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SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
ATTA DRITTE DER WISSENSCHAFTER.
PHILOSOPHISCH - HISTORISCHE CLASSE.
VIERUNDSECHZIGSTER BAND.
WIEN.
AUS DER K. K. HOE- UND STAATSDRUCKERET.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1870.
SITZUNGSBERICHTE
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
VIERUNDSECHZIGSTER BAND.
Jahrgang 1870. — Heft I bis III.
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KAIS.AKADCiVilE
vV!S;>; T,GhM i Ljy
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KAKI, GKROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1870.
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INHAL T.
Sitzung vom 5. Jänner 1870
Sitzung vom 12. Jänner 1870
Sitzung vom 19. Jänner 1870
,Hofier, Abhandlungen aus dem Gebiete der alten Geschichte, f. Über
Hannibal's Zug nach Etrurien. 217 v. Chr •
r-Pfizmaier, Die Lösung der Leichname und Schwerter. Ein Beitrag zur
Kenntniss des Taoglaubens
Schulte, Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. Zweiter
Beitrag
/ Zingerle, Findlinge
Scherer, Deutsche Studien. 1. Spervogel
^Zimmermann, Samuel Clarke's Leben und Lehre
Verzeichniss der eingegangen%n Druckschriften
Sitzung vom 3. Februar 1870
Sitzung vom 9. Februar 1870
Sitzung vom i6. Februar 1870
. Aschbach. Die Anicier und die römische Dichterin Proba
4—
f Müller, Armeniaca. II
jStrobl, Über das Spielmannsgedichl von St. Oswald
sConzc, Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften
■ V
II
Sitzung vom 9 Mörz 1870 541
Sitzung vom 16. Mörz 1870 542
Sitzung vom 23. März 1870 543
r Mussafia, Über eine altfranzosische Handschrift der k. Universitätsbiblio
thek zu Pavia
■Zingerle, Zur altern tirolischen Literatur. I. Oswald von Wolkenstein .
£ Pfizrnaier, Aus dem Traumleben der Chinesen
,Hofier, Abhandlungen aus dem Gebiete der alten Geschichte. II. Würdi
gung des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann .
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 771
545
619
697
753
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE C L A S S E.
i»
LXIV. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1870. — JÄNNER.
"KAIS. AKADEMIE^
CER |
.WISSENSCHAFTEN;
Commissiorisberielit.
3
SITZUNG VOM 5. JÄNNER 1870.
Der Vicepräsident gibt Kunde von dem am 21. December 1869
erfolgten Ableben des correspondirenden Mitgliedes im Auslande,
Herrn Professor Wilhelm Wacker nage! in Basel.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen der Theilnabme von
ihren Sitzen.
Der prov. Secretär legt vor:
1) ein von dem Hofrath Herrn Dr. v. Scherzer eingesendetes
Wörterverzeichniss der Japaner von Nangasaki-Chosin;
2) zwei von dem w. M. Herrn Regierungsrath Höf] er eingesen
dete Abhandlungen, welche die Anfänge von einer Reihe nachfolgen
der sind. Die erste Gruppe ist betitelt: „Abhandlungen aus dem Ge
biete der alten Geschichte“; die zweite: „Abhandlungen zur Ge
schichte Österreichs unter den Kaisern Leopold I, Josef I und
Karl VI“. Die erste Abhandlung der ersten Gruppe führt den Titel:
„Über Hannibal’s Zug nach Etrurien 217 v. Chr.“ Die erste Ab
handlung der zweiten Gruppe: „Zum ungarischen Ausgleich im
Jahre 1705;“
3) das vom Stiftskämmerer und Archivar des Stiftes Seiten
stetten P. Isidor Raab zur Aufnahme in die Fontes Rerum
Austriacarum eiugesendete Urkunden buch des Benedicti-
ner Stiftes Seitenstetten.
1 ' '
1 *
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4
Comniissionsbericlit.
Das w. M. Herr Prof. Siegel macht die Mittheilung, dass der
Studierende der Rechte, Gaston Freiherr v. Pettenegg, im Inter
esse der Weisthiimersammlung auf einer Ferienreise in Krain die
Archive und Bibliotheken der Schlösser Habach, Billichgrätz, Arch
und Radelstein durchforscht habe, jedoch ohne ein Ergehniss zu er
zielen.
Die Gesammtakademie hat in ihrer Sitzung vom 30. December
1869 zum prov. Secretär der philosophisch-historischen Classe das
wirkliche Mitglied Prof. Vahlen gewählt, nachdem der bisherige
Secretär dieser Classe, Herr Hofrath Ritter v. Miklosich, auf die
Stelle resignirt hat.
SITZUNG VOM 12. JÄNNER 1870.
Das w. M. Herr Dr. Pfizmaier legt vor eine für die Sitzungs
berichte bestimmte Abhandlung, unter dem Titel: „Die Lösung der
Leichname und Schwerter. Ein Beitrag zur Kenntniss des Tao-
Glaubens“.
Der prov. Secretär legt vor:
1) eine von dem Herrn Prof. Dr. Friedr. Ritter v. Schulte
eingesendete Abhandlung, unter dem Titel: „Zur Geschichte der
Literatur über das Decret Gratians. Zweiter Beitrag“;
2) eine von dem eidgenössischen Ständerath zu Appenzell,
Herrn Joh. Bapt. Rusch eingesendete Abhandlung, unter dem Titel:
Cominissionsbericht.
„Nach dem Zeitmass aufgestellte Geschichte St. Gerold’s des from
men Mannes und seiner Probstei“ ;
3) den durch das k. u. k. Ministerium des Äussern übermittel
ten Bericht des Leiters der commerciellen Abtheilung der ostasiati
schen Expedition, Herrn Ministerialrathes v. Scherz er, über seine
Bemühungen, die von der kais. Akademie in Bezug auf China und
Japan ausgesprochenen Wünsche zu erfüllen;
4) die von der archäologischen Commission zu St. Petersburg
eingesendeten Jahrgänge 1865 und 1866 des „Compte-rendu de la
Commission Archeologique“;
5) ein Exemplar des von Herrn S. G. Stern mit Unterstützung
der kais. Akademie herausgegebenen Werkes „Liber Responsionum“.
SITZUNG VOM 19. JÄNNER 1870.
Der prov. Secretär legt vor:
1) ein Ansuchen des Herrn Prof. Dr. K. Gross in Innsbruck,
um eine Subvention zur Herausgabe eines Werkes unter dem Titel:
„Ordo iudiciarius“;
2) eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung des
c. M. Herrn Prof. Dr. J. V. Zingerle: „Findlinge. II. Heft“;
3) eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung des
c. M. Herrn Prof. Dr. Scherer: „Deutsche Studien. I. Sper-
vogel“.
6
Commissioiisbericht.
Das w. M. Herr Hofrath Phillips legt vor eine für die Sitzungs
berichte bestimmte Abhandlung über „Das iberische Alphabet“.
Das w. M. Herr Prof. Zimmer mann legt eine für die Denk
schriften bestimmte Abhandlung vor über „Samuel Clarke’s
Leben und Lehre“.
Höfler, Über Hannibul's Zug nach Etrurien. 217 n. Ch.
7
Abhandlungen aus dem Gebiete der alten Geschichte.
I.
I ber Hannibal’s Zug - nach Etrurien. 217 n. Ch.
Von C. Höfler.
Als die unmittelbare Folge des grossen Zuges Hannibals über
die Alpen darf denn doch vor Allem die Veränderung des ganzen
Kriegsplanes angesehen werden, den die Römer bei Beginn des zweiten
punisehen Krieges zur Bekämpfung der Karthager in Afrika und
Spanien gefasst hatten.
Die beabsichtigte Landung des Consuls Tiberius Sempronius in
Afrika unterblieb, und statt bei Aspis und am Bagradas zu kämpfen,
traf es den Consul bei Placentia und an der Trebia geschlagen zu
werden. Statt dass Publius Cornelius Scipio den Krieg gegen Hanni-
bal in Spanien führte, kämpfte er am Ticinus mit ihm und rettete mit
Mühe sein Leben. Der Einbruch des Todfeindes der Römer geschah
von Norden, und all der Schrecken, welchen die Eroberung Roms
durch die Gallier, ihr unaufhaltsames Vordringen auf dem linken
Tiberufer hervorgerufen, verband sich mit der gegründeten Besorgniss
vor der unberechenbaren Kühnheit, der beispiellosen Fruchtbarkeit
und der Grossartigkeit der Pläne des Barciden.
Allein selbst trotz der Siege am Ticin und an der Trebia und trotz
aller grossartigen Ereignisse des Jahres 218 vor Christus, des Über
ganges über die Pyrenäen und über die Alpen stand Hannibal noch
immer nicht auf italischem Boden. Placentia war nicht gefallen,
Ariminum hielt sich und wollte Hannibal die erste Verteidigungslinie
der Römer gegen den Norden im Rücken lassen und sich vorwärts
8
II ö f 1 e r
TT :
nach Italien begeben, so waren alle Vortheile der Lage, der Oert-
lichkeit auf Seiten der Römer; Hannibal konnte sehen, ob er nicht,
wenn er sich entschloss, Ariminum, den am weitesten vorgeschobenen
Posten der Römer anzugreifen, sich zwischen die erste und zweite
Vertheidigungslinie der Römer in dieMitte begebe und dann in seinem
Rücken von Arretium aus angegriffen werde. Beide wichtige Städte
wehrten ja einen Einbruch vom Norden nach dem eigentlichen Italien
ab und bildeten die zweite Vertheidigungslinie, die bis Spoletium reichte,
wo die dritte anfing. Da entschloss sich Hannibal, als er im Frühlinge
217 in das eigentliche Italien einbrach, die ganze Heeresaufstellung
der Römer zum Schutze Italiens zu umgehen, um den direetesten
Weg auf Rom einzusclilagen. Wir wollen zuerst die Quellen reden
lassen.
A. Polybius. (Buch III. c. 75 ff.)
Die Darstellung des griechischen Historikers, der seine Materia
lien in Rom sammelte, gibt weder über den Punkt, von welchem
Hannibal in Gallia cisalpina mit seinem gallisch-afrikanischen Heere
die Übersteigung des Apennins unternahm, noch über denjenigen,
wo er die sumpfigen Gefilde des eigentlichen Italiens betrat, nähere
Aufschlüsse.
Er erwähnt nur c. 74, dass ihm während des Winters alle Ele-
phanten bis auf einen fielen und er eine grosse Einbusse au Pferden
und Menschen erlitt; c. 77, dass von den beiden Consuln des Jahres
217, der eine Gaius Flaminius durch Etrurien vorrückte und sich bei
Arretium lagerte. Der Ausdruck ist /.xTscsTparonsoeuae diä rrjs twv
’ApprjTi'vcov nöAsw?; er wird commentirt durch c. 80 xaraüaßcöv
(Hannibal) sv Öuppvjvta töv OAapitviov aTpUToniotiiovra. ?rpö rfig rwv
'AppcTtvwv iroXews. Der andere Consul Gneius Servilius aber lagerte
sich bei Ariminum, um von da einen Einfall Hanibal's abzuwehren
(raurrj TcapaT^p^aoiv rr,v siaßolriv tcöv ÜTrsvavrtwv).
Nach der Ansicht der Römer gab es also nur zwei Möglichkeiten
eines Einfalles von Gallia cisalpina nach Italien, entweder über Rimini
oder über Arezzo. Waren diese Pforten bewahrt, so war Italien ge
sichert; dass man sich an der tyrrhenischen Küste fortziehen könne,
den Weg nach Telamon, wie es vor nicht zu langer Zeit die Gallier
gethan hatten, nehmen könne, kam nicht in Berechnung. Wohl aber
standen beide Consularheere durch den Apennin von einander ge
trennt, Servilius an der Küste beträchtlich nördlicher als Flaminius,
Über Hannibal’s Zug- flach Etrurien. 217 n. Ch.
9
da Arezzo in ziemlicli gleicher Höhe mit Sena Gallica liegt. Die Ver
bindung beider Heere konnte nur über das fast in gerader Linie südlich
von Rimini gelegene Perugia erfolgen, zu dem Servilius nur auf wei
tem Bogen, Flaminius nur über Cortona und die trasimenischen Engen
(angustiae. Liv.,) wahre furcae Caudinae, kommen konnte. Die Stel
lung von Arezzo war nicht blos vorgeschoben, sie hing nur mittels eines
engen Halses mit der Basis von Perugia zusammen. Des Seitenweges
von Clusium über Vulsinii nach Sutrium scheint gar nicht gedacht
worden zu sein, da auf diesem eine Cooperation mit Servilius gar
nicht, kaum ein Rückzug des Flaminius, wenn er von Servilius abge
schnitten worden war, eintreten konnte.
Die Stellung bei Ariminum gab somit wohl den Römern den
Schlüssel zu Gallia cisalpina und zu ihren Po-Colonien, die sich trotz
der Niederlage an der Trebia hielten, in die Hände; die Stellung hei
oder eigentlich vor Arezzo schützte zumal Etrurien und hinderte jeden
Einbruch Arno aufwärts und durch die etrurischen Felder — Campi
Etrusci — während sie selbst sich des Arno als eines Graben gegen
Norden und der Chiananiederungen wie eines ähnlichen Wassergra
bens im Westen bediente. Cortona wird wohl besetzt gewesen sein.
An die Besetzung des Defiles am trasimenischen See als der möglich
einzigen Rückzugslinie scheint man römischer Seits nicht gedacht
zu haben, so lange noch der Weg nach Clusium frei war. Dass Hanni-
bal letzteres eroberte, wird nirgends angegeben; dass er aber sich
vor Allem nach dieser Moosburg wandte, als er seitwärts von Arezzo
die Richtung nach Rom einschlug, liegt in den örtlichen Verhält
nissen.
Uber die grosse Bedeutung Arezzo’s, um von Ariminum nicht
zu reden,.nach welchem die Provinz genannt wurde, — haben wir ein
sehr wichtiges Zeugniss. Als zwölf Jahre später P. Scipio, nachher
Africanus, die Flotte ausrüstete, mit welcher er erst den Sitz des
Krieges nach Sicilien, dann von hier nach Afrika zu verlegen ge
dachte, versprachen die Völker Etruriens den Consul nach ihren
Krätteu zu unterstützen. Die Caeriten gaben Getreide, die Populonier
Eisen, die Tarquinier Segeltücher, die Voiaterraner Schiffskiele und
Getreide, die Perusiner, Clusiner, Rusellaner grosse Tannen <) und Ge-
Abietem in fabricandis nuvibus. Als der Verfasser Auf. Juli 1SÜ6 vom oberen
Iiberthal in das obere Arnothal kam und bei Nacht von Bibbiena nach der Höhe
10
Föfler
treide, die Arretiner aber 30.000 Schilde, 30.000 Helme, 50.000 Wurf-
spiesse (pila), 50.000 gallische Wiu , t'spiesse(gaesa),50.000 lange Lau
zen, an Beilen, Schaufeln, Sicheln, Trögen, Mühlsteinen so viel als für
40 grosse Schiffe nöthig war, dazu 120.000 Schäffel Weizen und für
die Schiffsmannschaft noch Geld. (Liv. XXVIII. c. 45). Es ist nach
diesem keine gewagte Behauptung, wenn man sagt, Arretium war da
mals die Born ergebenste, reichste und bedeutendste Stadt Etruriens. An
sie lehnten sich die fruchtbaren etrurischen Felder an. Sie besass
Magazine, um ein grosses Heer auszurüsten. Im ganzen westlichen
Theile Etruriens gab es keine Stadt, die sich in dieser Beziehung mit
ihr messen konnte. Sie musste eben desshalb auch von den
Römern gehalten und vertheidigt werden. So lange dieses
geschah,sie nicht umgangen wurde, war auch der Krieg in Etrurien fixirt.
Hannibal war wie mit einer Gabel von Arretium und Arminium
aus festgehalten. Was sollte er nun thun? Sich zwischen beide
Städte hindurchzuschleichen war unmöglich, die Stellung von Arminium
zu foreiren, ging auch nicht. Sie war zu fest, und wandte er sich da
hin, so konnte Flaminius Arezzo, Cortona, Clusium mit Besatzun
genverwahren und überPerusia und Senagallica, wenn nicht gar durch
das obere Tiber- und das Metaurusthal seinem Collegen zu Hilfe eilen.
Flaminius aber hatte durch den Apennin und das sumpfige Arnothal
eine so gedeckte Stellung, dass er in der Fronte gar nicht ange
griffen werden konnte.
Den Gedanken, sich nach Ariminum zu wenden und den langen
Weg an der Küste des adriatischen Meeres zurückzulegen, um end
lich das Ziel des ganzen Feldzuges, Rom, zu erreichen, fasste Hanni-
bal gar nicht. Er wollte beide Consularheere umgehen und nach
Etrurien kommen. Diesen Plan, in Etrurien einzufallen, konnte Servi-
lius nicht hindern, Flaminius sollte es nicht thun, da Hannibal den Weg
einzuschlagen dachte, auf welchen ihn jener nicht erwartete und der
selbst als der kürzeste galt, den Weg durch die Sümpfe (Trjv-spßoXr/v-
des Apennins (la Consuma) nicht ohne grosse Gefahr zog, stockte alle Augenblicke
die Fahrt durch gewaltige Tannen, welche von Camaldoli nach Livorno gebracht
werden sollten. Auf meine Frage, was mit diesen Tannen sei, erfolgte die
Antwort, das werden Masten für die Fregatten des Vicekönigs von Ägypten,
Mehemed Ali, welche ihm für schweres Geld die Mönche von Camaldoli aus
ihren Forsten liefern. Ich dachte mir, was Petrus Damiani im XI. Jahrhunderte
dazu gesagt haben würde?
Über Hannibars Zug- nach Etrurien. 217 n. Ch.
11
oiz züjv el'Siv dg Tvppriviocv yipovoav ova^spfj piv, ciivropiov di xcä
Ktxpddo^ov y«vr?<7«p.£vr)V rot? nspi röv <t>Aap.(;vtov).
So ward 1. beschlossen, den kürzesten, wenn auch mühevollsten
Weg einzuschlagen, der nach Etrurien führte; 2. durch die Sümpfe
zu wandern, um die Aufstellung der Römer vor Arezzo zwecklos zu
machen; 3. vor diesen die Römerstrasse zu gewinnen. Uber den
eingeschlagenen Weg sagt Polybius nur, dass derselbe, natürlich als
Hannihal einmal auf der Südseite des Apennin, im Arnothale angelangt
war, überschwemmt war, aber festen Grund hatte (rsvayudsTg
xai arspsovg dndpyovrag rovg xara rvjv ötoöov tÖ7rou?) und dass der
Durchmarsch durch die Sümpfe 4Tage und 3Nächte ununterbrochen
dauerte, so dass die Leute, besonders die Kelten, entsetzlich an Schlaf
losigkeit litten und dadurch aufgerieben wurden.
c. 79. Erst als er aus den Sümpfen gekommen war, während
welcher ZeitFlaminius noch immer vor Arezzo stand, gönnte Hannihal
den Seinen Ruhe und Erholung. Er lagerte sich vor den Sümpfen (npog
rot? sleai), d. h. doch sicher nicht auf der Apenninen Seite, sondern
auf der entgegengesetzten. Vom Arno ist da keine Rede, sondern nur
von Sümpfen, die das von Ost nach West gestreckte, breite Thal aus
füllen und deren Überreste sich namentlich von den Höhen von Monte-
catini so recht präsentiren. Zwei grosse Wasserbehälter, der lago di
Sesti gegen Pisa, der lago di Fuccechio gegen San Miniato sind noch
die treuen Zeugen dieser Sumpfniederung. Reide mussten bei der
Durehschreitung des Arnothaies rechts liegen bleiben, es mochte nun
der Übergang über den Apennin durch das Secchiothal gegen Lucca
und Pescia oder über die steilen Abhänge nach Pistoia erfolgt sein.
Nachdem aber das linke Arnoufer erreicht war, richtete er den
Feldzug nach den Oertlichkeiten und dem Charakter des Flaminius
ein, was dem Polybius Anlass gibt zu einer unendlich breiten Ausein
andersetzung, wie viel von den geistigen Qualitäten eines Feldherrn
abhänge, was wir ohnehin und auch ohne die Auseinandersetzung
des Polybius glauben und erfahren haben.
Erst nach diesem erfahren wir c. 82, was für uns von
viel grösserer Wichtigkeit ist, dass der Halt in der Gegend
von Fäsulä und zwar unterhalb stattgefunden hat (tos 7dp 3ärrov
noirjadp-evog dvoc&ynv ano rcöv xarä r r,v (pcaaoAav röwtov)
und von da aus der Aufmarsch parallel mit der Stellung der
12
H ö f I e r
Römer bei Arezzo stattfand '), welche erst, als Hannibal schon süd
licher war als sie, merkten, dass er in Etrurien stehe. Da nun Fäsulii
auf dem Berge am rechten Arnoufer oberhalb Florenz liegt, ist es am
wahrscheinlichsten, dass Hannibal bei Florenz den Arno überschritt
und in der Richtung von lncisa und Monte Varchi hinzog, um durch
das Ambrathal die Höhen zu gewinnen, die das nach Süden gestreckte
Chianathal westlich einsäumen. Dadurch gewann er eine Stellung
über Arezzo hinaus, ohne dass die Römer sie bemerken konnten. Erst
der von dieser Seite aufsteigende Rauch, als die punische Verheerung
des Landes begann, habe den Flaminius in Kenntniss dessen gesetzt,
was vorgegangen war, und nun in ihm den Entschluss erzeugt, sich,
ohne seinen Collegen zu erwarten a ), auf den Weg zu machen, damit
nicht, während er in Etrurien stehe, Hannibal das Land bis Rom
verheere. In der That erwähnt auch Polybius ganz bestimmt, dass
Hannibal den Weg nach Rom einschlug und in dieser Richtung durch
Etrurien eilte, Cortona und dessen Berge links liess, den trasimenischen
See jedoch zur Rechten (si? Tovy.Ttpoo3sv w? npog rrjv 'Poop.Yjv
npofisi oid rög Tvppwviccg).
Fassen wir wieder die Thatsachen zusammen.
Nicht bloss der Consul Flaminius war umgangen, auch Servilius
in Ariminum; nicht bloss dass Hannibal den Weg nach Rom sengend
und brennend einschlagen konnte, sondern er verlegte auch beiden
Consuln den Weg dahin und wenn sie sich nicht bald aus der Schlinge
zogen, so war es zu spät. Polybius behandelt nun den Flaminius als
Plebejer nichts weniger als glimpflich. Er zürnt ihm, dass er den
Consul Servilius nicht erwartet habe. Für uns ist das ein Beweis,
dass Servilius auf die erste Nachricht vom Einbrüche Hannibals den
*) Ich bemerke, dass das Arnothal sich bei Fiesoie verengt, nach Ablauf ausser
ordentlicher Wassenna8sen der Arno in der Nähe von Florenz heutigen Tages
etwa öO Schritte breit, eine Tiefe hat, dass man ihn nicht durchwaten kann,
was ich von einer unwillkürlichen Schwimmprobe her sehr genau weiss. Die
jenigen, welche Hannibal nach Arretium ziehen lassen, bedenken nicht, dass
Flaminius nicht in, sondern vor der Stadt eine Stellung einnahm, welche durch
die bis Clusiuin reichenden Chianasümpfe gedeckt war. Diese mussten umgangen
werden; das konnte nur dadurch geschehen, dass Hannibal auf den Höhen blieb.
2 ) Dieser war sofort aufgebrochen, um sich mit Flaminius zu vereinigen. Dass
dieses Servilius von Ariminum aus that, setzte Tage voraus, seit Flaminius von
Arretium aus seinen Collegen vom Einbrüche Hannibal*8 verständigte, geschweige
seit dieser erfolgt war.
Über HannibaPs Zug 1 nach Etrurien. 217 n. Cb.
13
vernünftigen Entschluss fasste, sicli mit seinem Collegen zu ver
einigen. Ausdrücklich sagt dieses auch Polybius selbst c. 83. Da er aber so
rasch nicht vorwärts kommen konnte, so schickte er eilig (xarä anouörjv)
4000 Reiter voraus, da es wie es scheint dem Flaminius an Reitern
gebrach (c. 82). Er selbst wollte mit dem ganzen Heere nachkom-
men. Es handelte sich also darum, Hannibal zwischen den beiden
römischen Heeren zu erdrücken; wenn er nach Rom fortzog, ihn
zwischen Rom und die Consularheere zu bringen; von seiner Seite,
es nicht zur Vereinigung beider kommen zu lassen,
sondern das eine zu vernichten, ehe das andere sich nahe. Nun war
aber der mögliche Vereinigungspunkt beider Consularheere kaum ein
anderer als Perusia, südlich vom trasimenischen See und dessen
Engen. Wollte aber Flaminius dahin kommen, so musste er, da der
Weg über Clusium nicht mehr frei war, den Rückzug von Arezzo so
rasch wie möglich nach Süden antreten, um durch das Defile am
trasimenischen See zu kommen, das abgesehen von der Enge am
See erst noch an seiner südöstlichen Seite gegen Perugia eine sehr
starke Steigung aufweist. Der Aufbruch des Flaminius von Arezzo
ist somit gar kein Re weis von Unüberlegtheit, sondern das einzige
Mittel, zu welchem er seine Zuflucht nehmen konnte und, wenn ihm
irgend ein Vorwurf zu machen ist, so kann er nur darin bestehen»
dass er nicht sogleich aufbrach, vorausgesetzt dass ihm dieses über
haupt möglich war. Und dass er die Gefahr wohl erkannte, geht aus
dem Umstande hervor, dass er am Abende vor dem Defile ankam; er
war zweifelsohne von Arezzo aus in einem Tagmarsche dahingelangt.
Am hellen Morgen gedachte er hindurchzuziehen. Wem aber ein
Vorwurf zu machen ist, das ist Polybius, dessen Erzählung nichts
weniger als classisch ist. Denn wie Hannibal gegen Rom vorrückend,
zur Linken Cortona mit seinen Rergen und zur Rechten den Irasimeni-
schen See haben konnte, ist geradezu unverständlich, ja unmöglich.
Hätte Hannibal diese Richtung eingeschlagen, so musste er sich aus
den Chianathale in das Tiberthal oberhalb Perugia begeben; dann,
aber auch nur dann, hatte er Cortona links und den trasimenischen
See rechts; dann konnte er nach dem jetzigen Cittä di castello kommen,
aber die Richtung nach Rom war es sicher nicht. Hier sind also
Widersprüche, die nicht gehoben werden können. Hingegen steht
so viel fest, dass Hannibal den Vorsprung, welchen er durch seinen
unvermutheten Sumpf-Übergang über Flaminius erlangte, benützte,
14
H ö f I e r
um ihn erstens von Clusium abzuschneiden und zweitens um sich auf
die einzige Verbindungslinie mit dem andern Consul zu werfen;
das aber musste geschehen, ehe das Hilfscorps von 4000 Mann,
dasServilius voraussandte, zuFlaminius stossen konnte. Hinderte Han-
nibal die Vereinigung der beiden Consularheere, so konnte er sich hier
auf mit aller Macht auf das eine derselben werfen und es vernichten,
dann dem Vortrab des anderen dasselbe Schicksal bereiten und hierauf
seinen eigentlichen Marsch nach Rom wieder aufnehmen.
B. In Betreff des letzteren mache ich hier eine Pause, um die
Nachrichten des Livius und die Ansichten von Neueren nachzuholen.
Ich bemerke hier nur das Eine, dass es gar nicht denkbar ist, dass
Flaminius vor dem trasimenischen See erschien und da mit seinem
Heere übernachtete, während Hannibal bereits die Höhen vor und um
ihn d. h. also die nördlichen Hügel besetzt hielt, beide Heere in
einer geringen Entfernung von wenigen Viertelstunden von einander
8 bis 10 Stunden verweilt hätten, ohne das es zum Gefechte gekom
men wäre, ja auch ohne dass ein Theil vom andern etwas vernom
men hätte. Viel wahrscheinlicher ist, dass Hannibal bis gegen Clusium
(dem directen Wege nach Rom) vorgerückt war, dann aber vor die
sem festen Orte eine Schwenkung nach dem Osten machte, die Strasse
von Arretium nach Perugia zu besetzten suchte und von Magione und
Torricella nach Passignano *) sich ausdehnte. Livius weiss nur, dass
Hannibal einen längeren und bequemeren Weg nach Etrurien ver
schmähte, den kürzeren aber unbequemeren wählte, weil der Arno
damals mehr als gewöhnlich über sein Ufer getreten war. Es waren
somit nicht die gewöhnlichen Sümpfe, welche Hannibal zu über
schreiten gedachte und die sich von Pescia an den Arno ziehen, son
dern daslnundationsterrain. Er durcheilte dasselbe, schlug erst Lager,
als er aus dem Sumpfe gekommen war und inspicirte das Terrain.
Da erfuhr er, dass Flaminius noch um Arezzo weile (circa Arretii
moenia), von welchem bisFüsulae sich die etrurischen Gefilde hinzogen
(regio erat in primis Italia fertilis, Etrusci campi qui Faesulas inter
Arretiumque jacent). Als nun aber, wie Livius sagt, Hannibal den
Consul zur Schlacht reizen wollte, liess er den Feind zur Linken,
zog nach Fäsulä und brach so mitten durch das etrurische Gebiet
hindurch, indem er von Weitem dem Consul grösstmöglichsteVer
wüstung zeigte. Die Stelle, welche, wenn man sie untersucht, gerade-
0 Dem Orte am See, der gewöhnlich als Schlachtfeld angenommen wird.
Über Hannibal's Zug nach Etrurien. 217 n. Ch.
15
zu Unsinn in sich schliesst, lautet: et laeva relicto lioste Faesulas
petens medio Etruriae agro praedatum profectus quantam maximam
vastitatem potest caedibus incendiisque consuli procul ostendit.
In welcher Weise man , während der Feind in Arezzo zur
Linken gelassen ward, nach Fäsulae die Richtung nehmen und so in
die Mitte des etrurischen Gebietes — Etruriae agro ist hier doch so
viel als Etrusci campi, von denen oben die Rede ist — einbrechen,
dem Consul die Verheerung von Weitem zeigen kann, ist unbegreif
lich. Man kann sich vorstellen, dass Hannibal, als er durch das
überschwemmte Land zog, die Richtung nach Fäsulae nahm. Dann
aber musste er es im Rücken lassen, wenn der Consul bei Arezzo
stehend links gelassen wurde. Aber nicht in der Nähe von Arezzo
zog Hannibal vorbei, sondern von Weitem wurde dem Consul die Ver
heerung gezeigt. Einen Flankenmarsch im Angesichte des Feindes
zu machen und so bei Arezzo vorbeizuziehen, konnte keinem Stümper,
geschweige Hannibal einfallen. Livius berichtet nun , dass Flami-
nius auf dieses das Zeichen zum Aufbruche und zur Schlacht
gegeben, worauf er gleich nachher erwähnt XXII. c. 4., Hannibal
habe die Gefdde zwischen Cortona und dem trasimenischen See ver
wüstet, was übrigens dienumidischenReiterthunkonnten, ohne dass
das Hauptheer sich daran betheiligte. Dann sagt er, Han
nibal habe das Lager da aufgeschlagen, wo das Feld etwas freier
ist und die Hügel es begrenzen. Deinde paulo latior patescit campus,
inde colles adinsurgunt; ibi castra in aperto locat. Diess aber war
nicht auf der Seite von Cortona, d. h. nicht auf der Nordseite,
wohin Flaminius von Arezzo kommend über Cortona drang, sondern
auf der entgegengesetzten, so dass er ausserhalb der Engen stand,
den südlichen Zugang zum See in seinen Händen hatte, den nördlichen
frei liess und am letzteren war es nun, dass Flaminius erschien (cum
pridie solis occasu adlacumpervenisset). Als dieser den See zur rechten
Seite — von Arezzo aus — habend, d. h. von Norden her in das
Defile zog, schlossen rasch die numidischen Reiter, in seinen Rücken
hineinschwenkend, die fauces saltus. Es ist da ganz begreiflich, dass
die Vordersten sich durchhieben, die übrigen niedergemetzelt oder
in den See gesprengt wurden.
Livius berichtet noch, wie die von Servilius abgesandte Reiter
schaar auf die Nachricht der Schlacht nach Umbrien sich wandte '),
l ) Das heisst denn doch wohl nicht zum Hauptheere zuriickging,sondern gegen Spoletium.
d. h. denn doch wohl nicht zum Hauptheere zuriickging, sondern
gegen Spoletium, dort aber umzingelt wurde; dass das Volk einen
Prodictator wählte — quod nuuquam ante eum diem factum erat —
c. 8, Hannibal aber ohne Aufenthalt sich nach Spoletium wandte, c. 9.
Hannihal recto itinere per Umbriam usque ad Spoletium venit,
inde cum perpolato agro urbem oppugnare adortus esset, cum mag
na clade suorum repulsus — in agrum Picenum avertit iter.
C. Nach Niebulir, Vorträge über römische Geschichte II. S. 89,
zog Hannibal über Lucea, kam nach drei und einem halben Tage bei
Fiesoie heraus und zog dann hinter Florenz in das obere Arnothal
nach Chiusi. Er behält den See von Perugia links. In früheren Vor
trägen verwarf Niebuhr die Erzählung des Polybius und Livius, dass
Hannibal an Cortona vorübergegangen war und sich zwischen die
Herge und den See geworfen hätte. Er stellte damals die Meinung
auf, beide Feldherren wären von verschiedenen Seiten um den See
herumgezogen, Hannibal durch das Sienesische von San Gemignano
und Colle kommend , Flaminius von Arezzo. Dadurch erkläre sich
alles. Nun muss aber zuerst bemerkt werden, dass gar nichts, weder
Örtlichkeit noch eine Nachricht der Alten zu der Annahme berech
tigte, Hannibal sei etwa bei San Miniato am Arno aus den Sümpfen
heraus gekommen, das Elsathal emporgestiegen und nach San
Gemignano und auf der Strasse von Siena nach Rom gezogen. Wenn
dieses aber geschehen wäre, so hättesich sicherFlaminius nach Clu-
s i u m gezogen, und vermochte er von da Hannibal in den Schluchten
vonRadicofani undAquapendentein der für ihn ungünstigsten Stellung
festzuhalten. Wo blieben ferner die fruchtbaren etrurischen Gefilde,
deren Hannibal vor Allem nach dem grossen Sumpfmarsche zur Erho
lung seines Heeres bedurfte?!
Wenn Hannibal endlich über San Gemignano und Colle zog, so
ist sicher, dass Flaminius bei Arezzo stehend von dem Brande der
Ortschaften nichts erfuhr; man sieht ferner nicht ein, warum Hannihal
plötzlich die Richtung nach Rom aufgab und sich östlich in die
Berge von Cortona warf, wodurch er den gewonnenen Vorsprung
wieder verlor. In der späteren Darstellung hat Niebuhr namentlich
hervorgehoben, dass Hannibal dem Flaminius mehrere Tagemärsche
auf der Strasse nach Rom abgewonnen habe und letzterer desshalb
mit übereilter Geschwindigkeit bei Cortona vorbeizog. Niebuhr
untersuchte dann die Frage, warum Hannihal, als sich Spoleto hielt,
Über Hannibal’s Zug nach Etrurien. 217 n. Ch.
17
sich nicht unter Rom festsetzte und es belagerte. Auf diese Frage
gibt es jedoch nur Eine Antwort und zwar nicht die, welche Nie-
buhr gab , dass die örtlichen Schwierigkeiten zu gross waren, son
dern einfach, weil Hannibal S p ol eto nicht in seinem'Rücken
lassen und sich selbst nicht zwischen der dritten (ersten) Ver-
theidigungslinie und Rom und dem von Ariminum nachrückenden
Consul Servilius einkeilen lassen durfte.
Arnold history of Rome III. p. 104 lässt Hannibal das Thal der
Macra hinabsteigen, dann das Thal des Serchio gewinnen und indem
Lucca rechts bleibt, Arno aufwärts steigen, dann hei Arretium vor
übergehen (ohne dass sich Flaminius rührte), um die grosse Ebene
von Centralitalien von Perusia bis Spoletium zu gewinnen.
Flaminius machte sich Vorwürfe, dass er ihn nicht bei Arretium
angegriffen habe, Hannibal aber stieg zu den Hügeln auf, welche den
trasimenischen See von dem Tiberbassin trennen! Arnold macht dann
mit Recht aufmerksam, dass der Bericht des Polybi us über die
Schlacht mit den Örtlichkeiten nicht zusammenstimme, namentlich
nicht mit der Strasse, die an dem See nach Passignano und von da
auf die Höhen gegen Perugia führt. Er lässt den Consul bereits gegen
diese emporsteigen, als erst die Schlacht begann, indem ersieh auf die
Stelle des Polybius stützt, dass die Römer den See im Rücken hatten ')•
Nach der Schlacht lässt Arnold die Punier Umbrien nehmen,
Spoleto berennen, endlich sich nach Picenum wenden. Der Kampf
mit den 4000 M. des Centenius wird mit zwei Worten angeführt
und zwar ohne zu erwähnen, dass Centenius den Vortrab des Consul
Servilius bildete.
Liddell in seiner history of Rome schliesst sich dem Wesen
nach an Arnold an, und gibt dann einen Plan des Defile's von
Passignano S. 240. Er lässt Hannibal sein Heer an Arretium vor-
* beiführen, den Consul ihm dann nachfolgen und in Monte Qualan-
*) Kommt man von Perugia aus an den See, so führt ein Defile steil hinab an den
selben. Mir ist die Stelle unvergesslich, da gerade hier, als ich 1835 das zweite
Mal an den trasimenischen See kam und zwar mit dem Corriere di Perugia,
plötzlich die Postillione mit dem Ausrufe : ora siamo perduti von den Pferden
sprangen und ich nicht anders meinen konnte, als mit Plerd und Wagen in den
See tief unter mir stürzen zu müssen. Oben war Hannibal’s Lager, die Höhen dazn
stürmten durch das Defile die Römer, den See im Rücken, während der lange Zug
am See von den Puniern festgehalten und durchbrochen, theilweise in den See
gestürzt wurde.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft.
2
18
H ö f I e r
dro (vor Passignano) übernachten, was gar keinen Sinn hatte. Denn
Hannibal in das Defile nachzufolgen, wo alle Vortheile der Lage für
den Gegner waren, konnte denn doch keinem. Manne von gesunden
Sinnen einfallen. Man wüsste auch in der That nicht, wer von beiden
unbeholfener gewesen wäre, Hannibal, der sein Heer im Flanken
marsche vor der Nase des Consuls vorüberführt, wovon Polyhius und
Livius nichts wissen, oder Flaminius, der ihn nicht angreift, nicht ver
folgt, dann aber plötzlich ihm nachgeht und sich im Defile überfallen
lässt. Warum ist denn Flaminius nicht nach Clusium ausgebogen, wo
er dann vor Hannibal die Strasse nach Rom auf dem rechten Tiberufer
erreichte? Von dem Versuche, Spoleto zu gewinnen, berichtet Liddell
gar nichts, sondern nur, dass Hannibal in Picenum verweilte.
Nach Mommsen wollte Flaminius von Arezzo zur Deckung des
Arnothaies und der Apenninpässe etwa nach Lucca abrücken, eine
Ansicht, zu welcher uns alle Anhaltspunkte fehlen. Man sieht seihst
gar keinen vernünftigen Grund ein, warum Flaminius seine vortreff
liche Stellung hei Arezzo und die Fühlung mit Servilius aufgeben
sollte! Hannibal, heisst es, kam ihm zuvor. Der Apenninübergang
fand in möglichst westlicher Richtung statt, eine Annahme, welche
innerlich viel begründeter ist, als die entgegengesetzte, welche eine
Überraschung des Flaminius unmöglieh gemacht hätte. Hannibal
lagerte bei Fiesoie. Dieses ist irrig und wird von Niemanden be
hauptet, da Fiesoie auf der Höhe am rechten Arnoufer liegt und Han
nibal seinen Truppen erst Rast gönnte, als sie die gefährliche Sumpf-
und Wasserpartie hinter sich hatten. Lagerte er sich aber bei Fie-
sole, so erfuhr Flaminius zu früh sein Vorhaben und konnte ihm
selbst den Übergang über den Arno streitig machen. Namentlich
wenn er selbst die Absicht hegte bis Lucca vorzurücken, dann stan
den seine Vorposten denn doch wohl bei Fiesoie. Was sollte er aber
in Lucca thun, wo er selbst die Sümpfe im Rücken gehabt hätte?
über Pistoja hätte umgangen werden können? Mommsen lässt nun
Hannibal an Arezzo vorüber, langsam (!) durch das reiche Chiana
thal gegen Perugia marschiren; sicher war aber das Chianathal damals
noch ein Sumpf und das langsame Marschiren existirt nur in der
Vorstellung des deutschen Geschichtschreibers. Flaminius erreicht
ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal genau unterrichtet von
dem Marsche seines Gegners volle Zeit gehallt batte; sein Schlacht
feld zu wählen, ein enges Defile zwischen zwei steilen Bergwänden,
Über Hannibal's Zug - nach Etrurien. 217 n. Ch.
19
das am Ausgange ein hoher Hügel, am Eingänge der trasimenische See
schloss. Dieses Defde existirt wohl nur auf dem Papier. Nur wenn
man von Magiona (auf der Seite von Perugia) gegen Passignano kommt,
senkt sich der Weg steil nach dem See zu, der unten erscheint.
Wenn aberFlaminius seinen Gegner schon bei Cortona erreichte, wie
Mommsen sonderbarerweise behauptet, so hatten die Punier die
Engen zwischen Hügel und See, den langgestreckten Weg am See im
Rücken und brauchte der Consul sie nur in die Pässe nach Passig
nano zu treiben, so waren sie und nicht die Römer verloren. Bei
Cortona waren alle Vortheile der Örtlichkeit auf Seite der Römer.
Hatte sich aber Hannibal der Ausgangspunkte bemächtigt, dann war
er Herr der Situation und verlegte er dem Consul den Weg. Doch
hören wir Mommsen über das Resultat der Schlacht.
Ganz Etrurien war verloren und ungehindert konnte Hannibal
auf Rom marschiren. Dort ernannte man Quintus Fabius Maximus
zum Die tat or i). —Allein Hannibal sah weiter als König Pyrrhos. Er
marschirte nicht auf Rom. — Es geschah wieder einmal etwas ganz
Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei (!), deren Über
rumpelung fehlschlug, marschirte Hannibal durch Umbrien, verheerte
das picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des adriatischen
Meeres. — Diese Darstellung Mommsen's kann nun freilich in keiner
Reziehung quellenmässig genannt werden. Nirgends steht, dass Han
nibal bei Arezzo vorbeimarschirend den Flankenmarsch im Ange
sicht des Feindes gemacht habe. Es heisst nur, dass er Cortona und
dessen Rerge zur Linken liess, nicht aber, dass er unterhalb Cortona
vorüberzog, wie es hätte geschehen müssen, wenn er von Arezzo
kommend nach dem trasimenisehen See wollte; wohl aber tliat dies
Flaminius, um sieb so rasch wie möglich auf die dritte Vertheidigungs-
linie zurückzuziehen, als die zweite unhaltbar geworden war. Han
nibal hätte aber nicht Hannibai sein müssen, wenn er von dem Vor
theil, dass der Rückzug des Consuls nur durch den.Hals einer Flasche
mehr möglich war, nicht Gebrauch gemacht hätte.
Wenn übrigens Mommsen den klaren Worten des Livius ent
gegen, in Rom einen Dictator werden lässt, wo es sich um einen Aus-
nabmsfall bandelte und das Volk einen Prodictator wählte; wenn er
Hannibal über Pyrrhos stellt, weil letzterer nach Rom zog, jener aber
*) Siehe oben die Stelle des Livius, die etwas anderes sagt.
20
Hofier
angeblich nicht, während doch der Punier recto itinere nach Rom
zog und Spoletium stürmte, das er nicht hinter sich lassen durfte,
wie auch Pyrrhos Fregellae nicht hinter sich gelassen hatte, so wider
legen sich diese Irrthümer von seihst. Hannihal musste eine feste
Stadt gewinnen, um daselbst sein Depot, Lazareth, seine Magazine
anzulegen, einen Stützpunkt für seine Operationen zu gewinnen. Er
langte er ferner Spoletium, so war ihm der Weg nach Rom offen;
erlangte er es nicht, so war trotz des Sieges am Trasimen
der Feldzug im Norden gescheitert und musste eine
neue Operationsbasis gewonnen werden. Hannihal hatte
gar keine Ursache eine Masse von Leuten nur desshalb auf’s Spiel
zu setzen, damit er erfahre, ob die Thore von Spoleto offen stünden
oder nicht; sondern der Hauptplan nach Rom auf dem linken Tiber
ufer vorzurücken — die Frage, welche an ihn herantrat, als er sich
an den trasimenischen See wandte, war und blieb zu seinem Nach
theile gelöst. Wenn Hannihal von Spoleto cum magna clade zurück
geworfen wurde, so beweist dies wenigstens, dass er ein grosses
Interesse hatte, eine grosse Niederlage zu riskiren, wenn es auch
sehr eigentümlich ist, dass er dem nachrückenden Consul Servilius
auswich, anstatt auch ihn anzugreifen und zu vernichten. Er hatte
doch jedenfalls Ursache sein Heer zu schonen und nichts zu wagen,
wo der Vortheil nicht sicher war.
Nach Peter’s Geschichte Rom’s I, p 38, zog Hannihal wahr
scheinlich über den Pass von Pontremoli in die Gegend von
Lueca, erreichte erst bei Fiesoie wieder festen Roden, schlug
da ein Lager auf, führte sein Heer bei dem römischen vorüber
in das offen liegende Etrurien und nahm endlich seine Richtung
auf Rom zu. Dann führte er sein Heer bei Cortona vorbei und
stellte es auf eine im Süden des trasimenischen See's gelegene Ebene
auf. Die 4000 Reiter des Centenis trafen kurz nach der Schlacht
in der Nähe des Schlachtfeldes ein. Hannibal verfolgte den Plan,
erst die Bundesgenossen von Rom abtrünnig zu machen und dann es
zu vernichten. Eben dieses war auch die Ursache, warum er nach
der Schlacht nicht gegen Rom selbst rückte. Er zog daher — nach
Umbrien und von hier nach einem fruchtlosen Handstreiche gegen
die römische Colonie Spoletium nach Picenum. S. 353.
Wozu Hannibal, wenn er nicht nach Rom ziehen wollte
nach dem durch die Natur selbst so festen Spolelo und dann erst,
Über Hannibal’s Zug nach Etrurien. 217 n. Ch.
21
als er dieses nicht erlangt, nach Picenum zog, wird aus dieser Dar
stellung Niemanden klar werden. — Wohl aber ist begreiflich, dass,
wenn Hannibal den Plan gefasst hatte, auf dem linken Tiberufer nach
Rom zu rücken, wie es früher die Gallier gethan hatten, er Spoleto
nicht im Rücken lassen durfte. Tliat er es dennoch, so musste
er Gefahr laufen, dass Servilius sich dahin warf und ihrn der Rück
zug abgeschnitten wurde. Gewann er aber Spoleto, so hatte er einen
Stützpunkt für weitere Operationen. Er konnte Magazine anlegen,
wozu ihm Umbrien, Picenum und Etrurien die Vorräthe lieferten; er
beherrschte die obere Tiber mit ihren Zuflüssen und sperrte diese
für Rom ab. Er hatte nicht Ursache, den fahrenden Ritter in Süd
italien zu spielen und sich mühsam durch die zahlreichen Colonien
zu winden, welche alle Flussübergänge und Küstenplätze beherrsch
ten. Er konnte den Angriffsplan direct gegen Rom kehren und den
Endzweck erfüllen, wesshalb er vom Norden hereingebrochen war.
Gerade das Beispiel des Pyrrhos, welcher vom Süden kommend,
nichts gegen Rom ausrichtete, konnte Hannibal belehren, den Kampf
mit Rom von der Nordseite zu versuchen. Erst das Missgeschick von
Spoleto, die magna clades, von welcher Livius spricht, bewirkte,
dass Hannibal im weiten Bogen sich nach Apulien wandte, um hier
einen anderen Stützpunkt zu suchen, nachdem er die wichtigste
arx belli, deren Besitz den ganzen Krieg verändert hätte, zuvor mit
aller Heftigkeit bekämpft, aber nicht hatte erobern können. Was
sonst an der Darstellung Peter’s irrig ist, braucht hier nicht weiter
hervorgehoben zu werden.
So stellen sich die folgenden Thatsachen heraus: die Absicht
Hannibal’s bei Eröffnung des Feldzuges von 217 war, die Heeresauf
stellung der Consulen bei Ariminum-Arretium zu umgehen und die
zweite Vertheidigungslinie Rom's unwirksam zu machen. Hiebei
waren mehrere Möglichkeiten vorhanden. Er konnte die Consuln von
Rom absclmeiden und auf dem rechten Tiberufer mit einem ganzen
Feuerstrom gegen Rom rücken. Er konnte die Consuln zum raschen
Rückzuge zwingen. Immer aber war die Hoffnung vorhanden, dem
Einen den Weg zu verlegen, ihn zur Schlacht zu nöthigen, zu ver
nichten, ehe der Andere aus weiter Ferne herbeieilte.
Er umging wirklich die Positionen, als er in hinlänglich weiter
Entfernung von dem am weitesten gegen Westen vorgeschobenen
Flaminius den Apennin überstieg und nun im Wasser fortwatend, an
22
Hofier
jener Stelle herauskam, die ihm die Möglichkeit gewährte, den Einen
Consul, wenn es ihm selbst gefällig wäre, zur Schlacht zu zwingen.
Als aber Hannibal unvermuthet in die Etrusci campi gekommen
war, blieb beiden Consuln nichts anderes übrig, als ihre Stellung
so rasch als möglich aufzugeben, sich auf eine gemeinsame Riick-
zugslinie zurückzuziehen und die Deckung des von Hannibal bedroh
ten Rom's zu übernehmen.
Nun war aber Hannibal durch seinen beispiellos raschen Ein
bruch in Etrurien nicht nur viel südlicher gekommen als Servilius,
sondern auch als Flaminius und hatte er die Wahl, ober sich über Clu-
sium, Vulsinii, die ciminisehen Rerge auf dem rechten Tiberufer nach
Rom werfen, oder ob er die Vereinigung der Consuln hindern wollte.
Er wählte letzteres, stellte sich aber begreiflich nicht an der Nord
seite des trasimenischen Defiles auf, das, wenn er geschlagen wurde,
ihm keine Rückzugslinie bot, sondern an der Südseite, welche dem
Consul keine Entwicklung seiner Streitkräfte ermöglichte, und wenn
er geschlagen wurde, den sicheren Untergang bereitete, ihm selbst
aber den W eg nach Umbrien offen liess. Es handelte sich um einen
Tag, vielleicht um wenige Stunden. Flaminius begriff die Gefahr, in
welcher er schwebte, da er durch HannibaPs Vordringen auf den
Höhen, die das Chianathal westlich umsäumen, und in der Richtung
nach Clusium nur Eine Rückzugslinie mehr besass; Servilius ebenso
die seines Collegen, wesshalb er 4000 Reiter in Eilmärschen diesem
zusandte. Da warf sich Hannibal dazwischen, besetzte den einzigen
Punkt, auf welchem der Rückzug möglich war und nun kämpften die
Römer mit dem Gesichte gegen Rom. Wäre der Consul einen Tag
früher aufgebrochen, vielleicht war der Pass noch frei. So fiel er
und ward sein Heer vernichtet und die 4000 Mann des Proprätors
Centenius ebenso.
Letzteres ist aber von viel grösserer Wichtigkeit, als man die
sem Ereignisse gewöhnlich beilegt. Die Vereinigung der beiden Con-
sularheere war sehr nahe, der Vortrab des Consul Servilius im vol
len Anmarsche begriffen, um sich mit Flaminius zu verbinden. War
letzterer nach Perusia gekommen, so hatte er die Strasse erreicht,
auf welcher sein College herbeizog. Die angebliche Ueberstürzung
des Flaminius, welcher übrigens einen so wichtigen Waffenplatz als
Arezzo war, nicht so geradewohl Preis geben durfte, löst sich in
das Entgegengesetzte auf. Nicht dass er rasch abzog, war sein
Über Hannibal’s Zug nach Etrurien. 217 n. Ch.
23
Fehler, sondern dass er nicht noch rascher Arretium verliess. Man
sieht, dass beide Consuln sich beeilten, sich aus der zweiten Verthei-
digungslinie nach der dritten zurückzuziehen. Dann konnten sie ge
deckt durch Spoletium Hannibal eine Schlacht anbieten; sie hatten
den Rückzug tur den Fall einer Niederlage gedeckt und ward Han
nibal geschlagen, so war er auch verloren. Der Plan des letzteren
aber enthüllt sich durch drei Momente. Erstens dadurch, dass er
dem Flaminius den Weg verlegte, ehe dieser sich mit der Avant
garde des Servilius vereinigen konnte. Zweitens, dass er sich nach
Vernichtung des einen Consulheeres sogleich gegen das zweite wandte
und natürlich das Vorrücken des Servilius, welcher nachher sein
Heer an den Prodictator abgab, aufhielt. Drittens, dass er nun un
aufhaltsam nicht den Weg nach Picenum, sondern nach Rom ein
schlug. Dieser führt über Spoletium. Das war keine blosse Demon
stration; Hannibal war bis zur dritten Vertheidigungslinie Rom's
vorgerückt. Das war das eine Ergebniss der Schlacht am trasimeni-
schen See. Nun auch Spoletium genommen und der wahre End
zweck des Kampfes, des Zuges über Apennin und Alpen enthüllte
sich auch dem blödesten Auge. Jetzt musste erst die Wirkung der
Doppelschlacht einlreten und diese bestand zunächst darin, dass der
Weg nach Rom für Hannibal frei wurde. Er konnte jetzt auf dem Wege
Vordringen, welchen einst die Gallier eingeschlagen. Ein zweiter
dies Alliensis war am Trasimen erfolgt; nur konnte Hannibal nicht
auf eine Flucht der Römer rechnen. Er musste nunmehr an einen
Stützpunkt für seine weiteren Operationen und an eine Rückzugslinie
denken. Erst dann konnte er Rom an seiner schwächst en Seite
angreifen.
Die Schlacht selbst gab Hannibal — einen ungeheuren Tross
an Gefangenen und Beute, die Möglichkeit noch mehr Beute zu
machen und noch mehr Gefangene zu bekommen, aber keinen
Stützpunkt für seine Operationen. Er stürmte vorwärts —
recto itinere, um einen solchen an Spoleto zu gewinnen, daran hing
das Geschick des ganzen Feldzuges. Es musste genommen werden
und wurde doch nicht genommen. Ja es erfolgte eine grosse Nieder
lage (magna clades). Jetzt war es eine Unmöglichkeit, den Stoss
auf Rom zu unternehmen. Der Zug von Spoleto nach Picenum war
ein Rückzug; der Zug nach Spoleto und von da wieder
rückwärts eine sinnlose Operation, wenn er nicht die
24
Höfler, Über Hannibul’s Zug nach Etrurien. 217 n. Ch.
Spitze der ganzen strategischen Operation in sich
schloss. Mochte aber nun auch Picenum verheert werden, die
Stellung Hannibal’s blieb, so lange die Städte sich hielten, eine über
aus bedenkliche. Gelang es ihm nicht die Römer zum Schlagen, die
Städte zum Abfalle zu bringen — und dafür konnte der Senat sor
gen, so war der zweite Theil des Feldzuges ein militärischer Spazier
gang und konnte er sich in Acht nehmen, dass ihm nicht der Rück
zug verlegt werde. Er seihst war jetzt auf auswärtige Hilfe, sei es
von Macedonien, sei es von Spanien oder Afrika, angewiesen. Drei
Siege hatten ihn noch nicht dahin geführt, einen festen Platz in Ita
lien sein nennen zu können. So vortrefflich hatten die Römer Italien
seit Pyrrhos verwahrt. Hannibal aber hlieh jetzt nichts anderes übrig,
als, ohne einen Stützpunkt zu besitzen, wie der König von Epirus
einen an Tarent besessen, den Feldzug wie dieser vom Süden aus
zu führen, wo ihn Rom in einen Festungskrieg verwandeln konnte
und die festeste Defensivstellung besass, welche man sich nur vor
stellen konnte.
Wie sonderbar ist es da anzunehmen, dass Hannibal’s Absicht stets
gewesen wäre, vom Süden aus Rom zu bekämpfen •), während er den
Hauptstoss vom Norden aus unternahm und erst, als dieser misslang,
sich nach dem Süden warf, von dieser Seite aus aber selbst nach
der ungeheuren Niederlage der Römer bei Cannae nicht vorzudringen
wagte. Als er es dennoch that, geschah es später um Capua zu
retten, das im Süden für ihn durch den Abfall der Capuaner geworden
war, was Spoletium im Norden für ihn werden sollte, aber nicht
ward. Immer war das Ziel Hannibal’s Rom und musste es Rom
stets sein. Vor Allem aber als er vom Norden kam. Als er vom
Süden sich gegen Rom aufmachte, war es ein verzweifelter Schach
zug, an dessen Gelingen er, wenn die Römer seit dem Tage von Can
nae nur etwas Vorsicht gelernt halten, selbst am wenigsten den
ken konnte. Aber er hatte wenigstens Rom gesehen und den Ver
such gemacht Capua vor dem entsetzlichen Schicksale zu retten, dem
nun die verrätherische Stadt erlag.
D Auch [hne (römische Gesch. II., S. 182, welche ich erst jetzt benützen kann.)
huldigt, noch dieser Meinung.
Pfizinaier, Die Lösung der Leichname und Schwerter.
25
Die Lösung- der Leichname und Schwerter.
Ein Beitrag zur Kenntniss des Taoglaubens.
Von dem w. M. Dr. A. Pfizmaier.
In den auf die Lehre des Weges bezüglichen chinesischen Wer
ken werden häufig zwei als Glaubenssache und Mittel zur Erreichung
des den Anhängern dieser Lehre vorschwebenden höchsten Zieles
betrachtete Gegenstände erwähnt. Es sind gewisse Umwandlungen,
die durch die Ausdrücke Schi-kiai, „die Lösung der Leich
name“ und jyjlj Kien-kiai, „die Lösung der Schwerter“, be
zeichnet werden. Wie aus den in alten Schriftstellern enthaltenen
Angaben hervorgeht, ist die Lösung der Leichname derjenige Zu
stand, in welchem die Gestalt des Verstorbenen unsichtbar wird und
dieser selbst zu dem Range eines Unsterblichen gelangt. In manchen
Fällen verliert der Leib bloss das Gewicht, oder behält das Aussehen
eines Lebenden. Bei der Lösung der Schwerter bleibt in dem Sarge
an der Stelle des Leichnams ein Schwert zurück, welches erst nach
langer Zeit und bei Gelegenheit von Ausgrabungen gefunden wird.
Anstatt des Schwertes finden sich bisweilen auch Messer, Stäbe,
Tücher und Schuhe. Beide Lösungen sind eine Kunst, welche die
vorgeschrittenen Männer des Weges den begünstigten Jüngern mit
theilen.
Die gelieferte Abhandlung enthält in einer Reihe von Citaten
aus taoistischen Schriftstellern die Darlegung des Wesens der hier
genannten Umwandlungen, sowie Nachrichten von Männern, welche,
in verschiedenen Zeiträumen lebend, eine solche Umwandlung bewerk
stelligten. Hierbei kommen, namentlich in Bezug auf die Lösung der
Schwerter, sehr merkwürdige Einzelnheilen vor, die jedoch, wo von
26
P f i z m a i e r
der für notliwendig erachteten Gestalt der Schwerter die Rede ist,
nicht immer mit der wünschenswerthen Deutlichkeit wiedergegehen
werden konnten. Ausserdem werden in zwei Anhängen, „die Män
ner des Weges“ und „Gehet und Hütung“, einige die Lehre des
Weges überhaupt, zum Theile auch die genannten Lösungen näher
beleuchtende Zusammenstellungen gebracht.
Die Sprache, in der die benützten Quellen geschrieben sind,
ist durch übergrosse Schwierigkeit und Dunkelheit gekennzeichnet,
und konnten bei dem Umstande, dass alle erklärenden Bemerkungen
fehlen, die gebotenen Angaben gewöhnlich erst nach längerem
angestrengtem Nachdenken und mühevollem Forschen verstanden wer
den. Auch die Verwechslung von Schriftzeichen kommt vor, obwohl
nicht immer in einer Weise, dass über die wirkliche Verwechslung
kein Zweifel obwaltete. BeiDunkelheit wurde, was auch sonst meistens
geschah, der wörtliche Sinn genau wiedergegeben, bei zweifelhafter
Verwechslung an der ursprünglichen Bedeutung feslgehalten. In
Bezug auf das Letztere werde beispielsweise angeführt, dass der
öfter gebrauchte Ausdruck Tö-schi „das Zeitalter bemes-
zu den Geschlechtsaltern hin
übersetzen“ stehen könnte. Derselbe wurde indessen wörtlich nach
seiner ursprünglichen Bedeutung erklärt, weil die Zeichenverwechs
lung nicht erwiesen ist und selbst ein Irrthum minder erheblich als
in dem anderen Falle sein würde.
Die Lösung der Leichname.
Die Überlieferungen von dem wahren Menschen des Geschlech
tes Wang von der westlichen Feste sagen:
Bei dem Wege der Lösung und Verwandlung geschieht es,
dass der Leichnam nicht im Stande ist, sich zugleich mit dem Geiste
zu verwandeln.
Das obere Buch des kostbaren Schwertes sagt:
Bei der Weise der Lösung der Leichname geschieht es, dass
man stirbt und wieder zum Leben kommt. Es geschieht, dass das
Haupt abgehauen ist und von einer Seite zum Vorschein kommt.
Es geschieht, dass die Gestalt vorhanden ist, aber dass die Knochen
fehlen.
Die Lösung (1er Leichname und Schwerter.
27
Die Lösung der Leichname ist eigentlich die Läuterung und
Häutung der Wahren. Sie ist der verborgene Übertritt der fünf
Arten. Ist es auch die niedrigste Stufe unter den Classen der Un
sterblichen, was man zum Geschenk erhält, ist ebenfalls nicht gering.
Es ist, was man nennt: in Verborgenheit umkreisen die drei Lichter,
am hellen Tage auf trockenem Boden versinken. Diejenigen, welche
die niedrigste Lösung der Leichname üben, können nicht zurück
kehren und vor Augen haben ihre Heimath. Dieses Letztere nennt
man den Weg der höchsten Lösung. Ihre Namen leisten Gesell
schaft den purpurnen Schrifttafeln, die drei Obrigkeiten dürfen nicht
wieder bemessen deren Unvollkommenheiten und Mängel. Haben sie
es auch erlangt, dass sie sich verbergen, dem Zeitalter entweichen,
ihr Sinn ist nicht zufriedengestellt. Sie dürfen überdies nicht zurück
kehren in ihre Heimath, sie lustwandeln und setzen sich nieder ohne
Bestimmung.
Wenn man Kugeln einfach unter das Wasser mengt und es
trinkt, wenn man ferner Pflanzenbüschel in die Arme nimmt und sich
niederlegt, so wird man verletzt und stirbt in dem leeren inneren
Hause. Dieses nennt man die Lösung der Waffen.
Die höchsten Classen sind nur die gereihten Darlegungen der
acht Ungeschmückten. Sie nehmen in Empfang, aber sie handeln nicht.
Die übrigen lösen sich am hellen Tage mit den Leichnamen. Sie
bringen es dahin, dass sie fliegende Unsterbliche werden.
Die verborgenen Entscheidungen der steigenden Wahren
sagen:
Die mit den Leichnamen sich lösen, sind Menschen, die zur
Zeit ihres Todes vielleicht in Folge Zerschneidens durch Schwerter,
Waffen, Wasser, Feuer und schmerzliche Dornen ihr Geschlechts
alter nicht fortsetzen. Nachdem sie gestorben, gelingt es ihrem
Geiste, zu übersiedeln und wegzuziehen, jedoch ihre Gestalt ist nicht
im Stande, sich zu entfernen.
Tung-tschung-khiü war ein Eingeborner von Hoai-nan. In
seiner Jugend gebrauchte er die Luft und läuterte die Gestalt. Mit
28
P f i z m a i e r
hundert Jahren war er nicht gealtert. Er wurde gewöhnlich unge
rechter Weise beschuldigt und in dem Gelangnisse gebunden. Sein
Leichnam löste sich, und er verschwand als Unsterblicher.
Tsang-ping-ke stammte aus Pei. Er war ein Kriegsmann aus der
Zeit des Kaisers Kao-tsu von Han. Zu den Zeiten des Kaisers Kuang-
wu war er noch nicht gealtert. Später löste er sich mit dem Leich
name und verschwand.
Die Meldungen der Wahren sagen:
Ku-hoan führte den Jünglingsnamen Yuen-ping und stammte aus
der Provinz U. In dem Zeiträume Yung-ping >) von Tsi (508 bis 511
n. Chr.) starb er auf dem Berge Jen und wurde in Yen-kuan, in der
Gasse Yö-fu begraben. Bäume wuchsen neben einander und in Ord
nung auf dem Grabe. Der Befehlshaber des Districtes bezeichnete in
dem Grundrisse von Kiang-schan die Gestalt. Hoan löste sich mit dem
Leichname und verschwand.
Sin-yuen-tse führte den Jünglingsnamen Yen-khi und stammte
aus Ting-ko in Lung-si. Derselbe liebte den Weg. Er ging und über
setzte die Furt der langen Brücke in Thsin-tscheu. Dabei ertrank
er in dem Wasser. Er löste sich und verschwand von dem Orte.
Tschang-tsu-tschang stammte aus Peng-tsching. Zu den Zeiten
von U kam er aus Norden und zog in ein inneres Haus der Tiefen
des Fang-schan. Er fiel von einem Wagen, dem er die Gestalt anver-
traute. Er verbarg sich, verwandelte sich in dem dunklen Amtsge
bäude und betrieb das Geschäft der Bewachung des Einzigen.
Lieu-ping-hu hat keinen Namen und keinen Jünglingsnamen.
Gegen das Ende der Zeiten von Han war er Ältester von Ping-hu in
Kieu-kiang. Er übte die Kunst eines Arztes und hatte dabei Ver
dienste und Tugenden. Er kam bei den Krankheiten und Kümmer-
*) Yung-ping isl eigentlich ein Zeitraum des Hauses Wci.
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
29
nissen der Menschen zu Hilfe, als ob es seine eigene Krankheit wäre.
Auf einer Wanderung begegnete er dem unsterblichen Menschen
Tscheu-tsching-schi, der ihm den Weg des verborgenen Daseins über
gab. Indem er in einem inneren Hause der Tiefen des Fang-schan
wohnte, gebrauchte er die göttliche Luft der Sonne und des Mondes.
Sein Aussehen war sehr jugendlich. Später löste er sich mit dem
Leichname und verschwand.
Wer die grosse Mahnung empfängt, stirbt. Er vernichtet das
Mass, läutert den Geist. Nach oben ersetzt er die Obrigkeiten des
Himmels. Dieses nennt man die Lösung des Leichnams.
Ist ein Mensch gestorben, und man sieht deutlich, dass seine
Gestalt gleich derjenigen eines lebenden Menschen, sieht man, dass
seine Füsse nicht grün sind, seine Haut nicht gerunzelt, sein Auge
glänzend und nicht eingefallen, in allen diesen Fällen ist eine Lösung
des Leichnams. Wer am hellen Tage mit dem Leichname sich löst,
ist ein Unsterblicher. Es ist dieses nicht die Weise der Lösung der
Leichname, es wurden Arzneien angewendet. Diejenigen, welche die
Lösung des Leichnams erlangen und nicht die lösenden und verwan
delnden unter den reingeistigen Kugeln anwenden, dürfen nicht in
ihre Heimath zurückkehren, die drei Obrigkeiten halten sie fest.
Wenn man am hellen Tage verschwindet, so nennt man dieses die
höhere Lösung des Leichnams. Wenn man um Mitternacht ver
schwindet, so nennt man dieses die niedere Lösung des Leichnams.
Diejenigen, die an der Grenze des Abends verschwinden, nennt man
die Vorgesetzten unter der Erde.
Die Hefte der vier Darlegungen des Schriftschmuckes der Ru
binen sagen:
Wer das mittlere Buch der neun Wahren erlangt, löst sich mit
dem Leichname am hellen Tage. Einige sagen : Er wandelt im Fluge,
sein Vorübergehen mit Flügeln ist leicht.
Die Hefte der sechs Darlegungen des Schriftschmuckes der
Rubinen sagen:
Das reingeistige Buch, die Unsterblichkeitspflanze, oder das
kostbare Buch der fünf Greise, wer sie besitzt, löst sich mit dem
Leichname.
30
P f i z in a i e r
Die Überlieferungen von göttlichen Unsterblichen sagen:
Kiai-siang führte den Jiinglingsnamen Yuen-tsi und stammte aus
Kuei-ki. Der frühere Vorgesetzte von U schätzte ihn sehr hoch. Er
sagte gewöhnlich zu ihm: Gebieter von Kiai. Siang trachtete fort
während, wegzukommen. Der frühere Vorgesetzte gab ihm kein Ge
hör. Siang meldete sich krank. Der frühere Vorgesetzte liiess die
Leute seiner Umgebung ihn mit einem Kästchen schöner Birnen be
schenken. In kurzer Zeit löste sich Siang mit dem Leichname und
verschwand.
Die Königin Ngan von den neun Blumen des oberen Palastes
des purpurnen Reinen sagte zu dem Gebieter von dem Geschlechte
Yang: Du kannst suchen den Weg der gelösten Schwerter, aus-
iiben die Kunst des glücklichen Endes, ganz zu Wege bringen die Zu
sammenkunft des Hervortretens und Schweigens, die Fussspuren der
Verborgenheit und Öffentlichkeit.
Kö-yuen führte den Jiinglingsnamen Hiao-sien. Er schloss sich
an Tso-thse und empfing die Bücher der neun Mennigrothen und des
Goldsaftes. Er gebrauchte gewöhnlich als Lockspeise die Bergdistel.
Er sagte zu seinem Schüler Tschang-fung: Ich werde mit dem Leich
name mich lösen und verschwinden. Am zwölften Tage des achten
Monats wird die Zeit gekommen sein. — Als die bestimmte Zeit kam,
legte sich Yuen angekleidet und mit der Mütze bedeckt nieder. Er
hatte keinen Athem, aber sein Aussehen blieb unverändert. Er löste
sich mit dem Leichname und verschwand.
Sie-yuen, genannt Hu-kueng, stammte aus Li-yang. Fci-tschang-
fang nahm ihn zu seinem Lehrmeister. Der Wegmann Li-I-khi ver
schwand zu einer Zeit mit seinen beiden Schülern. Nach Jahren ereig
nete es sich, das Tschang-fang und die beiden Schüler sich verbargen,
lösten und verwandelten.
Pao-tsing führte den Jiinglingsnamen Tai-yuen und stammte aus
Lang-ye. Der Gebieter von dem Geschlechte Yin, der Vater der Gattin
Die Lösung 1 der Leichname und Schwerter.
31
Kö-hung’s, eines Zeitgenossen des Kaisers Ming von Tsin, übermit
telte seine Lösung der Leichname und das Verschwinden. Er erklärte
es einmal und sagte: Tsing ist der Nachkomme Pao-siuen's, eines
Eingebornen von Schang-thang und Vorstehers derSchaaren zu den
Zeiten von Han. Er ordnete sich selbst, bildete seine angeborenen
Eigenschaften. Uber siebzig Jahre alt, löste er sich und verschwand.
Ein gewisser Siü-ning diente Tsing als seinem Lehrer. Ning hörte
nächtlich in dem inneren Hause Tsing’s den Ton von Cithern, und er
fragte desshalh. Jener antwortete: Ki-schö zeigt in der Nacht die
Fussspuren auf dem östlichen Markte, und er löst sich nur in Wirk
lichkeit als Waffe.
Das Huch der Erhebung von Tsin sagt:
Kö-hung eilte zu dem Keu-Iiü und befahl, weiter zu ziehen. In
Kuang-tscheu angelangt, blieb sein stechender Vermerker Teng-tai
zurück und achtete nicht auf den Befehl, sich zu entfernen. Hung
nahm jetzt seinen Aufenthalt in dem Gebirge Lo-feu und gebrauchte
geläutertes Mennigroth. Nach Jahren übergab er Tai plötzlich ein
Schreiben, worin er ihn weit fortgehen und Arzneien suchen hiess. Als
Tai das Schreiben erhielt, ging er sogleich fort und trennte sich, allein
Hung war bereits verstorben. Mit ein und achtzig Jahren war sein
Aussehen so, wie es in seinem ganzen Leben gewesen. Als man ihn
in den Sarg legte, war dieser leicht wie ein leeres Kleid. Sein Leich
nam löste sich und verschwand.
Die Überlieferungen von dem Lernen des Weges sagen:
U-meng führte den Jüngsnamen Yün-schi. Er besass die Kunst
des Weges. Yü-liang hörte von seinen göttlichen Vorzügen und liess
ihn mit grossem Gepräge abholen. Bei der Ankunft in Wu-tschang ver
langte Meng, dass man ihn heimkehren lasse. Er verabschiedete sich,
weil die Rechnung zu Ende sei und bat, den Sarg zu bereiten. Der Fürst
des Geschlechtes Yü bedauerte Ihn. Er brach sofort mit dem Tage
auf und schickte ihn dahin. Jener war noch nicht bis auf fünfzig
Weglängen zu dem Hause vorwärts gekommen, als er verschied.
Seine Gestalt war gleich der eines Lebendigen.
Wenn auf den sechs Wegen noch nicht verkehrt wird, wenn
dasjenige, was man einfach gepflanzt hat, noch wenig ist, so tritt
man in die mittlere Classe und hat die Zurückgezogenheit und die
32
P fiz m s ier
Veränderung der Lösung des Leichnams. Wenn man von hier abwärts
steigt, so ist es richtige Anwendung, erhabenes Verdienst. Ist das
Handeln seicht und mangelhaft, so tritt man auf die Stufen. Über
windet man auf den niederen Stufen, so vernichtet man das Mass
und wird wieder lebendig. Nachdem man wieder lebendig geworden,
übt man den Weg, folgt den Verdiensten, seien es viele oder wenige.
Dann erst wird man des Weges theilhaftig.
Das Buch des Edelsteines Lang von dem grossen Hagel des
grossen Höchsten sagt:
Wer die höchste Weise des Lernens übt, tritt seiner Zeit in die
Wälder des Gebirges und gebraucht als Lockspeise reingeistige
Arzneien. Er benützt die Anlässe, entspricht dem Vorübergehenden.
Liegt er auch zu Boden und löst sich sein Leichnam, ist der über
einstimmende Glanz doch in dem Zeitalter geachtet. Der grosse
Unterschied zwischen ihm und dem Zeitalter ist: Er hat keinen
inneren und keinen äusseren Sarg, er staubt ah die Höhe der Flächen
der Berge, er fegt den niederen Grund der tiefen Bäume, die ein
fache Hülle überdeckt die Erde.
Die Classen der grossen Wahren des grossen Höchsten sagen:
Opfert man den Vorfahren, so soll man wissen, ob sie heim
kehren werden oder nicht. Haben sie Verdienste und Tugenden, er
stiegen sie das Mass, erlangten den Weg, sind die Söhne und Enkel
menschlich und elternliebend, so verwandeln sie ihre Gestalt, kommen
und lustwandeln an dem Orte, wo das Opfer aufgestellt ist. Dies
ist ebenfalls eine Art der Lösung der Leichname.
Die Überlieferungen von dem höchstweisen Gebieter der gol
denen Thorwarte sagen:
Der purpurne Schriftschmuck des reingeistigen Buches heisst
auch: Das kostbare Buch der fünf Greise. Wer es besitzt, löst sich
mit dem Leichname. Wer nach ihm handelt, vollendet den Weg.
Die Überlieferungen von dem grünen Jüngling des östlichen
Meeres sagen:
Das Buch der Thorwarte der beschützenden Tiefen sagt: Die
ursprüngliche höchste Classe des Beingeistigen der Wolken, wer sie
besitzt, dessen Leichnam löst sich am hellen Tage.
Das Buch Pao-po-tse sagt:
ln dem Walde des Weges finden sich die Beglaubigungsmarken
für fünf Arten der Lösung der Leichname. Gegenwärtig enthalten
Die Lösung* der Leichname und Sehwerter.
33
die Befglaubigungsmärkeri Yin-seng's von dem grossen Ursprünglichen
in dieser Beziehung eine Lösung, welche die Lösung durch
Krankheit.
Die Überlieferungen von Unsterblichen sagen:
Ning-fung war zu den Zeiten des gelben Kaisers der Richtige der
Töpfergeschirre. Er verbrannte sich durch Feuer und stieg, dem
Rauche folgend, aufwärts und abwärts. Die Meldungen von den Wah
ren sagen: Der Beflissene von dem Geschleckte Ning gebrauchte
das Steinhirn und zerging in Feuer. Er bewerkstelligte somit die
Lösung durch Feuer.
Sse-ma-ki-tschü war ein Zeitgenosse des Kaisers Wen von Han.
Er empfing den von Si-ling-tse-tu herrührenden Weg der Lösung als
Schwert. Er lebte auf dem Berge der herabgelassenen Flügel und
hatte einen grossen Palast. Er gebrauchte die Blumen des hellen
Mennigroths, das Sonnenlicht des umfassenden frühen Morgens. Sein
Aussehen war gleich dem eines Mädchens, sein Haarschopf hatte in
der Länge drei Schuh. Er hatte einen Sohn Namens Fä-yo, eine
Tochter Namens Thsi-hoa. Sie erlangten zugleich den Weg. Die
Meldungen von Wahren sagen: Ki-tsclui gebrauchte das geistige
Pulver. Er stieg schwimmend empor, und es war als ob Haupt und
Füsse sich an verschiedenen Orten befänden. Hierbei spricht man
von der Bewerkstelligung der Weise der Lösung als Schwert und
Waffe. War die Lösung als Waffe, so gelang es ihm nicht, sich hei der
grossen Gipfelung zu befinden. Allein seine Tochter liest noch immer
das Buch der Tiefen. Sofort übte sie noch besonders die hohe Weise.
Tu-ki-kuang-ping stammte aus dem Kreise der Mutterstadt. Im
Anfänge des Zeitraumes Kien-ngan (196 bis 220 n. Chr.) kam er
nach Kiang-tung und hielt sich an Sün-tsl. Später begegnete er dem
Frühgebornen Kiai-yö. Dieser übergab ihm die Kunst Scheu-yuen-
pe’s, und er wohnte verborgen im Osten des Berges Tai-miao. Sclieu-
yuen-pe verstand es, mit der Gestalt sich zu verbergen, er zeigte auch
mehrmals den Leib. Kiai-yö war der Schüler des Fürsten des weissen
Schafes. Derselbe befindet sich gegenwärtig auf dem Fang-schan in
Sitzb. d. pliil.-hist. CI. LXIV. Bit. I. Hft. 3
34
P f i l m a i e r
Kien-ngan. Yo war durch Sün-kiuen getödtet worden. Er verwandelte
sich durch Lösung und verschwand.
Ngao-lo-hoa war eine Unsterbliche. Ihre Züge waren regel
mässig. Zu den Zeiten des Kaisers Mo von Tsin, im dritten Jahre
des Zeitraumes Sching-ping (3S9 n. Chr.), in dem Jahre I-wi (Ö9),
an dem zehnten Tage des eilfteu Monats stieg sie herab zu dem Hause
Yang-kiuen's. Sie seihst sagte, sie stamme aus Nan-schan. Kiuen
führte den Jünglingsnamen Tao-hiö und war der Grossvater Yang-
liin's, aufwartenden Leibwächters des gelben Thores zu den Zeiten
des Kaisers Kien-wen von Tsin. Kiuen und Hin übten gründlich den
Weg, sie beschränkten das Begehren und den ursprünglichen Ge
schmack. Die Wahre Lo-hoa sagte: Wenn die den Weg übenden
Männer Ehren und Würden betrachten wie vorübergehende Gäste,
Gold und Edelsteine betrachten wie Dachziegel und Kies, so erreichen
sie das lange Leben. — Sie übergab bei diesem Anlasse Kiuen die Weise
der Lösung der Leichname. Dieser verbarg ebenfalls den Schatten,
verwandelte sich und verschwand.
Die vornehme Frau des Geschlechtes Waug von Tschung-heu
empfing von Tsin-tschu, dem Sohne ihres älteren Bruders, den Weg
des Fliegens, des Lösens und des Entkommens aus den Netzen.
Tsai-thien-seng stammte aus Schang-kö. In seiner Jugend ver
kaufte er Wohlgeriiche jenseits des freien Feldes. Er war von Ge-
müthsart menschlich und gütig. Auf dem Wege begegnete er der jüng
sten Tochter des Flussgottes, die von ihm Wohlgerüche erhandelte.
Thien-seng nannte sie ein ungewöhnliches menschliches Wesen, ver
beugte sich zweimal und reichte ihr Wohlgerüche und Feuer. Die
jüngste Tochter lehrte ihn jetzt die Art und Weise, dem Himmels
kaiser und dem Erhabenen der Edelsteine zu huldigen. Er löste sich
mit dem Leichname und verschwand. Er hat das verborgene Dasein
auf der Erdstufe der Heilmittel.
Die Lösung- der Leichname und Schwerter.
35
Han-thsung führte den JünglingsnamenTschang-ki und stammte
aus der Provinz U. Er war ein Zeitgenosse des Kaisers Ming von
Han. In seiner Jugend liebte er den Weg. Wang-wei-yuen, der un
sterbliche Mensch des Daches des Waldes, hatte ihm eine Vorschrift
über das Mennigroth der fliessenden Perlen übergeben. Thsung
nahm es in Empfang und übte es. Er fand die vollkommene Bestäti
gung. Später übergab ihm Wei-yuen die Weise des Verbergens, der
Lösung und des Verschwindens. Jener trat in das Gebirge Ta-lm,
bemass das Zeitalter und wurde der mittlere Aufseber der Ordnung
zur Rechten.
Die Erklärung der Thaten von Han sagt:
Als Li-schao-kiiin verschwinden sollte, träumte dem Kaiser Wu,
dass er mit ihm zugleich einen hohen Berg bestieg. Er sah einen
Gesandten, der sich auf den Befehl des grossen Einzigen berief und
Schao-kiün einlud. Als er erwachte, sagte er zu den Leuten seiner
Umgebung: Schao-kiün wird verschwinden. — Nach einigen Tagen
erkrankte Schao-kiün wirklich und starb. Er löste sich und ver
schwand.
Das rothe Buch der geistigen Kostbarkeiten sagt:
Die Beglaubigungsmarke der Edelsteine der drei Ursprünglichen
ist mit den fünf Heften der geistigen Kostbarkeiten und dem Schrift
schmucke der Wahren ein und dasselbe. Sie ist aus der Hauptstadt
des grossen Ursprünglichen, aus dem oberen Palaste des purpurnen
Unscheinbaren auf dem Berge der Mutterstadt der Edelsteine hervor
gegangen. Diese Schrift bannt die Zahl der neunhundert und sechs
bedrohlichen Zusammenkünfte des Yang, ermisst den Leib des Lernen
den. In der ursprünglichen Hauptstadt ist dieses Buch vorhanden.
Wer mit ihm den Gürtel behängt, bringt es dahin, ein Höchstweiser
zu werden, er huldigt nach oben dem grossen Reinen. Wenn seine
Verdienste und Tugenden noch nicht voll sind, gelingt es ihm sofort,
sich mit dem Leichname zu lösen.
Die Überlieferungen von dem Gebieter des Geschlechtes Lao
sagen:
Die fünf Steine t) der neun Wahren dringen täglich alshald in
das grosse Yin. Wessen Gewalt diejenige der drei Obrigkeiten über-
trifift, erlangt erst die Weise der obersten Lösung.
O Die fünf Steine sind fünf feilende Sterne.
3*
3(5
P f i l in Hier
Der Fürst des purpurnen Yang überlieferte die der westlichen
Feste entstammende Weise der Lösung als Schwert. Wer sie übt und
von dem Gürtel herabhängen lässt das göttliche Schwert durch sieben
Jahre, ferner die Beglaubigungsmarke des hellrothen Buches, der löst
sich, verwandelt sich und verschwindet. Wenn er das fliegende Rein
geistige des gekrümmten frühen Morgens sich zur Aufgabe macht, so
ist er auf der Stelle fähig, sich zu verändern, sich zurückzuziehen, sich
zu verbergen und zu verwandeln. Das Tai-yl schickt die kostbaren
Kleider des glücklichen Glanzes und kommt ihm entgegen.
Wang-yuen führte den Jünglingsnamen Fang-ping. Er sah die
Knochen Tsai-king’s uud bemerkte, dass er sich mit dem Leichname
lösen werde. Auch verkündete er ihm Worte des Versprechens.
Fang-ping trug eine Mülze des fernen Lustwandeins, hellrothe
Kleider, eine Tasche des Tigerhauptes, ein fünffärbiges breites Band
und an dem Gürtel ein Schwert. Er hatte einen gelben dünnen Bart
und war ein Mensch von mittlerer Gestalt. Er fuhr auf einem Flügel-
wagen, bespannt mit fünf Drachen. An dem Gürtel mit dem breiten
Baude von verschiedener Farbe trug er vorwärts und rückwärts ein
Abschnittsrohr mit. Wimpeln und stieg mit Fahnen von dem Himmel
herab. Alsbald zog er dahin und besuchte den Vater und den älteren
Bruder King's. Bei diesem Anlasse entsandte er Leute und Hess die
Muhme von dem Geschlechte Ma herbeirufen. Die Muhme meldete, dass
sie früher eine höchste Verkündung erhalten habe, der gemäss sie
nach Fung-lai gehen solle. Sie werde jetzt alsogleich gehen, und sie
wünsche, dass mau, wenn sie zurückgekehrt sein werde, sich noch
nicht entfernt habe. Auf diese Weise vergingen zwei Stunden, als
man hörte, dass die Muhme von dem Geschlechte Ma ankomme.
Man hörte zuerst das Geräusch von Menschen und Pferden, die sie
begleitenden Obrigkeiten waren die Hälfte derjenigen Yuen’s.
Als die Muhme ankam, ward sie von dem ganzen Hause King's
ebenfalls gesehen. Sie war ein stattliches Mädchen von derBegabung
der Jahre. Sie hatte eine Haarnadel auf den Scheitel gesteckt und
einen Haarschopf gebildet. Das übrige Haupthaar hing lose bis zu den
Lenden herab. Ihre Kleider batten bunten Farbenschmuck, uud auch
dasjenige, was kein goldgestickter Seidenstoff oder buntes Stickwerk
war, blendete durch farbigen Glanz das Auge auf unbeschreibliche
Die Lösung der Leichname lind Schwerter.
37
Weise. Dies alles war in dem Zeitalter nicht zu sehen. Sie trat ein
und verbeugte sich vor Yueu. Yuen erhob sich vor ihr und blieb
stehen. Er reichte einem Jeden die tragbare Küche. Bei dem Gange
des Dörrfleisches sagte er, es sei Dörrfleisch von Einhorn. Yuen ent
fernte sich. Die Eltern King’s wunderten sich und fragten im vertrau
lichen Wege King. King sprach: Der Gebieter von demGeschlechte
Wang lebt gewöhnlich auf dem Berge Kuen-liin. Von dort begibt er
sich zu demLo-feu und anderen Bergen. Auf dem Berge befinden sich
Paläste und innere Häuser. Wenn der Gebieter von dem Geschlechte
Wang ausziehf, besteigt er bloss ein gelbes Einhorn, und er hat zehn
aufwartende Menschen. So oft er eine Reise unternimmt, ziehen ihm
die Götter der Berge und des Meeres entgegen, verbeugen sich und
melden sich zum Besuche.
Yuen übergab einst Tsehin-yö ein Schreiben. Dieses Schreiben
war auf das Grosse und Ganze gerichtet und dabei ungekünstelt.
Früher wusste Niemand, dass Fang-ping mit Namen Yuen heisse.
Bei diesem Atdasse erfuhr man es. Der Mann von dem Geschlechte
Tsehin bewahrte die Handschreiben des Gebieters von dem Geschlechte
Wang, mit einem Verzeichnisse versehen, in einem kleinen Kästchen.
King löste sich später mit dem Leichname und verschwand.
Tschang-wei-tse war die Tochter Tschang-king’s, eines als
grosser Zimmermann auftretenden Heerführers des Kaisers Tschao
von Han. Wei-tse liebte den Weg und erreichte es, dass sie mit dem
Leichname sich löste und verschwand.
Ki-tse-hiün war ein Eingeborner von Tsi. Unter den Menschen
wusste keiner, dass er den Weg besitze. In der Gässe seines Bezirkes
zeigteerin seinem Wandel Treue und Anspruchslosigkeit. Nach Jahren
waren die Züge seines Angesichts nicht gealtert. Die Menschen folgten
ihm endlich, sahen aber nicht, was er gewöhnlich als Lockspeise ge
brauchte. Er liebte reine Gespräche, wohnte immer abgeschlossen
und las die Verwandlungen. Die Schriftstücke, die er verfasste,
hatten Sinn und Weise. Die vornehmen Menschen der Mutterstadt,
die von ihm hörten, fanden sich ohne Ausnahme getäuscht. Sie mel
deten sich zum Besuche und wollten ihn sehen, konnten dies aber
38
P f i z m a i c r
nicht bewerkstelligen. Später traf es sich, (lass er zufällig bei dem
Thore heraustrat. Die vornehmen Menschen, Mütze an Mütze und
Wagendach an Wagendach, versperrten den Weg, die Beflissenen
hatten Reden bereit. Da traf es sich, dass er hinweggezogen war.
