438 Scherer. den Mund gelegt und rührt es von einem männlichen Dichter her? Der epische Eingang scheint dem letzteren mehr gemäss. Und vielleicht auch die Art, wie der Falke hier verwendet wird. Der Falke ist das Bild des streitbaren Mannes. ,lch habe heute Falken ausfliegen sehen*, sagt ein Bote bei Arnold von Lübeck 2, 18. Und es ergibt sich gleich, dass zwanzig adelige Jünglinge damit gemeint sind. Der ritterliche Geliebte wird daher oft mit dem Falken verglichen, wie bekannt: vergl. Vollmüller Kürenberg (Stuttgart 1874) S. 17 ff. Er ist ein gezähmter Falke, so lange er treu bleibt. Aber auch umgekehrt für die Geliebte wird der Vergleich gebraucht. vnp unde vederspil die iverdent lihte zam, singt ein Ueber- müthiger MF. 10, 17. Und der Troubadour Guiraut von Borneilh hat einen Traum von einem wilden Sperber, der sich auf seine Faust setzte und abgerichtet schien, erst scheu, dann anschmieg sam und zutraulich — und der Traum wird ihm auf eine hohe Freundin gedeutet, die er gewinnen würde (Diez Leben der Troubadours S. 136). Der Falke im Munde der Frau also ist der Geliebte. Der Falke im Munde des Mannes ist die Ge liebte. Hier aber, in dem vorliegenden Gedichte, steht er als Symbol der Freiheit und die Frau vergleicht sich selbst mit ihm: der Falke fliegt dahin wo es ihm gefällt, er wählt sich den Baum, der ihm gut dünkt: so hat sie sich den Geliebten erkoren. Ich weiss nicht, ob ich meinem Gefühle trauen darf, aber der Vergleich scheint mir etwas Unweibliches zu haben. Ich traue ihn eher einem Manne zu, der Frauen empfindung zu schildern sucht, als einer Frau, die ihren eigenen Gefühlsgehalt in Verse fasst. Ich finde auch sonst nichts in dem Gedichte, was ich nicht einem Manne beimessen könnte. Die geheimnissvollen Offenbarungen zarten Seelen lebens, welche uns in den kürnbergischen Frauenstrophen geboten werden, geben uns den Massstab für dieses Gedicht. Es wäre darnach das älteste seiner Gattung, das älteste von einem Manne im Sinn und im Namen der Frau gedichtete. Das Motiv kehrt bei Meinloh MF. 13, 27 wieder. Sollte nicht ßeinmar durch die Strophe zu seinem Ge dichte MF. 156, 10 angeregt sein? Der Vergleich mit dem Falken kehrt wieder. Dort ist der hohe Flug Zeichen der Freude. Die bei Reinmal- so seltene Einstrophigkeit ist be-