pflog er mit den Seinen Berathungen und knüpfte
mit dem Papste Unterhandlungen an; man erzählte, dass er
seinem ausserehelichen Sohne Bernhard die Nachfolge sichern
wollte. 3 Ueber Mainz begab er sich von hier nach Worms,
um mit den Bischöfen und Grafen zu berathen 4 und dann
nach Baiern; 5 zu Regensburg feierte er das Weihnachtsfest. 0
Einer Einladung des neugewählten Papstes Stephan V.
folgend brach der Kaiser wieder nach Italien auf. Am Palm
sonntage 886 (März 20) fand zu Pavia eine grosse Schlägerei
zwischen den Bürgern und seinem Gefolge statt, während er
selbst in Olonna weilte; hier beging er auch das Osterfest und
hielt nach demselben einen Reichstag zu Pavia. 7 Unterdess
litt das Reich von den Normannen arge Noth; seit November
885 wurde Paris belagert. Heimlich schlich sich Graf Odo
durch, um bei den Reichsfürsten Hilfe zu suchen; sie sollten
dem Kaiser melden, däss die Stadt verloren sei, wenn man
ihr nicht schnell Rettung brächte. 8
Karl verliess endlich Italien und nahm den Rückweg
über Burgund. 9 Im Juli hielt er mit den Seinen Berathungen
1 Ann. Vedast. 885; dagegen nennt Regino Gondreville als Ort der Hul
digung. Urlt. mit Actum Pontioni pal. vom 10. Juni, mit Actum Gaudul-
fivilla vom 12. Juni, nr. 123; 120, 121; beide Orte in der Nähe von Toul.
2 Ann. Vedast. 885, Ann. Fuld. p. V.
3 Ann. Fuld. p. IV. Urlt. mit Actum Franconofurt vom 6.-23. September,
nr. 132—134.
4 Ann. Fuld. p. IV, V. Urk, mit Actum Wormatia vom 1. October, nr. 135.
5 Ann. Fuld. p. IV, 885.
0 Ib. p. V, 886. Urk. mit Actum Regenesburg vom 7. und 10. Jänner,
aber mit Jabresdaten, welche die Einreihung zu 887 fordern, nr. 153,
154. Bezeichnend ist ind. IV; entspräche sie auch 886, so wird sie in
anderen gleichfalls von Amalbert recognoscirtcn Urkunden, nr. 156—159
sämmtlich Originale, 887 irrig noch am 15. Jänner geführt.
1 Ann. Fuld. p. V.
8 Ann. Vedast. 886. Nach Abbo De bellis Paris. II, 163. M. G. SS. 2, 793
wurde Odo direct an den Kaiser gesandt.
9 . Ann. Fuld. p. V.
4
342
Mühlbaclier.
zu Metz und rückte dann gegen die Normannen. 1 Vor Quierzy
sandte er gegen den Herbst 2 den Grafen Heinrich, den tüch
tigsten Führer des Heeres voraus, um der. bedrängten Stadt
baldige Hilfe zu bringen. Als dieser bei einer Recognoscirung
erschlagen worden war, 3 entschloss er sich endlich selbst nach
Paris zu ziehen. Seine Annäherung bewog die Normannen
auf das linke Seine-Ufer zurückzugehen. Er schlug am Fusse
des Montmartre das Lager auf, 1 verstärkte die Besatzung und
liess sein Heer über den Fluss setzen. 5 Bald begannen, ,da
der Winter bevorstand', Unterhandlungen, die noch im Novem
ber zu einem schmachvollen Abschluss führten; 0 die Norman
nen wurden wieder abgekauft, Burgund ihnen preisgegeben. 7
Ueber Soissons eilte Karl in sein Stammreich zurück. 8
Im Eisass befiel ihn eine Krankheit, welche ihn ,mehrere Tage'
ans Lager fesselte. 9 Als er sich wieder etwas erholt hatte,
begab er sich nach Alamannien in die Pfalz Bodman, wo er,
sich einer Operation unterzog. 10 ,Nach Ostern' konnte er be
reits einem Reichstage zu Weiblingen an wohnen. 11 Bald darauf
nahm er zu Kirchen am Rhein den unmündigen Sohn Bosos,
Ludwig (den Blinden), an Kindesstatt an. 12 Hier gelang es
1 Ann. Fuld. p. IV. Urk. aus Metz vom 30. Juli, nr. 137.
2 Circa autumni tempora. Ann. Vedast. 886. Urk. mit Actum Clärisiaco
vom 4. September, nr. 142. Wahrscheinlich hier etwas längerer Auf
enthalt.
3 Am 28. August. Diimmler, Ostfränk. Reich 2, 260 A. 24.
4 Abbo II, 352 f.
5 Ann. Vedast. 886. Die Stadt selbst betrat Karl also nicht. Urk. mit
Actum Parisius vom 24.—29. October, 1.—6. November, 18. December.
nr. 143—150, 152.
0 Tune glaciabantur torpentis saecla novembris. Ahho II, 361.
7 Ann. Vedast. 886, Ann. Fuld. p. IV, Regino 887. Schon am 30. Novem
ber kamen die Normannen von Paris nach Sens, Ann. s. Columbae Senon.
886, M. G. SS. 1, 104.
8 Ann. Vedast. 886.
9 Ann. Fuld. 886 p. IV, p. V 887. Urk. aus Schlettstadt, vom 15. Jänner,
nr. 156—459.
10 Ann. Fuld. p. V vgl. nr. 162, 163.
11 Ib. p. V, IV. Urk. mit Actum Weibilingae vom 7. Mai, nr. 165.
12 Ann. Fuld. p. V. Boso starb 887 Jänner 11. Urk. mit Actum Cliiriheim
vom 30. Mai, 16. und 17. Juni, nr. 166 — 168; über die Lage des Ortes
Diimmler, Ostfränk. Reich 2, 277 A. 48.
Die Urkunden Karls III.
343
endlich den verhassten Günstling Liutward zu stürzen; in
dessen Sturz wurde auch die Kaiserin verwickelt, welche sich
jetzt von ihrem Gemahl trennte. 1
Während die Krankheit des Kaisers sich verschlimmerte,
gewann der Abfall unter • den deutschen Stämmen immer
grösseren Boden. Als er nach Frankfurt gekommen war, luden
sie Arnolf ein und wählten ihn zu ihrem Herrn. 2 Karl zog
sich um Martini (11. November) nach Tribut' zurück und berief
einen allgemeinen Reichstag. 3 Doch schon rückte Arnolf mit
einem bedeutenden Heere heran; von allen verlassen ver
langte der Kaiser nach einem vergeblichen Vermittlungsver
suche durch Liutbert von Mainz nur einige Güter in Schwaben
zu seinem Unterhalte 4 und verzichtete auf die Herrschaft.
Noch im November hatte sich die unblutige Umwälzung
vollzogen; schon am 27. d. M. urkundet König Arnolf zu
Frankfurt. 6 Karl überlebte seine Absetzung nicht lange; er
starb 888 Jänner 13 zu Neidingen an der Donau und wurde
in Reichenau beigesetzt. G
1 Ann. Fuld. p. IV, vgl. p. V, Regino 887.
2 Veniente Carolo imporatore ad Franeonofurt isti invitaverunt Arnolfum
ipsumque ad seniorein elegernnt. Ann. Fuld. p. V. Keine der übrigen
Quellen erwähnt diesen Aufenthalt in Frankfurt; Dümmler, Ostfränk.
Reich 2, 288 A. SO, scheint deshalb diese Angabe nicht als genügend
verbürgt zu betrachten. Bei der Genauigkeit der officiellen Annalen ist
dies kaum zulässig; es wäre dies die einzige zu beanstandende Nach
richt des Itinerars; zudem sind die Angaben nicht unvereinbar.
3 Mcnse novembrio circa transitum s. Martini, Regino 887. Post festivita-
tem s. Martini. Ann. Hildesheim. M. G. SS. 3, 50 vgl. Ann. Altah.
M. G. SS. 20, 785.
4 Ann. Fuld. p. IV, Regino 887.
5 Mohr C. d. 1, 51 irrig zu 888. In Arnolfs Kanzlei wurde kein bestimmter
Epochetag eingehalten, sondern in der Regel die Regierungsjahre zu
gleich mit dem Incarnationsjahre umgesetzt, wie schon Dümmler, Ost
fränk. Reich 2, 303 A. 11, bemerkte.
r > Ann. Fuld. p. V; eine Zusammenstellung der Nekrologe bei Dümmler
2, 290 A. 88; dazu kommt jetzt noch das Todtenbuch von St. Gallen
mit 13. Jänner, St. Galler Mittheil. 11, 30,
344
Mühlbache r.
2.
Die Kanzlei Karls III.
Kanzlei und Capelle waren unter den ersten Karolingern
von einander getrennt. 1 Wie im Westreich, 2 so blieb auch
unter Lothar I. und Lothar II. diese Trennung bestehen; 3 nur
in Italien scheinen sich unter Ludwig II. nähere Beziehungen
zwischen beiden ausgebildet zu haben. 4 Unter Ludwig dem
Deutschen sind seit 854 die beiden Aemter mit einander ver
einigt, 5 seit 856 findet sich der Titel archicapellanus auch in
der Recognitionsformel. 0 Nach kurzem Schwanken gelangt
dieses Verhältniss auch in den Urkunden Karlmanns, 7 in jenen
Ludwigs III. 8 aber sogleich zu dauernder Geltung, um sich
1 Siekel, Urkundenlehre 101, Waitz, V. G. 3, 436.
2 Als Erzcaplan erscheint in den Urkunden Karls des Kahlen Ebroin von
Poitiers B. 1584, 1585, 1625; nur eine undatirte Urkunde, Bouquet 8,
485, welche sich nach Tardif, Mon. hist. 95 nr. 140, in Copie s. XI er
halten, trägt die Becognition Hebroinus episcopus et archicapellanus
relegit; dieselbe ist für- St. Germain des Pres, dessen Rector Ebroin war,
ausgestellt und dieser tritt zugleich als Petent auf.
3 Unter Lothar I. wird als Erzcaplan Drogo von Metz, Bouquet 8, 390
nr. 34, unter Lothar II. Günther von Köln in B. 691 genannt. B. 711, an
gebliches Original in Paris, mit der Eecognition Ego Grimlandus advieem
Advencii (von Metz) archicapellani ist Fälschung.
4 B. 664, 666, 667, sämmtlich Originale in Parma, sind ad vicem Fare-
mundi recognoscirt, der im Texte von B. 677 und in einer Privaturkunde
Muratori SS. 2 b , 929, als diaconus et capellanus bezeichnet wird. In
B. 666, 667 erscheint ein Leudoinus arclüpresbiter palatinus, in B. 669
Cod. Langob. 323 (hier irrig zu 856 statt 871) Orig, in Mailand, ein Gau-
ginus sacerdos atque capellanus als Recognoscent. Auch später treten in
Italien nur capellani auf.
5 Sickei, Beitr. zur Dipl. II, Wiener Sitzungsber. 39, 151.
6 Wartmann, U. B. von St. Gallen 2, 67.
7 Die ersten Urkunden B. 858, Orig, in München, Mon. Boica 31, 101,
tragen die Recognition Madalwinus not. ad vicem Baldonis cancellarii,*
die übrigen — zuerst 877 Juni 28, M. B. 31, 103, diese noch ohne
Titel — sind ad vicem Theotmari archicappellani gezeichnet.
8 In der ersten Urkunde, Hodenberg, Verdener Geschiclitsqu. 2, 15, Orig,
in Hannover, ist von der Recognition nur mehr Wolfherius canc . . .
kenntlich. Die zweite Urkunde B. 879, M. G. SS. 21, 373, ist schon
ad vicem Liutberti archicapellani recognoscirt.
Die Urkunden Ivurln III.
345
auch unter den letzten Karolingern fast ausschliesslich zu be
haupten. 1
Unter Karl III. blieb das Verhiiltniss, wie es sich unter
seinem Vater herangebildet, in Kraft; der Vorstand der könig
lichen Kanzlei steht zugleich an der Spitze der Capelle. Das
erste Diplom ist ad vicem Witgarvi arcMcapellani recognoscirt.
Als Witgar bald die Kanzlei verliess, trat Liutward an dessen
Stelle; fuhrt dieser in der Recognition auch nur mehr aus
nahmsweise den Titel archicapellanus, 2 welcher nun ganz hinter
die Amtstitulatur avchicancellarius zurücktritt, so ist es doch
anderweitig zur Genüge bezeugt, dass er zugleich die Würde
des Erzcaplans bekleidete; diesen Titel gibt ihm Notker in
der Widmung der Sequenzen, 3 er wird ihm auch in einer
Stiftung seines Bruders Chadolt von Novara, 4 von einem gleich
zeitigen Annalisten 5 und im Texte zweier Diplome 0 beigelegt.
1 Die Urkunden Arnolfs sind mit wenigen Ausnahmen ad vicem Theotmari
archicappellani unterfertigt, jene Zwentibolds aber überwiegend ad vicem
Ratpodi archicancellarii, zum geringeren Theile ad vicem Herimanni
archicapellani, ein Schwanken, das in den damaligen Parteiverhältnissen
Lothringens seine Erklärung findet. Unter Ludwig dem Kind tritt eine
Zweitheilung der Kanzlei ein; die Urkunden für Lothringen werden ad
vicem Ratpodi archicancellarii, jene für Deutschland ad vicem Theotmari,
seit Oct. 907 ad vicem Piligrimi archicappellani gefertigt. Dies bleibt auch
mit Ausnahme der ersten Urkunde B. 1233 unter IConrad I. in Geltung.
2 Orig. nr. 63, Copien nr. 52, 72 vgl. die Fälschung nr. 164.
3 . .. necnon et archicapellano gloriosissimi imperatoris. Dümmler, St. Galler
Denkm., Mittheil, der antiquar. Gesellschaft in Zürich 12, 224.
4 Deinde fratre meo interveniente vidolicet Liutwardo archicapellano (imp.
Karolus) eurtem suam Erichinga in proprietatem cessit. Fickler, Quellen
u. Forsch, zur Gösch. Schwabens Urlc. nr. 2. S. 6. Dieses Actum dcper-
ditum Karls 111., auch erwähnt in der Urkunde Arnolfs, Dümge, Reg.
Bad. 79 nr. 14.
5 (Imperator) eum (Liutwardum) deposuit ne esset archicapellanus. Ann.
Fuld. 887 p. IV.
0 . . innotuit per Liutwardum praesulem nostrique palatii archicappellanum.
nr. 89 vgl. 90 bei Mabillon, Ann. 3, 246.
Wenn Liutbert von Mainz noch 882 in einer zwar abschriftlich
verderbten, doch sonst ganz unbeanstandbaren Urkunde nr. 65 der Titel
archicapellanus beigelegt wird, so hat dies, die Authenticität desselben
vorausgesetzt, mit der Capelle Karls XII. offenbar nichts zu thun; man
beliess vielleicht Liutbert den Titel, welchen er unter Ludwig III. inne
gehabt. In der nächsten, gleichfalls nur abschriftlich überlieferten Ur
kunde nr. 66 heisst es dagegen nur archiepiscopus.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 23
346
Mülilbaciier.
Als nach dem Sturze Liutwards Liutbert von Mainz zur Leitung
der Kanzlei berufen wurde, ward er allem Anscheine nach
auch zum Erzcaplan ernannt; führt er auch zunächst noch
den Titel archicancellarius fort, so wird doch in den beiden
letzten Urkunden der alte Titel archicappellanus wieder in seine
Rechte eingesetzt. 1 Noch hatte sich aber die Wandlung nicht
vollzogen, welche aus den Theilreichen sich herausbildend unter
Arnolf für das ganze Reich zur Geltung gelangt, dass das
Erzcaplanat und damit die wenn auch theilweise nur nominelle
Leitung der Kanzlei an einen bestimmten Bischofsitz gebunden
ist; noch werden die beiden Aemter an eine dem Kaiser ge
nehme Persönlichkeit übertragen.
Mit den Theilreichen mehren sich auch die Titulaturen
des Kanzleipersonals. 2 Den Reigen führt Italien. Für die
Recognoscenten kennt noch die Kanzlei Lothars I. nur den
Amtstitel notarius. Unter Ludwig II. tritt schon 851 der Titel
cancellarius auf und behauptet sich hier bis 864. 3 Eigenthüm-
licher Weise findet er dann im selben Jahre 858 Eingang in
die Recognitionsformel der Urkunden Ludwigs des Deutschen, 4
und Lothars II., 5 hier mit dem charakteristischen Zusatz reyiae
1 Archicancellarius in der Recognition von nr. 172—174, 177, archicappel-
lanus von nr. 175, 176. Im Texte von nr. 172 heisst Liutbert noch archi-
episcopus et archicancellarius, von nr. 179 nur archiepiscopus.
2 Vgl. Waitz, V. G. 6, 277.
3 B. 626 (irrig zu 850), Orig, in Parma, B. 633 ch. s. XIV, drei unge
druckte Originale für Montamiate zu Siena 853 Juli 4 (Herincus d.
imperatoris cancellarius), M. G. Pabst, Fattescbi 295 e reg. Farf. vom
Jalire 857, B. 655, 656 Orig, in St. Gallen, 651 Orig, in Turin von 861,
Fatteschi 297 und ungedruckte Urkunde für Farfa (Rom 864 Februar
M. G. Bethmann) e reg. Farf., Urk. für S. Maria in Gaza in Lib. privil.
s. Mariae in Organo zu Verona (bei Ughelli 2, 716 ohne die Recognition
Adalbertus canc. ad, vicem Johannis M. G. Laschitzer), B. 650 = 658,
Orig, in Modena, sämmtlich von 864. Ausser Herincus führt diesen Titel
noch Adalbert und Werimbold. Später über wiegt wieder der geistliche
Titel sacerdos, preshiter, diaconus, daneben noch notarius.
4 13. 786, 788, 789, Dümge 72, B. 811, 814, 792, 793 sämmtlich Originale.
Zuerst B. 692, Mabillon, Dipl. 533 (das Citat bei Böhmer irrig) ex autogr.
In den Urkunden des jüngsten Sohnes Lothars I., Karl, findet sich
der litel cancellarius nur in B. 718. Ob B. 719 diesem oder Karl von
Aquitanien, dem Sohne Karls des Kahlen zuzuschreiben sei, ist fraglich;
Die Urkunden Karls III.
347
dignitatis cancellarius, mit dem er auch Vorübergehend 860 in
die westfränkische Kanzlei eindringt. 1 Während unter Lud
wig II. schon ein Recognoscent selbst diesen Titel führt, trägt
ihn unter Ludwig dem Deutschen Witgar zunächst nur in den
Urkunden, welche in seinem Namen, wahrscheinlich in Stell
vertretung des Erzcaplans Grimald unterfertigt werden;'- erst seit
868 trägt Hebarhard als Recognoscent denselben Titel. 3 Aelin-
lich gestaltet sich das Verhältniss auch in der Kanzlei
Lothars II.; hier führt der Recognoscent in der Regel nur den
Titel cancellarius, wenn er allein im eigenen Namen die Ur
kunden zeichnet — eine Eigentümlichkeit, welche gleichfalls
zuerst in der Kanzlei Ludwigs II. sich festsetzt 4 — dagegen
nach Arndt M. 6. soll das Orig, in Carpentras die Recognition tragen:
Grim , . . regiae dignitatis comarius.
'•Tardif 111, B. 1690, Tardif 114, B. 1695, Tardif 115, sämratlic.h Orig,
in Paris, B. 1704 CIi. (Vavolemus verderbt für Gauzlenus). Der Zusatz
regiae dignitatis verschwindet mit dem Jahre 862 und Gauzlens Nach
folger Hildebold heisst wieder einfach cancellarius; analog wird aber
dieser in B. 1701, 1707 regiae dignitatis notarius genannt. Die Kanzleien
Ludwigs des Stammlers, des westfränkischen Karlmanns und Odos kennen
nur den Titel notarius; dagegen tritt der Zusatz regiae dignitatis seit
911 in der Kanzlei Karls des Einfältigen auf und wird von Hugo B. 1932
bis 1939, von Goslin aber nur 915—917, B. 1947—1953, 1712 (Böhmer
irrig zu Karl dem Kahlen) geführt; ganz vereinzelt ein notarius regalis
edicti in B. 1970, Tardif 144, Orig, in Paris.
2 Sickei, Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 152. Bemerkenswerth ist
jedoch, dass dieser Titel Witgars mit dem Auftreten Hebarbards sofort
verschwindet und dieser nur ad vicern Witgarii recognoscirt, M. B. 31,
98 Ch., B. 797 Orig, (jetzt auch Zahn, Steiermark. U. B. 1, 9),
B. 794 Orig., Wiener Sitzungsber. 39, 158 Orig., B. 796. Es scheint
also auch individuelle Willkür bedeutenderen Spielraum gehabt zu haben.
Wenn schon 858 December 7, B. 790, nur ad vicem Witgarii recognoscirt
wird, so ist diese Ausnahme wohl nur auf den Copisten zurückzuführen.
3 B. 821 Orig. f.
4 Zuerst in B. 634 (Cod. Lang. 298) Ch., Memorie di Lucca 4 b , 44 Copie,
B. 631 vom Jahre 852. Der Protonotar Johannes, der Caplan Gaug'inus und
der Protonotar Giselbert unterfertigen nur im eigenen Namen; theilweise
ist dies auch bei Dructemir und Adalbert der Fall. Seit 867 — zuerst B. 668
—wird dann regelmässig iussu imperatoris beigefügt, ein Zusatz, der sich
auch einmal in eine Urkunde Karlmanns B. 873 — iussu regio — verirrte;
ähnliche Ausdrücke schon in älterer Zeit, Sickel, Urkundenlehre 93. Vorüber
gehend trugen schon dieUrkunden der zweitenEpocheLothars I., 833—834,
nur die Unterschrift des Reeognoseenteii, Wiener Sitzungsber. 85, 481.
23*
• -SK
348 Muli 11) ach er.
erscheint er ohne diesen Titel, wenn an seiner statt unter
fertigt wird. 1
Denselben Weg wie der Titel cancellarius nahm auch die
Titulatur archicancellarius. Diese war jedenfalls schon früher
in officiellem Gebrauch,' 2 doch man schloss sie aus der Re-
cognitionsformel aus. Hier begegnet sie zuerst 853 unter
Ludwig II., 3 um aber schon im nächsten Jahre unter anderen
Titulaturen sich zu verlieren. 4 863 taucht sie wieder in der
Kanzlei Lothars II. auf. 5 Sie findet indess weder in den Ur
kunden Ludwigs des Deutschen noch Karls des Kahlen Ein
gang. 6 Selbst für die Kanzlei Karlmanns und Ludwigs III. ist
sie durch kein Original beglaubigt, für die letztere aber sehr
wahrscheinlich. 7 Sie wird dagegen durch Liutward in der
1 Eine Ausnahme bildet nur B. G94 Copie. Hrodmund führt, selbst wenn er
nur im eigenen Namen unterfertigt, auch nach 858 den alten Titel notarius,
Beyer 1, 98, 100 — B. 700 Copie s. X in Lib. aur. Prum. B. 099 (M. G.
SS. 21, 363) Lorscher Ch.
2 Wiener Sitzungsber. 85, 506 n. 5 vgl. 527 n. 1, Waitz, V. G., 3, 429
n. 3. Summus cancellarius im Text einer Urkunde Ludwigs des Frommen,
L. 159 vgl. Sickel, Urkundenlehre 98.
3 Drei ungedruekte Originale für Montamiato zu Siena (ad vicem Dructe-
miri archicancellarii) M. G., B. 635 gleichzeitige Copie, B. 644 Transumpt
von 1261 vgl. Pertz’ Arch. 5, 022.
4 Archinotarius B. 654 (Cod, Lang. 348), Orig, in Brescia, Sacri palatii
archinotarius B. 634 und Memorie di Lucca 4’’, 44 (dem Orig, eines
Placitums inserirt), Mabillon, Dipl. 533 e ch. Casaur, S. palatii protonota-
rius Cod. Lang. 380 Orig., Ficker, Forschungen 4, 18 Ch. s. XIII, Campi
1, 460. Die Bedenken Sickels, der damals geneigt schien diese Urkun
den deshalb zu beanstanden, Beitr. If, Wiener Sitzungsber. 39, 148, sind
gerade den Eigenthümlichkeiten der Kanzlei Ludwigs II. gegenüber kaum
begründet. Die Titel archinotarius, summus palatii notarius auch im Text
von L. 334, 367.
5 Ercamboldus regiae dignitatis archicancellarius B. 703, Orig, in Paris, 704
(Beyer 1, 105) Copie s. X in Lib. aur. Prum. Ereambolds Nachfolger
Grimbland heisst wieder nur cancellarius, so auch in einem Briefe
Lothars II. an Nicolaus I., Baronius ad 866 nr. 37.
c Die nur nach einem Chartular gedruckte Urkunde B. 1002 mit der Re-
cognition Theudo canc. ad vicem Hludowici archicancellarii ist auch aus
anderen Gründen verdächtig; B. 778 ist entschieden. Fälschung.
7 Unter Karlmann in Ii, 862 (nach Valentinelli Reg. nr. 53 neuere Copie
auf der Marciana), B. 870 Ch. s. XV im Arch. centr. zu Venedig M. G.
(bei Rubeis 444 fehlt die Recognition), unter Ludwig III. in B. 884,
Die Urkunden Karls III.
349
Kanzlei Karls III. eingebürgert, ohne jedoch unter den Karo
lingern in Deutschland festen Fuss fassen zu können. 1
Sickel wies darauf hin, 2 dass der Titel cancellarius eine
Rangerhöhung zu bedeuten scheine und dass unter Ludwig
dem Deutschen der Kanzler theils zum höheren Kanzleiper
sonal gezählt habe, theils an der Spitze des niederen Personals
gestanden sei. Wie sich diese Unterscheidung — wenigstens
für weitere Kreise — kaum aufrecht erhalten lassen wird, so
dürfte selbst die Rangerhöhung nicht ausser Zweifel stehen;
der Wechsel scheint auf der Kanzleigebahrung zu fussen. 3
Zunächst fallen zwei Dinge auf, dass auch der Kanzler wieder
gelegentlich den Titel notarius führt und dass sich auch in
derselben Kanzlei zur selben Zeit zwei cancellarii neben ein
ander linden.
Schon Idebarhard wird, auch nachdem er bereits den Titel
cancellarius geführt, wieder als notarius bezeichnet. 4 Mag dies
Stabloer Ch. s. XI zu Brüssel, Beyer 1, 122 Copie s. XII inr Lib. aur. Prum.,
beide Chartulare sehr verlässlich.
1 In Originalen findet sich die Titulatur archicancellarius nur unter Arnolf
für den Erzcaplan Theotmar Diirage 82, für den Kanzler Aspert in
B. 1068 (im Text), 1095 (in der Recognition), für den Kanzler
Wiching B. 1110 (Wartmann U. B. von St. Gallen 2, 295), 1111 (ib.
296), Dünnnler, Ostfränk. Reich 2, 678 (für Italien), in diesen Fällen
als Recognoscenten vgl. B. 1109 Copie; unter Zwentibold führt ihn
Ratpod von Trier, unter Ludwig dem Kind bleibt er für die lothrin
gische Kanzlei und nur für diese in ausschliesslichem Gebrauch. Ebenso
ausschliesslich ist er seit Berengar I. und Wido in der italienischen
Kanzlei in Verwendung. Unter den westfränkischen Karolingern tritt er
nur vereinzelt in der Kanzlei Karls des Einfältigen auf, B. 1897 Tardif
139 Orig., 1917, 1918, Martene Coli. 1, 25*0; lothringischem Einfluss ent
stammt hier auch der Titel summus cancellarius B. 1941, 1945 f.
2 Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 156.
2 Da von Prof. Sickel eine eingehende Erörterung und Erklärung dieser
Verhältnisse in kürzester Frist zu erwarten ist, so beschränke ich mich
um so mehr auf die thatsächlichen Andeutungen, welche mein nächster
Zweck fordert.
4 Beyer 1, 107, 119, beide Copie s. X im Lib. aur. Prum. Sickel, Beitr. II,
Wiener Sitzungsber. 39, 131 A. 1, hat dies als Verderbniss beanstandet;
das goldene Buch von Prüm zählt indess zu den besten Chartularen;
zudem wurden die Urkunden schon wenige Jahrzehnte nach ihrer Aus
fertigung abgeschrieben.
350
Mühlbache r.
und vereinzelte Fälle aus der Kanzlei Lothars II. 1 und
Ludwigs II., 2 weil durch kein Original beglaubigt, auch nicht
als hinreichend verbürgt gelten, so steht dieses Schwanken
doch in der westfränkischen Kanzlei ausser Frage. 3
Am klarsten zeigt sich dies in der Kanzlei Karls III.
Waldo führt seit 882 den Titel cancellanus; 1 vom 13. Februar
bis 5. April 883 recognoscirt er acht Urkunden, von denen
sich sieben im Original erhalten haben; 5 in den vier ersten
heisst es cancellarius, in der fünften und sechsten notarius, in
den letzten wieder cancellarius, der Titel notarius wird ihm
dann noch in zwei späteren Originalen beigelegt. r> Amalbert er
scheint 885 Mai 20 in drei Urkunden, von denen noch zwei
im Original vorliegen, 7 als cancellarius, im August wieder als
notarius. 8 Von Juni 886 bis Jänner 887 recognoscirt er eine
Reihe Urkunden in ununterbrochener Folge; 9 nur in sechs,
darunter drei Originale, heisst er cancellarius, in den übrigen
notarius; mit dem letzteren Titel tritt er erst in der Zeit Liut-
berts nicht mehr auf.
Eine Eigenthümlichkeit bietet das Original nr. 26. Ernust,
der sonst nur notarius heisst, 10 erhält in dieser in seinem
1 Beyer i, 104 Copie s. X im Lib. aur. Prum. Streng eingehalten ist die
Titelgrenze in der Kanzlei Karlmanns und Ludwigs III.
2 Tiraboschi, Modena l b , 46 Copie s. XIII zu Reggio. Adalbert heisst
früher nur cancellarius, hier notarius.
3 So wird der Kanzler Gauzlen wieder in B. 1688, 1689 (Tardif 111) Orig,
in Paris, der Kanzler Hildehold (zuerst mit dem Titel cancellarius 868
März 18, Tardif 129 Orig.) wieder 868 September 28, Chart, s. Stephani
Catalaun, zu Chälons s. M. (M. G. Arndt) als notarius bezeichnet; in
einer Urkunde desselben Chartulars von 874 Februar 9 heisst Adalger
im Text cancellarius, in der Recognition notarius. Dasselbe ist in Be
treff des Kanzlers Ernust in der Urkunde Arnolfs, Dümge 83, der Fall.
4 nr. 64 f.
5 nr. 69, 70, 72—77; nur nr. 72 aus dem verlässlichen Lorscher Chartular.
6 nr. 88, 92.
7 nr. 117-119.
8 nr. 129 Orig.; von den vier Copien nr. 124, 128, 130, 132 sehe ich ab.
8 nr. 137—145, 147—150, 152—154, 156 —159; nr. 146, 151 ohne Recogni
tion überliefert, cancellarius in nr. 138 Orig., 141, 142, 143, 148 Orig.,
156 Orig., ohne Titel in nr. 139, 140 Copie.
10 Ausser in der Copie nr. 112. Vgl. über diese Erscheinung die Bemerkung
Sickels im Neuen Archiv 1, 455. Dabei ist indess zu beachten, dass
"""
-^£J- L - ]g
Die Urkunden Karle III. 351
Namen recognoscirten Urkunde 1 den Titel cancellarius. Wenn
Liutward, der zuerst im März 878 in Originalen als archi-
canceUarius erscheint, 2 nochmal im Juli desselben Jahres can-
cellarius genannt wird, 3 so ist dies wohl nur ein Versehen des
Schreibers; noch weniger Gewicht darf man darauf legen,
wenn ihm auch später in Copien derselbe Titel beigelegt wird. 4
Die Erscheinung, dass in derselben Kanzlei der Titel
cancellarius gleichzeitig von zwei Persönlichkeiten geführt wird,
tritt zuerst in der Kanzlei Ludwigs II. und Karls des Kahlen
entgegen; hier ist es Gauzlen und Hildebold, dort Adalbert
und Herincus. Sie wiederholt sich in der Kanzlei Karls III.
Von Ernust abgesehen, trägt nach Waldos Austritt Amalbert
in der Regel den Titel cancellarius, doch daneben auch Salo-
mon, 6 der bisher natarius hiess; unter Liutbert werden die
beiden Recognoscenten Friedebold 1 ’ und Amalbert als Kanzler
bezeichnet.
Ergibt sich aus dem Schwanken der Titulatur, dass diese
für die Einreihung datirungsloser Urkunden keine feste Norm
Aspert, der nur in der Recog’nition eines Originals B. 1095, Dronke 295,
archicancellarius genannt wird, diesen Titel auch im Text des Originals
B. 1068 trägt.
1 Recognoscent ist ein Diakon Gaidulf, der nur dies einemal auftritt, also
wahrscheinlich nicht zum ständigen Kanzleipersonal zählte.
2 nr. 9; nr. 5 Copie ist nicht authentisch.
3 nr. 11 Orig. Als Beleg für die mechanische und gedankenlose Schreiberei,
von der auch die Recognition ihren Th eil erhielt, verweise ich auf die
beiden Originale Konrads 1. B. 1265, 1266 in München mit archiep-
capellani und archiarchicapellani. Weitere Belege bei Ficker, Urkunden
lehre 1, 56; 2, 478.
4 nr. 101, 107, 122, 141.
Dasselbe Schwanken zeigt die Kanzlei Arnolfs. Wiching heisst
B. 1110 (Wartmann U. B. von St. Gallen 2, 295) Orig, zum ersten
Male archicancellarius und führt diesen Titel als Recognoscent in den
Orig. B. 1111, Dümmler, Ostfränk. Reich, 2, 678; daneben heisst er
wieder cancellarius in den Orig. B. 1117, 1119 (Orig, in Mailand), 1121
(Orig, in Parma), 1122, 1139 (Orig, in Klagenfurt), 1146, 1147. Dem Auf
treten des arcldcancellarius scheint es zu entsprechen, dass kurz darauf
der Notar Ernust den Titel cancellarius zu führen beginnt, zuerst Orig.
B. 1116, 1123; doch in einer Urkunde von 896 August 13, Wiirdtwein
Subs. 3, 300, Orig, in Marburg, heisst er wieder notarius.
5 nr. 134 Orig., früher nur in nr. 123 Copie.
6 Dieser heisst nur notarius im Orig. nr. 177.
352
Mühlbache r.
bildet, so auch, dass es eine Urkunde durchaus nicht ver
dächtigt, wenn in derselben statt des ,höheren' Titels der ge
ringere auftritt. Für die Kanzlei Karls III. sind die Fälle
viel zu häufig, als dass an Versehen gedacht werden könnte.
Welche Rangstufe die beiden Kanzler zu einander eingenommen,
darüber Hessen sich höchstens Vermuthungen aufstellen. Als
ganz bestimmt ergibt sich aber, dass ihnen so wenig als einem
der übrigen Recognoscenten ein territorialer Amtskreis zuge
wiesen war. L Die Kanzlei war wie bisher eine einheitliche
und sie blieb es auch, eine vorübergehende Trennung in eine
deutsche und lothringische Kanzlei ausgenommen, 2 während
der ganzen Karolingerzeit.
Der Gontinuität des Kanzleiwesens entspricht es, dass in
der Regel sich auch das Kanzleipersonal auf den Nachfolger
vererbte. 3 So diente der Kanzleichef Ludwigs 11. Dructemir,
sowie jener Lothars II. Ercambokl sammt den Notaren Ilrod-
rnund und Daniel in der Kanzlei Lothars I., jener Ludwigs
des Stammlers Gauzlen in der Karls des Kahlen. Dasselbe ist
auch Karlmann ausgenommen, in dessen Urkunden gleichfalls
neue Namen auftreten, bei den Söhnen Ludwigs des Deutschen
der Fall. An der Spitze der Kanzlei Ludwigs III. bleibt der
Erzeaplan Liutbert, die Leitung jener Karls III. übernimmt
zunächst Witgar.
Witgar hatte 858—860 die Kanzlei Ludwigs des Deutschen
geleitet; 4 um diese Zeit wurde er auf den Bischofstuhl von Augs
burg erhoben. 5 Als Erzkaplan wurde er auch Vorstand der
1 So recognosciren Ernust, Inquirin, Waldo ohne Unterschied für Deutsch
land und Italien, Inquirin und Salomon auch für Lothringen, Amalbert
für Deutschland, Italien, Westfraneien. Dieselbe Erscheinung unter
Lothar I., Wiener Sitzungsber. 85, 507 A. 6.
2 Unter Ludwig dem Kind und theilweise auch unter Karl dem Einfältigen
vgl. B. 1941, 1949, 1962. Auf die Zweitheilung der Kanzlei in eine ita
lienische und burgundische unter Kaiser Ludwig III. hat schon Stumpf,
Wirzb. Immun. 1, 33 A. 56, aufmerksam gemacht.
3 Unter Lothar I. und Zwentibold treten jedoch ganz neue Namen auf;
möglich dass der erste 840 zwei Persönlichkeiten aus der Kanzlei Lud
wigs des Frommen übernahm. Wiener Sitzungsber. 85, 507 A. 4.
4 B. 786—796.
5 Dümmler, Ostfränk. Reich 1, 873.
Die Urkunden Karlß III.
353
Kanzlei Karls III. In seinem Namen sind jedoch nur zwei
Urkunden von 877 April 15 und August 18 recognoscirt,
Was seinen Austritt veranlasste, ist unbekannt; vielleicht wurde
er durch Liutward verdrängt. Er starb erst 887. 1
Liutward, 2 allem Anscheine nach ein geborner Schwabe
und vielleicht in Reichenau erzogen, 3 wurde von Karl trotz
der niederen Herkunft zu den höchsten Würden erhoben, als
dieser die Regierung antrat. 4 Schon die erste Urkunde unter
fertigt er als Kanzler, die dritte nur mehr im eigenen Namen
und bereits die nächste wird ad vicern Liutwardi recognoscirt.
Seit 878 steht er an der Spitze der Kanzlei, im März des
selben Jahres erscheint er zuerst in einem Original als archi-
cancellarius; 5 bald wird ihm auch das Bisthum Vercelli über
tragen, 880 Februar wird er schon Bischof genannt. 0
1 Eegino 887.
2 Die regelmässige Schreibung in Originalen ist Liulwardus; daneben
findet sieb Liutuhardus nr. 41, Gl, Lituardus nr. 63. Die. meisten Va
rianten weisen die "von Amalbert recognoseirten Urkunden aut', so Liut-
liuardus nr. 138, 145, 158 vgl. 159, Liutliuwardus nr. 148, 156, 157,
Lituwardus nr. 150; die Naraensform ist nach den Abschriften der Mon.
Germ, in Liutwardus zu verbessern in nr. 4, 17, 25, 91, 131, 135, 162.
Bei anderen Abdrücken aus den Originalen liegen zweifelsohne
Lesefehler vor. So liest Campi immer Luituardus, Tiraboschi Liutuardus,
Sanclemente Liuttuardus. Die Copien bieten ausser Luitwardus häufig
Liutuardus, Liutardus, Lmthardus, Liutoardus, Liutgardus, Luttuardus.
Leutardus, Hutuavdus, Limtliuardus, Liumikhardus, Wichardus nr. 171,
Lunginarius nr. 80./
Ueber die Verschiedenheit der Namensschreibung in Originalen
Stumpf, Wirzb. Immun. 2, 35 A. 60.
3 Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 112 A. 79, 280; nr. 97 Orig, ist Bestätigung
einer Precarie Liutwards mit Reichenau. In nr. 103, 162, 163 erscheint
er als Intervenient für dieses Kloster, fälschlich in nr. 95 sogar als
dessen Abt.
4 Imperator . . priscis temporibus i. e. ex quo rex in Alamannia constitutus
est, quendam de suis ex infimo genere natum nomine Liutwardum supra
omnes in regno suo exaltavit. Ann. Fuld. 887 p. IV.
6 nr. 9. In der Fälschung nr. 78 wird ihm noch der Titel totius Italiae
archicancellarius beigelegt.
G nr. 21 Orig. Als episcopus Vercellensis wird er bezeichnet in nr. 47, 48,
57, 71, 78, 93, 103, 122, 162, 163.
354
Mühlb aeher.
Liutward ist Karls allmächtiger Günstling, sein einfluss
reichster Rathgeber; 1 sagte man doch von ihm, dass er mächtiger
sei als der Kaiser und von allen mehr geehrt und gefürchtet
werde als dieser selbst. 2 Schon 880 wünscht der Papst dessen
Vermittlung, 3 er bittet ihn direct um dieselbe. 4 In einer Reihe
von Urkunden tritt der ,geliebte Rath, der vielgeliebte Erz
kanzler' als Fürsprecher auf 5 und wird vom Kaiser reich be
dacht. 0 882 vermittelt er den schmählichen Vertrag von Elsloo
lind man beschuldigte ihn, dass er sich von den Normannen
bestechen liess; noch im selben Jahre führte er Angilberga,
die Witwe Ludwigs II., welche wegen Umtrieben mit ihrem
Schwiegersohn Boso nach Deutschland verbannt worden war,
nach Italien zurück. 7 Im Beginn des Jahres 886 ging er als
Gesandter nach Rom. 8 Der lang gehegte Groll gegen den
,allgemein gehassten' Günstling, den man sogar der Ketzerei und
1 Maximus consiliator regis palacii fait. Ann. Fuld. 887 p. IV. Regino
887 nennt ihn ,in administrandis publicis utilitatibus unicum consiliarium‘.
2 Iste prior imperatori et plus quam imperator ab omnibus honorabatur et
timebatur. Ann. Fuld. 887 p. IV.
s J. R. 2548 vgl. 2507.
4 J. R. 2602, 2618.
5 Dilectus consiliarius et arcliicancellarius wird Liutward genannt in nr. 23,
26, 114, strenuus atejue Intimus consiliarius nostrique palaiii summus archi-
cancellarius in nr. 127 vgl. 50 — ähnlich in den Fälschungen nr. 71:
summus consiliarius et arcliicancellarius, nr. 78 nosterque summus (im
Drucke der M. G. Chartae 1, 66 das sinnlose nostvaeque signaturae)
consiliarius et arcliicancellarius — summus arcliicancellarius et consiliarius
in nr. 82, dilectus arcliicancellarius in nr. 32, 57, 93, 97, 103, 109, 171
vgl. 30,. 31, 37, 112, dilectissimus arcliicancellarius in Orig. nr. 41, vir
clarissimus in nr. 122, ob deprecationem Liutuhardi Vercell. episcopi alio-
rumque nostrorum principum im Orig. 157. Oefter heisst er auch nur
fidelis. Zweidrittel der Interventionen beziehen sich auf Italien, fünf auf
Deutschland, darunter drei für Reichenau, fünf auf Westfrancien.
6 nr. 32, 97 vgl. nr. 57, Ratperti casus s. Galli M. G. SS. 2, 73. Multisque
beneficiis ab eo ablatis . . de palatio expulit. Ann. Fuld. 887 p. IV. In
der schon erwähnten Widmung der Sequenzen nennt ihn Notker auch
Abt von Bobbio, das auch Lothars I. Kanzleivorstand Hilduin innegehabt
zu haben scheint, Wiener Sitzungsber. 85. 506 A. 5.
7 Hincmari Ann. 882.
8 Ann. Fuld. 886 p. V.
Die Urkunden Karls III.
355
des Ehebruchs mit der Kaiserin zieh, 1 kam 887 auf dem
Reichstag von Kirchen zum Ausbruch; er wurde seiner Würden
entsetzt und schimpflich vom Hofe vertrieben. 2 Mochte der
Kaiser auch bald die ihm aufgezwungene Massregel bereuen, 3
so rächte sie sich doch an ihm; Liutward ging- zu Arnolf, um
ihn zur Entthronung seines Oheims aufzustacheln. 4
Von 878 bis Juni 887 sind fast alle Urkunden ad vicem
Liutwardi recognoscirt. Welchen Einfluss Liutward auf die
Kanzleigeschäfte genommen, darüber fehlt jede directe Nach
richt. Die Leitung kann keine sehr stramme gewesen sein,
denn es macht sich die weitgehendste individuelle Willkür
geltend. Ebensowenig lässt sich mit Bestimmtheit sagen, ob
auch in seiner Abwesenheit in seinem Namen recognoscirt
wurde, wie dies anderweitig schon früher nachweisbar ist. 5
Fällt die Sendung nach Italien 882 unmittelbar nach den
Feldzug gegen die Normannen, so bietet der Zwischenraum
zwischen den Urkunden nr. 61 und 62, Juli bis September,
Zeit genug für diese Fahrt. Die Gesandtschaft nach Rom
konnte 886 auch erst nach dem 10. Jänner angetreten worden
sein; bemerkenswerth ist indess, dass die beiden Urkunden für
Passau nr. 153, 154, deren Actum nur dem Jahre 886 ange
hören kann, Jahresdaten tragen, welche sie dem folgenden
Jahre zuweisen, die also auf spätere Ausfertigung schliessen
lassen. Wenn endlich Orig. nr. 26 von einem nur diesmal
auftretenden ' Recognoscenten ganz ausnahmsweise ad vicem Er-
nusti cancellarii gefertigt wird, so dürfte dies die Vermuthung
nahe legen, dass Ernust hier die Stelle des abwesenden Erz
kanzlers vertrat.
In der ganzen Amtszeit Liutwards sind ausserdem nur
noch zwei Urkunden nicht in dessen Namen recognoscirt.
1 Ann. Fuld. 887 p. IV, Regino 887. Ueber das Zerwiirfniss Berengars
mit Liutward Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 276.
2 Emn in praesentia imperatoris omni Iionore privatum abire compellunt.
Ann. Fuld. 887 p. V vgl. Regino 887.
3 In der Restitution für Liutwards Neffen Adalbert nr. 177 heisst es: qua-
liter nos quibusdam exortis occasionibus Liutwardo episcopo paulolum
commoti honores abstulimus.
4 Ann. Fuld. 887 p. IV.
5 Sickel, Urkundenlehre 95.
356
Mühlbache r.
Beide haben sich nur abschriftlich erhalten. Die eine, nr. 132,
findet sich im Stabloer Chartular zu Brüssel 116 B, f. 26' 1
mit der Recognitiou Ainulbartus (Amalbevtus) ad vicem Liutberti
arckicancellarii; die zweite, nr. 143, hat Martene aus dem
jetzt verlorenen Chartular von St. Martin in Tours veröffent
licht; 2 diese trägt die Kanzleifertigung Amalbertus cancellarius
ad vicem Autberti arcliicancellarii, welche nur in Liutberti eineu-
dirt werden kann. Scheint die Aehnlichkeit der Namen Liut-
ward und Liutbert eine Verwechslung nahe zu legen, so ist
sie hier doch nicht wahrscheinlich. Das Stabloer Chartular
bringt f. 22' eine Urkunde Ludwigs III., 3 die allerdings ad
vicem Liutberti arcliicancellarii gefertigt ist, aber f. 25' 4 ein
anderes Diplom Karls III. 5 mit der Recognition ad vicem
Liutwardi arcliicancdlarii; auf diese folgt die oben erwähnte
Urkunde, eine weitere in Liutberts Namen gefertigte fehlt.
Durch diese handschriftliche Ueberlieferung hat die Annahme,
der Copist habe den Namen Liutberts, welchen er von der
vorangehenden Urkunde im Gedächtniss haben mochte, aus
Versehen hier wiederholt, keine Wahrscheinlichkeit für sich.
Entschiedener noch scheint die Sache im zweiten Falle zu
liegen. Das Chartular von St. Martin bewahrt noch drei Ur
kunden Karls III., 6 welche sämmtlich ad vicem Liutwardi ge
fertigt sind; ein Grund zur Verwechslung konnte um so weniger
vorliegen, als der Name Liutbert dem Copisten sonst ganz
unbekannt war. 7 Wenn dies, so erübrigt kaum eine andere
Annahme, als dass die beiden Diplome erst unter der Amts-
1 Das Brüssler Chartular wurde für die M. G. von Arndt abgeschrieben,
jenes in Düsseldorf von K. Pertz: liier die Urkunde f. IS 1 .
2 Jetzt sind nur noch neuere Copien erhalten, Habille, La Panearte noire
79, nr. 32.
3 B. 884; im Chartular zu Düsseldorf f. 16.
4 Im Chartular zu Düsseldorf f. 18.
5 nr. 66.
6 nr. 141, 167, 168 vgl. Mabille 104 nr. 74, 78 nr. 31, 101 nr. 67.
7 Ganz ausgeschlossen ist indess auch eine so weit gehende Verderbung
des Namens nicht; so bietet Mabillon Anu. 3, 261 aus einer Copie in
der Becognition von nr. 168 ad vicem Ansberti, während alle übrigen
Drucke Liutardi geben.
Die Urkunden Karls III.
357
führung Liutberts ausgefertigt, aber nach der früheren Hand
lung datirt wurden. 1
An Liutwards Stelle trat der Mainzer Erzbischof Liut-
bert, der schon an der Spitze der Kanzlei Ludwigs des
Deutschen 2 und Ludwigs III. gestanden war. Zu dem Hofe
Karls III. scheint er früher nie nähere Beziehungen gehabt
zu haben, 3 hielt aber noch treu zum Kaiser, als die Empörung
schon ausgebrochen war; er übernahm die erfolglose Vermittler
rolle und versorgte Karl noch mit dem nöthigen Unterhalt, 4
um sich freilich nach dessen Abdankung ebenso schnell an
Arnolf anzuschliessen. 5
In Liutberts 0 Namen sind nur sieben Urkunden recognos-
cirt, welche, so weit ein Tagesdatum vorliegt, den Monaten
Juli bis September 887 angehören. Mit Liutbert tritt ein
neuer Recognoscent, Fredebold, in die Kanzlei, welcher sogleich
den Kanzlertitel führt; 7 von den früheren Recognoscenten er
scheint nur mehr Amalbert. Es blieben die alten Normen und
damit auch die Individualität der Datirung in Kraft.
Noch viel dürftiger sind die Nachrichten über das niedere
Kanzleipersonal. Sickel stellte die sehr ansprechende Ver-
muthung auf, s dass die Kanzleivorstände für Nachwuchs in
den heimischen Klöstern sorgten, und weist darauf hin, dass
das Personal der Kanzlei Karls III. aus alamannischen Klöstern,
darunter auch St. Gallen, sich recrutirt habe. So wahrscheinlich
diese Annahme ist, ebenso schwer ist es auch bei der Dürf
tigkeit des geschichtlichen Materials dafür den Beweis zu liefern. 0
Dass mit Salomon ein Schüler St. Gallens in die Kanzlei
1 Vgl. Ficker, Beitr. zur Urkundenlehre 2, 1G6.
2 Seit 870, Wilmans ICaiserurk. 167.
3 Er erscheint nur 882, also unmittelbar nach Karls Regierungsantritt im
Theilreiche Ludwigs III. zweimal als Intervenient, nr. 65, 66, und viel
leicht noch 883 — datirt von 887 — in nr. 155.
4 Ann. Fuld. 887 p. IV, Regino 887.
5 Mohr 1, 51, irrig zu 888.
0 Der Name ist nur in den Orig. nr. 172, 177 Liulpertua, sonst Liutbertus
geschrieben.
7 Orig. nr. 173, 174.
8 Ueber Kaiserurkunden in der Schweiz 5.
9 Diesen kann erst die Schriftvergleicliung nach Constatirung der Schreib
schulen erbringen.
358
Mühlbache r.
eintrat, steht ausser Frage; 1 dasselbe dürfte auch von seinem
Bruder Waldo gelten. 2 Vielleicht ist dies auch bei Amalbert
der Fall; ein Amalbertus monackus schreibt 860, 861, 874
(868) — hier auch presbiter genannt — St. Galler Urkunden. 3
Damit ist auch das Material erschöpft. 4 Speciell für Reichenau,
mit dem auch Ernust in Verbindung stand, 5 fehlen alle Nach
richten; das dortige Todtenbuch verzeichnet keinen Namen,
der hier herangezogen werden könnte. 0 So sind wir auf ein
mageres Nainensverzeichniss angewiesen.
Der gewöhnliche Titel des Recognoscenten ist wie ander
weitig notarius; nur ausnahmsweise wird auch die geistliche
Würde benannt. Der Titel Kanzler tritt, einen besonderen
Fall ausgenommen, von 879 bis November 882 nicht auf; ihn
führt zuerst Waldo, dann Amalbert, daneben aber auch Salo-
mon und Fredebold.
Das Kanzleipersonal ist ein neues; keiner dieser Namen
lässt sich in den Kanzleien Karlmanns, Ludwigs III., Karls
des Kahlen nachweisen, deren Reiche Karl III. zufielen. Es
1 Dümmler, Formelbueh 104, Heidemann, Salomon III. von Konstanz vor
Antritt des Bisthums, Forschungen 7, 454 A. 1.
2 Dümmler, St. Galler Denkm., Züricher Mittheil. 12, 263, Formelbueh 121,
Sichel, Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 109.
3 Wartmann, U. B. von St. Gallen 2, 94, 100, 193. Dass er mit dem im
St. Galler Nekrolog, St. Galler Mittheil. 11, 57, zum 4. November ver-
zeichneten Amalbertus monachus atque presbiter identisch sei, wie Sickel,
Kaiserurk. 5, vermuthet, scheint sehr fraglich, da er nicht mehr von
der ersten Hand, welche doch noch den Tod K. Konrads I. zum 23. De-
cember verzeichnet, eingetragen ist. Die Schrift, welche im Reichenauer
Todtenbuch, Züricher Mittheil. 6, 62, einen Amalbertus zum 9. August,
einträgt, ist gleichfalls zu jung, vgl. 24. Juni die Eintragung Liutwart epi-
scopus. Amalbert tritt zuerst in Urkunden für Italien auf; möglicher
weise ist er identisch mit dem Amalbert, der 877 das Testament Angil-
bergas, der Witwe Ludwigs II., Cod. Langob. 452, schreibt.
4 Es wäre denn, dass man den Albricus notarius in nr. 179 mit dem
Albricus mon. atque presb. des St. Galler Todtenbuches a. a. 0. 31 zum
26. Jänner identificiren wollte; dieser ist von der ersten Hand einge
tragen, während ein Iiernest mon. de Muorbah zum 24. November von
späterer Hand geschrieben nicht in Betracht kommt.
5 Das Diplom Arnolfs für Ernust, Diimge 83, ist aus Reichenau erhalten.
0 Zum 29. September ist zwar ein £Imist presb. eingetragen, der aber ent
schieden einer späteren Zeit angeliört,
Die Urkunden Karls III.
359
begegnen — zuei'st 881 — nur zwei Namen, welche schon
unter Ludwig dem Deutschen genannt werden.
Eine Urkunde von 881 Mai 9, die sich in doppelter
Originalausfertigung erhalten, 1 trägt die Recognition Hebar-
hardus ad vicern Liutuhardi archicancellarii. Beide Exemplare
sind von der Hand Hebarhards geschrieben, welcher schon in
der Kanzlei Ludwigs des Deutschen gedient, 2 beide sind mit
demselben Recognitionszeichen versehen. Auf diesen Eberhard
würde noch ein anderer Umstand hinweisen. In der einen
Ausfertigung fehlt die Strafformel; sie wurde an ganz unge
wöhnlicher Stelle nachgetragen, während sie in der zweiten
am üblichen Platze eingefügt ist. 3 Wurde sie also zuerst ver
gessen oder weggelassen und erst nachträglich beigeschrieben,
so darf man daraus folgern, dass der Dictator oder Schreiber
der Urkunde mit der jetzt in Deutschland neu auftauchenden
Formel nicht vertraut war; sie ist auch der Kanzlei Ludwigs
des Deutschen vollkommen fremd. Auf diesen Hebarhard
weisen auch auffallende Aehnlichkeiten des Dictats. 4 Dazu
kommt, dass der Recognoscent keinen Kanzleititel führt, also
wahrscheinlich nicht der Kanzlei selbst angehörte. Die Urkunde,
eine Schenkung von Gütern in Alamannien mit Actum Papiae,
bietet keine nähere Erklärung.
Ein Walto subdiaconus recognoscirt drei Urkunden Lud
wigs des Deutschen. 5 Wahrscheinlich ist dieser indess ver
schieden von dem Waldo notarius, der seit 880 December 29
in der Kanzlei Karls III. auftritt. 0 Er führt durch nahezu
1 nr. 41.
2 Sickel, Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 140 A.
3 Vgl. Ficker, Urkundenlelire 1, 295; 2, 49. Die Formel hat auch eine
ungewöhnliche und unbeholfene Textirung.
4 So ist die liier gebrauchte Promulgationsformel bei Hebarhard ständig,
vgl. M. B. 31, 98, B. 797, 794, Wiener Sitzungsber. 39, 158, B. 796 u. s. w.
Die Corroborationsformel deckt sich mit M. B. 31, 98, B. 794, 799 u. a.,
die Formel: ut . . per hoc nostrae aucloritatis praeceptum plenius in dei
nomine confirmatum nullo inquietante, sed deo auxiliante haheat teneat
atque possident mit ihren charakteristischen Eigenthiimlichkeiten mit
Wiener Sitzungsber. 39, 158, B. 796, 799 vgl. M. B. 31, 98, B. 797.
5 B. 790, 793, 798.
6 Waldo notarius in den Orig. nr. 31, 47, 48 (Muratori Ant. 3, 49, 51 ex
archetypo in beiden Fällen irrig Wido), 88, 92, Walto notarius in den
360
Mühlbache r.
ein Jahr ausschliesslich den Titel notarius, 882 November 6 1
zum ersten Male den Titel cancettarius. Dieser bleibt der
häufigere, daneben findet sich aber noch der frühere. Am
öftesten begegnet Waldos Name in den Urkunden vom Novem
ber 882 bis October 883. 884 wurde er Bischof von Freising. 2
In diesem Jahre erscheint sein Name nur noch in einer Ur
kunde als Waldo episcopus. 3 Dies bildet eine Ausnahme; mit
der Erhebung auf den Bischofstuhl erfolgte zweifelsohne auch
der Austritt aus der Kanzlei, deren Vorstand allein die bischöf
liche Würde bekleidete.
Im Ganzen tragen 34 Urkunden Waldos Namen, darunter
aber auch zwei Diplome, von denen das eine nach den Jahres
daten zu 886, das andere zu 887 einzureihen ist.
Das erste, eine Schenkung für den Getreuen Otpert, 1 ist
nur durch das jetzt verlorene Andlauer Chartular überliefert.
Orig. 61, 75, Valdo notarius im Orig. 74, nur Walto im Orig. 63, Waldo
cancellarius in den Orig. 68, 70, 72, 73, 76, 77, 97, 102, Walto cancel-
larius im Orig. 67.
Aus der verschiedenen Schreibung des Namens glaubte Siclcel
früher, Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 108, in der Kanzlei Karls III.
mehr als einen Waldo annehmen zu müssen, einen Kanzler Waldo, einen
Notar Walto und vielleicht noch einen Notar Waldo. Diese Variante
ist in keiner Weise entscheidend; noch grössere Abweichungen zeigt der
Name Fredebold in Originalen; so wird auch in der Kanzlei Arnolfs in
Originalen Aspertus und Asbertus, Engilpero und Engilbero geschrieben.
Dass der Umstand, dass Waldo später wieder notarius heisse, nicht ,un
bedingt 1 zur Annahme verschiedener Personen nöthige, hat schon Diimm-
ler, Ostfriink. Reich 2, 294 A. 99, bemerkt. Sickel selbst hat seine
damalige Annahme aufgegeben. Gegen die Identität des Subdiakons
Walto in der Kanzlei Ludwigs des Deutschen und des gleichnamigen
Kanzlers in der Karls III. macht Sickel namentlich die Verschiedenheit
der Schrift und Schreibschule geltend. Ich bemerke noch, dass nach den
Abschriften der M. G. sich nur in drei Originalen — nr. 31 mit Waldo
not., nr. 67 Waldo canc. im Pariser Orig., dagegen in dem Frankfurter
Orig. Walto canc., nr. 92 Waldo not. — recognovit findet.
Die Copien bieten mit Ausnahme von nr. 136 nur die Namens
form Waldo; diese ist in nr. 65 in Walleso, in nr. 93, bei Cappelletti 12,
146 in Juriaph verderbt.
1 nr. 64, das Original aus dem noch Falke 735 schöpft, jetzt verloren.
2 Ann. Alam. 885, Weingart. 885, M. G. SS. 1, 52, 66.
3 nr. 109 Ch.
* nr. 136.
Die Urkunden Karls III.
361
Sie wurde von Dümmler, 1 wegen ihrer widersprechenden Daten
verworfen. Wenn Karl im Eingangsprotokoll rex, in der
Signumzeile imperator genannt wird, so hat dieser Widerspruch
bei einer Copie an sich nichts zu besagen, würde er doch
allein selbst ein Original nicht unbedingt verdächtigen. 2 Dass
Actum Columbario — doch nur Kolmar, wie auch Ahdlau im
Eisass liegt — sich nicht ins Itinerar fügt, kann nicht mehr
als Verdächtigungsgrund beigebracht werden; 886 war der
Kaiser allerdings um diese Zeit auf dem Wege von Baiern
nach Italien, während er gerade zwei Jahre früher zu Kolmar
einen Reichstag hielt und dort urkundet. 3 Diese Urkunde mit
Actum. Columbariae und von Segoin recognoscirt ist datirt anno
ab ine. domini 884 ind. II ci. regni VIII imp. IV, die Andlauer
dagegen anno dominicae ine. 886 ind. IV a. imp. VI, jene
trägt das Tagesdatum 14. Februar, diese 15. Februar. Die
Handlung fällt bei beiden zweifelsohne in denselben Aufent
halt zu Kolmar im Beginn des Jahres 884, die chronologischen
Daten weichen aber um zwei Jahre von einander ab. Gegen
den Inhalt oder gegen die Fassung der Urkunde des Andlauer
Chartulärs liegt aber nicht das geringste Bedenken vor; ihr
Dictat trägt sogar Eigenthümlichkeiten der übrigen von Waldo
recognoscirten Diplome. 1 Ebensowenig ist die Annahme statt
haft, dass ein Versehen des Copisten eine Verwechslung des
Recognoscentennamens veranlasst habe; sämmtliehe im selben
Chartular überlieferten Diplome tragen eine verschiedene Re-
cognition. 5 Dass Waldo noch 886 eine Urkunde recognoscirt
habe, ist durchaus unwahrscheinlich, mehr noch, dass er da
mals den Titel notarius geführt haben sollte; beides ist im
Februar 884 noch ganz gut möglich. Will man diesem That-
1 Ostfränk. Roicli 2, 223 A. 72.
2 Ficker, Urkundenlehre 2, 133.
3 nr. 99.
4 Dieselbe Promulgationsformel in nr. 38, 75, 7G, 77 vgl. 72, 63, Con-
gruenz der Corroborationsformel in nr. 59 — 61, 65, 68, 74, 75 u. a.
Charakteristisch für Waldo ist ferner die Datirung nur nach Incarnations
jahren, Indiction und Kaiserjahren.
5 nr. 5, 8: Ernustus not., nr. 27: Inquirinüs not.; die Recognition fehlt in
nr. 10Ö und in nr. 45 e libro salico Andlav. Von nr. 27 sali Grandidier
auch noch das Original, Strasbourg 2 b , 331.
Sitzungsber. d. pliil.-kist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 24
362
M ü li 1 b a c li e r.
bestände gegenüber nicht’ zu der gewagten Annahme greifen,
der Andlauer Copist habe hier und nur hier die Jahresdaten
willkürlich erhöht, so erübrigt kaum eine andere Erklärung,
als dass die Datirung der späteren Uebergabe entsprechend
nachgetragen wurde, 1 oder was wahrscheinlicher ist, dass die
Jahresdaten auf die erst nach zwei Jahren erfolgte Ausferti
gung des nur mit Tagesdatum und Ortsangabe versehenen
Actes sich beziehen. 2
Derselbe Fall liegt vor in nr. 155. Die Urkunde, in den
Achener Ghartularen überliefert, hat allerdings einiges Auf
fallende, doch dies reicht in keiner Weise hin sie zu verwerfen.
Auch sie hat die Eigenthümlichkeiten des Dictates Waldos, so
die bei ihm häufigere Promulgationsformel, 3 die charakteristische
Corrorborationsformel 4 und Datirungsform; ihr Formular stimmt
mit einer anderen von Waldo gefertigten Urkunde wörtlich
überein. 5 Sie trägt die Recognition Waldo cancellarius ad vicem
Liutwardi arcMcancellarii und die Datirung Data anno ab in-
carnatione domini 887 ind. V a. imp. V. Actum palatio regali
Regenesburcli. Die Indiction stimmt mit dem Incarnationsjahr,
a. imp. V ergäbe 885; die Intervenienz pro petitione Rithardae
dilectae coniugis nostrae et Liutberti archiepiscopi nostri vermag
bis 887 Juni Platz zu finden. Karl hielt sich 883'März und
April in Eegensburg auf, die sämmtlichen Urkunden dieses
Aufenthaltes sind von Waldo unterfertigt. Hier dürfte auch
das Actum dieser Urkunde einzureihen sein, da für den
späteren Aufenthalt 884 October und Ende 885 die Recognition
sich nicht mehr einfügen würde. 0 Diese Urkunde ist die
1 Ficker, Urkundenlehre 2, 182, 442.
2 Ib. 1, 207 2, 445.
3 Noverit igitur omnium fidelinm nostrorum videlicet praesentium et futu-
rorum industria vgl. nr. 47, 48, 00, 73, 74, 97.
4 Et ut liaec auctoritas nostrae largitionis nostris futnrisque temporibus
domino protegente inviolabilis habeatur et ab Omnibus verius credatur
et observetur, hoc idem praeceptum propria manu nostra subter finnari
decrevimus et anulo nostro sigillari iussimus. Die Wendung anulo nostro
sigillari iussimus in den von Waldo gefertigten Urkunden nr. 31, 38, 66,
72, 86, 97.
5 nr. 109.
0 Die in Eegensburg ausgestellten Urkunden des Jahres 883 tragen ind. 1
a. imp. III, jene von 884 ind. III — diese schon umgesetzt — a. imp.
litt. Es ist also auch mit Emendationsversuchen nichts zu gewinnen.
Die Urkunden Karls III.
363
einzige Karls III., welche die Acliener Chartulare über
liefern.
Sonst weist die Kanzlei neue Namen auf. Der meist
und am längsten fhätige Recognoscent ist Inquirin. 1 Er
tritt zuerst 877 Mai 22 auf, zuletzt 887 Mai 30, 2 also un
mittelbar vor dem Sturze Liutwards. Er heisst nur notarms;
sein Name findet sich in 50 Urkunden, welche sich nament
lich durch Schwankungen in der Datirungsformel und durch
Ungenauigkeit der Jahresangaben bemerkbar machen.
Dem Amtsalter nach steht ihm zunächst Ernust. 3 Er
erscheint zuerst 877 Juli 11, zuletzt 885 Jänner 11. 4 Als
Recognoscent führt er den Amtstitel notarius, nur in der Copie
nr. 112 cancellarius; in den Originalen nr. 25, 58 wird er
subdiaconus genannt; das Original nr. 26 ist ad vicern Ernusti
canceüarii recognoscirt. Im Ganzen fertigt er nur neun Ur
kunden, deren Formeln ziemlich fluctuiren. Er ist später
wieder in der Kanzlei Arnolfs und Ludwigs des Kindes thätig. 5
1 In sämmtlichen Originalen nur Inquirinus geschrieben, in Copien ist, der
Name zu Viquirinus, Acquirinus, nr. 89, 71, verderbt. In nr. 78 ist
nach Bethmann, M. G., statt Ingenius, wie in M. P. Chart. 1, 66, gleich
falls Inquirinus zu lesen. Die angeblich von Inquirin geschriebene und
gefertigte Urkunde des Bischofs Theodosius von Ferme, TJghelli 2. 683
— et d. Inquirinum d. Karoli publicum notarium publicare iussimus et
conplere . . . Ego Inquilinus d. Carnli invictissimi imperatoris notarius
eiusque camerae custos rogatus publicavi et signavi — halte ich mit Cappel-
letti 3, 592 und Diimmler, Ostfränk. Reich 2, 251 A. 52, für ent
schiedene Fälschung. Der Name Inquirinus ist nr. S9 entnommen; nach
einer Notiz Betiimanns in M. G. ist das angebliche Original im Stadt
archiv zu Fermo Fabrieat des 12. Jahrhunderts. In einer anderen Fäl
schung, nr. 78, gelangt Inquirin noch zu dem Titel impermlis aulae
notarius.
2 nr. 3, 166.
3 Der Name in Originalen in der Regel Hernvslns geschrieben nr. 7, 11,
25, 40, 58, Ernustus in Orig. nr. 26, in Copie 16 zu Arnustus verderbt, im
libro verdi d’Asti zu Aernustns, woraus Ughelli 4, 339 einen Arnulphus
macht, nr. 112.
4 nr. 5, 112.
5 In jener von 887—899, seit 895 Mai 25, B. 1116, mit dem Titel can-
cellarins, in dieser von 900—908, zuletzt B. 1223. Ein anderer Ernustus
notarius in der Kanzlei Karls des Einfältigen 903—909, B. 1920 — 1931.
24*
364
M ü h 1 b a c h e r.
Von Februar bis September 884 recognoscirt ein Segoinus
notarius 1 acht Urkunden, welche sich durch fehlerlose Datirung
auszeichnen.
Gleich Segoin erscheint auch Salomon nur innerhalb eines
Jahres, von April bis September 885. Er führt in den ersten
vier Urkunden den Titel notarius, in der letzten 2 aber can-
cellarius. Die Datirung ist ziemlich genau, das Formelwesen
zeigt Besonderheiten. 3 Salomon tritt später wieder als can-
cellarius in der Kanzlei Ludwigs des Kindes — seit 909 —
und Konrads I. auf.
883 Mai 31 wird zum ersten Male als Recognoscent
Amalbert genannt. 1 Er trägt seit 885 Mai 20 s den Titel
cancellarius, daneben sehr häufig den des notarius. Von Juni
886 bis Februar 887 fertigt er sämmtliche Urkunden. Er ver
bleibt auch nach dem Sturze Liutwards in der Kanzlei und
zeichnet noch das letzte mit Tagesdatum versehene Diplom
Karls III. Amalbert fertigt 41 Urkunden, welche sich von
allen übrigen durch Schwankungen der Formeln und besonders
nachlässige Handhabung der Datirung unterscheiden.
Ein Liutfredus notarius erscheint nur in zwei Urkunden
883, 887, H ein Angelulfus notarius — der Name dürfte auf
1 Der Name in Copien zu Sygoinus, Sigoinus, Segon, nr. 101, 105, 107,
verderbt.
2 Orig. nr. 134; auf denselben Titel in Copie nr. 123 wird man kaum
Gewicht legen können.
3 Es scheint dies überhaupt St. Galler Brauch gewesen zu sein vgl. Sickei,
Kaiserurk. 15.
4 Der Name in Originalen nur Amalbertus; Amalbergus in nr. 87, 114 ist
offenbar Lesefehler Campis, wie Amalbertnotus in nr. 83 bei Muratori,
Ant. 3, 751, und Tiraboschi, Modena l b , 58, beide ex or. für Amal
bertus notarius. In Copien ist der Name zu Amelbertus, Amaberlus,
Amalgerius, Amulbertus, Ainulbertus, Madalbertus verderbt.
5 Orig. nr. 117.
0 nr. 85, 165. Das Original der ersten Urkunde, früher in Wien, jetzt in
Venedig, hielt Wattenbach, der es für die M. G. collatiouirte, nach den
äusseren Merkmalen für eine Fälschung; dagegen fand Laschitzer bei
der Bearbeitung für den neuen Apparat der M. G. auch an diesen
nichts Verdächtiges. Nach den inneren Merkmalen scheint mir die Ur
kunde unbedingt echt zu sein, wenn sie auch ganz in der italienischen
Manier abgefasst ist; für die Echtheit dürfte namentlich auch die Ke-
cognitiou sprechen, welche sich nur noch in einer Korveier Urkunde findet.
Die Urkunden Karls III.
365
einen Italiener weisen — nur in einem Diplom für St. Julia
in Brescia. 1
Scheint hier der Titel notarius zu belegen, dass diese
Recognoscenten ständig der Kanzlei angehörten, so ist es kaum
unwahrscheinlich, dass Männer, welche nur für den einzelnen
Fall als Schreiber herangezogen wurden, 2 auch der Recogni-
tion ihren Namen beifügten. Dies dürfte der Fall sein hei
einem Gaidulfus diaconus 3 und einem Deusdedit 4 —- dem
Namen nach beide Italiener — welche nur einmal in einer
italienischen Urkunde auftreten. Die Recognition der Fälschung
nr. 24 Signum d. Ansprcmdi cancellarii et Guidonis episcopi et
Bosoni beruht auf keiner echten Vorlage.
Wie schon in der früheren Karolingerzeit die Gerichts
urkunden von besonderen pfalzgräflichen Notaren ausgefertigt
wurden, 5 so auch unter Karl III. Von den beiden unter
seinem Vorsitz gehaltenen Placita 6 ist das eine von einem
Aldegrauso notarius, das zweite von einem Raidulfus notarius
sui (sacri) palatii geschrieben und unterfertigt.
Unter Liutbert tritt ein neuer Recognoscent auf; sein
Name wird in jedem der drei Originale 7 verschieden geschrieben:
Fredebodus, Fredeboldus und Frideboldus. Er führt in zwei
Urkunden von 887 August 11 den Titel cancellarius, in einem
Diplom ohne Tagesangabe den Titel notarius. In nr. 179 end
lich wird noch ein Albricus notarius genannt.
1 Orig. nr. 1.60 entschieden echt; von Diimmler, Ostfränk. Reich 2, 276
A. 44, vielleicht wegen der Widersprüche in der Datirung ,als etwas
zweifelhaft 1 bezeichnet.
2 Siekel, Ivaiserurk. 6.
3 So K. Pertz, M. G.; Fumagalli C. d. 484 und demgemäss auch der Cod.
Langob. 501 lesen Qandulfus, nr. 26.
1 nr. 29. Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 294 A. 99, erklärte diese lieeogni-
tion als ,offenbar apokryph 1 , vielleicht deshalb, weil auch in der Urkunde
ein schon verstorbener Abt Deusdedit genannt ist und dadurch eine
Namensverwechslung möglich wäre. Ebensowenig vermag ich mich den
a. a. 0. 178 A. 12 angedeuteten Bedenken gegen die Echtheit an-
zuschliessen.
5 Sickei, Urkundenlehre 359, Ficker, Forschungen 1, 20.
6 nr. 28, 35.
7 nr. 173, 174, 177.
366
Mühlbacher.
Aus cler Verschiedenheit der Schrift schliesst Sickel 1 ge
rade für die Kanzlei Karls III., dass, so oft der Recognoscent
nicht selbst die Urkunde unterfertigte, in der Recogiiitions-
formel vecognovit statt des sonst üblichen recognovi gebraucht
wurde. Eine endgültige Entscheidung wäre nur auf Grundlage
des gesammton Materials möglich, das auch die Schreiber zu
bestimmen gestattete. Die Form vecognovit findet sich allerdings
in Originalen ziemlich häufig; aber es bleibt doch mindestens
auffallend, 2 dass, während die Form vecognovit bei Waldo nur
ganz vereinzelt sich findet, 3 andere ßecognoscenten wie Ernust,
Segoin, Salomon, sie gar nicht gebrauchen, dass sie bei Amal
bert schon etwas öfter auftritt als recognovi’/ unter Inquirin
vecognovit aber geradezu als Regel, recognovi nur mehr als
Ausnahme zu betrachten ist. 5 Halte ich auch unter Karl III.
das Dictat im Ganzen für unabhängig vom Recognoscenten —
für einzelne Recognoscenten ergeben sich auch charakteri
stische Eigenthümlichkeiten mit grösserer oder geringerer Be
stimmtheit — so darf doch mit ziemlicher Sicherheit eine
innigere Wechselbeziehung zwischen dem Recognoscenten und
der Datirung angenommen werden. 6
1 Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 113 vgl. Ficker, Urkundenlehre 2,
162, 173, Neues Arch. 1, 455.
Im Ganzen wird der Gebrauch der einzelnen Kanzlei entscheiden;
so ist in der westfränkischen Kanzlei unter Ludwig dem Stammler
vecognovit die Kegel, recognovi nur mehr Ausnahme.
2 Ich berücksichtige für diese Zusammenstellung nur die freilich nicht
ganz vollzähligen Abschriften der M. G. aus den Originalen.
3 In den Orig. nr. 31, 67 (Paris), 92. Ebenso vecognovit in der einzigen
von Angelulf recognoscirteu Urkunde nr. 160 und einem der beiden von
Liutfred gefertigten Diplome nr. 165.
4 vecognovit in den Orig. nr. 118, 138, 148, 156—159, recognovi in den
Orig. 129, 137, 145, 153, 172, 175.
5 vecognovit in den Orig. nr. 3, 10, 14, 15, 17, 21—23, 44, 62, 91, 96,
103, 131, 135, 166 (nach Drucken auch Orig. nr. 98, 122, 126), recognovi
in Orig. nr. 9, 12, 162, 163.
0 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 2, 150, Stumpf, Reichskanzler 1, 123 mit
Sickel, Urkundenlehre 225.
Die Urkunden Karls Ilf.
367
3.
JDie Datirung.
Die Urkunden Lothars I. und seiner Söhne, Karls des
Kahlen 1 und Ludwigs des Deutschen datiren nur nach Regie
rungsjahren und Indiction; dieser Gebrauch erhielt sich noch
in der Kanzlei Karlmanns, obgleich deutschen Privaturkunden
die Incarnationsjahre längst nicht mehr fremd waren. 2 Dagegen
finden diese gleichzeitig in die Urkunden Ludwigs III. und
Karls III. Aufnahme und stehen hier an erster Stelle. 3
Das Incarnationsjahr hält die gewöhnliche Epoche 1 des
25. Decembers ein. So hat es am 28. und 30. December
1 Wie vereinzelt in einer Urkunde Karls des Grossen K. 187 vgl. Siekel,
Urkimdenlehre 221 A. 3, so findet sieh auch unter Karl dem Kahlen
ein Incarnationsjahr nur im Text von B. 1618. In westfränkischen
Diplomen treten die Incarnationsjahre zuerst 888, also unmittelbar nach
Karl III. unter Odo auf B. 1871 f., nach Odo nur mehr vereinzelt
B. 1982, 1997, 2027 Orig'., ständig seit 973 B. 2047. In die Diplome
Italiens wird das Incarnationsjahr durch die Kanzlei Karls III. einge
bürgert; nach diesem wird schon in den Urkunden Widos, Lamberts und
Berengars I. datirt. Während es in Hochburgund schon 888 von der
Kanzlei Rudolfs I. gebraucht wird, B. 1484, fehlt es noch in den Ur
kunden Bosos, findet aber in der Kanzlei seines Sohnes Ludwigs III. so
gleich Verwendung, B. 1448.
2 Sie finden sich in Fuldaer Traditionen — zuerst wie überall nur ver
einzelt — seit 819, Dronke 175, in Freisinger Urkunden seit 820, Meiohel-
beck l b , 218, im Trierer Sprengel seit 853, Beyer 1, 88, 115, 123
vgl. Wirtemberg. U. B. 1, 124, 159, 173. Für St. Galler Urkunden
werden sie im 9. Jahrhundert nie gebraucht. In die italienischen Privat
urkunden fanden sie theilweise wohl mittelbar durch die Kanzlei Karls III.
nach und nach Eingang, vgl. Cod. Langob. 595, 618, Tiraboschi, Nonan-
tula 2, 66, Fatteschi 297. Bezeichnend ist der Gebrauch inLuccajnaeh
dem Tode Karls III. rechnete man nach Incarnationsjahren mit dem Zu
satze post obito vero Karoli anno . .; nach Widos Anerkennung ver
schwinden aber jene wieder und es wird nur nach Jahren Widos gezählt,
Mem. di Lueca 5 b , 595 f.
3 In Diplomen Karlmauns ein Incarnationsjahr nur B. 873 ex or. vgl.
874 Copie; in B. 877, Orig, in Parma, ist dasselbe — 872 nicht 879 —
nach K. Pertz von späterer Hand beigefügt.
4 In solempni nocte natalis domini quod est VIII kal. ian. cum ibi agitur
statio. Urk. von 961, Sickei, Beitr. VI, Wiener Sitzungsber. 85, 446 A. 4.
368
Mühlbache r.
bereits umgesetzt. 1 Eine andere Epoche ist bestimmt aus
geschlossen. Am nachlässigsten ist das Incarnationsjahr in
den von Inquirin recognoscirten Urkunden behandelt; 2 öfters
findet sich auch noch ein Fehler bei Amalbert. 3
Dem stärksten Wechsel ist die Indiction unterworfen.
Es ist nicht möglich für sie eine bestimmte Norm aufzustellen,
weder nach dem Recoguoscenten noch nach dem Umstande,
ob die Urkunden in oder für Italien, wo die griechische In
diction fast ausschliesslich in Geltung war, 4 oder in und für
Deutschland ausgestellt sind. Lässt sich zuerst nur eine Sep-
temberindiction erweisen, so überwiegt dann die Neujahrs
epoche; gelegentlich ergibt sich bestimmt die griechische In
diction. Ich liefere am besten eine Uebersicht nach den
einzelnen Jahren. Die beiden ersten Jahre 877, 878 bieten
keine Urkunden, welche zwischen 1. September und Neujahr
ausgestellt sind; sie bleiben also ausser Betracht.
879 Nov. 15, ind. XIII, also umgesetzt, Septemberin di ction. 5
23 3
n n i) » » n n
1 Orig. nr. 30, 49.
2 So hat es vom 23. November und 8. Deeember schon umgesetzt Orig,
nr. 14, 15, um eine Einheit ist es zu hoch in nr. 55 Orig., 62 Orig.,
89 Copie, um zwei zu niedrig in nr. 82 Orig., 122. Wenn es im Orig,
nr. 23 — K. Pertz M. G. wenigstens corrigirt 885, während alle Drucke
richtig 880 angeben — wirklich um fünf zu hoch oder in nr. 126 ex or.
um fünf zu niedrig gegriffen ist, so bietet die Annahme eines Schreib
fehlers genügende Erklärung. Nichteinheitliche Datirung scheint vor
zuliegen in nr. 36 Copie, 162,163 Orig., da zum Incarnationsjahr noch eine
andere Jahresangabe passt. Dasselbe fehlt namentlich in Urkunden für
Westfrancien nr. 124, 125, 132, 149 vgl. 31, 34, in den vier letzten
Fällen durch Einfluss der Vorurkunde.
3 Um eines zu niedrig in Orig. nr. 172 (161), um eines zu hoch in nr. 148
Orig., 152 Copie.
Irrig ist das Incarnationsjahr noch in nr. 112. Der libro verdi
d’Asti f. 95 hat nach Mittheilung von Dr. Rieger gleich M. P. Chart.
2, 9 a. inc. 884 ind. III a. imp. IV; bei Ughelli 4, 339 a. inc. 883
ind. II. In nr. 118 ist das von den Drucken Perard 160 = Bouquet
9, 335 aus dem Chartalar gegebene Incarnationsjahr 886 nacli dem Orig,
in Dijon (M. G. Arndt) in 885 zu bessern; das richtige Jahr schon im
Chron. Div. s. Benigni bei d’Achery Spicil. 2, 378.
4 Sickel, Beitr. VI, Wiener Sit.zungsber. 85, 446 A. 3 vgl. 500, A. 1.
5 Orig. nr. 13, Recogn. Inquirin für Italien.
6 Orig. nr. 14, Recogn. Inquirin für Deutschland.
Die Urkunden Karl« III.
369
ind. XIII, also umgesetzt, Septemberindiction 1
XIV 2
nicht umgesetzt, Neujahrsindiction 1
XV,
Bedaische od. Neu-
Xeujahrsindiction 7
879 Dec. 8,
880 Nov. —
„ Dec. 21,
881 Oct. 14,
„ Dec. 4,
882 Sept. 23,
jahrsindiction (i
„ Xov. 4-13, ind. XV,
„ Dec. 2,
883 Oct. 5, 9,
)) n
884 Sept. 9, 20,
885 „ 8,
» n 23,
jahrsindiction 13
„ Oct. 1, ind. III,
886 Sept. 4, „ IV,
jahrsindiction 15
„ Oct. 24- Nov. 22, ind. IV, nicht umgesetzt, Neujahrs
indiction 16
887 Sept. 21, ind. V, nicht umgesetzt, Bedaische oder Neu-
jahrsindictiou. 17
II, umgesetzt, Septemberindiction ,J
I, nicht umgesetzt, Neujahrsindiction 10
III, umgesetzt, griechische Indiction 11
IV " 12
III, nicht umgesetzt, Bedaische od. Neu-
Neujahrsindiction 14
Bedaische oder Neu-
' Orig. nr. 15. Recogn. Inquirin für Deutschland, sämmtlich iu Italien aus
gestellt.
2 Copie nr. 28, Placitum, Italien.
3 nr. 29 ex or., Recogn. Deusdedit, in und für Italien.
4 Copien nr. 45, 40, Recogn. Waldo, in und für Deutschland.
5 Orig. nr. 47, 48, Recogn. Waldo, in und für Italien.
6 Orig. nr. 62, Recogn. Inquirin, für Deutschland.
7 Orig. nr. 63, Copien 64—66, Recogn. Waldo, in und für Deutschland.
8 Orig. nr. 67, Recogn. Waldo, in und für Deutschland.
0 Orig. nr. 96, 97, Recogn. Inquirin und Waldo, in Italien für Deutschland.
Iu nr. 98 ex or., Recogn. Inquirin, in und für Italien.
11 Orig. nr. 110, 111, Recogn. Segoin, in und für Deutschland.
12 2 Copien nr. 133, Recogn. Salomon, in und für Deutschland.
13 Orig. nr. 134, Recogn. Salomon, in und für Deutschland.
14 Orig. nr. 136, Recogn. Inquirin, in und für Deutschland.
15 nr. 142 Cli., Recogn. Amalbert, in und für Westfrancien.
16 nr. 143—151, Recogn. Amalbert, in und fiir Westfrancien.
17 Orig. 175, Copie 176, Recogn. Amalbert, in uud für Deutschland.
370
M ii li 11) a c h e r.
Mag eine Septemberepoche ■— und zwar wahrscheinlich
nur die griechische Indiction — zunächst in Italien dem Landes
brauch entsprechend Eingang gefunden haben, mag die des
Neujahrs zuerst wieder auf deutschem Boden zur Geltung ge
kommen sein, eine Scheidung dieser Epochen wurde nicht
aufrecht erhalten, sie schwanken haltlos durcheinander. So
wird in den Urkunden mit dem Namen Inquirins bald nach
der einen, bald nach der anderen datirt, in jenen mit der Re-
cognition Salomons werden im selben Monat zwei verschiedene
Epochen gebraucht. 1 Consequent ist die Neujahrsepoche nur
in den von Waldo und Amalbert gefertigten Urkunden ein
gehalten. Dass ausser der bestimmt erweisbaren griechischen
und der Neujahrsindiction auch die öfter allerdings mögliche
Bedaische gebraucht wurde, ist kaum anzunehmen.
Von diesem Schwanken der Epoche abgesehen, ist die
Indiction im Ganzen genau gehandhabt. 2 Die Fehler vertheilen
sich, einen ganz vereinzelten Fall ausgenommen, 3 wieder auf
die von Inquirin und Amalbert recognoscirten Diplome; 1 so
führen diese in drei Originalen vom selben Tagesdatum zu
hohe Indictionsziffer 5 oder gebrauchen 887 noch im Jänner
und Februar die Indiction des Vorjahrs. 4
Die Zahl der Epochen für die Regierungsjahre Karls III.
ist eine verhältnissmässig sehr bedeutende und findet nur ein
1 Liegt nr. 133 auch nur in Abschrift vor, so halte ich ind. IV doch für
gesichert, obgleich Schaten, der eine Copie Fürstenbergs benützt zu
haben scheint, ind. III gibt, Ann. Paderb. 1, 193. Ind. IV findet sich in
zwei von einander unabhängigen Abschriften, jener s. XV und XVI,
aus der Wilmans 193 druckt, und einem datirten Regest in der Vita
Meinwerci, M. G. SS. 11, 109.
2 Sie fehlt nur in den Orig. nr. 163, 177, den Copien nr. 121, 132, 169.
3 Orig. nr. 165 recognoscirt von Liutfred.
1 In den von Inquirin gefertigten Orig. nr. 9, 12, beide für St. Felix und
Regula in Zürich, die Indiction um zwei zu hoch, in nr. 98 ex or. um
eines zu niedrig. Im Orig. nr. 23 findet sieh nach K. Pertz M. G. die
richtige Indiction XIII, während die Drucke XII geben.
5 Orig. nr. 117, 118, Copie 119. Irrig ist die Indiction noch in den Copien
nr. 128 — VI statt III — und 149.
6 nr. 153, 154, 156 — das Orig, hat nach Arndt M. G. ind. IV, während
. die aus dem Chartular fliessenden Drucke ind. V geben — nr. 157 bis
160, sämmtlick Orig., nr. 161.
Die Urkunden Karls III.
371
Seitenstück in der Kanzlei Karls des Einfältigen. Zu dem
ursprünglichen Theilreiche kam 879 Italien, bald darauf die
Kaiserkrone; 882 beerbte er seinen Bruder Ludwig III. und
vereinigte damit das ganze deutsche Reich in seiner Hand;
885 fiel ihm noch Westfrancien zu. Zu den ursprünglichen
Regierungsjahren knüpft an jedes dieser Ereignisse ein neuer
Factor für die Datirung an. 1
Vor allem fällt auf, dass der Gebrauch dieser Epochen
— die wichtigste derselben, die Kaiserjahre, ausgenommen —
ein durchaus ungleichmässiger ist. So verschwindet die Epoche
von 876 im Jahre 880, um erst 884 wieder aufzutauchen; die
anni in Italia werden bald mit den Kaiserjahren verschmolzen.
Der eine Datator gebraucht mit Vorliebe die eine Epoche, ein
anderer gefällt sich in Häufung derselben. Die Berechnung
selbst ist keine gleichmässige. Ueberall also ist der individuel
len Willkür weiter Spielraum gelassen.
Das erste Diplom Karls III. von 877 April 15 trägt
annus regni I, dieser wird auch noch August 8, Orig. nr. 6,
geführt. 2 Die nächste Urkunde, Orig. nr. 7, mit a. r. II datirt
schon von 878 Jänner 13, die letzte dieses Jahres, Orig. nr. 11,
vom Juli 17. Aus diesen ist also für die Epochebestimmung
nichts zu gewinnen, erst das Jahr 879 bietet nähere Anhalts-
! Die älteren Berechnungen über die Epoche der Jahre in Italien und der
Kaiserjahre zusammengestellt bei Böhmer, Keg. Kar. S. 94, 95. Böhmer
nimmt als Epochetage an:
1. Für den Regierungsantritt in Alamannien und Churwalchen den
28. August, den Todestag Ludwigs des Deutschen;
2. für Italien den 22. November;
3. als Tag der Kaiserkrönung den 12. Februar;
4. für den Regierungsantritt in Ostfrancien den 20. Jänner, den
Todestag Ludwigs III., mit der Bemerkung: ,Vielleicht ist diese Epoche
erst von der einige Monate später erfolgten Anerkennung zu rechnen 1 ;
5. für den Regierungsantritt in Westfrancien den 12. December,
den Todestag Karlmanns, mit derselben Bemerkung.
Wartmann, U. B. von St. Gallen 2, 212, acceptirt die für ihn
in Betracht kommenden Epochen; Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 295
A. 100, schliesst sich im Ganzen gleichfalls an Böhmer an; vielfach
irrige Daten über die Epochen Karls III. bei Wailly, Elements de Paleo-
graphie 1, 272, unzureichend auch die hier zerstreut gegebenen Notizen
über das Auftreten der Incarnationsjahre in Diplomen.
2 Irrig in nr. 3 a. r. II.
372
Mühlbacher.
punkte. Orig. m\ 13 von 879 November 15 gibt noch a. r. III'
Orig. nr. 14 vom November 23 dagegen schon a. r. in
Frcincia IV, ebenso das Orig. nr. 15 vom December 8 ; dazu
stimmt, wenn zwei Urkunden von 880 December 21, 28,
nr. 29, 30, beide wahrscheinlich aus dem Original, 1 das Regie
rungsjahr bereits in V umgesetzt haben. Aus den Orig. nr. 13
und 14, beide von Inquirin recognoscirt, ergibt sich also, dass
ein Epochetag in Geltung war, der nach dem 15. und vor den
23. November fiel. Dies kann nicht der Todestag Ludwigs des
Deutschen gewesen sein. Dagegen fällt in den November 876
die Reichstheilung im Riess zwischen Ludwig III. und Karl III.,
an diese also knüpft die Epoche an.
Mit der Kaiserkrönung verschwindet diese Epoche; sie
ritt zuerst wieder 884 Februar 14 auf. 2 Sie nennt sich nur
mehr annus regni; der Beisatz in Francici, den sie zur Unter
scheidung von den anni in Italia angenommen, ist jetzt auf
die Jahre für das ganze Ostreich übergegangen. Sie wird
ausschliesslich nur von einzelnen Recognoscenten, von Inquirin,
Segoin, Salomon — von diesem immer ohne jede Rücksicht
nahme auf die Regierungsjahre in Ostfrancien 3 — und dann
noch von Fredebold, 1 dagegen nicht mehr von Ernust, nie
von Waldo und nur einmal neben anderen Epochen und noch
dazu irrig von Amalbert gebraucht. 5 Sie findet sich nur in
Urkunden für Deutschland und vereinzelt für Westfrancien,
erst unter Fredebold auch für Italien. 0
1 Die Archive von Piacenza sind für den alten Apparat der M. G. nicht
benützt. Bethmann verzeichnet für nr. 30 und 42 Copien s. XII im
Archiv von St. Antonin, für nr. 39 — aber mit 2 id. apr., während
Campi V id. gibt — Ch. s. XIII im Stadtarchiv zu Piacenza. Pertz,
Archiv 12, G94, 692.
2 nr. 99; Datirung sammt Siegellegende, also ex or. mitgetheilt von Ma-
billon, Ann. 3. 248.
3 ln nr. 101 ist die Datirung vom Copisten Eberhard von Fulda nach
seiner gewöhnlichen Weise verstümmelt.
4 In zwei der drei von ihm recognoscirten Urkunden nr. 173, 174; nr. 177
trägt nur a. ine. und a. imp.
8 Orig. nr. 129 mit a. r. VIII statt VIIII.
6 Dass Liutbert als Kanzleichef auf die Datirung Einfluss genommen habe,
glaube ich bezweifeln zu müssen; Amalbert datirt auch unter ihm in
seiner alten Weise fort.
Die Urkunden Karls III.
373
Die schon erwähnte Urkunde von 884 Februar 14, nr. 99,
trägt annus regni VIII; dieses Regierungsjahr wird in dem
Orig. nr. 110 noch am 9., in nr. 111 am 20. September fortgeführt, 1
also gemäss eines Epochetages, der nach diesem Zeitpunkte
liegt. Im Jahre 885 2 wird a. r. IX auch noch am 23. Sep
tember und 1. October gebraucht, 3 es ist demnach an diesem
Tage noch nicht umgesetzt. Aus dem Jahre 887 1 kommen
nur die beiden von Fredebold recognoscirten Urkunden von
August 11, 5 beide mit a. r. XII in Betracht, welche also be
reits an diesem Tage das Regierungsjahr erhöht haben; da
aber am 11. August Ludwig der Deutsche noch lebte, muss
ein Rechenfehler angenommen werden.
Das Ergebniss aus dieser zweiten Gruppe stimmt zu dem
früher gewonnenen Resultate. Auch nach diesen Urkunden
liegt der Epochetag frühestens nach dem 1. October. Als
solcher kann also in keiner Weise der Todestag Ludwigs des
Deutschen gelten; er muss später fallen und zwar, wie aus der
ersten Gruppe erhellt, in die Zeit vom 16. bis 23. November;
der Regierungsantritt wurde also von der Reichstheilung im
Riess gerechnet.
879 October 26 hatte Karl den Boden Italiens betreten.
Am 15. November urkundet er bereits für Arezzo, 0 doch erst
1 a. r, VIIII im Orig’, nr. 103 von 884 April 22, Recogn. Inquirin, be
ruht auf einem Rechnen- oder Schreibfehler.
2 a. r. VIII in Orig’, nr. 115 von 885 — das Jahr ist durch die sämmt-
lichen übrigen Daten sichergestellt — April 15, Recogn. Salomon, ist
irrig; a. r. VIII nur noch in nr. 121 Copie und dem früher erwähnten
Orig. nr. 129.
3 Orig. nr. 134, 135. In nr. 131 fehlt in den Drucken Gallia Christ. 4 b .
133 = Bouquet 9, 344 anno vero regni d. Karoli VIIII, den das Orig,
in Chaumont bietet, M. G. Arndt. Zu nr. 133 detaillirt die Vita Mein-
werei c. G, M. G. SS. 11, 109 folgendermassen: anno ex quo patre suo
Lutliuwico eiusdem nominie II movtuo cum fratribus suis Karlmanno ei
Hludowico de regno altercare coeperat IX.
4 Die übrigen Urkunden dieses Jahres Orig. nr. 1G2, 163, 165, 166 bleiben,
weil in den April und Mai gehörend, ausser Frage; die beiden ersten
weisen auf nicht einheitliche Datirung, die letzte irrig mit a. v. IX;
diese von Inquirin recognoscirt.
5 Orig. nr. 173, 174.
6 Orig. nr. 13.
374
Mühlbach e r.
am 23. November werden die Regierungsjahre in Italien ge
zählt; 1 in Privaturkunden treten sie indess schon etwas früher
auf, 2 a. r. in Ita.lia II erscheint zuerst in einem Placitum von
880 November, 3 in Diplomen seit December 21, zuletzt noch
881 Jänner 4. 1 Mit dem Auftreten der Kaiserjahre ver
schwinden, wie auch in den Privaturkunden, 5 die Königsjahre
in Italien und häufig tragen dann jene den Zusatz in Italia;
diese finden sich nur noch ganz vereinzelt in Urkunden für
Italien. 0
Der Epochetag deckt sich mit jenem des Regierungs
antrittes in Alamannien; er fällt nach dem 15. November, an
dem die Jahre in Italien noch nicht gezählt werden, und vor
den, möglicherweise auf den 23. November, an dem sie zuerst
genannt werden. '
Dümmler 7 findet es wahrscheinlich, dass Karl die Jahre
seiner Regierung erst von der Versammlung in Ravenna gezählt
habe und setzt diese daher in den November, obgleich der am
11. Jänner 880 mit dem Dogen Ursus abgeschlossene Vertrag
,von Ravenna datirt ist 1 . Ueber den Zeitpunkt, an dem der
Reichstag von Ravenna stattfand, fehlt jede nähere Angabe;
von den vor diesem ausgestellten Urkunden trägt nur eine
1 Orig. nr. 14.
2 Zuerst 879 November 11, 18, Cod. Langob. 490, 495, während in Ber
gamo noch im December nach den Jahren Karlmanns datirt wird, a. a.
O. 497, und in Lucca noch am 4. December, Mem. di Lucca 5 b , 545;
liier zuerst Karls Jahre 880 März 3, a. a. O. 546.
3 nr. 28. In Lucca wird dagegen noch November 14, 24 a. r. I gezählt,
Mem. di Lucca 5 b , 552, in einer lombardischen Urkunde noch Decem
ber 20, Cod. Langob. 504.
4 nr. 29 ex arch. (Orig.), 32 Ch.
5 Mem. di Lucca 5 b , 553, Afto, Parma l b , 304 Orig., Tiraboschi, Modena
l b , 55, 61 Orig., M. P. Chart. 1, 67, 70 Orig. In zwei lombardischen
Urkunden, Cod. Langob. 513, 514, findet sich die Datirung a. Kavoli
imp. II ind. XV (= 882), beide aus dem Juni, welche hier nach dem
Calcul der Königsjahre irrig zu 881 eingereiht sind; in diesen und den
folgenden Urkunden nur Kaiserjahre.
6 Nur mit der Bezeichnung anno regni nr. 114, Recogn. Amalbert, nr. 160
Orig., Recogn. Angelulf, nr. 71, 78, 90, 116.
7 Ostfränk. Reich 2, 110 A. 74, 111 A. 75.
Die Urkunden Karls III.
375
einzige, welche zudem nur abschriftlich überliefert ist, 1 Actum
Papie; ein Itinerar ist also nicht festzustellen.
Nach der Reichenauer Fortsetzung Erchanberts 2 wurde
Karl in Ravenna, wo sich der Patriarch von Aquileja, der
Erzbischof von Mailand, ,alle Bischöfe und Grafen und die
übrigen Vornehmen' Italiens eingefunden hatten, von diesen
als König bestellt. Betrat dieser aber erst am 26. October
Italien, 3 so ist es durchaus unwahrscheinlich, dass spätestens
23. November ein so zahlreich besuchter Reichstag in Ravenna
zusammengetreten, hier Karls feierliche Anerkennung schon
erfolgt war. Dieser kam nicht als Eroberer, sondern als
Rechtsnachfolger seines noch lebenden Bruders. Der Reichs
tag musste erst angekündigt, die Grossen mussten erst beschickt
werden. Für all dieses ist eine Frist von kaum vier Wochen
zu kurz — es war zudem Winter — namentlich auch für den
Patriarchen von Aquileja, dessen Anwesenheit ausdrücklich
bezeugt ist. Noch unwahrscheinlicher ist aber, dass der Reichs
tag schon ausgeschrieben wurde, bevor Karl nach Italien kam;
als er den Zug dahin über Burgund antrat, konnte er kaum
wissen, ob es ihm gelingen werde Italien in Besitz zu nehmen;
ein Reichstag hätte höchstens im Namen Karlmanns berufen
werden können. Dass aber Ravenna gar nicht in Voraussicht
genommen war, beweist der Umstand, dass Karl den Papst
auf den 1. November nach Pavia eingeladen hatte. Dieser
selbst erschien dann in Ravenna; zur Aenderung dieser Dispo
sitionen, die doch erst nach der Ankunft in Italien, als Jo
hann VIII. nicht nach Pavia gekommen war, getroffen werden
konnten, ist wieder ein etwas längerer Zeitraum erforderlich.
Die Fassung des Vertrages mit Venedig scheint bestimmt
darauf hinzuweisen, dass Karl am 11. Jänner 880 in Ravenna
1 nr. 16, 880 Jänner 8.
2 M. G. SS. 2, 329. Der Verfasser ist ein Alamanne und schrieb noch zu
Lebzeiten Karls, Wattenbach 1, 213.
3 Die Angabe des Catal. regum Lang, ist allerdings insofern ungenau, als
die Ortsangabe fehlt und der Ausdruck in Italiam ingressus, wenn es
sich um einen Zug über den St. Bernhard handelt, doch etwas unbe
stimmt klingt. Doch diese Angabe ist schon 883 — vor September,
weil noch ind. 1 — geschrieben und durchaus glaubwürdig. Vielleicht
ist damit das Eintreffen in der Lombardei gemeint.
376
Mühlbach er.
war. 1 Dex - hiemit gegebene Zeitpunkt würde die früher be
tonten Bedenken beseitigen. In den ersten Tagen des Jänners
konnte der Reichstag schon zusammengetreten sein, der etwa
zwei Monate früher einberufen worden war. Damit wäre ge
geben, dass in nr. 16 von 880 Jänner 8 die Datirung nur
auf die später ausgefertigte Beurkundung sicli beziehe, wäh
rend Actum Papie etwas früherer Zeit angehörte. 2
Dazu kommt ein anderer Umstand. Karl bestimmt in
einer Schenkung an Fulda, 3 dass der annualis nostrae con-
secrationis dies h. e. epipliania domini jährlich gefeiert werden
solle; ebenso wird in der Stiftung Chadolts von Novara der
6. Jänner als der dies consecrationis Karls angegeben. 1 Schon
Böhmer 6 und Dümmler 0 wiesen darauf hin, dass dieser Tag,
1 Itarolus . . rex. Anno autem regni eius in Italia I ind. XIII III id. ian.
Ravenna urbe suggerente ac supplicante Urso Veneticorum duce inter
Veneticos ac vicarios constituit ac renovando describi et competenter
ordinari iussit. nr. 20. Ist dieser Vertrag auch nicht gleich dem damit
fast wörtlich übereinstimmenden Pactum Lothars I., B. 556 vgl. Wiener
Sitzungsber. 85, 498, Genehmhaltung eines früher von Bevollmächtigten
abgeschlossenen Actes, sondern einfache Bestätigung, welche kaum län
gerer Vorverhandlungen bedurfte, so ist diese doch, wie auch bei
Lothar I. nur Zeit und Ort der Ratificirung angegeben ist, allem An
scheine nach am angegebenen Tage in Ravenna erfolgt. Dazu würde
der Reichstag sehr wohl passen, dessen Zustimmung zu einem italie
nische Verhältnisse so nahe berührenden Staatsvertrag kaum zu umgehen
war. Auch im Pactum Berengars, Forschungen 10, 279, ist zwischen
Tag und Ort der Ratificirung — diese in der obigen Formel — und dem
der Aushändigung unterschieden, Ficker, Urkundenlehre 1, 142 vgl. 188.
Anderer Ansicht war Sickel, Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 111 A. 75.
2 Die Intervenienten, der Truchsess Waltfred und der Pfalzgraf Pertold,
sind, wenigstens nach dem Namen zu sehliessen, Deutsche, also aus
Karls Gefolge. Die Urkunde ist für Reggio. Nach dem Reichstag von
Ravenna möchte man eher italienische Intervenienten erwarten. In den
anderen Urkunden vom selben Tage nr. 17 (19) tritt Wibod von Parma
auf, der schon längst als Unterhändler zwischen dem König und Papst
gedient hatte.
3 Orig. nr. 134. Im Orig. nr. 148 ist in der Stelle quatenus . . consecrationis
nostrae diem quod est per annos singulos . . cum precibus recilent
der Tag nicht eingetragen. In den Orig. nr. 131, 157 ist nur vom dies con
secrationis ohne nähere Bezeichnung die Rede.
4 Fiekler, Urk. 6, auch Cappelletti 14, 455 aus Mabillon.
5 Reg. Gar. S. 94.
6 Ostfränk. Reich 2, 180 A. 10.
Die Urkunden Karls III.
377
so nahe auch der Gedanke Hegen würde, nicht auf die Kaiser
krönung' bezogen werden könne. Noch unhaltbarer ist die An
nahme, am 6. Jänner habe Karls Weihe zum Schwabenkönig
stattgefunden. Dagegen fügt sich dieser Weihetag, der sonst
nirgends unterzubringen ist, in den Reichstag von Ravenna im
Beginn des Jänners. Hier war auch der Papst erschienen und
hier mochte eine Weihung, galt auch diese als keineswegs er
forderlich, 1 vor sich gegangen sein; einen Erklärungsgrund
würden die abnormen Verhältnisse bieten, unter denen Karl
den Thron Italiens bestieg.
Ist demnach, wie ich glaube, der Reichstag von Ravenna
erst in den Beginn des Jännei’s 880 zu setzen, so folgt daraus,
dass nicht dieser und dessen förmliche Anerkennung als Epoche
für die Königsjahre in Italien angenommen wurde, sondern
dass diese an einen früheren Zeitpunkt anknüpfen. 2 Ob an
ein speciell epochemachendes Ereigniss, lässt sich nicht be
stimmen; findet sich doch auch bei Lothar I. eine rein con-
ventionelle Epoche. 3 Vielleicht genügte es der Kanzlei Karls
nach den Jahren in Italien zu datiren, als die Anerkennung
in diesem Reiche gesichert schien. 4
Ende December (21.—29.) 880 urkundet Karl in Pia-
cenza, 881 Jänner 4 in Reggio; 5 vom 26. Februar datirt die
erste Urkunde, in welcher Karl den Kaisertitel führt. 0 Im
1 Waitz, V. G. 3, 225.
2 Sie erscheinen zuerst in zwei Urkunden für Deutschland, Orig. nr. 14, 15.
3 Wiener Sitzungsber. 85, 4G9.
4 Unter den Privaturkunden, welche nach Jahren Karls in Italien zählen,
ist die erste das Testament des Erzbischofs Anspert von Mailand, Cod.
Langob. 490.
5 nr. 29—31; nr. 32 Copie.
0 nr. 34. Ausser dem räthselhaften Actum Aquis palatio mit der sonder
baren Formel anno Christo propitio imperii d. Karoli praepotentis augusti
unctionis 1, überliefert im ßeg. Farfense nr. 288 und im Chron. Farf.
f. Oö 1 , M. G. Absehr, von Bethmann, vgl. Sickel, Acta 2, 391; über das
Actum Muratori SS. 2 1 ’, 381 A. 47. Die Datirung erinnert an die Formel
Roziere 1, 83 nr. 01 anno imperatoriae vero dignitatis et apostolicae
henedictionis I. Diese für Karl III. adoptirte Formel ist indess nichts
anderes als Umarbeitung von B. 810, Wartmann, U. B. von St. Gallen
2, 133, mit dem Datum für Privaturkunden, das auch eine alamannisehe
Formel, Roziere nr. 305, aufweist.
Sitzungsber. d. pliil.-hist.- CI. XCII. Bd. II. Hft. 25
378
Müh 11) ach er.
März ist er schon auf dem Rückweg; in Siena sitzt er in
diesem Monat einem Gerichte vor, vom 13. d. M., vom 2. und
9. April datiren Urkunden mit Actum Ticino (Papiae). 1 Die
Kaiserjahre erscheinen fortan regelmässig in der Datirung;
seit 882 führen sie, sobald sie zugleich mit den anni in Francia
auftreten, den Beisatz in Italia.
Für die Bestimmung der Epoche, welche in der
Kanzlei eingehalten wurde, gehe ich wohl auch hier am besten
eine Uebersicht nach den Originalen:
a. i. I noch 881 December 30, nr. 49 ex or., Recogn. Inquirin:
a. i. II zuerst 882 Februar 13—15, nr. 50—56, Recogn. In
quirin, Waldo;
a. i. II, noch 883 Februar 13, 14, nr. 69, 70, Recogn. Waldo; 2
a. i. III, zuerst 883 Februar 26, nr. 73, Recogn. Waldo;
a. i. IV, zuerst 884 Februar 14, nr. 99, Recogn. Segoin; 3
a. i. V, zuerst 885 April 15, nr. 115, Recogn. Salomon; 1
a. i. VI, zuerst 886 Juni 9, nr. 137, Recogn. Amalbert; 5
a. i. VI, nach 887 Jänner 15, nr. 156, 157, Recogn. Amalbert;
a. i. VII, zuerst Februar 10, nr. 160, Recogn. Angelulf. 0
Zur Ermittlung des Epochetages können also nur die
Originale der Jahre 882—884 und 887 herangezogen werden.
Während 882, 884 die Kaiserjahre schon am 13. und 14. Fe
bruar umgesetzt haben, ist dies an denselben Tagen des Jahres
883 noch nicht geschehen; fiele nach jenen der Epochetag vor
den 13. und 14. Februar, so nach diesen nach den genannten
Tagen und vor den 26. d. M. 887 dagegen ist schon am
10. Februar umgesetzt.
1 nr. 35; nr. 36, 38, 39.
2 In Copie nr. 72 selbst noch am 25. Februar, dagegen in der Fälschung
nr. 71 nach echter Vorlage schon am 18. Februar a. i. III.
3 In Copien a. i. IV nach 885 Jänner 11, Recogn. Ernust, a. i. V zuerst
885 Februar 15, nr. 112, 113.
4 Wie o. i. III in Orig, zuletzt 883 Oetober 23, so a. i. V zuletzt 885
October 1., nr. 98, 135; beide Urkunden fiir Epochebestimmung werthlos.
5 Zuerst, allerdings nur in Copie, Februar 15, nr. 136.
0 Zuerst allerdings schon 887 Jänner 10, Orig. nr. 154, doch das Tages
datum, das im Orig, weggeschnitten ist, beruht nur auf dem Chart. Patav.,
dann noch in Copie nr. 153 vom Jänner 7.
Die Urkunden Karls III.
379
Selbst die Unterscheidung nach Recognoscenten ergibt
keine bestimmten Resultate. Inquirin hat schon am 14. und
15. Februar umgesetzt, 1 Segoin gleichfalls an dem erstgenann
ten Tage, Angelulf schon am 10. desselben Monats. 2 Dagegen
führt Waklo am 13. und 14. Februar 882 und 883 denselben
annus imperii; 3 dieser ist 882 bereits erhöht, noch nicht
aber 883.
Beide Factoren, der terminus a quo und der terminus ad
quem, bieten in meistbegrenzter Gestalt die Jahre 883 und
887; 883 fiele der Epochetag zwischen 15. und 26. Februar,
887 jedoch zwischen 16. Jänner und 10. Februar.
Mögen die Widersprüche vielleicht auch auf dem Zeit
unterschied bis zur Ausfertigung oder auf theilweiser Nach
tragung des Tagesdatums beruhen, 4 so ist unter diesen Um
ständen doch kein vollkommen sicheres Resultat zu gewinnen.
Auf die von Angelulf recognoscirte Urkunde und den damit
gegebenen Termin des 10. Februars möchte ich nicht Gewicht
legen; Angelulf erscheint nur dies einemal als Recognoscent,
die Urkunde selbst datirt aus dem letzten Jahre Karls III.
