Zur Charakteristik des heil. Justinus etc.
177
einen weiteren Einfluss nicht erlangt, wie aus der von Justinus liin-
geworfenen Bemerkung hervorgeht: oig iyo> oü cOvcavog d\u. Was
berichtet er nun von den strengen Judenchristen ? Er kündigt, da
sie mit denjenigen Heidenchristen, welche das Gesetz nicht beobach
teten, keine Gemeinschaft haben wollten, ihnen auch den Verkehr
auf; er stellt sie als Secte hin. Denn bei dieser Aufkündigung spricht
er offenbar im Sinne und als Repräsentant des gesammten das Gesetz
nicht haltenden Heidenthums. Daneben nennt er in analoger Weise zwei
Arten von solchen Heidenchristen, welche die Beobachtung des Geset
zes eingegangen: die eine, welche dabei den Glauben an Christus
festhielt; die andere, welche damit das eigentlich Christliche aufgab.
Die der ersten Art Angehörenden werden nach Justin’s, d. i. der das
Gesetz nicht haltenden Heidenchristen, Annahme vielleicht (fowg)
selig; aber den Angehörigen der zweiten Art wird die Seligkeit
geradehin abgesprochen. Also jenes milde Urtheil Justin’s über das
Judenchristenthum bezieht sich lediglich auf die milderen Juden
christen, und da mit diesen die Kirche in ihrer Mehrzahl den Umgang
nicht aufgegeben hatte, so wird auch eine Hinneigung Justin’s zu
ihnen nicht auflallen dürfen. Hauptsächlich machte man noch fol
gende drei Momente geltend: 1) Justinus schweige in seinen Schrif
ten über den Apostel Paulus, welcher den Judenchristen verhasst
gewesen. Aber daraus folgt noch nicht, dass er im Geiste der Juden
christen eine Abneigung gegen Paulus gehabt. Denn wäre dies der
Fall, so hätte er oftmals Gelegenheit gehabt sich mit Anführung
dos Namens des Apostels förmlich von ihm loszusagen. Dazu kommt
noch ein Umstand. Wie von den Judenchristen wurde Paulus, der
Heidenapostel und gewaltige Gegner des mosaischen Gesetzes, von
den Juden mit tödtlichcm Hasse verfolgt. Da mm Justinus im Dialoge
mit Tryphon ausschliesslich auf Juden einwirken wollte , so gebot
ihm diese Rücksichtnahme Schweigen über die Persönlichkeit jenes
Apostels. In den Apologien erwähnt er ihn ebenfalls nicht, weil sie
in weiteren Kreisen gelesen wurden und auch in die Hände der Juden
gelangen konnten ‘). Übrigens geht er in seiner Darstellung der
christlichen Lehre immer auf Jesus Christus als den Anfänger und
Vollender selber zurück. 2) Justinus lasse sich nie auf den eigen-
thümlichen Lehrbegrifl' des Paulus ein. Aber er scbliesst sich gerade
*) l)ie Belege in Illgen’s Zeit.sehr. f. <1. Iiistor. Theol. 1842. H. 3. S. 53.