Es war der Mann, der auf dem östlichen Feldwege einen Esel ritt.
Alle verfolgten ihn auf flüchtigen Pferden, aber sie erreichten ihn
nicht.
Tse-hiiin gelangte in das Haus des Fürsten von Tschin und
sagte: Ich werde morgen mich entfernen und nicht mehr zurück
kehren.— Der Fürst von Tschin übermittelte ihm ein einfaches Kleid
von Flachsleinwand. Als die Zeit kam, starb Tse-hiün. Er verwan
delte sich durch Lösung und verschwand als Unsterblicher.
Yin-tschang-seng stammte aus Sin-ye. Zu den Zeiten der spä
teren Hau befasste er sich in der Gasse Tsi ausschliesslich mit der
Kunst des Weges. Er hörte, dass Ma-miug-seng den Weg der Bemes
sung des Zeitalters erlangt habe, und er ging ihm entgegen. Ming-seng
liess sich bloss an den Abenden mit ihm besonders in hohe Gespräche
ein, erörterte die Dinge des gegenwärtigen Zeitalters und die Geschäfte
des Ackerbaues. Auf diese Weise vergingen zehn Jahre, undTschang-
seng löste sich nicht. Die zwölf Menschen, die mit ihm zugleich Ming-
seng dienten, kehrten sämmtlich nach Hause. Bloss Tschang-seng ver-
ehrteMing-seng immer mehr und sagte: Du hast gewiss den Weg erlangt.
— Jener trat jetzt mit ihm in das Gebirge der grünen Feste und über
gab ihm das Buch des göttlichen Mennigrothes des grossen Reinen.
Das Mennigroth wurde zu Stande gebracht, und Tschang-seng ver
schwand als Unsterblicher. Er veröffentlichte ein Buch in neun Hef
ten, worin er sagt: Der Unsterblichen des hohen Alterthums sind viele.
Bloss seit der Erhebung von Han sind es fünf und vierzig Menschen.
Die unmittelbar auf mich folgen, sind sechs. Dreissig Menschen
lösten sich mit den Leichnamen, die Übrigen verschwanden am hellen
Tage als Unsterbliche.
Die eigene Einleitung des Gebieters von dem Geschlechte
Yin sagt:
Im ersten Jahre des Zeitraumes Yen-kuang von Han (122 n.
Uhr.) empfing der Sohn des aus Sin-ye stammenden Sehan-pe die
iimschränkenden Entscheidungen des göttlichen Mennigrothes des
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
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Gebieters der Unsterblichen. Nachdem er den Weg zu Stande ge
bracht, entfernte er sich aus dein Zeitalter und übermittelte das Buch
den berühmten Bergen. Der Gebieter von dem Geschlechte Yin zer
riss jetzt das Buch des abgeschriebenen Mennigrothes des gelben
Ungeschmückten. Über einen Tlieil machte er einen Umschlag von
gestreiften Steinen und hinterlegte ihn auf einem hoben Berggipfel
des Sung. Einen anderen Theil batte er auf das Pech der Schrift
tafeln von gelber Weide geschrieben. Er machte darüber einen Um
schlag von grünem Edelstein und legte ihn auf dem grossen blumigen
Berge nieder. Einen Theil hatte er geschrieben, indem er ihn in
Schrifttafeln von gelbem Golde ritzte. Er machte darüber einen Um
schlag von weissem Silber und legte ihn offen auf dem geradlinigen
Berge von Schö nieder. Einen Theil hatte er auf dicken Atlas ge
schrieben. Er bildete daraus ein Heft und übermittelte es seinen
Schülern. Erbewirkte, dass sie von Geschlechtsalter zu Geschlechts
alter etwas haben sollten, das sie überlieferten und übermittelten. Er
veröffentlichte ferner Gedichte in drei Heften, durch welche er das
Zukünftige bedeutete.
Der unsterbliche Fürst von dem Geschlechte Tsching hiess mit
Namen Wu-ting und war in Kuei-yang geboren. Zu den Zeiten der
späteren Han war er ein kleiner Angestellter des Districtes. Er war
ein Mann von wenig Worten, grosser Erwägung und war vielseitig
in den richtschnurmässigen Büchern bewandert. Im Lernen folgte er
nicht dem Meister. Wo man ihm etwas mittheilte, hatte er eine selbst
tätige Gemütsart. Um die Zeit wurde er früher in die Mutterstadt
geschickt. Er reiste über Tschang-scha zurück. In der Provinz batte
man die Posthäuser beseitigt, und er konnte nichteinkehren. Er über
nachtete demnach im freien Felde. Plötzlich hörte er auf einem Baume
die Worte von Menschen, welche sagten: Wende dich nach Tschang-
scha und erhandle Arzneien. — Als es Tag wurde und er hinblickte,
waren es zwei weisse Störche. Der unsterbliche Fürst wun
derte sich darüber. Er begab sich sofort dahin und erhandelte
Arzneien. Er sah zwei Menschen, die einen Hut aufgespannt batten
und einer hinter dem anderen gingen. Sie sagten zu dem unsterbli
chen Fürsten: Du sollst es bloss dahin bringen, ein Unsterblicherder
40
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Erde zu werden. — Hiermit liiessen sie ihn heimkehren. Der unsterb
liche Fürst erkrankte und starb. Er löste sich mit dem Leichname.
Lung-pe-kao ist derjenige, von dem Ma-yuen, zu den Zeiten der
späteren Han Heerführer von Fö-po, in der Ermahnung an die Söhne
seines älteren Bruders sagte, dass die Vortrefflichkeiten dieses Men
schen etwas seien, das man zum Muster nehmen könne. Pe-kao schloss
sich später an den unsterblichen Menschen Tiao-tao-lin und empfing
die Weise, die Luft der Leibesfrucht zu gebrauchen. Er empfing ferner
den Gebrauch des Heilmittels des Rahenreises. Er begab sich in
Trunkenheit hinweg und wohnte auf der Erdstufe der Heilmittel. Er
nahm den Gebieter der bestimmenden Schrifttafeln zu seinem Lehr
meister. Pe-kao hiess mit Namen Scho und stammte aus dem Kreise
der Mutterstadt. In dem Zeiträume Kien-wu von Han (25 bis 55 n.
Chr.) war er Ältester von Sien-tu und brachte es bis zu einem Statt
halter von Ling-ling. In dem strengen Schreiben, durch welches Ma-
yuen die Söhne seines älteren Bruders ermahnt, heisst es: Lung-pe-
kao ist gesetzt, ernst und umsichtig. In dem Munde führt er keine
gewählten Worte. Er ist bescheiden, gemässigt, sparsam, uneigen
nützig, besorgt um das öffentliche Wohl und besitzt Ansehen.
Ich liebe ihn, ich schätze ihn hoch, es ist mein Wunsch, dass ihr ihn
nachahmet.
Die Gattin Tsching-wei’s, Leibwächters des Thores der Bestel
lung zu den Zeiten von Han, welche den Weg erlangte, war fähig,
die Veränderungen und Verwandlungen zu durchdringen. Wei drängte
sie und trachtete nach der Kunst. Die Gattin überlieferte sie nicht.
Er hörte nicht auf, sie zu drängen. Die Gattin ward in die Enge ge
trieben und starb. Sie löste sich mit dem Leichname und verschwand.
Die inneren Überlieferungen von der vornehmen Frau des Ge
schlechtes Wei von der südlichen Berghohe sagen:
Wang-tse-teng, der wahre Mensch des reinen Leeren, kam mit
dem Gebieter, dem grünen Jüngling der östlichen Blumen, herabge
stiegen. Sie übergaben der vornehmen Frau, was sie nannten: eine
Gabe des göttlichen Pulvers des weissen Arztes der verborgenen
Übersiedelung. Sie gaben ihr ferner die die Gestalt verwandelnden
geistigen Kugeln des Goldes des Reingeistigen der weissen Steine.
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
41
Sie hiessen sie dieses augenblicklich gebrauchen. Sie sagte, dass sie
sich übel befinde und nicht fortgehen könne. Es wurde eine gewisse
Zeit bestimmt, zu der sie sich im Süden des mennigrothen Erdhügels,
auf dem Berge Yang-lö in dem Palaste von Lö-yang gemeinschaft
lichen treffen sollten. Nachdem sie ausgeredet, entfernten sich die
zwei wahren Menschen. Sie gebrauchte sofort die Arznei. Hierauf
klagte sie über Schmerz in den Beinen, schloss die Augen und legte
sich zu Bette. Dabei trank sie, ohne zu essen. Nach Mitternacht
schickten die ursprünglichen Unsterblichen des grossen Einzigen
einen Sturmwindwagen und kamen sie abzuholen. Sie hatten die Luft
angespannt, lenkten im schnellen Laufe und traten geraden Weges
in den Vorhang. UmdieZeitstandendieSchiilerunddie in der Krankheit
sie pflegenden Anverwandten vollzählig ihr zur Seite, aber keiner be
merkte, was geschah. Der Berg Lö-yang ist derjenige, wo einst Yii von
Hia auf seinem Umzuge nach den berühmten Bergen einen Stein ein
ritzte. An dem Fusse desselben befindet sich die Erdstufe der
Tiefen. Die göttlichen Unsterblichen, welche daselbst lernen, sind
über zehntausend.
Wang-tsin-hien war die Tochter Wang-I-fu’s von Tsin. Sie
war die Gemahlin des Nachfolgers Min, Sohnes des Kaisers Hoai. Zur
Zeit der Wirren der Feste von Lö <) raubte Lieu-yao auf seinem
Streifzuge Tsin-hien und wollte sie zur Gattin nehmen. Tsin-hien
schmähte ihn arg und sprach: Ich bin das Weib des kaiserlichen
Nachfolgers, die Tochter des Fürsten, des Vorstehers der Schaaren.
Hu und Kiang sind klein und hässlich, sollten sie es wagen und sich
mir entgegen stellen wollen? — Sobald sie ausgeredet, wurde sie in
den Fluss geworfen. Ihre aufwartende Selavin, deren Name Lö-tschö,
wurde ebenfalls in den Fluss geworfen und starb. Um die Zeit traf es
sich, dass Han-si-hoa, die Wahre des hohen Gebirges, ausgezogen war
und lustwandelte. Sofort beschützte sie zugleich das Innere, rettete
das Äussere. Sie zeigte, dass deren Tod etwas Wirkliches und Abge
schlossenes. Sie trat mit ihnen in das hohe Gebirge. Gegenwärtig
befinden sie sich in den inneren Tiefen des Hoa-yang.
l ) Die Feste von Lö ist Lö-yang'. Im fünften Jahre des Zeitraumes Yung-kia (311
n. Ch.) eroberte das abhängige Reich Ilan die Hauptstadt Lö-yang, bewog den
Kaiser Hoai von Tsin zur Unterwerfung und setzte ihn in das Lehen eines Fürsten
von Ping-0 ein. Gleichzeitig bewirkte Lieu-yao den Fall von Tschang-ngan.
42
P f i t. m a i e t
Lö-tscho war zwanzig Jahre alt. Ihr Leib und ihr Aussehen
waren ordentlich und regelmässig, sie besass Eingezogenheit und
festen Willen. Ihr Geschlechtsname ist Tien. Sie ist eine Enkelin
Tien-sung’s, eines Eingebornen von Yii-yang und einstigen Befehls
habers von Siiin-I zu den Zeiten der Wei. Sung besass verborgene
Tugenden und liess diese nur bis zu Lö-tschö sich erstrecken.
Tung-fung führte den Jünglingsnamen Kiiin-I und war ein Ein-
geborner von Heu-kuan. Zu den Zeiten des früheren Vorgesetzten von
U lebte ein Jüngling, der in dem Districte Fung's die Stelle eines
Ältesten bekleidete. Fung war vierzig Jahre alt, und man wusste
nicht, dass er den Weg besitze. Er gab sein Amt auf und entfernte sich.
Nach vierzig Jahren erschien er wieder. Er wurde als ein Anderer
erkannt und übte die Beständigkeit des Weges. Die alten Angestellten
und die Menschen von Heu-kuan gingen hin, um ihn zu sehen. Das
Aussehen Fung’s war das nämliche wie in vergangenen Tagen. Fung
wohnte in dem Gebirge, ohne das Feld zu bebauen. Er behandelte
die Menschen an ihren Krankheiten und empfing auch kein Geld. Die
Genesenen erhielten den Auftrag, fünf Aprikosenbäume zu pflanzen.
Nach einigen Jahren zählte man über zehnmal zehntausend Bäume.
Er hiess die Menschen ein Gelass voll Brodfrucht nehmen. Er selbst
ging hin und nahm ein Gefäss voll Aprikosen. Er tauschte die Apri
kosen gegen Brodfrucht um. Mit dem Ertrage half er den Armen und
Dürftigen, betheilte die Beisenden. Was er nicht anbrachte, waren
jährlich über zweimal zehntausend Scheffel. Er löste sich mit dem
Leichname und verschwand.
Das Buch des Gebieters von dem Geschlechte Pei sagt:
Die mit dem Leichname sich lösenden Unsterblichen dürfen
nicht lenken das blumige Wagendach, nicht besteigen den fliegenden
Drachen, nicht ersteigen die grosse Gipfelung, nicht lustwandeln zu
den neun Palästen. Diejenigen, die einfach anwendenden gekrümmten
frühen Morgen, das (liegende Beingoistige und als Schwert sich lösen,
erlangen die gereihten Darlegungen der acht Ungeschmückten. Die
nur in Empfang nehmen das kostbare Heiligthum und den Wandel
nicht ordnen, lösen sich am hellen Tage mit dem Leichname. Dieje
nigen, welche Wasser, Feuer, Kriegsnoth und Krankheit erregen,
ferner grosse Schwerter, Stöcke von Bambus gebrauchen und durch
Die Lösung - der Leichname und Schwerter.
43
Lösung verschwinden, begeben sieb trüber zu den berühmten Bergen
und bewerkstelligen die Lösung des Leichnams für das grosse Reine.
Die den Weg der Lösung als Schwert üben, derenNamen verzeichnet
man in den purpurnen Schrifttafeln bei den obersten Aufsehern, den
hoben Unsterblichen. Diejenigen, welche echtes Verdienst, treffliche
Handlungsweise, verborgene Tugenden besitzen und den Unsterb
lichen vertrauen, deren Geister dürfen sich begeben zu dem hell-
rothen Feuer, dem Palaste des mennigrothenErdhügels. Sie empfan
gen den Weg der lernenden Unsterblichen und sind wahre Menschen
der neun Paläste. Diejenigen, welche von dem Wege der Leichnams
lösung der grossen Gipfelung Gebrauch machen und um Mitternacht
verschwinden, deren Amt ist dasjenige der Wahren der Erde. Von
denen, die sich mit dem Leichname lösen sollen, lernen Einige das
Bedeutende und Unbedeutende der Verdienste, die Höhe und das
Sinken der Gedanken. Andere befassen sich mit dem Opfer des
Weines, mit reingeistigen Anstrengungen. Die retten und einrichten,
erlangen die Lösung des Schmuckes der sechs und dreissig Himmel
der Tiefen. Die Vorgesetzten unter der Erde haben in einhundert
vierzig Jahren eine Umdrehung. Die Dämonenmeister der Lösung
durch Kriegsmuth haben in zweihundert achtzig Jahren eine Umdre
hung. Die von diesen drei Stufen sind, dürfen vorschreiten und aus
helfen bei den Ämtern der Unsterblichen.
Das Buch des Lichtglanzes der lebendigen Götter der neun
Himmel sagt:
Die den höchsten Weg lernen, bewundern selten die göttlichen
Unsterblichen und diejenigen, denen es gelang, sich mit dem Leich
name zu lösen. Wenn sie endlich dem Wege der Unsterblichen sich
zuwenden, wenn ihr Geist sich verwandelt, so sind sie die nämlichen,
sie begegnen einander nicht und mengen sich nicht. Sie betreten
gemeinschaftlich den Weg und das Wahre.
Die Classen des glänzenden Wahren sagen:
Wer lebend in dem Zeitalter den Weg liebt, durch reingeistiges
Verdienst die Tugend au.sbreitet, wessen Name hei dem höchsten
Reinen geschrieben steht, der bringt es dahin, dass er mit dem Leich
name sich löst und als niederer Unsterblicher lustwandelt zu den fünf
Berghöhen. Später wird er unter den Menschen geboren, empfängt
nochmals die Bücher sammt den Vorschriften und wird der Stamm
halter und Meister der Menschen.
P f i 7. in a i (* r
Das Buch der fünf Greise des Einzigen der weiblichen
Vögel sagt:
Unter den Unsterblichen, die sich ans dem Zeitalter entfernen,
tilgen Einige ihre Spuren, verbergen sich, ziehen fort und sitzen
nach innen auf, dienen nach aussen. Einige lösen Schwerter, hinter
lassen Stöcke, wirbelwindartig in Wolken und Nebel strecken sie
den Geist, halten sich an das Ursprüngliche. Niemand weiss dessen
Ende und Ausgang.
Wenn man dieses Buch der fünf Greise besitzt, so mag man
selbst nicht beten und sich hüten, den Gedanken das Dasein geben
und mit den Gewohnheiten sich mengen, man verliert desswegen nicht,
das verborgene Dasein, erniedrigt nicht den Geist. Man löst sich mit
dem Leichname am hellen Tage und erhält den höchsten Befehl, zu
der grossen Finsterniss hinüber zu gehen. Von den Vorgesetzten
unter der Erde hinterlassen Einige die Knochen, verändern sich mit
der Leibesfrucht, empfangen die Verwandlung in dem südlichen Pa
laste. Sie besitzen somit gewiss auf einfache Weise die Echtheit
der Knochen.
Das Buch des höchsten Reinen sagt:
Der Himmelskaiser des ersten Anfangs übergab dem ursprüng
lichen Gebieter der südlichen Gipfelung vier und siebzig verän
dernde und verwandelnde Heilmittel, den Weg der Lösung der Gestalt.
Die inneren Überlieferungen von wahren Menschen des grossen
Reinen und die Geschichte der berühmten Berge sagen:
Die Tiefen des Berges Lo-I'eu haben im Umfange fünfhundert
Weglängen. Sie befinden sich im Süden des Kuei-ki. Geht man
dreissig Weglängen weiter, so ist der Berg äusserst steil. Es ist die
Stelle, wo Kö-liung sich löste und sich verwandelte. Die Verkün
dungen des Wahren nennen sie: den Berg der gethürmten Mauern.
Die Verzeichnisse der sich sammelnden Unsterblichen sagen:
Tsehang-lhien-sse übte auf dem Berge des verborgenen Drachen
und Tigers in Tao-ling den Weg der schweigenden Huldigung der
drei Ursprünglichen. Er erlangte die von dem gelben Kaiser erfundene
Kunst des mittleren Mennigroths des Drachen und Tigers. Als das
Mennigroth vollendet war, gebrauchte er es. Er war im Stande, die
Gestalt zu fheilen, den Schatten zu zerstreuen. Thien-sse trat von
Die Lösung der Leichname und Schwerter. 41)
Po-yang in das hohe Gebirge. Er erlangte die Kunst, den Leib zu
verbergen und Befehle des Schicksals auszufertigen.
Tscheu-yuen-tschi war eine Eingeborne von Ngan-tsching in
Jü-nan. Sie war die Tochter Tscheu-tschang’s, Richtigen von Ho-nan
zu den Zeiten der Han. Tschang war durch sein ganzes Leben reich
an verborgenen Tugenden. Yuen-tschi liebte in ihrer .lugend den
Weg und gebrauchte als Lockspeise die Stechwinde. Nach vierzig
Jahren begegnete sie dem Frühgebornen von dem Geschlechte Schi.
Derselbe lehrte sie seinen Weg der Zurückziehung, der Verwandlung
und des verborgenen Schattens, die Vorschriften für die Lösung
der Gestalt.
Die zu den Zeiten der Thang lebende Dame Lu-mei batte bei
ihrer Geburt grüngelbe Augenbrauen. Ihre Eigenschaften waren
Kunstsinn und Geschicklichkeit. Als der Statthalter von Nan-hai zu
der Thorwarte vorschritt, äusserte (Kaiser) Sclnin-tsung laut seine
Freude darüber, dass Lu-mei sieb in dem Inneren des Palastes be
fand. Er nannte sie die göttliche Muhme. Sie ass bloss Hanfsamen
und eine oder drei Zugaben Reis. In dem Zeiträume Yuen-ho (806
bis 820 n. Chr.) pries (Kaiser) Hien-tsung ihren Verstand und ihre
Güte. Er schenkte ihr goldene Ringe des Paradiesvogels und band
damit ihre Handwurzeln. Nach längerer Zeit war es ihr nicht an
genehm, in den Seitenflügeln des Palastes zu weilen. Es ward ihr
möglich, hinüber zu ziehen und eine vorzügliche Frau des Weges
zu werden. Sie ward entlassen und kehrte nach Nan-hai zurück. Sie
erhielt als Geschenk den Ehrennamen Siao-yao (die Umherflatternde).
Mehrere Jahre hindurch verzehrte sie keine Speise. Sie löste sich
mit dem Leichname, verwandelte sich und verschwand.
Die Lösung der Schwerter.
Das göttliche Buch der verzeichneten Gestalten des aufbe
wahrten Schattens des Goldglanzes des steinernen Geistigen der
wahren Menschen der grossen Gipfelung sagt:
Die Weise der Herstellung der Schwerter hat der höchste Ver
weser, der die Wahren Leitende, der Gebieter des Geschlechtes
P f''i i m a i e r
46
Wang von der westlichen Feste einst übergeben dem Fürsten des
purpurnen Yang. Das Gewährte wurde ausgeübt, der Weg vollendet.
Der die Wahren Reitende machte einst Gebrauch von dem Wege
der Lösung als Schwert. Er übergab ferner die neun Umdrehungen,
das Heilmittel des Mennigroths dem Frühgebornen von Li-tschang.
Dieser ist ein Mensch von Tscheu.
In der Einleitung des östlichen Bezirkes wird gesagt:
Seu starb durch die Leibesfrucht des Drachen. Kiue gebrauchte
den Bliithenschmuck der Buhinen. Er machte früher zu seinem Lehr
meister den Mann von dem Geschlechte Wang. Im Norden der
westlichen Feste trank er das Mennigroth. Später machte er Ge
brauch von der Lösung als Schwert. Indem er aber nicht sagte, dass
er die neun Umdrehungen gebrauchte, hat er es gegenwärtig zwar
übergehen, jedoch er machte nicht sofort den entsprechenden Ge
brauch. Später theilte er es den Schülern des Thores zu. Der
Gebieter von dem Geschlechte Miao empfing es ebenfalls, aber er
machte davon keinen Gebrauch. Desswegen heisst es, dass er es
bloss zutheilte. In den Überlieferungen von dem Gebieter des Ge
schlechtes Miao überlieferte es die vornehme Frau des Geschlechtes
Wei von der südlichen Berghöhe dem Gebieter des Geschlechtes
Yang. Desswegen sagt die Königin Ngan: Da kannst suchen den
Weg der Lösung als Schwert. — Nur wusste sie nicht, dass er als
bald keinen Gebrauch machen werde. Nachdem Hiii-tschang-sse den
Fettstein angewendet hatte, wollten Einige durchaus diese Sache
nicht thun. Wenn Yuen ihm nach Tschin-nan folgte und in der Nacht
sich löste, so war es ebenfalls nicht auf diese Weise. Yuen ist der
Sohn Hiü-tschang-sse’s. Wenn somit die Lösung des grossen Reinen
stattfindet und man einfach von dem Schwerte Gebrauch macht, so
sollte man es nicht dahin bringen, dass man zurückkehrt und die
lleimath erblickt. Aber Yuen lustwandelte und weilte auf der Erd
stufe der Heilmittel, er kehrte zurück zu dem Lande, wo er ur
sprünglich wohnte.
Das göttliche Schwert, wenn man von ihm Gebrauch macht
und durch Lösung sich verwandelt, so ist man im Stande zu lust
wandeln und theilzunehmen an dem Feste hei der grossen Gipfelung,
wegzunehmen die reingeistigen Vordächer der fünf Sterne, als
Sonnenlicht zu betrachten den Glanz der Macht der sieben Ursprüng
lichen, um dadurch als Muster und Weise aufzustellen den auflo-
Die Lösung: der Leichname und Schwerter.
47
dernden Wiederschein, die wahre Luft. Desswegen waren an der
Stelle, wo Hien-yuen ') auf dem Berge Kiao begraben worden,
Sollwert und Doppelschuhe vorhanden. An der Stelle, wo das Haus
Wang-tse's an ‘dem Seitenmeere, tönte ein Schwert in dem leeren
äusseren Sarge. An der Stelle, wo sich in King-ling das Grab Wang-
kiao’s befand, flog ein Schwert in die Himmelsluft. Dies sind wirklich
echte Beweise, das Entsprechende des Geistigen der neun Ursprüng
lichen. Das Beingeistige der göttlichen Heilmittel des grossen Bein
geistigen bringt die wundervollen Verwandlungen der Schwerterder
Macht zu Wege.
Die mit dem Leichname sich lösen, setzen ein Schwert an die
Stelle des Leibes. Nach fünfhundert Jahren kehren diese Schwerter
von selbst an ihre Stelle zurück. Die als Schwert sich lösen, müssen
nicht hierbei stehen bleiben. Bei denjenigen, die das mennigrothe
Buch anwenden, kann in dem leeren Baume das Schwert ebenfalls
dumpf wiederballen ohne Zwischenort. Es ist Umnachtung, es ist
schwer zu suchen, man kann es nicht erlangen, dass man davon
spricht. Die es nicht erlangen können, dass sie es ausüben, dass sie
es sehen, sollen bloss im Herzen ihm entsprechen. Bei den göttlichen
Wundern ist plötzlich Veränderung und Bewegung ohne Heilmittel.
Man wiederholt nicht, was durch die Ordnung der Wesen bestimmt
worden. Gerade wie es auf dem Herzen, erfolgt der Auftrag für die
Verwandlung, und die Dinge richten sich bloss nach dem Ange
messenen. Wer es ausübt, merkt ebenfalls nicht, wodurch es
geschieht. Von denen, die es sehen, ergründet ganz gewiss keiner,
in wiefern es geschieht.
Hien-yuen sammelte das Kupfer der hundert Berge und goss
daraus Dreifüsse. Die Tiger und Leoparden, die hundert wilden
Thiere blickten um dessenwillen auf das Feuer, gesellten sich zu den
Öfen und Dreifüssen. Allein Hien-yuen erkrankte und starb. Er
wurde auf dem Berge Kiao begraben. Nach fünfhundert Jahren
stürzte der Berg, ein kostbares Schwert und rothe Doppelschuhe
waren vorhanden. Eines Morgens waren auch diese verloren.
Wang-tse begab sieb einst zu dem Berge Tschung und erlangte
das Buch der neun Verwandlungen und zehn Veränderungen. Er zog
sich dadurch in Verborgenheit zu der Sonne und dem Monde zurück,
— 1
Hien-yuen ist der Ehrenname des gelben Kaisers.
48
P f i z m a i e r
er lustwandelte und reiste zu den Sternen. Später erkrankte er eines
Morgens und verschied. Man errichtete den Grabhügel auf dem
Berge des Seitenrneeres. Zu den Zeiten Siang’s von Hia öffnete
Jemand das Grab Wang-tse’s. Ein Schwert befand sich daselbst
über der Bettung. Dasselbe brachte den Ton des Drachen hervor.
Kein Mensch wagte es, nahe zu treten. Später vergass man auch
den Weg, auf dem man zu ihm gekommen. Das Grab Waug-tse-
kiao’s befindet sich in King-ling. Zu den Zeiten der kämpfenden
Reiche öffnete wieder Jemand dieses Grab. Man sah daselbst ein
Schwert. Ein Mensch wollte zufällig dieses Schwert nehmen und be
trachten. Plötzlich flog es zur Höhe und verschwand. In den alten Be
sprechungen der Sachen Wang-tse-kiao's führt ihn der Fürst des
schwimmenden Erdhügels an der Hand, setzt sich mit ihm auf einen
Storch, und beide bestiegen das hohe Gebirge. Diese Sache ist nicht
die gemeinschaftliche Lösung und Verwandlung, denn Jener war um
die Zeit erst fünfzehn bis sechzehn Jahre alt. Desswegen enthalten
sie einen Träger der Mütze des fernen Lustwandeins.
Einst sagte Kü-hung: Der Fürst von dem Geschlechte Yin über
gab Pao-tsing die Vorschriften für die Lösung des Leichnams.
Später starb er und ward auf dem Bergrücken der Steine prunklos
begraben. Es waren Menschen, die seinen Sarg öffneten. Sie sahen
daselbst ein grosses Schwert. Zur Rechten und Linken des Grab
hügels hörte man das Geräusch von Menschen und Pferden. In Folge
dessen getraute man sieb nicht, es wegzunehmen. Dies ist die
Weise des gelösten Schwertes, wobei man aber nicht im Staude
ist, zu entfliegen. Hierbei verwendet man das Schwert des hellrothen
Buches der zu dem grossen Ursprünglichen der reingeistigen Kost
barkeiten gehörenden Beglaubigungsmarke Yin-seng’s. An dem Fusse
des grossen Reinen bringt man es daher zu einem Vorgesetzten,
zu sonst nichts. In den Überlieferungen von dem Reingeistigen des
Reinen der Edelsteine wird besprochen, dass der die Wahren
Leitende ein Schwert an dem Gürtel trägt. Bei dem Gebieter von
dem Geschlechte Yang wird besprochen, dass der Mann des Tung-pe
ein Schwert an dem Gürtel trägt. Beides bezieht sich auf die Ver
wandlung als früher gelöstes Schwert. Wenn die wahren Menschen
kostbare Schwerter verwenden, mit dem Leichname sich lösen, so
ist dieses die höchste Stufe der Verwandlung der Feldgrillen. Die
Weise der Lösung des Leichnams ist oft gleich derjenigen der Häu-
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
49
tung der Feldgrillen. Doch dieses Schwert ist keine abgelegte Haut.
Desswegen wird gesagt: Die höchste Stufe beleuchtet den hohen
Weg der Veränderung und der Zurückziehung.
Zur Zeit, wo man das Schwert verfertigt, muss man früher
beten und sich hüten durch hundert Tage. Man steht an einem dunklen
verborgenen Orte, nahe einer reinen Quelle in westlicher Richtung.
Unter dem Dache baut man eine Herdöffnung, ebenfalls in westlicher
Richtung. Ein guter Schmied läutert vortreffliches Eisen und rohes
Metall. Wenn Mischung und Läuterung zu Stande gekommen, heisst
man ihn acht Pfund erlangen, was genügt. Will man die äusserste
Gediegenheit erzielen, so muss man Asche von Bambusrohr ver
wenden. Man macht es durch Kupfer und Zinn geschmeidig. Auf
diese Weise benützt man die Monate des Jahres, und der Verrich
tungen sind besonders viele. Desswegen arbeiteten die Menschen
des Alterthums an einem Schwerte drei Jahre, dann erst wurde es
vollendet.
Sie-tsehü sagt: Ngeu-ye goss ein Schwert. Der Obertheil der
rothen Weinkanne barst und brachte Zinn zum Vorschein. Der Bach
von Jö-ye vertrocknete und brachte Kupfer zum Vorschein. Wenn
man jetzt hiermit das Metall mengt und es glühend macht, so wird
es geläutert. Es ist viel und wird nicht versengt. Es ist hart, scharf
und schmilzt nicht. Der Schmied muss auch freundlich und gut sein,
er muss sich neu kleiden und sich baden. An dem Tage, wo er das
Schwert verfertigt, darf er durchaus keinen Wein trinken und kein
Fleisch essen. Er darf auch nicht lustwandeln und nicht in Pfützen
und Schmutz treten.
In dem siebenten Monate des Jahres, an dem Tage Keng-schin
(57), in dem achten Monate des Jahres, an dem Tage Sin-yeu (58)
bewirkt man, dass es drei Schuh neun Zoll lang, einen Zoll vier
Linien breit, drei und eine halbe Linie dick ist. Dies bedeutet, dass
man dem Raume über dem Rücken, nahe dem Griffe die Dicke von drei
und einer halben Linie gibt. An der Grenze der beiden Schneiden kann
man sie um eine bis zwei Zehntellinien verringern. Ferner schneidet
man gegen die Seiten der Schneide früher zwei Linien des Rückens
ein. Man thut dieses auf der Stelle zu beiden Seiten bis zur Spitze
und lässt ebenfalls diese allmälig dünner werden. Neun Zoll der
Spitze sind die beiden Orte zur Rechten und Linken. Man muss von
dem Halse des Ringes das Mass bestimmen, und es sind dann gerade
Sitz!). (1. phil.-hist. CI. l.XIV. Bd. 1. Hft. 4
50
P f i z m a i e r
drei Schuh. Man ritzt den Rücken und bildet eine Schneide, die
ebenfalls drei Linien acht Zehntellinien breit ist. Man muss für den
mittleren ftücken sechs Linien übrig lassen. Neun Linien der Spitze
werden zusammen eingeschnitten und dadurch spitzig gemacht. Man
schneidet die Spitze ein und gibt ihr dadurch zwei Ecken gleich der
eingeschnittenen Spitze einer Hakenlanze. Was die Länge des Griffes
betrifft, so macht man gewöhnlich den Ring zwei Zoll vier Linien
hoch, den Leib zwei Schuh vier Zoll lang. Dann bleibt ein Schuh
zwei Zoll sechs Linien für das Eisen des Griffes übrig. Man muss
dabei die Mitte neun Linien breit, zwei Zoll dick machen, so dass
sie mit dem Ringe zusammenhängt. Das kostbare Holz des Griffes
nahe dem Ringe, hat im Umfange vier Zoll neun Linien. Die Schneide
hat im Umfange drei Zoll neun Linien. Alles erhält durch vollendetes
Grabstichelwerk die richtige Gestalt.
Verfertigt man den Aufputz des Schwertes, so liegt er dicht und
flach daselbst an. An dem Haupte des Schwertes kann man einen Ring
befestigen. Es soll damit gesagt sein, dass man, wenn man anfängt
zu läutern und es erhärtet, noch immer Ring und Leib Zusammenhängen
lässt. Man darf nicht besonders eine Form verfertigen. Man verfertigt
zugleich einen Nagel, der damit zusammenhängt. Man macht alles
in Hinsicht der äusseren Gestalt, der Grösse und Dicke einander
ähnlich. Man meisselt jetzt das Innere der entsprechenden Höhlung
weg. Man kann auch früher einige Löcher bohren und beim Ein-
meisseln den Ort des versteckten Fussgestells wechseln. Beim Ein-
meisseln ebnet man sie. Wenn alles fertig ist, lässt man durch einen
grossen Ring in der Höhe von zwei Zoll vier Linien schräg den Ort
der Breite theilen. Der Mitte gegenüber misst man gerade zwei Zoll
acht Linien, an der inneren Seite sind es gerade vier Linien mehr.
Für die Gestalt des Ringes gibt es im Alterthum und in der
Gegenwart viele Vorschriften. Er ist bisweilen ganz rund, bisweilen
eng und lang, bisweilen gleicht er dem Henkel eines Dreifusses. Es
gibt davon zehn Gattungen. Was aber in diesem Buche abgebildet wird,
verdeutlicht ebenfalls nur die Vorschriften für die Fläche zur Rech
ten und Linken, es bestimmt nicht genau dessen Gestalt. Man erwog
sorgfältig die Verfertigung in dem Alterthum und in der Gegenwart,
nahm von dem Gesammten das Mass und stellte die Zeichnung her
wie oben. Ferner darf das Innere des Ringes nicht ganz rund
sein wie ein Bambusrohr, es darf auch nicht ganz viereckig
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
51
sein wie das Schuhmass der Markscheide. Man muss bewirken, dass
die innere Fläche klein und vierekig, das Äussere aber eingefallen ist.
Bei der Ecke muss man bewirken, dass man die Worte „selbst“ und
„Schneide“ einritzen kann, nicht sehr schief und umgeschlagen. Man
bringt es nur zu einer Länge von drei Schuh neun Zoll. Die Zolle
und Schuhe, das Mass und die Zahl, die Dicke und Dünne, die
Gestalt und Anordnung, dies alles ist wie in einer anderen Abbildung
geboten.
Forscht man nach dem Schuh des Alterthums und der Gegen
wart, so ist die Länge desselben nicht gleich. In der Rechnungsweise
der neun Sätze sind die Masse haarklein zusammengestellt. Kien-siün,
der miltlere Buchführer von Tsin, verstand sich auf die Musiknoten
und war bewandert in den schönen Künsten. Es verdross ihn immer,
dass die acht Töne nicht geregelt waren. Später war ein Mensch, der
die Erde aufgrub und ein Stimmrohr von Edelstein fand. Die In
schrift stammte aus dem Zeitalter der Tscheu. Es mass nach dem
kurzen Masse von Tsin einen Schuh vier und eine halbe Linie. Er
veränderte und bestimmte darnach die Musiknoten und das Mass
der Töne. Jetzt ist es angemessen, sich dieses Schuhes zu bedienen
und Gleichförmigkeit zu erzielen. Wodurch dieses dargethan wird,
ist, dass der die Wahren Leitende lyul der Mann von Tung-pe zu den
Zeiten der Tscheu Schwerter verfertigten und sich des Schuhes der
Tscheu bedienten.
Was den verzeichneten Ring betrifft, so ritzt man Grabstichel
werk in den Ring des Schwertes. Auf die Fläche zur Rechten und
Linken des Ringes ritzt man das Wort „Schneide“. Die Flächen ent
halten neun Wörter. Auf den Rücken des Ringes ritzt man neunmal
das Wort „selbst“. Die tief eingeritzten Wörter laufen von dem
Rücken der Schneide abwärts. „In der Richtung der Schneide“ be
deutet, dass die auf beiden Seiten befindlichen Wörter „Schneide“
und „selbst“ einander gegenüber von dem Rücken der Schneide auf
den Seiten sich erheben und gemeinschaftlich zu der Schneide herab
laufen. Desswegen sagt man: in der Richtung der Schneide. Wenn
man sie in der Richtung des Ringes einritzt, so folgt man der Krümme
und Drehung des Ringes. Desswegen sagt man: in der Richtung des
Ringes. Wenn man an den geritzten Stellen, die man finden will,
Gold und Silber anbringt, sind sie deutlicher und schöner.
4*
52
P f i l in a i e r
In den Leib des Schwerles ritzt man Gestalten. In der Mitte
des Ringes befindet sieh wieder eine Hervorragung gleich einem klei
nen Schafe. Was man an dem Ringe das versteckte Fussgestell
nennt, hat den Sinn, dass man das Fussgestell der Sonne und des
Mondes, den Schatten des Lichtes des verborgenen Herbstes bildet.
Die Fläche zur Linken des inneren Ringes bildet das Wort „Sonne“.
Del' innere Ring ist das versteckte Fussgestell in der Mitte des klei
nen Ringes. Man ritzt in die Fläche zur Rechten das Wort „Mond“.
Vorher ritzt man auch die Stelle ausserhalb der Sonne und des Mon
des in der Rundung ein und bildet eine Vorstadt.
Nach fünfhundert Jahren kommt es Mieder zum Vorschein,
schwingt sich auf die fünf Berghöhen und versteckt sich, wo kein
Zwischenraum. Diess bedeutet: mau vertieft den Geist, zieht zurück
die Fussspuren, verbirgt den Schatten, versteckt die Gestalt. Nach
unten bringt man zurecht das neunfache Yin. Dieses bedeutet: man
kann führen und herbeirufen die Götter des neunfachen Yin. Nach
oben empfängt man die ursprüngliche Dunkelheit, die Sterne, die den
verborgenen Veränderungen vorgesetzt sind. Die Schutzwache reicht
hin, um zu vertreiben die Dämonen des Unrechts, die Macht reicht
hin, um sich zu spiegeln an den sieben Geistigen. Dieses bedeutet :
man zieht herbei die Macht, erfasst die Stärke, spiegelt sich in dem
Liebte der sieben Sterne. Mau blickt aufwärts und macht erglänzen
die fünf Lüfte. Dieses bedeutet: die Luft der fünf Grundstoffe setzt
sieh immer auf dem Glanze nieder. Man blickt abwärts und ersetzt
den Leib, verwandelt die Gestalt.
Will man wissen, was die linke, rechte, innere und äussere
Seite des Schwertes, so sieht man dabei auf die richtige Weisung
nach Süden. Man bringt das Schwert in eine Lage, dass der Rücken
oben, die Schneide unten sich befindet. Demgemäss hält man die
dem Osten zugekehrte Fläche für die rechte Seite, die dem Westen
zugekehrte Fläche für die linke Seite. Der Osten ist die innere
Fläche, der Westen ist die äussere Fläche.
Die hier enthaltenen Angaben über die Messung, die Länge,
Breite, Dicke, die Eingrabungen und Schriftzüge der Schwerter sind
nach dem Muster der geistigen Schwerter der vier wahren Menschen
der grossen Gipfelung. Die wahren Menschen des grossen Reinen
umgürten sich ebenfalls mit Schwertern. Die ScliM r erter des grossen
Reinen sind von der grossen Gipfelung nur verfertigt. Desswegen sind
Die Lösung 1 der Leichname und Schwerter.
53
sie in diesem Buche nach der Weise der grossen Gipfelung. Die vier
wahren Menschen bestimmen das Muster. Wozu bedarf man da des
Metalls von Kuen-ngu, des die Edelsteine zerschneidenden Roheisens?
Hierdurch wird nämlich erklärt, dass man reines Eisen nicht notli-
wendig braucht. Dasjenige, wobei man bleibt, ist das Muster, sonst
nichts. Das Schwert Wang-tse-kiao's war nur von gemeinem Eisen
der niedrigsten Gattung. Das Schwert der Lösung des Leichnams
auf dem Berge Kiao war nicht aus fliessendem Metall von Kuen-ngu.
Hier führt der wahre Mensch der grossen Gipfelung, der Fürst des
purpurnen Yang Klage und meldet es dein Gebieter von dem Ge
schleckte Wang. Hien-yuen spannte an den Wagen einen Drachen
in dem ursprünglichen Fruchtgarten. Es war die Kunst des Seiles der
Schritte, die löste und verwandelte. Später schritt man vorwärts.
Unter den Wahren gibt es viele von dieser Gattung.
Dieses sind die vordersten Sätze des Buches der Schwerter.
Für die Beglaubigungsmarke der höchsten Verwandlung der grossen
Gipfelung beschreibt man mit dem fliegenden Geistigen ein Papier
und legt dieses in einen purpurnen Beutel. Zur Zeit, wo man ver
schwinden will, bindet man es an den Ring des Schwertes. Mit der
Rechten beschreibt man mit dem fliegenden Geistigen des ge
krümmten frühen Morgens die linke Fläche des Schwertes und ge
langt damit bis zu der Spitze des Schwertes. Auch für die Beglaubi
gungsmarke des aufbewahrten Schattens der grossen Gipfelung be
schreibt man mit dem fliegenden Geistigen einPapierund legt dieses in
einen hochrothen Beutel. Zur Zeit, wo man verschwinden will, bindet
man es an die Scheide des Schwertes. Mit der Rechten beschreibt
man mit dem fliegenden Geistigen des gekrümmten frühen Morgens
die linke Fläche des Schwertes und gelangt damit bis zu der Spitze
des Schwertes. Auch für die Beglaubigungsmarke der verzeichneten
Gestalten der grossen Gipfelung beschreibt man mit dem fliegenden
Geistigen ein Papier. An dem Tage, wo man im Begriffe ist zu ver
schwinden, gebraucht man es als Arznei. Auf dem Leibe enstehen
Wolken von sieben Farben, selbst besitzt man das Licht des Blitzes.
Mit der Rechten beschreibt man mit dem fliegenden Geistigen des ge
krümmten frühen Morgens den Rücken des Schwertes und gelangt
damit bis zu der Grenze der beiden Flächen der Schneide. Ferner
für die Beglaubigungsmarke der Lösung und Verwandlung der grossen
Gipfelung gebraucht man beständig jeden Tag als Arznei eine Be-
ü4
P fi zm n i er
glaubigungsmarke. Nach sieben Jahren entfernt man die geheime
Umschränkung des Bambusrohres und Tuches des hellrothen Buches.
Hierdurch vereint man sich mit dem gekrümmten frühen Morgen, und
das Mennigroth wird vollendet. Zur Zeit, wo man sich bald lösen und
verwandeln will, schreibt man daraus Aufgaben auf das Schwert.
Nach sieben Jahren und noch später schreibt man hellrothe Aufgaben
auf das Schwert. Man ist ebenfalls fähig, sich zu lösen und zu
verwandeln.
Tao-yin-kiü sagt: In dem Zeiträume Yung-kia von Tsin (307
bis 312 n. Chr.J besass Lieu-lu viele wunderbare Kenntnisse. Man
sagte auch, er sei ein ungewöhnlicher Mensch gewesen und habe
dieses Schwert verfertigt. Er schrieb die Wörter der Beglaubigungs
marke undeutlich und besonders fein. Er legte und band den Ring,
indem er sagte: Es ist grosse Unregelmässigkeit, aber nach der Vor
schrift. Das Eisen ist sehr gesund und scharf. — Sung-lai-pien reichte
es immer der kaiserlichen Leibwache und nannte es: die Glocken
Lieu-ln’s. Man schätzte den Stoff, der mit demjenigen des Messers
der lausend Rinder gleich. Nachdem man es längere Zeit gewechselt
und den Ring entfernt hatte, berührte man die Stelle der Eingrabun
gen und wollte sie auch nach und nach tilgen. Ferner sah man, dass
vier bis fünf alte Ringe vorhanden waren. Dieselben waren einander
ähnlich und glichen einem einzigen. Man wusste nicht, wo der Leih
des Schwertes sich befand. Ku-kiü-sse ausTung-schan hat ebenfalls
diese Schwerter verfertigt.
Menschen, die es zu gleicher Zeit gemeinschaftlich verfertigen,
sind jetzt noch immer vorhanden. Im Allgemeinen ist es Regelwidrig
keit und Irrthum, es kann nicht vorbereitet und besprochen werden.
Jetzt kommt es vor, dass man den Ring aus gegossenem Kupfer ver
fertigt und durch einen gegossenen Nagel es andeutet. Die alten
Messer waren so beschaffen, man kann sie nach Gattungen unter
scheiden. Aber auf diese Art und Weise sind sie durch Tao-yin-kiü
künstlich hergestellt. Indem man die gänzlich ungelösten Dinge in
Gedanken löste, nannte man es auch die geordnete Gipfelung. Man
weiss nur nicht, oh es gewiss nach dem nämlichen Muster wie das
jenige der grossen Gipfelung oder nicht.
Will man versuchen, ob die Klinge scharf oder stumpf ist,
nimmt man einige Ährenspitzen von mittlerer Grösse, umwickelt sie
eilig mit einem Haare, hängt dieses hei der Spitze auf und bindet es
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
55
an das Ende eines Stockes. Man lässt das Ganze durch einen Men
schen festhalten und führt mit dem Schwerte einen Hieb gegen die
Ährenspitzen. Diese werden durchschnitten, aber das Haar hängt noch
immer mit ihnen zusammen. Man zählt wie viele Ährenspitzen übrig
sind und wie viele fehlen. Die Glocken Lieu-hi's und das Messer
der tausend Rinder hieben ehemals dreizehn Ährenspitzen durch. Es
gab ferner ein hartes Messer der hundert Läuterungen, das zwölf
Ährenspitzen durchhieb. In dem Reiche pries man nur dieses als
etwas Unübertreffliches, aber in naher Zeit verfertigte man ein gött
liches Schwert, das fünfzehn Ährenspitzen durchhieb. Wann man das
Eisen desselben betrachtete, so war die Farbe grün, es batte einen
Wiederschein, und sein buntes Liebt, war ausserordentlich. Es war
das, wovon Sie-tschö sagt: tief wie Eis, welches sich lösen will.
In jüngster Zeit gab es ungefähr zehn Verfertiger. Dieselben er
reichten dieses nicht. Der harten Stoff verfertigte, ist Sie-ping von
Schang-yü. Der Grabstichelwerk einmeisselte, ausschmückte und
herrichtete, ist Hoang-wen-king der Heilmittellehrer von Schi
schang. Beide sind die ausgezeichnetsten Werkmeister des Mittel
reiches. In dem ersten Jahre des Zeitraumes Kien-wu von Tsi (494
n. Chr.), Jahr Kiä-sü (11), am neunzehnten Tage des achten Mo
nats, Tag Sin-yeu (58) gründete man auf dem Berge Miao eine
Werkstätte. Im vierten Jahre des Zeitraumes Thien-kien von Liang
(505 n. Chr.), Jahr Yl-yeu (22), erging die Aufforderung, Messer
und Schwerter zu verfertigen. Dieselben waren von einer Gestalt,
dass sie zu kaiserlichem Gebrauche dienten. In ihnen hatten sich Geist
und Kunstfertigkeit erschöpft, an wunderbarer Zierlichkeit übertrafen
sie bei weitem alles Übrige in dem Zeitalter. Ausserdem gab es deren,
die von unregelmässiger Gestalt und hart waren. Die Häuser des Ge
meinwesens verfertigten die hundert Läuterungen. Hoang-wen-king
erreichte es dadurch, dass man ihn von den Dienstleistungen befreite.
Er wurde ein Mann des Weges in dem Amtsgebäude des Berges.
Nach den Anordnungen der Gebräuche der Tsclieu ist das
Schwert drei Schuh lang. Der Griff hat beständig fünf Zoll, was das
Sechstel ist. Die innere Schneide ist zwei und einen halben Zoll
breit. Die Schwere beträgt nach altem Gewicht ein Pfund vier Tael.
Nach jetzigem Gewichte sind es zwei Pfund zehn Tael. Gegenwärtig
sind die Schwerter der Häuser des Gemeinwesens vier Schuh sieben
Zoll lang. Der Griff hat beständig einen Schuh fünf Zoll, was ein
P f i i m a i e r
5 <5
Drittel mit einem kleinen Bruchllieil ist. Die Messer sind einen Zoll
sechs Linien breit. Die Schwere wird nicht bestimmt. Hier sind die
kostbaren Schwerter einen Schuh neun Zoll lang, einen Zoll vier
Linien breit, aber in dem Buche sind zwei Namen: Messer und
Schwert enthalten.
Zu den Zeiten des Kaisers Wu von Tsin, im zehnten Jahre des
Zeitraumes Ta-schi (274 n. Chr.) verglich und bestimmte Siün-hio,
der Aufseher der Bücher der Mitte, nebst Tschang-hoa und Anderen
die Musiknoten der Glocke. Die acht Töne stimmten nicht zu der
alten Musik. Weil seit den Zeiten der Han der Schuh allmälig länger
wurde, hielt man sich nochmals an die Weise des Zusammenlegens
der Roggenkörner in den Gebräuchen der Tseheu, ordnete den Schuh
und goss nach dem Masse neue Gebisse. Man ermunterte zur Auf
suchung von Alterthümern und fand ein richtiges Stimmrohr von Edel
stein aus dem Zeitalter der Tseheu. Als man es verglich, zeigte sich
nicht der geringste Unterschied. Man schlug daher eine alte Glocke
und gab dabei den Befehl nach den Musiknoten. Die Töne stimmten
ebenfalls überein. Zugleich prüfte man es nach siebenerlei alten
Gegenständen, und alles passte.
Ferner fand man in einem Grabhügel von Ki eine Schreiblafel
aus Bambus. Dieselbe war ebenfalls zwei Schuh vier Zoll lang.
Hierauf bediente man sieh dieses Masses und nannte es den alten
Schuh. Als Yuen-hien die Töne der Musik des Mannes von dem Ge
schleckte Siiin hörte, hielt er sie für höchst verdienstlich und nicht
für die Töne des emporkommenden Reiches. Nachdem Hien das Land
verlassen hatte, waren Leute, welche die Erde aufgruben und ein
kupfernes Schuhmass fanden. Dasselbe hatte die Länge des Schuhes
des Mannes von dem Geschleckte Siiin und vier und eine halbe Linie
des alten Schuhes. Weil Yuen-hien die Töne erklärte, brachten die
Zeitgenossen sofort wieder dieses Mass in Gebrauch und nannten es
den Schuh der Obrigkeiten. Man hiess den Vorsteher des Ackerbaues
es aufnehmen und danach fünf Schuhe herrichten. Zugleich häufte
man die Zolle und verfertigte Nössel und Scheffel.
In dem Zeiträume Yuen-kia von Sung (424 bis 4ö3 n. Chr.)
liess der grosse Heerführer Wang-I-khang aus Peng-tsching Gegen
stände anfertigen und wollte diese immer vergrössern. Er gab auch
zu dem Schub der Obrigkeiten einen und einen halben Zoll hinzu.
Unter dem Volke theilte man sich dieses wieder mit und bediente
Die Lösung' der Leichname und Schwerter.
57
sich dessen bis zu der Gegenwart. Man versteht dieses so, dass die
den Heilmitteln Vorgesetzten, die Leiter der Versammlungshäuser,
die Obrigkeiten der Gewässer und Baustoffe für die Hauptstädte,
welche sich des Schuhes bedienten, ihn wieder um eine Linie des hei
dem Volke üblichen Masses verlängerten. Setzt man dieses gleichwie
sämmtliche Classen auseinander, so ist der alte Schuh als der vor
herrschende zu betrachten.
Indem die Musiknoten der Glocken von selbst zu den Tönen
passten, vereinigten sie sich mit dem Geistigen und Göttlichen, mitden
dunklen Zahlen. Zudem gab es in dem Zeitalter der Tscheu, zur
Zeit, wo noch die zwei Wahren die Schwerter anfertigten, sowie zur Zeit,
wo die Männer der Geschlechter Siiin und Tschang Geist und Ge
schicklichkeit zu der äussersten Gipfelung brachten, noch Genossen
des zusammengebundenen Verstandes, der fortgesetzten Erleuchtung.
Sie waren wunderbar gewöhnt an Götter und Geister. Yuen-hien
war zwar bewandert in Tönen und in der Musik, allein seine Ge-
miithsart und sein Ermessen waren haltlos und eitel, er war zu Klar
heit und Entschiedenheit nicht fähig. Desswegen hielt er Breite und
Langsamkeit schon für vortrefflich. Dass man das aus der Erde ge
grabene Schuhmass entsprechend fand, ereignete sich nach den
Zeiten der späteren Han.
Im vierten Jahre des Zeitraumes Tsim-kien von Liang (505 n.
Chr.) verglich man wieder den Schuh und berichtigte nach ihm die
Musiknoten der Glocken. Man bestimmte und verwendete den alten
Schuh der Männer der GeschlechterTschang undSiün nebst einer hal
ben Linie. Derselbe passte zu den Verrichtungen und traf zu. Gegen
wärtig gebraucht man ihn und nennt ihn den Schuh der Vorschrift.
Es heisst ferner: Will man sich tief in die berühmten Berge zu-
rückziehen, so richtet man sich nach den Zeiten und betrachtet die
Verwandlungen. Man hat nicht den Wunsch, dass die Obrigkeiten der
Wahren sich verbergen, dienstlos sind und sich selbst genügen.
Wenn man den Weg der Lösung der Leichname und der Schwerter
übt, beschreibt man mit dem fliegenden Geistigen des gekrümmten
frühen Morgens die linke und rechte Fläche des Schwertes. Früher
ermisst man und Hält sich an ein Unwohlsein. Dann erst soll man das
Schwert umfassen und sich niederlegen. Dieses bedeutet: Man gebe
sieb früher fälschlich für unwohl aus und lege sich durch einige Tage
nieder. Hierauf zieht mail heimlich den grünen Sack des Schwertes
58
P f i z in a i e r
ab, reisst dieses heraus und bringt die Schrift der Aufgabe sammt der
angebundenen Beglaubigungsmarke zum Vorschein. Wenn alles ge
schehen, umfasst man das Schwert mit den Armen und betet. Man
wartet, bis die Himmelspferde entgegenkommen, löst die Kleider und
lustwandelt. Dabei lasse man die Menschen nichts davon merken.
Man überstreiche auch mit der Arznei des fliegenden Geistigen
heimlich den Ring des Schwertes und rufe laut den Namen des
Schwertes.
Nachdem man gebetet, sieht man plötzlich, dass das grosse
Einzige mit den Himmelspferden vor dem Schlafgemache entgegen-
kommt. Man besteigt jetzt ein Pferd. Bei einem Weibe erfolgt das
Entgegenkommen auf einem verdeckten leichten Wagen. Seit dem
Alterthum hielten sich viele Unsterbliche an die übrigen Gegenstände.
Einige bedienten sich der Bambusstäbe, Andere der Tücher und
Schube. Bloss Pao-tsing erschien vor dem grossen Reinen nach der
Weise der Messer. Hierbei sind die göttlichen Veränderungen plötz
lich, man entlehnt die Art. passt zu der Gestalt, man kann nicht der
Ordnung gemäss vorwärts eilen und trachten nach den wunderbaren
Dingen der Wahren.
Die Himmelspferde sind die Tlxiere des glücklichen Lichtes und
des laufenden Gelben. In alten Abbildungen ist die Gestalt dieser
Tbiere enthalten. Sie wurde einst durch wahre Menschen kundge
geben und durch Überlieferung gegenseitig gezeigt. Das glückliche
Licht hat Ähnlichkeit mit einem Hirsche, das laufende Gelb ist eine
Art Pferd. Für Männer hat man sie zum Reiten. Für Weiber spannt
man sie an einen leichten Wagen. Die wahren Menschen der grossen
Gipfelung erlassen den Befehl an den Gesandten des grossen Einzigen,
die Pferde zu verleihen, zu erfassen, zu ziehen und zugleich mit kost
baren Kleidern entgegen zu kommen. Die Ankunft erfolgt plötzlich,
man weiss nicht, wie es geschieht. Das grosse Einzige ist den Vei--
änderungen der Unsterblichen vorgesetzt. Zur Zeit, wo man mit den
Pferden verschwindet, mögen Ärzte, Wärter, Söhne und Enkel den
Raum zur Seite erfüllen, man wechselt die Kleider, bindet das
Schwert, bannt den Schatten, verändert die Spuren, sie aber merken
nicht, was mit uns vorgeht. Dies ist, was man nennt: sich verwan
deln und sich zurückziehen zu den dreierlei Gestirnen, umherwandeln
vor dem Geiste des Mondes, athmen die zehntausend Veränderungen
und nicht wieder die alte Gestalt annehmen.
Die Lösung 1 der Leichname und Schwerter.
59
Es heisst ferner: Für die Beglaubigungsmarken der höchsten
Verwandlungen der Gipfelung beschreibt man mit dem fliegenden
Geistigen ein Papier und legt dieses in einen purpurnen Beutel. Zur
Zeit, wo man verschwinden will, bindet man es an den Ring des
Schwertes. Für die Belaubigungsmarken des aufbewahrten Schattens
beschreibt man mit dem fliegenden Geistigen ein Papier und legt es
in einen hochrothen Beutel. Zur Zeit, wo man verschwinden will,
bindet man es an die Scheide des Schwertes. Die unsterblichen
Menschen bedienen sieb häufig der Bambusstäbe, sie müssen nicht
durchaus die Weise des Schwertes erlangen. Bisweilen ist es nur
die Kunst des grossen Reinen. Indem man die Veränderungen und
Verwandlungen entlehnt, kann man nicht auf einerlei Weise sie
suchen.
Es heisst ferner: Diejenigen, welche die niedere Lösung des
Leichnams üben, dürfen nicht zurückkehren und ihre Heimath vor
Augen haben. Die den Weg der höheren Lösung üben, deren Name
leistet Gesellschaft den purpurnen Schrifttafeln. Die drei Obrigkeiten
dürfen nicht mehr ihre Mängel bemessen. Man erzieht bloss das gött
liche Schwert und verrichtet mit ihm zugleich Thaten. Folgt man sich
gegenseitig durch dreizehn Jahre, so ist man im Stande, die Gestalt
zu verwandeln. Es ist nicht nöthig, es mit Arzneien zu beschreiben.
Hat man nach zehn Jahren die Arzneien nicht bereitet, so beschreibt
man bloss mit Mennigroth das Schwert, und man ist ebenfalls im
Stande, sich gründlich zu verwandeln. Übt man einfach diese Weise,
so scheint es, dass man zu der Heimath nicht zurückkehren darf.
Man erreicht nicht das Geistige und Wundervolle des gekrümmten
frühen Morgens, das Herbeiziehen des glücklichen Lichtes und des
laufenden Gelben. Hat es auch hierbei sein Bewenden, ist man noch
immer weise nach den vermischten Vorschriften des grossen Reinen.
Zugleich bringt man es dahin, die Gestalt zu verändern, sich zu läutern,
sich zu verwandeln und zu ziehen zu dem Feste bei der grossen
Gipfelung. Die Anderen, welche durch die Arznei des Mennigroths die
Lösung des Leichnams erlangen und bei denen die Verwandlung der
reingeistigen Kugeln nicht stattfindet, dürfen nicht in ihre Heimath
zurückkehren. Die drei Obrigkeiten nehmen sie fest. Die Weise der
Lösung der Leichname von dem grossen Reinen, wie Hesse sie sich
mit der Verwandlung und Zurückziehung der grossen Gipfelung ver
gleichen?
60
P f i z m a i e r
Unter den fünf Beglaubigungsmarken der Weise der Lösung der
Leichname von dem grossen Reinen gibt es jetzt eine Beglaubigungs
marke Yin-seng's von dem grossen Ursprünglichen. Man bedient sich
auch nur zweier Dinge: des Absudes von Rinderfett und der Kugeln
der Arznei des Zinnes. Es gibt sonst keine Heilmittel mehr. Die Weise
des Anhängens an den Gürtel, des Gebrauches und der Anfertigung
der Schwerter ist in den Entscheidungen der Abbildungen der Be-
glaubigungsmarken enthalten. Der Weg der Lösung und Verwand
lung, dessen man sich später bediente, ist wieder eine Sache, die
.nicht beständig geübt wird. Desswegen wurde dies alles nicht auf
genommen.
Anhang I. Die Männer des Weges.
Das Buch des grossen Hagels sagt:
Ein Mensch, der auf dem grossen Wege wandelt, heisst ein
vorzüglicher Mann des Weges. Es sagt ferner: Dem Wege folgen,
ist seine Beschäftigung. Daher der Name. Mo, König vonTscheu, er
richtete mit Hilfe des wahren Menschen Yün-kieu Söller und Warten.
Hierauf berief er die verborgenen und müssigen Menschen und setzte
sie zu Männern des Weges ein. König Ping ühersiedelte nach der
Stadt Lö und setzte sieben Männer des Weges ein. Kaiser Ming von
Han setzte im fünften Jahre des Zeitraumes Yung-ping (62 n. Uhr.)
ein und zwanzig Menschen ein. Kaiser Wu von Wei errichtete der
neun Landstriche willen Altäre und ermass fünf und dreissig
Menschen. Kaiser Wen von Wei zog nach Yung, meldete sich zum
Besuche hei dem vorschriftmässigen Lehrer Tschin-tschi und setzte
fünfzehn Männer des Weges ein. Kaiser Hoei ermass neun und vierzig
Menschen und schenkte ihnen dreihundert Thüren des Volkes.
Die Verkündungen der Wahren sagen:
Lieu-yi führte den Jünglingsnamen Tse-siang und lebte zu den
Zeiten der späteren Han. Seine Vorfahren wohnten die Geschlechts
alter hindurch in Ying-tschuen. Sein Haus war reich, und er machte
es sich zur Aufgabe, den Armen beizustehen. Er wurde Statthalter
von Tschin. Später trat er aus seinem Amte, ging in das Gebirge
und wurde ein Mann des Weges.
Die Lösung- der Leichname und Schwerter.
fit
Tschün-yü-tschin führte den Jünglingsnamen Sehü-1 und war
ein Eingeborner von Kuei-ki. Zu den Zeiten des Kaisers Hoan von
Han war er Befehlshaber des Districtes. Er trat in das Gebirge und
übte den Weg.
Lieu-kuan führte den Jünglingsnamen Wen-jao. Er war zu den
Zeiten der späteren Han Statthalter von Nan-yang. Drei und sieben-
zig Jahre alt, trat er in das blumige Gebirge und gebrauchte Mennig-
rotli und Kreuzdornfrüchte.
Wang-lang führte den Jünglingsnamen Fä-ming und stammte
aus Tai-yuen. Er trat in das Gebirge Miao und machte Tao-yiu-kiü
zu seinem Lehrmeister. Im dritten Jahre des Zeitraumes Ta-thung
von Liang (S31 n.Chr.), an dem vierzehnten Tage des ersten Monats,
verwandelte er sich. Yin-kiü verfertigte eine Inschrift zu dessen
Gedächtnisse und stellte zugleich die Opfergabe nieder, indem er
sagte: Das breite Band, die Ohrlappen der Mütze, wie könnten sie
ehrenvoll sein? Die halbe Bundtafel von Sui ist keine Kostbarkeit.
Auf einer Strecke von zehntausend Weglängen sucht man den wahren
Menschen. Ich versiegle dieses und umschliesse es im Inneren.
Tschin-pao, der Vater Tao-hung-king’s, war aufgeklärt und
scharfsinnig. Er besass Gaben und lernte die Handwerke, die Pflan
zenschrift, die Schrift der kleinen Diener, die Künste der Abschlies
sung, des Reitens, Pfeilschiessens und der Arzneien. Aber auch Tao-
yin-kiü verstand sich auf die Schrift der kleinen Diener. Obgleich er
sich der Königsschrift hetleissigte, erfand er eine besondere Weise.
Die schuhlangen Tafeln mit zierlicher Schrift wurden von dem Zeit
alter hochgeschätzt.
Sün-tao führte den Jünglingsnamen Wen-tsang und stammte
aus Jen in Kuei-ki. Er trat in das Gebirge und machte Sse-ming-
tsan von Puan zu seinem Lehrmeister. Er empfing die Weise der Wah
ren und lernte das Schriftzeichnen. Er war hierin bald sehr geschickt
und wundervoll. Später lernte er die Königsschrift. Er hatte beson-
02
P f i l m a i e r
dere liefe Gedanken, und zu seiner Zeit pries man ihn. Die grosse
Steiniafel der südlichen Tiefen und die Steintafel des Altares Hiii-
tschang-sse’s sind von Tao geschrieben. Tao-yin-kiü schrieb eigen
bändig die Aufgaben aus den vorscbriftmässigen Büchern. Er fasste,
sie um die Mitte und entschied heimlich. Die Menschen des Thores
waren selten im Stande, sie zu sehen. Er überlieferte sie bloss Sün-
tao und Hoan-khai, sonst Keinem.
Tscbü-tschung verkaufte einst in Kuei-ki Perlen und lebte zu
den Zeiten der Königin Kao von Han. Tscbung verlegte sich mit einem
ungeschmückten Buche auf den Wein in dem Hause Niü-khi’s. Khi
stahl es hinweg und lernte dessen Kunst.
Die Männer des Weges mögen nicht die Trauer überwachen.
Sie beschädigen den Geist, zerstören die Luft. Desswegen entfernen
sie sich von dem Zeitalter, sie treten in keinen Dienst und verbringen
ein einsames Dasein. Bloss bei Vater, Mutter und bei dem Lehrer
fürchten sie nicht, die Beschaffenheit und das Lebenslos zu verletzen.
Sie überwachen gewiss die Trauer um sie. Wenn sie hierdurch sich
verletzen, ist es keine Verletzung.
Das Buch Pao-pu-tse sagt:
Sie-liii führte den Jünglingsnamen Ki-ho und stammte aus Tai
in Yen. Zu den Zeiten des Königs Wu von Tscheu lernte er den
Weg auf dem Berge der Weingefässe. Dass er bei sieben Prüfungen
des Buches des nördlichen Flusses nicht durchkam, geschah nur
desswegen, weil Ausschreitung, Niedrigkeit und Trägheit die Prüfung
verdarben.
Kö-wen-kiü stammte aus dem Districte Tschi in Ho-nei. Er trat
in das GebirgeLö-hoen und lernte den Weg. Er allein war im Stande,
ohne Leidenschaft zu sein und keine Wünsche entstehen zu lassen.
Zu den Zeiten des „grossen“ Kaisers von U lebte in Scho ein
gewisser Li-O. Derselbe batte keinen beständigen Wohnsitz und
verzehrte keine Speise. Die fortgesetzten Geschlechtsalter sahen ihn
Die Lösung- der Leichname und Schwerter.
63
und nannten ihn den hundertjährigen Greis. Wenn Menschen zu ihm
gingen und ihn um etwas (ragten, sprach 0 kein Wort. Man weissagte
hloss aus den Gesichtszügen O's. Hatten diese den Ausdruck der
Freude, so stand die Sache gut. Hatten sie den Ausdruck der Trau
rigkeit, so stand die Sache schlecht. Lachte er, so hatte man grosses
Glück. Seufzte er ein wenig, so hatte man schweren Kummer. Zeichen
dieser Art Hessen sich nicht erklären. Eines Morgens war er plötzlich
verschwunden, und man wusste nicht, wohin er sich begeben hatte.
Fan-ling-tse liebte in seiner Jugend den Weg der Unsterblichen
und verbrachte auf diese Weise die Jahre. Später begegnete er Sse-ma-
ki-tschü. Ki-tschii trat mit ihm zugleich in den Tschang-schan. Sie
Verbrachten daselbst sieben Jahre und traten in ein Felsenhaus. In
der nordöstlichen Ecke desselben befand sich ein steinerner Krug.
Nach Einigen heisst es ein steinernes Fenster. Ki-tchü trat hinaus
Und verreiste. Er ermahnte ihn ernstlich und sagte: Hüte dich, dass
du es nicht öffnest. — Ling-tse öffnete es plötzlich und betrachtete
es. Ki-tschii kehrte zurück und schickte ihn nach Hause. Später be
rief er ihn wieder zu sich und liess ihn eine kupferne Büchse be
wachen. Er ermahnte ihn nochmals, sie nicht zu öffnen. Ling-tse
öffnete sie wieder, und Ki-tschü schickte ihn fort. Demgemäss er
langte Jener nicht den Weg.
Fung-liang stammte aus Nan-yang und war in seiner Jugend
ein Angestellter des Districtes. Dreissig Jahre alt, war er der zuge
sellte Vermerker des Beruhigers. Er zog dem Tü-yeu (dem Aufseher
über das Ungewöhnliche) entgegen und schämte sich seines Mangels
an Vorsätzen. Er zerstörte jetzt den Wagen, zerriss die Kleider sammt
dem Kopftuch und entfernte sich. Er folgte einem Lehrer und empfing
die Gedichte, die Überlieferungen, die Gebräuche und die Verwand
lungen. Er lernte wieder die Kunst des Weges und die Wahrsagung.
Er lustwandelte und spähte durch fünfzehn Jahre und kehrte dann
in den Landstrich und die Provinz zurück. Er wurde den Gebräuchen
gemäss vorgeladen, fand sich aber nicht ein. Eine höchste Verkün
dung erhob vor allem die weisen Männer, und Liaug erhielt eine
hohe Rangstufe. Auf halbem Wege gab er es auf und kehrte nach
F f i z in h i e r
Hause zurück. Sieben und sechzig Jahre alt, verliess er das Zeitalter,
setzte im Osten über und trat in das Gebirge. Er befindet sieb in der
Tiefe der Spuren der Hirsche.
Ngan-khieu-wang-tsehi führte den Jünglingsnamen Tschung-tu
und stammte aus Tschang-ling in dem Kreise der Mutterstadt. Er übte
die Bevorzugung des gelben Greisenalters. Kaiser Tsching von Han
schätzte an ihm den Weg und die Tugend. Er stellte ihn immer
voran und nahm ihn zu seinem Lehrer. Jener erlitt immer mehr
Schaden und zog sich zurück. Kaiser Tsching hat ihn. Wang-tschi
wartete unter der Bedingung, dass man zu seinem Gebrauche einen
Erdaltar mit vollständiger Ausschmückung errichte. Als die Sache
vollendet war, erklärte er die Abschnitte und Sätze Lao-tse’s. Es
gibt eine Wissenschaft des Mannes von dem Geschlechte Ngan-
khieu.
Wang-tschi wurde plötzlich von einer ernstlichen Krankheit
befallen. Sein Schüler Kung-scha-tu befand sich hei ihm unter einem
Baume des Vorhofes. Wang-tschi war hei klarem Verstände, und in
seiner Krankheit trat eine Besserung ein. Es war damals in den Mo
naten des Winters, jedoch es verbreitete sich ein Geruch nach Bir
nen. Er öffnete die Augen und sah ein Paar rothe Birnen an einem
dürren Aste hängen. Wang-tschi bog die Hand zurück, um die Birnen
in Empfang zu nehmen. Die Birnen fielen von selbst in seine hohle
Hand. Er ass die Birnen, und alle Leiden wichen von ihm. Sein Leih
war leicht, sein Auge hell. Hierauf verschwand er, und Niemand
weiss, wo er sich befindet.
Die Überlieferungen von dem Lernendes Weges sagen:
Yen-thsi führte den Jüuglingsnamen Tschung-wei und lebte zu
den Zeiten des Kaisers Ming von Han. In seiner Jugend lieble er den
Weg und die Tugend. Er trat in keinen Dienst und lustwandelte rings
zu den berühmten Bergen. Später wohnte er auf dem Berge Wu-
tang. Um zu schlafen und auszuruhen, hatte er keine beständige
Stätte. Bisweilen häufte er zu diesem Beliufe Steine zusammen. Bis
weilen lehnte er sich an einen grossen Baum. In allen vier Jahres
zeiten war seine Kleidung unverändert. Er hatte gewöhnlich das
Haupthaar gelöst. Er besass auch gebleichte Tücher.
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
65
Pao-tsing führte den Jünglingsnamen Ta-yuen und stammte
aus Schang-thang. Er war der Nachkomme Pao-siuen's, Vorstehers
der kleinen Angestellten zu den Zeiten der Han. Die ihm angebornen
Eigenschaften waren Klarheit und Verstand. Er lernte und durch
drang die richtschnurmässigen Bücher und die Geschichtschreiber.
Er ordnete den Leih, pflegte die Gemüthsart, in seinen Handlungen
beging er keine Verstösse. Er hörte von dem Bösen der Menschen,
als ob man die Vermeidungen des Hauses verletzt hätte. Viele Men
schen folgten ihm. Sie empfingen die Beschäftigung, breiteten den
Weg, verwandelten die Dinge. Man gab ihnen den Ehrennamen:
Der Wald der Gelehrten.
Wang-kia führte den Jünglingsnamen Tse-nien und stammte
aus Lung-si. Er lebte am Ausgange des Thaies von Tung-yang und
meisselte die zur Seite des Berges befindlichen Steine. Er hatte
einen unbestimmten Wohnort. Seine Leute waren einige Hunderte,
von denen ein Jeder einen unbestimmten Wohnort hatte. Er war ein
Mann von kurzer Gestalt und schlichtem Aussehen, dabei aber scharf
sinnig und mit Urtheilskraft begabt. Wenn Possenreisser ihn um
Dinge des Zeitalters, um Gutes und Böses befragten, erklärte er sich
niemals mit geraden Worten. Indem er die Sache umging, bekun
dete er seine Meinung.
Yen-tsün führte den Jünglingsnamen Yün-ping und stammte
aus der Provinz Scho. Er ordnete den Weg und bewahrte sich selbst.
Mit den Söhnen unter den Menschen sprach er von Elternliebe. Mit
den Dienern unter den Menschen sprach er von Bedlichkeit. Mit den
jüngeren Brüdern unter den Menschen sprach er von Gehorsam. Bei
einem Jeden ging er von dessen Stellung aus und führte ihn zum
Guten.
Wang-yuen führte den Jünglingsnamen Fang-ping. Er stieg
gewöhnlich zu dem Hause Tsai-king’s herab. Nach einer Weile er
schien die Muhme von dem Geschlechte Ma. Die sie begleitenden
Reiter waren die Hälfte derjenigen Fang-ping’s. Die Muhme von dem
Geschlechle Ma hatte an den Händen Klauen wie ein Vogel. King
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LX1V. ßd. I. Hft. ä
P i'i /. in a i e r
(»0
war selbtsüchtigen Sinnes und sagte: Mich juckt eben der Rücken.
Wenn man mir ihn kratzen könnte, wäre es gut. — Fang-ping
sprach: Die Muhme ist ein göttlicher Mensch. Warum sprichst du
so unüberlegt? — Hiermit peitschte er ihn.
King hatte den Wunsch, sich Fang-ping anzuschliessen und
den Weg zu erlernen. Fang-ping liiess ihn mit zugekehrtem Rücken
stehen und betrachtete ihn von rückwärts. Er sprach: Sein Herz
ist unrecht. Man kann ihn nicht den Weg der Unsterblichen lehren.
— Er übermittelte ihm jetzt die Kunst, das Zeitalter zu bemessen.
Yü-sching-sien führte den Jünglingsnamen Thsung-kuang und
stammte aus Ying-tschuen. Er beleuchtete die Verborgenheit der Män
ner der Geschlechter Lao und Tschuang. In dem Districte Wen-
kiang, bei der Erdstufe des weissen Wassers errichtete er eine
Hütte und lieferte ausführliche Erklärungen über die Gelehrten, über
Schi (Buddha) und Lao (Lao-tse). Er empfing deren Wissenschaft
und wohnte verborgen in Kiang-nan. Zu wiederholten Malen durch
eine höchste Verkündung berufen, erschien er nicht. Zuletzt kam er
und brachte sich erst empor. Er erklärte das Buch des Weges und
der Tugend. Er zertheilte und spaltete das Geronnene und Stockende.
Sie-yö führte den Jünglingsnamen Schi-pao und stammte aus
dem Reiche Pei. Zu den Zeiten der Liang nahm er den Frühgebor-
nen von Yuen-pu zum Lehrmeister. Er wurde wegen des Schmuckes
seiner Aufsätze gelobt, war bewandert in Büchern und in der Füh
rung des Pinsels. Er schrieb einst einen Satz auf die Wand des ab
geschlossenen Palastes der Richtigen des Weges von der erhabenen
reingeistigen Warte. Wer es sah, sättigte sich daran.
Tsung-tschao von Tung-hiang führte den Jünglingsnamen Yl-lün
und stammte aus Kien-tseu in Kao-mL Er machte einst einen Erd
altar offenkundig und wandelte den Weg. Wenn die Wohlgerüche
in der Büchse zu Ende waren, füllten sie sich von selbst ein und
strömten über. Ferner war in dem Ofen kein Feuer, jedoch der
B
Die Lösung’ der Leichname und Schwerter. 67
Rauch entstand von selbst und der warme Dunst zog rings umher.
Er war nach langer Zeit nicht verflogen.
Tschang-yö war der Enkel Tsien-sse’s in der Reihenfolge des
zwölften Geschlechtsalters. Er errichtete die Warte des Herbeirufens
der wahren Menschen. Er pflanzte die berühmten Früchte und ver
setzte sie sämmtlich auf die Rerge. Er eilte voraus, Kaiser Kien-
wen von Liang liess für ihn eine Steintafel anfertigen.
Tsien-miao-tschin, ein Eingeborner von Tsin-ling, erlangte den
Weg in der Tiefe des Schwalbenmundes auf dem Berge Miao. Die
Menschen seines Thores errichteten eine Steintafel auf dem Berge
Miao. Der König von Schao-ling haute die östliche und westliche
Mauer einer Warte. Dieselbe ist gegenwärtig noch voi’handen.
Zu den Zeiten des Kaisers Wu von Liang, im zweiten Jahre des
Zeitraumes Thien-kien (S03 n. Chr.) setzte man grosse und kleine
Richtige des Weges ein. Meng-king-yi von Ping-tschang, dessen
Jünglingsname Tao-fu, war um die Zeit ein grosser Richtiger. Er
gab oftmals Erklärungen um des Reiches willen ab. Im vierten Jahre
desselben Zeitraumes (SOS n. Chr.) stellte Wei, König von Kien-
ngan, in dem Sitzsaale die Frage: Die Bücher, Lehren, Classen und
Verbote des Hauses des Weges sind sehr vielfältig. In den zwei
Heften Lao-tse’s werden die beschworenen Verträge und Überein
künfte mitgetheilt. Wie sollten die Meinungen der früheren Höchst
weisen nicht das sein, was Alle besprechen? — King-yl sprach:
Man erhöht die Geheimnisse, verehrt die Classen. Man stellt als
Richtiges voran die wundervollen Verwandlungen. Die Ordnung
dessen besteht darin, dass man es vollendet. Die Sache ist keines
wegs Widerspruch und Überschreitung.
Lieu-fä-sien stammte aus Peng-tsching, Um die Zeit veröffent
lichte Ku-hoan den Sinn des Buches des Weges in dem Satze der
ti8
F f i /. in a i e r
leeren Tugend >). Es war darin vieles, das er entriss. Fa-sicn übergab
ihm ein Schreiben, worin er Übereinstimmung und Unterschied, das
Widersetzliche und Unterwürfige des Weges des Mannes von dem
Geschlehte Ku beurtheilte. Jener antwortete ihm: Seit das Alterthum
den Wahnsinn hinterlassen, wurden Wasser und Feuer nicht ge
mieden. Als ich diese deine Stachelworte erhielt, merkte ich es erst
und erwachte. Nachdem ich fortgegangen, verdienen die wahnsin
nigen Worte nicht, dass man sich über sie wundert.
Man sagt fefner: Fä-sien sah oft, dass die Anhänger des Weges
und diejenigen Schi’s (Buddha’s) eifrig mit einander rechteten. Er
veröffentlichte daher Erörterungen über die Schlichtung des Streites.
Ku-hoan verfasste auch Untersuchungen über Fremdländer und
Menschen von Hia. Diese Untersuchungen erstrecken sich bisweilen
auf die drei Classen. Sie erörtern und beleuchten die Übereinstim
mung und den Unterschied zwischen Schi (Buddha) und Lao
(Lao-tse).
Tschang-sien stammte aus Kia-hing in der Provinz U. Er war
bewandert in dem Ursprünglichen und sprach oft. Er erklärte Lao-
tse, er ordnete und übte den höchsten Weg. Er beurtheilte die
höchsten Bücher. Die Menschen kamen aus weiter Ferne und sam
melten sich um ihn. Sien forschte nach den Geheimnissen der
wahren Menschen. Er war sehr kenntnissreich und wurde geehrt
und hochgeschätzt.
Tschin-king-scharig stammte aus U. Er erklärte vortrefflich und
wusste auswendig die Werke des Weges und der Lehre Schi’s
(Buddha’s). Die in dem Inneren wohnten, konnten ihn nicht er
reichen. Das von ihm verfertigte Buch der reingeistigen Schrift fand
grosse Verbreitung in dem Zeitalter. Der zu den Zeiten von Liang
lebende König von Schao-ling schätzte es sehr hoch. Er berief
King-schang zu sich. Dieser folgte dem Könige nach Ying- und starb
in Kiang-hia.
Das Buch des Weges und der Tugend enthält die Stelle: Die leere Tugend nimmt
auf, nur der Weg wird befolgt. — Der Sinn ist, dass das Hohle und Leere eine
Sache in sich aufnehmen kann.
Die Lösung' der Leichname mul Schwerter.
69
Hoan-khai führte (len Jünglingsnamen Yin-sclni und stammte
aus Tan-tu in Tung-hai. Im Anfänge der Zeiten der Liang befanden
sicli in dem flachen Sande des Werders des Berges Kuen-lün drei
alte mit Pech verschlossene Zuber. In denselben befanden sich gelbe
ungeschmückte Abschriften. Es waren drei Abtbeilungen des von
dem Gebieter des Geschlechtes Kan herausgegebenen Buches des
grossen Friedens. Die Menschen des Dorfes erschracken und wun
derten sich über die Abgeschiedenheit des Ortes, aus dem das Buch
hervorkam. Sie überreichten es Tao-yin-kiü, dem sie es früher
zeigten. Yin-kiü sagte, dass es eine alte Handschrift des wahren
Menschen, des Gebieters von dem Geschlechte Kan sei. Khai begab
sich mit dem Buche in die Hauptstadt. Sofort wurde er von einem
Wechselfieber gequält, und auf keine Behandlung erfolgte Heilung.
Tao-yin-kiü hörte dieses und sagte: Diese Krankheit ist keine über
flüssige. Ich fürchte, dass die Wegnahme des Buches zum Verderben
gereicht. Warum bringt er nicht das Buch und gibt die Handschrift
zurück?— Jener hielt sich an zwei Tage und brachte es zurück. Er
war plötzlich hergestellt.
Es wird ferner gesagt: Tsao-pao führte den Jünglingsnamen
Schi-tschin und stammte aus Tan-yang. Er schritt vortrefflich durch
den leeren Raum. In beiden Hauptstädten der Vorderste, that er es
Allen zuvor. Die Vornehmen, welche lustwandelten und ihn sahen,
priesen und belohnten ihn.
Yen-tschi-ming führte den Jünglingsnamen Hoei-tschi und
stammle aus Tsin-Iing, Er war von Natur mit einer schönen Stimme
begabt, ln seiner Jugend 'Sagte er kunstgerecht Worte her und
sang. Kaiser Ming ward von einem Unwohlsein befallen. Er zog oft
die Anhänger der Vorschrift herbei und übte in der inneren Vorhalle
den Weg. Als er Tschi-ming die richtschnurmässigen Bücher singen
hörte, war er sehr für ihn eingenommen. Er belohnte ihn, bezeugte
ihn sein Wohlgefallen und sagte, dass er von seinem Unwohlsein
durch ihn hergestellt sei. Als die Mitte der Vorschrift gelöst ward,
kehrte Tschi-ming nach aussen zurück. Der Kaiser konnte mitten
in der Nacht keine Ruhe finden. Er rief nach Tschi-ming und for
derte ihn auf, gegenüber der Kleiderausstattung des kaiserlichen
Wagens zu singen. Man bemerkte sofort, dass er gut gelaunt war.
70
P f i z m a i e r
Siü-sse-tse führte den Jünglingsnamen Te-wei und war einEin-
geborner von Tung-hai. Als Wu, Kaiser von Tschin, die grosse
Warte des erhabenen Reingeistigen errichtete, zog er Te-wei herbei
und ernannte ihn zum Vorgesetzten der Warte. Als er später starb,
liess Kaiser Wen die Aufforderung ergeben und gab Geschenke. Er
bewerkstelligte die Bestattung in der geheimen Luft.
Das Buch des grossen Friedens sagt:
Yen-ki-tschi führte den Jünglingsnamen Tsing-tschu und
stammte ausKeu-yung inTan-yang. Es war ein Mann des Weges und
diente seinen Eltern mit der äussersten Elternliebe. Er weilte auf der
Warte des Werders der Steine. Seine Mutter war alt und wagte es
nicht, sich weit zu entfernen. Er holte daher die Mutter ab und er
richtete zur Seite der Warte ein kleines Haus. Er verschaffte ihr
dadurch vollkommene Wärme und Kühle. Als die Mutter starb, ward
er von Zehrsucht befallen und übertrieb die Gebräuche. Diejenigen,
die es wussten, lobten ihn.
Tsch’hi-ngan führte den Jünglingsnamen Fang-hoei und stammte
aus Kin-hiang in Kao-ping. Er war ein das Kriegsheer niederhal
tender Heerführer von Tsin. Er schätzte im Herzen den Weg und
die Vorschrift hoch und übte sie im Geheimen selbst. Er war be
wandert in der Schrift der kleinen Angestellten und kam hierin Yeu-
kiün gleich. Er unternahm es, die Bücher des Weges abzuschreiben
und mochte hundert Rollen angefüllt haben. Unter ihnen waren viele,
die gegenwärtig noch vorhanden sind.
Tschang-hiao-sieu lag Wang-yuen-kuei häufig mit Bitten ob,
weil dessen Handschrift wunderbar und künstlich war. Yuen-kuei
vergnügte sich bloss mit Quellen und Gestein. Er rührte den ganzen
Tag die Citlier, pfiff und sang. Er nahm den Pinsel gar nicht in die
Hand. Im Begriffe zurückzukehren, schrieb er nichts weiter als einige
Zeilen laufende Schrift. Hiao-sieu machte ihm eine schlichte Aus
einandersetzung. Er schämte sich und getraute sich nicht, ihn in
ständig zu ersuchen. Gegenwärtig ist auf dem langen Brete des
stillen Amtsgebäudes der Schrifttafeln noch immer eine Schrift von
seiner Hand zu sehen.
Die Lösung' der Leichname und Schwerter.
71
lliü-sse-yuen war der jüngere Bruder Hiü-yuen-yeu's. Seit
seiner Geburt liebte er den Weg. Die Gelehrten kannten seinen
Namen gut. Kaiser Kien-wen von Tsin ging mit ihm eine ungewöhn
liche Verbindung ein.
Jin-tschün-schang stammte aus Pö-tschang. In dem Zeiträume
Yung-kia (307 bis 311 n. Chr.) warf er sich auf den Berg Miao.
Er erklärte den Weg und sammelte Anhänger. Er seufzte verstohlen
und sprach: Die Menschen sagen zwar, dass sie das Gute bewundern,
allein sie haben nur Neigungen nach auswärts. Ich habe noch kein
wahres Herz gesehen, mit dem man das Metall zerschneiden könnte.
Tsin-lo-na war der Gebietende des obersten Buchführers. Um
die Zeit vierzig Jahre alt, erkrankte er an einem Geschwüre. Er
meldete es Tu-kung, indem er sagte: Das Verlassen des Zeitalters",
ein kurzes Leben, den bevorstehenden Tod habe ich bei diesem Ge
schwüre zu besorgen. — Kung verfertigte einen Satz für eine Schrift
tafel und gab ihm nebstdem das Pulver des Wolkenfluges. Er sagte
dabei zu Nä: Dein Leben wird sich bis zu dem siebzigsten Jahre
erstrecken. — Diese Worte gingen in Erfüllung.
