Ueber Kaut’« mathematisches Vorurtlieil und dessen Folgen. 41 Kant’s ,mathematisches Vorurtlieil' ist die Wurzel der Kritik. Dringender noch als die ,Rettung' der Metaphysik mochte ihm, bei seiner tiefen Hochachtung vor jener Wissen schaft, ,die schon jetzt von bewunderungswürdigem Umfange ist, und unbegrenzte Ausbreitung für die Zukunft verspricht', jene der Mathematik erscheinen. Diese aber mit ihrer ,durch und durch apodiktischen Gewissheit' stand in äusserster Gefahr, wenn das mathematische Urtlieil, wie Kant überzeugt zu sein glaubte, synthetisch war. Ohne Annahme reiner Anschauungen war sie sodann unmöglich; mit deren Annahme aber wurde nicht nur Mathematik, sondern, wenn einmal ein apriorischer ,Zusatz' zum sinnlichen ,Grundstoff' durch sie bezeugt war, nicht nur reine Naturwissenschaft, sondern selbst Metaphysik innerhalb bestimmter Grenzen möglich. Wie hätte sich die Kritik bedenken sollen, von einem so augenscheinlich vorheissenden Hilfsmittel Gebrauch zu machen? Von dem mathematischen Vorurtheil Kant’s aus fällt ein Licht auf den Entwickelungsgang der gesammten Kritik. Die synthe tische Natur der mathematischen Urtheile führt zu den reinen Anschauungen des Raumes und der Zeit, diese selbst bahnten der Annahme apriorischer Elemente auch in den anderen Bestand- theilen des Erkenntnissvermögens, des Verstandes und der Ver nunft, ja im Begehrungsvermögen und in der Urtheilskraft den Weg. Das Gelingen der transcendentaleu Deduction der reinen Formen der Sinnlichkeit gab den Anstoss und das Vorbild zu -den ähnlichen Deductionen der apriorischen Elemente des Verstandes, der Vernunft, ja selbst des Willens und des Ge schmacks. Weil die ,ausgemacht' synthetischen und zugleich apriorischen mathematischen Erkenntnisse nicht ohne apriorische Elemente der Sinnlichkeit möglich und folglich die letzteren wirklich 1 sind, so müssen die apriorischen Elemente des Ver standes, ohne welche die gleichfalls ,ausgemacht' synthetischen und apriorischen ,ersten Regeln der Erfahrung' nicht denkbar sind, gleichfalls wirklich sein. Freilich gilt bei den letzteren deren apriorische Natur nur für Kant ebenso ,ausgemacht' als bei den ersteren deren synthetische. So wenigHume be zweifelt, dass der mathematische Satz, der ihm nicht für syn thetisch galt, nichts destoweniger apriorisch, so wenig giebt er zu, dass der Satz, jede Veränderung müsse eine Ursache haben',