Die Psychologie und Erkenntnisslelire des Johannes Bonaventura. 173 Mittelstellung des Menschen 1 ganz die Gedanken, die wir an einem andern Orte 2 früher schon bei Hugo von St. Victor kennen gelernt haben. Die Einigung des Höchsten in der Schöpfung mit dem Niedersten in derselben muss durch wechsel seitige Annäherung und Appropriation beider Gegensätze be werkstelliget werden; die terrestrische Materialität muss durch ihre organische Durchbildung zur Reception der rationalen Seele, diese durch Ausrüstung mit den Vermögen der Belebung, Ve getation und Sensification zur Verbindung mit dem organisir- ten Stoffgebilde geeignet gemacht werden. Die solcher Art angebahnte Einigung wird nun thatsächlich dadurch vermittelt, dass zwischen die mit den genannten drei Vermögen ausgerüstete rationale Seele und den organisirten Stoff die drei Geister: Spiritus vitalis, naturalis und animalis vermittelnd eintreten. Das durch die ebenmässige Durchbildung des Stoffes ermög lichte Wirken der Belebungskraft der Seele wird vermittelt durch den Spiritus vitalis; das durch die organische Gliederung und Durchbildung der Organisation ermöglichte Wirken der Vegetations- und Sensificationskraft der Seele wird durch den Spiritus naturalis und animalis vermittelt. Die durchgebildete Organisation des menschlichen Körpers als sinnlichen Wahr- nehmungsorganes der Seele ist vollkommen der kosmischen Location der Menschenseele angemessen; die menschliche Seele bedarf im Unterschiede vom Engel, dem die Ideen der Dinge eingeschaffen sind, als tabula nuda eines sinnlichen Leibes als Mediums und Vehikels der Erlangung jener Erkenntnisse, zu welchen sie eben nur auf dem Wege der sinnlich-irdischen Erfahrung gelangen kann; und auf diese Erfahrung ist ihr ganzes zeitliches Erkenntnissieben gegründet. Umgekehrt aber ist die sinnlich-irdische Stofflichkeit in dem durch die mensch liche Seele belebten Leibe zu jener Vollkommenheitsstufe em- porgehoben, dass sie in ihm zur Theilnahme am seligen Leben befähigt ist. So wird also dem Untersten, dem Stoffe, durch seine Appropriation für das geistig-sittliche Leben der Seele die Beziehung auf das letzte Ziel alles Geschaffen, auf das Seligsein in Gott vermittelt. Seele und Leib des Menschen 1 Vgl. Sentt. II, dist. 1, art. 1, qu. 2. 2 Siehe Denkschriften d. Akad. Bd. XXV., S. 108.