Wang-yeu-kiün erkrankte und bat Kung. Kung sagte zu seinen
Schülern: Die Krankheit Yeu-kiün’s ist unheilbar. Wozu sollte er
etwas anwenden? — Nach fünfzig Tagen starb jener wirklich.
Tsiang-fu-tseu war ein Eingeborner von I-hing. Er ging mit
Sie-pieu von Tsin-ling eine ungewöhnliche Verbindung ein. Er ging
auf dem Berge Miao ab und zu, und es war seine Absicht, sich
daselbst niederzulassen. In dem Zeiträume Yung-ming von Tsi (4S3
bis 493'n. Chr.) zog er in die Hauptstadt hinab. Tao-yin-kiü begeg
nete ihm ein einziges Mal, und Beide schlossen sofort ein vollstän
diges Bündniss. Der Mann von dem Geschleckte Tao löste später
das breite Band und knüpfte Dachränder mitten auf dem Miao. Er
bat Fu-tseu dringend. Dieser übersetzte die Bergtreppen und begab
sich zu ihm. Die Bücher, die Vorbilder, die Arzneien und die Kunst
wurden von ihnen immer in Gemeinschaft erörtert.
12
P 1’ i l m a i e
Yflng-schao fühl te den JiingligsnamenTschao-yuen und stammte
aus Tung-hai. Er trat in das Gebirge und diente Tao-yin-kiü. Er
ging fort, kehrte wieder zurück und erörterte mit dem Manne von
dem Geschleckte Tao die Schwierigkeiten. Er brachte es dahin, dass
er in das innere Haus trat.
Tschü-hoei-khai führte den Jünglingsnamen Tschi-yuen und
stammte aus U-tsching in U-hing. Es war immer sein Bestreben
den Wandel zu überwachen, sich selbst zu ordnen, Anderen zu
helfen. Zu den Zeiten der Tsi <), im achten Jahre des Zeitraumes
Ta-ming (464 n. Chr.) herrschte in der Welt Hungersnoth. Hoei-
khai besass einiges Getreide und Früchte, die er vertheilte. Der
Bezirk und die Stadt verliessen sich auf ihn. Drei Menschen, welche
durch längere Zeit gehungert hatten, assen sich satt und starben.
Deren Angehörige klagten bei dem Districte und gaben vor, dass
Hoei-khai durch Verabreichung von Speise hungrige Menschen ge-
tödtet habe. Sie führten sehr bittere Beschwerde gegen ihn. Der
Befehlshaber des Districtes lachte und sprach: Man bittet um Speise,
sättigt sich und stirbt. Man hat dabei wieder Groll gegen den Wirtli.
In dem Gesetze kommt dieser Gegenstand nicht vor. — Er schickte
sie fort und fragte nicht weiter.
Po-yang war von unbekannter Herkunft. Er richtete seine Ge
danken ausschliesslich auf die Begründung des Weges. Sein Gebet
wurde immer erhört. Die Tochter Tsching-ti's war an einem Fusse
hinkend. Yang behandelte sie, und sie ward alsbald geheilt. Kien-
wen von Tsiti setzte den Nachfolger ab und hatte keinen Sohn. Er
entsandte jetzt Leute, damit sie durch Yang beten lassen. Hierauf
zeigte sich mitten in der Nacht ein gelber Dunst, der fern aus Süd
westen erstand und auf das innere Haus niederfiel. Um die Zeit
empfing die Kaiserin von dem Geschlechte Li den Kaiser Hiao-wu.
Hiü-mai führte den Jünglingsnamen Schö-yueo. In seiner Jugend
war sein Name Ying. Später veränderte er den Namen und nannte
0 Na.ch dem hier ang’egeheuen Zeiträume waren es noch die Zeiten des Hauses Linng'
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
73
sich Yuen-yeu (der weithin Lustwandelnde). Er hatte die Absicht,
den Weg der Unsterblichen zu suchen. Er trat in das Gebirge im
Westen von Lin-ngan und liess Tage verstreichen, ohne zurückzu
kehren. Die Menschen wussten auch nicht, wohin er gegangen war.
Er hatte früher eine Tochter Sün-hung’s aus der Provinz U, des be
ständigen Aufwartenden der zerstreuten Reiter, zur Gattin genommen.
Mai verfasste während seines Aufenthaltes in dem Gebirge von Lin-
ngan ein Schreiben, worin er von seiner Gattin sich verabschiedete
und sie entliess. In demselben sagte er: Ich will hören den Wieder
hall des schwebenden Donners, den Gesang der Vögel des Gebirges.
Sie erkmngen in Tönen der fortgesetzten Schalmeien, die neun
Vollendungen können es ihnen nicht zuvorthun. Ich geselle mich
zu den Schatten unter den grünen Zwiebeln. Ich lasse mich nieder
und ruhe in den Häusern der Felsenhöhlen. Ich halte diese für Vor
hallen und Hallen, die breiten Seitendächer können sie nicht über
treffen. Dies ist es, wodurch Neigung und Wunsch enden, die Vor
sätze sind hier abgeschnitten. Ich entferne mich, ich trenne mich
für immer.
Tsclni-pe-yö führte den Jünglingsnamen Yuen-kiü und stammte
aus Tsien-tang in der Provinz U. Er bewunderte frühzeitig das
Leere. Als er achtzehn Jahre alt war, verheirathete ihn sein Vater
und trat in das Thor der Vorderseite. Pe-yö trat aus dem Thore der
Rückseite, reiste nach Jen und wohnte auf dem Rerge des Wasser
falles. Er ertrug von Natur Hitze und Kälte. Er lebte auf dem Berge
dreissig Jahre und war allen menschlichen Dingen entfremdet.
Es wird erzählt, dass Pe-yö früher zu der südlichen Berghohe
lustwandelte. Auf dem Wege trat er in die fliegenden Stromschnellen
und laufendenAbgründe von Min-tschung. Er liess das Schiff landen.
Am Abend erhob sich an den Stromschnellen plötzlich eine Winds
braut, die Gebirgswasser brachen mit Heftigkeit herein und schlugen
gegen das Schiff. Der obere Berggipfel stürzte und trennte sich von
der steilen Höhe. Die Gefährten Pe-yö's glaubten, dass das Eis ihn
zermalmt habe. Sie suchten an den unwegsamen Stellen und er
blickten Pe-yö, der ganz sein früheres Aussehen hatte. Er bewegte
mit einem kleinen Stabe das Schiff und watete durch eine unergründ
liche Quelle. Alle erschracken darüber und warfen sich zu Boden. Er
trat in das Gebirge Hö und verschwand.
*
74
Pfizmaier
Als Pe-yo sich in dem Gebirge des Wasserfalles verborgen batte,
ehrte der Kaiser Kao-tsu von Tsi die Silten dieses Mannes und wollte
ihn sehen. Pe-yo entschuldigte sich wegen eines Unwohlseins und
verschwand. Den Kaiser verdross dieses nachträglich. Er befahl in
einer höchsten Verkündung, an dem Fusse des Berges des Wasser
falles die Warte des grossen Friedens zu errichten. Khung-tschui
errichtete daselbst eine Steintafel.
Tschang-ling verlegte sich auf vielseitiges Lernen. Dieses er
streckte sich selbst auf die Grundrisse des Flusses und des Lö,
sowie auf die Himmelskunde. Er erschöpfte gänzlich das Wunder
volle dieser Dinge. Er wohnte ruhig in dem Thore der Wagebalken
und trachtete nicht nach Erfahrung und Einblick. Er rührte die
Cither, sang Gedichte und richtete sich einzig nach seinen Launen.
Lung-wei ist derjenige, der in dem Gebirge des Menschen des
Stahes den Weg erlangte. Unter den Zeitgenossen konnte keiner
seinen Namen. Man nannte ihn den verborgenen Bewohner des
Berges. Er war stolz und ungesellig. Hochfahrend trennte er sich
von dem Zeitalter der Menschen.
Tao-hung-king führte den Jünglingsnamen Thung-ming und
stammte aus Ping-yang in der Provinz Wei. Er selbst nannte sich
den verborgenen Bewohner des Hoa-yang. Er sagte gewöhnlich zu
den Menschen: Mein Herz ist immer gleich einem hängenden Spiegel.
Die Dinge, die anstossen, verrücken es nicht. — Er übte gern verbor
gene Wohlthaten und unterstützte die Bedrängten undUnglücklichen.
Zugleich theilte er Arzneien aus und nahe und fern verliess man sich
auf ihn. In seinem ganzen Leben hatte er noch nicht am Tage ge
schlafen, er blickte in die Bücher bis Mitternacht. Er hörte gern das
Sausen des Windes durch die Fichten. In seiner Jugend verschmähte
er das Fett und den Schafgeruch. Er Hess bloss Babenreis, Moos,
purpurnes Gemüse und rohen Ingwer auftragen. Er trank Wein und
konnte es bis zu einem Nössel bringen. Zerschnittenes wurde ihm
jedoch nicht aufgetragen.
Die Lösung der Leichname und Schwerter. 7 5
Die Darlegungen von dem Höchstweisen des Geschlechtes Lao
sagen:
Der göttliche Arzt Tsching-kung-yü, der unsterbliche Mensch
der mittleren Berghöhe verwandelte sich als Unsterblicher am sechsten
Tage des siebenten Monats des fünfzehnten Jahres Hung’s von dem
Geschlechte Yao ’). Die Leute seines Thores wollten ihn feierlich
begraben. Yü erhob sich plötzlich zweimal und sprach: Wenn die
Männer des Weges das Fortgesetzte zerreissen, weichen sie von den
Gewohnheiten ah. Wozu sollte man trauern, weinen und feierlich
begraben? Man begründet nur dasVerdienst desOrdnens des Gebetes.
Hierdurch entspricht man den Gesetzen des grossen Alterthums, des
echten Wahren. — Als er mit seiner Rede zu Ende war, verwandelte
er sich. Am folgenden Tage, zur Zeit des Mittags, klopfte Jemand
an das Felsenhaus. Die Menschen des Thores gingen hinaus, um
nachzusehen. Sie erblickten zwei Jünglinge, die unverzüglich bei
der Thüre eintraten. Yü erhob sich plötzlich und war verschwunden.
Sie begruben ihn an der Grenze des Districtes Kung, in der reinen
ungeschmückten Gasse.
Meng-tao-yang führte den Jünglingsnamen Hiao-yuen. Er führte
ursprünglich den Namen Yuen und stammte aus Ping-tschang. Wenn
er in seiner Jugend erfuhr, dass sich irgendwo eine Matte der Vor
schrift befand, ging er, ohne nach der Entfernung zu fragen, dahin,
betrachtete sie und hörte zu. Als er älter wurde, war seine Gemüths-
art tief und ruhig. Er lernte bloss seiner selbst willen und trachtete
nicht nach Erfahrung und Einsicht. Er verschloss die Thüre, öffnete
das Fenster, schlug das Buch auf und machte sich mit dem Alter
thum vertraut. Wenn er in dem inneren Hause las und hersagte,
kam aus seinem Munde kaum ein Laut hervor. Lieu-hoan und Tai-
sien bewerkstelligten gegenseitig ihre Ausbildung und erörterten die
ursprüngliche Ordnung. Ein jeder von ihnen brach in Rufe der
Bewunderung aus, demüthigte sich vor ihm und glaubte, dass er sie
bei Weitem übertroffen habe.
*) Yao-hung ward eigentlich im zwölften Jahre des Zeitraumes I-hi von Tsin (416
n. Chr.) zum Herrscher der späteren Thsin eingesetzt. Als im folgenden Jahre (417
n. Chr.) Lieu-yö, Heerführer von Tsin, in Tschang-ngan einzog, trat Yao-hung aus
und ergab sich an Tsin. Das Haus der späteren Thsin ging hierauf zu Grunde.
P f i z in a i e
7«
U-meng führte den Jünglingsnamen Schi-yün und stammte aus
Yii-tschang. Er war von Gemüthsart echt elternliebend. In den
Sommernächten neben seinem Vater und seiner Mutter sich befin
dend, getraute er sich nicht, die Mücken zu verjagen, indem er fürch
tete, dass sie von ihm wegfliegen und sich auf seine Eltern setzen
könnten. Als er dreissig Jahre alt war, betheilte ihn sein Stadtgenosse
Ting-I-sse mit dem Wege und überlieferte ihm die Kunst. Sein Be
zirksgenosse Yin-tung trug für ihn auf. Als er sich entfernt hatte,
befand sich der Wein noch in den Gelassen und war nicht weniger
geworden. Schü-tao-yün, ein Mann des Weges, war seit einem Jahre
an einem Wechselfieber erkrankt; Meng übergab ihm das Gedicht
der drei Erhabenen und hiess ihn es hersagen. Yün wurde augen
blicklich gesund. Als Meng einst nach Yü-tschang zurückkehrte,
umschrieb er mit weissen Flügelfedern den Strom und setzte über.
Im Osten des Districtes befand sich ein steinerner Zuber, der unter
den verschiedenen Herrscherhäusern niemals eröffnet worden war.
Meng öffnete ihn und fand eine Menge Schrifttafeln mit alten Schrift
zeichen, die nicht zu erkennen waren. Im Süden des Districtes war
ein steiler Felsen, der vereinzelt stand und sich zu einer Höhe von
tausend Klaftern erhob. Die Affen konnten ihn nicht erklettern. Meng
stützte sich auf eine Schrifttafel wie auf einen Stab und erstieg ihn.
Kan-king von Sin-tsai, der Befehlshaber des Districtes, liebte die
Jagd. Meng machte ihm mehrmals Vorstellungen und wurde nicht
gehört. Später veranstaltete King eine grosse Jagd. Er zog von
vier Seiten Feuer hinzu und liess die Flammen zu dem Himmel
emporlodern. Meng sass wie früher zwischen den Pflanzen. Die Vögel
und wilden Thiere drängten sich rechts und links an ihn, und das
Feuer konnte sie nicht erreichen. King war sehr erschrocken und
empfand Reue. Wang-tschün wollte hingehen und Meng aufgreifen.
Plötzlich hatte er ihn aus dem Gesichte verloren. Er wurde darüber
sehr zornig. In demselben Jahre wurde Tschün geschlagen. Meng
bestieg den Berg Liü und sah daselbst einen Greis, der unter einem
Baume sass und mit einer Schale aus Edelstein süssen Thau auffing.
Er übergab ihn Meng. Ferner waren daselbst Gemächer von Edel
stein und goldene innere Häuser. Er sah mehrere Menschen, die mit
ihm wie mit einem alten Bekannten.sprachen. Sie trugen den ganzen
Tag Edelsteinfett auf. Meng bestieg ein eisernes Schiff auf dem
Gipfel des Berges Liü.
Die Lösung' «ler Leichname und Schwerter.
77
Tsien-miao-tschin war eia Eingeborner von Tsin-Iing. In seiner
.lugend liebte er den Weg und wollte sich sofort von den Gewohn
heiten lossagen. Seine Angehörigen nöthigten ihn, sich in die Gesell
schaft von Menschen zu begehen. Er klagte und weinte, bis man ihn
entliess. Er wohnte jetzt auf den zwei Bergen, dem grossen und klei
nen Berge Miao. Später ging er zu der Tiefe des Schwalbenmundes.
Er zertheilte mit den Händen ein Buch, fügte sieben Sätze eines Ge
dichtes hinzu und gab es Tao-yin-kiü.
Khung-ling-tschan stammte aus Schan-yin in Kuei-ki. Er hatte
den Kummer um die Mutter und war durch Elternliebe bekannt. Fest
lichkeiten, Einschenken von Wein, Darreichen seltener Speisen wur
den seit dieser Zeit abgeschaft't. Er verzehrte Grütze und Gemüse, er
kleidete sich in leinene und ungeschmückte Stolfe, seine Absichten
waren für das ganze Lehen erreicht. Als sein Vater sah, dass sein
Sohn übermässig sich abzehrte, befahl er ihm, Gerichte zu berei
ten. Ling-tschan bemühte sich, den Befehl des Vaters zu befolgen.
Es würgte ihn im Halse, und er zog sich eine Krankheit zu. Der Vater,
erkennend, dass die Eigenschaft, die ein Mensch von dem Himmel
erhalten, sich nicht wegbringen lasse, drängte ihn jetzt nicht mehr,
.lener erforschte gründlich die Unscheinbarkeiten des Weges, er
überblickte nach allen Seiten die Schriftblätter der Unsterblichen.
Kaiser Ming von Sung errichtete neben dem unstäten Wohnsitze
Yii's die Warte der in dem Busen getragenen Unsterblichen. Er er-
liess eine höchste Verkündung und hiess Ling-tschan daselbst wohnen.
Er beförderte ihn zu einem Grossen der grossen Mitte und verlieh
ihm mehrere Gegenstände. Kaiser Kao schenkte ihm ein Hirschtuch,
einen Atfenpelz und Geräthe von ungeschmücktem Bambusrohr. Er
sagte in einer höchsten Verkündung: Du hast die Sitten der Menschen
des Alterthums, ich beschenke dich mit der Kleidung der Gegenden
unter den Wäldern. An dem Tage des Aufsteigens und Fortschwim-
mens kannst du dich dadurch erhalten.
Tschang-yl führte den Jünglingsnamen Sse-ho und stammte aus
der Provinz U. Er ermunterte die Leute des Lernens und stellte die
Sachen der Vorschrift zurecht. Er erklärte häufig die richtschnur-
78
Pfizmaier
massigen Bücher und war beim Ordnen gründlich und genau. Seine
Worte waren richtig und bekundeten blühende Beredtsamkeit, was
die damalige Zeit hochschätzte. Kaiser Wu von Liang hatte vor ihm
Achtung und belohnte ihn.
Um die Zeit veröffentlichte Tao-yin-kiü die Vorschriften und be
leuchtete in seinen Erörterungen die Lehren Schi’s (Buddha’s) und
Lao’s (Lao-tse's). Yi ging hin und beurtheilte wieder diese Werke,
wobei er sehr viele Unterscheidungsgabe an den Tag legte. Yin-kiü
hiess die Beurtheilung gut.
YI richtete seine Gedanken ausschliesslich auf den Weg und
die Vorschrift. Er lebte in Armuth und bewahrte die Umschränkung.
Er war bewandert in der Schrift der acht Körper und erfand ausser
dem die Siegelschrift der Wolken. Er verfertigte die Steintafel der
Tiefe im Süden des Berges Miao. Dieselbe ist sehr kunstreich.
Sung-wen-thung führte den Jünglingsnamen Wen-ming und
stammte aus der Provinz U. Zu den Zeiten des Kaisers Kien-wen von
Liang verfasste Wen-ming, in Betracht, dass die richtschnurmässi-
gen Bücher der Häuser des AVeges ohne Ausnahme dargelegt und
erklärt waren, die auseinandergesetzten Aufgaben über den Sinn des
reingeistigen kostbaren Buches. Man sagt, dass man sie das Thor des
Verkehrs nannte. Er verfasste ferner die Wassertiefe der grossen
Bedeutungen. Die Lernenden schätzten ihn hoch und beriefen sich
auf ihn. Die vier Gegenden wendeten sich an ihn mit Bitten. Yi war
ein Meister im Veröffentlichen und Verfassen von Büchern, aber
schwerfällig in der mündlichen Rede.
Wang-sui-khi war ein Eingeborner von Ta-yuen. Er war der
Vorgesetzte der Warte der sich sammelnden wahren Menschen. Er
hatte die Eigenschaft, dass er wenig schlief. Wenn er sich niederge
legt hatte, war er noch immer wach. Wenn die Worte und Erör
terungen der Menschen ihn angingen, leitete er sofort ihr Gespräch.
Alle brachen über seine Geistesklarheit und Aufgewecktheit in
Rufe des Erstaunens aus.
Es heisst ferner: Wenn man sich am Tage und in der Nacht
nicht niederlegt, vereinen die Sonne und der Mond ihr Licht.
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
79
Anhang II. Gebet und Hütung.
Das Buch des grossen Höchsten sagt:
An die Götter denken, die Luft verzeichnen, an die Vorschrift
sich gewöhnen, die Stufe ersteigen, nennt man das Gebet verrichten.
In den wahren Menschen der grossen Gipfelung wird gesagt:
Als Gebet geht nichts über die reingeistige Kostbarkeit. Ihre
Vorschrift ist erhaben und wundervoll. Sie wird nicht in dem Zeitalter
verbreitet, sie wird verbreitet in den mündlichen Entscheidungen der
höchstweisen Männer. Sie ist geheim und wird nicht geschrieben.
Bei der Vorschrift für das Gebet des grossen Einzigen ist das Ur
sprüngliche noch ursprünglich.
Das auf die Elternliebe deutende Buch sagt:
Den Weg in Empfang nehmen und nicht beten und sich hüten,
ist so viel als ohne Leuchte in der Nacht wandeln. Man verirrt sich
auf dem Wege und bereitet sich nur Ungemach.
Die Classen der grossen Wahren sagen:
Bei dem Ordnen von Dreien, dem Bewachen des Einzigen ist
das Gebet die Grundlage und das Fussgestell. Wer den Weg erlernt,
macht das Gehet und die Hütung zur Grundlage. Dies ist es, was
das grosse Höchste werthschätzt, was der Mann des Geschlechtes
Lao aufhaut, worauf die Unsterblichen und Wahren sich verlassen.
Der Mann des Weges, der imStande ist, täglich einmal zu essen,
der Unreines und Schlechtes nicht verzehrt, nach dem Monde betet
und sich hütet, am Tage und in der Nacht nicht nachlässig ist, nicht
Verletzt, mit Entschiedenheit Mass hält, sich regt und fliegt, muss
den vollendeten Weg erlangen.
Die Männer des Weges, welche die richtschnurmässigen Bücher
ordnen, sich an die Beschäftigung gewöhnen, bedienen sich der zwei
Helte des Weges und der Tugend. Zuvor beten sie und hüten sich.
Wenn sie die Bücher empfangen, bemessen sie die Menschen und
unterstützen sich selbst.
80
P f i ■/. in a i e r
Will man bei der Krankheit des Vaters und der Mutter zu Hille
kommen und Lösung herbei führen, muss man auf der Erdstufe des
Zeigens der Obrigkeiten beten. Während des Gebetes trägt man die
Sätze der mitternächtlichen und der mittägigen Stunde vor. Ist das
Leiden herbeigekommen, so sind die Obrigkeiten gewiss gerührt.
Der Weg des Erhabenen der Edelsteine des ursprünglichen
Reinen, der höchste Erhabene, der Himmelskaiser übergab ihn dem
Gebieter, dem Himmelskaiser des grossen Unscheinbaren, dem Ge
bieter des purpurnen Geistigen der drei Lichter, dem ursprünglichen
Gebieter des Geschlechtes Lao von Tschin-yang. Später machte er
dessen theilhaftig den Gebieter des Weges des grossen Höchsten,
überlieferte ihn dem Gebieter des Geschlechtes Li von der goldenen
Thorwarte. Der Gebieter des Geschlechtes Li überlieferte ihn dem
wahren Menschen des grossen Reingeistigen, dem Gebieter des Ge
schlechtes Tschi von der südlichen Berghöhe. Ferner überlieferte ihn
die vornehme Frau des purpurnen Ursprünglichen dem Gebieter des
Geschlechtes Wang von dem reinen Reingeistigen. Der Gebieter des
Geschlechtes Wang überlieferte ihn der vornehmen Frau des Ge
schlechtes Wei von der südlichen Berghohe. Die vornehme Frau über
lieferte ihn dem Gebieter des Geschlechtes Yang mit dem Aufträge,
ihn Hiü-tsehang-sse zu übergeben. Die Zugesellten, die Übergeben
den und die Empfangenden beteten und hüteten sich durch
sieben Tage.
Die wahren Menschen, welche den Weg übergeben, beten und
hüten sich früher durch hundert Tage. Einige thun dieses durch
dreissig, andere durch zehn Tage. Auch muss man das Beten einen
Tag früher melden und dadurch das Herz waschen und veredeln.
In dreissigJahren überliefern und erforschen sie sechsmal das höchste
Buch. Wenn bei Gebet und Hütung nichts dergleichen geschieht, üben
sie es durch vierzehn Jahre. Das grosse Höchste zieht ihnen ent
gegen mit Rädern von Edelstein. Sie ersteigen das höchste Reine und
werden höchste wahre Menschen.
Das Buch der drei Erhabenen sagt:
Wer betet und sieb hütet, hat drei Begründungen und bestimmt
dadurch die Sache des Herzens, des Mundes und des Leibes.
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
81
Wer betet und sieb hütet, der erklärt und liest das grosse Buch
der ursprünglichen Verzeichnungen, hängt an den Gürtel und ge
braucht den inneren Schriftschmuck. Er bringt dadurch zu Stande
seinen Weg.
Jeder Betende hängt an den Gürtel und gebraucht den inneren
Schriftschmuck der drei Erhabenen. Er bringt dadurch zu Stande
den Weg des Verborgenen und des Offenbaren.
Die verborgenen Entscheidungen der aufsteigenden Wahren
sagen:
Das Beten des AVeges nennt man Bewachen und Stille. Dieses
hat die Bedeutung, dass man durch Beten das Herz bestimmt, dem
Leib Reinheit und Stille verschafft. Es besteht in einem lauteren Geiste.
Die fortschicken das Trachten, sich umwinden nach innen, sich ab-
schliessen nach aussen, sind diejenigen, die in dem Herzen beten.
Der den AVeg ordnende Mensch muss beten und sich hüten, den
Gebräuchen gemäss sich entschuldigen wegen der Vergehen von
sieben Geschlechtsaltern.
So oft das höchste Beine an einem glücklichen Tage versammelt
die fünf wahren Menschen, müssen alle den Weg ordnenden Menschen
an dem glücklichen Tage mit den Gedanken verweilen bei den glück
lichen Dingen. Im Herzen hegehren die fliegenden Unsterblichen, be
gründen die Tugend, erweisen die Güte, zu Hilfe kommen den Un
glücklichen und Erschöpften, dieses sind die Dinge des grossen
Höchsten. Man muss beten und sich hüten, fortschicken die ver
mischten Gedanken, im Geheimen bewohnen das stille innere Haus.
Die Verkündungen des Wahren sagen:
Bei dem Gebet und der Hütung kann man nicht ohne Unterschied
wohnen. Man bringt gewiss Verwirrung in den richtigen Weg. An
den Tagen Kiä-yin (51) und Keng-schin (57) schreiten Leichname
und Dämonen und bringen Verwirrung in den lauteren Geist. An den
unruhigen und unreinen Tagen muss man beten und sich hüten. Man
schläft nicht und schickt fort, was man wünschen kann. An den fünf
Tagen Mao (4) soll man gewöhnlich beten und sich hüten. Man
tritt in das innere Haus, wendet sich nach Osten, verbeugt sich im
Herzen und verweilt bei göttlichen Gedanken. Die Luft zieht zu dem,
was der Wille darlegt.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft.
6
P f i z m a i e r
82
In dem Zeiträume Kien-ngan von Han (196 bis 220 n. Chr.)
hörte Tso-thse, dass der Berg Keu-khiö sich in Kin-ling befinde und
mit dem Ngo-mei und Lo-feu in Verbindung stelle. Er übersetzte des
halb den Strom und suchte ihn. Hierauf betete er und hütete sich
durch drei Monate und erstieg diesen Berg. Er entdeckte dessen
Thor und trat ein. Der Gebieter von dem Geschlechte Miao übergab
ihm drei Gattungen der göttlichen Unsterblichkeitspflanze. Er hob
gründlich die Weise von dessen Verdiensten hervor und sagte: Die
unsterblichen Mädchen, die in Empfang Wohlgerüche nehmen, sind
in der Tiefe die Leihwache der betenden und sich hütenden
Menschen.
Die wahren Menschen der grossen Gipfelung empfangen die
mündlichen Entscheidungen des grossen Höchsten. In tausend Jahren
überliefern sie es fünfmal. Man hält sich an die Ausfertigung der ver
borgenen Bücher, betet und hütet sich durch fünf Tage. Hierauf
übergeben sie das begründete Versprechen.
Der Perlensack (tschü-nang) sagt:
Die sich auf die fünf Berghöhen begeben, waschen das Haupt
und baden sich an dem Tage Kiä-tse (1), dem Tage der obersten
Decade. Sie beten und hüten sich durch sieben Tage, dann ziehen
sie des Weges. Wenn auf den berühmten Bergen erblühte Unsterb
lichkeitspflanzen und wunderbare Arzneien sind, nehmen sie diese
in Empfang und verfertigen die mennigrothe Schrift des unge-
schmückten Vortrages. In dieser Schrift bittet man die aufsteigenden
Unsterblichen, das Zeitalter zu bemessen, im Fluge zu wandeln zu
dem höchsten Reinen. Man verbeugt sich zweimal, lässt ein weisses
Huhn und einen weissen Hund auf den Felsen los und entfernt sich.
Dann erst sucht man die erblühte Unsterhlichkeitspflanze und die
wunderbaren Arzneien. Was mau wünscht, wird man gewiss erlan
gen. Böse Dämonen und alte Unholde wagen es nicht, die Menschen
zu versuchen. Wenn mau den Weg lernt und dieseKunst nicht kennt,
ist man beim Eintritt in die Gebirge vielen Gefahren ausgesetzt.
Das Buch Pao-pö-tse sagt:
Wenn das Haus die Abbildungen der drei Gestirne besitzt, muss
man früher beten und sich hüten durch hundert Tage. Man ruft dann
herbei und bewegt zur Ankunft die Götter des Himmels, der Erde,
Die Lösung- der Leichname und Schwerter.
83
<der fünf Berghohen, des Bodens und des Getreides. Der Gebieter der
späteren Höchstweisen erlässt den Befehl an die als Kleine vorhande
nen wahren Menschen, zu verfassen die Verzeichnisse der sich sam
melnden höchsten Unsterblichen und Wahren, zu vereinen die Namen
und zu verfertigen die richtigen Vorschriften der höchsten Wahren,
zu vereinen die Namen und zu verfertigen die richtigen Vorschriften
der höchsten Wahren, um zu unterdrücken die zehntausend Unrechten
Dinge. Nach hundert Jahren übergeben sie es wieder den Menschen.
Man muss beten und sich hüten, dann erlangt man es.
Das Buch der Classen der drei Ursprünglichen sagt:
Die Grundlage des Lernens des Weges ist: Man muss früher
ordnen das mittlere Ursprüngliche, die Weise des Betens und der
Hütung, die Verbrechen sühnen, die Fehler entschuldigen bei dem
grossen Wahren. Man schreibt dann den Namen auf die ursprüng
liche Abbildung.
Das rothe Buch der göttlichen Kostbarkeiten sagt:
Die fünf Greise des ursprünglichen Beginnes, die Himmelskaiser,
■die erhabenen Kaiser versammeln sich an den sechs für das Beten
bestimmten Monaten des Jahres in dem Palaste der Hauptstadt des
Reingeistigen der obersten drei Himmel, auf der Erdstufe des pur
purnen Unscheinbaren des ursprünglichen Yang. Sie alle zählen das
Ursprüngliche des Himmels, setzen auseinander und vergleichen die
Bemessung der Kreisläufe.
Es heisst ferner: In dem Palaste des purpurnen Unscheinbaren
befinden sich die alten Erforschungen, das mennigrothe Buch, das
weisse Ungeschminkte. Man betet und hütet sich durch hundert
Tage und liest die Bücher mit lauter Stimme.
Das Buch der Edelsteintafeln des grossen Ungeschmückten
sagt:
Wenn man in Gebet und Hütung mit den Gedanken verweilt,
dieses Buch mit lauter Stimme liest und sich mit ihm vertraut macht,
steigt das Geistige empor ohne Lässigkeit, der Geist verkehrt in
Wissen und Verstand. Die Rangstufe ist diejenige eines wahren
Menschen des grossen Ungeschmückten.
Das Buch des grossen Friedens sagt:
Die unsterblichen Menschen sagen, dass die reinen Geister der
Menschen immer weilen an den leeren und unzugänglichen Orten. Sie
weilen nicht an den schmutzigen und trüben Thoren. Will man be-
6*
84
P f i z m a i e r
wirken, dass die Geister sich nach der Rückkehr sehnen, so muss
man jedenfalls beten und sich hüten in dem wohlriechenden inneren
Hause. Die hundert Krankheiten werden dann von selbst weggenom
men. Betet man nicht und hütet sich nicht, so haben die reinen
Geister keine Lust, zu den Menschen zurückzukehren. Sie steigen zu
dem Himmel und verklagen in Gemeinschaft die Menschen. Hierdurch
sind die Krankheiten der Menschen eine grosse Menge, und das
Sterben hat kein Ende.
Die Entscheidungen der laufenden Gestirne der acht Unge-
schmückten sagen:
Der siebenfache Sonnenglanz, die fünf Sterne, man erforscht
und erkennt ihre Gestalt und Farbe. Man sieht sie am Morgen und
am Abend, an ihrem Orte erwartet man sie. Sind es verfinsterte und
dunkle Abende, so verweilt man in dem Schlafgemache bei ihnen mit
den Gedanken, betet, hütet sich und ordnet den Wandel, als ob man
bei der Vorschrift für die laufende Sonne und den Mond verweilte.
Ein rother Dunst, purpurner Sternenglanz in der Sonne ist der Ster
nenglanz der neun göttlichen Blumen des Reingeistigen des Sonnen
glanzes. Ein gelber Dunst, weisser Glanz, Sternenglanz des acht
fachen Lichtes in dem Monde ist das Reingeistige der Nacht der
Blumen des Mondes. Die Menschen des Weges verstehen es, die Luft
des Mondes zu gebrauchen, und sie athmen den Sternenglanz des
Reingeistigen der neun Blumen. Sie sind im Stande, zu ordnen den
Weg des Verweilens bei der laufenden Sonne und dem Monde. Die
Königin von dem Geschlechte Ngan übergab dem Gebieter von dem
Geschlechte Yang zwei Rollen eines Buches. Sie bestehen aus wun
derbaren Vorschriften. Die Wege der Sonne und des Mondes sind
sehr zahlreich, sie sind erhaben und wundervoll.
Das reingeistige Buch der goldenen Thorwarte des höchsten
Reinen sagt:
Der Tag der glücklichen Zusammenkunft des grossen Höchsten
ist der Tag, an welchem die hohen Wahren zu dem Feste sich sam
meln, Glück wünschen und Geschenke bringen. Das herumwandelnde
Ursprüngliche ist der Tag des veränderten Anfangs des grossen
Höchsten. Kiä-tse (!) ist die vorangehende Luft des Yin und Yang,
der Anfang und der Keim des erneuerten Masses des abnehmenden
Mondes. Desswegen bildet es den neuen Tag. Wer diese Tage nicht
kennt, darf nicht die Verbrechen lösen, die Fehler entfernen. Er darf
Die Lösung- der Leichname und Schwerter.
85
nicht einritzen die Schril'ttafeln. Die höchsten Wahren müssen beten
uud sich hüten an diesen Tagen, mit den Gedanken verweilen hei
glücklichen Dingen. Dieses sind die Entscheidungen des herumwan
delnden Ursprünglichen.
Das Buch der inneren Schatten des gelben Vorhofes heisst auch
der Schriftschmuck des Herzens der Cither des grossen Höchsten.
Es heisst auch das goldene Buch des grossen Kaisers. In dem Palaste
des Gebieters, des grossen Kaisers von Fu-sang liest man mit lauter
Stimme vollständig dieses Buch. Man schreibt es, indem man es in
goldene Schrifttafeln einritzt. Desswegen heisst es das goldene Buch.
Man nennt es auch das Schriftheft der Edelsteine der östlichen Blu
men. Die östlichenBlumen istder Name des Palastes desFang-tschü 1 ),
des Ortes, an welchem der Gebieter, der grüne Jüngling des östli
chen Meeres wohnt. Die in ihm befindlichen Richter der Unsterblichen
befassen sich häufig mit Gebet und Hütung. Sie sagen her und singen
das Buch, sie schreiben es nieder, indem sie es in Edelstein ritzen.
Die entscheidenden Reden des gekrümmten Ungeschmückten
des zur Linken befindlichen wahren Menschen der grossen Gipfelung
heissen auch das Buch des grossen Wahren der ursprünglichen An
höhe der Luft des Paradiesvogels der neun Himmel. Das grosse
Höchste übergab es dem zur Linken befindlichen wahren Menschen
der grossen Gipfelung. Der wahre Mensch überlieferte es dem grossen
Gebieter, dem grünen Jüngling des Palastes des Fang-tsclni an dem
östlichen Meere und hiess ihn es überliefern den Männern des Weges.
Es hatte gründlich das Entsprechende des Namens. Die göttlichen
Unsterblichen und die wahren Menschen behängen mit ihm den
Gürtel. Nach zwanzig Jahren dürfen sie sehen den Gebieter der drei
Ursprünglichen, sie beten und hüten sich. Durch das Übereinkommen
des grünen Goldes ersetzen sie beschworene Verträge und Ver
sprechen.
Die geheimen Worte der acht Wege sagen:
Diejenigen, welche die Vorschrift der neun Wahren üben wollen,
beten und hüten sich in dem stillen inneren Hause. Sie müssen aus-
*) Fang--tschü heisst der Spiegel, in welchem man das glänzende Wasser des Mondes
auffangt.
86
P f i z m a i e r
schliesslich damit beschäftigt, ruhig im Herzen sein und anrufen die
fliegenden Unsterblichen, die emporsteigen zu dem purpurne»
Vorhofe.
Das Buch des Wahren der ursprünglichen Anhöhe der Luft des
Paradiesvogels der neun Himmel, die Classen der Unsterblichen der
ursprünglichen Hauptstadt, Menschen des Stabes, übergehen es und
lassen mit ihm den Gürtel behängen. Man betet und hütet sich durch
drei Tage. Diejenigen, welche damit den Gürtel behängen, erlangen-
die Unsterblichen.
Die Entscheidungen der Einleitung des Buches des Weges und
der Tugend sagen:
Yiin-hi erkannte, dass die purpurne Luft fern nach Westen
wandle. Er betete, hütete sich und gedachte, einen Wahren des Weges
zu sehen. Als Lao-tse durch den Grenzspass zog, übergab er Yiin-hi
den Sinn des Buches in zwei Heften.
Das Buch der reingeistigen Schrift sagt:
Das wundervolle Buch der zehn Abtheilungen, die Edelstein
tafeln der goldenen Schriftzeichen. Die Unsterblichen und Wahren
des Himmels beten und hüten sich durch die Tage des Monats, be
geben sich nach oben zu der Mutterstadt der Edelsteine und lesen
mit lauter Stimme diese Schriftstücke.
Das Buch der Weise der Macht sagt:
Bei Gebet und Hütung, dem Glücke der Schatten geht die Be
messung der Menschen voran. Man setzt Jene voran, setzt sich selbst
nach, was dasselbe wie das Ursprüngliche des Vorsatzes. Ein Band
laufender Schrift sagt: Wer das rothe Buch der reingeistigen Kost
barkeiten übergibt, muss früher beten und sich hüten.
Das Buch des Reichsministers des Ostens, des Vorstehers des
Lebensloses sagt:
Der frühere Lehrmeister, der Gebieter von dem Geschlechts
Wang wurde einst betheilt mit dem oberen Buche des ursprüng
lichen AVahren der glänzenden Halle des grossen Höchsten. Er betete
und hütete sich, feierte hei Reiskost und verweilte mit den Gedanken
bei der Sonne und dem Monde. Er verschluckte und gebrauchte als.
Arznei den Saft des Sternenglanzes. Er übte es immer im Geheimen.
Dieses ist der Weg des höchsten Wahren. Bei dem Buche des ursprüng
lichen Wahren des grossen Höchsten beschwört man zuerst den Ver-
Die Lösung der Leichname und Schwerter.
87
trag, dann übt man es. Wenn man es übt, dann erst kann man es
hören. Dies ist nur der Weg des Gürtelgehänges von Edelstein, des
goldenen Geschmeides.
Ki-wei betete lange Zeit. Durch drei Jahre erschöpfte er die
Wahrheit, trieb auf dasÄusserste das Denken. Er war jetzt i'm Stande,
es zu erreichen. Das göttliche Licht wiederstrahlte von seinem Leibe,
dann erst empfing er das Buch. Dies ist der Weg des wahren
Ursprünglichen. Man erforscht, aber man quält sich nicht. Wir ver
heimlichen immer die Kostbarkeiten und verwahren sie in dem Hand
gelenke des Sackes. Desswegen überwacht man durch gegenseitiges
Darthun das Geheime.
Die Freunde des Weges, die gesonnen sind, die göttlichen
Unsterblichen zu suchen, sollen früher beten, sich hüten und einen
Berg ersteigen. Einst betete und hütete sich Tso-thse durch drei
Monate. Er verbeugte sich, bezeigte seine Ehrfurcht auf dem Berge
Ling. Er erschöpfte die Wahrheit durch drei Jahre, dann erst zog
der Gebieter der zwei (Berge) Miao herbei und trat vor ihn.
Das Edelsteinbuch der inneren Schatten des gelben Vorhofes
sagt: Der Gebieter, der grosse Kaiser von Fu-sang erliess den Be
fehl an den Gott des Thaies der aufgehenden Sonne, den Mann von
dem Geschlechte Wang, es zu überliefern der vornehmen Frau von
der südlichen Berghöhe. Überbringer und Empfänger beteten und
hüteten sich durch neun Tage.
Das einzige Buch des Wahren der drei Ursprünglichen wird von
dem Gebieter, dem Kaiser der goldenen Thorwarte bewahrt. Der
kleine Jüngling des östlichen Meeres überlieferte es Yuen-tse. Yuen-
tse überlieferte es dem Gebieter von dem Geschlechte Su. Der Ge
bieter von dem Geschlechte Su überlieferte es dem Gebieter von dem
Geschlechte Tscheu. Die es übergaben, beteten durch hundert Tage.
Einige beteten durch fünfzig Tage, einige durch dreissig Tage,
einige durch siebzig Tage. In vierzig Jahren überlieferte man es
einem Menschen. Bei zehn Menschen blieb man stehen. Der Gebieter
des Weges der späteren Höchstweisen erliess den Befehl an das klare
Reingeistige, die als Kleine vorhandenen Edelsteine des Himmels, zu
ordnen die Verzeichnisse der sich sammelnden höchsten Unsterblichen
und Wahren, zu vereinen die Namen. Die vornehme Frau des purpurnen
88
P f i z ni a i e r
Ursprünglichen überlieferte es dem Gebieter von dem Geschlechte
Wang. Der Gebieter von dem Geschlechte Wang überlieferte es der
vornehmen Frau des Geschlechtes Wei von der südlichen Berghöhe.
Die vornehme Frau überlieferte es dem Gebieter von dem Geschlechte
Yang. Der Gebieter von dem Geschlechte Yang überlieferte es
Hiü-yuen. Die Ubergebenden und Empfangenden beteten durch drei
Tage, einige durch sieben Tage.
Die Schrift des Wahren des Paradiesvogels, das grosse Höchste
übergab sie dem zur Linken befindlichen wahren Menschen der grossen
Gipfelung. Der wahre Mensch überlieferte sie dem Gebieter desFang-
tsclni, dem grünen Jüngling von dem östlichen Meere. Auch hier
beteten sämmtliche Wahre, die es einander überlieferten und über
gaben, durch drei Tage. Sie behängten damit den Gürtel neun Jahre.
Sie durften zum Besuche erscheinen an der goldenen Thorwarte des
höchsten Reinen.
Das Buch der Kenntniss und des Verstandes des grossen
Höchsten, der grosse Höchste übermittelte es dem höchsten Reichs
gehilfen. Ferner überlieferte es die vornehme Frau des purpurnen
Ursprünglichen dem Gebieter von dem Geschlechte Wang, und der
Gebieter von dem Geschlechte Wang überlieferte es dem Wahren
des Südens. Dieser überlieferte es dem Gebieter von dem Geschlechte
Yang, der es jetzt Hiü-tscbang-sse-yuen übergab. Die es übergaben
und es empfingen, beteten und hüteten sich durch fünfzig Tage.
Das verborgene Buch des grossen Mennigrothen ist der Weg
der fliegenden Wahren, die Vorschrift für das Verweilen mit den
Gedanken. Hier hat nämlich der Gebieter von dem Geschlechte Yang
das ganze Buch nur abgeschrieben, es laut gelesen und so Tschang-
sse mitgetheilt. Es ist auch einzig die Drachenschrift der neun
Wahren. Man sieht darin keine Vorschriften für Gebet und Hütung,
man kann nach ihm nichts ausüben. Die Verkündungen des Wahren
enthalten die Vorschrift für das grosse Ungeschmückte des Hofes.
Wo es heisst, dass man das Umherziehen der Ausläufer der Tiefen,
das verborgene Buch des grossen Mennigrothen, die Gemächer der
Tiefen der drei fortbestehenden Ursprünglichen in Empfang nahm,
ist dieses Buch gemeint. Allein es ist nicht fertig. In dem Zeitalter
lernte und erklärte der Gebieter von dem Geschlechte Tscheu die
Die Lösung- der Leichname und Schwerter.
89
Sache der Gemächer der Tiefen Dieselbe ist ebenfalls nur abge
schrieben. Die Worte dieses Buches, er erklärte sie und verfertigte
die Vorschriften für die Ausübung. Man hat den echten Text noch
nicht gesehen, und der Sinn der Sache ist nicht fertig.
Die Geschichte der berühmten Berge sagt:
Auf dem Berge Miao befindet sich eine kleine Höhle, deren Mün
dung mit Steinen ausgefüllt ist. Bloss wenn man mit reinem Herzen
betet und sich hütet, kann man es dahin bringen, dass man in ihr
lustwandelt. Im Osten des Berges Miao befindet sich ebenfalls eine
kleine Höhle. Die Mündung der Höhle ist niedrig gleich der Öffnung
einer Hundehütte und fasst bloss einen eintretenden Menschen. Je
mehr man vordringt, desto mehr erweitert sie sich. Auswendig ist die
Mündung der Höhle durch Felsstücke verdeckt und zugeschlossen.
Die übrigen kleinen Öffnungen, die früher vorhanden waren, sind von
der Grösse eines Trinkbechers. Man lässt sie durch die Geister des
Berges bewachen. Diese Felsstücke öffnen sich auch zu gewissen
Zeiten. Wenn man ernstlich betet, sich hütet und sie sucht, kann
man ihnen folgen und leichter als gewöhnlich in die Mündung der
Tiefe eintreten. Die Freunde des Weges, deren Wunsch es ist, die
göttlichen Unsterblichen zu suchen, sollen vorläufig beten und sich
hüten. Der Gebieter der drei Miao besucht sie dann auf dem Iveu-
khiö, übergibt ihnen den erforderlichen Weg und lässt sie eintreten
in das Thor der Tiefen. Der Keu-khiö hat fünf Thore. Wenn man
den Vorsatz begründet, durch drei Monate betet und sich hütet, diese
Thore sucht und zu ihnen emporsteigt, kann man daselbst eintreten.
Das Buch der neun Himmel sagt:
Der oberste Leiter der Stütze der Edelsteine betet und hütet
sich. Er stellt das Abschnittsrohr und ist ein Aufwartender bei dem
grossen Reinen.
Das Buch der Räder der Vorschrift sagt:
Der Fürst der Unsterblichen betete und hütete sich. Es war
noch kein Jahr, und er wurde angeregt. Er berief die Wahren des
Himmels und liess sie herabsteigen zu dem reinen inneren Hause.
Man denkt an die Wahren, betet und hütet sich. Man versiegelt
den Mund, überwacht die Worte.
Das Buch der grossen Hütung der reingeistigen Kostbarkeiten
sagt:
90
P f i z in a i e r
Wer nicht die grosse Hütung empfängt, verrichtet bloss das
lange Gebet.
Das Buch der glänzenden Classen der vier Gipfelungen sagt:
Wer den Weg des höchsten Reinen lernt, nimmt entgegen den
Lehrmeister des Stammhalters, betet und hütet sich.
Die Classen des grossen Höchsten sagen:
Wo vorschriftmässige Bücher aus den Händen des Lehrmeisters
in Empfang genommen werden, sind die wahren Obrigkeiten, die
Aufwartenden und die Schutzwache betheiligt. Man muss beten und
sich hüten, indess man erklärt und liest.
Das Buch derfünf Greise des Einzigen des weiblichen Vogels sagt:
Man übt immerwährend gute Werke, nimmt Speise am Tage,
betet und hütet sich durch drei Jahre. Dann bringt man es dahin,
dass man das wahre Buch der grossen Tiefen empfangt.
Das mit Tinte Verzeichnete der mennigrothen Schrifttafeln des
grossen Höchsten sagt:
Der Weg hat sich von den Höchstweisen mit den Tagen bereits
weit entfernt. Bei Überlieferung und Abschrift, bei den Hütungen der
Classen befindet sich die Menge im Irrthum. Wenn etwas zweifelhaft
ist und der Lehrer nicht die Fähigkeit besitzt, es zu lösen, so kann
man durch einen Monat beten und sich hüten. Man trachte nach der
Erforschung des reingeistigen Entsprechens. Die reingeistigen Un
sterblichen werden angeregt und verkünden es mit Worten den
Menschen.
Das Buch der Überlieferungen und Übergaben sagt:
Bei dem Beten sind die Schrifttafeln eigentlich das Höchste.
Der Geist wiederstrahlt früher von dem Leibe.
Die Verzeichnisse der sich sammelnden Unsterblichen sagen:
In dem ursprünglichen Fruchtgarten des Kuen-lün sah man den
wahren Menschen des richtigen Einzigen. Derselbe mühte sich ab,
betete und hütete sich, las die richtschnnrmässigen Bücher und ehrte
den Weg.
Das Buch des Edelsteines Lang von der grossen Nacht sagt:
Man stellt drei Bücher auf, von denen das eine „das lange Nie
derhalten“, das andere „das Darreichen und Beten", das dritte „das
Erforschen und Üben.“ Man geht ihnen immer nach. In dem inneren
Hause, das man bewohnt, legt man sie abgesondert in einen Ver
schlag. Man nimmt sie eigenhändig heraus und stellt sie wieder
Die Lösung; der Leichname und Schwerter.
9t
hinein. Man lässt es nicht dahin kommen, dass sie anders wohin als
an ihren Ort gelegt werden. Zur Zeit, wo man die Dächer abschreibt,
muss man früher beten und sich hüten. In den Büchern sind Abbil
dungen enthalten. Die Abbildungen sind bisweilen in besonderen
Rollen. Für jeden Gegenstand sind aufwartende Obrigkeiten, Vorge
setzte der Abbildungen. Angestellte des Wahren. Man bat und fragte
hinsichtlich der Bücher. Es wurde gesagt: Wo man um des Weges
willen nicht verweilt bei dem Lehrmeister, nicht betet und nicht
hersagt, ist keine Anregung.
Das Buch des goldenen Geschmeides des Gürtelgehänges der
Edelsteine sagt:
Die sämmtlichen Wahren besteigen die grosse Erdstufe der
Rubinen, beten und hüten sich durch drei Monate.
Das Buch des (Berges) Kung-tung sagt:
Der Gebieter des Weges des grossen Höchsten betet und hütet
sich auf der Erdhöhe des Lo-feu in dem Reiche Si-na-yö.
Das Heilmittel des grünen Geistigen, die Speise des Rabenreises,
der wahre Mensch der grossen Gipfelung überlieferte es dem Gebieter
von dem Geschlechte Wang. Zur Zeit des Ubergebens und Empfangens
betete und hütete man sich durch zehn Tage. In zweitausend sechs
hundert Jahren überlieferte man es an zehn Menschen. Das Heilmittel
der Edelsteine des Wolkenzahnes, der Gebieter von dem Geschlechte
Wang überlieferte es der vornehmen Frau des Geschlechtes Wei von
der südlichen Berghöhe. Wenn man durch fünf Tage betet, sich hütet
und es an wendet, kann man das Getreide abthun und die Würmer der
Leichname entfernen. Der Gebieter von dem Geschlechte Wang
wandelte umher und betrachtete die Welt. Auf dem Schildkrötenberge
betete er durch zwei Monate. Ferner betete er und hütete sich durch
drei Jahre. Er hegab sich zu dem grossen Ungeschmiickten und
kehrte zurück zu der westlichen Feste. Er betete ferner durch drei
Monate und empfing die Bücher. Der Gebieter von dem Geschlechte
Tscheu begegnete in seiner Jugend dem Gebieter des gelben Greisen-
alters des Mittelraumes. Er lustwandelte zu der mennigrotheu Feste
und hat um den Weg des langen Lebens, des Bemessens des Zeit
alters. Jener übergab ihm den Weg des höchsten Wahren. Der Ge
bieter von dem Geschlechte Tscheu kehrte jetzt zurück und erstieg den
Tschang-schan. In einer Felsenhöhle betete er, hütete sich und ver-
92
Pfizmaier, Die Lösung der Leichname und Schwerter.
brachte in Nachdenken durch lange Zeit die Jahre und Jahreszeiten.
Später verschwand er als Unsterblicher.
Die Überlieferungen von dem Lernen des Weges sagen:
Jin-tün führte den Jünglingsnamen Schang-yin und stammte
aus Yün-yang. Der Berg von Yün-yang ist der Berg Miao. Fünfzehn
Weglängen westlich von dem Berghause, das Tün bewohnte, befand
sich ein Felsenhaus. Zwei Weglängen westlich von diesem befand sich
wieder ein Felsenhaus. Beide fassten etliche zehn Menschen. In den
Überlieferungen von dem Vater und Greise des südwestlichen inne
ren Hauses wird gesagt, dass daselbst kupferne Binder mit kupfernen
Brustriemen und kupfernen Rollen zum Vorschein kamen. Man über
lieferte dieses und bezeichnete die Felsenhäuser mit dem Namen der
kupfernen inneren Häuser. Wenn man bei den Krümmungen eintritt
und zu der Tiefe gelangt, steht man sogleich im Norden in Verbin
dung mit dem (Flusse) Hoang-tschi und hat einen Durchweg zu dem
Kuen-lün. An jedem Tage, wo die drei Ursprünglichen beteten und
sich hüteten, ging Tün in die zwei inneren Häuser und betete laut
zu den Göttern. An beiden Orten erschienen in dunklen Umrissen
die wahren Gestalten.
Lö-sieu-tsing führte den Jünglingsnamen Yuen-te und stammte
aus U-hing. Im siebenten Jahre des Zeitraumes Ta-schi (271 n. Chr.)
stellte er sich an die Spitze der Menge und begründete das offenkun
dige Beten der drei Ursprünglichen.
Das Buch der ursprünglichen höchsten Verzeichnisse des
höchsten Grasgrünen der grossen Wahren sagt:
In den das Lehen enthaltenden Grenzgebieten ist des Klaren
wenig, des Trüben viel. Die Schutzwehren des Unreinen umwinden
einander, das Gute üben, wird nicht aufgestellt. Die Luft des Unrechts
kommt und macht Einfälle, die gewalttätigen bösen Geister führen
in Versuchung. Die Menschen des höchsten Lernens beten und hüten
sich. Sie verweilen mit den Gedanken, sie schliessen sich ab gegen
Lärm und Staub. Dinge, die nicht von derselben Art sind, die mit
Heftigkeit kommen und gehen, sind Unreines und Trübes. Man soll
einen Tag wählen, beten und sich hüten, den Gürtel behängen mit
der zersprengenden Beglaubigungsmarke und dadurch emporsteigen
zu dem Reinen der Edelsteine.
v. Schulte, Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
93
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret
Gratians.
Zweiter Beitrag.
Von Dr. Joh. Friedrich Ritter v. Schulte.
Erstes Capitel.
Die Summa Coloniensis des Cod. Bamberg. D. II. 17.
I. Dieselbe ist enthalten im Cod. membr. D. II. 17. in 4° der
Bamberger königl. Bibliothek, ehemals dem Bamberger Capitel
gehörig. Sie gehört zu denen, welche der Jesuit Horrion neu
binden liess, wobei unbarmherzig das Pergament beschnitten wurde >).
Dies bat nun wohl in unserem Falle nicht den Text berührt, aber
die Glossen. Sie steht pag. 25—288 2 ). Das Pergament ist sehr dick,
meist schlecht, hat oft grosse Löcher, auch ist es ganz ungleich im
Formate, so dass sich zeigt, der Schreiber nahm, was er gerade
hatte. Die Schrift ist sehr ungleich, von verschiedenen Händen her-
rührend, bald entschieden den Typus des XII. Jahrh., bald den des
XIII. an sich tragend. Z. B. ecclesiae oft eccle. eccle, eccle, über
haupt ae bald e, balde, sue; conbaldco, z. B. cösuetudo oder cös., bald
^suetudo, ^sensus. Est= e oder x auch est, esse = ee; quae = q
Vrgl. Heinr. Joa. Jäck Vollst. Beschreibung- der öffentl. Bibi, zu Bamb. Bamb.
1831 ff. 2. Th. S. XLIV.
2 ) Die Seiten (nicht Blätter, da die Handschr. paginirt ist) 1 — 24, 289 — 312
nimmt ein die Summe des Sigehardus von Cremona von D. I.—63,
C. XXVII. bis Ende. Dass man diese Stücke zusammengebunden, legt die Ver-
muthung nahe, man habe den letzteren Theil für Fortsetzung gehalten. Zwei
Blätter (S. 117—120) enthalten nicht dazu Gehöriges.
«w.m-isii«
94 i. Schulte
misericordiae = mie; auch habuisse, servire u. s. w. Für v oft w,
z.B. ew = evangelium; wl'n' = vulnus, sexw = sexum. vRban'; usus
mit v im Anfänge, dem langen s in der Mitte und us am Ende ver
schlungen u. dgl.; enim == H; bvmanum, oft auch hwic = huic u. s. w.
Demnach gehört die Abschrift entweder ins Xll. oder sicher in den
Anfang des XIII. Ich möchte jenes glauben; auch halte ich dafür, sie
sei nicht von einem Abschreiber von Profession gemacht worden.
II. Sie beginnt ohne jede Überschrift also:
'Elegantius in iure divino u’nantia \yernare hat Üucange im
Sinne von instruere. Oder ist versantia zu lesen? An das classische
vernare ist nicht zu denken] comatico [darüber: deciso] sermone
adunare intendimus, ut, cui prolixitas gratiani aut taediosa aut inex-
plicabilis exstiterit, hac nostra summa paucis ad multa juvetur.
Continet itaque tripartitum genus documenti: morale [darüber: in
dist.], iudiciale [darüber: in causis], sacramentale [supra: in
coniugio]. Proinde ad consilia et negotia ecclesiastica valet et ad
baec dupliciter, ut praesentium lector juris quaestiones per rationes
[supra: et auctoritates] institueret et eventilatas iudicio terminare
paratior haheatur. Advocatum enim et judicem in causis inchoandis
exercenduni et iudicio terminandum instruemus. Quia ergo definitio
prima demonstratio est, ab eius, de quo agetur, definitione ordien-
dum est.
Jus est ars aequi et boni, merito cuius quis nos sacerdotes id est
sacre dantes appellat. Aequum iustum bonum utile et honestum hic
dicit imperator [aus fr. 1. Dig. de just, et jure. I. 1.]. DifFert a justi-
tia eo, quod auctor juris homo, auctor just.itiae deus. Ideoque justitia
latius patet, multa sub se continens, quae noudum ins laqueis inno-
davit. Unde Gregorius: Justitia est naturae tacita conventio in adiu-
torium multorum inventa ideo, quia de bis est, quae iam natura sed
noudum scientia nostra continet. Imperator de eodem [fr. 10. D.
1. c.]: Justitia est constans et perpetua voluntas ius suum unicuique
tribuens. Juris autem prudentia est divinarum et humanarum rerum
notitia, justi et injusti scientia.
Jus ergo aliud divinum, aliud humanum.. .’
III. Die Methode ist eine von den meisten Summen jener Zeit
abweichende. Einmal nämlich gibt sie niemals eine Erklärung der einzel
nen Capitel, was bei den meisten [z. B. Paucapalea, Rufinus,
S t e p h a n) die Regel bildet und den grössten Theil des Inhalts ausmacht;
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
95
sodann bietet sie auch keine blossen Auszüge, wie dies bei Rolandus
und den alten Excerpta der Fall ist. Vielmehr ist sie eine sich an die
Folge Gratians anschliessende und aufGratian gestützte systematische
Darstellung. Sie stellt desshalb meist zuerst allgemeine Sätze auf,
erörtert diese durch Angabe von Gründen für und gegen. Die Be
weise liefern die Capitel des Dekrets. Dass aber dem Verfasser die
Einteilung des Dekrets Vorgelegen habe, wird, abgesehen davon,
dass man es von vornherein annehmen müsste, bewiesen durch seine
Ci täte. Diese geben an bald die Zahl der Dist., Causa und Quaestio
und das initium des Capitels, ab und zu auch für letzteres die Ziffer
(z. B. pag. 98, 202, 157, 181), so dass er offenbar einen Text ohne
Paleae hatte. Übrigens citirt er verhältnissmässig seltener auf die
zuletzt angedeutete Art, meistens —und zwar, wo es sich um andere
Stellen derselben Dist. oder Causa handelt, so viel ich bemerkt habe,
stets — die Stelle nach dem im Dekrete angegebenen Fundorte, z. B
b. Greg, in epist. u. s. w., ex conc. Chalced. u. dgl. m. Mit der
angedeuteten Methode hängt zusammen, das fortwährend Rubriken
Vorkommen, die in der Handschrift gleich den Initialen durchgehends
vom Rubricator nicht ausgeführt sind. In einigen Partien, z. B. Causa
II. III., sind sie ausgeführt und nicht dem Dekrete entnommen,
sondern bieten die passenden aus dem Gegenstände sich ergebenden,
z. B. Quare judiciarius ordo institutus sit — quid sit ordo jud. —
quibus modis accusa{io non impletur — de triplici accusationum
temeritate — quis sit praevaricator — quis tergiversator u. dgl.
Wo dieses passte, sind die Materien zusammengezogen, obwohl sie
im Dekrete zerrissen sind. So sagt er pag. 153.
'Quae partes actores muriire videntur apud Gratianum in
causis 1111 or dispersa, ut materia sibi cohaeret, aduna-
vimus’.
Wenngleich nicht äusserlich, zerfällt der Stoff dadurch in eine
grössere Zahl von Theilen, als dies im Dekrete der Fall ist. Wir
finden dies auch am Rande bemerkt. Mit Dist. 21. beginnt Pars II.
Es heisst zu D. 57 :
'Incipit pars tertia, qualiter ecclesia preshyterorum gra-
dibus decoretur’
welche Rubrik dem Eingänge des Textes entspricht,
pag. 90 zum Eingänge von Causa I. am Rande:
Tncip. pars IHI‘ a de tribus speciebus ecclesiastici juris et
eorum officiis’.
96
x. Schulte
pag. 121 zu Causa II. am Rande:
'Incip. pars V'" de trium personarum actu trino’.
IV. Sehen wir auf den Zweck des Werkes, so beabsichtigt
der Verfasser offenbar weder allein noch an erster Stelle eine Summe
zum Dekrete zu machen, deren Benützung, wie das bei Pauca palea,
Rufinus, Stephan unbedingt, aber auch bei Rolandus der Fall
ist, voraussetzt, dass man das Dekret beständig zur Hand habe, son
dern vielmehr ein auf das Dekret sich stützendes Lehr
buch des Kirchenrechts zu liefern. Das beweist die Methode,
dann die Erörterung einer Anzahl von juristischen Dingen, welche
nicht durch die Comihentirung des Dekrets geboten wäre, vor Allem
aber der Umstand, dass selten ein Citat zum Aufschlagen des Dekrets
unbedingt nöthigt (nämlich für den, welcher sich informiren will), da
regelmässig entweder der Wortlaut oder der Inhalt milgetheilt ist.
Hierin liegt nun auch dessen Reiz und eigenthümliche Bedeutung.
An Umfang ist es, wenn mau erwägt, dass das Fehlende doch nach
dem Vorhandenen zu urtheilen noch einen ziemlichen Raum ein
nehmen muss, unter den älteren Summen, abgesehen von der sicher
späteren des Johannes Faventinus, beinahe das grösste. Auch
ist keine der älteren Summen so reich an allgemeinen Erörterungen.
DerVerlässer ist in seinen Ansichten selbstständig und bekundet
eine allseitige Bildung, namentlich im römischen Rechte. Es zeigt
sich diese weniger in dem Anführen von Stellen nach Buch und
Titel, als in dem Berufen auf den Inhalt, aber in einer Weise, dass
man die quellenmässige Kenntniss sieht, sodann in einer ganz juristi
schen (an die privatrechtliche Jurisprudenz sich anlehnenden) Auf
fassung.
So sagt er gleich zur D. I.:
'appellat autem (seil. Gratianus) hominem personam in
judicium deductam, cuius dictum vel läctum reprehen-
ditur’.
Zu c. 2. D. VII. ergänzt er, nach dem Vorbilde Paucapalea’s,
die Mittheilungen Gratians. 'Rursus leges magistratuum, quae
paene usque ad duo milia libros extendebantur, intra L. librorum
numerum conclusit, quod volumen Digestorum vel Pandectarum
appellavit. Demum novas leges, quas ipse condiderat, in unum
volumen redigens codicem novellarum appellavit,’
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
97
Bezüglich der Canones apostolorum sagt er: 'De canonibus, qui
dicuntur apostolorum, contrarietas est, cum dicit Zepherinus LX. ser
vanda, Leo vero L, VI ta synodus LXXXV. rata fore capitula. Sed
certum hoc teneat lectoris diligentia, LX. valere capitula, cetera
pseudo-apostolos addidisse et inter apostolia [supra: apocrypha]
numerari. Si ergo sub hoc titulo aliquis tibi fuerit objectus, si pro te
faciat, recipiatur, si contra te et cavillatorie agere volueris facile
est dicere: non lmnc de iis esse, qui recepti auctoritate sunt’.
Bei den Quellen erörtert er weitläufig die Rescripte und Privi
legien, ihre Anfechtung ex data, ex bulla, ex membrana, ex stilo. Für
die Interpretation geht seine Ansicht dahin: (pag. 36) 'Mater nostra
Romrtna ecclesia, quia Superlativ am in omtiibus auctoritatem gerit
et claves juris habet, inde privilegia et non habita concedere et con-
cessa adimere praevalet. Privilegia quoque, quia leges privant gene-
ralitate et tanquam exceptioncs a regula juris sunt, possibilius quam
concedantur adimuntur.’
Uber Zinsen gibt er eine auf dem römischen Rechte ruhende
Darstellung, die alle Ausdrücke bekannt macht; so oft sich Veran
lassung bietet, werden civilistische Materien erörtert. Allgemein
heisst es z. R. pag. 53: 'Ait enim lex: res inter alios acta nemini
nocet. Item: pactis privatorum non laeditur jus commune. Rursus:
nemo plus juris in alterum transferre . . .’ [Dig. XII. 2. fr. 10, II. 15.
fr. 3., Dig. de reg. jur. L. 17. fr. 54.]. Bei den Arten der Symonie
kommt er auf die Contracte. 'Unde in legibus innominatorum con-
tractuum IIII or clausulae reperiuntur: do ut des, facio ut facias,
facio ut des, do ut facias.’ pag. 103: 'Leges saeculi: ibi esse poenam,
ubi noxa est pag. ISS. 'Praetor ait: Pacta servabo’. [ex. fr. 8. D. II.
14.]. In derC. II. lf. erhalten wir eine sehr ausführliche, gewiss für das
canonische Recht bezüglich mancher Partien die bis dahin ausführlichste
ziemlich systematische Darstellung des Civil- und Strafprocesses, deren
Edition erwünscht wäre, da das römische und canonische Recht vor
den Änderungen seit Alexander III. hier ganz in einander verarbeitet
sind. Eben so umfassend ist die Lehre von der Usucapion, Präscrip
tion, welcher eine kurze Theorie der Klagverjährung und der Ver
jährungsfristen überhaupt vorausgeht. Auch das Eherecht ist nach
dem Vorhandenen zu schliessen auf eine umfassende Darstellung
angelegt.
Sitzb. <1. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft.
7
98
v. Schulte
Auf verschiedene Lesarten u. dgl. wird wiederholt auf
merksam gemacht, so dass sich einSinn für Texteskritik zeigt. Z.B.:
c. 3. C. II. q. 8. quisquis ille est (pag. 142); pag. 24S u. a.
Während die Wort erkl är ung beiPau ca p a 1 ea fast die Haupt
sache ist, aber auch bei Rolandus, Rufinus und Stephanus
noch ein weites Feld hat, tritt sie hier ganz in den Hintergrund und
wird meist nur angewendet, um zugleich wirklich praktische Be
griffe zu erläutern. Z. B. pag. 77. 'Unde praetereundum non est,
quod in canonibus hoc verbum titulari duplicem significationem ex-
hibet ut sit titulari id quod ecclesiae ascribi, vel quod ad sacram
militiam initiari i. e. tonsurari’.
pag. 68. 'Itaque secundum nostra tempora Formata vocatur
commendatoria. Est testimonium ordinationis et conversationis con-
tinens ordinati, quae saepius ad quoscunque pervenerit generaliter,
quam ad unam specialiter civitatem dirigitur. Dimissoria dicitur
quia migrandi per eam licentia indulgetur; commendatoria, quia
portitor in ea ignotis commendatur. Formata namque IIII or continere
debet articulos: portitoris benignam commendationem eiusque plenam
absolutionem, et ut ab alio ordinari possit concessionem eumque in
sua iurisdictione recipiendi potestatem’.
Ein eminent praktischer Sinn des Verfassers geht durchs Ganze,
so dass auch dieser den Beleg liefert, er habe eine unmittelbar den
Bedürfnissen des Lebens dienende Arbeit liefern wollen. Beispiele
sind die bei der Frage über die Heimath des Werkes mitgetheilten
Stellen, welche ja direct das praktische Recht im Auge haben.
Ein anderes bietet die pag. 276 stehende ausführliche Auseinander
setzung der Controverse über die Wirkung der sponsalia de prae-
senti t).
*) Ex quibus apparet, sponsam uxorem non esse ante commixtionem nec esse per-
fectum conjugium sola pactione conjugali initiatum. In hac quaestione Ga llicana
et tr a n s alpin a ecclesia dissentiunt. Transalpini enim inter initiatum et eon-
summatum matrimonium distinguunt tradentes, pactione conjugali initiari et carnali
copula consuminari conjugium, sicut contractus emtionis seu permutationis con*
ventione inchoatur traditione perficitur . . . His Gallicana ecclesia respondens des-
ponsationem legalem, et canonicam distinguit i. e. quae in praesens vel in futurum
concipitur. Est enim legalis desponsatio futurarum nuptiarum mentio et repromissio
[fr. 1. Dig. de spons. XXIII. 1.], quae sponsalia vocatur. Et haec nuptiae atque
conjugium spondet non efficit. Ab hac inquiunt desponsationem, quae est con-
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II. 99
V. Was die Quellen betrifft, auf welche sich das Werk
stützt, so sind an canonistischen heniitzt, bez. citirt:
a) Rufinus. Dies ergibt sich einmal aus directer Anführung.
Es heisst pag. 129 zur C. II. q. 5. 'Rufinus purgationem dividit in
vulgarem et canonicam. De purgatione wlgari. Wlgaris est
ferri candentis et aquae ferventis et frigidi contactus. Hane, inquit
beatus Gregorius Brunildae reginae Francorum, quia popularis inven-
tionis. . [c. 7. ibid.]. Triburiense tarnen concilium hanc servis et
liberis, qui ita suspecti et viles facti sunt, imponit. Nobiles, inquit,
vel liomo ingenuus si in synodo accusatur... [c. 15. C. II. q. 5.].
Hoc concilium, quia sub schismate habitum est, ideo canones eius
[pag. 130] minus cogentem auctoritatem Iiabent 1 ). In Germania
tarnen nostra, ubi concilium celebratum est, adhuc ita servatur. De
canonica purgatione dicamus. De purgatione cunonica se-
cundum Rufinum. Interdum accusati subest mala fama, inter-
dum non. Cum subest, aut ex inimieorum confictione, aut ex verisi-
mili suspicione. Sic cum nulla subest mala fama, nulla exigitur pur-
gatio; quo casu intelligitur illud [supra: Leonis papae] VI. C. ult. q.
Cum mala fama subest, sed ex aemulorum confictione, nec tune in-
quirenda purgatio; quo casu intelligitur illud Leonis papae: Auditum
est, qualiter
Die Benützung Rufin’s ist eine ziemlich ausgedehnte, obgleich
nicht wie bei Johann von Faenza, so dass man an sehr vielen
Stellen bemerkt, wie der Verfasser seine Summe vor Augen hatte.
trahendi matrimonium, pollicitatio ad monasterium transire seil, non alii viro
nubere licet, quia fidem, qua se sponso promittitur, violare sacrilegium est’.
*) Das c. 15 wird als Palea angegeben bei Richter. Ob der Autor es im Texte
batte oder anderwärtsher kannte, lässt sich nicht beweisen; das letztere ist
wahrscheinlich.
3 ) Diese Stelle hat theilweise Maassen Paucapalea S. 15. mitgetheilt als Beweis
für die Autorschaft des Rufinus hinsichtlich der Summa anonyma des Mainzer
Codex. Er fügt Nota 24 hei: [Summa Deer. Cod. Bamb. D. II. 17.] „Membr.,
saec. XIII., 4°, 312 Seiten. Diese Summa ist von einem Deutschen verfasst,
Der Autor spricht von 'nostra Germania 5 (p. 129)“. Das ist das Einzige,
was bisher über diese Summe geschrieben ist. Bei Jäck I. S. 107
num. 836 figurirt der Codex (nach dem Titel auf dem Rücken) als Scholia juvis
s. canones.
7
100
v. Schulte
Da mir keine Handschrift der Pars I. von Rufin zu Gebote steht,
beschränke ich mich auf die Mittheilung einiger Stellen aus P. II.t).
Summa anonyma.
C. I. Hactenus de clericoruin
electione et ordinatione, lapsu et
reparatione atque aliis huic ma-
teriae coherentibus compendiose
transivimus. Itaque personarum
ecclesiasticarum tractntu finein
habente nunc proposito nostro,
ut debemus, ad varietatem ne
gotiorum articulum flectamus.
Iuris ecclesiastici cognitio in
tribus est: officiis, negotiis,
sacramentis. In officiis debita deo
obsequia reddentes stipendia
vitae aeternae speramus; in ne
gotiis per absolutiones litium
nostras et proximorum animas
pacificamus; in sacramentis cre-
dentes contra id, quod vidimus,
fidem implemus. Itaque in officiis
spes, in negotiis caritas, et fides
in sacramentis ....
Nunc videndum est, quid sit
symonia. S. est studiosa voluntas
vel emendi vel vendendi spiri-
tualia vel annexum. Voluntas in-
quam studiosa, ne suis finibus
conclusa sit, stud. emendi ita, ut
per pretium pecuniae vel rei vel
obsequii ohtineat vel per eam
non stet, quominus obtineat.
Rufinus.
Conditio ecclesiasticae reli-
gionis movetur circa tria, videli-
cet ministeria officiorum, rerum
negotia et sacramenta spiritua-
lium. In primis famulantes deo
per obsequia temporaliter exlii-
bita aeterna stipendia speramus.
ln mediis per absolutiones litium
pacificamus animos proximorum.
In ultimis verhi nostri consulentes
per fidem sacramentorum veni-
musad intelligentiam occultorum.
In officiis spes, in negotiis ca
ritas, et fides in sacramentis
Symonia est studiosa cupi-
ditas vel vendendi aliquid spi
rituale vel spirituali annexum;
hiatu videlicet, ut pretium ob
tineat vel per eum non stet,
quominus obtineat. Et hoc
exemplo auctoris nominis, qui
nec dedit nec accepit, quod
*) Ich bediene mich für Rufin des Cod. Bamberg. P. I. II.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
101
R u f i n u s.
Summa anonyma.
Quod exemplo auctoris dicimus,
qui nec dedit nec accepit, sed
ut daret atque accepit sategit.
Ratio nominis ducta est a
Symone mago, qui donum dei,
gratiam videlicet miraculorum
pecunia obtinere concupivit.
Duos tarnen auctores habuit:
Gyezi in veteri testamento, Sy-
monein sub nova lege. Sed a
parte nequioris nomen usurpavit.
IJic enim in ecclesia ipsa spiri-
tum emere voluit, ille extra pro
corporali sanitate collata manuale
munus exegit etc. Das Folgende
in ähnlicher Weise aus Rufinus.
Diese Parallele lässt sich an
b) Stephanus von T o u r n
von denen eine genügti).
S u m m a a n o n y m a.
C. II. qu. 1.
Est autem ordo judiciarius,
ut ante suum judicem quisque
conveniatur, ut tribus edictis vel
uno peremtorio citetur, ut in jus
venienti legitimae induciae prae-
stentur, ut accusatio solemniter in
scriptis proponatur, ut testes legi-
timi producantur, ut non nisi in
confessum vel convictumsententia
tarnen concupivit. Item quisquis
liorign
Ratio nominis dicta est a
Symone mago, qui donum dei
voluit obtinere, et nota duos
auctores huius criminis fuisse:
unum in novo testamento, Sy-
monem, alterum in veteri Gyezi.
Sed a parte nequioris nomen
sibi usurpavit; bic enim in ec
clesia ipsum emere voluit, ille
extra aliud externum donum
sancti Spiritus vendidit . . ,
einer Menge von Stellen machen,
a y. Dies ergeben manche Stellen,
Stephanus Tom.
Videndum breviter, quia ordo
iudicarius dicitur, ut apud suum
judicem quis conveniatur, ut
legitime vocetur ad causam
tribus edictis aut uno peremtorio
pro omnibus, ut vocato legitimae
praestentur induciae, ut accu
satio solemniter in scriptis fiat,
ut testes legitimi producantur,
*) NachCod. Berolin. ms.lat. 4" mbr.N“. 193. saec. XIV. u. Bamberg.B. III.21. 4saec.
XIII. mbr. In der Einleitung hat er aus Stephan von Tournay die Stelle über die
Concilia gcncralia und provinc. wörtlich entnommen, ebenso die Viertheilung der
Personen und die Anwendung der Kirchengesetze darauf, die (von Stephan aus
Ivo übernommene aber ausgefiihrte) Eiutheilung der praeceptiones ecclesiasticae
in mobiles und immobiles.
102
y. Schulte
Summa anonyma.
Stephanus Tom.
feratur, et ipsa scripto annotata ut, nisi in convictum ve con-
nisi breves sint lites et vilium fessum feratur, quae sententia
personarum. non nisi in scriptis ferri debeat,
nisi sint breves lites et maxime
miserabilium.
Dass er P a u c a p a 1 e a!) und Ro 1 a n d u s benützt habe, will ich
nicht unbedingt behaupten, weil die meisten Stellen in Rufin und
Stephan von Toumay übergegangen sind, glaube es aber nach
Einzelnem annehmen zu dürfen.
Spätere Canonisten hat der Verfasser nach der Zeit der Ent
stehung kaum benützen können.
cj von vorgratianischen Quellen finde ich direct nur Bur-
chard benützt, der etwa ein halbes dutzendmal citirt wird , ohne
dass die Stelle im Dekret vorkommt.
Ob die Benützung anderer Werke, z. B. Gesta Romanorum
pontificum eine directe ist, was man wohl annehmen darf, oder nicht,
lasse ich dahingestellt.
Von civilistischen Werken ist benützt:
a) Bulgarus. Er citirt ihn direct pag. 27.
'vel sicut Bulgarus ait: Jus naturae in generibus e
speciebus suis immobile est’.
Von ihm hat er auch das Buch über den Process benützt, wie
folgende Stelle beweist: 3 )
Summa anonyma.
p. 154.
Quidam enim excusantur, qui-
dam repelluntur, quidam coguntur
Bulgarus.
§. 7. de testibus.
Testium ratio talis est. Ad
testimonium per iudicem com-
*) Die Definition: 'Causa est controversia in dicendo posita cum certaruni perso
narum interpositione 1 lautet bei Paucapalea C. I. Eingang: 'Causa est res habens
in se controversiam in dicendo positam cum certarum personarum interpositione\
Nach Cod. Vindob. N. 2220. mbr. saec. XIII.
2 ) Wunderlich Anecdota quae ad process. civ. spectant. Gott. 1841. Bekanntlich
(s. v. S a v i gn y Gesch. IV. S. 115 ff.) steht diese Schrift des Bulgarus als
drittes Buch in den Ausgaben von Placentinus de varietate actionum (ich
benutze die Ausgabe Mogunt. 1530. 8.).
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
103
Summa anonvma.
ß 11 lga r us.
pelli possumus et improbe ver-
santes absque fori praescriptione
coerceri. Quandoque excusa-
mur, sive in Omnibus causis, ut
senes, valetudinarii, . . . Inter-
dum inviti excusamur, et volentes
repellimur, ut liberi contra pa-
rentes et e converso ....
ad testimonium. Et qui excusan-
tur, alii ratione aetatis, ut senes,
alii ob causam infirmitatis, ut
valetudinarii, alii ratione digni-
tatis ut episcopi. Sed qui
repelluntur, alii ipso iure alii
propter personam, ut mulier a
testamentis, servus et impubes,
alii ob causam et horum quidam
propter infamiae maculam, alii
ratione pietatis, quae parentibus
debetur, quia pater et filius contra
se testari [nec] volentes [non]
admittuntur, alii ratione obsequii,
quod patronis impenditur, ut
liberti contra patronos testari
prohibentur rel.
b) Der sogenannte Ulpianus de edendo'). Es dürfte dies aus
folgender Zusammenstellung erhellen.
Summa anonyma
pag. 153. de officio advoca-
torum.
Sunt ergo advocati patroni
causarum, in quarum marte
inermi rnilitia decertantes glorio-
sae vocis suae munimine la-
borantium spem vitamque et
posteros defendunt, quod faciunt
postulando. Est autem postulare
suum vel amici desiderium apud
eum, qui jurisdictioni praeest,
exponere vel alterius desiderio
contradicere.
Ulpianus de edendo.
de advocatis.
Advocati itaque sunt, qui pro
aliis postulant. Est autem postu
lare desiderium suum vel amici
sui coram iudice exponere vel
alterius desiderio contradicere....
militant namque causarum pa
troni, qui gloriosae vocis confisi
munimine laborantium spem et
vitam posterosque defendunt....
*) Ich benutze : G. Haenel Incerti auctoris Ordo judiciorum (Ulpianus de edendo).
Lips. 1838.
104
v. Schulte
Eine Anzahl anderer Stellen ist nach meiner Ansicht aus dieser
Schrift und Bulgarus zusammengesetzt, ohne dass dieses gleich deut
lich erhellt.
Es durfte keinem Zweifel unterliegen, dass der Autor seine
Studien in Bologna gemacht hat.
Es deutet darauf hin seine Methode, seine genaue Bekannt
schaft mit den Werken der Schule, welche so früh kaum Jemand in
Deutschland bekannt waren, der sie nicht von Bologna aus kannte
oder mitbrachte, endlich auch die ausdrückliche Erwähnung der
Schule und die umfassende in Deutschland damals kaum zu erwer
bende Kenntniss des römischen Rechts.
pag. 277 in C. XXVII. heisst es bei Besprechung der Frage, ob
das matr. non consummatum durch eine zweite consumirte gelöst
werde:
'Non ignoro tarnen, aliquos Boloniensium liinc aliter sen-
tire affirmantes, quod de praesenti conceptam desponsa-
tionem VII. dissolvant: posterior desponsatio carnis com-
mixtione perfecta, spontanea alterius fornicatio, raiptus,
maleficium, melioris vitae propositum, horrendi criminis
perpetratio, perpetua alterius aegritudo, continua cap-
tivitatis detentio. Sed baec, quia magis humano ingenio
quam aucloritatibus profecta sunt, silenda putamus, cum
Siricius papa Hieron. epo scribens. . .’
pag. 226 kommt die Bemerkung am Rande vor, welche aber
nach dem Verweisungszeichen zu scldiessen dem Originale als Rubrik
angehört:
'hic Bononienses etiam post Votum manifestum contractum
matrimonium irritum fore contra mg“ [magistros] pro-
testantur’ [? das Wort ist unleserlich].
Was die ausser Gratian benützten Rechtsquellen be
trifft, so werden von vorgratianischen nur citirti) :
pag. 197 zu c. 7. C. XIII. q. 2.
*) Ich stelle die Stelle des Uufinus daneben, weil sie für eine interessante Tliat-
Sache von Bedeutung ist.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
105
Rufi n us.
'Est tarnen quoddam decre
tum Leonis, quod permittat in-
distincte, in quacunque ecclesia
sepulturam eligere, dum tarnen
tertiam partem sui judicii ec-
clesiae suae relinquatur. Incipit
autem decretum sic, seil. Nos
instituta m ajorum par en-
tum. et c. Item est eiusdem
Leonis quoddam capitulum, quo
statuitur, ut, quicunque sive in
vita sive in morte in monasterium
converti voluerit, omnium rerum
et possessionum, quas pro salute
animae suae disponenda deere-
verit , medietatem relinquat
ecclesiae, cui ipse pertinere
dinoscitur, et sie demum, prout
cui in monasterium libitum fuerit,
convertendi licentiam habeat.
Incipit autem decretum sic: Re
lutum est auribus nostris
etc. Sed quod horum magis
tenendum sit, nobis non est de-
finiendum, Petri summi patri-
archae oraculum estimplorandum’.
Summa anonyma.
'Reperitur tarnen in extra-
vagantibus decretum quod
dam Leonis papae, quod in-
distincte permittit in quacunque
ecclesia sepulturam eligere, dum
tarnen tertiam partem judicii sui
ecclesiae suae relinquatur. In
cipit autem decretum sic: Nos
inst i tut am aj o r u m pat r u m
etc. Est item aliud eiusdem ca
pitulum, quo decernitur, ut qui
cunque sive in vita, sive in
morte in monasterium converti
voluerit, omnium rerum et pos
sessionum, quas pro salute ani
mae suae disponere decreverit,
medietatem relinquat ecclesiae,
cui ipse pertinere dinoscitur et
sic deinde prout sibi licitum
fuerit, in monasterium eundi
licentiam habebit. Sed utrum
horum potius tenendum sit summi
patriarchae oraculum imploretur,
ut is interpretetur canones, qui
condendi et abrogandi claves
tenet.’
Wie aus dem Wortlaute erhellet hat Rufinus den Ausdruck
extravagantia nicht. Ihn hat er offenbar entnommen der Summe des
Stephanus, welcher zu dieser Stelle (fol. 204 des Cod. Bamb. B. III
21) sagt:
'capitulum Leonis, cuius mentionem facit uon in volumine
isto, sed inter cetera extravagantia in fine scribitur,
quod sic incipit: Relatum est'y.
’J Wir haben hier den Beweis: 1. dass nach dem Dekret die Art, die neuen
und ausgelassenen Dekretalen zu sammeln, deren Aufnahme in einen Anhang
des Dekrets- war; 2., dass man solche sofort technisch Extravaganten
106
v. Schulte
In C. XXVII, (pag. 279): 'At e contra [als c. 14. und 15. q. 2.]
in extravagantibus sic legitur: licet secundam filiam eius nup-
tiis copulare, cuius prior defuncta desponsata fueraf. Damit ist
offenbar gemeint c. 18. C.XXVII. q. 2., welches als Palea im Dekret
steht und auch in dessen System nicht passt. Die Worte stehen
nicht so darin, scheinen aber auch eine Rubrik zu sein. Das Capitel
steht in der App. Conc. Lat. VI. c. 27., dagegen nicht in der Coli.
Casselana, wohl aber in der im Cod. Bamberg. P. I. 11. enthaltenen
Sammlung, in der Comp. I. als c. 1. L. IV. Tit. 2. Dies bildet also
einen neuen Beleg des Gebrauches von Anhängen zum Dekret.
Von nachgratianischen hat er nur die bekannte Dekretale
Hadrians über die Novalzehnten (c. 15. de decimis Comp. I.). Es
heisst:
C. XIII. q. 1.
'Rationem istam Adrianus papa in decretali epistola
Anglicis directa ita determinat, ut de antiquis praediis
debeant, de novalihus, quae per se excolunt, non debeant.
Ait ergo Adrianus papa IIII tu " Graves ante praesen-
tiam nostram rel.
Da Rufin diese Dekretale nicht citirt, Stephan von Tour
nay aber also:
'seil, etiam ex novo decreto Alexandri papae perpendi
potest’,
so folgt, dass er für dieselbe eine unmittelbare Quelle (einen An
hang zum Dekrete) vor Augen hatte, was wahrscheinlich ist, oder
eine Abschrift.
Andere Extravaganten linde ich weder citirt noch benützt. Dass
er die wichtigen von Alexander III. über die Unauflöslichkeit der
sponsalia de praesenti, die Aufhebung der Infamie für die im Trauer
jahre heirathende Witwe, über Zehnten, verschiedene Punkte des
Processes u. s. w., die hei Simon de Bisiniano u. a. benutzt
werden, nicht kennt, ist wohl durch sein Schweigen bewiesen. Aber
nannte. Nunmehr unterliegt wohl keinem Zweifel, dass Rufin, Stephan, die
Summa Parisiensis, Simon de Bisiniano, Sigehardus u. s. w. aus solchen An
hängen schöpften, die allmälig vielleicht in Titel zerlegt wurden (vgl. meinen
ersten Beitrag S. 33) und dann wohl in die Appendix Conc. Lat. einfach über
gingen. Einen solchen Anhang hat Maassen Beiträge §.38IT. aus der Innsbrucker
Handschr. Nr. 90 beschrieben.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
107
es scheint mir auch evident, dass einem Manne, der so tiefe Kennt
nisse hatte, deren Kenntniss nicht hätte entgehen können, wenn sie
bereits erlassen waren, als er sein Werk schrieb. Für die Zeit der
Abfassung ist dies von Wichtigkeit.