Dagegen dürfen die sieben Urkunden des Jahres 882, welche
theils in Originalen, zum kleineren Theil in Copie erhalten über
einstimmend schon am 13.—15. Februar das zweite Kaiserjahr
zählen, besondere Beachtung beanspruchen; nach diesen fiel
der Epochetag also vor den 13. Februar. Wenn Waldo 883
diesen wieder nach dem 13. Februar setzt, so möchte ich
daraus nur schlicssen, dass der Epochetag in unmittelbarer
Nähe dieses Tages liegt; damit könnte der von Böhmer ange
nommene Termin des 12. Februars zu Recht bestehen. 5
1 nr. 52—55.
2 nr. 99, IGO.
3 nr. 50, 51 vgl. 56; 69, 70.
4 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 2, 259, 299, 416. Mit Recht, betont Ficker,
dass diese Verhältnisse leicht zu falschen Annahmen über den Epoche
tag einer Jahreszählung führen und dass sich zum Theil daraus erkläre,
weshalb Versuche aus den Datirungcn den unbekannten Epochetag
eines Regierungsjahres zu ermitteln oft so wenig befriedigende Ergeb
nisse liefern.
5 Entschieden unrichtig ist demnach der von Hinkmar angegebene Krönungs
tag, 25. December.
25*
380
Mülilb acher.
Die Kaiserjahre sind im Ganzen sehr verlässlich; 1 als
ausschliessliche Regierungsepoche sind sie mit Vorliebe von
Waldo verwendet.
Als Karl 882 nach dem Tode seines Bruders Ludwig
nach Deutschland gekommen war, ,empfieng' er auf dem
Reichstag zu Worms die Grossen des Reiches. Zwei Urkunden
aus dieser Zeit — 882 Mai 17, 22 2 — zählen noch nicht
nach den Regierungsjahren im neuen Reich; erst am 19. Juli
tritt der annus in Francia auf. 3 Diese Epoche wird von Waldo
nur vereinzelt, 4 nie dagegen von Segoin, von Inquirin ziemlich
regelmässig, 5 seit 885 mit besonderer Vorliebe von Amalbert
gebraucht; dieser fügt einigemale auch den in der Kanzlei
Ludwigs des Deutschen und Ludwigs III. üblichen Zusatz in
orientali Francia bei. 6 Sie findet sowohl in Urkunden für
Deutschland als auch Italien — hier indess seltener — und
Westfrancien Verwendung.
Noch grössere Ungenauigkeit bieten übrigens die italienischen
Privaturkunden; so wird in Lueca zwischen 22. Deceraber — 21. De-
cember noch nicht erhöht —■ und 5. Jänner, 887 sogar schon 8., 13. No
vember umgesetzt, Mem. di Lucca 5 b , 5G5, 594. Aus lombardischen
Urkunden ergibt sich der weite Termin December bis März 20, nur in
einer Urkunde aus Bergamo ist im Februar schon umgesetzt, Cod. Langob.
54G, 548, 563.
1 Irrig sind sie nur in den Orig. nr. 40. Recogn. Ernust, 63, Recogn.
Waldo, 162, 163 — das unmögliche Jahr VIII •—■ Recogn. Inquirin, 173,
174, Recogn. Fredebold; für nr. 66 irrig bei Martens 2, 31 a. r. IV
statt II. Die Datirung der nur in den Passauer Chartularen erhaltenen
Urkunde nr. 130 auch im Auct. Ekkeh. Altah. M. G. SS. 17, 362; hier
statt a. imp. V irrig a. imp. II.
Der Schenkung für Witigowo nr. 180 fehlt das Schlussprotokoll;
nach dem Kaisertitel nur zu 881—887 einreihbar, wird dieser Zeitraum,
da das geschenkte Gut im Reiche Karlmanns lag, noch um mehr als ein
Jahr eingeschränkt. Die Urkunde vom Herausgeber Karl dem Grossen
zugeschrieben, wurde zuerst von Stumpf, Reichskanzler, Einl. 78 A. 78,
für Karl III. vindicirt; für denselben Witigowo eine Urkunde Ludwigs
des Deutschen von 859 Oct. 1, B. 797, Zahn, Steierm. U.-B. 1, 9.
2 nr. 59, 60.
3 Orig. nr. 61.
4 nr. 61, 92; von Salomon nur in der abschriftlich überlieferten Ur
kunde nr. 123.
5 nr. 62, 80, 89, 93, 96, 98.
6 Mit dem Zusatz in orientali Francia nr. 117—119, 148, 156, 157, ohne
diesen nr. 128-130, 137, 139 — 141, 143—145, 147, 152, 161, 167.
Die Urkunden Karls III.
381
Die Bestimmung' dieser Epoche stösst auf besondere
Schwierigkeiten ; a. r. I in Francia erscheint zum zweiten Male
nur noch 882 September 23/ a. r. II zuerst 883 Mai 10 (13),
und zwar nur in Copien. 2 Durch eine Copie von 885 Fe
bruar 15 3 mit a. r. III fällt der terminus a quo nach diesem
Tage und der Epochetag würde daher zwischen 16. Februar
und 13. Mai liegen. Die Epoche wäre also nicht vom Tode
Ludwigs III., sondern wahrscheinlich vom Reichstag in Worms
gerechnet worden.
Mit Amalbert bildet sich aber eine neue Gruppe. Wenn
885 Mai 20 in den Originalen nr. 117,' 118 und der Copie
nr. 119 schon a, r. IV auftritt, dieser also bereits umgesetzt
ist, so stimmt dies zu einer Epoche, die an den Wormser
Reichstag anknüpft. Doch dasselbe Regierungsjahr IV wird
im Orig. nr. 137 noch 886 Juni 9, in Copien sogar noch
August 16—22, October 24 gebraucht. 5 Erst einige Tage
später findet sich a. r. V, 6 um dann gleichmässig bis in den
September 887 fortgeführt zu werden. 7
1 Orig. nr. 62.
2 nr. 80, 81 (bei Romanin 1, 363 vgl. 2, 465 e libro pactorum VI id.
mal., das gleiche Tagesdatum in einem noch im Arch. centr. zu Venedig
vorhandenen Originaltransumpt derselben von 1382, aus dem Hormayr,
Tirol l b , 38, druckt, im Liber blaucus III id., wie auch in Muratori
SS. 12, 189 e cod. Ambros, und Lünig, C. d. Italiae 4, 1517); für den
10. Mai spricht auch, dass die von denselben venetianischen Gesandten
erwirkte Urkunde für S. Ilario e Benedetto, nr. 80, dieses Datum trägt.
A. r. II erscheint noch am 24. Juni, nr. 89; vielleicht ist in nr. 90 vom
selben Tage a. r. V aus a. r. 11 veruneclitet und es sind demnach nach
Analogie der vorhergehenden Urkunde die fränkischen und nicht die
italienischen Königsjahre gegeben.
3 nr. 113.
4 Sickel, Forschungen 9, 415 mit a. r. IIII, Arndt M. G. liest dagegen
a. r. III. Entscheidend ist, dass auch das zweite Original vom selben
Tage a. r. IIII bietet. Gegenüber diesen Originalen muss a. r. III in
Copie nr. 123 als Schreib- oder Lesefehler angesehen werden.
5 nr. 139—141; für nr. 143 gibt aber Mabille, Pancarte 79 nr. 32, nach
neueren Copien a. r. V.
6 nr. 144 bei Bouquet 9, 351 mit VI Jcal. nov.; dagegen gibt Mabillon,
Ann. 3, 255 ex authent. 11 Jcal. nov.
7 Zuletzt September 21, nr. 175 Orig., 176 Copie. Nur in der blos im Regest
bekannten und verderbt überlieferten Urkunde nr. 169 a. r. VI; in
382
Mühlbache r.
Würde daher der Epochetag zwischen 25. und 27. Octo-
ber fallen, so ist man doch Amalbert gegenüber, der dasselbe
Regierungsjahr durch siebzehn Monate führt, am wenigsten
berechtigt eine bestimmte Epochenorm anzunehmen. Sein
Calcul geriethe auch mit den Urkunden der früheren Jahre in
unlöslichen Widerspruch. Man kann bei ihm nur eine beson
ders nachlässige Handhabung dieser Epoche constatiren. Ver-
werthbar aus den von ihm recognoscirten Urkunden dürfte nur
der Umstand sein, dass sie in ihrem Beginn bereits am 20. Mai
umgesetzt haben. Treten damit aber wieder die früheren Ur
kunden — fehlen Originale, so müssen Copien genügen — in
den Vordergrund, so.hat noch die Epoche vom Wormser Reichs
tag die grössere Wahrscheinlichkeit für sich.
Die Regierungsjahre in Westfrancien werden zuerst 885
Mai 20' gezählt; nach ihnen wird nur von Amalbert und auch
von diesem nicht immer datirt. 2 Sie werden in der Regel als
anni in Gallia bezeichnet, doch auch in einem Original 3 ein
fach als anni imperii. Sie finden sich überwiegend in Ur
kunden für Westfrancien, aber auch in einigen Diplomen für
Deutschland. 1
A. r. 1 in Gallia erscheint, wie schon erwähnt, zuerst
885 Mai 20, in Originalen zuletzt August 23, 5 a. r. II zuerst
886 Juni 9, zuletzt 887 Jänner 15, 3 a. r. III nur in einem
Original von 887 September 21. 7
Juenins Nouv. hist, de Tournus, die in urkundlicher Beziehung weder
viel mehr noch Besseres bietet als Chifflet, von dieser Urkunde keine Spur.
1 Orig. nr. 117.
2 Nicht in den Orig. nr. 150, 154, 172, den Copien nr. 132, 142, 153, 168,
170; von diesen Urkunden gehören vier Deutschland an.
Inquirin gebraucht diese Epoche nur einmal mit der Formel: anno
d. C'aroli ser. imp. aug. 1 in Francia, nr. 126.
3 nr. 150; ähnlich im Orig. nr. 159 anno d. Karoli imperatoris in Gallia
imperantis, ebenso Copie nr. 149; in Copie nr. 124 in Francia vero anno
imperii eius II.
4 nr. 129, 130, 137, 161.
5 nr. 129, in Copie noch August 25, nr. 130.
G nr. 137, 156—159; in Copien noch Februar 16 und sogar Juni 16, nr. 161,
167. Das Orig, von nr. 157 in Paris hat a. in Gallia II, M. G. K. Pertz,
wie schon in der Gallia Christ. 4 b , 134 und dem älteren Drucke von
Labbe; bei Bouquet 9. 345 nr. 14 ex or. irrig a. III.
7 nr. 175 vgl. Copie 176.
Die Urkunden Karls III.
383
Aus diesen Daten ergibt sieb nur, dass der Epochetag
nach dem 15. Jänner 1 und vor den 20. Mai fiel. Diese Epoche
knüpft also ganz bestimmt nicht an den Tod Karlmanns au.
Wie bei den italienischen Königsjahren, so fehlt aber auch
hier ein genügender Erklärungsgrund. Der Reichstag von Pon-
thion, an dem Karls förmliche Anerkennung stattfand, fällt erst
in den Juni. 2 Doch schon vor diesem werden Urkunden für
Westfrancien erlassen und bereits nach den anni in Gallia
datirt. 3 Also auch hier scheint die factische Besitznahme und
nicht erst die förmliche Anerkennung massgebend gewesen
zu sein. 1
Das Tagesdatum ist der allgemeinen Sitte gemäss nur
nach dem römischen Kalender berechnet. 5
Die Individualität der Datirung tritt besonders seit 882
hervor, als schon mehrere Regierungsepochen in Gebrauch
waren. Ständige Factoren sind das Incarnationsjahr, die
1 Nach Copie nr. 161 nach 16. Februar. In Copie nr. 167 liegt allem An
scheine nach ein Schreib- oder Lesefehler vor.
2 Diimmler, Ostfränk. Reich 2, 236 A. 14; dazu die Urkunde mit Actum
Pontioni palatio nr. 123 vom 16. Juni.
3 Das letztere allerdings nur von Amalbert; in Urkunden für Westfrancien
aus dem Juni 885, welche von Salomon und Inquirin recognoseirt sind,
werden die anni in Gallia nicht gezählt, nr. 120—123 vgl. 131.
4 In der schon erwähnten Formel Roziere 1, 83 nr. 61 findet sich ganz
vereinzelt noch eine neue Epoche anni in Burgundia; diese hat schon
jpümmler, Ostfränk. Reich 2, 295 A. 100, als nicht authentisch erklärt.
5 Das Datum der Copie 93 (B. 967) in kal. aug. — so der Cod. Boretii f. 298
in Bergamo — statt III kal. aug. vgl. 91, 92 hat schon Böhmer emen-
dirt, die von den Jahresdaten geforderte Besserung von XII kal. iun. in
XII kal. ian. im Drucke Campi, Piacenza 1, 465, nr. 29, bereits Diimmler
2, 178 A. 12, in Vorschlag gebracht; für nr. 17 bietet der Druck in
li. Neapolit. Arch. Mon. 6, 125 ex or. VII die ian., während das Ori
ginal in Neapel nach Bethmaun gleich den Drucken Ughelli 2, 147 =
Affö, Parma 1, 296 VI id. ian. hat. — In Böhmers Regesten irriges
Tagesdatum in B. 899, 902, 908 (aus Neugart), 922, 941, 980. — Ich er
wähne noch, dass eine von der Kaiserin Richarda hortatu, et consilio Ka-
roli imperatoris gemachte Schenkung, Bouquet 9, 662 aus Benoit, Toul
pr. 7 ex arch. mon., ganz die Form der Diplome und damit deren Dati-
ruug — kal. mai. anno inc. 880 a. imp. Karoli in Italia IV in Francia
III ind. II — trägt. Sie ist also zweifelsohne in der kaiserlichen Kanzlei
geschrieben; a. inc. 880 ist in 884 zu emendiren, die Form der Datirung
ist jene Inquirins.
384
Mühlbache r.
Indiction, die Kaiserjahre. Verwendet Inquirin neben diesen
die Epochen von 876 und 882 und auch mit dem Beisatz in
Italia, in Francia, so benützt Ernust nicht mehr und Waldo
nie die erstere, nur die zweite findet sich bei diesem ver
einzelt. Umgekehrt datiren Segoin und Salomon nicht nach
der Epoche von 882, sondern nur nach jener von 876. Amal
bert liebt Häufung der Epochen; er zählt anni in Italia, in —
öfters orieritali — Francia, in Gallia; gebraucht er für die
zweiten die Epoche von 882, so kehrt dagegen Fredebold
wieder zu jener von 876 zurück und kennt weder für die
Kaiserjahre den Beisatz in Italia, noch zählt er die Jahre des
westfränkischen Reichs. Dies die Kegel; sie lässt darauf
schliessen, dass die Urkunde gewöhnlich vom Recognoscenten
datirt wurde. Doch es fehlt auch nicht an Ausnahmen; jene
Regel kann also selbst für die Kanzlei Karls III. nicht unbe
dingte Geltung beanspruchen.
4.
Actum und Datum.
Die auffallendste Eigentümlichkeit der Urkunden aus
den ersten Jahren Karls III. bietet die Datirungsformel. Sie
gibt abweichend vom Kanzleigebrauche aller übrigen Karo
linger nur Data 1 mit den Zeitangaben ohne das Actum mit
der Ortsbezeichnung; diese findet sich ausser in einem offenbar
durch die Vorurkunde beeinflussten Diplom 2 nur noch in einer
abschriftlich überlieferten Urkunde für Italien. 3 Erst seit dem
zweiten italienischen Zuge findet auch Actum mit der Orts
angabe Eingang und fehlt dann nur mehr ausnahmsweise. 1
1 Die Form Datum während der ganzen Regierung Karls nur im Orig,
nr. 138.
2 nr. 3, Vorurkünde B. 575.
3 nr. 16 nach Laschitzer M. G. Copie s. XIII im Capitelarchiv zu Reggio.
Actum Papie in nr. 24 ist Zuthat des Fälschers. Der zu Ravenna be
stätigte Vertrag mit Venedig, nr. 20, trägt nicht die gewöhnliche Dati
rungsformel.
4 So in den Orig. nr. 44, 62, 85 und einzelnen Copien. Diese Aenderung
mit einer bestimmten Persönlichkeit der Kanzlei in Verbindung zu brin
gen. gestattet das vorliegende Material nicht.
Die Urkunden Karls III.
385
Damit ist die übliche Datirungsform der Diplome eingeführt;
nur ein einziges Original 1 bietet noch eine Abweichung, es
gibt unter Actum Ort und Zeit ohne das gewöhnliche Datu.
In den Diplomen entspricht die Datirung in der Regel
der Beurkundung. 2 Das ist allem Anscheine nach der Fall,
wenn Karl 879 November 23, zu einer Zeit also, während er
in Italien verweilte, auf Bitte des Abtes Hartmod an St. Gallen
einen Hof in Alamannien vergabt. 3 Es unterliegt kaum einem
Zweifel, dass der greise Abt nicht mit dem König über Bur
gund nach Italien gekommen war; ebenso unwahrscheinlich ist
es, dass er um diese Jahreszeit über die Alpen zog, um seine
Bitte vorzutragen; diese und die Gewährung gehören wohl
einer früheren Zeit an, als der König noch in Deutschland
weilte. 4
Auf die Beurkundung bezieht sich auch in der Regel
der unter Actum gegebene Ort. So etwa, wenn Karl 883 Oc-
tober 5 zu Pavia Hartmoti abbatis instigationibus provocatus dem
Kloster St. Gallen eine früher ertheilte Schenkung als Kaiser
bestätigt. 5 Dafür linden sich indess directe Belege. So heisst es
in einer Urkunde für St. Evre bei Toul von 885 Juni 21
mit Actum Stirpiaco:Consistentibus nobis in Gundulji cilla
palatio nostro delata est causa monachorum s. Apri, welche jetzt
geregelt wird; 7 Karl urkundet aber schon am 12. Juni in
Gondreville, 8 in diese Zeit fällt also auch die Handlung. Eine
zweite Urkunde vom 21. Juni 9 erzählt: Cum pro diversis im-
1 nr. 177 zugleich ohne Tagesdatum. In ähnlicher Weise geben drei übrigens
abschriftlich überlieferte Urkunden Ludwigs II., von denen zwei dem Reg.
Farf. entstammen, nur Actum mit Ort- und Zeitangaben, ungedruckte
Urk. für Farf. von 864 Februar 14, M. G. Bethmann, B. 663, 674.
2 Ficker, Urkundenlehre 1, 128.
3 nr. 14.
4 Vgl. Ficker 1, 143.
5 nr. 96.
6 Etrepy am Ornain, Dtimmler, Ostfränk. Reich 2, 236 A. 14. Mit den
selben Worten beginnt die mit Actum Gundulfi villa versehene Vor
urkunde B. 1762. Die Möglichkeit, dass diese Stelle ohne thatsächliche
Berechtigung nur nachgeschrieben wurde, ist also nicht ausgeschlossen,
wenngleich nicht wahrscheinlich.
7 nr. 125.
8 nr. 120, 121.
9 nr. 126.
386
Mülilbache r.
perii nostri negotiis acl urbem Leucorum devenissemus, relat-u
quorumdavi fidelium comperimus . . . qualiter canonici ecclesiac
s. Stephani (in Toul) . . . non eo ordine subsisterent quo a d.
m. avo nostro Ludvico ordinatum esse constat; der Kaiser weist
daher admonente et exhortante nos s. episcoporum qwi tune
praesentes fuere collegio 1 den Kanonikern bestimmte Einkünfte
an. Die Gewährung, die Handlung gehört demnach einem
früheren Zeitpunkte an — eine Urkunde vom 12. Juni trägt
Actum Tullo civitate 2 — während das Tagesdatum sich auf die
Beurkundung, wahrscheinlichst die Aushändigung 3 bezieht.
Dafür dass gerade diese für die Zeitangabe massgebend war,
dürfte der Umstand sprechen, dass eine andere Urkunde für
eine unmittelbar benachbarte Partei, deren Handlung gleich
falls einer früheren Zeit und verschiedenem Orte angehört, 4
dasselbe Tagesdatum und dieselbe Ortsangabe trägt. Auf einen
anderen Fall, Urkunde für Reichenau mit Actum Polamico
palatio, 5 während die narratio berichtet Liutwardns . . et Ruod-
holius abba monasterü S. Mariae quod dicitur Augia deducentes
1 Schon Ficker, Urkundenlehre 1, 318, hat darauf aufmerksam gemacht,
dass dieser Satz wörtlich in die Urkunde Arnolfs B. 1109 aufgenommen
wurde, obgleich er hier nicht mehr am Platze war und unter Arnolf
keine Versammlung der Bischöfe anzunehmen ist. Dieselbe Bewandtniss
hat es mit dem Satze: Communi consilio cum nostris fidelibus habito, epi-
scopis scilicet abbatibus atque comitibus comperimus . . in der Urkunde
Ludwigs des Deutschen für St. Gallen, der dann gleichfalls wörtlich in
das Diplom Arnolfs B. 1124 überging, Wartmann, U. B. von St. Gallen
2, 52, 307; erweist dieser in der Urkunde Ludwigs eine damals ab
gehaltene Reichsversammlung, so kaum mehr in jener Arnolfs.
2 nr. 122; Restitution an Toul, in der gleichfalls Bischof Arnold auftritt.
Mabillon, Ami. 3,251 zu 885, bemerkt, dass die Kanoniker von St. Ar
nulf zu Metz um Bestätigung der Urkunde Ludwigs des Deutschen B. 853
gebeten hätten. Horum preces caesar libenter excepit eisque litteras liac
de re per Ruodpertum — geweiht 883 April 22, Dümmler, Ostfränk.
Reich 2, 207 A. 19 — Mettensem episcopum scribi iussit, quas authenticas
legimus in arcldvo s. Arnulfi, sed absque notis chronologicis. His litteris
post episcopum subscribunt canonici et nobiles laici, also kein Diplom,
sondern Bischofsurkunde, deren Ausfertigung vom Kaiser befohlen ward;
sie fällt wahrscheinlich in diese Zeit.
3 Ficker 2, 213.
4 nr. 125.
5 nr. 162, 163.
Die Urkunden Karle III.
'387
nos ibidem in capitulum convenientium fratrum oibtulerunt
quaedam antecessorum praecepta hat schon Ficker hingewiesen. 1
Denselben Ort für Handlung und Beurkundung zeigen
mehrere Urkunden von 882 Februar 13—15 mit Actum Ra
venna. In der ersten derselben heisst es: Venientibus nobis ad
Ravennam ad colloquium spiritualis patris nostri Johannis vene-
rabilis coetus necnon nobilium caterva convenerat, inter quos ven.
Aaron Regiensis ecclesiae praesül . . detidit praecepta. Aehnlich
beginnen fünf andere Privilegien: Venientibus nobis Ravennam
ad colloquium spiritualis patris nostri d. Joannis . ■ pervenit ad
nostram notitiamJ
Sind Bezugnahme der Ort- und Zeitangabe auf die Be
urkundung auch als Regel zu betrachten, so sind doch die
Fälle nicht selten, in denen nur die chronologischen Daten
jener angehören, unter Actum aber der Ort der früheren
Handlung genannt ist. 3 So heisst es in einer — allerdings
zweifelhaften — Urkunde für Nevers: Dum apud Parisius cum
Germanicis et Francis ad obsidionem sederemus contra paganos,
Emenus episcopus Nivernensis in eaclem militia nobiscum per-
noctans quadam die praecepta praedecessorum nostrorum . .
obtulit. Sie ist von 886 December 18 datirt und trägt noch
Actum Parisius, obgleich der Kaiser schon im November von
hier abgezogen war. 4
Daraus erklären sich Widersprüche des Itinerars. Auch
an diesen mangelt es den Urkunden Karls III. nicht.
1 Urkundenlehre 1, 141, der angeführte Satz schon in der Urkunde von
878 Jänner 13, nr. 7, ohne Actum.
2 nr. 50; 52—56. Identität des Ortes liegt noch vor in nr. 87 mit Actum
Nonantulae und dem Berichte: Oommorantibus nobis monasterio Nonantu-
las cum . . Marino papa pro diversis imperii nostri utilitatibus idem
spiritualis pater noster Marinus direclis ad nos ex latere suo episcopis . .
nostram commonuil clementiam.
3 Picker, Urkundenlehre 1, 192. In nr. 80 wird von einer Urkunde Karls
des Grossen erzählt: legebattir in eodem praeceplo quod idem Karolus
bisamis noster hec eadem loca per commutationem a. s. Tervisiane ecclesie
antistite Landolo accepit et eisdem ecclesiis in oblationem detidit et facta
oblatione supranominatis ecclesiis per sui praecepti confirmationeni dedit
atque imperiali potentia habendum confirmavit.
4 nr. 152; Dünnnler, Ostfränk. Reich 2, 27.1 A. 28, hält das Datum des
halb für irrig. Eine Emendation desselben- ist jedoch nicht thunlich.
<-*
'sg*
388
Mühlbacher.
Zwei dieser - Fälle wurden schon berührt, die Urkunde
für Otpert von 886 Februar 15 mit Actum Columbariae und
Waldos Recognition, während der Kaiser damals auf dem Zuge
nach Italien, dagegen gerade zwei Jahre früher in Kolmar war,
und drei Urkunden, deren Jahresdaten die Einreihung zu 887
fordern, mit Actum Rcgenesburg, wo der Kaiser zum letzten
Male ein Jahr früher geweilt hatte.
885 Jänner 7 hielt Karl einen Reichstag in Pavia, bald
darauf empfing er die Einladung der westfränkischen Grossen
und ,eilte' nach dem neuen Reiche, um sich zu Ponthion hul
digen zu lassen. Mit diesen Angaben geräth das urkundliche
Itinerar in Widerspruch. Eine Urkunde vom 11. Jänner mit
Actum Murgule 1 mag sich zur Noth einfügen. Der nächsten
Urkunde vom 15. Februar fehlt das Actum; ein Diplom für
St. Gallen vom 15. April trägt Actum in Potama, 2 eine Urkunde
vom folgenden Tage — alle Jahresdaten stimmen zu 885 —
aber Actum Ticinensi palatio, 3 wie eine andere vom 11. April,
welche allerdings auch zu 886 eingereiht werden kann, Actum
Papiae; 1 drei Urkunden für Burgund vom 20. Mai haben
Actum Granias. 5
Treten solche Fälle in Fälschungen auf, so wird man selbst
da, wo die Datirung auf einer echten Vorlage beruht, darauf
kein Gewicht legen können; im günstigsten Falle sind sie nur
Copien und gerade die Ortsangabe verlockte am leichtesten
zu willkürlichen Aenderunuen. 1 ’
1 nr. 112.
2 Bodman am Bodensee. Orig. nr. 115.
3 nr. 116 aus vidimirtem Transumpt s. XII. Dümmler, Ostfränk. Reich
2, 251 A. 52, weist sie, ,wenn echt 4 , gleich der folgenden Urkunde dem
Jahre 886 zu. Gegen die Echtheit liegen keine Bedenken vor.
4 nr. 114. Ich stelle sie wegen des gleichen Actums mit nr. 116 zu 885.
5 nr. 117—119; über den Ausstellort Gangres Sickel, Forschungen 9, 416.
6 nr. 71 von 883 Februar 18 mit Actum Papiae — der Kaiser damals in
der Nähe von Ulm — nr. 78 von 883 April 22 mit demselben Actum
— Karl damals auf dem Zuge durch Tirol nach Verona — nr. 95 von
883 September 26 mit Actum Ratisponae — der Kaiser damals in Italien.
Zwei Urkunden von 881 October 14, nr. 45, 46, beide nur abschrift
lich, die eine sogar nur in deutscher Uebersetzung s. XV, vgl. 84. Publ.
des Stuttgarter lit. Ver. 63, erhalten, beide aber zweifellos echt, tragen
Die Urkunden Karls IIT.
389
Gelegentlich mag eine andere Erklärung berechtigt sein.
So wenn eine Urkunde für St. Medard in Soissons von
887 Juni 23 1 Actum Ingelheim trägt, während der Kaiser
noch am 16. und 17. Juni in Kirchen für St. Martin in Tours
urkundet. Karl ist in Ingelheim nie nachweisbar, ein Aufent
halt daselbst um diese Zeit mindestens unwahrscheinlich; hier
dürfte es näher liegen an eine Verwechslung des unbekannten
Chiriheim mit dem bekannteren Ingelheim zu denken. 2
Ueber Verona und Mantua ziehend kam der Kaiser 883
nach Nonantula, um hier mit dem Papste zusammenzutreffen.
Aus diesem Kloster sind zwei Urkunden für Reggio vom 24.
und 31. Mai datirt. 3 Wenn eine Urkunde vom 5. Juni 1 Actum
Fontana Titerici, jetzt Borgo di Fontana fredda im Gebiete
von Piacenza, 5 trägt, so mochte Karl, da der Papst vielleicht
noch nicht angelangt war, dorthin gekommen sein; die Urkunde
ist der Geistlichkeit von S. Justina in Piacenza verliehen,
welche in bedeutender Anzahl persönlich die Bitte vorgebracht
hatte; dies stimmte zu dem von Ficker geltend gemachten
Satze, dass die Anwesenheit des Königs am Orte vorzugsweise
benützt wurde, um Verleihungen und Erneuerungen zu er
wirken. 11 Von hier dürfte der Kaiser wieder nach Nonantula
zurückgekehrt sein; vom 20. und 24. Juni datiren mehrere
Urkunden — in einer derselben ist auch die Zusammenkunft
Actum Potamum palacio und Act an dem Bodensee oder zä Bödmen in
unser kaisserlichen pfallentz. Nur die St. Galler Fortsetzung der Ann.
Alam. meldet zu 881: Karolus imp. a Johanne henedicitur et tertio in
ltaliam ingreditur, M. G. SS. 1, 51; keine andere Quelle berichtet etwas
von einem Aufenthalt Karls in Deutschland während dieses Jahres und
einem daran sicli schliessenden dritten Zug nach Italien. Als Beweis
hiefiir mag bei der Spärlichkeit des Materials jene Notiz genügen; das
Actum der beiden Urkunden allein genügte kaum.
1 nr. 170. Quelle ist der Druck Marlot, Hist. Kein. 1, 508 ex arch. eoe-
nobii, den schon Mabillon, Ann. 3, 2G1, benützte. Marlot hat a. imp. XII,
den Bouquet 9, 3G1 in VII emendirt. Nach dem Catal. des cartulaires
IG enthält das Chartular von St. Medard s. XITI—XIV keine Karolin
gerurkunde.
2 Ficker, Urkundenlehre 1, 38; 2, 479.
3 nr. 82, 83, beide ex or.
4 nr. 85.
5 Campi 1, 230, Spruner-Menke, Hist. Handatlas 3. A. nr. 30.
6 Urkundenlehre 1. 144.
390
M ühlbache r.
mit dem Papste erwähnt — mit Actum Nonantula. 1 Dazwischen
findet sich aber ein Original vom 22. Juni, Schenkung an den
Gastalden Johann aus dem Besitz des Krongutes Murgula, mit
Actum Murgula curte regia.' 2 Dass Karl am 20. Juni in Nonan
tula, am 22. in Murgula, dicht bei Bergamo, 3 am 24. wieder
in Nonantula war, ist durchaus unwahrscheinlich. Weitere Ur
kunden mit Actum Murgula für Antprand, 4 Bergamo, Cremona
— der Kaiser zog also wahrscheinlich über diese Stadt —
datiren erst vom 30. Juli und 1. August. 5 Ein früherer Auf
enthalt in Murgula ist nicht erweisbar, der Marschroute dieses
Jahres lag der Ort ganz aus dem Wege. Die von Fumagalli
versuchte Erklärung, dass das Datum sich nur auf den Beur
kundungsbefehl beziehe, das Actum aber der späteren Aus
führung entspreche, 0 ist kaum wahrscheinlich; grössere Wahr
scheinlichkeit dürfte die Annahme für sich haben, der es auch
nicht anderweitig an Belegen fehlt, dass der Datator aus Ver
sehen den Namen des laufenden Monats statt des folgenden —
X Jcal. iulvi statt X leal. augusti — eintrug. 7
1 nr. 86, 87, 89, 90. Einer Urkunde vom 15. Juni, welche im Liber priv.
3. Zenonis überliefert ist — bei Biancolini, Cliiese di Verona 4, 606,
dall’ arch. Zenon., der Druck, Muratori, Ant. 2, 47, unvollständig —
fohlt das Actum, nr. 85.
2 nr. 88. Muratori, Ant. 2, 205, gibt die Urkunde ex tah. mein. s. Sixli (zu
Piaeenza); das Original jetzt mit dem Archiv dieses Klosters zu Parma,
M. G.; fiir den Cod. Langob. 536 scheint nur eine Copie benützt zu sein.
3 Lupi 1, 925, Cod. Langob. 536 A. 1.
4 nr. 91, das Original früher im Kathedralarchiv, jetzt auf der Stadtbiblio
thek in Bergamo.
In nr. 92 heisst es von S. Michaele in Cerredo : cuius curam in
anteriori praecepto a nobis concesso (nr. 91) diebus vitae Auprandi fidelis
nostri suae delegationi concessimus. Beide Urkunden haben aber ausser
demselben Actum auch das gleiche Tagesdatum. Jener Satz scheint der
ersten Urkunde doch eine etwas frühere Zeit anzuweisen, wenn auch
durch ihn eine Ausfertigung der beiden Urkunden am selben Tage nicht
ausgeschlossen ist.
5 nr. 92—94.
r ’ Vgl. Ficker, Urkundenlehre 2, 246, 278; doch ist hier eine Verwechslung
der Monate Juni und Juli unterlaufen.
7 Ficker, Urkundenlehre 1, 40; 2, 479. Möglich wäre etwa noch Nach
tragung von Tagesdatum und Ort, Ficker 2, 257 vgl. 301.
Die Urkunden Karls III.
391
In dem Abschnitt über nichteinheitliche Datirung be
gründet Ficker 1 die Möglichkeit ,einer Datirung nach dem
Orte der Handlung mit theils dieser, theils der Beurkundung-
entsprechenden Zeitangaben' und weist darauf hin, dass nur
Tagesdatum und Ort der Handlung, die Jahresdaten aber der
Beurkundung angehören können, dass jene vielleicht schon in
das Concept eingetragen, diese erst bei der späteren Ausfer
tigung ergänzt wurden. 2 Solch’ buntes Durcheinanderwirbeln
der Daten erscheint auf den ersten Blick durchaus unwahr
scheinlich und nur im äussersten Nothfall annehmbar. Die
Möglichkeit lässt sich nicht in Abrede stellen; aber auch im
concreten Falle wird sich daran die Forderung knüpfen, dass
die abnormen Daten sich anderweitig ohne Beanstandung
einfiigen.
Für die Annahme, dass die Jahresangabe der Beurkun
dung und nur Tag und Ort der Handlung entsprechen, zeugen
die öfter erwähnten Urkunden für den Getreuen Otpert von
886 Februar 15 mit Actum Columbariae und für Passau von
887 Jänner 7, 10 mit Actum Regenesburg, 3 welche sich aller
dings nur durch Copien stützen lassen. Das Jahr ist durch
Uebereinstimmung der Daten gesichert; an den genannten Tagen
war der Kaiser allerdings an den betreffenden Orten, aber in
Ivolmar 884, in Regensburg 886; ein Aufenthalt in Kolmar
zwischen 884—886 ist durchaus unwahrscheinlich, in Regens
burg nach 886 unmöglich.
1 Urkundenlehre 1, 207; 2, 444.
2 2, 302. Für diese Annahme scheint die Formulirung der Datirung in
einigen Urkunden Ludwigs II., deren Eigenart überhaupt vielfaches Inter
esse bietet, zu sprechen. B. 668 Orig, in Parma M. G. — von Muratori,
Ant. 2, 119 = Cod. Langob. 423 nur ex vet. apogr. veröffentlicht — bietet
Actum Capna civ. IV non. iul. Data anno . . ser. aug. d. Hludowici XVIII
ind. III oder andere Actum Beneventi. Data mit den Zeitangaben, B. 669,
Cod. Langob. 323, Orig, in Mailand, B. 665, Cod. Langob. 414 Copie" s. IX
bis X in Parma, B. 675, 684. Eine Leihe von Urkunden gibt Data •
mit Tagesdatum und Indiction, Actum mit Ort und Regierungsjahr, B. 679,
Orig, in Parma, B. 674 Cod. Langob. 430 Copie s. XII in Mailand, die
übrigen B. 672, 673, 676, 677, 681—683 im Chron. Casauriense. Die
Urkunden der zweiten Gruppe sind sämmtlich von Giselbert, jene der
ersten mit Ausnahme von B. 684 von Gauginus recognoscirt.
3 nr. 136; 153, 154.
392
Mü lilbach er.
Bei widersprechenden Jahresdaten wird man der Ab
weichung einer Angabe gegenüber den anderen kaum Bedeu
tung beilegen können; die Annahme eines Versehens oder
fahrlässiger Ungenauigkeit, für die sich die Belege immer
häufen, bietet in der Regel eine genügende Erklärung. Treten
aber andere Momente hinzu, stehen namentlich übereinstimmende
Jahresangaben im Widerspruch mit anderen gleichfalls über
einstimmenden, so lassen sich diese Widersprüche doch nur
durch Bezugnahme der Daten auf verschiedene Zeitpunkte
vereinen.
Eine Urkunde für Parma, inserirt einem Placitum unter
Vorsitz der Könige Hugo und Lothar 1 und in Copie des
10. Jahrhunderts überliefert, ist datirt III id. mart. anno inc.
880 et d. Karoli ser. imperatoris anno I per indictionem XIII.
Actum Ticino palacio regio. 2
Karl führt durchwegs den Kaisertitel; auch die Arenga
beginnt mit den Worten Imperiali clementiae congruum fore
credimus. Die Indiction XIII = 880 stimmt zum Incarnations
jahr. Dieser Uebereinstimmung gegenüber müsste man einen
Irrthum im dritten Factor annehmen und die Urkunde zu 880
einreihen; dazu passte Actum Ticino, 880 März hielt sich Karl
zweifelsohne in der Lombardei auf. Doch dieser ist damals
noch König, die Urkunde datirt schon nach Kaiserjahren, sie
muss also zu dem Jahre 881 gestellt werden. Dass die beiden
ersten Daten auf eine Handlung des Vorjahres sich beziehen,
ist um so wahrscheinlicher, als Karl 880 Jänner 8 demselben
Hochstift Schenkungen Karlmanns bestätigt; 3 in einer anderen
Urkunde vom selben Tage — nur diese trägt Actum Papie —
tritt aucli derselbe Intervenient Waltfred auf. 4
Eine Urkunde für den Diacon Graribert trägt die Dati-
rung III id. apr. a. inc. 886 ind. III a. regni d. Karoli VII
1 B. 1395, bei Muratori, Ant. 2, 936 ex autogr., bei Affo, Parma 1, 341
dal cop. s. X, beide wohl aus demselben Stück.
2 nr. 36. Die nur in den Notitiae übliche Form per indictionem ist wohl
stilistische Aenderung des daran gewöhnten Notars.
3 A. inc. 880 ind. XIII a. r. in Francia IV in Italia I. nr. 17.
4 nr. 16. Berengar ist zwar erst 881 April 27 als Intervenient nachweisbar,
nr. 40, dies hindert natürlich nicht, dass er schon ein Jahr früher als
Fürsprecher auftrat; beide sind Beisitzer des Placitums nr. 35.
Die Urkunden Karls III.
393
imperii vero V. Actum Pnpiae. 1 Die Indiction und a. imp. V
ergeben 885, a. regni VII — es können nur die italienischen
Königsjahre gemeint sein — stimmt mit dem Incarnationsjahr
886. Actum Papiae lässt sich 886 einreihen, es findet aber
auch 885 Platz.
Ein Diplom für St. Julia in Brescia, erwirkt durch Liut-
ward, datirt IV id. febr. a. ine. 886 ind. IV a. regni Karoli
VIII imperii VII. Actum in Alamannia in Rotunwila. 2 Die In
diction stimmt mit dem Incarnationsjahr überein; a. r. VIII
und a. i. VII, dieses bereits umgesetzt, ergeben aber 887; ein
Actum in Rotunwila und das Tagesdatum sind nur 887
möglich. 3
Daran reihen sich Urkunden für Reichenau. Das Orig,
nr. 103 mit der Datirung X Jcal. maii a. inc. 884 ind. II
(= 884) a. regni IX (Epoche von 876) imperii V. Actum
Avgia monasterio weist die beiden ersten Jahresangaben dem
1 nr. 114, Campi 1, 471 nr. 27 ex arch. Plac. cathedr.; Poggiali, Mem.
stör, di Piacenza 3, 60 gibt ex or. dieselbe Datirung. Campi 1, 230 er
wähnt, noch eine andere Schenkung für Garibert, figlio fu di Giovanni
da Roliereto, und fügt am Rande bei: In supradicto arch. maior. ecclesiae
Placent. extat privil. datum Papiae ind. 1 111 id. apr. a. Car. 3. Pog-
giali 3, 52 versichert, dass er dieses Diplom vergebens im Archiv ge
sucht, und meint, dass jene Angabe auf einer Täuschung Campis beruhe.
Existirte ein derartiges Diplom wirklich, so spricht die beigefügte genea
logische Notiz entschieden gegen die Echtheit. Die Datirung ergäbe das
Jahr 883; am 11. April war Karl entweder noch in Regensburg oder
eben erst von dort nach Italien aufgebrochen. Auffallend wäre nicht
minder, dass auch diese Urkunde dasselbe Tagesdatum mit der ein paar
Jahre später ausgefertigten tragen sollte. In nr. 114 wird übrigens eine
zweite Urkunde für Garibert erwähnt.
2 Orig. nr. 160. Von Dümmler 2, 276 A. 44, als ,etwas zweifelhaft 4 be
zeichnet, doch sicher echt.
3 In der Narratio heisst es quatenus . . confirmaremus; in der Dispositio
concedimus atque covroboramus. Concedimus insuper. Auch die Formulirung,
auf welche übrigens kein besonderes Gewicht zu legen ist, scheint auf
eine frühere Handlung, die Schenkung, hinzuweisen, der eine neue Be
günstigung beigefügt wird. Wenn dies, dann wäre Actum in der seltenen
Bedeutung von Beurkundung zu fassen, Ficker 1, 65, 156. Indess mögen,
da die Urkunde in den Beginn des Jahres fällt, die verschiedenen Jahres
daten auch verschiedenen Stufen der Beurkundung entsprechen, vielleicht
sind sie nur auf Ungenauigkeit des nur hier auftretenden Recognoscenten
zurückzuführen.
Sitzungsber. d. phil.-kist. CI. XC1I. Bd. II. Hft. 20
394
Mü hlbaclie r.
Jahre 884, die beiden letzteren dem Jahre 885 zu. Karl konnte
884 April 22 in Reichenau sein, 885 um diese Zeit ist ein
Aufenthalt in dieser Gegend keineswegs anzunehmen. 1 Eine
andere Urkunde ist datirt XVI kal. maii a. inc. 886 ind. V
a. regni X imperii VIII. Actum Potoma palacio, eine weitere
vom selben Tage und mit demselben Actum a. inc. 886 a.
regni X imperii VIIIA A. regni X, Epoche von 876, fällt mit
dem Incarnationsjahr zusammen; a. imperii VIII = 888 ist
unmöglich, die einzige thunliche Emendation VII = 887; dieses
Jahr ergibt auch die Indiction. 886 hielt der Kaiser noch
nach Ostern einen Reichstag in Pavia, am 9. Juni urkundet
er ad Sahspali 3 für St. Gallen; 887 aber feiert er Ostern zu
Bodman.
Diese Fälle treten zu bestimmt auf, sie gewähren auch
einer früheren Handlung genügend festen Boden, als dass sie
nur als Versehen oder Ungenauigkeiten bei Seite geschoben
werden könnten. Sie sind zudem nicht so selten und fast
durchwegs durch Originale beglaubigt. Sie lassen sich wohl
nur durch Annahme nichteinheitlicher Datirung erklären.
Eine auffallende Datirungseigenthümlichkeit liefert noch
die Urkunde für die Salvatorcapelle in Frankfurt. 4 Das Diplom
ist in dreifacher Originalausfertigung erhalten. Die beiden
Originale in Frankfurt tragen die Datirung IV non. dec. a. inc.
882 ind. XV a. imperii II— sämmtliche Jahresdaten ergeben also
882 — Actum Franconofurt, jenes in Paris 5 dagegen IV non.
dec. a. inc. 881 ind. XIV a. imperii I : sie sind demnach sämmtlich
um eine Einheit niedriger und ergeben das Jahr 881. Der
1 nr. 115 von 885 April 15 mit Actum Potoma fügt sich, wie an anderer
Stelle bemerkt, nicht ins Itinerar.
2 Orig. nr. 102, 163, beide nach der Beurkundung datirt, Picker, Urkun
denlehre 1, 141.
3 nr. 137; Sashach, Bez. Breisach.
4 nr. 67. Kirchner, Gesell, der Stadt Frankfurt a. M. 1, 613, gibt aus einer
Copie s. XIV a. inc. 882 ind. XV; die gleichen Daten bei Gudenus,
C. d. 1, 2. Das Pariser Original, früher zu St. Maximin in Trier, erwähnt
Hontheim, H. Trev. 1, 219 g.
5 Cod. lat. 9264, M. G. Abschrift von K. Pertz. Die Varianten desselben,
von Böhmer als C bezeichnet, auch Böhmer, C. d. Francof. 7,
Anm. 37—39.
Die Urkunden Karls ITT.
395
Vorlage kann diese Datirung nicht entnommen sein; 1 ist
bei mehrfacher Beurkundung derselben Handlung Verschieden
heit der Datirung auch nichts Ungewöhnliches, 2 so muss sie
doch in diesem Falle um so mehr befremden, als die Hand
lung nur 882 möglich ist; 881 December 2 lebte noch Lud
wig III. Es kann sich also nur um willkürliche Zurüekdatirung
handeln, für die ein Erklärungsgrund fehlt. Alle Originale
tragen dieselbe Recognition.
5.
Vorlage und Concept.
Dass die Reinschrift der Urkunde ohne Vorlage gefertigt
wurde, ist an sich unwahrscheinlich. 3 Für Bestätigungen bot
sich von selbst die Vorurkunde, deren Text, wurde sie nicht
erweitert, durch geringfügige Aenderungen dem Einzelfall an
zupassen war; auf einen interessanten Beleg hat Sickel hin
gewiesen. 4 Dieser Vorgang findet sich auch in der Kanzlei
Karls III.; die Wiederholung ist gelegentlich eine so wort
getreue, dass die Vorurkunde nicht einmal erwähnt wird und
sich damit die Bestätigung als eigentliche Verleihung gibt. So
ist der Staats vertrag mit Venedig nur wörtliche Reproducti on
des 840 von Lothar I. abgeschlossenen Pactums. 5 Zwei Immuni
täten für St. Gallen, deren eine Karl 877 als König, die andere
883 als Kaiser verlieh, bieten völlig übereinstimmenden Text. 0
Eine Urkunde für St. Julia in Brescia hatte an ihrer Vor
urkunde nur den Namen des Intervenienten zu ändern, 7 wie
drei andere nur den Namen des Empfängers. 8 Das Diplom
1 B. 892; hier lautet sie: XV lcal. dec. a. inc. 880 ind. XIII a. regni V.
Actum Franconofurt.
2 Ficker, Urkundenlelire 1, 128 vgl. 302; 2, 399.
3 Ib. 2, 24; über Nachbildung der Diplome Sickel, Urkundenlehre 128.
4 Urkuiidenlehre 130 vgl. Ficker 2, 29.
5 nr. 20; B. 556.
0 nr. 6, 69, vgl. Sickel, Kaiserurk. 15.
7 nr. 31, Vorurk. B. 876, Cod. Langob, 477 von 879 Juli 8; Karls Diplom
von 880 December 29.
8 nr. 59 für Gorze, Vorurk. B. 855; nr. 64, Vorurk. Ludwigs des Frommen
Sickel, Acta L 202, Wilmans 22; nr. 175 für Paderborn, Vorurk. Diplom
26*
396
Mülilbachor.
für die Salvatorcapelle in Frankfurt ist ausser an sich un
wesentlichen Aenderungen im Formular genau nach B. 892
geschrieben; 1 führt sich dieses und noch eine andere Urkunde 2
auch als Bestätigung ein, so war eine Aenderung im Texte
um so weniger geboten, als beide gleich ihrer Vorlage sich
auf das praeceptuni genitoris nostri berufen konnten. Eine
Urkunde für Cremona bietet gegenüber ihrer Vorlage 3 ausser
einem Zusatz nur kleine Abweichungen in der Pön- und Cor-
roborationsformel, eine Urkunde für Heerse zeigt nur eine
Einschiebung im Texte. 1 Dass in diesen Fällen die Vorurkunde
einfach copirt wurde, unterliegt kaum einem Zweifel.
Dasselbe ist anzunehmen, wenn die Berufung auf die
Vorurkunde nur ganz unbedeutende Aenderungen in der Nar-
ratio erheischt, wie in der Immunitätsbestätigung für Fulda 5
oder in Besitzbestätigungen für Reggio 6 und Granfelden. 7
Schliessen sich dagegen bedeutendere Zusätze und Erweite
rungen an. so wird man theils ergänzende Aufzeichnungen,
theils wenn es sich um eine eigentliche Umarbeitung handelt,
ein vollständiges Concept voraussetzen dürfen. So ist eine
Urkunde für Reichenau von 887 im ersten Theile Wieder
holung einer früheren von 878; 8 daran aber fügen sich neu
concipirte Verleihungen. Die Besitzbestätigung für Venedig
Ludwigs III. von 881 Juni 5, Wilmans 188, das wieder auf B. 793
beruht.
1 nr. 67 ohne Arenga mit anderer Promulgations- und theilweise ver
schiedener Corroborationsformel.
2 nr. 175.
3 nr. 94, Vorurk. B. 1792 von Karl dem Kahlen, Cod. Langob. 507, liier
irrig Karl III. zugeschrieben. Vorlage für B. 1792 ist B. 627, für dieses
B. 574; ähnlich das Verhältniss der Urkunden für Reggio nr. 16, 82,
Vorurk. Ludwig II. 871 September 8, Tiraboschi, Modena l b , 46 =
Cod. Langob. 429.
4 nr. 176, Vorurk. B. 831, Wilmans 171.
5 nr. 102, Vorurk. B. 886, Dronke 280.
0 nr. 83, Vorurk. B. 645. Ebenso nr. 116 für Parma, Vorurk. B. 874
diese interpolirt.
7 nr. 111, Vorurk. B. 708 von Lothar II., in der Urkunde Karls daher
irrig praeceptum Hlotharii imperatovis.
8 nr. 162, nr. 7; ähnlich nr. 125 für St. Evre bei Toul, Vorlage B. 1762.
Die Urkunden Karls III.
397
gibt theilweise wörtlich die Vorurkunde, 1 theilweise ist sie selb
ständige Erweiterung.' 2 Dasselbe Verhältnis zeigt eine Urkunde
für St. Germain in Auxerre, 3 ein ähnliches ein Diplom für
St. Gallen.- 1
Diese engen Wechselbeziehungen treten indess nicht nur
zwischen Bestätigungen und ihren Vorurkunden auf, sondern
auch in zeitlich oder inhaltlich einander nahe stehenden Diplo
men, theils für denselben, theils für verschiedene Empfänger,
welche gegenseitig als Vorlage dienen; 5 lag das eine Stück,
weil der Partei noch nicht ausgefolgt, in der Kanzlei, so
mochte ein anderes zur Bestätigung oder als Rechtstitel ein
gereicht worden sein. So wird eine Urkunde für St. Felix
und Regula in Zürich von 878 für eine andere desselben In
halts von 879,° eine Restitution für Langres von 885 für eine
weitere von 887, 7 ein Diplom für St. Benigne in Dijon für ein
anderes für St. Stephan in Dijon vom selben Tage, 8 eine Im
munität mit Besitzbestätigung von 886 August 22 für St. Mar
tin in Tours für eine Urkunde desselben Inhalts für St. Mau
rice in Tours vom 29. October des gleichen Jahres 9 als Vor
lage benützt; die 882 auf dem Reichstag von Ravenna an
Verona, Cremona, Bergamo, Arezzo, Brugnato verliehenen Privi
legien bieten denselben Wortlaut. 10
Ist dagegen die Umarbeitung der genannten Vorurkunden
eine vollständige, tritt das neue Diplom in selbständiger Stili-
sirung auf, so muss an ein Concept gedacht werden. So sprechen
1 nr. 81, Vorurk. B. 639 aus B. 572. Den vollständigen Text von B. 639,
wovon bisher nur Regesten bekannt sind, kenne ich nur aus einer Ab
schrift des Cod. Trevis. in M. G.
2 Vgl. B. 1273, Forel, Regeste in Mem. et doc. de la Suisse Rom. 19, 547.
3 nr. 146, Vornrk. B. 1868, Quantin, Cart. de l’Yonne 1, 109. Vgl. Urk.
für St. Martin in Tours nr. 141 mit B. 1S38, 1701.
1 nr. 166 vgl. B. 834, 836, Wartmann, U. B. von St. Gallen 2, 182, 183.
5 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 1, 330, Sickel, Kaiserurk. 77.
6 nr. 9, 12, das gleiche Verhältniss zwischen nr. 75, 77 für Regensburg.
1 nr. 131, 157.
8 nr. 118, 119.
s nr. 141, 147 vgl. nr. 167.
10 nr. 52—56. Die Fassung indess keine originelle; Formel wie Sache ge
hören Ludwig II. an. Campi, Piacenza 1, 460 nr. 12.
398
Mühlbache r.
Urkunden für Lorsch, Trier, St. Maur de Fosses 1 nur von den
praecepta antecessorum nostrorum, zeigen aber eine eigenartige
Formulirung, welche bestimmt nicht auf frühere Verleihungen
zurückführt; unter gleichen Verhältnissen beruft sich ein
Diplom für St. Gallen auf Schenkungen aus früherer Zeit, 2 ein
anderes für St. Felix und Regula auf Vorurkunden Ludwigs
des Deutschen, 3 ein weiteres für Prüm noch auf die anderer
Vorgänger;- 1 zwei Diplome für M. Theodata in Pavia zeigen
gegenüber der doch benützten Vorurkunde selbständige
Fassung. 5
Für die Urkunden selbständiger Fassung, namentlich
von bedeutenderem Umfang oder detaillirten Angaben wird
man nach Ficker Concepte annehmen müssen. 6 In derartigen
Fällen ist eine Reinschrift ohne genaue Vorlage kaum denkbar;
1 nr. 72, 107 (vgl. Urk. Lothars I. Beyer 1, 77), m\ 150; dasselbe gilt
von der Verleihung der freien Abtwahl für Murbacli nr. 4, deren hier
genannte Vorurkunden sämmtlich verloren sind.
2 nr. 96 vgl. nr. 11, 14; aus dieser nur die Arenga.
3 nr. 73; B. 769, 805 mit ganz verschiedener Stilisirung.
1 nr. 105; die Immunität Ludwigs des Deutschen wiederholt dagegen noch
die Urkunde Ludwigs des Frommen L 240,
5 nr. 47, 48, beide mit gleicher Publications- und Corroborationsformel,
vgl. Urk. Ludwigs II. von 871 April 14, Cod. Langob. 323 (irrig zu
856); diese selbst ist eine förmliche Musterkarte, in ihr sind erwähnt
B. 554, 537, 569 und Urk. von 834 Juni 25, Cod. Langob. 214. —
Selbständige Fassung auch in nr. 80, die Vorurkunde nur sachlich be
nützt in nr. 23, Vorurk. B. 674.
6 Die Frage, welcher Schreibstoff für die Concepte benützt worden sei, ob
Wachstafeln oder das theure Pergament, scheint mir an sich neben
sächlich. Die Wahrscheinlichkeit spricht für Wachstafeln, welche
damals für Aufzeichnungen des täglichen Gebrauches und für Concepte
überhaupt benützt wurden, Wattenbach, Schriftwesen • 2, A. 56. Ich er
innere noch an die bekannten Verse Theodulfs über den Kanzler Ercan-
bold, Bouquet 5, 409:
Non Ercambaldi sollers praesentia desit,
Cuius fidam armat bina tabella manum,
Pendula quae lateri manuum cito membra revisat
Verbaque suscipiat, quae sine voce canat.
Durch die Kanzleitaxen, an denen es auch damals sicher nicht
gefehlt, konnten auch die Kosten für allfalsiges Pergament zu Concepten
gedeckt werden.
Die Urkunden Karls III.
399
die Besonderheit des Einzelfalles forderte aber eine Vor
schreibung, ein Concept. So wenn Restitutionsurkunden von
vorhergehenden Verhandlungen sprechen und ein sehr eingehen
des topographisches Material geben, 1 Schenkungen die Nor
manneneinfälle erwähnen 2 oder wenn ganz specielle Verhält
nisse geordnet, specielle Begünstigungen ertheilt werden. 3
Als besonderes Kennzeichen, dass ein Concept benützt
wurde, betont Ficker Zusätze an unpassender Stelle und weist
speciell auf die beiden Ausfertigungen von nr. 41 (B. 929) hin. 4
Solche Nachtragungen finden sich auch in anderen Urkunden
Karls III. In dem Original für St. Maximin in Trier 3 mit
ganz selbständiger Fassung findet sich nach der Corrobora-
tionsformel der Zusatz: Insuper vero concessimus b. Maximino
quandam piscinam quae est sub ipso ponte in civitate Treveris,
ebenso an gleicher Stelle in der nur abschriftlich überlieferten
Urkunde für Lüttich: 6 Mancipia insuper illa utriusque sexus
quae in Tongvis ac Leodio residere ac manere noscuntur, de quo-
cunque nostro fisco sint aut ex dominicato aut ex beneßciato> uni-
versa eidem ecclesiae perpetualiter habenda atque tenenda sicuti
et alia suprascripta concedentes adicimus et confirmamus. In
einer nur im Churer Chartular erhaltenen Urkunde ist zwischen
Pön und Corroboration der Satz eingeschoben: ceteras quoque
res in Elesatia positas praedicto episeopo Liutwardo contulimus
per nostrae auctoritatis praeceptum perpetualiter possidendasd Es
1 nr. 126.
2 lir. 66, 60.
3 nr. 87 für Piacenza, 100 für Andlau, 15-4 für Passau, 165 für Korvei,
91 für Autprand, 177 vgl. 172 für Adalbert, 173 für Hermingard, 8, 45
für Ricligarda.
4 Urkundenlehre 2, 48, 49; über andere Nachtragungen der Strafformel,
Wiener Sitzungsber. 85, 489 A. 1.
5 nr. 135, Cod. lat. 9264 der Pariser Bibliothek, M. G. Ob der Zusatz
von derselben oder anderer Hand geschrieben ist, ist in der Abschrift
von K. Pertz nicht bemerkt; die Copie im Balduineum und der daraus
stammende Druck Beyer 1, 130 ziemlich genau.
0 nr. 109. Die Diplome des Chartulars sind von einer Hand s. XII ex.
geschrieben, während die übrigen Theile desselben jüngeren Ursprungs
sind, Neues Archiv 2, 275.
7 nr. 32. Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass dieser Satz, dessen
Fassung selbst auf Nachtragung weist, sich schon im Original an dieser
Stelle fand.
«A <t&if m. isL .***» .
fl
400 Mühlbacher.
ist wenigstens nicht unwahrscheinlich, dass diese Zusätze ur
sprünglich im Concepte am unteren Rande nachgetragen worden
waren und dadurch, dass der Reinschreiber die Verweisungs
zeichen übersah, im Original an unpassender Stelle zu stehen
kamen; 1 sind sie aber ganz zu Ende des Textes nach der
Corroborationsformel eingetragen, so mochten sie wohl auch
erst dem Original beigefügt worden sein.
Das Concept dürfte sich auf den Text beschränkt haben; 2
selbst hier ist eine Ausführung der Formeln bis ins Detail
nicht wahrscheinlich. Das Protokoll ist allem Anscheine nach
vom Concepte unabhängig, während es nicht selten durch die
Vorurkunde beeinflusst wird. 3
Auch dem Concipisten muss sachliches Material für seine
Arbeit Vorgelegen sein. Dies wenn in einer Besitzbestätigung
für Honau 43, in einer anderen für St. Seine fast ebensoviele
Namen genannt, 1 wenn in einer Schenkung und Restitution für
Vercelli eine Reihe von Orten aufgezählt 5 oder an Oetting der
Wenn in nr. 89 nach der ersten Pönformel im Texte noch eine
weitere Verleihung mit Concedimus insziper folgt, so kann dieser Fall
nicht herangezogen werden, da hier Interpolationen vorliegen. Eine eigen
artige Formulirung, welche aus dem Drucke bei Muratori, Ant. 2, 47,
nicht zu erkennen ist, zeigt auch das Original nr. 85. An den ersten
Theil einer Corroborationsformel schliesst sich der Satz an videlicet ea rationv
ut nullus arcliiepiscopus dux . . . violare praesumat, dann folgt die Pön
und die eigentliche Corroboration.
1 Von Verweisungszeichen ist in allen Fällen, welche auf ein Original
zurückgehen, in den Abschriften der M. G. nichts bemerkt.
2 Ficker, Urkundenlehre 2, 47, Sickel, Beitr. VI, Wiener Sitzungsber.
85, 420.
3 Ficker 1, 325. So ist in nr. 59, 175 der Titel divina favente gratia, in
nr. 16 das Eingangsprotokoll aus den Vorurkunden B. 855, Wilmans 188,
Tiraboschi, Modena l b , 46, entlehnt.
4 nr. 106, 142, Vorurkunde nicht nachweisbar; ähnlich nr. 124 für Lyon.
5 nr. 57. Auf diese Restitution bezieht sich eine Aufschreibung in Uncial
des 9. Jahrhunderts auf der inneren Seite des Vorsetzblattes des Cod.
nr. 15 in der Capitelbibliothek zu Vercelli, deren Mittheilung ich Herrn
Prof. Ficker verdanke:
Haec tibi rex Karolus sanctissimo reddo tenenda,
Dedimus curtein regiam infra Urbem
Et curtes duas in castello Victimozensi,
Sazutiolam et Pitrorium.
Die Urkunden Karls III.
401
Neunte (nonae) von 19 genannten Höfen vergabt wird. 1 Ausser
etwaigen Vorurkunden mochte es in einzelnen Fällen der Act, 2
öfter die zu bestätigende Privaturkunde gewesen sein; diese
wird auch gelegentlich erwähnt, 3 für Bestätigung von Preca-
rien und Tauschverträgen, welche vollständiges Detail bieten,
lässt sich die Benützung mit Sicherheit voraussetzen. 1 Der
Mangel an Details in anderen Urkunden berechtigt zu dem
Schlüsse, dass die Kanzlei nicht mehr als eine sachliche Notiz von
Seite der Partei, vielleicht nur deren mündliche Aussage zur
Verfügung gehabt habe. 5 Im allgemeinen wird indess die Be
nützung von Privaturkunden viel weniger zur Annahme eines
Conceptes nöthigen; auf diese hatten schon die Formeln aus
giebigen Bezug genommen und so fügten sie sich viel leichter
in das hergebrachte Schema ein.
Dass der Kanzlei auch Formeln und Formulare
Vorgelegen, ist wohl selbstverständlich. Diese machten in
Fällen, wo nur die Namen einzutragen waren, ein Concept
Abbatiam Aronam restituimus,
Curtem Canavam et curtem Cavalli
Et ecclesiam sancti Salvatoris ultra Padum
Dedimus, curtes Romanianam et Firminianam
Dedimus monasterio Laucediensi, curtem Quadrodolam dedimus.
Curtem in Audiniaco et in Colubiano cum adiacentiis earum dedimus.
Die Urkunde nach Caccianottio, Summarium monum. omnium quae
in tabul. munic. Vercell. continentur 1, auch erhalten in Cod. Bissoni, ge
schrieben 1337—1345, im Stadtarchiv zu Vercelli; die M. P. Chart. 1, 64
drucken aus einer Copie von 1340 im Capitelarchiv. Keine Vorurkunde,
erwähnt in St. 1190.
1 nr. 130.
2 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 1, 340. Einen solchen möchte ich für nr. 70,
Tausch des Kaisers mit St. Gallen, annehmen, ebenso für Schenkungen,
deren topographisches Detail Aufzeichnung fordert, wie nr. 113, 117, 138.
3 Obtulit precariam cuiusdam fidelis. nr. 158.
4 nr. 75, 77, 144.
5 So heisst es in nr. 63 nur Wido comes suggessit quandam precariam fac-
tam inter se et . . Otbertum de rebus s. Mariae Fabriniacensis quae utrique
parti utilis per omnia videtur und in der Bestätigung ut ipse Otbertus . .
res praedictas . . possideät sub ea dumtaxat conditione quae in pagina
praestariae habetur inserta. In nr. 10 wird die Vorlage der Precarie-
urkunde ausdrücklich erwähnt, aber doch nur von quaedam res ohne
jedes Detail gesprochen.
402
Mühlbacher.
unnöthig. 1 Eine in Karls Kanzlei speciell benützte Sammlung
lässt sich nicht nachweisen; im Ganzen sind die alten Formeln
in Gebrauch. 2
Bei der Besprechung der St. Galler Urkunden bemerkt
Sickel, 3 dass er anzunehmen geneigt sei, die Concepte für die
Immunitätsbestätigungen seien von St. Gallen selbst geliefert
* Am häufigsten mochte dies bei dem einfachsten Urkundenformular, bei
Schenkungen, wie nr. 22, 44, 74, 70, 137, oder Freilassungen statthaben.
2 Sind auch drei Formeln bestimmt mit dem Namen Karls III. ausgestattet,
so liegt doch keine Urkunde dieses Herrschers zu Grunde. Roziere nr. 61
ist, wie früher bemerkt, Ueberarbeitung von ß. 816, nr. 150 eines Diploms
Ludwigs des Frommen L 107, Wartmann, U. B. von St. Gallen
1, 217; nr. 301 mit dem Titel TT. ex dei constitutione et antiquorum regum
propagßtione rex Alemaniae, der Recognition Ego itaque S. advicem V.
archicapellani, in der Roziere die in ganz verschiedene Zeit fallenden
Namen Segoin und Witgar sehen will, und dem allerdings 886 möglichen
Actum in Rotwila ist in ganz ungewöhnlichen und unkanzleimässigen
Formeln abgefasst und nur Stilübung oder sie geht höchstens auf eine
Privaturkunde zurück; nr. 568 mit dem Titel K — in der Münchner und
Wiener Handschrift aber Hl. — divina ordinante clementia fusst ebenso
wenig auf einem echten Diplom.
Aus der Wiener Handschrift des Codex Udalrici veröffentlichte
Gretser, Opp. 10, 694 nr. 6 (Nachdruck in Ludewig, SS. Bamberg. 1,
862 nr. 6) = Mager, De advoc. arm. 417, eine Formel mit der Sigle C,
welche Hund-Gewold 1, 246 (ed. Rat. 164) in Carolus auflöste und
Karl III. zuschrieb; dieselbe Auflösung bei Eecard, Corp. hist. 2, 38;
Bouquet 9, 468 nahm sie trotz der Namen Tuto von Regensberg und
St. Emmeram für Karl den Einfältigen in Anspruch; bei Lünig, Reichs
archiv 17, 822, findet sie sicli zu Karl III., 18, 645 zu Karlmann vgl.
Lazius, Migrat. 248 und 18, 648 zu Konrad I. Die Formel beruht auf der
Urkunde Konrads I. B. 1251, Boehmer, Acta Conr. 23 nr. 20 vgl. Jaffe,
Bibi. 5, 8; mit dem richtigen Namen Chuonradus in Goldast, Constit.
1, 210. Dagegen sind drei andere Urkunden Karls III., einst im Archiv
der Capelle in Regensburg, welche durch die Vergabung derselben an
Bamberg (St. 1517) unter Heinrich II. dahin gekommen waren, im Codex
Udalrici unter theilweiser Belassung der Namen und der Datirung zu
Formeln verarbeitet, nr. 74, 110, 129, Eceard 2, 36 nr. 19, 20, 37 nr. 21,
auch Gretser, Opp. 10, 693 nr. 2—4 --- Ludewig 1, 860 nr. 2—4 vgl.
Jaffe, Bibi. 5, 7; Reg. ex or. Bamberg, bei Heyberger, Ichnogr. Bamberg.
82, 83; nr. 74, auch im Bamberger Chartular f. 81. Ausser diesen Ur
kunden ist für den Cod. Udalr. noch eine St. Emmerainer Urkunde nr. 75,
Eccard 2, 103 nr. 115, benützt und zur Formel umgearbeitet.
3 Kaiserurk. 15 vgl. Ficker 1, 285.
Die Urkunden Karls III.
403
worden, so lange — und dies war gerade aucli unter Karl III.
der Fall — ,engere Beziehungen zwischen der Kanzlei und
dem Kloster bestanden*. Der volle Nachweis wird sich selten
erbringen lassen; eine Urkunde konnte auch in der Kanzlei
frei concipirt werden, der Begriff der Kanzleigemässheit ist ein
dehnbarer. Aber es bleibt immerhin auffallend, dass in Ur
kunden für dieselbe Partei aus verschiedener Zeit, welche in
keinem inneren Zusammenhang stehen, sich bedeutendere For
meln oder anderweitig nicht zur Geltung gebrachte Bestimmun
gen wiederholt finden. 1
Noch ein Umstand dürfte zu beachten sein. Wenn es
etwa in einer Urkunde für St. Gallen 2 heisst de curte, de cam-
pos et decimas, de iuclios nostros, so mag das nur Schuld
des italienischen Schreibers sein. In viel bedeutenderem Masse
tritt die italienische Eigenart in einer anderen Urkunde 3 zu
Tage; hier ist sie schon ein wesentlicher Bestandtheil der
selben.
Eine ähnliche Erscheinung macht sich seit 885 geltend;
seit dieser Zeit dringen theilweise westfränkische Concept-
formen ein. Als besonders hervortretender Beleg mag indess
eine Schenkung 1 dienen, welche ganz die besonders unter Karl
dem Kahlen eingebürgerte Formulirung dieser Urkundengattung
zur Schau trägt. 5 Dieses Auftreten fremder Formen und
1 So in Urkunden für Langres nr. 131, 156, 157 dieselbe Arenga und
Publicationsformel, wie schon unter Karl dem Kahlen, Perard 48; mit
Ausnahme eines einzigen Falles — Urkunde für Fulda nr. 134 —■ nur
in Diplomen für Langres die Bestimmung Karls dies consecrationis zu
feiern nr. 131, 148, 157; die Urkunde Karls des Kahlen erst in nr. 156
beniitzt.
2 Orig. nr. 62. Die meisten Italianismen zeigt das Orig. nr. 160 für St. Julia
in Brescia; doch sie finden sich auch anderweitig, wie in den Orig. nr. 21
liorta fuerit, nr. 47 sintque cunctas res . . defensae, nr. 98, siimmtlich für
Italien.
3 Orig. nr. 40.
4 nr. 145, geschrieben nach Rozibre nr. 143.
5 Vgl. B. 1534, 1542, 1546, 1577, 1583, 1584, 1593, 1595, 1612—1614,
1631, 1653 vgl. 1679, 1681 und 1689; 1721, 1754, 1756, 1768, 1802
vgl. 1826, Forschungen 9, 430, Ragut, Gart, de St. Vincent de
Mäcon 47. Ganz vereinzelt findet sieh dieses Formular in den ersten
Jahren Ludwigs des Deutschen M. B. 31, 66, B. 733, um seit 836
404 Mühlbache r.
Formeln mag zunächst nur den Beweis liefern, dass auch Männer
fremder Nationalität aus den neu erworbenen Reichen in die
Kanzlei aufgenommen und als Dictatoren verwendet wurden;
es zeigt aber auch, wie vielerlei Schwankungen das Formel
wesen unterworfen war und wie diese Einwirkungen sich nicht
auf das Protokoll beschränkten, sondern auch auf den Text
sich erstreckten.
H H
Das Protokoll.
Das Protokoll behauptet dem Texte gegenüber eine ge
wisse Unabhängigkeit und zeigt für äussere Einflüsse, nament
lich auch von Seite der Kanzleileitung die grössere Empfäng
lichkeit. 1 Dazu kommt, dass das Eingangsprotokoll öfter eine
andere Hand aufweist als die Schrift des Textes, 2 dass es also
voraus gefertigt wurde; in das Concept dürfte es nicht auf
genommen worden sein. 3
Von Grimald war 833 in der Kanzlei Ludwigs des
Deutschen die Invocation In nomine sanctae et individuae
trinitatis eingebürgert worden. 4 Sie wird 840 auch in der
Kanzlei Karls des Kahlen heimisch, während jene Ludwigs II.
sich der Invocation Lothars I. In nomine domini nostri Jesu
Christi dei aeterni, jene Lothars II. der Form ln nomine omni-
potentis dei et salvatoris nostri Jesu Christi bedient.
Für die Söhne Ludwigs des Deutschen blieb die in dessen
Kanzlei eingebürgerte Formel massgebend. In den Diplomen
Ludwigs III. und Karlmanns ist ausschliesslich die Invocation
gänzlich zu verschwinden. Unter Lothar I. und seinen Söhnen ist es
nie in Gebrauch, wie es in Italien überhaupt nie verwendet wird. Wenn
es wieder unter Karl III. auftritt, so kann es nur der westfränkischen
Kanzlei entlehnt sein.
1 Stumpf, Reichskanzler, Einl. 74, Sickel, Urkuudenlehre 210.
2 Ficker, Urkundenlehre 2, 112, Sickel, Kaiserurk. 6.
2 Ficker 2, 118.
4 Zuerst in Orig. B. 728, Wartmann, U. B. von St. Gallen 1, 318. Eine
Zusammenstellung der Invocationen unter den Karolingern, Stumpf,
Reichskanzler, Einl. 82.
Die Urkunden Karls III.
405
In nomine sanctae et individuae trinitatis in Gebrauch. Sie ist
auch für die Urkunden Karls III. feste Regel. Doch fehlt es
hier nicht an Ausnahmen. Die unter Lothar II. übliche In-
vocation findet sich nur in einer einzigen Urkunde für Loth
ringen, 1 jene Lothars I. und Ludwigs II. in zwei Originalen,
das eine für Italien, das zweite für Lothringen, 2 sämmtlich
ohne Vorlage. Häufiger tritt die unter Ludwig dem Stammler
und dem westfränkischen Karlmann 3 eingeführte Formel auf
In nomine dei aeterni et salvatoris nostri Jesu Christi, 1 hier
tlieils bestimmt, theils wahrscheinlich aus einer Vorlage stam
mend. Wie die Invocation, so weicht auch in all’ diesen Fällen
die Titelformel von der gewöhnlichen Weise ab. 5
1 nr. 132 aus dem Stabloer Chart., Schenkung; an eine Privatperson.
2 nr. 85, Schenkung an einen Priester Johann, nr. 63 Precariebestätigung.
3 Eine ganz ähnliche Formel in drei Diplomen Karls des Kahlen, die ein
zigen Abweichungen dieser Kanzlei In nomine domini et salvatoris nostri
Jesu Christi, B. 1550, 1551, undatirte Urk. bei Bouquet 8, 485 vgl.
Tardif 95 nr. 140, Copien.
4 nr. 120, 124, 149, 167, in den beiden letzten Fällen bestimmt aus der
Vorlage; sämmtlich für Westfrancien. Eine Variante, In nomine domini
dei aeterni et salvatoris nostri Jesu Christi, im Orig. nr. 150, Copie 16,
hier wahrscheinlich aus der italienischen Form verderbt.
5 Vom Chrismon, das in der Kegel nur mehr am Eingang der Urkunde
auftritt, liegen mir nur Nachzeichnungen von IC Pertz, flüchtigere von
Jafie im alten Apparat der M. G. vor. Schon Stumpf, Wirzb. Immun.
1, 21 betont, dass bis 953 das Hebarhardische Chrismon massgebend
blieb und erwähnt als Belege für Karl III. B. 944, 950, 976 (nr. 61, 08,
106 Facsim. bei Schöpflin). Am reinsten ist das Hebarhardische Chris
mon in den beiden von Hebarhard recognoscirten Originalausfertigungen
von nr. 41. Besonders charakteristisch durch die Füllung des C und
die Verzierung des an der Spitze sich theilenden Oberbalkens ist das
Chrismon in den von Inquirin unterfertigten Urkunden; als Füllsel wird
öfters ein 8 verwendet; diese Form, von unwesentlichen Abweichungen
abgesehen, in nr. 14, 22, 62, 96, 103, 162, 163. Waldo — nr. 61, 67—69,
70, 74—77, 97, 101 — und Amalbert — nr. 129,137, 172 —führen gleichfalls,
aber mit verschiedener Füllung des C das Hebarhardische Chrismon,
welches sich auch in nr. 11, Recogn. Ernust, findet. Die ältere
Karolingische Form findet sich noch in nr. 4, 6, Recogn. Liutward, nr. 7
Recogn. Ernust, nr. 115 Recogn. Salomon, nr. 160. Recogn. Angelulf;
hier nach Jafie auch ein Chrismon vor der Signumzeiie. Wie Stumpf an
anderer Stelle, Wirzb. Immun. 2, 14, bemerkt, gebraucht ein und der
selbe Recognosc.ent verschiedene Chrismen; verschieden ist dasselbe auch
von den übrigen Urkunden mit dem Namen Inquirins in nr. 3, 15, doch
406
Mühlbach er.
Seit 833 ist der ständige Titel Ludwigs des Deutschen
divina favente gratia fex; 1 eine häufiger auftretende Variante,
welche namentlich der ßecognoscent Hadebert mit Vorliebe
gebraucht, ist divina favente clementia. 2 Dieses Verhältniss setzt
sich unter Ludwig III. und Karlmann fort; die letztere Formel
wird für jenen nur ganz vereinzelt, 3 etwas öfter für diesen
gebraucht. 4 Anders in der Kanzlei Karls III. Hier ist die
Formel divina favente clementia rex, nach der Kaiserkrönung’
imperator augustus feste Regel, 5 Ausnahme nur mehr die Formel
divina favente gratia, welche, theils eine)' Vorurkunde entlehnt
ist, 0 theils nur in Urkunden für Baiern auftritt. 7
Neben diesen Formeln der deutschen Kanzlei finden sich
aber auch solche fremdländischer Herkunft. So seit 880 öfters
die für Lothar 1. 8 und theilweise für Ludwig II. 9 gebrauchte
nur Beleg für Unabhängigkeit des Chrismons vom Recognoscenten. Kein
Chrismon trägt das von Liutward recognoscirte Orig. nr. 2; doppeltes
Chrismon nach IC. Pertz in nr. 157, nach Arndt in nr. 158, 159, sämmt-
lieh für Langres, das zweite im letzten Falle vor der Recognition, in
den beiden anderen Fällen vor der Signumzeile.
1 Stumpf, Reichskanzler, Einl. 85 vgl. 79 A. 80.
2 Orig. B. 779, 780—785, 811, 814, 826, Wirtemberg. U. B. 1, 149,
Copien B. 770 (entschieden echt), 773.
3 Hodenherg, Verdener GQ 2, 15 Orig., B. 884 Copie, Wilmans 517 Copie.
4 Orig. B. 862, 873, 875 (in Brescia), 878, den Copien B. 860 (s. XV in
Parma), 870; verderbt in M. B. 31, 101 Copie.
5 Mit folgenden Varianten:
opitulante divina clementia Orig. nr. 85.
divina pvopiliante clementia Copien nr. 120, 149.
ordinante. divina clementia Copie nr. 167.
divina praeveniente clementia Copie nr. 132.
divina largiente clementia Copie nr. 142.
Die Formel divina praeveniente clementia, hier in einer Urkunde
für Lothringen, aus der Kanzlei Lothars II., divina largiente clementia
schon ganz vereinzelt unter Ludwig dem Deutschen, B. 722 Orig.
0 nr. 59, 175, Vorurk. B. 855, Wilmans 188, die wieder auf B. 793
zurückgeht.
7 nr. 74 Orig., 153 Copie, 154 Orig. — sämmtlicli von Bischof Egilmar
von Passau erwirkt — 61 Orig.; die Variante divina largiente gratia in
nr. 79 Copie.
8 Seit 833, Wiener Sitzungsber. 85, 480; sie stammt aus der Kanzlei Lud
wigs des Frommen.
0 Vgl. Stumpf, Reichskanzler, Einl. 84; doch tritt diese Formel, von den
Diplomen, welche sie der Voi’urkunde entlehnten, Cod. Langob. 317,
Die Urkunden Karls III.
407
Formel divina ordinante providentia, vorwiegend in Urkunden
für Italien. 1 Zwei andere Formeln sind der westfränkiscken
Kanzlei entnommen; aus dem Königstitel Karls des Kahlen 2 ist
die Formel gratia dei, 3 aus dessen Kaisertitel 4 die Formel eius-
dem dei omnipotentis misericordia entlehnt; 5 diese Formeln,
grösstentheils aus Vorurkunden stammend, kommen indess nur
in Diplomen für Westfrancien in Gebrauch.
Während das Mandat für St. Antonin in Piacenza 6 die
hier eigenartige Formel dei gratia Imperator augustus bietet,
beruht die vereinfachte Titulatur in einem anderen Original
Karolus Imperator augustus zweifelsohne auf einem Versehen. 7
B. 648, 651, 661, abgesehen, schon seit 867 mit Gauginus auf. B. 668,
Muratori, Ant. 6, 343, B. 659 (zu 869).
1 nr. 16 (34), 39, 86, für Lothringen nr. 63 Orig., 66, 124, für Deutsch
land nr. 44 Orig., für Westfrancien nr. 150 Orig.; Vorurkunden nur
nachweisbar für nr. 16, 39, wahrscheinlich für nr. 124.
2 Karolus gratia dei rex. Für die ziemlich häufig auftretende Leseart dei
gratia weiss ich indess nur ein sicheres Original anzuführen, B. 1589,
Tardif 99 vgl. B. 1617 und Tardif 103 nr. 161.
3 Seit 885, nr. 128, 140, 146, 152 (dei gratia) Copien, nr. 145 Orig-., nur
dieses ohne Vorurkunde.
4 Nur in Briefen, Bouquet 7, 549 und Copien B. 1799 vgl. 1819, Bouquet
8, 655 noch gratia dei Imperator augustus.
5 Seit 886, nr. 141, 144, 147, 168 sämmtlich Copien, nur nr. 144 ohne
Vorurkunde.
0 nr. 43, ebenso in der Fälschung nr. 18. Es ist der gewöhnliche Titel
Ludwigs II.
1 nr. 75. Ich erwähne noch, dass Eberhard von Fulda,.dem es Bediirf-
niss gewesen zu sein scheint jede Urkunde zu verunechten oder wenig
stens zu verstümmeln, für nr. 101 den Titel rex Francorum et Longo-
bardorum et patricius Romanorum liefert.
Nicht ohne Interesse ist es den Königstitel in den italienischen
Privaturkunden zu verfolgen. Datiren diese vielfach auch nur regnante
domno nostro N. rege oder etwa viro excellentissimo, so ist doch der offi-
cielle Titel der Diplome sichtbar nicht ohne Einfluss geblieben. So
namentlich unter Karl dom Grossen. Luccaer Urkunden datiren seit 774
Carulo rege Francorum et Langubardorum, Mein, di Lucca 5 b , 87 f., seit
785 vereinzelt, seit 796 ständig mit dem Zusatz ac patricio Romanorum
a. a. 0. 5 b , 116, 148; seit 801 immer: Carolus Serenissimus augustus a
deo coronatus magnus pacißcus Imperator Romanum gubernans Imperium qui
et per misericordiam dei rex Francorum et Langobardorum anno regni
eins . . 4 b , 5 f., 5 b , 173 f., öfters abgekürzt —• die vollständigen Titel
also der Diplome, Sickel, Urkundenlehre 257, 263. Der Kaisertitel Karls
408
Mühlbacher.
Eine Scheidung dieser wechselnden Formen nach Re-
cognoscenten ist in keiner Weise durchzuführen. Der Titel steht
allem Anscheine nach ausserhalb des Dictats, das Schwanken
ist also zunächst Sache des Schreibers.
Noch bedeutenderen Schwankungen als der Titel ist die
königliche Unterschrift unterworfen. 1 Sie lautet in der
Königszeit überwiegend Signum — Monogramm —■ Karoli Sere
nissimi regis. 2 Neben dieser älteren Form 3 findet sich auch
wird theilweise für Ludwig den Frommen Eludomcus Serenissimus
augustus a deo coronatus magnus et pacificus Imperator fortgeführt, Mein,
di Lucca 4 b , 19 f., 5 h , 237 f. vgl. Fattesclii 288, Cod. Langob. 179;
seit Lothar Milregent geworden; datirt man Kdudoivicus et Hlutharius
divina ordinante providentia imperatoribus, Cod. Langob. 183—241, Tira-
boschi, Nonantula 2, 47, 48, Affö, Parma l b , 282, Fatteschi 293, gleich
den Diplomen, Sickel 282. Dieselbe Formel divina ordinante providentia
wird unter Lothar I. — hier entsprechend dem Kanzleititel, Wiener
Sitznngsb. 85, 480, 491 — und Ludwig II., in dessen Diplomen dieser
aber erst seit 86G heimisch wird (Gloria) C. d. Padovano 28, P>. 661 f.,
weiter gebraucht, Cod. Langob. 249 f., Tiraboschi, Nonantula 2, 53, Affö,
Parma l b , 285, für Ludwig II. Cod. Langob. 329 f., Affö, Parma l b ,
286; aber auch der vor 866 in der Kanzlei Ludwigs II. ständige Titel
gralia dei imp. aug., wie der Zusatz d. Hlotharii filius finden sich Cod.
Langob. 316, 332, 338. Die Formel divina ordinante providentia erlangt
nun eine gewisse Stetigkeit, sie wird für Karl den Kahlen, Cod. Langob.
447, wie für Karlmann a. a. 0. 482 und Karl III., Cod. Langob. 526,
531, 548 u. ö., Affö, Parma l b , 304 gebraucht. Daneben erbt sich die
aus Ludwigs II. stammende Formel gratia dei fort, so auch noch für
Karl III., Cod. Langob. 513, 514. Die Individualität ist aber nicht abge
streift; der in Karls Kanzlei ständige Titel divina favente clementia imp.
aug. auch Mem. di Lucca ö b , 546, Cod. Langob. 557, Tiraboschi, Nonan
tula 2, 61, 62, Muratori, Ant. 3, 1037 (Pisa); er findet sich gewisser-
massen als Charakteristicum auch in italienischen Königskatalogen, M. G.
SS. Langob. 512, 513. Die Luccaer Urkunden kürzen wie schon unter
früheren Herrschern Karolus ec.
1 Ich stütze mich bei den Zusammenstellungen für diese nur auf Originale,
und zwar um sicherer zu gehen, auf die Abschriften der M. G.
2 Orig. nr. 4, 6, 7, 9, 11, 12, 21, 25, 26, 31, im Orig. nr. 22 die Variante
piissimi.
3 Stumpf, Reichskanzler, Einl. 103, 105; Serenissimi imperatoris augusti für
Ludwig II. ist indess sichergestellt durch zwei ungedruckte Originale
für Montamiata, B. 666, 667, beide Orig, in Parma, Serenissimi imperatoris
durch B. 640, Orig, in Brescia, 678—'680 und ein weiteres Original in
Die Urkunden Karls III.
409
das neuere domnus eingeschaltet, Signum — M — domni Karoli
serenissimi regis; dies erst seit dem ersten Zuge nach Italien. 1
Die ältere Form, wenn auch schon in der Minderzahl,
behauptet sich auch noch in der Kaiserzeit. So heisst es Signum
— M — Karoli serenissimi imperatoris, 2 statt imperatoris etwa
auch augusti 3 oder beide Titel verbunden, wie Signum Karoli
serenissimi ■— M — imperatoris augusti. 4 Eine weitere Bereiche
rung tritt seit 885 auf mit Signum — M — Karoli gloriosissimi
et serenissimi semper augusti, 5
Nicht mindere Schwankungen weist die andere Form mit
dem Zusatz domnus auf. Von dem einfachen Signum — M —
domni Karoli imperatoris 0 oder Signum — M — domni Karoli Sere
nissimi imperatoris 7 erweitert sie sich zu Signum domni Karoli
— M — imperatoris augusti 8 und dem am häufigsten auftreten
den Signum domni Karoli serenissimi imperatoris augusti, 9
Parma, Poggiali 2,355. Für Karlmann zuerst Signum — M — domni Karlo-
manni serenissimi regis Orig. B. 858. 860, dann in der Regel Signum —
M — K. invictissimi regis Orig. B. 863, 866 — 868, 873, 876, mit dem
Zusatz domni Orig. B. 875, 877.
1 Orig. 14, 15, 23, nach Drucken aus dem Orig, noch nr. 13, 18, 29, 30.
2 Orig. nr. 40, 58, 85, 88; in den Orig. nr. 63, 172 steht das Monogramm
hinter Karoli, in nr. 150 hinter serenissimi.
3 Orig. nr. 110, 115, gloriosissimi semper augusti in Orig nr. 148.
4 Orig. nr. 145; zu dieser Form steuern die Orig. nr. 158, 159 die Va
riante piissimi, das Orig. nr. 138 gloriosissimi bei; in den beiden letzteren
steht das Monogramm hinter Signum, im ersten hinter Karoli.
5 Orig. nr. 117, 118, 156, hier fehlt wohl aus Raumrücksichten das Wort
semper. Im Orig. nr. 157 Signum Karoli — M — gloriosissimi et serenis
simi imperatoris augusti.
6 Orig. nr. 47, 48.
7 Orig. nr. 41, 61, 67, 68, 103, 134, in den Orig. nr. 67, 68 das Mono
gramm hinter Karoli, im Orig. nr. 102 hinter domni.
8 Orig. nr. 69, 73, 97, in den Orig. nr. 173, 174 das Monogramm hinter
Signum.
9 ln zwanzig Originalen, in deren einen Hälfte das Monogramm hinter
Signum, in der anderen hinter Karoli steht. Dazu die Varianten Signum
domni — M — serenissimi Karoli imperatoris augusti Orig. nr. 137,
Signum — M — domni Karoli serenissimi augusti nr. 75, vereinzelt die
Prädicate piissimi, gloriosissimi.
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 27
f
410
Mühlbacher.
Die königliche Unterschrift fehlt in einer Precariebestä-
tigung' und in einer Schenkung, 2 Urkundenarten, welche sonst
immer mit der Signumzeile ausgestattet sind. Dagegen ent
spricht es dem gewöhnlichen Brauche, wenn diese einem Mund
briefe 3 oder Freilassungsurkunden- 1 nicht beigefügt wird. In
all’ diesen Fällen ist das Handmal auch in der Corroborations-
formel nicht angekündigt. 5 Daneben aber, gibt es vereinzelte
Fälle, dass das Handmal in der Corroboration nicht angekündigt,
die Signumzeile aber doch beigefügt wird. 6 Spricht dies
einerseits für die Unabhängigkeit von Text und Protokoll, so
dürfte dieser auch anderweitig nachweisbare Umstand bei der
Frage über Vorausfertigung und Nachtragung der Signumzeile
in Betracht kommen.
Die Stellung des Monogramms ist keine gleichmässige;
es steht etwa eben so oft hinter Signum als hinter dem Namen
Karoli, hier wie dort mit formeller Berechtigung. Vereinzelt
findet es sich aber auch im Texte der Formel nach Serenis
simi oder domnij Hier liegt der Gedanke nahe, dass es voraus
gefertigt worden sei. 8
Die Behandlung der Signumzeile ist also eine ganz will
kürliche und es ist nicht möglich dafür feste Gesetze aufzu
stellen; die Schwankungen müssen wohl auch auf die Schreiber
1 Orig. nr. 10.
2 Orig. nr. 76.
3 nr. 79.
4 nr. 5, 168.
5 Die Ankündigung des Handmals und die Signumzeile fehlen auch in
nr. 133, Bestätigung freier Bischofswahl, nur in Copie erhalten-, hat das
Fehlen der Signumzeile in einer Copie auch nichts zu besagen, so ist
es doch unwahrscheinlich, dass der Copist zugleich die Corroborations-
formel verstümmelte.
6 Orig. nr. 21 Mundbrief, Orig. nr. 106, Copie 111 Besitzbestätigung, Copie 27
Schenkungsbestätigung, hier, weil richtig, kaum vom Copisten erfunden.
Unter den Urkunden Karls trägt Orig. nr. 166 die später ein
getragene Signumzeile K. Arnolfs, die Stabloer Chartulare für nr. 66
auch jene Zwentibolds, die sich wahrscheinlichst nach Analogie einer
anderen Stabloer Urkunde schon im Original fand, vgl. Ficker, Urkun
denlehre 1, 280.
7 Orig. nr. 145, 150-, 137.
8 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 2, 146.
Die Urkunden Karls III.
411
zurückgeführt werden. Vielfach mögen räumliche Gründe die
Formulirung beeinflusst haben und bei der bestimmten Stellung
der Signumzeile und Recognition mag auch die Breite des
Pergamentes für kürzere oder längere Fassung der Formel
massgebend gewesen sein.
Das Monogramm zeigt die alte Form, wie sie schon
unter Karl dem Grossen festgestellt worden war; einen Unter
schied weist nur der Vollziehungsstrich auf; während unter
Karl dem Grossen der eine Schaft spitz ausläuft, 1 fehlt hier
diese Verlängerung und er bildet so ein v. 2
Der Titel im Eingang der Urkunde stimmt durchgehends
mit jenem der Signumzeile. Ausser der schon berührten Ur
kunde für Otpert, welche indess nur abschriftlich überliefert
ist, 3 bildet nur das Diplom für Pfävers mit dem Titel Karolus
divina favente. clementia rex und der Unterschrift Signum domni
Karoli — M —• serenissimi imperatoris augusti eine Ausnahme. 4
Auf einen weiteren Fall hat Ficker 5 aufmerksam gemacht,
doch dieses Stück muss unter die Fälschungen eingereiht
werden.
1 Aehnlich einem y; bekannt ist das Missverständnis Mabillons, der dies
als ja (ya) deutete, Sickel, Beitr. 1, Wiener Sitzungsb. 35, 340.
2 Abbildungen des Monogramms im Mnsee des arch. nat. 45 von nr. 150,
den bei Stumpf, Reichskanzler, Einl. 70 angeführten Facsimile, Erhard,
Reg. Westph. 1, tab. III, nr. 5, Schafen, Ann. Paderb. 1, 198. Die vier
zehn Abbildungen in Muratoris Antiquitates beschränken sich auf zwei
Typen, als deren Muster Ant. 3, 27, 69 gelten können; sie entbehren
also jeder Individualität.
Im alten Apparat der M. G. finden sich über den Vollziehungs
strich kaum die dürftigsten Notizen; so bemerkt etwa IC. Pertz zu
nr. 135: ,Der Kaiser hat den Querstrich durch das Monogramm gemacht 1
oder ein Anderer zu nr. 175: ,Das v im Monogramm scheint Autograph 1 .
Wahrscheinlich ist in diesen Fällen Verschiedenheit der Tinte bemerk
bar. Ebensowenig sind äussere Merkmale erwähnt, welche für die von
Ficker angeregten Fragen über Vorausfertigung oder Nachtragung der
Signumzeile oder des Handmals Belege liefern könnten. Unter den Mün
chener Orig, zeigen nur nr. 68, 77 Verschiedenheit der Tinte im Voll
ziehungsstrich, keinen Unterschied aber nr. 61, 74, 75 — hier indess das
ganze Monogramm von dunklerer Tinte — 110, 154.
3 nr. 136. Titel Karolus divina favente clementia rex, Signumzeile Signum
domni Karoli serenissimi imperatoris.
4 nr. 3.
5 Urkundenlehre 2, 153.
27*
412
Mülil ba’ch er.
Die Recognition trägt die sclion stereotyp gewordene
Formel N. notarius (cancellarius) ad vicem N. arcliicancellarii
(arcliicapellani) recognovi et (3. R.). Daneben findet sich, wie
bemerkt, häufig recognovit. Eine Abweichung bietet nur ein
von Amalbert recognoscirtes Original 1 mit relegi. Das Re-
cognitionszeichen scheint noch ganz überwiegend individuellen
Charakter getragen zu haben. 2 In einem Original 3 fehlt
es ganz.
Eine auffallende Eigenthümlichkeit zeigen noch zwei Ori
ginale. Wenn in dem einen 4 die Recognition lautet Liutwar-
dus cancellarius (S. R.) et recognovi, in dem anderen 5 Liut-
wardus cancellarius (S. R.) ad vicem Witgarii archicappellani
recognovi, so ist der Grund zweifelsohne darin zu suchen, dass
die Urkunden schon vor Ausfertigung der Recognition ge
siegelt wurden und diese daher dem Siegel ausweichen musste; 6
in beiden ist das Siegel unmittelbar neben dem Recognitions-
zeichen aufgedrückt; wahrscheinlich wurde aber auch dieses
vorausgefertigt. 7
1 nr. 150; scripsit in Copie nr. 171 offenbar verderbt.
2 Nach den flüchtigen Nachzeichnungen, welche sich im alten Monumenten
apparat hie und da finden, ist das Recognitionszeichen gleich in den von
Inquirin recognoscirten Urkunden nr. 14, 62, 96, 131 — die gewöhnliche
Form desselben zweimal nebeneinander gestellt, also ein doppeltes, in
sich verbundenes Recognitionszeichen, in dem das Füllsel der unteren
Etage des einen dem in der oberen Etage des anderen gleich ist
und umgekehrt — wesentlich verschieden in nr. 15, 135; ausser diesem
ist auch das Chrismon vollständig gleich in nr. 69, 70. In der Regel
wird aber nur bemerkt, dass das Recognitionszeichen keine tironischen
Noten enthalte; es würde dies dem schon unter Ludwig dem Deutschen
auftretenden Verschwinden desselben entsprechen vgl. Sickel, Beitr. II,
Wiener Sitzungsber. 39, 116. Die Recognition mit bedeutend kürzerer
Schrift mehr nach unten gerückt in den Münchener Orig. nr. 61, 75.
3 nr. 11, Recogn. Ernust.
4 nr. 4 nach Abschrift von K. Pertz.
5 nr. 6; nur diese beiden Originale tragen Liutwards Recognition, nr. 2
ist Copie.
G Ficker, Urkundenlehre 2, 193.
7 Auch in diesem Punkte ist das Monumentenmaterial sehr dürftig. Nur
Arndt liefert zu nr. 117 eine interessante Notiz: ,Zuerst — wohl Text
sammt Signumszeile — dunkle schwarze Tinte, dann Amalbertus — Junii
und der Rest der Subscription von etwas braunerer Tinte; der Schluss
der Datirungszeile ist mehr die Bücherschrift 1 . Damit ist also eine
Die Urkunden Karls III.
413
Die Datirungszeile unterscheidet sich dadurch wesent
lich von der Form der übrigen Kanzleien, dass ihr in den
ersten Jahren Karls III. das Actum mit der Ortsangabe und
die Apprecation fehlt. Sie lautet regelmässig Data (Tages
datum) anno incarnationis domini nostri Jesu Christi . . indic-
tione . . anno vero regni regis Karoli . . Seit Ende 879 beginnt
die einfachere Form anno incarnationis domini zu überwiegen. 1
Nach dem Antritt der Herrschaft in Italien scheiden sich die
Regierungsjahre in anno regni in Francia . . in Italia . . Zu
dem Königstitel kommen häufig Prädicate wie piissimi, Sere
nissimi, vereinzelt auch das ungewöhnliche supradicti. 2
Nach der Kaiserkrönung treten bis Mitte des Jahres 882
die Kaiserjahre an den Platz der Königsjahre. Die Stellung
der Jahresdaten bleibt dieselbe. 3 Die Formel lautet in der
Regel anno vero imperii domni Karoli 4 oder anno vero imperii
piissimi imperatoris KaroliJ
Grösseren Schwankungen ist die' Formel nach dem Regie
rungsbeginn in Ostfrancien unterworfen. Die von Waldo und
Ainalbei't gefertigten Urkunden führen überwiegend noch die
letztgenannte Formel, öfters auch ohne das Prädicat piissimi, 6
Nachtragung der Recognition, Ficker 2, 150, gegeben, welche zugleich
den Tag der Datirungszeile umfasste. Im Orig. nr. 22 steht et mit dem
Recognitionszeichen oberhalb des letzten Buchstaben von recognovit, doch
nur um mehr Raum zu gewinnen.
1 Orig. nr. 14 f.; ab incarnatione in nr. 29, wie schon früher einmal
in nr. 13.
2 Orig. nr. 7, Copie nr. 8, 2, in dieser mit dem Prädicat gloriosissimi; domni
nur in nr. 30, im Orig. nr. 6 anno vero regis Karoli I. regni illius.
3 Nur in den Orig. nr. 41, 48, Copie nr. 36 steht die Indiction zu Ende;
später auch im Orig. nr. 61, in Copien nr. 113, 116, 124.
4 domni fehlt in den Orig. nr. 48, 50, den Copien nr. 45, 51, 56. Im Orig,
nr. 58 der Zusatz in Italia, in drei Copien Serenissimi imperatoris.
5 Und zwar nur in den von Waldo recognoscirten Urkunden nr. 38, 47,
48, 50, 51, 56, 59, 60 und 45, diese ohne Recognition.
6 Orig. nr. 64, 67 — 70, 73, 74, 76, 77, 97, Copien nr. 60, 65, 66, 75, 86, 88,
109, mit domni nur Copie 72, Recogn. Waldo, nr. 83, 84, Recogn.
Amalbert. Als Ausnahme ist es zu betrachten, wenn eine von Waldo
recognoscirte Urkunde Orig. nr. 92 datirt anno vero imperii domni Ka
roli in Italia . . et in Francia . . — die Formel Inquirins, der auch
nr. 91 vom selben Tage recognoscirt — oder Orig. nr. 61 anno vero
augustali domni Karoli in Italia . . in Francia.
414
Mü hlbacli er.
II
dagegen jene mit der Recognition Inquirins anno vero imperii
domni Karoli in Italia . . in Francia — mit der Epoche von
882 1 — jene Segoins anno vero regni domni Karoli augusti —
— Epoche von 876 — imperii autem . . 2 Eine an die italie
nischen Privaturkunden erinnernde Eigenthümlichkeit bietet
noch eines der beiden von Liutfred gezeichneten Originale 3
anno imperii hie in Italia . . ind. . .
Mit dem Regierungsantritt in Westfrancien macht sich ein
neues Variiren der Datirungsformel bemerkbar, jedoch unab
hängig von der westfränkischen Kanzlei. Der annus incar-
nationis domini — dies die gewöhnliche Form 4 — bleibt auch
jetzt immer an erster, die Indiction an zweiter Stelle; die
Schwankungen berühren nur die Formel für die Regierungs
jahre. Während die wenigen Urkunden mit der Recognition
Salomons sich keiner festen Formel einfügen, 5 datiren die von
Inquirin gefertigten anno vero regni domni Karoli . . imperii
autem.*' Die grösste Mannigfaltigkeit zeigen die Urkunde mit
1 Orig. nr. 62, 96, 98, Copie nr. 80,81, 89, 93, abweichend im Orig*, nr. 103
anno vero regni domni Karoli — Epoche von 876 — imperii autem . .
Nqr nach Kaiserjahren datiren nr. 82, 91, 116. Die Datirungsformel der
Fälschungen nr. 71, 78, beide mit Inquirins Recognition, anno vero d.
Karoli regni . . imperii autem . . deckt sich mit jener in nr. 103.
2 nr. 99, 105, 108, 111, Orig. nr. 110 mit der Variante imperatoris; ver
stümmelt in nr. 101, 102, 107. Abweichend in Orig. nr. 106 anno vero
regni domni Karoli . . imperii autem eius . . Das von Salomon recognos-
cirte Orig. nr. 115 bietet ebenfalls die Formel Segoins.
3 nr. 85.
4 Selten mit dem Zusatz domini nostri Jesu Christi Orig. nr. 63, 85, Copie
nr. 123, 133, der erst von Amalbert mit Vorliebe gebraucht wird, Orig,
nr. 117, 118, 138, 148, 156 — 159, Copie nr. 119. Die Variante anno ab incar-
natione ziemlich häufig; anno dominicae incarnationis zunächst in Copien
nr. 64, 66, 79, 136, 142, seit 887 häufiger Orig. nr. 154, 172, 175, Copien
nr. 161, 167, 168, 176, 179; anno domini im Orig. nr. 150. Diese letz
teren Formen knüpfen sich nicht an bestimmte Namen.
5 Anno vero regni domni Karoli piissimi imperatoris . . imperii eius . .
Orig. nr. 134, Copie nr. 133; anno vero regni domni Karoli imperatoris . .
imperii autem . . Copie nr. 120, 121 — also auch hier die grösste Aehn-
lichkeit mit der Formel Segoins. Abweichend in Copie nr. 123 Jn orien-
tali Francia.
6 Orig. nr. 131, 135, 162, 163, 166, Copie 122. Nach älterem Muster in
nr. 125 ex autogr., 126 ex arch, anno Christo propitio domni Karoli ser.
Die Urkunden Karls III.
415
der Recognition Amalberts, dessen Hauptthätigkeit dieser
Epoche angehört. Lautet die Formel anfangs anno imperii
domni Karoli imperatoris in Italia regnantis . . in orientali
Francia . . in Gallia . 1 so überwiegt später die Fassung anno
imperii imperatoris Karoli in Italia . . in Francia . . in Gallia . .; 2
daneben findet sieh noch das einfache anno imperii 3 oder das
eigenartige anno vero regni Karoli piissimi imperatoris . . im-
peratoriae vero dignitatis in Italia . . in Francia . . in Gallia . . 4
Ein weiteres Schwanken zeigt die kurze Zeit, in der
Liutbert der Kanzlei Vorstand; doch dieses lässt Amalberts
Datirungsweise unberührt. Haben zwei von diesem recognos-
cirte Urkunden die Formel anno vero Karoli serenissimi im
peratoris in Italia . . in Francia . . in Gallia . . , 5 so zwei
Diplome mit der Recognition Fredebolds anno regni eius . .
imperii antem . . 6 Ganz abnorm ist die Formel in dem Orig,
nr. 177 Actum in villa quae dicitur Weibilinga praesentibus plu-
ribus principibus nostris anno incarnationis domini nostri Jesu
Christi . . imperii vero nostri . .
imp. aug., die erste Urkunde ohne Inearnationsjahr, das der zweiten
wahrscheinlich später am Schlüsse angefügt; ähnlich die von Amalbert
recognoscirte Urkunde nr. 124.
Obige Formel in den Orig. nr. 160, Recogn. Angelulf, 165, Recogn.
Liutfred.
1 Orig. nr. 117, 118 (ohne clomni), Copie nr. 119, Orig. nr. 148, 157. Das
Particip regnante in den Königsdiplomen Karls des Kahlen; die Parti-
cipialform anno vero domni Karoli imperatoris in Gallia imperantis im
Orig. nr. 159, imperante Karolo in Copie nr. 124, 128, 149.
2 nr. 137, 141, 143 — 145, 147, 151, 167; in orientali Francia in Orig,
nr. 156, 157, Copie nr. 169, mit domni nr. 138 —140, 148, 156, domni et
serenissimi Orig. nr. 157, Copie nr. 119, piissimi in Copien nr. 130, 140,
146, 161, durch anno qiioque eingeleitet in Orig. nr. 157, Copie nr. 119.
3 Orig. nr. 150, mit dem Zusatz in Gallia Orig. nr. 158, beide nach der
Epoche von 885, ähnlich in den Copien nr. 168, 170 nach der Epoche der
Kaiserkrönung; imperii piissimi imperatoris Karoli in Orig. nr. 154,
Copie nr. 153.
4 Orig. nr. 129 vgl. Copie nr. 152; Ausser nr. 124 das ältere Formular
mit Christo propitio auch in Copie nr. 132.
5 Orig. nr. 175, Copie nr. 176; das Orig. nr. 172 datirt nur anno imperii
piissimi imperatoris Karoli . .
G Orig. nr. 173, 174.
416
M ü h 1 b a c h e r.
Auf eine Interpolation Eberhards von Fulda Data per
manum Liutwardi 1 hat bereits Ficker aufmerksam gemacht. 2
Wie in der Datirungsweise und speciell in der Verwen
dung der Epochen, so lässt sich auch in der Datirungsformel
trotz vielfachen Schwankens bestimmt ausgeprägte Individua
lität nachweisen, welche sich an den Namen des Recognospenten
knüpft. 3
Das Actum mit der Ortsangabe tritt regelmässig erst seit
880 auf. Der Ortsname steht gewöhnlich im Ablativ oder
Genitiv, gelegentlich aber auch im Accusativ; 3 dazu kommt
ziemlich häufig die Präposition ad, 5 seltener in. 6 Die Schrei
bung des Namens ist wie auch anderweitig keine consequente, 7
neben den deutschen Formen finden sich auch die lateinischen; 8
die adjectivisirte Form des Namens ist indess selten, 3 öfters
1 nr. 102. Die Datirungszeile des Originals vveggeschnitten. Eberhard gibt
die Datirung II id. man anno IV regni K. invictiss. regia. Mag diese
auch verderbt, unter dem Regierungsjahr das Kaiserjahr zu verstehen
sein und die Urkunde zu 883 bestimmt gehören, so scheinen mir
die Daten doch zu wenig beglaubigt. Ich reihe dies Diplom an die
andere Urkunde für Fulda, deren Datirung doch besser überliefert zu
sein scheint.
2 Urkundenlehre 2, 222.
3 Ueber die äusseren Merkmale der Datirungszeile, Schrift, Nachtragungen
oder Rasuren bietet das Monumentenmaterial fast keinen Aufschluss;
ausser der bei Besprechung der Recognition erwähnten Stelle bemerkt
Arndt nur noch zu nr. 158: ,Die Zeile Datum von einer zierlicheren
Hand und dunkleren Tinte*. In keinem der Münchener Orig. Nachtragung
chronologischer Daten; in nr. 75, 77 die Datirung von derselben Hand,
verschieden von jener des Textes.
4 Orig. nr. 49, 91, 92, 166, Copie nr. 93, dazu noch Wormatiam civitate Orig,
nr. 135, mit Ausnahme von nr. 92 mit der Recognition Waldos, aber
Inquirins Datirungsformel sämmtlich von Inquirin recognoscirt.
5 Auch diese gelegentlich mit dem Ablativ, so ad Lustinawa cuvte regali
Orig. nr. 175, Copie nr. 176, ad JJlma cuvte imperiali Orig. nr. 73 oder
auch hier nur die Apposition im Ablativ ad Weibilingam curte imperiali
Orig. nr. 129.
6 apud nur in den Copien nr. 120, 121.
7 So Reganespurc, Regenesburg, Regenespurc Orig. nr. 74—77, Recogn. Waldo.
8 Radesbone Orig. nr. 110, Copie nr. 111. Die deutsche Form wieder im Orig,
nr. 154, Copien nr. 153, 155. Ueberwiegend Papia, doch auch Ticino
Copien nr. 36, 37.
9 Regense civitate, Veronensi in civitate, Ticinensipalacio Copien nr. 32, 79,116.
Die Urkunden Karls III.
417
wird der Ortname mit einem Prädicat ausgestattet, 1 nur aus
nahmsweise mit einer geographischen Bestimmung. 2 Gelegent
lich ist jener einem Relativsätze eingefügt. 3
Die Apprecation wird im unmittelbaren Anschluss an die
chronologischen Daten, vereinzelt auch schon vor der Auf
nahme des Actums beigefügt.' 1 Sie nimmt die übliche Stelle
am Ende der Datirungszeile ein 5 und lautet regelmässig in dei
nomine feliciter amen oder auch abgekürzt in dei nomine amen,
in dei nomine 6 oder nur feliciter amen, feliciter ; 7 887 tritt noch
die Variante in Christi nomine feliciter amen hinzu. 8 Diese Ab
weichungen vorwiegend in Urkunden, welche die Recognition
Amalberts tragen.
1 Als civitas werden bezeichnet Pavia — im Orig. nr. 41 als civitas regia
— Mailand, Verona, Piacenza, Reggio, Siena, Ravenna — in nr. 20 das
offenbar gleichbedeutende urbs — Regensburg, Worms, Metz, Toul, Paris,
als palatium regale (imperiale) Pavia nr. 16, 36 — 38, 116, Olonna nr. 40,
Bodman nr. 45, 46, 162, 163, Frankfurt nr. 132—134, Regensburg Copie
nr. 155, ? Achen nr. 34, 177, Schlettstadt nr. 156—159, Ponthion nr. 123,
Attigny nr. 139, 140, Quierzy nr. 142, als curtes regales (imperiales) Mur-
gula nr. 88, 91 — 93, Frankfurt nr. 67, Kolmar nr. 68, Ulm nr. 73, Waib
lingen nr. 129, Kirchen nr. 166, Lustenau nr. 173—176, als villae Waib
lingen, Mindersdorf, Kolmar, Etrepy — villa publica in nr. 125, 126 —
als monasterium Nonantula, Reichenau, Lorsch. Aber auch diese Be
zeichnungen sind nicht consequent; so heisst Frankfurt theils Pfalz, theils
Königshof, Waiblingen Königshof und Villa.
2 In Alamannia in Rotunwila Orig. nr. 160.
3 ln villa quae dicitur Muneresdorf Orig. nr. 69, ad monasterium quod
nunewpatur Nonantula Copie nr. 86, in villa quae JRotwila vocatur Copie
nr. 161 vgl. Orig. nr. 131, 177.
4 Orig. nr. 14, 15, 17, 19, 23, Copie nr. 27, ebenso noch später bei fehlen
dem Actum in Orig. nr. 44, 62, 85.
5 Sie fehlt in Orig. nr. 63, 177.
6 Orig. nr. 150; 117, Copien nr. 105, 109; 124; in dei nomine feliciter
Orig. nr. 118, Copie nr. 119.
7 Orig. nr. 148, 156—159; 40, Copien nr. 139, 155; 128, 140, 170.
8 Orig. nr. 175, Copie nr. 176 vgl. Copie nr. 66.
418
Mühlbacher.
7.
Die Formeln des Textes.
