Weinhold. Polargegenden Europas. 783 Die Polargegenden Europas nach den Vorstellungen des deutschen Mittelalters. Von Dr. Karl Weinhold, c. Mitgliede der k. Akademie der Wissenschaften. Indem ich mir die Aufgabe setze, die Vorstellungen unserer heidnischen und mittleren Zeiten von dem hohen Norden darzulegen und die ältesten Entdeckungsfahrten germanischer Männer in den nördlichen Meeren vorzuführen, glaube ich mich einem Gegenstände zuzuwenden, welcher für die Gegenwart ein besonderes Interesse bietet, da sie der Erforschung der Nord polargegenden lebhafte Theiluahme widmet. Eine Darlegung der geographischen Kenntnisse der antiken Völker von dem nördlichen Europa liegt meiner Arbeit ganz fern. Die ältesten geographischen Vorstellungen der Germanen erscheinen in der Mythologie. An den Anfang der Dinge setzten sie ein wüstes Nichts, nach skandinavischer Bezeich nung eine gähnende Kluft, gap ginnunga, aus der dann Licht und Finsterniss, Wärme und Kälte sich schieden. Denn im Norden bildete sich die kalte Nebelwelt Niflheim, im Süden die heisse Feuerwelt Muspellheim. Mitten in Niflheim springt ein brausender Quell, hvergehnir, hervor, aus dem die zwölf Sturmströme, die elivägar, liervorfliessen, welche jedoch durch die Kälte in einiger Entfernung von dem Ursprung erstarrten, so dass sich Eis über Eis in ihnen aufthürmte. Durch die