Die den römischen Rechtsquellen entnommenen Stellen einzeln
aufzuführen, ist wohl unnöthig. Er citirt Digesta, Codex, Autentica,
sümmtlich wiederholt (mit Angabe von Buch. Titel, initium oder
Namen der Kaiser, Verfasser, z. B. Ulpianus) in einer Weise,
dass man unmittelbare Benützung annehmen muss.
VI. Die Zeit der Entstehung sowie die Heimath des
Verfassers lässt sich bis zur ziemlichen Gewissheit feststellen.
Dass der Verfasser einmal Deutsch er war, sodann der Erz-
diöcese Köln angehörte, ergeben mehrere Stellen theils direct,
tiieils indirect, nämlich:
Die bereits mitgetheilte Stelle über das Concil von Tribur,
sodann folgende:
D. SO. (pag. Sl).
'Ambrosius Mediolanensis ecclesiae morem secutus cen-
suit ita inquiens: „Sicut unum est baptisma, ita unica est
poenitentia“. Idem: „Poenitentia semel usurpata nec vere
celebrata et fructum prioris et usum sequentis amittit“.
Item Hieron.: „Qui saepius agendam poenitentiam pu-
tant, luxuriantur in Christo. Nam si verum agerent, nun-
quam iterandam putarent“. Item Ambros.: „Non est
secundae poenitentiae locus“. Germania nostra lege
ista non constringitur, quia canon concilii provincialis est’.
D. S7:
'Singulae igitur ecclesiae singula sortiri debent capita, ut
Roma papam, Colonia archiepiscopum...’
C. II. (pag. 142):
'Tenor libelli. Anno ab incarnatione domini tali, residente
in apostolica sede domino Calixto anno pontificatus
eius II 0 ., regnante F. anno imperii eius tali, ego B. defero
G. reum symoniae, quam commisit in oppido Xantensi
in domo tali, praesidente N. ecclesiae C. (oloniensi). ego
B. profiteor, me G. dec. sic accusasse et proposita proba-
turum et usque ad decisionem litis prosecuturum.
108
v. Schulte
Si vero suli alio papa vel imperatore patratum est
crimen, quam sub quo accusatio primum instituitur, et
liorum nomina comprehendi oportet. Sic: 'de symonia,
quam sedente in apostolica sede Eue/, imperatore Loth.
anno imperii eius tali’.
C. XIII. q. 1. heisst es in der Erörterung über die Zehnten:
'De bis autem gregibus, qui de locis ad loca propter
uberiora pascua traducuntur et in bieme in parochia una
concipiunt, in aestivo tempore in alia pariunt, diversa-
rum ecclesiarum diversa judicia sunt. Trajectensis
pro conceptu, quia principium potentissima pars rei est.
Coloniensis pro partu sententiam dat. Illud verius vide-
tur, decimam non ante deberi, quam comparet, in quo et
illud litigium devitatur, quod de tempore atque loco con-
ceptus emergere possit. Hoc tarnen ita obtiueat, ne es
jure injuria occasionem sumat, ne fraudem molientibus sen-
tentia ipsa subveniat’ cet.
Man wird wohl zugeben, dass diese beständige Bezugnahme auf
Köln, wo sieb nur eine Gelegenheit bietet, die obige Annahme recht
fertigt. Auch ist klar, dass eine Detailkenntniss, wie solche die
letzte Stelle nachweist, nur bei einem Einheimischen vorausgesetzt
werden kann.
Kann mithin über die Heimath des Verfassers kaum ein Zweifel
bleiben, so lässt sich, wenn man in Betracht zieht
1. dass nur die zu den ältesten Glossatoren gehörenden Rufin
und Stephan benutzt sind,
2. dass keine über Hadrian IV. hinaufreichende und nicht bei
Rufin bez. Stephan citirte Dekretale benutzt ist,
die Zeit der Entstehung schon hieraus zwischen 1160 und 1170
setzen. Aber noch genauer ist sie aus dem gebrauchten Formular
zu bestimmen. Rufin bedient sich eines Formulars, das Adrian IV. als
Papst (anno I.), Lothar als Kaiser (anno VII.) aufführt in einem
Theile, im anderen Alexander III. als Papst und Friedrich als Kaiser 1 ).
Stephan von Tournay hat am Ende von C. II. folgendes Libell:
'Anno ab incarmatione domini M. C. XLV. sedente in apo
stolica sede domino papa Eugenio anno pontificatus eius
i ) Eine andere Formel aus Rufin theilt mit Maassen Paucapalea S. 17. Note 26.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
109
primo mense octobri XV. Kalendas novembris, ego Radul-
pbus archidiaconüs sanctae crucis profiteor, me deferre
Heliam episcopum Aurelianensem reum symoniae apud
sanctissimum papam Eugenium, quod dico, eum XL. so],
accepisse pro dedicanda ecclesia sancti Laurentii in civitate
Aurelianis mense Maio in domo episcopali numerante Ar-
naldo, domino papa Innocentio sedente in cathedra beati
Petri anno pontificatus eius X». Ego Radulphus arehidia-
conus subcribo, me professum esse deferre praedictum
Heliam episcopum praefati criminis’.
Wenn nun der Verfasser keine dieser Formeln nahm, sondern
ein eigenes Libell machte, so lässt sich ohnehin annehmen, er habe
einen besonderen Zweck dabei. Es ist nun augenscheinlich, dass er
eins gemacht hat oder einen gerade damals ventilirten Process benutzte,
indem er ihn nach Cöln verlegt und den Dekan von Xanten anklagt.
Aber noch mehr. Er nennt den Papst C a 1 i x t u s, den Kaiser Friedrich.
Der Gegenpapst Alexanders III. Calixtus (III.) regierte von
1168 bis 29. Aug. 1178 wo er sein Schisma aufgehend resignirte.
Dessen 2. Jahr geht vom September 1169 bis Sept. 1170. Wäre das
Werk nach dem 29. Aug. 1178 gemacht, so Hesse sich kaum denken,
dass ein früherer Gegenpapst als Papst in einem Formular gesetzt
worden wäre. Dieses lässt sich überhaupt nur annehmen, wenn das
Werk gemacht ist, so lange der Gegenpapst noch regierte, wenn es
gemacht ist in einer Diöcese, wo man denselben annerkannte, wenn
es gemacht ist von Jemand, der ihn als den richtigen Papst anerkannte.
Die Kölner Kirche stand auf Seite des Gegenpapstes Calixtus, wie
z. B. die hei Günther Codex diplomaticusRheno-Mosellanus u. s. w.
Bd. I. Cohlenz 1822 Num. 197 (Seite 424. Cf. Ja ff d Regesta Pont,
num. 9414) abgedruckte zwischen 1169 und 1175 fallende Urkunde
beweist, worin Calixtus die Verfügungen der Erzbischöfe Reinald
und Philipp betreffs des Klosters zu Dietkirchen bestätigt. Es ist
übrigens bekannt, wie Erzbischof Reinald vonDässel das Schisma
eigentlich hervorrief, an dem nach seinem Tode die Kölner Kirche
festhielt unter Philipp I (vergl. Herrn. Reuter Gesell. Alexanders
des III. 2. Au fl Leipz. 1860, 64).
Mit dieser Zeit stimmt nun auch der Name B. Ein 'Bruno
sancti Georgii praepositus’ in Köln kommt vor in einer Urkunde des
Erzb. Reinald vom J. 1167 (Günther 1. c. num. 182), in einer
110 v. Schulte
zweiten desselben Jahres (das. mim. 183), einer dritten (das.
num. 185), nach einer freundlichen Mittheilung des Herrn Archivars
Dr. Ennen in Urk. von 1158—1181. ein 'Bruno praepositus
ecclesiae majoris’ in einer von 1169 (das. num. 187), vom J. 117!
(das. num. 189), 15. Sept. 1171 (num. 191), von 1174 (das.
num. 193, 194), 1175 (num. 196), 1182 (num. 207), 1184
(num. 210), 1187 (num. 218), 1188 (num. 219), 1189 (num. 223).
Nach Herrn Dr. Ennen’s Mittheilung kommt (ausser 1189 ein
Bruno praep. in Mariae ad gradus) in anderen Kapiteln kein Propst
oder Dechant vor, der mit B. anfängt.
Dass der Verfasser B. hiess, halte ich nach dem Formular für
wahrscheinlich. Hierin bestärkt mich der Umstand, dass er auch in
einem anderen Formulare denselben Buchstaben gebraucht. Es heisst
nämlich:
D. 68. (Formular eines Chirographum):
'ego b. scribo, me accepisse ab R. loeneratore mutua X.
sub usuris messibus, pro quibus ei codi ccm obligavi.
Apocha: Ego R. creditor profiteor, B. mihi X. solvisse, pro
quibus codicem pignori supposuerat, vel: solvisse pecuniam,
quam debebat ex venditione a me sibi facta; tradidisse
mihi quod debebat ex promissione dotis vel ex permu-
tatione.
Antapocha. Ego B. profiteor, me solvisse R. X., quae ei
nomine pensionis pro domo sejana debebam’.
Wenn ich nach diesem die Abfassung des Werkes in das Jahr
1169 oder 1170 setze, dürfte sich kaum ein gewichtiger Einwand
machen lassen*). Ob dasselbe den Propst der Kathedrale Bruno
Graf von Berg, welcher als Erzbischof B r uno III. von 1191 —1193
regierte, resignirte, 1200 starb, zum Verfasser habe, lasse ich dahin
gestellt. Übrigens kommen zwei weitere B. vor, nämlich ßerthold
Canonicus von St. Gereon zu Köln, der sehr gerühmt wird, zum
Erzbischöfe von Bremen gewählt aber nicht bestätigt wurde (Reuter
Gesell. Alex. III. Bd. 3 S. 359, 435 ff.), dann Bertholf Cano
nicus zu Bonn, der bei der Verfolgung der Katharer eine Rolle spielte
*) Dass das Werk nicht vor 1169 gemacht ist, versteht sich nach dem Gesagten
von selbst. Ist nun meine Annahme richtig, so ist bewiesen, dass die Werke von
Rufinus, Stephanus Tornacensis vor 1169 fallen.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
tlt
(Reuter 3. S. 633). Von sich selbst spricht der Autor p. 129, wo
er 'deficiente accusatore’ die Nothwendigkeit der Purgatio verwirft:
'mihi omnium minimo nee magistri nomine digno videtur’.
VII. Als eigenthümlich zieht sich durch das Werk ein starkes
Betonen der päpstlichen Jurisdiction. Ich hebe einige charakteristi
sche Stellen aus.
pag. 29.
'Sunt autem haec [Conc. gen., welche als den 4 Evange
lien gleichstehend erklärt werden nach dem Vorgänge aller
älteren] Chalced. Nie. Const. Ephes. primum, quae nullo
dispensationis eolore vel mutare vel mutilare nec ad unum
iota sancta Romana ecclesia praevalet’.
pag. 33.
'Canones enim suae interpretationis auctoritatem primae sedi
reservant, unde et pleraque conciliorum capitula ita con-
cludunt: salvo in omnibus iure sanctae Rom. ecclesiae’. 'Ce-
terum, quod diximus, interpretationem canonum summae
sedi servatam, intelligendum est, universalem et necessa-
riam. Est enim interpretatio triplex: principalis, judicialis,
magistralis. Prima necessaria et universalis secunda ne-
cessaria nec universalis, tertia neutra nisi auctoritate
firmetur’.
D. 40. p. 39.
'Est tarnen casus, in quo a subditis apostolicus condem-
natur, si lapsus in haeresi deprehenditur’.
pag. 127.
'Quare imperator potest infamiam abolere ideoque, cum
papa super imperatorem, immo ipse verus imperator sit,
non est duhium, eum idem posse .... Imperator autem e
contra abolitione sua civilia non ecclesiastica jura resti-
tuit.’
pag. 131.
'Hic quaeritur, an a saeculari tribunali in causis pecunia-
riis ad papam appellari possit. Videtur hoc inde, quod papa
verus imperator est. Non dedignatur etiam imperator sanc-
tam Rom. ecclesiam matrem suam agnoscere cuius advo-
catus est et a qua imperiale deeus accepit.’
112
V. Schulte
pag. 256.
'Si opponitur [dagegen, dass kein Geistlicher einem Laien
schwören dürfe] de juramento fidelitatis, quod ab epis-
copis imperatori praestatur, responderi potest, non omnem
moderni temporis consuetudinem canonibus concordare,
vel, quod potius est, imperatorem propter sacram unctio-
nem in numero laicorum non haberi’ 1 ).
VIII. Zum Schlüsse mögen noch einige Proben der Behandlung
mitgetheilt werden.
D. I. Est enim mos eonsuetudo antiquitate rationabilis. Cons.
alia generalis, alia specialis i. e. mtmicipalis et dicitur a municipibus.
Sunt autem municipes eiusdem muneris vel munii i. e. otficii parti-
cipes. Fiunt autem hi tribus modis: natione, manumissione, adop-
tione. Natura uel natione qui in eadem civitate ingenuis nati natalibus
quasi capita populi constituuntur, manumissione qui servus fuerat
emancipatur, adoptione dupliciter vel ejus, qui sui juris, quae fit per
principem et dicitur arrogatio, vel ejus, qui in potestate et baec ge
nerali vocabulo specificato simplex adoptio nuncupatur.
De consuetudine diversa sentiuntur. Dicitur enim et verum est,
quod lex tollit consuetudinem secundum illud Codicis: „consuetu-
dinis ususque longaeui non vilis est auctoritas, non tarnen usque
adeo sui valitura momento, ut legem vincat aut rationem“ i. e. ratio-
nabilem legem. Lex enim, quae expressam iniquitatem vetat vel puni,
nullis hominum moribus quassari potest. Dicunt tarnen alii quod con-
suetudo perimit legem, ut possit eam abrogare [supra: in toto], ei
quoque derogare [supra: in parte], quod non generaliter, sed in
casu verum est populi Romani, vel alius, qui habet condendae legis
auctoritatem. Si cognita lege sciens et prudens in contrarium agat
*) Eine Rücksichtnahme auf deutsche Verhältnisse liegt auch in dem Satze pag-. 260:
'sunt hi (seil, episcopi), qnia jus gladii habent> quod tarnen non per se, sed per
suffectam personam exercere debent 5 .
Als Curiositäten mögen mitgetheilt werden das in C. XIII. pag. 194 angeführte
Sprichwort, dass die Zehnten der Kirche des Wohnorts gebühren:
f ubi ergo quisque sumit psalmum, ibi debet timpum\
und die pag. 195 mitgetheilte, gewiss auch jetzt in mancher Gegend angenehme
Gewohnheit:
'Verum quia hoc ex speciali consuetudine in quibusdam locis servatur, ut,
ubi cervus capitur, ibi dexter armus sacerdoti [d. h. dem Pfarrer]
olferatur, et ubi pisces prenduntur, ibi similiter decimentur’.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
113
sic legem abrogat. Quod aliquando fit propter correctionem. Niliil
enim interest, an sufTragio acclamationis an rebus ipsis et factis papa
voluntatemsuamdeclaret. Siquidem tacito consensu leges abrogantur,
ergo praefatum imperatoris verbum de municipali. non de generali
consuetudine exaudiendum est. Quod tarnen absque quaestione trans-
eundum non est, nam si consuetudinis non vilis sed vigens auctoritas
est, tune vincit legem obloquentem sibi. Quod si e contra lex vincit,
consuetudo deficit.
Der Ausdruck sacramentum hat bei ihm noch nicht die tech
nische Bedeutung, wie folgende Stelle beweist:
pag. 67.
'lllud certo certius est, quod moto altari vel laesa quocun-
que modo plantione [1. plantatione] sacramentum repeten-
dum sit. Sed si stante altari parietes innoventur aqua epis-
copali dedicabuntur. Unde tractatu de consecratione
D. I. Iginius pp.’ . .
IX. Der Codex hört auf in Causa XXVII. (pag. 288) mitten im
Satze. Ich theile noch die Skizze des Eherechts mit, da sie interes
sant ist.
'Matrimonium est legitima conjunctio maris et feminae ad indi-
viduum consortium vitae. Conj. haec nec corporum nec animorum
separ. sed personarum. quae ex pactione conjugali Consensus procedit,
accipitur. Leg. dicitur et ratione contrahentium, ut personae leg...
Qua descriptione conjugium ratum i. e. fidelium et eorum, qui
legitimae prorsus sunt personae definitur. M. non ab auctore gene-
rationis sed a matre denominatur, seil, dictum quod sit matris mu-
nium i. e. officium, quod ipsa affectiosius haurit in se, quae amaras
propagationis vicissitudines in se suscipit, dum pro conceptu gravida
et pro partu dolorosa efficitur.
Institutio M. duplex fuit: in paradiso ad offeium, extra ad reme-
dium. Ibi ad procurandam sobolem jubente domino: 'crescite et mul-
tiplicamini’, hic ob vitandam fornicationem, dicente apostolo: 'ut
unusquisque.’ ....
Causae conj. aliae sunt ob quas, aliae per quas copulantur.
Causarum propter qnas aliae principales, aliae secundariae. . ..
Bonum prolis est . . .
Quae m. impediunt, XIIII. numero sunt: votum ordo ha-
bitus ....
Sitzl). d. phil.-hUt. Cl. LXIV. Bd. I. Hft.
8
114
v. Schulte
Harum causarum aliae personas aliae ipsam earum conjunc-
tionem illegitimam efficiunt . . .
De his ergo m. obstaculis tractaturi de voto prius inspiciamus.
Votum est testificatio spontaneae promissionis, et accipitur tarn de
bonis quam de malis. Est enim votum et lieitum et illicitum vel ra-
tione rei vel ratione personarum
Sequitur, an desponsata alteri priori possit obligationi [renun-
tiare] et in alium sua Vota conferre ....
Zweites Capitel.
Die Summa Parisiensis des Codex ms. Bambergensis
P. II. 26.
I. Sie ist enthalten in dem Cod. membr. in 4« signirt P. II. 26.,
101 Blätter umfassend i). Die Seiten zerfallen in 2 Col. zu 44 Zeilen.
Die Schrift ist sehr klein, hat viele Abbreviaturen und ist die Current
schrift aus dem Ende des XIII. oder Anfänge des XIV. Jahrhunderts.
Am Rande stehen viele Zusätze von einer zweiten Hand mit frischerer
und schwärzerer Tinte geschrieben. Die Ränder sind bei dem Ein
bande (1609) sehr stark beschnitten, dadurch die Bemerkungen oft
verstümmelt.
II. Der Verfasser lebte offenbar in Frankreich und aller Wahr
scheinlichkeit nach in Paris, als er das Werk schrieb, wie sich
ergibt aus der Bezugnahme
1 ) Maassen hat in der Schrift Paucapalea S. 19 ff. über diese Summe, so weit dies
seinem Zwecke entsprach, gehandelt und dargethan: dass der Verfasser, als er
schrieb, 'nicht Lehrer in Bologna war’, seine Studien aber wohl dort gemacht
habe; dass dieselbe in Paris entstanden sei; dass sie, weil er Placentin kenne,
keine Derketalen Alexanders III., in die siebenziger oder achtziger Jahre des
12. Jahrh. falle. Derselbe hat in den Beiträgen S. 11, N. 6 ff. mehrere Capitel
als Paleae aus ihr erwiesen, S. 57 ihre Bekanntschaft mit Pseudoisidor, S. 62 mit
Ivos Pannormia gezeigt. Endlich hat er in: Bekker und Muther Jahrbuch des
gern, deutsch. Rechts. Leipz. 1858. II. S. 220 ff. deren Bekanntschaft mit dem Cod.
Theodos., Breviar. Alaric., S. 235 f. angeführt, dass er Isidor den über Capitula-
rium zuschreibe. — Es ist somit Maassen’s Verdienst, diese Summa zuerst
bekannt gemacht und auf ihre Bedeutung hingewiesen zu haben. Da er aber nicht
im Zusammenhänge dieselbe beschrieben hat, die Summa dies aber bei ihrer
Wichtigkeit verdient, habe ich sie genau beschrieben.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. 11.
115
a. auf die französische Sprache, Bezeichnungen in Frankreich:
Dist. X. c. 3. 'de capitulis. Post translatum imperium ad
Francos factum est hoc decretum, unde secundum vulgare eorum
dicunt capi., vel praece.., quod idem est secundum quod lex Karoli
intitulatur über cupitularium.
*D. XXXVIII. c. 10. 'quisapi ens quasi quod dicitur franci-
gena lingua peccanti per tuam stultitiam et tu emendabis per tuam
sapientiam <).
c. 21. C. I. q. S. 'Zelotyp. vulgariter gelosiam’.
Dict. ad c. 24. C. XXIII. q. 8. . .sed vocat forte comitatus
vulgariter placita saecularia et lites ad quas non decet episcopum
inconsulto domi.no papa’.
C. 3. C. III. q. 2. ’mansus vel mansum vulgare est pro eo quod
sufficit uni aratro’.
b. auf historische Frankreich berührende Vorgänge:
D. X. c. 3. — D. LXIII. c. 30. 'Ego. L. Tempore istius impe
rium erat Francorum’.
D. XCVI. c 7. 'domesticorum. Erant sub imperatore diversi
comites, ut palatinus, et ut ille, qui praeerat majoribus domus, id
est eis, qui tenebant purpuram et hujusmodi, qui dicebantur dome-
stici, ut iste, qui praemissus est ad synodum’.
c. 104. C. XI. q. 3. fügt er den Inhalt referirend hinzu: ‘sed
accedens ad regem Francorum, qui tune praeerat Germaniae’.
c auf specielle Zustände der Kirche in Frankreich:
*D. XI. c. 11. verbo alterius i. e. eontrariae vel huic non sub-
ditae. Tnvenitur quaedam consuetudo, quae aliter hodie in Franciu
aliter in ecclesia Romana observatur. Si enim aliquis aliquam verbis
de praesenti desponsaverit et benedictionem cum ea sacerdotalem
susceperit [non: acceperit], sed, antequam eam cognoscat, ab alio
desponsata carnaliter cognita fuerit, ecclesia Franciae cogit eam ri-
dere [lege: redire] ad primum, sed non ecclesia Romana. Et adhuc,
quid sit melius, ignoratur 3 ).
*D. XXXIV. c. 19. ’Presb. diac. . . ■ Solutio. Hic, ubi prohibetur
Interesse conviviis, intelligendum est, quia prohibetur matrimonio
*) Von Mausen erwähnt. Ich werde den Stellen, bei denen dies der Fall ist, ein a
vorsetzen.
2 ) Alexander III. entschied es. Siehe c. 3. 7. 8. Comp. I. de sponsa duorum IV. 4.
Vgl. die Bemerkung zur Summa Coloniensis und meine Beiträge I. S. 20.
8*
116
v. Schulte
interesse illi parti, in qua ludi fiunt. Aliter vero ex his G. argumen-
tatur in XXIII. ca., quia inter sponsos non est conjugium, quoniam,
si conjugium esset, qui talem ducit, auctoritate hujus decreti promo-
vetur, quare primi non fuit uxor. Sed ecclesia Francoruin iudicat,
quod, si facta desponsatio verbis praesentis temporis id est 'ego ac-
cipio te in meam’ et e contrario, exinde est matrimonium ratum.
Urule etsi alii desponsata carnaliter adjungetur, cogitur redire ad
primum, qui eam [adde: non] cognovit. Respondet autem magister
P. lombardus in sententiis suis ad illud G. Dicimus quodista fuit des
ponsata verbis de futuro nee fuit ibi consensus de praesenti, contra
quem videtur esse, quod dicitur in hoc eapitulo velata. Sed sic exponi
potest i. e. pallio sponsi cooperta. Posset tarnen concedi, quod fuisset
desponsatio, nec sequitur illud G., quia adhoc quod dimissa ab uno
si ducta fuerit ab alio impediat ordines non sufficit, ut fuisset uxor
alterius, sed quoque ut ab eo carnaliter cognita. Haec ergo distinc-
tio G., quae hic ponitur, conveniens est, licet post non convenienter
argumentetur ex bis’.
*C. II. q. 7. Einleit. '.. Hoc est consuetudo Romanae ecclesiae,
sed Gallicana ecclesia in nulla causa civili criminali recipit laicos
adversus clericos. Et secundum hoc possunt distingui decreta. Quae-
dam tarnen loquuntur de rigore, quaedam generaliter, quibus conse-
quenter per specialia derogatur’.
*C. XXXV. q. 2. et 3. 'Quidam patrem primum gradum consti-
tuunt et hi computando usque ad VIII. gradum proccduut inclusive.
Alii filios primum gradum constituentes usque ad VII. gradum. Hane
computationem praecipue Gallicana sequitur ecclesia. Alii vero ne-
potes primum gradum efficiunt et usque ad VII. exclusive computando
procedunt. Quae tarnen computationes ad idem redeunt. Est autem
quoddam decretum, quo consanguineorum conjunctiones prohiben-
tur, quamdiu computari potest generatio. Sed magistri Bo l. ita de
cretum interpretantur, ut eo prohibeantur consanguineorum conjuncti
ones usque ad VII. gradum, quia ulterius non protenditur. Vel pos-
sumus dicere, quoniam, si usque ad VII. gradum vel non aliquis com-
putare cognationem sciret matrim. contrahere probibetur, sed contrac-
tum non dissolveretur. Decretum istud igitur loquitur de matrimo-
nio contrahendo’.
d. auf die Verhältnisse der Pariser Diücbse.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. 11
117
*D. XII. c. 13. v. de Ins. >) 'Hoc decretum generale est et bonum
esset, si ita fieret; non tarnen cogit Parisiensem ecclesiam longas
suas deserere consuetudines propter Senonensem’.
*I>. XIV. c. 1. 'Octo enim concilia et alia adnotata, ut babemus
in sequentibus, immutilata servantur. Sed in aliis scripturis praede-
cessorum suonim dominus papa potest dispensare, derogare vel ab-
rogare considerata ratione. Similiter P(tri[si\ensis ecclesia in suis
consuetudinibus, sed in generalibus non nisi generalis ecclesia’.
C. XXIV. q. 3. c. 6. 'De illicita. In hoc decreto ostenditur, qua
poena feriatur qui illicite aliquem excommunicat. Plurima etiam di-
cuntur in hoc decreto, quae vel in ecclesia Parisiensi recitata vel a
G. didici possunt, fuisse. Hinc etiam huic vel sunt inserta a G„ quae
sequuntur vel in concilio Pari, recitata’.
III. Es folgt aus zahlreichen Äusserungen, dass der Autor von den
Werken der Schule zu Bologna bez. von den Ansichten der dorti
gen Rechtslehrer genaue Kenntniss hatte.
*D. XVII. c, 5. ad v. sextae synodi: 'Hic Bolonienses emenda-
verunt sextae synodi’.
C. XII. q. 2. c. 11. fraternitas 'Hoc est, quodGreg. dicit in per
sona furis et secundum quod exponit magister Gi., qui vult, quod
ecclesia quadruplum dehet considerare secundum hanc auctoritatem
Gregorii. Cuiusmodi sit: ille qui comisit si habet unde solvat, sin
autem alias castigetur. Unde sequitur damnis. Si enim tantum rem
restitueret, non pateretur damnum, ergo in hoc patet, quia cum aug-
mento, et debent quidam seil, quod habent dare debere. Dicunt tarnen
Bolonienses damnis, quouiam amisit rem et oportet eum reddere.
Addis i. e. hoc etiam interrogas sed absit exhortator est secundum
quod mag. Gi. vel absit ab eis, qui non possunt solvere vel quantum
ad usuras’.
C. XIII. q. 2. c. 13. ' Bolotiienses -) exponunt: o signifieat per-
fectionem, a non quod est rotunda litera, ergo in hac mutatione signi-
ficatum est quod de perfectione mutatum est derisorie. Sic nomina
*) Dass dies Citat entscheidend ist, weil der Verfasser „als bekannt voraussetzt
die Thatsache, dass in Paris die Officien anders abgehalten werden als in Sens“
(damals Metropole von Paris), mithin für Leser in Paris schrieb, hebt Maassen
Paucapalea S. 20 treffend hervor. Ebenso gut hebt er hervor, dass die folgende
Stelle für andere als Pariser keinen Sinn habe.
2 ) Paucapalea hat nichts davon, wohl aber R u f i n.
118
y. Schulte
desinentia in a sunt etiam [femin]. Et idcirco per a mutationem
significamus fragilitatem et mutabilitatem sed nomina desinentia in
o sunt masculina et idcirco per o significamus majorem virtutem’.
*C. XXXII. q. 7. c. 18. [Maassen Paucapalea S. 19].
cap. 21. eod. qui dormierit cet. 'Hoc decreto praecipitur, ut
i]Ie, qui cum duabus sororibus post uxoris suae obituin nec adulter
nec adultera nunquam conjugio copulentur, quod tarnen fiet in verum.
Quidam dicunt, eum nullatenus uxorem suam sororem videlicet eius,
quam polluit, posse cognoscere. Ma. tarnen Bo. dicunt et subtilius
quam nisi [lege: verum] in hoc casu ab uxore sua debitum non debet
exigere’.
Ca. XXXIII. pr. Er referirt, dass Jene, welche wegen Impotenz:
die Ehe auflüsen, unterscheiden, ob sie naturalis oder casualis seij
gehe eine vorher, so werde sie gelöst, folge sie, nicht. Es sei zu
unterscheiden, ob sie personalis sei oder nicht. Im ersteren Falle
könne man heirathen, im letzteren nicht. Sei sie naturalis, so werde
die Ehe gelöst und die Wiederheirath nicht gestattet. 'Sin autem
ipse, qui juravit et illi etiam, qui cum eo juraverint, perjurii crimine
rei tenebuntur et illa, si secundo nupserit, auferetur secundo et resti-
tuetur primo. Quaerunt magistri Bolo. quae sit huius diversitatis-
ratio ? .’
C. XXXIII. q. 5. c. ö. v. quisquis vendit. 'Magistri Bolo-
dicunt, hoc interponi debere quasi non exemplum, sed rationis sie
initium. Sed ma. G. dicit, argumentum esse a simili’ ...
C. XXXV. q. 2. et 3. bereits citirt. Das. c. 16; — c. 21. wo
er referirt, die mag. Bol. hätten einen anderen Paragraphen zu
gesetzt.
Zugleich deuten, wie schon Maassen hervorhebt, diese Stellen
darauf hin, dass der Autor nicht zu den Lehrern in Bologna gehörte,
mindestens nicht zur Zeit der Abfassung seines Werkes. Er kennt
aber auch den lombardischen Sprachgebrauch:
*D. X. c. 3. v. ut cum de causis dei cigitur: 'i. e. rebus dei
i. e. rebus ad deum pertinentibus; nec debes intelligere causis i. e,
placitis secundum communem usum huius nominis causa, sed, ut
dixi, causam intelligere pro re; sic enim utuntur longobardi secun
dum idioma linguae suae’.
*C. I. q. 1. c. 102 (Maassen Pauc. S. 20. Note 31).
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
119
Für die genaue Kenntniss Frankreichs und der Lombardei
(Bolognas) ist die folgende Stelle entscheidend:
*C. II. q. 6. c. 24. v. ista autem. 'Haec possunt esse verba G.
dicentis superius i. e. superiore parte Theodosianae legis, vel sunt
verba ipsius imperatoris Theodosii. Sed cum Theodosianus Codex
non sit in Lombardia, est enim Aurelianis et apud sanctum Diony-
siwn, videtur, quod G. has leges sumpsisset de canonibus Ivonis,
quos quidem inducit non quomodo teneant, sed ne ignorentur’.
III. Sehen wir auf den Inhalt des Werkes, so ist zunächst her
vorzuheben, dass die Handschrift unvollständig ist, indem sie in c.
3. C. 36. q. I. aufhört. Dass der Autor die P. III. commentirt hat,
lässt sich aus dem zu D. CI. anzuführenden Citate entnehmen.
Über den tractatus de poenitentia sagt er nur: 'Hin breviter. Acce-
dit magister denique ad tertiam quaestionem, qua quaeritur [an] sola
cordis contritione absque oris confessione quis possit satisfacere. Si
vera et pura sit, constat peccata dimitti. Exigitur tarnen exterior
satisfactio ut et sacerdoti confiteamur, si tarnen tempus sit confitendi.
Et in eo casu intelligendae sunt illae auctoritates, quae dicunt, abs
que anteriore satisfactione non remitti peccata. Ceterum si desit con
fitendi facultas sufficit interiori contritioni soli deo confiteri. Et in
eo casu intelligendae sunt illae auctoritates, quae dicunt, sola cordis
contritione peccata remitti’.
Weiter gibt uns die Einleitung über verschiedene Punkte Auf
schluss, deren betreffende Stellen lauten. Anfang: 'Sancti Spiritus
assit nobis gratia’.
Magister G. in hoc opere autonoma sive dicta magistri loco
proemii talem suo praemisit libro titulum Concordia discordan-
tium canonum. In quo materiam et intentionem breviter exponit,
et quia, ut auctoritas tenet, in legibus nihil invenitur contrarium, nihil
idem, nihil simile nisi aliqua distinctione mutetur, unde multo minus
hoc inveniri deberet in canonibus, exponimus discordantium canonum
non qui sint, sed qui videantur esse. . . .
Incipit autem in hoc capitulo prima distinctio. Dividitur enim
hoc opus per partes quatuor, quarum secunda incipit a prima cau
sa, tertia a dioecesani (d.h. Causa XIII.), quarta a prima causa
de matrimoniis (C. XXVII). Dividitur per causas et quaestiones, quas
distinxit. * Distinctiones apposuit in prima parte et ultima pauca
120
v. Schulte
palea, et concordantias atque contrarietates notavit in margine sic :
u u
i [infra] s [supra] tali causa vel distinctione.
G. apponit paragraphos ad repetenda dicta, ut addat vel tran-
situm faciat vel praedictis ut apponat vel incidentem vel principalem
questionem adjungat vel determinet et ad similia. Verum nihil fere
inducit, quae haben non possint ex praemissis vel subsequentibus.
Est autem primus paragraphus ejus iste §. Ex verbis .
Eine andere wichtige Stelle ist:
D. XXXI. VI. Pars, lllud Martini. 'Haec in sequentibus habe-
bimus di. XXXIV cap. si stibdit. Unde, quia subsequentia exponit G.,
datur intelligi, quod post ordinationem liujus operis quasdam appo-
suit determinationes .
Nach Dist. CI. 'Triplex disciplinae genus hoc in opere docemur:
videlicet sacramentalis, moralis et iudicialis. Sacramentalis disciplina
consulit in sacramentis ecclesiae, de quibus tractatum est in prima
parte de ordinibus et de quibus tractabitur in ultima post causas
vel de corpore Christi, de quibus etiam tractatur in causis ut
ubi agit de matrimonio. De morali disciplina permixte agit in hoc
opere. In prima siquidem parte, ubi. ... De judiciario vero discipli
nae genere in causis agit, quae sunt XXXVI., quarum prima hic
incipit. G. vero interponit primae parti distinctionum atque tractntui
causarum paragraphum symoniacorum causa’. . . .
Was die Citirmethode betrifft, so wird bisweilen die Zahl
der Distinction, Causa und des Capitels citirt (z. B. in C. XV.), mei
stens das initium des Capitels.
Wie in der mitgetheilten letzten Stelle der Einleitung, so liegt
eine Kritik Gratians auch in anderen Stellen, und zwar nicht stets
zart, z. B.
Einl. v. jus naturale D. I. 'Haec descriptio non videtur eon-
venire, quia non omne, quod est in evangelio et in lege, est naturale
jus, ut caeremonialia. Sed huiusmodi verborum captiones non cavet
G. in suis descriptionibus seu expositionibus’.
Bei Gelegenheit der Exposition referirt er auch dieThatsachen,
dass Gratian Italiener und Mönch war:
D. XVIII. §. Verum. ' G., quia erat de Italia, movet quaesti-
onem et maxime ut addat, quia in sedendo et subscribendo ordo ordi-
nationis episcoporum servetur, sicut inter cardinales’.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
121
c. 52. C. II. q. 7. dict. Grat colligitur. 'Quia G- monaclms
fuerat, in hac quaestione enititur probare, quod monachi possunt ac-
cusare, hoc modo: Omnibus subditis datur haec auctoritas, ergo et
monachis. Item: praecipitur, ut habeant eos episcopi secum ad bonum
testimonium: si ergo pro eis possunt testificari, poterunt etiam contra
eos, si necesse fuerit. Placuit forte G., qui consideravit antecedentia
et subsequentia illius decreti potuit sentire, quod de monachis lo-
quuntur, sed secundum ea, quae liic ponuntur, non oportet, ut de
monachis intelligatur, immo de quibuslibet malis, qui mortui sunt i. e.
iudicati ad mortem, ut infra C. III. q. V. cap. Canonica .
c. 61. C. XVI. q. 1. 'quia ipse [seil. mag. Gratianus] mona-
chus fnit. Aus diesen Stellen folgt mit Gewissheit, dass Gratian nicht
mehr am Lehen war. Bedenkt man den so häufigen Gebrauch jener
Zeit, seinen Lehrer zu erwähnen, vor Allem aber die Art der hier
gemachten Kritik, so dürfte man wohl nicht mit Unrecht annehmen,
dass der Verfasser bei Gratian selbst nicht gehört habe.
Der Texteskritik ist an einer Anzahl von Stellen Raum ge
geben worden. Zu c. 4. D. V. setzt er auseinander, es müsse men-
struum heissen, aber, sei es durch Schuld der Schreiber oder den
Usus einiger, man brauche menstrua substantive.
D. XI. c. 4. vincat rationem aut legem. 'Haec est vera litera,
sed quia pan ca palea glosavit i) rationem i. e. vetus testamentum
ius naturale et legem i. e. scriptam in quibusdam libris est hoc in-
sertum’. — D. XVI. c. 10. §. Prima. 'Alibi G. idem repetit et addit
de tertia, quod non posuerat Beda, et notandum, quod de VII“et VIII
non dicunt, sul) quibus vel quomodo fuisset’. — D. XXV. c. 4. l ap-
parebit vel praesentatur alia litera (p. Richter). D. XXVI. c. 3.
'deinde opponitur vel ponitur, duplex litera’. D. XXVII. c. 5. eru-
diunt gibt er eine Paraphrase, bei der er Paucapalea’s Summe vor
Augen hatte. — D. L. c. 25. Deeo. Dom. papa celebraverat concilium,
in quo aliis statutis de receptione haereticorum nihil statuerat. Dicit
ergo, utrum congregandum adhuc concilium. Sed quia hoc decretum
non multum expresse loquitur de lapsis in haeresim, credimus, G.
in originali, unde istud est exceptum, sensinn decreti vidisse, et ea
*) Paucapalea ad h. I. (nach Cod. Vindob. 2220, 570; Stuttg art. Cod. jur.
N. 62.) sagt: 5 ut a i. e. jus naturale. Vel aut r. i. e, aequitateni vincat aut
legem i. e. scriptam 5 .
122
v. Schulte
tarnen, quae hic ponuntur, non adeo congrue de aliis intelligi pos-
sent’. — c. 57. eod. — D. XCIII. c. 11. 'diaconi. Alia capitula de
sacerdotibus, quae interponuntur in quibusdam libris inter haec duo
de diaconibus, ante ulrumque legantur’. — C. II. q. 1. e. 7. §. 3.
— C. II. q. 6. c. 24. (oben). — C. III. q. 6. c. 16. 'neminem. Ubi
l'ubrica debet esse: 'nisi per relationem’ quod declarat decretum:
'siquis pulsaturus’ [c. 17]; et tune dicemus actiones i. e. excep-
tiones. Sed quidam libri habent einendatum pulsat, quia pulsantis
est agere’. — q. IX. c. 12. 'post examinationem, vel alia litera
excommunicationem’. — C. VII. q. 1. Einl. 'longa invalitudine.
Sive sit litera valetudine sive invalitudine’ cet. XII. q. 4. c. 1. c. 10.
C. XII. q. 2. ln legibus. Rubricam huius capituli diversi diversis
modis emendant. Sed sic debet esse: in quadruplum, secundum
quod dicitur indistincte, quia quod ponitur in principio est de
lege, et sciendum, quod omnes illae leges de augmento abolitae
sunt per legem, quae hoclie obtinet, ut nunquam poena major sit quam
quadrupli’.
Worterklärungen spielen keine solche Rolle, als bei den
Vorgängern, finden sich aber auch, z. B.
D. X. 'Capitulum proprie dicitur quasi capitis titulus et ita pro-
prie dicuntur capitula decreta summorum pontificum quasi capitulum
ecclesiae capitalibus conciliis. Dicitur tarnen generalius capitulum
quaelibet imperatoria institutio, unde capitulare Caroli vel alterius
imperatoris’. — D. XI. c. 5. — D. XVIII. c. 17. das Wort dioecesis
(wobei er Paucapalea vor sich zu haben scheint). — D. XXI.
energumeni. — D. XXIII. c. 33. paranymphi iuxta nympha, spousalis
aqua, paranymphi qui ducunt sponsam vel secundum paucam paleam
paralimphi, qui dant aquam manibus’ •)• — c. 102. C. 1. q. I. placuit.
termissis quarta pars uncee vel solidi, quia ter mittitur ad faciendam
or
summam secundum quod lombardi termissum unum dicunt IIII nummos
venundantes, quod pro salute’ cet. 3 ) — c. 21. C. II. q. i. 'Scelus....
D Paucapalea ad. h. I. 'Paranymphi sunt consanguinei custodes s. servitores
sponsae sive qui parant ei lympham, vel quia stant juxta lymphain. Para enim juxta,
linfa aqua interpretatur’.
2 ) Die Stelle ist vom Schreiber corrumpirt, hat aber offenbar Paucapalea vor
Augen, der sagt: 'tremissis est sexta decima pars unciae, quod est centesiina
nonagesima pars librae. Aliter treinissis est tertia pars solidi et dicitur tremissis,
quasi termissus eo quod solidum faciat termissus’. Aber es folgt zugleich, da
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
123
Aliud est deponere et aliud est degradare, vel, sicut quidam alii
dicunt, exauctorare, Deponi potest abseus, degradatur aliquis, quando
ei manu auferuntur insignia, ut baculus, mitra; quod absenti non
potest tieri’. *) — q. II. c. 26. Quoties ~). . vel si de manu. Quidam
dicunt: manu navis una dictio i. c. quod datur pro navio conditione,
et tune erit ablativus manunavis. Alii dicunt de manu i. e. de pretio
navis, quod sumitur manu, et tune erit alia litera seil, navis. Alii
dicunt manuvagatur una dictio i. e. agatur de navi et erit vulgare
quoddam’. C. III. q. IV. c. 4. v. dotali. Hoc l'alsum erit, nisi intelli-
gatur baec definitio matrimonii insufficiens et posita pro descriptione,
ut dicatur absque dotali i. e. absque legitimo matrimonio’. — ib. q.
7. c. 2. §. 20. Sicophantis. Quod idem est quod calumniator. R. et
M. dicunt, se recepisse a graecis nuntiis constantinopolitanis, quod est
proverbium apud graecos, cuius interpretatio est 'eomedens ficos’ et
est tractum a tali tabula.’ Folgt die Erzählung. Offenbar bat er liier
Glossen des Martinus und Rogerius zu 1. 17. Cod. ex quib.
caus. inf. II. 12. oder deren Summen vor Augen.
C. IV. q. 4. c. 2 Leges vero hic oppositas sic Iego, ut ul
timum ponas pro rubrica hoc modo : Inscriptio vero semper fiat et
c. si excipitur, et hoc est aliquando et c.’ — c. 8. C. X. q. 3. inter
cetera. Gallecie est in recta litera. 3 )
C. XVI. q. 5. Einl. 'territorium est quaedam Universitas agro-
rum.’ u. a. m.
IV. Ist schon in einigen der angeführten Stellen der Beweis ent
halten, dass der Autor die Quellen aufgesucht bat: so bieten andere
den Nachweis, in wiefern er eine unmittelbare Kenntniss der Q u e 1-
1 eu des canonischen und-römischen Rechts hatte.
a. Von den canonischen sind ihm unzweifelhaft bekannt:
I. Die pseudoisido rische Sammlung. Dies ergibt die zum
Theile von Maassen (Beiträge S. 57.) mitgetheilte Stelle ad c. 4.
R u fi n . S te ph a n, R o I a n dus dies nicht haben, dass er selbst den Sprach
gebrauch kennt.
J ) Diese Erklärung, die ich bei den Vorgängern nicht finde, beweist die Richtigkeit
der alten Auffassung. Mein Lehrb. 2. Aufl. S. 327, System S. 39ö ff.
? ) Paucapalea ad h. 1. quoties p. a. c. etc. usque si de naulo agatur i. e. mercede
navis, quae manu acquiritur, ut remigando, onerando et exonerando navem ’.
8 ) So liest auch die Coli. Hisp.
124
v. Schulte
D. XVI. Er setzt die Differenzen bezüglich der canones apostolorum
aus einander und fahrt dann fort:
'Ysidorus. Composuit Ysidorus librum ex diversis canonibus,
in quo primo traetat de celebratione conciliorum, postea ponit cano
nes apostolorum. postea aliorum apostolorum [muss heissen apostoli-
corum i. e. paparum] secundum ordinem successionis et illi operi YsL
dorus praemittit epistolam istam 'Ysidorus 1 et caet. tanquam pro-
logum. Liber iste Ysidori appellatur liier canonum .
Lässt schon diese Stelle keinen Zweifel, so heben die folgenden
Worte ihn vollends: 'Unde hic dicitur in capite id est in initio illius
libri. Propter eorum, sicut incipit Isidorus . . . Item primus ovdo
verba Isidori in eadem epistola 1 . u. s. w., ebenso * ad c. 10. D. XVl.
ad v. inferius annexa i. e. in libro Ysidori, unde ista excepit G. 1
2. Ivo’s Pannormie, nämlich zu c. 1. D. LYI. und c. 7 C.
III. q. 2., wie bereits Maassen Beiträge S. 68 ausgefiihrt hat.
Dagegen scheint eine Kenntniss der Originalwerke der Väter,
bez. eine Vergleichung derselben nicht stattgefunden zu haben, wie
z. B. das zu c. 23. C. XXIII. q. 3. Bemerkte darthut.
Von römischen Quellen kennt und eitirt er:
a. Codex Theodosianus. Vgl. die oben mitgetheilte Stelle
zu c. 24. C. II. q. 6. darauf bezieht sich auch wohl
C. VI. q. 2. Einl. Qnod autem. In legibus Theodosianis habui-
mus, quod credendum sit episcopo; sed illud intelligitur, quando de
civilibus causis...’
b. Pandecten. Zu c. 24. C. II. q. 3. wird eitirt ti. ad le. Iu.
de adult, lege denunciasse §. quaer., worauf der Worllaut von
fr. 17. §. 6. und 7., fr. 18. 19. D. XLVIII. 5. folgt, u. a. ,
c. Codex Justinianeus. Zu c. 3. C. IV. q. 5 et 3.
c. 36. C. XL q. 1. Omnes. 'Hic videtur, quod testimonium solius
episcopi possit valere. Sed alibi dicitur 'vox unius vox nullius 1 . Quod
est contrarium. Solutio. Forte illud generale de aliis testibus et non
de episcopis. Vel aliter possumus dicere, quod lex ista est antiquata
per codicem Justiniani.: Non enim ista confirmatur a Karolo subse-
quenti lege, sicut confirmatur superior seil, quicunque.’ — c. 69.
C. XII. q. 2.
d. Äuthenticum. c. 13. D. XXVIII. De syracus.’. . pro eo iste
distulit ordinationem illius per annum, quia habetur in autenticis, ut
Zur Geschichte der Literatur eher das Dekret Gratians. II. 1 2I>
nullus habens uxorem et filios promoveatur ex ea causa, ne res
ecclesiae eis tribuat’.
c. 10. D. XXXI. Lex. Hoc decretum sic leges in autenticis cet.
c. 2. C. X. q. 2. Iste Leo bic ponit quandam longam legem de
bis in coilice. Sed G. hie ponit sensum. Postea lex illa emendabatur
in autenticis. Et idcirco statim illam supponit emendationem Justi-
niani.
e. Oft wird blos von den leges gesprochen, dann aber der Inhalt
so citirt, dass man sieht, der Verfasser hatte eine unmittelbare Kennt-
niss, z. B. zu c. 11. D. XLV., c. 5. D. LXXXVIII., c. 2. §. 6. C. III.
q. 7., c. 3. §. 30. C. IV. q. 2 et 3.. ad dict. Grat. c. 4. C. XIII. q, 2.
Die wegwerfende Bemerkung: 'quod de libero. G. ut ostendat, se
aliquid scire de legibus, dicit, quia servus non potest facere testamen-
tum’. Aber er mag sich mit dem Civilrechte nicht befassen, wie er
zu §. 3. pr. C. XV. q. 3. sagt: 'Quod pro digressione inducit multa
ex legibus, de quibus disputare non multum studeat, ne in labgrin-
thum, qui solis legis peritis pervius est, incidas. Ea igitur .q. nota
transeas’.
Von anderen Hechts quellen citirt er:
a. Lex Salica. c. 4. D. XXXIV. Js qui. Concubina hic intelli-
gitur secundum legem satilicam [offenbarer Schreibfehler], quae
ducitur, quae quidem uxor est, sed eo tenore ducitur, ut filii non suc-
cedant nisi in quantum statuerit eis pater, nec peccatum si [I. sic]
eam ducere, cum non ducatur, ut abjiciatur’. Dass dieses keine un
mittelbare Kenntniss der Lex Salica verräth, braucht nicht gesagt zu
werden. Den Ausdruck kann er aus II. Feud. 29. haben.
b. Lombardei, c. 8. C. XII. p. 2. Nach einer sehr guten Erör
terung 'leges saeculi . . seil, lex lombarda, quia in aliis non inve-
nitur’. Diese Bemerkung lässt auf eine unmittelbare Benutzung
schliessen.
V. Von Schriftstellern führt er, abgesehen von den hier
nicht in Betracht kommenden Vätern, an, soweit es sich um Cano-
nisten und Theologen bandelt:
a. Paucapalea. Viele Stellen sind bereits vorgekommen, andere
werden noch Vorkommen. Er hat ihn beständig zur Hand gehabt und
viel gebraucht,- es ist unnöthig, noch dafür Stellen zu citiren.
b. Zu dict. Grat. Item qui audit. ad c. 7. C. XXII. q. 5. Sed
mag ist er P. aliter hoc exponebat. Dicebat enim, si quidem con-
126
v. Schulte
tingebat post secutam commonitionem corrigi non posse tribus aut
IV. testibus convocatis simul et iterum, significari debere commu-
niter a compluribus, dici eum illius rei esse, et si ipse ila inflam-
matus vel pereipiatur dixerit, se id quidem perpetrasse, a proposito
desistere veile deinceps in publicum is, qui peccati conscius est pro
cedat eumque super crimine perpetrato redarguit.’ ■
c. 23. C. XXIII. q. 4. vasis irrte v. §. 3. vires itaquc obed. etc.
Videtur G. babuisse ex auctoritate Ambrosii, quod tarnen quidam
dicunt, esse Ambrosii Adoperti non Ambrosii Mediolanensis. Sed
tarnen magister P. dicebat, eum opera digna morte factum’.
Wer ist der magister P.? Aus den Ausdrücken folgt, dass ein
Citat vom Hören vorliegt, der P. also Lebrer des Autors war. In
Paucapaleas Summe stellt nichts zu diesen Stellen. Sollte man den
noch an ihn denken dürfen? In den Sententiae des Petrus Lombar-
dus, an den man gewiss bei dem Ausdrucke mag. P. zuerst denken
wird, daerso fast allgemein cilirt wird, finde ich diese Äusserungen
auch nicht. Aber der Gegenstand selbst ist in den Sententiae berührt,
und dass der Autor den Petrus zu Paris gebürt habe, ist offenbar
höchst wahrscheinlich. Gleichwohl fragt sich, ob er gemeint ist, weil
derselbe an einer Stelle (ad c. ad eins v. bonarum 4. D. IV. fol.
2 b 'm. p. lombardas dicebat, quod, si sacerdos dixerit in con-
fessione; peccavi in adulterio, cum non sit adulterium, peccat cri-
minaliter’) mit ganzem Namen, an einer zweiten (c. 8. C. XXXIII.
q. 5. nota sententiam ma. pe.) so bezeichnet ist, dass kein Zweifel
obwalten kann. Die erstere Stelle lässt aber auch darauf schliessen,
dass er Petrus hörte. Ob er Petrus Comestor oder Petrus Pictaviensis,
Petrus Blesensis oder einen andern der bei Bulaeus Hist. univ. Paris.
T. II. genannten meint, lässt sieb kaum sagen aus der kurzen Stelle.
c. Ohne ihn zu citiren bat er Stephan von Tournay
benutzt. Aus ihm ist die Erörterung am Schlüsse der Pars I. ent
nommen, wie ich auch noch sonst Anklänge finde. Es ist übrigens
auch das Umgekehrte möglich.
rl. Gibertus. c. 11. C. XII. q. 2. Fraternitas■ Hoc est quod Greg,
dicit in persona furis et secundum quod exponit Magister Gi., qui
vult, quod ecclesia quadruplum debet considerare secundum lianc
auctoritatem Greg
Addis i. e. hoc etiam interrogas, sed absit exhortator est se
cundum quod magister Gi. vel absit ab eis, qui non possunt
solvere vel quantum ad usuras.’
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
127
ad dict. Grat. e. 23. C. XXIII. q. 4. v. non ideo naturam amittunt
i. e. non ideo ex necessitate sunt, quia, priusquam fierent, etiam non
evenire praevidit necesse est, istum salvari, si deus praevidit, ut totum
hoc dictum sit necessitatem non antecedens vel consequens hypothe-
tice. Magister Gibertus [ausgeschrieben] dicebat, haue proposi-
tionem ita veram esse, ut necessitas sit consequendi non consequentis,
si deus praevidit, hunc esse salvandum necesse est istum salvari’
Offenbar ist auch hier wieder von Vorträgen die Rede. Über
Giberts de la Porree Sache wurde bekanntlich 1147 zu Paris und
114S zu Rheims verhandelt (Hefele Conciliengescbicbte V. S. 445
ff. 459 ff.)
Zu c. 4. D. XVIII. 'et secundum hoc quo modo idus sit de-
cimus dies dubitat m. Girardus.’ Er meint offenbar Girardus
Puella. Siebe über ihn Bulaeus 1. c. II. p. 342. 370. 454.
Dass er noch andere canonistische Schriften kannte, beweisen
zahlreiche Stellen, in denen er fremde Meinungen anführt, und zwar
bisweilen so, dass wörtliche Citate anzunehmen sind, z. B. ad c. 9. C.
III. q. 2, C. XXV. q. 1. Einleit.
Zu c. 5.D. XI. Qaae scriptnra ah initio nulla, cum haec singula
in multis modo inveniantur scripturis, ut in candela Gelandi, quae
exponit significationem huiusmodi ministeriorum, quare opus eius di-
citur candela i. e illuminans.’
Weder über einen Gel and us, noch über dies Werk finde ich
Notizen in den hihliograph. und biograph. Werken. Im Catal. gen.
des bibl. des dep. Vol. II. ist ein Werk angeführt: 'Decreti com-
mentum in XXVI. libris distrihutum (quae vulgo dicitur Candela).’
Von profanen Schriftstellern nennt er zu c. 5. D. XXXVII.
Agellius [wie bekanntlich A. Gellius mehrfach in Handschriften
heisst. Übrigens steht die Stelle hei Gellius nicht], zu c. 8. D.
41. Salustius.
Von Civilisten kommen vor: BuIgarus, Martinus, PIa-
centinus und Roger ins. Erstcrer allein zu C. II. q. 4. §.
Quod vero. 'Exponit Bulgarus duorum vel trium testium idem parium vel
imparium’. — c.3.§.30.C.IV.q. 2.et 3.[nämliche. 2. Cod.detest.IV.
20.] solitestes. Bulgarus sic exponit: soli testes i. e. solum hoc est nudum
testimonium praestantes, velut si dicerent: ita est et nullam aliam ra-
tionem dicant. unde sciant.’ — C. VI. q. 5. [Die zweite Stelle Gra-
tians ist c. 23. Cod. de probat. IV. 19.] Einl. quod autem. Si fama
128
v. Schulte
accusati non laborat deficientibus accusatoribus non debet cogi ad
purgationem; sed si ipse se roluerit purgare, se purget. Sic dicit
Bulgarus.’ — C. X. q. 2. c. 2. 8. pensionibus [es bandelt sich
um die Autli. hoc jus ad c. 14. Cod. de ss. eccl. I. 2.] Datis pensio
nibus, quae primo babebantur pro destructa. Bulgarus aliter exponit.
Dicit enim, quod totum i. e. quod prima pensio et super addita debet
per medium dividi, et ita, dum ex additis pensionibus ablatis i. e. ex-
augmentatis. Si opponatur, quia quando fit ita deterior conditio ec-
clesiae, veluti si ante valebat domus XX. et refecta valet XXX., cum
primo ecclesia recepit XXX. et postea recipiet XV. Resp. Bulgarus,
qnia stulte aget, qui in tali casu dederit rem in emphyteusim’.
Bulgarus und Mart in ns kommen vor zu c. 41. §. 16. C. II. q.
q. 6. [c. 5. Cod. quor. appell. non recip. VII. 65.] exceclat. Mittendo
eum, quem debet mittere, in possessionem in plura, quam iudicatum sit,
velut si eum investiat de eis, quae non pertinent ad fructum possessi
onis illius. Tune enim appellari potest. Ita exponit B ulgarus. Mar-
tinus vero sic: excednt interpretando sententiam: velut si actor et
reus litigent, an in V. an X. sit alter alteri condemnatus et accusator
dicat in X. Tune pars, quae se viderit sic gravari, potest appellare’.
Bulgarus und Place ntinus kommen vor in c. 2. C. VI. q. 5.
[c. 23. Cod, IV. 19.] 'Actor. Quod est in decreto Gratianus confirmat
auctoritate legis, quia neganti incumbit probatio, nisi opponat excep-
tionem, in cuius probatione actor efficitur. Cum per rerum naturam
Bulg arus exponit, quod non est non habet genus nec differentias et
idcirco per rerum naturam i. e. per genus et differentias probari non
potest. Sed oppositio haec non valet, quia, si affirmata potest pro
bari vera, et negata potest probari falsa, et idcirco Placentinus
melius sic exponit: per rerum naturam i. e. secundum naturam nega-
tivorum, negantis nulla est probatio i. e. negativa non postulant, ut
negans probet. Sed dicitur negantis factum, quia, si quis neget, ius
quodammodo videtur, posse probare in hoc casu, ut si negem, te ius
habere exlolleridi domum tuam circa meam, probabo hoc per circumlo-
cutionem, probando domum tuam debere servitutem meae’. Da die
Worte von Placentin in der einzigen Ausgabe von dessen Summa
zum Codex [Moguntiae anno M. D. XXXVI. cf. v. Savigny Gesch.
IV. S. 271] nicht genau mit dieser Angabe stimmen, wie schon
Maassen Paucapalea S. 21 Note 37 bemerkt, so ist wohl unzwei
felhaft, dass er die Glosse desselben zum Codex vor sich hatte.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
129
Ebenso ist wohl ausser Zweifel, dass er Glossen des Bulgarus und
Martin us zum Codex benutzte. Placentin’s Summe zum Codex
fällt in seinen ersten Aufenthalt zu Montpellier [v. Savigny IV.
S. 273], dessen Ende nach langem Aufenthalte zwischen 1180 und
1190 fällt [das. S. 253.]. Die Glossen können aber in seine erste
Lehrzeit fallen.
Dict. Grat, ad c. 16. C. XVI. q. 3. [c. 2. Cod. ne rei dom.
vel templ. VII. 38.] ' Nullci longi cet Ecclesia rei publicae
instar ohtinet; decimae [decimas?]; functionum civilium publicae
functiojies praescribi non possunt, ergo nec decimae. In hoc autem
contrarii sunt Co. et B. Co. enim dicit, decimis praescribi non posse.
Sicut enim, si aliqua legata fuerint in annos singulos vel menses, non
ab exordio obligationes sed ab initio cuiusque anni vel mensis incipit
currere praescriptio, sic etiam decimae, quia non continue perci-
piuntur, sed singulis annis, ad instar legatorum annuorum vel men-
struorum praescribi XXX annis non possunt, sed ad singulorum an-
nuam perceptionem tollendam anni XXX. desiderantur. B. minus sub-
tiliter eum sentire dicit. Praescriptio etenim est exceptio ex diutur-
nitate temporis nata. Unde non possesionis, sed actionis est elisio.
Omne autem jus et omnis actio XXX. vel XL annis praescriptione
tollitur. Unde non ipsae decimationes, sed magis actio, qua possunt re-
peti decimae, praescriptione tolluntur. Sola autem Romana ecclesia
centenaria gaudet praescriptione, sicut in capitulo illo habetur Nemo'.
Es folgt eine Abhandlung über verschiedene Punkte der Ersitzung.
Wer ist Co.? In des Rogerius Schrift de quorundam vet. ju-
riscons. antinomieis sent, [edit. Mog. 1530 pag. 194] kommen als
Bulgarus angehörig die Worte vor: 'B. vero dicit . . . ecclesia Ro
mana . . sola gaudet praescriptione centum annorum, quod, qua ra-
tione dient, ignoro.’ Dagegen finde ich die Controverse über die Zehn
ten bei ihm nicht. Gleichwohl dürfte es wahrscheinlich sein, dass Ro.
zu lesen ist. Dass Bulgarus überdas Privileg der römischen Kirche
die angegebene Meinung hat, ergeben auch die bei Savigny IV.
S. 477. abgedruckten Glossen. Bei Huguccio finde ich aus C. XVI.
nichts über diesen Gegenstand, das einen Aufschluss gäbe. Vgl. noch
Haenel Dissensiones Dominorum cet. Lips. 1834. pag. 51. 97, 52
n. m.: unser Codex hat also die Lesart des Cod. Chis.'.
Sitzb. (1. phil.-hist. Cl. LXIV. Bd. I. Hfl.
9
130
v. Schulte
VI. Aus diesen Daten lässt sich mit Zuhülfnahme eines Um
standes die Zeit der Abfassung annährend bestimmen *). Im c.
41.C. XVI. q. 1. beruft er sich auf Hadrian's IV. Dekretale über die
Novalzehnten (c. IS. 16. Comp. I. de decimis III. 26.). Er kennt also
die Bestimmungen Alexander’s 111. nicht. Das ist aber bei einem
Manne, der eine solche Kenntniss entwickelt, bei der Wichtigkeit der
Gesetze für die Zeit nicht denkbar, dass sie ihm hätten unbekannt
bleiben können. Ebenso verhält es sich im Hinblicke auf die Stellen
zu c. 11. D. XI. c. 19. D. XXXIV. mit den Dekretalen Alexander’s III.
in c. 3. 7. 8. Comp. I. de sponsa duorum IV. 4. Da nun, wie ich im
ersten Theile dieser Arbeit dargethan habe, Simon de Bisiniano, der
diese Dekretalen schon kennt, vor 1179 geschrieben hat, so darf
wohl die Abfassung in die sechziger oder die ersten siebziger Jahre
verlegt werden. Damit stimmen alle übrigen Daten.
VII. Obwohl bereits viele Stellen mitgetheilt sind, dürfte es für
die Beurtheilung der Zeit und die Dogmengeschichte des Rechts nicht
ohne Interesse sein, noch auf einzelne Punkte hinzuweisen. Der
Autor gibt eine Anzahl von historischen Notizen und interes
santen Sacherklärungen. Vgl, zu D. XV. — 1). XVII. §. Ge-
neralia . . Sciendum itaque, quod concilium aliud generale, quod
fit praesente papa vel eius legato vel alias eius habitu auctoritate,
puta per literas, et hoc solum potest canones instituere vel episcopum
deponere’. — D. XIX. §. De epistolis vero'.. .. praeterea non inveni-
untur in uno corpore collectae, sed evagabantur extra’ (die Dekre
talen). Zu c. 3. D. XIX. und c. 8. C. II. q. 3. kommt die von Maas-
s e n (Jahrbuch S. 235 ff.) besprochene interessante Thatsache vor, dass
er die Abfassung des über capitularium dem h. Isidor zuschreibt.
Ich glaube, man braucht nicht gerade an Benedict zu denken, weil
es auch andere Sammlungen gibt, in denen Capitularien und andere
Stücke zusammenstehen z. B. die Daclieriana. — D. LXIII. c.
21. 22. 43. 'tibi. Nota quod imperator non jurat nisi per suppo-
sitam personam’. . D. LXV. c. 6, parilis mos i. e. nullus de patriar-
chata suo id. est de vicinis episcopis ordinatur eo inconsulto. Et hoc
propter jus patriarchatus, cum dominus papa Romanus pontifex est
*) Bemerkt sei noch, das zu c. 20 C. XXXII. q. 7. gesagt wird: iuxta decretum
Leonis papae Si quis viduam au t privignam\ In keiner der mir bekannten
Sammlungen habe ich ein solches Decret P. Leo’s gefunden.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
131
patriarcha illius provinciae et est apostolicus totius orbis; non tarnen
pro ordinatione cuiuslibet episcopi consulitur, sed pro omnibus sui
patriarchatus’. D. LXVII. c. 2. 'Corepiscopi bodie non sunt in aula...’
D. LXXI. c. 5. cardinalem i. e. archidiaconum vel episcopum in
aliqua sua suffraganea ecclesia’. c. 9. — D. LXXV. c. 7. — D.
LXXVI. über Quatember. D. LXXIII. c. 11. — D. XCIII. c. 21. 32.
compagis. Genus calciamenti quod bodie non habetur in usu. Map-
pulae genus vestimenti, quod similiter bodie non est, nisi forte dicantur
mappulae mitrae yel mappuli, quibus quondam non passim erat usus
et compangae dicantur sandaliae.’ c. 41. C. II. q. 6. Diffi. quidquid
judex judicet, nisi dixerit: te absolvo, vel: te condemno, non valet,
Sed bodie hae cavillationes non omnino locum habent’. — dict. ad
c. 8. C. III. q. 2. v. patrimonio i. e. patrimonium ecclesiae et patri-
monium clericorum. Ecclesia enim nihil dicitur nisi clerici’. In einer
Anzahl von Stellen wird die Stellung des Papstes besprochen,
z. B. D. XIII. §. Item adversus, dass er nicht vom jus nat. dispen-
siren könne. D. XIX. §. Hoc autem. Quod generaliter sunt decretales
epistolae recipiendae, nisi sint contra evangelium vel generalem in-
stitutionem praecedentium et subsequentium’. D. XX. §. Decretales
rel. Ita determinat G. Potest dici tarnen, quod in obscura et maxime
circa articulos fidei, quod in diffinitione dominus papa interpretaretur
majoris esset auctoritatis expositione Augustini. Sed si alias in camera
librum expositionis suae componat dominus papa, componat et Augu
stinus. . . . praecellit Augustinus’ . . . D. XXI. §. His omnibas (dict.
ad c. 3.) Item dominus papa potest judicari ab ecclesia tota, sed cum
hac distinctione, si in fide erraverit. Alii ita distinguunt: in ea causa,
quae totam ecclesiam tangit, iudicari potest papa ab ecclesia, sed in
ea, quae unam personam contingit vel plures, non’. D. LXV. c. 6.
(obenj. — c. 7. C. II. q. 3. dict. Grat, hinc coli .... Sed genera-
liter possumus dicere, quod dominus papa potest notatum infamiae ab
imperatore et depositum restituere in plenitudinem famae quia potest
eum facere monacbumvel episcopum, vel archiepiscopum, ergo potest
delere infamiam ejus’., i) Sed matrimonium bodie non secundum
leges fit, sed secundum canones'. — c. 3. C. II. q. 6. v. cor am. Quod ad
dominum papam desaecularibus dicit, quidsitfaciendum, sed non preci-
*) E s ist interessant, in diesem und der Summa Coloniemis (vgl. I. Cap. mim. Vii.)
dieselbe Sache mit verschiedenen Gründen vertheidig-t zu sehen.
9*
132
r. Schulte
pit, vel possuinus dicere, quod ipse est verusimperator et imperator viea-
riuseius'. C. XXV. q. 1. contra statuta. Perniciosam quandam subtilita-
tem inducunt magistri diceutes: summum pontificem nunquam contra
sanctorum statuta statuit, cum enim in contrarium statuit desinit esse
statutum quod ante erat statutum, quia statutum amittit; sicque
contra statuta nunquam statuit. Sed hoc dici non potest et vere, quo-
niam contra statuta statuit et contra decreta aliquando decrevit.
Der Kaiser ist in D. LXI1I. c. 16. und 33. erwähnt, dort, dass,
wo er die regalia habe, sein asscnsus zur Wald nöthig sei, .. 'quia
antiquitus reges instituebant episcopos et eligebant et omnia dahant
praeter consecrationem, unde imperator solebat eligere Romanum
pontificem sed illud totum antiquatum est per decreta, quae sequun-
tur’ . . .
Wie für Frankreich, so hebt er auch andre Gewohnheiten her
vor; D. L. ad c. 51. dass die Mailänder Kirche nur einmal den
selben zur Busse lasse, c. 20. C. XI. q. 1. dass nach alter Sitte die
Bischöfe von Aquileja und Mailand sich gegenseitig consecrirten.
Die Gewohnheit überhaupt als Rechtsquelle für die einzelne
Kirche betont auch c. 12. C. XXXII. q. 2.
III. Äusserst wichtig ist diese Summe für die Feststellung des
Originaltextes des Dekrets, indem dieselbe oft darauf hinweist, oh
eine Stelle Palea ist oder nicht.
AlsPaleae werden die folgenden angeführt, welche ich ledig
lich mit dem Anfangsworte und der Zahl bezeichne, welche sie in
der Ausgabe des Corpus iuris canonici von Richter haben, w r enn
die Summa keine Bemerkung besonderer Art dazu macht. Ist dies
der Fall, so theile ich sie mit.
c. 2. D. VI. sed pens. 'hoc usque ad finem apposuit pauca pa
lea.’ — c. 4. D. 25. . . relaxatu . . Hic auctoritas Gregorii habetur
interposita quibusdam decretis a pauca palea, quae talis est: "Qui
in aliam saeculum distulit fructus conversionis, purgabitur igne
purgationis. Hic ignis, etiamsi non sit aeternus, miro tarnen modo gra-
vis est superatque omnem poenam, quam unquam homo passus est in
hac vita vel pati potest.” (c. 5. aber abweichend vom Texte in der
Ausg. Richters), nam si [c. 7. I). 27.] 'haec apposuit pauca palea
usque ad finem’. — c. 17. D. XXXII. hospitiolum. 'hoc apposuit
pau. palea’. — c. 5. 6. 7. D. 35 hic apponit paucapalea haec tria
capitula duo Hieron. tertium Prosperi. — Zu c. 6. 7. D. 42. Nulli
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
133
nisi necessitate; populi castigentur ut agapem dent pauperibus.
hic duo capitula apponit paucapalea quae non leguntur. — c. 6.
D. 46. clericum scurrilem. boc apposuit pauca palea’. — D. XLIV.
c. 7. nullus presb. 'hoc non legitur’. — D. SO. c. 23. 24. 'Pauca
palea apponit hic duo decrela Augustini, quorum primum, 'bene
valef (folgt der Text wörtlich wie bei Richter; blos 'quorund.
poeri.) Secundum est ’sacerdos’et c. — D. LXXII. Placuit. 'Quod-
cumque sequitur post hoc decretum usque ad illum paragraphum
'quaeritur de liis etc. paucapalea apposuit et tanquam inutile non le
gitur’. Damit ist die ganze D. LXXIII, als Palea erklärt. Dies bildet
dann den deutlichsten Beweis dafür, dass die Einthei-
lung der Pars I. Paucapalea gehört. D. XCVI. c. 12. 13. 14.
' Nunquam . . . Post hoc decretum, quod sequitur in quibusdam libris
de priviiegio Constantini usque ad illud decretum ’sicut quamvis
et c. a pauca palea dicitur appositum, et quidam libri habent hoc in
loco, quidam alio’. — C. I. q. 8. c. fin. Patet. In fine huius causae
ad detestationem symoniae hic ponitur decretum, quod primo inductum
nequaquam fuerat. Hic dicunt quidam legem, quae est in codice de
symonia, a pauca palea fuisse interpositam. Quae, quia in paucis
habetur voluminibus, videtur quia utile habetur ae interserendam pu-
tavi, quae sic incipit: ’Si quemquam in liac urbe regia vel in ce-
teris provinciis’ . . Folgt 1. 30 (31) C. de ss. eccl. I. 2. einzelne
Worte werden commentirt. — C. III. q. 3. Dict. Grat. Ojferatur §. 7.
Exceptio fori. 'Hoc apponitur [1. apponit] pauca palea; sed quia
habebimus in sequentibus in sequenti quaestione post illud caput si
qiäs episcoporum, idcirco hic non legitur. — dict. ad c. IS. q. S.
Patet. 'Hucusque decretum Nicolai; hoc vero seil, patet apponit
paucapalea. — q. 8. c. 1. v. praecipiunt. Quod sequitur paucapalea
apposuit videlicet 'cuius in agendo .... dedignetur i. e. si judicem
tuum, ut pro te iudicet volueris habere, oportebit te in eadem causa
et contra te eins expectare sententiam.’
Commentirt werden in der Summe, folglich schon dadurch
nicht für Paleae erklärt folgende bei Richter als Paleae bezeich-
nete Capitel: c. 4. D. IV. (die Summe schreibt die Worte Augustinus
zu), c. 32. D. LXIII., c. 6. C. I. q. 4., c. 3. C. XVI. q. 7. Ich will
jedoch hinsichtlich dieses Punktes nicht behaupten, dass mir nicht
Stellen entgangen sind, weil die Handschrift nicht mehr vor mir liegt.
134
v. Schulte
Gar nicht erwähnt sind folgende hei Richter aufgefiihrte
Paleae:
c. 1. D. V. quum enixa — c. 1. iniperatores 2. justum D. IX.
— in c. 1. neque’ D. XVII. — c. I. placuit D. XVIII. — c. II. episc.
D. XVIII. — IG annis ih. — ait enim in c. 1. D. XIX. — c. 13. ex
epist. D. XXIII. — c. 1. nullus acolyth. D. XXIV. — c. 5. D. XXXI.
— c. 2. D. XXXII. — c. 2. 3. 6. D. XXXIV. — c. 6. D. XXXVII.
— c. 13. 14. IS. D. XXXVIII. - c. 8. 9. D. XLIV. — c. 40. 41. 47.
82. §. 1. D. L. — c. 3. 6. 8. 16. 17. 18. D. LIV. — c. 14. D.
LXI. — c. 31. D. LXIII. — c. 3. D. LX1V. — in c. 4. D. LXVIII.
— c. 6. D. LXXV. — c. 11. 12. 13. D. LXXXVIII. — c. 2. I).
XCI. — C. 12. D. XCV. — C. 3. 7. D. C. — C. 60. C. I. q. 1. —
c. 3. C. I. q. 2. — c. 13. C. I. q. 4. — c. 3. C. I. q. 7.
* Drittes Capitel.
Kurze anonyme Summen des C o d. Bamberg. P. 1. 11.*)
I. Blatt 7S-—9S dieses Codex befindet sich, geschrieben von
einer Hand des XIII. Jahrhunderts, welche unendlich klein und für
die Augen verderblich ist 3 ), eine Summa decreti, welche in der 4.
Distinction der Pars I. anhebt und in der 31 Causa aufhört. Sie ist
eine sehr kurze Erörterung über verschiedene Capitel der einzelnen
Distinctionen u. s. w., jedoch nicht ohne Werth, wie die mitzutheil-
enden Stellen lehren.
Von nachgratianischen Dekretalen werden citirt:
1. zu c. 1. D. LXXV. ' Ordinationes v. die dominicahora tertia.
Quaeritur, an aliter factum si fuerit, an episcopus sit dicendus?
Resp. quidam, quia sicut in alio tempore ordinatus quam statuto revera
*) Diese Handschrift enthält ein sehr reiches Material, dessen Beschreibung gestattet
6ein möge, weil es Andere zu Forschungen veranlassen kann. Sie soll im Anhänge
gegeben werden.
2 ) Ich gestehe offen , dass mich dieser Umstand von der vollständigen Lesung
abgehalten hat. Gleichwohl dürften meine Bemerkungen nicht ohne Werth sein.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
135
est ordinatus ut in extravag. Sa ne super eo; quod argumentum
ita et in episcopo dieendum.’ Gemeint ist Alex. III. Extrav. in c. 2.
de ternpor. ord. I. 6. der Comp. I.
2. C. XV. q. 2. princ. 'Pro impensis etc. Prohibentur clerici
accipere munera [pro] patrociniis. Sed consuetudine, quem vicem
legum mutantur, excusari possunt, maxime cum eadem consuetudo in
curia Romae frequentatur nee improbatur. Unde sic distinguitur, quo-
niam clerici alii sunt, quibus proprium licet habere, et illis licet acci
pere, alii sunt, quibus non licet habere proprium, ut regulärem vitam
professis, bis non licet accipere. Alexander autem tertius in con-
cilio Romae habito prohibuit, ne clerici, qui de bonis ecclesiae
sustentantur, in saeculari indicio advocent.’ Nämlich in c. Clerici
unic. de postulando I. 28. Comp. 1.1)
3. C. XVI. q. 7. (fol. 91 b ). Nunc restat videre, utrum pariter
inter heredes quasi corporale praedium praedii possit juspatronatus
distribui. Et videtur mihi, quia, si plures essent ecclesiae, possent
eorum iusta lance di vidi. Si autem una sola fuerit, omnes succedunt
in totum, sicut' praesumitur ex illo c. filiis [c. 31.]. Si vero
plures heredes de communi ecclesia eontendant, episcopus officium
interdicat, quousque presbyterum concordes statuant et non vivat [1.
unde vivat] ut c. si plures [c. 36.] et B. 1. III. perlatum est
[aus Burchard in cap. 1. Compilat. I. c. 1. X. de jurep. III. 38. auf
genommen]. Ex quo puto, illud decretum, quod alibi [nämlich in dem
auch bei Burchard stehenden c. 2. X. cit.] legitur, seil, ut reli-
quiae auferantur, nisi forte hic intelligas, quando reliquiae altaris ta
bula concluduntur, sed cum ebiyneis vel argenteis vel quibuslibet
vasculis in ecclesia reponuntur. Vel secundum Alexandrum [näm
lich c. 17. Conc. Lateran. III. cap. quoniam] si quaestio patronatus
intra tres menses non fuerit sopita, episcopus invitis patronis potest
ordinäre.
Von Canonisten werden, abgesehen von Burchard von
Wo rms, dessen Dekret zehnmal citirt wird (so viele Citate habe ich
notirt), citirt Johannes Faventinus zu c. 16. C. XI. q. 3., c. 20.
21. C. XII. q. !., zu c. 11. C. XII. q. 2., C. XVI. q. 7. und in fol
gender Stelle, die einen Platz finden mag.
1 ) Die römische Gewohnheit erwähnt auch Hnguccio, eine contraria consuetudo 5
schon R u f i n u s.
136
v. Schulte
C. XVI. q. 2. De capellis etc. 'Nota quod, si in territorio pro
prio alicuius monasterii fuerit constructa basilica, tune perraanebit
[adde: apudj abbatem eiusdem loci basilicae institutio, non quoad
spiritualia, sed quoad temporalia. Illud idem est, si episcopus
basilicam in monasterium contulerit simpliciter. Si vero cum omni
iure suo, tune secundum Quiranum [Gratianum?] et Jo. Faventinum
et cilios pertinebit institutio ad abbatem et quoad temporalia et quoad
spiritualia. Quo casu loquitur cap. I. Quidam tarnen dicunt ad boc,
ita demum verum esse, si apostolici intercessit auctoritas, hac moti
ratione, quod huiusmodi concessio privilegium est, quod quidem soli
papae concedere licet. Ad quod responderi potest, quod huiusmodi
privilegium formam generalem accepit ideoque etiam ab episcopo con-
cedi potest’. Ein Quirannus wird nirgends genannt. leb nehme einen
Schreibfehler an. Bei Rufinus stellt:
'Sciendum est, quod capellae aliae traduntur monachis
ab episcopis cum omni jure suo, aliae sunt, quas ipsi monaclii
in suis possessionibus aedificant. Primae capellae per monachos
instituendae, secundae per episcopos. Excipiuntur capellae eorum
monasteriorum, quae tanto privilegio decorata sunt, ut omnes
quotquot capellas liabent a lege dioecesana liberae et immunes
maneant’.
Huguccio bat meines Erachtens diese Summe vor Augen gehabt,
da seine Auseinandersetzung im Wesentlichen nur viel breiter das
selbe sagt; im Eingänge citirt er auch Jo.
Römische Gesetzesstellen werden öfter citirt, z. B. zu c.
20. 21. C. XII. q. 1. 'arg. C. de donat. int. vir. etiam [1. 6. V. 16.]
et ff. e. quintus [fr. SI. D. XXIV. 1.]’. zu c. 11. C. XII. q. 2. 'ar.
In istit. de actionibus §. Item mixta [§. 19. IV. 6.] . . . ar. C. de
operis et 1. si quis [1. 4. C. VI. 3. die si quam anbebt].’
Legisten werden nicht citirt, wohl aber z. B. fol. 85 b ge
sagt: 'sicut legistae quidam dicunt.’ Ähnlich wird wiederholt auf
die Civilisten verwiesen.
Auf fol. 95“ steht unmittelbar nach dem Texte von einer gleich
alten Hand, die fol. 9 1“ einige Zeilen schrieb, der Text einer Dekre-
tale Alexander’s III. an den Erzbischof von Toledo und seine Suffra-
gane 'nec non et Ambulensi episcopo’ des Inhalts, dass die Laien von
ihren Aldee genannten Villen Zehnten entrichten sollen. 'Data Ferren-
tin. V. Idus Februarii. Diese 'Vota quae ad honestatem’ anfangende
Dekretale (laffe Regesta num. 9173) ist als c. 24. de dec. III. 26.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
137
in die Coinpilatio I., aber ohne die vollständige Inscription 1 ) und ohne
Datura übergegangen. Die Appendix, Casselana, Lipsiensis und auch
die in diesem Codex stehende Sammlung haben sie nicht.
Unzweifelhaft fällt diese Summe vor Huguccio und die Comp.
I., also in die Zeit zwischen 1179 und 1190. Kann sie auch schon
wegen des Umfanges nicht zu den bedeutenderen gerechnet werden,
so ist sie doch im Hinblicke auf die Präcision und den guten juristi
schen Tact nicht ohne Werth. Nichts deutet darauf, dass sie ausser
halb Bolognas entstanden sei, wohl aber spricht die Methode und die
Bekanntschaft mit den Bolognesen für die Entstehung in Bologna.
II. Eine zweite Summe steht auf fol. 96—116“, 178 —180\
Sie ist unvollständig im Anfänge und beginnt: 'Consuetudo aliquando
constitutionem permittit, aliquando imitatur - . Sie gibt Erörterun
gen über einzelne Punkte im Anschlüsse an einzelne
Capitel des Dekrets: Gesetze, Wahlen (Abs. 2. beginnt'Cum
in eligendo partes dissentiunt, aut ipsae sunt partes numero et digni-
tate’), Irregularität ex delicto ('§. Sacerdos aliquando convincitur de
crimine, aliquando crimen conßtetur'). §. De contjnentia sacerdotum
hoc sciendum est. . ., §. Concubina alia cognoscitur maritali affectu,
alia usu meretrico . ., §. Cum aliquis aliquem ordinat indignum . .,
§. Cum de correctione agitur. ., §. Poena alia corporalis . ., §. Tri-
plex est genus adulationis.
Jeder Punkt bildet einen eigenen Absatz mit §. bezeichnet. In
der Causa XII. beginnt fol. 104. eine interessante Sammlung von
Casus, die Darlegung des Rechtsfalles nimmt die Mitte der Seite ein,
links und rechts stehen reichliche Citate aus dem römischen Rechte
(Pandecten, Codex), Burchards Dekrete, Gratian. Eine Anzahl be
zieht sich auf Paris z. B. fol. 104 b . 'Thema. Senonensis in pro
prio Castro infra limites Parisiensis constituto eodem inconsulto basi-
licam construxit aliquam. XL anuorum curriculo vicinarum ecclesia-
rum parrochitani confluxerunt debita tanquam matri ecclesiae impen
dentes . . . Thema. Petrus de decimis literas appellatione remota a
Summo pontifice impetravit contra Paulum ad Senonensem episcopum
• • . fol. 106. Thema. Cum in Meldensi ecclesia consuetudo vigeret
et canonicos in scolis morantes stipendia sua integre percipere, statio—
narii ex hoc indignantes cum consensu episcopi leges in absentes
1 ) Cod. Berol. ms. lat. 251. (saec. XIII. incip. oder XII. ex.) hat auch nur Alex III.
Toll’o arch'e et eius suflra. 5 ohne Datum.
138
v. Schulte
statuerunt, ul commorantes et altario servientes tantum debita stipen-
dia perciperent. . . fol. I06 b . Thema. Parisiensis ecclesia praedium
vendidit hospitalariis conditione adjecta, ne ibi ecclesia aedificaretur.
Illi nihilominus eam construxerunt cononicis Parisiensis ecelesiae in-
terdicentibus. A summo pontifice literas impetraverunt, ut a Parisi-
ensi dedicaretur. Et sie actum est. Quaeritur, an pactum teneat?
quaeritur, an rescriptum deroget pactis privatorum ... fol. 107.
Thema. Defuncto Parisiensi a medietate canonicorum electus est
laicus de consuetudine ibi per XXX. annos vigente, pars reliqua, quae
renitebatur, tandem cnnsensit, prima contradicente. Quaeritur, utrum
consuetudini lex hie cedat? vel e contrario? secundo, an contradictio
eorum teneat, qui primo consenserunt? .. .Thema. Parisiensis eccle
sia decimas, quae Meldensi debebantur, per XXX. annos bona fide
possidebat . . . fol. 110 b . §, Apostolicus adVersus effrene licentiam
imperatoris conjuravit. Imperator de factione conqueritur, et binc
duplex quaestio formatur. Prima est, an imperator potestatem gladii
ab apostolico sortiatur? secunda, an apostolicus invitae factionis reus
debeat iudicari? §. Placet qnibusdam, ut in hoc certamine apostolica
sedes obtiueat. .Neben dem Texte steht links ober den Citaten
pro imperntore, rechts pro pnpa.
Obwohl diese Summe keine besondere Bedeutung hat, ist sie
doch bemerkenswert!) als Beleg für die Art des Rechtsstudiums in
Frankreich in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts.
Anhang.
Beschreibung des Codex Barn berge nsis P. I. 11.
Dieser Miscellancodex stammt aus der ehemaligen Bamberger
Capitelsbibliothek und ist beim Einbinden bezüglich einzelner Stücke
stark beschnitten. Seine Theile sind:
1. fol. 1 = 47° erste Spalte 12. Zeile (der Rest der Spalte und
Seite istleergelassen) stellt eine Dekretal ensam ml ung von einer
Hand des beginnenden XIII. Jahrhunderts sehr schön geschrieben.
Maassen (Paucapalea S. 460 Note 23.) hält sie für die von
J. H. Böhmer (Corpus juris canonici T. II. Append. col. 183=340)
edirte s. g. Collectio Casselana '). Dem ist nicht so. Obwohl sie
1 ) Eine der zwischen Gratian’s Decret und die Sammlung- Bernhard’s von Pavia
fallenden. Meine Quellen des Kirchenrechts. Giess. 1860 Seite 332 ff.
Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
139
nämlich im Ganzen mit derselben übereinstimmt, weicht sie doch so
sehr ab, dass sie weder blos aus ihr geschöpft sein kann noch über
haupt angenommen werden muss, sie habe dieselbe vor Augen gehabt,
vielmehr die Annahme gerechtfertigt ist, unsere Sammlung sei eine
aus der Appendix Concilii Lateranensis und Collectio Lipsiensis
geschöpfte im Übrigen selbstständige Sammlung. Eine Vergleichung
mit der genannten wird dies zeigen 1 ).
Sie hat LIV Theile, woran sich zuletzt die Canones des 3. La-
teranensischen Concils von 1179 schliessen. Die ersten 34 Theile
haben 419 Capitel; dazu kommen 26 als Canones Conc. Lateran,
und 1. zugeschriebenes, das aber offenbar zum Texte gehört, auch
von derselben Hand geschrieben ist, also zusammen 446 Capitel.
Mit der Casselana trifft sie bei verschiedener der Lipsiensis
folgender Ordnung insofern zusammen, als I. bis LIV. der Bamberg,
entsprechen T. XIII. bis LXiV. der Cassel, mit folgenden Abwei
chungen. Cass. XIII. 3. Lucius tertius—-Mattheus card. secreta nobis
insin. steht LIV. 4 ; C. XVII. 3. Id. Super eo vero quod steht nicht
IV. 5., sondern V. 6.; C. XVIII- 6. Id. Dulmensi epo. Ex quor. relat.
audiv. steht XLI. 13. anstatt V. 6; C. XXVIII. 4. Perv. ad nos q. c.
steht nicht in XVII. sondern XVIII. 5; C. XXXIII. 7. steht als XVIII. 4.
anstatt XXII. 7; C, XXXIX. 2. De peregrinat. quoque votis ist XXIV.
unic. statt XXIX. 2; C. LXIV. 3. Sicut dign. est stellt IX. unicum.
Doppelt steht C. XVIII. 7. Ex quaer. clericor. qui unter V. und
XLI., C. XXVIII. 6. (Insin. est nobis ex p. W.) unter XVII. und XLI.