Ob dem Diplom eine Ar eng a voranzustellen sei oder
nicht, dafür scheint es an festen Normen gefehlt zu haben,
mag auch als Regel gelten, dass die wichtigeren Urkunden mit
diesem Schmuckstück ausgestattet wurden. 1 Den Diplomen
Karls III., namentlich jenen der letzten Zeit wird ziemlich oft
eine Arenga vorangestellt; sie fehlt nur einem Viertel der
selben. Doch lässt sich auch hier keine bestimmte Regel er
kennen; bald sind Urkunden derselben Gattung mit einer
Arenga versehen, bald nicht, 2 und dann fehlt sie auch wieder
eigentlichen Privilegien. 3
Die Arengen, vielfach Vorurkunden entnommen, schliessen
sich, wenn auch theilweise in überarbeiteter Form, den alten
Mustern an. Wie in den uns erhaltenen Formeln ist der Vor
rath kein bedeutender, es wiederholt sich immer derselbe Ge
danke in verschiedenen Variationen. 4 Auch in den Urkunden
1 Sickel, Urkundenlehre 167. Indess sind auch die Formeln nicht ganz
consequent; so fehlt die Arenga bei Schenkung und Tauschbestätigung
Roziere nr. 140 vgl. 138 f.; nr. 285 vgl. 299, 317 f.; sie fehlt immer
bei Mundbriefen, Freilassungen, Gerichtsurkunden, Roziere nr. 12, 59,
446; die Zollbriefe reihen sich unter die Mandate ein. Am freigebigsten
mit Arengen ist die Kanzlei Karls des Kahlen; das Fehlen derselben ist
seltene Ausnahme.
2 So Schenkungen an Private mit Arenga nr. 8, 40, 45, 85, 88, 99 u. ö.,
ohne Arenga nr. 2, 15, 22, 41, 44, 91, 113, 114 vgl. 27, 76, 109, Schen
kungen an Genossenschaften mit Arenga nr. 11, 14, 36, 37, 60 u. ö.,
ohne Arenga nr. 26, 30, 86, 100, Besitzbestätigungen mit Arenga nr. 9,
17, 38, 82, 107, 116 u. ö., ohne Arenga nr. 29, 49, 61, 67, 83, 111,
Besitzbestätigungen für Private mit Arenga nr. 173, 174, ohne Arenga
nr. 25, 58, 79, 143, Precariebestätigung mit Arenga nr. 63, 77, 158, ohne
Arenga nr. 10. Von den beiden Ausfertigungen von nr. 41 hat die eine
eine Arenga, die andere nicht.
3 So Immunität mit Besitzbestätigung ohne Arenga nr. 13, 23, 47, 92, In
quisitionsverleihung mit freier Wahl nr. 48, andere Privilegien nr. 72,
73, 133, 160.
4 Vgl. Roziere nr. 17, 24, 32, 570-21, 146, 565—19, 299—18,22, 157—23,
152, 153, 144, 569—36, 155, 156.
Die Urkunden Karls III.
419
Karls III. Ueberall begegnen dieselben Anklänge, hier ist es
der Vordersatz, dort der Nachsatz, welcher sich mit einer
Formel deckt; 1 diese wird gelegentlich auch durch einen ein
geschobenen Satz dem Einzelfall angepasst 2 oder die Arenga
wird mit specieller Bezugnahme auf die Einzelurkunde frei
concipirt. 3 So bilden sich neue Fassungen, welche sich hie
und da in ungewöhnliche Formen kleiden. 4 Andererseits weist
das Uebereinstimmen in Urkunden verschiedener Jahre und
für verschiedene Personen auf bestimmte Formulare hin. 5 Auch
1 Vgl. nr. 17, 40, 88, 112, 159, 172 mif Roziere nr. 569, 144, nr. 68, 74,
108, 151, 176 mit Roziere nr. 24, nr. 11, 14, 63 mit Roziere nr. 23,
nr. 118, 119, 131, 156 mit Roziere nr. 19, nr. 105, 142, 153, 154 mit
Roziere nr. 21, nr. 9, 40 mit Roziere nr. 565. Daher auch die Aehn-
lichkeit der Arengen unter einander, so nr. 68 = 74 mit nr. 108, oder
nr. 115, 130, 134, 166.
2 So nr. 60: Si erga loca divino cultui mancipcita maxime tarnen quae ab
infestatione paganorum diruta esse noscuntur.
3 In einer Schenkung für Karls Gemahlin Richgarda: Si de rebus terrenis
a deo nobis collatis ßdelibus nostris regium morem aemulantes beneßcia
oportuna largimur, quanto magis conivgali familiaritate nobis coniunctae
munificentiam largitionis nostrae et solicitae provisionis curam impendere
debemus, nr. 8; ähnlich nr. 173, 174 Besitzbestätigungen für Ludwigs II.
Witwe Angilberga und deren Tochter Hermingard; derartige Arengen auch
in anderen Kanzleien bei Verleihungen an Familienglieder vgl. B. 601,
610, 654, 664, 666, 667, Muratori, Ant. 6, 343, B. 626, 1400. Frei con
cipirt die Arenga in nr. 135 für St. Maximin in Trier: Oportet igitur
nos . . augustali cura vigilare, ut destructa quaeque monasteria et a propriis
incuria deviata privilegiis nostris studiis ubicumque poterimus ad pristinum
statum reformentur.
4 Vgl. nr. 4, 85, 95, 103, 106, 140, 170. So die Arenga in nr. 50: Solet
imperialis maiestas praedecessorum regum vel imperatorum decreta opti-
matum suorum intuitu diligentev scratari et ea quae congrua sunt libenter
sectari sicque ßit ut, dum eorum dignas sanctiones recolit } et rempublicam
ad pristinum statmm perducat ecclesiasticam et eam conservando sempiternae
remunerationis bravium a rege regum percipiat.. Die Arenga von nr. 93
beginnt: Gum apud internum iudicem calix aqaae frigidae ipsius amore
indigenti collatus a mercede non sit vacuus evangelica tuba teste . eine
Schriftstelle ist auch verwerthet in dem Satz der Arenga von nr. 36 :
. . quia si ecclesias omnipotentis dei temporalibus donamus muneribus,
thesaurum non deßcientem nobis procul dubio thesaurizamus in coelis quod
non consumat aerugo nec fures effodiant nee furari possint.
5 So in den Schenkungen für Dodo, Jakob und Otbert von 885, 886, 887,
nr. 117, 138, 159, Arenga und Corroboration gleich; das Formular
420 Mühlbacher.
hier macht sich fremdländischer Einfluss geltend; wie die ita
lienischen Urkunden schwülstigere Manier zeigen, so trägt eine
Schenkung 1 eine nur in der westfränkischen Kanzlei in Ge
brauch gebliebene Arenga, welche den Namen der Beschenkten
in sich aufnimmt.
Die Arengen der verschiedenen Urkundengattungen zeigen
allerdings ein mehr oder weniger bestimmtes Gepräge;
aber ihre Formeln von Gewährung der Bitte, von dem dafür
zu hoffenden Lohn, der Pflicht des Herrschers und der könig
lichen Huld sind in der Regel so allgemein gehalten, dass die
selbe Arenga auch für Diplome verschiedenen Inhalts ver
wendbar bleibt. Am schärfsten kennzeichnen sich indess die
Arengen in Verleihungen für geistliche Genossenschaften und
Privatpersonen. Dies namentlich in Schenkungen. Wird hier
als Grund der Freigebigkeit die Sicherung der Treue betont,
so dort die Erlangung des ewigen Lohnes; 2 regelmässig werden
die h. Orte, die geistliche Würde der Beschenkten erwähnt.
Dieser Unterschied ist auch in der Kanzlei Karls III. ziemlich
regelmässig eingehalten. Doch auch hier lässt sich strenge
Folgerichtigkeit vermissen. Wenn etwa eine Verleihung zu
lebenslänglichem Nutzgenuss die für Schenkungen an Kirchen
übliche Arenga trägt, 3 während eine andere mit jener der
Schenkungen an Private ausgestattet wird, 4 so mag dies un
wesentlich sein, da jenes Gut schliesslich doch der Kirche zu
fallen sollte. Aber auch eine Besitzbestätigung für Parma
zeigt die Arenga der Schenkungsurkunden für Private; 5 die
selbe ist nur wenig erweitert sogar einer Privilegienbestätigung
westfränkisch, vgl. Bouquet 8, 496, B. 1679, 1681, 1689, 1768, 1802,
1813, 1826.
1 nr. 145.
2 Vgl. Roziere nr. 146, 565; 141, 144.
3 Si locis deo dicatis aliquid ex nostra largitate conferimus . . nr. 74.
4 nr. 129.
5 Si ßdelium nostrorum petitionibus pio affectu conmlimus, morem praede-
cessorum nostrorum sequimur et eos alacriores in nostrum reddimus ser-
viciitm. nr. 17, fast gleich Roziere nr. 144; dieselbe Arenga mit unwesent
lichen Varianten in Schenkungen für Privatpersonen nr. 40, 88, 117,
138, 159, 172, aber auch in einer Preeariebestätigung nr. 63.
Die Urkunden Karls III.
421
für Asti vorangestellt. 1 Die Arenga von drei Immunitäten 2
tritt auch in Schenkungen oder Besitzbestätigungen auf, 3 wie die
eines Privilegs für St. Gallen sich nur durch ein paar einge
schobene Worte von jener in Schenkungsurkunden unterscheidet. 4
Die Promulgationsformel, gewöhnlich durch eine
Folgerungspartikel 5 anknüpfend, lautet am häufigsten: Noverit
omnium ßdelium nostrorum praesentium scilicet et futurorum
industria, seltener sollertia, wozu die Variante comperiat für
noverit tritt; 0 erst seit dem ersten italienischen Zuge wird die
Formel durch Einfügung des anderweitig längst üblichen
sanctae dei ecclesiae in ßdelium sanctae dei ecclesiae nost.ro-
rumque erweitert. 7 Daneben findet sich noch notum sit omnibus
(cunctis) fidelibus mit einigen Varianten. 8 Die Promulgations
formel wird in der Regel durch quia oder qualiter, seltener
durch quoniam 9 mit der Narratio verbunden, die sich indess
auch in einer Infinitivconstruction anschliesst. 10 Die Restitution
für Adalbert hat gleich den Mandaten eine Adresse, 11 obgleich
1 nr. 112.
2 nr. 105, 153, 154, es ist die Arenga Roziere nr. 21 für Immunitäts
bestätigung.
3 nr. 108, 142, ganz ähnlich nr. 103, 107, 110; derselbe Nachsatz in den
Besitzbestätigungen nr. 77, 118,119 vgl. nr. 96, und der Precariebestätigung
nr. 75 vgl. Roziere nr. 299.
4 Si loca divino cultui mancipata nostrae auctoritatis potentia tuerimus et
eis aliquod nostrae largitatis emolumentum praebuerimus, id nobis ad
aeternam remunerationem plurimum prodesse confidimus. nr. 166 vgl. die
Schenkungen nr. 74, 130.
5 Igitur, quapropter, ideo, ideoque, itaque, proinde, quocirca, idcirco, auch
qua de re, qua de causa.
6 Auch vereinzelt cognoscat, so cognoscat unanimitas, Universitas oder comperiat
magnitudo.
7 Zuerst nr. 13.
8 Notum esse volumus, notum fieri cupimus industriae. Abweichend im
Orig. nr. 173: Proinde nosse volumus industriam oder Orig. nr. 137: Et
idcirco omnes fideles . . scire volumus. Orig. nr. 50: Universorum . .ßde
lium . . nosse cupimus sagacitatis industriam.
9 Orig. nr. 75, 77, 85 und einige Copien. Die Leseart quod ist durch die
Orig. nr. 62, 87, 156, 165, eo quod oder quomodo aber durch kein Ori
ginal beglaubigt.
10 Orig. nr. 25, 40, 58, 88, 91, 92, 127, 173, sämmtlich für Italien.
11 Omnibus fidelibus nostris in domino Jesu Christo salutem. Orig. nr. 177
vgl. das Mandat nr. 43.
422
Mühl b a c li e r.
es durch Subscriptionen und Datirung sich wesentlich von
dieser Urkundenart unterscheidet. Die Publicationsformel fehlt
in drei nach westfränkischem Formular geschriebenen Schen
kungsurkunden. 1
Hat die Narratio über einen besonderen Fall zu berich
ten, so muss sie eigens stilisirt werden; 2 begründet sie in
Besitzurkunden, wie namentlich bei Restitutionen, den Rechts
titel, so berührt sie bei Privilegien die Verhältnisse, welche
deren Verleihung veranlassten. Als Formel erzählt sie die
Vorlage der zu bestätigenden Urkunden oder die Vorbringung
der Bitte. Für jene heisst es in der alten Weise obtulit —
seltener detulit — obtutibus nostris 3 quaedam praecepta . . in
quibus continebatur . . mit mehr oder minder eingehender In
haltsangabe. 4 In einigen Fällen aus der ersten Zeit umfasst
diese schon den ganzen Umfang der Verleihung, welche in der
unverhältnissmässig kurzen Dispositio dann nur mehr mit Be
rufung auf die Vorurkunden im allgemeinen bestätigt wird. 5
Die gewöhnliche Formel für die Petitio 6 ist deprecatus
est, petiit oder auch adiens (veniens) petiit, seltener postulavit,
innotuit oder ähnliche Ausdrücke. 7
1 Orig. nr. 117, 138, 159.
2 So nr. 32, 50, 52 f., 97, 100, 122, 125, 126, 131=157, 148, 165.
3 Oder etwa celsitudini, serenitati nostrae. Als Titulatur am häufigsten
celsitudo, vereinzelt aucli celsitudo serenitatis (mansuetudinis) nostrae, cul-
minis nostri; selten mansuetudo, clementia, dignitas, sublimitas, excellentia
— serenitas excellentiae nostrae Orig. nr. 131 — maiestas Orig. nr. 26
für Italien, ad nostram se colligens maiestatem Orig. nr. 117, 156, 157,
Copie nr. 118, imperatoria serenitas nostrae maiestatis Copie nr. 167 für
W estfrancien.
4 Ausnahmsweise praeceptum ostensum est, adiens ostendit, adiens obtulit;
statt praecepta auch decreta et statuta Orig. nr. 166. Das Verlesen der
Vorurkunde nur nr. 107 erwähnt.
5 . . ut, sicuti ab eisdeni supra nomin atis antecessoribus nostris . . concessum
est, ita deinceps . . ßrmissima ratione permaneat Orig. nr. 7 = 162, 163;
3, 4, 6, Urkunden aus der Zeit, in der Liutward, von dem zwei dieser
Diplome recognoscirt sind, thätigen Antheil an den Kanzleigeschäften
genommen, vielleicht Liutwards Dictat.
6 Der Ausdruck missa petitione nur nr. 133; Vorbringung der Bitte durch
Gesandte nr. 80, 81, 173, 174.
7 Suggessit, commonuit, flagitabat, insinuavit, retulit, exoravit. Statt adire
in Urkunden für Westfrancien nach der unter Karl dem Kahlen
Die Urkunden Karls III.
423
Diese finden aucli für die Intervenienz Verwendung, so
deprecari, suggeriere, postulare oder das substantivirte ad depre-
cationem, ad suggestionem et postulationem, per petitionem, rogatu.
Seltener wird interventu oder interuenientibus et deprecantibus
gebraucht, 1 wie der Ausdruck intervenire der Kanzlei Ludwigs
des Deutschen und Ludwigs II. überhaupt noch fremd ist.
Die einfachste Form ist die Präposition per, so per manus
Liutwardi . . detulit, per Liutwardum . . adiit, per . . innotuit. 2
Die Gewährung der Bitte bewegt sich in mannigfachen
Formeln, wie postulationibus satisfacere cupientes decrevimus ita
fieri, assensuni dedimus oder consentientes (assensum praebentes)
eingeführten und für diesen charakteristischen Formel ad nostram se
colligens malest,atem oder adiens serenitatis nostrae genua Orig. nr. 158,
Copie nr. 120, 121, culmen serenitatis nostrae nr. 141, 147 (aus der Vorlage).
1 Orig. nr. 74, 88, 93, 117, 138, interventu ac petitione nr. 36; interventu
unter Ludwig II. B. 678.
2 Orig. nr. 31, Copien nr. 37, 116; 89, 127; diese Form auch in der Kanzlei
Ludwigs II.
Intervenienten treten, von nr. 5 abgesehen, erst seit 880 auf, wie
auch in den Urkunden Ludwigs des Deutschen und Karlmanns sehr selten
— B. 747, 784, M. B. 31, 98, Beyer 1, 107; B. 863, 874, 875 — in
jenen Ludwigs III. nie fremde Fürsprecher genannt werdefi. Unter
Karl III. finden sie sich — sicher ein Beleg für die Unselbständigkeit
seiner Regierung — in einer sehr bedeutenden Zahl von Urkunden
und werden dadurch in der deutschen Kanzlei eingebürgert, so dass von
den Diplomen Arnolfs fast die Hälfte mit deren Namen versehen ist, bis
diese Sitte unter Ludwig dem Kind und Konrad I. ihren Höhepunkt
erreicht. In der Regel werden nur einzelne Persönlichkeiten, am öftesten
Liutward genannt; unter diesen interveniren öfters Herren für ihre Va
sallen, Bischöfe für die ihnen untergebenen Klöster, nr. 40, 132, 178
vgl. 5, 168; nr. 65, 176. Vereinzelt heisst es aber auch quorundam
fidelium nostrorum rogatu nr. 21, 44, 136, cum consilio principum nostro-
rum Orig. nr. 148 vgl. 157, suggestione fidelium procerum nostrorum Copie
nr. 170. Ausser Liutward wird noch Wibod von Parma als summus
consiliarius bezeichnet nr. 50, als dilectissimi consiliarii Truchsess
Waltfred und Pfalzgraf Pertold nr. 16, als consiliarii Berengar und Wal-
fred nr. 36, . . utulfus (der Name im Original nicht mehr vollständig
erhalten) nr. 88, der auch gleich dem custos capellae Ruodpert nr. 41
vgl. 22 ministerialis heisst, Grafen wird der Titel illustris } sublimis f
insignis nr. 16, 36, illustrissimus nr. 124 (Markgraf Bernhard), nr. 132
(Graf Gislebert) gegeben; dilectus, Verwandten des Herrschers gegen
über wie unser ,Liebden‘ ständiges Prädicat, ist in den anderen Fällen
noch nicht zur Phrase geworden.
424
Mühlbache r.
annuimus oder mit Betonung der Huld preces benigne (benigno
affectu) suscipientes, precibus inclinati, häufiger aures nostrae
clementiae accomodantes. Wie die Berechtigung der Bitte, so
wird auch öfter die Bereitwilligkeit zur Erfüllung derselben
bemerkt. 1 Eine Eigenthümlichkeit ist es, dass die Formel für
Gewährung der Bitte öfters durch das Wörtchen statim ein
geleitet wird; 2 dieses ist kaum bedeutungslos, da es nur bei
Bittstellern auftritt, von denen sich fast durchwegs nachweisen
lässt, dass sie Karl nahe standen.
An die Gewährung der Bitte schliesst sich in der Regel
der Beurkundungsbefehl, 3 dessen getvöhnliche Formel lautet:
Et iussimns hoc nostrae auctoritatis praeceptum inde conscribi,
seltener fieri; 1 diese führt mit den Worten per quod decernimus
atque iubemus 5 zur Dispositio. Gelegentlich ist der Beurkun
dungsbefehl erst nach den Details der Verleihung oder auch
1 ltata et congrua suggerenti llr. 23, quia nobis visum est quod iustitiae
et rationis modum haberet nr. 38, quia non iniustae visae sunt (preces)
nr. 25, 58, quia iustas et rationabiles suggessisse cognovimus nr. 16,
82; es werden preces rationabiles, saluberrimae, laudabiles petitiones er
wähn?. Der Gewährung wird öfter libenti animo, vereinzelt libenter,
libentissime (nr. 2, 77), hilariter (nr. 16, 82) beigefügt oder beides ver
bunden : Quam petitionem tarn libenter suscepimus quanlo rationahiliter ac
devota petitam perspeximus, nr. 116.
2 nr. 9, 11, 12, 15, 22, Copien nr. 2, 27, 57, 87. Petenten: Karls
Schwester Bertha, Kaiserin Richgarda, Liutward, Papst Martin, Abt Hart-
mod von St. Gallen, fidelissima Beretheida, custos capellae Ruodpert,
Wolfarius.
3 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 2, 59; der Beurkundungsbefehl fehlt in nr. 2,
11, 15, 22, 25, 26 u. ö.
4 Vereinzelt für praeceptum auch imperiales literae nr. 107, apices nr. 13,
81, pagina nr. 36, pragmaticum nr. 112, donativum nr. 127, privilegium
nr. 126, 148 (für Westfrancien).
5 Oder auch dem Einzelfall angepasst per quod corroboramus atque con-
cedim-us nr. 18, integerrime restituimus et confirmamus nr. 173; öfters san-
cimus, omnino sancimus oder auch per quod statuentes decernimus et per
nostram imperialem auctoriiatem confirmamus nr. 118. Vereinzelt ist dem
Beurkundungsbefehl ab amorem dei nr. 102 (aus der Vorlage) eingefügt;
diese oder eine ähnliche Phrase auch in der Petitio nr. 105, gewöhn
lich aber in der Gewährungsformel.
Die Urkunden Karls III.
425
erst am Schluss der Dispositio eingefügt, 1 nur ausnahmsweise
auch die Aushändigung an die Partei erwähnt. 2
Die Formeln der Dispositio bilden eigene Gruppen und
scheiden sich nach den Urkundenarten. Sie sind also später
zu besprechen. Hier darf vielleicht an die Besitzurkunden
gemeinsame Pertinenzformel erinnert werden. So stereotyp
diese zu sein scheint, so entbehrt sie doch nicht der Indivi
dualität; der grössere Theil ist allerdings ständig, doch damit
vermengen sich Ausdrücke, welche dem Einzelfall angepasst
sind; wie etwa zu den Pertinenzen eines Hochstifts die mona-
steria, 3 zu jenen eines Klosters die ecclesiae, capellae,* zu denen
einer Kirche die decimae zählen, 5 so zu einem Hofe die mansi,
aedificia; 0 vineae und silvae sind bald genannt, bald nicht; die
selbe Rücksichtsnahme auf die localen Verhältnisse zeigt sich
auch für Gebirgsgegenden. 7 Doch auch der Sprachgebrauch
des Landes, 8 die Verschiedenheit rechtlicher Verhältnisse findet
Beachtung. Kennen die deutschen Urkunden nur mancipia
utriusque sexus, so jene für Italien servi et ancillae utriusque
sexus, 9 die verschiedenen Grade der Abhängigkeit kommen zur
Geltung. 10 Selbst davon abgesehen, lässt sich eine deutsche
und italienische Pertinenzformel unterscheiden, welche auch in
' nr. 21, 22, 86, 115; nr. GG.
2 Praeceptum raore imperiali fieri et Dodoni et Wandelmodi uxori eins
dare iussimus per quod . . Orig. nr. 158. Der Ausdruck imperiali more
noch in nr. 141, 144, 168, sämmtlich für Westfrancien.
3 nr. 13.
4 nr. 37.
5 nr. 16, 41.
6 nr. 108.
7 So in einer Schenkung 1 von Land in Rhätien nr. 115 cum silvis marchis
pratis alpis. Ausführlicher in B. 1065, Land im Zillerthal betreffend,
cum silvis montibus scilicet atque alpis venationibus forestibus . .
8 So auch in einer Urkunde für St. Gallen das landesübliche de iuchos
nostros nr. 62, wofür anderweitig iugera.
9 nr. 37, mancipia für Italien nr. 85.
,ft Cum servis et aldionibus libellariis et censualihus . . cum familiis com-
mendatiis libellariis atque aldionibus utriusque sexus, nr. 13 für Arezzo.
Cum servis et ancillis, aldionibus et aldionis, nr. 112 für Asti; ähnlich
nr. 82 für Reggio.
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 28
- "■
426 Mühlbache 1*.
den Urkunden Karls III. zur Verwendung gelangt. 1 So ist
etwa der italienischen eigenthümlich cum ecclesiis baptismalibus
ac titulis . . salicibus et sortibus . . et casis massariciis 2 oder
cum areis . . salectis, 3 cum fundis et locis seu paludibus et in-
sidis. 4 Die Pertinenzformel wird indess nicht als unerlässlicher
Bestandteil der Besitzurkundehetrachtet; sie fehlt öfter ganz 5
oder es heisst auch einfach cum Omnibus pertinentibusnicht
selten ist sie auch bedeutend gekürzt; 7 häufig wird auch be
tont, dass nur was mit Recht dazu gehöre, eingeschlossen sei. 8
Die Formel bildet sich durchwegs nach älterem Muster, sei es
der deutschen, sei es der italienischen Kanzlei. 9
1 Die Individualität derselben, weil auf localen Verhältnissen beruhend,
zeigt sich ebenso ausgeprägt in den Privaturkunden der einzelnen Reiche
und fand wohl von hier erst den Weg in die Diplome; wie die Urkunden
für Italien, so weisen auch jene für Aquitanien schon unter den ersten
Karolingern Besonderheiten auf.
2 nr. 13.
3 nr. 85.
4 nr. IG, 82 vgl. nr. 80.
Ich stelle eine deutsche und italienische Pertinenzformel einander
gegenüber:
Cum mansis aedificiis utri-
usque sexus mancipiis terris pra-
tis vineis silvis cultis et incultis
pascuis aquis aquarumve decur-
sibus viis et inviis et adiacentiis
finibus (anderweitig oft: exitibus
et reditibus) et omnia ad se iure
legitimo pertinentia.
nr. 108 für Lorsch.
Cum casis et Omnibus aedificiis
ac rebus terris vineis pratis pascuis
silvis stalariis rivis rupinis ac paln-
dibus cultis et incultis divisis et in-
divisis, cum finibus aecessibus et usi-
bus aquis aquarumque ductibus omnia
et ex Omnibus.
nr. 40.
5 nr. 2, 9, 58, 61, 76, 88, 117, 149, 151.
6 nr. 97 vgl. nr. 129.
7 nr. 11, 22, 74, 159: gelegentlich wird auch vel quidquid dici aut nomi-
nari potest nr. 15, 37, 44 oder tolum et ad integrum nr. 41 beigefügt vgl.
Roziere nr. 241, 240.
8 Juste et legaliter pertinentibus nr. 110 vgl. nr. 97, 108, 109, 129, 132,
137, 155, 163.
9 Dass die Pertinenzformel auch in das Concept oder Dictat aufgenommen
wurde, scheint mir als Regel unwahrscheinlich; sie mochte angedeutet
werden, die Detailausfülirung ist wohl Sache des Schreibers; auch unter
den sogenannten Carpentierischen Formeln trägt nur Roziere nr. 140 eine
Pertinenzformel.
Die Urkunden Karls III.
427
Die Pönformel tritt unter den ersten Karolingern nur
ganz ausnahmsweise auf; 1 auch unter Lothar I. findet sie sich
nur ganz vereinzelt 2 und wird erst in den Urkunden Lud
wigs II. eingebürgert. 3 Wie unter Ludwig dem Deutschen, so
wird sie auch unter Ludwig III. nicht verwendet. 4 In der
Kanzlei Karlmanns findet sie nur in Urkunden für Italien,
aber auch nicht in alle Eingang.” 1 Dieselbe Erscheinung zeigt
sich auch in Westfrancien; von einigen Fällen, welche sich
auf Vorurkunden oder specielle Vorlagen stützen, 6 abgesehen
tritt die Pönformel unter Karl dem Kahlen erst seit 876 in
Urkunden für Italien auf; 7 unter seinen nächsten Nachfolgern
wird der gleiche Brauch eingehalten. 8 Dagegen ist die Straf
formel in den deutschen und westfränkischen Privaturkunden
längst eingebürgert 9 und schon die ältesten Formeln bieten für
1 Siekel, Urkundenlehre 201 vgl. Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 138,
Picker, Forschungen 1, 63, Waitz, V. G. 3, 272.
2 Orig. B. S54, 579, Copie 582, Gerichtsurkunde B. 536, Copie s. X; poena
spiritualis Beyer 1, 77 Orig., B. 624 Copie s. X; zweifelhaft ist sie
B. 542, 621; dazu einige Fälschungen.
3 Stumpf, Reichskanzler, Einl. 117; sie fehlt indess in etwa einem Viertel
der Urkunden.
4 Die einzige Ausnahme (poena spiritualis) ist B. 896 Orig, in Marburg.
5 B. 859, 860, 862, 863 Orig, in Mailand, 864 Orig, in Lucca, 868, 872
bis 875 Orig, in Brescia, 877, 878; sie fehlt B. 861, 865, 870, 876 Orig,
in Brescia; in Urkunden für Deutschland nur in dem verunechteten
Stück M. B. 31, 101. Das gleiche Verhältniss in den Urkunden Arnolfs.
0 Aus Vorurkunden B. 1548, 1596, 1702 vgl. 1740, aus Vorlagen (poena
spiritualis) B. 1555, 1599, ohne diese nur in B. 1572 (Echtheit der
Formel zweifelhaft), 1704, 1785, 1706, Tardif 152. Einen interessanten
Beleg liefert B. 1759; dem Original in Dijon fehlt die Pön, während das
Chartular f. 59, aus dem Bouquet 8, 618 druckt, nebst anderen Inter
polationen auch eine Pön bringt.
7 1791—1793, 1797 für S. Vaast, uugedruckte Urkunde für Benevent von
876 December 26 (M. G.), B. 1807 für Corbie Fälschung und in zwei
weiteren Fälschungen für St. Aubin in Angers und Glonna.
8 Pön in B. 1838, 1846 und der mindestens verdächtigen Urkunde Bouquet
9, 414, B. 1867, ungedruckte Urkunde für die Kaiserin Angilberga von
884 August 22, Copie s. XV in Parma M. G.
9 So im 8. Jahrhundert in St. Gallen Wartmann, U. B. 1, 2 f., in Fulda
Dronke 1, 3 f., in Prüm Beyer 1, 24, 30, in Lorsch M. G. SS. 21, 342
in Passau M. B. 28 b , 28 vgl. Lacomblet 1, 4 nr. 6 f., Wirtemberg.
U. B. 1, 98.
28*
428
Mühlbache r.
jede Urkundenart fast gleichlautende Muster; 1 in wesentlich
anderer Gestalt und viel seltener begegnet sie in italienischen
Privaturkunden. 2 Dringt die Strafandrohung auch zuerst in
Italien in die Diplome ein, so trägt die Formel doch nicht das
italienische, sondern das fränkische Gepräge. In den italie
nischen Diplomen wurde sie wohl nicht unmittelbar aus den
fränkischen Privaturkunden 3 übernommen, sondern durch Ver
mittlung jener wenigen älteren Diplome, welche die Androhung
der Immunitätsbusse nach deren Muster formulirt hatten.
Auch den Diplomen Karls III. ist die Pönformel ur
sprünglich fremd. Doch schon die erste Urkunde für Italien
wird damit ausgestattet. 4 Sie bleibt aber auch auf die Diplome
für dieses Reich beschränkt, in Urkunden für Deutschland und
Westfrancien findet sie nur selten Eingang und auch dann ist
meistens italienischer Einfluss oder eine Vorui’kunde nachweisbar. 0
1 So schon die Marculfischen Formen Roziere nr. 80, 93, 124, 129, 132,
161, 167, 215, 223, 243, 248, 268, 304, 305, 328, 345; die Pön ist derart
eingebürgert, dass sich die Formeln vielfach mit den Anfangsworten
Et si quis vero . . begnügen; nur Muster für Pönformeln Rozidre nr. 208
bis 211, 334.
2 Hier im Einklang mit dem römischen Ursprung noch als eine von den
Parteien stipulirte Conventionalbusse, während die deutsche Formel auch
dritte am Vertrag unbetheiligte Personen einbezieht und dadurch eine
eigentliche Rechtsbusse schaffend die wegen verletzten Rechtes verhängten
Strafen dem Fiscus zuweist vgl. Löning, Ueber Ursprung und rechtliche
Bedeutung der in den altdeutschen Urkunden enthaltenen Strafklauseln
(Strassburg 1875) 9, 53. So heisst es in italienischen Urkunden: Pena
vero inter se posuerunt, ut si qua pars . . Cod. Langob. 163, 184, 285, oder
Pena vero inter nos oblicamus pariter dicentes ut . . a. a. O. 179 vgl.
275, oder auch quia sic inter eos convenit, 208, 249 vgl. Roziere nr. 303.
Demgemäss bedient sich auch die Formel der ersten Person tune com-
ponam ego venditor Cod. Langob. 253, 202, gewöhnlich aber tune pro-
mittimus componere pars parti fidem servanti a. a. O. 271 u. ö.
3 Ueber die Beziehungen der Strafformeln in denselben zu den Volksrechten
Löning 63. Charakteristisch ist auch die Formel in Roziere nr. 195
In cessionibus vero licet poena non inseratur, mihi tarnen pro rei totius
firmitate placuit inserendum, ut si quis . .
* nr. 13.
5 Für Deutschland in Italien ausgestellt Copie nr. 32, Orig. nr. 41 — der
einen Ausfertigung fehlt die Pön — Orig. nr. 44; aus der Vorurkunde
Beyer 1, 77 in Copie nr. 107, dagegen ist die in der Vorurkunde fehlende
Strafformel in Copie nr. 59 hinzugefügt. Die nur in Uebersetzung erhaltene
Die Urkunden Karls III.
429
Ebenso ist es nur Ausnahme, wenn sie in Diplomen für Ita
lien fehlt. 1
Die Strafformel ist vielfachen Schwankungen unterworfen
und noch nicht zur Consolidirung gelangt; während der Vor
dersatz das zu küssende Vergehen berührt, stellt der Nachsatz
das Strafausmass fest.
Jener bietet mannigfachen Wortlaut, so si quis autem
(vero) hoc praeceptum irrumpere auf molare temptaverit (prae
sumpserit),' 1 si quis autem . . violator extiterit 3 oder in speciel-
lerer Fassung si quis . . diminorationem vel invasionem inferre
praesumpserit, 4 haec nostra statuta mutare vel frangere voluerit, 6
quicunque — dieses Wort auch sonst häufig für si quis 6 — contra
haue donationem ire agere causare vel subtrahere . . quaesierit 7
oder si quis ulterius quolibet argumento contra hoc . . edictum
agere temptaverit scilicet invadendo aut retinendo absque eiusdem
permissione quiequam ex praedictis rebus; 8 gelegentlich tritt eine
Urkunde für Rieharda nr. 46 hat auffallende Pön, während die andere
Urkunde für dieselbe vom gleichen Tage nr. 45 keine Pön hat. Diese
noch in dem in Deutschland für Reichenau ausgestellten Orig. nr. 103.
1 Orig. nr. 26, 31, 160.
2 nr. 39, 50 u. ö., mit den Zusätzen post nostrum discessum Orig. nr. 88,
irrumpere ex parte vel in toto Orig. nr. 17 vgl. Copie nr. 89, in aliquo
violare Copie nr. 123, aut irritum facere Copie nr. 59. Dazu die Varianten
contra hoc praeceptum insurgere, lioc infringere, contra venire, contra . .
venire aut infringere nr. 83; 32, 49; 123; 86. Aehnlich die Formeln
Si quis vero, quod futurum esse non credimus, aliquis de lieredibus vel
proheredibus meis vel quaelibet persona contra hanc epistolam venire tem-
taverit mit eam infrangere voluerit . . Roziere nr. 132 (Marculf) vgl.
nr. 66, 67, 290, contra venire praesumpserit, irritam facere praesumpserit
Roziere nr. 207, 242, 365.
3 Orig. nr. 85, Copien nr. 16 = 82, 80; contrarius et infidelis corruptor
Orig. nr. 91, praevaricator Orig. nr. 92, contradictor Copie nr. 171.
4 Orig. nr. 127, nr. 89, 98, molestiam inferre Orig. nr. 47 vgl. 103, mo-
lestave nr. 29.
5 Orig. nr. 44, mutare auch in Formeln, Roziere nr. 124.
6 Auch Roziere nr. 211.
1 Copie nr. 37; ähnlich aliquid horum auferre nr. 87, illos aut homines illo-
rum distringere nr. 84, aut ea quae supra leguntur minime observare nr. 51.
8 Orig. nr. 174; ähnlich nr. 25 = 58; eigenartig in nr. 81 Quodammodo
statuimus, ut si quis et cunctis locis imperii nostri hanc iussionem postponere
praesumpserit . .
430
Mühlbach er.
Häufung der Formeln ein. 1 Ziemlich häutig wird nach den
Worten si quis noch quod non putamus, quod minime credimus,
quod absit eingefügt 2 oder es wird betont, dass jede wie immer
geartete Verletzung des Präceptes einen Frevel involvire. 3 Nur
vereinzelt wird auch der Ueberführung des Schuldigen gedacht. 1
Der Nachsatz der Formel lautet gewöhnlich sciat se com-
positurum — dafür auch componat (persolvat) oder componere
(persolvere) cogatur (compellatur) 5 — auri . . libras . . medie-
tatem palatio nostro medietatem praedictae ecclesiae. Die Varian
ten sind zahlreich, so persolvendum culpabilis habeatur, 6 selten
sciat se poena multandum esse; 7 statt palatio nostro findet sich
auch camerae nostrae 8 oder ßsco nostro, 9 statt praedictae (eidem)
ecclesiae auch parti (ad partem) ecclesiae, 10 häufig mit dem
1 Vgl. nr. 116 Copie.
2 nr. 25, 58, 127; 17, 36, 80, 82; 48, 116; quod futurum esse non credi
mus Orig. nr. 40 vgl. Copie nr. 171. ln den Formeln quod fieri (futu
rum esse) non credo stabil; quod futurum esse non credimus in Roziere
nr. 107, 132, 200, 213, 245, quod absit — freilich nicht ganz an der
selben Stelle — in Roziere nr. 69, 83, 200, 213, 221.
3 Quolibet ingenio vel argumento nr. 87, 82, aliquo modo nr. 88 vgl. 173,
in quoquam corumpere nr. 40.
Ausu temerario nr. 41, qualibet temeritate nr. 173, iniuste nr. 36,
84. Auch in den Formeln pro temeiitate sua, Roziere nr. 199, 208, pro
ausu temerario nr. 350 vgl. Löning 57 A. 65.
4 Quicunque huius nostri praecepti praevaricator inventus fuerit et convictus,
Orig. nr. 92, si quis . . hanc auctoritatem convictus fuerit violasse
Orig. nr. 23.
5 In den Formeln componat Rozifcre nr. 115, 122, 125 u. ö., componere
debiat nr. 505, 506, 508, coactus exsolvat nr. 45, 97, 103, 115, 203 u. ö.
6 nr. 44, 57, 86, 94, 103; sit culpabilis Roziere nr. 211, 350.
7 nr. 29, 41, 58; in den Formeln multa componat Roziere nr. 91, 101, 103,
109, 207 u. ö.; über multa Löning 58.
8 Orig. nr. 25, 41, 85, Copie nr. 80, vereinzelt camerae palatii nostri
nr. 114; nr. 41 ausgenommen sämmtlich für Italien.
9 Fisco nostro exigatur Orig. nr. 25, 58 (für Italien) vgl. Copie nr. 123,
141 = 167 (für Westfrancien); eigenartig in nr. 13 distringente fisco per
solvat. In den Formeln häufig sociante (cogente) fisco, in alamannischen
Formeln in aerarium regis Roziere nr. 68, 199, 208, 330, 359 b , vereinzelt
in re publica nr. 347 a , 348 a , 351.
10 nr. 37, 47 u. ö. partibus monasterii Roziere nr. 320 vgl. 97, ad partem
fisci nr. 118, 251.
Die Urkunden Karls III.
431
Zusatz cui violentiam (vim) intulerit. 1 Dieser oder ein ähnlicher
Zusatz wird indess auch in Urkunden für Privatpersonen ge
braucht, 2 in denen es sonst nur ipsi, prciedicto liomini heisst,
hie und da auch mit Wiederholung des Namens 3 oder der
Beifügung suis haeredibus, etwa auch aut, cui ipse dederit, J
Oefters wird auch die ganze Busse der geschädigten
Kirche zugesprochen, dann heisst es etwa eidcm (rectoribus
eiusdem) ecclesiae persolvere cogatur (culpabilis habeatur). 5
Das Ausmass der Strafsumme ist ein sehr schwankendes.
Neben de!r einfachen Erwähnung der Immunitätsstrafe 6 wird
1 nr. 17, 29, 36, 37, 52 f. u. ö. In den Formeln ständig cui Litern intulerit
Rozi&re nr. 89, 95, 105, 110, 115 u. s. w., so auch Copie nr. 123.
2 Orig. nr. 25 (cui iniusta molestia fuerit facta), 41, 44, 58, 98.
3 Orig. nr. 40, 85, 179, dilectae sorori nostvae Orig. nr. 174, 173.
4 Orig. nr. 21, 40, 81, 88 vgl. nr. 71 (für Italien); nr. 179.
5 nr. 13, 23, 39, 57, 86, 89, 91—94, 127, 171, grösstentheils Urkunden mit
Immunität. Nur ausnahmsweise wird die ganze Busse auch einer Privat
person zugetheilt, Orig. nr. 44, dagegen in nr. 87 die dem Fiscus zu
fallende Hälfte dem Papste, dessen Privileg zugleich bestätigt wird (per
nostram censuram, ut discat non temerare apostolica et imperialia edicta,
cogatur persolvere). Die abweichende Pön in zwei Urkunden für St. Mar
tin in Tours, nach der zwei Drittel dem Kloster, ein Drittel dem Fiscus
zufallen soll, ist nur wörtliche Wiederholung aus einer Vorurkunde,
welche längst zur Formel geworden, Roziere nr. 24 vgl. Sickel, Urkun
denlehre 202.
6 Immunitatis nostvae poenam componeve compellatur Orig. nr. 127, immu
nitatis culpabilis habeatur Copie nr. 94, tres auri cocti libras et immu-
nitatem persolvat Orig. nr. 13 oder auch mit genauerer Angabe XII pon-
dera auri necnon et immunitatis promulgata poena XXX libr. argenti pro-
batae monetae publicae componeve compellatur nr. 39 ex arch., duplam immuni
tatis nostvae poenam LX libras argenti probatae monetae publicae Orig,
nr. 23. Die Immunitätsbusse im Einzelfalle auch höher bemessen immuni
tatis poenam quam eidem ecclesiae in XX libris auri futuram concedimus
persolvere cogatur Orig. nr. 92.
In den Urkunden Ludwigs II. wird überwiegend die Immunitäts
busse — poena, mulcta, einmal auch (B. 638 ex or.) bannus immunitatis
nostvae — genannt; heisst es hier auch einfach immunitatem nostram,
Fatteschi 295, Cod. Langob. 401 vgl. B. 633, 636, so doch gewöhnlich
mit dem Zusatz hoc est XXX libras argenti B. 634, 638, 657, auch noch
mit der Beifügung immunitatem quam ceteris ecclesiis concessam hdbemus
h. e. — B. 656, Ughelli 5, 716, Forschungen 9, 410, ungedr. Urk. für
Farfa von 864 Februar 14 M. G. secundum morem veterum B. 651 aus
der Vorurkunde Lothars I. B. 579.
432
Mühlbacher.
auch die alte Busse von 600 Goldsolidi aus Vorurkunden wieder
holt. 1 Nur ausnahmsweise wird Silber genannt, 2 in der Regel
sind die Bussen in Goldwährung bemessen; sie steigen von
3 bis 1000 tt und von 1000 bis 3000 Mancusen. Für die
Bemessung derselben scheint es durchwegs an festen Gesetzen
gefehlt zu haben, wie auch schon unter Ludwig II. keine be
stimmte Norm zu erkennen ist; die Strafansätze sind indess
im Ganzen höher, als sie unter Karls Vorgängern angedroht
werden, 3 eine natürliche Folge des noch tieferen Sinkens der
königlichen Macht. Beide, Pfunde und Münzen, sind sowohl
in Urkunden für Genossenschaften als Privatpersonen üblich;
für das Gold werden die Beiwörter optimus, obrizus, purissi-
mus, probatus, probatissivius verwendet. 4
1 nr. 141 - 167 für St. Martin in Tours, nr. 123 für St. Martin in Autun.
2 30 tt. Silber probatae monetär publicae als Immunitätsbusse nr. 39 vgl.
23. Der Beisatz probatae monetae publicae seit 873 in den Urkunden
Ludwigs II., Campi 1, 460, B. 672—674.
3 Ausser der Immunitätsbusse 6 tt. Gold Cod. Langob. 323 Orig. Immu
nität mit Besitzbestätigung, 10 tt. B. 628 Marktbest., 12 tt. B. 683 Schen
kung, B. 684 Mundbrief, 20 tt. B. 671 Besitzbest., 30 tt. B. 665 Schen
kung mit Immunität, 40 tt. B. 650 = 658 Immunität, 100 tt. Besitzbest,
ungedr. Urk. für Montamiate, B. 645, Schenkungen B. 659, (Gloria) C.
d. Padovano 2, Mundbrief B. 670, 300 tt. B. 661 (Ch. Casaur.) Privi
legienbest., Cod. Langob. 375 Copie Schenkung (Echtheit fraglich);
1000 mancosi B. 647 Orig. Besitzbest., 2000 mancosi B. 646 Orig. Privil.,
B. 652 Orig. Zollfreiheit, (in B. 640 Orig, an dieser Stelle eine Lücke),
X milia mancosorum B. 678 Orig, in Parma Besitzbest.; das Schwanken
zeigt sich namentlich in den Schenkungsurkunden für die Kaiserin
Angelberga, hier werden, vielleicht nach dem Werthe des geschenkten
Guts, 10, 12, 100 und sogar 2000 tt. als Busse bestimmt, ungedr. Orig,
in Parma; B. 680 Orig., Poggiali, Mem. stör, di Piacenza 2, 355;
B. 668, Cod. Langob. 414, B. 679; B. 666, 667, sämmtlich Orig. Unter
Karl dem Kahlen in Urkunden für Italien: 12 tt. Gold B. 1791, ‘60 tt.
ungedr. Urk. für Benevent M. G.; ausser der Busse der duplex immu-
nitas in B. 1793 wird nur noch in B. 1792 Cod. Langob. 507 bestimmt:pev-
solvere inde cogatur, sicut continetur in praeceptis antecessorum nostrorum,
charakteristisch für das Fremdsein der Formel. Unter Karlmann: 30 65.
Gold B. 868, 872, 40 tt. B. 864, 100 tt. B. 860, 863, 300 mancosi B. 875.
Vgl. Ficker, Forschungen 1, 63, 67.
4 Ich gebe eine Uebersicht der angedrohten Bussen in Goldwährung:
3 tt. auri cocti et immunitas — nr. 13 Immunitäts- und Besitz
bestätigung.
10 tt. — nr. 29, 49, 59 Besitzbest.
Die Urkunden Karls III.
433
Zur Geldbusse treten .gelegentlich noch Zusätze. Ohne
sachlichen Belang ist es, wenn es etwa heisst: 1 Insuper et hoc
nostrum praeceptum in suo vigore perhenniter consistat; bedeu
tungsvoller dagegen insuper et nostvam incurrat offensionem 2
oder insuper etiam infamia publica notatus tamquam sacrilegus
liabeatur ab omnibus. 3 Zur Geldbusse fügt sich ausnahmsweise
10 <tt. — nr. 84 Mundbrief.
12 pondera auri et 30 It. argenti — nr. 39 Privilegienbest.
20 tt. (immun, poena) — nr. 92 Immunitäts- und Besitzbest.
„ „ — nr. 30 Schenkung an Kirchen.
30 „ — nr. 17 (19), 51, 87, 116, 171 Besitzbest.
„ „ — nr. 47 Immunitäts- und Besitzbest.
„ „ ■— nr. 40, 88, 91 Schenkungen an Privatpersonen.
60 „ — nr. 50 Immunitäts-, nr. 38 Besitzbest.
70 „ — nr. 179 Besitzbest, mit Immunität.
100 „ — nr. 52—56 Privilegien.
„ „ — nr. 48, 81, 83, 103, 112 Besitzbest, für Kirchen.
„ „ — nr. 25, 58, 173 Besitzbest, für Verwandte.
„ „ — nr. 37, 57 Schenkungen an Kirchen.
„ „ — nr. 85 Orig. Schenkung an Privatpers.
200 „ — nr. 174 Besitzbest, für die Kaiserin Angilberga.
300 „ — nr. 16, 82 Orig. Besitzbest, für Kirchen.
1000 „ — nr. 46 Copie Schenkung an die Kaiserin Richarda (M Ib.
lutters gold'), nr. 80 Besitzbest, (libras mitte Copie s. XIV, zu
wenig verbürgt).
1000 mancosi — nr. 36 Copie Schenkung an Kirchen.
„ „ — nr. 44 Orig. Schenkung an Privatpers.
„ „ — nr. 86 (89) Copie Besitzbest, für Kirchen.
n „ — nr. 79 Copie Mundbrief.
2000 „ — nr. 41 Orig. Schenkung an Privatpers.
n „ — nr. 98 Orig. Mundbrief.
3000 „ — nr. 21 Orig. Mundbrief mit Schenkung.
4000 „ — nr. 114 Schenkung an Privatpers.
30 mil(i)a mancosorum aureorum — nr. 93 Ch. s. XV Besitzbest.
In den beiden letzten Fällen die Echtheit der Zahl fraglich.
1 nr. 50 ex or. In den Formeln regelmässig ähnliche Zusätze, so omni
tempore maneat inconvulsa, firma stabilisque permanent u. a. Roziere nr. 66,
69, 82 f. und italienischen Privaturkunden, Tiraboschi, Nonantula 2, 19, 33.
Auch in einer Urkunde Ludwigs II. im Anschluss an die Strafformel et
hac nostra praesens concessio inviolata permanent B. 668.
2 nr. 30 ex arch.; das Mandat nr. 43 hat die für diese Urkundenart stän
dige Schlussformel sicuti gratiam nostram desideras.
3 nr. 16 Copie, nr. 82 ex or. beide für Reggio, wahrscheinlich aus einer
Vorlage vgl. das verdächtige Stück Cod. Langob. 429 und B. 671.
434
Mühlbach er.
auch geistliche Strafandrohung wie sciat se in futuro aeterni
iudicis sententia puniendum et in praesenti C libras auri poena
midtandum 1 oder eiusdem s. Eusebii iram incurrat, insuper rec-
toribus ecclesiae C libras auri cidpabilis liabeatur. 2
Eine geistliche Strafandrohung allein tritt nur in zwei
Fällen auf; das einemal ist sie wörtlich der Vorurkunde ent
nommen, 3 das zweitemal, wahrscheinlich aus der bestätigten
Privaturkunde übertragen, lautet sie eiusdem s. Mariae omnium-
que sanctorum iram incurrat et qaod inchoavit perßcere non
valeat. i
Erfinderisch sind die Fälschungen; so droht eine mit dem
Kopfabschlagen, 5 eine andere mit der anathematis ultioß eine
dritte mit dem letzten Gericht; 7 eine weitere spricht neben
der camera des Kaisers auch von einer camera abbatis. 8
1 Orig. nr. 25, 58, beide für die Kaiserin Angilberga.
2 Copie nr. 57 für Vercelli; ähnlich in Copie nr. 93 catholicae fielet auc-
torem sentiat sibi accusatorem, insuper et . . Ebenso die Formeln im-
pHmitus iram dei incurrat, Roziere nr. 66, 85, S7, 97, 98, 358, a con-
sortio catholicorum alienus existat nr. 82 u. ö., Verbindung mit et insuper
nr. 197, 358.
In nr. 51, das ich aus einer Abschrift Ottenthals aus Copie s. XVIII
im Capitelarehiv zu Udine vollständig kenne — im Neuen Archiv 3, 83
und längst schon bei Ughelli 5, 146 nur Regest — ist vor der Geld
busse auch noch die geistliche Strafandrohung eingefügt Si quis unquam
hanc elemosinam ex successoribus nostris . . abstrahere voluerit, ante tri-
bunal aeterni iudicis habeat rationem (Neuer Apparat der M. G.); diese
allem Anschein nach interpolirt. Die Pön in nr. 125: Quod si quisque
lemerario amu facere praesumpserit, a nobis unacum sententia canonum . .
conferetur nach der Vorlage B. 1762.
3 Anathema sil nr. 107 für Trier aus Orig. Beyer 1, 77; poena spiritualis
schon in der Immunität Karls des Grossen für Trier, Siekel, Beitr. III,
Wiener Sitzungsber. 47, 227, sonst in Formeln bischöflicher Urkunden,
Roziere nr. 571 vgl. 573, 574.
4 Copie nr. 32, Tausch zwischen Liutward und Chur. In den Formeln
häufig et quod repetit, vindecare non valeat et haec vindicio . . firma per-
maniat, Roziere nr. 45 u. ö.
5 Aut capite puniantur aut tantum auri pondus conferant, nr. 140.
« nr. 24.
7 nr. 161, das Protokoll echt; ähnlich in Formeln Roziere nr. 200, 213, 331".
8 nr. 78; so auch eine verdächtige Urkunde Ludwigs II. für S. Sisto, Cod.
Langob. 375.
Die Urkunden Karls III.
435
Die Corroborationsformel, schon seit Einführung 1 dei’
neuen Dictate schwankend, 1 ist auch in der Kanzlei Karls III.
grosser Veränderlichkeit unterworfen. Man kann in ihr die
Formel der Bekräftigung, die Ankündigung des Handmals und
die des Siegels unterscheiden.
Jene lautet am häufigsten Et ut hoc . . praeceptum plenio-
rem in dei nomine obtineat firmitatem; 2 ausser dem Substantiv
wird auch das entsprechende Adjectiv gebraucht et ut . . fir-
mum et stabile permaneat 3 oder es heisst in anderer Fassung
et ut certius (verius) credatur et diligentius ab Omnibus obser-
vetur. 4 Beide Formen vermengen sich auch wie ut . . firmius
Tiabeatur veriusque credatur, öfter in weiter ausgedehnter Form
et ut . . firmior habeatur et per futura tempora a fidelibus nostris
verius credatur et diligentius observetur.^ Mit Vorliebe wird per
futura tempora oder eine ähnliche Zeitbestimmung eingefügt, 6
für firmior auch das bezeichnendere inviolabilisfi für omnes auch
cuncti gebraucht. Statt des Substantivs firmitas findet sich
auch der Ausdruck robur, etwas öfter vigorem; s der letztere
wird nun das Lieblingswort der von Amalbert recognoscirten
Urkunden, welche auch sonst nach ungewöhnlicheren Wendungen
haschen. 0 Die in dieser Formel eingefügte Bezeichnung der
1 Sickel, Urkundenlehre 194.
2 Namentlich in Urkunden mit der Recognition Inquirins. Varianten
ratam et stabilem firmitatem, firmitatis titulum Orig. nr. 29, 33.
3 Mit dem Zusatz nostra per omnia authoritate roborata Orig. nr. 4, 6.
4 Cum summa diligentia observetur Orig. nr. 85.
5 Namentlich in Urkunden mit der Recognition Waldos. Eigenartig in
Copie nr. 105 ut pleniovem in dei nomine obtineat firmitatem et a fide
libus sanctae dei ecclesiae et nostris per futura tempora melius conservetur
veriusque credatur vgl. nr. 107, also beeinflusst von der Promulgations
formel.
6 Succedentibus annis, praesentibus futurisque temporibus, per futura
(cuncta futura) saecula, nr. 7, 37, 60,81; in einer Schenkung: per futura
tempora diebus vitae suae Orig. nr. 41. Oefter et ut deinceps.
7 Mit dem Zusatz domino protegente nr. 68, 109, 155, Recogn. Waldo.
8 Virtutem nur Copie nr. 79.
9 Liberius ac devotius observetur nr. 144, diuturniorem vigorem Orig,
nr. 137, inviolabilis perseveret Orig. nr. 145, ut hoc inviolabile prae-
ceptum in omnipotentis nomine . . diligentius custodiatur Orig. nr. 158.
436
Mühlbacher.
Urkunde entspricht deren Inhalt; ist diese auch oft ganz allge
mein gehalten — so haue nostra auctoritas für Diplome ver
schiedener Gattung, praeceptum dagegen vorwiegend für Privi
legien 1 — so nimmt sie doch auch auf den Inhalt besondere
Rücksicht und unterscheidet zwischen Schenkung und Bestä
tigung; 2 gelegentlich wird auch der technische Ausdruck für
die einzelne Verleihung gebraucht. 3 Eine scharfe Scheidung
ist auch hier nicht durchgeführt, dieselben Ausdrücke finden
Ziemlich häufig: pleniorem in dei nomine obtineat (obtinere valeat) vigo-
rem oder firmitatis vigorem.
1 Nostrae auctoritatis praeceptum für Privilegien nr. 7, 53—56, 120, 140,
162, 163, doch auch für Schenkung nr. 76, Restitution nr. 151, Preca-
riebestätigung nr. 158, Mundbrief nr. 21, Freilassung nr. 168; als con-
firmationis et renovationis praeceptum für Privilegienbestätigung nr. 50,
corroborationis sive confirmationis praeceptum für Besitzbestätigung nr. 143;
erweitert zu nostrae sublimitatis atque regalis praecepti pagina in Orig,
nr. 23, 26; auctoritas praeceptionis nostrae in Orig. nr. 75, 77 Precarie-
bestätigung, nr. 79 Mundbrief; nostrae praeceptionis pagina in nr. 71 frag
lich, wie decretum largitionis nostrae in nr. 128. Allgemeiner Ausdruck
ist auch constitutio, fast nur in Urkunden mit der Recognition Inquirins
Orig. nr. 9, 10, 12, 13, 125, 126 vgl. 161; donationis edictum nur in
Copie nr. 36. Statt des einfachen auctoritas auch imperialis auctoritas
in nr. 116, 144.
2 So für Schenkungen largitatis nostrae donatio nr. 2, 11, donationis con-
cessionis largitionis auctoritas Copie nr. 37, auctoritas nostrae donationis
seu permissionis Orig. nr. 117, donationis seu permissionis confirmatio
Orig. nr. 138, am häufigsten auctoritas largitionis nostrae, öfter, nament
lich in Urkunden mit der Recognition Segoins nr. 99, 108, 110, 111
auctoritas concessionis nostrae, auch mit dem Zusatz et donationis nr. 101,
vereinzelt largitionis sive concessionis auctoritas nr. 129, 145, auctoritatis
concessio nr. 134, largitio nr. 8, praeceptum nr. 76, largitatis munificentia
nr. 22, traditio nr. 57. Theilweise dieselben Ausdrücke für die von der
Schenkung formell nicht streng geschiedene Besitzbestätigung, so lar
gitatis concessio, traditio oder auctoritas nostrae concessionis nr. 142, dona
tionis atque confirmationis nr. 149, munificentiae nr. 124; seltener confir
matio nr. 17, 58, 67, 106, 119, 173, 179; in Copie nr. 123 nostrae celsi-
tudinis firmitatis pactum. Aehnliche Bezeichnungen für Restitutionen; in
Copie nr. 59 aus der Vorurkunde augmentationis confirmatio.
3 Ingenuilatis securitas nr. 5 vgl. Roziere nr. 65—68 f., auctoritas nostrae
emunitatis confirmationis largitionis Orig. nr. 31, confirmationis seu con
cessionis atque immunitatis pagina Orig. nr. 92, auctoritas immunitatis et
electionis ex proprio grege Copie nr. 105, tuitionis et largitionis nr. 153,
154, consensionis auctoritas in nr. 175 aus der Vorurkunde, Wilmans 188.
Die Urkunden Karls ITT.
437
auch für Urkunden verschiedenen Inhalts Verwendung/ wozu
sie freilich die Allgemeinheit ihres Begriffes besonders eignet.
Eine Eigenthümlichkeit der Kanzlei Karls III. besteht
darin, dass sie öfters, namentlich in den ersten Jahren, nach
dieser Formel den Fertigungsbefehl einrückt. So heisst es: Et
ut haec nostrae largitatis concessio pleniorem in dei nomine ob-
tineat firmitatem, lioc nostrae auctoritatis praeceptum inde con-
scribi mandavimus propriaque manu confirmantes . . 2
Die Formel für die Ankündigung der königlichen Unter
fertigung lautet bis 879 propriaque manu confirmantes oder
propria manu firmavimus; seit dem ersten italienischen Zug'e
tritt die Partikel subter hinzu. 3 Erhalten sich jene einfacheren
Formen auch in der Folgezeit, so behauptet doch die Erweite
rung mit subter die Oberhand; 4 die Formel heisst jetzt ge
wöhnlicher manu propria subter — oft auch subter eam — firma
vimus (confirmavimus), 5 seltener mit Benützung der Participial-
form subter firmant.es; ,! ganz vereinzelt in eigenartiger Fassung
1 So largitionis concessio, gewöhnlich für Schenkungen und Besitzbestätigun
gen, auch für Immunität nr. 3 vgl. 165, Zinsbefreiung nr. 172; permissio,
auch imperialis permissio für Besitzbestätigung, Restitution, Privileg
nr. 119, 148, 156.
2 Orig. nr. 14 vgl. Orig. nr. 3, 10, 22, 25 = 58, 177, Copie nr. 2, 5, 8,
57, Recognoscenten je einmal Liutward und Fredebold, je viermal Ernust
und Inquirin. Dagegen macht sich hier ein anderer Gesichtspunkt gel
tend. Der grösste Theil dieser Urkunden datirt in die Zeit vor dem
ersten italienischen Zug; nr. 22 ist für einen Hofgeistlichen, nr. 25, 58
für die Kaiserin Angilberga, nr. 57 für Liutwards Bisthum Vercelli,
nr. 177 für Liutwards Neffen ausgestellt. Von der letzten Urkunde ab
gesehen scheint es mir wahrscheinlich, dass diese Eigenthümlichkeit
Dictat Liutwards sei.
3 Zuerst nr. 13.
4 Die neuere Form subtus nur Orig. nr. 154, Copie nr. 128, 139, 140,
153, 161.
5 Eum subterfirmavimus Orig. nr. 125, 145, Copie nr. 146, subter illud
Orig. nr. 158, Copie nr. 120, subter hoc nur Copie nr. 143. Ausnahms
weise subter signavimus, subter adfirmavimus Orig. nr. 70, 73.
6 Oefter in Urkunden mit der Recognition Amalberts Orig. nr. 117, 138,
148, 156, 159, Copie nr. 119.
" iiffr 'Tn u M"T" n m vT -
438 HüUlbaclier.
nostrae manus inscriptione insignitum; 1 das Wort subscribere ist
in keinem Original nachweisbar. 2
Auch die Ankündigung des Siegels bewegt sich in den
hergebrachten Formeln anulo nostro iussimus sigittari oder mit
Umstellung der Worte sigillari (insigniri, selten assignari) iussi
mus; dazu tritt hie und da die Präposition ex oder de 3 oder
zum Zeitworte auch die Partikel subter. Nur in zwei St. Galler
Immunitäten 4 heisst es anulo nostro eonstat esse sigillatum und
statt des fast ausschliesslich üblichen iussimus in einem einzigen
Original mandavimus. 5
Oefter findet sich die Formel anuli nostri impressione
iussimus sigillari oder sigillari (assignari, insigniri) iussimus; 6
auch hier wird subter, subter eam, ganz vereinzelt der Zusatz
in dei nomine 7 eingeschoben.
Das Wort bulla ist zwar weder den Urkunden der ersten
Karolinger noch den Formeln fremd, 8 doch die Besieglung
durch Bleibullen ist erst seit Ludwig II. verbürgt. 9 Diesen
1 Orig. nr. 23, 26; in Copie nr. 155 subter firmari decrevimus, verderbt in
Copie nr. 121: hoc denique quod divino arnore concessimus nostro imperiali
praecepto confirmavimus et anulo nostro insigniri iussimus.
2 Manu propria subscriptum firmavimus Copie nr. 93, subscribentes Copie
nr. 66, subscribere iussimus Copie nr. 34 (zweifelhaft), subscripsimus
nr. 152 (Fälschung).
3 Ex anulo nostro Orig. nr. 23, 26, 92, de anulo nostro Orig. nr. 63, 76,
179 und einigen Copien; nicht verbürgt ist de anulo nostrae dignitatis
consignari iussimus Copie nr. 144.
4 Orig. nr. 9 == 69.
5 nr. 4; in Orig. nr. 40 noch praecepimus; sigillari fecimus in Copie nr. 146
ist ebensowenig verbürgt als signari rogavimus in Copie nr. 152; in Copie
nr. 60 anulo nostro roborare sigillarique iussimus.
G Signari in Orig. nr. 102 aus der Vorlage, sonst nur in Urkunden für
Westfrancien nr. 141, 147, 149 (aus den Vorurkunden), 168, assigillari
in Orig. nr. 29, 75; statt iussimus noch precepimus Orig. nr. 58, 85 und
einigen Copien.
7 Orig. nr. 118. Eine Umstellung der Formeln in Orig. nr. 63: de anulo
nostro signari iussimus manuque propria firmavimus. Eigenartig in Orig,
nr. 158: et dehinc anuli nostri impressione insigniri iussimus.
8 Sickel, Urkundenlehre 196 vgl. Stumpf, Reichskanzler, Einl. 116. In
den Urkunden Lothars I. nur in Copie B. 563.
9 Nach K. Pertz die Bulle noch vorhanden in dem von Poggiali, Mem. di
Piacenza 2, 355 veröffentlichten Diplom, Einschnitte oder Reste der
s
Die Urkunden Karls III. 439
Brauch übernahm Karl der Kahle, als er Kaiser geworden; 1
der Kanzlei Karlmanns blieb Wort und Sache vollkommen fern.
In den Urkunden Karls III. tritt das Wort bulla zuerst
881, 2 öfter erst seit 883 auf; doch es beschränkt sich keines
wegs nuf die Diplome für Italien, es wird auch in Urkunden
für Deutschland, seltener für Westfrancien verwendet, bleibt
aber gegenüber dem Ausdrucke anulus in bedeutender Minder
zahl. 3 Die Formel lautet analog der früheren entweder bulla
nostra insigniri (sigillari, signari) iussimus oder bullae nostrae
impressione sigillari (assignari, adsigniri) iussimus; auch hier
findet sich die Partikel subter.
Schon Stumpf und Sickel haben betont, 4 dass aus dem
Ausdrucke anulus in der Corroborationsformel noch nicht folge,
dass die Urkunde auch mit einem Wachssiegel besiegelt sein
müsse, und auf das St. Graller Original für Ruodpert 5 hinge
wiesen, dessen eine Ausfertigung trotz der Ankündigung anuli
impressione assignari iussimus mit einer Bleibulle versehen sei,
Bullenschnur an den Originalen in Parma B. 626, 664, 666 — 668, 680;
angekiindigt ist die Bulle in Orig. B. 651 und einer Anzahl Copien;
selbstverständlich muss deshalb nicht eine Bulle zur Besieglung ver
wendet worden sein, denn selbst nicht die Formel des Originals ist dafür
beweisend.
1 Vgl. Stumpf, Reichskanzler, Einl. 116 A. 226, B. 1806, 1807, 1809, 18,16,
Tardif 135 Orig, in Paris, hier die bei Tardif fehlende Formel nach
G. H. Pertz percussione bullae nostrae insigniri iussimus, sonst bullarum
nostrarum impressionibus. Das Wort bulla übrigens schon vereinzelt in
der Königszeit B. 1652, 1701, 1745, 1748, 1774 Orig., 1778, 1786, Tardif
132 Orig., Bouquet 8, 628. Unter Ludwig dem Stammler bulla nur in der
Fälschung Mabillon, Dipl. 549.
2 Copie nr. 36.
3 bulla nur in 20 Urkunden, von denen 12 — nr. 77, 96, 103, 107,
135, 136, 153, 154, 161—163, 166 — für Deutschland, 2 — nr. 99,
131 Orig., — für Westfrancien; von den 22 Urkunden tragen 14 die
Recognition Inquirins. Im Orig. nr. 82 ist anulo nostro der Vorurkunde
nr. 16 in bulla nostra geändert, ebenso in Copie 107 aus der Vorurkunde
Beyer 1, 77, in nr. 77 trotz des sonst gleichen Formulars mit nr. 75. Ein
sachlicher Unterscheidungsgrund ist kaum aufzustellen; dem Inhalte nach
sind es grösstentheils Besitzurkunden, nur nr. 135, 166 sind Privilegien,
nr. 153, 162 Besitzbestätigungen mit Immunität.
4 Reichskanzler, Einl. 95 A. 153 vgl. Wirzb. Immun. 1, 44; Urkunden
lehre 199.
5 nr. 41.
SBMa jgSBBBT
'
440 Müh Iba che r.
während die zweite Ausfertigung mit der gleichen Corrobora-
tionsformel ein Wachssiegel trage. Derselbe Fall liegt in zwei
Reichenauer Originalen vor; 1 auch diese haben aus ihrer Vor
lage die Formel anuli nostri impressione iussimus sigillari über
nommen, wurden aber mit Bleibullen versehen. 2 Doch dies
sind kaum mehr als leicht erklärbare Ausnahmen. Aber man
scheint auch auf die Uebereinstimmung der Formel mit der
Besieglung geachtet zu haben; wenigstens bemerkt Arndt in
seiner Abschrift des Originals nr. 131, dass die Worte et bullet
nostra sigillare iussimus von anderer schlankerer Hand und
hellerer Tinte hinzugefügt wurden, 3 während das demselben
nachgeschriebene Original nr. 157 mit den Worten manu propria
subterfirmavimus schliesst, hier also allem Anscheine nach auf
die Nachtragung vergessen wurde. 1
1 nr. 162, 163, Vorlage nr. 7.
2 IC. Pertz constatirt die Einschnitte mit einem Stück Bullenschnur.
3 Gleiche Fälle aus späterer Zeit bei Ficker, Urkundenlehre 2, 198; eine
andere Bedeutung hat es jedenfalls, wenn in Originalen aus der älteren
Karolingerzeit, welche nur Waehssiegel kennt, dieselbe Stelle andere
Hand und Tinte zeigt, Sickel, Urkundenlehre 344 A. 5.
4 K. Pertz erwähnt zu seiner Abschrift, dass ,fiir die fehlenden Worte der
Raum leer gelassen wurde 1 ; da die Corroboration den Text schliesst, ge
winnt diese Folgerung erst durch die Nachtragung in nr. 131 Beweiskraft.
Zur Bestimmung der Siegel Karls III. steht mir nicht erschöpfen
des Material zu Gebote. Unter diesem Vorbehalt stelle ich die mir be
kannten Notizen zusammen und verweise ausser den Abbildungen und
Beschreibungen auf die von Douet d’Arcq im Inventaire de sceaux ver-
zeichneten Abgüsse des Pariser Archivs und jene Röckls im Reichsarchiv
zu München.
I. Königssiegel.
1. Legende: KAROLVS REX. Abguss Douet d’Arcq nr. 10879
von nr. 4; Beschreibung Wartmann 2, 216, 224; Vorkommen
nr. 4, 6, 11, 14, 15, 23.
2. Leg.: f CAROLVS GRATIA D . . EX an nr. 3.'Nach gütiger
Mittheilung von Herrn Dr. Wartmann ist dasselbe ein Unicum
unter den in St. Gallen liegenden Documenten, die Darstellung
jene von Heffner nr. 6 (Kaisersiegel 1). Das Siegel etwa ein
Drittel grösser, aber statt des pausbackigen Rundkopfs hier die
langnasige grossaugige Physiognomie der anderen Siegel Karls,
sowohl der Königssiegel als der älteren Kaisersiegel, zu der
auch die rohe Darstellung der Bulle in allgemeinen Zügen
stimme.
Die Urkunden Karls III.
441
Diesem ausschliesslichen Gebrauche von anulus und bulla
stellt sich nur eine einzige verbürgte Ausnahme gegenüber in
einem durch das ganze Dictat auffallenden Original 1 mit sigilli
II. Kaisersiegel.
1. Leg.: KAROLVS IMPERATOR. Abguss Röckl 20 von nr. 74;
Abbildungen Schannat Vindiciae. Vr, Falke t. I nr. 4, Böhmer
C. d. Franc. 1, Heffner I nr. 6 vgl. Muratori Ant. 2. 47;
1, 559; Beschreibung Wartmann 2, 237; Vorkommen nr. 68, 70,
74, 76, 97, 102, 129, 137, 138, 148, 156, 158, 172, 175.
2. Leg.: KAROLVS VP AGS; Beschreibung Wartmann 2, 225 von
der einen Ausfertigung von nr. 41. Nach K. Pertz ist das 0
besonders klein. Vielleicht damit identisch das bei Muratori
Ant. 3, öl abgebildete Siegel von nr. 48.
3. Leg.: KAROLVS IMP A/GS. Abguss Röckl 19, 22 von nr. 61,
110; Abbildung M. B. 11 t. 1 nr. 7; Beschreibung Wartmann
2, 233; Vorkommen nr. 61, 63, 110, 115.
4. Siegel ohne Legende, Abbildung Muratori 3, 753 von nr. 31.
III. Bullen.
1. Avers : KAROLVS * ÄP * AGS, Revers umschlossen von einem
Lorbeerkranz: RENo | VATIo | REGNI | FRANc | . Abguss
Röckl 21 von nr. 77; Abbildungen Heineccius I, 9, Mabillon,
Dipl. supl. 48 = N. Traite 4, 113, Liber probat s. Emmerami
t. V von nr. 77; Beschreibung Wartmann 2, 225; Vorkommen
nr. 41 (zweite Ausfertigung), 69, 77, 96, 135.
2. Avers: KAROLVS 6PR A7GS (nach K. Pertz), Revers gleich
der vorigen; Beschreibung Wartmann 2, 265 von nr. 166.
Ob die Bulle Douet d’Arcq nr. 10880 vgl. die Abbildung Ma
billon, Dipl. supl. 48 nr. 6 = N. Traite 4, 121 — die Lesung der
Aversseite gegenüber dem Abguss unrichtig — Karl III. angehöre,
scheint mir sehr fraglich.
Ueber die für die Frage über den Zeitpunkt der Besieglung in
Betracht kommende Stellung des Siegels findet sich im Apparat der
M. G. nur bemerkt, dass dieses oberhalb des Recognitionszeichens (in
nr. 67, 137), des Wortes recognovi (nr. 70), zwischen Recognition und
Text (nr. 102) und mitten im Recognitionszeiehen (nr. 157, 172) auf
gedrückt sei. nr. 15 wurde erst nach der Datirung gesiegelt, da ein
Tlieil derselben durch das Siegel verdeckt ist.
Die Bullenschnur war theils weiss — K. Pertz constatirt für
nr. 41, 69 weisse Seide, für nr. 96, 166 weissen Zwirn — theils rotli
wie in nr. 135.
1 nr. 85, Recogn. Liutfred. Sonderbar namentlich der Schluss: Et ut hoc
nostrae munificentiae largimentum ad securitatem praedicti Johannis
presbyteri aut cuicumque dederit ßrmiorem in dei nomine oplineat vigorem,
videlicet ea ratione ut nullus . . . lianc nostri praec.epti oblationem aliquo-
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 29
ss«
442 Mühlbacher.
nostri impressione inferius insigniri prdecepimus; auch eine Copie
bietet sigillo nostro insigniri iussimus. 1 Der Ausdruck sigiliurn
in der Corroborationsformel ist für Deutschland allerdings erst
unter Ludwig dem Deutschen beglaubigt; 2 in Italien tritt er
vereinzelt aber schon 825 auf 3 und wird hier und in der west
fränkischen' Kanzlei hie und da verwendet. 4 Wird er auch
erst unter Arnolf häufiger gebraucht, 5 so kann er doch auch
schon unter Karl III. keineswegs befremden.
8.
Urkundenarten.
Eine strenge Scheidung der Urkunden in sachliche Grup
pen ist kaum durchzuführen, da sie inhaltlich oft in einander
übergreifen und sich vermengen. Schon die Formeln für
Diplome bieten dafür Belege/’ Dieselbe Erscheinung zeigt sich
wie anderweitig auch in den Urkunden Karls III. So ist
modo molare praesumat, dann Strafformel und wieder vollständige Corro-
boration; diese fehlen im Drucke Muratori Ant. 2, 47.
1 nr. 80; halte ich hier schon die Echtheit des Wortes sigillum für
zweifelhaft, so noch mehr in der Formel bulla nostra iussimus sigillari
et sigillo nostro corroborari von nr. 99, das Calmet l b , 319 nach einer
copie sur 1’original conserve ä S. Mansuy veröffentlichte; hier sind die
letzten Worte zweifelsohne interpolirt. Sigilli nostri impressione noch in
der gefälschten Urkunde nr. 178, nostro sigillo in der Fälschung nr. 18.
2 Sickel, Beitr. II, Wiener Sitzungsber. 39, 111 A. 1, Urkundenlehre 199.
3 Unter Lothar I. B. 509 Orig, in Turin.
4 Unter Ludwig II. in B. 670 ex or. und Copie Cod. Langob. 375. Unter
Karl dem Kahlen in B. 1616, 1794, 1808, Bouquet 8, 549 nach Tardif
110 nr. 174 Copie s. XI in Paris. Unter Karlmann nur in der Fälschung
Cod. Langob. 467.
5 Orig. B. 1032, 1035, 1047, 1052, 1060 (in Metz), 1080, 1085, 1138,
Würdtwein Subs. 3, 300 (Orig, in Marburg) und fünf Copien; das Orig.
B. 1086 (in München, Kontze’scher Fund) hat sogar sigillo bullae nostrae.
6 Roziere nr. 147 f. von diesem überschrieben als donationes cum immuni-
tate, nr. 155 Rubrik praeceptum confirmat.ionis de tributis et aliis rebus
quae reges ad loca dei dederunt (mit Immunität), nr. 565 f. überschrieben
ecclesiorum fundationes et immunitates vgl. Sickel, Beitr. III, Wiener
Sitzungsber. 47, 189.
Die Urkunden Karls III.
443
Immunität mit freier Wahl, 1 häufig mit Besitzbestätigung ver
bunden, 2 diese etwa wieder mit Inquisitionsverleihung, 3 die
Schenkung mit einem Mundbriefe 4 oder sie knüpft sich an die
Bestätigung einer Stiftungsurkunde 5 oder an eine Begünsti
gung in Betreff des Heerbanns an; 6 in einem anderen auch
sonst nicht sehr seltenen Falle ist nur das Object der Eini
gungspunkt, ein Kloster wird dem zeitweiligen Inhaber be
stätigt und jenem nach dessen Tode zugleich freie Abtwahl
zugesichert. 7 Bei Besitzurkunden, mögen sie Bestätigung oder
Schenkung sein, ist die Formel für Gewere in der Regel die
selbe; zwischen Schenkungen an Genossenschaften und Private
weist jedoch das Formular einen wesentlichen Unterschied auf,
aber selbst dieser wird nicht immer eingehalten.
Bei Besprechung der sachlichen Formeln einer bestimmten
Kanzlei . entfallen als nicht originell die Urkunden, welche
ihre Vorlage wörtlich oder mit unwesentlichen Zusätzen wieder
holen. 8 Dagegen werden formell wesentliche Abweichungen
von der Vorurkunde sowie Diplome, die selbständige Stili-
sirung aufweisen, besondere Beachtung beanspruchen. Ich folge
dem sachlichen Eintheilungsschema in Roziere, Recueil des
formules, im Interesse der Uebersichtlichkeit nur in einzelnem
davon abweichend.
Die Mundbriefe werden seit Ludwig dem Frommen
immer seltener 9 und beschränken sich vornehmlich auf Italien.
Doch die alten Formulare sind ausser Geltung gekommen, es
haben sich neue Formeln gebildet. 10 Die technischen Bezeich-
1 nr. 6, 7, 105, mit dem Privileg des gebannten Eides nr. 16G.
2 nr. 13, 23, 31 u. ö.
3 nr. 48 vgl. 160, mit Walilprivileg nr. 106.
4 nr. 85.
5 nr. 176.
0 nr. 165.
7 nr. 65 vgl. 48.
8 So nr. 20, 59, 64, 67, 81, 94, 102, 175 = B. 556, 855, L 202, B. 892,
639 (= 572), 1792, 886, Wilmans 188: aus der Kanzlei Karls nr. 9 =
12, 6 = 69.
9 Sickel, Beitr. III, Wiener Sitzungsber. 47, 259.
10 B. 640, Cod. Langob. 324, Orig, in Brescia, der einzige von Ludwig II.
erhaltene Mundbrief vgl. Siekel a. a. O.; eine von diesem nicht berührte
Schenkung mit mundium in der Urkunde Karlmanns B. 875, Cod. Langob.
29*
444
Mü lilbach er.
nungen sub mundeburdo, sub defensionis mundeburdium, sub munde-
burdi defensione et tuitione suscipere 1 bleiben dieselben, doch einmal
heisst es auch sub nostro vecepimus mundeburdo atque emunitate.' 1
An den Beginn der Immunitätsformel erinnert es auch, weml
hier befohlen wird, ut nullus comes aut gastaldius aut ulla
quaelibet persona in suis rebus mobilibus et immobilibus seu fami-
liis liberis ac servis audeat inquietare vel disvestire sine legali
iudicio, unde liactenus investitus est ad suam proprietatem per
cartolas vinditionis donationis commutationis atque per libellarias
vel precarias quod suam attinet vestituram, 3 ut . . nullus dein-
ceps audeat infer re molestiam aut invasionem facere, während die
Formeln für die Mundbriefe nach Art der Mandate sich direct
an den Adressaten wenden; 4 wie diese Specialisirung der Be
sitzerwerbung, so gehört auch jene der genannten Behörden
einer jüngeren Zeit und Italien an. Nur vereinzelt noch und
in abweichender Formulirung findet sich die Bestimmung, dass
gewisse Rechtssachen den Königsgerichten Vorbehalten seien. 5
478 Orig, in Brescia: Volumus ut ipsae res sub tuitione regali seu im-
periali omnibus futuris temporibus permaneant, non solum sub nostro mund-
burdio sed et successorum nostrorum in aevum existant.
1 Orig. nr. 21, 84 vgl. Roziere nr. 15 sub tuitionis atque defensionis mun
deburdo, nr. 14 sub mundeburdo et defensione ac tuitione, nicht gebraucht
ist sub securitate tuitionis ac defensionis Roziere nr. 12, 13.
2 Orig. nr. 98.
3 Aehnlich Orig. nr. 21: res sibi iure debitas tarn successione paterna
quamque materna vel ea quae postea comparando vel commutando vel
quolibet alio ingenio iusto legalique iudicio acquisivit.
. . ut nullus ex vobis aut ex successoribus vestris aut etiam ex iunio-
ribus vestris memoratos homines . . inquietare atque infestare nec de
rebus eorum . . aliquam diminorationem facere praesumat, Roziere nr. 15
vgl. 12, 13, B. 735 u. a.
Orig. nr. 21.
. . Si aliqua querimonia ex
his omnibus adversum se horta
fuerit quae sibi damnosa appa-
ruerit, ut liceat sibi suoque ad-
vocatori ad palatium (bei Mura-
tori Ant. 1, 919 irrig ad placitum),
waidare et ut nullus reipublice
Roziere nr. 12 vgl. 13, 15, 28.
Quod si aliquae causae adversus
eum vel homines eius . . surrexerint
vel ortae fuerint quae infra patriam
absque suo gravi et iniquo dispendio
definitae esse nequiverint, usque ad
praesentiara nostram sint suspensae
vel conservatae, qualiter ibi secundum
Die Urkunden Karls III.
445
Wurde früher dem Verletzer des Mundbriefes angedroht, dass
er vor das Königsgericht zur Verantwortung gezogen würde, 1
so entfällt diese Stelle jetzt und es wird nur am Schlüsse die
allgemeine Strafformel angefügt, welche auch nur theilweise
höhere Bussen androht; 2 selbst der Satz sed liceat illi . .
absque cuiuslibet impedimento . . cum honore residere et quieto
ordine vivere absque cuiuslibet iniusta contrarietate 3 hat sich nur
vereinzelt in abgekürzter Fassung erhalten. 4 Auch sachlich
erinnert es an die Immunität, wenn es im Mundbriefe für die
Kleriker von St. Justina in Piacenza heisst: decernimüs atque
iubemus ut ipsi sub nostra protectione securi existant cum Omni
bus rebiLs illorum, ita ut nulla persona eis aliquam inferre prae-
sumat molestiam et nullus fidelium nostrorum in illorum man-
sionibus mansionem accipere audeat sine voluntate eorum. s
Schon Sickel wies darauf hin, dass unter den Nach
folgern Ludwigs des Frommen Mundbriefe der alten Art für
Klöster immer mehr verschwinden, da jetzt die Immunität das
Mundium in sich begreife. 6 Dies scheint auch der Fall zu
sein in einer Urkunde für St. Maur des Fosses, dem auf Bitte
um Bestätigung der Präcepte der Vorgänger videlicet ut idem
monasterium . . in nostra tuitione et mundiburdo permaneat et
minister audeat infra suas man- aequitatis et rectitudinis ordinem fini--
siones ingredi causam pignorandi tivam accipiant sententiam.
aut aliquam molestationem in-
ferendi.
ln nostram praesentiam quadiare, Urk. Ludwigs II., Fatteschi 295.
1 Et si aliquis contra hanc nostram iussionem sive assertionem ire ten-
taverit . . noverit se propter hoc ad nostram praesentiam esse venturum
et ibi de sua praesumptione atque ausu temerario nobis rationem reddi-
turum et secundum facti sui meritum poenas persoluturum. Roziere nr. 12.
2 1000, 2000, 3000 mancosi nr. 79, 98, 21.
3 Roziere nr. 12 vgl. 13—-15.
4 Sed liceat eum per nostram auctoritatem quiete vivere et manere nr. 98;
sed liceat eos quiete possidere et cuicumque voluerint relinquere perpe-
tualiter omni remota vexatione atque diminoratione nr. 40 vgl. 84. In
nr. 79 heisst es nur res sub de/ensione tuitionis nostrae habeant.
5 nr. 84; ebenso in der Pön: Si quis autem hoc irrumpere tentaverit etillos
aut homines illorum aliquo modo iniuste distringere voluerit . .
6 Beitr. III, Wiener Sitzungsber. 47, 259, 264, 239.
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446 Mühlbacher.
mtüfo' personae episcopali seu fiscali subsit gewährt wird «< cte»t
omnibus rebus in nostra tuitione ac mundiburdo consistat. 1 Be
stimmter heisst es nach einer Vorurkunde in einem Diplom
für S. Ambrogio suscipientes sub regiminis mundeburdi tutelam
nostraegue providentiae immunitatem perpetuam 2 oder in einer
Besitzbestätigung für Parma sub nostrum mundburd(ium) seu
immunitatem includimus, 3 während ein Diplom für Maria Theodata
besagt sintque cunctas res monasterii . . sub regali seu imperiali
immunitate defensaed
Finden sich vereinzelt auch noch Formeln, welche an die
alten Mundbriefe mahnen, 5 so ist doch an dieser Stelle
schon die Immunitätsformel eingebürgert. Diese hatte in
Italien, dem diese Immunität vor den Karolingern fremd war,
eine von der fränkischen Redaction abweichende Form erhalten,
welche mehr den dortigen Verhältnissen sich anschmiegt. 0 Sie
bildet sich weiter fort und macht sich auch unter Karl III. in
den Diplomen für Italien deutlich bemerkbar. Die Abweichung
der italienischen Formel tritt namentlich hervor in der Auf
zählung der öffentlichen Beamten, der Besitzungen — hier mit
den Mundbriefen übereinstimmend — und der richterlichen
Functionen. Bestimmen die Formeln aus der Kanzlei Ludwigs
des Frommen ut nullus iudex publicus vel quislibet ex iudiciaria
potestcite . . ingredi audeat, 1 so heisst es etwa hier ut nullus
comes vel publicae partis iudex et gastaldio vel alia quaelibet
1 Orig. nr. 150.
2 Orig. nr. 23, Vorurk. B. 674 Cod. Langob. 430, ähnlich nr. 176 aus
Vorurkunde B. 831.
3 Orig. nr. 179; sub mundeburdio et immunitate nostra nr. 94, sub emuni-
tatis vinculo liabeat Orig. nr. 93, 26; eine Urkunde für die Abtei Tolla,
welche diese sub mundiburdo defensione et tuitione stellt, bestimmt dagegen
nur ut nullus ex comitibus gastaldionibus iudicibus seu ministribus in rebus
monasterii . . contra illos quaerulare audeat nr. 29.
4 Orig. nr. 48, die Immunität für dieses Kloster nr. 47; immunitas hier
wohl gleichbedeutend mit mundiburdium.
5 Quod si ipse (episcopus) opem facere neglexerit . . adeant libere sereni-
tatem nostram vel rjui nobis in regno suecesserint et causam necessitatis
suae principi innotescant nr. 126, 124 vgl. Sickel, Beitr. III., Wiener
Sitzungsber. 47, 247 A. 1.
6 Sickel a. a. 0. 201.
1 Roziere nr. 17—19, 21, quilibet superioris mit inferioris ordinis reipublicae
procuratot nr. 24.
Die Urkunden Karls III.
447
persona . . nemo superioris aut inferioris reipublicae procurator 1
oder in erweiterter Form: nullusque praefatae sedis episcopus
vel alius quislibet pontifex nullusque dux aut comes aut vice-
comes vel vicamus vel sciddassio vel missus discurrens aut quis
libet minister reipublicae. 2 Wie in der Pertinenzformel so
trägt auch hier die Aufzählung der Besitzungen und die Be
zeichnung der Kirchenholden italienisches Gepräge, so etwa
in monasteriis xenodochiis vel ecclesiis baptismalibus aut cardi-
nalibus seu oraculis vel cunctis possessionibus . . vel homines tarn
ingenuos libellarios quamque servos in possessionibus vel mansio-
nibus ipsiiis ecclesiae commanentes. 3 Ausser den in den Formeln
genannten richterlichen Functionen wird hier auch untersagt
liomines ecclesiae pignerare . . aut eos ad placitum adtrahere; 4
auch die Formulirung ist eine andere geworden, an die Stelle
des sonst gewöhnlichen Gerundiums ad causas audiendas . .
tritt jetzt in der Regel der Infinitiv. 5 In ähnlicher Weise wird
auch die Nennung der Leistungen, welche die Immunität er
lässt, dem Landesbrauch oder speciellen Verhältnissen ange
passt, wie nec ullas publicas functiones aut redibitiones vel illi-
citas occasiones vel congiaticum seu sparavarias vel operas, sicut
1 Orig’, nr. 92, Vorurk. nicht nachweisbar. Diese Detaillirung im Orig,
nr. 23 sogar in der Strafformel: Si quis autem ex praesulibus ducibus
comitibus sciddcissiis gastaldionibus aut alicuius partis publicae officialibus
seu discurrentibus missis nostris hanc . . auctoritatem convictus fuerit
violasse . .
2 Orig. nr. 83; ähnlich in Copie nr. 112 ut nullus dux marchio comes
vicecomes aut quislibet publice partis exactor. Ueber das Eindringen des
vicecomes in die Immunitätsformel Stumpf, Wirzb. Immun. 2, 43.
3 Orig. nr. 92, ähnlich nr. 39; in Copie nr. 112 aut suos liberos servos vel
manentes seu ad eam confugium facientes.
4 Copie 112 mit dem weiteren Zusatz vel in ostern mittere und der Aen-
derung der Formel aut in eorum mansionibus residere; distringere pigne
rare vel angariare Orig. nr. 39, nullusque . . per publica placita ventilet
Orig. nr. 83.
5 Bezeichnend im Orig. nr. 92: ad causas iudiciario 'more audiendas con-
ventum facere vel freda exigere aut mansionaticum vel paratas exquirere
parafredos aut fideiussores violenter tollere, clericos . . laedere vel homines
. . potestative distringere.
448
Mühlbacher.
. . a servis ipsius ecclesiae actenus exigebatur, sive angarias
superimponere audeat. !
Eine eigene Gruppe mit erweiterten Rechten bilden die
auf dem Reichstag in Ravenna erlassenen Privilegien, 2 welche
im Anschluss an die italienische Immunitätsformel in über
einstimmender Fassung besagen, ut nullus dux aut comes vel
aliqua iudiczaria potestas aut minister reipublicae tarn in plebibus
quam in monasteriis titulis aliisque ecclesiis (et possessionibus ur-
banis seu rusticis) placita teuere, massarios et colonos liberos
aldiones vel servos residentes super res praedictae ecclesiae distrin-
gere pignorare angariare, census et redibitiones et donaria aliqua
exigere praesumat, sed liberos massarios quos legalis coactio exigit
quaerere ad placitum. per patronum seu advocatum ad placita
ducantur. Die Formel führt indess, wie schon erwähnt, auf ein
Privileg Ludwigs II. für Piacenza zurück. 3
Für Deutschland bleibt die alte Immunitätsformel unge-
ändert in Gebrauch, 4 doch findet sich ausnahmsweise auch hier
eine Stelle, welche an Begünstigungen in italienischen Immu
nitäten erinnert. 5 Die Immunität für Pfävers ist nach italie
nischem Muster geschrieben. 6
1 Orig. nr. 92; Orig. nr. 83 nullnsque teloneum aut donaria aut publicas
redibitiones exquirat necnon mansionatica in onmibus eorum terminis acci-
piat sintque ab omni publica exactione immunes, in Copie nr. 112 aut
curatuvam theloneum . . vel quod ad puhlicam pertinet functionem. Im
Orig. nr. 23, Besitzbestätigung mit mundium ohne Immunitätsformel:
interdicimus, ut nullus ex his qui nostro regno subiacent aliquam coenobio
. . violentiam invasionem in rebus vel familiis . . vel ullam diminorationem
inferre praesumat nullasque praestationes vel redibitiones seu quaslibet an
garias aut annuas exactiones contra morem canonicum sive regulärem con-
stitutionem obponere illis vel ab ipsü exigere audeat.
2 nr. 50, 52—56 vgl. Ficker, Forschungen 1, 253. Ein Fragment der Ur
kunde für Cremona nr. 53 auch in der Notitia Berangers I. von 910 Nov.
Muratori Ant. 2, 5, Cod. Langob. 759, aber mit dem irrigen Tagesdatum
XI kal. statt XV lcal.
3 Campi 1, 460.
4 So nr. 153 für Passau.
5 nec nos nec ullus successorum nostrorum deiu.de munera — das italienische
donaria — aut ullum coactum servitium accipere praesumat. Orig. nr. 154,
Vorurkunde nicht nachweisbar.
6 nr. 3, Vorlage B. 557. In der Urkunde für St. Martin in Autun: ut
nullus comes seu vicecomes aut aliquis ex iudicibus vel ex missis nostris
Die Urkunden Karls III.
449
Die Immunitätsbestätigungen schliessen sich in der Regel
ihren Vorurkunden wörtlich an. Machen sich in solchen Diplo
men für Italien schon theilweise eigenartige Elemente geltend, 1
so zeigen diese Urkunden für Deutschland noch die Formeln,
wie sie in der Kanzlei Ludwigs des Frommen festgestellt
worden waren. 2 Dasselbe ist in Westfrancien der Fall. 3 Die
Bestätigungsurkunden bieten indess auch Ueberarbeitungen,
welche theils wie in einem Diplom für St. Gallen nur for
meller Natur sind, 1 theils aber auch den erweiterten Befugnissen
discurrentibus potestative mansiones accipiat . . nr. 123 ex arch. mon.
Vielleicht bietet das in Delisles Rapport und in M. Robert, Inventaire
des cart. 90, genannte Werk 6. Bulliots, Essai hist, sur l’abbaye du
St.-Martin d’Autun besseren Text; dasselbe war mir nicht zugänglich.
Vicecomes auch sonst in westfränkischen Urkunden B. 1755 Orig.
Tardif 131, B. 1822 u. ö.
1 nr. 13 = B. 580, nr. 31 = B 876, nr. 47 = B. 669, Cod. Langob. 323,
nr. 34 vgl. B. 1788.
Ueber Immunitätsbestätigungen späterer Zeit Stumpf, Wirzb.
Immun. 1, 58.
2 nr. 7 = L 72, nr. 64 — L 202, nr. 102 = B. 886 (= B 730 = L 84),
nr. 175 = Wilmans 188 (= B. 793 = L 178).
3 nr. 141 = 147 = 167 = B. 1568 (= L 97), nr. 146 = B 1868 (vgl.
Sickel, Acta 2, 369); von nr. 124 hat sich keine Vorurkunde erhalten.
Fraglich scheint mir die Echtheit der Formel in der abschriftlich über
lieferten Urkunde für Chillons s. M. nr. 120: ut nullus Burgundiae dux
seu Cabilonensis ecclesiae episcopus sive eius urbis comes aut iudex publi-
cus aut exactionarius aut mansionaticus homines illius loci procul et iuxta
eitos . . distringendum iudiciaria potestas minime exigere aitdeat, sie ist
wenigstens verderbt; Vorurk. nicht nachweisbar, obgleich es früher heisst
quidquid in eorum sonat privilegiis.
nr. 6.
. . ut nullus publicus iudex
aut quislibet superioris aut infe-
rioris ordinis persona in ecclesiis
sive villis aut locis vel agris
eiusdem monasterii ad causas
audiendas vel freda exigenda
aut mansiones sive paratas fa-
ciendas exigere presumat nec
homines tarn ingenuos quam et
servos super terram eiusdem
monasterii commanentes per vim
B. 728 vgl. Wartmann 2, 52.
. . ut nullus iudex publicus aut
quilibet superioris aut inferioris or
dinis reipublieae proeurator in eecle-
sias aut loca, villas vel agros seu
reliquas possessiones memorati mona
sterii quas . . possidet ad causas iudi-
ciario modo audiendas vel freda exi
genda aut mansiones vel paratas
faciendas aut fideiussores tollendos
aut homines ipsius monasterii tarn
ingenuos quam et servos super ter-
450
Mühlbacher.
sachlicher Art entsprechen, wie in einer Immunität für
Reichenau. 1
Die einfachste Form der Privilegienbestätigung — es
kann hier nur die Immunität darunter verstanden werden —
liefert eine Urkunde für Lorsch. 2 Die Narratio erzählt nur
qualiter fratres . . nostram deprecati sunt clementiam, ut prae-
cepta antecessorum nostroruni per nostrae auctoritatis praeceptum
per omnia confirmaremus; die Bestätigung beschränkt sich auf
die Worte Nos vero postulationibus eorurn . . consentientes de-
crevimus ita fieri und präcisirt mit insuper etiarn einleitend nur
die freie Wahl. Ganz ähnlich ist die Immunitätsbestätigung
für Prüm stilisirt. 3 Zwei andere Diplome bieten die Immuni
tätsformel nur in der Narratio und die Bestätigung lautet nur:
Nos . . etiarn haec omnia nostra auctoritate firmissime roboramus,
ut deinceps quidquid hoc comprehensum est nostro ßrmitatis pre-
cepto . . firmum et stabile permaneatß wie eine andere Urkunde
sich mit den Worten begnügt sub nostrae tuitionis munimine
absque ulla contradictione vel iudiciaria potestate . . ita et nostris
futurisque temporibus per hoc nostrae auctoritatis praeceptum
inviolabiliter perseveretp eine fernere die immunitas nur einfach
nennt. 6
Mit der Immunität für Klöster war gewöhnlich das Recht
der freien Abtswahl verbunden; schon die Formeln hatten
darauf Rücksicht genommen. Auch diese Formel wiederholt
distringere aut inrationabiliter ram ipsius commanentes irrationabi-
audeat inquietare. liter distringendos nec ullas redibitio-
nes aut inlicitas occasiones requirendas
nostris futurisque temporibus ingredi
audeat . .
1 nr. 162 - , in die Vorlage nr. 7 wird seu ullum publicum placitum habendum und
et ut censuales homines sive familiae, in quibuscunque locis sint constitutae,
paceni habeant et cor am, nullo comite aut bannum persolvant aut saeculare
negotium habeant nisi coram abbate vel ipsius monasterii advocato einge
schaltet vgl. nr. 149, Vorurk. B. 1561, 1856.
2 nr. 72 im Chron. Lauresh. überschrieben als praeceptum immunitatis Ka-
roli tercio et de electione abbatis.
3 nr. 105.
4 Orig. nr. 6, etwas kürzer Orig. nr. 7.
5 Orig. nr. 73.
6 Orig. nr. 166.
Die Urkunden Karls III.
451
sich aus der Vorurkunde, 1 sie erhält aber auch mehr oder
minder abweichenden Wortlaut. 2 Wird sonst freie Wahl zu
gesichert, quandiu ipsi monachi inter se tales invenire potuerint
qui ipsam congregationem secundum regulam s. B&nedicti regere
valeant, s so in einer Urkunde für Prüm si talis inter eos secun-
dum ccinonicam auctoritatem habilis et idoneus inveniri poterit
quem vitae religio morum compositio et s. scripturarum instructio
commendet ornet atque sanctificet. 4
Aus der Kanzlei Karls III. haben sich auch eigene Wahl
privilegien erhalten; wie jenes für Weissenburg mit der Be
stimmung licenticim habeant inter se elegendi abbatem, 6 so
schliessen sich zwei andere der sonst den Immunitäten beige
fügten Formel an. 6
Privilegien, welche freie Bischofswahl zusichern, sind sehr
selten; auch die älteren Formeln liefern dafür kein Muster."
zwei derselben bieten die Urkunden Karls. Während das eine
1 nr. 6, 102.
2 In nr. 7 wird aus der Vorurkunde Ludwigs des Frommen L 72 in der
Narratio die alte Formel wiederholt; am Schlüsse heisst es aber: Deprivilegio
vero electionis sancimus per omnia, ut deinceps nutta se aliena intromittat
persona, sed nostris futurisque temporibus familiariter intrinsecus in elec-
tione fraterna certissime pennaneat. In etwas abweichender Fassung auch
in nr. 47 für Maria Theodata in Pa via: ut iuxta normam regulae s. Bene-
dicti, cum necessitas pulsaverit, de pvopria congvegatione licentiam eligendi
habeant abbatissam semper quidem sub regis immunitate defense, ähn
lich nr. 48.
3 Rozi&re nr. 19 vgl. nr. 572.
4 nr. 105; in der Urkunde für Lorsch qui digne et regulariter eundem locum
procurare queat et secundum mandata abbatis Benedicti nova et vetera
proferre valeat nr. 72. Analog der Formel für freie Abtwahl heisst es
in nr. 106 für Honau: ut monachi liberam in Omnibus habeant potestatem
. . eligendi inter se priorem qui fideliter religionem et eorum causas pro
curare studeat. Abweichend in nr. 150 für St. Maur des Fosses elec-
tionem faciant abbatis ex suis a quo regantur.
5 nr. 65.
6 nr. 135 für St. Maximin in Trier zugleich mit der Gewährung ut hoc
idem monasterium sub nostra defensione salvum existat, nr. 4 für Mur
bach, die Formel nur in der Narratio, die Verleihung: ut sicuti haec
eadem electionis concessio a principibus Francorum concessa est, ita dein
ceps firma et stabilis permaneat; Vorurkunde verloren.
7 Erst die sog. Formulae Salomonis Roziere nr. 520 in gauz ungewöhn
licher Formulirung.
452 Mühlbacher.
für Paderborn 1 mit der Formel licet talem inter se moribus
scientiaque probatum invenerint qui eidem officio ap/tus dignusque,
quantum humana ad hoc competit fragilitas, dinoscitur dem For
mular für Gewährung' der freien Abtwahl nachgebildet ist,
bestimmt das zweite für Chälons s. M. 2 gemäss der in West-
francien entwickelten kirchlichen Rechtstendenz ut obeunte
pastore proprio omni deinceps tempore canonicam liabeat elec-
tionem.
Verwandt mit dem Mundium und den Immunitätsvor
rechten ist das Inquisitionsrecht, welches namentlich für
Italien vielfach verliehen wurde. 3 Die älteren Formeln konn
ten noch nicht darauf Bedacht nehmen, es sind also nur Vor
urkunden zum Vergleiche heranzuziehen. So ist die Formel
sancimus ut, cum necessitas evenerit, de rehus et familiis ipsitis
monasterii per inquisitionem regalem rei veritas approbetur der
Vorurkunde entnommen 4 gleich jener in den Diplomen für
S. Ambrogio 5 und Bergamo. 6 Ebenso ist auch das Privileg
des gebannten Eides für St. Gallen trotz freier Bearbeitung
von der Vorurkunde beeinflusst. 7 Dagegen heisst es in dem
defensionis et emunitatis inquisitionis et advocationis pragmaticum
für Reggio, 8 wie die Urkunde sich nennt, einfach emunitatem
et inquisitionem . . perdonamus. In all diesen Fällen tritt das
Inquisitionsrecht nur im Gefolge der Immunität auf. Zeigen
1 nr. 133 in der Petitio quatenus in eligendis episcopis praedictae ecclesiae
fratres . . electione iuxta pristinum morem fieri mererentur.
2 nr. 121; in der Petitio ut praefatae ecclesiae canonicam electionem con-
cedere debevemus.
3 Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis, Wiener Sitzungsber. 51, 392, 430.
4 Orig. nr. 47, Vorurk. B. 863, Cod. Langob. 461; fast gleichlautend in
nr. 48 vgl. B. 569, Cod. Langob. 248, beide für Maria Theodata in Pavia.
5 Ubicumque autem et undecumque necesse habuerint, tamquam de domini-
catis nostris ita de rebus ipsius sacrati loci vel familiis inquisitionem
fieri volumus. Orig. nr. 23 vgl. B. 674, Cod. Langob. 430.
6 Si ullam deminorationem seu divestituram quislibet facere temptaverit,
non sit necesse . . ullam facere probationem, sed diligenter per bonae
fidei pagenses circumquaque manentes fiat inquisitio, quatenus rei veritas
lucide clarescat. Orig. nr. 92 vgl. Cod. Langob. 280.
7 Orig. nr. 166 vgl. Wartmann, U. B. von St. Gallen 2, 182; ausser dem
Zusatz et caetera loca ad fiscum nostrum pertinentia ist auch die Erwei
terung ,ut nullus iudex vel dux . . molestiam inferre praesumat 1 interessant.
8 Orig. nr. 50.
Die Urkunden Karls III.
453
dessen Verleihungen auch eine gewisse Gleichförmigkeit, so ist
diese doch mehr eine sachliche als eine formelle; es fehlte,
als man dieses Vorrecht auch auf Kirchen auszudehnen begann,
an einer codificirten Formel und es blieb die Stilisirung des
Einzelfalls massgebend. Dies gilt auch für einige andere
Urkunden besonderen Inhalts, wie etwa eine Zinsbefreiung
oder die Competenzbestimmung der Richter und Notare eines
italienischen Klosters. 1
Wie in Deutschland mit der Immunität häufig das Wahl
privileg verbunden wurde, so Besitzbestätigung in Urkunden
für Italien und Westfrancien; 2 nur ausnahmsweise und in anderer
Form geschieht dies auch in Diplomen für Deutschland. 3 Nach
Landesbrauch bringen jene auch bei Bestätigung des Gesammt-
besitzes — man nannte diese in Westfrancien pancarta 1 —
sehr detaillirte Angaben und vollständige Aufzählung der lie
genden Güter, öfters auch mit genauer Bestimmung der Grenz
linien. 6
1 Orig. nr. 172, 160. Das Münzprivileg für Langres nr. 156 besitzt eine
Vorurkunde Karls des Kahlen, Perard pr. 48, dagegen ist jene von
nr. 165, Beschränkung der Heerbannspflicht für Korvei, verloren. Zoll
briefe aus der Kanzlei Karls III. sind nicht überliefert; Zollfreiheit wird
wie in nr. 150 nur als Annex der Immunität gewährt gleich dem Markt
rechte in nr. 39. Ausser den königlichen Priicepten werden auch noch
päpstliche Privilegien — in nr. 125, 176 auch ein bischöfliches — in Ur
kunden für Italien — nr. 13, 87 hier Besitzverhältnisse betreffend —
und für Westfrancien, wo sich dieser Brauch schon eingebürgert —
nr. 123, 141, 146 — bestätigt; deutschen Urkunden ist dieser Ge
brauch fremd.
2 Für Italien nr. 13, 23, 47, 57, 83, 92-94, 112 vgl. Sickel, Beitr. III.
Wiener Sitzungsber. 47, 204, ohne Immunität nr. 17. 38, 49, 51, 80,
87 (für Piacenza, Immunität nr. 39), 82 (für Reggio, Immunität nr. 83),
127. Für Westfrancien nr. 124, 141, 146, 147, 149, 150, 167, ohne
Immunität nr. 118, 119, 123, 142.
3 Orig. nr. 73 für St. Felix und Regula in Zürich, selbständige Stilisirung
ohne Besitzdetails und Immunitätsformel vgl. nr. 153 für Passau.
4 Corroborantes denuo pancartam super Omnibus rebus, nr. 141 aus der
Vorurk., detulerunt praeceptum . . quod pancartam vocant nr. 146. Pan
carta in Urkunden Karls des Kahlen Tardif 126, Bouquet 8, 564 u. ö.
5 Grenzangaben in nr. 36, 38, 80 für Italien, ausnahmsweise aus der Vor
lage nr. 61 für Metten; diese besonders auch in Urkunden für Siid-
italien und Aquitanien; Detaillirung des Gesammtbesitzes. nr. 119,
124 u. ö.
454
Mühlbacher.
Die Besitzbestätigungen führen gleich den Formeln 1 die
technischen Ausdrücke confirmamus, roboramus (corroboramus) ; 2
doch daneben begegnet das sonst für Schenkungen übliche
concedimusf hier gleichbedeutend mit dem denuo concedere der
Formel, das sich mit jenen Ausdrücken auch zu concedimus et
corroboramus verbindet.- 1 Concedere für sich allein präcisirt zu
wenig, namentlich der Schenkung gegenüber; doch der Unter
schied zwischen concedere und confirmare ist hier doch nur ein
formeller, kein rechtlicher. Besitzbestätigungen und Schen
kungen lassen sich unter eine gemeinsame Rubrik ,Besitz
urkunden' bringen; auch anderweitig zeigt sich ein Schwanken,
eine gewisse Gemeinsamkeit der Formeln.
Dies auch am Schlüsse, welcher die Sicherung des Be
sitzes betont. Heisst es etwa in einer Formel aus der Kanzlei
Ludwigs des Frommen: Praecipientes ergo iubemus, ut niillus
fidelium nostrorum . . nullam inquietudinem aut infestationem
aut contrarietatem facere ullo unquam tempore presumat, sed
liceat . . perpetuis temporibus habere absque alicuius infestatione
aut resultione vel diminoratione, 5 so in einer anderen wie bei
Schenkungen ut res . . per hanc nostram auctoritatem nostris
futurisque temporibus quieto ordine teneant atque possideant et
quidquid ex eis pro opportunitate et utilitate monasterii facere
voluerint, libero in Omnibus potiantur arbitrio. 6
1 Roziere nr. 155—157.
2 Auch verbunden confirmamus et corroboramus nr. 13, confirmamus et lar-
gita largimur et corroboramus nr. 126, consolidare et corroborare nr. 61,
inrefragibiliter redintegrando rursum confirmare nr. 174.
3 So hat eine Besitzbestätigung für S. Ambrogio nur confirmamus, eine
andere für Maria Theodata nur concedimus nr. 23, 47 vgl. Wiener
Sitzungsber. 85, 488 A. 7. Bezeichnend in nr. 120: concessimus quid
quid . . eiusdem loci fundator ibidem condonavit.
4 nr. 80, 94. 160 vgl. 58, roboramus et in perpetuum concedimus nr. 17
vgl. 163.
Die Stelle der Formeln pro firmitatis namque Studio petiit . . Ro-
zifere nr. 156, 157 nur in einer Reichenauer Urkunde nr. 163.
5 Roziere nr. 156. Am Schlüsse der angefügten Bestätigung eines anderen
Besitzes sed sicut ab antecessoribus et a nobis . . constat esse confirmatum,
ita domino protegente per hanc nostram auctoritatem nostris et futuris
temporibus maneat inconvulsum.
0 Roziere nr. 157.
Die Urkunden Karls III.
455
Diese Formeln, wenn auch mannigfach variirend, bleiben
in Geltung; sie betonen, dass der bestätigte Besitz dem Eigen-
thümer gesichert bleibe und verbieten jeden ungerechten Ein
griff. 1 Besagt die eine Urkunde nur ut praedictae res iure
firmissimo ad monasterium permaneantso eine andere in
weiterer Ausführung ita nostris aut successorum nostrorum tem
poribus absque alicuius contradictiona seu qualibet refragatione
inviolabiliter per lianc nostram auctoritatem permaneat 3 oder es
wird beigefügt nullusque liabeat potestatem auferendi quod nostra
auctoritate roboratum esse consta,bit, i gelegentlich auch in näheres
Detail eingehend. 5
Seltener wird die Formel der Schenkung verwendet,
welche auch hier insofern geeignet war, da es keinen besitz
rechtlichen Unterschied begründete, ob das Gut nur bestätigt,
oh es eben geschenkt war. So in einer Besitzbestätigung für
Wibod von Parma: Corroboramus et in perpetuum concedimus
praedictam curtem . . unacum cum praeceptis, ut liabeat teneat
1 So namentlich Orig. nr. 103 für Reichenau: nullusque sine legoli certa-
mine et publici malli conßictu aliquam violentiam aut subreptionem seu
diminutionem inferre aut facere praesumat, sed liceat . . sua quaeque
possidere nostra per omnia imperiali auctoritate roborata.
2 nr. 96, perpetua firmitate pertineat nr. 9, stabile atque inconvidsum nostris
futurisque temporibus in ipsius iure et potestate perpetualiter maneat
nr. 92, ähnlich Roziere nr. 156: ut sicut a supranominato antecessore
nostro concessum est, ita deinceps nostris futurisque temporibus firmissima
ratione permaneat gleich nr. 163 vgl. nr. 49.
3 nr. 107; nemine contradicente nr. 153, omni vexatione sopita nr. 160 (für
Italien), nullo unquam successorum nostrorum hoc irrumpente nr. 143, 151.
