388 Zappert. Über den Affcet des geistigen Schmerzes im Mittelalter. Von der abendlichen Glocke Wiederhall Fortgeführt, Der des Weges ziehenden Menschenmenge Schatten nach einander Schwindend vergeh’n. Über den Affect des geistigen Schmerzes im Mittelalter. Von dem e. M., Hrn. Zappert. (Schluss.) Mit welchem durchgreifenden Erfolge die Kirchenväter der ersten drei christlichen Jahrhunderte die Äusserungen des zeitlichen Schmerzes bekämpften, zeigen die erhebenden Beispiele der Märtyrer und Bekenner. Die Kirchenlehrer der späteren Jahrhunderte jedoch vermochten nicht die Gesammtheit der Gläubigen auf dieser Höhe christlicher Stoa zu erhalten. Sie sahen sich genöthigt, der gebrech lichen Menschennatur Zugeständnisse zu machen, und der Thräne um Hingeschiedene den Austritt zu gestatten Diese Concession benützt bald auch die Abschiedszähre, und fromme christliche Mütter weinen, wenn eines ihrer Kinder auch nur zeitweilig das elterliche Haus ver lässt. Ihre Hochfluth erreichte diese Thräne, als der Geist des Glau bens die kampfrüstige Welt des Mittelalters kriegerisch überflammte, und keines der christlichen Jahrhunderte sah so viele von Abschieds zähren rothgeweinte Augen, als die der Kreuzzüge. Auch die früher als heidnisch streng verpönten Schmerzesge berden erschienen nun in den Gebilden mittelalterlicher Kunst. — Wie an Laien, so übt der zeitliche geistige Schmerz seine Macht auch an den Trägern der christlichen Lehre, an Oberhirten wie Mönchen; und nicht etwa angehende Jünger klösterlicher Disciplin, sondern seihst in der Schule der Gefühlsabtödtung ergraute Veteranen der Ascese erliegen seiner Gewalt, und über altehrwürdige Anachoreten-Bärte perlen in langen Beihen die Zähren des gefühlten Beileids. Unter dem Einflüsse dieser Thränengeneigtheit modificiren sich theologische Ansichten, und man verleiht mit Beginn des zwölften Jahrhunderts evangelischen Personen ein reiches Mass von Zähren. Während so die religiöse Poesie dieses Jahrhunderts in den Marienklagen ihre seufzendsten