Gä nzlich fehlen: Cass. XIX. 4. 8. — XX. 11. 12. — XXL
2. 3. 6. 7. 12. 19. 20. 21. 27. 29. 30. — XXVI. 2. — XXVIII. 5.
— XXXIX. 3. 4. — XLII. 11. — XLV. 3. — LI. 2. 16. 24. —
LVII. 4. — LVII1. 2. 13. 36. 40. — LXV.
Sie hat folgende Stücke, die in der Cassel, fehlen: XIII. 6.
'Id. Eborac. arch. Ad aud. n. noveris pervenisse q. villa [Lips. X\.
9.; III. 33. 2. Compil. I.]. XLIX. 23. Bened. papa. Lex div. const.
sed apost. [Append. VI. 27. Lips. LIX. 37. Comp. I. in IV. 2. 1.],
LII. 6. Causam quae int. nob. viros T. et R. [Lips. LXIH. 4.; IV. 18.
4. Comp. I.], LIV. 3. Idem Lendensi ep. Dil. in Ch. filia n. priorissa
et amicus de Colonantia. Wie abweichend die Sammlung hinsichtlich
der Canones Lateranensis Concilii ist, ergibt folgende Tabelle.
*) Für die App. Conc. Lat. benutze ich Mansi T. XXII., für die Coli. Lips. den
Cod. bibl. univ. Lips■ 975. Cf. Abhandl. von Richter de inedita decretalium.
collectione Lipsiensis. Lips. 1836.
140
. v. Schulte
Bambergensis
App. Lat.
.Lipsiensis
Casselana
1. Licot de evitanda
2. Cum in cunetis
3. Nulla eccl. darin:
Praeterea si ep
4. Cum in eccl. corp
5. Reprehensibilis
6. Non minus pro pec. . .
7. Clerici in s. ordin
8. Treugas
9. Cum in offieiis car
10. Cum et plantare
11. Monachi non
12. Quia in Omnibus
13. Ita quorundam
14. Quia in terra quor
15. Fel. mein. Innoc
16. Quia in tant. quor. *). .
17. Cum in eunctis
18. Quon. eccl. dei
19. Innovamus
20. Quod a praed. n
21. Cum dicat apost
22. Judei sive sarrac
23. Quon. in quib. locis. . . .
34. Clerici in subd
25. Cum. apost. se
26. Animalia quae a lupis . .
'Firnis'
1
3
8
5
7
6
19
11
21
15
9
10
25
24
14
20
14
16
18
22
2
23
26
17
12
4
10
15
7
20
21
17
22
13
16
14
6
28
8
25
11
26
27
24
23
18
12
6
T. I. 1.
„ 2.
„ 4.
XII. 8.
„ 9.
VIII. 1.
III. 1.
XI. 1.
V. 2.
VI. 1.
XII. 13.
XII. 1.
IX. 1.
XII. 14.
„ 16.
IV. 1.
XII. 17.
„ 20.
X. 1.
XII. 4.
„ 5.
. is.
II. 1.
XII. 12.
VII. 1.
I. 5.
Cap. 26. ist aus Burchard XIX. 83.; es fehlen die cap. 13. und
28. bei Mansi 'quia nonnulli’ und 'sicut ait beatus Leo’. Es dürfte
der Beweis geliefert sein, dass die Sammlung nicht mit der Casselana
zusammenfällt. Übrigens ist auch noch in Einzelheiten (Rubriken
und dgl.) manche Verschiedenheit bemerklich.
2. fol. 47 b —54 b enthalten eine Abhandlung über Actionen.
Anfang: 'Quaednm utilia sunt ista de actionibus. Actiones sunt
legitimae persecutiones, quae non propria sed publica auctoritate
exercendae sunt. Actio est jus persequendi in judicio, quod nobis
debetur. Jus autem dicimus, per quod intendimus, rem nostram esse,
vel personam nobis obstrictam ad aliquid dandum faeiendumve. Ae-
quum quippe est, res, quarum dominia ex justis causis nobis quaesita
sunt, aliis eas tenentihus non adjuvari. Item cum persona nobis legi
time obstricta est, justum est etiam, ut ab ea exigamus, quod nobis
■) Das Cap. 14. geht nur bis sublevari; c. 16. ist der Rest des Capitels bei Mansi.
Zur (lescliichte der Literatur über das Dekret (iratians. 11.
14 i
debet. Ita actionum causa duplex est. Aut enim [in] rem aut in per-
sonam sunt. In personam ideo appellantur, quia tantum contra per-
sonam ohligatam vel eius successores competunt; in rem ideo, quia
non contra unam tantum, sed contra omnes, qui re) alienae posses-
sores efficiunlur, sine obligatione personali competunt’. Folgen die
actiones in personam, Interdicte, actiones in factum, actiones in rem.
Fol. 49 b . De criminalibus causis. Cum de criminalibus quaestionibus
et earum exitu in legibus obscure tractatum reperiatur, quid clarius
quid compendiosius nobis pateat, explanare non distulimus, ut cog-
nito priiicipio et resecato medio ad finem perveniamus semoto litigio.
Imprimis accusator paginam inscriptionis pro accusatione praesidr
deferre debet, hoc est majori judici, quia criminales quaestiones non
apud minores judices, sed apud majores tantum agendae sunt. Quae
inscriptio designare debet magnitudinem criminis, tempus in quo cri
men admissum est, et personam accusati. Deinde accusator, ut litem
exerceat, fidejussorem praestare debet, quem nisi dederit, a judice
sub custodia inittendus est, donec vel fidejussorem inveniat vel lis
mota patiatur discrimen’. — Folgen des Nichterscheinens; Person
des Richters, Personen die angeklagt werden können, Gegenstände
eines Vergleichs, Strafen. — Actio ad exhibendum als besonderer
Abschnitt. •— fol. 51. De varietate actionem. De actionum varietate
earumque longitudine cognosci scilicet quanto tempore durare vale-
ant, non est inutile, Sciendum itaque est, quod actionum aliae civiles
aliae criminales aliae publicae aliae privatae. Privatarum autem aliae
ad heredes transeunt aliae non. Quae vero transeunt alia sunt per-
petuae aliae temporales’. .. Verjährungszeiten. — Erklärung von in-
strumentum, restitutio, lex, postulare, fama, feriae, exliibere, indebi-
tum etc. Das Werk ist defect, es schliesst: 'postliminium liabent
qui’. Die Darstellung ist durchaus quellenmässig, hat verhältniss-
mässig wenig Citate, gehört nicht zu den bekannten Schriften, ob
wohl ihre Ähnlichkeit mit einzelnen, z. B. Placentinus, auf der Hand
liegt. Das Schriftchen scheint mir eine nähere Untersuchung zu ver
dienen.
3. fol. 55— 63 b fünfte Zeile steht von einer Hand des XIII. Jahrh.
in je 2 Col. mit je 42 Zeilen ein Ordo judiciarius, welcher nach
1179 und wohl vor 1190 fällt, das römische und canonische Recht
darstellt und für die ältere Literatur dieses Zweiges von Bedeutung
ist. Ich habe denselben abgeschrieben und werde ihn ediren.
142 v. Schulte- Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. II.
4. fol. 63 b in der sechsten Zeile beginnt ohne Überschrift und hört
auf fol. 74\ wo es noch den unteren Rand füllt, das in der Schrift:
Petri Blesensis Opusculum de distinctionibus in cauo-
num interpretatione adhihendis sive, nt auctor voluit, Spe-
culum juris canonici. . . edid. Theophil. Aug. Rei-
marus. ßerol. 1837.
aus einem früher Lindenbrog’schen jetzt Hamburger Codex edirte
Werk, mit dem Dedicationsschreiben 'Prometheus in Caucasi montis
cacumine religatus’, an das sich nach leerem Platze für die Rubrik
das Inhalts verzeichniss, sodann das vollständige Werk anschliesst.
Die Schrift gehört dem XIII. Jahrli. an, ist dieselbe als bei dem vor
hergehenden Stücke, aber verschieden von der älteren auf fol. 1—34.
In der Abtheilung der Paragraphen weicht der Codex vielfach vom
Drucke ab, hat eine Anzahl corrupter Lesarten des für den Druck
benutzten Codex nicht und dürfte desshalb besser sein. Die Angabe
der Parallelstellen am Rande ist durchlaufend und sehr reichlich.
5. fol. 73—95 und
6. 96—116% 178—ISO 11 die beiden beschriebenen Summen
zum Dekret.
7. fol. 119 (die zwischenliegenden Seiten sind leer bez. mit
Federproben ausgefüllt) — 126“, 163—168, 171—177 enthalten
von derselben Hand, die fol. 127—133 (134 ist leer) 135 — 137
(138 leer) 139 —146 enthalten von verschiedenen Händen geschrie
bene Quaestiones und Casus, welche nicht zu den bekannten gehören,
aber sehr interessant sind für die Art der Behandlung im XII. Jahr
hundert.
8. fol. 147—162 enthalten aus der Summa des Rufinus zum
Dekrete mit dem Anfänge 'Conditio ecclesiasticae religionis movetur
circa tria’ die Erörterung von Caus. I. bis XXIII. qu. VI. §. 'De
episcopis vero . .. conservatio’. Vgl. Maassen Paucapalea S. 14 ff.
9. fol. 169, 170 aus einem Bibelcommentare.
10. fol. 180 b (Mitte der Spalte) ORDO JUDICIARIUS. $. C. II.
q. I. In principio de ordine judiciario agitur, cujus notitia, quia in
multis decretorum locis admodum necessaria est, de eo tractare utile
duximus. Judiciarius ordo tarn in civilibus quam in criminalibus cau-
sis requirendus est. Civilis causae nomen modo largius modo tenius
accipimus’. Die sehr klare und geschmackvolle Darstellung füllt fünf
Spalten.
Z i n g e r I e , Findlinge.
143
Findlinge.
Von Dr. Ignaz V. Zingerle.
Im ersten Hefte meiner „Findlinge“ habe ich Bruchstücke
einer Legende*) veröffentlicht, die nach Vers und Reim noch der
guten Zeit angehört und einen gewandten Erzähler verräth. Ich
ahnte damals nicht, welchem Legendenwerke diese Bruchstücke ent
nommen sind, aber der poetische Werth derselben erregte den
Wunsch, mehrere Trümmer zu finden. Ein glücklicher Zufall ver
setzt mich nun in die angenehme Lage, nicht nur neue Fragmente
dieser Dichtung zu bieten, sondern auch dieselbe genau bezeichnen
zu können. Archivar Dr. David Schönherr entdeckte im Archive zu
Meran im October 1869 14 Doppelblätter, zwei einfache Blätter und
ein halbes Blatt derselben Handschrift als Deckelüberzüge von Urbar-
büchern des ehemaligen Clarissenklosters in Meran. Durch diesen
glücklichen Fund fügte mein verehrter Freund seinen vielen Ver
diensten um tirolische Kunst- und Culturgeschichte ein neues hei.
Mit der grössten Liberalität übergab mir Dr. Schönherr die abge
lösten Blätter zur Veröffentlichung, wofür ich ihm meinen tiefgefühlten
Dank ausspreche. Sie zeigen die nämliche feste, reinliche, deutliche
Handschrift des 14. Jahrhunderts, dieselben ultramarinblauen und
rothen Initialen, dasselbe Format (Folio), auch sie sind doppelspaltig
geschrieben, je eine Spalte in der Regel zu 32 Versen, wie das im
ersten Hefte der Findlinge veröffentlichte Doppelblatt. Schade, dass
einzelne Blätter zu sehr beschnitten sind, und dass an manchen
Stellen die Schrift bis zur Unleserlichkeit abgerieben ist. Bei der
ersten Durchsicht dieser Fragmente, die beiläufig 3900 Verse ent
halten, ersah ich, dass es Reste des oftgenannten „Buches der
*) Sitzungsberichte LV. ßd. S. 633—640.
144
Z i n g e r I e
Väter“ sind '). Meine Ansicht ward jedoch über jeden Zweifel er
hoben, als ich in Tittmanns Berichte über dieses Werk 3 ), und in
den Regensburger Fragmenten desselben Werkes, die Karl Roth in
seinen „Denkmälern,“ München 1840 3 ) und in seinen „Dichtungen
des deutschen Mittelalters, Stadtamhof 1845“ 4 ) veröffentlicht hat,
die volle Bestätigung derselben fand.
So fand sich Eufrosina, welche die Perle unserer Fragmente
bildet, in Roths Denkmälern und auszugsweise in Tittmanns Bei
trägen. Den Epilog der Leipziger Handschrift, den Tittmann theil-
weise gibt, enthalten unsere Reste vollständig (siehe unten //' 10 bis
85). Unsere Handschrift war aber reicher, als die Leipziger (Univ.
n. 816), da sie mit den Versen
„so bite wir vur die cranken,
daz got in sterke sin gebot,
amen, des helf uns allen got“
nicht abschliesst, sondern die Legende:
„Von Abraham dem vater“ H l . 86
anschliesst. Ob noch mehrere folgten, weiss ich nicht, da sich eine
bestimmte Reihenfolge aus meinen Fragmenten nicht ergab und ich
die Anordnung und den Inhalt der Leipziger Handschrift nicht voll
ständig kenne.
Durch die Güte meines verehrten Freundes Professor Dr. Rudolf
Hildebrand habe ich die von H. Leiser gefertigte Abschrift der
ersten 5644 Versen „des Lehens der heiligen Väter“ erhalten, aber
darin nur die im ersten Hefte der Findlinge veröffentlichten Frag
mente gefunden.
Das erste Blatt derselben enthält die Verse 3623 — 3750, das
zweite die Verse 4519 — 4646 der Leipziger Handschrift. Unsere
vorliegenden Bruchstücke enthalten:
Bl. A, B, C fromme Zusprüche und Betrachtendes.
Bl. Z) 1 ' 2 Fragment der Legende von den Siebenschläfern *).
Bl. E 12 , F 1 ’ 2 , G 1 Fragmente der Eufrosina.
Bl. G 1 ' 2 , II 1 von pischof Nomio (Pelagia).
*) Gewinns I, 493. Gödeke, Mittelalter 210. Gödeke, Grundriss I, 76.
2 ) Beiträge zur deutschen Alterthumskunde (Leipzig 1826. I, 1—41).
8 ) S. 50 — 66 und S. 77—79.
4) S. 29 — 57.
5 ) v. Karajans Ausgabe (Heidelberg 1839) v. 334 — 601.
Findlinge.
145
Bl. H' 2 von Abraham dem vater.
Bl. J 12 von Mucius und Helenus.
Bl. K' von Johannes.
Bl. K 2 von Amon.
Bl. L 1 von Macario.
Bl. L 2 ein Exempel und von Basilio dem pischof.
Bl. M l von Moyses.
Bl. M 2 ein Exempel und von einem guoten prüder.
Bl. N 1 ein Exempel.
Bl. N 2 von Macario, von Zacharia und von prudern, die sich Sam
meten.
Bl. O l von Macario.
Bl. O 2 ein Exempel.
Bl. P* von Mucio.
Bl. P 2 von einem guoten munche.
Bl. Q l ein Exempel.
Bl. Q 2 von einem altvater.
Bl. R 1 ein Exempel und von einem altvater.
Bl. R 2 ein Exempel.
Ist das mitteldeutsche Original in unseren Fragmenten in das
Hochdeutsche des 14. Jahrhunderts übertragen, so ist dennoch unser
Handschrift, diese sprachlichen Änderungen abgerechnet, sehr sorg
fältig und treu gefertigt und Schreibverstösse oder Nachlässigkeiten
begegnen uns höchst selten. Ich gebe einen genauen Abdruck unserer
Bruchstücke, den sie in so höherm Grade verdienen, da bisher aus
dem Buche der Väter nur Weniges veröffentlicht worden ist, obwohl
dieses Werk eine vollständige und würdige Ausgabe in hohem Grade
verdient. Unter dem Striche verweise ich aufHeribert Rosweid’s
„Leben der Väter, erste Druckverfassung in hochdeutscher
Sprach“. Dillingen 1691.
Aus unsern Fragmenten ergibt sich, dass Rosweid wenigstens
oft dieselbe Folge der Erzählungen beibehielt.
Was den Verfasser unseres Werkes betrifft, so schrieb es
Professor Dr. Franz Pfeiffer dem Dichter des alten Passionais zu <)
und Gervinus“) folgte dieser Annahme; Gödeke drückt sich be-
*) Marienlegenden, Stuttgart 1846, XIV.
*) Geschichte der deutschen Dichtung (1863) I, 493.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd! I. Hft. 10
146
Z i n g e r I e.
hutsamer aus und schreibt, dass der ungenannte Dichter des Pas
sionais wahrscheinlich auch das Lehen der Altväter poetisch bear
beitet habe ').
Pfeiffer beruft sich zur Begründung seiner Annahme darauf,
dass gleich der Eingang unseres Werkes ganz in der Weise des
Passionais gedichtet sei und fährt dann fort: „In diesen Auszügen
in Tittmanns Beiträgen und in den von Roth mitgetheilten Bruch
stücken begegnen uns nun, neben völliger Übereinstimmung der
Sprache, viele Reime, Ausdrücke und Redensarten, die wir auch im
Passional, und zumTheile nur da finden, suns: uns (Pass. 3,36); ver-
smät, versmän; zien: vlien; tun: sun; nä: da; hö: also; vart: gekart;
vfanden: bestanden (Legenden 5, 22) : verirret: gevirret (Legenden
21, 157): bede: vede: (Pass. 155, 51. 178, 73); gevult: schult
u. s. w. Wörter wie knote (Pass. 162,21. Leg. 25,477); furbrechen;
grob, grobelich; die erge (Pass. 163,80); erwante: volante; hoffen;
ungehirme (Pass. 335,73) Ösen (Pass. 271,5) verladen; niderslac:
furtragen; unvrume; die späte (Leg. 24,339); entseben häufig, die
unvlät; prisant (Pass. 163,11); enbinnen; vorsatz; widersatz; fur-
wart. Redensarten wie: sich ahe tun; sines lebens louf verzern; des
selben ist ouch mir gedacht; in einer guten vriheit; uz den brudern
er sich nam; durch die gutes hulde täten si sich genzlich abe der
werlde und werltlicher habe in einer heizen rüwe. si suchten gotes
trüwe und begäben sich durch got zu leisten vurwart sin gebot; dö
er wart geruret mit des tüvels bolzen: im half nicht al sin stolzen
(Pass. 240,43: nach lustlichem stolzen, von dises tüvels bolzen quam
üf in so manic schuz). Sollten die hier aus etwa 1000 Zeilen (das
ganze Gedicht umfasst 30,000 Zeilen!) angemerkten Stellen nicht
genügen, so können wir noch ein entscheidenderes Merkmal anführen.
Zu den Marienlegenden 22,82 und 25,79 haben wir bereits be
merkt, dass der Verfasser des Passionais es liebe, hie und da im Texte
(nicht am Schlüsse von Abschnitten!) Paare von drei gleichlautenden
Reimen sich folgen zu lassen.
Dieser Eigenthiimlichkeit, die wir bei keinem Dichter sonst
wahrgenommen haben, begegnen wir auch hier. (Beiträge S. 32, 33,
vergl. Pass. 385, 52-—57). In dieser Stelle liegt (auch abgesehen
von der Übereinstimmung in der ganzen Behandlung, für sich allein
Grundriss I, 76. Mittelalter 208.
Findlinge.
147
schon der entscheidende Beweis, dass die unbekannten Verfasser des
Passionais und der Leben der Väter eine und dieselbe Person sind.“
Soweit Pfeiffer! Es liegen uns nun nahezu 4000 weitere, ihm unbe
kannte Verse vor, die das von ihm Gesagte nur bestätigen könnten.
Nicht leicht ein anderer Dichter zeigt eine so streng ausgeprägte In
dividualität in seiner Sprache, wie der Dichter des Passionais; und
seine gekürzten oder seltenen Formen, seine immer wiederkehren
den, anderswo selten erscheinenden Lieblingswörter begegnen uns
auch im Buche der Väter. Ich verweise auf die Kürzungen: versman
C 4. versmat B101
na ,/ 2 72. J' 45. V 95. R-34. 0*81. Lp. 3190. 3237. 2656.
2698. 2718 und öfters, darna IV 1 108. ho F103. JV 2 13. fi* 14.
Ly. 1263. 3550.
unho Lp. 5300 R 3 49. Io (für louc) Flamme iV 2 14.
zie (ziehe) Lp. 1275. 5357.
siet (siliet) Lp. 3547 ■)
san (sähen) 3729 a)
vie, Siebenschläfer 313. (vergl. H. Pass. 29, 10. 30, 76. 31,
76. 32, 42 und oft.
volant, das uns im Passional so oft begegnet, kommt nicht sel
tener in unserem Werke vor, z. B. Lp. 127. 2740, 2875. E 3 70.
G 2 87. H 3 \ 2 u. s. f. volante 37.
bestanden: vianden findet sich zweimal:
wie er was bestanden
j . /
von den leiden vianden. Lp. 635
wan ich wol bin bestanden
vor meinen vianden. Lp. 4213.
vergl.
zu alsulher schände,
daz nu die viande. K. Pass. 132, 89
daz si von allen banden
und von den vianden. Marl. V. 22.
-)
„nach ir willen sie mich siet."
der gute man von dannen schiet.
do wir in horten und san
unser sibene sohlen gan.
10 *
148
Z i n g 1 e r I e
bede: vede . doch singen sie dran bede
ir liende snnder vede. Lp. 2020
und sie gesazen bede.
sin ercliehe vede. Lp. 4264
vergl. ausser den von Pfeiffer angeführten Stellen:
und sluc ir hende bede
mit alles herzen vede. K. Pass. 189, 43.
Wir verzeichnen nun einige Wörter, die sich im Passionale
finden, anderswo selten belegt sind, aber im Leben der Väter be
gegnen.
argen: K. Pass. 40, ö7. 496, 97. Marl. 21, 135. — Lp.
5245.
arzedien: K. Pass. 65. 54. 119, 49. 143, 92. 181, 30.
303, 43. — Lp. 4557.
bederben: K. Pass. 267, 58. 404,85. 528,8.— Lp. 4128.
begunst: K. Pass. 112, 8. 409, 31. — Lp. 5199. P 2 45.
K 2 91. Q 2 31.
besuln: K. Pass. 8, 89. 28, 82. 29, 33. 104, 39. 161, 15.
249, 22 etc. B 85. G'45. K 2 105.
boten: K. Pass. 439, 46. Lp. 4723.
bude: K. Pass. 512, 39. Lp. 5321.
drete: K. Pass. 25, 11. 223, 55. 456,22. H. Pass. 9, 14.
Marl. 25, 356. — Lp. 4475.
ecclesie: K. Pass. 53. 2. — i/ 1 65.
h i n d er s t eil ec: K. Pass. 318, 75. 534, 19. 481, 21. —
Lp. 5600.
honicmaze adj.: H. Pass. 105, 34. — Lp. 2994.
knote: K. Pass. 67, 81. 158,9. 80,56. 114,24, 120,64..
192,54. 330, 11. 547, 69. 629, 14. — Lp. 54.
K' 22.
morvar: K. Pass. 157,79. — Z, 2 31. — Lp. 699.
prophen: K. Pass. 5, 54. — Lp. 1510.
volbort: Lp. 1573. A 51. — vollen bort. K. Pass. 557,43.
vertumnisse: K. Pass. 206, 24. — B 51.
willekurn: K. Pass. 158,50. 192,58. 306,5. 370,60.
501,96. H. Pass. 32,9. 245,68. 201,95 u .s. f.
Marl. 12, 15. — 0*6. —
zocken: H. Pass.294,71. K. Pass. 362, 76. 532,46.Lp. 1045.
Findlinge.
149
zoden. zoten: H. Pass. 287,80. — Lp. 2122.
Nicht wenige dieser Wörter sind bisher nur aus dem Passionale
helegt. Der Dichter des Passionais hat aber einige immer wieder
kehrende Lieblingswörter, die auch im Buche der Väter in auffallend
zahlreicher Weise erscheinen z. B. gilt, stift, erge, osen, und beson
ders entseben (entsub), rote und unvlat (fern.). Auffallend in beiden
Werken ist das häufige Vorkommen von gotes degen K. Pass. 307,
36. 473,43. H. Pass. 50,24 u. s. f. Lp. 679. 1419. 1489. 3513.
3747. B 98. E', 32.
Abwechselnd damit wird ein frommer Mann „der gotes holde“
genannt. K. Pass. 42, 70. 242, 74.
Lp. 3903. 3916, 4972. 3500. H 2 40 u. 101. 1P42. Kommen
beide Bezeichnungen auch sonst vor, so ist hier die Übereinstimmung
beider Werke in ihrem häutigen Gebrauche auffallend. Beiden Wer
ken sind das häutige ot, das consequent wiederkehrende zeimal und
die vielen Composita mit vollen z. B. vollenbringen, vollenvarn,
vollen sprechen u. s. f. gemeinschäftlich.
Sehr auffallend ist in beiden Werken der überaus häufige Ge
brauch des Wortes bejac im Reime. Ich verweise ferners auf einige
andere Übereinstimmungen.
Im K. Pass, finden wir: daz amt der misse began. K. Pass.
244, 91, ähnlich: ir gepet und der mettenamtß ä 81. derwirde grat
K Pass. 381, 89. der armute grat K Pass. 522, 2.
in der tilgende grate K Pass. 540, 9
uf der eren grat K Pass. 664, 40
uf der kuscheite grat
trat si mit Crisanto K Pass. 563, 94.
und kamen uf der genaden grat. Lp. 4436.
Der Dichter des Passionais gebraucht: mines herzen sarc K.
171,54. sines richtumes sarc 202, 30. tu uf der genaden sarc H.
Pass. 153,85. vergl. Leben der Väter: wie der liehte himelsarcC. 86.
kluft: des kerkeres kluft. K. Pass. 179, 51. 591, 57
in des herzen kluft. K 2 104.
vliez: grozer eren vliez. K. Pass. 365, 12
seliger ordenunge vliez. K. Pass. 479, 24.
der innern genaden vliez. K. Pass. 624, 96.
150
Z i n g e r 1 e
mit reliter tilgende vlicz. K. Pass. 229, 94.
ei merket zweier tugende vliez. K. Pass. 438, 84.
im Leben d. V.: von reliter tilgenden vlieze Q 2 i 7.
Zum Schlüsse führe ich noch einige Stellen an, in denen die-
auffälligste Übereinstimmung herrscht.
in der ecclesien schoz ff 2 , 63.
siner ecclesien hof. K. Pass. 33, 2.
do cliom der helle schrewel
und nam den glunden krewel M 2 ,1.
durch ir vientlichen beiac
zanneten si als die schrowele;
sumeliebe namen krowele,
oder andere krumme isen. K. Pass. 122, 64.
krumme isen man hervor truc
und darzu scharfe krowele,
da mite si als die schrowele
liefen uf den gotes trut. K. Pass. 164, 88.
und daz was seines gewinnes pfluch It l 9
dit was irs gewinnes p(f)luc. H. Pass. 31, 10.
er was gepropliet uf den stam
der rehten tilgende sunder bruch. Lp. 1319.
so heten sumeliebe ir leben
kusche von kindes beine,
luter linde gar reine
gepropfet uf des lebens stam. K. Pass. 3, 34.
des heiligen geistes segen
sol uns wol beschirmen
von den ungehirmen. Lp. 1422.
an der sonnen schirme.
ire wort vil ungeliirme. K. Pass. 138, 70.
der ir was zeime schirme.
do wart vil ungeliirme. K. Pass. 364, 88.
die guten werc,
die vor den ungehirmen
den menscheu wol beschirmen. H. Pass. 333,73
daz er was nach ir verquoln,
des moste si im mit doln F* 109
zweier hande was ir doln;
Findlinge.
151
er was nach ir ie verquoln. K. Pass. 492, 67.
nf ein vruntlich mitedoln.
si wurden nach im so verquoln K. Pass. 662, 13.
die er mit vleize zierte
und erleich ordinierte H 2 23.
so erlichen zierten,
daz si sich ordinierten. Lp. 187.
ein minister liez er machen,
daz man wol ordinierte
unde vrielichen zierte. K. Pass. 238, 34.
unde erlichen zierte. H. Pass. 48, 81.
deines herzen vaz A. 42.
sines herzen vaz. K. Pass. 438, 86.
von wähle und von gevilde. Lp. 1348.
an wähle und an gevilde. H. Pass. 31, 3.
daz er sin selbes erbe
nach willen gar bederbe. Lp. 4128.
und machen gar bederbe
sines vater erbe. K. Pass. 7, 77.
teilten si ir erbe
und machten ez bederbe »27, 13.
gutes an dem erbe,
daz wolde ich mir bederbe
bi einer anderen machen „32, 23.
nach mincm tode nim an dich
disen roe alsam ein erbe.
habe in dir und bederbe,
swie dir behage wol. „328, 6.
den zwivel si im entwurren,
sie gruben unde schurren. Lp. 2086.
daz volc mit vlize wurren.
so lange si daz schurren. K. Pass. 661, 67.
Der Vers:
begeben und unbegeben C. 100.
kommt im K. Pass, zweimal vor. 56, 63. 434, 82.
Die ganze Sprache und Erzählungsweise, die schlichte, und
dabei so warme Darstellung, unterbrochen von lyrischen oder didak
tischen Stellen, sind in beiden Werken so ähnlich, dass wir sie einem
152
Z i n g e r 1 e
Dichter zuschreiben müssen. Das beigegebene Worterverzeichniss
wird unsere Ansicht nur noch mehr bekräftigen.
Zu der Bemerkung Pfeiffers, dass der Dichter es liebe, hie
und da im Texte Paare von drei gleichlautenden Reimen sich folgen
zu lassen, gebe ich noch folgenden Beleg:
die teilten in ir iaren
sich in die kunecriche wit,
da si binnen der selben zit,
iensit dem mere und dissit,
der lute vil bekerten
und den gelouben lerten,
wie si den Cristum erten. Lp. 173.
Bemerkt muss hier werden, dass unser Dichter es liebt, zwei
Reimpaare mit gleichlautenden Reimen sich folgen zu lassen, z. B.:
mit innecliclier andalit
linder tac und under naht
mit alle[r] sines libes mäht
er nach dem himelriche vaht. Lp. 417 ff.
sammente gar in sinen sin,
waz im gesaget wart von in.
er vloc uz als ein wise bin
beide her und oucli hin „433 ff.
sin kuschez gemute
mit ganzer diemute,
des heiligen geistes gute
so sere an im erglute. 341.
wafen über die manheit,
die disem menschen ist bereit!
swaz ich der unkuscheit
mit kunst han an in geleit,
die dunket in gar stinken. Lp. 1031 ff.
Antonius durch daz ungemach
uf gein dem himel saeli.
so siht er, wie ob im daz dach
sich offent und da durch brach
ein lieht mit grozer klarheit. 1133 ff.
der tuvel, der niht abe lat
durch sinen valschen rat.
Findlinge.
153
swie der mensche verschmäht sine tat,
sin offenunge ie daruf stat. Lp. 1269 ff.
als er für die tur quam
und mit gesihte war nam
an grozer gehe, als im zam,
do sach er den licham. Lp. 2045.
Do wir in horten und san,
unser sibene solden gan,
als ich da vor gesprochen han,
uf der bezzerunge wan. Lp. 3729 ff.
die vurte ich in ir husgemach,
daz nie was ir kuscheit swach.
ein anderz mir oucli geschach.
die wile man mich hi in sach. Lp. 5281 ff.
vgl. H. Pass. 100, 32. 111, 21. u. ö.
Ausser den genannten Gründen bestimmt mich noch ein
anderer, meines Wissens bisher nicht geltend gemachter, das Lehen
der Väter dem Dichter des Passionais zuzuschreiben. Die Legenden
der Einsiedler (Väter, Altväter) waren im Mittelalter sehr be
kannt. In der Legenda aurea finden wir schon die Legenden von
Paulus (15), Macarius (18), Anthonius (21), Moyses (177), Arse-
nius (178), Agathon (179), Eustachius (161), von der heiligen Pe-
lagia (150), von den Siebenschläfern (101); hei Hermann von
Fritslar begegnen uns die Legenden von St. Paulus (17), St. An
thonius (18), St. Eustachius (78); aber im ganzen dritten Theile des
Passionais, ich sage unter 75 Leben der Heiligen, treffen wir nicht
eine Legende eines heiligen Eremiten an. Und doch sollte man
glauben, dass gerade die Erzählungen von Einsiedlern wie Anthonius,
Paulus, Macarius etc. geeignet gewesen wären, zu erbauen und das
Gemüth des Lesers von dem Diesseits abzuziehen und auf das
Jenseits hinzulenken. Der Dichter kannte das Leben der Väter, denn
er schreibt selbst:
„doch meinte er wol den selben sin,
der in der vetere buche stat,
als uns ir schrift wizzen lat.“ K. Pass. 285, 10.
Wie lässt sich nun erklären, dass unser Dichter mit so ängst
lichem Sinne die Legenden von heiligen Einsiedlern aus seinem
Leben der Heiligen ausschloss?
154 Z i n g e r 1 e
Ich glaube nur dadurch, dass unser fruchtbarer, vers- und
sprachgewandter Schriftsteller von vorneherein die Absicht hatte,
das Leben der Väter in einem eigenen Werke oder Tbeile zu behan
deln und deshalb alles darauf Bezügliche seinem Leben der Heiligen
ferne hielt, um es im beabsichtigten Werke zu bearbeiten. Nur
durch diese Annahme löst sich die Frage über den Ausschluss aller
heiligen Einsiedler aus dem Bande des Passionais.
Uber den gebildeten, frommen, in seinen Urtheilen über andere
so milden Verfasser wissen wir nichts Näheres, als dass er eine
bedeutende poetische Begabung besass und au schriftstellerischer
Fruchtbarkeit die meisten Dichter seiner Zeit übertraf.
K. Roth vermuthet in unserm Dichter Rudolf von Ems und
verweist auf die Verse in der Legende Eufrosina:
„do die trübe naht verswein
und der tac mit liebte schein“.
Denkmäler S. BO, v. 37, die uns au eine Stelle in Rudolfs Wilhelm
v. Orlens (Münch. HS. 106“):
„do diu triiebe naht verswein,
und der morgensterne schein“
zu sehr gemahnen. Niemand wird aber heutzutage mehr bei dem
ausgesprochenen mitteldeutschen Charakter der Sprache des Pas
sionais und des Lebens der Väter an die Autorschaft Rudolfs denken,
und viele Reime <) in den genannten Werken würden eine solche
Annahme geradezu lächerlich machen, aber die obigen Verse sind
jedenfalls nicht ohne Bedeutung. Eine Beziehung zwischen Rudolf
und dem Dichter des Passionais zeigt sich noch öfters. Rudolfs Bar-
laam beginnt:
*) So im L,ehen der Väter (Lp) z. ß.:
sin: in 29.
tuon: sun 255.
bot: betroc 763.
vriunde: urkunde 915. vriunden : künden 1769.
wort: gehurt 1403.
irvorhten: horten 1407.
her: ieger 1675.
ieger: er 1707.
ruom: wilkum 2479.
künde: wandelunge 5565.
stunde: dutunge 4723.
müde: gefuge R 2 111.
Findlinge.
155
Alpha et 0, künec Sabaöt,
got, des gewaltes kraft gebot,
der erste Theil des Passionais :
Emannel mit uns got,
kunic des riches, Sabaot.
In Barlaam 63, 6 liest man:
wan der yleisclilich gelüst
mit broedeelicher akust.
im Leben der Väter:
und widersage der gelüst
der brodeclichen akust Lp. 4093.
Das adj. broedeclich ist aber im mhd. Wörterbuch (I, 261)
nur mit dieser Stelle Rudolfs belegt, begunst st. f. (Beginn, Anfang)
begegnet uns im Passional und im Leben der Väter oft, im mhd.
Wörterbuch (I, 529) ist es nur aus Barlaam belegt. Die nicht so
häufig belegten Wörter: bekorunge, blicschöz (Barl. 2, 26),
bozen (Lassb. Barl. 91, 2. 18, 39. 381, 27), draete (Barl. 240,
15) begegnen uns auch im Passional und dem Leben der Väter:
in snellicher drete. Marl. 25, 356
mit seiner snellen draete. Barl. 240, 15.
Das Wort gewahe (gewuoc) begegnet uns oft im Passional, im
Buch der Väter und bei Rudolf, ebenso in beiden auffallend oft
riuwesaere. Das adj. houicmaze H. Pass. 105, 34, Buch der Väter
Lp. 2994 ist im mhd. Wörterbuch nur aus Barlaam 57, 27.
105, 34 belegt.
Im, Buch der Väter lesen wir:
begraben in der helle sot. Lp. 4407.
im Barlaam 406, 8:
hilf uns, daz wir von schäme rot
von dir iht sten und uns der söt
der helle iht slinde in wernder not.
unvalschlich ist im Wörterbuch II, 229 nur belegt mit: mit un-
valschlichem sinne. Barl. 126, 40; im Buch der Väter steht der
selbe Vers:
mit unvelschlichem sinne. Lp. 3415
urhap begegnet uns bei Rudolf und im Pass., Buch der Väter sehr
oft. überlast (K Passional 133, 82. 496, 69. Leben d. V- 4/ 1 42)
findet sich auch in Barlaam 235, 19. Zweimal kommt im Passionale
156
Z i n g e r I e
(K) vereinen in der Bedeutung: vereinsamen, sich absondern vor
(59, 6. 436, 88) vergl. in Barlaam:
in wählen sie vereinden 114, 4.
vil gerne er ie vereinde
von sineni gesinde 356, 20.
In Barlaam findet sich wiederholt „gutes wigant“ 184, 21.
194, 35. 243, 5. 262, 37. 311, 10 und öfters, so auch in der
Reimchronik. Im Buche der Väter kommt dieselbe Umschreibung
für gottesfürchtiger Mann oft vor z. B.:
do sprach der gotes wigant Lp. 1677. derselbe
Vers Barl. 184, 21.
da er den gotes wigant Lp. 3691.
In Barlaam heisst es:
Josaphat, der guote man 277, 23. 307, 27.
in Pass. H. Joachim der gute man 6, 72
Josef der aide gute man 48, 83
Josef der vil gute man 96, 26.
Johanni dem guten man 108, 36
Scheinen auch viele der verglichenen Stellen geringfügig, so
scheint mir dennoch, dass Rudolfs Einfluss auf den Dichter des
Passionais hei so vielen Ähnlichkeiten, die mir aul'gestossen sind,
sich nicht leugnen lasse. Eine eingehende, sorgfältige Vergleichung
würde feststellen, dass der Dichter des Passiouals sich an Rudolfs
Schriften besonders an Barlaam und an der Reimchronik gebildet
habe. Am lehrreichsten würde aber in dieser Beziehung sein, wenn
man Rudolfs Eustachius, der leider verloren ist, mit der Legende
desselben Heiligen im Buche der Väter vergleichen könnte. Was
das letztere betrifft, so wiederhole ich den vor 24 Jahren ausge
sprochenen Wunsch Pfeiffers: „Möchte dieses Werk, das für die
Geschichte der mitteldeutschen Sprache von nicht geringerer
Wichtigkeit sein wird, als das Passional, ebenfalls recht bald zur
Herausgabe kommen“.
Zum Schlüsse bemerke ich, dass ein deutsches Lehen der Alt
väter sich auf der hiesigen k. k. Universitätsbibliothek befindet.
Papier, 235 Blätter in kleinem 4». Nr. 635. Auf einem Vorblatte
steht: „Item das puech von dem leben der altvätter.
Item die ander inhaldung ditz pueches stet darnach geschriben
an dem andern plat.“
Findlinge.
157
Bl. 1* „Hie hebt sich an die tavel von dem leben der nachge-
schriben heiligen und von den stukchen, die da geschriben sten in
disem puecb.
An dem ersten stet gescbribeu von dem leben des heiligen
peichtigers saut A n t h o n i o, das da verwandelt hat an dem ersten
und geschriben in kchriechischer sprach der ertzpischolf Atanasius
von Alexandria, der das grüntleichen und fleissikchleichen geschriben
hat von den iungern des heiligen Anthoni und von den andern
manchen, die da stetikchleiehen gangen sint zue dem heiligen An
thoni in die wüest und alle ding gesehen haben aus dem mundt des
heiligen Anthoni und das selbig geschriben habent, als denn der
wirdig pischolf Attanasius geschriben hat in seiner vorred über das
leben des heiligen Anthoni und ist darnach verwandelt worden von
dem wirdigen priester Evagrio, der das verwandelt hat von kchrie
chischer sprach in latein. Item darnach stet geschrieben, wie der
heilig leichenam sant Anthoni gefuert ist worden
Bl. l b aus Egiptenlant in die stat Constantinoppel. Item darnach
stet geschriben, wie der heilig leichennam Anthoni kchomen ist von
Constantinoppel in Wurgundia, da er nu ruen ist. Item darnach stet
geschriben von dem leben des heiligen peichtigers Hylarion. Item
darnach stet geschriben von dem leben des grossen heiligen vaters
Onufrio. Item darnach stet geschriben von dem leben des heiligen
Paphuncio und von der heiligen iunkchfrauen Eufrasina, seiner
tochter. Item darnach stet geschriben von dem leben der heiligen
iunkchfrauen Marina. Item darnach stet geschriben von der pildnus
unsers herren Jesu Keh'risti, das die juden beten gemartert und
gepeiniget in dem laut Syria, als denn schreibt der heilig erzpi-
scholf von Alexandria. Item darnach stet geschriben ain ander
wunder von der pildnus Jesu Kchristi, das da geschehen ist zue
Constantinoppel. Item darnach das leben des heiligen Alexio, und
das ist die inbaltung des pueches, das ich von latein zue teutzsch
pracht han zue lob und zue ere dem allmechtigen got.
Bl. 235 b Das puecb das ist verwandelt worden von latein zue
teutzsch von ainem prueder chartuser Ordens in dem closter auf
Aller-engel-perg in Schnals nach Christi gepurde 1467 iar.
Pittet got den almechtigen für in“.
158
Z i n g - e r 1 e
A.
(b) Eya, menscli, wein und oblag
der armen not an dem tag
und der veinde ungute!
tu auf dein gemute!
b Tu auf, daz dirre smerze
dein herte steinein herze
Nach rehte muge erreichen
und ez daran erweichen!
Als den tiefein wirt gegeben
10 gewalt über der armen leben,
Daz doch ein tot mach heizzen paz,
so weisent si in iren haz.
Si nement die verfluchten,
die gotes niht enruchten
lb Und ot ir willen gerten;
mit veintleichen swerten
Treibt man si und mit cheulen.
so hebt sich michel heulen,
Weinen, schreien und chlagen.
20 alsus man si muz veriagen
ln den liehtlosen nebel,
fewer, pech und swebel
Sol in da begeinen
und chreftich auf si reinen
2b . . t hitze prinnende ergo,
ditz ist ein berwerge.
Daz heizzet wol des lebens tot,
wan immer wirt des todes not
Und mach doch nicht erwerben,
30 daz er muge ersterben.
Peite, peite sundich leben,
da wirt dein reht dir gegeben.
(e) Ob dem die sunde wählen
nutz in den tot behalden,
3b Und sieb uncheusche meintat
Findlinge.
159
solch Ion, den got behalden hat.
Nu sich, valseh hochmut,
da sol wesen dein heimut
Staet tinfrid und chrick;
40 da hin ist dein gewisser stiek.
Enthalt dich, neit und haz,
alda wirt deines herzen vaz
Gefullet mit so heizzer prunst,
daz du wol mäht haben ungunst.
4J) Eya, zorn, heizzer dorn,
unverlorn ist dir erchorn
Des tiefeis herwerge.
da mach wol dein erge
Prinnen und zürnen,
50 in ungemache purnen.
Du hast sein gute volbort.
awe, iaemerleicher mort,
Der in dem abgrunde
bereit ist al der sunde!
55 Da heizze prinnende flamme rot,
hie von clielte, frostes not,
ln staeter wernde lenge
ein michel gedrenge
Ist in dem leiden sturm.
60 von aller liande wurm
Leident si da manigen piz.
ez sei iener oder diz,
Daz weiset in seiner er ge zan,
dem nieman entweichen clian.
K.
(a) .... und bruch
. . er halden seinen Spruch
in hie gelobet hat,
(d)az er si dort sitzen lat
5 . . mit rihtaeren.
(a)ls den ungewaeren.
. . e der iaemerleiehen rot
■mmi
• *ä,. '... *?m &* f' 4m*& *j
Z i n g e r 1 e
. der lenken liant hin von got
. n si suln dannen varn
10 . n zwein leitleichen seharn
. si da geordent sint.
(d)ie einen, die hie waren plint,
(ir) herze liezzen rauben,
(d)es rehten gelauben
15 sich niht liezzen leren,
noch zu gote cheren.
dem spriche ich denne mit cliraft
„alle dinch an beschatt
weisen einen waren got“.
20 . . e hie drauz haben iren spot,
(den) gelauben hin verwürfen,
(d)ie selben niht endurfen,
(da)z man urteil über si.
wan si sint verteilet hi,
25 uns die schrift wizzen lat.
die ander schar da pei stat,
(daz) sint die ubeln Christen,
(d)ie wol daz gute wisten
(un)d das übel worbten.
30 (d)ie suln mit allen vorhten
. . chomen und auch da sten
und mit urteil von danne gen.
(b) . . r zeit den posen
. . z reht osen
35 . . e slihten
. . . gerihten
. . h, daz dir ie wart
/
. . n menschleicher art,
. da mit den armen stast
40 und mit den tiefein umme gast.
Merclie hie, waz ich dir sage,
an dem angestleichen tage,
So dir lebenleich dein leben
von got wider wirt gegeben,
45 Du seist man oder wcip.
Findlinge.
161
und sich vereinet sei und leip
Und du gest von dem grabe,
so gent mit dir gaenzleich herab
Alle dein sunde,
50 auf daz si ein urchunde
Deiner vertumnisse
wesen gar gewisse.
Awe, mensch, daz ist ein not,
die dich von schände machet rot.
55 Swie du ir waerest gern frei,
doch wonet si dir vaste pei,
Und sint dir ein vil swaerer percli.
si sprechen: „wir sein deine werch,
Wan du uns alle hast gefrumt;
60 unser dehein von dir ehumt.
Swa du gest, wir gen mit dir.
für den rihtaer welle auch wir
Und wellen wir da pei gestan.“
so chumt dein leittaer zu dir gegan,
65 (c) Der tiefel, awe, so get er
mit dir für den rih(ter)
Und weiset im deine (schult),
wie du von recht sult
Mit im in die helle.
70 sus sprichet dein geselle,
Der tiefel, dein vorspreche,
mit seinen Worten freche:
„0 ewiger, gerehter got!
ich man dich, daz du dein gepot
75 Und dein wort war werden last,
da du den sundaeren gelobet hast,
Die auz deinem gepot risen.
o rehter rihtaer, gib mir disen,
Der dich niht halden wolde
80 ze einem herren, als er sohle,
Durch deines hohsten lones gift.
ez ist gevallen in die stift
Der sunde, da er in ist cluimen,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft.
li
162
Z i n g- e r I e
und hat ze herren mich genomen.
85 Er hat besult sein weizzez chleit,
daz du im hetest angeleit,
Und liat ez hinder im gelan.
mein chleit hab ich im an getan
Und hab in prallt darinne her.
90 o du gerehter riliter,
Nu sich, ich han in drein geslauft,
er entauch niht zu der prautlauft.
Wan er niht des gewandes hat,
daz zu der prautlauft erleich stat.“
95 Awe, du sundaere,
so chumt dein hutaere
(d) Dein engel, der dein solde pf(Iegen),
(der) herleiche gotes degen,
(dur)cli gezeuch über dich,
100 . . du in dicke lästerlich
. . den sunden hast versmat.
nu sich, wie sol dein werden rat!
Du pist mit not bedrenget,
die alle weis dich twenget.
105 Sich auf, wie der rihter
mit allem zorn hat sein sper
Als ein plickschoz erglut,
da mit er dir den schaden tut.
Sich under dich den helle grünt,
110 wie er gesperret hat den munt
Auf, daz er dich verslinde
mit deiner sunden pinde.
Sich zu deiner rehten liant,
wie dein sunde gar da stant
115 Und wellent veilen dich hin nider!
sich zu der lenken liant her wider
Die tiefel, dein gesellen,
die dich hin ziehen wellen!
Nu sich, welch not hie und da!
120 in dir die conseiencia
Prennet dich von rchter schult,
Findlinge.
163
wan si mit sunden ist gefult.
Solch ist dein leit mit leide
peide auzze und innen peide.
125 Noch vindest du ein grozzez leit,
als die schrift hat geseit,
Aida vor gotes gerillte,
deiner äugen gesilite.
C.
(a) . nt in der guten rot
. dort von dir stent pei got
. . leiclie leute stan,
du woldest hie versman
5 . . eten und verdrucken
. . d über si dich zucken,
. . sihest du darunder.
. . nimt dich michel wunder.
„ . numenamen, “ sprichest du,
10 . . e st ditz sus eliomen zu,
. • iene dort an gewalt
. . gotes chinden sein gezalt?
. . liet wir vil gar für schimpf
. . d triben mit in unsern glimpf.
15 . . wie si got hat auf gezogen,
. . d wir armen sein betrogen.“
. . hlagest du an dem tag
. . ummesust dein leit mit chlag.
„ . . awi und awe!
20 . . z hat mich für getragen e.
. . cli mein liste hau geliabet,
. cli an sunden pin besnabet,
. . alf mich dort groz liochmut,
. . mir hie leiden schaden tut.
25 . . alf mich dort der grimme zorn,
. . meinen tot hie hat gesliworn.
. . alf mich haz und neit,
. . auf mir hie mit schaden leit.
. . alf mich dort ungunst,
11
164
Z i n g e r 1 e
ä;;f
. . midi hie wirfet in die prunst.
. . alf mich aller sunden leben,
. . ich dort e was ergehen.
(b) Nach meines willen beiach
verfluchet müzze sein der tach,
35 In dem die werlt mich enpfie:
waffen über alle die,
Die mich ze der werkle ie prallten
und ze chinde mein gedahten!
We mir, daz ich ie wart geporn!
40 wie iaemerleich pin ich verlorn
Durch mein Unflate!
nu ist mein rewe ze spate,
Wan got mit aller seiner chraft
ist gegen mir nu zornhaft.
45 Mir wirt sein urteil hie ze hart,
awe mir, daz ich ie gewart!“
Nu sprechen von den guten,
die mit wunnechleichen hüten
dort bei den engein sint,
50 die erwelten gotes chint.
0 wol dir, menseh, wol dir wart
der wunnechleichen hervart,
Die man dir bedeutet,
als der engel leutet
55 Die pusaun, daz herhorn.
swa der leip was verlorn,
Zehant er mit der sei erstat.
der suzze galm dir in gat,
Daz du mit freuden auf stast
60 und sicher für gerillte gast.
Sicherheit mach dir wol geben
dein vil tugenthafte leben,
Des deine werch gezeuch sein,
eya, welch minnechleieher schein
65 (c) Von got dich beleuhtet
und dein herze erfechtet,
daz ez in freuden swimmet
Findlinge.
165
und sich mit nilite ergrimmet.
Wan ez hat cheinen widersatz.
70 ey der minnechleiche schätz,
Der mit freuden pei dir leit,
umme den dir got sein reiche geit!
Welch ist der schätz? daz sint tugent,
die du hast gesamt von iugent.
75 0 wol dich der reicheit,
die dich ze solhen eren treit,
und also hohe hat gezogen,
dein engel, der dein hat gepflogen,
Zwar der danchet dir sere
80 vor got an grozzer ere,
Daz du mit ganzer werde
sein schontest auf der erde,
und dich mit seinem rate
bewartest vor unflate.
85 Der sagt dir offenleiche danch,
wan in vertreip chein sunden stanch.
Sich auf und wis an freuden starch,
wie der liebte himelsarch
Ist offen und dein peitet,
90 den dir got hat bereitet,
Und darinne allez gut.
sich nider in der helle glut,
Wie daz apgrunde
die sundaer und ir sunde
95 Verslinden und behalten sol.
des pist du frei, gehab dich wol!
(d) Sich umme dich her und dar,
wie vil minnechleicher schar
An maniger hande leben,
100 begehen und unhegeben,
Die sich vor got han zerstreut
und alle sint an im gefreut
Und horchen an daz suzze wort,
damit si Christ wil laden dort.
105 Franciscum sich mit seiner rot,
166 Zingerle
wie erleich er chumt vor got
Mit seinen parfuzzen,
die sich pilleichen muzzen
Frewen der grozzen armut,
110 die in hat praht so reichez gut.
Dominicus der gewacre
und sein predigaere,
Die gotes Weingarten
mit lere wol bewarten,
115 Hei, wie die got zieret
und pei sieh ordinieret.
Mit den einsideln Antonius,
Johannes und Bernhardus,
Augustinus der weise
120 mit harte grozzem preise
Und ander haubtleute genuch,
die an daz reht, ir leben truch,
Sint da gesainmet vor got
hin und her von ir tot.
125 Ez fugt sich wol daz igleiche han
alsus pei in ir liaubtman.
Ein rot solt du noch schawen
pei der schonen iunchfrawen.
Di.
(a) Si . erwachten und stunden auf. i)
nieman cldagte sein huf
Von langem gelaege;
der heiner was traege,
5 Swie er da lach so manich iar.
si heten wol gesworn für war,
daz ot ein naht waere hin.
sie begunden reden under in
Von der angestleicheu not,
10 die in der valsche cheiser pot,
Vor dem si waren fluhtich also.
i) v. Karajan, von den siben slafaeren v. 334—601.
Findlinge.
167
do sprachen si zu Malcho:
„Ei durch got, nu sag an,
waz Iiat der vil nbel man
15 Von uns gesprochen, Deeius?“
do sprach der gut Malchus:
„Als ich eu sagte nehten,
der widersaz des rehten,
Deciiis der I.antvogt,
20 der chom naehten gezogt,
Als ich in sach in der stat.
ich vernam auch wol, daz er pat
Und gepot den seinen gar,
daz man uns suchte her und dar.
25 Bedenehet euch vil eben,
antworte vor im ze geben."
„Wan nu wil twingen sein gepot,
daz wir die valsclien apgot
An peten ze des tiefeis lob,
30 da muz got wesen ob“,
Sprach Martinianus do,
„daz uns nu dehein dro
(b) Von unserm got scheide!
swaz er uns ze leide
35 durch unsern gelauben tut,
daz wandelt uns got in ein gut.
Da ist dehein zweifei an.“
do tröste der gute man
Alle sein geverten
40 und liiez si vollenherten
Mit christenleicher gute
an des gelauben plute
Durch die suzzen zuversiht,
der man an gotes reiche gibt.
45 Martinianus sprach aber do
zu dem guten Malcho
. . leich . alsus er in pat:
„nu gench in die stat,
Horche waz man von uns sage,
168
Z i n g e r I e
50 wa man uns suchende iage;
Ob in nach uns iht sei genot
und pringe auch uns mit dir prot.
chauffe sein nu deste me,
oh ez uns ain harren ge,
55 Und si vinden unser niht,
daz wir sterben hungers iht.“
Malchus der reine gotes chneht
begiench wol seiner tilgende reht.
Der guten pfenninge
60 nam er fumf Schillinge
Und giencli hin von den andern,
do er begunde wandern
Für daz hol, do sacli er
peide hin und her
65 (c) Die erden und die steine
zeworfen algemeine.
Des giencli in michel wunder an.
idoch so was der gute man
Bechummert an dem herzen
70 mit chumftigem smerzen,
Wan er ein teil sich vorhte;
die not an im worhte,
Daz er ez also beleihen lie.
gegen der stat er do gie;
75 In gotes genade het er ergehen
peide leib und leben,
Daz got mit im taete,
swes er willen hete.
Do er chom für daz purgetor,
80 so silit er drauf stan enpor
Nach der christenleichen siten
ein holz chreutzweise gesniten.
Als er gesach daz Zeichen an
do giencli der . gute man
85 Zu der andern porten.
so siht er ob den orten
Vil chreutz auf den chirchen ho.
do er ditz gesach also,
Ez wundert in vil sere.
90 ie mere und aber mere
Wuhs an im daz wunder,
peide oben und auch under
Verwandelt er die stat vant.
do giench er wider sazehant
95 Hin zu dem obern tor,
Da er was gewesen vor.
(d) „Eya“, dalit er. „lierre got
ist ez ernst oder spot,
damit ich nu umme ge?
100 wa pin ich? nu wa was ich e?
Icli mach wol in träume ligen,
wan ich der sinne pin verzigen.
Hab ich die stat iht mer gesehen
ey, herre, wie ist mir geschehen!
103 Slaffe ich oder wache ich?“
chreutzweise gesegent er sich.
Got er sein pflegen pat
und giench für sich in die stat,
die (im was unerchant vil) gar,
110 (als ob er waer) ni chome dar
(Malchus) der vil gute
(enweste) an seinem mute,
Wes er im solde denchen.
hin zu den protpenchen
115 Giench er auf geluckes heil,
da waren leut ein michel teil,
Die iren marchte (schufen),
sprechen und rufen
Horte er si manger hande.
120 sumleicher auch do nande
Dicke unsern herren got:
er horte, daz si ane spot
Got nanten besunder.
daz merte an im sein wunder.
125 „Ennumenamen,“ dalit er do,
170
Z i n g e r 1 e
„wie ist ez gewant also?
Naehten <lo ich was alhie,
swa ich pei den leuten gie,
Da.
(a) Da entorste nienian nennen got
durch des cheisers gepot.
Wan in sein valscher irreturn
niht laet gelauben an Christum.
S Wie geturren dise leute
so offenleichen heute
Gotes ze einem herreri ielien?
ich mach wol unrehte han gesehen
An dirre stat. si ist ez niht.“
10 do fragte er nach dirre geschiht,
Als die zweifelhaften tunt,
von einem, der da pei im stunt.
Heimleich er im sagen pat,
wie genant waer die stat.
IS Do sprach iener sus ze im:
„si ist geheizzen Ephesim.“
Da dahte Malclius: „ez ist war,
daz ich pin verirret gar;
Wan ich enweiz, wa ich pin,
20 oder wa ich sul hin.
Mir ist der sin zesliffen.
ich mach wol sein begriffen
In treumen, die mich effen.
chunde ich den wech nu treffen
2S Auz der stat ze dem hol,
daz deuhte mich das peste wol“.
Innen dises Zweifels wan
giench doch hin der gute man,
Da er sacli daz veile prot.
30 sein pfenninge er dar pot.
Die waren tewer und reich
und den andern ungeleich.
(b) Die iene iungelinge
Findlinge.
171
enpliengen die pfenninge.
35 Do si si wol besahen,
linder einander si das iahen:
„Wizze disen hingen man
reichen schätz funden han,
Den der chunige werdieheit
40 hie bevor zesamen hat geleit.“
Do Malchus an in (do sacli),
wie ein igleicher sprach
Heimleich zn dem andern,
do wolde er dannen wandern,
45 Mohte er sich von in han genomen.
er dahte: „nu ist mein ende chomen.
Si wellen mich dem clieiser geben,
so get es mir nach meinem leben.“
„Ei“ sprach (er zn den leuten do)
50 „ich wil des (lebens wesen fro).
Habt eil pfenninge und (daz prot)
und lat mich sunder (alle not).
Von eu gen ich, als ich (her cham).“
do sprachen iene (leut alsam):
55 „Nein ehnappe, du solt hie sein!
wir wellen (mer geniezen dein).
Sag an durch (deines leihes frumen),
wannen pist da her clinmen?
Du hast den schätz (den alden),
60 swa er auch ist behalden,
An einem horde funden.
sag ez an disen stunden.
Wir wellen dein geverten wesen
und anders mäht du niht genesen.
65 (c) (Wir) sagen ez so vil leuten,
daz du ez ie must bedeuten.
Wil du ez aber heimleich sagen,
so welle wir sein mit dir gedagen.
Tust du des niht, so pist du tot.“
70 Malchus wart von schäm rot,
Sein vorht also ser in pant,
172
Z i n g e r 1 e
daz er niht Widerrede vant,
Sünder er stnnt mul sweich,
wan im alle antwurte entscicli.
75 Nu gedahten iene gewaere,
daz er schuldich waere.
Ze seinem unheile
mit einem starchen seile
Punden si in als einen diep.
80 ez was im leit oder liep,
Si zugen in hin in der stat.
daz volch gemeinleich zu trat
Und horchte, waz da waere.
schier wart preit daz maere,
85 Da waer ein man gefunden,
der het schätz funden
Ein vil grozzen horden.
do in daz was chunt worden,
Si drungen zu gemeinlich.
90 der gut man sacli umme sich
Und warte seiner frunde;
er wolte mit urchunde
Sich unschuldich vor in geben,
in dauhte daz si sohlen leben,
95 Die sein mage hiezzen,
der wolde er gcniezzen.
(d) Swa er sacli her und hin,
do was nieman under in
Den er mohte erchennen,
100 noch pei namen nennen.
Des slunt er in der selben frist
sam ein tor, der stumme ist
Und enweiz, wie er gcparen sal.
si sprachen im zu über al
105 Und ieschen ot den reichen hört,
und er stunt vor in sunder wort;
Wan er niht antwurte vant
nach dem, als ez do was gewant.
Ditz maere also weit erschal,
Findlinge.
17a
110 Daz ez cliom auch auf den hof.
sant Martin der piscliof
Und ein herre Antipater,
peide neweleich waren her
In die stat Ephesum chomen
115 vernomen
. . . ienem scliulchnab.
vil diet santen si herab,
Daz man die pfenninge
mit dem iungelinge
120 in solden pringen. ditz geschach.
do auch Malchus ersach,
Daz man so ungefuchleich in
zoch mit der samenunge hin,
Do daht er: „nu ist mein leben
125 in meiner veiiule hant gegeben;
Wan si furent micli also
zu dem cheiser Decio.“
E 1 . (Eufrosina.) i)
(a) Daz sein gewonheit schawen lie.
des ersten er ze der chirchen gie,
Got sprechen sein gepet.
al die weile er daz tet,
5 Do erlnip sich Eufrosina,
si giench in gotes geleitte da
Und ehom zu dem chloster dort,
von dem ir habt hie vor gehört,
Den ir vater was so heimlich.
10 si het also verstellet sich,
Daz nieman für ein weih es nam.
si gruzte halt, swer ir becham.
Newer ahtzehen iar alt
was si und wol gestalt,
i ) Verg-1. Tittmann Denkmäler S. 37—40. — Roth Denkmäler S. 50 — 55. — Ros
weid S. 387 IT.
174 Zingel- le
IS Daz wol liet guten flieh,
ir chleider, die si an truch,
Machten si dem wol geleich,
als ez ein iungelinch vil reich
Zu der werlde waere,
20 tewer und maere
Und auch gar ein liofman.
dein was si gar geleieh getan.
Si clilopfte freileich an das tor
und sprach: „hie ist einer vor,
23 der den abte gesprochen wolde.“
Der abte tet, als er solde;
Durch guten wan heraus (er) giench,
vil liepleich er si enpfiench.
Eufrosina mit dem g-ruzze
30 viel im alda ze fuzze
Und pat von im seinen segen.
der abte, der erwelte gotes degen,
(b) Uab ir seinen segen in got.
im behagte wol der pot.
35 Wan er was gutleieh getan,
er sacb in liepleich an
Und sprach: „lieber sun,
du solt mir chunt tun,
Waz dich habe da her prallt.
40 wes ist dir mit der chunft gedaht?
Des berihte mich.“ do sprach iesa
wider in Eufrosina:
„Herre, ich pin von liofe chomen,
dem ich durch got mich hanbenomen,
45 Also daz ich nilit wider wil.
gemaches het ich barte vil.
Solch als die werlt hat.
ein teil mir al ze nahen gat,
Daz ez die sei nilit ernert,
50 swer fleischleich sein leben zert.
Vil lange hat das herze mein
begert, ob es molite sein,
Findlinge.
Daz ich ein muiich waere.
nu han ich ganze maere
55 Gehört mit warheit eben
von disem seihen leben,
Daz in ewerem chloster sei,
daz ich eu gern wonte pei,
Wolde ez ot en vvol behagen.
60 ich wil eu des die warheit sagen,
Daz ich han reichtumes vil.
ist, daz mir got hie geben wil
ze beleihen einen staeten mut,
ich wil her schaffen michel gut.“
65 (c) Do sprach der abte der reine (man)
„got hat wol zu dir getan,
Daz er dich her gesant hat.
daz chloster alhie vor dir stat.
Ob ez dir wol gevellet,
70 so beleih zu uns gesellet.
Sag an, wie pist du genant?“
Eufrosina sprach ze haut:
„Mein nam der ist Smaragdus.“
der abte enpfiench in alsus
75 . . prüder und sprach zu im:
„höre mich, prüder, und vernim
Du pist iuncli, daz sihe ich wol,
einen meister ich dir geben sol,
der dein mach in chloster pflegen
80 und dich leren allewege
des Ordens gewonheit.“
Smaragdus sprach: „ich pin bereit
(ze tun), swaz du wilt von mir.“
(Die) pfenninge waren noch pei ir.
85 (die) gab si dem abte,
(nilit) eigens si behabte.
(do) hiez der abte zu im gan
(ein)en prüder, einen reinen man,
(den) er saelich weste.
90 (er) dauhte in der peste
176
Z i n g e r 1 e
(zu) dem amte, wan er was
den andern als ein Spiegelglas
(an z)uht und an reinicheit,
(an) gedult und an Weisheit.
95 (niht) man ze straffen an im vant.
er was Agapitus genant.
(d) Zu dem sprach der ahte sus :
„prüder, hie ist Smaragdus,
Ein iunger prüder, des pit ich,
100 das du des uuderwindcst dich,
Er sei dein sun in deiner zullt,
mere an im der tugende fruht
Und lere in der regeln sit.“
do viel Smaragdus damit
105 Vor dem abte auf deu chnie.
der sprach ob im den segen hie
Und munehet in . ditz geschach,
„amen“ die samenunge sprach.
Der maister do den iunger nam
110 an sich, wan er gehorsam
Je vil gern wolte wesen,
er begunde im vor lesen,
In sein zelle furte er in.
got gab im so reichen sin
115 Und alsolhe Weisheit,
daz er die gewonheit
Das ordens drate larte,
swa er den sin dran charte.
Nu was der alte Sathanas
120 unsaelich, als er ie was
Und immer auch wesen sol,
wan er ist aller schänden vol.
Sein untugent er übte
alda und betrübte
125 Der prüder herze genuch
von der schone, die da truch
Smaragdus, der gotes heit,
sein antlutze auzerwelt
Findlinge.
177
F 1 . (Eufrosina.)
(a) An der beger si waren,
daz got wolde offenbaren,
Wa Enfrosina waere.
got, der vil gewaere,
5 Der weise und der gute,
liez der iunchfrawen hüte
Harte heimleichen ligen.
si beleih von im wol verswigen,
Swie da manich guter man
10 got rief auz reinem herzen an,
Daz er si offenbarte,
so tet got, als in larte
Sein weiser gutleicber rat,
der solch dinch ze dem pesten lat
IS In sein lop . . vollen varn.
der prüder wille wolde er sparn,
Daz er doch vil selten lie.
swes si davor beten ie
Also fleizzich begert,
20 des bet er seiner si gewert.
Des waren si von im gewon
alle zeit und da von
Nam si michel wunder,
waz da waer chornen linder,
2S Daz in in solher arbeit
von got ir wille was verseit.
Smaragdus dort, da er was,
sein gepet ze got auch las
den abent und den morgen,
30 daz er in da verporgen
Liezze in dem gemache,
er weste w r ol die sache,
(b) Wie daz gepet nach im was,
daz der convente ze got las.
3S Ein teil vorhte er die gute r(ot),
doch liez er gar sein dinch ze (got),
tzb. d. phil.-hist. Ol. LXIV. ßd. 1. Hfl. 12
8
Z i i)
erl e
Der ez auch wol volante
und ze dem pesten wante.
Do der abte der gute
40 mit reinichleiehem mute
Innichleichen sein gepet
mit den prüdem g'etel,
Und daz ehunt in allen wart,
daz ir wille beleih verspart,
45 Der abte sich ez wol verstunt,
als ie die saeligen tunt,
Doz got der allerpeste
ettewaz dran weste
Seines lobes, durch daz er
50 nicht erhörte die beger,
Die nach der iunchfrawen . .
Pafuncium mit tröste er p . . ,
Daz er durch got wolde lau
ein teil sein ungemach zerg(an.)
55 „Sun“, sprach er, „durch got laz(ab),
ob got seinen willen hab
Mit dir auf der erden,
daz so! dir nutze werden.
Swen unser herre minnen wil,
60 dem gibt er chestigunge vil.
Wizze, daz dein toliter hat
gehabt einen weisen rat.
Si hat erehorn daz peste.
dein herze daz sei veste.
65 (c) .... got ist mit ir.
. . des niht, gelaube mir,
. so manich reiner man
(sei)n gepet hat getan.
* . . vus über ein gewert.
70 . ez in der rede wert.
. . dein herze merchen sol,
. . . ist, da ist si wol,
si lebe mit reinicheit.
(d)ie gotes milticheit
Findlinge.
179
7a . . also wol erchant
. . dein tohter geschaut
. . untugent gevallen
. . bet uns allen
. . holn daz von ir
80 . . uns ie geweiset, da/, wir
. . heten si gelost,
hau ich des vil guten trost
. . suzzen Jesum Christ.
. . in deines lebens frist
85 . . mit äugen lazze sehen.“
(di)e rede was geschehen.
. . o sein slaherze entlach
. . im des iamers, des er pflach.
. . st ein wenieh ab nam,
90 . . heim ze hause er cham,
(a)linusen und gepet
. . got mit gutem willen tet.
. . chom er ol’te
. . chloster, wan er hofte,
95 (dnr)ch die guttaete
. . aniger da bete,
(d) Got noch von sorgen loste
und mit genaden tröste.
Kines tages ez geschach,
100 daz Pafuncium sein ungemach
Vaste begunde ruren;
sein herze wart sich furen
In iamer nach der tohter ho.
zu dem chloster chom er do,
105 Wan im daz herze in leide wiel,
weinende er für den abte viel.
Er sprach: „mir ist nu wirs danne e,
ich mach geleben nim(mer) me.
Wan mich daz iamer twinget
1 10 und nach Eufrosinen ringet.“
der abte sprach: „mein lieber sun,
du ensolt also niht tun,
12
. ä*ö^s?s : am
180 Zi»ferle
(Jb dich got wil versuchen.“
der abte begunde suchen
11S Manigen wech, da mit er in
cheren wolde an guten sin
Und an got vesten.
doch sprach er ze dem testen
Auf pezzerunge zu im sus:
120 „ein prüder heizzet Smaragdus,
Der ist hie durch der sele fr innen
von eines herren hofe chomen
Und sitzet in einer zelten dort,
er hat vil geistleiehe wort
125 Und darzu auch daz leben.
got hat genade im vil gegeben,
Die er dran gewinnet,
wan er in ganzleich minnet.
E a . (Eufrosina,)
(a) . . . clian iht sprechen
der macti leibte underpreehen
Dein leit mit tröste“, do sprach er:
„meins betrübten herzen ger
5 Twinget mich, daz ich enruhte,
wa ieli nn trost sollte.
Ich wil gern zu im gan
und auch sein lere empfan.“
Do rief der abte Agapitum
10 und hiez in furen Pafuneium
ln seines iungern gemach,
daz zehant auch geschach.
Eufrosina den reine,
bewart von allem meine,
15 Daz man sich muz vor got schämen,
die nu het mannes namen,
Des si niht bevilte,
durch daz si sich entwilte
Von irdischer unru,
20 do ir vater chom hin zu,
Findling;«.
181
Si beehante in harte wol.
der äugen wurden ir peide vol
Von des iamers überflute,
wan die reine, gute
25 Uber in sich erparmte,
ir her/.e gen im erwärmte;
Da* schein wol an den traenen.
Pafuncius wolde waenen,
Als im veriacli da* herze,
30 da* an ir der sinerze
Waere von gewonheit,
die si het an innicheit.
(b) Er beehante ir da niht,
wan si im was in der gescliiht,
35 Swie si mohte, entrücket,
si het ir gugel ge/ucket
Für die äugen vaste
vor dem fremden gaste.
Auch was si anders nu gevar,
40 entvaerbet was ir gelbe* liar.
Di vaste het si verstalt,
ir herte leben manichvalt
Het si gemachet hager,
si was dürre und mager
45 Und, wan si selten vollen slief,
do stunden im die äugen tief.
Ir roten wange waren pleich,
alle ir chraft was worden weich,
Die si ze der werkle solde haben. .
50 ir gehudge in got was begraben,
Wcrltleicher freude was si frei,
do ir gesaz ir vater pei,
Pafuncius der gute man,
% sein leit er chlagen ir began,
55 Wie er waere überladen
mit einem al ze grozzem schaden
An seiner tohter Verlust,
wie daz leit auz seiner prust
182
Z i n g e r I e
Im nilit. wolde entraumen,
60 durch daz muste er versäumen
Manige freude und ir entwcsen.
■sus begunde er ir vor lesen
Sein leit mit chlagendem mute,
do Eufrosina den gute
66 (e) Seines leides vil entsup,
an dem pesten si an hup
Und begunde irem vater sagen
von den freudenreichen tagen,
Die got vil ze himel geben,
70 und wie man sol daz selbe leben
Mit gepet. und mit innieheit,
mit demut und mit clieuscheit,
Mit gedult, mit becbantnusse,
mit der werlt versmaebnusse,
76 mit guten verdien chaufl'en,
und wie man sich entlauffen
Sol von werltleieber hab;
wie man durch got sich sol tun ab
Der mage und der frunde
80 durch Christes urchunde,
Wie der vater sol verlan
und nilit ze sere liep hau
Weder tohter noch den sun.
die chint alsam auch suln tun
86 Peide vater und muter lazzen varn,
auf daz si got sich bewarn
Und mit genaden sein gefult.
si lobte auch sere die gedult.
Wie rehte nutze und gut
00 da waere, wa ein reiner mut
Mit willen vil vertrüge,
Swenne got den menschen sluge
Mit iamers überlaste;
stunt er denne vaste,
06 Daz waere got genaeme,
den menschen gar gezaeme.
Kindl ng-e.
183
(d) Eufrosina deu gute
he( ir grozze hüte,
Daz er si ilit erchante,
1 00 und ir gemach erwatite.
Ir was liep und lcit
7,e seiner gegenwurticheit.
Die leide an ir worhte,
wan si des meldens vorhte.
I OS So was ir liebe zu im groz,
die sich von nature goz
In tugentleieher gute,
si merchte an seinem gemfite,
Daz'er was nach ir verquoln.
1 10 des muste si im mit doln
An ir herzen vil starch,
daz si doch grozleich vor im parch.
Si het gern in gelrost
und von dem trauren gelost,
I IS Daz si so ehreftich an im sach.
„vil'guter man“, zu im si'sprach,
„Du solt daz trauren lazzen sein,
daz du hast umme die tohter dein.
Du pist betrübet al ze vil,
1 20 gelaube daz ich. dir sagen wil
Mit rehten trewen sunder spot,
daz der tugentreiche got
So gut ist, als im wol gesimt,
daz er dein gepet vernimt
12S Und dir ez ze gute wendet,
daz er ez niht endet,
Als du wilt, nach dem willen dein,
daz la zu den holden sein.“
E*. ')
(a) „So solt du da pei mir beleihen,
die andern auztreiben,
Daz ich nach der gewonheit
in Roths Denkmälern S. Öi».
184
Z i n g e r I e
gewaschen werde und angeleit
5 Vater, von dir einen
und anders iner deheinen.
Ich han mich auch überwunden
in den ersten stunden,
Do ich mich wolde her begehen.
10 ich sprach: „geliebet mir ditz leben.
Ich han noch erbes harte vil,
daz ich alher schaffen wil.
Nu wil ich werden hie begraben,
mein wort solt du staete haben,
15 Wan ditz ein ersam chloster ist.
pit für mich unsern herren Christ
Und tu mit mir, als du nu weist.“
damit gab si auf den geist.
Do si daz vollensprach,
20 und Pafuncius sach,
Wie si gelacli darunder,
daz ubergrozze wunder
Und auch die herte leide,
(die)worhten an in peide,
25 Daz er unmaehtich nider viel,
sein herz in sollier swaere wiel,
Als einem, der sterben wil.
Agapitus chom in dem zil,
Der des siechen solde pflegen.
30 do der gesach, wie si gelegen
Heide waren, der eine tot,
und der ander in grozzer not,
Wazzer er vil palde nam,
(b) ze Pafuncio er cham,
35 Under äugen er in goz.
sein unmacht was gewesen groz.
Er rillte in, daz er gesaz
und versan ein wenicli paz.
Agapitus do zu im sprach:
40 „Pafuncius, welch ungemach
Hat so sere erschrecket dich?“
Findlinge.
„neina lierre, lat ot mich“,
Sprach er, „alhie sterben nu;
wan ich lian gesehen iet/.u
4S Und vernomen hie nnder
ein wunderleichez wunder.“
Niht sich enthalten mohter,
er eheste sein tohter.
Weinende er laute schre:
SO „we mir, tohter mein, awe!
Awe Eufrosine,
vil liebe tohter meine!
Mein edelez chint, mein süzze fruht:
warumme liezze niht dein hohe zuht
SS Dich mir nicht offenbaren
vor etteleichen iaren?
So waer ich alhie mit dir beliben.
und o wie hast du vertriben
So heimleich hie die zeit
60 und hast überwunden wol den streit
Gen aller posen geiste schar
und pist nu lautier und chlar
ln des liimels freude cliomen!“
do Agapitus vernomen
6S Ditz bet, wie ez zugieneh,
(c) vil groz wunder in beviench.
Drate er zu dem abte lief,
an ditz wunder er in berief
Und sagt im, wie ez was gewant,
70 wie ez sieb het dort volant.
Zehant stunt auf der aide,
er lief so hin palde,
Des do chlein in verdroz,
sein freuden weinen was vil groz.
7S Do er chom, da si lach,
vil grozzes iamers er do ptlach.
Weinende schrei er uberlaut:
„Eufrosina, gotes praut,
Dich hat gemaehelt Jesus Christ,
186
Z i n g e r I e
80 der heiligen tohter du nu pist
Und ir ewich gesellin.
nu soll du für die prüder din,
Die du hie hast gelazzen, piten
alle zeit mit guten siten,
83. Den sick erstriten und daz wir
noch in die freude chomen zu dir,
Daz wir mit aller heiligen schar
an lobe gotes nemen war.“
Die prüder zu lieflen,
90 zesarnmen si sieh rieffen,
Daz si sich gemeinleich entsamt
peide ir reht und ir ampt.
Begiengen an dem leichnamen;
si lobten alle gotes namen,
93 Do si vernamen daz wunder,
nu was ein prüder drunder,
Der newer ein äuge hei.
(d) der giench zu nach seinem gepet,
Den toten er weinende chusle,
1 00 des in vil sere luste
Durch di grozzen heilicheit
da weiset gotes milticlieit,
Wie genaem im was die cheuscheit,
die an den leip was geleit,
i 03 Der prüder het in der stunt
zwei äugen lieht und gesunt.
Do hup sich von in allen
in gotes lobe ein schallen
Si lohten den suzzen Christ,
1 10 der aller tugende herre ist,
Der an mannen und an weihen,
an seien und an leiben,
Seiner tugende so vil begat,
daz er des pilleich ere hat.
113 Die prüder waren also fro,
furwart von der zeit also
Pezzerten si sich sere.
Findlinge.
mit micheler ere
Bestatten si ze der erde
120 die reine, gotes werde.
Pafuncius der gute
mit willigem mute
Erfullete, swaz sein toliter sprach,
sein gut man in zeteilen sach
4 25 Ze chirchen, chlostern her und dar.
er gab auch reileich al furwar
In daz chloster seinen hört,
daran hielt er der toliter wort,
Sicli selben er auch dar in gab.
(Eufrosina)
(a) und tet sich der werkle ab.
Er wonte in der chlause,
da sein toliter ze hause
Was gewesen so lange.
5 er hielt sicli mit getwange
Da zehen iar an gotes gepot.
sein guter wille im in got
Ein ewich leben dort erwarp.
nach den zehen iaren er starp,
10 Den gotes Ion sein sei enpfiench.
der abte vil froleicli begiench
Mit den prudern allen sampt,
als gewonleich was. daz ampt.
Den leichnam si auf buhen,
15 si trugen in und begruben
Pei der guten Eufrosinen.
der abte mit den sinen
Gaentzleich ze rate wart,
daz man ir peider hinvart
20 Ze virene in dem chloster pfleit,
swenne ir iarzeit geleit.
Gelobt sei der suzze got,
der seiner tilgende gepot
Nach unser saelde Iwinget,
188
Z i n g e r 1 e
25 so daz er immer ringet
Mit genaden, wie er uns
an die minne seines suns
Gehelfe nach dem lobe sein,
durch daz laet got der herre mein
30 Groz wunder geworden
an leuten auf der erden.
(c) Als wir dicke hau entsaben,
er wolde uns gern pei im haben,
Wan er ist unser prüder.
33 er wirfet uns manich luder
Durch seine suzze minne,
daz wir behaften drinne.
Er wirfet uns die cheuschen vor,
die er getragen hat. enpor
40 In alter und in iugende
an cheuschleicher tugende,
Und wil, daz wir im volgen.
sei wir im des erpolgen,
Daz wir die weizzen cheuschen wat
43 besuln mit sunden unflat
Durch des leiden tiefeis spot,
so twinget aber den suzzen got
Nach uns sein alte trewe,
die im ist immer newe
50 Gen uns, wan er ist milde,
ein ander luder ein pilde
Wirfet er uns in der mazze
auf seiner tilgende strazze,
Daran wir merchen suln, wie er
55 manigen grozzen sunder
Auz der taufte hat gezogen
und mit genaden sein gepflogen,
Bewart an allen schimel,
Da mit er chom ze himmel,
60 Der in muge beswaeren.
ze trost uns sundaeren
Durch got ein maere ich schreibe,
Findlinge.
189
(c) wie got an einem weihe
Seiner tilgende vil begieneh
6!> und iren val under viench,
In dem si was geneiget.
also mir deu sehrift erzeiget,
Sus wil ich eu bedeuten,
auf daz vil chranchen leuten
70 Das herze .... lebe,
daz uns got . . . gehe
Unser sunde durch sein trewe,
ob si uns waerleich rewe.
Von p i s e h o f N o m i o i).
Anthiochia was ein stat,
78 Dar wart ein pischof gesät,
Den einer hande sach an trat,
durch die er chomen zu im pat
anderre piseholle also vil,
waz ir waere an dem zil.
80 . . et zu einander chomen,
rehte als ich han vernomen,
. . der . . einer
ein heiliger und ein reiner,
des herze untugent ie verstiez,
85 pisehof Nomius der liiez.
er was durch seinen rehten mut,
durch Weisheit und durch demnt
(au)z einem chloster genomen
und an ein pistum bechoinen,
00 (des) er wol mit got pflaeh.
. . zu samen sich einen tach
. . durch rat, durch pezzerunge
. . der pischofe samenunge.
(d) Si chomen vil gemeinlich
95 fur ein munster, da si salzten sich.
Des munsters wirt was genant
') Rosweid S. 4011.
190
Z i n g e r I e
Julianus marter . . beehant.
Die pischof clo mit guten siten
begunden pischof Nomium piten,
100 daz er von got in sagte,
swaz so im behagte,
Daz ir saelde mobte meren.
do wart der pischof leren
Zehant, waz er trawete,
tOS Daz si ze got pawete.
Daz chunde er von genaden wol,
wan ez was sein herze vol.
Daz chom da von allermeist,
wan der heilige geist
HO ln im geherwerget was.
innen des, do der pischof las
Gen in dise lere
und man mit grozzer ere
Seinen Worten da gehorchte,
1 1S Daz got wol an im worhte,
Wan man in gern vernam:
do sahen si, wie dort her chani
Zogende für si ein pose weip,
der wol gezieret was ir leip
120 Von edelme gesteine
lautter und reine,
Von silber und von gokle,
waz man des haben sohle
An chleidern und an leibe,
12S der was an dem weihe.
fis.
(a) Ir muter si do rief,
die pei ir lach und slief.
Si sprach: „vil liebe muter mein,
.... für mich den herren mein,
S mein tiefel her was chomen
und wolde mich aber hau genomen
In seinen dienst alsam e.“
Findlinge.
si sprach: „furlrte dich nilit me.
Er mach dich furbaz nilit getun,
10 . . ot liep den gotes snn.
Fel agia, da von wir sagen,
die hat in vil manigen lagen
Reichtums gesamet genuch,
den man für pischof Nomium truch.
13 Pelagia tet sich sein gar ah,
in seine hende si ez gab
Ze tunne, wie in dauhte gut.
der pischof het weisen mut
Und sprach: „swaz mit posheit
20 zesamen an schätze ist geleit,
Daz sol man zeteilen so,
daz sein die armen werden fro,
daz der het mich wol wisen reht.“
sus schuf der wäre gotes chnecht,
23 daz man daz gut zeleilte gar
do allenthalben her und dar
Witben [?), weisen, chranchen,
die sein got solden daneben.
An dem sunnetage darna,
30 do die reine Pelagia
Solde nach der gewonheit
von ir tragen ir tauifechleit
(b) Und weizze chleider ziehen an sich,
in der naht vil haimlieh
33 Stunt auf Pelagia und entran.
ir taulfeehleit, die si het an,
Aida selbes si beleihen liez,
in einen rock si sich stiez.
Darüber tet daz reine weip
40 einen chotzen an iren leip
Und wart alda nilit mer gesehen,
do dise floht was geschehen
Und si die abtessinne vernam,
ir herze des vil sere ercliam.
43 Si (lallte, daz die selbe fluht
192
Z i n g e r 1 e
von des tiefeis nnzuht
Alsns zu waere chomen
und daz er aber si genomen
Mete hin in Sunden pant.
50 daz wart dem pischof erchant,
Wie si weinte dise not.
seinen trost er ir pot.
Und sprach: „vil liehe tohter mein,
du soll des niht betrübet sein,
55 Sünder frewe dich mit den engein gotes.
din tohter wartet gotes gepotes.
Als Maria Magdalena,
also hat auch Pelagia
An got erchorn daz peste.“
60 . . aren auch die geste
. . hofe alle sider
. . er ze hause wider.
. . h der Zeit über dreu iar,
do si verendet waren gar,
65 (c) Jacob, den ich genennet han,
des guten pisehofes chappelan,
In einem gelubde sich verpant,
daz er wolde in daz heilige lant
zu dem gotes grabe chomen
70 durch ablaz und durch der sele fromen.
Zu pischof Nomio er cham,
Der vart er von im urlaup nam,
Ze wandern an daz heilige grap.
der pischof im sein urlaup gap.
75 Daz lerte in sein reiner sin.
auch sprach er: „swenne du chumest hin
Und deine vart volleistes
mit helfe des heiligen geistes,
So nim war, wie dir werde erchant
80 ein munich Pelagius genant.
Der hat vil lange heimote
gehabet in der einote.
Der ist niunch ganz und reht
Findlinge.
193
und ein waren gotes chneht- “
85 Daz was den gute Pelagia.
doch sagte er im niht alda.
Piz ez seit dort wart volant
und oflenleich sich tet erchant.
Sus chorn Jacob., der gute man,
90 dar sein gelubde was getan,
Ze Jerusalem an daz grap,
Sein opfer er da froleich gap,
Als ein gut pilgereim noch mach,
do es chom an den andern tach,
95 Seines herren er gedahte.
ze suchen er do galite
(d) Den guten man Pelagium;
hin und her fragte er darum.
Ze iungest wart er im erchant
100 auf dem perge, Olivet genant,
Da auch vor seiner marter frist
sein gepet sprach unser herre Christ,
Do was der munch gehauset,
bevestent und bechlauset.
105 An seiner zellen was chein tur,
ein chleine venster giench her für.
Dadurch er sein notdurfit nam.
do Jacob an daz venster cham
Und pozzet, ez wart im auf getan.
110 mit dem, und iener disen man
Gesach, do was er im erchant.
der wirt verpareh sich zehant,
Daz er in iht bechante an der gesiht.
Der gast erchante des wirtes niht,
115 Im waren sein äugen hol,
die wange, die e stunden wol,
Die waren nu gesunchen.
ungezzen und ungetrunchen
lief er gepeiniget sich genuch,
120 Mit chestigunge er den leip slncli.
Sein rotez antlutz was nu pleich,
Silzh. (1. pbil.-hist. Cl. LXIV. Rd. I. Hft. 13
194
Z i n g e r I e
sein cliraft in unmaht im entweich,
Sein gepein mohte man han gezelt.
sns liet er seinen leip gequelt,
125 . . er im state was bereit
. . gotleicher arbeit.
. o hie/, der gast des wirtes segen.
der pat got sein mit saelden pflegen.
(a) als dem gute weisen
An weihen und an mannen,
swer ez vernam von dannen,
Der lohte fleizzich Jesum Christ,
5 der solher tugent ein meister ist.
Piscliof Nomius der gute
lebt auch mit demute
Unsers lierren gewalt
an seiner tilgende manichvalt.
10 Ditz maere schreip durch gotes lop
der seihe dyaken Jacob,
Der da horte und sacli
begin und ende, wie ez geschach.
Er schreib ez durch pezzerunge.
IS sus hat ez auch mein zunge
Getihtet und ausgeleit
in deutsch durch zwo weis(heit).
Die erste ist, ob wir han
sunden also vil getan,
20 Daz ir uns dunehet ze vil
und wir niht trawen an daz zil
Ze pezzern und ze puzzen,
als wir von rehte muzzen,
So sul wir gaenzleich cheren
25 an got, in damit eren,
Daz wir im wol getrawen,
mit gutem willen pawen
Auf sein parmherziclieit,
die er nieman vcrseit.