4 nr. 9 vgl. 49, 111, absque diminoratione nr. 38, absque ulla contradictione,
ut nulla potestas quidquam minorare praesumat nr. 51, absque ullius
contradictione vel diminoratione seu iniusta molestatione nr. 25, 58; die
Formel in nr. 47 = Roziere nr. 156.
5 Ut nullus abbas aliquod abstraliere minuere aut beneficiare vel concam-
biare potestatem non habeat nisi pro utilitate eorum aut per consensum
eorum nr. 142, nidlus inde abstraliere sine licentia abbatis vel senioris
praesumat nr. 120, beide für Westfrancien. Wenn es in der Bestätigung
der Dotation des Domcapitels von Dijon nr. 119 heisst: res . . teuere
atque legitime ordinäre secundum institutionem canonicam absque alicuius
contradictione valeant . . ita futuris temporibus inconvulse in Christi
nomine permaneat, so ist diese Stelle offenbar von der bischöflichen Vor
urkunde beeinflusst.
Mühlbache r.
456
possideat et faciat quicquid decreverit . . ex nostra plenissima
largitate. 1 Dem entspricht es auch, wenn es heisst: ut liberam
in omnibus habeant potestatem de suprascriptis rebus ad procu-
randam eorum necessitatem; 2 häufig' wird auch hier betont, dass
der bestätigte Besitz in usus fratrum verwendet werden solle. 3
Italienische Besitzbestätigungen zeigen auch hier heimi
sches Gepräge, indem sie analog den Mundbriefen und Immu
nitäten gelegentlich die Erwerbungsart des Gutes 4 oder die
mit öffentlicher Macht bekleideten Persönlichkeiten speciali-
siren, welche sich einen Eingriff gestatten könnten; 6 entspricht
ja diese Specialisirung dem ausgebildeteren Rechtsleben Ita
liens. Nur ausnahmsweise wird auch eine Prüfung der Rechts
titel erwähnt. 6 Ganz vereinzelt ist noch in die Bestätigungs
formel einer Urkunde für Maria Theodata der Vorbehalt salva
omni iustitia eiusdem monasterii eingerückt. 7
Besitzbestätigungen für Privatpersonen weisen dieselben
Formeln auf.
1 nr. 17; mit der entsprechenden Formel (= Roziere nr. 157) auch in der
Besitzbestätigung für Reggio nr. 82. nr. Gl für Metten, obgleich Besitz
bestätigung, ist ganz der Schenkung B. 890 nachgeschrieben und trägt
auch die Formeln derselben.
2 nr. 106.
3 Oder auch in usus sororum (monacharum), nr. 9, 51, 59, 111, 160, ad
utilitatem monasterii nr. 47.
1 Quicquid nostra vel prodecessorum nostrorum munificentia atque impe-
riali liberalitate promeruerunt, quin etiam eiusdem urbis pontificum con-
cessione atque largitate adepti sunt seu quorumlibet Christi fidelium
oblatione donatione seu qualibet traditione vel commutatione ex nostra
parte vel abbatiis seu comitatibus comparando commutando seu pretium
dando acquisierunt, nr. 23 für S. Ambrogio; necnon offersiones venditio-
nesque fidelium nr. 13 für Arezzo, ausführlicher in nr. 112 für Asti.
5 Ut nullus dux comes vel ulla omnino tarn magna quam parva persona
contra hoc nostrae confirmationis vel concessionis praeceptum ire minui
vel quoquomodo violare praesumat, sed liceat . . nr. 17 für Wibod von
Parma; ut nullus missus neque iudex publicus nec ulla opposita persona
inferre praesumat molestiam, nr. 94 für Cremona aus der Vorlage.
s Nos vero hoc veraciter perscrutantes invenimus ita verum esse, sicut nobis
retulerunt, nr. 51; quae omnia veraciter cognoscentes, nr. 94; quibus
(praeceptis) diligentissime perspectis, nr. 93.
7 Orig. nr. 48.
Die Urkunden Karls III.
457
Im Ganzen auch die verhältnissmässig häufigen Restitu
tionen. Der technische Ausdruck restituere findet sich zwar
gewöhnlich in der Petitio, 1 doch die Verleihung selbst bietet
nur selten restituimus ; 2 dafür etwa auch reddimus et condo-
namus donaiumque in perpetuum esse definimus. 3 Die Festigungs
tormein am Schlüsse stimmen mit jenen der Besitzbestätigungen
überein.
Von den Restitutionen gehören zwei Drittel (10) West-
francien an, 4 dem Lande, über das Karl am kürzesten herrschte,
hier vielleicht auch theilweise der Preis, um grössere Aner
kennung zu gewinnen. Westfränkischen Ursprungs 5 ist auch
1 nr. 57, 118, 122, 131, 148, reddere in nr. 151, 171. Die letzte Urkunde
für Mäcon ist in dem jetzt nur mehr in Copie des 18. Jahrhunderts er
haltenen Chartular zweimal in etwas abweichender Form eingetragen;
die bedeutendste Variante ist, dass die eine Recension quia Leduardus
ven. episcopus atque dilectus archicancellarius nostram adiit clementiam, . .
die andere die noch mehr verderbte Namensform Wicardus mit denselben
Titeln gibt, Ragut, Cart. de St. Vincent de Mäcon 55, 90. Es ist be
stimmt ein und dieselbe Urkunde und nur eine Eigenthümlichkeit dieses
Chartulars die gleiche Urkunde auch zweimal an verschiedener Stelle
— so etwa Ragut 67 nr. 87 = 123 nr. 190 — zu gehen. Die Zuge
hörigkeit zu Karl III. ist durch die Intervenienz Liutwards und die Re-
cognition Madalbertus (Amalberlus) not. sichergestellt. Wie schon die älteren
Drucke St. Julien Or. des Bourgongnons 272 = Gallia Christ. 4 b , 263, so
schreibt auch noch Ragut beide Fassungen Karl dem Grossen zu und
setzt die eine zu 801, die andere zu 802—810, obgleich sie schon Bouquet
9, 345 nr. 13 Karl III. zutheilt vgl. Sickel, Acta 2, 301 L 21. Aus
dem Wicardus machte mau noch dazu einen Bischof von Mäcon und als
solcher (Wichardus Matisconensis episc. et archicanc.) figurirt er sogar
noch im Register von Ragut p. 546 und bei Gams, Series episc. 572.
2 nr. 126, restituimus et restituendo decernimus nr. 148, restiluendo delegamus
nr. 123, restituimus et in perpetuum confirmamus nr. 93; statt dessen
auch einfach concessimus nr. 59.
3 nr. 131, reddidimus nr. 177; das entrissene Gut wird als res iniuste
abstraclae, indebite substractae nr. 151, 148, 157 bezeichnet.
4 Für Deutschland nur nr. 59 = B. 855, also Bestätigung, und nr. 177 für
Liutwards Neffen Adalbert, für Italien nr. 93 für Bergamo, nr. 57 für
Vercelli.
6 B. 1638, 1706, 1733, 1757, 1770, 1773, 1774, Tardif 132, Bouquet 8, 621,
drei Urk. für Chälons (M. G.); Feier des Jahrtags ohne refectio B. 1632,
1684, 1699, dagegen refectio ohne bestimmte Feier B. 1682, 1701, 1710,
1718, 1750, 1777, 1779, Tardif 135, Guerard, Cart. de St. Bertin 119
vgl. die Urkunde Ludwigs des Frommen für St. Denis L 310.
Sitzungsler. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 30
458
M ülilbache r.
die Bestimmung, welche sich in drei dieser Restitutionen findet.
So in zwei Urkunden für Langres 1 ut annis singulis die con-
secrationis nostrae congregationi eiusdem ecclesiae et monachis in
inm dicto monasterio una refectio ab episcopo nobiliter praepa-
retur et Jionorifice exhibeatur. Nicht minder einladend, hier mit
directer Berufung auf die bischöfliche Vorurkunde, bestimmt
das Diplom für St. Evre bei Toul: Constituimvs vero, sicut in
privilegio npiscoporum continetur, per singulos annos in festivitate
1). Apri exhiberi convivium ibi peragendum, zu dem Frischlinge,
Widder, Hühner und anderes beigestellt werden soll. 2
Zu den Besitzbestätigungen zählen noch die sogenannten
Apennes. Ein solcher hat sich in Asti erhalten; er schliesst
sich in seiner charakteristischen Formel den alten Mustern an; 3
diese ist in einer Privilegienbestätigung für Piacenza wörtlich
wiederholt. 4
Die Verschiedenheit des durch die Schenkung gege
benen Rechtstitels bedingt auch eine Verschiedenheit des For
mulars; während Schenkungen zu freiem Eigen die Verfügung
über das vergabte Gut dem Belieben des Beschenkten anheim
stellen, ,r ’ betonen Schenkungen an Kirchen, dass nur zu deren
und der ihr zugehörigen Genossenschaft Vortheil über das Gut
verfügt werden dürfe. 0 Der Unterschied kommt sogar in den
Rubriken der Formel zur Geltung; die Schenkung an Kirchen
1 Orig. nr. 131 = 157 eingeschaltet nach dem Satze ut pro nohis . . ec-
clesia assidue exoret.
Mit der Bestimmung der Feier des Krönungstages ging der Satz
ac fralres in eodem monasterio commanentes eodem die inde reßciantur in
die Fuldaer Urkunde nr. 134 über.
2 nr. 125.
3 . . quatenus hac nostra regali institutione omnia ad suam potestatem
dominiumque vindicet, tamquam firmitates et donationes atque obiationes
cartarum non fuissent unquam igne combusta, nr. 112 vgl. Rozi&re
nr. 415, 416.
4 nr. 39; die Formel quod si . . quaestio orta fuerit . . — Roziere nr. 416.
5 . . ita videlicet ut quidquid ab hodierna die et tempore . . facere voluerif,
libero in Omnibus potiatur arbitrio faciendi quidquid delegerit. Roziere
nr. 143 vgl. 140 — 142, 144.
0 . . ita dumtaxat ut quidquid . . ob utilitatem et profectum ipsius eccle
siae facere voluerit, libero in Omnibus perfruatur arbitrio faciendi. Roziere
nr. 146 vgl. 157.
Pie Urkunden Karls III.
459
bezeichnen sie als donatio imperialis locis dei, jene zu freiem
Eigen einfach als donatio imperialis. l Diese Scheidung datirt
übrigens nicht erst aus der Karolingerzeit, sie wurde schon
von den Merovingern übernommen und kommt bereits in den
Marculfischen Diplomenformeln zu prägnantem Ausdruck; 2 in
den Formeln für Privaturkunden wird sie aber nur ausnahms
weise berücksichtigt. 3
Die Schenkung bedient sich am häufigsten der Fopmel
concessimns (concedimus), 4 öfters mit dem Zusatz iure perpetuo
in proprietatemf selten condonamus 6 oder beider Ausdrücke
1 Rozi&re nr. 146; 142, 143.
2 Schenkung an Private: ita ut eam iure hereditario absque ullius iudicum
traditione habeat teneat atque possideat et suis posteris . . aut cui voluerit
ad possedendum reliiiquat vel quicquid exinde facere voluerit, ex nostro
permisso liberam in omnibus liabeat potestatem, Rozi&re nr. 147; dagegen
in der cessio ad loco sancto: ita ut eam ipsi et successores sui habeant
teneant et possideant vel quicquid exinde ad profectum ecclesiae illnts aut
basilicae facere voluerint, ex permisso nostro (liberam) in omnibus habeat
potestatem, Roziere nr. 148; ex nostro permisso verschwindet dann unter
den Karolingern, in späterer Zeit vereinzelt unter Lothar I. accepta a
nobis licentia B. 584, 613, 615.
3 Nur Rozikre nr. 199, 212, 213, 345 vgl. 339 a quicquid exinde pro oportunitate
monasterii (ecclesiae) facere decreverint . ., sonst auch bei Schenkungen
an Kirchen die für Uebertragung zu freiem Eigen übliche Formel mit
der Variante ita ut quicquid ab hodierna die pars ipsius ecclesiae eiusque
rectores . . facere voluerint Roziere nr. 195 f. statt quicquid . . facere
volueris (volueritis).
4 Die Unterscheidung, dass concedimus — in den Urkunden Karls III. der
seltenere Ausdruck — den Zeitpunkt der Uebergabe, concessimus die Zeit
der bereits geschehenen Uebergabe ins Auge fasse vgl. Ficker, Urkun
denlehre 1, 109, lässt sich kaum aufrecht erhalten; die Urkunden selbst
bieten dafür keine Anhaltspunkte und geben beide Formen ohne jeden
Unterschied des sonstigen Formulars; der Gebrauch dieser oder jener
Zeitform beruht wohl nur auf der Willkür des Schreibers oder Dictators.
So heisst es auch im Orig. nr. 68 vgl. Copie 99 concessimus . . haec
omnia . . tradimus atque t.ransfundimus.
5 Orig. nr. 137, Copie nr. 109, 155, in proprium nr. 30, in ins et proprie-
tatem peipetuo possidendum Copie nr. 108. In den Diplomenformeln visi
fuimus concessisse (Marculf), concessimus, concessimns ad proprium Roziere
nr. 147, 148; 143, 144; in den Formeln für Privaturkunden cedo cessum-
que (für Kirchen dono d.onatumque) in peipetuum esse volo.
6 Orig. nr. 115, 165 absolute et integre condonamus Orig. nr. 115, perdona-
vimus nr. 130 vgl. Copie nr. 101.
30*
460
Mülilbaclier.
zugleich concedimus atque donamus, 1 vei’einzelt sogar conce
dimus et confirmamus; 2 daneben wird auch die Auflassung des
geschenkten Gutes — dieses als res nostrae, res proprietatis
nostrae, res iuris (proprii iuris) nostri, in Urkunden für Italien
auch iuris regni nostri 3 bezeichnet — ausdrücklich betont wie
ex nostro iure et dominatione — in italienischen Urkunden dafür
dominio 4 -— in ius et dominationem. ecclesiae tradimus atque
transfundimus. 5
Die Formel für Uebertragung der Gewere scheiden sich nach
dem damit verbundenen Rechtstitel. Dieser ist bei Kirchen und
geistlichen Genossenschaften der dauernde gemeinsame Besitz,
welcher zur Wahrung des Interesses der Kirche oder Genossen
schaft sich dem freien Belieben entzieht; das geschenkte Gut
wird dem Kirchengut einverleibt. Es begegnen daher auch
bei Schenkungen dieselben Formeln, welche die Besitzbestäti
gungen tragen; eine Urkunde für St. Gallen festigt den ge
schenkten Besitz durch die Formel ut (res) deinceps ad prae-
dictum monasterium pertineant iure perpetuo possidenda,° wie
ein Diplom für die Capelle in Regensburg zugleich fremde
Eingriffe abwehrend ut nostris futurisque temporibus inviolabi-
liter permaneant nullusque liabeat potestatem exinde aliquid
1 Orig 1 , nr. 88, 16, donamus concedimus atque largimur iure proprietär io
nr. 36, 37.
2 Orig. nr. 26 vgl. 127, ad possidendum confirmamus Orig. nr. 40, conjir-
mamus Orig. nr. 129.
3 Copie nr. 36, iuris regni nostri Italici Copie nr. 16, proprietatis regni
nostri nr. 114, sicut nostri regni potestas . . curtem actenus tenuit Orig,
nr. 85. In den Formeln res proprietatis nostrae Roziere nr. 143. Das
geschenkte Gut heisst auch causa (causae) Orig. nr. 22, 44, 129, Copie
nr. 106, von Wilmans in einem Original Arnolfs, Wilmans, Kaiserurk.
231, missverstanden und in casas emendirt; der Ortsname gewöhnlich in
einem Relativsatz villa quae N. dicitur (vocatur).
4 Orig. nr. 127 Copie nr. 57, auch anderweitig in den Urkunden Arnolfs
B. 1034, 1055, Bouquet 9, 365.
5 Orig. nr. 68, Copie nr. 60; statt dominatio auch potestas Orig. nr. 85,
Copie nr. 152, 99 hier solemni modo transfundimus vgl. Roziere nr. 142.
In den Formeln für Privaturkunden de iure meo in tua dominatione trado
atque firmabo (transfundo) Roziere nr. 162 f., 198 f.
6 Orig. nr. 11, ut deinceps perpetualiter fratribus ad serviendum permancat
Orig. nr. 134.
Die Urkunden Karls IU.
461
minuere vel subtrahere; 1 es wird aber gelegentlich auch betont,
dass kein Nachfolger an der Schenkung rütteln dürfe. 2 Diesen
allgemeinen Formeln stehen besondere gegenüber, welche das
freie Verfügungsrecht einschränkend nach Art der alten Muster
den Nutzen der Kirche zu wahren streben. Karl schenkt den
Hof Neckarau an Prüm ea videlicet ratione ut rectores monasterii
liberam et securam habeant potestatem ordinandi regendi et
disponendi secundum suum libitum, et utilitatem monasterii et
fratrum ibidem deo famulantium 3 oder eine Poinsel an Reggio
quatenus (episcopus) potestatem liabeat de Ms Omnibus rebus ad
utilitatem sui episcopii quod melius praeviderit atque decreverit
sicut de ceteris rebus iuris ipsius ecclesiaed Hie und da werden
1 Orig. nr. 115 vgl. m\ 86 mit den Zusätzen aut in alteram partem con-
cedere nr. 100, aut immutare nr. 108; in italienischen Urkunden omni
publicae partis inquietudine vel repetitione remota atque extincta nr. 36
vgl, 127, ut amodo res monasterium absque alicuius vexatione sub immuni-
tatis vinculo possideat Orig. nr. 26.
2 Ut nullus successorum nostrorum sit qui res auferre sen alienare vel
etiam inquietare praesumat, Orig. nr. 115, nullo umquam successorum
nostrorum hoc irrumpente nr. 68, 130, 137.
3 nr. 60 (im lib. aur. Prem. f. 11, 59, Copie s. X und XII) vgl. nr. 68, 127.
4 nr. 16 vgl. Tirabosehi, Modena l b , 46; gleichbedeutend ist die ganz eigen
artige Fassung ut deinceps habeant potestatem, sicuti lex et iustitia uni-
cuique ecclesiae de suis propriis causis coneedit habendum Orig. nr. 14
oder auch quicquid secundum aeternum arbitrium melius eis placuerit nr. 37.
Die in der Kanzlei Ludwigs des Fommen nach älteren Mustern
festgestellte Formel für Schenkungen an Kirchen erlangte unter dessen
Söhnen nur beschränkte Geltung, so unter Ludwig dem Deutschen B. 723,
725, 729, 734, 792, 814, unter Lothar I. B. 541, 578, 583, 614, ebenso
später unter Karlmann Urkundenbuch des Landes oh der Enns 2, 20,
unter Ludwig III. B. 879. In der Kanzlei Ludwigs des Deutschen be
gnügt man sich mit der allgemeinen Formel oder es wird auch jene der
Schenkung zu freiem Eigen gebraucht B. 721, 751, 752, 784, unter dem
Kanzler Hebarhard heisst es ständig: tradimus atque transfundimus ea
scilicet ratione, ut praedictae res per hoc nostrae auctoritatis praecepium
plenius in dei nomine confirmatum nullo inquietante sed deo auxiliante per-
petuis temporibus ad monasterium permaneant absque utta contradictione
mit unwesentlichen Varianten. Statt des Vevfügungsrechtes ad utilitatem
ecclesiae heisst es auch iure ecclesiastico unter Ludwig dem Deutschen,
Büttner, Franconia 2, 52, Lothar I. Forschungen 9, 409, iuste et rationabiliter
Lothar I. Mohr 1, 39, B. 616 vgl. Bouquet 8, 380, Ludwig III. Hoden
berg, Verdener GQ.. 2, 15, secundum regulärem institulionem Lothar I.
462
Mühlbache r.
auch die das willkürliche Verfügungsrecht beschränkenden
kirchlichen Satzungen erwähnt 1 oder es wird ausdrücklich be
merkt, dass das geschenkte Gut der Genossenschaft Vorbehalten
sei und deshalb nicht zu Lehen gegeben werden dürfe. 2
Grössere Ständigkeit weist die Formel für Schenkungen
zu freiem Eigen auf; in ihren Details aber macht sich auch
am meisten fremdländischer Einfluss geltend, so dass sich hier
ein deutsches, italienisches und westfränkisches Formular be
stimmt unterscheiden lässt.
An die älteren Formeln erinnert es, wenn es heisst qua-
tenus per hanc nostram auctoritatem potissimam habeat potesta-
tem faciendi quicquid e(le)gerit vel voluerit 3 oder liberrimo po-
tiatur arbitrio faciendi sicut ex reliquis rebus et mancipiis suae
hereditatis. ' In deutschen Schenkungsurkunden findet sich der
anderweitig nicht nachweisbare und der Kanzlei Karls III.
eigenthümliche Zusatz sicut lex et iustitia unicuique de proprie-
tate sua concedit habendum, 5 so zu der für diese Schenkungen
ausschliesslich üblichen Formel ita videlicet ut haec omnia in
proprietatem habeat teneat atque possideat habeatque potestatem
donandi vendendi commutandi vel quicquid exinde facere voluerit
sicut lex . . 6
B. 601, quicquid utilitas ecclesiae dictaverit Ludwig II. Cod. Langob. 401
ähnlich Lothar II. B. 699, iuxta quod ipsi fratribusque conplaceat Karl
mann B. 866.
1 Ut deinceps monasterii et rectorum illius ditioni subiaceat habendum
tenendum et regulariter ordinandum. Orig. nr. 62.
2 Fratrum stipendiis absque ulla contradictione mancipentur nullusque
beneficiandi habeat licentiam nr. 109, 155 vgl. 30, 108; allgemeiner in
nr. 66 für Stablo nullus fidelium nostrorum qui abbatiam in beneficium
habuerit vel alia aliqua iudicialis potestas fratres de suprafalls rebus in-
quietare praesumat nec in alios convertat usus.
3 Copie nr. 132.
4 Copie nr. 99. Aehnlich in anderen Kanzleien, besonders unter Lothar I.
sicut de reliquis hereditatis suae rebus B. 573, 576, 589, 623, Forschungen
9, 409 (rebus sui iuris B. 588), proprietatis suae rebus Ludwig II, B. 664,
Lothar II. B. 685, veluti de reliqua heredilate sua Arnolf B. 1122, potes
tatem habeat hereditario semper inde utens arbitrio possidendi . . B. 1136.
5 Er tritt noch unter Arnolf in zwei von Ernust recognoscirten Urkunden
auf B. 1043. Juvavia Anh. 117.
6 Orig. nr. 22, Copie nr. 2, 113, 181 vgl. Roziere nr. 257 secundum legis
ordinem teneat. Die Formel mit Ausnahme jenes Zusatzes schon in den
Die Urkunden Karls IN.
463
Das italienische Formular macht sich durch Verschmel
zung’ der Schenkungs- und Uebertragungsformel, durch Er
wähnung der Erben und die landesübliche Einbeziehung der
öffentlichen Beamten — in diesem Punkte sogar an die Mund
briefe anklingend — kenntlich. So heisst es in der Schen
kung an den Gastalden Johann: concedimus atque donamus . .
iure proprieta.no habendi et faciendi tarn ipse quamque heredes
ipsius id est dandi vendendi comotandi alienandi secimdum libi
tum proprium, liberam exinde permittimus eidem habere potestatem
quicquid voluerit faciendi nemine umquam successorum nostrorum
hoc irrumpente 1 oder in einer anderen Urkunde: de nostro iure
ältesten Formeln für Privaturkunden, so bei Mareulf ita iit ab ac die
cum omni integritate sua habeas teneas possedeas vel quicquid exinde facere
volueris liberam in omnibus habeas potestatem Roziere nr. 167 vgl. nr. 173
(form. Andegav.), iure ßrmissimo in omnibus habeatis potestatem faciendi
tenendi dandi commulandi vel quicquid exinde facere elegeritis, liberam in
omnibus perfruatur potestas faciendi Roziere nr. 134 u. ö. vgl. Roth,
Beneficialwesen 206, 436. Diese Formel scheint auch bei der Auflassung
des geschenkten Gutes in Gebrauch gewesen zu sein; wenigstens heisst
es in einer Traditionsnotiz von 877 October 25, d’Arbois de Jubainville,
Ducs de Champagne 1, 446: Comes Odo cum Tournedrensis eiusdem villae
pagensibus subtemiominatis Uoberto publiciter tradidit invice domni Caroli
imperatoris ad possidendum habendum tenendum vendendum dominandum
vel cui voluerit derelinquendum. Ein anderer Zusatz zu dieser Formel ita
ut nusquam discedat a nostra fidelitate et in noslris perseveret obsequiis
absque aliqua tergiversatione (ita dumtaxat in nostra immobilster maneat
devotione) wird unter Lothar I. seit 842 in Schenkungen an Private ein
gebürgert B. 573, 576, 577, 581, 588, 589, 623, 676, Forschungen 0, 409,
Duvivier Hainaut 300, verschwindet aber schon wieder unter Lothar II.,
hier nur mehr in B. 685, 688, Beyer 1, 98; er führt auf die schon unter
Karl dem Grossen und Ludwig dem Frommen in Schenkungen für Leute
an der spanischen Grenze, deren Treue man nicht sicher sein mochte,
gebrauchte Formel dum nobis fidelis exliterit K 144, L 42 vgl. K 215 zu
rück. So viel ich sehe, ist jene namentlich für Lothar I. charakteristische
Formel geschichtlich noch nicht verwerthet worden.
1 Orig. nr. 88. Das specifiseh italienische alienandi — im 10. Jahrhun
dert in dieser Formel ständig pro anima alienandi — kann ich nur in
einem ungedruckten Diplom Ludwigs II. für Angilberga, Orig, in Parma
M. G., für frühere Zeit nachweisen; es findet sich auch in einem italie
nischen Capitular Karls des Grossen IC 175 M. G. SS. 1, 83; iu einer
Marculfischen li'ormel aut pro anime remedium in pauperes dispensare
Roziere nr. 129. Erwähnung der heredes in italienischen Urkunden
in iure et potestate Petri clerico transfundimus et perpetualiter
ad possidendum per hoc nostrae auctoritatis praecepto confir-
mamus tarn ipsi quamque heredibus suis facientes exinde quic-
quid ipsi visum fuerit. Unde praecipientes iubemus, ut nullus (rei)
publice minister vel administrator aliquam violentiam aut dimi-
norationem eidem vel eins lievedibus vel cui ipse dederit ex prae-
dictis rebus facere pertemptet, sed liceat eos quiete possidere et
cuicumque voluerit relinquere perpetualiter omni remota vexatione
atque diminoratione. 1
Das westfränkische Formular, nach dem drei Urkunden
geschrieben sind, 2 zeichnet sich aus durch das Fehlen der
Publicationsformel — der Text beginnt Nos ergo morem sequen-
tes praedecessorum nostrorum, regum atque imperatorum, libuit
celsitudini nostrae quendam fidelem nostrum N. de quibusdam
rebus proprietatis nostrae munerare 3 atque sublimare. Quae
siquidem res sunt sitae in . . — durch die Auflassungsformel
has siquidem res cum omni sua integritate perpetualiter in ius
proprium ad liabendum supranominato N. concedimus ac de iure
nostro in ius et dominationem illius sollempni more i transferimus
und durch die Uebertragungsformel eo videlicet modo ut quic-
quid ab hodierna die 5 et deinceps facere voluerit, libero in
faciendum potiatur arbitrio, quemadmodum ex reliquis proprietatis
Lothars I. und Ludwigs II. B. 553, 659, 678 vgl. Bouquet 8, 365:
den ausseritalienischen Diplomen bleiben sie fremd.
1 Orig. nr. 40. Aehnlich Orig. nr. 85: concedimus habendum et in perpe-
tuum possidendum cuicumque donaverit vel . . reliquerit . . videlicet ea
ratione, ut nullus archiepiscopus episcopus dux marchio comes vicecomes
sculdachio seu aliqua magna vel parva regni nostri persona hanc nostri
praecepti oblationem aliquo modo violare praesumat.
2 Orig. nr. 117, 138, 159 im Archiv zu Chaumont, Fond de Langres. Das
Formular nur in Westfrancien unter Karl dem Kahlen und Ludwig dem
Stammler nachweisbar, B. 1679—1681, 1689, 1768, 1813, Bouquet 8, 496.
3 Sonst honorare.
4 Vgl. über diesen Ausdruck Ficker, Urkundenlehre 1, 110; derselbe nur
noch in zwei lothringischen Urkunden nr. 132, 99, sollemni donatione
Orig. nr. 145 in Auxerre.
5 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 1, 108; diese Bestimmung fehlt sonst in den
Urkunden Karls, während sie unter Arnolf wieder regelmässig hier
auftritt.
Die Urkunden Karls III.
465
suae rebus et mancipiis ageridum deliberavit. Eine andere
Schenkung’ 1 ist, wie früher bemerkt wurde, einer Formel aus
der Kanzlei Ludwigs des Frommen nachgeschrieben, die nur
in Westfrancien in Gebrauch blieb.
Formell wie rechtlich bilden die Schenkungen auf Lebens
zeit eine eigene Gruppe. Heisst es hier auch vereinzelt nur
concessimus, 2 so wird doch gewöhnlich näher bestimmt diebus
vitae suae possidendum concedimus 3 oder in juridisch wenig prä-
ciser Fassung donavimus illi usque ad finern vitae suae in pro-
prietatem; 4 daneben begegnet auch der technische Ausdruck
diebus vitae suae sub usu fructuario in proprietatem con
cessimus. 3
Die nur zeitweise Uebertragung kommt namentlich am
Schlüsse, der mannigfache Elemente aus den Schenkungs
urkunden anderer Art in sich aufnimmt, zur Geltung. In ihrer
einfachsten Gestalt lautet die Formel ut res diebus vitae illo-
rum sub usu fructuario teneant atque possideccnt, post illorum
obitum ad monasterium cum omni integritate revertantur; 6 in der
Regel entfällt aber hier die Bestimmung sub usu fructuario.
Aus den Schenkungen an Kirchen wiederholt sich die Formel,
dass das heimgefallene Gut zum Nutzen der Kirche verwendet
werden solle 7 oder nicht zu Lehen gegeben werden
1 Orig. nr. 145 vgl. Eoziere nr. 143; abweichend in der Uebertragungs-
formel quicquid exinde ab hodierna die et tempore pro sua utilitate et com-
moditate facere decreverit . .
2 Orig. nr. 15, 41.
3 nr. 45.
4 Orig. nr.-129 später usque ad finem vitae suae ei potestative confirmamus,
nr. 136.
5 Orig. nr. 74, 76 vgl. 8, mit der Variante secariter possidendum donavimus
Orig. nr. 44.
6 Orig. nr. 76. Ausführlicher im Orig. nr. 44: ut deinceps omnibus diebus
vitae suae sub usu fructuario causas securiter possideat nuttusque habeat
potestatem tollendi aut immulandi exinde, sed liceat supradictas causas
securiter possidere, post obitum vero ipsius cum omni integritate ad monaste
rium T. in usus sororum pertineat perpetualiter possidendum vgl. Orig,
nr. 15, 41.
7 Ut diebus vitae suae securiter possideat, post ipsius vero obitum ad ca-
pellam . . perpetuo pertineat rectoresque ipsius ecclesiae secundum volun-
tatem suam et utilitatem praefatae ecclesiae regant et disponant. nr. 74.
466
Mühlbache r.
dürfe. 1 Derselbe Ausdruck reverti ist auch für das Heimfallen
an das Krongut in Gebrauch. 2 Nur ausnahmsweise wird nicht
sogleich über das Gut für den Todesfall des Nutzniessers be
stimmt, sondern diesem die Verfügung überlassen. 3
Als Beweggrund der Schenkung wird ausser der Bitte
und Intervention oder den allgemeinen Phrasen ob amorem
dei, A pro remedio animae nostrae namentlich treue Dienstleistung 5
oder auch besondere Drangsal, welche Hilfe erheischt, 6 ge
nannt; nur selten wird des Seelenheiles der Vorfahren aus
drücklich gedacht."
Zu den Besitzurkunden zählen noch Tauschverträge und
die Bestätigung diesbezüglicher Contracte, von Tausch und
Precarie.
Der eine Tausch vertrag, von Karl, damals noch Grafen
des Breisgaus, in Gemeinschaft mit dem Abt Wolvene von
Rheinau abgeschlossen, ist Privaturkunde und trägt auch ganz
deren Gepräge, 8 wie ein 883 mit St. Gallen eingegangener
1 nr. 109, dagegen ist die Formel in Copie nr. 136 post obitum vero suum
ad monasterium A. aspiciant, sicuti lex et iustitia unicuique komini de pro-
prietate sua concedit habendum ungenau oder verderbt.
2 Post suum vero obitum ad regiam revertantur potestatem. Orig. nr. 41,
die Variante redeant in Copie nr. 8.
3 Post obitum vero suum ad dominationem et potestatem s. Galli, si ille
voluerit, revertatur, si autem noluerit, concedat illud cuicumque placuerit.
Orig. nr. 15.
4 Eigentümlich divino ut credimus instinctu Orig. nr. 62.
5 Pro bonae fidelitatis merito nr. 99, 109, pro fideli servitio 88, 129, ob
assiduum suum obsequium nr. 131, propter fidelitatem et instantissimum
illius obsequium nr. 22 vgl. 2, eiusque (Wibods von Parma) erga nos
devotissimum famulatum intendentes nr. 37. Ausführlich in nr. 66 für
Stablo: qui ob nostram fidelitatem pignora sanctorum a praedecessorum
nostrorum prudentia Aquis recognita (? recondita) cum thesauro eiusdem
fideliter reservaverunt et ad nos absque ulla diminutione detulerunt.
6 Audita infestatione paganorum qui dicuntur Nordmanni ad eundem
monasterium erumpentium, nr. 60 für Prüm; ad stipendia atque refugium
ingruentis persecutionis, nr. 170.
7 Pro remedio animae Hlotharii quondam gloriosissimi regis, nr. 30; geni-
toris nostri Hludowici necnon karissimi fratris nostri Hludovvici, nr. 108;
allgemein pro commemoratione parentum nostrorum, nr. 11.
8 nr. 1 vgl. Rozi&re nr. 311, 313. Im Texte mihi Karolo Hludewici sere-
nissimi regis filio, durchwegs ego; in der Pon das in Alamannien übliche
Die Urkunden Karls III.
467
Tausch die Form der für diese Geschäfte üblichen Diplome, 1
deren sachliche Formeln aus jenen der Privaturkunden er
wuchsen oder wenigstens mit denselben sich decken. 2 Halb
Schenkung, halb Tausch ist eine Urkunde für Chur, welche
für früher an Liutwai'd vergabten Besitz Churer Güter im
Eisass erwirbt und diese an Liutward überträgt; 3 bezeichnet
sie sich auch in der Corroboration als commutatio, so trägt sie
doch nur die Formeln der Schenkung und Besitzbestätigung.
Eine Tauschbestätigung aus der Kanzlei Karls III. hat sich
nicht erhalten.
Dagegen einige Precariebestätigungen. Der Name
Precarie tritt nur in einer Urkunde für Granfelden 4 auf und
in drei Diplomen für dessen eigentliche Pleimat jenseits des
Rheins. 5 Nur zweimal ist die Vorlage der Precarieurkunde
sociante fisco multam componat hoc est auri . . Das Incarnationsjahr 876
stimmt nicht zum 36. Regierungsjahre Ludwigs; aus den Angaben mense
augusto die lune ist beim Fehlen des Tagesdatums keine nähere Bestim
mung zu gewinnen. Wie sonst im Rheinauer Chartular sind auch hier
die Papstjahre — anno II (nach K. Pertz corrigirt in IV) Johannis
pape VIII — vielleicht sogar das Incarnationsjahr interpolirt.
1 Orig. nr. 70 vgl. Roziere nr. 298 (Marculf), 299, 301 (form. Salomonis).
2 Dedimus namque — accepimus econtra vgl. Roziere nr. 313; econtra,
häufig mit dedit in compensatione verbunden, der charakteristische Aus
druck, welcher mit noch anderen Formeln auch regelmässig in die
Tauschbestätigungen übernommen wird. In nr. 70 mit sehr knapper
Fassung fehlt die Uebertragungsformel, dafür nur die allgemeine Formel
quemadmodum supra insertum habetur, deinceps firmum et stabile permaneat
sine ullius inquietudinis obstacido. Es liegt in der Natur der Sache, dass
das Diplom nur einmal für die Partei ausgefertigt wird, während für
Tauschcontracte wie überhaupt für bilaterale Verträge doppelte Ausferti
gung geboten war vgl. die Rubriken zu Roziere nr. 314, 315; die dafür
übliche Formel duae commutationes (epistolae) uno tenore conscriptae Roziere
nr. 302 f., nr. 306 auch seu ceterorwn venerabilium hominum manibus
roboratae, ging dann gleichfalls in die Tauschbestätigungen über, Roziere
nr. 317, 318, unter Ludwig dem Deutsch'en B. 731, 786, 798.
Berufungen auf frühere Details der Urkunde wie in nr. 70 auch
anderweitig sicut superius conlinetur nr. 91, quae super ins comprehensa
sunt nr. 87, ul diximus nr. 39, 5144, in nr. 8 in der Corroboration, ut
praefati sumus in nr. 25.
3 nr. 32, der Druck bei Mohr 1, 47 ungenügend.
4 Orig. nr. 10.
5 Orig. nr. 63 für Favernay, nr. 144 für Aniane, Orig. nr. 158 für Langres.
468
Mülilb aeher.
ausdrücklich erwähnt; 1 in zwei Fällen sind die Precarieobjecte
genau detaillirt,'- während die beiden anderen nur von quaedam
res und res utique monasterii sprechen. Die Formeln der Pre-
carie finden sich erst in den Schlusssätzen benützt-, welche den
Heimfall des Gutes nach dem Tode des Nutzniessers bedingen; 3
diese stimmen mit jenen in Schenkungen auf Lebenszeit über
ein. Die an die Precarie sich knüpfende Bedingung wird nicht
immer ausdrücklich beigefügt; so heisst es in der Bestätigung
für Favernay nur sub ea dumtaxat conditione quae in pagina
praestariae 4 habetur inserta, in der für Aniane ut praedictas
res nostra auctoritate corroboratas quiete more precario . . teneant
et possideant. Die Bezeichnungen für Bestätigung sind die ge
wöhnlichen confirmare, roborare.
Hat sich in deutsche Diplome der Name Precarie auch nie
eingebürgert, so waren doch Verträge dieser Art gang und
gäbe. So schenkt Liutward die Capelle zu Bierlingen an
Reichenau und empfängt diese nebst der Peterscelle zu lebens
länglichem Nutzgenuss; 5 wesentlich dasselbe ist es, wenn
andere ihren Besitz an ein Kloster vergaben und dafür andere
offenbar bedeutendere Güter auf Lebenszeit erhalten. 6 Die
Bestätigung dieser Verträge, hier allgemein convenientia ge-
1 Precaria nobis ostensa est nr. 10, obtulit precariam nr. 158.
- nr. 144, 158 hier zweifelsohne aus der Privaturkunde, auf die auch
später in dem Satze quiequid in iam dicta sonat precaria ausdrücklich
verwiesen wird.
3 In ea quoque ratione, ut utrasque res diebus vitae suae in censura sub
usu fructuario habuisset, post eius vero discessum . . nr. 10 vgl. Roziere
nr. 344, 346 f.; dagegen erinnern die Ausdrücke tradidit et accepit econtra
an Tausch. Per quod praecipimus atque iubemus ut hinc et in omne
tempus . . sine alieuius contradictione liberrimo potiantur arbitrio, post
eorum discessum res inmelioratae cum plenissima integritate sine aliqua
minoratione reddantur nr. 158 vgl. Roziere nr. 328 (Marculf), 329, 339.
Die Ausdrücke sub usufr.uetuario (usufructuario ordine) auch Roziere
nr. 330, 331 u. ö. usufructuare nr. 329 b , 342 b , res emeliovatae nr. 326,
327, 329 u. ö.
4 In der Narratio: quandam precariam factam, Orig. nr. 63.
Fiir das Preeariegut zu zahlender Zins ist nur in nr. 10, 144
erwähnt.
3 nr. 97.
Die Urkunden Karls III.
469
heissen, 1 zeigt theilvveise Ausdrücke der Tauschurkunden, 2 in
den Schlusssätzen die Formel der Precariebestätigung, bezie
hungsweise der Schenkungen auf Lebenszeit. 3 .Die Zustimmung
der klösterlichen Genossenschaft ist ausdrücklich bemerkt.
Von den beiden aus der Kanzlei Karls III. überlieferten
Freilassungsurkunden schliesst sich die eine ziemlich genau
den längst üblichen Formeln an, 1 während die andere, erhalten
im Chartular von St. Martin in Tours, bedeutende Abweichun
gen aufweist, die bezüglich des Actes der Freilassung auch
sachlicher Natur zu sein scheinen, da sonst immer das Aus
schlagen des Denars durch den Herrscher selbst wesentlicher
Bestandtheil der Formel ist. 5
1 Nullo umquam banc convenientiam irrumpente, Orig. nr. 75, 77. In
einer Urkunde Ludwigs des Frommen L 156 pactatio sive convenientia
= Vereinbarung.
2 . . Tradidit . . eeontra vero tradidit . . econtra aceipiens . . sed ob fir-
mitatis gratiam nostram deprecatus est celsitudinem ut praeceptum libe-
ralitatis nostrae super hoc adderemus vgl. die Tauschbestätigungen Roziere
nr. 317, 318.
3 Ut ab hodierna die et deinceps omnia usque ad finem vitae suae habeat
teneat atque possideat eo etiam tenore, ut post obitum suae res in Om
nibus salvae . . revertantur, nr. 75, 77. Ea videlicet ratione, ut ipse
Omnibus diebus vitae suae sub usu fructuario utrumque habeat . . et post
illius discessum cum omni integritate sua . . redeant, nr. 97.
4 nr. 5 aus dem Andlauer Chartular vgl. Roziere nr. 57 — 60; hier in liber-
talis securitcite permaneat, statt des formelrechten valeat permanere bene
ingenuus atque securus, wie es sich auch in Privaturkunden findet, Roziere
nr. 72, 76, 82.
nr. 168.
decrevimus ut more praede-
cessorum nostrorum, imperatorum
atque regum, a manu ipsius de-
narius excutiatur, quatenus auc-
toritate imperiali nostra Omnibus
notum habeatur, ut . . semper et
ubique liberaliter valeat uti pro-
pria potestate . . et quaecumque
ei libuerit omnimodus über, velut
nobili prosapia genitus esset, per
nostram auctoritatem peragat.
Roziere nr. 59.
. . in procerum nostrorum prae-
sentia manu propria nostra excutien-
tes a manu eius denarium secundum
legem Saligam liberum dimisimus . .
iubemus ut sicut reliqui manumissi
qui per liuiusmodi titulum absolu-
tionis a parentibus (nostris) l'egibus
(vel) imperatoribus Francorum noscun-
tur esse relaxati ingenui, ita deinceps
per hoc nostrum praeceptum . . va
leat permanere bene ingenuus atque
securus.
In Formeln für Privaturkunden quasi de ingenuus parentibus fnisset
procreatus, iant et maneant ubicumque voluerint Roziere nr. 78, 91; 86,
470
Mühlbaclie r.
Die kaiserlichen Gerichtsurkunden der älteren Zeit,
bilden sie auch eine scharf abgegrenzte Gruppe, bieten wenig
stens in ihrem Protokoll die Form der Diplome. 1 So ist eine
Gerichtsurkunde Karls des Grossen für Nonantula 2 mit dem
Eingangsprotokoll, einer Iiecognition und der üblichen Dati-
rung versehen; der Text beginnt mit der Formel der könig
lichen Placita Cum nos in dei nomine . . super fluvium K. una-
c.um . . ad universorum causas audiendas vel recta iudicia ter-
minanda resideremus . . 3 Eine ähnliche Gestalt zeigt eine der
artige Urkunde Lothars I. für S. Zeno. 4 Seit dieser Zeit ver
schwinden in Italien die Urkunden dieser Form, es treten die
notitiae iudicati an ihre Stelle. Die ältesten derselben, welche
den Vorsitz des Königs im Gerichte erwähnen, datiren unter
Karl III. 5 Sie schliessen sich vollständig dem in Italien übli
chen Formulare der Notitiae an, welches sich im 9. Jahrhundert
zu einem Bericht des Notars über die in seiner Gegenwart
stattgefundene Gerichtssitzung gestaltet; 6 nur in einem ein
geschobenen Satze wird der Vorsitz des Königs erwähnt, jede
Spur eines Diploms ist abhanden gekommen. So beginnt die
in einer der sog. formulae Salomonis quasi de ingenuis et nobilissimis
Alamannis sint geniti Roziere nr. 94.
1 Sickel, Urkundenlehre 362, ähnlich noch unter Karl dem Kahlen, Tardif
131 vgl. B. 1715.
2 K 174.
3 Vgl. Roziere nr. 443.
4 B. 536, Cod. Langob. 208, aber mit Arenga, Publicationsformel und
Kanzleirecognition; die kaiserliche Unterschrift fehlt auch hier. Die
Narratio beginnt Cum missi nostri in P. ad universorum causas audiendas
ac recta iudicia terminanda resedissent ibique veniens . diese Formel
fränkisch, Ficker, Forschungen 1, 20.
5 In der Notitia Mabillon, Dipl. 533 ex ch. Casaur., von 860 heisst es zwar:
Dum gloriosissimus imperator Hludowicus . . fines adisset Spoletinos pro
iustitiarum commoditate . . et in his multotiens fideles suos et cotidie labo-
rare insisteret et ipse toto studio decertasset . ., doch das Gericht fand
unter Vorsitz anderer statt; bemerkenswerth ist hier auch die Fertigung
Ego Simpertus notarius . . ex dictato Tractemivi archicancellarii scripsi;
Dructemir unterzeichnet als archinotarius, wie er im Texte sacri palatii
archinotarius heisst; beide Titel sind also gleichwertig; aus der Kanzlei
Ludwigs II. haben sich nur einige gerichtliche Mandate erhalten, Mem.
di Lucca 5 b , 419, 4 b , 53.
6 Ficker, Forschungen 1, 14; 3, 239.
Die Urkunden Karls IIT. 471
eine Notitiae für Novalese: Dum in dei nomine civitate Papia
in sacro palacio, ubi domnus Karolus rex praeerat in iudicio,
intus caminata minore in iudicio resideret Boderadus comes pa-
latii singulorum liominum iustitiam faciendo ac deliberandum
residentes cum eo . ., l die zweite für Arezzo: Dum in dei nomine
civitate Sena in domum episcopii ipsius civitatis intus caminato,
ubi domnus Karolus piissimus imperator in iudicio residebat,
adessent cum eo . . ibique veniens . . ; 2 scliliesst jene mit den
Worten Hane notitiam pro secumtafe monasterii facere conmonui-
mus. Quidem et ego Aldegrauso notarius ex nostrorum iudicum
admonitione scripsi anno . so diese et hanc noticia, qualiter
ipse augustus ipsam inquisitionein sui praesentia fecerat pro secu-
ritate ipsius episcopii A. mihi Raididfi notario sui palatii scribere
iussit anno . beide tragen nur die Unterschriften der Beisitzer.
Diese Form blieb auch für die sich mehrenden Notitiae der
späteren Zeit in Geltung. 3
Das einzige Mandat aus der Kanzlei Karls III. für
St. Antonin zu Piacenza 4 zeigt die für solche Erlässe gebräuch
liche Form. 5 An die Invocation, den Titel — dieser mit dem
1 ur. 28.
2 nr. 35; über die hier genannten Richter Ficker, Forschungen 3, 14, über
die vorgenommene Inquisition Brunner in den Wiener Sitzungsber. 51, 454.
3 Ständige Formel uhi domus . . rex (imperator) praeerat unter Lambert
Cod. Langob. 613, Berengar I. Muratori, Ant. 2, 5, 933, Tirabosehi,
Nonantula 2, 99, 96, Hugo Affö, Parma 1, 339, Hugo und Lothar (Va
riante praeessent) B. 1395, Muratori, Ant. 1, 953, 949, B. 1419, erweitert
ubi domnus Berengarius gloriosissimus rex preherat et suum generalem
habebat placitum M. P. Chart. 1, 120, ubi ipse princeps cum suis gasindiis
et iudicibus ceterisque suis fidelibus adesset B. 1342, abweichend dum in
dei nomine civitate PL domnus gloriosissimus Berengarius praeerat . . in
iudicio resideret 8. comes palacii . . Muratori, Ant. 1, 367 e ch. Ge
schrieben sind diese Notitiae ex iussione N. comilis palatii et iudicum
admonitione; nur die Copie Muratori, Ant. 2, 5 und B. 1342 bieten ex
iussione (per iussionem) domni regis.
4 nr. 43, wahrscheinlich erlassen im Anschluss an die Immunität nr. 42,
vielleicht auch, da dasselbe den Schutz der von Theotberga, der Ge
mahlin Lothars II. qui in ipsa ecclesia humatum esse videtur, gegebenen
Güter bezweckt, an die Schenkung nr. 30, welche pro remedio animae
Hlotharii regis an diese. Kirche anderen Besitz vergabt. Von einer Ur
kunde Karls des Kahlen für St. Antonin findet sieh keine Spur.
5 Sickel, Urkundenlehre 397, 403 vgl. Beitr. V, Wiener Sitzungsber. 49, 433.
-
j
■
!
472
Mühlbache r.
ungewöhnlicheren Attribute dei gratia — und die Adresse
Hubaldo comes fideli nostro salutem 1 schliesst sieb die Publi-
eationsformel noverit prudentia tua. An den Befehl ideoque te
monemus et praecipiendo iniungimus 2 knüpft sich die Einschär
fung sicuti gratiam nostram desideras. 3 Dem Gruss in der
Adresse entspricht die Salutatio am Schlüsse Vale in domino.
Corroboration und Schlussprotokoll fehlen. 4 Zwei andere Man
date für Montierender gehören wahrscheinlicher Karl dem
Kahlen an. 5
1 Salutem in Mandaten der späteren Karolingerzeit bis Karl III. nur unter
Ludwig dem Deutschen, Wartmann U. B. von St. Gallen 2, 54, 183
(B. 836).
2 Aehnlich in den Mandaten monemus atque praecipimus Ludwig II. Mem.
di Lucca 4 b , 53, praecipimus et omnimodis iubemus Lothar I. M. G. SS.
2, 677, volumus atque praecipimus Ludwig der Deutsche B. 836, praeci
pimus B. 739 = Arnolf, M. B. 31, 128, ungedr. Mandat Ludwigs II. für
Montalniate, volumus Ludwig der Deutsche, verbo nostro decernimus Ar
nolf, Wartmann 2, 54, 290, expresse mandamus Arnolf, Wilmans 263.
3 Schon in einer Marculfischen Formel si gratia nostra optatis habere
Roziere nr. 703. In dem überarbeiteten Mandate Ludwigs II. Mem. di
Lucca 5 b , 419 sicuti gratiam suam adimplere cupissent; ausser diesem nur
noch in einigen Mandaten der Auftrag die Uebertreter vor das Königs
gericht zu stellen, Wartmann 2, 54, 183 (in Fassung der Pönformel),
Mandat Lothars I. für St. Mihiel, Ludwigs II. für Montamiate.
4 Der Schlussgruss Valete omnes feliciter in Christo nur in den beiden
Mandaten Ludwigs des Deutschen für St. Gallen. Sonst sind die Man
date mit Ausnahme von Wartmann 2, 54 auch mit der Corroborations-
formel versehen, welche indess nur die Besieglung, aber nicht auch die
königliche Unterschrift ankündigt; wahrscheinlich ist diese nur von
Copisten beigefügt in den Mandaten für Kempten M. B. 31, 79 (B. 739),
128; Datirung nur in B. 663, 739, 836, M. B. 31, 128, Wilmans 263.
5 Sickel, Acta 2, 305 L 50 glaubte dieselben, beide im Chartular dieses
Klosters überliefert, Karl III. zuschreiben zu sollen, schränkte aber
a. a. 0. 447 seine Ansicht dahin ein, dass sie jedenfalls nicht Karl dem
Grossen angehören. Das eine Mandat, dessen vollständigen Text ich
nur aus der Abschrift Arndts kenne — es ist schon erwähnt Mabillon,
Ann. 3, 187 mit der Bemerkung Caroli an Calvi? — trägt den Titel
Karolus divina ordinante providentia imperator, das zweite, d’Arbois de
Jubainville Ducs de Champagne 1, 434, Karolus dei — wohl verderbt
aus divina — favente clementia augustus et triumpliator perpetuus. Dieser
ist in seinem ersten Theile der gewöhnliche Karls III., das Epitheton
triumpliator lieferte sogar eine freilich nicht auf einem echten Diplome
beruhende Formel, Roziere nr. 150; auch der erstere tritt vereinzelt in
Die Urkunden Karls III.
473
9.
Fälschungen und zweifelhafte Urkunden.
Soll eine Besprechung von Fälschungen dem geschicht
lichen Interesse vollkommen gerecht werden, so muss sie ihren
Gegenstand nicht nur nach der negativen, sondern auch nach
der positiven Seite erschöpfen; sie darf sich nicht damit be
gnügen nachzuweisen, dass eine Urkunde gefälscht sei, sie soll
auch versuchen darzulegen, wann, mit welchen Mitteln, zu
welchem Zwecke sie gefälscht wurde. Von dieser Ausdehnung
der Untersuchung glaube ich absehen zu dürfen; beschäftigte
Urkunden dieses Kaisers auf. Dagegen führt Karl der Kahle diese Titel
nicht; auch in den Mandaten, Capitularien und Briefen lautet er dei
gratia rex (imp. aug.J. Es scheinen mir indess sachliche Bedenken gegen
die Zuweisung dieser Mandate an Karl III. zu obwalten; von diesem ist
keine einzige Urkunde für jenes Kloster erhalten, dagegen mehrere von
Karl dem Kahlen B. 1579, 1645, 1646, 1671, 1719, 1720 (auch d’Arbois
de Jubainville Ducs de Champagne 1, 440), Bouquet 8, 549 und eine
ungedruckte Urkunde (Abschrift Arndts M. G.), in der Karls Kanzler
Adalgar als Abt des Klosters erscheint, sämmtlich in demselben Char-
tular überliefert. Die in dem einen Mandat genannten Güter Ledriciaci-
curtis und Taria werden von Karl dem Kahlen B. 1646 bestätigt, die in
dem anderen genannten Givoldicurtis und Olonna in B. 1645 und 1671
(Verunechtung von B. 1645, Drucke unbrauchbar) erwähnt. Die Adres
saten der beiden Mandate sind, da an den in einem Placitum von 821 ge
nannten Grafen Aledramn, der, wenn derselbe, nach B. 1720 (bei Bouquet
8, 591 irrig anno XXIV regni und darnach Böhmer ca. 864) und Bouquet
8, 547 allerdings schon 854 gestorben war, wegen der jüngeren Form
der Mandate nicht gedacht werden kann, unter Karl dem Kahlen ebenso
gut unterzubringen als unter Karl III.; ein Graf Aledrann wird noch in
einer undatirten Urkunde Karls des Kahlen, d’Arbois de Jubainville Ducs
de Champagne 1, 438, genannt, während der in dem Diplom Karls III.
für Chälons erwähnte Graf Aledramisus eine andere Persönlichkeit zu
sein scheint. Auch ein Mandat Karls des Kahlen, Diago Condes de Bar
celona f. 02', trägt die Grussformel der beiden Schriftstücke. Ich be
trachte es daher als zweifelhaft, welchem der beiden Herrscher jene
Mandate zuzuschreiben sind und habe sie deshalb auch nicht in das
Verzeichniss der Urkunden Karls III. aufgenommen. Ich erwähne noch,
dass beide mit mandamus atque precipimus beginnen und mit sicut de
nostra gratia vis (vultis) gaudere scliliessen; das von d’Arbois de Jubainville
veröffentlichte nennt sieh ausdrücklich mandatuni.
Sitaungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft.
31
474
Mü lilbaclier.
sich diese Arbeit hauptsächlich mit der formellen Seite der
Urkunden, so handelt es sich hier zunächst nur darum die
gewonnenen Ergebnisse an verdächtigen Stücken zu verwerthen
und darüber Rechenschaft zu geben, weshalb ich gewisse
Stücke nicht benützt, in anderer Richtung doch wieder heran
gezogen habe. Es ist also das Formelle der Urkunden, das
ich in erster Linie im Auge behalten zu müssen meine; das
Sachliche kann dabei nicht ganz unberücksichtigt bleiben, hier
aber wird theilweise der Hinweis auf andere Arbeiten genügen.
Auch davon darf ich wohl absehen, wenn diese oder jene Ur
kunde aus unzureichenden Gründen wie etwa wegen Nichtein
fügens in das Itinerar, wegen Widersprüche in der Datirung
oder wegen vereinzelter äusserer Merkmale beanstandet wurde;
auf solche Bedenken wurde gelegentlich verwiesen.
Dem viel gebrauchten und viel missbrauchten Worte Fäl
schung gegenüber war die strenge Sichtung, welche Ficker
jüngsthin vorgenommen, 1 im vollsten Rechte; eine wissenschaft
liche Reaction, die den Werth der vielfach auf subjectiver
Grundlage ruhenden Kriterien richtig stellte und der Forschung
neue Wege wies, war zur NothWendigkeit geworden. Seihst
die äusseren Merkmale allein können nicht immer absolut ent
scheiden, 2 auch den inneren Merkmalen muss man eine erhöhte
Bedeutung zuerkennen. In seltenen Fällen nur wird aber eine
Fälschung ohne jede echte Vorlage, wenn auch gerade nicht
aus der angeblichen Kanzlei, fabricirt worden sein; es tritt
daher die Aufgabe heran die echten Theile auszuscheiden, sie
bei Arbeiten über einen bestimmten Zeitraum auch in Stücken,
welche für eine frühere Zeit adaptirt wurden, aufzusuchen.
Von vorneherein ist wenigstens wahrscheinlich, dass das Pro
tokoll nicht verunechtet wurde, ausser insofern es galt die
Urkunde für einen anderen Herrscher, für eine andere Zeit
zurechtzulegen, dass man auch dann nur das änderte, was
diesem nächsten Zwecke entsprach. Die Verunechtung hatte
ihr vorzüglichstes Interesse am Texte der Urkunde. 3
1 Urkundenlehre 1, 5.
2 Sickel, Kaiserurk. 7 vgl. Ficker, Urkundenlehre 1, 30.
3 Vgl. Ficker, Urkundenlehre 1, IG. Auf einen interessanten Beleg hat
Sickel, Neues Archiv 3, 657, aufmerksam gemacht; in der Urkunde Karls
Die Urkunden Karls III.
475
Die einfachste Fälschung’ zeigt ein Diplom für Korvei; 1
die Zahl der vom Heerbann befreiten Leute viginti wurde
durch Rasur und Nachtragung, die sich durch schwärzere Tinte
kenntlich macht, auf triginta erhöht. Die nur in Copie des
14. Jahrhunderts überlieferte Besitzbestätigung für S. Ilario e
Benedetto ist unbeanstandbar; 2 am Schlüsse derselben ist vor
der Strafformel ein Satz eingeschoben, der Verdacht erregt,
in dem wahrscheinlich die Worte aut fodrurn tollant inter-
polirt sind. 3
Umfangreichere Interpolationen zeigt die Urkunde für
S. Croce de Chi ent i bei Fermo. 4 Gedruckt nach einer
Copie von 1468 ist sie textlich vielfach verderbt; 5 die Formeln
des Grossen für Eberslieim K 225 ist echt die erste Zeile mit dem Ein
gangsprotokoll, Recognition, Datirung und Siegel, dagegen der ganze
Text radirt und gefälscht, ln einer Urkunde Arnolfs ist nur Monogramm,
Datirungszeile und Siegel echt geblieben, Riezler in Löhers Arcli.
Zeitsehr. 1, 277.
1 Orig. nr. 165 vgl. Wilmans 200; die Begünstigung schon von Ludwig
dem Frommen ertheilt, Sickel, Acta 2, 364.
Wenn im Orig. nr. 76 nach Wattenbach (alter Apparat der M. G.)
unter den zur Nutzniessung angewiesenen Gütern ein Name radirt ist
und die Lücke unausgefüllt blieb, so kann nur eine Correctur der
Kanzlei vorliegen.
2 nr. 80; in iubenles igitur terribiliter precipimus ist terribiliter unwesent
liche Zuthat des Copisten.
■' Contradicimus etiam liomines supradictarum ecclesiarum terras inhabitan-
tes iudicialibus personis, ita ut de ipsis hominibus placitum nullum faciant
seu aliquid publici ab eis exigant aut fodrum tollant nullamque eis
violentiam inferant, sed in potestate praedicti abbatis permaneant. Eine
Emendation von fodrum in fredum, aus dem es in der Immunitätsformel
häufig verderbt wird, ist hier unthunlich, die Fassung contradicimus
liomines iudicialibus personis weist auf spätere Zeit, die Exemption von
der öffentlichen Gerichtsbarkeit sachlich und formell in anderer Gestalt
vgl. nr. 50, 52 f. Jener Satz wörtlich in der Urkunde Heinrich II. für
dieses Kloster, während er in jener Ottos II. fehlt, (Gloria) C. d. Pado-
vano 118, 94, Stumpf nr. 1505, 785. Das fodrum übrigens in Aquilejer
Urkunden K 133, B. 535.
4 nr. 89 vgl. Stumpf nr. 463.
5 Bethmann vermochte keine handschriftliche Ueberlieferung aufzufinden
und musste sich begnügen den seltenen Druck Fioravanti, Diss. sopra
la basilica eretta nel territorio di S. Elpidio. Loretto 1770, 8° abzu-
31*
476
Al ii li 11) a c li e i*.
tragen indess durchwegs den Stempel der Echtheit. Doch in
mitte der Urkunde im Anschluss an die Formel ut iure pro
prietär io liabeat et possideat ist die Pön eingeschaltet: Et si,
quod fieri non credimus, cdiquis ex successoribus nostris vel quilibet
dux seu castaldus vel cdiquis ex ministris reipublicae temere contra
lianc nostrae auctoritatis praeceptum adire temptaverit vel aliquam
molestiam aut deminutionem de prefatis rebus seu et portum facere
cognoverit, cum Juda proditore et cum sacrilegis qui sacras deri-
piunt res in die iudicii partem et portionem liabeat. Darauf folgt
mit Concedimus insuper eine weitere Begünstigung, 1 schliesslich
noch an gewöhnlicher Stelle die Strafformel: Quod si quis
episcopus hoc nostrum preceptum in magno vel in parvo irrum-
pere temptaverit vel in aliquam molestiam vel invasionein in
predicta nostra donatione agere presumserit, mitte mancosos auri
obrizzi abbati componat et illud monasterium cum adiacentiis a
iure episcopatus ultra remotum ad regiam transeat ditionem. Im
Vordersatz der ersten Strafformel sind die Worte aliquis ex
successoribus nostris entschieden interpolirt, dieser selbst aber von
den Verderbungen adire, cognoverit abgesehen, genuin; zweifel
los unecht ist der zweite Satz mit dem bei den Fälschern sehr
schreiben. Als Quelle ist genannt ex actis causae a. 1468 coram epi-
scopo Madruscensi actae in arch. priorali civit. s. Elpidii.
Auch für nr. 142, überliefert in einem Chartular s. XIII vgl.
Sichel, Acta 2, 332 L 232, dessen zweiten Theil Sichel bei der Heraus
gabe als verdächtig bezeichnete, Forschungen 9, 419, vermag ich nur
textliche Verderbung anzunehmen. Dass die Arenga auf den zweiten
Theil heinen Bezug nimmt, ist der Kanzlei Karls gegenüber, welche sich
in der Verwendung dieser Formel nicht durch Präcision auszeichnet,
nicht von Belang. Die Corroboration ist nur verderbt, die Urhunden
mit der Eecognition Amalberts zeigen hier öfter abweichende Formu-
lirung. Auch die sachlichen Formeln des zweiten Theiles sind correct;
selbst absolute concedimus findet einen Beleg im Orig. nr. 115. Die An
nahme, dass ein Satz oder mehrere Worte ausgefallen, welche die Zu
weisung der genannten Besitzungen an die Mönche raotivirten, hat
bedeutende Wahrscheinlichheit für sich. Das Protoholl ist nicht zu
beanstanden.
1 Diese Stelle concedimus insuper Theodotio episcopo, ut quantum in rebus
ecclesiae pref ato monasteriolo . . confirmare imperiali auctoritate potestatem
liabeat, wohl nur verderbt; imperiali auctoritate dürfte mit concedimus zu
verbinden, confirmare etwa in conferre zu emendiren sein.
Die Urkunden Karls III.
477
beliebten Verräther Judas. Ebenso wenig vermag ich die
Echtheit der zweiten Strafformel mit Ausnahme der Worte
si quis .. hoc nostrum praeceptum in magno vel in parvo 1 irrumpere
temtaverit (presumserit) upd mitte mancosos auri obrizi . . com-
ponat anzuerkennen. Aus der ursprünglichen Strafformel scheint
man zwei gemacht, für die eine hauptsächlich den Vordersatz,
die Strafsumme für die andere verwendet zu haben. Der
Schwerpunkt der letzteren liegt aber darin, dass das Kloster,
würde der Bischof sich unberechtigte Eingriffe erlauben, an
den Kaiser übergehen sollte; es genügt darauf hinzuweisen,
dass die Urkunde in einer Prozessschrift überliefert ist. 2 Data
und Actum sind durch das Diplom vom selben Tage für Farfa
sicher gestellt.
Campi veröffentlichte eine Urkunde für Ädelbert de Ruz-
zolo, 3 die Böhmer als Fälschung nicht in die Regesten auf
nahm. Das Protokoll ist durchaus echt, von den Jahresangaben
nur eine unrichtig; wenn sie sich nicht ins Itinerar fügt, so
reicht dies nicht hin sie deshalb zu verwerfen. 1 Ebenso ist
Arenga, 3 Publicationsformel und Corroboration genuin, in der
Strafformel nur ein Ausdruck zu beanstanden; 6 selbst ein auf
fallendes Epitheton des Textes ist anderweitig belegt. 7 Der
erste Theil, eine Schenkung, ist mit Ausnahme des Zusatzes
de Ruzzolo illustri viro . . eiusque consortibus durchaus unbe
denklich, die Formeln die regelrechten einer Schenkung zu
1 Eine Analogie dafür in Orig. nr. 17 ex parte vel in toto.
2 Dem entspricht es auch, dass in dem Satze, das Kloster sei von jeder
Leistung für die vom Kaiser und Bischof geschenkten Güter befreit nisi
annualiter s. Romanae ecclesiae solidos X quod pvaedictus episcopus con-
stituerit reddendum das eine Wort Romanae statt Firmanae gefälscht ist.
3 nr. 71 vgl. St. *3462 und Sickel, Beitr. V, Wiener Sitzungsber. 49, 325
A. 3. Als Quelle gibt Campi an penes dominos de Rizzolis.
4 Auch mit einer Emendation von XII kal. mart. in XII kal. mal. wäre
nichts gewonnen; am 5. April d. J. urkundet Karl in Regensburg, am
7. Mai in Verona, am 20. April war er also noch auf dem Zuge
durch Tirol.
5 Si petitiones fidelium nostrorum iuste rectaque petentium audimus, procul
dubio eos alacriores reddimus in nostrum servitium. Arenga für Schen
kungen = nr. 17.
6 . . eiusque consortibus.
7 flendae memoriae Hlotarius vgl. nr. 39,
478
M ühlb ach er.
freiem Eigen. 1 Darauf folgt mit Insuper confirmanms et muni-
tissima tuitione stcibilimus Besitz- und Immunitätsbestätigung.
Sind schon die praecepta et immun itates genannter Langobarden
könige und die chartae immunitatis et conßrmationis des excel-
lentissimus Imperator Karolus und seiner Nachfolger als sachlich
unmöglich zu verwerfen, so nicht minder die Verleihungen ut
nuttus . . hostalitium praesumat mansionaticum peragere oder
concedentes omne teloneum vel curaturam infra praefatas curtes
ac omnem iuris honorem iurisdictionem et potestatem et omnium
venationum honores und das erst seit Berengar und zwar aus
schliesslich für Kirchen gewährte Recht Befestigungen anzu
legen. 2 Dagegen erinnert die hier eingeschaltete Formel ut
mdlus dux marchio comes gastaldio vel minister puhlicus . . quam-
libet molestationem inferre audeat an echte Mundbriefe, welche
sich hier mit italienischen Schenkungen berühren. 3 Das Pro
tokoll mit richtiger Recognition 4 sowie die Intervention Liut-
wards mit dem unbeanstandbaren Titel Vercellensis ecclesiae
episcopus nosterque summus consiliarius et archicancellarius und
Wibods von Parma stellen eine echte Vorlage aus der Kanzlei
Karls III. ausser Frage; diese war eine für Italien ausgestellte
Schenkung zu freiem Eigen, vielleicht mit Mundium; ob deren
Empfänger wirklich Adelbert hiess und ob er, wie hier ange
geben wird, ein Neffe Wibods von Parma gewesen, muss
dahingestellt bleiben; das letztere würde durch die Intervention
an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Für Protokollfragen wird
dieses Stück den Werth einer allerdings nicht besonders ver
lässlichen Copie beanspruchen dürfen.
Bedenken erregt ferner die Urkunde für Farfa, welche
Gregor von Catina überliefert und Karl dem Grossen zuschreibt; 5
1 Nach italienischer Sitte mit Einfügung der haeredes; dazu überall die
consortes interpölirt.
2 In Folge der Ungarneinfälle vgl. B. 1325, 1347, 1354. Die Formel dürfte
jedoch auf eine echte, wenn auch spätere Urkunde hinweisen.
3 Vgl. den Mundbrief nr. 98, die Schenkung nr. 85.
4 Nur Inquirinus verderbt in Acquirinus wie in nr. 89 durch einen Lese
fehler in Viquirinus.
5 nr, 34; schon von Mabillon, Ann. 3, 228 und dann von Muratori für
Karl III. vindicirt vgl. Sickel, Acta 2, 391.
Die Urkunden Karls III.
479
auf Gregors Gewissenhaftigkeit fällt kein Verdacht der Ver-
unechtung oder Fälschung. 1 Invoeation, Titel und Recognition
sind nicht zu beanstanden; 2 die Datirung mit dem älteren
Zusatz Christo propitio ausgestattet bietet die sonderbare Formel
imperii d. Karoli perpetui 3 augusti anno I unctionis suae; das
Incarnationsjahr fehlt, ind. XIV ergibt 881, das erste Jahr des
Kaiserthums. Trotz der Conjectur Muratoris 1 bleibt Actum
Aquis palatio, bei dem doch nur an Achen zu denken sein
wird, unstatthaft; aus einer Vorurkunde kann es nicht durch
a-llfalsiges Versehen übernommen sein, da die zu Achen für
Farfa ausgestellten Diplome anderen Inhaltes sind. 5 Die Arenga
fehlt, die Publicationsformel scheint interpolirt. 6 Der Wortlaut
der Immunitätsbestätigung schliesst sich ganz jener Karls des
Kahlen an, 7 er ist also hinreichend beglaubigt; als Petent wird
1 Vgl. Gregors Vorrede, Ozanam, Documents inedits 193.
2 In den Drucken fehlt die Invoeation In nomine sanctae et inclividuae
trinitßtis; der Titel K. divina ordinante provulentia verweist in Ver
bindung mit dem Zusatz anno Christo propitio in der Datirungszeile auf
das Formular Lothars I. oder Ludwigs II. vgl. B. 563, 671. Die Urkunde
nach Bethmann M. G. erhalten im Reg. Farf. nr. 288, Chron. Farf. 65'.
3 In den Drucken praepotentis.
4 Neque enim heis agi puto de Aquis Statiellensibus urbe Liguriae. SS. 2 b
381 A. 47.
5 Sickel, Acta K 187, L 155, 156, 262 (Aquisgrani), Acta deperd. Acut,
(p. 359) nr. 7, 11, 12; dieses wie die meisten bei Sickel aus den Archiv
katalogen verzeichneten Acta deperdita in vollständigen Abschriften Beth-
manns im alten Apparat der M. G.
6 In den Drucken richtig comperiat volumus omnium sanctae dei ecclesiae
(fidelium) nostrorumque tarn praesentium quam et futurorum sollertia, in
der von P. Pertz für den Druck copirten Abschrift der M. G. — die
Copie Bethmanns fehlt jetzt — noch der Zusatz: id est notum fieri volu
mus omnibus fidelibus sanctae dei ecclesiae.
7 B. 1788 von 875 December 26 mit Actum in S. Petro. Hier die Narratio:
ostendit nobis praeceptum avi nostri Caroli imperatoris et genitoris nostri
Ludovici imperatoris et Lotharii fratris nostri et Ludovici imperatoris
nepotis nostri, in quibus continebatur qualiter ipsi et antecessores eorum
Liutprandus Ratgisus Haistulphus ac Desiderius reges Langobardorum
monasterium semper sub sua tuitione et defensione habuissent, dagegen in
nr. 34: ostendit nobis praecepta regum Langobardorum Haistulphi ac Desi-
derii i in quibus continebatur quomodo ipsi et antecessores eorum monasterium
semper sub sua tuitione ac defensione tenuissent. Eine andere Abweichung
zeigt die Strafformel; in B. 1788 ist eine Busse von 600 solidi, in nr. 34
i \w#a
480 Mülilb acher.
aber Abt Ingoald genannt, welcher in Diplomen nur 818—829
erscheint; 1 die Annahme eines zweiten Abtes Ingoald auf Grund
dieser einen Urkunde ist mindestens gewagt. 2 Namentlich
diesem Umstand und dem Actum gegenüber wird man bei der
genauen Ueberlieferung der Farfenser Urkunden diese doch
als zweifelhaft bezeichnen müssen; sie zu verwerfen ist man
kaum berechtigt. 3 Ein Grund zur Fälschung ist auch schwer
abzusehen; Farfa war längst immun, es hatte auch von Karl III.,
auf dessen Namen Urkunden zu fälschen wohl wenig Ursache
vorhanden war, eine Immunitätsbestätigung von 883, die hier
genannten Besitzungen waren längst in der Gewere des Klosters; 4
es ist zudem wahrscheinlich, dass man Karls Zug nach Born
benützte, um eine Privilegienbestätigung zu erwirken. 5 Möglich
von 600 Goldpfunden angedroht. Wahrscheinlich war für beide Urkunden
gemeinsame Vorlage die verlorene Immunität Ludwigs des Frommen,
Chron. Farf. Muratori SS. 2 b , 379.
1 L 155, 156, 262, ungedr. Urk. von 818 Februar 13, Juni 5 (= Acta
dep. 11, 12), B. 510 vgl. die Constructio mon. Farf. M. G. SS. 11, 529.
2 Vgl. Muratori SS. 2 b , 380 A. 45. Der Abtskatalog von Farfa kennt für
diese Zeit nur: Joannes temporibus Ludovici et Karolifilii eins imperatorum.
Anselmus temporibus Karoli imperatoris. Teuto temporibus Karoli imperatoris,
Muratori SS. 2 b , 297. Abt Johann wird 875 in B. 1788 genannt, in einer
Privaturkunde noch 878 Juli (regnante d. Karolomanno anno regni eius
in Hitalia I per ind. XI) Galletti, Gabio 112; Anselm ist auch urkundlich
beglaubigt, Chron. Farf. Muratori SS. 2 b , 408, Teuto seit 883, Chron.
Farf, a. a. O., nr. 90. Auch das Chron. Farf. lässt diese drei Aebte un
mittelbar auf einander folgen.
3 Wichtig wäre das Textverhältniss zu nr. 90 feststellen zu können; eine
Abschrift davon ist im Apparat der M. G. nicht erhalten. Das Chron.
Farf. Muratori SS. 2 b , 408 gibt das Regest abbas Teuto acquisivit huic
monasterio a Carolo Manno imperatore anno inc. 883 . . praeceptum
optimae libertatis, ausführlicher Mabillon, Ann. 3. 246: Teuto abbas
monasterii s. Mariae in loco Acutianus per eundem Liutwardem praesulem
et palatii archicapellanum litteras regiae tuitionis petiit obtinuitque simulque
restitutionem earum rerum quae per vim aut praesfarias eidem monasterio
abstractae erant. In nr. 34 keine Intervenienz. Unter den vorgelegten
Immunitäten ist in dem Diplom Berengars I. B. 1360 auch die Karls III.
erwähnt; in der Narratio: in quibus continebatur quomodo iqosi et ante-
cessores eorum Liutprandus scilicet Ratgisus Haistulfus ac Desiderius
monasterium sub sua tuitione et defensione tenuissent, also = nr. 34.
4 Acta deperd. 2—4, L 156, B. 563.
5 Die Einreihung zu 881 unterliegt kaum einem Zweifel vgl. dagegen
Pümmler, Ostfränk. Reich 2, 181 A. 17, 295 A. 100.
Die Urkunden Karls III.
481
dass im Ausstellorte und im Abtsnamen nur eine Verderbung
oder Interpolation vorliegt. 1
Von den Parmenser Urkunden ist nr. 18 längst ver
worfen worden. 2 Sie ist auch formell unhaltbar. Der ursprüng
liche Text, überliefert in eiuem Notariatstransumpt des 12. Jahr
hunderts, macht von dem ausbedungenen Recht der Wiedergabe
preter litteram vel sillabam plures vel pauciores wie gewöhnlich
ausgedehnten Gebrauch, fehlende Worte entstellen den Sinn.
Davon abgesehen zeigen augenscheinlich genauer wiedergegebene
Stellen eine sonderbare Vermengung; unter die Grenzbestim
mung des gefreiten Gebietes — dieses auch für Italien damals
unmöglich — verirrt sich die formell wie sachlich ebenso un
mögliche Verleihung Integra remota occasione ullius reprehen-
sionis, ut habeat pontifex eiusdem ecclesie vel missits ipsius pote-
statem deliberandi et diiudicandi seu distringendi, veluti si presens
esset noster comes palacii. Dieses Vorrecht wird noch zweimal
wiederholt, 3 es ist der Schwerpunkt der Fälschung. Auf gleicher
Stufe steht die Stelle: Insuper etiam omnes liomines . . tarn infra
comitatum Parmensem quanique in vicinis comitatibus nuttam
exinde functionem alicui nostri regni persone persolvant 4 sive
1 Auch das formell verunstaltete Spur. Acut., Muratori SS. '2 b , 386, ist
sachlich unverdächtig vgl. B. 563, K 43, Sichel, Acta deperd. 14.
Ausser diesem und der Urkunde Karls III. sämmtliche Karolingerdiplome
durchaus echt.
2 = B. 911 vgl. Affo, Parma, 1, 184, Diimmler 2, 111 A. 75; nr. 26
(B. 918) ist indess nicht zu beanstanden. Für den alten Apparat der
M. G. ist weder das bischöfliche noch das Capitelarchiv benützt; ich bin
also auf Aff6 angewiesen. Nach Bresslau, N. Arch. 3, 107, findet sich
im bischöflichen Archiv jetzt kein älteres Original mehr, dagegen im
Capitelarchiv noch 11 Originale späterer Karolinger; die Angabe, dass
das älteste derselben B. 1490 sei, ist jedenfalls unrichtig.
3 Sed habeat episcopus licentiam distringendi diffiniendi vel deliberandi tam-
quam noster comes palacii . . Concedimus episcopi misso vel vicedomino,
ut sit noster missus et habeat potestatem deliberandi et definiendi atque
diiudicandi tamquam noster comes palacii. Brunner, Zeugen- und Inqui
sitionsbeweis, Wiener Sitzungsber. 51, 440 A. 1, 466, hält dagegen diese
eine Stelle für vervverthbar.
4 Später: ut nullus marchio comes vicecomes dux aut aliqua nostri regni
magna remissaque persona exinde . . 3e intromittat aut aliquam func
tionem inde recipere aut disvestire ullo modo temptet.
482
M ü h 1 ba c h e r.
alicuius placitum custodiant nisi Parmensis ecclesie episcopi.
Nicht minder wären einzelne Ausdrücke wie de iure publico in
ecclesie ins et dominium (transfundimus), regiae viae, publica
pascua, ingressus publici, territorium cultum et incultum, si acci-
derit de predictis rebus sine pugna legaliter non posse definiri u. a.
zu beanstanden. Die Urkunde ist also vollständig zu ver
werfen; Recognition und Datirung sind nr. 17 entnommen,
Titel und Publicationsformel verderbt. 1
Angezweifelt wurde auch die Besitzbestätigung .der Abtei
Berceto. 2 Das Protokoll ist nicht zu bemängeln, die Daten
stimmen überein. 3 Der erste Theil der Arenga ist unbedenk
lich, 1 Publicationsformel und Corroboration sind echt, die
Strafformel aber wahrscheinlichst interpolirt. 5 Auch im Texte
begegnen einige für diese Zeit befremdende Ausdrücke, wie
omne ius publicum atque districtum civitatis seu et ambitum mu-
rorum in circuitu, insigne edictum, cortem cum omni officio suo,
possideat seculo tenus; sie linden sich auch schon in der im
1 In B. 1367 wird berichtet: qiiia canonici s. Parmensis ecclesiae nostram
petierunt clementiam, ut secundum quod noster decessor Carolus videlicet
Imperator illorum proprietates et substantiam a suis fidelibus et a iure
publico inlaesus per suum esse statuerit edictum, eodem modo et nos con-
cederemus. Empfänger sind hier die Kanoniker, in nr. 18 aber das Hoch
stift, die Urkunde Berengars kann also auf jene Fälschung nicht Bezug
nehmen und es ist ein Actum deperditum Karls III. zu verzeichnen; ein
anderes ergibt sich aus B. 1107.
2 nr. 116, gleichfalls überliefert in einem Notariatstransumpt des 12. Jahr
hunderts; vgl. Diimmler, Ostfränk. Reich 2, 251 A. 52; 295 A. 101.
3 Dem bald darauf verliehenen Diplom nr. 127, das Atfö aus dem Original
mittheilt, können sie nicht entnommen sein, da dieses nur nach Incar
nationsjahr und Indiction datirt und. Actum in villa Stirpiacum trägt, nr. 116
aber auch Königs- und Kaiserjahre und das freilich sich nicht ins Iti-
nerar fügende Actum Ticinensi palatio.
4 Quanto amplius imperialis munificentia erga suos fideles exuberat, eos
ad suum obsequium promciores devocioresque efficiet . . das Folgende
sinnlos und verderbt. Unter den Karolinger Urkunden für Parma bietet
nur nr. 127 in gekürzter Form dieselbe Arenga. Publicationsformel und
Corroboration sind jedoch in beiden Urkunden verschieden, in beiden
aber auch genuin.
5 Si quis ergo . . vel auferre praesumpserit et qui super hoc edictum
nostrum vel fratris nostri elemosinam eins corrumpere vel inquietare ausus
fuerit, mulcta que in precepto fratris nostri est persolvere cogatur . .
Die Urkunden Karls III.
483
wesentlichen echten Vorurkunde Karlmanns, 1 aber sie gewinnen
erst dadurch an Beglaubigung, dass ein Original König Hugos
929 unter ausdrücklicher Berufung auf die Urkunde Karls III.
Parmensis civitatis districtum et omne ins publicum ambitumque
murorum in circuitu bestätigt. 2 Der Besitz der Abtei Berceto ist
auch anderweitig sicher gestellt; er wird 922 und 929 unter Hin
weis auf die Urkunden der Vorfahren bestätigt. 3 So scheint mir
sachlich wie formell kein triftiger Grund zur Verwerfung dieser
Urkunde vorzuliegen, die Verderbungen sind unwesentlich.
Ebenso halte ich das Diplom von 887 4 trotz der eigen-
thümlichen Arenga und der verstümmelten Datirung für durch
aus unbedenklich; für die Echtheit spricht besonders auch die
Intervention des Erzbischofs Liutbert und die nur für einige
Monate in Geltung bleibende Recognition ad vicem Liutberti;
auch die hier genannten Güter werden in der nächsten Zeit
öfters bestätigt. 5 Wurde ein paar Jahrzehnte später bei dem
Brande der Kathedralkirche auch ein grosser Theil des Archivs
vernichtet, 3 so scheinen dabei nur die älteren Diplome zu
1 B. 874, Ughelli 2, 145 ex perlectis in arch. Vaticauo exemplaribus =
Affö, Parma 1, 294; nähere Nachrichten über diese Handschrift, welche
auch bei Affö nicht benützt ist, fehlen.
2 B. 1386 Orig, im Capitelarchiv zu Parma; die Datirung lautet nach der
Abschrift Laschitzers im neuen Apparat der M. G. Data XV kal. octob.
anno inc. 929 regni cl. Hugoni? IV ind. III, während Affö aus der Copie
eines Placitums, dem diese Urkunde gleich nr. 36 inserirt ist, durchwegs
um eine Einheit höhere Ziffern gibt.
3 B. 1490, 1386 beide Orig.
4 nr. 179, zuerst gedruckt Muratori, Ant. 1, 921 ex autogr. = Savioli,
Ann. l b , 32. Die Arenga lautet: Ad hoc nos ad imperii fastigium subli
matos non ambigimus, ut omnium maxime Romanae ecclesiae utilitatibus
consulamus atque ea quae illa slaluerit per creditam sibi dispensationem
violari poslmodum non permittamus per nostram imperialem auctoritatem.
Die Angaben Affös über Originalität scheinen mir indess nicht ganz ge
sichert, sie bedürfen wohl noch der Revision.
5 Von Lambert B. 1286, Berengar I. B. 1366, von Rudolf B. 1492, Hugo
und Lothar B. 1397. Wenn es in der Bestätigung der Abtei Mezzana
B. 1387 heisst sicut per praeceptum a. d. Karlomanno rege concessum est,
so ist dies ein Versehen; die Abtei wird von Karl III. geschenkt, nr. 37.
6 Vgl. Urk. Berengars I. Muratori, Ant. ö, 313, Affö, Parma 1, 323,
ß. 1366, 1367, 1492. Das älteste Diplom Parmas ist jenes Karlmanns.
484
Mühlbacher.
Grunde gegangen zu sein; die Urkunden Karls III. sind fast
vollständig erhalten und mit einer einzigen Ausnahme echt.
Schon der Herausgeber Muratori ' und ältere Forscher
haben die Urkunde für die Michaelskirche in Zena 1 als unecht
erklärt und bemerkt, dass sie mit Ausnahme von zwei Inter
polationen wörtlich mit dem Diplom übereinstimme, welches
denselben Hof an Parma vergabt; 2 der Text und die äussere
Form desselben wurden vom Fälscher verschlechtert. 3
Denselben Nachweis hat Fumagalli für nr. 24 für S. Am-
brogio erbracht, 4 eine ungeschickte Erweiterung der echten
Urkunde nr. 23, von welcher auch ein bedeutender Theil des
Textes und die Datirung entlehnt ist. 5
Die Urkunde für Bobbio 6 zählt zu jener Gruppe Bob-
bienser Fälschungen, welche dem Kloster die Grafschaft
sichern sollten; 7 sie sind sämmtlich in Transumpten von 1313, 8
welche wieder aus einem Transumpt von 1172 stammen wollen,
überliefert. Die Fälschung unterliegt nicht dem mindesten
Zweifel, sie ist möglichst plump und ungeschickt; es reicht hin
1 nr. 19 vgl. Tiraboschi Nonantula 1, 237, Modena l b , 52, Afto, Parma
1, 297, Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 111 A. 75.
2 nr. 17; auch die Echtheit dieses Diploms wurde von Tiraboschi ange
griffen, doch ohne stichhältigen Grund.
3 So folgt im angeblichen Original nach der Corroboration zuerst die
Datirung, dann die Recognition — diese mit dem Zusatz archicancel-
larii piissimi regis rec. et signavit — und zuletzt erst die königliche
Unterschrift in zwei Zeilen.
4 C. d. 485 A. 1 vgl. Muratori, Ant. 1, 1025, Cod. Langob. 644. Die Fäl
schung in Copie s. XII erhalten.
5 Die Strafformel ■—- . . conatus eins apud omnipotentem reus maneat
u. s. w. — die Recognition •— signum domni Ansprandi cancellarii —
und die fünf Unterfertiger, darunter ein Cardinal Risus, selbständiges
Machwerk.
e nr. 78.
2 B. 596, 1403.
8 So Bethmann M. G.; die M. P. chartae geben s. XIII an, Archiv 5, 324
s. XIV oder XV. Bethmann erwähnt noch, der transumirende Notar be
merke zu nr. 78, das Siegel sei von Blei — in der Corroboration ist wie
in der auf Lothars I. Namen gefälschten Urkunde B. 596 das sigillum
plumbeum angekiindigt — ,der Kaiser auf dem Thron mit dem Lilien-
scepter, auf der anderen Seite Karolus d. gratia imp. aug.‘ also auch
gefälschte Bulle.
Die Urkunden Karls III.
485
den einen Satz anzuführen: 1 Confirmamus iam dicto abbati et
comiti eiusque successoribus in perpetuum iure lionorabilis feudi
et investiturae comitatum Bobiensem cum castris . . cum omni
iuris honore et iurisdictione, potestate et utilitate quae nostri iuris
ibi fuerunt vel esse viderentur cum rationibus et iustitiis investien-
tes ipsum abbatem et comitem per anulum aureum de praefato
comitatu et suis iuribus et honoribus; es wird noch erzählt, dass
der Abt dem Kaiser den Treueid geschworen contra omnes
homines de mundo salvo ordine suo et salvis . . obedientia et
fidelitate quam ad d. papam et ecclesiam Bomanam omnimode
servare tenetur. 2 Es kann sich nur darum handeln, ob eine
echte Vorlage benützt wurde. 3 Dies scheint mir zweifellos.
Das Protokoll ist echt mit Einschluss der Recognition 4 und
Datirung, deren Jahresangaben bis auf eine übereinstimmen;
dafür spricht auch die Intervention Liutwards mit dem Titel
s. Vercellensis ecclesiae praesul nosterque summus consiliarius
und Wibods von Parma; die Arenga, ein paar verunechtende
Ausdrücke abgerechnet, und die Promulgationsformel sind
genuin; von dem weiteren Text ist ausser der Intervention
und allgemeinen Ausdrücken wie assensum praebuimus kein Wort
zu retten.
Unter den deutschen Klöstern zeichnet sich namentlich
Reichenau durch Fälschungen der späteren Karolingerzeit
aus. Die Versuchung den Namen Karls III. dazu zu benützen
mochte hier um so näher liegen, da er durch seine G-rabstätte
in lebhafterer Erinnerung blieb und das Ax-chiv genügendes
Material zu Vorlagen bot.
Zunächst fällt nr. 33 5 auf durch die Datirung Data ab
incarnatione domini nostri Jesu Christi 881 a ind. IIIIX“. Actum
1 Wesentlich übereinstimmend mit 13. 596.
2 Als Zeugen figuriren westfränkische Bischöfe, ein Abt des erst 925 ge
stifteten Klosters Breme und ein marschalcus aidae imperialis, durchwegs
erdichtete Namen.
3 Dies auch bei B. 596, Wiener Sitzungsber. 85, 519 A. 2.
4 Nur im Texte heisst es per me Inquirinum — in den Drucken irrig In
genium — imperialis aulae notarium advicem Liulardi praefati ven. epi-
scopi totius Italiae archicanzellarii.
5 Ein deutscher Auszug in der Reiclienauer Chronik, 84. Public, des liter.
Vereins in Stuttgart S. 62; von Dümmler, Ostfränk. Reicli 2, 293 A. 95
als verdächtig bezeichnet.
486
Mülilbacher.
Ttomae coram domino papa .Johanne et multis principihus. 1 Der
Ausdruck principes erregt nicht den mindesten Anstand; 2 das
Protokoll entspricht mit Ausnahme der Datirungszeile voll
kommen jenem der Königsurkunden; dass Karl noch rex ge
nannt wird, ist auch mit einem Actum liomae leicht vereinbar,
die Urkunde konnte noch vor der Kaiserkrönung ausgestellt
worden sein. Die Arenga, in Reichenauer Urkunden nur hier
auftretend, ist jene der Besitzbestätigung und wird auch noch
in einem anderen gleichfalls von Inquirin recognoscirten Ori
ginal gebraucht, 3 Publicationsformel und Corroboration sind
durchaus unbedenklich. 4 Denselben günstigen Eindruck macht
der sachliche Theil; die Bestätigungsformeln hoc nostrae auc-
toritatis praeceptum inde conscribi iussimus, per quod decernimvs
atque iubemus ut . . ita deinceps firma et stabilis permaneat
nullusque habeat potestateni aliquid inde immutandi vel auferendi
aut minuendi, set perpetua integritate permaneat nostraper omnia
auctoritate roborata ist entschieden echt. Allerdings zeigen
einige Stellen auffallende Fassung wie quoddam praeceptum
fratris nostri et gloriosissimi regis amdo consignatumf pro . .
propriorumque absolutione facinorum, Insulanensi coenobio, ea
lege, eo iure quo ipse possedercit donavit, instinctu dilectae con-
iugis nostrae R. et multorum principum consilio. Diesem stehen
zwei unscheinbare, aber doch beachtenswerthe Eigenthümlich-
keiten gegenüber, das topographische Detail wird wie auch
1 Auch in der Reichenauer Fortsetzung 1 Erchanberts M. G. SS. 2, 329:
anno ab ine. 881 ind. XIV' idem Carolus . . Romain profectus a pontifice
Romano — der Name des Papstes ist nicht genannt — corona imposita
ad. Imperium consecratur. Aehnlicli wie in nr. 33 im Spur. Sindleoz.
nr. 1, Sickel, Acta 2, 435: Actum Magoniiae in concilio magno coram
multis principihus tarn spiritualibus quam saecidaribus.
2 Vgl. Orig. nr. 177: Actum . . praesentibus plurimis principihus nostris
und Ficker, Reichsfürstenstand 1, 43.
3 nr. 9 = 12 Besitzbestätigung für St. Felix und Regula in Zürich. In
gleicher Weise tragen die zeitlich einander nahe stellenden Urkunden
nr. 103 für Reichenau und nr. 107 für Trier dieselbe Arenga.
4 Ungewöhnlich nur firmitatis titulum ohtineat, eine Variante ohne jeden
Belang; auch diese findet sich nicht in anderen Reichenauer Urkunden.
5 In den italienischen Notitiae ist für Constatirung der Echtheit der vor
gelegten Diplome stehende Formel: Ei'at praeceptum ipsum manu propria
. . regis firmatum et eins anulo sigillatum.
Die Urkunden Karls III.
487
sonst häufig durch hoc est eingeleitet, 1 die Pertinenzformel zeigt
in den Worten cum . . servis et ancülis olivetis . . portibus
navigationibus . . ficubus pastibus et semper in tercio anno pre-
caviis . . italienische Elemente, welche den Reichenauer Ur
kunden ganz fremd waren und dort in ihrer richtigen Formu-
lirung kaum erfunden werden konnten. Noch ein anderer
Italianismus fratres Augiae monasterii obedienti iussione . . ob-
tulerunt macht sich bemerklich. Das Chrismon ist jenem In
quirins ganz unähnlich und unbeholfen, das Siegel scheint echt
zu sein. Ueber die Schrift der Urkunde bemerkt K. Pertz, 2
dass sie auffallend steif und scharfeckig und dass das a an
die langobardische Form erinnere; er knüpft daran die Frage,
ob die Urkunde vielleicht von einem italienischen Schreiber
geschrieben sei. Für die Richtigkeit dieser Vermuthung
sprechen die Italianismen; dieser Umstand würde aber auch
die Unregelmässigkeiten und Abweichungen zur Genüge er
klären. Noch weniger lässt sich sachlich etwas gegen die Urkunde
einwenden; Reichenau besass nachweislich Besitzungen an dem
ersten der genannten Orte — ,in Trernctis', jetzt Tremezzo am
Corner See — und führte über die Zugehörigkeit von sechs
Mansen langen Streit mit S. Ambrogio, in dem diese unter
Karl III. dem letzteren Kloster, von Königsboten Arnolfs Rei
chenau, unter Lambert aber wieder S. Ambrogio gerichtlich
zugesprochen wurden. 3 Einen Besitztitel für Italien zu fälschen
fühlte man sich in Reichenau doch kaum veranlasst. Von der
Schenkung Karlmanns findet sich keine weitere Spur. Möglich
dass die Originalität der Urkunde Karls III. in Frage steht,
die Echtheit des Inhalts dürfte gesichert sein.
Berechtigteren Verdacht erregt eine zweite Reichenauer
Urkunde, 1 von der Dümge erklärt, dass er sie nur als Probe
der Fälschungen dieses Klosters abdrucke. Wenn Karl im
Titel und in der Signumzeile — die Urkunde datirt von 883
— noch rex genannt wird, während es und noch dazu mit
1 Hoc est Orig. nr. G2, 76, 137, Copie nr. 13G; id ent Orig. nr. 41, 44, 61,
7ö, 129, 134, Copie lir. 2, 109, 113, 130, 155, hii sunt Orig. nr. 85.
2 In seiner Abschrift im alten Apparat (1er M. G.
3 Cod. Langob. 502, G13, beide Notitiae aus dem Archiv von S. Ambrogio.
4 nr. 95.
488
Mühlbacher.
unrichtiger Jahresangabe heisst regnante Kcirolo imperatore
anno X, so könnte dies für sich allein noch andere Erklärungs
versuche zulassen. 1 Die Arenga schliesst sich den alten Mustern
an, enthält aber eigenthümliche Varianten, welche in der
Kanzlei Karls III. nicht üblich, kurz darauf sich nachweisen
lassen; 2 die Publicationsformel ist nicht zu beanstanden, da
gegen findet die Ankündigung der königlichen Unterschrift
eam subterfirmavimus keinen Beleg; jede echte Urkunde, Ori
ginal wie Copie, ist mit dem Zusatz manu propria (nostra)
ausgestattet. Nicht minder bietet der Text verdächtigende
Ausdrücke, so ad praefatum (Augiense) monasterium Sindlez-
zesowa generaliter nominatum; 3 est autem quod donavimus . .
in ius ac perpetuam dominationem . . in ea videlicet conditione,*
• endlich hoc est an unrichtiger Stelle vor der Pertinenzformel.
Auf den sachlich entscheidenden Verwerfungsgrund, dass hier
Liutward als Abt von Reichenau bezeichnet werde, hat schon
Dümge aufmerksam gemacht. Dazu kommt, dass das Chris-
mon ganz den Eindruck ungeschickter Nachzeichnung macht
und nach K. Pertz die Schrift dem 10. Jahrhundert angehört. 5
1 Ficker, Urkundenlehre 2, 153 5 auch im Orig. nr. 63 heisst es anno im-
perii praedicti regis.
2 Si fidelium nostrorum petitionibus quas pro ecclesiasticarum rerum — sonst
ecclesiarum — sibimet commissarum utilitatibus nobis suggesserint clementer
annuere ac pie prospicere volumus — sonst clementer annuimus — id
nobis ad statum regni nostri — unter Karl III. so nur Orig. nr. 63, sonst
die alte Fassung regni Stabilitäten — et ad perpetuae felicitatis gaudia
adipiscenda — sonst ad aeternam vitam feliciter obtinendam (capessen-
dam), aeternam remunerationem — oppido pro futurum esse — esse fehlt
in dieser Verbindung gewöhnlich — credimus; den sinnlosen Schreib
fehler oppido credimus statt liquido vermag ich nur in der Kanzlei
Arnolfs nachzuweisen Orig. 13. 1068, 1088, Wartmann 2, 307, Copie
M. B. 31, 123 (Recogn. Ernust und Engilpero), unter Ludwig dem Kind
ist er wieder verschwunden; unter Arnolf Arengen mit den jüngeren
Elementen in B. 1025, 1045, 1127, M. B. 31, 123, wesentlich gleich
lautend mit nr. 95.
3 Monasterio Sindleozesawa appellatum (nuncupatum) L 370, 372 vgl.
Dümge 79, 80 nr. 15, 16, quod dicitur S. Dümge 84, monasterium s. Mariae
quod dicitur Augia Karl III. nr. 7, 162,
4 Unter Karl III. nur ea videlicet ratione und ähnliche, nie conditione.
5 Dümge betont nur die Uebereinstimmung der äusseren Merkmale unter
sich, ohne anzugeben, ob sie auch mit jenen der Kanzlei Karls III.
übereinstimmen.
Die Urkunden Karls III.
489
Die äusseren und inneren Merkmale vereinen sich, um dieses
Stück als Fälschung zu documentiren; die echten Theile des
Protokolls sind wahrscheinlich nr. 7 entnommen.
Viel plumper ist eine andere Fälschung. 1 Der erste
Theil ist wörtliche Wiederholung der Besitzbestätigung nr. 163,
der auch das Protokoll entnommen wurde, 2 daran schliesst sich
die Bestätigung einer angeblichen Schenkung Karls des Grossen,
ut sutores pellifices fullones in Ins diebus, quando in vestibus
praeparandis fratrum occupantur, de fructu villae pascantur und
eine Holzanweisung zur Bereitung warmer Bäder; ebenso un
geschickt ist der Schlusssatz si autem ab aliquo infeodantur
vel mutatae in alias officinas transferuntur, recjali nostra pote-
state precipimus ut in nostrum fiscurn . . revertantur. Das Chris-
mon ist eine wenig gelungene Nachzeichnung jenes in nr. 163,
nach K. Pertz gehört die Schrift dem 11. Jahrhundert, das
Siegel Ludwig dem Deutschen an. Das Stück wurde schon
von Dümge verworfen.
Besonderes Interesse erregt die Immunitätsbestätigung für
Pfävers; 3 sie wird von Hidber als ,unächt'bezeichnet. 4 Und
es scheint allerdings an gewichtigen Verdachtsgründen nicht
zu mangeln. Karl führt den Titel divina favente clementia rex,
in der Signumzeile aber Signum domni Karoli (M) serenissimi
imperatoris ausgusti; die Jahresdaten lauten anno incarnationis
domini nostri Jesu Christi 877 ind. X anno vero imperii domni
Karoli secundo; ergäbe das zweite Kaiserjahr 882, so das
zweite Königsjahr doch nur 878; die Urkunde trägt aber auch
Actum Bisistat, während kein anderes Diplom Karls III. vor
1 nr. 164 vgl. die angebliche Bestätigung Heinrichs II. Dümge 98.
2 Geändert ist in demselben nur Liutwards Titel archicancettarius in arclii-
capellanus wie in nr. 95 cancellarius in archicancettarius, beigefügt noch
die Indiction, wahrscheinlich aus nr. 162.
3 Nach einer Copie von 1636 im Wiener Staatsarchiv gedr. Notizenblatt
der Wiener Akademie 1, 100, doch ohne die Recognition Inquirinus nota-
rius ad vicem Liutwardi rec.; ausführliches Regest aus dem Orig, in
St. Gallen Wegelin, Regesten der Bened. Abtei Pfävers nr. 8; Regest
mit Datirung schon bei Mabillon, Ann. 3, 203, der das Diplom Karl dem
Kahlen zuschreibt. Im Apparat der M. G. Abschrift von K. Pertz.
4 Schweiz. Urkundenreg. nr. 729.
Sitzungsber. d. pliil.-liist. CI. XCII. Bd. II. Hft.
32
490
Mühlbache r.
dem ersten italienischen Zuge mit Actum und Ortsangabe ver
sehen ist; von geringerem Belang ist, dass Inquirins Recogni-
tion erst seit März 878 nachweisbar ist. Diese. Bedenken
mehrt der Text; die Immunitätsformel zeigt eine von allen
anderen Urkunden abweichende und fremdartige Gestalt. Auch
die äusseren Merkmale scheinen geeignet diesen Verdacht zu
bestärken; das Diplom trägt ein Königssiegel, das von dem
bisher bekannten verschieden nach dem bis jetzt vorliegenden
Material sich nicht anderweitig nachweisen lässt; die Schrift
bietet charakteristische Eigenthümlichkeiten, die der Kanzlei
Karls IIL fremd sind. 1
So erschwerend diese Verdachtsgründe zu sein scheinen,
so treten ihnen doch Momente gegenüber, welche die Echtheit
der Urkunde ausser Frage stellen. Zunächst die ganze Fassung
der Urkunde; scharf ausgeprägt und charakteristisch ist sie nur
in den ersten Jahren Karls in Gebrauch und führt allem An
scheine nach auf einen bestimmten Dictator, vielleicht Liutward
selbst zurück; alle Privilegienbestätigungen der Jahre 877 und
878, für Murbach, St. Gallen und Reichenau tragen ihr Ge
präge; die andere charakteristische Eigenthümlichkeit dieses
Dictats ist in der überwiegenden Anzahl der übrigen Urkunden
1 Der Mittheilung, welche ich der freundlichen Güte von Herrn
Dr. Wartmann verdanke, entnehme ich, dass keine der zahlreichen
St. Galler Urkunden Karls III. von demselben Schreiber geschrieben
sein kann. ,An der Schrift ist dreierlei auffallend. Erstens die schon
stark gebrochenen verlängerten Buchstaben (Oberschäfte); diese erscheinen
sonst erst in den späteren Urkunden Arnolfs und ganz besonders in den
Urkunden Konrads. Zweitens die Form der p, bei denen der in die
Höhe gehende Strich ganz eigentümlich an die untere Stange ansetzt.
Vollständig entsprechend erscheint indess diese Form vereinzelt doch
auch in der letzten Urkunde Karls für St. Gallen (nr. 166). Drittens die
Form von einzelnen — aber wirklich nur einzelnen — o, die ohne jedes
Verständniss der Grundform dieses Buchstabens gemacht scheinen und
an sich unzweifelhaft zu der Vermutung berechtigen würden, dass sie
aus der Hand eines ungeschickten Nachahmers stammen. Allein da diese
vereinzelten Missformen neben der regelmässigen Form der Zahl nach
kaum in Betracht fallen — es sind kaum ein halbes Dutzend in dem
ganzen Stücke — und das einzige paläographische Moment sind, das
einen Verdacht rechtfertigen würde, kann ich ihm keine weitere Bedeu
tung beilegen/
Die Urkunden Karls III.
491
dieser Jahre vertreten. Jene Privilegienbestätigungen geben in
der Narratio den ganzen Inhalt der Verleihung, diese nur im
allgemeinen mit wenigen Worten bekräftigend schrumpft die
Dispositio auf ungewöhnlich kleinen Raum zusammen; anderer
seits wird der Beurkundungsbefehl, durch das eigenartige
mandavimus sich kennzeichnend, mit der Corrpborationsformel
verschmolzen. 1
Diese Eigentümlichkeiten zeigt auch die Urkunde für
Pfävers. Wie die Arenga wesentlich mit jener der übrigen
Privilegienbestätigungen dieser Zeit übereinstimmt, 2 so findet
die verkürzte Publicationsformel anderweitige Belege. 3 Die
Narratio detaillirt anknüpfend an die Vorlage der Vorurkunden
den Inhalt der Verleihung, Immunität mit Mundium, und be
stätigt diese mit den Worten Nos quoque eidem monasterio,
sicut ab antecessoribus nostris concessum est, etiam ex nostra
parte hoc idem firmissima ratione roboramusJ Die ausführlicher
gehaltene Corroborationsformel enthält den Beurkundungsbefehl
hoc nostrae auctoritatis preceptum inde conscribi mandavimus in
jener durch mandavimus charakteristischen Wendung, wie sie
die anderen Urkunden an dieser Stelle aufweisen. 5
Nicht minder verbürgt ist die eigenartige Immunitäts-
formel; sie ist, wenn auch überarbeitet, der Vorurkunde
Lothars I. u nachgeschrieben, welche dem König zur Bestätigung
1 Vgl. S. 422, 437.
2 Si auteeessorum nostrorum regum videlicet sive imperatorum monaste-
riorum eoenobiis concessa privilegia nostra auctoritate solidamus, pluri-
mum nobis ad aeternam remunerationera regnique nostri stabilitatem
prodesse confidimus; etwas erweitert, sonst fast wörtlich gleich im
Orig. nr. 6 für St. Gallen, der Vordersatz in Orig. nr. 7 für Reichenau, si
concessa privilegia nostra auctoritate solidamus im Orig. nr. 4 für
Murbach.
3 Ideoque noverit omnium fidelium nostrorum industria; gleich in Orig,
nr. 9, 12, 14, Copie nr. 5.
4 Ganz ähnlich in nr. G mit der wichtigeren Variante quiequid huic com-
prehensum est; sicuti ab eisdem antecessoribus nostris . . concessum est nr. 7,
sicuti . . a principibus Francorum concessa est nr. 4.
5 Am nächsten steht sie der Corroborationsformel von nr. 2, 5.
6 B. 557 Orig, in St. Gallen vgl. St. Galler Mittheil. 3 (1866), 10. In
nr. 3 wird nur die Vorlage von quaedam antecessorum nostrorum praecepta
erwähnt.
32 :
492
M ü h 1 b a c h e r.
vorgelegt worden war; 1 es ist dieselbe Urkunde Lothars, die
später auch in der Ottonischen Kanzlei als Vorlage benützt
die Fassung der Immunitäten für St. Gallen und Einsiedeln
wesentlich beeinflusste. 2
Steht auch die innere Echtheit der Urkunde für Pfävers
ausser Frage, so doch nicht ihre Originalität. 3 Die äusseren Merk
male weisen darauf hin, dass sie nicht in der ursprünglichen
Ausfertigung vorliege; während ihre Fassung die charak
teristischen Merkmale der ersten Jahre Karls III. zeigt, tragen
jene Kennzeichen einer etwas späteren Zeit, welche auch
noch den Schluss der Regierung Karls umfasst. Die Annahme
einer Nachzeichnung ist ausgeschlossen, die einer Copie durch
aus unwahrscheinlich; der Copist hätte die Widersprüche des
Titels im Protokoll erst erfinden müssen; die äussere Gestalt
scheint vielmehr vollkommen kanzleigemäss zu sein. Es er
übrigt also nur die Annahme einer Neuausfertigung theilweise
,unter laufendem Protokoll mit Belassung der früheren Dati-
rung‘ 4 oder etwa auch einer späteren Ausfertigung auf Grundlage
früherer Aufzeichnung. 5 Damit finden auch die Widersprüche
1 nr. 3.
. . ut nullus comes nec quis-
quam ex iudiciaria potestate con-
stitutus contra iustitiae ac rationis
ordinem quicquarn eis ingerat aut
aliquam contrarietatem vel inquie-
tudinem faciat sive facientibus
consentiat, res vero quas moderno
tempore praescripti monachi in
usus suos habere videntur nullus
inde alicui in beneficium quic-
quam prestare presumat, sed ad
illorum usum perpetualiter per-
maneant et illi sub regia defen-
sione et mundio semper con-
sistant.
2 Sickel, Kaiserurk. in der Schweiz
3 Wenigstens im engeren Sinne vgl. i
4 Ficker, Urkundenlehre 1, 300.
5 Wartmann bemerkt: ,Die Urkunde
unmassgeblichen Ansicht durch au
B. 557,
ut nullus iudex nec episcopus nec
comes vel quislibet ex iudiciaria po
testate constitutus aliquam super eos
exerceat potestatem nec super eorum
causas nec super familias eorum intus
vel foris concessas, sed eiusdem
monasterii abbas potestative cum suis
monachis ad illorum necessarios usus
firmiter possideat et nullius potestatis
persona inde quippiam alicui in bene
ficium praestare praesumat, sed sub
nostra defensione et emunitatis tui-
tione res illorum perpetualiter per-
maneant ad illorum, ut supra diximus,
necessarios usus.
21, 7G.
ickel, Urkundenlehre 370, Kaiserurk. 7.
Karls III. für Pfävers ist nach meiner
s acht . . Dass das Material eines
Die Urkunden Karls III.
493
des Protokolls ihre Erledigung. Die Datirung ist zweifelsohne
die tu'sprüngliche, der annus imperii als annus regni zu fassen;
wenn hier ausnahmsweise ein Actum mit Ortsangabe auftritt,
so darf dies wohl dem Einfluss der damit ausgestatteten Vor
urkunde zugeschrieben werden. Ebenso scheint mir die Re-
cognition genügend verbürgt. 1
Schlimmer steht es um die Immunität für das Nonnen
kloster Obermünster in Regensburg; 2 sie wurde schon von
den Herausgebern der Monumenta Boica unter die Fälschungen
eingereiht. Im Texte des angeblichen Originals, das dem
11. Jahrhundert zuzuweisen ist, schliessen sich nur die Publi-
cations- und Corroborationsformel den echten Urkunden an,
die Arenga 3 wie die Pön mit ihrer bei Fälschern sehr belieb
ten Androhung des letzten Gerichtes stehen mit ihnen in
directem Widerspruch. Ebenso die Formeln monasterium in
nostrae emnnitatis defensionem suscepimus ea videlicet condi-
tione, ut nec nos nec quisquam Imperator aut rex aut dux aut
regalis exactor sive ex imperiali sive ex propria auctoritate quic-
qxdd ibi ordinandi aut exigendi habeat potestatem. Sorores abba-
tissa decedcnte aliam quae succedat imanimiter et legaliter eligant,
cuius electioni sive ordinationi non imperator non rex non epi-
scopus non advocatus non aliquis hominum contradicat nec diffi-
cultatem nec molestiam inferat. 4 Dieser rhetorischen Stilübung
folgt eine ebenbürtige Stelle über die Klostervogtei, der zu
Ehren eine nicht geringe Anzahl von Fälschungen gefertigt
Archivs nicht ausreicht, um in solchen Fragen sicher zu entscheiden,
weiss ich sehr wohl. Der ganze Eindruck, den ick durch die Prüfung
der Urkunde erhalten habe, würde mich am ehesten zu der Annahme
führen, dass das Stück erst in den letzten Zeiten Karls, vielleicht sogar
erst nach seinem Tode ausgefertigt wurde, wodurch sich auch die Ver
wechslung von rex und imperator am ehesten erklären liesse. . . Eine
Fälschung ist das Document gewiss nicht 4 .
