Die Kosmologie und Naturleliro des scholastischen Mittelalters.
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eine besondere Seelenkraft der denkfähigen und denkmächtigen
Seele fasste, machte er entschieden einen ahndungsvollen,
glücklichen Griff, und wies auf jenen intuitiven Seelensinn hin,
in welchem das ideale Apperceptionsvermögen und die specu-
lative Denkfähigkeit des Menschen begründet ist. In der scho-
lastisch-peripatetischen Theorie der Seelenvermögen fand sich
für dieses geistige Intuitionsvermögen der Seele keine besondere
Stelle, und insofern hätte Wilhelm über die auf sein Zeitalter
folgende Epoche der peripatetischen Scholastik entschieden
hinausgegriffen. Aber er war selber weit davon entfernt, die
ganze und volle Bedeutung dieses Vermögens zu erfassen; es
verkümmert bei ihm zu einem Vermögen leichter und schneller
Auffassung, zu einem Vermögen glücklicher Geistesblicke. 1
Dass die ganze Tiefe des geistigen Ahndungsvermögens der
menschlichen Seele in demselben enthalten sei, davon hatte
der Platoniker Wilhelm keine Ahnung. Es war dem über den
Gegensatz von Platonismus und Aristotclismus hinausgreifenden
philosophischen Denken der Neuzeit Vorbehalten, im idealen
Vernunftsinne der menschlichen Seele den Quell und Erzeuger
der philosophischen Einsicht aufzuzeigon, und das philosophische
Denken und Erkennen in der durchgängigen Zurückbeziehung
des menschlichen Erfahrungswissens auf die Apperceptionen des
idealen Vernunftsinnes und durch Begründung aus denselben
in ein speculatives Denken und Erkennen vertiefend umzubilden,
d. h. zum Range eines durchgebildeten philosophischen Denkens
zu erheben.
1 Est autem ingenmm vis quaedam animis insita, suis viribus praevalens.
Vfil in gen i um est vis animae naturalis ad aliquid cito percipiendnm.
Subst. phys. VI, p. 307.