Findlinge.
195
30 Der alsolhen willen hat,
da/, er vor ainer unflat
Mit willen welle sich bewarn,
(b) der sol an saelden wol (varn),
Het er auch hundert iar gelebt
35 in grozzen sunden hin gestrebt,
Und daz er solde leben noch,
einhalb iar und minner doch
Mit fride in gutem willen gar,
daz machet in lautter und clilar
40 Und vor got reine.
die ander Sache ich meine
Auf daz snelle urteil,
des mailich herze ist ze geil
Und sich vergreilfet ze drate.
45 ist ein mensch mit untate
Und mit Untugenden behaft,
dem sul wir die gotes cliraft
. . uns niht verteilen,
noch ze Verlust urteilen.
50 Ez ist ein sunderlich gepot,
daz pei namen hat geheizzen . .
Ez sprichet: „ober nieman
sol deines herzen urteil gan.
Gotes gerillte die sint wunderlich.“
55 maniger hat behalten sich
Reine mere, denne zweinzich . . .
unde e des ieman wirt gew . .
So vellet er in der sunden m . .
in der selben form auch ist
60 Pei weilen ein mensch in sund.
dem got gibet einen genaden . .
Daz er ze genaden cheret
und gotes willen leret.
Des sul wir lazzen beleihen
(c) 65 weiben
. . urteil, piz daz wir besehen,
. . got des siges welle iehen.
13
196
Z i ci g- e r I e
70
75
80
85
V
90
95
Cd)
100
. . sein urteile
. . naelisten unheile
. . nt ein mensch dicke
. n der sundcn stricke
. . . lazzet vallen
. . sein unrehtez sehallen
. . et got alz im selber in
. er ez urtäil einem andern hin.
. . ch selbe urteilen wil
. . winnet ze tun so vil
. die andern beieiben lat
. mit im selber umme g'at
. für die guten piten,
. got von reinen siten
. . lazzen wanchen.
. . wir für die ehranchen
. . im st . . . sein gepot.
. . des helfe uns allen got!
o n Ab r a harn dem v a t e r.
höret ein wunderleicb dinch,
wie ein reicher iungelinch
. . lt und den hohemut
. . freunt, ere und gut
. gotes lie . . . verstiez
. . ndeleich er in (?) abeliez
. . manleicher tugent
. . auz ellenthafter iugent
. . es genaden sich auf prach
an in auf gewahsen sach
Wie der vater pei seinen tagen,
daz wil ich eu ze deute sagen, •
Daz mir schamleich doch ist,
swenne ich von im mangen list
An tugentleiehen dingen sagen
und ir chleine an mir tragen
Sünder also hin sliffe,
durch nutz ich ez an griffe,
Findlinge.
197
Waz ob ez leibte nutze wirt
10S an andern, den ez Wucher pirt.
Des wil ich von im chunden,
wie er vaht gen sunden
Und gewan die minue
darnach er die sinne
110 . . . trewcn wante.
(Abraha)m man in nante
. . en von dem degen
. . er mit gotes segen
von seiner chindes iugent
11S . eine an cheuschleicher tugent,
An weishait sunder unzuht.
er was reicher leute frulit,
Die man ze der werlde nante reich,
si waren den ersamen geleich,
120 Den ir preis, ir gut, ir leben
mit eren mohte sten beneben.
Als der vater gesach,
wie sein chint für prach
An zulit in seiner iugent,
12S er freute sieh der tugent
An dem schonen leibe,
zehant nach einem weibe
(a) . der versmaehe niht
. . haben mit der pfliht
. . in tugentleiclier zulit
und dort pei dir an saelden frulit.
S Suzzer vater, herre got,
dureli deiner minne gepot
Hilf mir und lere mich,
wie ich si geziehe an dich,
Daz in dein minnechleicl.er nam
10 der saeldenreiche, lobesam
*) Hcmveiii S. 149.
198
Z i n g e r 1 e
Mit saelden (?) werde noch erchant“
als sein gepet was volant
Do liez er hin (?) chimden
seinen reichen freunden,
iS Er waer solhes mutes,
daz er nn dorfte gutes
Durch die gotes ere.
hie mit so pat er sere,
Daz si durch freuntleichez heil
20 im santen (?) Schatzes her ein teil.
Ditz geschach, das gut im cliarn.
do liez der gute Abraham
Mitten in (?) der beiden rot
ein chapellen pawen got,
25 Die er mit fleizze zierte
und erleich (?) ordinierte,
Rehte als ein gotes praut.
do der saeldenreiche traut
Sein werch vollenpraht,
30 als er sein e gedahte,
Des nam die heiden wunder
. . . . und besunder,
(b) Waz er damit meinte.
Abraham sich vereinte
35 In sein chapelle aleine.
der tugenthafte reine
Viel auf seine paren elrnie.
do er die weihunge begie
Und das haus weihen solde,
40 der edel gotes holde
Enweste im anders, wie tun.
er sprach: „herre, gotes sun,
Ditz haus opfere ich dir
mit deines grozzen lobes gir,
45 Nach deines willen gepot,
vater, almaehtiger got,
Der an rehter demute
mit deines chindes plute
Findlinge.
199
Gewaschen al die werlt hast
50 und si gern zu dir erpfahest,
Ob si wil zu dir chomen,
daz ist nieman auz genomen.
Nu la, herre, vliezzen
dein tugent und der geniezzen,
D ich mich
55 underwunden han durch dich.
Hilf mir getrewer herre got,
daz ich des leiden tiefeis spot
Hie an in gestille.
Christ herre, seit dein wille
60 Ist aller leute saelicheit,
als sant, Paulus hat geseit,
So pit ich, daz du dirre stift
gebest des heiligen geistes gift,
(c) Mit dem ditz volch an freuden groz
65 vereinet in der ecclesien schoz
Werde nach der sele frumen,
und daz in werde gar henomen
Ir pethaus, ir apgot,
die si nach des tiefeis spot
70 Erent al ze vaste.
mit deines lichtes glaste
Erleuchte ir herze, herre mein,
daz si den suzzen namen dein
Eren und bechennen
75 und dich ze gote nennen.“
Als ditz gepet was getan,
do giench der reine gotes man
In unsers lieben herren namen
an vorhte sunder schämen,
80 Wan er was mutes veste,
so hin, da er weste
Ir pethaus, er giench dar in
und liez ein pilde nindert sin,
Er enwurfe ez peide hin und dar,
85 . - igleichez zesluch er gar.
200
Z i n g e r 1 e
Des befunden warten
der beiden ewarten
Und funden in dar an.
do berief sicli manicli man
90 Und lieffen zu an ir roten,
die schände der apgoten
Rachen si ze vaste
an dem fremden gaste.
Mit steinen und mit cheulen
95 singen si im vil peulen
(d) Und also iagten si in
von der gemeine verre hin
Mit alsolhen fugen,
daz si in niht tot singen;
100 Daz got also wolde.
do lach der gotes holde
Mit harte grozzer unmaht
piz hin gen der mitternaht.
Als er ein teil mäht entsup,
105 vil palile er sich auf hup
Und giench vil snelle
wider in die zelle.
Da vant man in des morgens wesen
und sein gepet ze gote lesen
110 Mit . . gern herzen,
seiner siege smerzen
Chlaget er niht sere.
er weinte umme die ere,
Die daz voleli den goten gap
115 von des tiefeis urliap,
Der ez der torohten diet
im ze einem schimpfe riet.
Als sie des morgens cliamen
und die warheit vernamen,
120 Daz er was hie und er,
des nam si michel wunder,
Und liezzen ez also bestan.
si cliomen dicke da hin gegan
Findlinge.
201
Zu im dar in durch anders niht,
125 wann durch des Wunders geschiht.
Daz ampt mit grozzer zierheit
an die capeile was geleit.
!‘-0
(a) „Und du pist sein unbereit,
dein herze ein gewizzen treit,
Die dich nu starche rüget,
zwar daz missefuget,
5 Ez mach dir auch vil wol schaden,
du pist mit ir also überladen,
Daz si dich auch dort rügen wil
vor got an dem lesten zil,
Da daz gerillte wirt vil scharf.“
10 der sieche die äugen auf warf
Und sprach: „ey herre, vater mein,
tu an mir dein trewe schein!
Pit unsern lieben berren Christ,
daz er mir verleihe frist
IS Noch ein weile furbaz,
piz ich gen im seinen haz
Mit puzze undervahe,
und seiner genaden nahe“.
Do sprach der alte: „ey lieber sun,
20 nu wil du gern wol tun,
Seit du den tot vor dir sehest
und darauf seiner stozze enpfehest,
Daz du chumest zu der asclien.
nu woldest du dich waschen
25 Von der sunden unflat,
die dein gewizzen pei dir hat.
Wa ist dein zeit hin vervarn?
durch waz woldest du ez sparn
Ze heilen deine wunden.?
30 nu suchest du newe stunden,
Rosweid S. S04.
202
Z i n ? c r 1 e
Als die alten sein ein spot,
die dir e het verlihen got.“
(b) Do sprach zu im der sieche man:
„als vorre mir got immer gan,
35 So wil ich furhaz mich bewarn.
pit ot mir daz leben sparn.“
Der alte sprach: „got ist gut.
wil du mit rehter demut
. . rn im deine schult
40 . . ich daz dich sein gedult
. . an disem leben
. . d wil du furhaz eben
andren an der tilgende frumen,
daz du werdest vollechumen,
45 Und volgest daran Christo na.“
„ia“, sprach iener „ia, herre, ia“.
Do spracli der alte sein gepet
ze got, und als er daz getet,
Den siechen tröste er also:
50 „du solt ze got wesen fro.
Dreu iar hat er dir gegeben,
die solt du wol gesunt leben.
Sich, wie si werden Yerant.“
den siechen nam er pei der hant
55 Und hob in auf in gotes namen.
do was im an dem leichnamen
Niht, wan als er hette
geslalFen in dem pette.
Er was gesunt, leiphaft,
60 und bet, als e. wol seine chraft.
Mucius do von danne schiet.
ienem do sein trewe riet,
Daz er den alten niht verlie,
mit im er ze hause gie.
(c) 65 . te sich mit aller zuht
. . hoher tngentleicher fruht.
Er liez niht beleihen underwegen,
swaz im solde saehle geben,
Findlinge.
203
Ez waere sawer oder areh,
70 widerspaenieh oder starcli.
Er was mit willen ie bereit
peide an suzzer arbeit
Und an innichleichem gepet,
daz er mit allem fleizze tet.
73 Nach den di ■ein iaren,
do si verendet, waren, *
Mucius, der gute man,
hiez einen prüder mit im gan,
Mit dem er an die stat cham,
80 da er in e sich auf nam.
Die prüder sammenten sich do
und waren seiner chunfte fro,
Und auch des geverten sein ;
wan er niht menschleichen schein
83 Truch an seinem leben,
er wanderte so eben,
Als ein engel tugende vol.
davon geviel er in wol.
Mucius, der reine man,
90 bub in suzze lere an,
Wie dem prüder was gegeben
durch pezzerunge ein newez leben,
Seit er doch sterben sohle,
der edel gotes holde
93 Sprach darauf von genaden tief.
iener prüder do entslief.
(d) In dem slaffe er auch starp.
sein rehtez leben im erwarp
Die himlischen ewicheit;
100 wan er verscbiet sunder leit.
Die prüder waren harte fro.
ir gepct si sprachen do
(Und) begruben disen man.
. . schiet auch Mucius von dan.
103 Der selbe gotes beit vil gut
. giench über Nilum die Hut
204
Z i n g; e r I e
. . auf seinen fuzzen,
da doch die andern muzzen
Sehif haben ze aller Stunt;
HO wan vil tief ist sein grünt.
Zeimal er in der celle was,
do chom zu im sathanas,
Der allen guten ist unholt.
( er weiset im silber und golt
115 Mit vil reicher werde
begraben in die erde.
Er sprach: „der grozze Pharao,
der chunich was ze Egypto,
Hat den schätz alda begraben.
120 ob du wilt, du mäht in haben.“
Do sprach der alte: „ich enruch,
habe dir schätz und fluch !
Var von mir, du arger wiht,
du schaffest mit dem gute niht.“
125 Ditz begiench der reine degen;
wan sein pflach der gotes scgen.
Anderre tugende er vil begie,
der ich niht hau genennet hie.
IV)
(a) Er wolde chauffen meinen schaden
und mit der speise mich überladen.
Do sprach er: „du valscher wiht
. . schaffest mir der speise niht,
5 . . ich niht hafte in deiner stift.
ez sprichet sus die reine Schrift,
Daz got selbe hat gegeben:
niht aleine stet des menschen leben
An irdischer speise,
10 . mit gotleiehem preise
stet ez an gotes Worten auch.
*) Rosweid S. 507. Weitere Bruchstücke dieser Legende in Rotlds Dichtungen des
deutschen Mittelalters S. 42.
Findlinge.
205
var hin von mir, du poser gauch.
Den worten gotes gelaube ich wol,
mit den er auch mich speisen sol,
15 Swie daz sein gute fugen wil.“
er seh'et ungezzen von dem zil.
Darnach in einer naht gesehach,
do er durch rumes gemach
In seinem slalfe was entlegen,
20 Got beruchte seinen degen.
Er sante im einem engel dar
schone und lieht gevar,
Den er in seinem träume sach.
der engel also zu im sprach:
25 „Du solt nu sonder zweifei wesen
und zu deiner speise lesen,
swaz du vinde f pei dir stan.
got der wil dein röche bau,
Daran du nicht zweifeln darf.“
30 auz dem slalfe Helenus warf
Die äugen und erwachte,
do er sich auf gemachte,
(b) Do stunt ez harte wol nmme in.
er sach da pei neben hin
35 Und gesacli ein solch hol,
daz im ze hause fugte wol
Ze beschirmen vor der sonnen,
einen lustsamen prunnen
sacli er da nahen pei stan.
40 so was darumme alle der plan
Gewahsen mit chraute wol.
Helenus hup sich in daz hol
Und was der herberge fro.
auf den plan giench er do
45 Und az umme sich daz chraut.
darnach tranch der gotes traut
Des wazzers, daz der prunne im par,
und sprach seit al furwar,
Do er zu andern prudern gie.
206
Z i u gerl e
SO daz er vor des males nie
Enbizze cheiner speise,
die mit suzzem preise
sicli geleich der speise wnge,
(die) sein plan im trüge.
SS (Er) da gute weile beleip.
Do zeinem mal in sein trewe auz treip,
Daz er zu den prudern vvolde gan,
die in der wüste auch beten stan
Ir wonunge und ir geniacb.
60 seiner frnhte er do pracli
Ein purde groz gennch,
die er mit im den prudern truch.
Do er was auf disem wege,
die sunne schein mit heizzer pflege
(c) 65 Auf in, so daz er mfule wart
und gesaz an der vart.
Do sach er in wilder art
durch den walt auf ir vart
Lauffen ein teil eilende,
70 die Helfen harte snellende
Uber den wech vor im da.
der gute man schrei im na:
„Ich gepeut eil in Jesu Christi namen,
daz ewer einz sich welle zamen
7S Und verla die wilden art
und mir helfe auf diser vart.“
Zehant chom dort einer her
vvol nach seines willen ger
Zam und mit senften siten.
80 sein gepot und sein piten
An dem tiere in nilit betroch,
seinen rukke ez vor im poch.
Er steicli darauf und gesaz,
vil schiere chom er furbaz,
85 Dar in truch seines willen sin,
und liez daz tier do lauft'cn hin.
Helenus, der gute man,
Findlinge.
207
chom eines sunnetages gan
Zn prudern, die da waren entsampt.
90 nu saeh er, wie da/, gotes ampt
sich auf zoch und niht geschach.
zu den prudern er do sprach:
„Saget mir durch gut die Sache,
durch waz der sunnetach swache,
95 Daz ir der messe niht hat
noch die hochzeit hegat
(d) Mit christenleichem schalle.“
die prüder sprachen alle:
„Der priester ist hie heime niht.
100 ez fugte sich im von geschiht,
Daz er ist über daz wazzer cliomen.
nu ist zu unserm unfrumen
Ein pose tier in der Hut.
daz vil grozzen schaden tut.
105 Ez heizzet ein Cocodrille;
vil arcli ist sein wille,
Swen ez begreifl'et, der ist tot.
durch der selben vorhte not
Getar der priester niht her wider,
110 daz in daz tier iht ziehe nider.“
Helenus sprach zu iii san:
„ist ez eil liep, ich pringe den man,
Ob er ot mir voigen wil,
daz wir in dises tages zil
115 Nach cliristenleichen dingen
die hochzeit volpringen.“
si sprachen alle: „ia, ia“.
do giench der gute man iesa
Zu dem wazzer, da ez vloz.
120 sein Hut was tief und groz.
Der prüder haus stunt da pei.
Helenus was des herzen frei,
Jesum Christum rief er an,
daz er im helfe wolde lau.
125 Got wolde im daz niht lenger sparu.
208
Z i n £ e r I e
der cocodrille cliom gevarn
Und warte, wie er funde
ettewaz, daz er verstünde.
K'. 0
(a) Mit helfe, als des not was.
do schuf der arge sathanas
Durch seinen veintleichen haz
an genügen leuten daz,
S Daz si sicli ergerten daran,
daz dirre sieche alte man
So lange auz dem chloster lach
und sein den iungfrawe pflach.
Sie sprachen : „swie ez dar umme sei,
10 in muz ie sunde wonen pei.“
Als ditz dem alten wart gesaget,
daz man der getrewen gotes maget
Alsus durch seinen willen sprach,
weinende er ze perge sach.
IS „Herre got“, sprach er do,
„seit du ez gefuget hast also,
Daz ich niht dienstes mag enbern,
so geruche mich gewern
An der innchfrawen gut,
20 den mit so grozzer demut,
Mir in dienst hat erpoten,
auf die der tiefel seinen chnoten
Gestricket an den leuten hat;
wan unschulde auf si gat
2S Ein so schaemleichez wort,
gib ir drumme, lierre, dort
Pei dir daz ewige Ion.
wan sich deines intindcs don
Selbe des überwunden hat
30 Den, der durch dich begat
A1 hie die parmhemcheit.
’) Roswcid S. .‘>38.
Findlinge.
Ü09
. . emleich an den, die von chrancheit
(b) In mögen niht gelielfen nie.
nn sich selbe, herre, wie
35 Si mir dienet durch deinen namen.
des lose auch si von den schämen,
Die si treit sonder schult
mit. also grozzer gedult. “
Nach den drein iaren chom der tach,
40 daz der alte gelach,
Daz er sterben solde.
der reine g'otes holde
Sein prüder vil gar
hesante do. si chomen zu im dar.
45 Er sprach; „vil liehen prüder mein,
ich pin nu vil lange gosein
Alliie durch mein chrancheit,
die ich durch got mit willen leit.
Ir wizzet auch, welch wort ich han,
50 des mich die leute niht erlan
und auch die iunehfrawe gut.
ein dinch pit ich, daz ir tut,
Daz sol bescheiden euch darab.
ir sult pflanzen auf mein grab,
55 Swa man auch mich begrab,
meinen stab, den ich bah
Pei mir getragen manige stunt,
und als auch dran wirt chunt,
Daz ez bechleibet und ergrut
00 und in reliten Zeiten pliit,
Und nach der zeit sein obez treit,
so wizzet in rehter reinicheit
Mich wesen und die gotes magt.
geschiht niht, als ich han gesagt,
05 (c) So wizzet, uns peide schuldich sein,
ich weiz den lieben herren mein
An seinem gerillte so sieht,
daz er ez pringet auf sein reht,
Des ich in pit aller meist“.
Sitzh. d. phil.-hist. Ci. LXIV. Bd. t. HR.
14
10
Z i II e a r I e
70 liiemit galt er auf den geist.
Als des die prüder entsuben,
erleich si in begruben,
Und pflanzten darnach auf sein grap,
Als er pat, seinen dürren stap.
73 Nild lange er also dürre bcleip,
wan er churzleich bechleip
Und ergrunle sich wol,
sumerlaten wart er vol,
Oie dar auz weit erspruzzen
80 und wol grüne auz schuzzen.
In rehter zeit gewan er plut.
dar nach choni den fruht gut,
Der seit inaniger genoz;
wan er wart ein paum groz.
83 Do lobten si mit tleizze got,
der also des tiefeis spot
An in peiden druckte
und daz reht auf zuckte,
Daz manig wol vernamen.
90 do wir da hinne chamen,
Der paum uns auch geweiset wart
und den fruht nach seiner art.
Die sache wart uns auch geseit,
durch waz der paum sein ohez treit.
93 W ir sahen auch einen gotes heit
gar an tilgenden auzerwelt.
(d) Der was Johannes genant,
vil weite was sein nain erchant.
Wan sein lugend verre vloz.
100 des vil inaniger genoz,
Der gesuntheit von im nam.
swer mit seuche zu im cham,
üb dem er sein gebet sprach,
benam er sein ungemach
103 Mit gotes helfe ze aller stunt.
sus machte er manigen g'esunt.
Ein reiche tilgend het er ie.
Findlinge.
•>11
swer betrübet zu im gie,
Swie staete er auch betrübet was,
110 von im er churzleich genas;
Er gab im also reichen trost,
daz er wart aller sorgen erlöst.
So minnesam was sein wort
an den leiden hie und dort,
115 Daz er in vil gar benam,
swaz beswaerde an si cham.
Mit Worten churzleiche,
die tilgend was an im reiche.
Swaz wir sahen und horten
120 von geschihte und von worten,
Des ist ein teil hie gesehriben.
vil ist ungeschriben beiiben,
Daz wir auch vernamen da
in dem lande Thebaida
125 Und über al Egypten laut,
manigen gotes weigant
Sähe mir mit tilgenden wol behüt,
daz auch ze hören waere gut.
K*. i)
(a) Daz im niht behagte
Den werlte, den also wagte
Und also gar unstaete was,
daz in ir nieman genas.
5 Nu gesunt, nu siech, nu tot!
der schrieb im manige sorge pot.
Vil ser im auch das grubte,
daz maniger also bubte
So staete leben, so lange stunt
10 auf also chranchen fullemunt,
Daz igleicb niht bedahte,
wie im sein ende nahte,
Daz er den leip must auf geben.
Rosweid S. 7111.
2\2
Z i n g e r I e
in sollten sorgen was sein leben,
1 5 Wie er ze gote ehaeme.
der hinge, der genaeme
Wnlis auf in reiner iugende
mit zulit und mit tilgende,
Piz er ein michel heit wart.
20 im gab nach werltleicher art
Der vater ein iunchfrawe gut,
reich, schone und wol behüt,
Wan aller liande beriht.
der iuncherre wolde ir nilit.
2S Sünder er dahte sein bereit
Got in rehter cheuscheit
Allez sein leben undertan.
so lange im lach der vater an,
Piz er mit rede in über sprach,
30 daz sein wille an im geschach.
Amon sein dinch ze gote lie,
die iunchfrawe er enptie
(b) Nach seiner freunde wille.
darnach in der stille,
35 Do si nach gewonheit
ze pette wurden geleit
Und daz gesinde von im seliiet,
sein cheusche herze im do riet,
Daz der tugende reiche man
40 mit fleizze trabten began
Auf daz froleiche leben,
daz got wil dem menschen geben
Mit aller zierde wol bereit
urnme des leben's reinicheit.
45 Darauf sollte er mailich spur,
daz er die chrone niht verlor,
Die dort die cheuscheit sol tragen
nach disen iaemerleichen tagen
Vor der gotes schawe.
50 sus hat er die iunchfrawe,
Die im in gote was vil traut.
Findlinge.
„eya“, sprach er, „edeleu prauf
J'esu Christi, der dein gert
und vor im beleihest harte wert.
SS Oh du ze preutigan in will
und ol> dich der tugent nilit bevilt,
Daz du durch in cheusche lebest
und aller unflat begehest.
Gut wil der cheuschen Ionen
60 mit einer sundern chrone.
Den ist wol gezieret,
an freuden gar durchwieret.
Zwar die sul wir von im nemen,
oh in der gute wol gezemen,
6S (c) Daz er die sinne uns hat verlan,
wie wir sicherleichen gan.
Ich han gehört wol den sprich,
daz pricheleich leben viiulet prich,
Swie ez pei weilen mach bestan,
70 daz auch mit noten muz ergan,
Doch sunder zweifei seiden,
daz herze ie wolde scheiden
Umme den gevallen val,
des uns chein not wesen sal.
75 Swer lebet sunder valles scliranz
unbewollen und ganz
Mit vil tilgenden suzzen,
die weile die andern puzzen,
So mag er minnen seinen got
80 nach seines herzen gepot.“
Die iunchfrawen er uberwant,
daz si mit willen zehant
Volgete seinem mute,
in ir cheusche hüte
8S Waren si do manigen tach,
daz igleichez grozzer tilgende ptlach
Mit vil guten dingen,
swa si die vollenpringen
Moliten . . . ze gotes lohe.
214
Z i n g e r I e
90 gotes sogen was in obe
Und half in wo] zu der beginnst
mit der sterke seiner cliunst.
Die iunclifrawe und der reine
westen ditz aleine.
95 Ir gezeuch was aleine got,
wan seiner liebe gebot
(d) Niht tilgende verporgen ist.
liie von er was ir mitewist.
In genügte auch wol genueh,
1 00 wan ir igleichez truch
Die ubergrozze reieheit
inaenleicher chenscheit
Heimleich in des herzen chluft,
daz si die werltleiche guft
1 OS Niht besulte mit ir lobe.
got truch den sluzzel selbe drohe.
Nu ditze werte manigen fach,
piz Amone tot gelach
Peide muter und vater.
110 zu gote heizzen willen hatcr.
Daz weiset er vil drate.
allez, daz er bäte
Diez er beleihen und gie
in dise wonunge alhie,
11S Da er ein zelle pawete,
der werkle er niht getrawete;
Wan er ir arge lust, entsaz.
got was mit im furbaz.
ln diser selben wilde
1 20 nach seinem reinen pilde
Tet sich do genuger ahe
der werlde und werltleiclier habe
Gar in inaenleicher tlulil
und was hie under seiner zuht.
1 25 Wan er von got vil enpfiench
genaden, die im zu giench
Kindl
Durch sein tugentleichez leben,
dem er mit cheuseheit was ergeben. ,
I;i. (Von Macario.) ')
(a) Von Egypto bechumen,
da er durch der sele frumen
Ze dem ersten die leute. Hoch,
und sich ze der einode zocli
5 Warumme er do sein zellen lie
und zu der einode gie,
Die da Sehin was genant,
des wart gefraget der weigant.
Do sprach er: „daz wil ich eil sagen.
IO hie vor in den lieben tagen,
Do mir got gab die sinne,
daz ich seiner minne
Von seiner gab ein teil entsup
und ich mich von den lenten hup,
lö In meiner zellen ich do was,
da ich harte wol genas
Von der hohen gäbe gotes.
in der genade seines gepotes
Wart ein werltleicher man
20 erweichet gen mir daran,
Daz er mir chleider und pro!
durch got mit seiner helfe pot.
Sus prallt er mir die leipnar.
die arbeit meiner bende gar
25 Verchauffet er und wante sie,
da si an meinen nutz gi.
Durch got er sus vil mangen tach
von meiner arbeit mein pflach,
Und saz da pei in einer stat.
30 er wandert auch vil ebenz pfat,
Swa er molite in gotes gepot
tugentleich hin ze got.
’.) Jtosweid S. ;>;>(>.
Z i n g- e r 1 e
(b) Nu fugte ez sich in einer zeit,
do gen mir Willis des tiefeis neit,
35 Als des got durch gut verhiench.
der tiefel in der stat begiench
Sein spil an seiner posen art
ein iunchfrawe gelestert wart
Von einem iungelinge.
40 an disem selben dinge
Hup sieh da michel geprast.
nur wuhs auch ein teil überlast
Da von in swaerer wage,
ir freunde und ir mage
45 Sahen si wol swanger gan.
si fragten zornich umme den man,
Wer hier an schuldich waere?
deu pose, deu ungewaere
Versweich den rehten schulden;
50 wan si ze posen hulden
In niht wolde machen,
si sprach: „an disen Sachen
Ist nieman schuldich, wan der man,
der geheuset ist hin dan
55 Als ein einsidel dort.
des valscher rat, des luge wort
Mit seiner list mich hat betrogen
und in ditz laster nu gezogen.“
Do diseu luge auf mich geschach,
60 ir zorn gegen mir auz prach.
Wan ich in gutem pilde schein,
si wurden schier des in ein,
Daz si zu mir chamen
und hazleich mich namen,
65 (c) (man machte) mich der chleider ploz,
manigen slach, manigen stoz
gaben si mir veintleich.
. . so liep si e heten mich,
. so unmaer ich in nu wart.
70 si furten eine herte vart
Findlinge.
. . ich m . . des si niht verdross,
peide nackent und ploz.
(s)i liefen auch ze stunden
auf meinen hals gepunden
75 von chezzeln, topfen grozzen last,
ich wart aller eren gast,
der ich ze vverlt ie gewan.
icli was in aller leute pan.
si zogen mich al durch den stat,
80^ nindert liezzen si ein pfat
. . azzen groz nocli chleine,
reine und unreine,
enzugen mich da liin.
ein geschiht(?) was under in,
85 . . z si alsus sprachen:
r . nd ez an im (?) rachen !
(sla) ha, herre, slach den diep!
(de)n wir lieten e so licp,
. . t, wie er uns hat betrogen,
90 (u)nd unser niftel gezogen
. . ein solch pose wort.“
(ie)ner man gieneh auch dort,
(der) mir vor dienen ptlach.
mein, ungemach im nahen lach.
95 (des) gieneh er mir vil trauricli na.
do sein gewar wurden da
Die leute, die mich singen,
übel si sein gewogen.
Si sprachen zu im: „ey, nu sich,
100 wie dirrc hat betrogen dich!
Ditz ist dein einsidel gut,
an den gewant was dein mut.
Du sagtest von im maere,
wie gut ein man er waere.
105 Nu nierclie dein warheit,
wie er die hat bin geleit,
So daz du habest mit iui gelogen.“
alsus wart ich von im gezogen,
«msmnmxAü
2 1 <S Z i n g p r 1 e
Peide gestozzen und geslagen,
1 1 0 daz ich mich selben niht getragen
Ze inngest mohte von der slalit.
mir entweich des leibes mäht
Von der not, die man mir pot;
wan mir vil nahen was der tot,
1 1 S Danne daz leben, fnrwart me.
ze inngest ein alter schre,
Audi ein pnrgaer von der stat:
„ey, seit ir noch niht worden sat
An dem dnrftigen der siege?
120 mich wundert, daz sich niht bewöge
Ewer herze auf sein not.“
sein antworte mir ir einer pot.
Der sprach: „er mach niht frei wesen,
noch dirre not hie genesen,
1 25 Wir enwellen in würgen,
piz er gesezze purgen.“
La. i)
(a) Beschawen der menschen tat
und wie des menschen leben stat.“
Do ditz vernam der aide,
er volgete vil palde
S Und chom auch drate gegan,
da er sacli einen man stan,
Als ein mor was er gestalt,
der het liolzes vil gevalt,
Und daz zesamen geleit.
10 er giench zu nach der arbeit
Und wolde auf sich die purde heben,
do begunde er schier entseben,
Wie si im was ze swacre.
do giench der walthawaer(e)
I 5 Hawen aber holz, als e,
ItosweiH S. 703.
14 walcliawaer lis.
Findlinge.
2i!l
und lei't Hilf disen häufen me,
Durcli da/, im die pilrde
dester leihter wurde.
Den häufen greif er aber an,
20 und wolde in auf geliaben hau
Do moht er sein gewegen niht-
do giench er hin nach der gescldld
Und truch mer chleines hol/es drauf,
durch da/ er ez auf seiner huf
25 Deste paz getruge.
do wart als ungefüge
Der hauile, da/ er alda beleip.
als er lange ditz getreip,
Do giench der alte fürder me,
50 und siht dort sten oh einem se
Einen andern morvar.
an dem wirt er auch gewar,
(h) Da/ er goz in ein durchel vaz.
und swie lange er treip da/,
55 So chom daz wazzer wider, als e,
gar hin durch in den se.
ln dem vazze beleip sein niht.
er giench furbaz in der gesehiht
Und sacli dort einen tempel ’stan.
40 auf zwen pfaerten /wen man
Die wolden gern in ze der tur.
si prallten einen pauin da für,
Da mit riten si entwer
peide hin und her.
45 Deu tur was ze enge
gegen des pautnes lenge.
Si riten auf die wende.
beten si ein ende
Des paumes gewendet für,
50 so waeren si wol ze der tur
Sünder musal in rhomen.
si beten ot den paum genomen
Und wolden twerhes mit im drin.
220
Z i 11 g e r I e
des inusten si hie vor sei».
53 Do |>at der alte gute man,
da/, im wurde chunt getan,
Waz ditz solde meinen,
do sprach zu dem reinen
Die stimme, die in het allz prallt:
60 „der erste man des holzes mäht
Bezeichen de» sundaere,
des purde ist al ze swaere
Mit sunde» überlaste,
die meret er da nach vaste,
65 (c) So er staete i» sunde» lebt.
swenne er an den tot gestrebt
Und si gern dazu trüge,
si ist so ungefüge,
Daz er si muz auf im behaben
70 und ewichleich mit ir snaben.
Pei des wazzers lautercheit
bezeicbent ist gut arbeit,
Die maniger umme sust bat,
wan er so grozze unflat
75 Pei dem guten begat,
daz sein herze durchel stat.
Swaz man gutes geuzzet drin,
daz mach nilit staet in im si».
So solt du merchen pei den zwei»,
80 die werden chunden niht ein,
Daz si ein ende cherten für
an der Stangen durch die tur,
Und da vor entwerhes riten :
daz sint der bollerte siten.
85 Wan die wil ze allen Zeiten
enpor entwerhes reiten.
Swer sich senket mit demut,
dem ist der wech ze himel gut;
Swer aber twerbes cheret,
90 als in de» hollart leret,
Der beleihet ewicbleicbe
Findlinge.
22\
vor dem gotes reiche.“
Do ditz der alte wol besach,
er elierte wider in sein gemach
95 Ze hause und lobte got
mit rehten trewen sunder spot.
(d) Von Basilio dem pischof. •)
Ein piscbof Basilius,
ein herlicb man hiez alsus,
Der seite, wan er weste ez wol,
100 von einem menschen tugende vol.
Daz was ein iuncbfrawe,
von der genaden tawe
Was ir herze erfeubtet.
si bet wol beleuhtet
105 Des heiligen geistes sonne,
der Weisheit prunne
Was gar unverdrozzen
von got in si gegozzen.
Ein frawen chloster, daz was reich,
110 da was si, und ungeleich
Was den andern gar ir leben,
si bet ein leben ir gegeben
In dem chloster, daz si chos,
darinne si durch got verlos
115 Ir schonen leip, werltleichen rum.
si bet als ir weistum
Vor der werkle verholn.
hie von so muste si auch doln,
Daz man si tiefelhafteu hiez,
120 peide slucli und stiez.
Si was ie der andern spot. ,
ditz leit si liepleich durch got
In einfältiger demut.
ir herz was ze got gut,
125 Getrewe, cheusche und relit.
') Kosweid S. 708.
Z i n g »» r 1 t*
man sprach, si wacrc torelit,
und gar ane sinne.
JI>. 0
(a) Von gotes genaden und groz
im fugte ez sich, daz in erdoz
Ein stimme, als einem mensehen tut.
über stock und über chrut
5 Lugten si do über al,
wa von die stimme erhal.
Ze inngest saben si ein bol,
darinne sich ein menseh wol
Durch notdurft moht entbalden.
1 0 si liezzen ez got wählen
Und chomen darin peide.
do lach mit grozzer leide
Vor in ein siecher leichnam,
und daz was ein wcibesnam.
iS Ein swaerleiche seucbe ir pflaeh.
vor wunder igleich erschrach
Der zweier durch alsolhen fnnt.
„ey“ sprachen si „nu mache uns ehunt,
Waz du seist und wa von,
20 und wes du seist gewon,
Und wie du seist hie gewesen,
und mit welher ehost genesen ?“
Von grozzer seucbe, als ir geschach,
daz si chaume gen in gesprach,
25 Doch seit si alsns zu in:
„ein reine iunchfrawe ich pin
Vor got in reliter clieusche gar.
des sint ietzu dreizzich iar,
Daz ich von der werkle gie
30 und durch got pin gewesen hie.
Got, der sein tilgende beweiset,
und daz gefugel speiset,
Rosweitl S. 724.
Findlinge.
(b) Daz er gesehnt', der hat auch mich
gespeiset vil genaedichlich
35 Als mein herre und mein traut,
peide wurzeln und chraut,
Als si die wiltnusse truch,
der hau ich funden so genuch,
Daz mir dran wol genüget.
40 Got hat auch her gefuget,
Ir sult ze der erden mich begraben
wan ich han ietzu wol entsaben
Die zeit, als mir sagt der sin.
dreizzich iar sint also hin,
45 Daz ich nie menschen nie gesach,
denne euch.“ als si dietz gesprach,
Die reine sei von ir schiet.
ir tugende do den zwein geriet,
Daz si in unsers herren lohe
50 dem toten leiclinam obe
Ir gepet do sprachen
und die erde aufrachen,
Da si den toten leiehnamen
-bestatten wol in gotes namen.
Von Moyses.')
55 In der wustenunge weit,
da hie vor in alter zeit
Pei dem wilden roten nier
Moyses lertle gotes her,
Und da der gotes weigant
00 zwelf prunnen, sibenzich palmen (?)
Und auch nahtsedel liet,
in der wüste an der selben stet
Seit nach manigen iaren
auch gute leute waren.
65 (c) Die lebten munches weise
durch gol an lugenden preise.
4
Z i n »• e r I e
Nn was ein reiner man pei in,
der seit dureh guten sin
Den andern pmdern do :
70 „ez fugte sicli zeimal also,
Daz ich do mir gedahte,
als ich seit vollenprahte :
Ich solde furbaz streichen
von meinen pl'udern weichen
75 Verre in wüste wilde,
ob leihte got der milde
Sein tugent an mir preiste
und etteswen mir weiste,
Der im dienstes pllaege
80 und durch in da laege.
(I)n dem sinne ich anz sehiet,
als mir daz herze riet.
Ich gie vaste und gie,
daz ich pei vier tagen nie
85 Wart, niemannes gevvar.
vil sere ich lugte her und dar
und durchsuht ez alles wol.
ze hingest chom ich an ein hol,
Daz was als ein heuselein.
90 ich gie hin und sach darein.
Da vant ich sitzen einen man.
mit freuden cldopfte ich daran
Und pat, mir oll'nen die tur,
die da was berigelt für.
95 (D)en ich da sach, der man was tot;
wan er mir chein antworte pot.
(d) Er regte sich nicht ume ein har,
mich dauht, als ich seit wart gewar,
Wie er des todes wart entlegen.
100 Do begunde ich mich sein erwegen
Und prach darin in gotes namen.
do ich des mensehen leichnamen
Mit der hant wolde auf heben
und der warheit entseben,
Findlinge.
22
103 Weder er leide oder nilit:
er zeviel in der ges'cliihl,
Wan er was lange worden faul,
do hiench ein rock an einer sank
Als ich den zoll mit der hant,
1 10 do reiz er als ein faul gewant.
Ich liez alsus beleihen daz
und zogte aber furbaz
In der wilden beide,
mir was harte leide,
113 Daz ich da niemannes vant.
nu wart mir aber dort erchant
Ein zelle, als ein haus gemach,
der was ich fro . da pei ich sach
Menschleicher fuzstapfen spur,
120 die spurt ich hin piz für die tur
Daran begunde ich stozzen
gefucldeich und pozzen,
Da mit ich mich in lazzen pat.
Do was eitel die stat;
123 Der wirt was da heime niht-
als ich enpfant der geschiht.
Do dalit ich zwar der gotes chneht,
dem ditz haus gemach ist relit
II2. 0
(a) Do chom der helle sehrewel
und nam den glunden clirewel,
Den er mit grozzem smerzen
stiez in des siechen herzen,
3 Damit er gequelt wart
aengestleichen und hart
Sünder parmherzicheit.
do er die peine geleit
Ein weil mit grozzer not,
10 als im die swaerde gepot,
f ) Kosiveiil S. 725 .
Sit/.b. (I. phil.-hist. CI. I.XIV. Bit. I. Hfl.
IS
H
Z i n g e r 1 e
Damit er belangen was,
. . rucket au« im sathanas
Die sei in grozzem zorn.
sus fur der verlorn
15 Mit im ze der ewichleiehen sehain,
und im half niht sein guter nam,
Den er valschleich gewan.
do ditz vernam der gute man.
Der runne (!) die geschihte pat,
20 er giench für sich in die stat
Vi 1 itraurich in heswaerter not
limine den iaemerleichen tot.
Den er an dem alten sach.
von dem man doch so wol sprach.
25 Er giench her und auch hin;
wan im betrnbet was der sin
Und mit leide bechort.
so siht er einen siechen dort
Auf einem misthaiiften ligen.
30 der alles rates was verzigen.
Ein reiner pilgreim was er
und was gewallet verre her.
(b) So sere er da verarmte,
daz sich nieman erparmte
35 Uber in, der zu im chaeme
oder ze hause naeme.
Do was der reine einsidel gut
mit tilgenden also wol behut,
Daz in erparmte sein not.
40 mit trewen er im sein helfe pot.
Swa er mohte einen ganzen lach,
daz er staete pei im lach,
Und drucket in des todes last,
der einsidel der gast,
45 Der vil reine gotes pot.
sach. daz zwen engel von got
Zu dem siechen cliamen,
die zwischen in da namen
Findlinge.
227
Den guten wallaere
SO und hüten sein vor swaere;
Wan er was des herzen reine.
Michel was der eine,
Gabriel der ander was.
da muste weichen sathanas
SS Durch sein unere.
die engel paten sere
Die sele, daz si chaeme,
ir Ion von got naeme,
Daz si von im solde haben
60 als des die sei het entsaben,
Si began sich saumen,
als si niht wolde raumen
Den saeligen leichnamen,
der durch den suzzen gotes namen
(c) Sich zu so vil tilgenden prach.
als daz Gabriel ersaeli,
Er sprach zu Michahele:
„ei, nim auf die sele,
Daz wir si furen hintze got.“
70 Michahel der gotes pot
Sprach ze Gabriel alsus:
„uns hat gepoten Jesus,
Daz man die sele auz im hebe,
daz er niht wetag entsebe.
7S Nu wil ich ir niht tun gewalt,
des auch du niht tun salt. “
Innen des, und ditz geschach.
got unser herre ob im sprach
In einer stimme alsus zu in:
80 „nu peitet, so wil ich da hin
David den haerpfaer senden,
der sol ez wol verenden.
Von Jerusalem der seitten spil
seht, der sende ich eu so vil,
85 Si suln si wol auz pringen,
die darauf singen.
15
228
Z i n g; e l* 1 e
Als si den suzzen don enpfat,
der von den edeln seitten gat,
So wirt si ane säumen
90 den leichuam selbe raumen!“
Ditz geschaeh. her David cliani
für des armen leielinam,
Der mit den seitten donte,
und doch die sele wollte
93 In im durch die freuntschaft,
die er trneh an der tugende cliraft
(d) Gesundes leibes alle zeit,
der rotten meister David
Und mit im die geleitten
100 griffen an die seitten.
Do der freudenreiche sanch
durch den leielinam erchlanch
Der sei und daz si sein entsup,
vil drate si sieh erliup
103 Und gesaz in Michahels sclioz.
mit singenden freuden groz
Wart si gefurt schone
zu dem gutes lone.
Dem schatte liiht sein demfit,
110 daz in nieinan weste wesen gut.
Er für doch als die guten varn
in die saeldenreichen scharn.
Der prüder giench ze hause do
und was des gesihtes fro.
113 Leit was im die erste idoch,
got und seiner minnen iocli
Truch er ie mit senfter dol;
wan ich in hechantc wol.
Von einem guten prüder. 1 )
Ein prüder in der wüste saz,
120 der was an guten witzen laz,
*) Kos weit! S. 7ii3.
Findlinge.
229
Des er auch schiere lief entsaben.
er dachte sich vil fugende haben.
Der sein torheit was erlan .
der selbe chindische man,
1 2S Die leiden tiefel dicke trugen,
zu dem gelächen si in zugen,
Ez solden allez enge] sein.
Nh i)
(a) des pischofes gemute
Und seines herzen äugen,,
daz er des volches fangen
Sach offenleich und durchlas,
S wie igleichez herze was.
Daz weiste im sein antlutze
in gotleicher witze.
Sumleiche er da sach
swarz, ungestalt und swach
10 Waren die an dem antlutze gar
und allenthalben her und dar
Sundeichen er daz opfer po't,
die waren do also rot
An dem antlutze,
IS als oh si von der hitze
Solden auch versenget sein
in waren die äugen fewereiii,
Die sach er zu streichen,
er gab auch sumleichen
20 Daz opfer, die waren weiz,
ir chleider heten weizzen gleiz,
die si an in trugen,
auch gab er genügen
Daz opfer, die zu giengen.
2S als si ez enpfiengen,
so began ez si prennen.
auch wart er bechennen
1 ) Rosweid S. !»67.
I
4
Z i n fj e r I e
Aida sumeleiche
von genaden also reiche,
30 Als er den leichnam enpfiencli,
mit einem lichte er hin in giencli.
Des grozzen liehtes cldarheit
(b) wart cliurzleiclien also preit
An den, die zu chamen
33 und in der mazze in namen,
Daz si mit alle prunnen
wol geleich der sunnen.
Nu began er auch schawen
iene zwo frawen-
40 Als si ze dem alter solden gan,
und von in chunt was getan,
Wie rehte pose waere ir leben,
dem si heten sich ergeben,
durch die er meistich sein gepel
43 umme die weisunge te.t:
Als er in daz opferprot
in gotps namen hin gepot,
Und auf si warf seinen vleiz,
er sach si schon und weiz,
30 Lautter und reine,
ir chleider algemeine
Mohten weizzer wesen niht.
des gotes leichnamen liht
Machte si von liebte chlar.
33 des wart er an in gewar
Einer grozzen werdicheit,
die den andern was verleit.
Daz waren liehter chrone zwo.
der reine pischof wart vil fro,
60 Idoch begunde er aber piten
got mit flehleichen siten,
Daz er im wolde erscheinen,
waz er solde meinen,
Daz er so manichvaldich sach
63 (c) die leute, als im e geschach.
Findlinge.
231
Got was im holt durch sein leben,
den er an tilgenden was ergeben,
Und erhörte sein gepet,
da/, er mit reinem herzen tet,
70 Und sant im einen engel hin.
der sprach alsus wider in :
„Nu frage mich, swes du wilt,
des dich ze wizzen niht hevilt
Ich sol berihten dich von got
75 und pin durch daz zu dir ein pot.“
Der pischof, der gute man,
hub an den ersten Sachen an,
Durch die den geschiht geschach
zu dem engel er sus sprach:
80 „Sage an, oh war sei oder niht
der zweier frawen peiziht
und ir inanige posheit,
die mir wart von in geseit?“
„Swaz man dir von in sagte,
85 daz dir missehagte,
In dem lande her und dar,
daz ist al mit alle war.“
„Durch got sage furbaz,
von weihen Sachen ebumt daz,
90 Do si ze dem alter giengen,
die sacrament enpfiengen,
Daz si wurden so ehlar.
und die stole sunnenvar
An ir leibe trugen
95 vor andern genügen?“
„Daz wil ich dir chunden:
(d) si haben von den sunden
Peide nu gelazzen.
die sint an in verwazzen,
100 Wol verdrucket und vertreten,
si haben ir aplaz erpeten
An der gotes trewe
mit peihte und mit rewe.
232
Z i n je c i" I (»
« Mit fliezzemlen äugen
JOS offen und taugen
Ilnbent si vil geweinet
und haben wol da/, erscheinet
Mit guten werchen ie darna.
vor sunden sint si liie und da
I I 0 Mit reinicheit gewännet,
damit haut si erarnet,
Daz in got hat des todes teil
gewant hat in ein saeiden heil;
Wan si haut gelübet got,
I I S daz si sicli in seinem gepot
Kurwart wellen Salden
und daran mit saeiden alden.“
le mere und ie mere
began der pisehof sere
I 20 Wundern der geschiht,
aleine des aplazzes niht;
Wan daz ist ein gewonheit:
swer sunden rehte widerseit.
Von got ein aplaz dem wirb
I 2S ob er die sunde niht iner verpirt,
50 wont mit im der gotes geist.
in wundert des aller meist,
Wan in Ion was also groz.
N a . 0
(a) Piz ein wenich für den tach
durch der notdurft beiach
Leiten si ze ru sieh,
eliant do reustert ich mich.
S Alsam ich do entwachte,
zehant ich mich auf machte
An mein gepet, des ich ptlach.
niht lenger ir deheiner lach.
51 stunden peide auf als ich.
*) Rosweid S. 523.
Findlinge.
233
10 sein gepet sprach iglich.
In des gepetes stunde
such ich auz irem munde
Zwei fewer prinnen also ho,
daz in den himel giench ir Io.
13 Die gesihte ieli in versweich.
des morgens ich auf urlaup neich
Und pat si vil getreulich,
daz si paeten got für mich.
Sus seliiet ich heim in mein gemach.
20 an den vliegen ich wol sach,
Daz der eltiste mit frumen
an tilgenden was vollencliumen,
Und der iungest noch lide
etteleichen unfride
23 Von des tiefeis streit.
darnach niht über lange zeit
Der eltiste an dem leibe starp
und für da hin, da nach er warp,
Da er mit got ist sunder chlag.
30 nach des tode an dem dritten tag
Starp der ander prüder sein,
ditz wart mir von got schein.“
(b) Sprach Macharius der gute man,
als ich cliunt hau eu getan,
33 Daz ir dapei merehende mögende,
ez sei in alter oder in iugende,
Wie drate man wirt vollenchumen.
swer an der tilgende frumen
Sich staete wil behalten,
40 der mach mit saeklen alten
Und nach des todes gepot
varn sicherleich ze got.
Von Zacharia i).
Zacharias, der gute man,
aines morgens eliom getran
*1 Uoswciit s. 713.
234
Z i n g\e r I e
45 Fnr seines meisters tur.
er bestnnt al da für
Und sach darinne, alsns
was sein meister Silvanus
darinne staete aleine.
50 do was der gotes reine
Gezucket an sein gepet hin
gar an fremdichieichen sin.
Sein hende het er auf gehaben.
do des der iunge het entsaben,
55 Heimleich er von dannen schiet,
als im sein grozze tugent, riet,
Und liez den gotes werden
mit got gar bewerden-
Ze tertze zeit chom er dar.
60 do lach er noch, als e, gar,
An innicheit vil schone,
ze sexte und ze none
Also selbes im geschach,
wan er in ie sus ligen sacli.
65 (c) Ze vesperzeit er aber eham.
do was der alte lobesam
Ein teil an seiner ru entlegen;
wan er het in im gepflegen
Geistleieher arbeit,
70 der er was müde, hin geleit.
Der junge sprach: „nu sag mir,
meister mein, waz wirret dir?
„Ich pin chranch“. sprach der aide,
do viel für in palde
75 Zacharias, der süzze,
er greif an sein fuzze.
„Von hinnen wil ich nimmer chomen,“
sprach er, „e ich han vernomen
Waz dir heut sei widervarn.“
80 der abte molite im niht gesparn,
Sein herze er minnet in im:
„ich was von gotes gepot hin
Findlinge.
235
In meinem gepet entrücket
und drinne auf gezucket
85 Gar aus meinem sinne
und in Christes ininne
Vor seinem suzzen angesiht,
als unser hoffeminge giht,
Die wir ze got suln han.
90 Da pin ich heute vor gestan,
Daz ich gesehen da in habe,
und pin alrerst getan herabe.“
Von prüdern, die sich sammeten 1 ).
Swa man durch gut spricht von got
und von seinen gepot,
95 Da sint die engel gern pei,
(d) die weil die rede ganz sei.
Mischet sich aber darunder
daz swebel und daz Zunder,
Davon die sei erprinne,
1 00 ob mein, ob man beginne
Unnutz und eittelleich wort
sprechen von hie und von dort:
Zehant die engel weichen;
wan da zu streichen
105 Die swartzen ungeheweren,
den pose ist ze steweren
Von suntleichen ampten.
zeimal sich prüder sampten
Und sprachen von den dingen,
i I 0 die si mohten pringen
An rehten tugenden bestan.
nu was pei in ein weiser man,
Des herze ie got meinte,
dem selben got ersclleinte,
115 Wie lieb im sint guteu wort,
swenne der prüder het erhört,
') Rosweid S. S44.
■
236
Z i n g e r I e
Daz si sprachen gutes iht,
so sach er ciliar und liht.
Die gotes engel pei im stan.
120 als auch daz gut wart verlan
Und sich dar enzwischen
das eitel wort mischen,
50 sach ich von in streichen
die engel und entweichen;
125 Unflaetich und swarze swein,
die wurden under in da schein.
51 stunchen und ruelien.
0'.
(a) „So teil wir ez in dreu teil,
des mer teiles werdent geil
Witihen, weisen, armen,
die uns durch got erparmen.
5 Den gebe wir, daz in gepnrt.
wir haben auch gewillechurt
In einträchtiger veste,
daz wir an die geste
Den ander teil teilen,
10 ir ungemach in heilen,
Die sich durch got nilit enschemen
daz si wellen von uns nemen.
Den dritten, als uns geziml,
unser notdurft zu sich nimt.
1 5 Da gener wir uns mit.
nu seht daz ist unser sit.
Und sol unser sit wesen,
die weile wir gesunt genesen.
Mit gotes helfe an staeticlieit
20 sei wir alle zeit bereit!
Von unserm sundern slafle.
von dem gewinne der schaffe,
Daz wirt nie merischen chunt getan
den wir ez wizzen wolden lan,
25 Piz an den tach heute.“
Findlinge.
237
die reinen gotes leute,
Die zwen einsidel gut,
lobten mit grozzer dem nt
Unsers berren gute
30 an der zweier demute
Und an ir tugende gewin.
si seliieden froleich von in.
(b) Von Macharin i).
Macharius der reine,
bewart von allem meine,
35 Der getrewe gotes heit,
von dem ich hie vor gezelt
Vil tilgende hab, der er pflach,
durch ganzer saelden beiach
Sagt er zeimal ein maere,
40 waz im geschehen waere.
Er sprach also: „ez fugte sich,
daz mein zellen und mich
Zwen iungelinge
sollten auf solch geding,
45 Daz ich des liimels strazze
in weiste in rehter mazze.
Si waren werltleich und iunch;
ez nam alrerst den ursprunch
An ir einem der part,
50 dem andern er noch niht gewart.
Si fragten mich der maere,
wa die zelle waere,
Da si Maeharium fanden,
do pat ich mir chunden,
55 Welhez zu im waer ir ende?
„da sei wir des gernde,
Daz wir durch gut, in wellen sehen,
ob uns daz mach an im geschehen.“
So pin ich Macharius,
Rosweid S.
238
Z i n g e r 1 e
60 den ir habt gesuchet sus.
Was weit ir sein? wan ich ez pin.
saget, welch ist ewer sin?
Do sprachen si mit demut:
„vater, ob ez dich dunchet gut,
63 (c) So welle wir gern hie wesen,
swie du wilt, pei dir genesen
Gehorsam uuder deiner zuht.
wir sein hie in der werlde fluht.
Die sele welle wir genern.“
70 ich began in daz beleihen wern,
Als mein zweifei do veriach;
wan ich an in vil vol sach,
Daz si mit des vleisches frumen
waren von der werlt ehumen,
73 Schone und rothaft.
daz fleisch het al ze grozze chraft
An der sterche uberal.
des vorlit ich darnach iren val
Und sprach: „ir mugt niht beleihen hie.“
80 ir antwurte gaben si:
„Mug wir niht beleihen pei dir na,
so sei wir aber anderswa.
Wir wellen ie in der wüste wesen,
durch got uns von den leuten lesen.“
83 Swie wol ich an dem worte
iren ernst horte.
Mein zweifei mich doch niht lie.
ich dahte: durch waz wil ich si
Mit Worten sus von hinnen iagen?
90 ir arbeit, die si muzzen tragen,
Als si des ein teil entseben,
von hinnen si sich drate liehen.
Die arbeit umrne der tugende fruht
wirt si volpringen an die fluht.
93 „Wol dan“ sprach ich, „versuchet,
(d) ob ewer heil geruchet,
Daz ir hie auzze mugt bestan.“
Findlinge.
239
ein axet gab ich in do San,
Die ze pawen tobte wol;
100 und einen chorp protes vol
Ze der notdurft gab ich in.
wir giengen mit. einander hin
Ein michel ungeverte.
auf einem stein herte
10S Hiez ich si da pawen,
ob ez si iht wolde gerewen
Von der grozzen arbeit,
die in rnuste sein bereit
Mit mangel an des fleisches zins.
110 die stat und der herte flins
Was rauch und uneben,
da was irem leben
Niht chnmftich, danne ot unruch.
da pei lach ein tief pruch.
11S Dar hiez ich si nach holze gan,
und ir zellen hie auf slan.
Ich chunde in niht getraw'en,
daz si dar solten pawen.
Ich want, daz si sunder zullt
120 schier griffen an die fluht.
„Ey“ sprachen si „nu mache uns chunt,
in welher weise wir die stunt
Mit arbeit vertreiben,
dar an wir staete beleihen.
12S Die palmpaum hiez ich platen,
der si da genuch baten.“
0^. i)
(a) Ez sprach ein altvater gut:
„wir suln in rehter demut
Mit vorlite in dem lo .
unh in der liebe sei . .
S Alle unser notdurft . . .
u
0 Rosweid S. 718.
1
4
240
Z i n
e r I e
er sprach: „ez was ein g- . ,
Der in wnster wilde
an tngentleiehem pilde
Was saelichleichen worden alt
10 mit genaden manichvalt.
Zeimal fugt sich im daz,
daz er mit prüdem saz und az.
Do tet im auf vil taugen
got die geistleichen äugen,
15 Des die andern westen niht.
in der seihen geschihl
Sach er die prüder her und dar.
nu wart er schier an in gewar,
Die umme in do sazzen,
20 daz ir ein teil azzen
Honich, swaz man in auch pot,
sumleiche newer prot,
Sumleiehe eitel mist.
an einem tische in einer frist
25 Teilte sich die speise,
der alte man der weise
Wundert sich, doch was im leit
alsus der speise nnderscheit.
ln seinem herzen er do tet
30 alsus ze got er gepet:
„Got hcrre. der so gut pist,
daz du in vil manger frist
(b) . vil begast,
niht verporgen last
35 . olden du ez weisest
. . dein lop du preisest
. . . zu hast getan.
. . mich lierre wizzen lau
bedeute.
40 . . . dise leute
. . sein gesezzen
. . derscheiden ezzen.
. . an in pringef und geit.
Findlinge.
241
. . honich vor disen leit,
4S . . ist vor den prot.
. . sieh zu im erpot
. . sprach: „nu höre mich,
. . s underschaiden dich
D . . . e hie sint gesezzen
SO ze tisclie und honich ezzen
Mit reinichlicher andaht,
swaz den wirt von speise geprallt,
Daz ist mit sunderleichem lob
got in irem herzen ob.
SS Als si aber gezzen han
und an ir gepet aufstan,
Daz chumt mit andaht ze got,
und ist in da ein nutzer pot.
Vor got ist ez smachsam auch,
00 als ein erloschen weirauch.
Durch des herzen reinicheit
ezzent die des honiges suzzicheit.
Die aber sich des protes nern,
daz sint die, die ir leben zern
OS (c) . . ires herzen einvalt.
umme die ist ez wol gestalt.
. . ie auch ezzen hie mist
. . n ir herzen genist
. . nt die ungenaeme,
70 . . n ist widerzaeme
. . waz man in von speise g . .
. . der munich wirt ze manig
. . umme die speise getan,
da mit lauffet arger wan.
7S als si aber gezzen han
nach chaltem gepete . .
. . n eittelleieh geworben .
. . so fleuhet si got als . .
. er speise ist wol ze re . . ,
80 seit also ir leben ist.“
Davon sprach der gute man,
Sitzb. d. pbil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft.
16
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Z i n ge r I e
von dem ich e gesaget han,
der ditz innere sagte,
wie wo! daz. behagte
85 got unserm schepfaere
daz wir ane (?) swaere
an gotes lobe (?) sunder neit
unser notdurl't alle zeit
in guter andalit neinen,
90 und in die lere cliomen,
die Paulus geit, wan si ist gut.
er sprichet: „allez, daz ir tut,
ir trinehet oder ir ezzel,
daz ir ie nilit vergezzet,
95 ez engeschaehe, swaz ez sei,
in dem namen Jesu Christi.“
(d) . . wir immer minnen
innen
. . . . ndaht
100 .... vollenpraht
. . . der gute man ')
. . . solde gan
. . . prudern genuch.
105 . ■ sein notdurft in truch
durch der tilgende beiaeh,
anders er nilit wandern ptlach.
des weges, do er solde gan,
da sacli er eine frawen stan.
110 Die weinte vil sere.
der reine, gotes here,
Machanus, der gute,
fragte in semftem mute
Umine des weinens sache.
115 mit chlagendem ungemache
Sprach daz weip: „awe der not
mein wirt ist mir leider tot,
*) Rosweid S. 721).
Findlinge.
241>
Und dem liet ein fremder man
schätz ze behalten getan.
i20 Und des enweiz ich niht.
mein wirt leider so verschit,
Daz der schätz ist verporgen.
ich pin in grozzen sorgen.
Des Schatzes herre ist zu mir chomen,
12S meinen chint hat er mir genomen,
Und wil si im ze eigen haben,
weise mir, wa er sei begraben.“
Sprach zu im der gute
p». <)
(a) Und an genaden vorpracht.
den fragt ein prüder und sprach:
„Berichte guter vater mich,
als du peste versinnest dich
S An igleicher arbeit,
die wir han von gewonheit,
Si sei suzze oder scharf,
welch ir aller peste bedarf,
Daz man mit fleizze sei daran.“
10 do sprach zu im der gute man:
„Gepet ist ein arbeit
und darf wol groz/.er reicheit.
Zwar daz werch wil für den chunich tragen,
daz ez im sol wol behagen
1 !> Und er sein Ion enpfahe darab,
der darf wol, daz er fleiz hab.
Daz gepet darf fleizzes wol,
wan er groz ist, dem ez sol.
ln dem gepet merche daz,
20 lob iht mer furbaz,
Dran grozzer fleiz sol sein geleit,
denne an anderre arbeit,
Wan der tiefel alle zeit
16“
*) S. Roswoiri 674 b .
‘<244
Z i n g e r 1 e
irren vil gern pfleit
25 Daz gepet, swa er mach,
er weiz wol, daz er beiacli
des reinen gepetes enpfaht
in vil sere niderslaht,
Des wendet er gar sein mäht,
30 wie er des menschen andaht
In der zeit verchere
(b) und daz gepet entere.
Swaz der mensch amptes chan,
da mag er underweilen an
35 Des tiefeis schunden frei wesen,
zehant so er beginnet lesen
Sein gepet hintz got,
so chumt iesa mit seinem spot
Der tiefel und wil trüben
40 die andacht und daz üben.
Er pringet den menschen in den sin,
da er e nie chom hin,
Und dar chaume sol bechomen.
sus pringet er zu unfrumen,
45 Des durch frumen ist begunst.
hie von darf man vil grozzer chunst
ze gepetes arbeit,
daz ez mit grozzer innicheit
Werde lautterleich bedaht
50 und also got ein opfer prallt.“
Von Mucio*).
Mucius was ein guter man,
. . mit willen undertan,
. . innich sein gepet
. . den er sein werch tet,
55 Darab er sich durch not betruch.
wan do der vater was genueh,
Die etteleich ampt chunden,
1) S. RoaWflid 675*.
Findlinge.
245
darab si ze allen stunden
Dienten an den armen got
60 nach der erpaermde gepot.
Zu dem selben guten man
(c) cliomen zu einem mal gegan
Sumleiche prüder hin,
die auzzen zeigten an in,
6S Als ir leben gut waere.
si hiezzen petaere,
Wan si staete solden peten.
da si chomen in getreten
Zu disem guten man entsamt,
70 nach gruzze fragt er umme ir amt.
„Prüder“, sprach er, „nu sagt mir,
welch ampt chunnet ir?
Ich wolde gern han bechant,
welch ampt ir wurchet mit der haut?“
7S Jene sprachen: „daz welle wir
harte gern sagen dir,
Wie ez umme uns sei gewallt,
wir pflegen nicht mit der haut
ze wurchen chein arbeit,
80 als sant Paulus hat geseit.
Daz balde wir, wan er geit,
daz man sul peten ze aller (zeit)
An underlaz. daz ist daz ampt,
des wir pflegen allentsamt.“
8S „Daz ist gut“, sprach.iener do.
„seit ewer ampt ist also,
Pfleget ir auch ezzen?“
„des mug wir niht vergezzen,“
Sprachen si do, „ia, wir ia“.
90 do sprach der gut man isa:
„Pflegt ir auch slaflen?“ „ia wir.“
„so su.lt ir aber sagen mir
(d) Den, der ewer slat verstat,
als ir underwegen lat
9S Daz gepet und des vergezzet.
246
Z i ugerl.e
swenne ir slaffet mul ezzet. “
Die iene westen waz im sagen,
vor schäm inusten si gedagen.
Nn sprach er: „seht, prüder mein,
100 welhez ewer wege sein.
Ir tut niht, als ir habt gesagt,
oh ez eu nu wol behagt,
So wil ich eu nu machen eh mit,
wie ich pet ze aller stunt,
105 Als sant Paulus hat geseit.
ich sitze an meiner arbeit,
Die ich treib al durch den tach
mit fleizze. so ich peste mach.
Die weil ich an der arbeit pin,
HO mein munt, mein herz und alle mein sin
Sprechen daz gepet zu got.
alsus volge ich dem gepot.
So gib ich von der arbeit
des tages ie, als ich hau geseit,
115 Dem armen zwen pfenninge
durch got auf solch gedinge,
Daz er mein niht vergezze,
swenne ich slaffe oder ezze.
Alsus wirt ein gotes gift
120 an mir vollenpraht die sehrift,
Daz uns staetichleichen sus
heizzet peten Paulus.“
P2.
(a) An zunemender sinne
hin in Marien minne,
Die lautterleich an got wil streben,
idoch sint der zweier leben.
5 Ir minne, ir arbeitleichez ampt,
daz in trewen was gesamt
ln einem, der mit trewen got
staele minnet sonder spot.
Die minne ist an arbeit niht.
Findlinge.
247
10 swenne m;m durch got mich tragen siht
Arbeitleicher swaere,
der ist ein minnaere.
Waffen, herre Jesn Christ,
was an mir staeter chrancheit ist.
15 Ditz chan ich von den guten sagen
und ir lehen nilit getragen.
Ich muz sprechen und mach wol,
wan ich nu pin leides vol.
Ein fewer ich hie enzunde,
20 daz noch manige sunde
Mach an den lcuten swenden,
die ez ze got wenden
Mit der guten helfe gotes
an der volleist seines gepotes
25 In dem fewer pinacli chalt.
dilz ist ein wunder manichvall
Ein fewer aus dem eise
ich pin den andern weise,
den ich schreibe weistum,
50 mir leider selber alze chriim.
Ich muz nu leiden diese schein,
daz ich so wenich zu nein
(b) und auch hin hinder sitze,
piz deu gotes hitze
35 Erwermest nach den genaden dein
daz vil chalte herze mein.
Ditz hevilhe ich, lieber herre, dir.
nu tu nach deinem willen mir.
Jesu, du gotes reine,
40 nu gib mir ot daz eine,
Daz ich chunne dein lop verstan.
swaz du wilt mit mir an gan,
So sol mir wol genügen,
swie du ez wilt mit mir fugen.
45 Nu sprechen durch got furbaz me
von guten leulen, alsam e.
248
Z i n f e r I #
Von einem gutem m u n c h e.
In der gegende Sciti
was ein muncli vor gote fri,
Der untugende strazzen
50 het er vil gar verlazzen.
Seines namen weiz ich niht.
daz maer mir sus von im vergibt,
Wie er ze Rome grozze chraft
gehabt het an herschaft;
55 Wan er was als ein fürste,
nach got in also durste,
Daz er der werlde liez gut
und ot wante seinen mut,
Wie er ze got chaeme.
60 der reine, der genaeme
Was gewesen al für war
in seiner zellen zweinzich iar.
Der leip was im staele chranch
(c) durch den geprechen, der in twanch.
65 Die andern waren wol gesunt,
so was er siech ze aller stunt.
Daz in die chrancheit undervie,
daz cliom davon, wan er ie
ln dem vollen was gezogen.
70 sein was von chinde wol gepflogen,
Des schatte im der geprechen me,
denne andern, die arm waren e.
Doch het er pei im einen chneht,
der durch notdurft im chom reht'
75 Sein suhte machte, die sein wielt,
daz er ein teil sich werltleich hielt
An speise, an pette, an chleiden,
idoch w'as er dran bescheiden.
Got galt im seinen reichtum
80 und gab im solhen weistum,
Daz er in seinen minnen pran.
dirre selbe gute man
Findlinge.
249
An tilgenden so verre cham,
daz man sein maere weite vernain.
85 Er was genant ein guter vater,
den geist der Vernunft hater.
Darinne was im lieimleieh Christ,
als er ie seinen holden ist,
Mit der suzzen minne glut.
90 von Egypt ein rnunch gut,
Auch ein vater harte groz,
der
Er wolte ze im chumen
durch pezzerunge an solhem frumen,
95 Ob er . . grozzer heilicheit
(d) het an seinen leip geleit.
Daune er daz wolde sehen;
wan er horte von im iehen,
Wie tugenthaft er waere,
100 an got unwandelbaere.
Sus choin er hin, da er vant.
der reine gotes weigant
Enpfiench in. do er daz getet,
si sprachen peide ir gepet,
t Oh Als si die gewonheit hiez.
darnach er in sitzen liez.
Si gesazzen, ditz gescliach.
der gast weite umme sach.
Er sach an im niht herticheit,
1 10 sunder auch vil weiche chleit.
Des geviel im niht sein leben,
er sach auch ligen da heneben
ein weiche matter(ate),
die der cliranche hatte,
1 13 Und drauffe seines slaifes pflach.
er sach auch, wie darauf lach
Durch die wenn ein rauhe haut,
die der reine gotes traut
Durch sein seuclie bette.
I 20 so sach er in dem pelle
280 Z i n g e 1- I <■
Ligen aiieli ein haubtclinsselein.
die fuzze und pein sein
Waren im Lieholet und besclmt.
ez daubt den gast niht wesen gut
12S Daz er die schuhe an truch.
er dalit, ez waere ein iinfiicli,
Und ergerl(e) sieh sere.
ft'. 0
(a) Durch got ir leben in den tot,
daz waere in gar ein ringe not.
si daliten, von den beiden
mit des leibes tode scheiden
5 Auz disem eilende
in die gotes freude an ende,
Die got den seinen bat bereit,
alle ir mäht wider streit,
Daz si durch ir valsch gepot
10 immer debeinen apgot
Mit anpeten erteil,
do si sieb dran nilit eherten,
Do hup sich iener ungemach.
ir zorn gegen in auz praeb.
15 si taten in vil we mit siegen,
daz si ir dannoch nilit erwegen
Mobten zu ir rate,
nach maniger villale,
Der man in vil und gennch gab,
20 do singen si die liaubt ab
Den iungisten peiden.
die valscheit der beiden
Den alten hielt ze gelimpfe,
daz er nach langem schimpfe
25 linpfienge laesterleichen tot,
als ir unsaelde in gepot.
Des liezzen si nilit underwegen,
Findlinge.
2
den erwelten gotes (legen
30 Namen si darnach churzlich,
an im ir herze chnlte sich.
Durch sein leit und durch ir spil
piinden si in zu einem zil.
(h) Nach ir churzweile
35 scluizzen si ir pfeile
Peide in in und auf in.
als auch rauf lange strebte ir sin,
Wie si gesaehen sein laster,
ie sterelier und ie vaster
40 Was der reine gutes heit.
er hofte an got, svvenne er gequelt
Von in wurde piz in den tot,
daz da mit endet sich sein not.
Er sprach zu den unnutzen,
45 zu des tiefeis schützen,
Die im den tot scluizzen zu:
„hört, waz ich eu sage nu :
Waz eu geschiht sunder wanch,
seit ewer herze ist also chranch
50 Und vereinet ewer miit,
daz ir unschuldigez plut
An uns habt vergozzen
und sus in mich geschozzen.
Wizzet, das niht der tot erwint
55 von eu und ez wirt ane chint
Ewer muter mit sorgen
doch an dem tage morgen.
Rehle, als nu in dirre sinnt,
wirt ewer igleicher wunt
60 Von des andern pfeile.
als ir in diser weile
Mich nu ze tode scliiezzet,
mein plut unschuldich giezzet,
sus wirt gegozzen ewer plut.“
65 in vil tumpleicher mut
(c) enpfiench ze schimpfe diseu wort.
an im si frumeten disen mort,
daz er des leibes hie erstarp.
darnach er ie mit trewen warp,
70 Des gcwert in got sclione
mit einer liehten chrone.
sus wart volendet alle sein chlag.
darnach in dem andern tag
Die iuncherren peide riten
75 nach gewonleichem siten
Anz durch churzweile iagen.
nu sahen si, wie in den hagen
Ein hirz in seinem lauffe lief,
ir ein den andern an rief.
80 si eilten dem hirze nach
und rauten sere, in was gach.
Do si mit der gaehe
gerauten in die naehe,
Daz si chomen im enneben,
85 si wolten veilen im sein leben,
Igleich mit einer strale.
nu schuzzen si zemale
Gen dem hirze, daz missegiench.
igleich des andern stral enpfiench
90 Hintz dem herzen durch die prust.
sus volgiench die verlust
In der zeit an in peiden,
als in e was bescheiden.
Von einem einsidel i).
Ein einsidel reine
95 geliauset was aleine
Verre in einem wähle,
(d) da der gotes aide
Gepresten het, der was groz.
sein wazzer, des er genoz,
100 Daz er holen sohle,
Findlinge.
ob er trinchen wolde,
Daz was so verre im gelegen,
daz er dicke underwegen
Durch weges lenge mude wart.
1 OS zemal was er auf der vart,
Als er wazzer holte,
vil mudicheit er dolte
An dem wege; hie von er sprach:
„durch waz leide ich ditz ungemach
110 An dirre vart so manigen (ach,
daz ich gepezzern doch wol mach?
Ich wil mein zelle prechen nider
und si dort pawen wider
Naeher pei des wazzers ganch“.
US die weile, daz sus mit im ranch
sein mude und er dran w r as bechort,
so silit er hinder sich, wie dort
Ein man nach im giencli aldar.
der zelte die fuzstapfen gar,
120 Die er mit arbeiten trat.
der alte sprach do auf der stat
„I da, waz pist du?“ do sprach er:
„ein engel gotes und pin her
Gesaut nach dir und wil zeln
12S die fuzstapfen, die dich queln,
Und darnach dein Ion geben.“
hiemit wart des alten leben
In grozzen freuden enprant.
21)
‘i
o
(a) sein zellen prach er auf zehant
Von der stat, da er saz,
und ruckte si noch furbaz
Von dem wazzer hin dan.
5 sus machte der gute man
Noch lenger, denne e, sein vart.
als sere er hie gesterchet wart.
2!) 4
Z i n «• o r I t*
Von ei iio in altrater •).
Kin altvater saz alda
in der gegeilt Thebaida.
1U Des minne was ze got heiz,
wan er sicli ir vil staete Heiz.
Der selbe reine gute man
mit im liet einen undertan,
Des leben was an tilgenden ho,
IS so hob, daz er nti und auch do
Wol ein meister hiezze
von rehter tugende fliezze.
Nu was der alte wol gewon
dises, daz er niht liezze davon:
20 Des nalites an der spate,
so in die zeit nahte,
Daz si slaften giengen
und ir rue enpfiengen
Nach der notdurfte gepot,
2S so sagte er ettewaz von got
seinen iungern, und damit
sliefl'en si, daz was ir sit.
Nu fugt ez sieh auf einen (ach,
daz er der gewonheit pflach
SO Des abendes an der spate.
da er begunst bäte
(b) Von got guter lere,
der slaf twaneh in sere,
so sere auch, daz er entslief.
3S sein iunger im niht rief,
Die rii er in volpringen lie.
er dahte: »ich wil sitzen hie,
Piz daz er entwachet
und mir ein ende machet
40 Der lere gotes, die er began.“
sus saz vor im der reine man,
D Kosweid S. 641».
Findlinge.
2 [iS
Jener slief, dirre wachte,
darnach den müde auch machte,
Daz in ein teil slaffes twanch.
4.'i mit den gedanchen er do rauch,
Weder er belibe oder gienge,
und auch sein ru enpfienge.
Do twanch in gehorsam,
daz er an urlaup nindert cham.
SO Er widerstunt im und beleip.
ze dem andern mal in aber treip
Der slaf, daz er gienge hin.
do druchte er aber den sin;
Er widerstunt im und besaz.
SS der streit infit in furbaz
Also ze siben stunden,
daz im ie hegenden
Die äugen zu seigen
und daz haubt neigen.
00 Do dalit er: „ich gen slaffen.“
nu wart in aber straffen
sein herze umme die gesehiht,
daz er des Urlaubes niht
(c) Von seinem meister het.
OS sus beleih er in der stet
sitzent piz an die mitter naht,
alrerst do wart der alte entwacht.
Do er den Jüngern ersach:
„hast du piz her“, zu im er sprach,
70 Gesezzen wachende vor mir?“
„ia“ sprach er „wan ich von dir
Niht schiet mit der gewonheit,
als ich von deiner Weisheit
Der gotes lere pin gewon.“
7S der alte sprach: „ia und wa von
Hast du mich niht auf gewacket?“
„daz du wurdest erschracket“,
sprach er, „daz entsaz ich.
swie ich mohte, enthielt ich mich.
Z i n g e r I e
256
80 Do sprachen si liepleich entsamt
ir gepet mul der metten amt.
Darnach liez er slalfen in.
do der iunger was so hin
Von dem alten gegan,
85 und auch sich der alte man
Mit seinem reinen gepet,
daz sein tugent an im het,
Vereint an seiner innicheit
mit des geistes arbeit:
90 Do wart er auz im selben hin
gerucket, gar in fremden sin.
Von gotes genaden daz geschach.
einen alten man ersach;
Der fürt in ein fremde rart,
95 da er wol gewar wart
(d) Einer wunniehleichen stat.
er sach, wie drein was gesät
Ein still mit solher zierheit,
daz al der werlde reicheit
100 Noch armer ist, denne armut
gen daz wunnechleiche gut.
Auf dem stule sach er stau
siben chrone wol getan.
Die lauhten und prunnen
105 nber daz lieht der sunnen.
Do fragte er ienen und sprach:
„ei herre, wem sol ditz gemach?
Das weste ich gern, sag ez mir.“
iener sprach: „ich sag ez dir.
110 Got wil ez deinem iunger geben,
umme sein tugentleichez leben
Hat im got bereit die stat
und den stul drin gesät,
Damit er im wil Ionen;
115 aber die siben chronen,
Die so rehte lauter sint,
die hat dein un der tan, dein chint
Findlinge.
257
Heint verdient in dirre naht,
wan er manleich an fugenden vaht. “
120 Zu im selber er do chani.
vil grozzez wunder in des nam,
Welliez molite sein die arheit,
die iener lief an sich geleit.
Mit dem und auch ditz geschach,
12S der alte rief im und sprach:
„Lieber sun du solt mir sagen,
nilit verdechende gedagen,“
R'.<)
(a) Ein altvater tugende reich,
wol den seligen geleieh
An des herzen reiniclieit,
zeimal nach gewonheit
5 Gegangen in ein stat cham,
als seiner notdurft gezam.
Chorbel trucli er, des er pflach,
die verchaufte er durch beiach,
Und daz was seines gewinnes pfluch.
10 den seihen chaufschatz er do truch
Für eines reichen mannes tur
und gesaz alda für,
Ze verchaulfen seine vaz .
der man, vor des tur er saz,
i 5 In der zeit mit dem tode ranch,
der mit seuehe in betwanch
Und an daz herze chlopfte,
daz er mit sere im stopfte.
Alle seines lebens zil
20 lief er mit grozzen freuden vil
Und mit aller lust vertriben.
er was piz dar in freuden beliben.
Daz machte got auch in der stunt
dem guten altvater cliunt.
') Rosweicl S. 728.
Sitzb. ü. phil.-hist CI. LXIV. lid. I. litt. 17
258
Z i n g e r I e
25 Er sach vil swarzer pfaerde,
auf den mit unwerde
Pechschwarze pilde riten,
die mit hertleichen siten
Alle waren pitter.
30 dise helleritter
Furten alle glunde sper,
do si so nahen chomen her,
(b) Daz für des reichen mannes tur
si sazzen; aber al da für
35 Ir pfaerde si da liezzen.
mit den glunden spiezzen
Lieffen si dem siechen zu,
der da lach in unru.
Dem weiset auch got, wie sein leben
40 valsehem leben was ergeben,
Wem er gedient hefte,
er lach in seinem pette
Und sach daz wutende her
auf in mit prinnender wer
45 Vallen und in hin ziehen.
do er in mohte niht entfliehen,
Er schrei: „hilf mir herre got!“
doch was daz geschrei ein spot;
Wan er an gotes trewe
50 rief sunder rehte rewe.
Er enweste, waz er sprach,
so harte vorhte er daz ungemach.
Er was vol leides und unfro.
die ubeln geiste sprachen do
55 Zu dem gar verworhten:
„seit du nu pist in vorliten,
Und dir der genaden schein
mit dem rehten glaste sein
Verslozzen und erloschen ist,
00 alrerst ruflest du an Christ,
Und gerest seiner helfe an in.
warumme hast du deinen sin
Findlinge.
259
Nilit gewaiit auf rehtez leben,
do dir von got was gegeben
(c) 68 Einen starchen leip mit gesuntheit
und der genaden chlarheit
Dir in mittem tage pran?
du hast vil torieich getan,
Daz du dein schreien hast gespart
70 piz an deine hinvart.
sich, wie du hast geworben,
dein helfe ist erstorben,
Wan si dir niht mach gefrumen.
dir ensol auch niht mer bechumen
78 Dehein trostleiche gunst.
wol dan mit uns in die prunst,
Da dir dein Ion ist bereit
mit endeloser iamercheit.“
sus furten in die geiste
80 mit todes volleiste
In die ewigen armut,
daz im niht half sein reichez gut.
Von einem altvateri).
Ein reiner altvater gut
truch ze got holden mut.
88 Der giench zeimal durch den walt.
unsers herren gewalt
Erzeigte im sein freuntschaft,
wan er mit trewen was beliaft
In seines herzen gründe.
90 Der alte begunde
schawen in den Zeiten
zu ietwederre seitten
Einen gotes engel gan.
die geleiten den guten man
98 Mit gutem gelazze.
(d) nu furte si die strazze
l ) Hosweiil S. 72!). Vergl. Vintler 4624—4661.
17*
200
Z i n g e r I e
Auf ein as, daz faule roch,
der alte man vil palde zoch
sein hant für die nase
100 und schickte sich von dem grase,
Auf dem daz faule as lach,
daz alsolhes stanches pflach,
Der im übel becliam.
die engel taten alsam.
105 Ir nasen si verhielden auch,
daz ir ietwederre niht enrauch.
sus chomen si hin furbaz.
do sprach der alte: „sagt mir daz:
Reuchet dir auch irdisch stanch,
110 der von ienem ase dranch,
Da wir e für giengen
und die nase verviengen,
Wan sein rauch was unrein?“
die engel sprachen zu im: „nein!
115 Durch dich geschach, swaz da geschach,
daz man uns verhaben sach
Die nasen vor der unflat.
ein stanch von den Untugenden gat,
Der stinchet uns an, wa der ist,
120 so sere, daz wir ze aller frist
Daz herze rnuzzen fliehen
und von dannen uns ziehen.“
Von einem einsidel.
Ein alt man, ein einsidel gut,
der mit tugenden behüt
125 Was vor aller unflat
durch des lere, durch des rat
R 2 . l)
(a) sein gepet nach gewonheit.
der wirt het ein vaz bereit
*) Gest« Romanorum ed. Keller. Cap. 80 Österley gilt! ein Ver/.eielmiss der reichen
I.itteratur dieser Letreude in seiner Ausgabe von „Schimpf und Ernsl von Johannes
Findlinge.
261
Mit wazzer, daz er zu in truch,
in peiden er die fuzze twucii.
S si funden gut geraete.
der wirt gab, swaz er hete,
Daz ze gemache tohte.
sein speise er in choclite
Und pflach ir wol nach seiner mäht.
10 des andern morgens nach der naht,
Als si sich wolden scheiden,
der wirt gab den peiden
Urlaup mit liepleicher zuht.
er was vil tugentleiclier fruht,
IS Daz er vor in niht enhal.
der engel einen napf stal,
Darauz er ze ezzen pflach,
als sein ezzens (?) zeit gelach.
Do si chomen furbaz,
20 der engel gab ditz selbe vaz
seinem gesellen ze behalten,
daz was vil leit dem alten.
„Awe“, dalit er, „waz meinet daz,
daz er gestal ditz vaz
2S Dem manne, der uns tet so wol
und . uer tugende vol,
Daz er wol uns beweiset hat,
und . . . doch posen Ion enpl'at?
Ez ist an tugenden missevar.“
30 do der wirt wart gewar,
Daz im sein napf was genomen,
er hiez palde nach in chomen
(b) Einen sun, den het er da.
„gench“ sprach er, „den prudern na,
3S sprich, daz si geben dir den napf.“
do giench er nach ir fflzstapf,
Piz er chom, da er si sach.
zu dem engel er do sprach:
Pauli“ (Stuttgart 1866) S. S60. Dazu ist nachzutragen Vintler's Bearbeitung
in der Tugendblumc V. 3068—3l6T.
Z i n g- e r 1 e
262
„Mein vater spricliet, daz ir mir
40 den napf wider gebet, den ir
In seinem hause genommen hat.“
„sich“ sprach der engel „wa dort gat
Der prüder, der in pei im treit.
gench nun in, er ist dir bereit.“
45 In des fugte er sich pei in.
der wech, da si giengen hin
Alle drei, der was smal.
er stiez den iungen hin ze tal
Von einer steinrauschen ho.
50 des was der ander vil unfro.
Betrübt er in dem herzen sprach:
„awe, daz grozze ungemach,
Daz dirre alte hat getan
dem reinen guten man,
55 Der unser also wol pflach.
sein Ion hat ubeln bejach.
Disem genügte leider niht,
daz er mit diepleicher geschiht
Dem wirte seinen napf stal,
60 er enhabe auch nu hin ze tal
Geworfen seinen sun tot.
awe herre got der not!
Wir han niht wol geworben,
daz der mensch ist erstorben
(b) 65 Und seinen tot von uns nam.
we daz ich ie auz eham! “
Si giengen aber furbaz
für ein haus, darinne saz
Ein alter man greise,
70 in tilgende unweise,
Wan er ir was ane.
zwen undertane
Het er, die mit im waren da.
die geste pozten iesa
75 Und paten, lazzen sich dar in.
„warta, wer die geste sin,“
Findlinge.
263
sprach der wirt der aide,
do lief ein iunger palde
Her für, do er die geste sach.
80 zu dem alten er do sprach:
„Zwen iunger sint da für;
sol ich in offenen die tur?“
„Nein“, sprach er: „gench, sprich in zu,
ich sei gar unledich nu.“
85 Do daz den gesten wart geseit,
mit grozzer demuticheit
l’aten si den alden,
daz er si wolde enthalden;
Wan si des weges milde
90 niht wol furwart entruge,
Seit deu naht herzu schein.
„nein“, sprach der aide „nein!
Get enwech, swar eu behage;
wan ich eu daz für war sage,
95 Daz ich nicht lazze euch her in.
waz wilder munehe mach ditz sein,
(d) Die so gat ungewar
in der wüste her und dar
Irrende und unstaete varn?
100 zwar ir sohlet ez bewarn.
Wizzet, daz eu fugte paz,
daz eu die fuzze waeren laz
Und ir in eweren zellen belibet,
niht die zeit hie vertribet.
t05 Get enwertz, lat den spot.“
die geste sprachen: „ey durch got
Lazze uns newer dise naht
mit deinem dache sein bedaht,
Wan der tach ist vergan.
110 durch got heiz uns lau.
Wir sein sere müde;
wie ez sich auch gefuge,
Ob uns beleihet der gesunt,
wir raumens in der morgen stunt “
264
Z i n g e r 1 e
115 Vor der tur si stende beliben.
swie er het si vertriben,
so wolden si doch ninder gan.
hie nach der wirt, der alte man,
Zu einem seinen iungern sprach:
120 „fure die geste an gemach
Alhie pei uns in den stal.
da sol ir ru doch werden smal“.
Als si wurden praht dar in,
da si aleine solden sin,
123 Do was ez vinster drinne.
in einem guten sinne
Ieschen si von im ein lieht,
des wolde er in auch geben niht.
Wörterbuch *).
abte: der abte tet, als er solde E 1 26. — vgl. E 1 25, 32, 74,
97. — F l 39, 45, 106, 111, 114.
amt: der metten amt Q* 81. vgl. K. Pass. 244, 91.
argen swv. zuwider sein, im argeten die mere. Lp. 5245. K. Pass.