1 Dieselbe ßecognition — Liutward ohne Titel — auch Orig. nr. 15 vgl.
Orig. nr. 25 — 58.
2 nr. 161.
3 Si membra Christi infirmiora sed habundantiori honore dignissima debita
karitate amplectimur et imperialis auctoritatis robore communimus, id
nobis et ad temporalis tranquillitatis gratiam et ad aeternae felicitatis
gloriam profuturum sine hesitatione confidimus.
4 Ganz ähnliches Machwerk in zwei Fälschungen für St. Maur des Fosses
Baluze, Capit. 2, 1436 (Spur. Fossat.), B. 1747.
494
Mühlbacher.
wurde: Sane ndvocatwm nullum habeant nisi eum quem abba-
tissa et sorores elegerint, qui etiarn nihil iuris, nihil potestatis,
nihil servitii ibi requirere praesumat, nisi quod ei abbatissae et
sororum bona voluntas constituat. Wie die Immunität mit freier
Wahl formell, so ist die Bestimmung; in Betreff des Vogtes
auch sachlich ganz und gar unstatthaft, umso mehr als für
jene keine rechtfertigende Vorurkunde vorliegt; dazu kommt,
dass die hier erzählte Beisetzung, der Königin Emma in diesem
Kloster mindestens fraglich ist. 1 Die Urkunde muss daher fast
ihrem gesammten Inhalte nach als Fälschung bezeichnet werden.
Viel günstiger aber liegt die Sache in Betreff des Proto
kolls; dieses ist ebenso entschieden echt und ganz echt. Der
beste Beweis dafür ist die irrige Indiction, welche derselbe
Recognoscent Amalbert noch im Beginn des Jahres 887 führt 2
und das durch ein italienisches Original beglaubigte Actum
Rotwile, das ein Regensburger Fälscher sicher nicht erfunden
haben würde. Es war also eine echte Vorlage vorhanden,
deren Protokoll genau wiedergegeben wurde.
Von einer Urkunde für Gengenbach ist nur ein Bruch
stück bekannt, das Crusius veröffentlichte. 3 Invocation und
1 Dümmler. Ostfränk. Reich 1, 862 A. 50. Dagegen scheint mir der auch
hier erwähnte Tausch, durch welchen die Königin Emma Obermünster
von Bischof Baturich von Regensburg gegen das Kloster Mondsee empfing,
durch die im St. Emmerammer Chartuiar überlieferte Urkunde Ludwigs
des Deutschen, B. 726, M. B. 31, 68, genügend verbürgt. Von dem
interpolirten Incarnationsjahr 831 abgesehen halte ich diese für entschieden
echt; die Bedenken Sickels, Beitr. I, Wiener Sitzungsber. 36, 350, ent
fallen, wenn man die Urkunde gemäss dem Regierungsjahre und der
Indiction zu 844 setzt; hier fügt sie sich auch anstandslos ins Itinerar;
das Schaltjahr mag auch das Tagesdatum XVII kal. marcii veranlasst
haben. Regensburg erscheint 'auch später im Besitze von Mondsee.
Gegen die Einreihung zu 844 könnte sprechen, dass Baturich schon 843
August 3 mit Liuphram von Salzburg einen Vertrag über die zu Mond
see gehörige Jagd und Fischerei abschliesst, U. B. des Landes ob der
Enns 1, 86; 2, 14 (nach Oesterr. Arch. 11, 66 Copie s. XII in Wien),
der 849 erneuert wird; liegt hier nicht ein Irrthum in den Daten vor,
so wurde vielleicht B. 726 etwas später ausgefertigt.
2 Orig. 154, 156—159. Das schön und ganz richtig gezeichnete Monogramm
zeigt dunklere Tinte; der Kreuzschnitt senkrecht, ein Siegel war nie
befestigt; nur die Datirung in Bücherschrift.
3 Ann. 1, 297 zu Karl dem Grossen = Grandidier, Strasbourg 2 b , 278.
Die Urkunden Karls III.
495
Titel sind echt, die Arenga unecht, die Publicationsformel min
destens durch Christi fidelibus verderbt; die Erwähnung der
Intervention Liutwards — archicancellarii et Vercettensis epi-
scopi — weist auf eine echte Vorlage. 1 Die Fälschung ergibt
sich zweifellos aus dem Satze: qualiter . . coenobium a quodam
Ruthardo duce bonae memoriae viro liberali manu et liberdlibus
investituris constructum, deo et eins genitrici attitulatum denuo
rterata libertate donavimus, donando concessimus, concedendo
nostra imperiali auctoritate firmavimus. 2 Die Fälschung scheint
demnach ziemlich jungen Ursprungs gewesen zu sein.
Von einer Fälschung für Prüm 3 kenne ich nur den von
Görz mitgetheilten Auszug. 4 Der hier gegebene Nachweis der
Fälschung ist evident; die Datirung wurde der echten Urkunde
für dieses Kloster 5 entnommen und durch Epacten und Con-
currenten verschönert.
Bedeutend seltener werden Urkunden für Privatper
sonen zu Fälschungen benützt. Dies ist der Fall mit dem
Diplom für Sanction. 0 Das Protokoll ist vollständig echt;
1 Der Kaisertitel verweist sie in die Jahre 881—887.
2 Hier bricht das Fragment ab; Crusins erwähnt noch eodern diplomate
Carolum prohibuisse, ne quisquam coenobii monachis iniuriam inferat,
atque permisisse eis potestatem in demortui ahhatis locum alium idoneum
mbstituendi; würde dieser Auszug sich genau dem Wortlaut der Urkunde
anschliessen, so ergäben sich ebenso unhaltbare Formeln.
3 nr. 104.
4 Mittelrhein. Regesten 211 nr. 740; der Druck Analyse crit. de la Collec
tion des diplomes de M. le comte de Renesse (par Kreglinger), Anvers
1836, war mir nicht zugänglich; im Archiv von Koblenz Transumpt
von 1399.
5 nr. 105.
6 nr. 178. Ich kenne nur den Druck Borgnets in Bulletins de l’acad. r.
de Bruxelles, 1. Serie 4, 158, den in Wauters Regesten 304 noch ange
gebenen und, wie es scheint, besseren Druck in den Ann. de la societe
archeol. de Namur 5, 235 konnte ich nicht einsehen. Borgnet bemerkt,
dass das Siegel verloren, das Monogramm echt sei und dass die Urkunde
in der ersten Zeile, der königlichen Unterschrift und Reeognition ver
längerte Schrift, an der Siegelstelle den Kreuzschnitt aufweise; nach
Wauters gehört das angebliche Original, jetzt im Staatsarchiv zu Namur,
dem 11. Jahrhundert an. Die im Drucke Borgnets verstümmelte Dati
rung imperii auct. ergänze ich nach Wauters in imperü autem II.
496
Mühlbache r.
die verstümmelte Datirungsformel ist jene des Recognoscenten
Amalbert; die Publicationsformel zeigt nur unwesentliche Ver-
derbung. 1 Eine solche macht sich auch gelegentlich im Texte
geltend. 2 Gleich dem Protokoll sichert auch der Text eine
echte Vorlage; diese ist eine Schenkung zu freiem Eigen,
welche von einer Reihe Interpolationen durchzogen ist. Die
Narratio mit der Intervention des Grafen Rotbert und des
Bischofs Franco von Lüttich (856—903) wie die Dispositio ist
mit Ausnahme einer Interpolation — Graf Rotbert erhält den
Titel vir nobilis — vollkommen formelrecht; an die Angabe
des geschenkten Gutes, eines mcinsus indominicatus zu Maredret,
knüpft sich aber eine weitläufigere Interpolation cum aliis XX
qui pertinent ad ecclesiam de Brogne quam filius praedicti Sanc-
tionis vir vitae venerabilis Gerardus in melius restauravit in
honorem vivißcae crucis 3 et apostolorum principum; restitui etiam
ad ipsam ecclesiam de Brogne omnes decimationes . . An diese
Restitution fügt sich wieder wohlgemuth der Beurkuudungs-
befehl der echten Schenkungsurkunde und die Uebertragungs-
formel zu freiem Eigen an, diese bis auf die Einschiebung der
Zehente tadellos. 1 Den Reigen schliesst eine weitere Inter
polation, welche auctoritate nostrae maiestatis der Kirche von
Brogne omnem iustitiam tarn, in vicecomitatu quam in omni alio
genere iustitiae auf den zugehörigen Allodialgütern Sanctions
und seines Sohnes bestätigt.
Die Datirung lautet Data V kal. nov. anno ab inc. domini
887 ind. V anno vero d. Karoli augusti VIII imperii autem II.
1 Cunctis sacrae — statt sanctae — dei ecclesiae fidelibus. Wahrschein
lich ist auch in der Corroboration de sigilli — statt anuli — nostri
verderbt.
2 Concessimus namque — statt itcique; per quod iudicamus — statt san-
cimus oder praecipimus — atque iuberaus.
3 Nach Borgnet wurde Brogne erst im 12. Jahrhundert durch die Reliquie
vom h. Kreuz berühmt und war bis dahin dem h. Michael und den
Aposteln Peter und Paul geweiht.
4 Ut praefatas terras — in der echten Urkunde wohl res — cum decimis
tarn magnis quam minutis deinceps nostris et futuris temporibus securiter
teneat habeat atque possideat et quidquid exinde facere voluerit in Om
nibus habeat potestatem ut (sicut lex et) iustitia concedit unieuique de
sua proprietate faciendum.
Die Urkunden Karls III.
497
Actum Aquisgrani palatio, die Recognition Amulbertus not. ad
vicem Liutwardi archicancellarii. Die Jahresangaben wider
sprechen sich; während Incarnationsjahr und Indiction iiber-
einstiinmen, ergibt annus Karoli VIII — es können darunter
doch nur die Kaiserjahre gemeint sein, wie unter den folgen
den die Regierungsjahre in Westfrancien 1 — das Jahr 888,
a. imperii II dagegen 886. Noch unvereinbarer ist Actum
Aquisgrani. Ein Aufenthalt Karls in Achen ist überhaupt nicht
nachweisbar; am 28. October 886 war er vor Paris, 887 wahr-
scheinlichst in Tribur; wird in einer Quelle auch für diese Zeit
ein Aufenthalt in Frankfurt genannt, so ist doch die Annahme,
der kranke Kaiser sei auch nach Achen gekommen, in keiner
Weise zulässig. Actum Aquisgrani scheint demnach eine
naheliegende Erfindung des Interpolators zu sein. Die Recogni
tion wäre zu dem angegebenen Tagesdatum nur 886 möglich,
nicht mehr aber in dem durch Ucbereinstimmung von Incar
nationsjahr und Indiction noch am meisten beglaubigten Jahre
887. Diese Umstände nöthigen zu der Annahme, dass auch
die chronologischen Daten vom Fälscher willkürlich geändert
wurden. Das Stück ist daher für das Itinerar werthlos.
Unter den Urkunden für Westfrancien, welche indess
mehr oder minder eigenartige Formulirung zeigen, fallen die
Urkunden für Nevers auf. Sie sind sämmtlich nach einem Char-
tular gedruckt. Eine derselben - trägt eine ganz ungewöhnliche
1 Bei Amalbert sonst die Zusätze in Italia, in Gallia.
2 nr. 128. Die Drucke weichen in der Datirung bedeutend von einander
ab. Besly, Comtes de Poictou pr. 195 ex tabul. (cli.) Nivern. = Leibniz,
Ann. 2, 92 Frg. gibt anno 5 regn. Karolo in Francia 5 in Italia 4 incl. 6,
Baluze, Maison d’Auvergne 2, 4 du cart. de Nevers dagegen ind. IV,
Gallia Christ. 2. ed. 12 b , 310 e ch. Nevern. und Mem. de la societe
Eduenne 1844, 332 anno V regn. K. imperant'e in Francia III in Italia
IV ind. VI, Bouquet 9, 349 fügt aus eigenem noch in Gallia I hinzu.
Die Datirung jedenfalls verderbt; die regelmässige Stellung ist ind. . .
imp. in Italia . . in Francia . . in Gallia . .; ind. VI ist wahrscheinlich
in ind. III = 885 zu verbessern; dazu würde der sonst haltlose a. V
regn. K. als Kaiserjahre genommen stimmen, zur Noth allenfalls auch
a. in Francia III; a. in Italia IV ist nicht unterzubringen. So bleibt
die Einreihung zu 885 doch noch die wahrscheinlichere. Ueber das
Chartular Delisle, Philippe Auguste 548.
498
M ü h 1 b a c h o r.
Arenga, welche den alten Wortlaut fast ganz verwischt, 1 die
Fassung hat manches Befremdende 2 und weicht derart von den
Kanzleiformen ab, dass sie mindestens als verdächtig bezeichnet
werden muss; am Schlüsse ist eine ungeschickte Interpolation
eingefügt; dagegen kann die hier mitgetheilte Nachricht über
die Kämpfe des Grafen Bernhard mit Boso auf Glaubwürdig
keit Anspruch erheben nnd lässt Benützung ziemlich gleich
zeitiger Aufzeichnungen vermuthen. 3 Von einer Urkunde für
St. Martin in Nevers sind zwei Fassungen überliefert; die
eine 4 ist nicht zu beanstanden, die zweite 5 aber interpolirt
theils den Text der ersten, theils fälscht sie deren Inhalt
geradezu. Heisst es in der ersten abbatissa decedente eius-
dem monasterii nullatenus sanctimoniales sibi abbatissam eligere
presumant sine consensu et iudicio Nivernensis episcopi, so wird
dies in der zweiten in das Gegentheil geändert abbatissa
decedente, tribuimus et imperiali more delegamus quamcunque ex
suis maluerint licentiam eligendi abbatissam, um daran wieder
aus der ersten Urkunde die Bestimmung anzufügen, dass der
Bischof nicht die Angehörige eines fremden Klosters als Aeb-
tissin bestellen dürfe. Während in der Stelle nec aliquod un-
qua,m ab eis amplins exigatur preter annualem censum die Worte
nisi enm quem pontifices habuerint causa caritatis aut itineris
necessitate aut superventu liberaliter susceperint zu Gunsten des
Klosters fortgelassen sind, sind zum Schlüsse noch zwei Inter
polationen angefügt; während die eine besagt Decrevimus denique et
1 Si imperialis sollicitudo ea procuret que ad restaurationein s. ecclesie
catholice pertinere noscuntur, sine dubio magnum imperii culminis statum
preparare comprobatur et non solum in presenti stabilimentum regni et
imperii corroborat, sed etiam in futuro eterne retributionis premium sibi
conciliat. Dieselbe Arenga in nr. 139 aus der gleichen Quelle.
2 Ut cum precepti testamento in dispositione Nivernensis episcopi subditas
constitueramus; consilio adhibito cum consiliariis nostris; decentissimum
reperimus; ad possidendum et disponendum et dominandum subiugamus.
Bestimmt interpolirt ist der Satz : et indulgentiarum dominus nobis et
illi fideli nostro, si in aliquo deliquimus contra rectores ipsius ecclesie
Nivernensis in futuro, de omni excessu reatus dignetur esse propicius.
3 Dümmler, Ostfränk. Reich 2, 245 A. 31.
4 nr. 139, keine Vorurkunde.
5 nr. 140, noch gedruckt Gallia Christ. 2. ed. 12 b , 308 e ch. Nivern. mit
a. i. 885.
Die Urkunden Karls TTT.
499
vetamns quatenus nnllvs ibi concursus fiat neque illis standi ant
commorandi . . u. s. w., liefert die zweite die hübsche Straf
formel, welche mit dem Kopfabschlagen droht. Die letzte
Urkunde für Nevers 1 trägt echtes Protokoll, echte Arenga;
wie die Zahlen in der Datirung sind Publicationsformel und
Corroboration nur verderbt 2 und gegenüber den anderen Ur
kunden selbständig. Der Text schliesst sich der einzigen
noch erhaltenen Vorurkunde nicht au; 3 neben unverdächtigen
Formeln finden sich aber bedenkliche Wendungen, welche die
Echtheit in Frage stellen und wenigstens eine theilweise Fäl
schung documentiren. 4 Das Protokoll und andere Formeln er
weisen eine echte Vorlage. Dass das Tagesdatum absichtlich
geändert wurde, ist ebenso wenig anzunehmen als eine unab
sichtliche Verderbung des Monatsnamens ian. aus dec. oder
nov.; auch das ist kaum wahrscheinlich, dass die Stelle über
die Belagerung von Paris nur freie Erfindung ist.
Es erübrigt nocli die Fälschungen zu besprechen, für
welche sich die Benützung eines Diploms Karls III. nachweisen
lässt. Sie wurden sämmtlich für Karl den Grossen zurecht
gemacht.
1 nr. 152; im Drucke Bouquet 9, 358 fehlt hei den anni in Francia die
Zahl IV; bei Gallia Christ. 2. ed. 12 b , 311 a. inc. 888. Auch hier ist
die Datirung a. inc. 88 7 ind. V a. VI regn. Karolo imp. avg. in Italia
V in Francia IV in Gallia II verderbt; a. VI scheinen wieder die
Kaiserjahre zu sein, a. in Italia V in Francia IV entschieden irrig, da
die Urkunde nur zu 886 eingereiht werden kann. Diimmler, Ostfränk.
Reich 2, 271 A. 28, hält das Tagesdatum für irrig.
2 Cognoscat prudentia et inqnisitio fidelium . . mann propria subscripsimus
et anulo nostro adsignari rogavimus.
2 B. 1532, die Immunitäten Karls des Grossen und Ludwigs des Frommen
verloren, Sickel, Acta 2, 376. Auch der echten Urkunde B. 1532 steht
eine Fälschung, Gallia Christ. 12 b , 299 vgl. 297, zur Seite, welche zu
jener in demselben Verhältniss steht wie nr. 140 zu 139.
4 Praecepta patris nostri 11 ludowici Germanorum regis; ab avuneulo nostro
Carolo; si de maiori re postul asset, prompte mente facere conabamur;
adepto consilio cum primoribus palatii; eorum instituta toto animo ob-
servare optantes constituimns precepti conscriptum; ut nullus alius seculi
prineeps mansionare aut servitium exigere presumat; iudicio et definitione
episeopi, utrum verae an falsae sint, tantummodo absque iudiciali potestate
conprobentur; eundem honorem et observantiam quam eeteri episeopi in
suis urbibus habent episcopus Nivernensis in his quae ad se pertinent
habeat.
500
Mühlbacher.
Die interessanteste derselben ist die angebliche Urkunde
Karls des Grossen für St. Remi, 1 überliefert in dem Chartular
dieses Klosters aus dem 13. Jahrhundert. Die Zugehörigkeit
zu Karl III. erweist die Recognition Segbinus (Segoinus) nota-
rius ad vicem Liutwardi archicancellarii. Invocation, Titel und
Signumzeile sind gleichfalls die Karls III., wie Promulgations
formel und Corroboration ganz die in seiner Kanzlei üblichen;
die Arenga, dem speciellen Fall der Restitution angepasst,
trägt das Gepräge der Echtheit. 2 Echte Formeln finden sich auch
im Texte, so namentlich der Schluss: Unda et hoc nostrae aucto-
ritatis praeceptum exinde fieri iussimus per quod decernimus atque
saneimus, ut nostris successorumque nostrorum temporibus prae-
fatae res ad praescriptum s. locurn perpetua stabilitate inviolabi-
liter permaneant nullus(que) liabeat potestatem aliquid minuere
vel subtrahere. Die Datirung zeigt Rasuren und verräth dadurch
die Unsicherheit des Fälschers; sie lautet nach Varin 3 Data
II Jcal. iulii anno ab ine. domini DCCC. . II ind. VI anno vero
regni domni Karoli augusti XXVI imperii autern XIII. Actum
Leodio. Es ist die unverfälschte Datirungsformel, wie sie
Segoin auch anderweitig gebraucht; 1 nur die Zahlen sind Zuthat
des Fälschers. Die Jahresdaten mussten für Karl den Grossen
adaptirt werden; doch es lag ausserhalb dieses Zweckes der
Fälschung auch das Tagesdatum und das Actum zu ändern;
diese sind augenscheinlich in ihrer Ursprünglichkeit belassen;
dafür spricht, dass beide sich ohne Schwierigkeit im Anschluss
an das Incarnationsjahr in das Itinerar Karls III. einreihen.
Von Worms 5 zog dieser 882 gegen die Normannen und be-
1 Marlot, Hist. Rem. 1, 321 e ms. cod. s. Remigii, Sickel, Acta 2, 434.
2 Si nos qui imperiali magnitudine praelati sumus necessitates ecclesiarum
dei ad petitiones praesulum nostro relevamus iuvamine et res subtractas
reintegramus et nostra auctoritate reddendo restauramus, id nobis ad
aeternam vitam feliciter obtinendam profuturum liquido credimus.
3 Arch. administr. de Reims 1, 29. Varin bemerkt: J’esperais trouver un
texte correct, je n’ai trouve qu’un texte plus defectueuse encore, au moins
dans les notes chronologiques qui ont ete evidemment retouebees. Voici
ce que j’ai lu distinetement sous les corrections du faussaire . . seulement
sous le X du millesime DCCCXII j’ai cru decouvrir un V ce qui donnerait
DCCCVII. Marlot gibt a. inc. 812 a. regni 46, die übrigen Daten gleich.
< nr. 105, 106, 108, 110, 111.
5 Hier urkundet Karl noch am 22. Mai.
Die Urkunden Karle' III.
501
lagerte sie in Elsloo an der Maas unterhalb Mastricht; am
19. Juli urkundet er dort für Metten, die Fuldaer Jahrbücher
berichten von einem Ungewitter, das dort am 21. Juli tobte.
Der Zug ging zweifelsohne über Lüttich; hier mochte er Ende
Juni eingetroffen sein. In diese Zeit gehört auch wahrschein-
lichst die echte Urkunde, welche dann zur Fälschung benützt
wurde; sie war datirt Data II. kal. iul. anno ab ine. domini
DCCCLXXX1I . . 1 Es scheint mir daher durchaus berechtigt
dieses Datum für das Itinerar Karls III. zu verwerthen und
ich würde sogar keinen Anstand nehmen dieses Stück unter
die Urkunden dieses Kaisers einzureihen, wenn der sachliche
Inhalt einigermassen beglaubigt wäre. 2
Geringere Theile echter Urkunden haben sich in anderen
Stücken erhalten. Zwei Kemptner Fälschungen 3 tragen die
Recognition Amalbertus canceUarius ad vicem Liutperti arcJii-
cancellarii, welche nach Juni 887 zulässig ist; die Datirungs-
formel stimmt mit der in der Kanzlei Karls III. üblichen
1 Einer Einreihung zu 882 steht nicht im Wege, dass Segoin erst 884 als
Recognoscent nachweisbar ist; er gehörte wohl schon früher der kaiser
lichen Kanzlei an.
2 Ganz derselbe Fall liegt vor im Spur. Novat. nr. 5. Sickel, Acta 2, 426.
Das Stück trägt die Recognition Asbertus canc. ad vicem Deothmari archi-
capellani — also jene der Kanzlei Arnolfs — und die Datirung Data id. iun.
anno dominicae ine. DCCCXXIX ind. VII a. IV regni d. Ludovici
— es sollte Ludwig der Fromme sein —■ serenissimi regis. Actum Foracli-
heim, M. G. (Abschrift von K. Pertz, der Druck Grandidier, Stras
bourg 2 h , 190 ungenügend). Das angebliche im 11. Jahrhundert geschrie
bene Original zu Schlettstadt hat nach freundlicher Mittheilung von Prof.
Sickel noch das echte Siegel Arnolfs. 889 Juni 20 urkundet Arnolf in
Forchheim, Orig. B. 1057, Wartmann 2, 273; man hatte in jener Fäl
schung nur das Incarnationsjalir DCCCLXXXIX in DCCCXXIX geändert,
die übrigen chronologischen Daten belassen. Auch das Tagesdatum
scheint mir durch jene Fälschung genügend verbürgt, mindestens ebenso
gut als durch B. 1056, das Grandidier, Strasbourg 2 b , 292, aus einer Copie
des bischöflichen Archivs zu Zabern mittheilt; denn auch diese Urkunde
für das gleiche Kloster Ebersheim, in dem jedes der nicht wenigen Karo
linger Diplome gefälscht wurde, ist bedeutend veruneclitet und beruht
wahrscheinlich auf derselben Grundlage.
3 Spur. Campid. nr. 1, 2, Sickel, Acta 2, 395. Beide Fälschungen im
Kemptner Chartidar auf einem vorgebunden eigenen Quaternio von einer
späteren, aber doch noch dem 12. Jahrhundert ungehörigen Hand.
502
Mülilbacher.
überein, 1 die Zahlen, Actum Romae und der Text sind freie
Erfindung; eine Urkunde Karls für Kempten ist nicht vor
handen. In einer Fälschung für Reichenau findet sich die
Recognition Ego Ernustus cancellarius ad vicem Lubberti archi-
cappellani; diese an sich unmöglich ist zusammengestoppeltes
Machwerk. 2 Für eine zweite Fälschung Prüms wurde auch
die echte Urkunde nr. 60 benützt. 3 Endlich wurde noch für
das Protokoll der Constitutio de expeditione Romana 4 eine Ur
kunde Karls III. verwendet; die Recognition Hemustus notarius
ad vicem Lutwardi cancellarii fände, würde man auf Liutwards
Titel cancellarius Gewicht legen wollen, nur 878 directe Belege; 5
damit wäre der Titel rex im Einklang, 0 unvereinbar aber Actum
Wovmatiae, da Worms dem Reiche Ludwigs III. angehörte.
Sieht man von dem Titel Liutwards wie billig ab, so ist die
Recognition 878—885 möglich; Karl urkundet in Worms 882
Mai 17, 22 und 884 Mai 22 bis Juni 11; das Tagesdatum der
Constitutio VIII id. iun. würde zu beiden Jahren passen. Mög
lich dass eine Urkunde aus dieser Zeit benützt wurde, vielleicht
1 Data anno ab ine. domini . . ind. . . anno vero regni piissimi Karoli . .
imperii . .
2 Spur. Sindleoz. nr. 1, Sickel, Acta 2, 435: Den Kanzler Ernust kannte
man aus der diesem verliehenen Urkunde Arnolfs, welche an Keichenau
gekommen, oder auch aus nr. 7; der zweite Theil der Recognition wahr
scheinlicher aus einem Diplom Ludwigs des Deutschen; auch das Siegel,
wurde das Stück auch auf Karl den Grossen gefälscht, hat die Legende
HLVDOWICVS REX.
3 Spur. Prum. Sickel, Acta 2, 432. Gleiche Invoeation, fast gleicher Titel,
Aehnlichkeit der Arenga, Publications- und Datirungsformel; dagegen er
innert das Actum an B. 827.
Die Annahme Brunners, Wiener Sitzungsber. 51, 433 A. 2, dass
das Spur. s. Mariae in Organo, Sickel, Acta 2, 419, auf eine Urkunde
Karls III. zurückzuführen sei, vermag ich nicht zu theilen; es fehlt jeder
directe Anhaltspunkt.
4 M. G. SS. 2°, 3 vgl. Ficker in den Wiener Sitzungsber. 73, 174; Mone,
Anzeiger 7 (1838), 345 erwähnt zwei weitere Handschriften.
5 Dieselbe Recognition in dem Orig. nr. 7 für Reichenau, 11 für St. Gallen,
Copie nr. 8 für Richgarda.
6 Verderbt zu Karolus divina favente gratia rex Francorum et Fomanorum;
das Monogramm in der Signumzeile verfehlt. Arenga und Publications-
formel sind gänzlich geändert, in der Corroboration nur geringe Spuren
• der ursprünglichen Form.
Die Urkunden Karls III.
503
aber auch ein Diplom aus der Königszeit. Auf eine rescribirte
Urkunde Berengars I. für Triest, 1 welche auf ein radirtes Ori
ginal Karls III. geschrieben wurde, hat schon Wattenbach auf
merksam gemacht 2 und bemerkt, dass dieselbe noch mit dem
echten Siegel Karls versehen sei. Laschitzer glaubt von der
ursprünglichen Datirung noch Data XVI ksil. . . anno inc. domini
DCCCLXXX111 oder DCCCLXXXIIII ind. II anno imperii im-
peratoris Karoli . . Actum . . naun . . enträthseln zu können;
der Monatsname sei vielleicht febr. gewesen. Ind. II ergibt
884. Den grössten Theil des Jahres 884 verbrachte der Kaiser
in Deutschland, gegen Ende desselben zog er nach Italien; am
14. Februar urkundet er in Kolmar; diesem Namen jedoch
fügt sich das Fragment jenes Actums nicht ein.
N achtrag.
Di\ Foltz hatte die Güte das mir unzugänglich gebliebene Werk von
Bulliot, Essai hist, sur S. Martin d’Autun, in Göttingen einzusehen; pieces
justif. 18 ist nr. 123 mit gleicher Datirung abgedruckt, nur in der Recogni-
tion das richtigere Lituardi. Dagegen findet sich hier p. 15 noch ein anderes
Diplom Karls III. mit der Recognition Salomon canc. ad vicem Lituardi archi-
canc. und der Datirung Data XVI Lai. iul. a. inc. 885 ind. 111. Actum Graneis
palatio a. V imp. in Italia, in Francia Orient. 111. Die chronologischen
Daten stimmen mit nr. 123 überein, ihre in der Kanzlei Karls III. ganz un
gewöhnliche Vertheilung ist wohl nur Sache des Copisten; der Ortsname
Graneis ist zweifelsohne identisch mit Granias, wo Karl schon am 20. Mai
urkundet, nr. 117—119; hier erfolgte also auch die Handlung, welche dann
fast einen Monat später zu Ponthion beurkundet wird. Ich habe das Stück
als nr. l'23 b in der Tabelle eingereiht.
1 Ireneo della Croce, Ilist, di Trieste 620, Hormayr, Archiv 2, 218 vgl.
Dümmler, Gesta Bereng. 167. Die Urkunde jetzt im Staatsarchiv zu
Venedig, Neues Arcli. 1, 132.
2 Schriftwesen 2. A. 263.
504
M ü li 11) a c li e r.
10. Tabellarische Uebersicht
Nr.
Ueberlieferung
Quelle
für
Recognoscent
897
899
898
900
901
903
902
904
905
906
907
908
909
910
911
912
913
914
915
91G
917
918
919
920
Cli. s. XII.
Copie s. IX
Orig. St. Gallen
Orig. Kolmar
(e cli. Andlav.)
Orig. St. Gallen
Orig. Karlsruhe
(e cli. Andlav.)
Orig. Zürich
Orig. Bruntrut
Orig. St. Gallen
Orig. Zürich
(ex authent.)
Orig. St. Gallen
C.s. XIII Reggio
Orig. Neapel
(e cop. s. XII)
(ex arch.)
Cod. Trevis. s.
XIY
Orig. Parma
Orig. St. Gallen
Orig. Mailand
C.s. XII Mailand
Orig. Parma
Orig. Mailand
(e ch. Andlav.)
(e cop. sincrona)
(ex arch.)
(ex arch.)
Neugart C. d. Al. 1, 407
Wartmann 2, 213
M. G. (K. Pertz) vgl. No
tizenblatt 1, 100
Bouquet 9, 333
Grandidier 2 b , 259
Wartmann 2, 215
Dümge 73
Grandidier 2 b , 26G
Wyss Abtei Zürich 15
Trouillat 1, 119
Wartmann 2, 218
Wyss Abtei Zürich IG
Muratori Ant. 6, 943
Wartmann 2, 222
„ 2, 223
Muratori Ant. 1, 361
M. G. (Bethmann) vgl. Neap.
arch. Mon. 6, 125
Affd Parma 1, 298
Muratori Ant. 3, 27
M. G. (G. II. Pertz) vgl.
Romanin Venezia 1, 201
Muratori Ant. 1, 919
Wartmann 2, 223
Cod. Langob. 499
Puricelli 2. ed. 109
Muratori Ant. 1, 559
Cod. Langob. 501
Grandidier 2 b , 269 vgl. 331
M. P. Chart. 1, G2
Campi 1, 465
„ 1, 467
Rheinau
Beretlieida
Pfävers
Murbach
Bernlioh
St. Gallen
Reichenau
Richgarda
St. Felix u. Regula
Granfelden
St. Gallen
St. Felix u. Regula
Arezzo
St. Gallen
W olfarius
Reggio
Wibod von Parma
Parma
Zena
Venedig
Kleriker Leo
Ruodpert
S. Ambrogio
n
Angilberga
S. Ambrogio
Waltpurga
Novalese
Tolla
Piacenza S. Anto-
Liutwardus canc.
Inquirinus not.
Liutwardus canc.
Ernestus not.
Liutwardus canc,
Hernustus not.
V
Inquirinus not.
77
Hernustus not.
Inquirinus not.
Arnostus not.
Inquirinus not.
S.Ansprandi canc
Hernust. subdiac
Gaidulfus diac.
Inquirinus not.
Aldx'egauso not
Deusdedit
Inquirinus not.
Die Urkunden Karls III.
505
der Urkunden Karls III.
ad vicem
Actum
W itg’arii arcli i cap.
Liutwardi
Liutw. archicanc.
Witgar. archicap.
Liutwardi canc.
r> n
„ archicanc.
11 ii
„ canc.
„ archicanc.
Brnusti canc.
Liutw. archicanc.
episc. et
archicanc.
Villa Aschinza
Bisistat
Papie pal. r.
Ravenna urbe
Papiae
civ. Papia
civ. Placentiae
876
877
878
ii
n
11
ii
879
11
880
881
Monat
Aug.
April
Mai
Juli
Aug.
Jänner
Febr.
März
April
Juli
März
Nov.
11
Dec.
Jänner
Febr.
ii
März
Juli
Nov.
(Dec.)
Dec.
Tag
15
22
7
11
18
13
10
17
7
15
23
8
8
11
1
•8
21
23
30
10
21
28
Ind.
annus regln
Franc. Ital.
X
XI
51
XIII
XI
XIV
XIII
XIV
I
II
JI
III
II
III
IV
V
II
a. imp
Sitzungaber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. IX. Hft.
33
umtia- - -mm*
‘FälCf
506
Mühlbache r.
Nr.
Ueberlieferung
Quelle
für
Recognoscent
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
921
922
923
925
924
926
927
928
929
930
931
932
933
934
935
936
937
939
938
940
941
942
943
944
945
946
65 947
948
949
Orig. Brescia
Ch. s. XV
Orig. Karlsruhe
Ch. s. XI ex.
(ex autogr.)
(ex cop. s.'X)
(e cod. Vatic.)
(e mon. ep.)
(ex arch.)
Orig. Parma
Orig. St. Gallen
(ex arch.)
n
Orig. Zürich
(e libro sal. Andl.)
(e chron. s. XV)
Orig. Mailand
37
(ex or. ?)
' (ex or.)
Copie s. XVIII
(ex tabul.)
(ex autogr.)
(ex apogr.)
(ex autogr.)
(ex trans.)
(e cop. s. XIV)
Orig. Parma
Ch. s. XII
Ch. s. X
Orig. München
Orig. St. Gallen
Orig. Chaumont
Copie s. X
(e ch.)
Ch. s. XI, XIII
Or. Frankf., Paris
Cod. Langob. 506
Mohr 1, 47
Diimge 74
Muratori SS. 2 b , 380
Muratori Ant. 2, 931
„ „ 2, 936
Ughelli 2, 150
„ 4, 980
Campi 1, 466
Muratori Ant. 1, 171
Wartmann 2, 224
Campi 1, 225
„ 1, 468
Wyss Abtei Zürich 17
Grandidier 2 b , 331
Neugart C. d. Al. 1, 427
Cod. Langob. 517
„ 518
Frisi 2, 9
Tiraboschi Modena l b , 53
M. G. (Ottenthal) vgl. N.
Arch. 3, 83
Ughelli 5, 724
Zacharia Crem. 71
Cod. Langob. 521
Muratori Ant. 1, 869
Ughelli 4, 981
M. P. Chart. 1, 64
Cod. Langob. 523
Tabouillot 4, 42
Beyer 1, 127
M. B. 11, 431 vgl. 28, 67
Wartmann 2, 232
Forschungen 9, 414
Wilmans 191
Sehöpflin Als. d. 1, 91
Martene Coli. 2, 31
Böhmer C. d. 5
S. Salvatore
Chur
Reichenau
Farfa
Arezzo
Parma
33
Brugnato
Piacenza S. Ant.
Petrus
Ruotbert
Piacenza S. Ant.
37
Wolfgrim
Rikarda
M. Theodata
Monza'
Reggio
Belliuio
Verona
Cremona
Bergamo
Arezzo
Brugnato
Vercelli
Angilb erga
Gorze
Prüm
Metten
St. Gallen
Favernay
Korvei
Weissenburg
Stablo
Capelle in Frankfurt
Waldo not.
Inquirinus not.
33
Raidulfus not.
Inquirinus not.
37
Waldo not.
Inquirinus not.
I-Iernustus not.
Hebarhardus
Inquirinus not.
Waldo not.
Inquirinus not.
Waldo not.
Inquirinus not.
Waldo not.
Inquirinus not.
Hernustus sub-
diac.
Waldo not.
Inquirinus not.
Walto
Waldo canc.
Die Urkunden Karls III.
ad vicem
Actum
Monat
Tag
Ind.
a. r. in Franc.
876 882
a. r.
Ital.
a. imp.
Liutw. archicanc,
n archicap.
n archicanc.
» archicap.
» archicanc.
Placentie
Regense civ.
Romae
Aquis pal.
civ. Sena
Ticino pal. r.
rt
Papiae pal. imp.
»
Olonna curte r.
Papiae civ. r.
Papiae
ad Potamum pal.
imp.
ad Mediolanum
„ civ
civ. Ravenna
Papiae
•n
in Wormatiaciv.
n
Asloha
Wormasia
* civ.
r> n
Franconof. curte
imp.
880
881
880
881
882
883
882
883
882
(881)
Dec.
Jänner
Febr.
März
April
Mai
Oct.
Dec.
Febr.
März
April
Mai
n
Juli
Sept.
Nov.
Dec.
29
4
26
13
J!
2
9
27
9
11
22
14
30
13
14
15
16
17
17
22
19
23
4
6
12
13
2
XIV
V
r>
n
xni
XIV
XV
XV
(XIV)
II
II
I
II
III
II
II (I)
508
MtUilbacher.
Nr.
TJeberlieferung
Quelle
für
Recognoscent
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
950
951
952
953
954
955
956
957
958
959
960
961
962
963
964
966
965
967
968
969
970
971
972
Orig. München
Orig. St. Gallen
Ch. s. XII
Orig. Zürich
Orig. München
n
Or. Berlin Univ.-
Bibl.
Orig. München
Trans, v. 1313
Ch. s. XVI ine.
(e cop. s. XIV)
Ch. s. XIV
(ex or.)
(ex areh.)
Orig. Venedig
Ch. s. XIII
(ex arch.)
Orig. Parma
(e cop. a. 146S)
(e eliron. Farf.)
Orig. Bergamo
n
Ch. s. XV
Ch. s. XIII
Ang .Orig. Karls
ruhe
Orig. St. Gallen
Orig. Donau-
eschingen
(ex or.)
(Copie sur l’or.)
M. B. 28, 67
Wartmann 2, 235
„ 2, 236
Campi 1, 469
M. G. SS. 21, 375
Wyss Abtei Zürich 18
M. B. 28, 69
, 28, 70
, 11, 125 vgl. 31, 115
, 28, 72
M. P. Chart. 1, 66
M. G. (Laschitzer) vgl. De
Dionysiis 91
C. d. Padovano 32
Müratori SS. 12, 189 vgl.
Romanin 1, 363
Tiraboschi Modena l b , 57
„ 1\ 58
Campi 1, 46S
Biancolini Cliiese di Verona
4, 606
Müratori SS. 2 b , 820
Campi 1, 468
Müratori Ant. 2, 205
Fioravanti S. Elpidio 67
Müratori SS. 2 b , 408 vgl.
Mabillon Ann. 3, 246
Cod. Langoh. 540
„ 537
„ 542
„ 543
Diimge 74
Wartmann 2, 239
Löher Arch. Zeitschr. 1, 276
Affö Parma 1, 303
Calmet l b , 319
Wirzburg
St. Gallen
»
Adelbert de Ruzzolo
Lorsch
St. Felix u. Regula
Euprant
Hunrich
Richo u. Richart
Hitto
Bobbio
Johann, u. Lubigosus
St. Ilario e Benedetto
Venedig
Reggio
Piacenza St. Justina
Johannes
Casaurea
Piacenza
Gastald Johann
S. Croce di Chienti
Farfa
Autprand
Bergamo
Cremona
Reichenau
St. Gallen
Liutward
Christoforus
Fulbert
Waldo canc.
Acquirinus not.
Waldo canc.
n n
„ not.
J5 »
Inquirinus not.
Amelbertus not.
n
Liutlredus not.
Waldo canc.
Amalbergus not.
Waldo not.
Inquirinus not.
Waldo not.
Inquirinus not.
Waldo canc.
Inquirinus not.
Waldo canc.
Inquirinus not.
Segoinus not.
t)ie Urkunden Karle III.
o09
ad vicem
Actum
03 TO
O fl
fl O
Monat
Taff
Ind.
a. r. in Franc.
876 882
a. r.
Ital.
a. imp.
Liutw. archicanc.
„ archicap.
„ archicanc.
episc. et
archicanc.
n
archicanc.
Cholembra carte
imp.
villa Muneresdorf
Papia
adUlmam
„ curte imp.
Reganespurc
Papie
Veronensi in civ.
Mantue
mon. Nonantulae
Fontana Titerici
mon. Nonantula
??
Murgula curte r.
Nonantula mon.
Murgulam c. r.
n
n
»
Eatispone
Papia
» c. iv -
r
Columbaria
883
881
883
884
883
884
Jänn.
Febr.
»
n
«
März
April
v
Mai
Juni
Juli
Äug-,
Sept.
Oct.
Febr.
13
14
18
25
20
23
28
2
22
7
10
10 (13)
24
31
5
15
20
22
24
30
1
26
23
14
II
I
II
X
II
II
II
II
II
III
H
III
II
III
VIII
IV
100
101
102
103
104
105
100
107
108
109
110
111
112
113
114
115
110
117
118
119
120
121
122
123
123 b
124
125
120
127
128
129
130
131
132
133
134
975
970
977
978
979
980
981
982
983
984
985
980
987
988
989
990
991
992
993
994
995
990
(e eh. Andldv.)
Ch. s. XII
Orig. Marburg
Orig. Karlsruhe
Trans, v. 1399
Ch. s. X
Facsim. d. Orig.
Ch. s. XIV
Ch. s. XII
Ch. s. XII ex.
Orig. München
(e cop. yidim.)
Ch. s. XIV
Ch. s. XIII
(ex arch.)
Orig. St. Gallen
(e cop. s. XII)
Orig. Chaumont
Orig. Dijon
Ch. s. Steph. Div.
(e ch.)
(ex arch.)
(Ch. s. XV)
Ch. s. XII
(ex autogr.)
(ex arch.)
(ex or.)
Ch. s. XII ex.
Orig. München
Ch. s. XII, XIII
Orig. Chaumont
Ch. s. XI, XIII
Ch. s. XV
Orig. Marburg
Grandidier 2 b , 272 vgl. 331
Dronke C. d. 283
„ 282
Dümge 75
Görz Mittelrhein. Keg. nr.7 40
Beyer 1, 128
Schöpflin Als. d. 1, 92
Beyer 1, 129
M. G. SS. 21, 375
Chapeaville 1, 101
M. B. 28, 74
Trouillat 1, 120
M. P. Chart. 2, 9
Cart. de Lausanne 132
Campi 1, 471
Wartmann 2, 247
Affö Parma 1, 305
Forschungen 9, 415
M. G. (Arndt) vgl. Perard
100
Perard 51 e. ch.
Bouquet 9, 337
St. Julien 448
Benoit Toul pr. 4
Planeher Bourgogne l b , 13
Bulliot St. Martin d’Antun
pr. 15
Marion Cart. de Grenoble 9
Mabillon Diplom. 552
Benoit Toul pr. 5
Affö Parma 1, 307
Mem. de la soc. Eduenne
1844, 332
M. B. 28, 70
, 81, 110
M. G. (Arndt) vgl. Bouquet
9, 344
Martene Coli. 2, 32
Wilmans 193
Dronke C. d. 284.
Andlau
Fulda
n
Reichenau
Prüm
w
Honau
Trier
Lorsch
Lüttich
Capelle in Regensbg.
Granfelden
Asti
Voldegisus
Garibert
St. Gallen
Parma
Dodo
St. Benigne Dijon
St. Stephan Dijon
St. Marcel
Chälons s. M.
Toul
St. Martin Autun
Lyon
St. Evre Toul
Toul Kanoniker
S. Nicomede
Nevers
Engilmar
Oetting
Langres
Teodo
Paderborn
Fulda
Segoinus not.
Waldo canc.
Inquirinus not.
Segoinus not.
Waldo episcopus
Segoinus not.
V
Hernustus cane.
Amalbergus not.
Salomon not.
Inquirinus not.
Amalbertus canc.
Salomon not.
n
Inquirinus not.
Salomon canc.
Amalgorius not.
Inquirinus not.
Amalbertus not.
Inquirinus not.
Amulbertus not.
Salomon not.
canc.
/
512
Slülilbacher.
Nr.
Ueberlieferung
Q u e 1 1 e
für
Reeognoscent
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
997
1001
1002
1003
1004
1005
1006
1007
1008
1009
1010
998
999
1000
1011
1012
1013
1014
1016
1017
1018
1019
1020
Orig. Paris
(e ch. Andlav.)
Orig. St. Gallen
Orig. Chaumont
(e ch. Nivern.)
n
(e ch.)
Ch. s. XIII
(e ch. s. Mart.)
(e schedis Estien-
not)
Orig. Auxerre
Ch. s. XIII
Orig. Chaumont
(e ch.)
Orig. Paris
Ch. s. StCjih. fatal,
(e. ch. Nivern.)
Ch. s. XII
Orig. München
Ch. s. XII ex.
Orig. Chaumont
Orig. Paris
Orig. Chaumont
Orig 1 . Brescia
Ang. Orig. s. XI
München
Orig. Karlsruhe
Ang. Orig. s. X
Orig. Münster
Orig. St. Gallen
(e ch. s. Mart.)
(ex arch.)
C.s.XVIIIdesCh
Orig. St. Gallen
Beyer 1, 130
Grandidier 2 b , 279
Wartmann 2, 257
Forschungen 9, 416
Gallia Christ. 12 b , 309
„ 12 b , 308
Martene Coli. 1, 218
Forschungen 9, 418
Martene Coli. 1,- 220
Bouquet 9, 351 vgl. Ma-
billon Ann. 3, 255
Cart. de l’Yonne 1, 114
„ 1, H5
Bouquet 9, 354
Forschungen 9, 420
Baluze Cap. 2, 1513
Tardif 137
M. G. (Arndt)
Mabillon Ann. 3, 687
M. B. 28 b , 71
„ 28, 77
Lacomblet 1, 39
M. G. (Arndt) vgl. Perard 49
M. G. (K. Pertz) vgl. Bouquet
9, 345
Forschungen 9, 423
„ 9, 422
Cod. Langob. 562
M. B. 30, 384
Dümge 76
. ”
„ 78 Anm.
Wilmans 197
Wartmann 2, 264
Martene Thes. 1, 49
„ 1, 50
Chifflet Tournus pr. 259
Marlot 1, 508
Ragut Cart. de Macon 55, 90
Wartmanu 2, 265
St. Maximin Trier
Otpert
St. Gallen
Jacob
Nevers St. Martin
J?
St. Martin Tours
St. Seine
Germund
Aniane
Bernilo
St. Germ, d 1 Auxerre
St. Maurice Tours
Langres
Gerona
St. Maur de Fosses
Chälons s. M.
Nevers
Pas sau
Achen
Langres
Dodo
Otbert
S. Salvatore
Obermünster
Reichenau
Korvei
St. Gallen
St Martin Tours
Leuthard
Tournus
St. Medard Soissons
Macon
Oadalbert
Tnquirinus not.
Walto not.
Amalbertus not.
„ canc.
not.
canc
not.
Waldo canc.
Amalbertus canc.
not.
Angelulfus not.
Amelbertus canc.
Inquirinus not.
Liutfredus not.
Inquirinus not.
Amalbertus not.
canc.
not.
canc.
Die Urkunden Karls III.
513
aä vicem
Actum
Monat.
Tag
Ind.
a. r. in Franc.
876
882
a. r.
Xtal.
a. imp.
a. r.
Gallia
Liutw. archic.
„ canc.
„ arcbicano.
5) 51
5* arcliioap.
5i arcliioanc.
Liatp.arcliicauo.
Wormatiam civ.
y. Colurabario
ad Sahspah
Mettis civ.
Attiniaco pal.
55
ad Siluci
Clarisiaco pal.
Parisius
„ civ.
„ urbe
55
Jovilla nova
Parisius
Regenesburc
Scletistat
Rotunwila
Potuma pal.
Weibilinga y.
Chiriheim
Ingelheim
Lustenowa
885
88G
887
88G
51
887
88G
887
886
Oct.
Febr.
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Oct.
Nov.
Dec.
J iinner
Febr.
51
April
55
55
Mai
55
Juni
51
Juli
1
15
9
30
16
17
22
4
24
27 (31)
28
51
29
55
1
6
22
18
7
10
15
10
16
16
55
55
7
30
16
17
23
24
III
IV
VI
IV
55
V
IV
55
V
IV
IV
V
IX
XI
IX
IV
IV (V)
V
V
IV
V
V
VI
VIII
V
VI
V
VI
VI
VI (V)
VII
55
V
VI
VII
VI
VIII
VII
V
XII
VII
II
II
II
II
514
Mühlb aclier.
Nr.
«
Ueberlieferung
Quelle
für
Becognoscent
173
174
175
176
177
17S
179
180
181
1021
1022
1023
1024
1015
Orig. Parma
Orig. Berlin
Orig. Chur
Ang. Orig. Namur
(ex or.)
Cli. s. XIII
Muratori Ant. 1, 919
„ 1, 565
Wilmans 203
„ 206
Mohr 1, 48
Bull, de l’acad. de Bruxelles
I, 4, 158
Affö Parma 1, 308
Juvavia Anli. 62
Crusius Ann. 1, 297
I-Iermingard
Angilberga
Paderborn
Heerse
Adalbert
Sanetion
Parma
Witigowo
Gengenbach
Fredebolduscanc.
n «
Amalbertus canc.
» »
Frideboldus not.
Amulbertus not.
Albricus not.
Die Urkunden Karls III.
515
ad vicem
Actum
Monat
Tag
Ind.
a. r. in Franc.
876 882
a. r.
Ital.
a. imp.
a. r.
Gallia
Llatp archicane.
n v
„ archicap.
ii n
„ archicane.
Lintw. „
Lintb. archicap.
Lustenowa c. r.
Weibilinga
Aquisgrani pal.
887
Aug.
11
Sept.
II
Oct.
11
21
n
28
XII
YI
II
VII
II
11
VIII
III
II
516
Mühlbach er. Die Urkunden Karls TU.
Inhalt.
Seite
1. Geschichtliche Uehersicht 833
2. Die Kanzlei Karls III 344
3. Die Datirung 367
4. Actum und Datum 384
5. Vorlage und Concept 395
6. Das Protokoll 404
7. Die Formeln des Textes 418
8. Urkundenarten 442
9. Fälschungen und zweifelhafte Urkunden 473
10. Tabellarische TJebersicht der Urkunden Karls III 504
Schubert. Miscellen zum Dialekte Alkmans.
517
Miseellen zum Dialekte Alkmans.
Von
Dr. Friedrich Schubert,
Qymnasialprofessor und Privatdooenten der classischen Philologie in Prag.
Alkmans Dialekt ist in neuerer Zeit mehrfach zum
Gegenstände der Untersuchung- gemacht worden; 1 aber auch
nach der neuesten Behandlung desselben durch Heinrich Spiess
(Curtius Studien X p. 331—382) dürfte es, da der Verfasser
dieser verdienstlichen Dissertation der Hauptsache nach darauf
ausgeht, ein Bild des alkmanischen Dialektes in grossen
Zügen zu entwerfen, nicht überflüssig sein, auf einzelne
Fragmente näher einzugehen und etliche meist das Gebiet
des Vocalisinus betreffende dialektologische Fragen, zu deren
Erörterung der Dialekt des Dichters Veranlassung bietet, zu
besprechen.
Wir beginnen unsere Nachlese mit dem Hinweise auf
zwei von Spiess noch nicht benutzte Quellen der Erkenntniss
des Dialektes Alkmans, von denen die eine allerdings zu der
Zeit, wo Spiess seine Abhandlung schrieb, noch nicht zugänglich
war: wir meinen die neuerliche Collation des Papyrus durch
Blass, welche Hermes 1878 Heft 1, p. 15—32 mitgetheilt ist.
1 Schon vor Auffindung des Papyrusfragmentes hat der hochverdiente Er
forscher der griechischen Dialekte, H. L. Ahrens, in der für das Studium
der Lyriker noch immer unentbehrlichen Abhandlung ,über die Mischung
der Dialekte in der griechischen Lyrik 1 (Verhandlungen der Philologeu-
versammlung in Göttingen vom Jahre 1852, S. 55—80), welche eine
willkommene Ergänzung des grossen Werkes desselben Verfassers ,de
graecae linguae dialectis 1 bildet und von ihm schon während Abfassung des
letzteren wenn auch in anderer Form ins Auge gefasst war (vgl. dor.
p. 20 ceterum in tertio operis nostri libro quaeremus, quas leges in
dialectis miscendis secutus sit [Alcmav]), den Dialekt des lakonischen
Sängers in einem grossen Zusammenhänge beleuchtet und die drei
518
Schubert.
Hiezu kommen mehrere bisher unbekannte Alkman-
fragmente, die M. E. Miller in den ,Melanges de litterature
Grecque' Paris 1868 (ausführlich besprochen von A. Nauck
in den ,Melanges Greco-Romains tires du Bulletin d’Acad. imp.
de Sciences de St-Petersbourg' Tom. III (1869) Livr. 1,
p. 103—185; die auf Alkman bezügliche Partie p. 107, 108)
aus einem Florentiner Codex des Etym. Magn. zuerst ver
öffentlicht hat. Ich verdanke die Kenntniss derselben Herrn
Prof. Benndorf, gegenwärtig in Wien, der die Freundlichkeit
hatte mich darauf aufmerksam zu machen.
Abgesehen von manchem Räthselhaften sind es folgende
Formen, durch welche die angegebene Quelle unsere Kenntniss
des Dialektes des lakonischen Dichters bereichert:
a) '(äzpaaoc (Miller p. 136 x'o 51 '(dxpaoa Ttapä ’AXy.qävt
y.avovtcT£ov y.axa p,£ta7:Äacp.öv coro toü ^axpocsov), beachtenswerth
weniger wegen des auch im Epos und sonst (Curtius Grundz. 4
602 f.) erscheinenden Aeolismus der in den übrigen Frag
menten Alkmans nicht nachweisbar ist, 1 als wegen des a der
Wurzelsilbe. Da von Wurzeln mit inlautendem e mittelst des
Suffixes o abgeleitete Nomina die Ablautung zu o erfordern
(cpQsp: oöspo;, azek.: gtoAoc; etc.): so kann der Bildung ^ätpatpa
nur die Wurzelform xpa® mit erhaltenem Urvocal zu Grunde
liegen — ein neuerlicher Beleg dafür, dass das als dorisch
überlieferte und zum Theil auch neujonische a von xäp.vw,
xpäitw, xpaou, cxpäcKO, xpa/w nicht, wie Ahrens dor. 119 will,
constitutiven Elemente desselben, das : dorisch-lakonische, epische und
äolische, unterschieden. Später hat Ahrens im Philolog. 27, p. 619—625
freilich auf Grundlage eines noch sehr unzulänglichen Textes eine Ueber-
sicht der Dialektformen des inzwischen entdeckten ägyptischen Papyrus
fragmentes gegeben. Einiges hierher Gehörige behandelt G. Benseler in
dem Eisenacher Programme vom Jahre 1872 ,quaestionum Alcmanicarum
pars I‘ (p. 5 sq. de digammate et Aeolismis apud Alcmanem occurrentibus;
p. 6—11 de vocalium et diphthongorum mutationibus in carminibus
Alcmanis exhibitis).
1 Vgl. Pap. II 4 II 22 oiocpaBav, II 28 oi 1 ap.ßpoTiav; aber Fr. 69
ist oiavop.a<; verfehlte Conjectur Bergks statt des richtigen Soup-ovai; [überl.
oaip.ova;]; — es geht hieraus hervor, dass Alkman die Form nicht als
selbständige Präposition [Theocrit. XXIX 6 £a tav aav to^av], sondern
blos als erstes Glied von Compositis anwandte; mit £a-pacpa vgl. II.
223 £aTpc<p&ov, Od. o 451 ^aipEosa; etc.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
519
durch ,rudior pronuntiatio 1 aus £ verderbt ist. Vgl. auch Allen
Curt. Stud. III 220.
b) X ty67.o pxo v Miller p. 206 (denn so ist wohl statt des
AtYuy.upiov oder Xiffapiixov der Handschrift mit Nauck zu bessern)
kommt zu y.epy.oXipa Fr. 142 (Siegismund Stud. V 145), äxapxrc;
Fr. 81 (Siegismund ibid. 152) als neues Beispiel einer Form
hinzu, in welcher gegenüber den gewöhnlichen Bildungen
xpcxew (Xquzpoxoi; Suid.) y.pey.u, dxpax:6<; nicht etwa Metathesis
eingetreten, sondern die ursprüngliche Wurzelgestalt (vgl.
Hesych. y.spxo? • y.poxo? — y.opxslv ■ -/.pcxelcOa! und Stud. V 148) erhalten
ist, gerade wie in y.apäiav Fr. 36 2 (Curt. Gr. N. 39) und in
y.appwv Fr. 89. Wirkliche Metathesis liegt dagegen in dem
epischen, nicht zugleich dorischen xexpaxov Fr. 76 3 (tab. Heracl.
xexapxoi;) und — noch mit anderweitiger Affection verbunden —
in uitoTtexpiStuv = feoitxepwv Pap. II 15 (Curtius Gr. 4 700; ^e-
xpov für xrxe-xpov, W. xxxe aus xxex) vor. Siehe Spiess p. 366.
c) aiSoiecxaxov Miller p. 55 stellt sich zu aSupicxaxov
Fr. 137 (Et. M. 420, 48 yjäupicxaxov). Das Hinübergreifen solcher
Gradationsformen über die Sphäre ihrer ursprünglichen Be
rechtigung, d. h. über die Stämme auf -ec hinaus (Schleicher
Compend. §. 233) ist neben der neujonischen (xd c^oucakcxepa
Her. I 8, xd cxouäatecxaxa id. I 133, xf,v äp.cp?£cxaxv)V I 196,
ÜY'.yjpecxaxo; II 77) besonders der dorischen Mundart (Ahrens
dor. 387) eigenthümlich. Zu Naucks Vermuthung, aiSciecxaxov
(das auch Pind. 01. III 42 vorkommt) könnte aus dSupicxaxov
verderbt sein, liegt keine Veranlassung vor. Wahrscheinlich
dagegen ist dessen Besserung des 1. c. aus Alkman angeführten
Verses XaoTctv aiooieaxaxov (statt des überl. votoiciv dvOpüxoictv a!B.).
d) Ein schwieriges Problem bietet die Glosse p. 243 Milk
wjpaxa y.ai ixap’ ’AXxjJtavt rcepaca ixaOwv. Nauck bemerkt dazu: ,Es
scheint, dass Alkman xepaca statt ixepaxa sagte. Dem xxaöwv
liegt vielleicht ein Citat von ('Ilpwätavbc) xspi toxQüv zu Grunde'.
Dass Alkman eine Form ixepaca statt roepaxa gebraucht haben
sollte ist ganz undenkbar; dergleichen wäre indogermanisch,
nicht griechisch. Vielmehr dürfte xxspaca als lakonische Form
statt -epafJa = att. -epaOsv (Eur. Heraclid 82), welches letztere
wohl auch in dem corrupten :xa9öv d. i. -[ep]aO[e]v steckt, zu
fassen (über das in der Endung erhaltene a vgl. Ahrens dor.
118, 366 f., äol. 75) und mit e^eca • eäjtoOev Aay.wve? Hesych. und
520
Schubert.
evtctJtz • eumOev id. zu vergleichen sein. Ohne Zweifel ist auch
das Anfangswort der Glosse xi)para verdorben (aus xspaOa? itepY]0e?).
Die übrigen Glossen des Florentiner Codex bieten entweder
nichts neues (so die sehr verworrene pag. 60 Mill. ßäXe avct
tou aßdXe — vgl. Fr. 26 2 ) oder sind so dunkel (pag. 212, 291),
dass es besser ist sich aller Vermuthungen darüber zu enthalten.
Was nun die oben erwähnte jüngste Collation des Papyrus
betrifft, so sind die neuen Resultate derselben, sofern sie dia
lektologisches Interesse beanspruchen, etwa folgende:
a) Pap. III 1 steht wenigstens tpapoiv d-p./p.« fest: also
ein contrahirter genet. plur. eines ea-Stammes, während in
den übrigen Fragmenten e -j- w in diesem Casus ebensowenig
contrahirt wird (opsuv Fr. 34,, 60,, sxeon 45 2 ) wie e-(-o im genet.
sgl. (etvsoi; 3o 4 av0Eo<; 117): beides im Einklänge mit den
Herakleischen Tafeln (Fsteiov I 103, 104, 117, 178, Fsteo? I 109,
110, 121, •/,apäoEo? I 61, 73). Dagegen scheint sich tievts Fstüv
auf der alten bei Tegea gefundenen lakonischen Inschrift zu
finden, über die Ivirchhoff Monatsb. der Akad. der Wissensch.
in Berlin 1870, S. 51 ff. und Cauer delectus p. 3 f. zu ver
gleichen. Beachtenswert!) ist die Kürze von a in aap&v gegenüber
epischem ä (nur oapsEoai Hes. op 198 a aus leicht ersichtlichem
Grunde) in Uebereinstimmung mit dem Sophokleischen Usus
(Aeschylus: ä, Euripides: s). Pap. II 27, wo die Handschrift
ffiäpo? accentuirt, ist die Quantität nicht zu erkennen, da dem
Verse Kürze wie Länge genüge thut. Ebenso ist nicht ersichtlich,
ob dort oapo; = igd-uov oder nach Sosiphanes (vgl. das Scholion
zu d. St.) = dpoipov ist. Doch erscheint die Darbringung eines
Pfluges (vgl. Blass p. 31) etwas sonderbar und möglich, dass
entweder das Scholion auf einem Missverständnisse der Meinung
des Sosiphanes 1 oder diese letztere selbst auf einem Miss
verständnisse des Dichtertextes beruht, hervorgerufen durch
1 Uebrigens befremdet es liier dem Sosiphanes zu begegnen; unter diesem
Namen ist blos der der sogenannten Pleias angehörende Tragiker bekannt.
Es liegt wohl eine Verwechselung mit dem Lakonier Swolßio? vor (Suid.
Ypapparr/.o? tüW s-'.Xjrr/.tnv -/.aXoupiviov vgl. Athen. XI e. 85 6 Oaup-dmo?
XuTixbs StLKn’ßio;), von dem eine Schrift über Alkman bei Atheniius eitirt
wird (III 82 = XIV 54 h xpkcp rrapl ’AX/.actvo;, beidemale wegen der
Bedeutung von xplßavE; oder xpißava: Alcm. Fr. 22). Auch an den
ägyptischen Astronomen Stoaiys'vr);, den Zeitgenossen Casars, könnte mit
Rücksicht auf den Inhalt der Stelle gedacht werden.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
521
die Annahme kurzer Messung des a von <papoc, welchem dann
— gegenüber dem epischen oapo? — die andere Bedeutung
aporpov (hierüber vgl. Et. Magn. 175, 37, Hesych. <papouv • apo-ptäv,
Lobeck Rhem. 303 ff., Curtius Grundz. .Nr. 408 b ) vindicirt
wurde. Das wahrscheinlichste bleibt, dass ©äpoc II 27 so gut
wie <papßv III 1 mit kurzer Penultima zu messen und dass das
Wort an beiden Stellen vom Dichter im Sinne von iptd-tiov
gebraucht worden ist. Dass diese Bedeutung an ersterer Stelle
auch vom Schreiber des Papyrus oder dem seiner unmittelbaren
oder mittelbaren Vorlage angenommen wurde, beweist eben die
Accentuation yäpoq II 27.
b) III 2 ist jetzt ganz deutlich oü8e %y.\ Navvöc y.ogai zu
lesen (früher gab Blass ou3e P evxaivvjc y.&[mC). Mit Navvö? vgl.
’Ayi3[ö]c II 6 (wornach IIsiOou; Er. 62, zu corrigiren ist). Das
dorische tou (opp. lesbisch oi, at) auch II 26. Was die Function
der bei Alkman stets in strengdorischer Gestalt auftretenden
Formen des sogenannten Artikels betrifft, so ist diese eine
demonstrative Fr. 8, tw; tsks .31 tw oe . ., 44 tto oe.
I 30 twv 3’. (III 28 schreibt Blass jetzt aoe [früher ä oe] und II 3
28’ statt 6 3’ auf Grund seiner Deutung der Reste des Scholion zu
d. St.). Ein relatives txv statuirt Blass III 1, ein relatives \o
III 16 (vgl. tab. Heracl. I 14, 89, 168 und Pap. I 17? — dagegen
steht Svxep II 7, av Fr. 84, w 33 2 , ä 38 2 ). In den übrigen sehr
zahlreichen Fällen liegt die gewöhnliche Artikelbedeutung vor.
c) III 4 ist KAery.crjpa und wohl auch ZuXavJ.q sicher, zwei
Eigennamen mit lakonischem <s statt 0 : OjaxAc und KXsvjui-övjpa.
Ueber diesen Lakonismus, dessen Beurtheilung durch den
Umstand erschwert wird, dass derselbe einerseits in keiner
älteren Inschrift, andrerseits auch bei Alkman nicht mit
Consequenz erscheint, vergleiche die klare Auseinandersetzung
bei Spiess p. 360 ff. Der Papyrus zeigt a statt 0 allerdings —
verschieden von den übrigen Fragmenten — in allen Fällen,
wo dies überhaupt zulässig ist (also nicht in den Verbindungen
v0 [räavGet II 19, ’lavGepis III 8, EctvOw III 32, i;av0ä III 33], a0
[tot-^oGw I 16, [j.wpicGa'. II 10, 3s^ao0c III15], cp0 [s0£YT £Ta '- HI 32], 6X 1
1 Die Existenz der Lautgruppe aX in dem dorischen iaXo; beweist nichts
für den obigen Fall. Auch avÖJpdmcov Pap. I 16 — wenn diese Ergänzung
richtig ist — konnte nicht anders als mit 9 geschrieben sein. Vgl. Blass’
Ergänzung Gpdvco III 18.
Sitznngsber. fl. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 34
522
Schubert.
[äE0Xo<pöpov II 14] und wenn die nächste Silbe mit a beginnt
[Owcr^pta III 13; vgl. Anecd. Oxon. I 197, 7]). Die einzige
Ausnahme wäre II 27 DpOG, wie Blass jetzt (im Rh. Mus. 25,
184 noch opOpi'ai) gegen die deutlichen Züge der Handschrift
auf Grund des unter der Columne stehenden Scholion opötai
ipapo; schreibt. Ueber svOcifaa vgl. unten d). Nebst den zwei
oben genannten Eigennamen kommt in der neuen Collation
noch in dem einsilbig zu lesenden mal III 30 (vgl. OsoTctv _
Fr. 34 2 ) für er statt 0 ein Beispiel hinzu; völlig unsicher ist
crrp/.’ III 31 (vgl. SGYjy.E Fr. 76 1 = sOrp/.e). Der erste Bestandtheil
von KXsY)<n-cv;pa (KXe^oijnuo? Fr. adesp. 45 Bergk) setzt ein in
selbständigem Gebrauche nicht vorkommendes y.Xsew (aus y-XeFsojo))
= y.X'üo (KXc!Gi0-/)pa Lycophr. 1222), tXem voraus.
d) Durch die jetzt unzweifelhafte Lesung von III 5 stellt
sich heraus, dass evOoLa (Handschr. evOot'ua) nicht, wie man
unter Vergleichung des Fr. 58, überlieferten evöeov zu vermuthen
versucht war, äolisch für avSoica = avOfotaa (die Bedenken
hiegegen bei Spiess p. 346), sondern im Sinne des att. eXSooccc
stehe. Die Form zeigt äolischen Participialausgang, andrerseits
aber die dorische Eigentümlichkeit der Vertretung eines vor
t oder 0 stehenden X durch v (Schob Theocrit. I 77), worüber
Ahrens dor. 110, Curtius Grundz. 4 443, Meister Stud. IV 410 f.
zu vergleichen. Ein zweites Beispiel aus Alkman ist y.evio Fr. 141
für zeXto = y.sXsTO. ’EvQstv statt eXQstv war bisher ausser den An
führungen der Grammatiker nur aus Theokrit bekannt. In der
Lysistrata ist 105 eXgy], 118 sXaotp«, 1081 eXuüv überliefert,
woraus zu ersehen, dass jener Wandel ein blos facultativer
war. Dass übrigens X auch vor dem ein 0 vertretenden
lakonischen a in v hätte übergehen dürfen, wie Curtius 1. c.
anzunehmen scheint, ist sehr unwahrscheinlich. Es ist vielmehr
anzunehmen, dass, war einmal in einem bestimmten Falle ein
X vor 0 in v übergegangen, 1 dieses v den weiteren Uebergang
des 0 in c hinderte — wie umgekehrt, wenn einmal 0 in o
sich verwandelt hatte, letzteres den Uebergang von X in v nicht
zulicss, schon deswegen, weil ja die Lautgruppe va von allen
griechischen Mundarten mit Ausnahme der argivischen, kretischen,
1 Dieser Lautwandel scheint älter zu sein, als der des 0 zu o, obwohl dies
blos aus dem Eigennamen d>tvin'a<; auf den tab. HeracL nicht ge
schlossen werden dürfte.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
523
arkadischen gemieden wurde — mag auch immerhin das aus 0
gewordene a etwas anders als das ursprüngliche geklungen haben.
Es hätte auch jene ganze Annahme nichts für sich als Reiske’s
höchst zweifelhafte Conjectur evcüv • eXOwv bei Hesych. statt des
überlieferten svcwv • eXxinv.
e) III 8 begegnet das neue nom. propr. Aap.afea.
f) III 15 ergibt die Collation unzweifelhaft am Ende des
Verses ava mit Quantitätsangabe der beiden a, während Blass
früher das Wort, das auf Grund des beigeschriebenen Scholion
oti x'o ava ä'vuffi? im Verse jedenfalls unterzubringen war, als
drittletztes mit kurzer Penultima ergänzte: [avajv [p.’ s]xo[ip.loc[v].
Die jetzt bei Alkman constatirte Länge des a in dem seltenen
Worte (Aesch. Sept. 713 avv], Callim. Jov. 90) stimmt zum
Verbum ävw (bei Hom. mit a, doch avono II. er, 473). Sollte
nun aber auch die Ergänzung des vorhergehenden Wortes zu
äxovrjTt (die Handschrift lässt blos N. TI unmittelbar vor ÄNÄ
deutlich erkennen) richtig sein, so darf doch unsere Alkman-
stelle nicht als Stütze der Annahme ursprünglich digammatisclien
Anlautes von ävuw, ava etc. benutzt werden (wozu Blass unter
Berufung auf die unklare Glosse des Ilesychius -paOs-at • ävüet
und Curt. Verb. I 2 181 geneigt scheint), da ja das i derartiger
Adverbia nicht elidirbar ist oder Verkürzung von i vor folgendem
vocalischen Anlaute angenommen werden kann — und die
Zusammenstellung mit skt. san-o-mi oder sa-no-vii (vgl. Fritzsche
Curt. Stud. VII 385) 1 würde durch diese Stelle nicht erschüttert.
Zu bedauern ist, dass das Hauchzeichen über dem Anfangs-
vocale von ava nicht notirt erscheint. Wegen Hesych. -/.acdve:?
(cod. v.aaap'isXq) • avuei?, Aaxwvsi; ist für Alkman ava zu erwarten
(wie denn auch die Attiker bekanntlich ävüetv sagten: Phrynich.
Bekk. anecd. 14, 17). Selbstverständlich ist aus dem Fehlen
der Notirung nicht auf den Lenis zu schliessen.
g) III 19 bietet der Papyrus den Dativ ’Awit von einem
Nomen ’Atovtc;; die Flexion ohne o, wie wir dies im dorischen
Dialekte erwarten (Ahrens dor. 232 f.; doch hat Alkman
Kikpiocc Fr. 36 im Anschlüsse an den epischen Gebrauch [hymn.
Ven. 2]), die Contration von i+ t, wie tcoXi tab. Heracl. I 157.
1 Doch eben das Subst. ava aus i'i-fx spricht entschieden dafür, dass das
v im Griechischen zur Wurzel gehört.
34*
524
Schubert.
Unzweifelhaft ist ’Afimc Bezeichnung einer Göttin (vgl. Blass
S. 24) und mit acG? aurora zusammenzustellen (das inlautende
Digamma ist nicht ausgedruckt: opp. aßtöp ■ vjw? Aazuve? Hesych.
[cod. aßwp • ßor, (b? Aazwve?]), völlig unklar dagegen, welche
Göttin (oder Heroine, etwa Helena?) gemeint sei.
li) III 23 lernen wir das sonst nur aus Herodot (III 74
eövTa ev a’ivf] ijieyfciY], VIII 112 w? sfr) ev al'v-fl p.£'p cr f) "uv ctpaTr^öv)
bekannte Wort a’ivv] auch auf dorischem Gebiete kennen.
i) II 9 hat der Papyrus nach Blass «pai'vev, nicht ipatv[if)]v, wie
Blass früher ergänzte. Da aber langer E-Laut durch das Metrum
erfordert wird und III 20 dvSavrjv ganz deutlich dasteht: so
kann $a!vsv wohl nur als Schreibfehler (Abirrung zu dem den
Schluss derselben Zeile bildenden exatvsv) angesehen und für
den activen Präsensinfinitiv der uncontrahirten thematischen
Verba bei Alkman mit ziemlicher Sicherheit der Ausgang -vjv
in Anspruch genommen werden, welcher ja auch gegenüber
dem zahlreicher vertretenen dorischen -ev (Curtius Verb. II
p. 102) der echt lakonische ([Ahrens dor. 158, 303] und lesbische
[Ahrens äol. 89, 103]) ist. Mit Recht ergänzt daher Blass III 26
6X.N zu l/Tf). (Die Ergänzung des Schlusses von III 31 ist
ganz unsicher). Ausser im Papyrus ist -rjv auch Fr. 57 in astSrjv
durch die Ueberlieferung gesichert (Et. M. 327 x'o yap Aay.wviy.6v
ectiv aetSstv -fj astoEv • p/)) o’ s'[P aslSetv äxspuye —; da nämlich aeiSsv
dem Metrum nicht entspricht [überdies bietet Phavor. p. 115
die beachtenswerthe Lesart oü asiSev statt v) asio.] und asiSeiv
nicht als lakonisch bezeichnet werden konnte, so muss aa ! .oe.vi
statt dei'äYjv verschrieben sein) und wird dasselbe consequenter
Weise nicht nur Fr. 24 3 26 2 und 35 statt -stv in dem über
lieferten -/.a-dp/Etv, oe'petv und y.’.Gapkoe'.v, sondern auch statt -ev
in asioev Fr. 1 und esö!ev 76 4 (Athen. X 416 D codd. PVL ecrOet
ev) herzustellen sein. — Anders als bei den nicht contrahirten
Verben steht es bei den contractis auf -sio, bei denen mit
Consequenz der Ausgang -ev überliefert wird: II 9 exaivev,
I 17 yapiv, Fr. adesp. 35 Bergk (von Ahrens Rh. Mus. VI
p. 234 dem Alkman vindicirt) öxauAev. Die Verkürzung der
ursprünglichen, hier sogar durch doppelte Contraction ent
standene Länge der Endsilbe (exatvejs-EV, exaiv£-r ( v, Exaivvjv) hängt
in diesem Falle wohl mit der dorischen Vorliebe für Oxytonesis
exatvvjv statt gxaivijv) zusammen.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
525
k) II 24 ergibt die neue Collation, dass das AFIAtOl der
ersten Hand (,das letzte I scheint doppelt dazustehen' Blass)
in ’A-j-'.owv corrig'irt ist, wodurch die eigenthümliche Accusativ-
form beseitigt und dafür der schon anderweitig als dorisch
bekannte Accusativ auf -wv (Ahrens 238) hergestellt wird.
Doch muss bemerkt werden, dass jenes -wi, wenn es feststände,
nicht nur nicht so unerklärbar wäre, wie Ahrens Philolog. 27,
606 und Blass, der schon Rh. Mus. 25, 190 nicht wagte ,Xyiow
gegen Ahrens’ Autorität zu halten', angenommen zu haben
scheinen, sondern im Gegentheile dem ganzen Formensysteme
der Stämme auf ursprüngliches er: sich recht wohl einftigen würde.
Es wäre nämlich alsdann im Accusativ ganz dasselbe eingetreten,
was in den durch inschriftliche Beispiele (vgl. Ritschl Rh. Mus.
XXI 138) und durch Herodians Zeugniss sichergestellten No
minativen auf w, nämlich Abwertung des Scblussconsonanten
(Brugman Stud. IV 164, 172): acc. w: *wv = nom, w: 'Ao?. Es
würde ferner accusativisches w durch sein i eine Parallele bieten
zu den durch Chöroboskus (Bekk. Anecd. p. 1202) bezeugten
Accusativen auf oiv (aus cFi-v statt oF:-v), deren angebliche Be
stätigung durch die Form AoaoTv auf der kretischen Inschrift
von Dreros (K. F. Hermann Gotting. Nachr. 1855 S. 101 ff.)
sich freilich als nicht vorhanden erwiesen hat (Dethier Wien.
Akad. histor. philol. Classe XXX p. 431) und es würde endlich
jenes w darthun, dass der dorische Accusativausgang -wv weder
auf Form Übertragung von den A-Stämmen beruhe (so Ahrens
dor. 238) noch unmittelbar aus oF-v mit Unterdrückung des
Stammauslautes t (Brugman 1. c. 163), sondern wie schon be
merkt aus -wv hervorgegangen sei, in welchem sowohl -wv als
-w ihre Einheit fänden. Ueber das attische -w vgl. Brugmann
a. a. O.
l) II 25 zeigt der Pap. AI6C d. h. otliq (nicht cio?, wie
Blass früher las; wegen des über dem Diphthonge in der Hand
schrift stehenden Zeichens vgl. was derselbe p. 18 sagt), die
lakonische Form der attisch de: lautenden Partikel (Ahrens 379),
neben welcher Fr. 1 2 nach Bergks evidenter Besserung aiev
erscheint.
m) I 19 findet sich jetzt (wenn auch nicht in allen Buch
staben deutlich, so doch unzweifelhaft) Höpzw, der strengdorische
Genetiv von llcpxo;, dem schon früher durch Hesych. N-^psuq •
526
Schubert.
OaXÜcrcoc bal\j.b>'i • ’AXyp.dv %a\ Ilipy.ov 6vo|*at?ei bekannten Eigennamen,,
als dessen Fundstätte bei Alkman hiemit eben unser Papyrus
nachgewiesen ist. Etymologischer Zusammenhang mit <böpy.u<; ist
unverkennbar; beiden liegt vielleicht die auch in ^epy.voc, Ttepy.oc
erscheinende W. spark (Curt. Grundz. Nr. 359 b) zu Grunde.
n) I 21 wird Eggers Vermuthung durch epoyXempot bestätigt,
wodurch die zum Theile sehr gewagten Conjecturen, die sich
an das Wort knüpften (so Ahrens’ iepoyXesapoi = SiepoyXstpapot
Philol. 27, 585 ff.), so lange man zwischen dem Endconsonanten
des vorigen Wortes und dem G eine Lücke und vor dieser
ein T|V wahrzunehmen glaubte, gegenstandslos werden. Das
epische spot:, welches dem ersten Bestandteile des in seinem
zweiten Gliede dorisches yX statt ßX zeigenden Compositums
zu Grunde liegt, kommt auch Fr. 36 l7 daneben aber Fr. 38 1
"Epto? vor.
o) I 27 ist am Ende der Zeile v;ßa zu erkennen; dies
stimmt zu der Wahrnehmung, dass in diesem Worte auch
sonst auf dorischem Gebiete die Quellen yj, nicht ä darbieten
(Ahrens 151), während für das Aeolische durch Ale. Fr. 101
aßa? und eoäßoiv auf dem marmor Cumaeum (Cauer delectus
Nr. 127, Z. 45) ä gesichert ist.
Hierauf etwa beläuft sich der sichere Gewinn, der aus
Blass’ neuer Collation in dialektologischer Beziehung zu schöpfen
ist. Mehr oder weniger unsichere Vorschläge von Blass, unter
denen ich wieder nur die mundartlich wichtigen anführe, sind:
a) III 7 'TvOT'.yXsiTOi (yXeuco statt ßXeiito wäre neu, würde
aber zu vXetpapov sehr wohl stimmen; mit dem dorischen und
allgemein poetischen mn vgl. das gewöhnliche, zugleich äolische
xpiq Fr. 52 und II 21 (in itpoa-WTiov) und das epische Kpozi Fr. 30
(durch das Metrum erforderte Besserung Bekkers statt des
überlieferten xott).
b) III 12 (HW d. i. jj.scr<pa, das einmal bei Homer als
Präposition mit dem Genetiv (II. 6, 508 gsccp’ v)oup), bei späteren
Dichtern als Conjunction und als Präposition mit dem Accusativ
vorkommt.
c) ibid. das epische d’p, vgl. pa (p’) II 6.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
527
d) III 13 oder ya\i' = xai ajy.e (vjp.as), vgl. Fr. 3 Ü[j.e.
e) III 14 [ä|J.]wV, welches die gewöhnliche dorische Form
wäre (z. B. Aristoph. Lysistr. 168); daneben äpiwv Fr. 66 t .
f) III 16 Ypau; mit dem epischen '(prfic, entsprechender
sogenannter Diärese.
g) III 21 syevTO, unter anderen Beispielen (Curt. Verb.
I 2 192) durch Sapph. 16 (wo es durch das Metrum erforderte
Correctur Böckhs ist statt sysveto) belegt; vgl. das gleich-
gebildete y.EVTO Fr. 141.
li) III 25 [al']-/.’ spdp.a:. Es wäre letzteres Wort, wenn
richtig, beachtenswerth als erstes bekanntes Beispiel dorischer
Accentuation einer Verbalform auf \mt. Doch bleiben Bedenken
übrig. Es scheint nämlich aus der Accentuation opc/.\i.s.hm II 25
verglichen mit II 8 p-apTcipEiat und mit der Lehre beim Schob
Theocr. I 83 — wenn wir das von den Formen auf geltende
auch auf jene mit dem Ausgange [im übertragen •— hervor
zugehen, dass die dorische Paroxytonirung solcher Formen nur
dann stattfand, wenn die Penultima eine durch Contraction
hervorgegangene, im Attischen den Circumflex tragende Länge
war. Wir würden daher, da das ä des an unserer Stelle con-
junctivischen Ipap.ai eben nicht auf Zusammenziehung beruht
(spap.ai nicht = spawp.ai, vgl. vielmehr Curt. Verb. II 66 und
die attischen Betonungen von üonjunctiven wie äuvwjj.ai, eto-
ciugoa), auch dorisch vielmehr spajj.aci erwarten und müssten,
die Richtigkeit der Lesung vorausgesetzt, annehmen, dass jene
Accentuation, mag sie auf grammatischer Reflexion beruhen
oder den lebendigen Gebrauch wiedergeben, durch unrichtige
Auffassung der Entstehung der Form oder falsche Analogie
veranlasst sei. Anders urtheilt Blass p. 25.
Nachträglich noch folgende Bemerkungen:
a) II 20 gibt jetzt Blass in der Transscription ypuso? «P
ay.f,paTo; (früher m:), ohne sich über den Grund der Abweichung
zu äussern (ebenso ergänzt er III 24 . ITG jetzt zu wte). Die
Weglassung des ursprünglichen Ablativzeichens in dem rela
tiven ix;, wenn es mit te und ■kEp zusammengesetzt wird — also
wie und ö-sp — ist auf die Doris beschränkt (in wos ist diese
528
Schul) ert.
Weglassung allgemein); wir finden ersteres (abgesehen von
II 20) Pap. II 7, letzteres II 12. Blass schreibt im restituirten
Texte überall das i subscr., in der Handschrift ist fiuxep mit
t adscr. versehen, aber in II 7 ist dasselbe durchstrichen.
Ohne Zweifel ist die Schreibung ohne i die einzig richtige, da in
diesen Adverbien eben Ablativ- nicht Dativbildungen vorliegen.
b) Zu II 28 bemerkt Blass p. 18 ,ob AT6CIPION oder
ArGCIPION (Canini) ist nicht auszumachen'. Der Sinn ent
scheidet für das letztere, das jetzt auch Blass in den Text
aufnimmt (früher: orte g.), wie schon Ahrens Philol. 27, 610
mit Hinweisung auf Arat. 264 ID-etaSe? oklyoa v.ai aaeyydq richtig
erkannte. Was dagegen den zweiten Bestandtlieil des Corapo-
situms betrifft, so erhebt gegen Ahrens’ Annahme, uysdpiöv (oder
afsaspiov, wie er corrigirt) sei = ayeOipso'/ (aysOspsiov) nebst dem
Metrum auch die Bildung des Wortes Einsprache, da dieses
nur dysGspe? (oder ÜYSCcps?, xyetups?) lauten könnte (man müsste
denn zu dem sehr bedenklichen Auskunftsmittel greifen wollen,
dYsOspsso? durch äyii)'/ [t'o] 6epstov aestivum [tempus] ducens zu
erklären). Es ist offenbar äyecdpiov zu schreiben, indem zu
Folge der in den Alexandrinischen Handschriften so häufigen
Verwechselung von si und i letzteres statt ei eintrat, wie um
gekehrt st statt i in I 15 GACIAOC d. i. srejsSsiAo? und nach
der neuen Collation III 33 GIMGPO)!. An dem st ist im vor
liegenden Falle kein Anstoss zu nehmen (so schreibt Blass jetzt
dYecYjp'.ov mit Canini Fragment du Parthenee d’Alcman Paris 1870,
p. 11 und 17), da auch in der strengen Doris ein durch Epenthese
entstandenes st (cstptoi; aus <rspto<;, Grundform: svar-ja-s) voll
berechtigt ist (gegenüber dem durch sogenannte Ersatzdehnung
entstandenen v; opp. milddorisch und attisch st). Betreffs der
Bedeutung ist es das einfachste anzunehmen, das Wort heisse
,den Sstptoc d. h. die heisse Jahreszeit im Gefolge habend':
was zu dem Frühaiifgange der Plejaden (Mitte Mai) durchaus
stimmt.
c) Zu ctsto-j? III 3, das auch schon nach Blass’ erster
Collation unzweifelhaft war, nur dass jetzt durch die neue
Lesung des vorhergehenden Wortes die Bedeutung OsoeiSt)? als
die einzig mögliche sich herausgestellt hat, vgl. die von Baunack
Stud. X 87 zusammengestellten lakonischen Eigennamen ’L'.-v.'Kffi,
2k-/dp-rfi, Si-xcp.xoq etc., aus denen zugleich hervorgeht, dass
Miscellen zum Dialekte Älkmans.
529
dieses sc- (statt, des erwarteten crio-) ,mit dem geschwundenen
Digama' (von etSife) nichts zu schaffen hat. Auch wird durch
die Kürze des i in den alkmanischen sf-scorfc die Unrichtigkeit
der von Ahrens dor. 218 versuchten Erklärung der erwähnten
Eigennamen 2t-osy.xa? etc. erwiesen. Mit der Unterdrückung
des Stammauslautes von sio- vgl. statt £sw-Swpoc, XvjV—
ßixetpa statt krjto-ßöxecpa, Arp-ipopoc statt A-^Vi-soßop und Curt.
Grundz. 4 509 Anm.
d) III 13 ist 0M(7T7^p[ia] nicht, wie Blass früher auf Grund
von tlesych. Owsxvjpca • süu^v^pia • y.ai ovop,a annahm, Name
einer Göttin (GwGXYjpla), sondern Bezeichnung eines Festes (plur.
tant., Schol. zu d. St. Ocoorqpta iop[xv)]) mit dem in solchen
Bildungen sehr gewöhnlichen Ausgange -xi)pta: oivcaxvjpia, ^po-
/apcsxvjpia u. s. w. Das Wort stammt von Sw-cOai (Ahrens
dor. 343), W. Ou (Curt. Nr. 320); GwsGai für Ous-c0ai, 0oFs-s0a!
mit regressiver Ersatzdehnung bei Schwund de.s F und derselben
Steigerung wie in Öotvr) d. i. OcF-irq. Das zwischen Stamm und
Suffix des Substantivs eingeschobene c (Gw-s-xvjpwc) ist bekanntlich
nichts weniger als vereinzelt: vgl. z. B. ü-G-xvjpta Athen. III. c. 49.
e) II 7 bietet der Papyrus ä'Xiov; so auch Blass im resti-
tuirten Texte Bh. Mus. 25, 183; Hermes XIII 27 gibt derselbe
wieder das gewöhnliche aXtov: was, wenn die Abweichung nicht
etwa auf blossem Versehen beruht, nicht zu billigen ist. Ueber
den etymologisch begründeten Lenis in diesem Worte vgl.
Ahrens äol. addenda 502, dor. 39 f.
An das Vorstehende schliesse ich die Behandlung einzelner
Fragmente und dialektologischen Fragen, welcher, da Spiess
p. 367 f. diesen Punkt nur kurz berührt, ein Capitel über
die dorischen Accenteigenthümlichkeiten, zu dem die allerdings
nicht überall durchgeführte Notirung der Tonzeichen im Papyrus
Veranlassung gibt, vorangeschickt werden mag.
I. Accente.
Vor Auffindung des ägyptischen Fragmentes waren die dori
schen Accentuationsgesetze blos aus Angaben der Grammatiker
bekannt, nach denen sie Ahrens dor. 27—35 zusammengestellt
530
Schubert.
hat. Nunmehr sehen wir diese Angaben durch das Alkman-
bruchstück in der erwünschtesten Weise bestätigt.
1. Bekanntlich hat der dorische Dialekt Vorliebe für
Oxytonesis, woraus sich die Accentuirung der Contracta üotioocv,
’AX - /.(juxv (Fr. 17, 33 4 opp. AXy.p.dwv 71) und die Vermeidung
der Anastrophe bei Präpositionen (An. Ox. I. 171 vj oe ara-
arpotfri tr ( ctaXey.Tw havv.a) erklärt. Diese ist denn auch dem
Alkman fremd und Fr. 33
wo
die Handschriften des Athenaeus
w ■/.' evtXea y Etpr)? oder S> y.sviXsa y elpYjc (PVL w v.al vsksa xpi-/)pvjc;)
bieten, ist die Conjectur Hermanns, dem Welcher, Hartung,
Dindorf und Bergk folgen w y.’ evt . . . um so unwahrscheinlicher,
als zu dem volksthümlich angehauchten Tone des Fragmentes
jene epische Eigenthümlichkeit keineswegs stimmt (die Her
stellung ist völlig unsicher. In Meineke’s wenigstens den zu
erwartenden Sinn wiedergebendem Vorschläge w •/.' iv soecp.aT'a
%oW svayEiplässt sich die unzulässige Anastrophe durch die
Aenderung ä y.ev etc. leicht beseitigen). Ebenso erledigt sich
Fr. 34 5 Hermanns /spät Aegvteov sv yaha Ost ca (codd. /spc't Xeovreov
[^spctXsov teov] ezaAaöeiaa) durch Fiorillo’s /spei Aeövteiov ydXa.
Verschieden hievon ist der adverbiale Gebrauch der
Präpositionen und ihre prägnante Anwendung im Sinne des
mit der betreffenden Präposition zusammengesetzten Verbum
substantivum. So hat Bergk ohne Zweifel richtig Fr. 20 statt
zapa zspt hergestellt und Pap. III 11 lässt jenes AP’ mit deutlich
sichtbarem Acut über a keine andere Deutung zu als die durch
zap’ = zapecti. Dass eine solche Anwendung der Präpositionen
dem dorischen Dialekte nicht fremd war, zeigen die An. Ox.
I, 160, 26 und 176, 12 als dorisch überlieferten Formen svo
und e^o 1 (richtiger wohl svo und sSo: Ahr. dor. p. 360) = evstm
und e^EtjTi.
In dem eigentümlichen O-Laute dieser Formen mag eine Verdumpfung
des Stammauslautes vorliegen, der im avd, xard, oioc, pEtd, zapd unverändert
“bleibt, in avco, xdtto gedehnt und nach Abfall von S oder ; als Ablativ-
und in 8i«f, xaral, psrai, zapaf mit i als Locativausgang erscheint. Wir
hätten also einen Stamm Ivo wie dzb und üzb (Loc. dzal und ür.ai) und
einen Stamm ico (d. i. ex-oo) mit dem regelrechten Ablativ welcher
von gleicher Bildung ist mit Erato (aus ev-cfco). Neben dieses evo (etymo
logisch identisch mit ctvd) träte dann der I-Stamm hi, wie ZEpt neben
zapd. Gleicher Wechsel bei üralp (d. i. uzsp! skt. upari) und uzEprj-'pavo?,
bei avtt und etwa, Izi und dzö.
Miscellen zum Dialekte Alkraans.
531
Zu der Notiz beim Scliol. zu Arist. Vesp. 1081 t'o yXaulj
äSvop-a, Eucppovto? «pyjatv, Aruy.oi p.sv irspuricwaiv, ot 3e Atopieu; oijivouciv
stimmt genau das oxytonirte yAaüp Pap. III 19. Doch erstreckt
sich die Oxytonirung der Monosyllaba mit langem Vocal oder
Diphthong weder auf die erst durch Contraction einsilbig
gewordenen Nomina, noch ist sie überhaupt als ein festes
Gesetz zu betrachten; wenigstens werden hierfür ausser dem
schon genannten yXaui; nur noch cy.wp (Joann. Al. 7, 20) und
die Masculina auf io; (Arcad. 126, 24) •—- und zwar diese in
Uebereinstimmung mit dem attischen Dialekte — angeführt:
weshalb denn auch bei dorischer Accentuation die Substantiva
®o5? Pap. II 6 Trat? Fr. 38j vjp 76 3 iwp 79 (um so mehr das
angeblich äolische [Et. M. 200, 27] ßXvjp 130) Perispomena
bleiben müssen.
Aeolische Barytonesis finden wir Fr. 84 in p.aaowv (dorisch
p.aaOöiv |Ahrens p. 84], attisch (jwkjtwv) überliefert, während das
äolisches Gepräge tragende y.Xevvd Pap. II 10 (vgl. jedoch
Paus. IX 35, 1, III 18, 4) dort wider Erwarten oxytonirt
erscheint. Statt zctXXa, wie Fr. 98 2 codd. (DP Et. M. 486, 39)
bieten, ist richtig y.aXXa zu accentuiren, da die Form des Wortes
der Annahme eines Aeolismus in der Betonung entgegensteht:
die Verdopplung des X ist hier specifisch dorisch, während die
Aeolier im Gegensätze zu der sonst gerade bei ihnen so häufigen
Gemination der Liquiden nicht nur im Positiv y.dXoc, und zwar mit
kurzem a, sondern auch im Comparativ und Superlativ xocXiov und
y.dXtcrTa sagten (Ahrens äol. 63, dor. 102). Pap. III 18 ist der
Rest PANco mit Acut über A sicherlich nicht mit Brink zu äolisch
barytonirtem updvw zu ergänzen. Blass gibt jetzt Opivw.
2. Eine Eigenthümliclikeit des dorischen Dialektes ist es,
gewisse Endsilben, die im Gemeingriechischen für den Accent
als Kürzen wirken, in Bezug auf die Betonung wie Längen zu
behandeln. Es waren diese Endsilben, wie sich nachweisen lässt,
ursprünglich lang, wurden aber später im Gemeingriechischen
und zwar entweder auch prosodisch gekürzt oder prosodisch zwar
als Längen festgehalten, jedoch für die Betonung als Kürzen
angesehen. Prosodisch nun (im Verse) steht das Dorische hier
auf demselben Standpunkte, wie die übrigen Dialekte, betreffs
der Accentuation dagegen seinem bekannten (Konservatismus
entsprechend auf einem bei weitem älteren und ursprünglicheren.
532
Schub e rt.
Es gibt sich die in Hede stehende Eigentümlichkeit nach
den Angaben der Grammatiker in vier Fällen kund: a) im
Nom. pl. der O-Stämme b) am Medialausgang xai (unter ge
wissen Bedingungen) c) in der 3. pl. der historischen Tempora
d) im acc. und nom. pl. der consonantischen Stämme. Im
ersten und zweiten Falle handelt es sich um Diphthonge, die
in den übrigen Dialekten, wohl in Folge mehr consonantischer
Aussprache des i, für den Accent blos den Werth einer Kürze
hatten, obwohl sie im Verse nach wie vor zwei ganze Moren
ausfüllten, im dritten um Positionslänge, die im Dorischen nach
Abfall des x der Endungen avx, evx, ovt in der auf Assimilation
beruhenden Verdichtung des Nasals erhalten blieb und nun
auch in dieser abgeschwächten Gestalt (av aus avv, avx) auf den
Accent zu wirken nicht auf hörte. Ueber den vierten Fall vgl.
unten. Im Papyrus finden sich Belege nur für den ersten und
zweiten:
ad a) yspaiTaxot I 14, epoyAeipstpo! I 21, p.Yjaap.Evot II 1,
op9p(a: II 27, äuE'-pop-sva: II 29, letztere beiden Beispiele um so
wichtiger als sowohl Joann. Gr. wie Gregor. Corinth. und gr.
Meerm. für den besagten dorischen Gebrauch nur O-Stämme
anzuführen wissen. Erwünscht kommt uns auch a|j.6vai II 31,
das nun auch für at als Infinitivausgang die gleiche Wirkung
auf den Accent erweist.
ad b) Bezüglich der Medialendung xai vgl. II 25 opap.etxai.
Wenn wir dagegen II 8 p.apxbpsxai lesen (dieselbe Betonung ist
auch bei dem unbezeichnet gebliebenen oOsYTexat III 32 und
p.ä/ovxat II 29 vorauszusetzen, so stimmt dies trefflich zum
Scholion Theocr. I 83, das freilich durch die corrupte Fassung,
in der es Ahrens vorlag (ipopEixai • y.aOoAou xä ei? xai X-f^o'na p-f\-
[j.axa oxav lyj) xo v YxapaXY)YO|J.evov zai 7üp07xepio-(l)]j.EVov Yxapo^vouciv oi
Awpisl? • oxav 3e ßapuv6p.svov, öp.oi'w? •fjp.'iv ExcEpouoiv), diesen veranlasst
hat, dor. 300 auch ksyop.a:, AEYExai, XEyövxai AEYEoOai als dorisch
zu postuliren. Er sagt: loquitur scholion Tliaocriteum de formis
verbalibus in etxai 1 exeuntibus, quarum penultima et apud Atticos
et apud Dorienses gravern teneat. Quae cum corrupta esse appa-
reat (ignorantur enim eiusmodi formae), nihil est cur de hiqeta 1 .
1 Ahrens corrigirt nämlich dor. 28, 8 ,to ei -apocXTjyo'/ statt t'o v r.ixpot.-
X7jydu.£vov.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
533
et similibus etiam in Doride proparoxytonis praeceptum fuisse
putemus. Phil XXVII p. 619 f. will Ahrens auch das Zeugniss
des Papyrus nicht gelten lassen und eben jenes [j.apxupsxai in
[j.apTup£Tai ändern, weil die Proparoxytonirung sonstigen Ana
logien der dorischen Accentuation widerspreche und ein Grund
der verschiedenen Behandlung des Diphthongs ca nicht ersichtlich
sei, überdies im Papyrus auch andere unrichtige Betonungen
vorkämen: Einwände, die, wie mir scheint, richtig widerlegt
sind von Meister de dialecto Heracliensium Italicorum Curt.
Stud. IV p. 364 f. Nun erscheint aber das Scholion bei C. Ziegler
in folgender richtigeren Fassung: ©oprjxa'. paviwSw«; ©spexai ■ y.aGoAcu
xa d.q xa: pvjjjiaxa, oxav xw vj TcapaArpppxcz! xspicxcojj.EVw;;, xapotjjvcuaiv
ol Awpieüc, oxav oe ßapuxivws, ögolwq ex^pouciv, auf welche jenes
,ignorantur enim evusmodi formaef nicht mehr anwendbar ist.
Trotzdem befriedigt auch diese Fassung nicht; da zu ßapuxovws
wiederum xii> yj czapc/Xipcc^w. ergänzt werden muss, so Hesse sich
dies nur auf Fälle, wie fjpv;xai, xexot'vjxai, Xtfqzai etc. beziehen.
Ohne Zweifel war daher der Sinn der dem Scholion zu Grunde
liegenden Quelle der, dass unter der ßapuxovwc xapaXyjyouaa nicht
blos eine Silbe mit yj, sondern jede Silbe, mochte sie kurz
(Xsyexai, p,apx6psxat), oder positione (pa/ovxac) oder natura (jugitoiKjxai,
Aeyoxat) lang sein, verstanden ward. Auch in dem Gegensätze
dazu, der xepicxwpivwc; xapaLfrouca, war ursprünglich gewiss
jede dieser Bedingung entsprechende Silbe inbegriffen. Das
Scholion zu Theokrit 1. c. hat aber die Regel an den gegebenen
Fall (©opvjxat) anpassend derselben eine zu enge und dadurch
verwirrende Fassung gegeben. Doch wie lässt es sich erklären,
dass xai das einemal als Kürze, dann aber wieder bei von
Natur langer, im Attischen perispomenirter Penultima als Länge
wirken soll? Wir sehen, denke ich, hieraus, dass der Diphthong
«i — denn was das Scholion von der Endung xai bemerkt, wird
consequenter Weise wenigstens auch auf pai und vxat 1 ausgedehnt
1 Von der Endung a9at sehen wir hier ab; sie ist schwerer, als pat und
rat, wie die homerische Prosodie zeigt, indem aOai seltener elidirt wird,
als die beiden anderen Endungen und einmal in der Ilias (e 685) sogar
im leichten Tacttheile vor folgendem Vocal lang gebraucht erscheint.
Vielleicht ist daher Pap. III 15 das unbetont gebliebene 8c?aa9ai als
Paroxytonon zu accentuiren. Ueber das von Blass auf Grund der neuesten
Collation III 25 gebotene spapat siehe oben.
534
Schubert.
werden müssen — in der Verbalflexion leichter ist, als in der
Declination (vgl. ausipop.svat, opöptat), d. h. dass er in ersterer die
Kraft, den Ton herabzuziehen, nicht unter allen Umständen
äussern kann (denn dann müsste in der That mit Ahrens dorisch
auch Xe-fETai etc. geschrieben werden), sondern nur dann, wenn
er noch durch eine andere Betonungsneigung des dorischen
Dialektes unterstützt wird: die Neigung nämlich, bei Diphthongen
und durch Contraction entstandenen langen Vocalen statt wie
im Attischen den ersten, vielmehr den zweiten Bestandtheil zu
betonen (fhaui;, ’AToqjiav), so dass, wo in Penultima solch ein langer
Vocal oder Diphthong nicht vorhanden, auch der Anlass zum
Hervortreten jener Neigung entfällt. Wir denken uns also die
echt dorische Accentuation der in Frage kommenden Formen
in folgender Weise: Xi-^ohsvsxa'., Aeycrcat, AeYup.ai, Xsy7)Tat
Tt£TOtr i iJ.a:, ’jxs'ixowjxai, TCixow)vxa(, aber xtpuipiac, xi[jwjxa(, xip.wvxat,
(ixoiEÖp.ai), TOwjxat, xxoubvxai (Ttoieüvxat, zotoivxat), oouXwxat
(oouAouxai) etc. Die Notiz zu Anfang der Theokritscholien bei
Ahr. Bucol. II 9, welche einigen dieser Ansätze allerdings
widersprechen würde (y.sfcop.Gti mcroup.ai 7.£U7£U|j.ai a'/aXoyuq xw
7üoioü|j,a: 7coiEup.ai), dürfte um so weniger genau sein, als es dort
mehr auf Constatirung des dialektischen Form- als des Accent
unterschiedes ankommt. Uebrigens wäre nicht unmöglich, dass,
sowie in Bezug auf die Formen auch rücksichtlich der Accentuation
ein Unterschied zwischen strenger und milder Doris bestand und
letztere in gewissen Fällen ein dem attischen näherstehendes
Accentuationsprincip befolgte.
Eine auf Grund dieser Erwägungen vorgenommene Re-
stituirung der dorischen Betonung in den übrigen Alkman-
fragmenten ergibt: 26 t tp,Epo<p(l>vot, 60 4 opsazwot, 85 xpox.oixsxAoi
74 4 y.Atvai, 85 Mwcat; aber 74 t xpcbiEcSai, 98 iJ.shtaoöp.Eva: (eigen-
thümlicher Weise schreibt Bergk gerade hier nach Cram. An.
Paris. IV 63, 13 wo \>.sAcGcrcp.svca steht, ij.EA'.EOcp.svai), 74 2 cti-
cxEootca'. dürfen zugleich mit der äolischen Form auch den hier
mit dem gewöhnlichen übereinstimmenden äolischen Accent
behalten. Ferner wäre echt dorisch 93 öc^cca, 70 opu^xat,
26 3 Txoxf/xa: zu schreiben, während 26 2 oivaxai, 18 4 Eu^op.ai,
54 a(o|j.ai, 2 t := 59 2 asixop.a 1 . sich von der attischen Weise nicht
unterscheiden. Für die oben unter c) erwähnte Eigenthümlichkeit
der dorischen Betonung, die von den Alten vielfach bezeugt
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
535
und zum Theil (so von Apoll, de synt. 213, 15, Macrob. de
diff. p. 310) freilich unrichtig - aus dem Differenzirungstriebe
der Sprache (um die 3. pl. von der 1. sgl. zu unterscheiden)
erklärt wird, lässt sich aus dem Papyrus kein Beleg beibringen.
Fr. 61 ist etSov 1. sgl., 88 eßaXXov corrupt und 28 1 wäre das
durchaus unwahrscheinliche oikav 1 (so jetzt Bergk statt des
bei Athen. IX 373 E überlieferten Xuaav) wegen des Fehlens
des Augmentes als episch anzusehen, und daher nicht in S6uav
zu ändern.
ad d) Im Einklänge mit Choerob. Bekk. 1236 accentuirt
Bergk Fr. 66 1 zodoec, lässt aber 12 1 op.aTvjpsc, 60 4 aapccYYe?,
ib. 2 zpwove<;, ib. 4 0ijpe<;, 26 4 p-ekiydpue; (voc.) wie mir scheint mit
Recht unangetastet, da einerseits Joannes Gr. 243 a ausdrück
lich nur von 0Y)Xuy.a ovop.a-ra spricht, die den Nom. plur. dorisch
abweichend vom Attischen paroxytoniren sollen und andererseits
die von ihm und Choeroboskus angeführten Beispiele die sehr
beachtenswerthe Eigenschaft besitzen, dass sie ursprünglich
wohl sämmtlich I-Stämme waren. Erst unter diesem Gesichts
punkte gewinnt der Hinweis auf die lateinische Pluralendung
es und die Pronominalformen etc. bei Ahrens dor. 29 seine
volle Berechtigung (vgl. Schleicher Comp. p. 534 und 625 f.). Die
Beispiele des Choeroboskus sind: zai'Sec (St. zaFi, nom. pl. zaFi-
£?, zaFj-ec, za(F)(Sj-eij, *nodoe-ec, [vgl. Curt. Gr. 1 593 ff], *za(8Y]c,
zai'äs5 [über St. zaFi Curt. Gr. Nr. 387]), alysi; (St. ayi Curt. Nr. 120),
yu'tcdv.eq (St. Y uva ' / -' 1- c - Nr. 128), ad Theod. 651, 16: <pü)tei;
(St. ffiWTt vgl. cioYjpoßpw? aus -ßpuxt, Schleicher Comp. p. 453),
\\d'/eq (St. Ila-vt,? W. pd erhalten, nähren) — die des Joannes
Gr. nebst '(wcf.iv.eq noch x s '-p £ ? (St. x s F l Curt. Nr. 189), vasc (St.
vaFi) 2 und öpvi’Oe?, für das mit Rücksicht auf den Parallelismus
mit cpvt'xs? — einer hypokoristischen Bildung vom St. opvi-y.i
1 Aüaav ist bedenklich von Seite der Form, da es auch bei Homer immer
nur eotfv (II. 8 222, X 263) oder s'Büaav (II. a 145) heisst (als dorische
Form könnte ohnehin nur s'8uv erwartet werden: Ahr. dor. 317) und
der Bedeutung, da ouvat ohne Beisatz, wie er etwa II. 0 271 ouaxsv st5
A’tavO’ gegeben ist, nicht im Sinne von TiTTjaasiv stehen kann. Ich vermuthe
s'[j.uaav (dorisch betont sp-uaav) vgl. II. to 637 [j.uaav.
2 St. vapt: nom. vau; = (7;api: 7:au?) = y(s)papi: ypaü?. Während hier pt
zu u sich ,verengt 4 hat, ist p einfach ausgefallen in dem nom. propr.
rpatxo( St. Tspap-ixo, zu dem das Fern. T(s)pap-1x1-5, rp°d?> daher Fr. 134
dorisch Tpafxs; zu accentuiren.
536
Schubert.
(aspirirt op'.-yj. Curt. Gr. 1 p. 486) gleichfalls ein Stamm opvt-Qt
anzunehmen sein wird. 1 So glauben wir denn, abweichend
von Ahrens, der z. B. in den dorischen Stücken Thuc. V 77
(lakonisch), ibid. 79 (milddorisch) ohne Beschränkung auch
k/6-neq, T.otJ.ic, ob-o~o)J.ic schreibt, aus den Angaben der Gram
matiker sowohl was ihren Wortlaut, als besonders was die
angeführten Beispiele betrifft, deren Wahl wir nicht für zufällig
halten, blos soviel schliessen zu dürfen, dass eben nur bei
Stämmen, bei denen Einbusse des ursprünglichen Auslautes
nachweisbar oder wahrscheinlich ist, die von Uranfang an
kurze Pluralendung sc für den Accent die Rolle einer Länge
spielt. Man ist zu einer derartigen Einschränkung genöthigt,
so lange man einerseits nach einer Erklärung jener dorischen
Accentuation sucht und andererseits nicht geneigt ist, etwa alle
Consonantenstämme auf I-Stämme zurückzuführen oder doch
wie im Latein im nom. plur. ihrer Analogie folgen zu lassen.
Einfacher ist die Sache beim acc. pl. der sogenannten III. De-
clination, dessen dorischer Accent, sowie jener des unter c)
angeführten Falles aus der uranfänglichen Positionslänge (hier
der Endung ctvc) sich erklärt, nur dass während wir dort dem
Schluss-v recht wohl eine gleichsam dichtere und vollere Aus
sprache zuschreiben können (vgl. Curt. Verbum I 2 p. 73) hier
der Accent gleich jenem des eben besprochenen nom. plur.
nichts anderes als eine reine Antiquität gewesen sein kann, in
der die Erinnerung an das ursprüngliche Verhältniss in gewisser
Weise fortlebte. Denn anzunehmen, es sei z. B. in cpubdzac,
-tor/.a? etc. das a in der That als Länge gesprochen worden,
d. h. die Ersatzdehnung des Vocals, die vielleicht anfangs
an Stelle der Positionslänge getreten war, sei auch später
erhalten geblieben, ist unzulässig, weil der allgemeine Zug des
Dorismus gerade im Gegentheil auf Verkürzung der Endsilben
ausgeht und weil bei dorischen Dichtern nirgends eine Spur
1 Nach dem Gesagten erwarten wir auch veocvISes (wie Fr. 28,), Pap. III 22
steht dafür vEstviSE;, was wir unter die fehlerhaften Betonungen des
Papyrus rechnen müssen. Auch Xaptxes von dem wohl jenes -IXE? Pap.
I 20 ein Rest ist, wäre dorisch zu paroxytoniren, wofern neben yapi ein
längerer Stamm '^api-Ti anzusetzen ist, von dem eine Weiterbildung durch
Suffix gc in yapnla Xen. Cyr. 2, 2, 13 vorliegt. Xapi-xi stünde dann neben
yapi, wie 0Ept-xi neben 0E[±’. (vgl. Curt. Gr. 4 p. 525).
Misccllen zum Dialekte Alkmans.
537
prosodischer Länge des aq im acc. pl. der III. Declination
nachweisbar ist. Diese letztere Unterscheidung- lassen die
Angaben der Alten unberücksichtigt, so das Scholion 11. e 371;
der Scholiast Theocr. 1109 spricht sogar, um die Paroxytonirung
von -xür/.a? zu erklären, in der III. Declination von dorischen
Pluralnominativen auf ai. In den Fragmenten des Alkman
findet sich nur ein hieher gehöriges Beispiel: Fr. 125 amaq
von einem Nomen aixi?, bei dem Bedeutung und Etymologie
feststeht (Theor. XII argum. zai ’AXx,p,av xa? eixspaoxcu? v.cpaq aixaq
(sic) Xeyei, Curt. Gr. Nr. 586), die Form und Flexion aber
schon im Alterthum bestritten war. Nach Etym. M. 43, 40
wollte Herodian amaq, das er aus al'xioa? jäitoßoArj xou o‘ erklärte,
während Oros dies bestritt: xa yjStp am xfiiv ei? i? OyjXutöv ouz
äixoßtxÄXouat x'o o. Gewiss hat hier Ilerodian abgesehen von dem
schiefen Ausdrucke der Sache nach Recht: denn wenn auch
in der Regel die Appellativa auf tq im Dorischen so gut wie
im Attischen aus ihrem j ein parasitisches o (Curt. Gr. 4 p. 623)
zu entwickeln pflegen (Ahr. dor. 233), so ist doch der Kreis
der dieses o entbehrenden Wörter im dorischen Dialekte un-
läugbar ein weiterer als im attischen und die Flexion otmoq etc.
um nichts auffallender als jene der nomina propria, die im
Dorischen ganz regelmässig das o verschmähen, vgl. 0sx;o?
