Ueber Kant’s mathematisches Vorurtlieil und dessen Folgen. 19 Eine solche über jeden Zweifel erhabene Erkenntniss war Kant die Mathematik, vor allem die Geometrie und diese wieder in der Form, die ihr Euclid gegeben. Die Geome trie, sagt er (II. 65), ist eine Wissenschaft, welche die Eigen schaften des Raumes synthetisch und doch a priori bestimmt. Kant legt sich die Frage vor: was muss die Vorstellung des Raumes dann sein, damit eine solche Erkenntniss von ihm mög lich sei? und antwortet: sie muss eine Anschauung sein! Den Beweis für diese Antwort zerlegt er in zwei Theile, in dem er besonders beweist, dass der Raum Anschauung, und dass diese a priori sei. Ersteres folge daraus, weil sich aus einem blossen Begriffe keine Sätze, die über den Begriff hinausgehen, ziehen lassen, welches doch in d,er Geometrie, wie Einleitung V bewiesen sei, geschehe. Ob es an jener Stelle bewiesen sei, hängt von der oben angestellten Betrachtung ab. Letzteres aber kommt daher, weil die geometrischen Sätze ins- gesammt. apodiktisch, d. i. mit dem Bewusstsein ihrer Nothwcn- digkeit verbunden sind; dergleichen Sätze aber nicht empiri sche oder Erfahrungsurtheile sein, noch aus ihnen geschlossen werden können. Der Anschauung bedürfen geometrische Sätze nur, weil sie synthetisch, bedürfen derselben also nicht, wenn sie im Gegcn- theile analytisch (oder identisch) sind. Einer apriorischen An schauung aber bedürfen sie, weil sie ,apodiktisch', d. i. ,mit dem Bewusstsein ihrer Nothwendigkeit verbunden sindh Letzteres dient als Erkenntnissgrund, aus dem die Apriorität der Anschauung, worauf die geometrischen Urtheile beruhen, erschlossen wird. Keineswegs müsste aus demselben auf die synthetische Natur der geometrischen Urtheile ein Rück schluss gemacht werden. Apodikticität könnte denselben auch dann zukommen, wenn sie analytisch oder identisch wären, ja müsste es sogar; denn das identische oder analytische Urtheil kann nicht anders als mit dem Bewusstsein seiner Nothwendigkeit verbunden auftretep. Nicht weil die geome trischen Urtheile apodiktisch, dürfen sie nicht analytisch, son dern nur, wenn sie synthetisch, müssen sic, weil apodiktisch, durch eine reine Anschauung vermittelt sein. Das Vor ur theil von der synthetischen Natur der mathematischen, hier der geometrischen Urtheile, zieht die Voraussetzung einer