40, 57. 496, 97. Marl. 21, 135.
arzedien swv. gotes helfelicher trost arzediete im siner swere.
Lp. 4557 vgl. K. Pass. 65, 54. 143, 92. 181, 30. 303, 43.
balt adj. kräftig, vor was ez (daz gebet) beiz und balt, nu was ez
laz und kalt. Lp. 4713. K. Pass. 27, 70. 37, 82. 240, 25.
barfuzze swm. Barfüsser. C 107.
bederben swv. gebrauchen, benützen, daz er sin selbes erbe nach
willen gar bederbe. Lp. 4128 K. Pass. 267, 58. 404, 85.
528, 8.
bedrengen swv. B. 104. — bedrenget. H. Pass. 118, 62.
begeben, Gott geweiht als Einsiedler, Mönch, ein iuncfrouwe was
begeben gewesen lange zit durch got. Lp. 5262.
begeben und un begeben C 100. Derselbe Vers H. Pass.
56, 63. 434, 82. 402, 82. begebene diet. K. Pass. 53h 11.
D Ich beschränke mich dnrmil\ nur selten belegte, oder Für das Wechselverhültniss
zwischen dem Pnssionale und dem Leben der Väter bezeichnende Wörter zu gehen.
Findlinge.
265
begeinen swv. A 23. K. Pass. 13, 3. 18. 1. 22, 1. 46. 9. 68, 84.
673, 92.
begunst stf. Beginn, Anfang.
min ende und min begunst. Lp. 732.
danne an mir von iu ist begunst. Lp. 1130.
an der seligen begunst. Lp. 5199. — Af a 91. P a 45.
Qt 31. H. Pass. 56, 25. K. Pass. 112, 8. 409, 31.
behagdestf. Gefallen?
wirt verdrucket Zornes kraft
mit hezlicher vintschaft,
wirt valscbe liebe hingeleit
mit der behagde glichsenheit. Lp. 4151.
b eh ölet adj. bekleidet, verhüllt.
die fuzze und pein sein
waren im beholet und beschut. P■*, 123, vgl. be-
hullen K. Pass. 689, 84. und mhd. Wörterb. I, 680.
beiac stm. Erwerb, Gewinn, Vortheil, Trachten.
daz man durch guten beiac. Lp. 1667.
zu gote stunt al sin beiac. Lp. 1714.
durch der tilgende beiac Lp. 2832 u. s. f. C 33.
P< 26. S> 8. 0< 37. 0- 106. Siebenschläf. 319. H. Pass.
31, 44. 40, 40 u. s. f. K. Pass. 1, 61. 8, 30. 20, 70. 24, 86.
65, 13. 66, 53. u. s. f. Es ist ein Lieblingswort des Dichters
im Reime.
bekliben stv. Wurzel fassen, gedeihen K 1 59, 76. vgl. H. Pass.
172, 39. 316, 78. K. Pass. 38, 32. 199, 11. 217, 19. ff.
bekorn swv. versuchen, locken M a , 27. Q' 116. da von maniger
wirt bekort. Lp. 3026. K. Pass. 163, 63. 406, 77. u. s. f.
bekorunge stf. der bekorunge strit. Lp. 4705. der bekorunge
unzuht. Lp. 4791. K. Pass. 369, 67.
berc stm. ze berge sehen K' 14. vgl. H. Pass. 95, 27. 156, 93.
165, 29. 190, 91. K. Pass. 11, 56. 39. 94. 270, 44.
beriht adj. versehen K- 23. K. Pass. 521, 80.
berufen, sich H a , 89. vgl. K. Pass. 333, 58. 279. 74.
berugen s. rügen.
beschaff stf. Schöpfung? Beschaffenheit? B 18,
26<?
Z i n g e r 1 e
besnaben swv. straucheln, lallen C 22. Siebenschläfer 689.
K. Pass. 28, 20. 47, 13. 104, 69. u. s. f. H. Pass. 32, 85.
64, 74.
besuln swv. besudeln, beflecken. B 85. G' 45. K 2 105. K. Pass.
8, 89. 28, 82. 29, 33. 104, 39. 161, 15. 249, 22 ff.
betaere stm. Name von Einsiedlern P» 66.
beviln swv. der arbeit bat mich nie bevilt Lp. 5561. N' 73.
Siebenschläf. 683. H. Pass. 50, 56. 55, 59. u. s. f. K. Pass.
13, 68. 18, 36. 21, 10. u. s. f.
bewerden swv. gewähren N 2 58.
binde stf. B 112.
blaten swv. entlauben 0' 125.
blicschoz stm. Blitz. B 107. H. Pass. 91, 22. 89, 49. 253, 51.
312, 39. K. Pass. 117, 41. 230, 43. 491, 12. 638, 72.
boten swv. verkündigen, einprägen.
und wie man tugentliche zullt
in daz herze mohte boten. Lp. 4733. K. Pass.
439, 46.
bozzen swv. pochen M 1 122. H. Pass. 124, 65. K. Pass.
691, 39.
brichelich adj. zerbrechlich K* 68. vgl. bruchelich H. Pass.
248, 82.
brodeclich adj. schwach.
nach brodeclieher akust
began er mit gedanken Stegen. Lp. 4672
uf brodecliehe bosheit. Lp. 4719
und widersage der gelüst
der brodeclichen akust. Lp. 4093.
Im mhd. Wörterb. I, 262 nur aus Barlaam 63, 6 belegt,
bruch stm. Schlucht O' 114.
b u d e swf. Hütte.
in unser buden da nam ich
und gab ir hart williclich,
daz sie getrank und gaz. Lp. 5321.
uz unser morthuden
gienge wir zeimal luden. Lp. 5285.
vgl. die kemele si entluden
und brachten si zu buden K. Pass. 512, 39.
Findlinge
267
burnen swv. brennen A SO.
in einem burnden geiste er vaht. Lp. 4591 K. Pass.
11, 19. 14, 45. 78, 16. 108, 10, 300, 35, 540, 38.
degen stm. gotes degen, frommer Manu. B 98. E 1 32. Lp. 1469.
4923. 3513. K. Pass. 307, 36. 473, 43 u. ö.
diaken stm. Diakon H< 11. H. Pass. 138, 51. K. Pass. 214. 29.
615, 1.
denen swv. sieh bemühen, anstrengen, streben.
der bi den luten stete wont
und uf den drin striten dont. Lp. 3028. K. Pass.
340, 34. 348. 92. 403, 48.
drete stf. Eile, Schnelligkeit.
mit zornlicher drete. Lp. 4475. Marl. 25, 356.
K. Pass. 25, 11. 223, 55. 456, 22.
drumen swv. zertrümmern, zerstören.
der sal genzilich entzwei drumen
sin selbes wille. Lp. 2858.
und damit ihte nider drumst. Lp. 2630.
mac uns der tot, als iu, kumeu
und mit kraft darnider drumen. Lp. 3954.
H. Pass. 66, 81. 239, 16. K. Pass. 450, 30.
ecclesie swf. Kirche H~ 65. der heiligen ecclesien rat. Lp. 4968.
K. Pass. 53, 2.
enhinucn adv. innerhalb, sin herze im enbinnen iaeh. Lp. 5432.
H. Pass. 58, 50. 75. 71. 77, 70. 96, 67. 97, 39. K. Pass,
s. Belege s. 714.
ennumenamen adv. wahrhaftig D l 125. euuumenamen do sprach
er. Lp. 1302. H. Pass. 51,41. K. Pass. 178,42. 343, 96.
531, 40. 585, 22. 658, 20.
enthalden stv. zurückhalten, beherbergen. R 2 88. sich enthalden,
sich aufhalten, wohnen vl/'O. vergl. K. Pass. 90, 61. 208, 24
u. f. 641, 34, 655, 49.
entminen swv. entweichen. _P' 2 59. K. Pass. 426, 95. 681, 4.
entseben stv. fühlen, merken, inne werden. F 2 65. G‘32. H 2 104.
/f‘71.1P42. M 2 60, 74,104, 121. 0*91,iV*54. Lp. 714. 961.
1113.1389. 1736.3321. 3483. 3859. 4395. 5472 u. s. f.
H. Pass. 12, 60. 14, 6. 31, 73. 32, 78. 41, 56. 42, 14. 44,
Z i n g e i* 1 e
20 <8
75 u. s. f. K. Pass. s. Belege s. 715. Es ist ein beinahe auf
jedem Blatte wiederkehrendes Lieblingswort des Dichters,
entweten st. v. aus dem Joche lösen, befreien.
swer an daz rehte si getreten,
durch got uz der werlte entweten
an des himels strazen. Lp. 3102. K. Pass. 53, 48.
339, 22. 388, 47. 582, 11. 615, 67.
entwilden swv. fremd, ferne sein. .FM8. K. Pass. 191,92.
er dich adj. arg, boshaft.
sus lac vor in der gotes heit
erclich von in gequelt. Lp. 1100.
mit erclicher meisterschaft. Lp. 2492
sin ercliche vede. Lp. 4264
K. Pass. 87, 36. 211, 90. 225, 2 und öfters,
erge stf. Bosheit. A 25, 48, 63.
die bösen geverten
ir erge do zu kerten. Lp. 1054.
sin erge tet im we. Lp. 1097.
der sich siner erge vleiz. Lp. 2939.
1118. 3074. 4316. 4479. 4514. 4524. 4825. und öfters. H.
Pass. 47, 8. 57, 20. 65, 64, 84. u. s. f. K. Pass. 683, 38 und
öfters. Ein Lieblingswort des Dichters,
ergrünen, swv., sich . ergrünen F‘77. vergl. ergruen K. Pass.
372, 70.
er wegen stv. aufgeben.
mines teiles ich mich erwige. Lp. 4508.
K Pass. 9, 6. 110, 20. 202, 10. 341, 16.
esse stf. vor im in der esse
ein isen lac unde glute. Lp. 4992.
ewart swm. Priester _ff*87. K. Pass. 65, 22. 492, 7.
galm stm. Ton, Gesang. C 62. K. Pass. 48, 42. 60, 93. 335,59.
gast stm. fremd L a 76. K. Pass. 89, 89.
geieten stv. jäten
und wie man solte uz geieten
der bekorunge unzuht. Lp. 4790
ge i seist ah stm. du virfluchter geiselstab. Lp. 5108.
Findlinge.
269
gelf stm. Ruf, Lärm, Pracht.
an trost, an Schimpfes gelfe. Lp. 4450
K. Pass. 25, 31. 214, 4. 342, 96 u. öf.
gehusetadj. wohnhaft, gesessen. 54. 0*95. vergi. husen K.
Pass. 599, 16.
geramen stv. streben.
got gab im ouch der tugende vruht,
daz er mit lere in aller zuht
konde wol geramen. Lp. 2989 ff.
geseten swv. satt machen.
sol dich pine wol geseten. Lp. 4461.
gewahenstv. erwähnen, gedenken. swa man ir iht gewuc
1860. K. Pass. 15, 10. 54, 34. 187, 22. 351, 14.
gief stm. Narr, als ein torehter gief. Lp. 4760.
der vil sinnelose gief. Lp. 2375.
K. Pass. 32, 87. 115, 7. 130, 77. 204, 83.
gi ft stf. Gabe IP 63.
so gib ich dir die hohen gift. Lp. 1194.
hat mich got der wise
bedaht an tegelicher gift. Lp. 2009.
in der gütlichen gift. Lp. 2705.
die wir han von gotes gift. Lp. 3092.
die si hant von gotes gift. Lp. 3577.
der genaden gift. Lp. 4650 u. s. f.
K. Pass. 25, 38. 35, 67 u. s. f. H. Pass. 53,10. 333, 28 u. oft.
Es ist ein Lieblingswort des Dichters, das er im Reime meist
mit stift, öfters auch mit schrift bindet. -
gli z stm. Glanz. iV 1 21
grat stm. Spitze.
und kumen uf der genaden grat. Lp. 4436. vergi. der wirde grat
K. Pass. 318, 89. der armute grat, ebendort 522. 2. in der tu
gende grate, ebd. 540, 9. uf der eren grat, ebd. 664, 40 u. oft.
grob adj. stark.
borte wol, wie rehte grob
uf den bruder trat ir lob. Lp. 2318
K. Pass. 1, 31 5, 19. 566, 68. 690, 23.
grobeliehe adv. des erschrac vil grobeliche. Lp. 5220. K. Pass.
210, 58. 235, 5.
Zin;erle
270
gruse stf. Grüne.
als daz gras uf der wisen
winterzit virdirbet,
wan im die gruse irstirbet,
dar uz ez wabsen solde,
sus was der gutes holde
von abstinencien hertekeit
und von steter suche leit
virdorret an der gruse. Lp. 3912 ff.
H. Pass. 35, 77. 90, 81. K. Pass. 320, 25. 350, 21. 691, 6.
grut stm. Gruß.
daz von ir valschem gräte
sich irret das gemute. Lp. 4051
guft stf. Begierde Zf* 104.
und ahte niht uf sine guft. Lp. 2467.
K. Pass. 179,52. 553, 7. 426, 37. 525, 75. 591, 58 u. oft.
hac stm. in den hagen, im Gehölze Q l l7
halfetere stf. Halfter.
si heten in den ziten
ein halfetere an in geleit. Lp. 3385
hazlieh nemen L a 64.
heimot stf. Heimat G*81. heimut A 35
hellegouch stm. Teufel
er enphie harte grozen trost,
do er den armen hellegouch
swarz gesach. Lp. 771.
heileritter stm. Teufel /J‘30. H. Pass. 99, 93.
hellewarte swm. Teufel
des hellewarten phile. Lp. 610.
her stn. Heer, daz wutende. S 1 43
des tuvels wutendez her. Lp. 3236.
h i m el s a r c stm. Himmel C 88.
hinderstellec adj. hinterlegt, aufbewahrt.
noch ist dir hinderstellec
zu vindene daz groze gut. Lp. 5600
K. Pass. 318, 75. 534, 19.481, 21.
holde swm. gotes holde //*40, 101. Ä" 1 42. Lp. 3903. 3916.
4972 u. öfters. K. Pass. 242, 74.
Findlinge.
271
honicmaze adj. honiggleich.
sine honicmaze zunge. Lp. 2994. H. Pass. 105, 34.
horde swm. Hort Z)* 87. v. Karajan, Siebenschläfer 555, liest diesen
V. an vil grozen horden.
h u g e (hüge) stf. Einbildung.
mit besulten troumen
muze er dulten manige trüge
von arger tuvelicher huge. Lp. 2640
holde stf? wan si ze posen hulden
in nilit wolde machen ^*50.
d. h. Sie wollte ihn nicht in schlechten Leumund bringen, (oder
ist es hulden stn. vrgl. ir melden und ir hulden. Frauenlob
60, 19.?)
hu sei in stn. Häuschen ^89
sach er dort ein huselin. Lp. 4765 K. Pass. 598, 85, 644, 98.
husgemach stn. Wohnung M 1 117. 128.
die vurte ich in ir husgemach. Lp. 5281.
H. Pass. 37, 3.
innekeit stf. Innigkeit, Andacht. iV 2 61.
und was gar unvirdrozen
an stetelicher innekeit. Lp. 3471.
und er sin gepet gesprach,
daz mit innekeit geschach. Lp. 4626.
hie von sul wir als der visch
zu huse an innekeit sin risch. Lp. 3016.
unser iegelieh sich do lie
an seine gebet mit innekeit. Lp. 3739.
u. oft. K. Pass. 10, 14. 36, 81. 46, 11. 579, 83. 665,16 u. oft.
Ein Lieblingswort des Dichters.
itellich adj. eitel, leer iV 2 101. H. Pass. 56, 18. K. Pass. 7, 45.
222, 15.
kluft stf. Kluft, in des herzen kluft 77M04. K. Pass. 179, 51.
591, 57.
knote swm. Knote. TT 1 22.
hie belibet unzerloset der knote.
-er ist zu ho gebunden. Lp. 54.
272
Z i n g e r 1 e
H. Pass. 93, 10. K. 67, 81. 158, 9. 80, 56. 114, 24. 120, 64
u. öfters.
korbel stn. Körbchen 5*7. vergl. hundel, Hündchen K. Pass.
393, 53.
k r e w e 1 stm. dreizackige Gabel, Kräuel M l 2. in K. Pass, krowel
122, 64. 164, 88. 173, 97.
k urt adj. kurz.
wan unser leben ist so kurt
zü dem tode von gebürt. Lp. 3117.
dieselbe nd. Form K. Pass. 78, 88. 478, 36. 494, 70.
lenk adj. link B 8. 116.
lim men stv. brüllen, heulen.
als ein tobender hunt er lam. Lp. 2942. K. Pass. 134, 35.
Ion stn. K x 27. K. Pass. 30, 83. 33, 90 u. oft.
Io stf. Flamme. iV*14.
luden swv. rauben, plündern.
uz unser mortbuden
gienge wir zeimal luden. Lp. 5386
Marl. 14, 55. H. Pass. 240, 95.
meiltetec adj, boshaft, frevelhaft, böse und meiltetec. Lp. 3180.
meintat stf. Schandthat. .4 35. K. Pass. 8, 19.
meistic adv. meist, am meisten N x 44. K. Pass. 676, 63.
mortbude s. bude.
morvar adj. schwarz L*31. als ein kint morvar. Lp. 699. K. Pass.
157, 79.
name swn. Name.
Hei du munch, du munches name. Lp. 4298. s. unten wibesnam.
n ah tsed el stw. Nachtlager, Nachtherberge. M x § 1. H. Pass. 48,
36. 28, 80. 42, 80. K. Pass. 192, 15. 250, 55 u. oft,
niftel stf. L 1 90. K. Pass. 290, 14. 434, 84 u. s. f.
uumenamen adv. wahrhaftig. C 9. K. Pass. 464, 20.
nuz st. Nuß. du bist gewesen unz her ein heit,
und hast die nuz wol gescheit
unz hin uf die schale. Lp. 5623.
■
Findlinge.
273
osen swv. erschöpfen, leer machen, veröden. B. 34.
lat die rehten hosen
uf sich selber osen. Lp. 1432.
H. Pass. 271, 5. K. Pass. 122, 60. 391, 78. 443, 42. 479.
52 u. oft.
ot, nur, halt, manchmal verstärkend D 1 7. D-105. £*42. J'36.
J*ll 3. L*52. K. Pass. 3, 64. 12, 66. 80, 11. 99, 14 u. oft.
pfluch stm. Pflug.
und daz was seines gewinnes pfluch. R l 9
dit was irs gewinnes pluc. H. Pass. 31,19.
phutze stf. Pfütze.
uz sinnes herzen phutze
roch nu manic übel stanc. Lp. 4707.
K. Pass. 5, 61. 193,16. 238, 48. 539, 4. 369, 69.
prophen swv. pfropfen, pelzen.
er was geprophet uf den stam. Lp. 1510. K. Pass. 5, 57.
poneiz stm. Anprall, Stoss, Kampf.
er müze von diser valsehen mailt
dulten manigen poneiz. Lp. 4140,
ramen swv. zielen, streben, erstreben.
daz wir im sime lobe leben
und siner liebe ramen. Lp. 3137.
ir erge uf in began glüen
und wart sin vaste ramen. Lp. 4417.
er sprach: „ir sult des ramen,
daz ir mit ganzem vride gat. Lp. 4920.
do wir zu dem quamen,
der gute man wart ramen,
wie er mit aller demut
geschufe. swaz uns were gut. 5016.
u. oft. K. Pass. 27, 10. 66, 38. 68, 24 u. s. f. s. geramen.
rechen stv. harken. M 1 52. K. Pass. 575. 82. H. Pass. 41, 4.
reinen swv. regnen. A 24.
Sitzb. d. phil.-hiat. CI. LX1V. Bd. I. Hft.
18
274 Zingerle
risch adj. frisch, behende.
hie von sul wir als der visch
zu huse an innekeit sin risch. Lp. 3016.
und an im zu got was risch. Lp. 4627.
K. Pass. 107, 56. 196, 98 u. oft.
rische stf. Eile.
in snellicher rische. Lp. 4721. K. Pass. 220, 91. 297, 4b.
rote stf. Schaar, Rotte. C,. 105. //*90.
bi der seligen rote. Lp. 145.
uz der iteln rote. Lp. 155.
do sprach er zu der guten rote. Lp. 3089 u. oft.
er vloch alle spilerote. Lp. 276
K. Pass. 5, 27. 9, 66. 20, 59. 90, 31 u. oft.
ruche stf. Sorgfalt. J*. 28. vergl. ruch K. Pass. S. 761.
rügen swv. rudern.
rehte als ein schif er tet,
daz wol beruget sere gat.
als man daz rügen bliben lat,
so get ez von dem swänge,
doch weret daz niht lange. Lp. 4676 ff.
K. Pass. 125, 84.
ruse swf. Reuse.
durchholret als die rusen. Lp. 4734.
rustern, riustern swv. räuspern A'*4.
ruwesere stm. Busser.
in der wüste ein ruwesere. Lp. 1902.
wa der ruwesere
durch in verborgen were. Lp. 1915.
den armen ruwesere. Lp. 4464.
er was ein ruwesere. Lp. 4558.
der getruwe gotes bote
sprach zu dem ruwesere. Lp. 4869 u. oft.
schimel stm. Schimmel. K. Pass. 4, 23. 46, 70. 95, 5. 108 r
66 u. s. f.
Findlinge.
275
schirre stv scharre.
si gruben unde schurren. Lp. 2086 H. Pass. 41, 54. K. Pass.
372, 38. 661, 68. Marl. 21, 45. 19, 184.
schonde stf. Schönheit, Sauberkeit.
er sach daz brot vor im Iigen
aller schonde gar verzigen. Lp. 4730.
schranz stm. Riß, Wunde 1P75
ane allerhande wankels schranz. Lp. 1104. Marl. 21,
123. H. Pass. 233, 92. K. Pass. 180, 64.
schrewel stm. der helle schrewel, Teufel M i 1. schrewel muss
Henker, Peiniger bedeuten, vergl. K. Pass. 122, 63 u. 164, 89.
damite si als die schrowele
liefen uf den gotes trut.,
wo schrowel nicht Schrobel, stumpfer Besen, bedeuten kann,
wie Köpke S. 766 will,
schulen swv. hören:
hie under muste er schulen
daz wolveliche hulen Lp. 1089
schunden swv. reizen.
daz in begonde schunden. Lp. 659.
schunden stn. Anreizung P 1 35. H. Pass. 202, 81.
sete stf. Sattheit, Fülle
der vater an dem sune hete
aller Wollüste sete. Lp. 23.
sinder stm. Hammerschlag, Metallschlacke.
und als in heizem vuwer lat
daz golt sine sinder und den rost. Lp. 3818.
vergl. K. Pass, sindern 519, 4.
slaherze swn. F l 87.
sloufen swv. mache schliefen, ankleiden B. 91. vergl. sloufen K.
Pass. 187, 30. 257, 62. 639, 47.
snaben swv. fallen, straucheln. Z 2 70. H. Pass. 53, 29. K. Pass.
28, 20. 34, 64. 72, 57 u. s. f.
snellen swv. eilen. P 2 70. K. Pass. 134, 92. 444, 53.
sot stm. Pfütze.
begraben in der helle sot. Lp. 4407.
18*
276
Z i n g- e r 1 e
Stegen swv. steigen, gellen.
nach brodeclicher akust
hegan er mit gedanken Stegen. Lp. 4673.
steinrusche swf. brüchiger Bergabhang, Muhre, Lahne. S* 49.
uf einer steinruschen ho. Lp. 3450.
under einer steinruschen ho. Lp. 5044.
vergl. steinrotsche K. Pass. 221, 70. 598, 94.
Hier möge bemerkt werden, dass steinrusche, Steinrutsche
nichts anders bedeutet, als einen morschen Bergabhang, von
dem Felsen sich lösen und weites Gerolle bilden, (rutschen
gleiten, kollern, s. Schöpf S. 572.) Wenn es in Megenberg 268,
32 heisst: „der traclie wont in holen bergen und allermeist da
steinrütschen sint,“ so trifft dies ganz, denn wenigstens in Süd-
tirol hält sich das Gewönne am liebsten in solchen Muhren
auf und die Sage verlegt dorthin die Wohnung der Drachen
und Stollwürmer.
stift stf. 1. Bau, Stiftung 2. stm. Stift, Stelle. B. 82, H* 62. 3* 5.
sit an dir haftet niht der stric
des tuvels noch sin arge stift. Lp. 1193.
sich ervullet wol ein wort
an der selben nuwen stift. Lp. 1575.
vil lange hie in dirre stift. Lp. 2010.
die an ir hefte iren stift. Lp. 4649
u. so oft gebunden mit gift.
K. Pass. 6, 40. 34, 57. 74, 36. 233, 60 u. s. f.
stolzen swv. stolz sein, im half niht al sin stolzen. Lp. 4280. K-
Pass. 512, 3. 397, 31.
struten. swv. rauben, plündern.
do man in dem walde sacli
min kumpane und mich wüten,
die arme lute struten. Lp. 5258 Marl. 14, 55.
K. Pass. 20, 89. 435, 82. H. Pass. 275, 21.
sumerlate swf. Sommerspross, Zweig eines Sommers,
daz manic ris dar uz sproz
und wart zu sumerlaten groz. Lp. 1610.
K. Pass. 667, 13. Marl. 21, 241.
sw ebei stn. Schwefel. IV* 98.
Findlinge.
27?
terciane swf. dreitägiges Fieber.
do was bi uns ein siecher man,
ein guter bruder sunder wan,
der mit der tercianeu vaht;
die krenket im des libes mäht
und muete in vil hart,
des dritten tages nach ir art. Lp. 3803.
vgl. da von (von dem unmäzlichen pluote) chumt daz vieber,
daz da heizet terciana, daz leidiget den menschen an dem
tritten tage. Pfeiffer, zwei deutsche Arzneibücher S. 22, 13.
des chrütes nim zehen bleter unde gip dem, der tercianam habe,
ebenda 47, 5.
tiefeihaft adj. besessen L 2 119.
swer siech quam oder tuvelhaft. Lp. 3637.
K. Pass. 38, 94. 367, 84.
trugewiht stn. (?) Teufel.
du bist ein arc trugewiht. Lp. 3052.
überlast stf. übergrosse Last, Beschwerde.
M 1 42. H. Pass. 62, 35. K. Pass. 133, 82. 496, 69.
uberstille adj. uberstille und uberlut. Lp. 3612.
ubervlut stf. Überströmen, überströmende Menge.
an der genaden ubervlut. Lp. 2905.
die din ubirvlute
uf uns armen guzet. Lp. 3456
die mit ubervlute
in so grozer gute
den sunder vil gerne enphet. Lp. 3377.
H. Pass. 33, 58. 65, 75. 42.
Überwege stf. das Überwiegen.
der lazheit Überwege
machte in ein teil ouch trege. Lp. 4655.
unbegeben s. begeben,
unbewollen adj. unbefleckt, rein K 2 76.
H. Pass. 153, 29. K. Pass. 84, 89. 183, 40. 388. 16. 618, 48.
undervahen stv. verhindern, hemmen.
J 1 17. P 2 67. K. Pass. 253, 36.
Z i n ff e r I e
278
ungeil adj. traurig.
durch waz er were so ungeil. Lp. 3209.
unrellec adj. fest.
und pist dran gewesen ein degen
vor gote gar unvellec. Lp. 5598.
K. Pass. 552, 75.
unvelschlich, adj. treu, redlich.
mit unvelschlichem sinne. Lp, 3415.
unvlat stf. Schmutz, Unkeuschheit u. oft, C 41, 84. G 1 45. J 1 25.
K l 58. V 74. R l 117. 125.
uf die unflat. Lp. 734.
ez ahte für ein unflat. Lp. 1280.
duhte si gar ein unflat. Lp. 1583.
die clarheit, die unvlat. Lp. 3278.
zu waschene abe die unvlat. Lp. 3817.
daz brot dar quam mit unvlat. Lp. 4700.
durch des brotes unvlat. Lp. 4747.
u. oft. 4427. 4727. 5082. 5269 u. öfters.
K. Pass. 8, 7. 29, 33. 13, 65. 79,9. 96, 71 u. s. f. Marl. 11, 105.
unvletic adj. beschmutzt, unrein.
wan ez unvletic was ein teil. Lp. 4697. K. Pass. 189, 93.
616, 55.
urhap stm. Urheber, Anfang. Anstiftung H l 115. K Pass. 60, 11.
64, 98. 70, 93 ff., sehr häufig in Barlaam.
vaz stn. Fass, Gefäss.
du armez vaz valscher gelüst. Lp. 3426
do sprach er: „du virfluchtez vaz“. Lp. 5102. H. Pass. 100, 44.
Johannes der genaden vaz. Lp. 3769.
vede stf. Kampf.
doch slugen si dran bede
ir hende sunder vede. Lp. 2020.
sin ercliche vede
liez niht der tuvel hüben. Lp. 4261.
K. Pass. 189, 44. 291, 52. H. Pass. 155, 51. 178, 73.
verant, beendet J 1 53.
verdrucken swv. zerdrücken, vernichten. N l 100. K Pass. 28,
49. 36, 57. 208, 51 u. oft.
Findlinge.
2T9
yerdrumen swv. zertrümmern, zerstören.
uf daz nu yerde niht virdrumet
din geloube hin zu gote Lp. 3582.
K. Pass. 16, 84, 29. 66. 49, 92. 91, 33. 102, 68 u. oft. H.
Pass. 63. 80.
vereinen swv. sich zurückziehen in die Einsamkeit. H l 34. K. Pass.
59, 6. 436, 88.
verlernen swv. lähmen.
an im si (die ruwe) gar virlemete,
swaz er der werlt willen hete. Lp. 4370,
vrgl. K. Pass, verlamen 88, 14. 179, 20.
verquoln nach, verliebt in, erpicht auf. jP* 109.
K. Pass, 492, 68. 662, 16. Marl. 23, 286.
verschalten stv. verstossen.
höret die gotes gute.
der nieman i) wil virschalten. Lp. 3269.
K. Pass. 102, 75. 158, 28. 312, 54, 673, 68.
verschuben swv. verschieben.
und man den wec verschubet. Lp. 4148. K. Pass. 514, 30.
versinnen stv. sich, besinnen, zu Sinnen kommen. E 1 38. K.
Pass. 47, 97. 226, 72 u. oft.
vertreten stv. zertreten. N 1 100. K. Pass. 190, 78. 528, 35. 591,
65 u. oft.
vertumen swv. verdammen, verurtheilen.
du 2) virtumeter wizener. Lp. 5110.
K. Pass. 133, 37. 207, 59. 387, 71 u. s. f.
vertumnisse stf. Verurtheilung, Verdammnung. B, 51. K. Pass.
206, 24.
vesperstunde stf.
hin umbe die vesperstunde. Lp. 4723.
vespertac stm.
hin umbe ienen vespertac. Lp. 4623.
viant stm. Feind. Lp. 635. 4213.
ha. niemanne.
2 ) ha. der.
280 Z i n je r I e
villate stf. Geiselurig. R' 22. H. Pass. 208, 84. 74, 67. 86, 51,
K. Pass. 41, 80. 85, 48. 329, 60.
vliez stm. Fluss. R 2 17. K. Pass. 365, 12. 479, 24. 624, 96. 229,
94, 438, 84.
volbort stm. volles Mass, Fülle. A. 51.
aller sunden volbort. Lp. 573.
vrgl. vollen bort. K. Pass. 557, 43.
vollemunt, fullement stm. Fundament. K 1 10.
des rehten lebens vollemunt Lp. 3966.
H. Pass. 1, 13. 114, 78. 115, 33. K. Pass. 64, 69. 114,
19 u. oft.
vollenbringen stv. R 2 29. 72.
unz an dir werde vollenbraht. Lp. 5632.
K. Pass. 379, 81.
vollenherten swv. vollends fest machen. D 1 40.
vollensagen swv. ganz sagen.
als diz bete vollenseit
der gotes engel reine. Lp. 5162,
als er daz bete vollenseit. Lp. 5470.
K. Pass. 44, 1. 662, 68.
vollensprecben stv. vollständig erzählen, sprechen. E l 19. K.
Pass. 45, 9.
vollenvarn stv. vollenden. F l . K. Pass. 81, 74. 159, 5. 312, 26.
406, 97 u. s. f.
vrilich adj frei, frisch.
der edele gotes wigant
bozte vrilich an daz tor. 5425.
si chlopfte freileich an daz tor. jE 1 23.
K. Pass. 439, 68. 61, 10.
verwart adv. vorwärts. L l 115,
wir gingen aber vurwart Lp. 5179.
K. Pass. 2, 16. 257, 87 u. s. f. H. Pass. 69, 88. 113, 47.
walthuwaere (hs. walchawaere) stm. Holzhauer. L 2 14.
werfen stv. werfen, legen.
auf si warf seinen vleiz. W l 48.
der tuvel auch darinne warf
an den wirt gelüst so scharf. Lp. 4260.
K. Pass. 83, 34.
Findlinge.
281
wibesnam stn. Weib. M x 14.
wand si was ein wibesnam. Lp. 369.
ein truric schone wibesnam. Lp. 5288.
H. Pass. 73, 90. 76, 20. 377, 3. Marl. 20, 58.
widersatz stm. Widersetzlichkeit, Widerstand. C 69. K. Pass.
111, 4. 204, 23. 296, 5. 378, 25.
widerspenec adj. widerspenstig.
swaz were widerspenec.
er was im undertenec. Lp. 2841.
K. Pass. 375, 63. 220, 65. II. Pass. 340, 25.
widerwarte swm. Feind.
siner widerwarten stric
behabefe an im vil gar den sic. 4751.
wigant stm., gotes, frommer man. L l 8.
ein edel gotes wigant. Lp. 3451.
da er den gotes wigant. 3691.
der gotes wigant. Lp. 1158.
da sprach der gotes wigant. Lp. 1177.
der gotes erwelte wigant. Lp. 1842.
der tugenthafte wigant. Lp. 1876 u. oft.
willekurn swv. wählen, beschliessen. O' 6.
K. Pass. 370, 60. 158, 50. 192, 58. 76, 82. H. Pass. 32, 9.
112, 88. 245, 68. 133, 8. Marl. 12, 15, 16, 10.
wizenere stm. Henker.
gegen die wizenere. Lp. 4528.
du virtumeter wizenere. Lp. 5110.
K. Pass. 12, 64. 167, 39. 467, 80 u. ü.
zannen swv. grinsen, die zähne weisen.
wan si zanneten und grinen. Lp. 1094.
ir zannen und ir grimmer i) doz
was uf Antonium vil groz. Lp. 1141.
K. Pass, 122, 63, 466, 22. 499, 8. 678, 58.
zocken swv. ziehen, treiben.
seht oucli wie er uns zocket. Lp. 1045.
K. Pass. 362, 76. 532, 46. II, Pass. 294, 71.
’) grimmen hs.
282 Z i n g e r 1 e , Findlinge.
zoten swv. trotteln, langsam gehen.
do er begonde also zoten
und daz yleisch uf im truc. Lp. 2122.
yergl. zoden H. Pass 287, 80.
zoteln hat in Tirol noch die Bedeutung von langsam, gemächlich
gehen. Schöpf. 831.
zunder stn. Zunder. N l 98.
Scherer, Deutsche Studien. I.
283
Deutsche Studien.
I.
Spervogel.
Von W. Scherer.
Zwei Dichter.
Dass die Gedichte, welche unter dem Namen Spervogel in un
seren Hss. überliefert sind, nicht alle von einem Verfasser herrühren,
deutet bereits die Handschrift A durch die Überschrift der junge
Spervogel an. Dafür hat schon von der Hagen in seinen Minnes. 4, 685
im wesentlichen die richtige Beziehung gefunden, und die betreffen
den Strophen sind von Lachmann und Haupt im Minnes. Frühl.
ausgeschieden. Mit Unrecht dagegen ^vollen Pfeiffer und Bartsch
(Germ. 2, 494. 3, 481) jenen jungen Spervogel mit einer weiteren
Scheidung der als echt übrig bleibenden Gedichte combiniren, welche
allerdings nothwendig scheint. Bereits Simrock (Lieder der Minne
singer, Elberfeld 1857, S. 61 ff.) hat dieselbe ganz richtig vor
genommen.
Die Gründe, welche dafür sprechen, suche ich im Folgenden zu
entwickeln.
Die 'echten’ Gedichte sind in zwei Tönen abgefasst (der erste
MF. 20, 1—25, 12; der zweite 25, 13 — 30, 33), die sich in auf
fallender Weise unterscheiden. Sprechen wir zuerst vom zweiten.
Weiteres Ausholen ist nöthig.
Der Ton MF. 3, 7 wird oft Moroltstrophe genannt. Aber so wie
ihn die Herausgeber, und gewiss mit Recht, dargestellt haben, ist
das nicht richtig. Es liegt eine vierzeilige Strophe vor: ein Reim
paar von vier Hebungen stumpf, darauf ein zweites Reimpaar von drei
Hebungen klingend mit einer Waise von vier Hebungen stumpf vor
der letzten Zeile. In der Moroltstrophe dagegen besteht das zweite
284
Scherer
Reimpaar aus vier Hebungen stumpf, und die Waise ist (so weit man
urtheilen kann) in der Regel klingend: das Verhältniss von Waise und
Reim also wie z. R. in der Nibelungenstrophe.
Wer den Ton MF. 3, 7 Moroltstrophe nennt, legtauf den
(wahrscheinlichen) Unterschied der Waisen kein Gewicht und fasst
die Reime darben : armen, vlizen : verletzen als zweisilbige stumpfe
auf. Das ist auch jedenfalls die Entstehung der Strophe (wenn wir
von der Waise absehen), dass in der gewöhnlichen Strophe von vier
viermal gehobenen Zeilen das erste Reimpaar regelmässig ein
silbigen, das zweite regelmässig zweisilbigen Reim bekommt. Aber
eben in dieser re ge 1 m äs s ige n Abwechslung von ein- und zwei
silbigem Reim liegt die Anerkennung des zweifachen Reimgeschlechtes,
die Entstehung des Unterschiedes zwischen männlichem und weib
lichem, stumpfem und klingendem Reim.
Die Form der Waise beruht auf der altüblichen Verlängerung
der letzten Zeile der Strophe, welche ihrerseits vielleicht aus
musikalischen Gewöhnungen hervorgegangen ist (s. Denkm S. 293).
Die verlängerte Zeile wurde durch Caesur so getheilt, dass jede
Hälfte dem regulären Masse der viermal gehobenen Zeile gleich kam.
Als Grundform der Moroltstrophe können wir demnach die ge
wöhnliche vierzeilige Strophe mit verlängerter letzter hinstellen. Und
wie Strophen von vier und sechs Zeilen (zwei und drei Langzeilen) in
der volkstümlichen Reimpoesie seit ältester Zeit neben einander be
standen (Denkm. S. 283), so dürfen wir auch eine sechszeilige
.Strophe mit verlängerter letzter ohne weiters statuiren.
Dem Tone MF. 3, 7 würde nach dem Gesagten eine Strophe zu
Grunde liegen etwa von der Form:
4 Heb. stumpf a
4 Heb. stumpf a
3 Heb. klingend b
3+a: Heb. klingend b.
Setzen wir 2 statt x, also 3 Heb., so gewinnen wir eine Grund
form (ich nenne sie Ä), die sich in abgeleiteten Gestalten tatsäch
lich nachweisen lässt. Zunächst in der Strophe der Ravennaschlacht *)•
Die zweite Hälfte ist genau so geblieben wie in A. Für die erste
0 In dieser Strophe scheint auch das Gedicht von dem 'Bauer der des Edelmanns
faule Tochter und träges Pferd meisterte 1 ab gefasst: s. Docen Iduna und Herinode
1812, S. 167.
Deutsche Studien. 1.
285
Hälfte müssen wir eine ältere Zwischenform (R a ) hypothetisch
statuiren, worin die erste Reimzeile um eine Hebung’ gekürzt war,
wie die drei ersten Reimzeilen der Nibelungenstrophe, und worin
jeder Zeile eine klingende Waise von 3 Hebungen vorgeschoben
war. Diese Waisen sind in dem uns vorliegenden Ton unter einander
gereimt.
Aber auch die zweite Hälfte von A ist einer Umgestaltung durch
eingeschobene Waisen fällig. Und zwar ist es unserer Beobachtung
an der Moroltstrophe und MF. 3, 7 gemäss, diese Waisen stumpf zu
denken, weil die umgebenden Reimzeilen klingend sind; umgekehrt
würden stumpfen Reimen klingende Waisen entsprechen, wie in den
Nibelungen. Eine alte wieder in jüngerer Umbildung nachweisbare
Strophenform entsteht durch Einschiebung einer Waise vor der
letzten Reimzeile, also (ich nenne die Form B) :
4 Heb. stumpf a.
4 Heb. stumpf a.
3 Heb. klingend b.
4 Hob. stumpf Waise. 5 Heb. klingend b.
Für A war das charakteristische, dass die verlängerte Zeile klin
gend reimt. Wenden wir das auf die sechszeilige Strophe an, so
würden sich 4 stumpfe Reimzeilen von 4 Hebungen (aa bbj ergeben,
dann 3 : 5 Heb. klingend. Nach der Form B käme eine stumpfe vier
mal gehobene Waise vor der letzten Zeile hinzu.
Damit erhalten wir den zweiten Spervogelton.
Auf B führen nun aber noch andere Töne zurück. So Wolframs
Titurelstrophe. Wir haben eine Zwischenform B b zu statuiren, welche
sich von B a nur dadurch unterschied, dass die zweite Hälfte nach der
Form B erweitert war. Daraus bildete Wolfram seine Strophe, indem
er die dritte Reimzeile auf das Mass der vierten brachte und die
stumpfen Reime der beiden ersten Zeilen in klingende verwandelte.
Aber auch die Waisen gehen meist klingend aus.
Ebenfalls B b scheint der Kudrunstroplie zu Grunde zu liegen:
die zweite Reimzeile ebenfalls um eine Hebung verkürzt, die Waise
auf alle Zeilen ausgedehnt, aber wieder klingend: das hatte hier wie
bei Wolfram wohl das allmächtige Beispiel der Nibelungenstrophe
bewirkt.
Also Spervogels zweiter Ton ist eine volksthümliche Form, mit
Strophen verwandt, in denen Ravennaschlacht und Kudrun, Lieder des
286
Scherer
germanischen Epos, gesungen wurden. Beachtenswert, dass die
Namen der Heldensage, welche die Gedichte des zweiten Spervogel-
tons erwähnen, Fruot und Rüedeger, gerade auch in den genannten
Werken Vorkommen.
Dem gegenüber nun der erste Spervogelton.
Man sieht, dass der zweite zu Grunde liegt und umgestaltet
wurde. Aber die Methode der Umgestaltung ist nicht mehr die volks
tümliche. Zwar dass die Waise (von 4 Heb. stumpf) auch der
dritten Reimzeile vorgeschoben erscheint, hat nichts auffallendes.
Auch dass die dritte und vierte Reimzeile wie bei Wolfram einander
gleich gemacht sind, aber in umgekehrtem Sinne, so dass beide nun
drei Hebungen zählen, möchte noch hingehen. Aber ganz im Geiste
der höfischen Kunst ist die Verlängerung der beiden ersten Zeilen
auf je sechs Hebungen. Und in jener Umgestaltung des letzten Reim
paares hatte der Dichter einen Vorgänger in dem Verfasser von MF.
30, 34. Sein eigenes Werk ist also gerade nur die Verlängerung.
Im zweiten Tone mithin volkstümliche, im ersten eine Bildung
mehr höfischer Kunst.
Ferner: im zweiten Ton finden sich, wie in den Nibelungen, bei
aller Anerkennung des Unterschiedes zwischen stumpf und klingend,
doch noch zweisilbige offenbar stumpfe Reime, die ohne Regel für
die stumpfen der beiden ersten Reimpaare eintreten. So etwas kommt
im ersten Ton nicht mehr vor.
Dazu treten ganz verschiedene Stufen der Genauigkeit des
Reimes. Wir treffen in den 28 Strophen des zweiten Tons die con-
sonantisch ungenauen, theils stumpfen, theils klingenden, theils zwei
silbig stumpfen Reime 26, 22 benam : man; 27, 3 erarget : darbet',
27, 13 grcewä : alwwre; 27,17 stige : schriet; 27, 29 leben:
pflegen; 28, 8 grinen : vermiden; 28, 13 starc : wart; 28, 17
eine : teile; 29, 6 länge : manne; 29, 13 härte : gärten; 29, 24
teilen : leide; 29, 34 ere : seid; 30, 20 tage : grabe; 30, 22
heiser : weisen (30, 6 man : gdn kommt nicht in Betracht). Dazu
der vocalisch ungenaue 30, 27 wäldes : goldäs. Dem gegenüber
stehen in den 33 Strophen des ersten Tones nur 20, 14 eren : lere;
20, 25 sin : bi; denn 24, 1 an: entstän; 24, 19 dan: getan bringe
jch wieder nicht in Anschlag. Also zwei Beispiele gegen dreizehn und
zwei Beispiele der leichtesten Art.
Deutsche Studien. I.
287
Man gewahrt endlich bald, dass im zweiten Tone oft die Sen
kungen fehlen, im ersten nur innerhalb desselben Wortes (20, 18
Spdrvögel; 22, 9 drmiiete) und in der formelhaften Redeweise
22, 29 est hiute min, morne din (Haupt Zs. 11, 578), also in der
Regel nie.
Die Strophen des zweiten Tones zeigen mithin eine beträcht
lich ältere Kunstweise als die des ersten. Aber kann nicht ein und
derselbe Dichter zu einer neuen Manier übergegangen sein, sich neu
aufkommenden Gesetzen bequemt haben? Im allgemeinen gewiss,
aber schwerlich in diesem Falle.
Betrachten wir die Persönlichkeiten etwas näher, welche uns
aus den Strophen beider Töne entgegen treten.
Der Dichter des zweiten Tones ist ein Bauernsohn, es stand ihm
frei das Land zu bebauen, wie wahrscheinlich seine Eltern und Vor
eltern gethan (26, 30). Er zog das unsichere Leben eines Spiel
mannes vor, wobei der Vortrag von Liedern der Heldensage, auf die
er wiederholt anspielt, vermuthlich sein Hauptgeschäft ausmachte.
Aber durch Talent und Tüchtigkeit gelang es ihm auch als Fahrender
sich emporzuarbeiten, die höheren Schichten der Gesellschaft er
schlossen sich ihm (ze liove 26, 13. 25) und die Freigebigkeit
adeliger Gönner, wie Walther von Hausen, Heinrich von Gibichen-
stein, Heinrich von Staufen, Wernhart von Steinberg, setzte ihn in
den Stand, sogar eine Familie zu gründen (25, 13).
Aber allerdings, so weit ging auch die grösste Freigebigkeit
solcher Mäcenaten nicht, dass der Dichter Vermögen sammeln, sich
ein sorgenfreies Alter bereiten und seinen Kindern einen zum Leben
genügenden Besitz hinterlassen konnte: auch sie muss er auf die
Gnade ritterlicher Beschützer vertrösten (25, 18. 19). Seine eigenen
Protectoren, unter denen Wernhart von Steinberg durch ungemessene
Grossmuth hervorragte, waren einer nach dem andern dahin gestorben
(25, 20 ff.). Er lobt zwar noch die Erben des Steinbergers, der
werden Oetingcere stam (26, 11), aber er scheint mehr Hoffnungen
auszusprechen als Erfahrungen. Denn viel hat er nun zu klagen: die
herren sint erarget 27, 3. Er muss mit ansehen, wie man alters
schwache Genossen mitleidslos behandelt (26, 20 ff), und bald geht
es ihm selbst nicht besser. Vergebens schüttelt er wiederholt den
fruchtbeladenen Ast (29, 13 ff). Bitter bereut er, dass er in seiner
Jugend nicht zum Pfluge griff (26, 30) und jüngeren Genossen räth
288
Scherer
er sich ein Haus zu bauen und dem fahrenden Lehen zu entsagen
(27, 1). Das empfindet er am schmerzlichsten, dass er im Alter nicht
einmal ein eigenes Haus besitzt (26, 33. 27, 4. 27, 11): heim
rauhesten Wetter ist er obdachlos (27, 6 ff.) und immer auf der
Fahrt (26, 28). Seine Sehnsucht ist ihm nicht erfüllt worden, er war
darin weniger glücklich als Walther von der Vogelweide.
Aber die äusserlich würdige Stellung, welche dieser Mann in
der Zeit seiner vollen Kraft eingenommen hat, trägt doch ihre Früchte.
Sie hat ihm innere Sammlung und Festigkeit gegeben. Was die
Spitze der geistlichen Poesie des 12. Jahrhunderts ausmachte, das
individuelle Schuldgefühl, wie es im Arnsteiner Marieideicli, in der
Vorau-Zwettler, in der Millstädter Sündenklage, in Heinrichs Litanei
hervortritt — das finden wir auch bei ihm, er ist mit seinem Seelen-
lieile ernsthaft beschäftigt. Er habe lange, dem Teufel gedient, sagt
er, in dessen Gefangenschaft er sich befinde, und betet zum heiligen
Geist, dass er ihn erlöse (29, 6).
Dazu stimmt, dass er im Sinne der geistlichen Litteratur kurze
fromme Lehrsprüche dichtet über die Weihnachts- (28, 13), über
die Osterzeit (30, 13. 20) und ein Gebet zur Feier von Gottes All
macht und Allwissenheit (30, 27): aber — was Beachtung verdient —
nichts zum Preise Mariens. In der Weise der Predigt und vieler geist
licher Gedichte beschreibt er Hölle und Himmel (28, 20. 27) und
mahnt zum Kirchenbesuch (28, 34).
Dazu stimmt seine didaktische Richtung überhaupt, ob sie sich
nun in Fabeln, Parabeln oder directer Lehre ausspricht. Insbesondere
sein Eifer für die Heiligkeit der Ehe (29, 27 ff.) und der religiöse
Ernst, mit dem er der ritterlichen Gesellschaft entgegen tritt, deren
Hauptbegriff die ere ist, und sie ermahnt daneben das Wohl der Seele
nicht zu vernachlässigen (29, 34 ff.).
Man muss die Ausgelassenheit der Carmina Burana mit solchen
Strophen vergleichen, um die gehaltenere Art des Mannes ganz zu
würdigen. Auf Seite des Laien der sittliche Ernst und die christliche
Gesinnung. Auf Seite des Klerikers die Sinnlichkeit, der Leichtsinn,
die überschäumende heidnische Lebenslust. Aber freilich dort ein
gedrücktes beengtes Gemüth und schwunglose prosaische Form. Hier
ein stolzer souveräner Geist und die Vollkraft künstlerischer Genialität.
Wenn sich aus vorstehender Charakteristik nichts ergäbe, als
dass der Verfasser der Strophen des zweiten Tones ein bejahrter
I
Deutsche Studien. I. 289
Mail» ist: soll der noch am Ende seines Lebens eine neue Dichtweise
ergriffen, den Forderungen einer jüngeren Mode so weit gehende
Concessionen gemacht haben?
Und nicht bloss in der äusseren Kunstform, auch innerlich müsste
er ein anderer geworden sein.
Sprüche geistlichen Inhaltes hätte er gar nicht mehr gemacht,
während andere Dichter sich gerade in höherem Alter dieser Rich
tung eher zuwenden.
Auch die Thierfabel wäre von ihm nicht mehr gepflegt worden.
Die Parabel ist auf 23, 29 beschränkt, und 23, i 3 ist eine Nach
ahmung von 29, 13 (vergl. Walther 20, 31) wie wohl niemals ein
Dichter sich selbst nachahmen wird. Die innere Verschiedenheit wird
durch die äussere Verwandtschaft nur heller ins Licht gesetzt.
Während er von geistlicher Dichtung und Thierfabel sich ab
wendet, hätte der Dichter die Priamel neu aufgenommen, die er
früher verschmähte.
Das Starre, Trockene, oft Unverbundene und Steife seines Vor
trages, der sich meist dicht an dem Thatsächlichen hält, müsste er
abgestreift haben. Die frühere persönliche und individuelle Weise
hätte sich zurückgezogen, um einer abstracteren verallgemeinernden
Platz zu machen. Alle Nennung von Namen der Gönner oder Ge
nossen wäre verbannt, die Anspielungen auf die Heldensage ver
schwunden.
Noch immer sind die Gedichte wahrscheinlich vorzugsweise
Gelegenheitspoesie. Aber die Veranlassung lässt sich oft schwer er
kennen, und manchmal kann man gar nicht sagen, ob eine Strophe
überhaupt durch einen bestimmten Anlass hervorgerufen ist oder
nicht. 24, 1 kann ebensowohl ein Spottgedicht auf eine Dame sein,
als ein Lohgedicht: und so wie es sich gibt, ist es weder das eine
noch das andere, sondern eine blosse Gnome.
So weiss man auch mehrfach nicht, ob der Dichter von eigener
Erfahrung ausgeht oder von einer fremden, der er nur als Zuschauer
gegenüber steht. Darum sind die Lehensverhältnisse des Dichters und
seine Beziehungen zu Protectoren, die im zweiten Tone so offen da
liegen, hier sehr versteckt.
Nur dass auch hier ein armer Fahrender redet, erhellt mit Be
stimmtheit aus der schon erwähnten nachgeahmten Strophe 23, 13
und wohl auch aus 22, 33: 'Wer mich schlecht behandelt, weil ich
Sit/.l,. (I. phii.-hist CI. LXIV. Bd. I. Hft.
19
290
Scherer
arm bin. den werde ich meinerseits verachten, wenn ich einmal reich
werde; und warum sollte das nicht geschehen? Der Rhein fängt auch
als ein schmales Flüsschen an.’ Zwar sprechen die didaktischen
Dichter von sich oft nur beispielsweise, wo sie ebensogut 'jemand’
oder 'der Mensch’ setzen könnten: aber kaum darf man den vorlie
genden Spruch so auflassen.
Alles übrige, was man persönlich deuten könnte, ist mehr oder
weniger unsicher.
Die Parabel 23, 29 kann über Undank klagen, den der Ver
fasser erfahren haben will. Wer will aber sagen, ob das Klagelied
über die Armuth (22, 9) sich auf eigene Erlebnisse bezieht? Es
scheint eher einen heruntergekommenen Reichen im Auge zu haben.
Die Priamel 21, 3 erhält im Munde eines Bedürftigen den prägnante
sten Sinn und lässt sich insofern mit Strophen zweiten Tones wie
26, 27 oder 27, 6 vergleichen, worin das Los des Armen und Reichen
gegenüber gestellt wird. Die Priameln 21, 13 und 21, 21 scheinen
sieh über unbelohnten Dienst zu beschweren.
25, 5 spricht vielleicht des Dichters Dank für freundliche Auf
nahme aus (vergl. HMS. 3, 33 Der gruoz den gast vil schone
vröut usw.). Mit 22, 17 konnte er etwa einen nach Hause zurück
kehrenden Beschützer begrüssen. Mit 24, 25 trauert er wohl um
einen hohen Herrn, wie im zweiten Ton Wernhart von Steinberg u. a.
beklagt werden. In 21, 29 scheint er bemüht, die bisher zurück
gehaltene Freigebigkeit eines jungen Gönners in Fluss zu bringen:
nur so lässt sich meines Erachtens für die lose an einander gereihten
Sprüche einheitliche Beziehung finden.
Der Dichter fühlt sich zurückgesetzt und scheint demjenigen,
von dem er Gunst erwartet, zu sagen: 'Du lässest mich dürftig ein
hergehen und stattest andere reichlich ans, die weniger werth sind
als ich. Es kommt von deiner Unerfahrenheit, dass du dein Gut
sparst, anstatt dir Ehre damit zu erwerben (vergl. 22, 5 sivem daz
guot ze herzen gut, der gwinnet niemer ere und eren pflegen 26, 8):
wärst du älter, so würdest du das einsehen, aber bedenke, dass ein
Mann sich Achtung verschafft durch Treue und durch weise schöne
Frage’, d. h. dadurch, dass er auf weisen Rath hört: ähnlich be
schwert sich vielleicht 21, 33 der Dichter, dass man den Rath nicht
befolgt, den er auch 20, 15 anhietet. Er schliesst mit der versteckten
Deutsche Studien. I.
291
Drohung: 'Wenn du mich nicht freundlich behandelst, so sind wir
geschiedene Leute.’ Seine Worte sind:
liebe meistert wol den kouf:
so scheidet schade die mdge.
'Bei gegenseitiger Zuneigung und Freundlichkeit wird leicht ein
Kauf abgeschlossen: dagegen sieht man, dass selbst Verwandte sich
trennen, wenn ihnen Schaden aus ihrer Verbindung erwächst.’ (Vergl.
Marner C 51, Hägens Minnes. 2, 244 b schade scheidet liebe mdge.)
So werde auch ich mich von dir trennen, will er sagen, — ich, der
ich gar nicht einmal mit dir verwandt bin — wenn ich nichts als
Schaden von dir habe.
Ähnlich scheint der Dichter in 22, 1 mit dem biderben man
sich selbst zu meinen und den Werth zu betonen, den seine Freund
schaft und Ergebenheit für den herren (vielleicht denselben, den
21, 29 angeht) haben könne, wenn diesem widersaget würde. Man
stellt sich unwillkürlich eine Fehde vor, worin der Dichter auf
der einen Seite steht und die Gegner mit Spotlliedern überschüttet
(wie solche in 20, 1 und 23, 21 erhalten scheinen), während er
die eigene Partei ermuntert und tröstet. Ein solches Trostgedicht
nach einem Misserfolg ist offenbar 20, 25, wo die Anrede an
vil stolze lielde (vergl. Haupt Zs. 13, 326) den Gedanken an eine
Schlacht so nahe legt, dass Lassberg (Briefw. mit Uhland S. 85),
in argem Irrthum über das Zeitalter des Verfassers, eine Anspielung
auf die 1315 verlorene Schlacht bei Morgarten darin erblicken
konnte. Als ein Trostgedicht, wenngleich mit anderer Beziehung,
kann man auch 22, 25 betrachten. —
Nach allem Vorangegangenen glaube ich, wir können kaum
anders, als die hohe Wahrscheinlichkeit zugestehen, dass jeder der
beiden Töne von einem besonderen Dichter herrührt.
Welcher von diesen Dichtern hi ess Sper Vögel?
Ich denke der Verfasser des ersten Tones. Unmittelbar vor den
Gedichten dieser Strophenform steht der Name in AC. Und nur
Strophen der ersten Form überliefert ein von AC unabhängiger
Zeuge, die Hdschr. J, als Spervogelisch. Auch eine der in AC er
haltenen Strophen selbst lässt sich zur Bestätigung herbeiziehen: ich
meine 20, 17—24.
In dem vorhergehenden Spruche heisst es am Schlüsse (man)
ueme ze wisem manne rat und volge auch siner lere. Darauf bezieht
19"
Scherer
292
sich, wie Haupt Zs. 11, 579 bemerkt, die erwähnte Strophe mit den
Worten
swer suochet rat und volget des, der habe danc,
alse min geselle Spervogel sanc.
'Wer nun nicht in bodenlose Einfälle sieb verlieren will, fährt Haupt
a. 0. fort, dem wird hierdurch als erwiesen gelten, dass der Dichter
der Strophen dieses Tones Spervogel hiess.’
Über den Spruch seihst, der das Citat enthält, verweist Haupt
auf HotTinanns Fundgruben 1, 268 und fügt hinzu, dass das dort
Gesagte auch Anwendung leide auf die Strophe bei Walther 119,11:
Hwrä, Walther, wiez mir stät,
nun trütgeselle von der Vogelweide,
helfe suoehe ich unde rät:
die wol getane luot mir vil ze leide,
künden wir gesingen beide,
deich mit ir müeste brechen bluomen an der liebten beide !
Hoffmann a. 0. meint, der Ausdruck möge auf stellvertretenden Vor
trag durch einen anderen berechnet sein. Die Annahme ist gewiss
möglich, aber sie ist nicht die einzig mögliche. Wenn Wilmanns
(Walther S. 339) bemerkt 'die Strophe ist von einem gedichtet,
der seiner Geliebten Walthers Minnelieder vortrug’: so hat das ganz
eben so viel für sich. Ja, das Bedenken wird sich immer erheben,
warum denn Spervogel, wenn er selbst jenen Spruch dichtete, sich
durch die Fassung desselben die Möglichkeit benommen haben sollte,
ihn in eigener Person vorzutragen.
Ich bleibe daher hei der einfachsten Vermuthung stehen, die
sich jedem zuerst aufdrängen wird, und erblicke mit Wackernagel
Litteraturgeschiehte S. 228 Anm. 22 in dem Spruche das Gedicht
eines Mitfahrenden, das unter die Spervogelschen aufgenommen
wurde. Spervogel wird darin citirt wie 27, 35 ein anderer Fahrender,
Kerling. Die Strophe war vermuthlich an den Rand derjenigen ge
schrieben, auf die sie sich beruft. Dass diese Annahme nicht unbe
dingt sicher sei, muss man Haupt MF. S. 238 freilich zugeben. Aber
ihre Wahrscheinlichkeit wird Niemand bestreiten. Die Bedeutung
der Strophe als Zeugniss dafür, dass Spervogel die Gedichte des
ersten Tones verfasst habe, bleibt selbstverständlich von dieser Frage
unberührt.
Deutsche 8tudien. I.
203
Geliört nun der erste Ton dem Spervogel, so wird der zweite
namenlos: die Folgerung lässt sich schwer ahweisen. Doch vergl.
unten den Abschnitt über den jungen Spervogel S. 319 [Sep.Abdr. 37] t‘.
Simrock wollte nach 26, 20 den Verfasser Heriger nennen.
Aber die Grundlosigkeit dieser Annahme ist schon von Haupt S. 238
hervorgehoben. Ehen so gut könnte man vermuthen, der Dichter habe
Gehehart geheissen, nach 26, 15: Kerling ist wirklich ein Freund
und Genosse des Dichters (27, 1. 35), er konnte, wenn er Gebe
hart hiess, sich über eine momentane Entzweiung so äussern, wie er
26, 13 ff. thut, indem er damit zugleich seine Bereitwilligkeit zur
Beilegung des Streites durchblicken Hess. Aber eben so gut konnte
er Misshelligkeiten zwischen zweien anderen Fahrenden in dieser
Weise behandeln, um auf deren Versöhnung hinzuwirken.
Wir können also den Verfasser des zweiten Tones nicht errathen
und müssen ihn uns als Anonymus gefallen lassen. —
Fragen wir schliesslich nach Zeit und Heimat der beiden
Dichter.
Aus Haupts urkundlichen Nachweisungen (Hartm. von Aue
Lieder und Büchl. S. XVI. Minnes. Frühl. S. 237 f. Zeitsehr. 13, 326)
ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit, dass der Anonymus nach 1175
noch lebte: Walther von Hausen kommt 1173 zuletzt vor, Heinrich
von Staufen 1177 (MF. 238) oder, wenn der ältere Steveninger ge
meint ist (MF. 232), 1175; der letzte Steveninger (f 1184) ist wohl
zu jung und sein Tod zeitlich zu weit entfernt von dem der anderen,
mit denen ihn der Dichter 25, 21 in einem Athem beklagt.
Dieselbe Stelle zeigt den Dichter in Verbindung mit baierischen
und pfälzischen Dynastengeschlechtern, ja Heinrich von Gibichen-
stein führt tiefer nach Norddeutschland hinein. Wir befinden uns
ungefähr auf dem Boden, wo mit Dietmar von Aist, mit Friedrich
von Hausen, mit Hug von Salza (MF. S. 245) die neue Kunst der
höfischen Lyrik erblühte. Zu dem Vater Hausens und vielleicht zu
dem Burggrafen von Begenshurg, den baierischen Vorläufern des
Österreichers Dietmar von Aist, sehen wir den Anonymus in
persönlicher Beziehung.
An welchem hove das Gedicht über Kerling und Gebehart
(und demgemäss auch wohl das andere worin Kerling eitirt) gedichtet
wurde, lässt sich ziemlich genau bestimmen. Gebehart ist mir von
Möllenhoff urkundlich nachgewiesen.
294
Scherer
Im Schenkungsbuch des Klosters St. Emmeram Nr. 216
(Quellen und Erörterungen zur baierischeu und deutschen Geschichte
1,110) unter Abt Pernger (1177—1201) findet sich Gebehart gigare
als Zeuge. In einer Prüflinger Urkunde Nr. 63 (Mon. Boica 13, 69)
Gebehart Cytarista. Dann — wohl nach dieses Gebeharts Tode —
in einer Weltenburger Urkunde von etwa 1180 (Mon. Boica 13, 342)
Gebhart filius Gebehardi histrionis, in einer anderen ebenda von
1187 nochmal Gebhart filius Gebhardt histrionis.
Alles in Regensburg oder nahe dabei. Und in der Prüflinger
Urkunde stehen daneben als Zeugen Sigefridus et frater eins Hart-
wicus ministeriales Heinrici prefecti (d. i des Burggrafen von
Regensburg) und Sigbot de Stoufe.
In Regensburg aiso — und doch wahrscheinlich an dem Hofe
des Burggrafen Heinrich (1161—1176) — finden wir unseren
Anonymus, den Spielmann Gebehart, seinen Genossen Kerling und
ausserdem einen sonst nicht bekannten Liupold cithareda (Quellen
und Erörterungen 1, 131 Nr. 252 unter demselben Abt Pernger)
beisammen.
Sie überlieferten die Kunst des Gelegenheitsgedichtes (vergl.
unten über den Spruch) wenigstens dem älteren der beiden
burggräflichen Dichter. —
Hiermit ist ungefähr das Gebiet umschrieben, auf dem wir
die Heimat des Anonymus zu suchen haben.
War er ein Pfälzer? War er ein Mitteldeutscher? Die Sprache
Friedrichs von Hausen bietet sich zunächst zur Vergleichung dar. Dessen
mitteldeutsche Reime aber sind bekannt und selbst die Überlieferung
seiner Gedichte ist nicht frei von weiteren Spuren. Wenn 46, 21 B
das richtige ich bete liep darbietet und C ich hete ein leben, so ist
klar, dass ein mitteldeutsches lip mit t für ie in der Urhs. stand.
Der Schreiber der 44, 26 am iz (d. i. am i’z, arne ich ez) durch
arnez ersetzte, war gewohnt mitteldeutsches schwaches i der Flexion
und Ableitung in sein hochdeutsches e zu verwandeln. In 47, 10
führt das in BC überlieferte waren, wofür Lachmann varnt setzt, aut
die III. Plur. Indic. raren; wie 49, 6 beide Hss. tuon für tuont
hieten. Wäre es erlaubt, auf das obige Up für liep hin, sich 53, 31
näher an das überlieferte si wennent dem tbde entrannen sin zu
halfen und zu schreiben si wcenent deme tbde entflin? Auch 44,
Deutsche Studien. 1.
295
31. 32 möchte ich herbeiziehen. C, unsere einzige Quelle dafür,
bietet
Swcs gut an frowen aller tagen
den eil kan mir an ir nieman genieren.
Die nächste Zeile lautet: wan als ich ir muos min äugest sagen,
eine Hebung zu viel: C hat mit einer oft angewendeten Methode das
Verbum tinitum durch ein Hilfsverbum mit dem Infinitiv jenes Verbums
ersetzt, um durch das so gewonnene n am Schlüsse genauen Reim
einzufiihren. Lachmanns Besserung wan als ich ir min äugest sage
ist daher sicher. Zugleich ergibt sich, dass in der entsprechenden
Reimzeile ein solches -en gestanden haben muss und dass man also
nicht etwa setzen darf: swes gote an frowen wal behage. Lachmann
schreibt:
Swaz got an frowen hat erhaben,
dazu kan an ir nieman g einer en.
Dann würde aber diese Strophe genau mit demselben Gedanken
anlängen, wie die vorhergehende'), und vollends mit der Erklärung
des Verderbuisses stünde es misslich. Wenn der Schreiber von C
ein ihm vorliegendes hat erhaben änderte, warum wählte er dafür
etwas absolut sinnloses? Er ist sonst doch nicht so ungeschickt. Und
wenn ihm schon nichts Besseres einfiel, wesshalb setzte er nicht
aller tage, um wenigstens der abermaligen Änderung in der corre-
spondirenden Reimzeile überhoben zu sein? Die Worte aller tagen
haben vielmehr das Ansehen einer mehr eingewurzelten und aus
Lesefehler entstandenen Verderbniss. Aber diese mit Sicherheit oder
hoher Wahrscheinlichkeit zu erkennen, ist schwer. Nur dass in all
das Auxiliäre sal stecke, darf man vermuthen. Vielleicht also Swaz
güete an frowen sal ertagen. Der Anfang wäre aus einem miss
verstandenen Swaz got an unter Einwirkung des vorhergehenden
Strophenbeginnes Swes got an entstellt. Doch klingt mir die Wen
dung etwas affectirt für Friedrich von Hausen. Dagegen möchte ich
im zweiten Vers unbedenklich desn kan min an ir niet gemSren Vor
schlägen und dieses min für man als einen neuen Beleg für mittel
deutsche Aufzeichnung geltend machen.
Solche oder ähnliche Erscheinungen müssten uns in der Sprache
des Anonymus entgegen treten, wenn die Hütte seines Vaters in der
') Dieser Grund spricht auch gegen Swaz got an frowen sal bct/njen.
Schere r
296
Nähe der Burgen Walthers von Hausen oder Heinrichs von Gibichen-
stein gestanden hätte.
Wir nehmen also an, dass er.aus Baiern stammte.
Um seine literarischen Voraussetzungen zu würdigen, erinnern
wir uns, dass am Hofe Heinrichs des Stolzen, im Jahre 1131 oder
1132, der Pfaffe Konrad sein Rolandslied vollendete (Gödeke Grund
riss S. 22; Schade Decas p. 63). Ebendort scheint die grosse Com
pilation der Kaiserchronik unternommen zu sein, die im Anfang der
Vierziger Jahre bald nach dem Tode der Kaiserin Richenza (19. Juni
1141) zum ersten Abschluss gedieh i). Darin wird bekanntlich gegen
die Heldensage und zwar speciell gegen Gedichte aus der Dietrich
sage polemisirt (Gervinus 1, 181). Mit Bezug hierauf verwahrt sich
der fränkische Spielmann, der im Interesse haierischer Adels
geschlechter den König Rother dichtete, man dürfe sein liet nicht
mit den 'anderen’ gleichstellen (4783), es sei nicht von lügenen
gedilitet (3484).
Wie die Verfasser des Roland und Rother Franken waren und
die Kaiserchronik mindestens vielfach aus fränkischen Quellen
schöpfte, so wird auch das älteste Gedicht von Herzog Ernst zwar
von einem niederrheinischen Spielmanne, aber wohl in Baiern ge
dichtet sein, wo inanes vor 1186 las, wo der Stoff in höfischen
Kreisen gaüz besonders beliebt war (Helmbr. 935) und wo die
beiden Bearbeitungen zu Ende des 12. (?) und zu Ende des 13. Jahr
hunderts gemacht wurden (Bartsch S. XXXVI. LVII).
Weniger sicher gehört der Priester Wernher hierher, dessen drei
Liedern von der heil. Jungfrau man Albers Tungdalus und den heil.
Ulrich von Albertus als fernere Muster baierischer Legendenpoesie
zur Seite stellen kann.
Das merkwürdige Gedicht vom Himmelreich (Zs. 8, 143),
der Messgesang (Denkm. Nr. 46) und das patriotische Osterspiel
vom Antichrist (Pez Thesaur. anecd. 2, 3, 185) mögen das Bild der
O Ich komme hierauf wie auf die ganze Lilteratur des elften und zwölften Jahr-
hunderts in der Folge dieser Studien zurück. Doch will ich gleich hier daran er
innern, dass es damals vorzugsweise baierische Kräfte waren, welche dem Parti-
culapismus der deutschen Stämme entgegen arbeiteten’ (Giesebrecht über einige
ältere Darstellungen der deutschen Kaiserzeit S. 8) und die Geschichte im kaiser
lichen Sinne behandelten (Giesebrecht a. 0. S. 13 ff.).
baierischen Kunstpoesie des 12. Jahrhunderts in den Umrissen
vollenden. Daneben blühte die Volkspoesie.
Was die Epik betrifft, so deutet die Kaiserchronik auf Gedichte
aus der Dietrichsage, wie ich bereits erwähnte. Und dazu stimmt,
dass in der That der Alphart in Baiern verfasst sein muss (Martin
S. XXVII; Litt. Centralbl. 1868, S. 978). Der Pfaffe Konrad spielt
mit Wate wahrscheinlich auf die Kudrunsage an (Heldens. S. 55,
2. Ausg.) und diese war schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahr
hunderts in Oberbaiern verbreitet (Müllenhoff Zs. 12, 313 ff.).
Dazu stimmt der Name Fruot beim Anonymus vortrefflich, und sein
Rüdiger wird eher aus einem Liede der Dietrichsage, als aus einem
Nibelungenliede stammen.
Aus der volkstümlichen Liebeslyrik hat uns der bekannte
Tegernseer Brief die hübsche Strophe Du bist min. ich bin diu er
halten. Und das volkstümliche Tanzlied findet in dem Baiern Neid
hart von Reuenthal einen ritterlichen Vertreter, dem sich alsbald
sein Landsmann Friedrich der Knecht (Fridericus puer einer Regens
burger Urkunde von 1213, Hägens Minnes. 4, 479) anschloss. Die
satirische Beobachtung des Volkslebens, welche hiermit eröffnet
wurde, führte dann zu Erzählungen wie der Meier Helmbrecht.
Für die volkstümliche Gnomik bietet schon die Kaiserchronik
Belege dar, auf die ich unten zurückkomme. Diese Richtung fasst der
Anonymus in mannigfaltiger Ausbildung zusammen. Er ist — wenn
auch lediglich durch den Umstand, dass um seine Zeit
die Volkslitteratur erst Schrift litte ratur wurde — der
Ahnherr der deutschen Didaktik; auf seinem Gebiete die erste dich
terische Persönlichkeit, welche unsere Literaturgeschichte aufzu
weisen hat. In ihm erscheint die bürgerliche Literatur zuerst auf
dem Platze. Er ist der älteste uns persönlich, nur nicht namentlich
bekannte Träger des Geistes, welcher nachher Jahrhunderte lang
unsere Poesie beherrschte, bis ihn der verjüngte Nationalgeist im
Bunde mit der verjüngten Antike bekriegte und stürzte.
Des Anonymus nächster Nachfolger ist Spervogel, ein jüngerer
(weil im Reim genauerer) Zeitgenosse Friedrichs von Hausen. Seine
Gedichte mögen etwa zwischen 1185 und 1195 entstanden sein.
Die Strophe 22, 33 dichtete er offenbar am Rhein, etwa am
Mittelrhein. Nur in der unmittelbaren Anschauung des Stromes, an
einer Stelle, wo er schon breit und tief ist, konnte er sich ausdi'Q c ]. eu
298
Scherer
wie er sich ausdriickt. Das in zeitlichen Sinne gehrauchte hie vor
geht von der räumlichen Vorstellung 'vor der Stelle an der wir ihn
sehen’ aus. Anderwärts würde man hei der Nennung des Rheins an den
ganzen Lauf, an die kleinen Anfänge eben sowohl, wie an das breitere
Bette gedacht haben, und der Dichter musste sagen: 'der Rhein
fliesst zuerst in engem Bette, nachher’ usw.
Aber dass er Rheinländer war, folgt daraus nicht. Auch seine
Sprache zeigt keine mitteldeutschen Spuren. Denn es wäre vorschnell
einen Reim wie 20, 14. 16 eren : lere durch den thüringischen
Infinitiv ere genau zu machen.
Vielleicht darf man hiermit wie mit 20, 25 sin : bi die Reime
Günthers aus dem Forste vergleichen, falls sich bei genauerer Unter
suchung herausstellt, dass er wirklich ein Baier ist: sein Wappen in
der Pariser Hs. stimmt mit dem der haierischen Förster (Hagen 4,477)
und seine Gedichte sind in derselben Quelle mitten unter baieriscb-
österreichischen überliefert.
Er reimt bei von der Hagen 2, 164—168 (vergl. MS. 2, 112 bis
115. Heidelberger Liederhs. 206—214) Str. 8, 2. 4 erkös : erlöst;
36, 1. 3 künden : misseivcnden (Conj. Praet.). Ausserdem leide:
underscheiden 1,1. sin : bi 1, 2. geste : zergen 4, 2. me : er gen
13, 5. ger : wem 14, 5. tragen : sage 20, 5. sin : bi 23, 5. me:
er gen 25, 5. sagen: tage 33, 1. betiuten: Hute 37, I. beliben : wibe
38, 1. Dass man nicht si für sin schreiben darf, wird durch sin: min
26, 2; min : sin 34, 5 ausdrücklich bewiesen; und auch jenes kün
den: missewqnden tritt für den Infinitiv auf -en ein'). Das Parti-
cipium volant 15, 4, wofür wenigstens das Mhd. Wh. nur mittel
deutsche Belege gewährt, möchte ich nicht zu hoch anschlagen:
verant und ähnliches aus Gottfrieds Trist, lässt sich herbeiziehen und
III. Plur. Praet. veranten aus der Wiener GenEsis. Ähnlich setzt der
Dichter geblaut 31. 4: er braucht eben stumpfe Reime. Formen wie
’) Über baierische Infinitive mit Abstoss des n handelt Weinhold Bair. Gramm. S. 293.
Aber die 'alten Belege’ sind aus dem mitteldeutschen Buche der Vorauer Hdschr.
(Deukin. S. 370) genommen und Hessen sich leicht vermehren, besonders durch
den Heim rxchi : giloni Summa tlieoi. 31, 1. 3. Willkommen dagegen wären die
Belege aus der Tochter Sion 30 und der Krone 311133. Aber an letzterer Stelle (die
erstere liegt mir nicht vor) ist vehle (:kni'htc) nicht der Infinitiv, sondern das be
kannte Femininum.
Deutsche Studien. I.
299
gevtin (15, 3) umbevän (19, 5) ho (34, 3) wird wohl Niemand als
mitteldeutsche in Anspruch nehmen.
Dennoch möchte ich über Günthers Alter und Heimat noch
nicht aburtheilen. Er wäre als Landsmann und Zeitgenosse Spervogels
merkwürdig genug: die Behandlung unserer ältesten Lyrik wird mich
demnächst auf ihn zurückführen.
Einstweilen begnügen wir uns damit, Spervogel als Oberdeut
schen anzuerkennen <).
Die i berlieferung.
Es wird sich nunmehr empfehlen, die Überlieferung der Gedichte
Spervogels und des älteren Anonymus etwas genauer ins Auge zu
fassen.
Wir besitzen sie erstens in A und C, die auf eine gemein
schaftliche Quelle zurückgehen: zweitens in J; Spuren einer
dritten Handschrift werden sich unten ('Spielmannspoesie’ unter
'Thierfabel’) ergeben.
Um zuerst von der Jenaer Liederhs. zu sprechen, so machte
mich Miillenhoff darauf aufmerksam, dass die dreizehn Strophen
Spervogels, welche sie gewährt, nach dem Inhalte geordnet sind 2 ).
Str. 1—3 (MF. 24, 9. 17. 23, 5) handeln von den Freunden, Str. 4.
5 (MF. 23, 21. 24,1) von den Weibern. In Str. 6. 7 (MF. 21, 13.
24, 25) lässt sich schwerer ein gemeinschaftliches Thema auffinden:
doch mögen sich beide auf Gönner des Dichters beziehen. In Str. 8
bis 10 (MF. 23, 13. 22, 9. 21. 10) schildert der Verfasser seine
Armuth und sein Missgeschick. Str. 11. 12 (24, 33. 20, 9) handeln
vom Rathe, Str. 13 (25, 5) von der Gastfreundschaft.
Ähnlich sind in D, der Heidelberger Hs. 350, Reinmars
von Zweter Gedichte im Ehrenton Str. 1—193 nach sachlichen
Gruppen geordnet. Str. 1—22 z. B. geistlichen Inhalts und
nicht zufällig diese vorangestellt, in sich wieder so gegliedert, dass
*) Dass der Nachweis eines Egerer Patriciergeschlechtes Spernvogel aus den Jahren
1292 (?), 1340 und 1342 (H. Gradl Lieder und Sprüche der beiden Meister Sper-
vogel, Prag 1869, S. 2) nichts zur Sache thut, versteht sich für eine wissenschaft
liche Auffassung- von selbst. Nur die Form des Namens ist merkwürdig und könnte
Jacob Grimms Erklärung desselben zu bestätigen scheinen.
2 ) Dies bemerkt jetzt auch Hr. Gradl S. 14 (vergl. S. 18 Anm. 26 und S. 36 fT.J : der
einzige brauchbare Gedanke, den ich in seiner Schrift gefunden habe.
300
Scherer
1—14 meist von Trinität und Erlösung handeln und mit dem gereim
ten Paternoster schliessen, dass 14—22 (14 beginnt Ich wil iu singen,
merket duz, von unser vrouwen top) sicli speciell mit der heil.
Jungfrau beschäftigen und zum Schluss das gereimte Ave Maria
bringen. Str. 23 —Sä sind der Minne gewidmet: zuerst (24—27)
. eigentliche Liebeslieder, eingeleitet (23) durch eine Betrachtung,
welche dem Minnenden Lob spendet im Gegensätze zu denen die an
Brennen und Rauben ihre Lust finden; dann (29 — 35) nach einem
Lobspruch auf des Dichters erwählte Dame (28) Allgemeines über
Liebe und Frauen. Mit Str. 56 beginnen moralische Sprüche, unter
denen ich die Strophen(70—78)von derEhre, wonach derTonseinen
Namen hat, die Strophen (79—82) vom Adel oder von der edele und
edelkeit, die Strophen (101—105) vom Verhältniss der Geschlechter
in der Ehe, die Strophen (106—110) von Turnier und Würfelspiel,
die Strophen (113—117) von Trunkenheit und Verwandtem,
die Strophen (118 — 123) von der milte auszeichne. Str. 127 bis
137 wenden sich gegen Papst und Clerus, 138—149 beziehen sich
auf Kaiser und Reich. Es folgen Sprüche, in denen zunächst Gönner
des Dichters besungen und sonstige persönliche Verhältnisse erörtert
werden. Wo diese Reihe abschliesst, weiss ich nicht gleich zu
sagen. Vielleicht erst mit Str. 163: die Lügenmärchen Str. 161. 162
könnten Spottlieder sein. Was sich mit Str. 164 anschliesst, ist viel
leicht nur ein später hinzugekommener Anhang: dafür spricht auch
die Wiederholung der 84. Strophe als Str. 168 i).
*) Ob mit Str. 170 dann eine neue Reihe beginnt, weiss ich nicht. Hagen bezeichnet
eine Abtheilung. Aber worauf er sich dabei stützt, wird nicht ersichtlich. Die Hand
schrift deutet nach ßd. 4, S. 900 b Abtheilungen an bei Str. 14. 23. 36. 127. 138.
— Es handelte sich hier nur darum, die Analogie geltend zu machen. Eine Er
ledigung der einschlägigen Fragen konnte nicht beabsichtigt werden. Die
letzten Erörterungen über Reinmar von Zweter haben aber zu wenig die Be
schaffenheit des handschriftlichen Apparates geprüft. Der Spruch über die sieben
Kurfürsten z. B. (Str. 243), der — wie mich Lorenz belehrt — aus sachlichen
Gründen eher dem vierzehnten Jahrhundert zufällt, steht mit Strophe 246 in D
zwischen Strophen Frauenlobs und 'Konrads von Würzburg Ave’, entbehrt also
jeglicher Gewähr der Echtheit. Das beilenkt weder K. Meyer Unters, über das
Leben Reinmars von Zweter S. 32 noch Wilmanns Zs. 13, 436. — Alle sachlich
geordneten Sammlungen aufzusuchen und anzuführen, war ich durchaus nicht
bestrebt. Man vergleiche noch die Göttinger Hdschr. der Gedichte Heinrichs von
Mügeln.
Deutsche Studien. I. 301
Eine fernere Anordnung nach stofflichen Gesichtspunkten wird
uns sogleich in den Gedichten des Anonymus entgegen treten.
Aus der Vergleichung von ^dundG ergibt sich leicht die Gestalt
des ihnen beiden zum Grunde liegenden Liederbuches, ihrer ge
meinschaftlichen Quelle. Diese bestand aus vier Strophengruppen:
I. 1—11 AC (MF. 20, 1—22, 24) Strophen Spervogels.
II. 12—26 AC (25, 13 — 28, 12) Strophen des Anonymus.
III. 27—33 AC.
IV. 41—53 A, 34—46 (7(28,13 — 30, 33) Strophen des Anonymus.
Was III. betrifft, so ist im Allgemeinen schon Eingangs (S. 283 [1])
darauf hingewiesen. Die zu ihr gehörigen Strophen stehen im MF. S.
242 ff. Nur muss man, um die Gruppe ordentlich Zu übersehen, Z. 49
bis 60 wegdenken und zwischen Z. 76 und 77 die Strophe 30, 34
bis 31, 6 einschieben. Nur das zuletzt genannte Gedicht (Str. 32ACj
ist alterthümlich und steht in Bezug auf das Metrum zwischen dem
zweiten und ersten Ton (s. oben S. 286 [4]). Die übrigen zeigendrei-
theiligen, zum Theil sehr künstlichen Strophenbau und ganz genauen
Reim. Sie alle unterbrechen, wo sie stehen, die Strophen des zweiten
Tons und können unmöglich dem Verfasser derselben zugeschrieben
werden. Das ist an sich unzweifelhaft und wird überdies durch die
Überlieferung bestätigt.
In A findet sich nämlich gerade vor dem Beginn von III die
in C nicht vorhandene Überschrift Der junge Spervogel. Sie ist
freilich, wie die Hs. einmal vorliegt, auf alles Folgende, also auf III
und IV zu beziehen. Aber kaum wird man zweifeln dürfen, dass ihre
ursprüngliche Bestimmung nur war, eben jene Gruppe jüngerer Ge
dichte zu bezeichnen. Sollte dann etwa der Schreiber von A oder
der seiner unmittelbaren Quelle so viel Kritik gehabt haben, um diese
jüngeren Gedichte als solche zu erkennen ? Es wäre doch ganz wun
derlich, wenn seine Kritik bis zu dieser Erkenntniss, aber nicht so
weit reichte, um die Gruppe auszuscheiden und besonders zu stellen,
damit die falsche Beziehung der neuen Überschrift auf IV ver
hütet würde.
Vielmehr wird die Überschrift schon in der Quelle von AC ge
standen haben und C war der Kritiker der an einer Überschrift An-
stoss nahm, welche die Strophen des zweitens Tons zerriss und zwei
verschiedenen Verfassern zutheilte.
302
Scherer
Demnach dürfen wir bei der Reconstruction der Quelle mit
grosser Wahrscheinlichkeit die dritte Gruppe als Strophen des jungen
Spervogel bezeichnen. Daran schliesst sich sehr natürlich die An
nahme, dass III ursprünglich selbständig war und nur zufällig in das
Innere des Liederbuches das unter dem Namen Spervogel Strophen
dieses Dichters und des alten Anonymus vereinigte, d. h. zwischen
zwei Blätter dieses Liederbuches, gerathen sei.
Daraus folgt mit Nothwendigkeit, dass die Worte 28, 12 er
stuont ze siner angesikt und gnuogez, womit II endigt, die Rück
seite eines Blattes schlossen—und die Worte 28, 13 Er istgewaltic
utide starc, womit IV anfängt, die Vorderseite eines Blattes be
gannen.
Sehen wir, ob uns diese Erkenntniss vielleicht weiter führt.
Die Gruppe II besteht aus 15 Strophen, die ihrem Inhalte und
ihrer Kunstgattung nach wieder in drei Reihen von je fünf Strophen
zerfallen. Die fünf ersten 25, 13 —26, 12(11. 1) beziehen sich auf Gön
ner des fahrenden Dichters, wir können sie Gönnerstrophen nennen 1 ).
Die nächsten fünf 26, 13—27, 12 (II. 2) behandeln den Stand, dem
der Dichter angehörte: Klagen über die unsichere Existenz und die
elende Lage der Spielleute, Verhältnisse der Fahrenden unter ein
ander. Die dritte Reihe 27, 13—28, 12 (II. 3) umfasst Beispiele,
speciell Thierfabeln.
IV zerlegt sich gleichfalls in drei Reihen. Die erste von fünf
Strophen 28, 13—29, 12 (IV. 1) enthält geistliche Gedichte; die
dritte von drei Strophen 30, 13—30, 33 (IV. 3) desgleichen. Die
fünf Strophen der zweiten Reihe 29, 13 — 30, 12 (IV. 2) fallen
grösstentheils unter die Kategorie des Beispiels (worunter jedoch
keine Thierfabel), nur 29, 34 ist eine Gnome ohne alle parabolische
Färbung. Wir würden indess berechtigt sein , diese zweite Reihe
aufzustellen, auch wenn die Strophen die sie bilden in nichts ge
meinschaftlichen Charakter trügen : denn die umgebenden Reihen
zeigen diesen um so bestimmter.
Die Gruppe I lässt dem Inhalte nach in sich keine weitere
Scheidung zu. Aber sie besteht aus 10 Strophen, wovon wir Str. 3
*) Durch Str. 25, 13—19 empfiehlt der Dichter seine Söhne dem Wohlwollen hoher
Gönner, denen l'iir ihre Freigebigkeit der Ruhm des mitten Fruote (oder Fruot,
wie er hier heisst) in Aussicht gestellt wird.
Deutsche Studien. I.
303
AC (20, 17 — 24) nach dem oben (S. 292 [40]) Bemerkten ab-
ziehen. Lösen wir die Stropbenzahl 10 in 5-j-5 (I. 1 —1. 2) auf, so
erbalten wir-sieben Reihen zu fünf Strophen, denen noch drei geist
liche Strophen angehängt sind.