Pind. 01. IX 76, Ilapto? Pyth. VI 33. Bios die dorische Paroxy
tonirung des (argum. Theocr. 1. c. zu oaxac corrumpii'ten) acc.
amaq ist noch nöthig, um das Wort ganz in Ordnung zu bringen
(so auch das Lemma des Etym. M. 1. c. [wozu freilich die
Schlussworte ap.sivov ouv Txap.cjjSvsiv im xou ätnjq schlecht passen]
und Hartung, während Bergk bei atxiaq bleibt). Fr. 69 ist in
allen Quellen (s. Bergk) oodp.ova? oder oat^p.ova? 'überliefert, aber
ebenso consequent durch |j.£ptop.o6?, oiatpEost?, S'.atxvjsst? erklärt.
Da nun Satp.ovac (mit dorischer Betonung oai|j,ova?) obwohl
wahrscheinlich von Sai'eiv stammend (Curt. Gr. Nr. 256, vgl.
schon Schob II. a 222) jene Bedeutung nicht haben kann, so
corrigirt Bergk Btavop.d?; doch ist kaum zweifelhaft, dass Naucks
Somoväc das Richtige trifft. Das Wort ist von derselben Wurzel
ca, 5a: durch das Suffix p.ova (Schleicher Comp. p. 410) gebildet,
wie <pA£YP.ovr], yapp.ov^ von oAsy und yap.
3. In den Endsilben von Formen wie müv.ctq, sXüoav
erscheint also die ursprüngliche, im Attischen gekürzte Länge
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. Hft. 35
538
Schubert.
wenn auch nicht quantitativ, so doch'für den Accent im Dorischen
conservirt: aber es gibt auch Fälle, wo umgekehrt der im atti
schen Dialekte gewahrten Länge im dorischen eine wirkliche
quantitative Correption gegenübertritt. Wir meinen zunächst
den Schol. II. e 371 erwähnten Fall: o! Awpist? aTCEvavuW -up
7.0tv?) otaXsy.TO) . . . töv st? a t Ta? aiTtair/.a? ota toj a ßpa/EO? ey.ospouctv.
Was die in unserer Ueberlieferung schwankende Accentuation
solcher Formen betrifft (Theocr. IV 3 rataa?, Hes. Theog. 267
"ApTiuta?, dagegen in der O-Declination zwar vauo? Pind. 01. II 71,
aber -/.ay-ayopo? 01.1 53) so hat Ahrens vollkommen Recht, dor. 30
für alle diese Fälle Paroxytonirung zu verlangen, weil nur
diese in der Consequenz der oben besprochenen dorischen
Betonungen liegt und nur sie den dorischen Conservatismus
zu entsprechendem Ausdrucke bringt. Bei Alkman muss nur
Fr. 33 ä der acc. plur. Tpoxa? (wir erwähnen dies hier, obwohl
in diesem Worte der Accent durch die Verkürzung der End
silbe nicht alterirt wird) als Pyrrhichius gemessen werden, da
das Fragment aus daktylischen Tetrapodien besteht, von denen
je eine daktylisch scbliessende — und am Ende einer solchen
steht Tä; Tpotta? (v. 5) — mit einer spondeisch schliessenden
zu einem daktylischen Tetrametron verbunden ist. V. 7 bildet,
trochäisch schliessend, einen kürzeren Sehlussvers und ^araki
ist der Rest eines neuen Strophenanfanges. Fr. 58 ( TwcS? hat
den regelmässigen langen Vocal (bei wpa? Fr. 76 1 hindert
wenigstens nichts dies anzunehmen), ebenso die acc. plur. der
O-Declination, bei denen die hier auch graphisch ersichtliche
und daher auch auf Inschriften nachweisbare Verkürzung des
Vocals der Endsilbe besonders häufig auf kretischen und
theräischen Inschriften erscheint und nebstdem je zweimal bei
Epicharm und Pindar (01. il 71 vaco?, Nem. III 29 arXö?)
einmal bei Hesiod (Scut. 302 Xayö?) und ganz gewöhnlich bei
Theokrit). 1 Ueberhaupt gibt es bei Alkman ausser jenöm
Tpcwa? nur noch ein in diesen Zusammenhang gehöriges Beispiel
von Correption des Vocals der Endsilbe: nämlich Fr. 68 in
dem Nom. Ala? (vgl. dagegen 49 &cä;), der im fünften Fusse
1 In der A-Declination haben diese Verkürzung Stesichorus und Simonides
(Fr. 98 lUpaü;) je einmal, Tyrtaeus zweimal, Epicharm dreimal, Hesiod
zehnmal, Theokrit fast stets mit wenigen Ausnahmen.
MisceJlen zum Dialekte Alkmans.
539
eines akatalek tischen trochäischen Tetrametfons stehend (Bekk.
An. III 1128) als Trochäus gefasst werden muss. 1 Die Accen-
tuation solcher Formen, die zu den früher behandelten in
vollkommener Analogie stehen und daher Et. M. 721, 54 mit
Unrecht barbarisch genannt werden, kann nach dem Obigen
nicht zweifelhaft sein, weshalb wir es nicht billigen können,
wenn Bergk mit Meineke 1. c. Aiaq schreibt. Dagegen muss es
gut geheissen werden, wenn die Codices, — allerdings in einigem
Widerspruche zu ihrer sonstigen Behandlung von dergleichen
Formen — die dorischen Infinitive auf -sv stets paroxytoniren
(z. B. ept'cSsv Theocr. IV 8, sveöSev id. V 10); denn das gleiche
Verhältniss, wie zwischen Tpoxas, vctaoq und -cpo^Sc, vctawq besteht
auch zwischen Infinitiven wie Aeysv und Xeyvjv, d. h. die Formen
auf sv sind durch Kürzung aus jenen auf yjv entstanden. Es
wäre daher, wenn Infinitive auf sv bei Alkman überhaupt
anzuerkennen sind, zu schreiben: Fr. 1 3 dei'Ssv, 76 4 ecöfev.
Wenn es Pap. II 11 auch vjiiev heisst, so ist diese Betonung
durch die Analogie der zahlreichen Infinitive auf sv beeinflusst.
4. In der Betonung der Genetive pl. weicht der dorische
Dialekt in dreifacher Weise vom attischen ab und in allen
drei Fällen ist die Festhaltung des Ursprünglichen oder doch
die strengere Wahrung der Analogie auf Seiten des ersteren.
So ist es a) eine im Dorischen vermiedene Anomalie, wenn der
gen. plur. der barytonirten femininen Adjectivstämme auf a
(nom sgl. masc. oq, neutr. ov) dem Masculinum folgend attisch
der Perispomenirung sich entzieht. Es ist also nach Arcad.
135, 15 ots os v.cna oidXsy.TOv vj ysviy.v; TpoTCYjv üt:o|asvs'. toü wv siq av,
sepwitäTac, xuaveav, ä[j.®oTspäv Alcm. Fr. 25 5 mit Villebrun und
Bergk SapSi'wv xit’ d/.pav (codd. axpav) zu schreiben, b) Während
die vollere und ursprünglichere Genetivendung sätn im Attischen
in ihrer Nachwirkung auf den Accent nur bei den A-Stämmen
erhalten, überall sonst, auch bei den ©-Stämmen, der abgekürzten
Endung äm gewichen ist, 2 blieb sie im Dorischen nach dem
1 Aus Hesiod wird 1. c. auch ein part. aor. auf a; angeführt: Tlieog. 521
dluxto-iorj'T: (jetzt 8r)<TE 8 1 . . .), wie nach Cram. an. Oxon. III p. 283
auch Herodian las.
2 So Schleicher Comp. 563. Es lässt sich aber vielleicht der Unterschied
zwischen Formen wie ävOpdmov und )<ajpwv besser in folgender Weise
erklären, bei welcher die Annahme einer verschiedenen Behandlung der
35*
540
Sch ub ert.
Zeugnisse des Accentes wenigstens in der Pronominaldeelination
(vgl. das Altindische, Altbaktrische, Altbulgarische und Gothische,
Schleicher 1. c. p. 629) zum Theile bewahrt: An. Oxon. I 45, 17
oi Awocst? . . . ou Xifooirt np'.ajj.öv aXXa üpidp.wv • twv (jtevrot avrwvu-
p/wv twv sie oi X’r^ouaS)') ta? ^evr/.a? TCpiaitwat • toutwv y.ai Tqvöv (cod.
xtytov). Ei loiv’jv io (cod. twv) äXXßv TOpiaroSatV, oüx &rtv ovop.a, äXX'
avT(i>vop.ta. Es ist daher Fr. 77 2 toutwv (Berglc mit dem cod. des
Apollon, de pi-on. 383 B toutwv) zu corrigiren. Bergk, auf die
falsche Lesung Sap.oaimv Pap. I 30 gestützt, behauptet poet. lyr.
p. 1382 ,non solurn in pronominibus sed passim etiam in adiectivis
haue prosodiam tenuerunt Dorienses 1 , muss aber sofort hinzufügen
,neque vero usus sibi constat, nam p. II 15 u-oraTpioiwv legitur 1 ;
indess ist nach Blass §’ aXXo; iw zu lesen, c) Im Attischen sind
Taiowv, itävTWV, Tpwwv etc. Ausnahmen von dem Betonungsgesetze
der einsilbigen Nomina, das der dorische Dialekt mit voller
Cons'equenz durchführt: Greg. Cor. 317 'reptc-Two-t os toc Totaura;
Tratowv, Tpwwv, xavxwv y.al ta cp.owt toutou;. So steht denn auch
Pap. I 13 xavxwv und ist darnach Fr. 67 oioa o’ opvi'ywv vop.w?
xravTwv zu restituiren.
5. Der Betonung der gen. plur. folgen genau die Adverbia
auf wo, wie dies den verkehrten Angaben bei Joann. Gr. und
Gregor Cor. gegenüber Apollonius de adv. p. 581 mit grosser
Klarheit auseinandersetzt. Keineswegs allgemein gilt die Regel
A- und O-Stämme vermieden wird. Wir nehmen also an, dass ursprünglich
der gen. plur. von beiderlei Stämmen in gleicher Weise mit -atov gebildet
wurde und dass damals das Gesetz der durch die Länge der Endsilben
behinderten Proparoxytonirung noch nicht ansgebildet war: ywpa-crcov,
avQptoraawv. Sehr frühzeitig schwand nun das a der Endung, worauf
Contraction der jetzt zusaihmenstossenden Vocale erfolgte: jedoch viel
früher bei den O-Stämmen, da qualitativ gleiche Vocale weit leichter
Zusammenflüssen, als qualitativ verschiedene und zwar müsste die Con
traction bei den genannten Stämmen stattgefunden haben, noch ehe das
spätere Accentuationsgesetz zur Herrschaft kam, während a-wv offen blieb
bis in die Zeit des vollkommen ausgebildeten Dreisilbengesetzes, welchem
folgend sodann ycupa-tov zu ycopä-tov und weiterhin zu yajpoiv, ywpäv
werden musste. Die dorische Accentuation aXXSv etc. würde beweisen,
dass in der pronominalen Declination selbst bei O-Stämmen die offenen
Formen bis in die Periode des Dreisilbengesetzes sich hinüberretteten,
jedoch nicht so lange erhalten blieben, wie die entsprechenden Formen
der A-Stämme, da sie nicht mehr wie diese auch literarisch nach
weisbar sind.
Miseelleu zum Dialekte Alkmans.
541
bei Greg. Cor. ra ob uo’ ßapÜTOva TepicTÖaiv, sondern ist nur
für aXXwc; neben attisch zXXw?, macvr&i (att. im&vtws), für tVjvqx; etc.
richtig, da es dorisch eben auch äXXow etc. heisst. Im Papyrus
III 25 ergänzt Blass das circumflectirte . . . T(5C unzweifelhaft
richtig zu oütwc, dessen dorische Perispomenirung (vgl. tootwv)
mehrfach bezeugt ist. (Dagegen erscheint das epische tm?
[II. y 415, Od. x 234] auch Pap. II 12 acuirt. Ebenso sind
<ücrf II 31, üiitsp II '12, mt’ II 7, über welches letzteren Accen-
tuirung Ahrens dor. 378 nicht, richtig urtheilt, im Papyrus
sämmtlich mit dem Acut auf der vorletzten Silbe bezeichnet,
da sie eben auf Zusammensetzung des Atonon [des relativen]
<!><; mit ts zurückgehen). Wenn es aber Cram. An. Ox. I. 55, 21
heisst crscYjp.eiwTcu Po yu£'p%apoq . . . . zai Po OyjXozov xap ’AXzp.ävi
. . . zat extppv)p.a v.apyap&c, (Fr. 140), wofür vielmehr zapyapwc zu
schreiben, so liegt darin die gleiche missverständliche Ver
allgemeinerung, wie bei Greg. Cor. und seinem Gewährsmanne
Joannes Gr. Was den ersten Theil der oben erwähnten Kegel
ebendesselben betrifft: cp.otioi; 3s (sc. ßapoTovouc: — es geht nämlich
voraus die auf ozwp, ykaut, etc. bezügliche Bemerkung: -ra govo-
oiXXaßa ovogata ßapurovouct—) xa toiotyjto? IjjXamza sxipp^jv.aTa
y.aAwc, acow?, zcpcjito?, aTAwc, so ist erstlich die Aenderung von
ßapuTovouci in ö^övcuai durchaus nothwendig: aber auch dann ist,
wie Ahrens mit Berufung auf Apoll, de adv. 580, 33 und 581
nachweist, die Angabe fehlerhaft, weil zu allgemein gehalten.
Nur soviel scheint richtig, dass im Dorischen manche viel
gebrauchten, von oxytonirten Adjectivis stammenden Adverbia
(Bekk. An. p. 1123 Awpisle toc xXo twv ei?. o? o^arivwv exipp^awc
■o^uvoucrcv, oiov. crocpbp G'ocpwc, zaXbc zaXw? (vgl. mit Apoll. 1. c. r.ap'y.
Acopiajctv svia [Adv. auf wc] Ü*6»srott, 2-s [cod. wgts] zap. eyzAiutv
ävsyvücO^) den eigenen Ton verlieren und enklitisch werden
konnten. Vgl. Pap. II 11 ouoap.üt;.
6. Von ap.a,, das bei Alkman Fr. 26-, durch das Metrum
geschützt ist (ä|P aXzuoveoGt totv]xa:), wird Schob Pind. Pyth.
III 36 nach Herodian überliefert, dass es dorisch perispo-
menirt war. Bestritten war bei dem perispomenirten ap.z das
t subseriptüm. Da aber die unorganische Hinzufügung eines
solchen nicht wohl angenommen werden kann, so müssen wir
ein ä[xä anerkennen, zu welchem als Dativform (samäi) sich
der attische aus &<i.s verkürzte Instrumental ap.z ebenso verhält,
542
Schubert.
wie y.piüp«, c ! ./a, xpiya zu y.pu®a, oi/a, tpi/a (att. y.pu<pyj etc.). Darauf
dass Pap. III 19 auch p-aXicrta nach Blass’ Facsimile ein i adscr.
zeigt, ist nichts zu geben, da dieser Buchstabe schon in den
Papyrusrollen der Ptolemäerzeit nicht nur wie gleichfalls auf
Inschriften seit 100 a. Ch. weggelassen wird, wo er stehen
sollte (vgl. Pap. II 16 opy;?), sondern auch ungehörigen Ortes
mit grösster Willkür hinzugefügt wird. Von den perispome-
nirten dorischen Locativformen auf -st, die' nach Apoll, de adv.
625, 9 als tvjv sv tsttw iv SyjXowa («npfungiren, bietet
Pap. III 11 aÜTel (= att. aütou) ein Beispiel.
7. Zum Schlüsse mögen hier noch zwei Einzelnheiten ihre
Stelle finden. Fr. 25 x werden wir uns für «ypor/.o? (so Chrysipp.
Ttepi tocparaöv c. 21), nicht das von Thom. Mag. für attisch
(d. h. wohl nur dem jüngeren Atticismus angehörig) erklärte
aypoixo? (so Bergk) zu entscheiden haben — nach Analogie von
ctj.owc, (vgl. spvjp.op, sxoip.op), welches altattisch ist und von Gregor.
Cor. zugleich p. 318 ausdrücklich als dorisch bezeichnet wird.
— Bei Steph. Byz. v. ’Epuct/r { wird — sehr überflüssiger W r eise —
die übrigens schon alte Streitfrage (’Epucr/Aop, reep; ou icoXb?
Xoyoq xoiq äp'/cdotc) erörtert, ob in der dort angeführten Stelle
Alkmans (Fr. 25) das eBvmov ’Epiwi/ato? oder das angeblich mit
Ttoijrijv gleichbedeutende objective Compositum sputjiyaioc (epuu,
/aloc, = pedum) anzunehmen sei. Mit Rücksicht auf die un
mittelbar vorangehenden wie nachfolgenden Worte (Gecca/A;
yevo? — ZapSlwv oliC ay.päv) ist nur das erstere zulässig, zumal
da Ipuaials Appellativ gefasst, in Verbindung mit Ttoip.-jv eine
Tautologie wäre; ja möglich sogar, dass Tcoqj.-jv selbst als Glossem
für das missverstandene oder missdeutete ’Epuei/aTo? ein anderes
gentile, etwa ’Ay.apvav o. dgl. verdrängt hat.
II. « statt s.
Sicher überliefert ist bei Alkman a. gegenüber dem gewöhn
lichen £ unter anderem auch in der Partikel y.a (episch '/-e[v],
lesbisch y.s, attisch-jonisch, auch episch av), die Fr. 94 mit oza
zu ozza d. h. oz(a)-za (att. omv) zusammengesetzt erscheint.
Uebrigens braucht derselbe der Ueberlieferung nach an zwei
Stellen auch av: 42, 49, was bei ihm auf epischen Einfluss
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
543
zurückzuführen ist, ebenso wie xev, 1 wie ich 33 2 lesen möchte
(oi zsv sSeap.a-ra koW evayeipy]; [Meineke: w •/.’ ev ISecimm etc.]).
Pap. III 17 eiicoipw •/.’ a~y.'> p.sv auta bleibt es zweifelhaft, ob das
elidirte •/.’ als das episch-äolische y.e oder, was für das Papyrus
fragment wahrscheinlicher, als das dorische v.a zu fassen ist.
Denn sichergestellt wird namentlich durch die tab. Heracl.
(I 101 und 152), dass v.a Elision zulässt. Diese Elision wäre
befremdlich der Thatsache gegenüber, dass die Partikel unserer
Ueberlieferung zufolge bei Dichtern fast immer langes a zeigt
(Ahr. dor. 382): aber an solchen Stellen ist überall die auch
im Arkadischen (Gelbke de dial. arcadica Stud. II 12) und
Kretischen (Hesych. ßafzav Kpr^ic d. i. etxsv) noch nachweisbare
Urform y.av (skt. kam) herzustellen, so dass vor dem anlautenden
Consonanten des folgenden Wortes Positionslänge entsteht
(Hugo, Weber ,die dorische Partikel v.a‘, Halle 1864). Hiernach
muss denn auch in dem oben citirten Fragmente 94, da der Vers
spondeische Messung verlangt, öy.xav cv; yuva ewjv geschrieben
werden; ja selbst Fr. 42 empfiehlt sich der Vorschlag Bergks:
tiq ■v.a.') für vlq $' av, 2 so dass für den Gebrauch von a’v bei
Alkinan nur eine Stelle (Fr. 49) übrig bliebe.
III. o statt a.
Die nicht eben bedeutende Zahl der Aeolismen Alkmans
erfährt eine Vermehrung durch ein Beispiel der Verdumpfung
von a. zu o, wenn man mit Bergk lyr. 3 Fr. 34 u äpytcpovTav liest.
Es wäre -aovTco; statt -ajd'nac, mit ovfa statt avi'a, ovt£0y)v statt
äv(a)t£0-?jvai (Ahrens äol. 76, vgl. Ameis zu Od. a 84 Anhang)
zu vergleichen. Zwar weisen die überlieferten Lesarten apysio-
tpEcwai cod. A des Athen. XI, 498 F, bei dem das Fragment
erhalten ist, äpyeiotpövTat BP auf den Dativ äpyeicpovia hin (wie
Bergk früher conjicirte): aber Hermes passt nicht in den Zu
sammenhang und für Bakehos ist jenes Epithet ebensowenig
1 Diese Form ist dem echten Dorismus fremd, weshalb es nicht genau
ist, wenn An. Oxon. I. 160, 1 gesagt wird: v.z cnjvOEa|j.o; • ol Atopie!; ^
[J.ET« tou v Xsyouai ?] TpOfti) tou s ei; a.
2 Clemm ,de fraginento quodam Alcmanico commentatio, Gissae 1876“ schlägt
auch Fr. 33 2 vor: 5 Ti x«v Dato; IvayE(pir);.
Schubert.
544
nachgewiesen, als überhaupt wahrscheinlich 1 — und doch be
zieht sich das Fragment unverkennbar auf eine Dionysosfeier
(wie auch Preller Gr. Myth. I p. 542 Anm. 1 annimmt und
die freilich ungenaue Stelle Aristid. I 49, wonach ein Aaxw-
vv/.oq norqrqc 1 das ,AeävTü)v '{aha ap.eXvEi.v' dem Dionysos selbst
zugeschrieben haben soll, beweist), d. h. wohl auf die nächt
lichen Orgien im Taygetus (v. 1 ev xopuyau; öpewv); Die An
geredete wird eine Bakchantin sein (,quae a Spartanis, quorum
vions erat Taygeta, oöqj.cavoci appellabdntur 1 Philarg. zu Verg.
Georg. 2, 487 [virginibus bacchata Lacaenis Taygeta]), der
unter anderem ekstatischen Gebühren (Preller 1. c. 543, 555)
mit dichterischer Freiheit auch jenes ,Melken von Löwenmilch
und Käsebereiten £ zugeschrieben werden konnte. Auch stimmt
der c/.ütpo; v. 3 sehr gut zu einem bakchischen Feste (Preller
I 560), wie denn auf Vasenbildern neben der vXq\i.y.iic und dem
puTov (Trinkhorn) der Humpen (<7x6901;) ein sehr gewöhnliches
Attribut des Dionysos ist. Da somit die Möglichkeit, den Dativ
’ApysiffiövTa zu lesen entfällt, so hat Bergk in der dritten Auflage
der poetae lyrici die Conjectur Welekers apyiipcvuav aufgenommen,
das dann mit rupbv zu verbinden wäre etwa im Sinne von äpycv
= album. Aber auch dies ist unzulässig; denn wenn auch in
Compositis nicht selten die Bedeutung, des zweiten Bestand
teiles mehr oder weniger zurücktritt, so wäre doch hier das
Schwinden der Bedeutung des zweiten Gliedes als eines noinen
ag-entis (-vd'/vqq [<p6rn)$] nämlich = cjaivwv, unmöglich = <paiv6p.svo<;)
gegen alle Analogie und auch durch die ,solita audacia' (?) des
Dichters, wie Bergk sagt, nicht zu rechtfertigen. Das einzig
Richtige bietet die höchst einfache und verständliche Lesart der
codd. VL des Athen. äpylxpeövTS, von welcher noch in der an-
thologia lyr. festgehaltenen Lesart Bergk nicht hätte abgehen
sollen. Die fortschreitende Verderbniss zeigen apyeiocpgovcai A
1 Wenn (worauf sich Bergk berief, als er die Beziehung von 'Apyeioovra
auf Bakchos für möglich hielt) Sophokles nach Et. Gud. 72, 53 (vgl.
Nauck trag, graec. fragm. p. 272, Nr. 917) den Apollo, Parthenios
(Meineke Anal. Alexandr. p. 286) den Telephus so genannt hat, so er
klärt sich bei Sophokles das Epitheton unter der Voraussetzung seiner
Herkunft von W. 9«'für .Apollo von selbst; bei dem Alexandriner ist
es gelehrte Spielerei, wenn Telephus als Argivertödter (bei der ersten
Landung der Griechen in Mysien; cipyeKpdvrr); also dann von W. <pev)
bezeichnet wird.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
545
apyeiofpörrai BP. Der gramm. Hamburgeüsis (s. Bergk zu d. St.)
hat noch apyucpav neben apyicpövxa. Die metrische Composition
der Strophe, der auch nur durch apyusesv tö Genüge geschieht,
s. bei Westphal II p. 367.
IV. Q-fjGao (Bergk) Fr. 34 ä .
Die zu W. Oa (Curt. Grdz. Nr. 307) gehörigen Weiter
bildungen und Ableitungen zeigen bekanntlich auch im Dorischen
nicht das erwartete ä, sondern r, ■ (Ahrens dor. 152). Darnach
schreibt Bergk an der genannten Stelle Qrpao; aber gegen diese
Conjectur spricht, da die Weglassung des Augmentes und die
Unterlassung der Contraction (dorisch wäre sOy'ra zu erwarten:
Ahrens 198): der Sprache des Epos entlehnt sein könnten, das
unerträgliche Asyndeton — Bergk selbst findet es ,non satis
gratum‘ — sowie auch, dass das eorrupte ewaXaOeura der codd.
unverkennbar auf ein Participium hinweist. Erwägt man nun,
dass Alkman gerade in participialen Bildungen Aeolismen liebt
(^epotua 18,, s/oica 34.,, eittoreqpoica 74 2 , craAaccop.eoois’ 84, Äwrowa 23,
fspoioraiq Pap. II 27, evöciwa Pap. III 5; nur Fr. 41 2 lautet der
erhaltene Ausgang eines part. fern, des schwachen Aoristes
.... «<?«), so wird man vielleicht, obwohl sich unter den an
geführten Beispielen leider gerade kein Particip eines Verbums
auf -ato findet, die Vermuthung Ocdca, eine Form vom Stamme
Oa gebildet, wie yiXataa v-om Stamme yeha (vgl. Curtius in den
Stud. III 379 ff., Verbum I 2 358 ff., Sapph. 2 ä v.<x\
ip.spoev), nicht unwahrscheinlich finden (nicht unwahrscheinlicher
wenigstens, als das von Bergk früher vermuthete Osüca = Oe-cuca
aus Oäo'jca: wobei, was den Uebergang aus der A- in die E-Con-
jugation betrifft, Formen vorschwebten, wie cjAsüp.evov Theocr.
XIX 2; aber für die Doris sev. müsste auf jeden Fall von
0£-coca ausgegangen werden, woraus niemals OeOaa werden kann).
Syntaktisch ist das part. praes. durchaus ohne Anstoss (Bergk
freilich meint ,'praesens tempus ftsrri nequit, ubi omnino prae-
t&ritum requiriiur‘): denn es finden sich ja nicht gar selten
Stellen, in denen die Anwendung des part. praes. statt des
zunächst erwarteten aoristischen aus dem Streben hervorgeht,
die öftere Wiederholung der Nebenhandlung nicht unbezeichnet
zu lassen. Wenn es z. B. Xen. Comm. 2, 61 heisst: ßsAxfou?
546
Schubert.
fäp oiwv too; auYYiYvojjievoui; aTteirepwtsv oder Hell. 2, 4, 25 wpovo-
p.a; Ss icoioö|*svoi y.al Xap-ßctvovts; Ijbka y.al c~wpav sy.dOeuoov toxXiv
sv üstpaiet, so sind die präsentischen Participia sogar viel feiner,
als es die Aoristformen wären, durch die nicht bezeichnet würde,
dass gerade so wie die Haupthandlungen auch die (allerdings
jedesmal vor demEintritte dieser Haupthandlungen vollendeten)
Nebenhandlungen sich wiederholten. Genau so lässt sich unser
Oofca auffassen: wenn im Hauptsatze nicht, wie in den Parallel
stellen aus Xenophon das Imperfect steht, so ist doch dafür der
Aorist eTÜpYjGaq mit itoXXcbu (v. 1) verbunden.
V. cy/ijp.a ’Lßuy.s'.ov.
Fr. 60 b schlägt Bergk statt des überlieferten und im Texte
beibehaltenen sbSouatv zweifelnd s ( jSy)giv vor, natürlich nur, weil
er für wahrscheinlich hält, dass sich die Hesychische Glosse
suoeicri • rßw/aLp. eben auf die Alkmanstelle bezieht; denn syn
taktisch ist die Verbindung des pluralischen Pi'ädicates mit
dem neutralen Subjecte (vgl. schon II. ß 135) um so weniger
zu beanstanden, als ja hier auch Constructio ad sensum (vgl.
II. ß 92, 89 mit ib. 87, Eur. Cycl. 206 ff.) angenommen werden
kann. Aber der Vorschlag Bergks ist abzulehnen 1. weil, wie
Bex-gk selbst zugibt, jene Glosse (in der suo-rjct und jedesfalls
auch rpuy^d'C-ri statt Tf)GUyd£et zu schreiben) sehr passend auf
II. s 524 5tpp’ eüSvjat p.evo; Bopesto . . . sich beziehen lässt, 2. weil
die Anwendung der Anaphora (v. 1 und v. 6) eher für die
Wiederholung genau derselben Wortform spricht und vor allem
3. weil feststeht, dass Indicative auf -y]cti in keinem Dialekte
existirten. Denn a) von vornherein gebührt die Dehnung des
thematischen Vocals ausschliesslich dem Conjunctiv und die
angeblich äolischen Formen auf — yj? und -i\ statt -ei; und -st
in der 2. und 3. sgl. praes. sind von Ahrens äol. 91
als nichtig erwiesen; b) alle homei-ischen Formen auf -rß'. 1
(auch II. s 6 — Od. t 111 ff.) sind wahre, nach den Regeln
der homerischen Syntax erklärbare Conjunctive (Buttmann
A. Gr. I § 106. Anm. 7, Spitzner ad II. e 6, •/ 23); c) wenn
an Stellen, wie Ibyc. 9 Kcracävopav . . . «pap.t; s/r ( ct ßpotcov, ib. 7
1 Uebei’ das i subscriptum dieser Formen vgl. Curt. Verb. I- 58.
Miscellen zum Dialekte Alkraans.
547
TäiJ.oq . . . opOpoq iyelpym avjSöva?, Baccl). 27 2 yXmeV ävxyy.a cteuo-
piva y.uXi'y.wv OscX^Yjai Qup.ov die Formen auf -r ( ci indicativisclie
Function zu haben sc!ieinen — die Grammatiker und Rhe
toren (Curt. Verb. I 2 59) nennen dies bekanntlich cyr^.a ’lßü-
•/.£!ov und sehen darin eine syntaktische Figur (Herod. icept
G Z. r d x - 69, 24 t'o ce [ü/yjp.a] ’lßuzctov y.ai y.ai cuvxaljcdx; eotiv,
yivETOi Be £v Tote üuoxay.Ttno7<; xpixoic Ttpoow-oi? xöv pY)|/,axcov y.axa
xpoaGeaiv Tr)? -oi ouXXaß^? . . insoferne der Conjunctiv statt
des Indicativs gesetzt sei —: so ist zu bedenken (vgl. Bergk
zu Ibyc. 9), dass uns die Stellen nicht ihrem ganzen Zusammen
hänge nach vorliegen. (Ebenso ist hymn. Hom. XXXI vor v. 15 f.
£70’ ap’ oye av/jcaq ypocöüuyo'/ äpp.a y.ai imxouq | OeffTxsjios Ttep,XY]<;i Bi’
obpavou ’üy.Eavövce eine Lücke). Gewiss waren auch an solchen
Stellen die in Rede stehenden Formen wirkliche Conjunctive,
und ist dies von den späteren Grammatikern einfach verkannt
worden. 1 Denn jene von ihnen in gewohnter Weise angenom
mene Enallage des Conjunctivs statt des Indicativs ist natürlich
unmöglich. Waren an den angeführten Stellen .syntaktisch Indi-
cative erforderlich, dann konnten dafür nicht Conjunctive ein-
treten. Es müssten also jene Formen Indicative gewesen sein: 2
was aber wiederum eine Unmöglichkeit ist, weil es der ganzen
Art, wie im Griechischen die Modusunterschiede formell be
zeichnet werden, schnurstracks zuwiderläuft. 3 Daher bleibt
1 Aristarch weiss noch nichts von solcher Anwendung des Conjunctivs in
indicativischem Sinne bei Ibykus. Schol. Yen. II. e 6 r:«[npa(vr)(ji, r t O'.zXrj
oxi ävxi xou -auoa'vrj • -).$ovdt£l 8k "Ißuzo; tw toioutio wird eben nur
die Form des Conjunctivs, nicht aber irgend welche ungewöhnliche
Anwendung desselben bemerkt.
2 Diesen Ausweg schlugen diejenigen ein, die, wie Heraclid. bei Eustath.
1576, 56 die Formen auf -rjoi geradezu für im Rheginischen Dialekte
gebräuchliche Indicative erklärten: f ( v av xo ßrjua (nämlich zai«zXojOr)ai
Od. rj 197) 'Prjylvcov oiaXkzxou, di zaG’ 'HpazXslSriv za xpixa xiov bpiaxiztüv
Ttcpiajuopivcov T/j; jipcöxrj; au£uy{a? zai xtov ßapuxo'vcov 8e prip-äxtov zaxa xo
EVizov di xijv o: auXXaßrjv ropaxouai xoü jj napaXrjyovxo;. Aber darin liegt
eine Umkehrung des wahren Sachverhaltes: nicht Ibykus hat die Formen
auf -rjoi dem Dialekte der Rheginer entlehnt, sondern sie wurden den
Rheginern zugeschrieben, weil man sie bei Ibykus fand.
3 Hieraus ergibt sich, dass die besprochenen Formen weder im Rheginischen
noch überhaupt in irgend einem griechischen Dialekte Indicative gewesen
sein können, und dass es also ein bodenloses Verfahren wäre, solche
Bildungen durch Conjectur dem Alkman aufdringen zu wollen.
548
Schubert.
nichts übrig-, als, wie eben geschehen ist, zu behaupten, dass
in jenen Ibykusstellen etc. die syntaktische Geltung des Modus
von den Grammatikern verkannt worden ist. 1 Denn anzunehmen
(vgl. Ahrens p. 303), Ibykus selbst habe in Folge Missverständ
nisses einiger homerischen Stellen die Formen auf -rj<ri indica-
tivisch anwenden zu dürfen geglaubt — scheint gleichfalls
unzulässig. Erstlich sind solche Annahmen von Missverständ
nissen an sich misslich 2 und sodann — wie hätte der Dichter,
1 Das Gegentheil, die angebliche Setzung des Indicativs statt des Con-
junctivs, wird bei Lesbonax jtspl <r/r]|A. p. 166 Valcken. als das cy_rj|j.a
KoplvOiov bezeichnet (öpistixot; ypünca dvö’ ünojaxTixtöv) und als Beispiel
11. a 363 Iva e”oop.Ev ci|j.cpco angeführt. Ist bei diesem a;(7j|j.a KopivOiov die
Form verkannt (denn e’io-0-p.Ev ist wahrer [kurzvocalischer] Conjunctiv
neben dem Indicativ i'8-ß.EV ohne Themavocal, Curt. Yerb. II 59), das
syntaktische Verhältniss aber richtig erfasst: so wird umgekehrt beim
a/JjiJ-a ’lßux.Eiov das syntaktische Verhältniss falsch, die Form aber richtig
gedeutet.
2 Eigentümlich wäre auch der Umstand, dass ausser den zwei Ibykus
stellen (von der Stelle des Bakchylides wissen wir überhaupt nicht, 'ob
selbst die alten Grammatiker dort das ’lßixsiov annahmenj sonst
nirgends Spuren eines derartigen ,Missverständnisses 1 sich nachweisen
lassen: denn wo nachhomerische Dichter Formen auf -rjo: brauchen,
sind diese sei es nach den Regeln der gewöhnlichen (lies. op. 301
otppx . . . xxA'.TjV, Theognis 94 rjv rt; . . . yXwaaav irjcu xar.r'v, Arist.
Lysist. 348 rjv ~ic . . . ü-or.’.ij.-pr^vj ävrjp, Apoll. Rhod. III 1039 im Ver
bote [J-'rfii aE . . . i'parjai) oder der poetisch-homerischen Syntax (h. Horn.
IV 1 4o; p.’ spiOriai, Theocr. 23 lu im Gleichnisse oix os Ofjp. .. jTtoxEE’vp a:
zovayoj; . . . ib. t25 4C e! . . . zpivrjai) als wahre Conjunctive erklärbar
(Bio I 84 ist mit Hermann ot os Xs'ßrjT'. yp-jasto) tpop io i<r.v uowp st. (popsrjffi
zu lesen). Kurz das Missverständniss scheint uns entschieden nicht auf
Seite des Ibykus, sondern der Grammatiker und Rhetoren zu liegen.
Aber, könnte man fragen, warum wurden die Formen auf -rja:, wenn sie
überhaupt keine Seltenheit sind und sich auch bei Anderen an Stellen finden,
wo sie bei oberflächlicher Betrachtung gleichfalls leicht als Indicative auf
gefasst werden konnten, gerade als Besonderheit des Ibykus betrachtet?
Das scheint denn doch darauf hinzuweisen, dass es mit diesen Formen
bei Ibykus eine ganz besondere Bewaudtniss habe? Antwort: Wohl aus
keinem -anderen Grunde, als weil sich dieser derselben im Conjunctiv
— wir können freilich nicht sagen warum — entweder ausschliesslich
oder ganz überwiegend bediente, wobei eben auch Stellen nütunterliefen,
welche die Auffassung derselben als Indicative begünstigten. Es war also
die ganz besondere Häufigkeit oder Ausschliesslichkeit solcher Bildungen
bei ibykus, wodurch die Grammatiker auf diesen Gebrauch aufmerksam
wurden, den sie bei anderen Schriftstellern, wo er weniger hervortrat,
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
549
wenn ihm in der Tliat die besagten Formen bei Homer hie und
da den Eindruck von Indicativen machten, gegenüber der Mehr
zahl der Fälle, wo auclr er sie als Conjunctive fühlen musste
(vgl. z. B. II. -o 87, Od. <z 95 — II. a 324, p. 275, 4 245, i 701
— II. v 234, X, 479 etc.), darin eine Veranlassung finden sollen,
diese ihm indicatiyisch scheinenden Formen in gleichem Sinne
sofort selbst anzuwenden, er, der kein nach Raritäten jagender
Alexandriner war und wo er die 3. sgl. ind. praes. brauchen
wollte, dazu die gewöhnliche Form auf ei verwendete (Fr. 1 10
ouActGvsc, 2 2 ßdXXsi)? Endlich scheitert auch der Versuch West-
phals (Meth. Gr. II 38), 'iyrpi, iyziprpi durch alte Verschreibung
aus EXEISI, EFEIPEISI zu erklären, an der einfachen Erwägung
(Curt. Verb. I 59 vgl. Ahrens dor. 302), dass im dorisch-
rheginischen Dialekte vielmehr eystpei-Tt, ’iy-j.-v. erwartet werden
müsste. Auch können die von lieraklides bei Eustath. 1576, 56
angeführten Formen ?0vYjct, vu-^ct dem Dialekte der Lesbier
(welche die ersten Personen der verb. contr. allerdings auf \u aus
gehen Hessen) nicht zugeschrieben werden, weil sie dann tptXec,
v5st zu lauten hätten: was sich denn eben auch gegen .Bergks
Vermuthung (zu Ibyc. 9), es könnte das OÄxrjc. des Bakchy-
lides auf ein etwaiges DäX7cv)|j.t zurückgeführt werden, einwenden
lässt. Die einzige, wenn auch wenig wahrscheinliche Möglich
keit — die wir zum Schlüsse nicht unerwähnt lassen wollen —
die in Rede stehenden Formen als Indicative zu retten, wäre
vielleicht die, dass man unter Festhaltung des Gedankens von
Westphal Verschreibung statt sc annimmt und, um die undorische
Personalendung ci zu erklären, an den jonischen (chalkidischen
[Strabo VI 395 B]) Bestandtheil der Bevölkerung Rhegiums
erinnert, durch dessen Einfluss ja immerhin jonische Elemente
in den Dialekt der Rheginer eindringen konnte'n, wenn auch
das Dorische ebenso entschieden vorherrschte, wie sich poli
tisch die ganze Staatsgewalt in den Händen der messenischen
Geschlechter befand (Strabo VI 395 D oioirsp oc xwy 'Pyjyivwv
:i)v£[j.6vec \>£y$\ ’Avalji'Xa xoü ysvoui; aet y.aOtcxavxo). Es wäre
unbeachtet Hessen. Die richtige Formulirung dieser Beohaclitung in
Bezug auf Ibykus hat Aristarch gegeben (s. oben), während die
Späteren in einseitiger Weise eben nur solche Stellen vornehmlich im
Auge hatten, wo ihrer Auffassung nach der Conjunctiv statt des Indi-
cativs stand.
550
Schub ert.
dies ein ganz ähnliches Verhältnis, wie es zu Halikarnass
bestand, wo neben dem officiellen Dorisch nach dem Zeugnisse
der zuletzt von Erman Stud. V 264 f. mitgetheilten Inschrift
auch jonisch gesprochen ward. Aber auf jeden Fall blieben
Formen wie s^et-ui etc. sehr auffallend, da die Endung der
3. sgl. ind. praes. in der thematischen Conjugation .sonst aus
nahmslos abgefallen ist.
VI. ä statt w.
Ein merkwürdiger Fall, wo der lange A-Laut der zweiten
Steigerungsstufe von ursprünglichem a, nämlich w entspräche,
wäre zutcapav oder yimdpav Fr. 76 2 (aus y.ai o-apav oder zat oxapav
= att. zal oiuibpav), worauf die Corruptelen ytiy.äyus % apav A (Athen.
X 416 D) x,ip.akü) zdpav P, /j.p.aAu Trap’ dv V hinweisen. Curtius
und Ahrens (dor.182) lassen die Form gelten; ersterer theilt das
Wort (Grdz. Nr. 522) das er zu Zd. yäre, Goth. jer, Ahd. jär
stellt, s~-dpa, gleichsam rj äxtcOev wpa Spätsommer. Mir scheint
die Sache, da Alkman Fr. 75 2 özclpav braucht und auf einer
von M. Fränkel im 1. Hefte der Archäol. Zeitg. 1876 S. 28 ff.
mitgetheilten und besprochenen (wahrscheinlich lakonischen)
Weiheinschrift 'Ozwp'iq avs0r;ze Atpvoexi steht, ziemlich zweifelhaft.
Dagegen gibt eben diese Inschrift eine höchst erwünschte Be
stätigung des spiritus asper in o™pa, den wir nun nicht blos
den Spuren der Ueberlieferung bei Athen, folgend Fr. 76 2 ,
sondern auch 75 2 getrost hersteilen dürfen.
VII. s als Contractionsproduct von a-f-s.
Ein aus a + e entstandenes ä liegt vor in aXiov Pap. II 7.
Das gleiche Contractionsproduct zeigen nebst dem allgemein
dorischen äXio's, dosvt? (Mosch. 3, 47) auch die bei Pindar vor
kommenden Accusativ- und Nominativformen: cpwvavxa 01. II 85
(so Schob, die codd.: fcovaevxa), aXxänocg 01. IX 72 (,contractam
formam omnes libri videntur exhibere 1 Bergk), apyävTa 01. XIII 69
(so die Mehrzahl der Hdschr., apyäv Conj. Hermanns). Ebenso
weist in den zu nicht thematischen Praesentibus gehörigen
Conjunctiven spaxai Pind. Pyth. IV 92 (otppa xt? ... spaxat),
[za0fc]xäxai C. I. 2671 (Inschr. aus Kalymnia) Z. 42, itapt'axäxat
Inschr. von Andania Z. 72 (vgl. siuauvtaxöexoi und Ssaxoi Inschr.
von Tegea [Fleckeisens Jahrb. 1861 p. 587] Z. 19) und in dem
Miscellen zum Dialekte Alkm.ans.
551
Aoristconj. xkccq Aescli. Suppl. 429 ch. (denn unzweifelhaft
richtig emendirt Ahrens dor. 313 das im Med. überlieferte
■t&dtrtoN zu ~käq xav) die Modussilbe langen A-Laut auf (emßfl
tab. Her. I 128 ist. conj. praes. Ahrens 1. c. Meister Stud.
IV 424 ff.), während in der Conjugation der verb. contr.
(Ahrens dor. 195) und in der Krasis (ib. 221) a-|-e und a-j-Y)
dorisch bekanntlich -q (gegenüber attischem g) geben. Es fragt
sich, wie diese verschiedene Behandlungsweise der genannten
Vocale bei deren Zusammentreffen zu beurtheilen ist. Offenbar
war das dorische o. kein reiner, sondern nach e hinneigender
Laut, 1 so dass es bei Hinzutritt von £ oder r, diesem sich
assimilirte (statt wie im Attischen selbst assimilirend zu wirken)
und in weiterer Folge das Zusammenziehungsproduct y] ergab:
so bei den verb. contr. auf au und in der Krasis (Beispiele
aus Alkman: irotifcat Fr. 26 ;i [vgl. Schob Aristoph. av. 251],
tcty^Ow Pap. I 16, Fr. 70, er) Pap. II 11, öpf t q II 16,
•/.qparctn Fr. 18 3 , '/-r,-'. 70, y.v)v 74.,, III 27). In öÜMq, aSovtc, ouvävTa etc.
dagegen wurde a durch das ursprünglich dahinter stehende F,
durch welches eher Verdumpfung, als Verheilung begünstigt
ward, vor der Hinneigung zu e geschützt 2 und in seiner Rein-
1 Statt also, wie im Attischen das a entweder rein zu bewahren oder ganz
in e übergehen zu lassen, schlägt das Dorische einen Mittelweg ein, in
dem es einerseits dem A-Laut eine Färbung nach e. hin gibt, andererseits
die Schwächung nicht so weit treibt, um sie auch graphisch sieh durch
setzen zu lassen. Wenn daher in zahlreichen Fällen dorisches ä attisch
jonischem r) und in minder häufigen dorisches d. attischem s gegenüber
tritt: so ist dem Gesagten zu Folge zu beachten, dass auch da dorisch
die Schwächung im Keime vorhanden, nur nicht so weit gediehen ist,
um durch die Schrift äusserlich ausgedrückt zu werden. Beweise für die
Neigung zum Uebergange in den E-Laut sind uns eben die intersylla-
bischen und interverbalen Contraetionserscheinungen im Dorischen. So
angesehen, ist es nicht verwunderlich, wenn in einem Falle (opfcov statt
öpacov etc. Ahr. dor. 310 f.) die Schwächung vollständig durchdringt
sogar an einer Stelle, wo im Attischen sich d erhält.
2 Dass das f nicht immer diese eonservirende Wirkung ausüben musste,
würde sich bei der Flüssigkeit solcher Lautverhältnisse wohl von selbst
verstehen — auch ohne directe Belege, worunter einen der merkwürdig
sten das jüngst durch die Ausgrabungen in Olympia aus einer lakonischen
Inschrift (Arcl). Z. 187G 1. Heft, p. 49), dem Original zu jenem Paus.
V 24 erhaltenen Weihedistichon, bekannt gewordene MIAEFO(I) d. i.
Urifko abgibt, welches sowie das dorische vjßa (nicht aßa Ahr. dor. 151)
552
Schubert.
heit erhalten, weshalb es als voranstehender Laut das folgende e
bei der Contraction zu überwinden vermochte. Was aber die
oben angeführten Conjunctive epäxat etc. betrifft: so hat hier
Zusammenziehung von a -f-Y) überhaupt nicht stattgefunden,
sondern es ist der auslautende Vocal des Stammes zugleich
als Modusvocal des Conjunctivs benützt (Curt. Verb. II 66 f.)
und als solcher ohne seine Qualität zu ändern einfach gedehnt
worden. So erklärt es sich auch, warum umgekehrt im Attischen
der conjunctivische Modusvocal bei den verbis auf -\v. r; und
nicht a. ist, wie man unter Vergleichung von xi\m, xqj.axov,
xip.axs — xt|j.äxat, x:p.äc;0ov etc. erwarten muss, so lange man tsx?j<*,
taxijxat etc. aus raxctrj?, icxdvjxat hervorgehen lässt. Auch hier fun-
girt der gedehnte Stammauslaut zugleich als Modusvocal; der
Unterschied ist nur der, dass in jenen dorischen Formen, wie
schon bemerkt, die Qualität des Yocals unverändert geblieben
(oüväp.ai [Gott. Nachr. 1855, S. 104], Ipsxat trotz des auch dori
schen kr/upiat, X&ßgxai), in den attischen die Analogie der the
matischen Conjunctive massgebend gewesen ist. Für oüvap.ai
und £Tticxa|j.at findet diese Auffassung in der durch Herodians
Auctorität (I 462 vgl. Schol. 11. £ 229 über Aristarch gegen
Tyi’annions Betonung ouvrjai) geschützten (und hier sowie bei
y.ps[j.a[j.a'. und eixptä[j;r,v allgemein durchgedrungenen) Proparoxy-
tonirung von Conjunctivformen wie oüvw(j.ai, exn'axYjxat etc. eine
directe Bestätigung; aber auch über diesen Kreis hinaus sind
uns durch handschriftliche Ueberlieferung hie und da Accen-
tuationen wie "crxw[j.at etc. aufbewahrt, in denen wir Spuren der
Erinnerung an die ursprüngliche Bildungsweise erblicken. Dass
auch hier die alles verschlingende thematische Conjugation ein-
di'ang, dass also wirklich ein dvxntptäYjxai Delph. 52, 10 (Wescher
und Foucart) das aber nicht als Vorstufe des attischen xxprrjx«i
anzusehen ist, sich findet, darf uns nicht beirren. Dagegen ist
es für die attischen einsilbigen Aoristconjunctive von A-Stämmen
auf jEp-a, ofp.o; (nicht oäXo$ Ahr. ib.) auf ojEp-Xo;, Orjßo? (Oaup.a Hes.,
nicht 0£ßo<;) auf Ojtp-o; (Brugmann Stud. IV 147, 151), so seinerseits auf
'.XEpos (aus tXapo;) zurückgeht. Auch p hat, obwohl es in vielen Fällen
Grund der Erhaltung des ursprünglichen a gewesen, in anderen die
Schwächung in e nicht zu hindern vermocht. Man wird sich also gegen
die dem p zugescliriebene Wirkung auf (Xijpbi, vjßa, orp.o; nicht wohl
berufen können.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
553
sv?jc, exp, ßrj, <pvj, ®0^ ; xX-?j wahrscheinlicher, allerdings Contraction,
aber mit langem Stammauslaute anzunehmen, also die Formen
Hyis (II- p 30), cty}y] (11. s 598), ßify (eixßv^Yj II. * 94),
(Od. X 128, 275), <p6ify (II. iz 861) xXr,Y] zu Grunde zu legen,
wie sie sich bis auf die letzte in der That bei Homer an den
ang. St. linden. Für den dorischen Dialekt empfiehlt es sich
wegen des obigen xXä<; auch betreffs solcher Formen bei der
zuerst gegebenen Erklärung zu bleiben (statt avacx3p, wie
Curtius Verb. II 63 an Stelle des ävasxatr; der Schob [auch in
marg. des P(al.) c] Pyth. IV 155 vermuthet, dürfte vielmehr
avaaiäuY) 2. sgl. aor. med., worauf die dafür in PC Gu ein
gesetzte gewöhnliche Form rhaoz-qa-f] führt, zu schreiben sein).
Bei umgekehrter Stellung (e-j-a) werden die genannten
Vocale dorisch zu p zusammengezogen; die einzige Ausnahme
von dieser durchgreifenden Regel wäre Fr. 42 (Apollon, de
adv. Bekk. an. II, 566, 11) das Adverb pa, wenn wir Bergk
folgen, der z. d. St. bemerkt ,p« scripsi, non pa vel pa, est enim
ex psa contractum 1 . Mit Recht weist aber schon Apollonius 1. c.
diese Annahme aus mehreren Gi'ünden 1 zurück, ohne dass
freilich dessen eigene, auch von Strabo VIII 364 (vgl. Et. M.
700, 26—200, 43) getheilte Ansicht, der sich unter den Neueren
Kühner A. Gr. I p. 403 anschliesst, pa sei aus paäi'u; apokopirt,
plausibel erscheint. Zweifelsohne sind sämmtliche für solche
Apokope angeführten Fälle anders zu fassen. FXd&u, spi, dX<ji
zeigen durch die einfachen Suffixe u und t aus den Wurzeln
1 Von diesen ist der eine, von der äolischen Form ßpa hergenommen, auf
Grund welcher Apokope aus ßpaälto; statuirt wird (nach dem Kanon 567, 20
u.'/j yap aXXors upoaxlOevxai AloXef? xo ß xio p ei u.rj xo 3 Euitpspoiro zaxa x/ ( v
15% aukkocßrjv xo auyysvES £ 5) xo aupjtaG^axEpov x .. .) allerdings nicht
stichhaltig. Wohl aber verträgt sich, wie Apoll, geltend macht, das in
dem Worte gut bezeugte und, wie wir sehen werden, etymologisch be
gründete 1 subscriptum nicht mit der Contraction aus ßs’a. Den Haupt
einwand gegen letztere, die im Dorischen unstatthafte Zusammenziehung
von E-(-a zu ci, lässt Apollonius unerwähnt. Was aber die Oxytonirung
des Wörtchens betrifft, die er gleichfalls gegen die Entstehung aus psa
vorbringt — und zwar mit Recht, da die im Dorischen so beliebte
Oxytonesis sich nicht auf durch Contraction einsilbig gewordene Wörter
erstreckt —: so würde dieselbe auch der von uns oben gebilligten
Zurückführung auf ßot'i entgegenstehen, weshalb entweder von §a't aus
gegangen oder, was wahrscheinlicher, angenommen werden muss, dass
das Bewusstsein der Zusammenziehung (aus pöti') nicht mein- lebendig war.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. IX. Hft. 36
554
Schubert.
yAa<f, var, arbh gebildete Formen, während fAapupoc, spiov, aXst-ov
noch um ein zweites Suffix ra, a, ta vermehrt sind ■— ow (für
Sojj.) neben S6)p,a die reine Wurzelgestalt, ebenso ohne Zweifel
zpi (für y-piO aus ztpö, xapO, gliard, vgl. Delbrück Stud. I b 132)
neben y.pi0f ( , ßpT (für ßpiF [?] aus ßtpF, ßapF, gvarv, W. garv [yabpoc
für fapF-oc;]) neben ßpi-O-ü und At (für Xi? W. las Ourt. Gr. Nr. 532)
neben Xi'av (aus X’.c-av), das, ursprünglich gewiss nur in Compo-
sitis anwendbar (woraus sich der Abfall von c erklärt: At[a]-avG^c
,sehr blühend* Orph. Arg. 588), von Epicharm nach Strabo 1. c.
auch in selbständigem Gebrauche gewagt ward. Unser pä nun
scheint mir von Buttmann Gr. I 213 als adverbial gebrauchtes
Neutrum eines Adjectivs poa; — oder vielmehr pai; — richtig
gedeutet zu sein, aus dessen Stamme pa-V sich die sämmtliehen
hieher gehörigen Formen ohne Zwang erklären (pypoio; aus
pyp-ojoc, py/i-jo; Curt. Gr. 4 p. 616, pr/hspoq 11. c 258, o> 243 —
pyjTcpoc Theogn. 1370, paispo; Pind. 01. VIII 60 — pr/hazoq
Od. t 577, c 75 — p^(i)-icxo? Odl 3 565 = att. päcioq, jon.
pY)(t)-(wv = att. pao)v. Tifta Hesych., die Vorstufe des liom. p€ia
und pea [das überall durch Synizesis einsilbig gelesen werden
kann, zum Theile so gelesen werden muss], ist Pluralbildung
von pr/ios, welches aus prji durch Suffix a hervorgeht, wie pr/ioto;
durch Suffix ja und in der Form pao? mehrfach bezeugt ist,
z. B. lies, päov • eir/epe?, xoSoov, eüteXec. Zu paoc gehört das
Adv. pc/Mq bei Suidas und der Comparativ paotcpo? bei Phry-
nichus p. 402 Lob.). Im Anlaute wird durch das äolische ßpä
(Apollon, adv. 567, 20) F sichergestellt, aber auch für den
Inlaut weist die Diärese in prjo'.oq cet. auf den Ausfall eines
Spiranten hin, als welchen uns die Glosse des Hes. pxyavcv •
pactcv 0o6piot wiederum F erkennen lässt. So gelangen wir zu
einer Wurzel vrav, die Ahrens (Programm des Lyceums I zu
Hannover 1873 p. 16) auch in dem ahd. rätoa, mhd. räioe,
ruoive (g-no, ru) erkennt. Im Griechischen hat die Wurzel ausser
pa, paoisq und was damit zusammenhängt (nebst den oben an
geführten Wörtern vgl. noch passiv, patar uyeiav Hesych., die
Zusammensetzungen pa-Ou\j.oq, pact(ivyj [aus pa-EG-novy)], pcj.-v.epoc'
•/glksTzoq TTes., pa-ßJa? 1 di^p.icx; id., pa-8y;Xov [cod. paiSyjXss] • sp$a-
vs? id., sowie pa-0-a\>.r, • paaT<l>vy], pa0up.(a id., paccov • to su/sps?
E. M. 158, 15 [aus pa-O-jov]) keine Schösslinge getrieben; denn
Zusammenhang mit pwwup.i (Kuhn Zeitschr. VI 390, anders
Miscefien zum Dialekte Alkmans.
555
Curt. Nr. 517) oder gar epcosw (Curt. ibid.), wie ihn Alirens
1. c. p. 14 f. annimmt, ist abzuweisen. Die im Anschlüsse an
die Alten (Apoll, de adv. 562, 6 ps« pea • ra ydp eü/epwg y.vo-
;j,£va pücst setze, vgl. Eustatb. 107, 29, E. M. 700, 56—701, 27)
neuerdings von Hirzel ,zur Beurtheilung des äolischen Dialektes*
p. 37 f. versuchte Ableitung von pd aus W. sru wird durch das
für den Anlaut erwiesene r widerlegt. Was die Schreibung des
Wortes betrifft, so ist für das Dorische an pä, für das Aeolischo
an ßpä festzuhalten, da letzterer Dialekt bekanntlich dem t subscr.
abgeneigt ist (Ahr. äol. 99).
VIII. BaFiov Fr. 79.
In BdFtov 1. c. könnte der lange A-Läut aus dem kurzen
der W. oocF (Curt. Nr. 258) ebenso hervorgegaugen sein, wie
z. B. jener von zxyoc aus dem der W. «rp Da aber Priscian
I 21 die durch das ,dimetrum iambicum* erforderte Messung
von oaF als Wirkung des F hinstellt, so muss es auch ein BaFto;
(vgl. sv Sa[F]'i Xu-j-pv)) gegeben haben, von dem eben Priscians
Gewährsmann (Astyages und mittelbar Tryphon) ausgegangen ist.
Es könnte nach dem (offenbar auch der gi’iechischen Quelle
entlehnten) Ausdrucke 1. c. (,inveniuntur etiam pro vocali cor-
rept.a hoc digavimci illi usi . . und ,sic est proferendum [sc. dim.
iambicum], F vt faciat brevem syllabam 1 ) scheinen, als habe man
sich das F vocalisirt zu denken — also odüiov — und dass dies
wirklich die Meinung des Priscian ist, beweist das von ihm zur
Vergleichung gewählte lateinische Beispiel siluae statt silvae
Hör. Epod. XIII 2. Aber bei viersilbiger Lesung würde der
schwere Tacttheil des dritten Iambus in zwei Kürzen aufgelöst
erscheinen, was nicht wahrscheinlich ist. Ebensowenig ist
Verschmelzung des vocalisirten F mit a zum Diphthong au
annehmbar: denn es hätte dann Priscians Gewährsmann in
den Texten des Alkman ohne Zweifel statt oäFtov vielmehr
die Schreibung Saüiov vorgefunden, wie lesb. aüvjp, auw?, vauo;,
?ajo? etc. (Alirens äol. p. 36) und, gerade in von W. BaF
herstammenden Bildungen, äauXcc = oarcc Eustatb. 1654, 28,
osBaupivov • -^spt-eipAsypivov Hes. geschrieben ward. Daher ist
der Vorgang, dev hier stattgefunden hat, unstreitig der, dass
das F in oäFtov, ohne in u übergegangen oder völlig geschwunden
36*
55G
Schn bert.
zu sein, den voranstehenden Vocal um so viel dehnte, als es
selbst an Sprechdauer verlor. In Folge dessen liegt der Vocal
seinem Zeitwerthe nach zwischen einer und zwei Moren in der
Mitte, wird aber im Verse als volle Länge gebraucht, weil eben
die metrische Prosodie, die mit irrationalen Quantitäten nicht
operiren kann, im einzelnen Falle für entschiedene Kürze oder
entschiedene Länge sich zu entscheiden hat. Vgl. zu dem Ganzen
Hartei Hom. Stud. III 55.
IX. xoku^ävsi; Fr. 34 2 .
Das an a. St. überlieferte toXuiSvo?, statt dessen Bergk,
der früher mit Billigung von Ahrens dor. 182 icoXuaoivo; (d. i.
xoXöOcivo;) schrieb, jetzt die Conjectur Fiorillos ~oXu©äj.i,o; auf
genommen hat, wird gewöhnlich dem attischen toXu^mvo? gleich
gesetzt. Es ist dieses Wort, was Begriff und Etymologie betrifft,
mehrdeutig. Man könnte 1. das zweite Glied dieses Composi-
tums mit dem in selbständigem Gebrauche vorkommenden ©ävö?
(W. (pF + vo-s) ,glänzend, licht' identificiren. Wenn Bergk in
den Addendis Bd. III p. 1382, um seinen Restitutionsversuch
Pap. II 9 zu stützen, unter Berufung auf Arcad. p. 63, 18
für dieses Adjectiv im Dorischen die Form <prjv6c in Anspruch
nimmt, so ist dies insoferne richtig, als aus zarpbc, dor.
(= ep. ©aeivis;, lesb. sasvvoc, Urform ©aFss-vo?) durch Contrac-
tion dorisch <pY)vöc wird: die unmittelbar auf die Wurzel ©aF
(nicht auf den Nominalstamm oaFsq) zurückgehende Bildung
wird dadurch nicht berührt und kann ein so entstandenes oä'dq
auch dorisch keinen anderen Vocal haben als ä. Ebenso böte
die Formation des Compositums nur dann Anstoss, wenn
man in ya'ioq — wie Bergk zu Fr. 34. 2 anzunehmen scheint
(,melius conveniret, si quis iraX'u ©astvb? interpretaretur, quemad-
modum est apud Pindarum Isth. V 30 ev Outdata (paevvatg, at in-
solens eiusmodi compositum‘ vgl. add. p. 1382 ,ex tpaeivb;
. . . non ou'ioq sed Doriensium more orpöq ovtum 1 ) — eine (über
haupt unmögliche, weil den Lautgesetzen widersprechende)
Zusammenziehung aus oazwoq oder (pde'/'/oq sehen wollte, weil
dies dann mehr äusserliche Zusammenrückung, als organische
Zusammensetzung wäre. In der That gehören dergleichen Com-
posita fast ausschliesslich der späten Sprache an: TioXiasivoc,
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
557
rcoXuvfcuxo;, zoXü0epp,o<;, xoXuxüSioToe; °p.axap, 0 [j.aTatoc, Vfapoc, °^v)po<;,
"TOVKjpo;, °Tipaoc, n <jsp,vos, °!?pipoc, "uxrio?, 0 fAuXog > "yOivepog, mit Aus
nahme etwa von xuXoxotxiXos, das Eubulos bei Athen. XV 679 d
braucht und xoX6y_Xü>ps? bei Hippocr. Instructiv ist 7roXußa0v[:;
(nicht xoXißgDüc), xoXupsYeOv]? (nicht toXu^syo«;), sowie das Ver-
hältniss von xoXuppoOto? (erst bei Arat. 412) zu i:oX6ppo0oc (schon
Aesch. Sept. 7), von xoXuöXßio? : xoXuoXßoc, xoXuxXoicuo;: tcoXiAXoutoc,
TtoXuTijxto«; : -oXuT’.p.sc. Nur wenn das zweite Glied ein Verbal-
adjectiv auf iog ist oder noch deutlich in seinem Zusammen
hänge mit einer Verbalwurzel gefühlt wird (xoXutXi^wv Hom.,
mXuYvwpwv Hat., xoXup.v^p.o)v Plut. — hierher würde auch
unser xoXiipavci; gehören, sowie wohl auch 7uoX6xiz.poc Od. x
255 W. xty. [,stechen'?] —) oder das erste Glied nicht blosse
Steigerung des zweiten ist (= ,sehr“), sondern zu demselben
im Verhältnisse syntaktischer Kection steht (Objectiv- oder
Dependenzcomp., xoXöxotvo? [Pind. Pyth. II 41, Soph. Ai. 1192]
= xcXXois y.ov/cg, xoXücpiXos [Pind. Pyth. V 4] = xoXXoi? <piXoc,
xoXüy.evoc [Plut. Symp. 8, 3, 2] sc. ■/akf.og = xoXXa y.svop ,viele
leere Zwischenräume habend“) sind solche Zusammensetzungen
völlig legitim. Von diesen beiden Seiten also ist xoXuyxvoc un
bedenklich: wohl aber würde die Bedeutung ,sehr glänzend“,
die Bergk unter Vergleichung von Pind. Isth. V 30 gerade
besonders passend findet, unseres Erachtens nicht zulässig sein,
da sie zwar als Epitheton der glänzenden“ Staatsopfer der
Aetoler (den Oineiden zu Ehren) bei Pindar, keineswegs jedoch
als Beiwort der wildorgiastischen Bakchosfeier am Taygetos,
von der offenbar bei Alkman die Rede ist, entspricht. Diesem
Uebelstande lässt sich abhelfen, wenn man 2. xoXuoxvo? im Sinne
von ,viel rufend, lärmend etc.“ nimmt — ein der Taygetosfeier
ganz angemessener Begriff. Die Berechtigung, dem Worte die
Beziehung auf den Gehörsinn zu leihen, würde sich im All
gemeinen aus dem ergeben, was Curt. Gr. Nr. 407 über die
Bedeutungen der AVurzel oa und ihrer Nebenformen ©ocv, <jpaF
zusammenstellt. Aber trotzdem könnten wir, da, soviel man
sieht, der Sprachgebrauch gerade bei zavog die genannte Be
deutung nicht entwickelt hat, zu solcher Erklärung uns nur
dann entschliessen, wenn sich keine andere Möglichkeit zeigte.
3. Könnte xoX6<pavo? als blos dialektische Varietät von xoXütpwvoc
aufgefasst werden — nach der Gleichung xoX6f«vo? : cg
558
Schubert.
= deapig : Oeupcg, -py-oc zu Ttpwto? etc. Ahrens clor. 182 bezweifelt
diese Aufstellung, ohne Gründe anzugeben, vielleicht aber des
wegen, weil wir sonst von einem dorischen <p8va = ®covr, keine
Spuren haben (bei Alkm. selbst ist Fr. 140 owvaR, 26, Igepöcpwvot
überliefert): und in der That wäre es eine missliche Annahme,
dass (fix'ia, °®avoc im lakonischen Volksdialekte wirklich vorhan
dene Wortformen gewesen seien, die der volksthümliche Dichter
ab und zu aufgenommen habe: eine Annahme, welche an dem
ebenso singulären und ebenso zweifelhaften /wxapav 76 2 nur
eine schwache Stütze fände. Wollte man aber trotzdem mit
Welcher, Brugman Stud. IV 157 “aavo? mit 0 ®wvoc und cfwvj
identificiren, dann wäre es durch ,vielstimmig' zu übersetzen,
während es nach 2. ,viel (laut) lärmend, rufend' o. dgl. hiesse.
«bcovf, wird von Gurt. 1. c. auf die einfachste Wurzelgestalt ®a
durch Steigerung zurückgeführt; ebensogut möglich wäre Her
kunft von saF, da auch dieser Wurzelgestalt, wie w.oaüsy.w zeigt,
die Bedeutung ,durch Stimme,.Rede zeigen, künden' nicht fremd
ist und wir werden diese Herleitung mit Brugman 1. c. vorziehen,
da wir dann für die Vocallänge statt der mehr facultativen
,Steigerung' einen greifbareren, zwingenderen Anlass (nämlich
,Ersatzdehnung') gewinnen. Es stände somit •xoKvtpmoq allerdings
wieder für ttoX'WF-voc, wäre aber jetzt mit der Wurzel saF nicht
unmittelbar, sondern durch Vermittlung von ®aF-vo= d. i. suvf,
zu verbinden. Doch gibt es 4. noch eine sonderbarerweise bis
her nicht beachtete Möglichkeit der Erklärung des Wortes, für
diö ich mich unbedenklich entscheide. Man kann sich nämlich
allerdings bei der unter 1. besprochenen Bedeutung ,sehr glän
zend' beruhigen, sobald diese nur nicht figürlich (wie Bergk
thut), sondern im eigentlichen Sinne aufgefasst und auf den
Fackelglanz der nächtlichen Feier bezogen wird; ja man
könnte dem zweiten Gliede der Zusammensetzung unmittelbar
das Nomen ®avic oder ®avj = fax zu Grunde legen, wodurch
das Compositum ein attributives oder sog. Bahuvrihi würde:
soprlj woXXob? epavoü? (i;d)<Xhq saväc) r/3ucra o. dgl. Dass dieser
Sinn dem Contexte vortrefflich entspricht und das Merkmal
,hell leuchtend' oder ,an Fackeln reich' der nächtlichen Diouysos-
feier nicht minder angemessen ist als jenes andere ,vielstimmig'
u. s. w. bedarf nicht der Erörterung. Vgl. Soph. Antig. 1126,
Eur, Phon. 226.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
559
X. T; als Contractionsproduct von a + e (et, Yj).
Für diese allgemein dorische Contraction sind die Belege
aus Alkinan unter VII angeführt. Auch Fr. 68 dürfte statt
des corrupten aip.a xa (a'.jj.a xd), worin Hermann wohl richtig die
3. sgl. praes. von einem sonst unbekannten aipuxdco = aip.axcco,
aipaxiCü), aip-dcc« erkannt hat, aip.axY) zu lesen sein. Schneide-
wins aip,dxa, ein nach Muster von nraöxa, vjiruxa, p.v;x£ex<z etc. ge
bildeter äolischer (Ahrens aeol. 109) Nominativ (= ,Blut-
vergiesser'), wofür man vielmehr aipidxäxa (von atp.axdw wie
•/.ußepvvjXYjs von y.ußepvdw) oder — wenn der Nominalstamm zu
Grunde gelegt werden soll — aipdx-txa (wie mjp-i’xYj?) erwartet,
entspricht dem Metrum nicht, weil sämmtliche von den Gram
matikern für diesen xurcot; AtoXr/.ö? angeführten Beispiele (es sind
lauter homerische bis auf ’Ap'/uxa und 'Aßpayspa scholl. Dion.
Thr. 818, 30, Greg. Cor. 603 — in unseren Resten des äoli
schen Dialektes finden sich keine Belege) als Stammauslaut
kurzes a zeigen. In dem genannten Fragmente wären dann
überhaupt die dialektischen Originalformen durch die gewöhn
lichen verdrängt: wie p.sp.avsv durch pspjVEV, so ai[mxfi durch
aip.axa, das dann weiter die Corruptcl zu atp.oc xd (aip.a xd) erfuhr.
Ebenso scheint Fr. 121 wenigstens soviel sicher, dass die Form
cqd, welche Gram. An. Ox. I 55, 7 auf d-pdto, eine (auch Od. e 119
oi xs Osatc dvdacOe irotp’ avSpaacv suvd£sa0at freilich in anderer Be
deutung vorkommende) Nebenform von äyu.[iM = Gaup.d^w zurück
geführt wird, in dvp (2. sgl. med. conj.) umzuschreiben ist:
worauf auch die Corruptel dys bei Herod. tc. p.. A. 22, 15 führt.
Der Vers des Alkman mag nach den Spuren bei Herodian etwa
eüx’ av xoo’ üyy] «vBp6<g gelautet haben.
XI. Yj als Contractionsproduct von s + e.
Die strengdorische (zugleich äolische) und bei Alkman
zu erwartende Contraction von e -f- e zu yj wäre, wenn wir
der Ueberlieferung folgen, überall durch die der Doris mitior
angehörige (mit der attischen übereinstimmende) Zusammen
ziehung zu e: ersetzt. Fr. 93 zwar ist •qyeheu überhaupt eine
ganz undorische Form, die wir uns nicht besinnen werden mit
Schneidewin in dy?jXGa (oder vielmehr in af^xai) 211 ändern; aber
«UM ■.mju^Maf.amam^sssr v*ag=. „r
560
Schubert.
auch der Papyrus hat II 25 opap.stTa'., III 17 ewtoip.i (ebenso Fr. 47
skate). Doch kann kein Zweifel sein, dass solche Schreibungen
bei Transscription in das neue Alphabet in die Alkmantexte
eingedrungen sind und die Originalformen Spap.ijxat, ljuotp.1, ■ipa.-z 1
gelautet haben (wie denn f^ov und yr/.ov Et. M. 419, 40 nach
Apollonius als dorisch und -? ( tcov selbst Prise. I 54 als äolisch
bezeugt wird). Ebenhieher gehören die Infinitive auf r,v, über
die schon bei Besprechung der neuen Collation der Papyrus
zu II 9 gehandelt ist.
XII. yr,p6c Fr. 32 und Verwandtes.
Das y) dieser Form beruht auf Ersatzdehnung eines s bei
Schwund von p. Die zunächst vorauszusetzende Vorstufe liegt
in dem äolischen /eppe? (Ahr. äol. 60) thatsächlich vor, dessen
pp wahrscheinlich durch Assimilation aus pj hervorgegangen ist.
Die zu dem dorischen stimmende voreuklidische Schrei
bung otayEoikiv xEpotoveiv (Cauer Stud. VIII 256) beweist nur,
1 Der merkwürdige Umstand, dass eTjce die einzige Wortform ist, welche
in den voreuklidischen Inschriften consequent mit KI statt des zu er
wartenden E (wie Kpyagato, üjEpyaapAo;) sich geschrieben findet, könnte
gegen die obige Aufstellung Bedenken erregen, insoferue er darauf hin
zuweisen scheint, dass jenes KI hier ein ,echtes 1 gewesen und daher auch
für den strengdorischen Dialekt berechtigt sei, so dass also bei Alkman
e’uioijju, Emorrs nicht anzutasten wäre. Cauer de dial. Att. vet. Stud. VIII 257
sucht in der That — wenn auch zweifelnd — für besagtes Kl darin eine
Erklärung, dass er eit.O') auf IpEpntov (in Folge von Dissimilation aus
EpEpEnoy geschwächt) zurückführt. Da aber in voreuklidischer Zeit noch
sonst ,£t adulterinum 1 hie und da durch Kl graphisch ausgedrückt wird
(in Eival, ocpslXio, xEipoTovijoai, IrcsaTaTSi etc. gegenüber den gewöhnlichen
Schreibungen Evat, öoEXto, 3iayEpJ^eiv) : so ist, wie ich glaube, kein Grund
vorhanden, in ilr.t das El anders aufzufassen, als in den angeführten
Beispielen, d. h. als Zeugniss, dass die jonische Orthographie in diesem
Punkte schon vor ihrer officiellen Beception allmälig einzudringen begann.
Begreiflicher Weise konnte gerade in dem in den Eingangsformeln der
Psephismata immer wiederkehrenden eTjte diese Orthographie, einmal ver
sucht, sehr leicht stabil werden und eben weil es nur das genannte Wort
ist, in dem wir dem Kl beständig begegnen, so scheint uns dies ein
Beweis zu sein, dass man für dasselbe hier eine innere Begründung zu
suchen nicht berechtigt ist. Das Sapph. 28 2 , Ale. 50 2 , 55 überlieferte
iir.Ti'i fällt gegenüber dem durch das ausdrückliche Zeugniss Prise. I 54
gesicherten tjr.ov (nicht f,~ov, wie noch Ahrens citirt) nicht ins Gewicht.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
561
dass das attische ei dieser Wörter auf Ersatzdehnung, nicht
Epenthese beruht und sagt uns nichts über den Laut, der einst
hinter p gestanden hat; solange aber für F oder er Stichhaltiges
nicht vorgebracht ist, 1 werden wir, da andererseits der Stamm
•/ep! in Compositis am Tage liegt (Rödiger Comp. 58, G. Meyer
Stud. V 86), an der oben gegebenen Erklärung festhalten dürfen. 2
Dies vorausgesetzt, hätten wir auch im Attischen eine verschie
dene Behandlung des pj in crcEIpw, oGEIpw etc., und in yjipöc,
•/EpoTovsTv etc., die mit gleicher Doppelbehandlung jener Laut
gruppe im strengdorischen Dialekte parallel ginge (att. cüEIpw
aus creepjco : yßpoc, aus yspj-cq == dor. sev. cäeipu [Curt. Gr. 4 p. 670,
Brugman 1. c. 99 Anm. 36, p. 117 extr.] : yjjpcp). Freilich hat
dann die Sprache den Vocal i, den sie in dem einen Falle
(cnrEi'pw) aus dem Spiranten erst entstehen liess, in dem anderen
(ysipcp), wo er ihr von vornherein gegeben war, umgekehrt in
den ITalbvocal Umschlägen lassen (a^Ep-jw, cxsp-iu, ciiEip-cw,
GTrEi'pw-yepi-cp, -/spj-o<;, yjppoq, yjqooq [att. jon. ystpöc]): doch kann
das bei dem mannigfachen Austausche und der nahen Ver
wandtschaft der beiden Laute nicht auffallen. 3 — Wie yztp ist
1 Gewiss wird man hieb er nicht rechnen den Versuch Benselers quaest.
Alcm. pars I p. 8, der einen aus X. £ P £ S verkürzten Stamm yspa ansetzt,
von dem auch yepaoc, yzpoato's etc. herkommen soll. Ueber letztere Wörter
s. Fick p. 70. Ein sa-Stamm der W. yzp = ghar ist und dieses ist
(Curt. Nr. 189) ,das passive Gegenstück zum lateinischen herus‘. Als
Bildung mit Suffix zg würde vielmehr to yspo? oder o (rj) yipr\<; gen.
y£ps(a)-o<; (also — gerade umgekehrt — mit Bewahrung von z und
Schwund von a) zu erwarten sein.
2 Brugman entscheidet sich nicht und stellt yvjp unter Verweisung auf
Benfey II 371, Ebel K. Z. IV 346, Hirzel ,zur Beurtheilung des äol.
Dial. 4 p. 55 unter die Beispiele von ,pp incertae originis‘ Stud. IV 118.
3 Sämmtliche Declinationsformen von yzlp erklären wir uns in folgender
Weise: 1. St. yzp a) nom. sgl. in allen Dialekten: attisch und mild
dorisch (Epich. Fr. 118) yzlp aus ysp-S (erhalten bei Tirnocr. 9; ;yzlp
aus ygp-? : Traivjp aus zcazp-g — uQzlg aus tiösv(t)-; : Tzotpjv aus zoip-cV-;
vgl. Brugman 1. c. 88 f. — also eine jüngere Art der Ersatzdehnung), lesb.
und streng dorisch yyjp (Ahrens äol. 89, dor. 159) aus ysp-; b) dat.
pl. yjp-al c) auch alle übrigen Casus in der Dichtersprache:
yjpoit yjpl, yjpoij ydpz$ etc. 2. St. yzpi: hievon in sämmtlichen Dialekten
die casus obliqui mit Ausnahme der gewöhnlichen Form des dat. pl. und
gen. dat. dual.: att. u. mild dor. (yjpj-oq, yzpp-oc) ysipoq, lesb. (yepj-oc)
yJppo<; etc. (Ahrens äol. 60), strengdor. (yspj-os, yepp-05) yy)pog etc.
Der Hesiodische dat. pl. yspsaatv (Theog. 519, 747) geliört gleichfalls
1
562
Schubert.
gebildet Sei'p (Curt. Nr. 663), für das wir ein strengdorisches
^■fip erwarten dürfen, und in der Tliat finden wir diese vor
Auffindung des Papyrus unbekannte Form in dem von -f ( p
(d. h. vom St, Zepi) mittelbar weitergebildeten Svjpijvis, dessen
Pluralgenetiv Blass in dem III 28 erhaltenen Reste CHPl-CO
richtig erkannt hat. Darnach wäre Fr. 7 Ssipvjv zu corrigiren
in Zujp^v, während astptoc d. i. svar-jas, worauf Pap. II 28 das in
Folge jener in alexandrinischen Handschriften sehr gewöhnlichen
Vertauschung von et und t (vgl. I 15 (ACIAOC [verschrieben
statt -eSsiXos] für eoiXoc) überlieferte «piov führt, die gewöhn
liche durch Epenthese entstandene Bildung aufweist. Wenn
wir 2v)p^v mit W. svar splendere zusammenbringen, so denken
wir daran, dass, um mit Preller Gfriech. Myth. I 481 zu
sprechen, ,diese Musen der See ein bildlicher Ausdruck sind
der glatten Spiegelfläche des Meeres, unter welcher sich
die Klippe oder die Sanddüne, also Schiffbruch und Tod
verbirgt 4 . 1
Endlich wird v.r^'jkoc, 26 2 diesem Zusammenhang zugewiesen
durch Schol. Arist. Av. 300, Suid. s. v., insoferne es dort für
liieher. Das liom. yjlps-aai und yjlpe-ai (nur 11. u 468) vom St. yjipi
(durch Epentliese aus yEpi). 3. St,, yspo: gen. dat. dual, yspotv 4. der
St. yetpo in ysipoiv (Sopli. El. 206, 1394) und als erstes und zweites
Glied von Compositis (yEipo-rjOes, ixaroy-yapos) ist Analogiebildung. Vgl.
G. Meyer Stud. V 86.
1 Allerdings begegnen wir der Wurzel svar = splendere im Griechischen sonst
nur in der Anwendung auf Glanz (und Gluth) von Sonne, Mond und
Sternen und andererseits scheint Christs (Gr. Lautl. 257 vgl. Schenkl
Oest. G. Z. 1865 S. 225) Herleitung von ^Eiprjv aus svar — sonare begrifflich
besser zu entsprechen. Aber letztere AVurzel tritt griechisch in anderer
Gestalt auf (cup in uupty!; Curt. Nr. 519, oaX in odXmy? für apaXziy!"
Nr. 388), die gleiche Doppelanwendung auf Glanz der Sonne und des
Meeres finden wir auch bei W. yaX (vgl. yxX-ywj Curt. Nr. 123 mit Hes.
yiXav ■ «uyfjv f|X!ou) und dass auch die von Preller angenommene Personi-
fication eine passende ist, scheint mir nicht zweifelhaft. Nur wäre dann
die für die Sirenen wesentliche Vorstellung des verlockenden, sinn
bestrickenden Gesanges nicht zugleich diejenige, von der bei Schaffung
der Personification ausgegangen worden ist, aber eine mit letzterer (d. h.
mit der Vorstellung des glänzenden, schimmernden Meeres) enge verknüpfte.
Auch die glatt daliegende See mit ihrem einschmeichelnden ,Wellengesang 1
hat ihre Gefahren, ebenso wie die stürmisch bewegte, weil sie die im Sturme
blos gelegten Sanddünen und Klippen dem Auge des Schiffers verbirgt.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
563
dorisch erklärt wird gegenüber dem attischen y.etpüXic. Weitere
Vermuthungen verbietet die Unklarheit der Etymologie dieses
Wortes. 1
XIII. xXeixei Fr. 95.
Dieses Wort (Nom. xb stXeExoq), eine dem poet. und hom. -/.Xstü?
Fern. ,Abhang' parallele Nebenform mit Suffix ec, der wir auch in
dem y,Xlxea des Apoll. Rhod. I 599 (yXitea IIz/Xrficaa., Kavaöxpanrp
ünsp dExpxjv) und mit Verkürzung des t in yXfxcx; bei Späteren
(z. B. Anth. VII 699 fl oute ßöpEiov sq xXtToq) begegnen, gehört
unter die Fälle, in denen et der (im Dorischen ebenso gut wie
im Attischen und Jonischen erscheinende) Steigerungslaut von
i ist, also zu eSe^ev (or/.) Fr. 37 1 ■— -/ e D- a 76 2 , 79 u. s. w.,
mögen wir in dem Vocal der Formen mit t mit J. Schmidt
1. c. 140 (vgl. 142) ,ein fossiles Vorguna', eine mit Vocaldehnung
lautlich zusammenfallende Vocalsteigerung — oder mit G. Meyer
Bezzenbergers Beitr. Heft 2, p. 84 Zusammenziehung aus ei
erblicken (Reihe: y.Xetroq, y./utoq [y.Xlxiq], y.Xtxoc). Verfehlt ist die
Annahme Welckers, der mit Rücksicht auf das die Alkmanstelle
1 Aus der Alkmaustelle gellt zunächst nur Verkehr oder Lebensgemeinschaft
des xqpuXo; mit den aXxuövE; hervor; durch Antigon. Caryst. hist. mir.
27 (23), dem wir das ganze Fragment verdanken und auf den sicli
Hesych. s. v. xEtpüXo; beruft (s. v. X7]püXo; ■ ctporjv opvt; auvouataatixo'; ’
tive; Be aXxuova) sowie durch Suidas s. v. x7)puXo? • ö dpprjv dXxuiöv erfahren
wir, dass das Männchen der aXxuo've; so geheissen habe; doch hilft uns
das nicht weiter, da trotz der ausführlichen Beschreibung bei Aristoteles
hist. an. IX 15 ,die Zoologen durchaus nicht wissen, welcher Vogel mit
dem Namen dXxucov bezeichnet wird, so berühmt er im Alterthum gewesen
ist 1 Kock zu Arist. Av. 251. Benseler 1. c. 8, der von xspcr, d. h. der
• durch das Determinativ a erweiterten Wurzel xep (oxep Curt. Nr. 53)
ausgeht, meint, xrjpüXo; = XEtpuXo; stehe für xeps-uXo; und sei vielleicht
derselbe Seevogel ,quavn Angli nostvae aestatis slcirr appellant‘. Doch
scheint es nach dem Zusammenhänge der Stelle bei Arist. Av. 300 (der
verwunderten Frage des Peithetairos xetpuXo; ydp loxw o'pvt;; Euelpides :
ou yip iöti XuopylXo;;), dass die Form mit Et überhaupt nur auf einem
witzigen Wortspiele beruht (und die Notiz des Euphronius beim Scliol.
z. d. St. und Suid. 1. c. EOtppovtö; <pj|Ot xou; Atopie“; Xt'yEtv • ßaXe or; ßdXs
xrjpuXo; s’trjv, -ou; 8e ’ÄTTtxoi); x.st'puXov. . . xa! pc^ore T.apit TO xefpEtv
Eo^rjptditarat. '0 Be X-opyiXo; yjv xoupeü; erst aus Aristoph. gezogen ist),
wie auch Diudorf annimmt ,certum est avis nomen fuisse xrjpuXo;: sed
xstouXo; dixit, ut Sporgilo tonsori nomen accomodaret 1 . Es würde dann,
Herkunft von W. xep vorausgesetzt, die vocaldelmende Kraft des p
(Schmidt Vocalism. II 309) zur Erklärung des r, genügen.
564
Schubert.
offenbar missverstehende Scholion II. p, 66 oüxo>q [nämlich wie
c'sivc? : axelvc?, pi.ay.poq : p.dy.po; (Arist. Av. 1131 xoO [yctypou?) = |jtv;y.cc]
y.a't to yXeixö? • ouSixepov yap ■yevöp.evov ßapüvexat xxap’ ’AXxp.ävt xo> ev
©eccaXi'w y.Xefxei und den zweiten Theil der Glosse des Hesychius
s. v. yXctxse y.Xtp.axt, ywvta, ctyaGr; Sö^a (äyaO-?) So^p?) . . . unser
Wort im Sinne von ocEr, fasst und Bergks z. d. St. vorgebrachter
Vorschlag, nach Et. Gud. 327, 55 y-X^xei zu schreiben im Sinne
von TiX^Gst. (Natürlich sind beide Wörter verschieden: ersteres
stammt von W. y.aX, y.Xa, y,Xs und muss etwa soviel wie y.Xvjc.c,
lat. classis ,Aufgebot' o. dgl. bedeutet haben). Uebrigens scheint
Alkman das Wort in einer von der gewöhnlichen sehr verschie
denen Anwendung nämlich im Sinne von y.Xio-p.oq gebraucht zu
haben, da sein ©scolXtcv y.Xelxot; doch wohl mit dem ©sacraXixbi;
Gpcvcq bei Athen. I, c. 50 (yuiuv xpu^pcoxaTV) ISpa) identisch
sein wird. Vgl. Lobeck Rhemat. 292.
XIV. xs{ Fr, 53.
Mit diesem merkwürdigen dorischen Accusativ (— att. ge),
der von Apollon, de pron. 366 C in einem von Ahrens (Rh. Mus.
VI 234) und Bergk dem Alkman zugeschriebenen Verse 1
angeführt wird, vergleicht Ahrens dor. 254 das böotische xiv
Corinna 4 (Theocr. XI 39, 55, 68), das er im Anschlüsse an
die bei Apollonius erwähnte Ansicht Einiger, welche das i von
xtv als Länge ansahen, auf xet -J- v zurückführt, woraus nach der
böotischen Lautregel xiv werden musste (wegen des v wird
böot. xouv verglichen). Gewiss ist jedoch xfv nichts anderes, als
eine der Nominaldeclination entsprechende Accusativbildung
mit v, während xei und das gleichartige qj.si des Epicharm
(Apoll. 1. c.) den gewöhnlichen, ohne Casusendung gebildeten
Formen epi, ce, £ sich anreihen, in denen Curtius Stud. VI. 421
blosse durch Abfall eines Dentals zu erklärende Stammformen
erkannt hat, welche mit den Sanskritstämmen mat, tvat, asmat,
juslimat und — abgesehen von der Quantität (1. c. p. 424) —
mit den altlateinischen Accusativen med, ted, sed, Übereinkommen.
1 In diesem (Fr. 53) scheint die Restituirung von Ahrens xsi yao ’AXsGvopiü
oapaccfsv (statt des überl. ’AXE?avopw oapaasn) und die Beziehung auf
Aphrodite und Helena vor Bergks ’AX^avopo; octpasev, was etwa auf
Achilles bezogen werden könnte, den Vorzug zu verdienen.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
565
Das t von ist ist ohne Zweifel deiktisch (Beermann Stud. IX 74):
xsl demnach aus ts-1, wie bei Apollonius geschrieben wird: bei
Alkman wird die einsilbige Form durch das Metrum erfordert.
Ueberdies wird die Existenz eines zd neben tsi durch Apoll,
de pron. p. 365 C erwiesen. Natürlich könnte t erst nach
Verlust des stammhaften Dentals angetreten sein, auch wenn wir
uns spst und zd als alte und von vornherein feste und nicht
vielmehr als verhältnissmässig junge und gewissermassen be
wegliche Bildungen vorzustellen hätten, die gegenüber von eps
und re (Alcm. 52, Arist. Ach. 779 Theocr. I 5) wohl noch
deutlich als Verstärkungen gefühlt wurden. Eine andere Er
klärung gibt Fritsch Stud. VI 120; doch ist dabei auf die
Schreibung spet, zd keine Rücksicht genommen und ebensowenig
lassen sich unseres Erachtens die genannten Formen aus dem
früher angeführten Grunde mit alten Bildungen wie toi', zd,
yjpsüov, upeiwv etc. auf gleiche Stufe stellen.
XV. sixa? oder ol-/.a.q (Fr. 80)?
An der a. St. sind dv.aq und oka? so ziemlich gleich
bewährt (s. Bergk): aus inneren Gründen werden wir uns aber
mit Bergk (gegen Ahrens dor. 340) für letzteres zu entscheiden
haben. Er/.ac könnte nämlich nur aus eov/.aq zusammengezogen
sein, da ein fe.-fiv.-aq oder (Fsj-Fsty.-ap der Analogie wider
streitet: denn weder ist Bildung von der ungesteigerten Wurzel
im Singular, noch Steigerung von i zu st im Indicativ eines
starken Perfects denkbar. Aber ein so (durch Zusammen
ziehung aus sot) entstandenes st wäre im Indicativ von sor/.a
durchaus singulär: nirgends finden wir von einem sTxa. statt
sor/.a, einem sty.ajj.sv oder srppsv für soty.ap.sv oder soiypev, von
stVats statt eotVaxe, stVaot statt sor/.aet eine Spur. Et^aot, bis auf
die Behandlung der Reduplicationssilbe genau wie Fs-Fi(3)-crao-t
gebildet (Curt. Stud. I a 245), steht für fe-fu-cac., sty.iov für
Fs-Fr/.-xov, beide Formen gehen also auf die ungesteigerte Wurzel
zurück. (Ety.s II. o 520 stellt Bekker Hom. Bl. 137 richtig als
Imperfect zu st'y.stv und statt des sr/.sv des cod. Rav. Arist. av.
1298 wird jetzt mit Recht py.eiv gelesen nach Bekk. an. 1379
py.siv avtt toi) suxst • optuc; sy.aXslxo • y.at -fap •jjy.eiv oproyt). 1 Betreffs
1 Es ist weder ein ,apokopirtes‘ Plusqupft. statt eofx.EE (Döderlein hom.
Gl. Nr. 421), noch ein (unmögliches) Imperfect eTxs statt Ep ixe (Kühner
566
Schubert.
der anderen Formen mit st ist es nun allerdings sehr wahr
scheinlich, dass der Diphthong nicht auf organischem Wege ent
standen, sondern an die Stelle von ec. getreten ist: aber es geschah
dies wohl nicht durch lautliche Contraction, sondern durch Ana
logiebildung. In Betracht kommen hier nur eiy.evat (Eur. Aristoph.)
und eiy.io?, v.v.tc (über eiy.uia sogleich). Bei Homer heisst es stets
eor/.u^ mit einziger Ausnahme von II. <s 254 (er/.ü?), dagegen
wiederum immer eiy.ufa (über das xk. eip. sioiy.uTxi II. c 418 vgl.
Hartei Hom. Stud. III 29) oder, wie überall gelesen werden
kann, siV.uia d. i. Fs-Fly.-ma, was zu der Regel stimmt, dass das
Fern. part. pft. überall, ,wo es das Metrum zulässt/ aus dem
ungesteigerten Stamme gebildet wird (vgl. Gurt. Verb. II 193,
137, 229). Es Hesse sich sagen (vgl. Kühner Ausf. Gr. I 808),
st sei aus dem Femininparticip in die übrigen Formen ein
gedrungen; fragt man aber, warum sich dieses Eindringeu
gerade auf den Infinitiv und das Particip masc. neutr. beschränkt
habe: so bleibt, namentlich was den ersteren betrifft — denn
bezüglich des Particips könnte die Zusammengehörigkeit der
drei Genera geltend gemacht werden — wohl keine andere
Antwort übrig, als dass der Parallelismus von etSsvat und
s’.ooj; (6<;) auf si/ivae und sIvmq (6c) eingewirkt hat. Andere ei-
. Formen von o'ica —eiäö und elSeirjv — lagen von eoiy.w und eotxoi|/.c
zu weit ab, um sie zu beeinflussen. Da also das st, soweit wir
die Flexion von sor/.a bei dem zu Gebote stehenden dialektischen
Material übersehen, nur auf einen ganz bestimmten Kreis von
Formen (3. pl., part., inf.) beschränkt 1 und in diesen die
Annahme lautlicher Contraction entweder ausgeschlossen (3. plur.,
part. fern.) oder doch einer anderen Auffassung ■ gegenüber
unwahrscheinlich ist, somit die für siy.a? einzig mögliche Er
klärung auf sichere Analogien sich nicht stützen kann, da
ferner fürs Dorische eine solche Contraction oder etwa Schwächung
von oi zu st anzunelimen keine Veranlassung vorliegt, ebenso-
Ausf. Gr. I 808) zu statuiren. Mindestens wäre e?xe, wenn man es aus
sp'/.E erklärt, als Aorist zu bezeichnen, oder — wenn es als Imperfectum
bezeichnet wird — aus Epei/te, eeixe zu erklären.
1 Es bedarf daher der Einschränkung, wenn Ahrens dor. 340 zur Stütze des
angeblichen Etza; sagt: ,breviore illa perfecti forma etiam Attici utuntur‘. —
Auch das Aristophanische pxsiv beruht, wie kaum zu bemerken nöthig,
nicht etwa, auf einem aus Eoixa contrahirten Ei'/.«, sondern verhält sieh zu
Eoua, wie rjosiv zu oioa.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
567
wenig eine specifiscli dorische Form existirt, von der iiv.ac
ebenso leicht hätte attrahirt werden können, wie eixivai und
ckd)? von eioevac und siSjiÖ?: so werden wir zumal bei dem
Schwanken der Ueberlieferung elv.aq für eine Unform erklären
und dafür bei Alkrnan mit einem Tkeile der Quellen oTxx;
schreiben müssen. ONa steht jedoch nicht unmittelbar für Fe-roiza
mit Abfall der ganzen Reduplicationssilbe (wie oiSa für Fs-Foioa,
wo nach dem Zeugnisse von skt. veda und goth. vait die Redu-
plication schon vor der Sprachentrennung sich abgelöst hat),
sondern zunächst für icv/.a, sei es dass das e einfach abfiel, oder
in dem folgenden Diphthonge aufging. Vermögen wir auch
die Form or/.a nur aus dem Neujonischen nachzuweisen, so
folgt daraus keineswegs, dass Alkman dieselbe aus diesem
Dialekte entlehnt haben müsse (Benseler 1. c. 11 ,licet suspicari,
Jones forma ol-m iam Alcmanis temporibus coepisse uti Alcnianemque
lianc formam ex Asia secum in Laconicam tulisse‘): gewiss konnten
Dorisch und Neujonisch unabhängig von einander zu oiza gelangen,
so dass bei letzterem in zwei Dialekten schliesslich dasselbe
geschah, was bei oloa — wenn auch in Folge einer etwas anderen
Entwickelung — in allen Mundarten von jeher Regel war.
XVI. Tpeic Fr. 76 t.
Fr. 76, ist -psR (acc. pl.) überliefert. Aus C. I. 5773
(Brutt.) und den herakleischen Tafeln lernen wir die Form TpR
(immer als nom., nur Brutt. u. I 144 als acc.) kennen, die dem
nach der strengen Doris angehört. Gewöhnlich gilt nun Tplc, das
man durch Contraction aus Tpi-s; entstehen lässt (Ahrens dor. 278
Meister Stud. IV 385), für eine Bildung aus dem ungesteigerten,
TpeR dagegen für eine solche aus dem zu Tpsj gesteigerten
Stamme xpi. Diese für den ersten Blick plausible Auffassung
bleibt es nur so lange, als man sich auf Vergleichung des
herakleischen und des attischen Dialektes beschränkt: denn
allerdings stimmen die genannten Formen mit der in diesen
Dialekten sonst geltenden Behandlung der I-Stämme überein.
Wie erklärt es sich aber, dass auch das Neujonische und
Milddorische, die doch gleichfalls das t der I-Stämme nicht
steigern, einzig die Form Tpsic; — das Aeolische, für das nicht
minder Tpt's; erwartet wird, ein auf Tpsjsc zurückweisendes
568
Schubert.
Tpvjc (Ahr. äol. 90) bietet? Obwohl wir es mit einem Zahlworte
zu thun haben, ist es doch nicht denkbar, dass die ei-Form
von einem einzelnen Dialekte aus über die übrigen sich ver
breitet hätte, ebenso wenig aber, dass die Mundarten unabhängig
von einander zur Steigerung des i gelangt wären: sondern es
weisen die vorhandenen Bildungen sämmtlich auf ein schon
urgriecliisches "psjs? = skt. trajas hin, aus welchem nach
Ausfall von j äolisch durch regelrechte Contraction von e + £
zu T; Tpvj?, att., jon., milddor. durch Zusammenziehung von
£ -)- £ zu xpsfs ward. (Diese Contractionen müssen sehr früh
eingetreten sein, da wir von offenen Formen keine Spur finden.
Wegen des letzteren Umstandes aber xpsT? aus xpeje? sich etwa
so entstanden zu denken, dass s in £i aufging, ist wegen der
altattischen Schreibung xpEp [Cauer Stud. VIII 258] unzulässig.)
Hieraus folgt, dass auch für das Strengdorische von xpEjs?
auszugehen ist. Weiterhin jedoch die Form zu bestimmen,
welche sich aus dieser Urform in der Doris sev. entwickelt
hat, scheint uns wegen Mangels sicherer Zeugnisse unmöglich.
Man erwartet nach strengdorischer Contractionsregel xpyj<; wie
im Aeolischen. Aber Bedenken macht das Stillschweigen des
Choeroboskus, der Ox. II 267, 10 xpfjs eben nur als äolisch
kennt, obwohl, wäre diese Form, die in ihrem Gegensätze zu
dem sonst allverbreiteten xpst? den Grammatikern merkwürdig
genug erscheinen musste, auch strengdorisch gewesen, eine Er
wähnung davon besonders nahe lag. Möglich also, dass das Streng
dorische hier gleich den übrigen (ausseräolischen) Dialekten
die Schwächung von yj zu £i eintreten Hess. Leider gibt jenes
xpsi?, das neben xpT? auf der zweiten hei’akleischen Tafel und
zwar nur auf dieser — nicht auch auf der ersten — vorkommt,
keinen Anhalt, weil diese zweite Tafel überhaupt zur An
wendung gemeingriechischer Formen hinneigt. Aber freilich
wäre dies, falls die Existenz eines strengdorischen xpst? ander
weitig feststünde, von keinem Belang, da das Verhältniss' auch
so gedacht werden kann, dass xpsüc, nachdem es im italischen
Dorismus durch xpi? verdrängt war — auf diesem Standpunkte
steht die erste herakleische Tafel — später wieder insoferne
auflebte, als es aus dem Gemeingriechischen, wo es erhalten
geblieben war, einfach herübergenommen wurde. Nach dem
Gesagten ergibt sich folgender Stammbaum:
Miscellen zum Dialekte Allnnans.
569
urgriechisch xpsjsc
jonisch, attisch
(xpse.;, xpY)c) xpsi?
äolo-dorisch
(rpsss) xprj?
äolisch zprjc;
dorisch xpeu; oder:
strengdorisch xpij<; ?
milddorisch xpsTp.
Die schon urgriechische Steigerung des Stammes xpt unter
scheidet ihn von allen anderen I-Stämmen; ohnedies nimmt
derselbe auch dadurch eine exceptionelle Stellung ein, dass
in der Declination dem gesteigerten xpei? die ungesteigerten
Formen xptöv, xptct zur Seite treten — selbst im Accente genau
entsprechend dem skt. träjas, (ved.) trinam, trishü. — Noch
bleibt das Verhätniss des herakleischen xpTp zu xpet? zu erwägen.
Man könnte an Zusammenziehung’ ei zu c denken, wie nach
G. Meyer 1. c. llcxsioav zu lloxioäv, Febtaxi zu Faaxi geworden
ist: doch wären dann, so scheint es, der angenommenen Ver
änderungen des ursprünglichen xpsjs? zu viele (xpsjsc, xpesp, xpvjp,
xpeic, xpüc;). Deshalb dünkt uns eine andere Erklärung viel
wahrscheinlicher. Bekanntlich steht skt. nom. masc. träjas dem
acc. trm gerade so gegenüber, wie nom. pl. Jcavdjas (von Jeavis m.)
dem acc. plur. leavm (aus kavi-ns; vgl. nom. plur. gätajas [von
gätis fem.| und acc. plur. gätis). Es wird daher wohl xpt? auf
xpi-vp zurückgehen und ursprünglich acc. gewesen sein, der dann
fälschlich auch in der Function des nom. verwendet wurde. So
wie demnach als urgriechische Form des nom. xpsjsc, so wäre
als solche des acc. xpiv-p anzusetzen: letztere hätte sich — für
uns nachweisbar — nur im italischen Dorismus mit erweiterter
Function erhalten, während die übrigen Dialekte — mehr
entsprechend dem gewöhnlichen Zuge der Analogiebildung,
wornach der nom. für den acc. massgebend wird (vgl. das
vom nom. auf den acc. übergetragene ixöXsi? etc.) — umgekehrt
die Fortsetzer von xpsjsp an Stelle der von xpi-vp rücken liessen.
Bei Alkman den herakleischen Tafeln zu Liebe xpef? in xpl?
zu ändern, wäre nicht am Platze, da wir nicht bestimmen
können, wie lange etwa xpt?, das zur Zeit, wo die Colonie
Tarent, die Mutterstadt von Heraklea, gegründet wurde, im
Lakonischen allerdings noch vorhanden gewesen sein muss,
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. XC1I. Bd. II. Hft. 37
570
Schubert.
in dieser Mundart überhaupt sich erhalten hat. Ebensowenig
ändern wir rpei? in xprj«;, weil dies eine Ungewissheit für eine
andere substituiren hiesse.
XVII. SpvT« Fr. 28. 2 .
Athen. IX 373 D und E ist durch codd; PVL sowohl in
der dort angeführten Menander- als auch in der Alkmanstelle
(Fr. 28) die Form opvetc gesichert, die auch von Bergk und
Ahrens dor. 243 anerkannt wird. Dessenungeachtet muss bei
Alkman mit Meineke (nach B) cpvtq als nom. plur. geschrieben
werden, da Steigerung des i der I-Stämme ganz undorisch,
ebensowenig äolisch ist und auch bei Homer eine Form opvsic
nicht vorkommt. Nun scheint zunächst ein nominativisches t?
auch durchaus vereinzelt — episch und äolo-dorisch geht der
nom. plur. der I-Stämme auf -ieq aus und wenn bei Herodot
an zwei Stellen die Handschriften ohne Varianten iq bieten
(II 41 ßcipic, V 71 rcpuxctvu;) gegenüber sonstigem ausnahmslosen is?
(denn das IV 114 überlieferte z/r^asu; ist eben auch unrichtig):
so wird Niemand zögern, letzteres mit Bredow Dial. Her. 264 ff.
an jenen beiden Stellen zu restituiren; als einzige Analogie
für den nom. plur. äpvt? bleibt somit das eben besprochene xpR
übrig — aber dennoch kann an der Richtigkeit der Form kein
Zweifel bestehen. Wir erklären dieselbe — sowie xpR — durch
Uebertragung der Accusativform auf den Nominativ. Bekanntlich
ist - T .q aus -tv? (nicht aus -ic/.q Curt. Erläut. 3 65) im Neujonischen
regelmässiger Accusativausgang, der sich neben lac auch im
epischen Dialekte vorfindet; im Aeolo-dorisclien haben wir
(abgesehen von xpt?) nur für xa.q Belege (Ahr. äol. 116, dor. 232);
im Attischen ist tc nur in einem Falle gesichert (denn v.'keiq,
ot?, (pOol? mit den Accusativen •/.Xsl?, öl?, cpOou; [Arist. Plut. 677]
treten in Folge von Contraction in die Analogie der Diphthong
stämme über) und zwar eben in SpvT?: so Soph. 0. R. 966
v'kaCo'naq ’op'nq (Laur.), Eur. Hipp. 1059 ©otTÖvxa? opvt? (wo Vatic.
von erster Hand und Marc, opvei?) Arist. av. 717, 1250, 1610.
Dazu kommt die Menanderstelle (Msvavopoi; Aio6[j,at? ,op'/’.q edpuv
ek-qku-fh. 1 Athen. 373 D), für die, zumal sobald für Alkman aus
dialektologischen Gründen die Notliwendigkeit von cpvtc (nom.)
erkannt ist, wegen des ganzen Zusammenhanges der Worte des
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
571
Athenaeus 1 gleichfalls cpvic (acc.) in Anspruch genommen werden
muss, sowie die Stelle aus den Ai)p,oi des Eupolis 373 E (das
Citat aus der 'Evur/.h-ppoc TupthxYj des Menander 373 C lassen wir
als für opvtp nicht beweisend bei Seite). Gestützt auf diese Form
des attischen Dialektes, der sonst den Nominativausgang i:c
auf den Accusativ überträgt, sowie wir im Aeolo-dorischen,
wie schon bemerkt, regelmässig laq gebraucht finden, halten wir
uns überzeugt, dass auch im Dorischen gerade von Spvii; ein
acc. plur. auf existirte, der dann auch in nominativischer
Function angewendet ward. Der Grund aber dieser (übrigens
nur scheinbaren) Ausnahmsstellung des Wortes liegt offenbar
1 Athenaeus bespricht von 373 A an Geschlecht, Formen und Bedeutung;
des Wortes ö'pvi?. Im Verlaufe der Darstellung heisst es (373 D): Sevo^Sv
o’ ev osuTEpcp llatoEla; ,ejtt [xkv tou; opviOa? toj la/upotatw yEipöSvi“. Mfvav-
opop Ai8üpai; ,opvi; cps’pwv EArjAufjah Kai lijr); ,op\uOas SAAEU iprjolv.
"Ou 8k xai km tou xX7)0uvtixou opvi? X^youai -po'xEixai ~'o Mevctvopsiov papxu-
piov ■ aXXä xai ’AXxpav xoo arjaiv (Fr. 28) xai EiijioXi; iv Arjpoi? ete. Diese
Worte geben nur einen befriedigenden Sinn, wenn wir öpvi; lesen.
Athenaeus sagt: ,Xenophon gebraucht die Form opviOac, Menander opvi;
und öpviOa; 1 . (Nun ist öpvi; aber auch eine Singularform; daher wird als
zweite Bemerkung hinzugefügt:) ,Dass man aber o’pvi? auch im Plural
braucht, wird nebst der schon angeführten Menanderstelle noch durch
die aus Alkman und die aus Eupolis bewiesen 1 . Bei der Lesart opvEi;
dagegen wird der ganze Zusammenhang völlig unverständlich. Soll der
Sinn sein, ,dass man aber neben öpviOa; auch opvei; sagt, wird erwiesen
durch ete.‘, so steht erstlich xai, das vor öpvEi? gehören würde, an un-
rechter Stelle, sodann ist die nochmalige Berufung auf die Menander
stelle tautologisch (während sie bei der Lesart opvi; sehr wohl am Platze
ist, da dann dieselbe Stelle als Beleg für eine neue, zweite Thatsache
beigebracht wird) und die Stelle aus Alkman ganz unpassend, da dort
clpvEis nicht acc., sondern nom. ist. Auch der Zusatz ex! tou xXrjOuvxtxou
ist wegen mangelnden Gegensatzes eigentlich überflüssig und die Häufung
der Beispiele für die doch ganz geläufige Form öpvEts befremdlich. Wollte
man aber so verstehen: ,dass aber wirklich für den Plural (d. h. nicht
blos für den acc., sondern auch für den nom.) opvEis im Gebrauche ist,
wird erwiesen durch ete.‘, so wäre einzuwenden, dass die Worte, wie sie da-
stelien, diesen Sinn nicht haben können und dass — strenge genommen —
umgekehrt wieder nur die Stelle aus Alkman, nicht aber die aus Eupolis
und Menander passen würden. Freilich bleibt bei unserer Auffassung
der Stelle gerade die gewöhnliche Form öpVEi; ganz unerwähnt: aber
diese fiel für Athenaeus in der Aussprache ohnehin mit opvip zu
sammen: er führt daher blos Stellen an, wo er i wirklich durch Schreibung
überliefert fand. In unseren Handschriften des Athenaeus ist dann wieder
in Folge von Verwechslung von i und ei aus öpvis o’pvsis geworden.
37*
I'
572 Schubert.
in der Quantität des Stammvocals. Erinnern wir uns, dass
v? in der sog. III. Declination des Attischen bei Diphthoug-
stämmen accusativbildend auftritt (ypau;, ßoü;, vau;), so werden
wir auch bei dem langvocalischen Stamme opvi (II. p. 218 etc.,
Arist. av. 70, 103, 720, 833: opvt^, ibid. 73, 515, 561, 721:
opvTv) dieselbe Accusativformation nicht befremdlich linden.
Dass solcher Accusative auf tc nicht mehrere sich aufweisen
lassen, erklärt sich einfach aus dem Umstande, dass ausser öpvT
überhaupt nur vier hier in Betracht kommende Stämme 1
vorhanden sein dürften: .die einsilbigen v.l und 7a (7dv 11. X 480,
Eur. Bacch. 1173) und y.ovt (y.ovtg Aesch. Suppl. 781, y.ovtv
Prom. 1084), 091 (ocptv Aesch. Choe. 928). Man sieht, dass selbst
unter dieser kleinen Anzahl das eine Wort (y.ovic) seinem Be
griffe nach eines Plurals nicht wohl fähig ist und zwei andere
begreiflicher Weise sehr selten Gelegenheit zur Anwendung
bieten, das eine (-/.£;) seines Begriffes wegen, das zweite (7a';),
weil es dafür eine andere allgemein gebräuchliche Wortform
gab. Endlich ist nicht zu vergessen, dass, wie opvic selbst zeigt
(vgl. gegenüber den oben angeführten Stellen opvts 11. 10 219,
Arist. av. 16, 168, Soph. Ant. 1021, El. 149 — opviv Arist.
av. 336), die im Rückzuge befindlichen langvocalischen Stämme
(vgl. bes. Hartei Hom. Stud. I 105 f.) in Folge von Kürzung
des 1 gerne in die gewöhnliche Declination übertreten: daher
sowie opvsic, swv etc. auch ccpei; (Hes. s. v. caeig . . . MsvavSpo;
riapay.aTaOrp/.r, [Fr. 8] tou; oaei;, Xeysi, y.zXüc y£ p.01 ^yopaacc;]. Zur
Gewissheit wird der zwischen dem lg des acc. plur. und dem
langen : des Stammes angenommene Zusammenhang durch das
Verhalten der u-Stämme, unter denen eine ganze Anzahl mit
(zunächst im nom., acc., voc. sgl., obwohl auch da nicht con-
sequent [vgl. z. B. y.Xrtuv Soph. Trach. 271, Ant. 1145]) be
wahrter Länge des 0 sich findet: so die einsilbigen <jü;, p.ü;,
1 Stämme, wie XV7]D.T, acppayT, V7)al, a<jn, ßaXßl etc. kommen, weil sie ihre
Casus mit ,parasitischem 4 o bilden, nicht in Betracht. !\Up[j.ü;, iOo; —
0&X1;, TD01; (Hes. o^XXiOe? * acp^xs; * £toov ojaoiov (j-sKcktt)) — ayXo;, Töo;
(Arist. Ach. 763 xa; ayXlOa:, Vesp. 680 xpso; y 1 ayXiOac) stellen sich zwar
zu opvi$, opvlOo^ etc., doch wissen wir nicht, ob sie, so wie dieses, einzelne
Casus auch ohne 0 bilden. Von ys'Xyk;, T9o; kommt neben yAyiOe? (Anth.
VI 232) bei Theophrast der Plural ys'Xyeu; vor; danach wäre sowie bei
opvi? wohl auch ein acc. plur. ys'XyT; möglich.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
573
opü; und Oxytona wie öfpu?, tcyjjc, lyß<jc, ’Epivvu? (von Barytonis
hat o-äytj; Eur. Here. für. 5, yevöv El. 1213 die letzte Silbe
lang). Regelmässig heisst es von diesen im acc. plur. attisch
tou; 1/9'jc, to; öippu?, xou<; ßixp% etc. und als stricte Parallele für
unsern alkmanischen Nominativ op'nc, sogar al äpy.ü; bei Xen.
Cyneg. 2, 4; 6, 2; 10, 2, 19 und oi p.uq Stob. 97, 31.
XVIII. £t? Fr. 25 t . — Die Formen auf --^o-Oa, -stcGa.
Statt sic, welche homerische (und neujonische), dem
Dorismus fremde Form aus si-ci, i-c., sa-at (episch und dorisch)
hervorgegangen ist, könnte an der a. St., da wie in sämmt-
lichen homerischen Stellen mit Ausnahme von Od. p 388 ein
Vocal folgt, eW geschrieben werden, und zwar mit besserem
Rechte, als dies von L. Meyer K. Z. IX 374 für Homer vor
geschlagen wird (vgl. Curt. Verb. I 2 49). Das von Schneidevvin
mit Ahrens’ Zustimmung (dor. 326) auf Grund von Chrysipp.
xept cbrooai;r/.(Sv c. 21 gebilligte vj? gehört nach dem Zeugnisse
des Heraklides bei Eustath. Od. 1892, 44 der 3. sgl. impft. —•
und zwar nur dieser 1 — an. Obwohl das Fragment, das
’ Nach dem Principe Bergks, der poet. lyr. 932 die von Choerob. an.
Bekk. 1282 für äolisch und dorisch ausgegebenen und mitunter über
lieferten Formen auf rj; wie £/rj? Sapph. 99 2 , rtov?); Ale. 52 für möglich
hält und das durch Ersatzdehnung aus £ai erklärt, dürfte man aller
dings auch ^5 für eine 2. sgl. praes. halten: aber solche Ersatzdehnungen
gibt es nicht und zu den sichersten Resultaten von Ahrens gehört über
haupt die Verwerfung jener angeblichen 2. und 3. Personen auf r)? und rj.
Auch das Aeolo-dorische hat hier ei; und ei und sind diese Diphthonge,
wie nach Bopp Ahrens schon de conjug. in pi p. 16, 34 erkannte, durch
Epenthesis des i zu erklären. Für die 2. Person ist dies auch die Ansicht
Schleichers (Comp. 672); das ei der 3. lässt er aber unrichtig aus eti, e<ji
durch Ausfall des <j entstehen (ib. 678). Vgl. über die ganze Frage und
auch Corssens Annahme einer Steigerung des thematischen Vocals 1 Curt.
Verb. I 2 205 ft'. Eine Stütze scheinen die angeblichen Formen auf rj;
durch Indicative wie ayrja^aüa wie hymn. Cer. 366 überliefert ist (alle
Formen dieser Art sind bei Curt. Verb. I 51 gesammelt) zu erhalten. Wäre
die älteste Schreibung z. B. r/ExOa gewesen (so Bergk lyr. III 885), so
hätte dies allerdings ebenso gut sysaOx wie eyEtada oder syrjaOx bedeuten
können (in unserer Ueberliefcrung finden wir Et und v) geschrieben) und
es wäre auf diese Formen allein nicht viel zu geben; man könnte sich
bei Bergks Annahme beruhigen, dass sy_£aS-x etc. die echten Formen seien,
was zu der von Curt. Verb. I 2 54 gegebenen Erklärung der Endung <j0a
574
Schubert.
Stepli. Byz. v. ’Epucrfynj dom Eingänge eines Parthenion zu
gewiesen wird, in einem Zusammenhänge kann gestanden haben,
(W. [e]u -)- 0a) stimmen würde. Aber was beginnen wir mit dem (von
Bekker recht unwahrscheinlich zu SfSioaOa geänderten) oiSoioOa Hom.
II. t 270? Hier bliebe, da die ,Umschreibung 1 zur Erklärung nicht
herangezogen werden kann, nur die Annahme einer Missbildung übrig.
Ich möchte daher vermuthen, dass das i von 3(8oio0a nicht anders zu
erklären ist, als das von Ovafexto, p i(j.va(axu>, 0EicjmEib; C. I. 1593 g (zu
den von Schmidt Vocalism. I 112, II 310 Anm., 319 Ahm. angeführten
Beispielen kommt noch aus einer der neu gefundenen Inschriften aus
Olympia Areh. Zeit. 1876 2. und 3. Heft p. 129—138 zaiEtayijoOa'. Z. 44,
47, 50), d. h. wie zuerst Schmidt in Bezug auf die eben angeführten
Fälle angenommen hat, als ein ,aus dem Zischen des <j‘ erwachsener
Laut. Hieraus würde folgen, dass in der That EysioOa, cr/jijaEiaOa etc.,
wie jetzt gewöhnlich geschrieben wird, die richtigen Formen, jene mit 7]
unrichtig sind, welche aber nicht durch falsche Transscription aus E,
sondern durch Verwechslung von EI und I! entstanden: eine Verwechslung,
die gewiss durch hom. Conjunctive wie EÖE'XrjaOa, ßd).7)a0a, E/r,aOa etc.
mit beeinflusst worden ist. Einmal recipirt haben diese missverständ
lichen Indieative auf 7)<j0a weitere Verwirrung angerichtet: sie haben
einerseits Corruptelen wie eyj]? Sapph. 99 2 , raivrj? Ale. 52, aoizrjr] Sapph. l., 0
und die Grammatikerdoetrin von der äolo-dorischen 2. sgl. auf 7)c, anderer
seits wohl auch die Lehre vom ayrjixa ’lßüxeiov begünstigt. Nicht anzu
tasten dagegen ist u07jaOa (Hom.). Zwar würde die der Form oiäo-’.-tjOa
genau entsprechende Form vielmehr xI0E-'.-aOa zu lauten haben; aber die
Vergleichung von tpijaOa (Hom.) lehrt, dass in der Coniugation der Verba
auf jj-i vor der Endung <jOa ebensogut Dehnung des auslautenden Stamm-
vocals eintreten konnte, wie in den beiden anderen Personen des Sin
gulars. Es läge alsdann eine doppelte Behandlungsweise des vocalischen
Stammauslautes vor: Dehnung in cpfjcjQa, riOrjaOa und Bewahrung der
ursprünglichen Kürze in Verbindung mit dem aus a entwickelten '. in
oiooiaOa. Der Umstand, dass auch Bewahrung der Kürze möglich war,
beweist, dass <j0a als eine gewichtigere Endung gefühlt ward, als p: und oi
und das aus Ti gewordene <ji der 3. Person. Es tritt dadurch die mit oOa
gebildete 2. Sing, in Analogie zu den l^ormen des Duals und Plurals,
deren wuchtigere Personalendungen ja bekanntlich die Steigerung des
Stammauslautes überhaupt nicht zulassen. Dass aber diese Steigerung
vor aOa denn doch eintrat (orjcrOa, TiOrjaOa opp. otooiaßa), ist gewiss Folge
der Analogiewirkung der übrigen Personen des Singulars. Bei den Verbis
contractis auf ato ist es selbstverständlich, dass in den hieher gehörigen
Formen vor aOa nur 7) geschrieben werden kann (jtoGopaE-aOa, äolo [dorisch]
contrahirt: Jio0o’p7ia0a Theocr. 29, 4), ebenso wohl in dem äolischen ip(Xr,oOa
Sapph. Fr. 22 (aus oiXES-uOa). Bildungen wie die eben genannten werden
dann ihrerseits auf die Schreibungen ay7[a7jc0a, EÜfXyaÜx nicht ohne Einfluss
geblieben sein.
Miscellen zum Dialekte Alkraans.
575
der für ein solches Yj? = erat Raum bot, so ist es doch ungleich
wahrscheinlicher, dass die Worte von den Mädchen des Chores
an den als Chorführer zu denkenden Dichter gerichtet sind
(vgl. Fr. 66; umgekehrt wendet sich der Dichter Fr. 26 an den
Chor: oü |P sti, ■jtapOsvr/.ai [xeXrf. lp,ep., ybia cpepsiv oiivata; cet.), so
dass dann eh; allein zulässig bleibt. Die Notiz bei Eustath. wird
mit Bergk (Fr. 138) auf irgend eine andere Alkmanstelle zu
beziehen sein. Wenn in der Anführung der Anfangsworte von
Fr. 25 bei Chrysipp. 1. c. rj? überliefert ist, so kann dies auf
Verwechslung von EIN und HS beruhen.
XIX. scdaoY) Fr. 38 t .
An der angeführten Stelle schreibt Bergk mit codd. CE
des Hephaest. 76 irafaSei, scheint aber in der Anmerkung zu
der Stelle, hauptsächlich wohl durch das in AP über st über
geschriebene 7) (itaiaSet) veranlasst, unter Berufung auf Hesych,
wo er in der Glosse naieSr, (cod. Trat? Byj) ■ xatBaptsup letzteres
Wort in TtatoaptcUciai ändert, icataSv; im Sinne von irafaBsi Vor
schlägen zu wollen. Als "3. sgl. präs. ist nun KraterSvj unzulässig;
dagegen scheint sich die hesychische Glosse, an der wir nichts
ändern, allerdings auf unsere Alkmanstelle zu beziehen, so dass
zaicoY) als 2. sgl. med. zu fassen: wie denn in der That diese
Person des präsentischen Singularmediums dorisch stets mit v),
also in contrahirter Form (aus e«t) erscheint (Ahrens dor. 305).
Die Hinzufügung des t subscr. halten wir mit Ahrens 1. c. nicht
für nöthig: es fehlt C. I. 2140 h aktatrij, die Corruptel in jener
Glosse (icau; Sij) erklärt sich um so leichter unter der Voraus
setzung, dass bei Alkman die Form towStj überliefert war
und einen ganz analogen Fall haben wir an den dorischen
(Ahr. dor.-293, Meister Stud. IV 390, Curt. Verb. II 74),
äolischen (Ahr. äol. 130, Gelbke Stud. II 38) und selbst attischen
(La Roche Hom. Unters. 200) Conjunctiven auf r ( (vgl. Beer
mann Stud. IX 32). Zum Gedanken stimmt die 2. Person
vortrefflich und um so besser, als wir des sonst so lästigen
Ueberganges von Tcatcoei zu OlyflS entrathen. 1
1 Es scheint, in dem wunderbar lieblichen und zarten Fragmente von einer
nicht so sehr schönen, als liebreizenden und anmuthigen Jungfrau die
Rede zu sein, die, wie wir die Worte des Dichters paraphrasirend etwa
576
Schubert.
XX. ti0ei Fr. 45 3 .
An der angeführten Stelle ist x(0ei überliefert. Erklären
wir mit Gurt. Verb. II 40 TiOst für contrahirt aus xi'Oes, so dass
Uebergang in die thematische Conjugation stattfände — und
das strengdorische evtiöhj (Ahr. dor. 314) würde zu solcher
Annahme stimmen —: dann stehen wir wieder vor der Alter
native, die Form als epische Entlohnung (von den zwei Homer
stellen, wo xt'Osi Imperativ ist, nämlich II. a 509 xöcppa S’ im
Tpcisacri x!0si -/.paxcc; und Od. <p 177 racp os x(0si oiippov xe p.eyav
■/.ai v.Coaq ct’ aüxoü, hätte die erstere eine gewisse Aehnlichkeit
mit unserem i%\ 8’ Tpspov üp.vw . . . x!0st) oder als unrichtig trans-
scribirt aus xi0E anzusehen. Doch glaube ich namentlich wegen
des sonst kaum erklärbaren pindarischen 01801 01.1 85, VI104 etc.,
dass xi'0ei auch durch Epenthese aus xiOs-t-(0i) entstanden sein
kann. Wir hätten sohin bei der Bildung des imperat. praes.
von unthematischen Verbis 1. bei den A-Stämmen a) einfache
Abwerfung der Endung 0i: i'f/b.pa Sophr. 2 b) Uebergang in
die thematische Conjugation und Zusammenziehung: 'fcxtj (Hero-
dian II 209), (ib. 464), Sophr. 49 2. bei den E-Stämmen
sagen könnten, ,nicht von Aphroditens Schönheit strahlt (cui Venus quidern
non adest), die aber du, Eros, wie ein mutlnvillig schäkernder Knabe
umspielst, herniedersteigend wie auf Bliithenlmospen — die du mir aber
nicht berühren darfst! 1 Die vollendete Schönheit ist also durch ’AtppoSixa,
die reizvolle Anmuth durch "Epu>; personificirt. Mctpyos verbinden wir
mit r.ais, oder auch — prädicativ — mit rauaor], nicht aber attributiv mit
”Ep<o?, wie Canini fragm. du Parthenee d’Alcman p. 31 ,ce fou d’Amour.“
Im zweiten Verse sind Bild und Gegenbild zur Einheit verbunden. Zum
Gedanken vgl. Plat. Symp. 196 A ou 3’ av EuavOv(c xe zal suojö/jc xo'xo; r,,
IvxauOa zai t'ijst xal pivei [0 "Epen;]. Durch die Wendung « pj jioi
gewinnt das Ganze einen schalkhaften Zug; keineswegs ist das pr) OiyEfv
im Sinne des homerischen (II. u 227) cd 3’ ote ptv oxipxwEV eju ifsiSwpov
ccpoupav, axpov Iji’ «vOepIxcDV xapetöv Os'ov ouoe xccte'xXcov (vgl. Hesiod. Fr. 156
Götti, axpov st:’ avOsplxtov xapjcbv Ofev [Iphiklos] ouoe xaxsxAa cet., Verg.
Aen. VII 808 illa [Camilla] vel intadae segetis per summa volarel gramina
nec teneras cursu laesisset arislas) gedacht, woran Canini 1. c. erinnert,
der die ganze Stelle falsch versteht: ,Venus n’est pas lä: ce fou d’Amour
joue coinme un enfant qu’il est, en marchant sur les sommets fleuris des
plantes et il ne touche pas (statt a u.r] [rot 0iyr]S wird nämlich conjioirt
xtuuxoi alyEi [!]) meine aux corolles 1 .
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
577
a) Abwerfung der Endung mit Epenthese: -dOsi (ebenso Timocr. 2. 2 )
wie otooi b) Uebergang in die thematische Conjugation und
Contraction: tlOvj.
XXI. yelxtov Fr. 50.
In dem Alkm. Fr. 50 (vgl. 116) überlieferten ydxwv
scheint si durch Schwächung aus yjV oder vj entstanden; denn
der Annahme einer Schwächung aus m steht entgegen, dass
sich ein ya'fxwv oder yatxuv nirgends findet, während doch solche
Form ebensogut möglich wäre, wie '(aäoq Aesch. Suppl. 826
eyyaicx;, p.s<76yaiov, ävaiyaiov, 7.axwyaiov Ahr. dor. 187. Auch Merz
dorf Stud. IX 244 führt ysixwv zunächst auf yplxwv zurück;
wenn er aber diese Kürzung auf ,panhellenischen‘ Boden versetzt,
so ist dies um so unwahrscheinlicher, als ja nicht einmal Ueber
gang von youxuiv in yptxwv als urgriechisch angesehen werden
kann: wie sollte auch der Stamm ya (aus yafja, yaja, yaa), der
im Aeolo-dorischen in ungeschwächter Form wirklich existirt,
dazu gekommen sein, gerade in dieser Weiterbildung sein a
schon in urgriechischer Zeit zu r, herabsinken zu lassen? Viel
mehr halten wir das Wort für ein ursprünglich jonisches, das
dann in die übrigen Dialekte eingedrungen ist. Es macht uns
hieran der Umstand nicht irre, dass im Jonischen zumal aus ä
entstandenes •t\ vor t nicht gekürzt zu werden pflegt: denn
unzweifelhaft scheint es, dass ein gelegentliches Ausweichen
aus dieser Regel minder unwahrscheinlich ist, als die An
nahme einer urgriechischen Schwächung von « zu yj gerade
im Stamme yct.
XXII. ßcö; Fr. 89.
Das 89. Fragment ist nach Bergks Vermuthung aus Et.
Gud. 301, 6 zu vr/.ö) o’ s xappwv ßw; zu ergänzen. Die Gram
matiker nennen die Form ßö? dorisch (Ahr. dor. 165) und
man wäre mit Rücksicht auf die zahlreichen Fälle, wo streng
dorisches o) milddorischem ou gegenübersteht, von vornherein
geneigt, jene Angabe auf die Doris sev. zu restringiren, wie
denn in der That Epicharms milderer Dorismus (Fr. 97, 4)
die Form ßoög zeigt. Aber dass trotzdem das Verhältniss von
ß<3; zu ßous keineswegs so zu fassen ist, beweisen 1. die Glosse
des Suidas (nicht des Ilesych., wie es bei Meister Stud. IV 391
578
Schubert.
heisst) ßfito • icTMot. 'Apqüot (ganz analog wird Athen. VIII 365 D
den Argivern auch die Form ywv für youv zugeschrieben),
durch die wir also auf dem Gebiete der milderen Doris die
Form mit w und 2. die herakleischen Tafeln (II 13 ßoußyjw,
II 14 ßoußvj-tio?), durch die wir umgekehrt auf dem Gebiete
der strengeren Doris die Form mit ou belegt finden. Ueberdies
kennt auch der jonische Dialekt (II. vj 238) ßwv. Dass es nicht
angeht, mit Ahrens 166 wegen der herakleischen Tafeln eine
dorische Form ßw? überhaupt in Frage zu stellen und die
sämmtlichen darauf bezüglichen Angaben der Grammatiker als
einfach aus jener Iliasstelle gezogen zu betrachten, bezweifelt
jetzt Niemand und Ahrens selbst ist in den Add. 565 auf Grund
der (p. 166 übersehenen) Glosse des Suidas von seinen Be
denken zurückgekommen; nur ist es unrichtig, wenn er die
Formenreihe ßof : ?, ßou?, ßw? construirt (,satis certurn habemus
Ärgivos cum paucis fortasse aliis Doriensium ßw?, yw?, Tuoy)?,
vä? dixisse, vocali u, quam e digammate ortam constat, eiecta):
vielmehr ist ßou? die älteste Form, woraus ßof?, ßw? hervorging.
Es ist also das ou von ßou? (neben ßw?) ganz und gar ver
schieden z. B. von dem in Asyouoa, Imcou? neben XeyMca, i%zo>g.
Es ist ursprünglich wahrer, phonetischer Diphthong gewesen,
der direct auf das au der Grundform gaus (skt. gäus) zurück
geht, wie schon durch die voreuklidische Schreibung ßOT?
(Cauer Stud. VIII 258) bewiesen wird. Aus dem diphthongischen
ßou? konnte ebenso in der milderen, wie in der strengeren Doris,
ebenso im Jonischen wie im Dorischen ßof? und ßw? werden.
Auf dem Gebiete der milderen Doris geschah dies wirklich,
so weit wir sehen, im Argivischen, auf jenem des Jonischen
ganz vereinzelt im altepischen Dialekte (denn jenes ßwv der II.
ist ein an. eip. neben dem ganz regelmässigen ßou?, ßouot).
Betreffs der strengen Doris kann angenommen werden, dass
dieselbe, wenn auch nicht ausschliesslich (vgl. das Herakleische),
aber doch mit Vorliebe sich der Form ßw? bediente. Festzu
halten ist, dass aus of auch attisch-jonisch durch Ersatzdehnung
immer nur t» hervorgeht, dass also, wo, wie in dem eben be
handelten Falle, attisch-jonisches ou sich mit dorischem, aus of
entstandenem w begegnet, jenes ou mit diesem w eben nicht in
Parallele gesetzt werden darf. Hingegen geht allerdings bei
vorwirkender Ersatzdehnung aus fo im Jonischen zuweilen ou
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
579
hervor (Brugman 1. c. 135), in Folge derselben Verdumpfung,
die wir in Aevouaa gegenüber strengdorischem Xeycocra etc.
beobachten.
XXIII. IIwTvuSeöxv]? Pap. I 1.
Für den ersten Blick befremdlich ist die Form IlwXuoeuv'.v;:;
Pap. I 1, nach welcher Bergk auch Fr. 12 2 in der dort über
lieferten gewöhnlichen Form o zu w ändert. Der lange O-Laut
wäre vollkommen begreiflich in dem aus rcoXXo, xoXFc erklär
baren, durch Suffix Fo gebildeten Stamme otoXo, während er
in tioXu, das wie skt. pur-u-s (ved. pul-u-s) durch Hinzutritt
von blossem u (Schleicher Comp. 386) aus W. par hervor
gegangen ist, des Anlasses zu entbehren scheint. Auch das
epische TcouXti? kann zur Erklärung dieses w nicht herbeigezogen
werden, sobald man dessen ou, wie gewöhnlich geschieht (Curt.
Gr. 4 670), durch Epenthese entstehen lässt. Aber eben das aus
dem Papyrus bekannt gewordene ™Xu- in IlwXuosuy.vjc (sowie
die schon früher bekannte Form ttwXuttoc, über die Ahrens dor.
167 f. ausführlich handelt, ohne zu einem befriedigenden Er
gebnisse zu gelangen) widerlegt jene Auffassung von ttouaüc, da
dem durch Epenthesis entstandenen jonischen ou in der strengen
Doris ebensowenig w entsprechen kann, wie epenthetischem
jonischen et ein strengdorisches r,. 1 Es eröffnen sich der Er
klärung der in Rede stehenden Form bei Alkman zwei Wege.
Entweder man stellt die Reihe auf: rcoX-ü-c, tcoX-Fo-c (durch
Suffix o weitergebildet aus icoXöq; vgl. oay.pu-ov neben ody.pu,
St'/.Tu—ov neben cr/.TU- im nom. pr. AFatuc und in StzTU-ßoXcc, dtppu—-rj
neben oapuc, ooupo in ooupoooy.v; neben Scpu, youvoc [vgl. '(0U')0Tio:/r t q
Hes. Scut. 266] neben yovu), tcoX-Fu-c. (aus ttoX-Fo-c - ■äoXXö?
verdumpft durch den Einfluss von F; vgl. auch utüc statt utö?
auf der von Neubauer behandelten altlakonischen Bustrophedon-
inschrift Herrn. X. p. 153 ff.), xcX-Xu-c, xoX-u-i; und k-ouX-
u-c (letztere beiden Formen durch ,Ersatzdehnung'). Hiernach
würden zoX-u-c (= skt. pur-u-s, ved. pul-u-s, altpers. par-u-s,
goth. fil-u) und tooX-6-? (ttouX-ü-c) , scheinbar mit gleichem
Suffixe gebildet, in Wahrheit doch auf verschiedenen Suffix
bildungen beruhen. Oder man nimmt dehnende Kraft der
1 Denn dass das ou von r.ouX-u-s anderer Art sei, als das (o von 7ctoX-u-;-
solche Annahme hätte wohl alles wider sich.
580
Schubert.
Liquida an; es ist der Stimmton derselben (welcher unter
günstigen Umständen sich sogar zu einem vollen Vocale ent
falten kann, was die indischen Grammatiker mit dem durch
Joh. Schmidt auch in die griechische Lautlehre eingeführten
Terminus svarabTiakti bezeichnen), dem der vorstehende kurze
Vocal seine Quantitätsänderung verdankt. Letzterer Ausweg
scheint wegen des auch milddorischen ■ämautco? (siehe Ahrens
1. c.) und weil dann die Annahme verschiedener Suflixbildung
von tcoX-ü-? und xwX-i-? (tcouX-ü-c) vermieden wird, entschieden
den Vorzug zu verdienen.
XXIV. Tcwpco v.Ao'/o'i Pap. I 10.
Unbedingt müssen wir Bergk beistimmen, wenn er 1. c.
in den Worten xtbpw xXövov (die Ergänzung des Versanfanges
ist unsicher) w5poc als Substantiv und zwar im Sinne von
,belli tumultus vel labor‘ fasst. Ein solches Substantivum konnte
schon vor Auffindung des Papyrus erschlossen werden aus dem
Compos. xaXaGwpo?, das Schob Arist. Plut. 33 geradezu erklärt
wird xapä x'o xXfjvat xov xwpov, o ecxt xevGo? (ebenso Suid. s. v.
xaXcdirwpcc, nur dass Suidas statt tcevGoc racGot; gibt). Von Interesse
ist es nun, dem Substantiv, dessen Bedeutung in dem genannten
Compositum bereits zu einer ziemlich allgemeinen verflüchtigt
ist, bei Alkman in einer viel ursprünglicheren, sinnlichen
Anwendung zu begegnen, durch welche die etymologische
Anknüpfung an W. pav ,schlagen' aufs schönste bestätigt wird.
Es ist nämlich raopo? 1. c. recht eigentlich ,das Schlagen, die
Schlacht'. Daneben ist ein Adjectivum -xcopo; überliefert,
welches ursprünglich wohl gleichbedeutend mit dem etymologisch
damit identischen nv;pc<; = mutilus, debilis, caecus (Grundform
beider ist TuaF-poQ, noch entschiedener als dieses sich zu einer
ganz speciellen Function verengt hat: Suid. xupo? • 6 xucpbo?,
EXwpidOvjaav • exuip AüjGrjcrav, liwpwaic ■ vj xö^kuat?, Hes. 'icemopwpivor
xexuaXup.evoi. Man muss sich wundern, dass Blass im Anschlüsse
an Ahrens’ scharfsinnige, aber unserer Ueberzeugung nach miss
lungene Auseinandersetzung Phil. XXVII 257—268 das alkma
nische mipto als Adjectiv fasst, indem fcu>poq als Adjectiv
sowohl durch Hesychius’ Glosse, als auch durch andere Belege
weit besser geschützt sei, als das gleichlautende Substantiv
Bergks. Welche die ,anderen Belege' sind, sagt Blass nicht:
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
581
von der hesychischen Glosse raopoc • 6 takafeti)poq aber scheint
so viel festzustehen, dass, wie das Betonungsgesetz der durch
Suffix po gebildeten Wurzeladjectiva verlangt, vielmehr ^upoi;
zu accentuiren ist, so dass wir wieder zu dem uns schon be
kannten oxytonirten Adjectivum gelangen. Auf die Erklärung
durch zoCkcrJ.TMpoQ mag der äusserliche Gleichklang nicht ohne
Einfluss geblieben sein — obwohl auch möglich ist, dass irgendwo
™p6<; wirklich im Sinne des Compositums xaAoratopo? gebraucht
war: aber sicherlich ist es nicht unsere Alkmanstelle, auf die
sich die Glosse bezieht. Wollten wir nämlich auch mit. Ahrens
und Blass Pap. I 10 zu Supo? av oder oip.J x(l)pw y.kcvov ergänzen
im Sinne von <xva z.a6vov p.a/yj? xaXaracipou: so bedarf es doch
keiner langen Erörterung, dass xaAawwdpoc in der Bedeutung,
in der es einzig nachweisbar ist, ein für eine Feldschlacht
unpassendes Epitheton wäre. Immer liegt in xaXakwpoc, -ta, -eiv
der Begriff einer passiven Ertragung von Mühseligem, physisch
oder moralisch Erschöpfendem, während man für eine Feld
schlacht der Heroenzeit ein Beiwort wie atvo?, cp'.p.ü;, epQiaipt.-
ßpoxo?, y.pcaepdq oder höchstens ap-faXeoq, akeysivo? — dies die
homerischen Epitheta von p.xyy;, Syjpu;, orjior/jq, <p6Xo7it<;, uapIvY) —
u. dgl. erwartet. (Den Versuch von Ahrens, weil icwpo? in der
medicinischen Sprache ,Verhärtung', wi>pow in später Zeit ,ver
härten' [eigentlich und übergetragen] bedeutet [dieses ^wpo; hat
aber mit dem unsrigen nichts zu schaffen], das supponirte Ad-
jectiv Troipoc im Sinne von v/.Arjpoq zu nehmen und an unserer
Stelle eine cy.Avjpa [j.d'/Yj zu verstehen, können wir auf sich
beruhen hissen). Ist erwiesen, dass Trwpw bei Alkman in adjecti-
vischer Geltung unzulässig ist, so bleibt nur die Annahme, dass
es Substantiv sei, übrig; höchstens kann man schwanken, ob,
wie oben angenommen und was das ungleich wahrscheinlichere,
das Wort, indem es ,Kampf, Schlacht' bedeutet, in seiner
eigentlichen und ursprünglichen oder in einer (in Folge der
selben Begriffsverengung, die wir auch bei ttgvoc 1. ,Arbeit,
Mühe' 2. ,Kampfesarbeit' beobachten) bereits übergetragenen
Bedeutung stehe: denn dass lißpo? auch die ermüdende (,abge
schlagen' machende — vgl. y.oxoq —) Arbeit, Drangsal etc.
bezeichnet hat, wird eben durch das Compositum xaAaiTtwpo?
zur Gewissheit. In Kürze erwähnen wir noch, dass Ahrens
auch die hesychischen Glossen: rcwpsTv y.yjSsüsiv, tovSsTv, Ko)pr,ca: •
582
Schubert.
Xuxvjcat y.ai xa op.ota, itö)pY)TÖs' xaXatTxcopta, xsvOo; in die Unter
suchung gezogen hat. Er stellt diesen Glossen ein paar andere:
s^topsTv • rcevOstv, y.Aaisiv, EKiipsov ■ s'OaTixov, sTiüjpsüsi • wpala
ctuvteAe!, 7tp(1)pei * y.-^SsuEi, (bps? (cod. u>p£?) ’ TOpyoi (i)/_upwp.Evoi•
xYjSsjAove;, wpv; (cod. wpv;) • T.dOoq (soll heissen tievOo?), ibpaia-
vsyücta zur Seite, letztere gewiss richtig mit W. rop, opaw ver
bindend ; aber ganz verfehlt ist es, jene erste Reihe von
Wörtern aus der zweiten (emopesv, ETtwpeiSei) durch Aphäresis
des e entstehen zu lassen. Es kann kein Zweifel sein, dass
Ttiopsiv, 7tO)pY)TÜp (Antimachus bei Schob O. C. 14: TrwprjTuv [schob
Ttup-^TOiv] akoyom v.a.1 o\c, tsxeeoroiv sxacTop) Ableitungen von raopap
sind, in denen sich dieselbe Uebertragung auf Todtenklage,
Todtentrauer vollzogen hat, wie bei y.cxTEaOai, zop.p.cp: wie denn
die Entwicklung der Bedeutungen von W. wk für jene unserer
W. tozF mehrfach instructiv und aufklärend ist. Wir stellen
also folgendes Schema der Bedeutungen von itupos und raopo?
auf: 1. Substantiv Tüopo? aus xcF-poc, W. pav ,schlagen' a) das
Schlagen oder Sich (reciprok) -Schlagen im Kampfe, Schlacht
(dies unserer Ansicht nach die Bedeutung des Wortes in der
Alkmanstelle) b) das Sich (reflexiv) -Schlagen zum Zeichen
der Trauer (vgl. jenes schob Arist. Plut. 33 ~apk to TXvjvat t'ov
Ttüpov, o egti TtSvOop und Schob 0. C. 14 Tiwpeiv cs ot ’HXsioi
to ttevOeiv caci) c) die ermüdende (vgl. zctto? , y.oradw) Arbeit,
Drangsal etc. (tocXoc-tc wpoc). 2. Adjectiv xupöq (aj ursprünglich
gewiss so viel wie w^poc, d. h. eigentlich wohl durch Abschlagen
von Theilen verstümmelt, vgl. iuocoq) b) blind c) elend, miser
= xaAaiTuwpop (¥). Auch r.-qpöq hat die Bedeutung ,blind', aber
daneben auch die allgemeinere mutilus, debilis (und zwar — wie
y.wtiöp — auch mit Anwendung auf geistige Kraft und — wenn
die diesbezügliche Angabe bei lies, xrjpöv • scxsp^p.EvGv x~qq <pwvrj?
[vgl. Schob Ven. II. ß 599 xf t c Moyjp Tcvjpcv] nicht etwa blos auf un
richtiger Auslegung von II. ß 599 beruht — auf die Sprache), was
bei Txwpop nicht mehr nachweisbar; andererseits ist xwpiq, wenn
wir der Glosse des Hesych. trauen dürfen, auch = xaXaizwpoq miser,
welche Bedeutung wiederum bei mrjpo«; nicht erweislich ist. (Nach
träglich führen wir noch als stricte Parallele für zwpoq = Schlacht
den gleichen Gebrauch von y.6-oc in einem Fragmente der Myrmi-
donen des Aeschylus an [Fr. 131 Dind.]: ( I>Oton’ ’A/jAAeü, xi tot’
avSpooaV-ATOV äxotiwv, ir„ y.o-ov oü xsXdOc’.t; etc' äpioy^v;).
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
583
XXV. ayspiayog Fr. 122.
Auch Alkman hat, wie Eustath berichtet, das eine wahre
crux der Etymologen bildende homerische Epitliet ayipiüypg an
gewendet. Die aristarchische Erklärung durch ä'yav yepäo/oi;,
<j£[j.voc, svxtpo? (Schol. Ven. 11. y 36, y. 430) ist unhaltbar, weil
weder a intens. Compositis voranzutreten, noch a + o in der
Commissur von Zusammensetzungen bei Homer contrahirt zu
werden pflegt, noch endlich der Accent das w als Contractions-
product erkennen lässt. Sämmtliche bisher versuchten Etymo
logien des merkwürdigen Wortes sind bei Clemm Stud. VIII
103 —109 zusammengestellt — bis auf die von Bergk zu Alk
man 1. c. aufgestellte: proprie dicebantur tauri grege superbientes,
nam idem est, quod ayekwyjsi, was an Philostr. irnag. 110 yiypa%~y.'.
6 p.sv xaüpo? ay iper/pq xe vm\ ^ygpiov vr,q a.yi\i\q anklingt. Dürfen wir
zu den vielen Versuchen noch einen hinzufügen, so möchten
wir ayepuyoc zu W. gar ,tönen, schreien' — wovon yrtpuq, yipavoq,
rVjpu&v (Curt. Nr. 133) — stellen. Bekanntlich findet sich das
Epithet fast ausschliesslich mit dem Namen der Troer verbunden
(II. y 36, s 623, T) 343, x: 708, © 584); einmal haben es die
Myser, Bundesgenossen der Troer (II. •/. 430), im Schiffs
katalog die Rhodier (II. ß 654), in der Nekyia Periklymenos
(Od. X 286). Dies weist darauf hin, dass das Adjectiv eine
für die Troer (und ihre Bundesgenossen) besonders charakte
ristische Eigenschaft bezeichnen will; nun wird wiederholt das
laute und verworrene Kriegsgeschrei der zum Kampfe heran-
ziehenden Troer erwähnt: zweimal in ausdrücklich hervorge
hobenem Gegensätze zu den Achäern: II. y 2 ff. Tpös? p.ev
v.Xayyfi x’ Ivoxp x’ leav, opviOs? &?, | v;uxs t:ep v.'kayy’fi yspdvwv x:sXe'.
oupavoOi Kpi | . . . y.Xayyr] xcaye rsxovxat ett’ ’Qy.savoTo poawv | . . . oi
o’ ap ’faav stY’fl pevea itvsiovxs? ’A/a:oi, II. 8 429 ff. oi 8’«!XXoi (Aavaoi)
ay.Yjv ’icrav . . . Tpösc 8’, uq x’ oie? . . . pupi’ai savq/.aaiv . . . a'Qry/kq
p.ep.ay.uw! . . . &q Tpwtov äkdkrp'oc avä cxpaxbv supuv opo>psr | ou yzp
TM'nwv *^ev op.b? Opooq ouo’ ta yfipuq | aXXa yX&Gtj' spspy.y.xo, tcoX6-
y.Xvjxoi 8’ saav ävSpe? (an der ersten Stelle wird besonders das
Laute, an der zweiten das wirre Durcheinander der
Stimmen betont); vgl. II. v 39 ff. Tpökc 8e . . . "Ey.xop: llptapto-/)
apoxov |j.E|Aaöxs? exovxo | dßpop.oi auiayoi (gewiss mit Unrecht be
streitet Curtius Gr. 4 553 die aristarchische Erklärung schol. 1. c.
584
Schubert.
avc't toü ayav ßpsp-suv-st; y.at ayav Ja/ouvTss v.olz smiaciv toj a •/.S'.p.svou'
ey.acTO-rs yap Oopußdioeii; touc Tpwa; ftapiatY]au; freilich schon
im Alterthume war die Ansicht vertreten, dass das a in aßpop.oc
und avi.tt.ypc, ein privatives sei: Hes. aßpop.oi • x w pk ßp^P- 0 “ '</ ä'veu
öopußou und aiita'/ot • ävsu ßc% . . .). Mit Rücksicht auf diese Stelle
wird sich nicht leugnen lassen, dass ,laut' oder ,zusammen
schreiend' (a intensivum oder copulativum) für die Troer ein
durchaus passendes Beiwort wäre. An und für sich ist das
selbe weder lobend noch tadelnd; eher noch das letztere. Früh
zeitig muss sich aber, was bei einem so wenig durchsichtigen
Worte nicht zu verwundern, das Gefühl für die echte Bedeu
tung verloren haben; es ist beachtenswerth, dass von den zwei
Stellen, an denen der Gebrauch des Adjectivs unsere Etymo
logie nicht begünstigt — denn sicherlich sind ebensowenig
II. ß 654 die Rhodier als ,lautschreiend' o. dgl. gedacht, als
Od. X 286 Periklymenos —, die eine in der Odyssee und zwar
in einem der nicht ursprünglichen Abschnitte der Nekyia, die
andere in der Boiotia sich findet. Hieraus ergibt sich, dass
schon die Dichter der genannten Partien die eigentliche Be
deutung des Wortes nicht mehr kannten, sowie andererseits der
Umstand, dass es eben nur anerkanntermassen jüngere Partien
der homerischen Epen sind, welchen die der Ableitung von W.
gar nicht günstigen Stellen angehören, diese Ableitung eher zu
bekräftigen, als sie zweifelhaft zu machen geeignet ist. Die
Späteren, wohl durch den Anklang an yspa? und die Erinnerung
an homerische Epitheta der Troer wie p.sya6up.oi, p.eyaXi)TOps;,
fespöup.oi, ü-spfiaXct, ayauo!, ayvivops?, Ö7repv)vop£OVT£<; verleitet,
glaubten aus dem Epithet einen Begriff, wie asjj.vic, yaupo;
u. dgl. herauszufühlen und zwar nach der guten wie nach der
schlechten Seite hin: ersteres Pindar, für dessen auf äussere
Klangwirkungen bedachte Sprache das volltönende Wort wie
geschaffen ist (er gebraucht es stets von Sachen: Ol. X 79
vr/.ac ayspci/pu, Pyth. I 50 ttXoutsu GTS©ävw|P ceyspor/ov, Nein. VI 33
ccyspik/wv fpYp.ä-cuv), und Alkman (Eustath. II. 314, 41), letzteres
Alcäus und Archilochus (Eustath. 1. c.). In älterer Zeit kommt
äydpu-^oi; nur bei Dichtern vor; erst in der römischen Literatur
periode taucht es auch in Prosa auf und zwar meist = auOaoY)?,
ÜTrepf ( (pavo;: Apoll. Soph. vj p.sv -/.aO’ yp.ac cuv-ijOsia ryjv Xsi;iv eic'i uou
ijiiyau täutyjv tcctss'. • touc yap auöaSstq y.ai cKjaiBsuTou? Xeyei ■ o 2s
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
585
'Öpyjpo? tou? (*y«v evitpou? cet. Was die Bildung des Wortes betrifft,
so ist gewiss nicht ein sonst unerweisliches Suffix uyo anzu
nehmen (etwa auf Grund der Gleichung o>yo : a:/o — wvo : avo);
vielmehr vermuthen wir, dass aus gar die Wurzelgestalt gru,
ypu hervorging, wie aus gar ,zerreiben' (Curt. Nr. 130) gru in
Ypü (oüoe Ypu Clem. Stud. III 294, Schmidt Vocalism. II 289).
Aus YP U konnte, wie aus pu pw-pv; (poF-pv)), pw-o-pai und aus
Ypu = zerreiben das Adjectiv Ypwvo? ,ausgefressen, ausgehöhlt'
Nicand. Alexiph. 77 (fern. YpOvv) • craTipä yp«ö? . . . y.at -TaXodov
oy.uTtvov etc. Ilesych.), so mit anderem Suffixe ypoi-yo-?,
a-ypbj-yg-c, a-y-i-pu-yo-q (mit svarabhakti) iervorgehen. Die
Entwicklung des e zwischen y und p, welche Lautgruppe sonst
keineswegs gemieden wird, könnte durch den Umstand begün
stigt sein, dass das Wort stets am Versende erscheint, so dass
jenes e ein bequemes Mittel bot, den Spondeus des 5. Fusses
zu beseitigen. (Vielleicht hängt mit unserer Wurzel gar irgend
wie auch die verworrene Hesychiusglosse Ypwvou? • tou? axouovTa?,
xai tou? |j,-q XaXouvTa? zusammen. Fpu^siv aber [Hes. yp\iZ,Ev) • tptey-
YsoOai, Xi-yen— ypü^ai ■ •((pspa y.paqai, $} qpspa i) üXavmjaat —
vgl. Arist. Lysistr. 656, Plut. 454, Nub. 963], worüber Clemm
1. c. zu vergleichen, lassen wir bei Seite; von dem dort be
sprochenen die Stimme der Schweine nachahmenden Naturlaute
Ypu stammt wohl Ypwva • 5? OvjXeta. Aay.wve? — YP WV( *° S S ' öi^Xeiat
aöo?. S. v. ypd)vrj sind die hinter aawpa YP*u? folgenden Worte
ol oe vfjV wxXaiav Svtjotv vielleicht in ol 3e ty;v naXaiav [/otpjov v) auv
zu corrigiren, so dass zwei etymologisch verschiedene Wörter
vermengt wären : YP ü)V 4 = corepa Ypau; etc. von W. gar ,deterere‘
und YPu>vv) (vgl. das schon angeführte lakonische Ypwva) von Ypu.
XXVI. Adjectiva auf -wSt)?.
Steph. Byz. IliTuoöooat • vvjaot 3G<popoi, ac, HtTUtooEt? y.aXsT ÄXxpav
(Fr. 147). Da die Adjectiva auf -wer,? gesammtgriechisch sind,
so ist bei Ausfall des F regressive Ersatzdehuung anzunehmen
(o-FeiSy)?, w-eiSyj?, uSy;?) während in den Bildungen mit an -o
antretendem Suffixe Fevt (oivo-Fevt-? = oivöet? = att. otvou?) der
Spii-ant spurlos geschwunden ist. Die Bedenken, welche man
unter Berufung auf die Zeugnisse der Grammatiker (Bekk.
Anecd. III p. 1243) gegen die Ansicht, dass der Adjectiv-
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. II. ITft. 38
586
Schubert.
ausgang -wov;? aus o-stSYjs zusammengezogen sei, vorgebracht
hat (Kühner Ausf. Gr. I 170, Lobeck zu Buttm. II 450, Bredow
dial. Herod. p. 196 ff.) — nämlich Abweichung der Bedeutung,
Unregelmässigkeit des Accentes und der Contraction — ver
schwinden bei näherer Betrachtung. War einmal aus o-Fsioy)?
durch regressive Ersatzdehnung bei Ausfall des F u-eiSvj? und
daraus (durch die Mittelstufe «§»]<; hindurch) wov;? geworden
und hiedurch der Zusammenhang mit sioo; verdunkelt: so traten
diese Adjectiva ganz naturgemäss in die Analogie der zahlreichen
Paroxytona auf -r t q mit langvocalischer Penultima, bei denen
eben Paroxytonirung durchgreifende Regel ist (vgl. die auf
-•r;ptjs, -wpv;?, icepi|Air ( ÄYis, 7-ay.of,0r^, Eava-jv.r):; etc.). Was die Bedeu
tung betrifft, so haben manche wie yuvaawor,?, eXixt’obqq
in der Tliat noch die Bedeutung der Aehnlichkeit und dann ist
ja der Uebergang von dieser zum Begriffe der Fülle ein äusserst
leichter (vgl. t&t.oq YrouliSvjc, (jjapp.wSv)!;). Endlich darf das aus cFsiov;;
entstandene moy]; nicht mit Fällen, wie oouXoi? aus SouXosi«;, oivoü;
aus o’.v6si<; verglichen werden, da bei jenem Ausgange eben nicht
Zusammenziehung aus o-pst, sondern aus w-f-ei vorliegt.
Bildungen, wie fuvaao-sio-qq, skao-eiS-j? beruhen auf anderer
Behandlung des F. Dass man die in Rede stehenden Adjectiva
nicht mehr als Zusammensetzungen mit St. slosc fühlte, thut
obiger Erklärung ebensow r enig Eintrag, als irgend jemand an
Zusammensetzung unserer Adjectiva auf -bar, -lieh mit W. bar,
lieh fern. = Leib, elSo? zweifeln wird, obwohl das Gefühl dafür
bereits erstorben ist.
XXVII. Abweichungen von der dorischen Contraction
von a -j- o (w) z u ä.
Ueber die Fälle, wo a -f- o (w) dorisch nicht der Regel
nach in s, sondern wie im Attischen in w contrahirt wird, vgl.
Ahr. dor. 197 und 221. Es sind dies vor allem die Krasis und
die 1. sgl. praes. act. (Denn aus Herod. Boiss. An. III 250
w; or, eyw ysXä -apz ew Xupty.w Sip.wvior, • es yap lyw sipOtou sem
■EpOCWVOU, EÖ OE yska EptEOD ■ OISE! EGtVUV hi'C\vsyxs EM 7Upd)EW eo äva-
y.sXcuOov, eijv spOoE-Eiav eßXaitsy darf nicht etwa auf ein dori
sches -(saS. statt -(eAm geschlossen "werden ; wahrscheinlich beruht
die ganze Angabe auf einem Missverständnisse der Stelle des
Miscellen zum Dialekte Alkmaus.
587
Simonides, die, wie Hartung vermuthet, etwa ü? Sr, lyw te -ysAa
y.ai xeivo? gelautet haben könnte — eine Construction, die nach
Analogie von II. e 774 yy/i poac Ztp,is,i<; Gup.ßaAASTcv vps Y/.dp,avcpcc,
vgl. 11. u 138, Od. ■/. 513, Pind. Pyth. IY 179 xcv püv ’E/lova, v.u/hä-
oovTa? vjßa, t'ov S’ "Epuiov, Alcm. Fr. 12 (Herodian. Tcsp't 61)
d. h. als eine Art des sogenannten G^vjp.a ’A Av.p.av.'/.ov, welches
sonst allerdings auf die Congruenz des Numerus, nicht wie
Simonid. 1. c. auf die der Person sich bezieht, zu beurtheilen
wäre). Auch a -f- oi im Optativ gibt nicht etwa a, sondern to
(Curt. Verb. II 92). Vgl. aus Alkman -/mzwpav 76 2 , cpfii Pap.
II 6, epß III 20, vr/.w Fr. 89. Was nun das aus a-)-«o contra-
hirte w der 1. sgl. act. betrifft, so liegt hier recht eigentlich
das vor, was Kühner Ausf. Gr. I 169, 172 ,grammatische
Contraction/ nennt — ein a wäre hier den zahllosen ersten
Personen auf to gegenüber fremdartig gewesen — und in der
Krasis konnte a -f- O-Laut nicht zu ct zusammenfliessen, weil
die zu dieser Coutractionsweise nothwendige Vorbedingung fehlt.
Wo nämlich a -)- o (w) ä gibt, dort muss der O-Laut eine nach
a hinneigende Lautfärbung besessen haben, welche dessen Assi-
■> milation an das voranstehende « ermöglichte — und das war
im Dorischen wohl bei dem O-Laute stamm- und wortbildender
Elemente (Suffixe und Endungen : ’ATpeioa-(oj)c oder ’ÄTps(oa-(j)o(?),
Tiga-uv, Ilo-ioa-wv) oder mit dem Themavocal im Inlaute von
Verbalformen (oiazeivctp.e? Arist. Ach. 751 aus 3ictzsivac-p.ec, ezs-
Aäcflo) tab. Heracl. I 127 aus sze'Aao-cöw) etc., nicht aber bei der
Krasis mit dem anlautenden o (w) selbständiger Wörter der
Fall. 1 Insofern Formen wie die angeführten aus der theil-
1 Beim Zusammentreffen von A- und O-Laut gilt im Attischen für die
interverbale Contraction (Krasis) nicht dasselbe Gesetz wie für die inter-
syllabische. Während in dieser, falls nicht andere Rücksichten obwalten
(z. B. azlöcc = ajAS), der dumpfere Vocal stets den helleren überwindet,
also ein rein äusserliches, lautliches Contractionsprincip herrscht: ent
scheidet in jener (der Krasis) gewöhnlich der Anlaut des zweiten, be
deutungsvolleren Wortes (rayaOov aus to ayaOöv, äyaOol aus oi ciyaöoi,
TccvSpi aus tto avSpl vgl. Curtius Stud. I b 279), demnach ein inneres,
mehr geistiges Princip. Anders im Aeolodorisehen, wo gerade wiederum
in der Krasis immer der O-Laut obsiegt (o [to] -}- a = to, a -j- o [to] = to)
ohne Rücksicht auf den Anlaut des zweiten Wortes: woraus zu ersehen,
dass, da bei intersyllabischer Zusammenziehung a -|- o (to) in der Regel
5 ergibt, der O-Laut dort kein reiner, sondern, wie oben bemerkt, ein
zwischen A und O schwebender gewesen sein muss.
38*
588
Schubert.
weisen Bewahrung- des alten A-Lautes des Suffixes, des Thema-
vocals etc. sich erklären, liegt hierin gewiss eine hohe Alter-
thtimlichkeit des Dorischen; unterstützt wurde in manchen
Fällen diese Bewahrung durch die Analogie von zu demselben
oder einem verwandten Formensysteme gehörigen Bildungen:
so das a des gen. sgl. und plur. der A-Stämme durch das a
der übrigen Casus, jenes der 2. sgl. aor. med. wie eypctdia durch
das a der übrigen Ausgänge (oapwjv, crato, cap.cQov etc.), das von
’AXyp.av, ’Ap.uOav durch "EXXav, ’A'Cd'/ etc.
XXVIII. outic' Fr. 146.
Schob II. p 40 wird unter anderen zweisilbigen oxytonirten
Femininis auf ti? mit o in der Penultima oder einem Diphthong,
dessen erster Bestandtheil o ist (v.oiv.q, Ilpoidc, cppovi'b) auch an
geführt : outi? t'o i^wov izaa ’AXxpävi (Fr. 146), womit doch wohl
der sonst wit? (Xen. Anab. I 5, 2, Aristot. hist. an. IX 33)
genannte Vogel gemeint ist (vgl. aber auch Aristot. hist. an.
VIII 12 o oe wt'o? ö{j.oioq xdlq yXaul't y.a). orspl xd, S)xa wrepöfia iyjov ■ »
svioc oe aurbv w/.xiv.dpay.a y.aAouaiv, Hes. wtoi; ■ opveov op.otov y’Xaov.i'
oi oe vuy.Tty.öpay.a Asyoucw). Diese Form stimmt zu keiner der
sonst bekannten Gestaltungen jenes Stammes, als dessen ur
sprünglichste Form abu-ax (Curt. Gr. Nr. 619) anzusetzen ist:
vgl. liom. und milddor. ouaxa, strengdor. waxa (Fr. 41,), taren-
tinisch axa, lesbisch «öaxa, attisch und jonisch 5)xa (Brugman
Stud. IV 143, Ahr. dor. 246) — aber sie entspricht als Bei
spiel den in der Regel Schol. II. 1. c. gegebenen Bedingungen.
An der Richtigkeit der Ueberlieferung ist um so weniger zu
zweifeln, als sich, wie uns scheint, eine befriedigende Erklärung
der befremdlichen Form darbietet, und zwar in der Annahme,
dass der Stamm cuo nicht wie gewöhnlich das Suffix ax, sondern
das daraus verdampfte ot antreten liess: oüg-ot, oü-ot, cF-ot,
o-ot, out-, wie denn auch der Nominativ ouc 1 ohne Zweifel auf
1 Den nom. acc. unseres Wortes kennen wir aus dem epischen und dem
attisch-jonisclien Dialekte in der Form oüc (doch will Curt. Erl. 3 71 statt
acc. ouc II. o 109 oac, schreiben; die zweite Stelle 11. u 473 ooupi xat’
ouc widerstrebt dieser Aenderung). Das Et. M. 554, 21 u. ö. als dorisch
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
589
einer anderen als einer ax-Bildung- beruht: oua-oc (Suffix eq,
vgl. Theocr. I 28 äpup-öe?) oü-oc, cF-oc, o-oq (nom. ou? aus oü-oq:
St. ou-ax = üo-o? : St. uB-ax = -/.eptoc aus y.ep-a c-oc : y.sp-ax-oc).
So gesellt sich denn in dem durch das alkmanische oim'c ge
gebenen Stamme zu den vielgestaltigen Bildungen des Stammes
ouax eine neue, bisher nicht beachtete Stammform o-ox hinzu;
natürlich darf dieselbe in der contrahirten Gestalt oox nicht für
strengdorisch gelten — wohl aber kann sie einer der jonischen
Mundarten (Her. I 142) angehört haben und aus dieser in dem
genannten Worte oox£? in die lydische Heimat des Dichters ein
gedrungen sein; dass das Wort sodann von Alkman in dem
dorisch-lakonischen Dialekte seiner Gedichte beibehalten ward,
kann bei einer derartigen, einem nom. propr. nicht unähnlichen
Bezeichnung nicht Wunder nehmen.
bezeiehnete und Theocr. XI 30 vorkommende cos wird, da oüaxa Epich. 9 4
vielmehr auf einen Nom. oöa; oder oü; hindeutet, blos der strengen Doris
einzuräumen und durch Contraction aus töa; zu erklären sein; dieses
letztere führt Herod. r.. p. X. 14, 30 ohne Angabe des Dialektes unter
den verschiedenen Nominativformen dieses Stammes an: uns scheint
kein Grund vorhanden, es mit Ahrens dor. 246 als blos fingirt (nach
den obliquen Casus tnaxo;, toaxi etc.) zu betrachten. Welche die Form
im Lesbischen war (aüa;? nach dem aus |j.aXojxctpauo; • XEUxoTtapeto; Hes.
erschliessbaren auaxa), wissen wir nicht. Mit Unrecht wird (Kühner
A Gr. I 359), wie Ahrens dor. 247 erkannte, die Glosse des Hesycli.
aü; • auio's • KpiJxE; xai AdxtovE; auf eine Form unseres Stammes bezogen:
vielmehr ist dort das Pronomen auxo'; gemeint: C. I. 256 siijapiva (ir.lp
aü; aüxa; süyom (kretisch) und zahlreiche Beispiele auf delphischen- In
schriften (Curt. Verh. d. lc. sächs. Ges. d. Wiss. 1864, S. 226). In den
Formen ouaxo;, oüaxi etc. ist ou als ursprünglich wahrer Diphthong, im
nom. ou; als blosser Digraph anzusehen und es wäre für letzteres Wort
in altattischer Schreibung OS zu erwarten. Auch unser oüxi; musste nach
der oben gegebenen Erklärung des ou im alten Alphabete durch OTIS
wiedergegeben sein. Nun könnte man vielleicht geltend machen, oüxi;
sei einfach falsche Transscription aus OTIS, das bei Alkman vielmehr
als toxi; zu fassen war. Dies ist unwahrscheinlich, weil man eben wegen
der sonst verbreiteten Form toxi; zu der Umschreibung durch w würde
gegriffen haben, wenn nicht ein besonderer Grund für die mit ou ge
sprochen hätte. Deswegen aber die Voraussetzung zu ändern und an
zunehmen, dass die ursprüngliche Schreibung OYxi; mit wahrem Diph
thonge war, geht nicht an, weil ein solches OY der etymologischen
Begründung entbehrt. Es kann uns also oüxi; nur als richtige Um
schreibung aus Oxi; gelten.
590
Schubert,
XXIX. cf•/.a <pbu s Fr. 72.
Das Fr. 72 überlieferte <r/.a<pcü<; ändert Bergk in Gv.dysuq.
Die Grenzen der Contraction von s + o zu su auf dorischem
Gebiete hat Ahrens dor. 214 f. (vgl. 431) genau festgestellt.
Es ergibt sich hieraus, dass sy.doeut; bei Alkman, der den gen.
sgl. der elidirenden Sigmastämme sonst auf so? ausgehen lässt
(stveos 33,, dvöso? 117), nur als episch — im Epos erscheint
nämlich der eben bezeichnete gen. sgl. allerdings zuw&ilen
neben dem regelmässigen zoq und dem seltenen ouq mit dem
Ausgange eu? — oder als lesbisch (Ale. 15 4 ßsXeu?) zu betrachten
wäre. Erwägt man aber, dass, wie sich nachweisen lässt, gerade
auf die Flexionsformen der Nomina und Verba diesen beiden
Elementen von Alkman ein möglichst geringer Einfluss ein
geräumt wird, so wird man keineswegs geneigt sein, jener
Aenderung, bei der das aeschyleische vaöv avay.te? (Pers. 383)
und y.ü)XTj? avaS (ibid. 378) — vgl. Eur. Cycl. 86 y.öv/;c avax/ra?
= ipizac, — vorschweben mochte, beizupflichten. Ohne dieses
dialektologische Bedenken wäre freilich Bergks Conjectur als
eine sehr ansprechende zu bezeichnen. Denn soviel scheint
sicher, dass aväactov an dieser Stelle vom Dichter nicht absolut
in der Bedeutung ,gebietend, herrschend', sondern in der beim
Verbum avckasiv (Eur. Teleph. Fr. 700 Dind. y.Mwrjc dväasuv) 1
und öfter beim Substantiv maiq nachweisbaren des ,Sorgetragens
um etwas, eifrig mit etwas Beschäftigt-seins' = d'io:/.G>q r/siv
(vgl. Angermann Stud. III 118 ff. und besonders Curtius in
der Anmerkung auf p. 121 der Angermann’schen Abhandlung)
gebraucht war. Der das zu cy.a<pe6<; (Eur. El. 252 cy.a$£u? v.c
■q ßouccopßb; oojxojv) construirte Particip mdaam näher be
stimmende Zusatz, wie er durch Bergks GY.äaeuq gegeben wäre
und wie ihn in der Verbindung ZM-a-qt; mat der Genetiv, in
yeipwvai; — 6 tüv /j.ip&'t (yrfi yeipoxeyvlas) u'K/.ymc, eyjm (aväcrawv)
das erste Glied des Compositums enthält, ist verloren gegangen.
Das grössere Ganze, dem Fr. 72 angehörte, scheint eine fabel
artige Erzählung enthalten zu haben.
1 Dieser Ausdruck wird von Aristot. Rhet. 3, 2, p. 1405 a, 29 als drcpETtsq
(on [j.et£ov -b avacceiv ^ xar’ a?fav) getadelt; welcher Tadel aber auf
Verkennung der in solchen Verbindungen sich offenbarenden Bedeutung
des Wortes beruht, das hier eben nicht ,beherrschen 4 bedeutet.
Miscellen zum Dialekte Alkmans.
591
XXX. Fragm. 33.
Clemm de fragm. quodam Aleni. (33) comment. p. 18
billigt Meineke’s Aenderung von eaÖei (v. 6) in &0eiv und Ver
setzung desselben an den Anfang der daktylischen Tetrapodie:
stjöstv • olm yäp rp T£Tuyg.£vov. Gewiss wird man aber wenig geneigt
sein bei Alkman eine Infinitivform auf etv durch Conjectur
einzuführen. Ueberdies wird durch die vorgeschlagene Wort
versetzung der kaum zufällige Wechsel von daktylisch und
spondeisch schliessenden Tetrapodien gestört. Sehr ansprechend
ist nämlich die Ansicht Westphals II 367 ; dass hier je zwei
Tetrapodien (die erste jedesmal daktylisch, die zweite spondeisch
scliliessend) zu einem Verse zu verbinden sind, so dass das
Fragment (nicht eine einzige daktylisch hypermetrische Periode
vgl. Westphal p. 148 — sondern) eine tetrastichische Strophe
(3 Oktapodien -f- 1 Tetrapodie als kürzerer Schlussvers) dar
stellt (^atajet ist Rest eines neuen Strophenanfanges). Auch
Clemm ist im Wesentlichen derselben Ansicht, lässt aber, wie
gesagt, mit Meineke die dritte Verszeile daktylisch (statt spon
deisch) schliessen und das ist es eben, was die Symmetrie stört.
Die ungewöhnliche Verbindung von -rjpdcQr, mit dem Accusativ,
an der beide Anstoss nehmen, scheint zur Rechtfertigung der
sonst wenig plausiblen Aenderung nicht auszureichen (vgl.
Kühner Ausf. Gramm. II 327 Anm. 2), Auch Giy-flc 38 2 ist
statt des regelmässigen Genetivs als reines Transitivuni mit
dem Accusativ verbunden. Auch dort ist dieser Accusativ ein
neutrales Pronomen äc, wie an unserer Stelle oiov. Vgl. Soph.
Antig. 546 ä [A; ’0i-f£c.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLA.SSE.
XCII. BAND. ill. HEFT.
JAHRGANG 1878. — DECEMBER.
XXYI. SITZUNG VOM 4. DECEMBER 1878.
Herr Hofrath M. A. Ritter von Becker übersendet das
erste Heft der von ihm bearbeiteten: ,'Topographie von Nieder
österreich',
Die Direction des Kriegs - Archives im Aufträge des
k. k. Generalstabes den fünften Band des Werkes: ,Die Feld
züge des Prinzen Eugen von Savoyen', bearbeitet von Ober
lieutenant Danzer;
Herr L. Ferdinand Freiherr von Eberstein in Dresden
das von ihm verfasste Werk: ,Geschichte der Freiherrn von
Eberstein' sammt einer Beigabe und Nachträgen.
Das w. M. Herr Professor Hartei überschickt mit einem
Begleitschreiben im Aufträge des Herausgebers den zweiten
Band der Alexias der Anna Commena, besorgt von dem c. M.
Herrn Professor Dr. Reifferscheid in Breslau.
Herr Dr. Heinrich Käbdebo in Wien legt ein druck
fertiges Manuskript unter dem Titel: ,Matthäus Donner, sein
Leben und seine Werke. Eine Studie zur Geschichte der
Wiener Graveur-Akademie in der ersten Periode ihres Be
standes' vor und ersucht um einen Beitrag behufs der Druck
legung.
Herr Dr. N. Goehlert, Regierungsrath in Graz, übersendet
eine Abhandlung:,Keltische Wörter in den lateinischen Inschriften
aus Noricum, Pannonien, Dalmatien und Gallien (cisalp.) in
vergleichender Weise erörtert. II' mit der Bitte um Aufnahme
in die Sitzungsberichte.
596
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academia regia scientiarum suecica: Ofversigt af Förhandlingar: 35. Arg.
Nr. 3, 4 o 5. Stockholm. 1878; 8°.
Alterthums-Verein zu Wien: Berichte und Mittheilungen. Band XVII,
2. Hälfte. Wien, 1878; gr. 4°.
Becker: Topographie von Niederösterreich.
Bibliotheca regia monaeensis: Catalogus codicum latinorum. Tom. II,
pars III. Codices Num. 15121—21313 complectens. Monachii, 1878; 8 U .
D’Arbois de Jubainville, H.: Ha Mythologie grecque et l’histoire de
l’Europe occidentale. Paris, 1878; 8°.
Eberstein, Louis Ferdinand Freiherr von: Geschichte der Freiherren von
Eberstein und ihrer Besitzungen. 1.—6. Lieferung nebst Nachträgen und
Beigabe. Dresden, 1865, 1878; 8° und 4°.
Gesellschaft, Archäologische, zu Wilna: Akta. Tome IX. Wilna, 1878; gr. 4°.
— Deutsche morgenländische: Indische Studien von Dr. Albrecht Weber.
XV. Band. Leipzig, 1878; 8».
— Kurländische, für Literatur und Kunst: Sitzungsberichte aus dem Jahre
1877. Mitau, 1878; 8°. — Erzbischof Adalbert von Hamburg-Bremen
und der Patriarchat des Nordens. Eine historisch-kritische Untersuchung
von Karl Dannenberg. Mitau, 1877; 8°.
Greifswald, Universität: Akademische Schriften pro 1877. 46 Stücke.
4° und 8°.
Mitth eilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter
mann. XXIV. Band. 1878. XI. Gotha; 4°.
Museum at Harvard College: Library of Harvard University: Bibliographieal
Contributions. Nr. 1. Cambridge, 1878; 8°.
Räjendraläla Mitra. L. L. D. Catalogue of Sanskrit MM. existing in Oudli.
Fasciculus IX. et X. Calcutta, 1877/78; 4°.
,Revue politique et litteraire 1 et ,Revue scientiiique de la France et de
TEtranger 1 . VIII“ Annee, 2° Serie, Nrs. 21 et 22. Paris, 1878; 4°.
Sociedad cientifica argentina: Anales. Octubre de 1878. — Entrega IV.,
Tomo VI. Buenos Aires, 1878; 4°.
Verein, militär-wissenschaftlicher in Wien: Organ. XVII. Band, 2. Heft
1878. Wien; 8°.
— für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben: Correspondenzblalt.
Titelblatt für den I. und II. Jahrgang, 1876 und 1877 nebst Nachtrag.
— Münster-Blätter. I. Heft. Ulm, 1878; 4°.
XXVII. SITZUNG VOM 11. DECEMBER 1878.
Das c. M. Herr Professor Joseph von Zahn in Graz
ersucht um eine Subvention zur Vollendung seines Werkes:
,Geschichte des ehemaligen Patriarchates von Aquileja'.
Das w. M. Herr Professor Dr. Maassen legt eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor, welche betitelt
ist: ,Eine burgundische Synode vom Jahr 855'.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academia litterarum regia Borussica: Inseriptiones atticae aetatis romanae;
edidit Guilelmus Dittonberger. Volmninis tertii pars prior. Berolini,
1878; Fol.
— Lugduno-Batava: Annales aeademici. 1874/1875. Lugduni-Batavorum,
1877; 40.
Ac.cademia della Crusca: Vocabolaria. V a . Impressione Volume III, Fasei-
colo IV. Firenze 1878; Fol.
Akademie der Wissenschaften, kiinigl. Preussisc.he, zu Berlin: Abhandlungen
aus dem Jahre 1877. Berlin, 1878; gr. 4°.
Cunningliam, Alexander, C. S. J.: Corpus Inseriptionum indicarum. Vol. I.
Inscriptions of Asoka. Calcutta, 1877; gr. 4°.
Gesellschaft, k. k. geographische, in Wien: Mittheilungen. Band XXI.
(N. F. XI), Nr. 10. Wien, 1878; 80.
— Schlesische, für vaterländische Cultur: XXV. Jahresbericht 1877. Breslau,
1878; 8°. — Fortsetzung des Verzeichnisses der in den Schriften der
Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur von 1864 bis 1870
incl. enthaltenen Aufsätze. Breslau; 8°.
Giessen, Universität: Akademische Schriften aus dem Jahre 1877/78. 8 Stücke.
8° und 4°.
Henry, James: Aeneidea, or critical, exegetical and aesthetical Eemarks on
the Aeneis. Vol. I et II. London, 1873, 1877/8; 8°.
Krones, Dr. F.: Zur Geschichte des deutschen Volksthums im Karpatenlande.
Graz, 1878; 4“.
Museum-Verein in Bregenz: XVII. Rechenschaftsbericht über den Vereins-
Jahrgang 1877. Bregenz; 4°.
,Revue politique et litteraire* et ,Revue scientifique de la France et de
TEtranger*. VIII“ Annee. 2° Serie. Nr. 23. Paris, 1878; 4°.
Statistisches Departement im lc. k. Handelsministerium: Nachrichten über
Industrie, Handel und Verkehr. XV. Band, II. Heft. Statistik des öster
reichischen Telegraphen im Jahre 1877. Wien, 1878; 4°.
Verein der Oesterreichisch-Schlesier in Wien: Vereins-Kalender für das
Jahr 1879. Teschen, 1878; 8°.
— Historischer, des Kantons St. Gallen: St. Gallische Gemeinde-Archive.
Der Hof Kriessern von J. Hardegger und II. Wartmann. St. Gallen,
1878; 8°. — Der Kanton St. Gallen in der Restaurationszeit. St. Gallen,
1878; gr. 4°. — Joahim v. Watt (Vadian), Deutsche historische Schriften,
I. und II. Band von Ernst Götzinger. St. Gallen, 1875 und 1877; 4°.
Das Psalterium aureum von St. Gallen, ein Beitrag zur Geschichte der
Karolingischen Miniaturmalerei, von J. Rudolf Rahn. St. Gallen, Paris,
Turin, London, 1878; Fol.
Maassen. Eine burgundische Synode vom Jalir 855.
599
Eine burgundische Synode vom Jahr 855.
Von
Friedrich. Maassen,
wirk]. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
I.
Am 8. und 9. Januar cles Jahrs 855 wurde auf Befehl
des Kaisers Lothar zu Valence eine Synode der drei Kirchen
provinzen von Lyon, Vienne und Arles gehalten. 1 Diese
Synode hat ausser sechs den Prädestinationsstreit betreffenden
noch eine Anzahl von Capiteln über Gegenstände der Disciplin
beschlossen. Dümmler macht in seiner Geschichte des Ost
fränkischen Reichs mit Recht die Bemerkung, dass diese
Beschlüsse uns ein sehr abschreckendes Bild von den im
lotharischen Reich herrschenden Zuständen, insbesondre von
der Ohnmacht der kaiserlichen Regierung geben. 2
In noch grelleren Farben stellt sich uns die eiugerissene
Verwilderung, die Auflösung aller Bande der Ordnung und
des Rechts nach den Beschlüssen einer in demselben Jahr 3
in der Kirche des heil. Laurentius bei Mäcon 4 gehaltenen
Synode der beiden Provinzen von Lyon und Vienne dar. 5
1 Mansi XV. 1 sq. nach Sirmond. In den Noten sind Varianten des Cod.
Vatic. 3827 angegeben.
2 A. a. 0. I. 376.
3 S. 607 und S. 609.
4 Im Jahr 830 wird in einer Urkunde Ludwig’s des Frommen die Abtei
des heil. Laurentius bei Macon erwähnt. S. Gallia Christiana IV. 1109.
5 Die Diöcesen von Mäcon, Autun, Chälons und Langres gehörten nach
der Reichstheilung von 843 zum Reich Karl’s des Kahlen; aber die
Metropole Lyon und die ganze Kirchenprovinz von Vienne gehörten
zum lotharischen Reich.
600
Maassen.
Das allgemeine Uebel der Zeit, so heisst es, ist ein
Anlass geworden, dass Verbrechen aller Art, und zwar in
grosser Zahl, von einigen begangen werden. Als solche Ver
brechen werden genannt: Tödtung, Ehebruch, Raub, Brand
stiftung, Sacrileg, gewaltsamer Einbruch in Kirchen, Verstüm
melung. Namentlich aber ist der Raub so zur Gewohnheit
geworden, dass er kaum noch als unerlaubt gilt.
In dem Synodalschreiben wird bemerkt, dass ausser
den nachfolgenden Capiteln noch verschiedene andre Dinge
verhandelt seien. Da aber diese noch einer gründlicheren
Erörterung mit den übrigen Mitbischöfen und Brüdern be
dürften, so wolle man zunächst nur diese wenigen Capitel den
Collegen mittheilen.
Nachdem im ersten Capitel alle unrechtmässigen Be
sitzer von Kirchengut mit der Excommunication bedroht sind,
handelt das zweite Capitel von Raub und andren schweren
Verbrechen.
Im Eingang dieses Capitels wird bemerkt, dass schon
die Synode von Valence im Interesse des gemeinen Frie
dens und der Correction der Uebelthäter, namentlich aber
zur Steuer des Raubs einige Beschlüsse gefasst habe. Wir
erfahren, dass es für gut befunden wurde die betreffenden
Capitel von Valence auf’s neue zu verlesen und für ihre
weitere Verbreitung Sorge zu tragen. Nach dieser Erwähnung
folgen die von der gegenwärtigen Synode getroffenen Anord
nungen.
Wer Raub und Plünderung verübt hat, soll die Busse
leisten, welche ihm vom Bischof nach Beschaffenheit der That
wird zugemessen werden. Mit Rücksicht aber darauf, dass aus
Anlass der Zeitumstände von einzelnen viele schweren Ver
brechen begangen sind, die nur durch eine längere Busse
gesühnt werden können, ist die Aufstellung näherer Bestim
mungen über die Excommunicationssentenz 1 als zweckmässig
erschienen.
1 Die Zulassung zur Busse war das Mittel Zur Erlangung der Reconciliation.
Sie setzte voraus, dass der Uebelthäter excommunicirt war, sei es nun
bloss vom Empfang der Communion ausgeschlossen, sei es mit dem eigent
lichen Bann belegt.
Eine burgundisclie Synode vom Jalir 855.
601
Es werden zwei Classen von Uebelthätern unterschieden:
1. solche, welche in einer Art von Nothstand leichteren Raub
verübten, 2. solche, welche in diesen Zeiten der Auflösung
sich frei die Zügel schiessen Hessen und viel Abscheuliches
begingen.
Die Ersteren sollen so lange vom Eintritt in die Kirche
und vom Genuss des Leibs und Bluts des Herrn ausgeschlossen
sein, als sie, je nach Vermögen, sei es durch Wiedererstattung,
sei es durch Gott wohlgefällige Almosen, sei es durch wahre
Reue u. s. w., Besserung ihres Lebens gezeigt und zuerst das
Mass der Busse, darauf aber auch die Reconciliation von
ihrem Bischof erbeten haben. 1
Die Verbrecher der zweiten Categorie sollen nicht bloss
vom Leib und Blut des Herrn getrennt sein, sondern sie sollen
auch niedergestreckt zur Erde die ihren Vergehen angemessene
Busse erflehen und auf sich nehmen.
In beiden Fällen sollen also die Versagung der Communion
und das Verbot des Eintritts in die Kirche die Strafe sein.
Des Letzteren wird in dem zweiten Fall nicht ausdrücklich
gedacht; natürlich aber ist dieses Verbot auch auf ihn zu
beziehen. 2
Worin besteht nun aber der Unterschied?
Auch die Verbrecher der ersten, leichteren Categorie
mussten Busse leisten um die Reconciliation zu erlangen. Der
Unterschied besteht in der grösseren und längeren Busse,
welche die schwereren Verbrecher traf. Worin die Busse in
jedem einzelnen Fall zu bestehen und wie lange sie zu dauern
habe, das hing vom Ermessen des Bischofs ab. Die Abstufung
zwischen den beiden Classen von Verbrechern wird aber vor
' Es heisst: postmodum (d. i. nach beendigter Russe) reconciliationem ab
episcopo suo expeterent. Die Reconciliation sollte also nicht wie bei
Regino II. 418 schon mit der Uebernahme der Russe, sondern, wie dies
regelmässig der Fall war, erst nach überstandener Busse Statt finden.
2 Das Verbot des Eintritts in die Kirche war keineswegs regelmässig mit
dem Ausschluss von der Communion verknüpft. Aehnlich wie hier die
a limine ecclesiae seclusi et. a corpore et aanguine Domini stuspens? den
excommunicati a coetu et a consortio fidelium (s. u. S. G10) wird in c. 7.
des römischen Concils aus der Zeit von 871—878 (Sitzungsberichte Bd. 91
S. 784) der ab ecclesia privat?/st dem ab omni Christtianorum conlegio
separatus gegenübergestellt.
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. XCII. Bd. III. Hft. 39
Maas soll.
602
Verhängung der Busse äusserlich erkennbar gemacht durch die
Art und Weise, in der die Busse erbeten wird. Während für
die erste Classe keine bestimmte Form vorgeschrieben ist,
soll von den Verbrechern der zweiten die Auflegung der
Busse durch eine besonders demüthigende Kundgebung erwirkt
werden.
Von dem eigentlichen Bann ist bis hier noch gar nicht
die Bede. Der Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft soll
vielmehr erst dann eintreten, wenn der Uebelthäter diese im
Interesse des allgemeinen Friedens gegebenen Vorschriften nicht
befolgt und bei seinem Verbrechen hartnäckig verharrt. Als
Wirkungen dieser Strafe werden bezeichnet: 1. für die Leben
den der Ausschluss: a) vom Altar des Herrn, b) von der
Tischgemeinschaft, dem mündlichen Verkehr und der Gebets
gemeinschaft mit den Gläubigen, c) von den Gaben, welche
die Gläubigen unter Segnungen im Sacrarium oder im Opfer
kasten darbringen; 2. für die Verstorbenen: a) die Versagung
des christlichen Begräbnisses, b) der Ausschluss von den
Gebeten, welche am Altar für die verstorbenen Gläubigen ver
richtet werden. Diese die Verstorbenen treffenden Wirkungen
des Banns werden aber nur mit der Einschränkung angedroht,
si sacerclotalem, absolationem per culparum suarum humilem con-
fessionem prius non meruerint. Dazu ist Folgendes zu bemerken.
Die öffentliche Beconciliation konnte nur der Bischof gewähren,
von dem der Bann verhängt war. Diese setzte aber voraus,
dass der Gebannte die öffentliche Busse erbeten hatte, zu ihr
zugelassen war und sie geleistet hatte. Dass aber dies Alles
nicht geschehen sei, ist eben die Voraussetzung hier. Kur in
der Todesstunde konnte jeder Priester die Absolution ertheilen
und damit die Wirkungen des Banns, so weit sie für die
Verstorbenen bestanden, aufheben. 1 Von dieser Absolution ist
hier die Bede.
Zuletzt heisst es dann noch: et, quia non amaverunt Domi
num nostrum Jesum Christum, ent eis juxtu apostolum anathema
maranatha. Das anathema maranatha drückt aus, dass die Folgen
des Banns fortdauern bis zum Tag des Gerichts. So heisst es
z. B. in c. 13 des Concils von Trosly in der Diücese Soissons
1 S. z. B. Herard. Tur. c. 59 (Baluz. Capit. Paris, 1780 l. 1289).
Eine burgundisclie Synode vom Jahre S55.
603
vom Jahr 909: sit quisque eornm, qui hoc nefandissimum scelus
opere perpetravit et quicumque eis quoquo modo favendo et com-
municcmdo consentit, anathema maranaiha, id est condemnatvs,
donec Dominus redeat, vel perditio sive, ut dictum est, con-
demnatus in die judicii, quando Dominus veniet. 1 Ob ein wesent
licher Unterschied zwischen dem anathema maranaiha und dem
gewöhnlichen Bann bestehe, oder nicht, ist eine ungelöste
Streitfrage. Während nach der einen Ansicht der so Bestrafte
nie wieder Aussöhnung erlangte, 2 ist dies nach einer andren
Ansicht nicht richtig. 3 Unsre Stelle entscheidet darüber
nichts; denn das anathema maranaiha soll in dem hier voraus
gesetzten Fall erst Geltung haben, wenn der Verbrecher
unversöhnt gestorben ist. Diese Formel könnte also höchstens
das ausdrüclcen sollen, dass eine Reconciliation des im Bann
Verstorbenen — in gewöhnlichen Fällen war eine Aufhebung
des Banns auch nach dem Tode möglich 1 — hier aus
geschlossen sei.
Im dritten Capitel wird den abwesenden Bischöfen der
beiden Provinzen an’s Herz gelegt das Synodaldecret in Aus
führung zu bringen und anwesende wie abwesende werden für
den Fall des Zuwiderhandelns mit dem zeitweiligen Ausschluss
aus der Gemeinschaft mit den übrigen Bischöfen der Provinz
bedroht. 5
1 Mansi XVIII. 302.
2 So Kober Der Kirchenbann S. 40 fg. und andre dort Citirten.
3 Suarez De censuris Disp. VIII. seot. 2 und 7; Binterim Denkwürdigkeiten
V. 2 S. 267 fg.; München Das kanonische Gerichtsverfahren II. 160.
4 Vgl. Kober a. a. O. S. 530; Schilling Der Kirchenbann S. 151. Ara
deutlichsten ist in dieser Beziehung das zweite Concil von Limoges von
1031: Omnes enim noverunt in sanctis conciliis sic institutum, ut, si quis
ab episcopo suo excommunicatus interfectus aut obitu proprio mortuus
absque reconciliatione fuerit, nullatenus Christianorum sepultuva sepeliatur,
nisi episcopus 'satisfacientibus pro eo amicis vel parentibus ab Solu
tion em et licentiam ex hoc concesserit. Sed neque pro eo oretur nec
facultas ejus in eleemosynam suscipiatur, quousque ab episcopo absol-
vatur. Simili modo si vulneratus ad mortem quilibet, de excommunicatis
fuerit vel infirmitate ad exitum correptus, poenitentiam ex corde petierit
vel esse monachus quaesierit, poenitentia ejus suscipiatur quidem et viaticum
ei pro misericordia tribuatur, nullatenus tarnen sepeliatur neque post mortem
pro eo oretur, donec ab episcopo suo absolvatur (Mansi XIX. 539).
5 Vgl. Kober S. 43.
39*
604
Maassen.
Der Text des vierten Capitels ist sehr corrumpirt. Zu
erkennen ist so viel, dass einzelne die über sie verhängte Strafe
mindestens partiell vereitelten, indem sie Priester zwangen die
Messe in ihrer Gegenwart zu lesen. Dem sucht die Synode
abzuhelfen. Es wird daran die allgemeine Vorschrift geknüpft,
dass jeder, der sich einen Priester halten wolle, dies nur mit
Genehmigung des Bischofs thun solle.
II.
Diese Synode findet sich in den beiden Handschriften
XXX und XV des Domcapitels zu Novara, von denen die
erstere dem 10.—11., die andre dem 12. Jahrhundert angehört.
Ich habe den Inhalt dieser Plandschriften in meiner Bibliotheca
juris canonici manuscripta angegeben. 1 Die jüngere steht, wenn
sie nicht bis zu dem Capitulare Lothar’s (s. u.) eine Copie
(eines Theils) der älteren ist, doch jedenfalls in einem sehr
nahen Verwandtschaftsverhältniss zu dieser. Die Synode von
Mäcon folgt in beiden Handschriften auf die Synode von
Valence vom Jahr 855, der hier, mit Ausnahme des Fragments
der Unterschriften, dieselben Stücke angehängt sind wie in
den gedruckten ■ Conciliensammlungen. 2 Nach dem vierten
Capitel der Synode von Mäcon folgt noch einmal das neunte
C'apitel der Synode von Valence, welches aber hier mit VIII
bezeichnet wird. Es scheint, dass der Schreiber dieses Capitel,
wie es äusserlich als zur Synode von Mäcon gehörig sich
präsentirt, so auch in der That dieser zuschrieb. Es findet sich
nämlich nach dem vierten (und letzten) Capitel der genannten
Synode die Bemerkung: Hic desunt ca/p. tria. An das letzte
Wort des neunten (VIII.) Capitels der Synode von Valence
schliesst sich ohne Absatz Folgendes: Ut autem dotes secundum
canonicam auctoritcitem singulis ecclesiis perpetuo maneant nec de
potesfat.e episcoporum a laicis ullo modo praesumantur. Auf
1 Sitzungsberichte Bd. 53 S. 387, 391.
2 Nämlich Imperator Constantinus Augustus Ablavio praefato (sic) praetorio.
Religionis est — sententia deciderit (ein Fragment der ersten unter den
sogenannten Sirmond’schen Constitutionen). Und Cap. legis Gondorade.
Omnes omnino cause, que infra XXX annos — inveniri potest (Mansi XV. 14).
Eine burgundische Synode vom Jahr 855.
605
diesen Satz, den man nach seiner allgemeinen Fassung für
eine Capitelrubrik halten könnte, 1 folgt, ebenfalls ohne Absatz:
Hec vero, quae secuntur, domnus apostolicus nobis rescribere
curavit nosque Lotliario regi cum aliis quamplurimis capitulis
de praesenti sinodo dirigere curavimus. Nun folgt:
Cap. 1.
Requiritis enim, si dimissa uxore — licentiam tribuimus.
Cap. II.
Si desponsata nesciente sponso — omnimodo se abstineant.
Diese beiden Capitel gehören dem Schreiben Nicolaus’ I.
an den Erzbischof Ado von Vienne Qvia sanctitatis 2 an. In
ihnen ertheilt der Papst dem Erzbischof auf zwei Fragen,
welche offenbar den Ehehandel Lothar’s II. mit der Thietberga
betreffen, Antwort. Wir erfahren also aus den novareser Hand
schriften, dass diese Capitel cum aliis quamplurimis capitulis
von einer Synode, über die sonst nichts bekannt ist, dem König
übersendet wurden. Dann folgt:
Cap. 11. Inseruntur in cang. concil.
Statuimus ideo, ut nullus de ordinibus clericorum statuta
sacerdotum penitus. :i Decrevimus, ut de chrisma conficientibus,
quae ab episcopo quinta feria caenae. Domini sanctißcata sunt, per
unumquemque anmim cetera requiruntur (sic) et ab igne pr.oitientur
incendi. Et si quis absque novitate sanctificatione 1 bäptizare
praesümpserit et ab episcopo sedis episcopii adquirere vel recipere
proterve noluerit et exinde baptizare praesümpserit, sub excom-
municatione sui pontificis penitus maneat.
So übereinstimmend in beiden Handschriften. 5
1 Das autem, welches den Zusammenhang mit Vorhergehendem reflectirt,
würde diese Annahme nicht unbedingt ausschliessen. S. z. B. die Rubrik
des c. 31 des Lib. III. conc. Aquisgr. a. 836: Quid autem ad sanctuarium
Domini non paoentibus Dominus comminetur (Mansi XIV. 696).
2 Jaffe 2034.
** Hier ist ignovet oder ein ähnliches Wort ausgefallen.
^ Leg. cum cod. XV. sanctificationis.
5 Den abgedruckten Stellen liegt Cod. XXX. zu Grunde.
606
Maassen.
In beiden folgt nun noch (im Cod. XXX. von andrer
Hand geschrieben) das Capitulare Lothar’s I. vom Jahr 846. 1
1 Sitzungsberichte Bd. 46 S. 68 fg. und Bd. 49 S. 310. Ich erlaube mir
hier eine Bemerkung zu machen, zu der ich früher keine passende Ge
legenheit gefunden habe. Reifferscheid hat in seinen Mittheilungen über
die Bibliotheken Piemont’s (Sitzungsberichte Bd. 68 S. 471 fg.) auch den
Cod. XXX. des Domcapitels von Novara beschrieben (a. a. O. S. 613 fg.).
Er hat bei dieser Gelegenheit von dem Capitulare Lothar’s die Ueber-
schrift, die acht ersten Worte des I. und die fünf letzten Worte des
XIII. (letzten) Capitels und das dem Capitulare angehängte Namen-
verzeichniss mitgetheilt. Dies war für Reifferscheid’s Zweck vollkommen
ausreichend. Dem verstorbenen Bluhme lag ausser meiner Edition des
Capitulare in Bd. 46 (1864) und dem Nachtrag in Bd. 49 (1865) nur
noch Reifferscheid’s Beschreibung des Cod. XXX. in Bd. 68 der Sitzungs
berichte (1871) vor. Bluhme hat mit diesen Hülfsmitteln eine neue Aus
gabe in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte Bd. 11 (1873) S. 257 fg.
veranstaltet. Was zunächst den Text des Capitulare betrifft, so ist Bluhme’s
Ausgabe kaum eine verbesserte. Bluhme macht mir zum Vorwurf, dass
ich u in v, uu in w verwandelte, ,grosse Anfangsbuchstaben bei per
sönlichen oder Gentilnamen, bei Localitäten und sogar (!) bei den davon
abgeleiteten Adjeetiven* setzte, die Zeilenabschnitte nicht anzeigte u. s. w.
Bluhme hat daher überall n statt v, uu statt w und durchgehends, wo in
meiner Ausgabe die Namen mit grossen Anfangsbuchstaben Vorkommen,
kleine gesetzt (z. B. chriati, popiam, sarracenorum, roma u. s. w.), ein
Vergnügen, das sich natürlich jeder, ohne dass er Bluhme’s Hülfe dazu
nöthig hätte, an seinem Schreibtisch machen kann. Uebrigens würde
ich, aufrichtig gesagt, es nicht der Mühe werth halten darüber ein
Wort zu verlieren. Aber Bluhme hat es bei diesen unschuldigen Ver
änderungen nicht bewenden lassen; er hat seine Ausgabe auch von
Verstössen nicht frei erhalten, von denen einige schon gröberer Art sind,
wie z. B. hlothari statt hlotharii in der Ueberschrift, suscipiant statt
accipiant in XI und existet statt existat in XII. In einer Ausgabe, welche
mit der Prätention auftritt es besser als andre zu machen, dürften
solche Versehen nicht passiren. Was nun weiter das Namenverzeichniss
betrifft, so hat Reifferscheid dieselben vier Columnen gemacht, wie sie
im Cod. XXX. Vorkommen. Ich habe so viele Absätze gemacht, als
Rubriken sind, und die Namen in Blattzeilen je unter die betreffende
Rubrik (z. B. Haec sunt nomina eorum, qui in Italia beneficia habent)
gesetzt. Da darüber, zu welcher Rubrik je die einzelnen Namen gehören,
kein Zweifel sein kann, so war dies vollkommen erlaubt. Hätte ich
übrigens im Jahr 1864, wie jetzt, eine genau die Figur des Verzeich
nisses in der älteren der beiden Handschriften repräsentirende Copie
gehabt — vollkommen genau giebt sie auch Reifferscheid’s Abdruck nicht
wieder —, so würde ich sie vielleicht dem Druck zu Grunde gelegt
haben, so wenig im Wesen auch damit gewonnen wäre. Bluhme hat
Eine burgundische Synode vom Jahr 855.
607
III.
Das Jahr der Synode von Macon ergiebt sich aus den
Worten des zweiten Capitels: Jam presenti anno cum aliquibus
ex fratribus nostris in Valentinensi sinodo .... capitula quedam
confecta sunt rel. Sie fällt demnach in dasselbe Jahr, in welchem
die Synode von Valence gehalten wurde.
Ausser der ältesten Synode dieses Namens (vom Jahr 374)
und der auf Befehl Lothar’s I. versammelten vom Jahr 855
hat uns keine Synode von Valence Canonen hinterlassen.
Dass an die erstere hier zu denken aus innern und äussern
Gründen unmöglich ist, bedarf kaum der Bemerkung. Für
die Identität der in dem zweiten Capitel des Concils von
Macon genannten mit der im Januar 855 gehaltenen Synode
von Valence sprechen aber ausser dem Argument, welches die
sich für seine Reproduction der Namenliste ganz an Reifferscheid ge
halten (nur einen Namen, der bei Reifferscheid fehlt, und die Varianten
der zweiten Handschrift hat er mir entlehnt). Dagegen wäre an sich
natürlich nichts einzuwenden. Nur hätte Bluhme sich vergewissern sollen,
dass er auch ausfiihren könne, was er unternahm. Reifferscheid hat
nämlich die Abkürzungen nicht wie ich aufgelöst, lässt aber doch die
Abbreviationszeichen im Druck erscheinen. Die Hofdruckerei in Weimar
ist aber in diesem Punct eigensinniger gewesen als Herr Holzhausen in
Wien: sie hat diese Zeichen meistens weggelassen. So steht denn nun in
Bluhme’s ,Wiederabdruck 1 z. B. pma statt pma (prima), st statt st (sunt),
heribf statt herißt’ (heribertus), Liutfrid statt Liutfrid (Liutfridus), Aqn'
statt Aqn' (Aquinus), engilranus statt engilränus (engilrannus), scda statt
scda (secunda) u. s. w. Die Moral aber scheint mir die zu sein, dass
auch die Acribie ihre Raison hat. Eine Edition steht unter der Herr
schaft andrer Regeln als eine mechanisch treue Copie. Sonst wäre der
Photograph der beste Herausgeber. — In einem Punct aber gebe ich
Bluhme Recht. Es war eine Eigenmächtigkeit von mir, wenn ich die
Worte Signiferi und Beieri gesperrt drucken liess, um sie dadurch von
den Personennamen zu unterscheiden. Ich glaube freilich nach wie vor,
dass Beieri hier Baiern bedeutet (vgl. auch Zeuss Die Herkunft der
Bayern S. 14, wo wenigstens die sprachliche Möglichkeit erhellt) und
nicht, wie Bluhme meint, ein Personenname ist (Bluhme verweist auf
Förstemann 1037, wo weder beieri noch beierich vorkommt). Indessen,
ich gestehe gerne ein, dass eine Edition nicht octroyiren soll. Ich gedenke
nächstem? das Capitulare noch einmal drucken zu lassen und will dann
diesen Fehler wieder gut machen.
608
Maassen.
Exclusive bietet, folgende positiven Gründe: 1. die Verbindung
der beiden Synoden in den novareser Handschriften, durch
die allein, so viel bis jetzt bekannt ist, die Synode von Mäcon
uns überliefert ist; 2. dass die Synode von Valence vom
Januar 855 in der That Capitel bringt, auf welche die im
zweiten Capitel der Synode von Mäcon enthaltene Meldung:
es seien capitula quedam des Concils von Valence verlesen,
welche die Unterdrückung räuberischer Handlungen bezweckten,
bezogen werden kann; 1 3. dass die herrschende Rechtsunsicher
heit, welche die Bischöfe der Provinzen von Lyon und Vienne
zu ihren Beschlüssen veranlasste, ganz der Lage der Dinge
entspricht, wie wir sie zu Ende von Kaisers Lothar Regierung
linden. 2
IV.
Der hier folgenden Edition der Synode von Mäcon liegt
in erster Linie der Cod. XXX. der Bibliothek des Domcapitels
von Novara zu Grunde. Abweichungen von ihm sind angemerkt.
Der Cod. XV. derselben Bibliothek ist verglichen.
Cum in nomine Domini nostri convenissemus nos liumiles
servi Christi, duarum provintiarum episcopi, Lugdunensis
scilicet et Vienensis, in eclesia beati Laurenti martiris non
longe a civitate Matasconum posita 3 ibique resedissemus, ut
sub timore omnipotentis Dei, quae saluti nostrae et saluti
populorum sub manu et regimine nostro positorum conveni-
rent, tractaremus, inter alia, quae Deo disponente tractata sunt
1 Besonders c. 8 und 9, aus denen ich hier nur folgende Stellen anführe:
c. 8. Placuit, ne praedia et possessiones ecclesiarum ... ad invadendum
paterent et ne tali fraude rebus suis vacuarentur et spoliarentur ecclesiae
: ut } si quis non metuens judicium Dei et damnationem aeternam
et possessiones ecclesiarum sive exspoliare, quae pertinent ad jus eavum,
praesumpserit, excommunicationis sententiam ferat. — c. 9 . . . .
possessiunculae vel dotes basilicis collatae irrecerenter auferuntur durissimoque
servitio extenuant.ur Uli autem, qui dotes ecclesiarum auferre, ciure
servitium ab eis exigere, insuper non metuunt periculum sacerdotibus intentare,
si actiones non melioraverint rel.
2 S. Diimmler I. 376.
3 Codd. posite.
Eine burgundische Synode vom Jahr 855.
609
quaeque etiarn suo tempore una cum reJiquis coepiscopis et
fratribus nostris subtilius discernenda tractare disposuimus,
haec pauca capitula collegio fratrum relegenda dignum sub-
notare credidimus.
Cap. I.
Sicut frequentibus sinodis auctoritate sanctorum patrum
sanctitas vestra definivit et capitulis piissimorum imperatorum
de rebus sacris ecclesiarum statutum est, ita et nobis in prae-
senti sinodo visum est, ut hi[s], qui res ecclesiae debitas vel
proprias occupaverit, retinuerit et agnito jure ecclesiae non
statim eas resstituerit aut pro hoc in judicio electorum 1
distulerit, [quojusque restituerit 2 ipsas res, communione privetur.
Item, si quis res ecclesiae teilet et ammonitus juditium decli-
naverit, quousque ad discussionem veniat aut restituat, com
munione privetur. Item sit dandi, accipiendi aut subscribendi
anathema.
Cap. II.
Jam presenti anno cum aliquibus ex fratribus nostris in
Valentinensi sinodo propter communempacem et correctionem
delinquentium, maxime, ut rapinae, quae ex longa consuetudine,
quasi non sit culpa, parvipenduntur, 3 de quibus fraternitas
vestra, ut comprimerentur, frequencius scriptis et dictis elabo-
ravit, capitula quedam confecta sunt, quae, ut. deinceps firmius
serventur, iterum relegere et ad notitiam multorum proferre
decrevimus.
Visum nobis est, ut hi, qui rapinis et depredationibus
hactenus operam dederunt, humili et digna satisfactione secundum
qualitatem et modum facti juditio episcoporum suorum peniten-
tiam habituri Deo satisfacerent. Sed quia sub occasione gene
ralis mali multa scelera a quibusdam perpetrata sunt, homicidia
viäelicet, adulteria, rapinae, incendia, sacrilegia atque infracturae
ecclesiarum, membrorum detruncationes et si qua alia, que
nonnisi longiori penitentia censurae ecclesiasticae sanauda sunt,
ita sententiam excommunicationis moderare nobis visum est,
1 Vgl. c. 63 des eonc. Afrie. der Dionysio-Hadriana (c. 39 C. II. q. 6).
2 Cod. XXX. reatitutas. Das as ist durehgestrichen. Cod. XV. restiturus.
3 Hier ist ein Wort ausgefallen.
610
Maass en.
ut hi, qui in levioribus rapinis sub quadarn occasione necessi-
tatis deliquerunt, tamdiu a limine ecclesiae sint seclusi et
a corpore et sanguine Domini suspensi, donec, in quantum
valerent, seu per solutionem, seu per elemosinarum Deo gratam
oblationem, seu per veram cordis contritionem et fraternam
lacrimis expostulatam indultionem, vitam suam emendarent
et modum poenitentiae atque postmodum reconciliationem ab
episcopo suo expeterent; illi vero, qui haec tempora resolutionis
et liberius in majoribus criminibus versati sunt et abhominabilia
multa perpetraverunt, non solum a corpore et sanguine Domini
essent segregati, verum etiam in conspectu episcoporum suorum
prostrati penitentiam secundum perpetrati sceleris sui modum
humiliter expetentes susciperent, ut, qui pluribus fuerant in
exempluin perditionis, fierent postmodum multis in exemplum
emendationis. Si qui autem haec, quae pro pace et salute
omnium statuimus, transgredi maluerint et in sua iniquitate
pertinaci corde durare delegerint, in conspectu omnis ecclesiae
Dei spiritu dampnati et excommunicati a coetu et a consortio
fideliuin maneant non solum a mensa Domini et altari ejus
separati et exclusi, sed etiam convivio et conlocutione et oratione
fidelium omnium discreti fiant, ita ut neque oblatio eorum
inter benedictiones fidelium aut in sacrario aut in gazophilatio
recipiatur; sed neque defunctis postmodum, si sacerdotalem
absolutionem per culparum suarum humilem confessionem prius
non meruerint, more fidelium exsequiae cum psalmis et sacris
precibus celebrabuntur neque ulla post obitum mentio ad altare
Domini nominis eorum inter fideles defunctos fiet; et, quia
non amaverunt Dominum nostrum Jesum Christum, erit eis
juxta apostolum anathema maranatha. 1
Cap. III.
Ut canonica igitur regula circa excommunicatos et delin-
quentes districta sit et severa neque cuiquam facile sit ad
excusandas excusationes (?) in peccatis evagandi et sententiam
episcopali censura prolatam effugiendi locus, obsecramus et per
virtutem Spiritus sancti humiliter obtestamur reliquos fratres
nostros coepiscopos, ut hujus decreti nostri constitutum pia
i 1. Cor. 16. 22.
Eine burgundische Synode vom Jahr 855.
611
sollicitudine et caritate servare dignentur neque ullo favoris
aut timoris aut muneris genere in aliam partem contra vigorem
sui ordinis declinare, sed ruemores communicationis nostrae in
Omnibus secundum regulam ordinis fautores et adjutores nobis
existant. Si quis autem tarn nostrum quam eorum, qui nunc
sanctae sinodo ex provintiis nostris defuerint, banc salubrem
ordinationem nostram pro viribus solerter adimplere neglexerit,
convictus totius fraternae caritatis aliquandiu habeatur extraneus. 1
Cap. IIII.
Et quia quorundam protervia et temeritas castigationem
et districtionem episcopalem contempnit in tantum, ut contra
salutem suam violenter missarum sollempnia (ut rem bonam
ad pernitiem suam utantur 2 ) extorquere a timidis presbiteris
non pavescant, visum nobis est, ut cohercitis 3 ordinis nostri 4
ministris nec(?) 5 excommunicati pro transgressione sua in con-
spectu Dei durius punirentur et pro superbia gravius ligarentur,
etiamsi quos-fugitivos aut .pseudopresbiteros hujusmodi homines
habentes zelo pietatis canonice interdiceremus. Statuimus igitur,
ut nullum talium presbiterorum quilibet laicus sine conscientia
et probatione episcopi sui retinere praesumat; sed auctoritate
episcopi, ut regulae canonicae inconvulsae maneant, his, qui
habere presbiterum desiderat, ne et ipse praeter episcopum bat,
ut subditus filius et pius Christianus habere et tenere eligat.
1 Codd. extraneas.
2 Cod. XXX. utatur.
3 Cod. XXX. cohercitus.
4 Cod. XXX. nostris.
5 Hier ist etwas ausgefallen.
XXVIII. SITZUNG VOM 18. DECEMBEß 1878.
Der k. bayer. Geheimrath und Reichsarchiv-Director
Herr Dr. von Löher übersendet mit Begleitschreiben den
dritten Band seiner ,Archivalischen Zeitschrift'.
Herr Ludwig Porges in Budapest übermittelt eine Ab
handlung unter dem Titel: ,Ueber die hebräische Poesie und
den Rhythmus nach Löwisohn'.
Herr C. Saphier, Religionslehrer der israelitischen Cultus-
gemeinde in Wien, überschickt eine Schrift: ,Die Hapax lego-
mena der hebräischen Sprache'.
Von dem w. M. Herrn Dr. A. Pfizmaier wird eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vorgelegt, welche
den Titel führt: Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa'.
613
Das c. M. Herr Professor Ritter von Zeissberg hält
einen für das Archiv bestimmten Vortrag über den ^öster
reichischen Erbfolgestreit nach dem Tode des Ladislaus Post
humus (1457—1458) im Lichte der habsburgischen Hausgesetze'.
Herr Dr. Richard Mayr in Wien legt ,Voltaire-Studien'
mit dem Ersuchen um ihre Aufnahme in die Sitzungsberichte vor.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Aeademie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgiques:
Bulletin. XLVII" Annee, 2 e Serie, Tome 46. Nr. 9 et 10. Bruxelles,
1878; 8°.
Academy, the California of Sciences: Proceedings. Annual meeting, January 4 th ,
1868. Vol. IV.—I.; 8°.
Accademia R. delle Scienze di Torino: Atti. Vol. XIII. Disp. l a — 8°.
(Novembre 1877 — Giugno 1878.) Torino, 1877/78; 8°.
— — Memorie. Serie seconda, Tomo XXIX. Torino, 1878; gr. 4°.
Ateneo veneto: Atti. Serie II., Vol. XIII. Puntata III. Anno aecademico
18-75/76. Venezia, 1877; 8°. —- Serie II, Vol. XIV, Puntata I* e II a .
Anno accad. 1876/77. Venezia, 1877; 8°. — Serie III. Vol. I. Puntata
I“—III". Anno accad. 1877/78. Venezia, 1878; 8°.
Conze, Alexander: Theseus und Minotauros. Berlin, 1878; gr. 4°.
Helsingfors, Universität: Universitäts-Schriften aus dem Jaln-e 1877/78.
18 Stücke. 8° und 4°.
Institute, Peabody, of the city of Baltimore: Annual Reports X et XI.
June 1, 1877 et 1878. Baltimore, 1877/78; 8».
Institution, the Smithsonian: Die Argentinische Republik für die Philadelphia-
Ausstellung von Richard Napp. Buenos-Aires, 1876; 4°.
,Revue politique et litteraire* et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger 1 . VIII e Annee, 2 e Serie, Nr. 24. Paris, 1878; 4°.
614
Simonin, Amedee H.: Le Materialisme d4masque. Paris; 12°.
Society, the literary and philosophical, of Liverpool: Proceedings during
the sixty-sixth Session, 1876/77. Nr. XXXI. London, Liverpool, 1877; 4°.
Zeitschrift, archivalische. Herausgegeben von Dr. Franz v. Löher. III. Band.
Stuttgart, 1878; 4°.
Pfizraaier. Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pn.
615
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
Von
Dr. A. PfLzmaier,
wirkl. Mitgliede der k. Akademie der Wissenschaften.
In der vorliegenden Abhandlung liefert der Verfasser
einen weiteren Beitrag zur Ebnung der bedeutenden, nicht
selten selbst unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten der
ausschliesslich mit entlehnten Schriftzeichen (Ka-na) geschrie
benen japanischen Bücher. Hierbei wurde vorzüglich auf die
mehr oder weniger entstellten Ausdrücke chinesischen Ursprungs
Rücksicht genommen und die betreffenden, zu Grunde liegenden
Zeichen in der Erklärung beigefügt, welches letztere auch in
den Fällen, wo es sich um bereits bekannte Ausdrücke handelte,
zur Vermeidung von Verwechslungen in der Auffassung so wie
zu ungetrübtem Ueberblicke gewöhnlich nothwendig war.
Die Darlegung beginnt mit dem Schlüsse des in der Ab
handlung ,Der Palast Josi-teruV unvollendet gebliebenen Ab
schnittes rb-ka-no ha ,der Schauplatz des Flurganges' und geht
nach den Abschnitten sen-kib-kaku-no ba ,der Schauplatz des
Söllers der Unsterblichen' und ko-ja-matsi-no kasi-za-siki-no ba
,der Schauplatz der Miethhalle der Strasse Ko-ja' zu dem langen
Abschnitte go-e-mon utsi-no ba ,der Schauplatz der Häuslichkeit
Go-e-mon’s' über.
Zugleich werden, weil verwandten Inhalts, zur Ergänzung
früher behandelter Gegenstände zwei Abschnitte: ,das Haus
Aka-tsuki' und ,Zusätze zu dem I-se-mono-gatari' vorangestellt.
616
Pfizraaier.
Das Haus Aka-tsuki. ’
wo
Kegare-wo nagasu jodo-gaiva - no fotori | fomeru
todomu jama-zaki-no m
Die Seite des den Schmutz forttreibenden Jodo-gawa,
der die Lobpreisung aufbaltende Kreis Jama-zaki.
jjjtj) ^ (Kb-tari)-no ^ ||| (sikken) kazuje 'fp| ^ (nobu-
mitsi)-iva omote-ni (zin-zi)-wo motte fito-wo nntsuke | utsi-
ni (ko-rb)-no omoi-wo idaki | zjz (siü-kun) ^
(jori-nori)-wo ^ ^ (doku-sas) si ^ ^ (go-sitsn) maki-no
kata-wo fosi-i-mama-ni ^ (in-raku)-nasi | amassaje notsi-ni
onazi-ku
-ffr
(doku-gai)-si
(koku-sei) ono-ga ^ pj^
(sed-tsiü)-ni nigiri | ima-ica itsu-si-ka tsussimi-wo wasure | sitagb-
wa J g|‘ (seo)-si somuku-wa (bas) se-si-ka-ba | [KJ (si-min)
fazimete sono ft »t (kan-kei)-wo ||| (sas) si | urami-ikaru
mono o-o-karu-ni \ kazuje-wa isasaka-mo okonai-wo aratamezu \
kokoro-no mani-mani furumb mono-kara | (ban-go-ro)-
ga 1k & (fo-itsu) Kfl i|)r (mu-zan) moto-jori kore-ivo isame-
zaru-ioa \ tsui-ni £ m (asi-kaga) ^ (ke)-no togame-wo uke-
sase | ^ (ka-tokn)-wo ono-ga tsugan tarne nari.
Der Inhaber der Macht von dem Geschlechte Kö-tari,
der Rechnungsvorsteher Nobu-mitsi, gewann äusserlich durch
Menschlichkeit und Wohlwollen die Menschen, doch im Inneren
hegte er die Gedanken der Tiger und Wölfe. Er tödtete den
Vorgesetzten und Gebieter Jori-nori durch Gift, beging mit der
Witwe Maki-no kata nach Gefallen Ausschweifungen und mor
dete sie überdiess später auf gleiche Weise durch Gift. Er
griff mit eigener Hand nach der Lenkung des Reiches und
einmal auf die Vorsicht vergessend, belohnte er die Gehorsamen
und bestrafte die Ungehorsamen. Die Menschen des Volkes
der vier Gegenden erriethen jetzt erst seine verrätherischen
1 m ft Aka-tsuki ist der Geschlechtsname Tojo-kata’s, Statthalters von
Jama-zaki. Das hier Verzeic.hnete ist in dem Werke Mei-getsu-sei-dan
das zehnte und letzte Capitel, von welchem am Schlüsse der zweiten
Abtheilung der Abhandlung ,Das Haus eines Statthalters von Fari-ma‘
gesagt wurde, dass es an einem anderen Orte folgen werde.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
617
Anschläge, und diejenigen, welche hasston und zürnten, waren
viele. Der Vorsteher der Rechnungen, nicht im Geringsten
seinen Wandel bessernd, benahm sich, wie ihm beliebte. Dass
er dabei Ban-go-rö wegen dessen Ausgelassenheit und Rück
sichtslosigkeit keine Vorstellungen machte, geschah, damit er
ihn zuletzt von Seite des Hauses Asi-kaga einer Schuld ge
ziehen werden lasse und selbst die Nachfolge des Hauses antrete.
Sikciru-ni ban-go-rb sugi-si koro-jori \ asi-kaga-ke-ni ffil 4
(si-ko)-se-si-ni | mijako-ni oi-te-wa sono |HE (bu-rai) \ kasa-
nari-si josi-wo kiku-jori-mo | suwci jolci ivori koso kitan-ken.
Kono Jjjjj? (kio)-ni ^ (deö)-si mijako-ni nobori \ ban-go-rb-wo
1 (M) -si w m (o-reb)-sen-to | fajaku |g|j lg (koku-siü)-vo
kokoro-site | funa josoi afe (zen-bi)-ioo tsukusi |
(ro-fib-si)-ivo sorojete kogi-kitaru. 1-suke ban-go-rb sa-je-mon-wci \
snsajaka-naru tsuri-bune-ni tori-nori | toma-fiki-owoi matsu-to-mo
sirade \ kazxije nobu-mitsi funa-bata-ni tatsi-ide \ Jcawa-simo fa-
ruka-ni mi-watasu tokoro-ni | i-suke-ra tjr (siü-ziü) fune
kogi-jose \ toma fiki-nokete fune-ni tobi-nori.
Sobald er also hörte, dass die Nichtswürdigkeiten Ban-go-
rö’s, indem er seit den vergangenen Tagen dem Hause Asi-
kaga seine Aufwartung machte, sich wiederholten, sagte er:
Ah! es ist ein guter Zeitpunkt gekommen. Ich werde mir diese
schwache Seite zu Nutzen machen, nach Mijako reisen, Ban-
go-rö absetzen und mit Gewalt Besitz ergreifen. — In der Ab
sicht, schnell der Vorgesetzte des Reiches zu werden, rüstete
er ein Schiff aus, erschöpfte das Gute und Schöne, brachte die
Ruderschläge in ein Gleichmass und ruderte heran. I-suke,
Ban-go-rö und Sa-je-mon stiegen in ein kleines Fischerboot,
deckten eine Bambusdecke darüber und warteten. Der Rech
nungsvorsteher Nobu-mitsi, der dieses nicht wusste, trat zu dem
Schiffsrande und blickte weit über den unteren Lauf des Flusses
hinaus. I-suke und dessen Gefolge ruderten jetzt in dem Boote
heran, zogen die Bambusdecke weg und stiegen flugs in das Schiff.
Sa-je-mon-wa (kai-zib)-ni si-komi-si 5f ; lj M ( ri -
ken) | utsi-fw'i-fimK (ben-ju)-no jjp (kin-si) \ ataru-
wo saiwcii kawa-naka-ni | zan-bu-zan-bu-to kiri-kome-ba \ i-suke
ban-go-rb-wa lcazuje-wo tori-kome | medzurasi-ja kaziije nobu-
mitsi | tsumi-no si-dai-wa noburu-ni ojobazu. (Siü-kun)-wo
Sitzungsler. d. phil.-hist. CI. XCII. Bd. III. Hft. 40
618
1’ t‘i z m a i e 1'.
fit [Ü (kokii-gun)-wo JIJI fjj (o-reb)-sen-zurn /gj ^
(goku-aku) jfllf (mu-dö) [ (ten-viei) nogarezu nandzi-ga
te-ni kuma-saki-no iri-je-ni ts (td)-zi-taru (jo-mei) fana-
waka ima-wa i-suke taka-kadzu | ^ (ten)-ni kawatte f^ ^ (tsiu-
riku)-no ^i|J t^jj (ri-ken) | ^ (zin-zih)-ni ukete tsumi-wo
f™«*) se->-
Während Sa-je-mon, das in den Stab der Gebote ein
gefügte scharfe Schwert schwingend, die ihm aufstossenden
schmeichlerischen nahestehenden Kriegsmänner glücklich durch
Hiebe in den Fluss trieb, dass es plumpte, schlossen I-suke
und Ban-go-rö den Vorgesetzten der Rechnungen ein und riefen:
Seltsam! Der Rechnungsvorsteher Nobu-mitsi! Die Reihenfolge
der Verbrechen darzulegen, ist nicht nöthig. Du tödtetest den
Vorgesetzten und Gebieter, wolltest mit Gewalt von Reich und
Kreisen Besitz ergreifen. Es ist äusserste Schlechtigkeit und
Gesetzlosigkeit, dem Schicksal entkommst du nicht. Empfange
gelassen das an der Stelle des Himmels hinrichtende scharfe
Schwert des von deiner Hand in die Einfahrt von Kuma-saki
geworfenen Fana-waka — so sein Kindername, jetzt ist es
I-suke Taka-kadzu — und tilge die Schuld.
Sa-je-mon ± (kin-si)-wo koto-goto-ku (tsiii)-si
kazuje-ga usiro-ni tsuttatsi-te | ika-ni nobu-mitsi kazu-sada-ivo mi-
wasure-taru-ka. Nandzi-ga ^ (kan-aku) fflt jgj (mu-do)-no
V (deö-deö) \ ^ ^ (kb-sitsu)-ga ||| JR. (rei-ki)-no <[f| >|$f
(san-ge)-ni sireri. Saru-kara joltu mi-jo ban-go-rb-gimi-mo \ tatsi-
mat.si jokosima-no olconai-wo sari \ taka-kadzu-gimi-ivo Zj:
(siü-kun)-to nasi \ nagaku (tsiu-so)-vo ^ (sin)-to nari
onazi-ku nandzi-ga tsumi-wo toi-tamo. Fajaku ^ (zi-zin)-
site tsumi-wo aganb-kci. Majoi-wo tora-ba wäre-ware-ga \ fe-wo
kudasan-ja. & (Fen-tö)-se-jo-to.
Sa-je-mon, nachdem er die sämmtlichen nahestehenden
Kriegsmänner getödtet, stellte sich hinter den Vorsteher der
Rechnungen und rief: Nobu-mitsi! Kennst du Kazu-sada nicht
mehr? Deine verrätherische Tücke, deine gesetzlosen Hand
lungen sind durch die Reue des Geistes der Witwe bekannt
geworden. Sieh also gut! Der Gebieter Ban-go-rb hat plötzlich
von seinem verkehrten Wandel abgelassen , hat den Gebieter
Taka-kadzu zum Vorgesetzten und Gebieter gemacht und ist
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
019
für immer ein Diener cles Fussgestells geworden. Er fragt zu
gleich mit uns nach deinen Verbrechen. Wirst du dich schnell
selbst tödten und deine Verbrechen sühnen? Oder, wenn du
den Irrthum wählst, wirst du unsere Hand herniederfahren
lassen? Antworte!
Ban-go-rb moro-tomo t$ume-jore-ba | noibu-mitsi —• ^
(ikkeö)-se-si-ka-domo | sasu-ga-no sire-mono P|] (mon-dd)-mo
naku | i-suke-wo me-gake kitte kakaru. Sa sittaru-iva-to i-suke
taka-kadzu \ firari-to kawasi nuki-awasu. Ban-go-rb sa-je-mon
o-oi-ni ikari \ kono hjj (go)-ni ojonde nawo-mo sono \ mi-wo noga-
ren-to siiru (koku-zoku) E * (fiPP u J I % ff ( t(tn ~
batsu) :j: j|f (siü-batsu) omoi-sire-jo-to onazi-ku (sa-u)-
jori kitte kakare-ba.
So bedrängte er ihn zugleich mit Ban-go-rö. Nobu-mitsi
war zwar erschrocken, doch selbst ein solcher Feigling, ohne
zu fragen und zu antworten, wählte sich I-suke aus und hieb
auf ihn ein. I-suke Taka-kadzu, dieses rechtzeitig erkennend,
wich hurtig aus und zog das Schwert. Ban-go-rb und Sa-je-mon
wurden sehr zornig und riefen: Nachdem du diese Zeit erreicht
hast, willst du ihm noch immer entkommen, Reichsräuber, ge
meiner Mann! Nimm die Ilimmelsstrafe, die Strafe des Vor
gesetzten zur Kenntniss! — Dabei hieben sie zugleich von
rechts und links auf ihn ein.
Nobu-mitsi-wa. sini-m.ono-gitmi | Jcokn-wo & ^ (sen-do)-
to tätdkaje-domo \ ika-de (gb-jü)-no i-suke-ga jaiba | ajete
nogaruru koto-wo jen. Kazuje-ga furi-aguru jai-ba-no sita | i-suke
kvgurn-to mije-keru-ga jidari-no nbara ^ Jüg (lciü-bi)-wo kake
sasi-tsurnnuke-ba ban-go-rb | sukasazu migi-no waki-bara-jori |
mune-no atari-je sasi-tbsu. Sa-je-mon-wa usiro-jori migi-no kaina-
wo teö-to kirn. Nobu-mitsi tamarazu nokke-ni toru-wo \ i-suke
ban-go-rb nolckakari | tsitsi-fawa-no kataki kuni-no ada | omoi-
sire-jo-to t.odome-wo sasi | jagate kubi-wo-ba utsi-otosu.
Nobu-mitsi kämpfte mit Verzweiflung und alles daran
setzend, doch wie konnte es ihm gelingen, der Klinge des
starken und muthigen I-suke zu entkommen? I-suke, indem er
unter der geschwungenen Klinge des Vorstehers der Rechnungen
sich zu bücken schien, durchbohrte ihm die Rippen der linken
Seite und das Brustbein. Ban-go-rb stach ihm unverzüglich von
40*
620
P f i 7. lii a i e r.
der rechten Rippengegend bis zu der Gegend der Brust durch.
Sa-je-mon hieb ihm von rückwärts den rechten Arm ab. Nobu-
mitsi, es nicht aushaltend, fiel rücklings zu Boden. I-suke und
Ban-go-rö, über ihn steigend, machten ihm mit den Worten:
Feind des Vaters und der Mutter, Feind des Reiches, erkenne
es! den Garaus und schlugen ihm sogleich das Haupt ab.
Kalcaru tokoro-je /p (tai-seö)-no | ZL ^ (ni-sb)-no
fune-wo sasi-kitaru. Ko-bune-ni-wa furu-ta ten-zen | sei-getsu o-sen
njobi i-ta-jü. Tai-sen-no kata-ni-wa aka-tsuld tojo-kata | onazi-ku
^ (sb-zi) sai-zi-ro | sono foka Hp (kin-si) nami-i-taru-
ni■ j tojo-kata i-suke-wo sasi-maneki \ wäre fazime-jori tada-nara-
zu | omoi-si-ka-domo ani falcaran | |pj| [||j (rin-koku) kb-tam-no
H WJ (sb-zi) nari-to-wa \ koto-sara woja-ko ^ jfö (keb-dai)
~p ^ (siü-ziü) —• (itsi-zi)-ni meguri-ai-b (ki-jen).
Motio-mo (rei-ki)-no mitsi-biki-to-wa ije-do \ mattalm
# (tstä-ko) jk M (tei-ketsu)-wo | ^ (ten)-no 1]$ |g
(seb-rav) masi-masu ju-e | toki-wo-mo kajesu ada-wo (tsiü)-si
djjj 0 (reb-koku) 2p (fei-dzi)-no motoi-i-wo naseri. Ware
kore-wo B (kan)-zuru-ga ju-e | toku faja-uma-wo mijako-ni fa-
sete | koto-no si-dai-wo uttaje-tari. Mata o-sen- (dzio)-wa
nanigasi koi-te | sai-zi-rb moto-faru-ga. soba-me-to nasi | nagaku
•T % (si-son)-no tsinami-wo musuban.
Als dieses geschehen, kämen zwei Schiffe, ein grosses und
ein kleines, heran. In dem kleinen Schiffe befanden sich Furu-
ta, Vorgesetzter der Speisen, Sei-getsu, O-sen und I-ta-jü. In
dem grossen Schiffe befanden sich Aka-tsuki Tojo-kata und
dessen junger Sohn Sai-zi-ro, ausserdem reihenweise die nahe
stehenden Kriegsmänner. Tojo-kata winkte I-suke zu sich und
sprach: Ich hielt es gleich anfangs für etwas Ungewöhnliches,
doch — wie sollte man es vermuthen? war es der junge Sohn
des Geschlechtes Kö-tari in dem Nachbarreiche. Dieses ist
besonders die wunderbare Beziehung, der zufolge Aeltern und
Kind, Brüder, Vorgesetzter und Diener zur nämlichen Zeit im
Umherwandeln zusammengetroffen sind. Nennt man es auch
vorzüglich die Führung des abgeschiedenen Geistes, hat man
doch, •weil vollständig Redlichkeit und Aelternliebe, Lauterkeit
und Reinheit der Himmel in seinem Lichte überblickt, die Zeit
wechselnd, das Fussgestell des geleiteten Reiches, der Beruhigung
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
621
und Ordnung zu Stande gebracht. Weil mich dieses ergriff,
habe ich sofort ein schnelles Pferd nach Mijako in Lauf ge
setzt und die Umstände der Sache berichtet. Fenier werde
ich um das Mädchen O-sen bitten, sie zur Nebenfrau Sai-zi-rö
Moto-faru’s machen und für immer das Freundschaftsband der
Söhne und Enkel knüpfen.
Sei-getsu i-suke-wa tojo-kata-ga | |g| (sin-gi)-wo kane-
taru ncisake-no kotoba | sunawatsi o-sen-ioo tojo-kcita-no \ fune-ni
utsurase moto-favu-ga J^ji (za)-no katawara-ni orasime-ba | moto-
faru o-sen-gci jorokobi-wa sara-nari \ sei-getsu i-sulce-mo movo-
tomo-ni kasikoki fakarai-wo J|| (kan-fai)-seri.
Sei-getsu und I-suke hatten die gegen Tojo-kata Treue in
sich schliessenden Worte des Gefühles. Man liess dann O-sen
in das Schiff Tojo-kata’s übersteigen und neben dem Sitze
. Moto-faru’s Platz nehmen. Die Freude Moto-faru’s und O-sen’s
versteht sicli von selbst, und auch Sei-getsu und I-suke be
wunderten mit ihnen den weisen Entwurf.
Kakavu tokoro-je faja-fune —• m (isso) | tojo-kata-ga
fune-ni kogi-josete \ uja-uja-siku-mo asi-kaga-ke-no |
(mi-kio-sio) tojo-kata-ni tate-viatsuru. Tojo-kata totte osi-itaclaki |
ko-tari i-suke taka-kadzu-wo mote | 2jiC "fff (fon-reo) an-do-nasu-
beki (deo). Ko-e sawajaka-ui jorrii owari | kore-ico i-suke-ni
atbre-ba \ i-suke (san-do) (teo-tai)-si | soregasi
age-mdki-no koro-jori-mo \ ßto-kata-naranu (on-gü)-wo
uke | irna-mata ka-bakari Pjl (sin-kei)-wo komuru koto | itsu-
no tfit (jo)-ni-ka-wa loasvru-beki. Fito-matsu sei-getsu-wo iza-
nai-te ] ^>['| (ban-siü) kb-tari-ni (niü-bu)-nasi \ kasanete
HJ- (rei-sia)-mbsu-besi-to \ kazuje-no fune-ioo farai-kijome |
sei-getsu i-suke nori-utsuru.
In diesem Augenblicke ruderte ein schnelles Schiff zu
dem Schiffe Tojo-kata’s heran, und man überreichte Tojo-kata
ehrerbietig die von Seite des Hauses Asi-kaga ausgestellte hohe
Schrift der Weisung. Tojo-kata nahm sie und hielt sie über
das Haupt: es war ein Schriftstück, welches besagte, dass man
durch Kö-tari I-suke Taka-kadzu die ihm eigene Statthalter
schaft beruhigen lassen solle. Nachdem er mit klarer Stimme
bis zu Ende gelesen, übergab er es I-suke. Dieser erhob es
dreimal über das Haupt und sagte: Dass ich seit der Zeit des
aufgerollten Haarschopfes die nicht einseitige Begegnung der
■~'V/"xrr.r
622 Pfizmaier.
Gnade erfuhr, jetzt wieder eines so tiefen Wohlwollens theil-
haftig werde, in welchem Zeitalter könnte ich dieses vergessen ?
Ich werde vorerst Sei-getsu hinfiihren, in Fari-ma in das Gebiet
des Geschlechtes Kö-tari treten und dann nochmals meinen
Dank abstatten. — Nachdem man das Schiff des Vorstehers
der Rechnungen gereinigt hatte, stiegen Sei-getsu und I-suke
in dasselbe über.
Kazu-sada ban-yo-ro i-ta-jü-ra ^ (sa-jü)-ni n (res)si
T (ye-dzi)-nase-ba \ funa-ko jorokobi-no ko-e-wo aye : "fft
(tsi-jo)-ni /Vf ft (ja-tsi-jo)-nifime-matsu-no saka-juku kimi-ya
m ft (mi-jo) tsuki-zi-to | utai-osame-si faru-zo me-de-taki.
Kazu-sada, Ban-go-rö und I-ta-jü standen rechts und links
in der Reihe und gaben Befehle. Die Schiffsleute erhoben die
Stimmen der Freude und sangen: In tausend Altern, achttausend
Altern j des als Mädchenlichte | fortgedeihenden Gebieters | Zeit
alter ende nicht. — Der Frühling, den dieses Lied herstellte,
war glücklich.
Zusätze zu dem I-se-mono-gatari.
(Mulmsi) (ni-deo)-no Jgj (kisaki)-ni | tsuko-
matsuru (otoko) (ari)-keru. ~k (Womina)-no tsukb-ma-
tsuru-wo | tsune-ni ü (mi)-kaivasi-te jobai-watari-keri. Ikade
(mono)-gosi-ni tai-men-site obotsuka-naku fi (omo)-i-tsump-taru
(koto) | sukosi farukasan-to i-i-kere-bä | ~k (womina) ito u
(ai)-ni-keri. tjfij ==£■ (Mono-
(sinobi)-t.e (mono)-gosi-ni
gatari) nado situ (otoko).
Finst war ein Mann, der bei der Kaiserin Ni-deö diente.
Da er mit einem daselbst dienenden Weibe gewöhnlich Blicke
wechselte, kam es dahin, dass er um sie freite. Irgendwie im
Vorübergehen ihr vor das Angesicht tretend, sagte er: Ich
werde das ungewisse tiefe Denken ein wenig entfernt halten. —
Das Weib, sehr verlangend, traf im Vorübergehen mit ihm
zusammen. Als sie mit einander sprachen, sagte der Mann:
Tai-men ist m ® (tai-men) ,von Angesicht gegenüber'.
Fiko-bosi-ni | koi-ioa masari-nu \ ama-no M (gawa) \ fe-
dMtsur.ii seki-ico | ima-wa jamete-jo.
ama-no
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
623
,Den Stern des Sonnensohnes | die Liebe übertraf. | Des
Himmelsflusses | abschliessendem Damme | jetzt ein Aufhören
sei gemacht!'
Kono uta-ni me-dete ai-ni-keri.
Von diesem Gedichte angezogen, verband sie sich.
Mukasi | fori- (gawa)-no o-o-i-ma-utsi-gimi-to Ej=f (m'o)
su | imaso-kari-keri. m + (Jo-so-dzi)-no ^ (ga) fl^
(ku-deö)-no ^ (ije)-nite serare-keru 0 (fi) i 4» M (tsiü-zio)
nari-keru okina.
Einst war ein Mann, welcher der grosse Diener des
Grabenfiusses hiess. An dem Tage, an welchem bei dem An
tritte seines vierzigsten Lebensjahres die Glückwünsche in einem
Hause des neunten Viertels dargebracht wurden, sagte ein Greis,
welcher mittlerer Heerführer war:
Sakura- (bana) \ tsiri-kai-kumore \ oiraku-no | kon-to
ifu na.ru | (mitsi) magafu ka-ni.
,Dass die Kirschblüthe | verstreut sich umwölkt, | dass das
Altern | kommen wird, sagen, | ist Verirren auf dem Wege!' 1
Tsiri-kafu hat den Sinn von ^ (tsiri-kafu) ,vermengt
sich zerstreuen'. Kafn steht für afu ,sich vereinigen'. A und ka
gehen in einander über.
Kumoru ,sich umwölken' hat den Sinn von ,sich entfärben'.
Oiraku ist mit oi ,altern' gleichbedeutend. Raliu sind
sogenannte ruhende Sylben.
Ka-ni ist ein aus zwei Partikeln zusammengesetzter Ausruf.
^ (Mukasi) o-oki o-o-i-ma-utsi-gimi-to kikojuru owasi-keru.
Tsuko-matsuru (otoko) | mn (naga-dzuki) bakari-ni | mume-
no tsukuri- (jeda)-ni \ kizi-wo tsukete j tate-matsuri tote.
Einst war ein Mann, welcher der grosse Grossdiener ge
nannt wurde. Ein Mann, der bei ihm diente, befestigte in dem
langen Monate an künstliche Pflaumenzweige einen Fasan und
reichte dieses dar.
Waga tanomu | (kimi)-ga tame-ni-to \ oru ffc (fana)-
10a | toki-si-mo wakanu | #J (mono)-ni-zo ari-ke.ru,
1 In dem Ko-kon-siü enthalten.
624
Pfizmaier.
,Auf den ich hoffe, | der Gebieter, für ihn | die Blüthen,
die ich breche, | die Zeit nicht unterscheidende | Dinge sind es
gewesen.' 1
To (jon) de jlp; (late)-matsuri-kere-ba \ ito kasikoku
okasi-gciri-tamai-te [ (tsukai)-ni roku (tama) jeri-keri.
Als er diese Verse darreichte, hatte jener grosse Freude
daran und dem Abgesandten wurden Einkünfte verliehen.
Naga-dzuki ,der lange Monat' auch naga-jo-dzuki ,der Monat
der langen Nächte genannt', ist der neunte Monat des Jahres.
Roku ist jj^ roku ,Einkünfte'.
Mukcisi | (u-kon)-no (mima-ba)-no fi-wori-no
0 (fi) \ mukai-ni tate-tari-keru |]| (kurnma)-ni iK (womina)-no
kawo-no \ sita-sudare-jori fonoka-ni mije-kere-ba \ (tsiü-
zio) nari-keru (otoko)-no | g|| (jon) de jari-ke.ru.
Einst an dem Tage des Pfeilschiessens des Pferdeplatzes
der nahen Leibwache zur Rechten war in einem entgegen
gestellten Wagen das Angesicht eines Weibes durch den unteren
Vorhang undeutlich zu sehen. Ein Mann, welcher der mittlere
Heerführer war, verfasste ein Gedicht und schickte es.
Mizu-mo arazu \ ü (mi)-mo senu (fito)-no j koi-si-ku-
ba | aja-naku kefu-ja | nagame-kurasan.
,J)er nicht unsichtbar, | den ich auch nicht sehe, der
Mensch, ] lieblich wenn er ist, | ungewiss heute wohl | soll ich
hinblicken bis zur Nacht ?' 1
Die Entgegnung:
Siru siranu I (nani)-ka aja-naku \ waki-le iwan \J&
(omo) i nomi koso | siru-be nari-kere.
,Kennend, nicht kennend, | was es sei, ungewiss, | unter
scheidend wird man sprechen. | In Gedanken bloss | mag die
Kenntniss sein.'
Notsi-wa tare-to siri-ni-keri.
Später erfuhr er, wer es war.
Tsiü-zib ,der mittlere Heerführer' ist der Dichter Ari-wara
Naka-fira.
1 In dem Ko-kon-siü enthalten.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
625
Mukasi \ (womina) A (fito)-no kolcoro-wo urami-te.
Einst sagte ein Weib, welches einen Menschen im Herzen
hasste:
Jj§^ (Kaze) fuke-ba \ to-ba-ni ^ (nami) Jcosu \ iwa nare-ja \
waga koromo-de-no | kawalcu (toki) naki.
,Wenn der Wind weht, | in To-ba, wo die Wellen über
steigen, | ein Fels wäre es? | In der meines Kleides Aermel
trocknet, keine Stunde ist.'
To tsune-no koto-gusa-ni i-i-keru-wo \ (kiki)-oi-keru otoko.
Dieses sagte sie als gewöhnliches Wort. Ein Mann er
lauschte es und sagte:
Jowi-goto-ni \ kawadzu-no amata | naku [JJ (ta)-ni-wa | ^
(midzu) koso nasare | Pü (ame)-iva fuvane-do.
,Wo jede Nacht | der Frösche viele | schreien, auf dem
Felde j nehme das Wasser überhand | fällt auch der Regen nicht.'
To-ba ist jjfk To-ba, eine zu einer Feste gehörende
Stadt in dem Reiche Si-ma. Dieselbe liegt in dem Kreise Tö-si
an der offenen See. Das gleichnamige To-ba des Kreises Ki-i
in Jama-siro liegt in dem Binnenlande.
Mukasi | otoko \ tomo-datsi-no (fito)-ivo usinajeru-ga
moto-ni jari-keru.
Einst schickte ein Mann an ein Haus, in welchem man
einen Gefährten verloren hatte, die Verse:
(Fana)-jori-mo \ A (fito) koso ada-ni \ Jjjfc (nari)-ni-
kere \ idzure-wo saki-ni | kofin-to-ka ÜL (mi)-si.
,Mehr noch als Blumen | mag der Mensch vergeblich | ent
standen sein. | Was von Beiden vor allem | man wohl lieben
wird, sah man.' 1
(Mukasi) | Jj)^ (otoko) suzuro-ni mitsi-no Q (kuni)
made j madoi-ini-keri. j^f (Mijako)-ni ^ (omo) fu A (fi t0 )-
ni i-i-jaru.
Einst gelangte ein Mann, ohne Absicht umherirrend, bis
zu dem Reiche Mutsu. Er schickte einem Menschen, der in
Mijako an ihn dachte, die Verse:
1 In dem Ko-kon-siü enthalten.
626
Pfizmaier.
(Nami)-ma-jori | M (mi) jura y|> |1{|| (ko-zima)-no \
fama-bisasi | fisasi-ku nari-nü \ 3^ (kimi)-ni ai-mide.
,Der zwischen den Wellen | sich zeigenden kleinen Insel |
Uferdach, | lange Zeit ist es geworden, | dass ich es mit dein
Gebieter nicht sehe.'
(Nani-goto)-mo \ mina joku (nari)-ni-keri-to-
nan | i-i-jari-keru.
Er Hess ihm sagen, dass alles, was es auch sei, gut
geworden.
Mitsi-no kuni ist der alte Name des Reiches Mutsu.
Der Ausdruck fama-bisasi ,Schutzdach des Meerufers'
enthält ein Wortspiel mit fisasi ,Schutzdach' und fisasi ,lange
Zeit'.
jjfH “fC Ilö-ka-no Int.
Der Schauplatz des Flurgangs (Schluss).
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Kanarazu tomo-ni ju-dan-naki jo-ni-to oku-ivo mi-jatte
tsubute-wo ute-ba oto-ni mi-dai-wa sugi-do-wo idete futari-ni
mukai | sinobi-no mono tai-gi-de atta site kanete-no te-kubari-iva.
Wir müssen gemeinschaftlich auf unverdrossene Weise —
Hiermit blickte sie in das Innere und warf einen Stein.
Bei dem Tone trat die hohe Gemalin aus der Cypressenthüre
und sagte zu den Beiden: Die versteckten Menschen waren
überbürdet. Also die vorläufige Eintheilung. —
VtÖ |®T du-dxin ,Nachlässigkeit'.
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Tai-gi ,die grosse Weise', Ueberbürdung.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
627
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Anata-no o-ose-no tori o-niwa-no sigemi-ni mi-wo fisome
sinobi-sugata-ni madza ko nasi-te | mosi-ja kimi-ioo nerb-mo
fakararezu onna-nagara-mo tori-jeru jb-i-to.
— Eurem Befehle gemäss verbargen wir uns in dem
dichten Laubwerk des Vorhofes und thaten als heimliche
Gestalten früher auf diese Weise.
— Wenn es nicht darauf angelegt sein sollte, auch den
Gebieter auszuspähen, bestehen Vorbereitungen, dass selbst
Frauen festnehmen können.
J ^ Jb-i ,Vorbereitung'.
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Katare-ba mi-dai-wa susumi-jori j so-tsi-tatsi-wo sinöbi-ni ire-
si-wa kono fodo-jori-no kimi-no o-mi-motsi fon-i narazu mosi-ja
mi-kado-je sö-mon atte-ivci o-ije-no dai-zi-to omö-ga juje go-kan-
gen mosi-te-mg kiki-ire-naku mcitta knni-naga-ga tsiü-dn-nite mi-
josi-ga aku-zi cä-sire-tari.
Bei diesen Worten schritt die hohe Genialin heran.
— Dass ich euch in das Versteck schickte, dabei war
das seitherige Benehmen des Gebieters nicht gemeint. Ich
dachte, wenn dem Kaiser die Sache zu Ohren gebracht sein
sollte, so wäre dieses etwas Wichtiges für das Haus. Desswegen
machte ich zwar Vorstellungen, doch es war keine Beherzigung.
Ferner habe ich durch den redlichen Sinn Kuni-naga’s die
Bosheit Mi-josi’s erfahren.
Fon-i ,der ursprüngliche Gedanke, die Absicht'.
Sö-mon ,an dem Hofe zu Ohren bringen'.
Kan-gen ,Wort der Vorstellung'.
tsiü-sin , redliches Herz'.
Aku-zi ,böse Sache'.
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Ban-zi-wa go-koku \ mada-mo jo-su-wo nukaranu jb-ni
kokoro-je-masi-ta \ köre fisokci-ni fisoka-ni-to tatsi wakare-fodo-mo
ßso-ßso sinobi-iru ato-ni mi-dai-wa mi-maioasi-te.
— Alle Sachen werden nachher —
— Auch noch die Umstände auf eine nicht unachtsame
Weise —
— Ich habe verstanden.
— Also ganz im Stillen.
Indem sie aufstanden und sich trennten, gingen sie leise und
heimlich hinein. Als sie fort waren, blickte die hohe Gemalin um sich.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Fa.
(!29
Ban-zi zehntausend Dinge'.
^ G°-koku ,die spätere Viertelstunde', nachher, in
einigen Augenblicken.
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-A-a ze-fi-mo nasi go-un-no suje asi-kaga tsirasi-ja-no i-ni
fokori mottai-naku-mo Icin-tei-ni jumi fiki-tamb-wa ten-ina nomi
ireru asamasi-ja sio-sen isamete motsi-i-naki kimi-no joko-sima
mottai-naku-mo on-inotsi tamawaru-wa kokka-no tame-to-wa i-i-
nagara-to omö kokoro-wa kono jo-kara oni-ka zia-sin-ka osorosi-ki
o-jurusi-nasarete kudasgri-mase-to.
— Ach es ist kein Widerstreiten, sein Schicksal ist
erfüllt. Der Staub auf dem Ansehen des glänzenden Hauses
Asi-kaga ist unwürdig. Der in dem verschlossenen Vorhofe den
Bogen spannt, bringt den Himmelsdämon bloss herein, es ist
wohl elend! Zuletzt machte ich Vorstellungen, und das Unrecht
des Gebieters, der keinen Gebrauch von ihnen macht, ist un
würdig. Dass ihm das Leben geschenkt wird, ist um des Reiches
und Hauses willen. Das Herz, in welchem ich dieses dachte,
630
Pfi zm aier.
ist es seit dieser Nacht ein Dämon, ist es ein verkehrtes Herz?
Es ist furchtbar, verzeihet!
^ Ze-ji ,so und nicht so‘.
jlg Un ,das Schicksal'.
I ,die Macht, das Ansehen'.
IÜ Kin-tei ,der abgeschlossene Vorhof'.
^ )H Ten-ma ,Himmelsdämon'.
|S1 Kokka ,Reich und Haus'.
M & Zia-sin ,ein Unrechtes, verkehrtes Herz'.
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Kije-ivu mi-wo modaje namida-ioa si-ga-no fana-fubuki
saza-nami josuru gotoku nari wori-si-mo oku-ni zin-fai-no koku-
gen-to sirase-ni kin-ziü-no go-zib-ico simesu ko-e-go-e-ni mi-dai-wa
fatto naku me-wo farai.
Indess sie zerging und sich verzehrte, waren ihre Thränen
gleich dem Schneesturm von Si-ga, der an die gekräuselten
Wellen sich legt. In diesem Augenblicke verkündete man im
Inneren, es sei die bestimmte Zeit der göttlichen Verehrung.
Bei den Stimmen, welche das hohe Gesetz der vertrauten
Diener anzeigten, trocknete die hohe Gemalin schnell die
thränenvollen Augen.
^ 'p| Si-ga, die an dem See Bi-wa liegende Hauptstadt.
jjjjjj ZAn-fai ,göttliche Verehrung'.
M RR Koku-gm ,die Gränze der Zeit'.
«jjjti: &°'dzib ,das hohe Gesetz'. Hier wurde zija-u
für dzija-u gesetzt.
Fortsetzungen der Zeichnung dev zwei Fa.
631
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- >j ± ir ( X d y £> ^
x x - s. -r y -v * x €.
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Tsib-kei itsi-mi-no nei-zin-domo koko-zo sen-gi-no joi ito-
gutsi ki.-wo tori-nawosi mi-gosiraje kazu-no kitto fuki-kesi-kesi
matsu-to-mo iza-ja sira-su-gci saki-jb jami-wa aja-ncisi unie-no
ma-ni battari juki-b kinu-no kaiva ko-wa kokoro-jezu-to.
— Tsib-kei, der vertraute Schmeichler, hat hier ein für
die Ausforschung 1 gutes Fadenende.
Ihren Muth auffrischend und sich bereit machend, blies
sie immer eine Anzahl eingeschnittener Lampen aus. Wie sie
auch wartete, es war Finsterniss wie vor dem weissen Sande
und nichts zu unterscheiden. Zwischen den Pflaumenbäumen
gehend, traf sie mit der Seite eines Kleides zusammen.
— 0 es ist unbegreiflich.
Kitto ,eingeschnittene Lampe' steht für kiri-tb.
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Saguri-jori ukagai jori-kitaru tsib-kei | ka-tan-nasi-taru nei-
zin-domo tada ittb-ni-to kiri-komu sira-fa siil-ren-no oku-gata
mi-ico kawasu fogure-su-wb-no sode-garami fodoke-ba tsuke-iru
fiwara-zeniß dokko-i tomare-ba jvki-wore-no take-to sinajete kiü-
sio-no nte.
Tappend und spähend kam Tsio-kei heran.
— Der Schmeichler, der die Sache übernommen hat, wird
nur mit einem Schwertschlag —
Der blossen Klinge, mit welcher er einhieb, wich die
geübte Gemalin aus. Sie löste die Aermelbinde des aufge
wickelten einfachen Mantels, und als der hinzugefügte Druck
auf die Rippen aufhörte, bog sie sich wie ein vom Schnee
gebrochener Bambus an der bedrängten Stelle.
ijpj Ka-tan ,auf dem Rücken tragen, eine Last über
nehmen“.
^ A Nei-zin ,ein Schmeichler“.
- 7) Ittb ,ein Schwerthieb“.
Pfizmaier.
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^ Siü-ren ,geübt, geschickt“.
% IS Su-wb ,ein einfacher Mantel“. Man schreibt auch
su-awo ( 77 7 )•
^§> )M Kiü-sio ,die bedrängte, schmerzhafte Stelle des
Körpers“. Statt ki fu wurde hier ki u geschrieben.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
633
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Wort - kara sinobi - no kuro - ide - tatsi mi - dai - wa sore - to
kokorojete tsuki-to kakere-ba fana-to Icotaje ko-e-wo siru-be-to
kiri-komu-ioo firari-to nage-kosu mi-dai-no siü-ren sinobi-wa te-
bajaku aku-nin-je nawa utsi-kakete fiki-tateru.
In diesem Augenblicke, überzeugt, dass es die schwarzen
Anzüge der Versteckten seien, rief die höbe Gemalin ,Mond‘
und man antwortete ,Blumen Bei diesem Rufe, welcher das
Kennzeichen war, warf sie den Einhauenden hurtig hinüber.
Die geübten Versteckten der hohen Gemalin legten mit schnellen
Händen dem bösen Menschen Stricke an und hielten ihn fest.
iS Aku-nin ,ein böser Mensch'.
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Iki-tsugi ctjezu aja-no dai | kono uje-iva waga kimi-no seo-
si-no futa-tsu-wo tadasu-wa ima-no ma-to nawa-tsulii ßki-tate
Sitzuugsber. d. phil.-hist. CI. XCIL Bd. III. Hft.
41
634
Pfi zm aier.
go-za-no ma-je sinobu nen-riki wonna-no misawo sidzu-sidzu fito-
ma-je iri-kere-ba ukagai-ideru tsib-kei-ga mi-dai-iio eri-gami fiki-
toraje.
Die hohe Gemahn liess sich nicht Zeit, Athem zu schöpfen.
— Ueberdiess bringe ich in diesem Augenblicke zwei
leidige Dinge meines Gebieters zurecht.
Ihn, wie die Stricke angelegt waren, hinstellend, lenkte
sie zu dem erhabenen Sitze die verborgene Kraft der Gedanken,
die strenge Tugend des Weibes. Sie trat leise in ein Gemach.
Tsiö-kei, der hervorspähte, zog die hohe Gemalin an dem
Kragen zurück.
^ J_t Seo-si ,das Leid'.
^ j/j Nen-riki ,die Kraft des Gedankens'.
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Ja-a nani-to-ga atte kuan-rei-no mi-ivo sasi-olci sio-kb-no
mono-je nawa kake-si-zo mi-dai tote jd-sia-iva senu-zo-to nonosire-ba.
Scheltend rief er: Was gibt es, dass die hohe Gemalin
den Geschäftsführer bei Seite setzt und einem Menschen der
Lehensfürsten Stricke angelegt hat? Dieses verzeihe ich nicht.
Kuan-rei ,ein Führer der Geschäfte'.
0| Sio-kö ,ein Lehensfürst'.
Wt Jb-sia ,grossmüthig verzeihen'.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
635
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Nani-wo ko-siaku-to ari-o nagi-nata ottotte kiri-farawan-to
nasi-kere-ba tsib-kei iratte itto nuki-tori matsu-kaze-to utsi-komu
katana janagi-ni nagasi zio-dan ge-dan-to utsi-b wori idzuku-jori-
ka-to tsib-kei-ga kata-saki me-gake tsuki-tatsu siütsu-gen tsuraimki-
ture-ba siri-i-ni dokka-to tcidzirogu.
—■ Es ist Ungereimtes.
Das vorhandene lange Schwert an sich reissend, wollte sie
ihn weghauen. Tsiö-kei gereizt, entriss es ihr gänzlich. Wie
der Fichtenwind warf man einhauende Schwerter auf Weiden
bäume und schlug sie auf den oberen und unteren Stufen
zusammen. In diesem Augenblicke — woher mochte es sein?
suchte man die vordere Schulter Tsiö-kei’s aus und durchbohrte
sie, gegen sie stossend, sichtlich. Er wankte nach rückwärts.
*fe£ Ko-siaku ,eine ungereimte Sache, Unsinn'.
— ),gänzlich'.
± m Zib-dan ,die obere Stufe'.
"F WL Ge-dan ,die untere Stufe'.
Hj Jjjl Siütsu-gen ,ersichtlich werden'.
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636
Pfizmaier.
Tsib-hpÄ \ ja-a nani-jatsu nare-ba fi-kib-no jatsu-to nonosire-
ba kasiko-no ro-ka-ni fisa-josi-ga \ ja mu-fon-no to-riü mi-josi
tsib-kei so-ko issun-mo ugoku-mai-zo-to.
Tsib-kei rief schmähend: Was für ein Sklave es ist, es
ist ein feiger Sklave!
Von der anderen Seite des Flurgangs rief Fisa-josi:
Ein verrätherisches Verbleiben! Mi-josi Tsib-kei wird sich
dort nicht im Geringsten rühren.
Fi-keb ,feig'.
gjjf 'jjj Mu-fon ,auf Abfall sinnen-'.
To-riü ,sich aufhalten, verweilen'.
—■ Issun ,ein Zoll'.
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Josi-te.ru ka-fu-to-mo to-kitsi kosi-moto-wa nagi-nata tadzu-
saje ide-kitare-ba konata-no Jcata-jori segare-no si-ra kuni-naga-ga
tori-te-no do-zei fiki-irete so-fo itsi-do-ni tsib-kei-ga zen-go-wo
tori-kakome-ba tsib-kei-wa kono tei mite bikkuri-nasi.
.Josi-teru, der Hausvater, To-kitsi, die Mägde, in den
Händen lange Schwerter haltend, kamen hervor. Von diesseits
führte der Sohn Si-ra Kuni-naga die gepanzerte Schaar der
Häscher herein, und von beiden Seiten umringte man mit einem
Male Tsib-kei vorn und im Rücken. Tsib-kei, diese Anstalten
sehend, war betroffen.
^ 7t Ka-fu ,Hausvater'.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
637
(fl + löj ) # Dd-zei , Bewaffnete in Panzerhemden'.
Sö-fo ,beide Seiten'. Statt so-u fa-u hier sa-
fo-u geschrieben.
—* Itsi-do ,ein Mal'. Itsi-do-ni ,mit einem Male'.
# # Zen-go ,vor- und rückwärts'.
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Jaja kori-ja segare-ivo basi saru kua-zi jame ware-wo kaku-
made tori-maki-si-wa fisa-josi-wa nikko-to warai.
— Ei, Sohn! Eine solche Feuersbrunst sei zu Ende. Dass
man mich so sehr umzingelt hat —
Fisa-josi lächelte.
Kua-zi ,eine Feuersbrunst'.
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Ja-a oroka nari tsio-kei tö-ke-wo 6-rib-sen-to nandzi-ga
takumi itsi-mi nasi-taru dai-seo-meb nokorazu karame-tottare-ba
sa nusumi-tottaru mi-seo-in loatasi-ta uje-ni seppuku nase-to.
— 0 es ist thöricht, davon zu reden, Tsiö-kei! Um dieses
Haus unter die Herrschaft zu bringen, wurden durch deine
Schlauheit die zu Vertrauten gemachten grossen und kleinen
Fürsten ohne Ausnahme gebunden und ergriffen. Also! Wenn
du das geraubte hohe richtige Siegel gebracht hast, schneide
dir den Bauch auf.
638
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To-ke ,das gegenwärtige Haus, dieses Haus*.
m m o -rio ,niederdrückend verwalten*. Statt b ( ~y' 7?)
rde hier o geschrieben.
* * ^ Dai-seo-meb ,grosse und kleine Fürsten*.
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Ikimake-ba josi-teru-ko-mo ko-e ara-date \ kore-mcide in-siü-
ni teb-zi fb-ratsu-mono-to nattaru-mo mi-seo-in sen-gi-no tarne
fakarazu iri-komu tsioku-si-to iü-wa isi-gawa go-e-mon kare-to
kokoro-ivo awase to-ke-wo ukagb bu-do-zin.
So rief er zornig. Auch Fürst Josi-teru sagte mit scharfer
Stimme: In einem solchen Masse dem Weintrinken ergeben,
ein verworfener Mensch geworden, war man mit dem angeb
lichen kaiserlichen Abgesandten, welcher wegen der Unter
suchung des hohen richtigen Siegels unvermuthet hereinkam,
mit Isi-gawa Go-e-mon, einverstanden, dieses Haus auszuspähen,
gesetzloser Mensch!
yjäj In-siü ,Wein trinken*.
m m Fo-ratsu ,verworfen*.
M i; A Bu-do-zin ,ein gesetzloser Mensch*.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
639
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Waga tsitsi nagara-mo aku-i-no ne-zasi utsi-sute-oka-ba
siii-ka-no metsu-bö kumi-suru jakara mi-nukan tarne fisa-josi-ko-ni
tassuru nje-wa isagijoku seppnku mesare-to.
— Ist es auch mein Vater, wenn ich das Einwurzeln des
bösen Vorsatzes gelassen hätte, wie es ist, wäre dieses die Ver
nichtung des Hauses des Gebieters gewesen. Damit die Leute,
welche in der Gesellschaft sind, es durchblicken, schneidet euch,
nachdem die Sache zur Kenntniss des Fürsten Josi-teru gelangt
ist, lauteren Sinnes den Bauch auf.
Aku-i ,ein böser Vorsatz'.
Siü-ka ,das Haus des Gebieters'.
^ Metsu-bö ,vernichtet werden und zu Grunde gehen'.
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Tsume-jore-ba tsiö-lcei-wa mu-nen-no fa-gami | e kutsi-wosi-ja
na-a josi-teru-wo naki-mono-ni si si-kai-wo nigiran kei-riaku-mo
kaku araware-si uje-ica ron-wa mu-jaku waga te-ni ittaru mi-
seö-in metta-ni unu-ra-ni watasö-ja.
So setzte er ihm zu. Tsiö-kei, mit dem Zähneknirschen
der Verzweiflung, erwiederte: Es ist zu bedauern! Nachdem
der Anschlag, Josi-teru zu einem Todten zu machen und die
vier Meere zu erfassen, so offenkundig geworden, ist die
640
Pf i zraaier.
Erörterung- nutzlos. Werde ich das in meine Hände gelangte
erhabene richtige Siegel unbedachter Weise euch überbringen?
ffll: ^ Mu-nen ,ohne Nachdenken, verzweifelt'.
PJ Si-kai ,die vier Meere'.
H"f* Kei-riaku ,eine Berechnung, ein Anschlag'.
j|j|} Ron ,Erörterung'.
Mu-jaku .ohne Nutzen'.
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Mi-dai-mo tsume-jori no-tamb-wa \ sa-a kono“ go-ni ojonde
mi-ren-no fürumaje \ mo-faja kanawanu seppuku nase-to tsume-
jore-ba tsio-kei-iva odori-agatte \ onore-ra itsi-itsi kin-makuru-wo.
Auch die hohe Gemahn setzte ihm zu und sagte: Wenn
es bis dahin gekommen, ist es ein kleinmiithiges Benehmen.
— Es ist bereits unpassend. Schneide dir den Bauch auf.
So drängte man ihn. Tsiö-kei sprang empor.
— Ihr, der eine wie der andere, werdet im Einhauen
besiegt.
JtJ] Go ,die bestimmte Zeit'.
Mi-ren ,nicht geläutert, nicht fest, kleinmüthig'.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
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Sore mono-domo-to ko-no sita-ga sasi-dzu-ni tori-maku amata-
no gun-zei \ ugoku-na jarazi-to tori-maku jari-saki si-fb-wo kakomu
jose-dai-ko oto-mo fagesi-ku kikoje-keru.
Leute! — Bei dieser Weisung Ko-no sita’s riefen die
umzingelnden Kriegsleute: Man rühre sich nicht! Man lasse
nicht los!
Die umringenden Lanzenspitzen schlossen von vier Seiten
ein. Auch der Ton der Angriffstrommel erklang mit Heftigkeit.
Gun-zei ,die Stärke des Kriegsheeres', Kriegsleute.
Tai-ko ,Trommel'. In jose-dai-ko ,Angriffstrommel'
ist tai getrübt.
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Sen-kiö kaku-no ha.
Der Schauplatz des Söllers der Unsterblichen.
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Konata-no tsin-wa josi-teru-ga kiwamuru ei-gua-ni sitsuraje-bi-
wo tsukusi-taru sen-kib-kaku sora-daki kaworu mi-su-no utsi kei-
sei fu-jü-ga kaki-narasu koto-no tsuma-oto-no ßto-siwo-ni koto-uta.
In dem diesseitigen Sommerhause, dem von Josi-teru mit
Erschöpfung des äussersten Glanzes schön hergestellten Söller
der Unsterblichen erklangen innerhalb der von Weihrauch
duftenden Thürmatte die Töne der von der stadtumwerfenden
Fu-jü gerührten Harfe immer lauter. Lied der Harfe:
(Q, Tsin ,ein Einkehrhaus'. In Japan ein Sommerhaus
oder Söller.
642
Pfizmaier.
sik 'tfc Ei-gua glänzende Blumen', Pracht.
Sitsuraje- bi ,die Schönheit des Aufbaues'.
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Awanu fadzu nara jo-goto-no jume-ni fon-ni nama-naka
mi-si omo-kage-no fanare-gata-naki Jcakotsi-gusa-to seo-ga-voo situi-
ne-ni fikare utsutsu-gokoro-ni go-e-mon-ga | fana narade kaworu
fito-ki-wo kimi towa-ba-to.
— Wenn Einigung nicht sein soll, | in dem Traume jeder
Nacht | in der That lieber | des Bildes, das man sah, | nie
sich trennende | Betrübnisspflanze.
Von dem sehnsüchtigen Tone, mit welchem sie dieses
Lied sang, angezogen, war Go-e-mon erweckten Sinnes.
— Der ohne dass Blüthen sind, | duftet, um einen Baum |
wenn der Gebieter fragt.
P|| Sed-ga ,ein Gesang'.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
643
Gin-zuru ko-e-ni mi-kaje.ru fu-jü | ja-a tsiü-na-gon-sama
itsu-no ma-ni | maro-ga gin-ze-si sita-no ku-wa \ kogaruru mune-
no fodo-mo sirasen sono sita-no ku-ni sita-fimo-no itsi-do-wa toi-
te morai-ta-sa tono-je-ga miru-me-mo itoiva-ba koso.
Bei dem Tone dieser Hersagung blickte Fu-jü zurück.
— Ei, der Herr mittlere Rath! Um welche Zeit —
— Die untere Strophe, welche ich hersagte —
—,Des verbrannten Busens | Zustand werd’ ich bekundend
Das Verlangen, bei der unteren Strophe das untere Band
einmal gelöst zu bekommen — wenn an dem Herrn das
sehende Auge zuwider ist.
Gin-zuru ,summen, hersagen'.
p|4 ;^j == Tsiü-na-gon ,ein die Worte Vorbringender
der Mitte'.
Itsu-no ma ,welche Zwischenzeit? wann?'
'pjjj Ku ,die Strophe eines Gedichtes'.
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I-e-i-e uwa-gi-na iro-wa tono-go-no tsune | ija uwa-gi-to-wa
sare-bukai kimi-no ei-gua-to mei-ko-no kawori-ni fikare tsui koko-
je | jo-so-ni niwoi-no ume-no fana kotsi-fuku kaze-ni omoi-masu.
— Nein, nein, die Farbe an dem Mantel ist das Gewöhnliche
des Gebieters.
— O, was den Mantel betrifft, so ist er von Bleichung
tief. Von dem Hauche der berühmten Wohlgerüche, welche die
Verherrlichung des Gebieters sind, angezogen, ha! ist man
hierher —
— Ausserdem die duftende | Pflaumenblüthe | in dem
Winde, dem als Ostwind wehenden, | Gedanken hat.
644
Pfizmaier.
^ ^ Ei-gua glänzende Blumen*.
Mei-kb ,berühmte Wohlgerüche*.
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;E.7A : &;V'77'77'7
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Fana mono-iwanu sono nazo-mo tokete nogare-no mi-de-wa
nasi | mtsi aru-fana-ni majo-ga bon-nd \ mune-no omoi-wo iwanu-
ga fana-no ka \ te-mo sio-sin naru \ tsubomi-no mi-dzukara.
— Die Blume spricht nicht, | das Räthsel auch | wird ge
löst, ein sich herumtreibender | Leib ist sie nicht.
— Der Meister durch irgend eine Blume | sich verirrt,
die Begierde —
— Die des Herzens Gedanken | nicht sagt, der Blume Duft.
— Die Hand ein Neuling ist.
— Die Knospe, sie selbst —
m « Bon-nö ,krank und gequält sein* bezeichnet
Sinnlichkeit oder Begiei'de.
M Kt Sio-sin ,ein Neuling*.
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7 h 7 3 3 -fe 7 U 77-i
- 7 )b t 7 7 ^ 7 V D
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Sono iro-ka-wo-ba tada fito-je worasete kitri-jare aja-no
dai icorasete tabe-to jo-nen-naku joru-wo fedatsuru tsuma-goto-
ni koto-uta.
— Diese Farbe und diesen Duft lasset einzeln brechen,
hohe Gemalin Aja! lasset sie brechen.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
645
Hiermit kam er gedankenlos näher. Sie stellte die Harfe
dazwischen. Lied der Harfe:
^ Jo-nen ,übrige Gedanken'.
Tsuma-goto ist so viel als koto ,Harfe'. Man sagt es habe die
Bedeutung jNagelharfe', weil die Harfe mit den Fingernägeln
gerührt wird. Indessen wird auch angegeben, dass es die Ab
kürzung von adzuma-goto ,Harfe der östlichen Reiche' sein könne.
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Omoi-ni kasumu tsuki-kage-mo sidzumu naki oiboro-jo-ni \
kimi-ga wori-toru tsute ara-ba \ faru-ja mukasi-no to-wa kosi-no
fito-to sed-ga-ni josete fiku koto-no te-ivo todome-tsutsu aja-no
dai | wonna tarasi-no utsuri-gi-jori sin-zitsu nara-ba mi-dzukara-
mo misawo-wo sutete sippori-to.
— Wo von Gedanken verdeckt, | das Mondlicht versinkt,
in trüber Todesnacht.
— Die Gebieterin einen brechenden, nehmenden ] Ver
mittler wenn sie hat.
— Frühling! an der ehemaligen | Thüre der Mensch
der Sänfte.
Bei diesem Gesänge sprach, mit der die Harfen rührenden
Hand inne haltend, die hohe Gemalin Aja: Das Weib ist die
Unbeständigkeit des Tropfens. In Folge dessen, wenn es Auf
richtigkeit ist, setze ich selbst die strenge Tugend bei Seite,
und im Stillen —
Sin-zitsu ,wahr, aufrichtig'.
646
Pfizmaier.
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Tai-te ne.ru ki-ka nabiku ki-ka \ sa-a ne-mai mono-zia na-
kere-domo watasi-ja o-ku-ge-san-wa kirai-zia waina-a \ nani ku-
ge-wa ija-ga ija-nara-ba kono sio-zoku-mo totte noke-to.
— Möchtet ihr euch niederlegen ? Möchtet ihr euch
neigen?
— 0 es ist nicht der Fall, dass ich mich nicht nieder
legen werde, doch ich habe einen Abscheu vor Herren von
dem Fürstenhause.
— Wenn euch etwas an dem Fürstenhause zuwider ist,
so nehme man diesen Anzug weg.
St Ku-ge ,ein Fürstenhaus*, ein Mann des Fürsten
hauses.
Sio-zoku ,der Anzug, die Kleidung*.
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Te-ni motsu siaku-mo nage-sutete \ atsu-gamasi-i sono sasi-
nuki | sa-a o-nugasi-nasare-je-nasare-je \ ne-ja-no uwa-gi-mo iranu
mono-i na-a | sa-a-sa-a dö-nari-to-dö-nari-to-to hokoro-mo sora-ni
go-e-mon-wa fu-jü-ga te-kuda-ni jume-utsutsu mi-wo sasi-jotte
tokaseru uiva-gi obi.
Hiermit warf er die Handtafel, welche er in der Hand
hielt, weg.
— Diese ziemlich heissen weiten Beinkleider.
— O ziehet sie aus, ziehet sie aus!
— Das Schlafgemach braucht auch keinen Mantel.
— Ja, so ist es, so ist es.
Das Herz in den Lüften, befand sich Go-e-mon durch die
List Fu-jü’s zwischen Traum und Wachen. Sich hindrängend,
liess er sich Mantel und Gürtel lösen.
m Siaku, die Handtafel, welche die Würdenträger ehe
mals in den Händen hielten.
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Fu-jü-wa sib-zoku nugasen-to zare-ni koto-jose go-e-mon-ga
tai-seru tsurugi-wo te-bajaku tori-age kake-idasu.
Fu-jü, im Scherze vorgebend, dass sie ihm die Kleidung
ausziehen werde, hob mit hurtiger Hand das Schwert, mit
welchem Go-e-mon umgürtet war, empor und rannte hinaus.
Tai-seru ■,umgürtet sein'.
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Gö-e-mon odorold fatto neme-tsuke | jci-a sui-san ivonna-vie
sono tsurugi nan-to suru \ nozomi-kakatta me-rib-no tsurugi kottsi-
je watase.
Go-e-mon erschrak und blickte sie finster an.
— Zudringliches Weib! Was willst du mit diesem Schwerte?
— Bringe mir das Schwert des weiblichen Drachen, worauf
ich gehofft habe.
m 0 Siri-san ,sich in eine Gesellschaft drängen', zu
dringlich sein.
Rib , Drache'. 1
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Ko-siaku-na jatsu-me ija kajesazi-to sono mama-ni furi-
kiri-juku-wo fiki-tomure-ba kai-kugutte nobe-gami-wo me-saki-je
barari-to nage-tsukeru fana-ni arasi-to tobi-tsiru-wo ki-wo iratsi-
tsutsu kaki-noke.ru.
— Ueberkluge Spitzbübin!
Sagend, dass sie es nicht zurückgebe, wollte sie ihn, so
wie sie war, abschütteln. Als er sie anhielt, schlüpfte sie unter
ihm durch und warf ihm ausgespanntes Papier in Stücken vor
1 Ueber das Wort me-ri'o ist in der Abhandlung: ,Der Palast Josi-teru’s,
(S. 509) Einiges angegeben worden.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
649
die Augen. Er stiess die Stücke, welche, den Blüthen im
Sturme gleich, fliegend sicli zerstreuten, ärgerlich auf die Seite.
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Sono ma-ni tsurugi-wo motsi-noku fu-jü unu nogasazi-to
oi-juke-ba anata-konata-to araso utsi jume-wa jaburete use-ni-keru.
Unterdessen nahm Fu-jü das Schwert weg. In der Ab
sicht, ihn nicht entrinnen zu lassen, lief man ihm nach, und
während man auf beiden Seiten stritt, war der Traum zerstört.
Ko-ja-matsi-no kasi-sa-siki-no ha.
Der Schauplatz der Miethhalle der Strasse Ko-ja.
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Koko-ni go-e-mon-wa sannuru tosi tö-ma-no zed-ga rö-taku-
jori go- ra-itsi-wo tsui e ko-ja-matsi-no kasi-za-siki-je tomonai-kitari
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCII. Ed. III. Hft. 42
650
Pfizmaier.
kei-bo-no o-taki-ni itsi-bu si-ziü-no koto-wo katari ima-jori-sife-wa
waga ko-to omoi se-wa-site kure-to tanomu-ni-zo.
Go-e-mon hatte im vergangenen Jahre aus dem Wohn-
hause des beschäftigungslosen Kriegers, des Zugesellten T6-ma,
seinen Sohn Go-ra-itsi geleitet und war mit ihm zu der Mieth-
halle der Strasse Ko-ja gekommen. Er erzählte es der Pflege
mutter O-taki mit allen Umständen und bat sie, dass sie Go-ra-
itsi von jetzt an für ihren Sohn halten und ihm beistehen möge.
Sannuru ist die Abkürzung von sari-nuru ,vergangen'.
ir m To-ma ist ein Eigenname.
Rb-taku ,das Wohnhaus eines beschäftigungslosen
Kriegers'.
7^ J|g Ko-ja ,Holzhaus' heisst in Japan eine Hütte neben
einem im Bau begriffenen Hause. In derselben werden die
zum Baue nothwendigen Gegenstände aufbewahrt.
!|§ Kei-bo ,eine Pflegemutter'.
yjH O-taki ist ein Eigenname.
—* Itsi-bu-zi-tsiu ,eine Abtheilung, Anfang
und Ende', Alles vom Anfang bis zum Ende.
■nt m Se-wa. ,Unterredung der Welt' hat in der ge
meinen Sprache die Bedeutung: Beistand, Sorgfalt für etwas.
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O-taki-wa wotto-no iü koto nare-ba inamu koto-mo naku
uke-fiki-te mutsumazi-ku kono tokoro-ni jo-wo okuri-itari-keru.
O-taki, da es die Worte ihres Mannes waren, hatte keinen
Grund, sich zu weigern. Sie willigte ein und lebte bisher freund
schaftlich an diesem Orte.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
651
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Go-e-mon-wa o-olcu-no te-sita-wo kosiraje jo-goto-goto-ni ta-gib-
nasi kano sirci-nami-no itonami-nasi-te firu-wa kokoro-wo jasumen-
to kamo-gawa-ivo mi-orosu ro-zib-ni toro-toro-to ma-doromi-te ari-
si mukasi-no koto-domo-wo tada issui-no jume same-nure-ba.
Go-e-mon, das Viele, das ihm unter die Hand kam, vor
bereitend, ging jede Nachtausund betrieb jenes Räuberhandwerk.
Am Tage machte er, um seinen Gedanken Ruhe zu gönnen,
in der Höhe des Stockwerkes, von welchem man auf den
Fluss Kamo-gawa herabsah, einen kurzen Schlaf. Er erwachte
aus einem nur flüchtigen Traume, der ihm die Begebenheiten von
ehemals vorspiegelte.
m ft Ta-gib ,ein anderer Gang*, ein Ausgang.
m ± Ro-zib ,die Höhe des Stockwerkes 1 .
—* Issui-no jume ,der Traum eines einzigen Blasens 1 ,
ein flüchtiger Traum.
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Ne-maki-no mama-ni kai-kufumi ßki-kakete me-wo samasi
atari mi-mawasi fotto-nasi atari-no kiseru tori-age tabako-bon
fiki-josete go-e-mon-wa.
42*
652
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Das Nachtkleid, herumgerollt wie es war, heranziehend,
blickte er rings umher, streckte sich, erhob dann die vor ihm
liegende Pfeife und zog die Tabakbüchse an sich. Go-e-mon
sagte zu sich:
^ Bon ,eine Schüssel oder Büchseh
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Sate-wa ima-no-wa jume-de atta-ka otsu-na koto-wo mint
mono zia na-a \ omoi-gake ne-je asi-lcagci-no go-sio-wa si-ga-no
betsu-gib-je kita koto-mo ne-je kamuri sib-zoku tsioku-si-to bakete
iri-komu siil-bi.
Ei, sonderbare Sachen sind es, die ich jetzt im Traume ge
sehen! Es kommt mir in die Gedanken! Ich gelangte zu dem
Wohnsitze Asi-kaga’s, zu dem in Si-ga liegenden besonderen
Lustschlosse! Es ereignete sich, dass ich mit Mütze und An
zug mich in einen kaiserlichen Abgesandten verwandelte und
hereintrat.
je m Asi-kaga ist der Geschlechtsname eines Siogun.
»J9r Go-sio ,der kaiserliche Ort' bedeutet in Japan
ein vornehmes Wohnhaus.
^ 'pl Si-ga ist ein Kreis des Reiches Omi.
SU * Betsu-gib ,die besondere Beschäftigung' heisst
der Ruhesitz eines Grossen.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
653
Tsioku-si ,ein kaiserlicher Abgesandter'.
t M Siil-bi ,Haupt und Schweif', die Umstände einer
Begebenheit.
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Ano josi-teru-ga fana-to nagamuru omoi-mono fu-jü-to i-i-
si kei-sei-iva, nio-b'o o-taki-ni iki-utsusi ta-nin-no saru-ni saru
kua-sici-no tsi-sici-to jobarurü ßsa-josi-ga icare-ioo motenasu kio-
o-ioa dai-ban.
Jene Nebenfrau, auf welche Josi-teru wie auf eine Blume
blickt, die Stadtumwerfende Namens Fu-jü war das lebendige
Bild meines Weibes O-taki. Für den anderen Menschen Saru
war Fisa-josi, welcher Saru, der Verständige des Feuerwagens
genannt wurde. Er bewirthete mich, bei der Bewirthung waren
grosse Schüsseln.
m a Ta-nin ,ein anderer Mensch'.
A $ Kua-sia ,der Feuerwagen' ist ein Gegenstand
der Hölle.
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Tsi-sia ,ein verständiger Mensch'.
Kib-o ,die Bewirthung'.
Dai-ban ,eine grosse Schüssel'.
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654
Pfizmaier.
San-sen se-kai-no takara kono te-ni tsukamu go-e-mon-ga
makasi-banasi-no furu-tsudzura naka-ni fa-itta siro-mono-wa
ogase-ni karamu segare go-ra-itsi.
Dreitausend Stücke, Kostbarkeiten der Welt, hielt Go-e-
mon in dieser Hand fest. Die in einen alten Koffer, den
Gegenstand einer alten Erzählung, hineingekommene Waare war
mein mit Tuchfäden gebundener Sohn Go-ra-itsi.
ü: Se-kai ,die Gränze des Zeitalters', die Welt.
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7akunda so-ko-no jabure-gutsi ato-wo kuramasi idzulcb-no
okono ziütsu-no ki-doku-de jasuku ko-kü-ivo kakeru-to omotta-wa
fidzi-ico makura-no jurqe-no utsi si-jott.a tsudzura-no omo-mi-jori
kono mi-ni omoki kiü-aku fareru sirase-ka mama-siki naka-no
nio-bb ko-ni mosi-ja sawari-no aru sirase-ka a-a jume-wa go-z'o-'
no wadzurai-sia na-a-to.
Der Anschlag war zernichtet, ich verwischte dessen Spur
und glaubte, dass ich durch das Wunderbare einer überall
getriebenen Kunst leicht durch die leere Luft jage. In dem
Traume, während ich den Arm zu einem Polster machte, war
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
655
der aufgeladene Koffer schwer. Ist dieses somit ein Vorzeichen
dessen, dass das auf mir schwer lastende alte Böse sich auf
klärt? Ist es ein Vorzeichen dessen, dass mein einer Stiefmutter
ähnliches Weib dem Sohne vielleicht ein Hinderniss ist? Der
Traum ist ein Unwohlsein der fünf Eingeweide!
* Ziütsu ,Kunst*.
^ # Ki-doiku ,Wunder und Seltsamkeit*,
ft £ Ko-kü ,die leere Luft*, der leere Baum.
jß. 35 Kiü-aku ,alte Bosheit, das alte Böse 1 .
Go-zb ,die fünf Eingeweide*.
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Tabako kujurasi tamerai-ire-ba si-dai-ni kikojeru tatnki-gane
tomo-ni tsure-taru futari-dzure rei-dzib mawaru kuai-koku ziün-rei
kono ja ma-dzikaku ki-kakari-te kuro-b&i-no atari mi-mawasi.
Während er Tabak rauchte und unschlüssig weilte, hörte
man allmälig den Ton einer Cymbel und zwei die Orte der
Andacht umkreisende, die Reiche durchwandelnde Pilger, welche
sich zu einander gesellt hatten, kamen ganz nahe zu diesem
Hause heran und blickten an der schwarzen Mauer umher.
* % Si-dai ,die Folgereihe*.
Hl Rei-dzi'o ,der geistige Schauplatz*, ein heiliger Ort.
0 H Kuai-koku ,um die Reiche wandeln', die Reiche
durchwandern.
iS Ü Ziun-rei ,umherziehend verehren*, ein Pilger.
Knro- Jp^. bei ,eine schwarze Mauer*.
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Konata-no ziim-rei \ ja-tö-tsugi tono | faja-to tono | kori-ja-to
osajete ni-kai-ni me-wo tsuke e-sngata tori-dasi osi-firaki kasiko-
no ni-kai-no go-e-mon tokku-to mite | kono e-sugata-to sun-bun
tsigawazu | si-kai-wo saioagasu \ masasi-ku tö-zoku-to.
Der Pilger diesseits hob an: Herr Ja-tö-tsugi!
— Herr Faja-to!
— Ei so! — Ihn beschwichtigend, richtete er das Auge
nach dem Stockwerke, nahm ein Bildniss hervor, entfaltete es
und blickte aufmerksam auf den in dem Stockwerke befind
lichen Go-e-mon.
— Er ist von diesem Bildnisse nicht im Geringsten
verschieden.
— Der die vier Meere in Unordnung bringt.
— Richtig der Räuber.
Wt Ni-kai ,zwei Treppen“, das obere Stockwerk,
vj" ^ Sun-bun ,ein Zoll und eine Linie“.
Si-kai ,die vier Meere“.
int jjjJ' Tö-zoku ,ein Räuber“.
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Ni-kai-no kata-je me-ivo tsukere-ba uje-ni-wa gikkuri m.i-
orosi-te | nan-to | ija-sa tbri itsi-dono ziün-rei-ga-to ije-ba ni-kai-
ica ki-wo tori-nawosi fo-sia-ka-to waki-je kawase-ba \ a-a fo-sia-
ka-to ije-ba ziün-rei-wa kakuse-si si-de furi-ctgere-ba | a-a siare-
ja a-garu-to.
Als sie das Auge auf das Stockwerk richteten, blickte
man oben mit Befremdung herab.
— Was gibt es?
— Ei, Pilger von der Art der Beschwörer. — Bei diesem
Worte war man in dem Stockwerke wieder erheitert. Man legte
es in dem Sinne aus, dass vielleicht ein Almosen begehrt werde.
— Also ein Almosen?
Als Jener dieses sagte, erhob der Pilger ein Richtschwert,
welches er verborgen hatte.
Jener sagte wieder: Ei, ich habe Lust, witzig zu sein.
Ws F°-(,ia ,Vergeltung und Dank', ein Almosen.
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Kiseru-no sui-gara soto-naru fütari-je utsi-tsukere-ba omo-
wazti mutto iki-kome-ba kori-ja-to sei-site futari-no ziün-rei me-
kubase-nasi-te wakare-keru.
Hiermit schüttete er die Tabakasche der Pfeife auf die
aussen befindlichen Beiden. Dieselben fuhren wider Vermuthen
zornig auf.
So! — Mit diesem Worte wies er sie zurecht. Die beiden
Pilger warfen einander Blicke zu und trennten sich.
M Sei-suru ,zurechtbringen, zurechtweisen'.
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Go-e-mon utsi-no-ba.
Der Schauplatz (1er Häuslichkeit Go-e-mon’s.
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Koko-ni go-e-mon-ioa go-rci-itsi tsurete kakure-ga-je modotte
oja-ko tsugi-awa.su kinu-no omote-ni sarasi-ura fada-tsuki ivaruku
kurasi-iru.
Go-e-mon kehrte mit Go-ra-itsi in das Versteck zurück,
und Vater und Sohn, bei zusammengefügter äusserer Seite des
Kleides die gebleichte innere Seite an den blossen Leib legend,
verbrachten schlecht die Tage.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
659
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Zin-zi-ni waru-mono-no mi-kami-no saku-suke kata-ta-no ko-
suzume en-rio-naku zutto tri | e-e o-taki-sama nui-si-goto go-sei-ga
de-masu-no.
Unter diesen Umständen traten die schlechten Menschen
Mi-kami-no Saku-suke und Kata-ta-no Ko-suzume ohne Bedenken
geradezu herein.
— Ei, Frau O-taki! Bei der Nähterei kommt euer Zu
schnitt heraus.
J^ l|* Zin-zi ,die Sache der Menschen', die Verhältnisse
eines Menschen.
Ü Ü En-rio ,ferne Ueberlegung, Bedenken',
jgi Sei ,der Zuschnitt eines Kleides'.
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Kore-wa futari-dzurete jo koso-koso nusi-wa firu-ne nan-zo
jo nara i-i-oi-te jukasi-jan-se.
— Wir kommen da Beide mit einander, es ist gut. Der
Herr des Hauses schläft am Tage. Wenn ihr etwas brauchet,
so hinterlasset es und gehet fort.
^ Jo ,der Gebrauch, das Nothwendige'.
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Pfizmaier.
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Ija jo-to iü-te sio-bai-dzuku kono ko-suzume-ga zai-sio kata-
ta-no raku-gan-ja-ni jome-iri-ga atte sikkari-to mijage-ga am
odori-komu so-dan-ni kure-gata-kara kin-zo-ga tokoro-je jori-ai-
masu köre suzume-jo tsuide-ni ima no-iwanu-ka.
— 0 ich habe ein nothwendiges Geschäft. An dem
Geburtsorte dieses Ko-suzume findet bei dem Kuchenbäcker
Kata-ta der Eintritt der Braut statt. Es gibt sicherlich ein
Geschenk. Zu der Besprechung, zu der man hereinspringt,
versammelt man sich nach Sonnenuntergang bei Kin-zö.
— Suzume! Saget ihr es bei Gelegenheit nicht jetzt?
|l| Sib-bai ,Kaufhandel', auch Geschäft oder Be
schäftigung.
* m Zai-sio ,der Aufenthaltsort, der Geburtsort'.
Raku-gan ,die herabfallende Gans', eine Art
Reiskuchen.
Sb-dan ,Besprechung,
Unterredung'.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
661
Mumu wäre ije-to tsuki-jare-ba | fate i-i-ni kita-zia nai-ka
sonnara i-i-maseo kino koko-no go-ra-itsi-ga säte ima-no kaka-
sama-no atari-ga rnugoi wabi-koto-site kure-to dzio-sai-no nai
i-i-jo ziü-itsi-ja ni-de omo jb-ni-wa aru-mai-si-to.
— Nun, sage du es. — Hiermit näherte er sich.
— Bin ich nicht gekommen, um es zu sagen? Ich werde
es also sagen. Gestern sagte der hier befindliche Go-ra-itsi,
die Behandlung von Seite seiner gegenwärtigen Mutter sei
grausam, man möge für ihn bitten. Es ist eine aufgeweckte
Rede, es wird keine Denkungsart sein wie in einem Alter von
eilf oder zwölf Jahren.
£ Dzio-scd ,wie es ist'. Dzio-sai-no nai ,ohne
Lässigkeit, thätig, munter'.
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^ 7 ^ P P 7
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Ije-bä o-taki-wa mutto-site ] kore-Jcore suzume-dono niküte
m.ugo-si-maseb-ka-to.
Bei diesen Worten fuhr O-taki auf.
—• Herr Suzume! werde ich übelwollend und grausam sein?
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Fane-kajese-ba sa-sa soko-mo aru anmari kawai-i-to do-joku-
ga mazitte mama-ko nikumi-to naru mono.
— Hiermit schnellte sie ihn zurück.
— Die auf dem Boden vorhandene übermässige Zärtlichkeit
mit Geiz gemengt, wird zu Hass gegen den Stiefsohn.
(D + |sf ) Db-jokn ,Kargheit, Geiz'.
662
Pfizmaier.
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Fate i-na koto-no ai-satsu mama-ko-wo nikumu-ga ten-ga-no
fatto-ka konata-sijü-no tokoro-je made zan-ge-wo iüte juku musuko
anmari kawqjü gozaranu-to.
— Es ist die Anerkennung einer sonderbaren Sache. Ist
den Stiefsohn hassen, ein Gesetz der Welt? Selbst gegen euch
will ich das Geständniss machen: der Stiefsohn wird nicht
überaus zärtlich geliebt.
j? I-na ,sonderbar'.
^ Ten-ga ,unter dem Himmel'. Sonst auch ten-
ka und ten-ge.
J^C Fatto ,Gesetz'.
Zan-ge ,die Beichte, ein Geständniss'.
^ Sijü ,die Menge'. Hier ein Zeichen des Plurals.
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Fito-keri kerarete futari-mono | wo-wo saku-jo ki-i-te mire-
ba nai-gi-ga motto-mo mama-ko nikumu-wa se-kai-no tai-bo to-kaku
musnko-ga fara-karanu-ga ajamari-to sia-betsu sirazu-ga mojeru
fi-ni taki tsukete tatsi-kaje.ru.
Die" Beiden erhielten einen Fusstritt.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
663
— Ei Saku! man hört und sieht es. Dass diese Frau
überaus den Stiefsohn hasst, ist die allgemeine Sitte der Welt.
Jedenfalls gilt die Entschuldigung, dass der Sohn kein leiblicher
Sohn ist.
Gar nicht anders als ob sie zu dem brennenden Feuer
Reisholz gegeben, kehrten sie nach Hause zurück.
-j|| Nai-gi ,die Weise des Inneren', ein Ehrenausdruck
für Frau.
Se-kai ,die Gränze des Zeitalters', die Welt,
jä? Tcü-fo ,die grosse Vorschrift', die allgemeine
Sitte. Bö in tai-bö ist die Trübung von fö.
~=£ ^|j Sia-betsu Verschiedenheit, Unterschied'.
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Tsurakp oja-wo-ba oja-ni site nawo-mo ki-gen-wo toru fawa-
ga ai-so-wo künde, go-ra-itsi-wa sitojaka-ni tatsi-idet.e \ mbsi kaka-
sama o-ki-ga tsuki-jb-to tsia-wo ire-masi-ta de-bana fito-tsu sasi-
cige-masu-to.
Die gefühllose Mutter für die Mutter haltend und noch immer
sich gefällig zeigend, trat Go-ra-itsi, indem er die Freundlichkeit
gegen die Mutter einflocht, vor.
— Mutter! So wie es euch angenehm ist, habe ich den
Thee eingegossen. Ich reiche eine Schale von dem besten.
äS Ai-sb ,liebend gedenken', freundlich behandeln
oder bewirthen. Sa-u ist hier zu so zusammengezogen.
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Pfizmaier.
064
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Sasi-idase-ba svzume-ga i-i-si-wo ne-ni omotte | nan-zia tsia-
wo ire-masi-ta sori-ja tare-ga tanonde sonata-ga nonda nomi-amari
kutsi-fusage-ni motte kita-ka.
Hiermit reichte er es hin. Sie überdachte, was Suzume
gesagt hatte.
— Was? Du hast den Thee eingegossen? Wer hat dieses
verlangt? Hast du getrunken und das beim Trinken Uebrig-
gebliebene zur Mundverschliessung gebracht?
Ne-ni steht für ^ nen-ni ,in Ueberlegungh
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Mottai-nai nan-no nomi-amari-de gozari-maseö fatsu-wo
künde ma-iri-masi-ta.
— Bei Leibe nicht! Wie sollte es das beim Trinken
IJebriggebliebene sein? Ich habe das Erste eingeschenkt und
bin damit gekommen.
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2s » W -p 77 # 3- A 7 7 A
Wo-wo fatsu-ioo nomasi-te kono fawa-wo oi-idasu-no-ka nome-
nara iiomb dore jokosi-ja-to.
— Ei, lassest du das Erste trinken und treibst dabei
mich, die Mutter hinaus? Wenn es zum Trinken ist, werde
ich trinken. Also, gib es her!
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
665
Mogi-toru fib-si-ni nasake-na-ja si-tate-si nuno-ko-ni zcmburi-
to kakari-ja tsunagaru oja-ko tote ai-mniru-tsia-to-zo nari-ni-keru.
In dem Augenblicke, wo sie es ihm entwand, blieb sie
an dem Tuchkleide, welches sie wohl mitleidig verfertigt hatte,
hängen und verwickelte sich. Mutter und Kind bekamen die
Fai’be des purpurnen Seefichtenthees.
*6 T Fib-si ,der Takt'. Fib-si-ni ,kraft, mittelst'.
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Waga ajamari-mo ko-ni nu-suru mama-fa/wa seo-ne-wo
nrawasi-te \ jai koko-na so-so-mono kawari-no nai fare-ginu kono
jb-ni si-otta-na-to.
Ihren Fehler auf den Sohn schiebend, zeigte die Stief
mutter ihre Gesinnung.
■— Du roher Mensch hier! So hast du das Prachtkleid,
für welches es kein anderes gibt, zugerichtet?
Nu-suru steht für nuri-suru ,tünchen'.
'Iw Sed-ne ,die Wurzel des Gemüthes', die Gesinnung.
IxEL ^o-sb »roh, grob'. Für so-sa-u ist hier so-so-u
geschrieben.
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Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. XCI1. Bd. III. Hft.
43
666
Pfi ztn aier.
Fiki-jose futo-momo jubi-saki tsujoku futa-tsu mi-tsii jo-tsu
me-no rin-no tsukami-zome no kanasi-ja-to go-ra-itsi-ioa nige-
mcnoari te-wo awase | ajamari-masi-ta kon-do-kara tasinami-
maseo-to.
Dabei zog sie ihn heran und begann seine Schenkel mit
den Fingerspitzen, als wären es zwei, drei, vier Glöckchen,
stark anzufassen.
— Nun, bist du traurig? — Go-ra-itsi lief fliehend umher
und legte die Hände zusammen.
Ich habe gefehlt, ich werde von nun an vorsichtig sein.
Rin ,ein Glöckchen'.
Jfjf Kon-do ,dieses Mal'.
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Wabiru me-moto-mo oro-oro namida | mata fojeru-ka-to
ko-wa fasita-naki wori-kara-ni fito-no nio-bo uwa-midzu-wo nomi
ni mawaru-ni. buna-no gen-go kado-gutsi-kara sasi-nozoki.
So sagte er kläglich, und in die Augen traten ihm Thränen.
— Bellst du noch?
Während sich der Sohn nicht zu helfen wusste, ging das
Weib, den Aufguss trinkend, umher. Dabei blickte Buna-no
Gen-go bei dem Eingänge herein.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
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Fhte kori-ja mata oja-ko gen-kua-de gozaru-ka seö-ko-ri-mo
nai musuko-dono seb-si-na ko-da-to za-wo simete j köre o-taki-san
mama-ko-no se-wci-wo jalcazu-to-mo wasi-ga iü jb-ni naran se-zin-
ni bakkari omoivasete ki-dzujoi o-fito-to ate-kosuri.
— Sind denn Mutter und Kind noch im Streite begriffen? Der
Herr Sohn, welcher keine Beweise hat, ist ein jämmerliches Kind.
Hiermit nahm er einen Sitz ein.
— Frau O-taki! Ich stehe dem Stiefsohn nicht bei, doch
es wird geschehen, wie ich sage. Ihr gebet den Menschen zu
denken und erfahret von Seite jenes heftigen Mannes Tadel.
m # Ken-kua ,Lärm, Streit'. Hier gen-kua geschrieben.
Hl tJU 3Ü Sio-ko-ri ,Beweis und Gründe'.
Seo-si-na. ,leidvoll, jämmerlich'.
1ä ü Se-iva ,Geschäft der Welt', Beistand.
tö: A Se-zin ,die Menschen der "Weit'.
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Mata gen-go-san-no zib-zio-to sonna ki-gen zia nai-zo-ja
attara kutsi-ni o-kaze o-kaze \ sa-a sono kaze-ni mi-ga itte soba-
je joru-to furui-tsuku ki-gen nawosi-ni tsiotto koko-ivo-to.
— Ist denn auch bei dem Herrn Gen-go im höchsten
Grade ein solches Gefühl nicht vorhanden? Bedauerlich! In
der Sprache Leidenschaft, Leidenschaft.
43*
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668
Pfizmaier.
— Dieser Leidenschaft bin ich verfallen. Indem ich an
eure Seite komme, habe ich Fieberfrost. Zur Besserung des
Befindens möchte ich einem Augenblick dieses hier —•
± V Zib-zib ,das Höchste'.
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Te-wo totte mu-ri-ni fiki-jose sinadarure-ba futo-momo-wo
tsumeri-age \ wo-wo joi ki-no soba-ni tsugete-no aru-mo kamawazu
kononde itai-me nasaruru-to.
Ihre Hand ergreifend, zog er sie mit Gewalt an sich und
that mit ihr schön. Sie verkürzte und erhob den Schenkel.
— 0 an der freundlichen Seite ist eine Sache zu melden.
Ihr kümmert euch nicht und füget gern ein Leid zu.
ffi lg Mu-ri ,ohne Grundsatz', mit Gewalt.
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Zib-zu-gokasi-wo site totta-to nani-ga tsui-seo \ Tia-ha tsugete-
to-wa kono ko-ka-na me-kari-no nai tsioppori-do-no oku-je ite
morawb-to.
Eine geschickte Wendung machend, sagte sie fest und
etwas schmeichelnd: Ha! die zu meldende Sache! Dieses Kind?
Es ist nicht der Fall, dass es die Augen wegkehrt. Ich werde
es hinter die kleine Thüre geschafft bekommen.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
669
± ^ Zib-zu ,die obere Hand', erfahren, geschickt.
& fä Tsui-seö ,nachträglich folgen', schmeicheln.
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Mugoi-wo tsi-so-ni Ice-tobase-bci go-ra-itsi mutto me-ni kado-
tate sen-kata namida osi-kakusi naku-naku oku-je im-ni-keru.
Die Grausamkeit zur Unterhaltung machend, schnellte
sie den Sohn mit dem Fusse fort. Go-ra-itsi riss zornig die
Augen auf, doch sich fassend, verbarg er die Thränen und
trat still weinend in das Innere.
tljd jjjr Tsi-so ,einherjagen und laufen', Vergnügen,
Unterhaltung.
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Äa-ct Ttiivu fito-mo nasi kiki-te-mo nasi aruzi-no aru o-nusi-
wo kudoku-kara inotsi-dzuku kubi-ico saki-je nage-daso-ka do-
kara sita-wo uke-toru kiri fadzumi-kitta o-fen-zi-wo-to.
— Jetzt ist kein Mensch, der es sieht, es ist Niemand,
der es hört. Werde ich, indem ich den Hauswirth, euren
Gebieter überrede, sein Haupt, an welchem sein Leben haftet,
vor euch hin werfen? Wie ist dann das Bestimmte, das ich
670
Pfizmaier.
obendrein in Empfang nehme? Gebet mir eine entschiedene
Antwort.
|i| Fen-zi ,die Entgegnung', die Antwort'.
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Sinadare-kakaru-wo sotto fassi go-e-mon saiwai jado-ni
iraruru sono tori mbsi-kikase kitto o-fen-zi itasan-to tatsi-agare-ba.
Dabei war er im Begriffe, mit ihr schön zu thun. Sie
trat leise hervor.
— Ich werde euch zu Ohren bringen, in welcher Weise
Go-e-mon sich zum Glück in dem Hause aufhält und euch
genau die Antwort geben. — Hiermit erhob sie sich.
Tjjf' Fassüru ,hervorkommen, hervortreten'.
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A-a kore-kore sore iüte tamaru mono-ka joi-joi so aru-kara-
wa kottsi-ga i-dzi-dzuku jabure-kabure go-tai-setsu-ni obosi-mesu
o-tsure-ai-no aku-so moltu-so iü tokoro-je dete iivo faje o-itoma
mosu-to.
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
671
7
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— Ei, höret! Bleibt ihr bei diesem Worte stehen? Gut,
gut! Wenn es so ist, dann ist mein Eigensinn gebrochen. Bei
der bösen Miene, der stummen Miene eures Gemals, der nach
euren Gedanken für euch wichtig ist, werde ich zu dem be-
zeichueten Orte hinausgehen und es sagen. Ich nehme Abschied.
I-dzi ,der Grund des Gemtithes'.
* m Tai-setsu , Wichtigkeit'.
Ü # Aku-so ,eine böse Gestalt', eine böse Miene.
jMoÄ/1£~so ,die Gestalt des Schweigens , eine stumme
Miene. In diesem und dem obigen Worte wird so für sa-u
geschrieben.
# -y y §1 y y # 3.
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Jusuri-kake-tatsu-wo o-taki-wa ßki-todome | sori-ja konata-
mo onazi naka-ma-zia-zo-je.
Hiermit erhob er sich, im Forteilen sich schüttelnd.
O-taki zog ihn zurück.
— Es ist diesseits eine gemeinschaftliche Vermittlung.
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Sono nalca-ma-ga iü-kara-wa tasika-na sio-ko kubi nage-
kasi-te iu-wa ko fore-kakaru-to zokkon fi-je famaru-mo kamawanu
ki-nan-to itsi-do-ka ni-do-no koto o-to iü kiwa gon-senu-ka.
— Da von der gemeinschaftlichen Vermittlung die Rede
ist, möchte ich als sicheren Beweis das Haupt hinwerfen. Indem
ich tief eingenommen werde, kümmere ich mich in der That
nicht, wenn ich in das Feuer versinke. Eine Sache, bei der
672
Pfizmai er.
man einmal oder zweimal in Gefahr, ist es nicht die Zeit,
Ja zu sagen?
Ip lg Ki-nan ,Gefahr und Ungemach“.
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Sonnara itsi-do-de dai-zi-nai-ka \ fan-bun-de-mo kata-zi-ke-
nai saiwai soba-ni fito-iva nasi omote-ivo simete tsui ko ko-de-to.
— Also ist es einmal von keiner Bedeutung?
— Auch für die Hälfte bin ich dankbar. Zum Glück ist
Niemand anwesend. Ich habe die Aussenseite verschlossen —
nun hier —
#■ » Fau-bun ,die Hälfte“.
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Idaki-tsuke-ba \ wo-wo sewasi-nai-na sore-sore oja-dzi-dono-
no asi-oto-ga ai-ai sore jonde zia nid so-ko-je sori-ja koso so-ko-
je koko-je dete kuru-wa-to.
Hiermit schloss er sie in die Arme.
— 0 ich habe Eile! Dort höre ich die Schritte meines
Vaters, ach er ruft. Dorthin, so dorthin, hierher! Er ist es,
der zum Vorschein kommt.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa. 673
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Odose-bci \ uro-uro urotajeru-wo mu-ri-ni osi-jari osi-idasi-
te | ban-ni-ban-ni-to issun nogare-nai ki-no go-mi-ni jowagirete
ato-wo-mo mizu-site nige-kakeru.
Als sie ihn so schreckte, gerieth er in grosse Verwirrung.
Ihn mit Gewalt fortstossend und hinausstossend, sagte sie:
Abends! Abends! — Nicht im Geringsten sich entziehen
könnend, lief er mit dem Staube des Gemüthes und kleinlaut,
ohne nach rückwärts zu blicken, fliehend fort,
jjf^ Ban ,der Abend'.
—■ tJ" Issun ,ein Zoll', ein geringer Theil.
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7^777
Go-ra-itsi jb-su kiki-nagara kikanu furi-nite oku-jori dete |
m'osi kaka-sama toto-sama-no o-me-zame jü-mama agaro-to ossi-
jaru wasi-ga kiu-zi-si-maseo-to iu-mo kowa-gowa te-wo tsukaje-ba.
Go-ra-itsi, der die Sache gehört hatte, aber that, als ob
er nichts gehört hätte, trat aus dem Inneren.
— Höret Mutter! Der Vater hat gesagt, man solle am
Abend, wenn er erwacht, herauf kommen. Ich werde ihm
aufwarten.
Bei diesen Worten stellte er furchtsam die Hände auf.
;j|j| Yo-su ,die Weise, die Umstände'.
n ft Kiü-zi ,Dienste leisten, aufwarten'.
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Pfizmaier.
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IFo-tuo sori-ja ore-ga si-maseö sono kawari-ni riui-si-goto
tori-oi-te ato fai-t.e fi-gure-ni nattara fi-wo tomosi omote-mo sime
niwa-mo faki-tsukai midzu-kara fu-ro-no mika i-i-tsukezu-to
künde oki-ja ko-domo tsuko-mo a-a se-wa-to i-i-tsutsu oku-je iru.
— 0 dieses werde Ich thun. Statt dessen, wenn du die
Nähterei weggelegt hast, kehre aus und wenn es Abend ge
worden, zünde Feuer an, verschliesse die Vorderseite, kehre
auch den Vorhof und schöpfe von dem Wasser, ohne dass man
dich es heisst, in den Krug des Ofens. Ein Kind verwenden,
ach ist auch eine Hilfe! — So sprechend, trat sie in das Innere.
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Ato-nagame \ a-a omoi-mawase-ba waga mi fodo oja-ni
jen-naki mono arazi fon-no kaka-sama aru toki-wa toto-sama-ni
ki-gane-suru ima mata toto-sama fon-no nara kaka-sama-ga
fedatari-te jolci koto-site-mo lti-ni irazu soto matsi-jori kurv, mono
meide mi-anadotte asi-ni kake-ke-tari fundari kono ja-ni uka-uka
kurasu nara mada kono uje-ni dono jo-na kanasi-i-me-ni o-mo
sirezu nan-ni se-i nige-jukan-to.
Er blickte ihr in der Ferne nach.
— 0 wenn ich es überdenke, sind die Aeltern zu mir
nicht ohne Beziehung. Zur Zeit als ich die eigene Mutter
hatte, war ich um den Vater besorgt. Jetzt da wieder der
Vater mein eigener wurde, schliesst sich die Mutter ab und
wenn ich auch etwas Gutes thue, gefällt es ihr nicht. Selbst
Leute, welche von aussen, von der Strasse kommen, sehen
mich mit Verachtung an und haben mich mit den Füssen
getreten. Wenn ich in diesem Hause sorglos hinlebe, weiss
ich nicht, was für einen Kummer ich überdiess noch erfahren
werde. Ich werde durch irgend ein Mittel entfliehen.
Jen-nasi ,ohne Beziehung'.
»r« Se-i ,was man thut', ein Mittel.
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Omote-wo sasi-te kake-ide-si-ga | fon-no kaka-sama-no tokoro-
wa obojezu doko-wo ate-do-to tatsi-modon-si-ga juku-saki-no ate
no nai-no-ni fiki-sarete juki-te-wa modori-motori-te-wa tsi-mata-
ni majö osana-go-no to-fö-ni kurete i-tari-si-ga.
Zu der Vorderseite sich kehrend, eilte er hinaus.
— Auf den Wohnort der eigentlichen Mutter erinnere
ich mich nicht. Was werde ich zum Ziele machen?
Dabei ging- er zurück. Ohne ein Ziel für die Zukunft
zu haben, sich fortmachend und auf der entgegengesetzen Seite
zurückkehrend, irrte das Kind in der Strasse umher und war
hinsichtlich der Richtung im Dunklen.
To-fo ,die Gegend des Weges'.
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Go-e-mon-wa jori-ai-no zi-bun naran-to tatsi-idete go-ra-
itsi-jo nani-site iru-to togamerare ija dokkoi-mo iki-ja si-masenu
o-maje-iva doko-je-to toi-kakerare | mu-mu ore-wa jori-ai-ni fima-
iru-mai tsui modotte ' kuru-to.
Go-e-mon, glaubend, das es die Zeit der Zusammenkunft
sei, trat heraus.
— Go-ra-itsi! Was thust du? — Hiermit stellte er ihn
zur Rede.
— 0 ich gehe gar nicht fort. Wohin geht ihr?
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
677
-— O ich werde bei der Zusammenkunft keine Zeit
verbringen. Ich komme schnell zurück.
0 ft Zt-bun ,die Theilung der Zeit', der Zeitpunkt.
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I-i-sutete juku-ioo ta-moto-ni sugari \ mb Icon-ja-wa dokkoi-
mo ikazu-to utsi-ni i-te kudasare sa-naku-wa wasi-mo tsurete ifp,
kudasare-to.
Dieses sagend, ging er fort. Jener hielt ihn an dem Aermel
zurück.
— 0 heute Nacht geht man gewiss nicht fort. Bleibet
zu Hause. Ist dieses nicht der Fall, so nehmet mich mit.
Kon-ja ,diese Nacht'.
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Oro-oro namida-no tei-wo mite oriiowazu-mo utsi-siwore,
naze so iü-zo naka-ma-no koto-de ikanu-to nani-ka-no zia-ma
tsitto-no aida-zia ru-su-site i-ja-to.
Die fallenden Thränen sehend, war Go-e-mon unbewusst
niedergedrückt.
678
P f i z m a i e r.
— Warum sagst du so? Indem ich nicht in der Sache
der gemeinschaftlichen Vermittelung fortgehe, welches Hinderniss
gibt es da? Es ist für eine kurze Weile, bewache das Haus!
m m Zia-ma ,ein Hinderniss'.
if ^ Ru-su ,das Haus in der Abwesenheit eines Anderen
bewachen'.
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Sukase-do nawo-mo siku-siku-to \ totn-sama wasi-ja-a fon-
no kaka-sama-ni ai-tai kajesi-te kudasare kajeri-tai-to naki-
siworure-ba rjo-e-mon-mo mune-wa fari-saku omoi-nite.
Obgleich er ihm schmeichelte, weinte Jener noch mehr.
— Vater, ich will zu der eigenen Mutter kommen. Schicket
mich zurück, ich will zurückkehren.
Dabei weinte er bitterlich. Go-e-mon hatte ein Gefühl,
als ob es ihn in der Brust mit Nadeln stäche.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
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Wo-wo do-ri-db-ri sb aro tsune-kara nio-bo-me-ga si-kata
ika-ni onore-ga ko-de nai tote asa-kara ban-made seme-tsukai
tsitto-no koto-mo dai-gib-ni mata-site-mo butsi tsio-tsiaku viugoi
jatsu mo fiki-toraje-iwb-ka-to omoje-do sasutte-iru fu-gai-nai-to
omb-ga.
— ,0 du hast Recht, es wird so sein. Es ist die ge
wöhnliche Handlungsweise des Weibes. Weil es ihr Sohn nicht
ist, quält sie ihn vom Morgen bis zum Abend. Eine Kleinigkeit
zu etwas Grossem machend, schlägt sie ihn, die Grausame!
Ich dachte, dass ich sie mit Worten vielleicht zurückhalten
werde, doch ich liess es auf sich beruhen. Ich glaubte, es sei
nutzlos.'
Jk fr Tai-gib ,eine grosse Handlung'.
fr iS Teb-tsiaku ,schlagen'.
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Koko-wo jo kiki-ioakete toto-iva na wand sib-bai-site ira
juje ima jame-tb omoje-domo naka-ma-no Icoto juje jame-sasenu
sore-wo kaka-me-ga jb sitte waga marna ki-mama ima oi-idasi-tb
fara-tatsi donna koto nukaso jara.
,Höre dieses gut und verstehe es. Weil dein Vater schlechte
Geschäfte macht, möchte er jetzt davon abstehen. Doch wegen
der Sache der gemeinschaftlichen Vermittelung lässt man ihn
nicht davon abstehen. Dieses weiss die Mutter gut und ist
eigenwillig und eigensinnig. Ich möchte sie jetzt fortjagen,
und sie zürnt. Was für eine Sache werde ich Vorbringen?'
f§} © Sib-bai ,Kaufhandel', auch irgend ein Geschäft.
680 Pfizmaier.
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Koto-ni kare-me-ga oja-wa waru-mono tatsi-matsi sotsi-
ja ore-ga. mi-ni nan-gi-no kakaru-ga hcinasi-sa-ni nani-goto-mo
kan-nin-site iru ko-gokoro-ni-mo hiki-wahete rib-ken tsukete ite
kure-i.
,Besonders ist ihr Vater ein schlechter Mensch. Von dieser
Seite steht plötzlich für mich eine Gefahr bevor. In der Be-
trübniss darüber ertrage ich, was es auch sei. Höre und unter
scheide mit kindlichem Herzen und ziehe es in Erwägung.'
Hl Jp| Nan-gi ,Gefahr'.
Jg Kan -nin ,ertragen'.
3^1 fffj Rib-ken gemessen, erwägen'.
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Fon-no fawa-ni-mo ta-nin-ga soi ima-sara modosu-mo rno-
dosarezu sono utsi-ni si-an-site ui-tsurai-me-wo sase-mai-zo-to.
,Deiner eigenen Mutter schliesst sich ein anderer Mensch
an, er schickt sie jetzt wieder zurück. So lange sie nicht zu
rückgeschickt wird, werde ich nachdenken und dich keinen
Kummer leiden lassen.'
m a Ta-nin ,ein anderer Mensch'.
Fortsetzungen dev Zeichnung der zwei Fa. 681
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I-i-nadamure-ba go-ra-itsi-wa namida-wo sode-ni osi-nugui.
Mit diesen Worten tröstete er ihn. Go-ra-itsi trocknete
die Thränen in dem Aermel.
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Toto-sama noku-ni ndru koto nara butarete-mo tsumerarete-
mo kan-nin-site i-maseo sono kawari-ni-wa doko-je gozarb-to fajb
modotte kudasare-to i-i-tsutsu nawo-mo siakuri-naki.
— Wenn der Vater sich zurückzieht, werde ich, wie ich
auch geschlagen, wie ich auch gekniffen werde, es geduldig
ertragen. Wohin soll ich statt dessen gehen? Kehret schnell
zurück. — Dieses sagend, schluchzte und weinte er noch mehr.
;}r|jt ^ Kan-nin ,geduldig ertragen'.
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Wo-tco kiki-wake-ga joi sb-betsu kan-nin-to iü koto-ga
fito-wa kan-zin wotoko-to umare kan-nin-no naranu-wa nio-bo-no
ma-wotoko fito-naka-de tsura-fadzi kobusi fito-tsu aterarete-mo
sn-ko-wa wotoko-dzuku sono foka-wa mina nai-seb kan-nin-ga sunct-
■watsi sin-bo-zia tsitto-no aida ru-su matte i-ja tsui modotte kuru-to.
— 0 ich habe es gut verstanden. Im Ganzen und Be
sonderen ist die Geduld bei dem Menschen die Hauptsache.
Keine Geduld hat man, als Mann geboren, bei der durch den
Buhlen des Weibes öffentlich zugefügten Schande. Erhieltest
du auch einen Faustschlag, es war ein einzelner Mann. Dieses
ausgenommen, ist alles Sache des inneren Hauses, es ist dann
mit Geduld zu ertragen. Ich werde eine kleine Weile abwesend
sein. Warte denn! Ich komme zurück.
^ ^|J So - betau , zusammengenommen und besonders'.
Für so-u ist hier sa-u gesetzt.
Hf Kan-zin ,Leber und Herz', die Hauptsache.
ft Ü Nai-seb ,Bestätigung des Inneren', eine Sache
des Hauses, eine geheime Sache.
^ ft Sin-bb ,das Umfassen des Herben', Standhaftig
keit, Ertragung.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Fa.
683
Nengoro-na i-ken nagara-no i-i-kikase sore-gn ko-mimi-ni
tnmaru-to-mo sirade go-e-mon jorijai-no zi-bun ososi-to isogi-juku.
Diese ernstliche Ermahnung liess er verlauten. Nicht
wissend, ob es in den Ohren des Sohnes verblieben, erinnerte
sich Go-e-mon, dass es spät für die Zeit der Versammlung
sein werde und ging eilig.fort.
JS M I-ken ,eine verschiedene Ansicht*, eine Er
mahnung.
Jorijai steht für jori-ai , Versammlung*.
$ # Zi-bun ,der Zeitpunkt*.
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Ze-ß-mo namida-ni Icado-ivo sime utsi-no tomosi-bi-ni-wa
mawari i-i-tsukerareta aramasi-wo katadzuke-mawaru.
Jener, es mochte ihm recht oder nicht recht sein, ver
schloss unter Thränen das Thor. Bei dem Lichte der Lampe
des inneren Hauses umherwandelnd, setzte er, was ihm auf-
getragön wurde, im Ganzen bei Seite.
Jff äh Ze-fi ,recht und nicht recht*.
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Wori-kara-ni o-taki-ga oja-no san-zi ko-va-be-e sira-nise-no
jubi-saki ugokit ßge oja-dzi kado-no to tatai-te | o-taki-o-taki-to
jobu ko-e-ni.
In diesem Augenblicke schlug San-zi Ko-ra-be-e, der
Vater O-taki’s, ein Vater mit einem Barte, der sich wie weisse
falsche Fingerspitzen bewegte, an den Eingang des Thores und
rief mit lauter Stimme: O-taki! Ö-taki!
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Oo-ra-itsi sate-wa sai-zen-no ko-buna-ga kita-to kokoro-jete
waza-to sono ba-wo siranu furi kiknnu furi-site oku-ni iru.
Go-ra-itsi, überzeugt, dass also der frühere Ko-buna ge
kommen sei, stellte sich absichtlich, als ob er nichts wüsste,
nichts hörte und trat in das Innere.
ft lau Sai-zen ,vorher, das Frühere'.
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Nawo-mo sewasi-ku tataku-ni-zo o-taki-mo kokoro-narane-
domo | tave-zia-tcire-zia-to togame-idere-ba ko-ra-be-e-wa \ ore-zia
ake-i-to.
Als man noch heftiger klopfte, war es auch O-taki zu
wider. Sie trat jedoch heraus und rief scheltend: Wer ist es?
wer ist es? — Ko-ra-be-e rief: Ich bin es! Mach’ auf!
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
685
Oja-no ko-e mata mu-sin-ka lci-no doku-to omoje-do ze-fi-
nnku utsi-je ire fi-mo kureta-ni uto-uto-to nani-si-ni o-ide-to.
Bei der Stimme des Vaters wohl auch widerwillig, war
sie in ihren Gedanken besorgt. Sie liess ihn jedoch ohne
Anstand eintreten.
— Nach Sonnenuntergang, es ist befremdend. Aus welchem
Grunde seid ihr ausgegangen?
U Mu-sin ,ohne Herz oder Sinn', widerwillig, wider
strebend.
^ Ze-fi-nahu ,ohne so oder nicht so', ohne Widerrede.
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Tadzunere-ba kawo-tsuki-nasi-te ko-ra-be-e-ga \ nani-si-ni-
to-wa musume-no tokoro-je oja-no kuru-ga fu-si-gi-ka ata men-
do-na-to.
Bei dieser Frage antwortete, das Gesicht nahe bringend,
Ko-ra-be-e: Aus welchem Grunde? Ist es ein Wunder, wenn
der Vater zu der Tochter kommt? Es ist ärgerlich!
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Fiza-finmakuri | iü-mai-to omoje-do iwanu-ga son-dzuku
utsi-sia o-taki kono dziil kari-ta ni-ziü-rio jü-be ja-siki-de korori-to
simota ato-wo tsugu tane-ga kireta go-e-mon-iva jado-ni-ka ma-a-to
rib-ka ni-ziü-rio kariru ki-de kita-to iu-te kure kin-nen mita-ga
fajari-dete a-a dö-mo awanu-to.
Hiermit zog er die Knie zusammen.
— Ich glaubte zwar, dass ich es nicht sagen werde, doch
es bringt einen Schaden, wenn ich es nicht sage. O-taki! Die
zwanzig Tael, welche ich um diese Zeit ausgeliehcn habe,
sind am Abend in der Halle rundweg zu Ende gegangen. Die
Saat, um ihnen einen Nachfolger zu geben, ist abgeschnitten.
Befindet sich Go-e-mon in dem Einkehrhause'? Wohlan, Tael
— Willens, zwanzig Tael auszuleihen, bin ich gekommen.
Sage ihm dieses. Es wurde in den letzten Jahren etwas Ge
wöhnliches, dass ich ihn sah. Nun, ich treffe ihn gar nicht.
;K| Son-dzuku ,Schaden leiden'.
Kono pjj dziü ,während dieser Zeit'.
^ Ki ,der Geist, der Wille'.
Kariru steht für kam ,leihen'. Ebenso kari-ta ,geliehen'
für katta, welches letztere die Form der gesprochenen Sprache
sein sollte.
jTp Kin-nen ,die nahen Jahre', die letzten Jahre.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
687
Fanasi-kakare-ba o-taki-wa tsubujaki | a-a mb sono fanasi
kiki-to-mo nai ko-ban-no naru-ki-mo arujb-ni matasi-te-mo mu-sin
nusi-no te-maje ivasi-mo ki-no doku koto-ni kon-ja-wa ru-su ma-a
kajette kudasan-se.
Als er so zu sprechen fortfuhr, flüsterte O-taki: O diese
Rede ist ohne Wirkung. Möget ihr immerhin warten, als ob
es einen tönenden Kobangbaum gäbe, es widerstrebt mir. Das
Geschäft meines Mannes erfüllt auch mich mit Besorgniss.
Insbesondere heute Nacht ist er nicht zu Hause. Wohlan,
kehret zurück.
Ko-ban naru-ki ,der tönende Kobangbaum' ist so viel wie
das sonst übliche und gleich unten auch vorkommende kane-no
naru-ki ,der tönende Geldbaum'.
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Ija kajeru-mai wäre koso so iü-ga go-e-mon-wa kane-no
naru-ki-ga aru-mai ban-ban mumai sio-bai moto-de irazu-no
tsukami-don-jb-goro-ga konu kon-ja-mo fataraki-no ru-su nara-ba
kajeru made mato musume ken-ken iü-na nan-de-mo si-i-te
iru-zo-jo.
— Ei ich werde nicht zurückkehren. Ich sage so, bei
Go-e-mon wird es keinen tönenden Geldbaum geben. Fiir die
zehntausend angenehmen Geschäfte ist die Zeit der Zusammen-
688
P fi z m a i e iv
fassung, wobei man kein Grundvermögen braucht, nicht ge
kommen. Wenn er heute Nacht wegen einer Unternehmung
vom Mause abwesend ist, so werde ich warten, bis er zurück
kehrt. Die Tochter widerstreite nicht. Ich trete irgendwie mit
Gewalt ein.
7 Ban-ban ,Zehntausendek
jfjJ j§[ Sib-bai ,Kaufhandel‘, ein Geschäft.
Ken-ken bezeichnet eigentlich das Geschrei des Fasans.
Ob dem Worte hier etwas anderes zu Grunde liegt, ist ungewiss.
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Soko-ki-mi waruki itsi-gon-ni gikkuri-se-si-ga atari-wo mite.
Schaudernd und bei diesem einzigen bösen Worte er
schrocken, blickte sie ihn an und sagte:
[ijt Soko-ki-mi ,das Gefühl des Bodens', Schauer.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
689
Kore toto-san fito-no koto-de-mo dai-zi-no koto uso-ni-rno
iwanu mono iüte jo-lcere-ba o-maje-de-mo kib-no sima-bara-de
ohi-tsutsi-no ku-ra-tsugi-wo korosi nan-gi-ni ojobu-wo go-e-mon-
dono-no si-an ßto-tsu-de koto-no simai oja-ko tomo-ni tsutsuga-nb
ked-made kurasu-wa tare-ga kage sono on-ivo sitte nara akko
iwan-su fadzu-wa nai-to.
Vater! Auch bei den Sachen anderer Menschen bespricht
man eine wichtige Sache nicht lügenhaft, man bespricht es
gut. In Sima-bara, in der Hauptstadt, als ihr Ku-ra-tsugi von
Oki-tsutsi getödtet hattet und in Gefahr geriethet, nahm die
Sache durch eine einzige Ueberlegung des Herrn Go-e-mon
ohne einen Unfall ein Ende. Dass Vater und Kind unversehrt
bis heute die Tage verbringen, durch wessen Schutz ist dieses?
Wenn man dafür dankbar ist, darf man keine üble Nachrede
führen.
^ Kio ,die Hauptstadt', Mijako.
||| |Ü| Nan-gi ,Ungemach, Gefahr'.
■'S' ^ Si-an ,Nachdenken, Ueberlegung'.
(3 Akko ,böser Mund', üble Nachrede. Ein akn-ko-u
ist hier atsu-ko-u geschrieben.
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Urami-nageke-ba ko-ra-be-e-wa \ jakamasi-i wa-je sori-ja
atte sugi-ta koto imci-de-mo kane-wo kase-ba josi ija-to iü-to kono
mura-no seo-ja-je ide joru-no sio-bai iü-te kuru sore-to-mo go-e-
mon-ga sin-tei si-dai-de modoru made ben-ben-to ko-site-mo irare-
mai ne-dokoro-si-ro nete mato.
So klagte sie unmuthig.
Ko-ra-be-e erwiederte: Wie lärmend! Diese Begebenheit
ist etwas Vergangenes. Wenn er mir jetzt das Geld leiht, so
ist es gut. Thut er es nicht, so gehe ich zu dem Aeltesten
dieses. Dorfes und sage ihm von dem nächtlichen Geschäfte.
Ich werde dabei nicht, bis Go-e-mon in Gemässheit seines
Sinnes zurückkehrt, saumselig so verbleiben. Bereite die Schlaf
stätte ! Ich werde mich niederlegen und warten.
Ip J|i Seo-ja ,der Aelteste eines Dorfes*.
Gemüth.
Sin-tei ,der Boden des Herzens 1 , der Sinn, das
X Si-dai ,die Anordnung, die Gemässheit*.
V Ben-ben ,lang und unaufhörlich*, zögernd.
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Fate nete mcitsu ki nara kono fito-ma toko si-i-te age-maseö-to
kü-i-wo fusegu akari-seo-zi-wo ßki-akure-ba.
— Wenn ihr Willens seid, euch niederzulegen und zu
warten, werde ich in diesem Zimmer das Bett aufbreiten.
Sie öffnete das die Luft abschliessende Lichtfenster.
^ Ki ,der Geist, die Geneigtheit*.
£ Kü ,das Leere, die Luft*. Kü-i, mit der angehängten
Silbe i, ist sonst nirgends vorgekommen.
Sib-zi ,ein Schubfenster*. Akari-seo-zi ,ein Licht-
und Schubfenster*. Statt sija-u wurde hier se-u gesetzt,
Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
691
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Wo-ioo ware-vio itsu-tsu-kara ore-ga te-siwo-de sodateta-ga
kb-kb-na koto-mo nai tsito asi-nado sasun-jai-to.
— 0 ich habe dich seit deinem fünften Jahre mit meiner
Salzschiissel aufgezogen. Es ist keine Kindlichkeit vorhanden,
lieibe^ mir die Füsse.
Kb-ko ,der kindliche Wandelk
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Idasu fu-ton-ni naga-naga-to nare-ba ze-fi-naku-mo \ fate
nade-sasuri-de sumu-koto narci itasi-mased-to fito-ma-no seo-zi tate-
kiri-te oja-no ki-gen-wo nagusame-iru.
Seine Füsse waren an der Bettdecke lang herausgestreckt.
Ohne etwas einzuwenden, sagte sie: Wenn euch das Reiben
Beruhigung gewährt, so werde ich es thun.
Das Schubfenster des Zimmers feststellend, richtete sie
sich nach der Laune des Vaters.
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2.
Jaja toki utsure-ba go-ra-itsi-wa fito-ma-no utsi-no fanasi-go-e
sate-wa ko-buna-to kokoro-jete oku-no ma-no oja-no sasi-zoje soko-
koko-to tadzune-maware-do sirezare-bci katsu-te-no donata-wo
kokoro-zasi sagasi-atari-si siü-ra-no ßto-kosi sotto nuki-tori ko-
waki-ni kai-komi.
Allmälig verging die Zeit. Go-ra-itsi, als er in einem
Zimmer sprechen hörte, glaubte fest, dass es Ko-buna sei.
Das kleine Schwert des Vaters in dem inneren Zimmer hier
und dort suchend, ging er umher, doch er wusste nicht den
Ort. Die Gedanken darauf richtend, wo es früher gewesen,
zog er heimlich ein Schwert Siü-ra, das im Suchen ihm in
die Hand kam, heraus und barg es unter die Arme.
# m Siti-ra ,eine Brechstange', auch der Name einer
Hölle. Das Wort als Name eines Schwertes ist sonst nirgends
vorgekommen. In der hier gebrauchten Schrift hat es jedoch
Aehnlichkeit mit sia-ra (ly )•
Ko-waki ,die kleine Achselgrube' ist so viel als loaki ,die
Achselgrube'.
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Onore sai-zen keta i-siu-to tsitsi-no me-wo nuku fu-gi-mono-me
nome-nome okb-ka-to sinobi-jori ukagai-kike-ba o-taki-ga ko-e.
Pfi zmaier.
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Fortsetzungen der Zeichnung der zwei Pa.
69,3
— Er hatte schon früher einen schiefen Vorsatz. Soll
ich den ungerechten Menschen, der das Weib des Vaters ent-
reisst, gleichgiltig bei Seite lassen?
Er trat heimlich hin und horchte. Er vernahm die Stimme
O-taki’s.
m tu Sai-zen ,allererst, schon früher'.
® I-dü ,der Wille, der Vorsatz'.
* n Fu-gi ,ungerecht'.
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Mbsi o-viaje-wa. wasi-to-wa in-guwa-na kir'o-to iü-te-mo
Mrurenu ima-ni-mo wotto-ga modorarede - wa i-dzi-dzukü-de
do-narb-mo sirezu watasi kawai-to omo nara ma-a inde kuda-
sande.
— Höret! Zwischen euch und mir besteht das Verhältniss •
einer früheren Welt. Wollte ich auch sagen, dass ich euch
verabscheue, ihr werdet nicht verabscheut. Jetzt, da mein
Mann nicht zurückgekehrt ist, weiss man nicht, wie es mit der
Ereiferung sein wird. Wenn ich euch theuer bin, nun so
gehet fort.
£kj Jp. In-guwa ,das Leben in einer früheren Welt'.
ij=F J^Jj I-dzi-dzuku ,das'Erschöpfen des Gemüthes', die
Ereiferung.
4 P f izmaier. Portsetzangen der Zeichnung der zwei Pa.
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Ija inanu tawa-koto iü-to go-e-mon-ivo saka-bakke-ni kake-
sasuru koroso-to ikaso-to ore si-dai.
— 0 ich gehe nicht fort, du sprichst Unsinn. Ich lasse
Go-e-mon in den Zustand der Verzauberung bringen. Oh ich
ihn tödten werde, ob ich ihn am Leben lassen werde — es
hängt von mir ab.
Saka-bakke ,verkehrte Verzauberung* ist so viel als bake
, Verzauberung*.
Jjaf Si-dai ,die Anordnung, die Gemässheit*.