Jede Strophe , sowohl des ersten wie des zweiten Tones , be
steht aus sechs Reimzeilen. Das ergibt für die Reibe dreis-
s i g R e i m z e i 1 e n.
Damit gelangen wir aber auf sehr bekannten Boden, vergl. Lach
mann zu Nib. 1235—1239.
Wolfram von Eschenbach liess seinen Parzival und Wilhelm in
Abschnitten von 30 Zeilen schreiben und dichtete selbst darnach
vom 224. des Parzival an. Die Verszahl im Parzival ist durch 30
theilbar. Im Wilhelm ist die Theilung zu 30 Versen vollständig
überliefert. Hartmans [wein zählt 272x30 (Lachmann zu 3474),
Heinrichs vom Türlein Krone besteht gerade aus 30000 Zeilen.
Ulrich vom Türlein hat seinen heiligen Wilhelm in Absätzen von 31
Zeilen gedichtet. Die Klage zählt 144x30 Kurzzeilen, der Biterolf
und Dietleib 450x30.
Wie soll man sich diesen sonderbaren Umstand erklären?
Es ist wohl selbstverständlich, dass die Erklärung, die man für
Wolframs Dreissige gutheisst, auch auf die anderen angeführten
Fälle ausgedehnt werden darf.
Nun schreibt Lachmann am 2. Juli 1823 ausführlich über die
Abschnitte im Parzival an Jacob Grimm. Ich habe mir zwei Stellen
daraus notirt, die ich hier einschalte. 'Nun schien es mir, dass einem
Dichter, der so auf alles passt, ja der sogar Worte spart, was bei
den anderen unerhört ist, vielleicht auch die Länge seines Gedich
tes nicht gleiebgiltig gewesen sei. Dabei fiel mir ein , wie Ernst
Schulze bei der Cäeilie jeden Gesang, ehe eine Zeile davon fertig
war, in Gedanken auf die einzelnen Stanzen vertheilte: es that ihm weh,
wenn er nachher in der Ausführung eine mehr oder weniger machen
musste .... Ich stelle mir die Sache so vor: Wolfram, der ohne
Zweifel immer einige Tausend Verse zugleich dictirte (Delille, wenn
mir recht ist, 3000), wollte gerne wissen, wie viel er hätte. Er liess
also den Schreiber in Spalten von 30 oder meinetwegen 60 Versen
schreiben — vielleicht liess er den Anfang erst während er weiter
dichtete so umschreiben. Dem Schreiber war’s aber nicht recht,
immer gerade den ersten Buchstaben der Spalte grösser zu machen'
304
Scherer
bis er zuletzt (oder bis der letzte Schreiber) sieb auch dazu ent
schloss. Die Abschnitte des Sinnes treffen übrigens öfter mit den
grossen Buchstaben zusammen, als mit dem Anfänge der Spalten,
ausser am Ende , wo Wolfram mitunter seitenweis mag gedichtet
haben. So scheint mir der ganze 775. Abschnitt ein Einschiehsei,
aber freilich ein echtes (23162—91).’ Zur theilweisen Berichtigung
vergl. Vorr. zu Wolfram S. IX.
Was uns hier allein angeht, ist die Beziehung der Abschnitte
auf eine bestimmte Einrichtung der Urhandschrift. Diese war dem
nach in abgesetzten Verszeilen geschrieben und sorgfältig liniirt, mit
30 Zeilen auf jeder Spalte. Mancherlei Motive lassen sich dafür den
ken , entweder das von Lachmann angeführte , dass ein Dichter
wissen wollte, wie viel er fertig hatte, oder irgend ein anderes uns
unbekanntes: die 30000 Zeilen Heinrichs vom Türlein müssen doch
auch dem blossen Behagen an der runden Zahl ihr Dasein verdan
ken, wie die 1000 Zeilen der Todesmahnung Heinrichs von Melk und
die 2000 der goldenen Schmiede. Die Seite für Seite regelmässige
Vertheilung bot den Vortheil, bei Abschriften nach demselben oder
anderem Formate das nöthige Pergament leicht berechnen zu können.
Auch konnte man den Abschreiber, wenn das Format beibehalteu
oder die Reduction einfach war, leichter controliren: es musste sich
bald zeigen, ob er Verse ausgelassen oder hinzugesetzt hatte.
Irre ich nicht, so lässt sich auch der Urcodex unserer Nihelun-
genhs. zur Bestätigung von Lachmanns Ansicht herbeiziehen. Es
ist klar, dass die Hs. , welche unserer Überlieferung zunächst zmn
Grunde liegt, das Nibelungenlied und die Klage enthalten haben muss
wie alle unsere vollständigen Hss. ausser der späten Wiener Überar
beitung k.
In A , unserer Handschrift des ältesten Textes , schwankt die
Zahl der Langzeilen in der Spalte zwischen 50 und 52. Dies
brachte mich auf den Einfall, die Theilbarkeit der in ihr enthaltenen
Langverse durch 51 zu versuchen. Es zählen aber die Nibelungen
2316x4 = 9264, die Klage 2160, beide zusammen 11424 Lang
zeilen. Das ergibt, durch 51 dividirt, genau 224. Es standen also
in jener Urhs. 51 Langzeilen auf der Seite oder in der Spalte.
da vielleicht dürfen wir noch weiter gehen. A stellt in diesem
Punkte der Urhandschrift so nahe, vielleicht bewahrt sie auch sonst
die äussere Einrichtung derselben. Vielleicht war auch die Urhs.
Deutsche Studien. I.
3 OS
zweispaltig geschrieben und zählte mithin 2X^1 Zeilen auf der
Seite, also 224 Spalten oder 56 Blätter (A hat 38). Das ergibt
gerade sieben Quaternionen.
Hiermit scheint eine Art äusserer Beglaubigung für den Stro
phenbestand von A gewonnen.
Wird man trotzdem fortfahren, von 'graphisch zu erklärenden
Auslassungen' der Hs. A zu sprechen? Wird man auch fernerhin
übersehen, dass solche Beobachtungen (Bartsch Untersuchungen
über das Nibelungenlied S. 304 f.) ihren Werth haben , um eine
anderweitig bewiesene Auslassung zu erklären , dass sie aber nim
mermehr eine sonst unbeweisbare Auslassung um ein Haar wahr
scheinlicher machen können? Oder wird man die Beobachtung ab
zuschwächen versuchen etwa durch die Muthmassung, die Vorlage
von A habe eben die nöthige Anzahl von Strophen weggelassen, um
gerade sieben Quaternionen voll zu bekommen? Wie seltsam, dass
der Schreiber dieser Vorlage sich dann eben so scharfsinnig wie
Herr Bartsch der Thatsache erinnerte, dass Auslassungen oft durch
ein Übergleiten des Auges zu einem benachbarten gleichlautenden
Worte verschuldet wurden , und dass er darauf seinen Plan haute,
unbemerkt einige Strophen, die er eben so scharfsinnig wie Lach
mann als überflüssig erkannte, zu unterschlagen.
Doch ich will mich hüten, zu früh zu triumphiren.
Als ich einem Fachgenossen, der auch mit Lachmann die Hs. A
für die Grundlage der Kritik hält, die Sache mittheilte, erhielt ich
folgende Antwort: 'Ihre Rechnung erscheint mir aus mehr als
einem Grunde so bedenklich , dass ich keinen Schluss darauf bauen
möchte. Erstlich gefallen mir die 51 Zeilen nicht, weil dann
die Spalte nicht einmal mit einem Zeilenpaar, geschweige mit vol
ler Strophe schliesst. 12 Strophen und 3 Zeilen auf die Spalte wäre
eine so unsymmetrische und unpraktische Theilung, wie sie nur
irgend sein könnte. Zweitens: in A sind die Verse und weiterhin
auch die Strophen ahgesetzt; in B sind (Lachmann p. VI) die
Strophen abgesetzt; oh auch die Verse , weiss ich nicht, da ich
kein Facsimile habe; in C sind nach dem Lassbergischen Facsimile
die Strophenanfänge zwar durch grosse Buchstaben kenntlich ge
macht , aber weder Strophen noch Verse abgesetzt. Also nur die
jüngste und nachlässigste dieser drei Hss. hat sicher abgesetzte
Strophen und Verse , die älteste und sorgsamste hat sie entschieden
Sitzb. J. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft. 20
Schere r
300
nicht. Nun haben zwar schon die Hss. des Otfrid nach dem Facsi-
mile hei GratT abgesetzte Strophen und Verse, denkbar und möglich
wären sie also aucli in der Grundhs. der Nibelungen. Aber sicher
sind sie docli keineswegs; ja sie dünken mich nicht einmal wahr
scheinlich , denn auch unsere ältesten und besten Liederhandschrif-
ten, die Weingartner, die Heidelb. 337 setzen Strophen und Verse
nicht ab. Und es wäre doch sonderbar, wenn die Grundhaudschrift
abgesetzte Verse gehabt hätte und gerade die besten nachfolgenden
Schreiber hätten dieses sehr zweckmässige Verfahren wieder auf
gegeben, erst ein verhältnissmässig später und unsorgfältiger, der
Schreiber (oder die Schreiber) von A hätte (oder hätten) es wieder
aufgenommen. Je zweifelhafter aber die abgesetzten Verse in der
Grundhs. erscheinen , desto zweifelhafter und unsicherer wird auch
ein darauf gebauter Schluss. Waren dagegen andererseits die Verse
in der Grundhs. nicht abgesetzt, dann fehlt das feste Mass der Zei
lenlänge und dann ist wieder kein rechnender Schluss zulässig.’
Vor allem muss ich mich dagegen verwahren, als ob ich meine
Vermuthung für ‘sicher’ ausgegeben hätte. Von Sicherheit ist,
glaube ich , in historischen Hingen überhaupt selten die Rede , und
die ‘Vorsichtigen’, welche nur das ‘Sichere’ anerkennen wollen,
wiegen sich oft in den ärgsten Täuschungen über die Tragweite ihrer
Schlüsse.
Was scheint sicherer als die Textesüberlieferung moderner
Autoren , wie viel Garantien hat ein Schriftsteller von beute , dass
seine Worte unverfälscht auf die Nachwelt kommen , Garantien
welche der mittelalterliche Dichter durchaus entbehrte. Und doch
bat sich gefunden , dass wir z. B. den Text des Werther in einer
ziemlich verderbten Gestalt zu lesen pflegten. Wie weit mögen die
reinlichsten sorgfältigsten Ausgaben altdeutscher Poeten , die Lach-
mannschen z. B. noch von dem Echten entfernt sein, und ohne dass
wir die geringste Aussicht haben, diesem Echten jemals wesentlich
näher zu kommen.
Wie genau sind wir über die Elemente unterrichtet, aus denen
einige Goethesche Werke in seiner Phantasie entstanden. Aber der
innerste eigentliche Bildungsprocess in der Seele des Autors , wer
dringt in diese Tiefe, und wenn er einzudringen wagt, was kann er
im besten Falle herauf holen? Einige mehr oder weniger wahrschein
liche Ahnungen.
Deutsche Studien. I.
307
Oder nehmen wir an , dass Jemand neuere und neueste poli
tische Geschichte mit Benutzung aller Archive, ja mit Benutzung in
timster persönlicher Aufzeichnungen zu schreiben in der Lage wäre;
blieben nicht immer Reste , bei denen ihn seine Quellen in Sticli
Hessen , bei denen Combination eintreten müsste, bei denen er
sich zu Hypothesen genöthigt sähe und zwar zu Hypothesen, die
niemals höher als bis zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit erhoben
werden könnten ? Ja wie weit sind directe Angaben der Quellen
selbst von Sicherheit entfernt. Was für eine trügliche Quelle sind
Briefe. Wer denn, auch wenn er den Willen der grössten Aufrich
tigkeit hat, ist im Stande über die Bewegungen seiner Seele authen
tische Auskunft zu geben <).
Nein, nur Feststellungen einzelner Thatsachen in geschichtlich
hellen Zeiten , und Beobachtungen und Schlüsse, die ganz ins
Grosse geben (wie die Gesetze der politischen Ökonomie) und bei
denen sich vervollkommnete Beobachtungsmethoden der Gegenwart
für die Auffassung der Vergangenheit verwerthen lassen : nur dabei
können wir vergleichsweise auf Sicherheit rechnen.
In den meisten anderen Dingen bängt der Grad der Wahr
scheinlichkeit von dem Masse ab, in welchem Zufälle ausgeschlossen
sind. Je wunderbarer die Zufälle wären, die wir statuiren müssten,
um der Annahme eines bestimmten nothwendigen Zusammenhanges
zu entgehen , desto wahrscheinlicher oder desto 'sicherer' — wenn
man will — wird dieser Zusammenhang.
Ist es nun nicht ein höchst wunderbarer Zufall, dass die an
sich gar nicht runde Zahl von Langverseh des Nibelungenliedes und
der Klage eine runde glatte Vertheilung auf 7 Quaternionen zulässt —
und dass diese Vertheilung in der ursprünglichsten Hs. nahezu er
halten ist?
Aber nehmen wir die mitgetheilten Einwendungen durch , ich
glaube, dass sie sich Punkt für Punkt widerlegen lassen.
Zunächst von dem ersten Bedenken. Auf welche Art kommt eine
Vertheilung, wie die von mir angenommene, überhaupt zu Stande?
Irgend jemand tritt an eine gegebene Menge von Versen heran, hat
eine Art Vertheilungsschema im Kopfe, dem er aber von vornherein
eine gewisse Dehnbarkeit zu gewähren entschlossen ist, und macht
1 i Vortrefflich spricht hierüber Hennen Grimm Essays S. 52 ff.
20
308
Schere r
den Versuch es anzuwenden. Gelingt das nicht, so wird er es modi-
ficiren, und wenn zuletzt doch auf alle Weise ein Rest bleibt, so ent-
schliesst er sich vielleicht wegzulassen oder hinzuzudichten, um die
Zahl voll zu machen. Vor allem aber muss er die ihm vorliegende
Zahl genau kennen. Wie fing er das an? Im Mittelalter führte man
keine Strophen- oder Zeilenzählung durch, wie wir in unseren Aus
gaben.
Wir kennen die Dreissige. Auf vierzeilige Strophen angewendet
werden 28 oder 32 dafür eintreten. Lachmann hat zu den Nih.
S. 163 nachgewiesen, dass das Nibelungenlied, wenn wir die
52 Zeilen oder 13 Strophen abrechnen, in denen Piligrim erscheint,
gerade 485 Abschnitte zu 28 Zeilen oder 7 Strophen zählt. Also,
falls wir die obige Deutung wieder anwenden dürfen, 485 Spalten
oder Seiten. Nehmen wir letzteres an, so ergäbe das 30 Quater-
nionen und einen halben, auf welchem jedoch nur 5 Seiten be
schrieben waren, oder 39 Quaternionen und ein Quinternio mit
angeklebtem Platte, dessen Vorderseite nur beschrieben — das kann
niemand genau wissen, genug dass die Berechnung nach Spalten
sehr leicht war. Auch die Klage bot keine Schwierigkeit mit ihren
144 Abschnitten zu 30 Zeilen (Lachmanns Ausgabe S. XII), die als
Spalten einer zweispaltigen Hdschr. genommen, gerade 4'/ 2 Quat.
(als Seiten genommen 9 Quat.) ausmachten.
Wenn nun derjenige, der zuerst Nib. und Klage in ein Buch
schreiben liess oder schrieb (denn an diese Persönlichkeit haben wir
hier zunächst zu denken), den angegebenen ursprünglichen Bestand
auf Langzeilen reducirte, so erhielt er 11372. Aber diese auf Seiten
zu 28, 30 oder selbst (zweispaltig) zu 60 Zeilen vertheilt, ergab
einen unförmlich dicken und schwerfälligen Band.
Der Wunsch lag nahe, ein schlankeres Format zu gewinnen.
Dann musste aber der Schreiber die Theilungszahl 28 oder 30
mit einer grösseren vertauschen. Er versuchte es etwa mit einem
naheliegenden Mass wie 50 Zeilen auf der Spalte, 100 auf der Seite
(also 25 Strophen): das gab 113 Seiten und einen Überschuss von
172 Zeilen.
Schade, dass es nicht 112 Seiten waren. Das hätte gerade
28 Doppelblätter, 7 Quaternionen ausgemacht. Aber kann man
dem nicht abhelfen? Fragt sich nur: wie? Die 172 überzähligen
Langzeilen wegzulassen, geht nicht an. Dagegen, wenn jeder Spalte
Deutsche Studien. I.
309
eine Zeile zugelegt wird, mithin öl Strophen auf das Blatt kommen,
so bleiben wir unter dem Masse, es fehlen uns 52 Langzeilen, um es
voll zu machen.
Unter solchen oder ähnlichen Erwägungen mochte sich die oben
vorausgesetzte Persönlichkeit entschlossen, die 14 Piligrimstrophen
hinzu zu dichten. Damit war zugleich einer sachlichen Rücksicht
gedient, ich meine der Ausgleichung zwischen Nib. und Klage. Es
ist bekannt, dass dieses Motiv späterhin zu weiteren Umgestaltungen
geführt hat.
So angesehen, wird die 'unsymmetrische und unpraktische Thei-
lung’ wohl nicht länger auffallen.
Was das zweite Bedenken anlangt, so wäre es allerdings
wünschenswerth zu wissen, welche der uns erhaltenen Hss mhd.
Gedichte in abgesetzten Verszeilen geschrieben sind, und welche
nicht. Die Beschreibungen drücken sich darüber selten deutlich aus.
Aber gefolgert kann unter allen Umständen nicht viel daraus werden,
Es käme darauf an zu wissen, ob man zu Ende des 12. und Anfang
des 13. Jahrhunderts in der eigentlichen Blüteepoche der staufischen
Litteratur die Verszeilen meist absetzte. Nur können Hss. dar
über wenig lehren, da wir gleichzeitige nicht besitzen und feinere
Altersunterschiede durch die Paläographie nicht festzustellen sind.
Eine allgemeine Regel gab es vielleicht gar nicht, ln der Berliner
Hs. der Eneit hat, wenn ich Ettmüller S. XI recht verstehe, die
zweite Hand abgesetzt, die erste nicht. Von Jugend oder Alter kann
die Sache ganz unabhängig sein: wer fortlaufend schrieb wollte Per
gament sparen, und sparsame Leute gab es zu allen Zeiten. Der
sicherste Anhaltspunkt sind also die Dreissige, sie lehren uns
mehr als Beobachtungen an Hss. erbringen können. Dass die
verhältnissmässig späte und unsorgfältige’ Hs. A das Verfahren
wieder mitgenommen’ habe, ist eine unrichtige Vorstellung. Oder
würde man auch sagen, sie habe den ältesten und ursprünglichsten
Text wieder aufgenommen gegenüber B und U? Sie bewahrt den
echten Text und so bewahrt sie die Einrichtung der Urhandschrift.
Blicken wir auf die vorstehenden Erörterungen zurück, so lässt
sich eine letzte Vermuthung kaum abweisen. Sollte die Bedeutung
der 28 Zeilen im Ganzen des Nibelungenliedes eine andere gewesen
sein, als in jedem einzelnen von Lachmanns echten zwanzig Liedern
und (nach Miillenholfs Nachweis) in manchen Interpolationen? Ist
310
Scherer
es nicht, wenn wirMüllenhotFs Hypothese der Liederbücher annehmen,
das einfachste, auch diesen Liederbüchern eine Einrichtung zuzu
trauen, bei welcher 28 Zeilen oder 7 Strophen auf die Seite kamen?
Machen wir endlich die Anwendung auf das Spervogel-Lieder-
buch.
Wir haben Reihen von 5 Strophen oder 30 Reimzeilen gefun
den. Mit dem Schluss der Gruppe II endigt eine solche Reihe (II. 3)
und mit dem Anfang der Gruppe IV beginnt eine andere (IV. 1).
Also schliesst mit II. 3 ein Blatt und mit IV. 1 beginnt ein neues, an
den Schluss einer Reihe von 30 Zeilen fällt der Schluss eines Blattes,
mit einer neuen Reihe von 30 Zeilen beginnt ein neues Blatt.
Was liegt näher als die Annahme, dass in dem alten Lieder
buche, wie in so vielen Urhandschriffen mhd. Gedichte, die Reihe
von 30 Zeilen je einer Seite entsprach?
Nun ist es nicht schwer dieses Liederbuch auf das genaueste
zu reconstruiren.
Nehmen wir an, wie das in alten Hss. häufig, dass die Vor
derseite des ersten Blattes leer blieb der Abreibung wegen, und
vertheilen darnach die Dreissige. So erhalten wir:
Bl. 1“ leer.
„ l b Reihe I. I.
„ 2« „ I. 2.
„ 2 b „ II. 1.
„ 3 a „ II. 2.
„ 3 b „ II. 3.
* 4* „ IV. 1.
* 4 b „ IV. 2.
* 5“ „ IV. 3.
Man sieht, dass wirklich mit IV. I ein neues Blatt beginnt, wie
es verlangt wurde. Und das ganze Liederbuch bestand aus 4 Blättern
(ohne Zweifel 2 in einander gelegten Doppelblättern) und einem an
geklebten fünften, worauf nur 3 Strophen standen.
Es ist wohl klar, dass wir eine nach bestimmten Gesichtspunkten
veranstaltete Auswahl vor uns haben. Denn der alte Anonymus wird
nicht gerade nur3 Thierfabeln, 3 Gönnerstrophen, 3 Gedichte aus dem
Lehen der Fahrenden gemacht haben. Und vom Spervogel besitzen
wir thatsächlich noch ziemlich viele andere Strophen. Der Sammler
begann also mit 10 Gedichten Spervogels und sonderte dann, was er
Deutsche Studien. 1.
3 I I
von den mannigfaltigen Poesien des Anonymus aufnahm, in Gruppen
von verwandtem Charakter. Im allgemeinen setzte er sich dabei vor,
fünf Gedichte von jeder Art zu liefern: S Gönnerstrophen, 5 aus dem
Leben der Fahrenden, 5 Thierfabeln, 5 geistliche Strophen, hierauf
eine gemischte Gruppe, in welcher besonders die Gnome absticht:
wahrscheinlich waren ihm nicht genug solche reine Sittensprüehe
des Dichters bekannt, um daraus eine eigene Gruppe zu bilden, oder
cs schien ihm nur dieser der Erhaltung besonders werth und er ord
nete ihn hier ein, weil es ihm vielleicht Mühe machte, diese Gruppe
zu vervollständigen: sie bestellt sonst aus Gleichnissen, wovon das
erste die Klage über eine traurige Erfahrung des abgewiesenen
Spielmanns, das zweite, dritte und vierte allgemeine Lehren enthalten,
so dass die Deutung entweder beigefügt oder dem Hörer zu errathen
überlassen wird. Wenn dann noch 3 geistliche Strophen folgen, so
sind dem Sammler vermuthlich nur 8 im ganzen bekannt gewesen,
die er so hoch hielt, dass er keine derselben verloren gehen lassen
wollte.
Das ursprüngliche Liederbuch von fünf Blättern hat nun, ehe es
in A oder C abgeschrieben wurde, zwei Vermehrungen erhalten:
erstens die bekannte Strophe 20, 17 am Bande von Bl. l b ,
zweitens UI mit der junge Spervogel bezeichnet, zuerst vielleicht
am Schlüsse beigelegt, aber dann zwischen Bl. 3 und 4 gerathen,
wo jüngere Schreiber sie ohne weiters mit abschrieben, unbekümmert
oh dies die richtige Folge.
Ein Liederbuch dieser Gestalt nun liegt A zu Grunde. Aber es
hatte eine weitere Vermehrung erhalten. Die Strophen von III hatten
vermuthlich die ihnen bestimmten Blätter nicht ganz gefüllt und der
leere Raum wurde benutzt um 5 Neidhartisehe Strophen und 2 sonst
dem Leutolt von Seven zugeschriebene darauf einzutragen.
Möglich, dass diese falsche Vermehrung auch C vorlag, dass der
Schreiber sich aber erinnerte, die Strophen bereits früher unter an
deren Namen (Waltram von Gresten und Leutolt von Seven) abge
schrieben zu haben.
Gewiss aber ist, dass das ursprüngliche Liederbuch in der Ge
stalt, in welcher es auf C kam, eine andere Vermehrung erhalten
hatte, die A unbekannt war.
Auf dem fünften Blatte des Liederbuches standen nur drei
Strophen. Es war also, wenn dieselbe Zeilenzahl auf der Seite bei-
312
Scherer
behalten wurde, noch für 7 Strophen Raum. Und um gerade so
viel Strophen finden wir das Liederbuch in C ver
mehrt an seinem Schlüsse, 47—53 C (22, 25 — 24, 8). Die
Strophen gehören nicht dem Anonymus, sondern Spervogel selbst
und werden grossentheils durch J als sein Eigenthum bestätigt.
Dass unsere Reconstruction des Liederbuches hierdurch auf
das allervollkommenste bestiTtigt wird, brauche ich nicht erst hervor
zuheben. Wenn aber in C noch Str. 54 (MF. 244, 49 — 60) im ersten
Tone des sogenannten jungen Spervogel folgt, so wird diese wohl erst
der Schreiber von C aus einer anderen Quelle nachgetragen haben.
Der junge Spervogel.
Die speciellere Erörterung über den jungen Spervogel können
wir nun nicht länger mehr verschieben.
Sollte der Name bloss gefolgert sein? Man besass etwa eine
Anzahl Strophen, wovon ein Tlieil entschieden in Spervogels Art, man
wusste aber, dass sie nicht von Spervogel seihst herrührten, erkannte
ihren jüngeren Charakter und erfand ihnen zu lieb einen jungen
Spervogel. Ich meine, diese Annahme wäre so unwahrscheinlich als
möglich: kein zweites Beispiel könnten wir anführen, wo ebenso
verfahren worden wäre.
Die Existenz eines jüngeren Fahrenden, der auch Spervogel
hiess und zum Unterschied von dem älteren den Beinamen der junge
führte, wie Reinmar in C der alte heisst zum Unterschied von Reinmar
dem Fiedler und Reinmar von Zweter, ■—die Existenz, sage ich, eines
solchen Fahrenden können wir kaum in Zweifel ziehen. Aber was
wissen wir von seiner Thätigkeit?
Was^I (oder nach unserer obigen Vermuthung die Quelle von Al und
C) ihm zuschrieb, kann unmöglich von einem Dichter herrühren. An vier
Strophen von einheitlichem Kunstcharakter (S. 242 ff. Z. 1—48)
schliesst sich Z. 61—76 (vergl. Bartsch Germ. 12,131) die fol
gende:
Der alten rät
versmähet nu den kindcn.
unbetwungen eint die jungen, ane reht. wir leben-
Untriuwe hat
gemacliet dm wir vinden
in dem lande menege schände, uns ist viir frinde gegeben
Ungenäde, blote hnobe, wüeste laut.
Deutsche Studien. I.
313
da man e wirte in vollen statten vräiden vant,
dem Icrcet din kenne noch der kan, ein phdwe ist niender da,
die weide enezient gehe, rinder, ros noch schdf,
dan brechent auch die gloclcen nieman einen släf,
diu lcirche ist ade, ir sult den pfaff en suochen anderswä.
Das Gedicht fällt aus der Art jener vier ersten Strophen ebenso
heraus, wie aus der Kunstweise Spervogels und seines Vorgängers
des Anonymus überhaupt. Nicht nur ist das Metrum weit künstlicher,
die Gesammthallung vornehmer: die Gattung der Satire auf allge
meine Zustände der Zeit wurde von jenen nicht angebaut, Walther
von der Vogelweide übernahm sie gleichsam von den lateinisch dich
tenden Vaganten des zwölften Jahrhunderts und ihm seinerseits fehlte
es dann nicht an Nachfolgern. Ein solcher ist auch wohl der Dichter
des vorliegenden Stückes. Dasselbe erinnert am meisten an Strickers
Klagen (bei Hahn XII): ältere Leute, die mit Ehren grau geworden,
waren ehemals ze liove angesehen, jetzt verlangt man nicht mehr
nach ihnen (129 ff.); die Herren schmähen den Kaiser auf alle
Weise, damit er das niedere Volk gegen ihre Übergriffe nicht schützen
könne, relit gerillte ist vil mich tot (108, vergl. 201 ff.), triuwe und
wärlieit ist verpflegen (110); ich kan uf tiutscher erde ninder zito
der fröude kamen (12 f.), unfröude ist nu gekreenet: der liabent
die riehen gesworn und. liabent für die fröude erkorn tragen die
wdfen alle (18—21). Auch Ulrich von Lichtenstein geht im Frauen
huch von dem Begriff der Traurigkeit und Unfreude aus, die jetzt
eingerissen sei und die alte zierliche Geselligkeit nicht mehr auf-
kommen lasse. Dem letzten Theil unseres Gedichtes am nächsten
kommt endlich die Warnung, wo sie Z. 1755 ff. (Haupt Zs. 1,
486 f.) schildert, wie einst da Festlichkeiten waren, wo der hof nu
jcemerlicheti lit dne ingesinde... die liei!egen liabent sich üf ge
zogen, von der kuppe/ sint si geflogen üf zuo ir schephwre . . . swd
ir nu kieset daz diu müre mieset unt die steine sint geriren. da
u'irt selten geschriren 'wd nu, trulisa’zen? die Herren gerne
atzen'... ere fröude begraben lit unt elliu werltlich wünne. Die
Strophe wird ganz in den Kreis dieser österreichischen Zeitsatiren
hinein gehören.
Der Schluss könnte den Gedanken nahelegen, dass Interdict über
dem Lande laste, das der Verfasser im Auge habe. Aber ir sult den
Pfaffen suochen anderswä deutet doch wohl auf willkürliche Ver
nachlässigung des Kirchendienstes durch den Geistlichen. Und blöze
314
Scherer
huobe. wiieste laut lässt vielmehr auf Kriegsnöthe rathen. Da Un*-
treue als Ursache augegeheu wird, so dürfte man etwa die Empörung
Friedrichs des Streitbaren gegen Friedrich II. und die Ereignisse der
Jahre 1236—1240 in Anschlag bringen.
Die folgende, dem jungen Spervogel zugeschriebene Slrophe
30,34 ist mit ihrem ungenauen Reim (brunnen: sunne) und sonst
viel zu altertlnimlich, sowohl für den Dichter der ersten vier Strophen,
als auch und noch mehr für den Dichter der unmittelbar vorange
henden.
Dadurch verliert auch die letzte, auf welche dann in ^Ijene Neid-
hartischen und anderen Strophen folgen, jede Gewähr der Echtheit.
Sie findet sich überdies in C auch unter Dietmar von Aist in einem
unechten Anhang.
Also vier Strophen, als deren Verfasser wir uns nicht bedenken
würden den jungen Spervogel anzuerkennen, und daraufzehn (31 bis40
Aj, die sieh noth wendig auf mehrere Dichter sehr verschiedenen Alters
vertheilen: woraus wollen wir die Berechtigung ableiten, den Namen
der ihnen vorgesetzt ist, bloss auf die ersten vier zu beziehen?
Wir haben ohne Zweifel eine Sammlung von Gedichten vor uns,
wie sie Spielleute, die aus dem Vortrag von Liedern ein Gewerbe
machten, anzulegen pflegten: vergl. MüllenhofF zur Geschichte der
Nibelunge Not S. 19. Es wird kein Zufall sein, dass die letzten
7 Strophen (34 — 40 Ä) sich sonst gerade auch in Sammlungen ähn
lichen Ursprungs und ähnlicher Heimat vorfinden, wenn wir der
versuchten Datirung von Strophe 31 AC trauen dürfen.
34—38 A gehören einem Liede Neidharts an (Haupt 29,27 ff.),
stehen aber in C unter Waltram von Gresten aus Niederösterreich,
der nur ein solcher Sammelname ist (Haupt zu MF. 225 Anm.).
39. 40 A sind Strophen eines Liebesliedes, des ersten unter
den Liedern Leutolts von Seven in BC. Mit Leutolt steht es aber nicht
viel anders als mit Waltram, vergl. Wilmanns Walther S. 109 ff. ln
A ist das entschieden ein Sammelname. Die drei zufällig anderwärts
nicht überlieferten Sprüche (Wackernagel-Riegers Walther S. 259 t.
1—3) mögen um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein: der
Anfang des ersten (Sold ich den jungen raten, die unbetwungen
libes unde guotes 8int) erinnert an die obige Strophe unbetwungen
sint die jungen. Im Ton der dritten bietet die Hs. D, eine Sammlung
geistlicher und moralischer Lieder (Heidelberger Hs. 350 s. Hägens
Minnes. 4, 900 b ) noch ein Gedicht (Wackern. Rieger a. 0. 4). Das
ebenfalls sonst nicht nachgewiesene Eröffnungsgedicht in A (Wack. R.
16) ist ein Tagelied von der grössten Einfachheit, wie man es dem
Verfasser der in BC unter Leutolt überlieferten drei Lieder nimmer
mehr Zutrauen würde. Diese seihst (Wack. R. 5—15) tragen aller
dings einheitlichen Charakter: man vergl. nur z. B. dieÄsyndeta 262,
9. 16. 263, 1. 24 und die gehäuften Fragen der Strophe 13 mit
denen der Strophe 9. Eine gewisse Geistesarmuth bei grosser Leich
tigkeit der Form ist nicht zu verkennen. Man fühlt etwas von dem
Charakter heraus, den ein eifersüchtiger Genosse ('Reinmar der
Fiedler' Wack. R. S. 258) so treffend schildert, den eines gewandten
vielseitigen beliebten und wahrscheinlich eitlen Spielmanns. Wir
dürfen wohl in dem was A unter seinem Namen gibt eine von ihm
angelegte Sammlung, in dem was BC gewähren drei eigene Gedichte
erblicken, wenn auch Strophen des einen Gedichtes hier unter dem
jungen Spervogel, Strophen des anderen in v4 unter Niune. wieder
einem entschiedenen Spielmannsnamen, begegnen. Das Material zu
Leutolts Sammlung ist grossentheils aus Österreich und Baiern ge
holt. Die benutzten Dichter gehören der ersten Hälfte des 13. Jahr
hunderts oder dem 12. Jahrhunderte an.
Auf verwandten Boden führt also die Sammlung des jungen
Spervogel. Er war ein Fahrender, kein Zweifel. Aber noch immer
bleiben drei Möglichkeiten, zwischen denen sich schwer entscheiden
lässt: erstens der junge Spervogel ist der Name des Besitzers resp.
Sammlers, und kein Gedicht rührt von ihm her; zweitens der
junge Spervogel ist der Verfasser der vier ersten Strophen, der
Sammler hat sie vorangestellt und den Namen des Verfassers beige
schrieben, der dann fälschlich sich auf alle zu beziehen schien;
drittens der junge Spervogel selbst ist der Sammler und hat frem
den Gedichten vier eigene vorausgehen lassen.
Der Hauptpunkt ist die Frage nach der Autorschaft der vier
ersten Strophen. Zur Entscheidung darüber müssen wir eine wichtige
Sammlung geistlicher und moralischer Sprüche des 13. Jahrhunderts,
den aus Pfeiffers Untersuchungen zur deutschen Litteraturgeschichte
(Stuttgart 1855) S. 47 ff. bekannten und ebendort S. 73—87 so
wie in Magens Minnes. 3, 468 q ff. herausgegebenen Anhang zum
Heidelberger Freidank (h) herbeiziehen.
I
Schere r
316
In der Auffassung dieses Anhanges muss man zum Th eil
Pfeiffer a. 0. gegen Wilhelm Grimm (Freidank erste Ausg. S. IX.
Zweiter Nachtr. S. 11 — 13. Haupts Zs. 12, 226) Recht geben.
Strophe 32 ist gewiss Freidanks Quelle, nicht umgekehrt 1 ). Und die
Überlieferung der Strophe 17 (= Sperv. 29 AC) auch unter Rein-
mar und Dietmar von Aist darf wohl zu Gunsten ihres höheren Alters
geltend gemacht werden. Viel zu weit aber geht Pfeiffer, wenn er
S. SO den grössten Theil jener Heidelberger Gedichte dem Spervogel
zuschreiben will. Doch mögen allerdings manche aus einer Fortbil
dung der von Spervogel eingehaltenen Richtung hervorgegangen sein.
Halten wir uns zunächst an die sieben Strophen in li (16—22),
deren Ton mit dem ersten des jungen Spervogel (wir können ihn den
1) Es sei mir erlaubt über Freidank, weil dessen Beurtheilung doch einmal hier in
Frage kommt, einige briefliche Äusserungen Lachmanns anzuführen. Silvester
1827 schreibt er an Wilhelm Grimm: 'Freidank hat, denke ich, wenig Sprüche
selbst gemacht, sondern er fand sie, theils prosaisch, theils schon rersificirt, nur
gewiss meistens nicht streng gereimt, — wie auch noch spätere Schreiber kürzere
Heime hinein setzten, wie 1067 [56, 5 Des marines sin ist sin gewin], so wie sie
gangbar waren: Freidank hätte sie verändert. Das Sinnreiche bei ihm ist, dass er
immer die scheinbar streitenden zusammenstellt und durch die Stellung die Gegen
sätze auflöst, am deutlichsten am Ende, wo er ohne eine bestimmte politische Mei
nung, aber gewiss der Ansicht der Meisten gemäss, immer Recht und Unrecht auf
beiden Seiten, des Papstes und Friedrichs, sich gegenüber stellt.’ [Vergl. H. A.
L. Z. 1829, Nr. 238, S 623.] 7. Juli 1828: 'Wenn Sie an den Freidank kommen,
habe ich für Sie eine Sammlung von Sprüchen aus der Kaiserchronik, auch wenn Sie
das anders brauchen können, ein förmliches bispel. Wir werden immer mehr finden,
dass fast. alle Gattungen des 13. Jahrh. in der Mitte des 12. schon völlig aus
gebildet waren.’ 19. November 1834 hebt er wieder hervor, Sentenzen in Versen
seien eine alterthümliche Gattung, einzelne und ganze Reihen fänden sich im
12. Jahrh. Er weist ferner hin auf die Lehren der Meister oder Alten in erzählen
den Gedichten, wie Eneide 9711, im Parz. die Mutter und Gurnemanz, Tristan
Groote S. XLV. 2590, Meier Helmbrecht. [Vergl. Über den Eingang des Parzivals
S. 229 f.] Über W. Grimms bekannte Hypothese habe ich nur die Bemerkung
ausgezogen: 'Und ist man denn gezwungen, aus der freilich auffallenden Über
einstimmung in Ansichten und Wendungen auf Einen Dichter zu schliessen? Vieles
ist doch wohl gewiss beiden schon im Volkssprichwort gleichmässig überliefert:
hat doch Ulrich von Türheim einige von Wolframs kühnsten Bildern, die er gewiss
nicht aus ihm entlehnt hat. Vieles ist aber gewiss auch von Walther erfunden und
von Freidank nachgesprochen: aber Walthers Lieder waren auch am reichsten
an Sprüchen und waren bekannt wie keines anderen Lieder: eine besondere Vor
liebe Freidanks für Walthern kann man auch gern zugeben, und damit beruhige ich
mich für jetzt. ’
Deutsche Studien, f.
317
dritten Ton Spervogels nennen, nach Massgabe der Überlieferung
in C) identisch ist. Eine dieser Strophe 17 li findet sich als 29 AC
wieder (MF 1 . 243, 23—36) und zwar im wesentlichen unverändert;
eine andere trilft mit der in C nachgetragenen (34(7) zusammen (MF.
244, 49-60).
Zwischen diesen letztgenannten aber zeigt sich ein beachtens-
werther Unterschied. Nur der Abgesang ist identisch. Die beiden
Stollen lauten ganz anders: aber ohne dass man sagen könnte, C be
wahre das echte und in h sei geändert, oder umgekehrt. In beiden Fas
sungen ist individueller Bezug deutlich, der Dichter fühlt sich zu
rückgesetzt und klagt, dass man ihn nicht höher schätze. 'Die Sonne
ist nur um ihres hellen Glanzes willen so beliebt: wenn ich mich doch
auch äusserlich geltend zu machen verstünde!’ h. 'Ein kluger Mann
ist ein unentwendharer Schatz (ich will mich nicht für einen solchen
ausgeben) meine kunst ist nur gering, aber der Inhalt meiner Worte
verdient Beachtung’ C. Dazu der gemeinschaftliche Abgesang: 'Man
soll die Menschen nicht nach dem äusseren Anschein beurtheilen,
unter dem glänzendsten Kleid kann ein unwürdiger stecken:’
und trilege ein wolf von zobel ein hüt,
nach künne er lihte trete.
Man erinnert sich dabei an den gleichen Ausdruck beim Meissner
(J 3, Hägens Minnes. 3, 86 b ) onch tuot nach stme künne der wolf
und an die Fabel des Anonymus (27, 23), die vielleicht dem Ver
fasser der Strophe vorschwebte:
der wolf begonde einen muot
nach einem vater wenden,
was die jüngere Bearbeitung (S. 239) durch nach siner art er tet
wiedergibt. Vergl. Möllmanns Niederd. Aesopus S. 48 de sulve klank
was ök dines vader sank-, Alexander und Anteloie 219 dicke wolf es
kint tut nach deine vater. Weiteres bei Willi. Grimm Zs. 12, 217.
Jedenfalls würde man keinen Anstand nehmen, die Strophe dem
Verfasser von 27 — 30 AC zuzuschreiben, wenn dies nicht der Reim
nilit: siht Z. 56 gegenüber nicht: lieht Z. 42 bedenklich machte.
Dadurch biissen auch die anderen fünf Strophen dieses Tones,
welche h allein überliefert (16. 18—20. 22), an äusserer Gewähr ein.
In der That muss noch eine dieser Strophen (19) deinDichterbe-
stimmt abgesprochen werden: der Reim vriunt: verzinnt (statt verzin
set) ist ihm nicht zuzutrauen. Und selbst was den Rest betrifft, so verdient
cs Beachtung, dass von den vier AC gemeinschaftlichen Strophen in
318
Scherer
dreien (242, 7. 19. 243, 40) Übergang der Construction aus dem
Aulgesang in den Abgesang oder aus dem ersten Stollen in den zweiten
stattfindet, während in h dies durchgehends streng vermieden wird.
Auch sucht mau in h vergeblich eine Parabel wie 242, 1 ist, oder
auch nur so durchgeführten bildlichen Ausdruck wie in 242, 13.
Andererseits muss mau doch zugeben, dass (von Str. 17 und 19
abgesehen) keines der in h erhaltenen Gedichte dieses Tones des
Dichters von 27 — 30 AC unwürdig ist und dass keines aus seiner
Manier, wie sie namentlich in 243, 25 vorliegt, heraustritt. Die auf
fällige schwebende Betonung ahten im Anfang der letzten Reimzeile
von 20 li wird durch guoter 243, 35 gerechtfertigt. Zwischen 16/i
und 30 AC (243, 37) waltet eine gewisse innere Verwandtschaft ob
durch die Art, wie in beiden der Schluss etwas unerwartet den
vriiint hereinzieht. Am meisten verdient Beachtung, dass fast alle
Töne in h, von denen mehrere Strophen erhalten sind, darunter auch
geistliche darbieten: unter diesem Tone findet sich keine einzige.
Das wäre der Individualität des Verfassers von 27 — 30 AC ganz
gemäss, welcher insofern dem Spervogel nahe und dem alten Ano
nymus entgegensteht.
Es ist dies nicht die einzige Ähnlichkeit: der Abgesang des
dritten Tones ist vollkommen gleich Z. 3—8 des ersten. Ja die
sechs Hebungen mit stumpfem Ausgang von Z. 1. 2 finden sich in
den Stollen des dritten Tones als je zwei Verse von drei Hebungen
mit stumpfem Ausgang wieder. Ihnen ist je eine stumpfe Zeile von
vier Hebungen vorgeschoben. Also eine Umbildung der Strophe Sper-
vogels zu einer Zeit, wo die Dreitheiligkeit in der Lyrik allgemeines
Gesetz geworden war.
Sollen wir uns noch unter den Strophen anderen Tones in h
umsehen, ob vielleicht einige demselben Verfasser zuzutheilen wären?
Erinnern wir uns, dass der alte Anonymus nur einen Ton verwendete,
Spervogel dessgleichen. Wir wissen nicht, wann in den Kreisen der
Fahrenden diese Sitte verlassen wurde, auch Reinmar von Zweter
hat fast alle seine Gedichte im Frau Ehrenton abgefasst und Stolle
nur die Almentweise gebraucht. Also gehen wir nicht weiter.
Die Untersuchung war nicht sehr ergiebig, das Resultat bleibt
unsicher. Ich nehme an, dass der junge Spervogel Verfasser der
vier ersten ihm zugeschriebenen Strophen und wahrscheinlich auch
einiger desselben Tones in li ist. Aber ich bin mir wohlbewusst, dass
Deutsche Studien. I.
entscheidende Gründe für diese Ansicht nicht vorliegen. Das stärkste
Argument ist noch die Übereinstimmung zwischen dem Autornamen
und den sich unmittelbar daran scbliessenden Gedichten: beide er
innern an Spervogel. Die Annahme, dass der junge Spervogel nur
Besitzer oder Sammler des Liederbuches war, das seinen Namen
trägt, dürfen wir also verwerfen. Gegen die oben aufgestellte dritte
Möglichkeit spricht die Zeit der Str. 31 AC, falls sie richtig ermittelt
worden. Bleibt mithin nur die zweite Vermuthung.
Der junge Spervogel wäre demnach ein jüngerer Zeitgenosse
Spervogels, der die Genauigkeit der Reime durchführte, seine Strophe
dreitheilig baute und keine Senkungen mehr fehlen liess. Seine Pro-
ducte haben den Charakter des Gelegenheitsgedichtes wohl ganz
abgestreift.
Wie kam nun der Mann zu seinem Namen? Ehe wir eine Ant
wort versuchen, werfen wir noch eine andere Frage auf: wie kamen
die Sprüche des Anonymus dazu, unter dem Namen Spervogels ein
getragen zu werden?
Wer das alte Liederbuch anlegte, dessen Umfang qnd Plan
oben sich ergab, wer da genau zehn Gedichte Spervogels eintrug
und aus den Strophen des Anonymus Gruppen zu je fünfen auswählte,
dem müssen umfassendere Sammlungen Vorgelegen haben, eine
Sammlung von Sprüchen des Spervogel, eine Sammlung von Sprüchen
des Anonymus. Wie fand er die letztere: namenlos oder mit einem
Namen versehen? Eine ursprünglich namenlose Sammlung glaube
ich für Kürnbergs Lieder aufstellen zu müssen, wovon ein andermal.
Namenlosigkeit begegnet uns bei mittelhochdeutschen Gedichten
sonst, wo die Arbeit Verschiedener das Werk zu Stande brachte und
sieh nicht ein Einzelner daran als Autor fühlen lernte. Aber davon kann
hier nicht die Rede sein, eine bestimmte Individualität ist erkennbar,
und die Quelle kann von der Person des Verfassers zeitlich nicht
weit abgerückt werden: nichts erweislich Unechtes hat sich einge
schlichen. Darf man vermuthen, dass auch jene Sammlung, die dem
Veranstalter des alten Liederbuches vorlag, einen Namen an der
Stirne trug? Welchen aber?
Wenn wir sonst finden, dass unsere Minnesingerhandschriften
unter einem Namen mehrere Quellen benutzt haben, so nehmen wir
an > dass ihnen verschiedene Liederbücher mit demselben Verfasser-
uamen zu Gebote standen. Ist es ein Wagniss, in dem vorliegenden
320
Schere r
Falle die gleiche Annahme geltend zu machen ? Wie also, wenn unser
Anonymus’ ebenfalls Spervogel hiess?
Der 'Anonymus’ hatte Söhne und er empfiehlt sie der Gnade
vornehmer Gönner, denen er den Ruhm des Königs Frut in Aussicht
stellt (25, 19). Diese Söhne waren mithin auch wohl Fahrende?
Ging auf den älteren der Name des Vaters überi) und wurde der
jüngere zum Unterschiede der junge Spervogel genannt?
Aber noch mehr: Spervogel (d. i. Sperling, Uhland an Lassberg,
S. 82) wird nur eine Spitzname sein. Da können andere Namen
nebenher gegangen sein. Darf uns nicht doch wieder jener Gebehart
citharista, histrio einfallen, der einen gleichnamigen Sohn hatte?
Ich habe mich und den Leser in dem Aufbau des vorstehenden
Phantasiegebäudes vorerst nicht stören wollen. Es ist besser, solche
vage Vermuthungen nur immer unbekümmert vorzubringen, wenn sie
uns zufällig in den Sinn kommen, damit sie uns nicht hinterher als
etwas höchst Wichtiges, von uns Übersehenes entgegengehalten
werden. Aber ihnen nachhängen darf man nicht.
Es genügt darauf aufmerksam zu machen, dass der Sohn des
Spielmannes Gebehart nicht selbst Spielmann genannt wird, dass
hei der Untersuchung über den 'Anonymus’ kein Zufall statuirt
wurde (und wer will alle Zufälle ermessen, durch welche ein
Name an der Spitze einer Gedichtsammlung verschwinden kann:
der Urheber der Auswahl stellte Strophen derselben Kunstgattung
zusammen), und dass für den jungen Spervogel die willkürliche
Beilegung des berühmten Namens, dessen Träger dem jüngeren
Manne zum Vorbild diente, nicht ausserhalb des Bereiches der
Möglichkeit liegt. Wer will übrigens ausmachen, wie die beiden
Rumelant zu ihrem identischen Namen kamen?
Immerhin ist die Bezeichnung Anonymus nicht bequem und man
fühlt sich versucht, ihn Spervogel den Vater oder den ältesten
Spervogel zu taufen, nur um einen Namen zu bekommen.
1 ) Vergl. die von 0. Richter Die ältesten deutschen Liebeslieder des 12. Jahrhun
derts (Görlitz 1868) S. 32 ausgesprochene Vermuthung, wornach der junge Sper-
vogel’ ein Sohn des 'älteren 5 gewesen sein könnte. Lassbergs Lieders. 2, 314
Irreganc heiz ich, manec laut weiz ich, min vater Irganc was genant. Wie Marners
Kinder (HMS. 2, 241 b ) hiessen, wissen wir nicht. Ebensowenig ob der unglücklich
verheirathete (103.104) Reinmar von Zweter Kinder hatte. Dies ist aber alles, was
ich von Spielmannsfarnilien kenne.
Deutsche Studien. I.
321
Ich gestehe, dass mir die ganze Namenfrage sehr gleichgiltig
ist. Wir schleppen in der Geschichte so viele Namen mit ohne
Inhalt. Hier haben wir einmal den weit günstigeren Fall: Inhalt
ohne Namen. Die leeren Namen sind durch Heriger, Gebhard, Ker-
ling vertreten.
Zwei Persönlichkeiten, weniger sicher eine dritte, sind uns
entgegengetreten, und ihr innerer Zusammenhang ist uns klar ge
worden. Nicht mit Unrecht pflegt Möllenhoff von einer Spervogelschen
Schule zu reden. Es ist eine Gruppe fahrender Sänger, Pfleger
der didaktischen Poesie, mit Tendenzen wie sie in der langen
Epoche bürgerlicher Litteratur vom 13. Jahrhundert bis ins 18.
hinein weit um sich griffen. Im 12. und 13. Jahrhundert selbst
nahmen Walther, Freidank, Stricker einzelne ihrer Bestrebungen
auf. —
Wir können zu jenen dreien noch andere Persönlichkeiten
fügen.
Zunächst den Dichter von MF. 30, 34. Er ist ein älterer Zeit
genosse Spervogels, der seine Strophe nach ihm bildete (S. 286 [4])
und wie er Priameln dichtete, eine Gattung die der Anonymus
vernachlässigte. Auch dieser Dichter hat es mit einem jungen Gönner
zu thun, der sich karg zeigt und dem er seine Treue und seinen
'weisen Rath’ anpreist wie SperVogel.
Da ist ferner Spervogels geselle, der Verfasser von 20, 17. Er
hat ohne Zweifel auch in seiner eigenem Weise gedichtet, hier bedient
er sich der Spervogelschen, weil er sich auf einen Spruch Sper
vogels bezieht und denselben gleichsam fortsetzt.
In einem Verhältniss von etwas anderer Art befindet sich der
Anonymus mit 28, 34 zu einem älteren Dichter, dem Verfasser von
Denkm. Nr. 49, 3:
l)er zi dere chilchun gät
und äne riuwe da stät,
der wirt zeme jungistime tage
dne wäfin resclagen.
swer da wirt virteilet,
der hat iemir leide.
Das Gedicht des Anonymus, das Möllenhoff zum a. 0. verglichen
hat, lautet:
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Kd. 1. Hfl.
21
322
Scherer
Stvur gerne zuo der kirehen gal
und äne nit da st dt,
der mac wol fraglichen leben,
dem wirt ze jungest gegeben
der engel gemeine,
wol in, daz er ie wart!
ze himel ist daz leben also reine.
Müllenhoff ist geneigt, die zunächst angeführte Strophe eben
falls dem Anonymus, den er Spervogel nennt, zuzuschreiben, indem
er bemerkt: 'denselben Gegensatz, der zwischen diesen Sprüchen
stattfindet, hat Spervogel auch in seiner Schilderung des Himmels
und der Hölle, MF. 28, 20 ff. 27 ff.’ Uns hindert daran schon die
metrische Form, aber auch die noch grössere Einfachheit, Schmuck
losigkeit, ich möchte sagen Nacktheit des Vortrages in dem alten
Denkspruch. Vielleicht existirte von dem letzteren eine uns verlorene
leichte Überarbeitung durch den Anonymus, denn das Umgekehrte,
Verstümmelung eines am Schlüsse ausgeführteren Spruches, hat
geringe Wahrscheinlichkeit. Auch ohne eine solche Überarbeitung
ist indess Beziehung auf ein fremdes Gedicht denkbar.
Wenn wir hier nach rückwärts über den Anonymus hinaus aut
einen älteren Dichter geführt werden i), so leitet uns der Anhang des
Heidelberger Freidank und MF. 244, 77 ff. an das andere Ende der
Gruppe der Spervogel, zu den Zeitgenossen und nächsten Nachfolgern
des dritten Dichters.
Nicht alles was h bietet, gehört hierher. Die drei ersten Strophen
rühren ohne Zweifel von einem nachwaltherischen Spruchdichter
her. Die vierte ist zu gelehrt für die ältere Zeit (vergl. den Marner
HMS. 2, 250 Nr. 17; Rumezlant 2, 369 b ; Wizlav 3, 79 b ), sie setzt
genaue Bekanntschaft mit Daniel 2, 31—42 voraus, ohne Kenntniss
dieser Stelle ist sie nicht verständlich. Str. 23 mit ihren Schlag
reimen muss gleichfalls ausgeschieden werden. Den Rest dagegen
darf man mehr oder weniger in die Richtung des jungen Spervogels
einordnen. Es sind zwanzig Strophen in neun Tönen: darunter
stehen die Strophen 5. 6. 14. 15 mit ihrem Ton allein.
Die metrischen Formen sind meist sehr einfach : aber stets drei-
theilig, z. B. (Str. 7 ff.) sieben stumpfgereimte Zeilen von je vier
*) Diesem kann man jetzt auch den Verfasser des von Keinz Münchener Sitzungsber.
1869, M. S. 319 herausgegehenen Spruches Überrnuot diu alte diu ritet mit gewalte
usw. (seohszeilige Strophe mit verlängerter letzter) beigesellen.
Deutsche Studien. I.
323
Hebungen mit der Reimstellung ababccc; oder (Str. 14) acht
Zeilen gleicher Beschaffenheit, gereimt nbabccdd. Von den übrigen
sieben Tönen finden wir in fünfen (Str. 5. 15. 24 ff. 281'. =32. 30 f.)
Erweiterung der letzten Reimzeile durch eine vorgeschobene Waise.
In 24 ff. besteht der Aufgesang aus stumpfen viermal gehobenen
Zeilen abab, und der Abgesang verhält sich zu Z. 3—7 des zweiten
Spervogeltones (Ton des Anonymus) fast ebenso wie der Abgesang
des jungen Spervogel zu denselben Versen des ersten: nur Waise
und letzte Reimzeile sind verschieden, dort vier Hebungen stumpf
mehr fünf Hebungen klingend, hier fünf Hebungen stumpf mehr drei
Hebungen klingend, d. h. die beiden klingenden Zeilen sind einander
im Masse gleich gemacht und der Waise dafür an Länge zugelegt.
Ähnlich ist der Abgesang in Str. 28. 29. 32 gestaltet: die beiden
klingenden Zeilen des zweiten Spervogeltons haben ihre Stellen
getauscht, es folgen also 5 H. kl., 4 H. st. Waise, 3 H. kl. Der Ab
gesang in Str. 30. 31 verbindet die Schlüsse der beiden vorher
gehenden Töne (nur die fünfmal gehobene Waise um eine Hebung
vermehrt) und verdoppelt diese Verbindung:
4 stumpf Waise. 3 kl. a
6 stumpf Waise. 3 kl. a
4 stumpf Waise. 3 kl. b
6 stumpf Waise. 3 kl. b
Man darf auch 10—13 hierher rechnen: Aufgesang wie in 24 ff.
Der Abgesang lässt sich auf das letzte Reimpaar des ersten und
dritten Spervogeltons zurückführen: die Waisen sind durch Reim
zeilen ersetzt, die schliessende Reimzeile verdoppelt.
Weiter entfernen sich von dem metrischen Charakter der Sper-
vogelstrophen die vereinzelten Sprüche 5. 6. 15. Denn dass 5 und
6 im Aufgesang die Reimstellung abcabc haben, wie der junge
Spervogel (und Str. 30 f), kommt bei der sonstigen Verschiedenheit
nicht in Betracht.
Mit der äussern Verwandtschaft geht die innere Hand in Hand.
Wobei man natürlich nicht so sehr auf das Thema sehen muss, den
moralischen Satz etwa, um den sich ein Gedicht dreht, als vielmehr
auf die innere Form, den Stil.
Metrische Einfachheit darf man nicht ohne Weiters für Alter-
thümlichkeit nehmen. Zwar 14 erinnert an die Art, wie der alte
Anonymus religiöse Lehrstoffe behandelt. Aber bei 7—9 möchte ich
21*
324
S c li e r e r
nicht verbürgen, dass die mehrfachen wörtlichen Übereinstimmungen
mit Freidank auf Entlehnung durch diesen beruhen. Ebensowenig
freilich das Gegentheil. Halten wir aber fest, dass dieser Dichter mit
seiner aufgehäuften Spruchweisheit näher zu Freidank gehört, als zu
den Spervögeln. Nur wenn gar zu rasch, Schlag auf Schlag, sieh
verschiedenartige Sätze folgen, wie 8, 5:
Gedanke und ougen die sint snel,
gelüclce die sint sinewel,
rede äne gnt sint toren spei —
so erinnert das an die Priamel. Str. 7 ist durch ihren Inhalt merk
würdig, sie lautet:
Du gut den ersten man gesehuof,
den testen erkante er sä zestunt.
Er hcert gedenke sam den rauf,
diu herze sint int alliu kunt.
Swä er erkennet reinen muot,
da niml er willen viir daz guot:
den wehsei nienian tnere tuet.
Die Hs. hat 1. Da 2. beliante er sa zehaut 3. liceret 4. die .alle.
Der Gedanke der zwei ersten Zeilen findet sich auch in dem Gedicht
vom Rechte (Karaj. 13,24):
do gut pileden begatt
den aller e'resten man,
ntt sehet weih ein wunder da gescach
daz er dem jungislen under d'ougen saeh.
Gerade diese Meinung aber in derselben Formulirung wird von
Berthold von Regensburg für eine ketzerische erklärt (J. Grimm Kl.
Sehr. 4, 322).
Eine ganz ähnliche Persönlichkeit wie der Dichter von Strophe
7—9 ist der von Strophe 24—27. Auch er mehr mit Freidank zu
vergleichen. Auch er nur an geistlichem Stoff seine Gedanken zu
sammenhängend entwickelnd (26. 27), sonst moralische Sprüche lose
an einander reihend (24. 25). Beide Dichter enthalten sich des
parabolischen Ausdrucks.
Grössere Energie des Vortrags und grössere Lebhaftigkeit der
Phantasie verräth der Verfasser von 28. 29. 32. Er kann als eine
Art Fortselzer der religiösen Dichtung des alten Anonymus ange
sehen werden. Nur in 29 ist der Zusammenhang etwas lose. Vortreff
lich finde ich namentlich Str. 28, wo der Dichter, um.die Überfülle
der göttlichen Gnade ins Licht zu stellen, die Wendung gebraucht :
Deutsche Studien. I.
325
'Wisst ihr, wenn ich Herr über den Himmel wäre, so müsstet ihr mir
fiir den Sonnenschein Zins zahlen: und wenn einer Wasser und Luft,
über die wir jetzt frei verfügen, erst kaufen sollte, der müsste sich
bei dem Handel gewaltig in Acht nehmen’ (er müsste sorgfältig
unterhandeln, feilschen, damit er nicht für diese nolhwendigsten
Lebensbedürfnisse sein ganzes Vermögen aufzuopfern gezwungen
wäre). So verstehe ich den Abgesang:
Nu merket, wcer diu sunne min,
ir müestet zinsen alle ir schm,
wazzer unde luft ist uns gemeine:
swer die solle erkoufen gar,
der rnüeste dingen kleine.
Freidank bediente sich der Stelle in ganz anderem Sinne zu
einer Polemik gegen die Fürsten:
Die värsten twingent mit gemalt
, velt, steine, wazzer unde walt,
dar zuo wilt unde zam:
si tasten lüfte gerne alsam :
der muoz uns noch gemeine sin.
möhtens uns der sunnen scliin
verbieten, toint unde regen,
man milesen zins mit golde wegen.
Freidank hat das Amt der Kritik öffentlicher Zustände gleich
sam von Walther übernommen. Den Kreisen deutschdichtender Fah
render des 12. Jahrhunderts, in welche uns Einblick vergönnt ist,
scheint dasselbe noch fremd zu sein.
Die echte jüngere Spervogelweise dagegen glaube ich in Strophe
30 und 31 zu erkennen. Da ist die Fülle des bildlichen Ausdrucks, die
Vertrautheit mit der Fabel, die priamelartige Häufung. Nur ein
Irommer Zug hat sich beigemischt, und die Einheitlichkeit des Ge
dichtes scheint gelockert. Oder wurden diese scheinbar so buntge-
wiirfelten Strophen durch Beziehung auf bestimmte Anlässe zu
sammengehalten und auf einen Punkt gerichtet? Wir haben sonst
schon gesehen »), wie diese unstäten Gesellen sich als unentbehrliche
Rathgeber derer hinzustellen liebten, auf deren Gunst und Freigebig
keit sie angewiesen waren. Ist der Dichter selbst: der armewissage von
30, 2? Oder spottet er über einen anderen, den er mit einem Arzte
*) S. 290 [8] und 321 [39J; verg-1. was der Meissner (./ 97, MSH. 3,103 b ) von sich sagt
ich bin ein lerer aller guoten dinge unt bin ein rdtgebe aller tugent. Ist es so ge
meint wenn Heinrich von Miigeln sich Karls IV. rat nennt (Sit/.ungsber. 55, 456)?
326
Scherer
vergleicht, der sich selbst nicht retten kann, und mit einem Esel, der
auf Löwen Jagd macht? Wenn man etwas durchsetzen wolle, so müsse
man die Macht besitzen, um den Widerstand zu brechen, gerade wie
ein lantrihtcere nicht zungenlahm sein dürfe. Aber richtet sich
diese Mahnung nicht am besten an irgend einen Dynasten des Reiches,
der über seine Machtmittel hinaus nach Einfluss strebte? Vielleicht
derselbe, dem Strophe 31 nachgesagt wird, ihm sei das unbedeu
tendste Reis gemäss und gleichwohl verlange er nach einem Greifen
nest. Das sei die Hoffart eines Mannes, der sich ohne Gott behelfen
wolle, der nur vollkommen sei nach dem Urtheile der Welt. Man ver
gleiche den Wortlaut und entscheide, ob eine solche Deutung Stich
hält.
Am eigentümlichsten und doch als ein Verwandter darf sich
vielleicht der Verfasser von 10—13 neben den jungen Spervogel
stellen. Der Zusammenhang der Gedichte in sich ist mindestens ebenso
streng wie bei diesem: Strophe 11, bei der man das bezweifeln
könnte, sagt: 'Man fasst leicht ein günstiges Vorurteil für andere,
indem man gute Eigenschaften, deren man sich selbst bewusst ist,
solchen zutraut, die sie keineswegs besitzen; darum hüte man sich
vor dem Wolfszahn in Freundes Munde.’ Die Strophe erinnert durch
die Einführung des Freundes an 16 h und Spervogel 30 AC (vergl.
oben S. 31S [36]). Sehr hübsch spitzt sich 10 zu einer bildlichen
Pointe zu, indem der Dichter sich selbst mit dem Kaiser vergleicht und
daran die Zufriedenheit mit seinem Loose erläutert: dass man thun
könne was man wolle, darauf allein komme es an. Wenn hier der
Verfasser Lebensweisheit predigt, so dreht sich 13 um den Gegensatz
zwischen Welt und Gott und schärft die Treue ein: triuwe ist hie
der eren liort mul treit ze himele kröne. Resonders aber ist Strophe
12 auszuzeichnen, eine etwas derbe Satire gegen ein sociales Ge
brechen, die Lockerung des ehelichen Randes: also innerhalb des
hier betrachteten Kreises beinahe eine neue Gattung. Man könnte
MF. 244 Z. 77 daneben stellen, worin ausgeführt wird, dass Frauen
oft dem unwürdigeren Rcwerber den Vorzug geben. Aber Niemand
wird das für ein sociales Gebrechen erklären, nur die Reziehung aut
das Gebiet von Liebe und Ehe ist gemeinschaftlich. Dagegen gehört
die Strophe des Anonymus 29, 27 ganz hierher. Aber man lasse ein
mal den heiligen Ernst auf sich wirken, mit dem der alte Poet den
Ehebruch verdammt, und halte daneben die behagliche Ironie, mit
Deutsche Studien. I. 327
welcher der Zeitgenosse des ausgebildeten höfischen Minnedienstes
die auch von ihm missbilligte Sache hinstellt.
Der Spruch.
Es war gelegentlich schon davon die Rede (S. 288 [6],
294 [12], 297 [IS], 321 [39], 325 [43], welche Stelle der Sper-
vogelschen Poesie in dem grossen geschichtlichen Zusammenhänge
der deutschen Litteratur zukomme. Die Sache wäre einer er
schöpfenden weitgreifenden Erörterung fähig und würdig, zu welcher
ich hier nur einen Beitrag liefern will.
Die Gedichte des Anonymus, Spervogels, des jungen Sper-
vogels und ihrer gleichartigen Vorgänger (S. 322 [40]), Zeitgenossen
und Nachfolger sind Sprüche.
Den Begriff des Spruches hat Simrock (zu Walther 1,175) in
die mittelhochdeutsche Poetik eingeführt. Was ist der Spruch?
Der Spruch ist gesungene Poesie: wie Lied und Leich.
Vom ersten Spervogelton steht die Melodie in der Jenaer Hand
schrift: Hagen Minnes. 4,790”; vierstimmig gesetzt beiLilieneron und
Stade (Lieder und Sprüche aus der letzten Zeit des Minnesanges).
Dass singen und sanc auch von Sprüchen, sprechen und sprach auch
von Liedern gesagt wurde, zeigt Lachmann über Singen und
Sagen S. 7; Wackernagel Litteraturgesch. S. 237 §. 70 n. 10. —
Der Spruch ist monologisch. D. h. ein einzelner redet
darin, er redet entweder zu sich selbst oder zu einem zweiten (wie
imRäthsel und in Streitgedichten) oder zu dem Publikum. Das Chor
lied scheint ausgeschlossen. Lachmann a. 0. weist darauf hin, dass
in einer Spruchweise Walthers der Ausruf icol üf, sw er tanzen
welle nach der gigen (19, 37) vorkomme. Aber das ist wohl, wie
Lachmann selbst offen lässt, nur eine Aufforderung zum Tanz, der
dann in einer anderen Weise sollte gesungen und getanzt werden.
Überdies: das Tanzlied ist nicht nothwendig Chorlied, wie z. B.
die Tanzweisen Ulrichs von Lichtenstein zeigen.
Schwieriger ist eine andere Frage und hier von unmittelbarerem
Interesse: ob die geistlichen Sprüche unseres Anonymus zum Volksge
sang bestimmt waren. Ich glaube: nein. Mehrere dieser Strophen
zu einem Liede zusammenzufassen, wie noch wieder Phil. Wacker
nagel (Das deutsche Kirchenlied 2, 41) thut, geht gewiss nicht an.
Und wenn es anginge, so würde in 29, 6 immer nicht ein Chor,
Scherer
328
sondern ein einzelner reden. 'Kirchenlieder sind das so wenig wie
Walthers 'Zinsgroschen' oder seine antipapistischen Sprüche
(Wackernagel a. 0. S. 64).
Man vergleiche nur einmal, was sonst Wackernagel unter dem
zwölften Jahrhundert S. 43—St bringt. Auch dies freilich nicht
alles Kirchenlied und nicht alles aus dem zwölften Jahrhundert; aber
doch den ältesten Ton des geistlichen Volksliedes zum Theil treu
bewahrend. Lieder wie Kr ist ist erstanden (Wackernagel 2,43 vergl.
S.726—732; Hoffmann Kirchen!. 2. Ausg. S. 179 ff.) oder Nu bite.n
wir den heilegen geist (Wackernagel 2,44; Hoffmann S. 67) stehen
der Einfachheit des alten Leisen (Denkm. Nr. 29) noch sehr nahe.
Und nun halte man das Osterlied Kr ist ist erstanden neben den
Spruch des Anonymus (30, 20) An dem österlichen tage : wie be
stimmt trotz aller Kürze tritt dort der lyrische Charakter, der
Charakter des Hymnus hervor. Der Inhalt könnte nicht ähnlicher sein:
im Eingang die Thatsache 'Christus ist auferstanden’, darnach eine
Auffassung dieser Thatsache. Letztere aber wie verschieden hierund
dort : im Liede ganz subjectiv des sul wir alle frö sin, Krist sol
unser tröst sin; im Spruch ganz objectiv 'er hat seine Creaturen
erlöst, seinen Kindern zum Trost stieg er in die Hölle hinab.’
Ganz gewiss haben wir in den geistlichen Sprüchen des Ano
nymus nur die Vorläufer der geistlichen Sprüche Walthers und aller
späterer Spruchdichter vor uns. Theils schliessen sie sich mit reinem
Lehrinhalt an die Predigt an (vergl. oben S. 288 [6]), theils sind es
Gebete, welche entweder dem Staunen über die göttliche Allmacht
und Allwissenheit (30, 27) oder dem individuellen Schuldgefühl Aus
druck geben. Alle diese Gattungen, poetische Predigt, poetisches
Gebet, poetische Sündenklage, sind von der geistlichen Dichtung des
elften und zwölften Jahrhunderts überkommen und auf die Spruch
dichtung des dreizehnten vererbt. Die Umwandlung der Manier kann
man sich etwa an Friedrichs von Sunburg Weihnachtspruch J 31
(UMS. 3, 74), verglichen mit des Anonymus Er ist gewaltic unde
starc (28, 13), verdeutlichen. Dagegen wird Meister Alexanders Herre
got dir sungen schone (J 1—3, HMS. 3, 26) ein wirkliches Kirchen
lied zum Weihnachtsfeste sein. —
Der Spruch ist einstrophig. Erst Frauenlob, sagt man,
habe dies Gesetz durchbrochen, bei ihm fänden sich auch Sprüche
von mehreren Strophen, wie sie dann beim Regenbogen und späteren
Deutsche Studien. I.
329
häufig auftreteh. Und in der That, man braucht nur Ettmüllers Aus
gabe unter'Sprüche’ aufzuschlagen, so lassen die Beispiele sich nicht
lange suchen.
Im langen Ton ist eine Art von alttestamentlichen Balladen ab
gefasst, Strophe 28—30 behandelt Moses, 31 — 33 Noe, 35—37
und 38—40 David. Und selbst Strophen des kurzen Tones, der am
meisten noch an die Spervogelweisen erinnert, gehören zusammen.
Die drei Strophen 223—225 zählen, ohne dass man jede für sich
nehmen könnte, die drei Freuden auf, welche die Männer den Frauen
verdanken. Strophe 197 ist eine Parabel, die in Strophe 198 erst
ihre Deutung erhält. Usw.
Aber es ist falsch, dass Frauenlob dergleichen begonnen habe.
Beim Meissner finden wir wiederholt (J 46.47; 58.59; 74.
75 : HMS- 3, 94 ff.) das bispel in der ersten, die Deutung in der
zweiten Stophe (desgleichen beim Goldener HMS. 3, 51); längeren
Lehrvortag nach Art eines Physiologus, aber mit polemischen Bezie
hungen auf andere Sänger J 82 — 85.
Beim Kanzler will ich auf das GebetStr. 7 — 9 (HMS. 2, 388 f.),
obgleich es in einem Spruchton abgefasst ist, nicht zu viel Gewicht
legen : aber in einem Gedichte desselben Tones Str. 16. 17, das
durch seinen astronomisch-physikalischen Inhalt an den Priester Ar-
nolt beiDiemerS. 341 ff. erinnert, geht sogar die Construction aus einer
Strophe in die andere über. Strophe 71 — 74 werden ausdrücklich
als ein Gesang von der Scham angekündigt. Und Strophe 75 von der
mitte correspondirt mit Strophe 76 von der kerge.
In des Marners langem Ton (HMS. 2, 246) correspondiren die
Strophen 1 vom alten und 2 vom neuen Testament, und in dem fol
genden Strophenpaar gehen die citirten Worte Davids aus >3 in 4
über. Alle diese Strophen werden ihm freilich nur von/) zugeschrieben,
und anderes bei ihm scheint mir weniger sicher. Einen sicheren zwei
strophigen Spruch aber gewährt wieder Gast HMS. 2,260: es ist
eine Priamel die erst zu Ende der zweiten Strophe ihr Ziel erreicht.
In Reinmars Ehrenton gehören gleich die beiden ersten Strophen,
welche/) ihm beilegt, zusammen (HMS. 2,177). Nicht minder Strophe
44. 45 (2, 185) und Strophe 99. 100 (2, 195). Aber mit Hagen
Minnes. 4, 509 a auch die sachlichen Gruppen von D (oben S. 299
[17] f.) hierher zu rechnen, würde ich für unerlaubt halten. Dagegen
lassen sich die Nachweise wirklicher Zusammengehörigkeit wahr-
Scherer
3;h)
scheinlich stark vermehren: mir war es nur um einzelne sichere
Beispiele zu thun.
Von Walther von der Vogelweide Messe sich 36,31—37,23
Lachm. anführen wenn die Strophen nur wirklich ihm gehörten, s.
Wilmanns S. 361. Aber auch 91, 17 — 92,8 sind fünf ganz didak
tische Strophen.
Es trifft sich gut dass beim Anonymus die beiden Strophen
welche Hölle und Himmel beschreiben (28, 20. 27) zwar jede für
sich bestehen können, aber doch auf einander berechnet sind und in
ähnlicher Weise correspondiren, wie wir das heim Marner und beim
Kanzler gefunden haben. Uber ein anderes altes correspondirendes
Paar vergl. oben S. 39 f. Ohne Zweifel waren solche Strophen be
stimmt, nach einander gesungen zu werden. Der Keim zur Durch
brechung des Gesetzes der Einstrophigkeit ist damit schon gelegt. —
Die Strophe des Spruches ist grösser, besteht aus
längeren Versen und ist auch wohluntheiligaufgebaut.
Alles das lässt sich ebenso von Walthers Elegie Owe war sint ver-
swunden behaupten, obgleich sie Niemand für ein Spruchgedicht er
klären wird. Und die lange wise des Minneliedes (Ulrich von Lichten
stein S. 57. 402. cf. 564,4) scheint einen Ton zu meinen, in welchem
entweder die Strophe viele Zeilen oder die einzelne Zeile viele Füsse
hat. Näher könnte ich auf die Frage nur unter Berücksichtigung der
Melodien eingehen, worauf ich für diesmal verzichten muss. —
Der Spruch ist zu Gottes- und Herrendienst, nicht
zu Frauendienst bestimmt — oder, wie es Koberstein (S. 249)
ausdrückt, 'zum lyrischen Ausdruck gedankenvoller, reflectirender
Stimmung und zu mehr ruhiger Schilderung von Gegenständen die
auf das Gemüth des Dichters gewirkt haben.’ Der Spruch wäre also
mehr gnomisch-didaktisch.
Aber einerseits ist der gnomische Inhalt nicht auf die Form des
Spruches beschränkt. Wie viele geistliche Lieder würden der Be
griffsbestimmung des Spruches widerstreben, wenn man ihm den
Gottesdienst’ zuweisen wollte: das Religiöse kann eben sowohl
didaktisch wie lyrisch wie episch behandelt werden. Aber überall,
wo im Chorgesange grössere Massen sich gemeinschaftlicher Gesinnung
bewusst werden und durch das Aussprechen derselben sich darin be
stärken, wird leicht die Gnomik sich ei »stellen. Die zwei Marsch
lieder (uzreise) Ulrichs von Lichlensteiri (S. 403. 456) sind wesent-
Deutsche Studien. I.
33 t
lieh didaktischen Inhaltes. Sie schärfen die Ritterpflichten ein und
rdtent ritterlichen rmiot, wie Ulrich selbst sich 458, IS ausdrückt.
Auch Lehrgedichte, wie das des Winsbeken oder der Welt Lohn von
dem Guotsre (HMS. 3.41) bedienen sich fortlaufender strophischer
Form.
Andererseits ist der Minnegesang nicht auf die mehrstrophige
Liedform beschränkt. Dass unter den Sprüchen Reinmars von Zweter
auch Liebeslieder Vorkommen, zeigte sich schon oben S. 300 [18],
Von Frauenlob gehören die 'Sprüche’ 267. 3S3—360. 416 und das
Lied X hierher. In dem Liebesieben Walthers entstanden z. B. die
einstrophigen Gedichte 27, 17. 27. 44, 11. 23. 35. 57, 15. 61, 8.
(120, 16.). Man wird einwenden, dass sie anderen Charakter
tragen, sich entweder zu allgemeinerenAnschauungen und Lobsprüchen
über die Frauen erheben oder auf ganz specielle einzelne Liebesbe
ziehungen gehen und eine eben vorliegende einzelne zwischen dem
Dichter und seiner Dame schwebende Frage zu erledigen suchen.
Daraus folgt dann aber, dass für den Spruch eben nicht ein beson
deres Gebiet poetischen Stoffes abgegrenzt werden darf, sondern
dass er einem bestimmten Charakter der Behandlung entspricht. —
Aus dem allen erhellt, dass Lachmann (Singen und Sagen S. 7)
wohl mit Recht zweifelte, ob man wirklich die Sprüche als eine be
sondere poetische Gattung betrachten dürfe. Nicht als ob ich den
bequemen und im Allgemeinen unschädlichen Namen verbannen
wollte, aber eine feste Grenze zwischen Lied und Spruch ist überall
nicht zu ziehen, und es käme darauf an klar zu stellen, was an der
Unterscheidung wahres ist und worauf sie beruht.
Lied und Spruch sind aus einer und derselben Wurzel empor
gewachsen : aus dem altdeutschen und gewiss schon altgermanischen
Gelegenheitsgedicht.
Die echte und älteste Gelegenheitspoesie ist gewiss ein Kind
des Augenblicks. Sie ist Improvisation wie der Spielmanns
reim von Udalrich Denkm. Nr. 8 und der Vers des Taubstummen
Denkm. S. 275. Ihr Charakter ist epigrammatisch.
Das ursprüngliche Epigramm hat die Bestimmung auf dem
Gegenstände zu stehen, dem es gewidmet ist. Existirt es abgelöst,
so muss man sich den Gegenstand hinzudenken. Ebenso muss man
zu einem Producte jener momentanen Poesie die Situation ergänzen,
in der es entstand, damit der Gedanke zu voller Wirkung gelange.
332
Scherer
Auch das Sprichwort fällt unter diese Kategorie. Die Trefflich
keit eines Sprichwortes wird erst in der bestimmten Lage recht em
pfunden, in der man es anwenden kann. Und wäre es möglich, seinen
Ursprung auszuforschen, so würde man gewiss auf eine ähnliche
Lage kommen, aus der es gleichsam von seihst hervor sprang.
Das Gebiet der momentanen poetischen Eingebung ist ein sein-
weites. Jeder einsame Seufzer, der sich zu prägnantem Ausdruck ge
staltet, gehört hierher. Jeder treffende Witz, jedes 'geflügelte Wort’,
das von Mund zu Munde läuft, gehört hierher. Es fragt sich nur, wie
weit eine solche Improvisation sich zur Kunstform erhebt.
Dem Sprichwort gesteht man sie zu, weil immer ein Vergleich,
ein Bild zum Grunde liegt. Der individuelle Fall, auf den ich es an
wende, wird dadurch in die Sphäre der allgemeinen Erfahrungen
entrückt. Und diese Verallgemeinerung oder vielmehr diese Subsum
tion unter ein Allgemeines geschieht doch nicht in den dürren For
men der Logik, sondern in der Ausdrucksweise, welche als das
echteste Kennzeichen poetischer Sprache gelten muss. Ob dann die
äussere poetische Form, ob Metrum, oh die Bindemittel (Allitteration
und Reim) hinzu treten, ist gleichgiltiger.
Vielfach geschieht das. Und die innere poetische Form kann
mitunter durch die äussere ersetzt werden. Der Abschreiber, der das
ersehnte Ende seiner Arbeit mit den Worten feierte: cliümo kiscreib,
filo chümör kipeit (Denkm. Nr. 16) hat sich gewiss poetisch aus-
drücken wollen. Auch sein Reim ist ein Gelegenheitsgedicht.
Bildlicher Ausdruck oder sagen wir innere poetische Form
konnte etwa als die erste Stufe des Gelegenheitsgedichtes hingestellt
werden. Kommt der Schmuck der äusseren poetischen Form hinzu, so
befinden wir uns auf der zweiten Stufe. Wird das Gedicht gesungen,
so wäre das als die dritte Slufe anzusehen.
Das Vorhandensein der zweiten Stufe unterliegt wohl keinem
Zweifel. Der Taubstumme der nach der Passio Thiemonis (Denkm.
S. 275) für die Gründung von Admont den Ausschlag gab, hat
sicherlich nicht gesungen. Und der Mönch der seiner gepressten
Abschreiberseele durch ein Verslein Luft machte, hat sich schwerlich
eine Melodie dazu gesummt.
Gewiss aber wird es erst auf der dritten Stufe geschehen, dass
poetische Producte dieser Art nicht hloss in gleicher oder ähnlicher
- Situation , sondern um ihrer selbständigen Schönheit willen auch
Deutsche Studien. I.
333
von anderen als ihren Urhebern wiederholt werden. Erst mit der
musikalischen Weihe versehen, kann das Gedicht in jene Gemüths-
region Vordringen, in welcher das uninteressirte Wohlgefallen zur
Herrschaft berufen ist. —
Es folgt nun aus dem momentanen Charakter der Gelegenheits
poesie, dass sie höchst subjectiv sein muss und den Gegenstand nur
einseitig auffassen kann. Sie gibt einen individuellen Eindruck wieder,
ein persönliches Verhältniss zu einem vorliegenden Fall, der Lust oder
Unlust erweckt, der zu Lob oder Tadel auffordert, der Freude oder
Trauer hervorruft, der zu ernsthafter Betrachtung oder zum Lachen
bewegt. Auch wo ein Epigramm für die Stimmung von Tausenden
das lösende Wort spricht, wird der Dichter ein Mitbetroffener sein,
in dem persönlichen Eindruck des Verfassers erkennen die übrigen
ihren eigenen Eindruck wieder.
Nimmt man dies zusammen — das Momentane und das Sub-
jective — und erwägt die 'Enge des Bewusstseins’: so folgt von
seihst, dass im Grunde nur ein Apertjü zum Ausdruck gelangen
kann, und dem ist nur die Einheit der metrischen Form, nur die ein
fache Strophe gemäss.
So linden wir die deutsche Gelegenheitsdichtung noch im
zwölften Jahrhundert, in den ältesten Liedern unbekannter Verfasser,
in den beiden unter Dietmar von Aist überlieferten Strophen MF. 37,
4—29 z. B., in den namenlosen MF. 3, 1—4, 16 und in den soge
nannten Kürenbergischen.
Unter den letzteren schon das erste Beispiel zweier untrennbar
zusammenhängender Strophen in dem Liedchen Ich zöch mir einen
valken. Aber es fragt sich ob das strenggenommen noch dieselbe
Gattung ist, ob das Lied noch im eigentlichsten Sinne als Gelegen
heitsgedicht bezeichnet werden darf. Die Dame, welche darin ihren
Gefühlen Worte leiht, redet nicht aus der übermächtigen Empfin
dung des Moments heraus, sie überblickt einen längeren Zeitraum,
ihre Stimmung entspringt aus einer Kette von Erfahrungen, die sie
in bildlichem Ausdruck zusammenfasst. Das mehrstrophige Lied
(diu liet) der ritterlichen Minnesinger kündigt sich an.
Dazu tritt eine innere Verschiedenheit.
Durch gegebene Verhältnisse, durch eintretende Ereignisse
können entweder vorzugsweise des Dichters Wünsche und Interessen,
sein persönlichstes Wohl und Wehe, oder es können vorzugsweise
334 Soherer
seine Lebensansichten und Meinungen betroffen werden. Darnach
werden seine Gedichte mehr persönlichen oder mehr sachlichen, mehr
lyrischen oder mehr didaktischen Charakter aufweisen.
Alle jene angeführten Strophen halten sich, was den Stoff an
langt, innerhalb des Kreises der Liebe Aber Tougen minne diu ist
guot MF. 3, 12 spricht nur Ansichten aus. Und MF. 7, 1. 7, 19. 10,
17 beginnen wenigstens mit allgemeinen Sätzen, auf die sie erst die
individuelle Anwendung folgen lassen. Solche Liebeslehren kommen
schon in den Häva mäl vor (Str. 91—94) und auch die individuelle
Anwendung fehlt nicht, wo Odin die Erzählung seines Abenteuers
mit Gunnlöd an einen solchen Spruch (Str. 95) knüpft.
Dietmar von Aist, der auch in seinen echten Gedichten die Ein-
strophigkeit nicht verlässt, bietet in 33, 31 wie Meinloh Verhaltungs
regeln für Liebende.
Bei allen sind in demselben Ton auch eigentliche Lieder rein
lyrischen Charakters gesungen. Nimmt man dazu die Mannigfaltigkeit
der Sprüche des Anonymus, Spervogels und ihrer Schule, und er
wägt dass auch der politische Spruch bereits vor Walther existirt
haben dürfte: so eröffnet sich der Blick auf eine Form von so viel
artiger Verwendbarkeit und von so allgemeiner Geltung, dass aus
allen neueren Literaturen wohl nur das Sonett damit verglichen
werden kann. Vergegenwärtigt man sich die Rolle, welche das
Sonett in der Geschichte der italienischen Dichtung gespielt hat, so
wird man am ehesten eine Vorstellung bekommen von den Massen
verlorener deutscher Gelegenheitspoesie, deren letzte Ausläufer uns
in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts entgegen treten.
Freilich, dass im Sonett eine bestimmte Strophenform zur alleinigen
Geltung gelangte, ist ein wichtiger Unterschied. Aber es scheint
dass eine Zeit lang wenigstens in Österreich die Nibelungenstrophe
als die allgemeine Form des Gelegenheitsgedichtes in ähnlicher
Weise für Jedermann bereit lag. ■—
Bald nach der Epoche, in welcher wir die deutsche Gelegen
heitsdichtung umfänglicher kennen lernen, scheidet sich das mehr-
strophige Lied davon ab.
Einerseits das einheimische Tanzlied erotischen Inhalts mit
Frühlings- oder Wintereingang, andererseits das provenzalische
Liebeslied mochten äusserlich darauf einwirken.
Deutsche Studien, i.
335
Dazu kommt ein innerer Grund. Heflexion, Selbstbeschauung,
Selbstanalyse nehmen überhand. Der Inhalt wird zu mächtig. Das
Gefühl ist mit der einmaligen kurzen Entladung nicht mehr zufrieden.
Es will sich entfalten, austönen. Stunden- und tagelange Träume
kommen nur in grösseren poetischen Gebilden zur Ruhe, zum Ab
schluss. Dichter welche Profession daraus machen den Liebesschmerz
in sich zu pflegen, können ihren Stoff nicht mehr in dem engen Rahmen
einer Strophe bezwingen.
Friedrich von Hausen steht dem deutschen Gelegenheitsgedicht
schon sehr fern. Einstrophigkeit zeigt ausser dem Epigramm auf zu
rückbleibende Kreuzfahrer 53, 31 und dem ingrimmigen 47, 33 nur
sein ältestes Gedicht In nrinem troume ich such 48, 23. Die Jahres
zeit erwähnt er nie formelhaft im Eingänge.
Veldeke hat beides, den formelhaften Eingang und viele ein-
strophige Gedichte. Nur fünf Strophen in 57, 10; vier in 56, 1; drei
in 59, 23 und 62, 25; zwei in 61, 33 und 62, 11: daneben 33 ein
zelne Strophen. Unter diesen manche, die man nicht Liebeslieder
nennen kann, entweder gnomisch wie 60, 13 oder satirisch, gegen
die rüeger, die basen, die nidigen 60, 29. 61. 9. 65, 5; gegen die
huote 65, 21 ; gegen den allgemeinen Charakter der, wie er meint,
sich verschlechternden Gesellschaft (wereit) 61, 1. 18. 25. 65, 13:
alles freilich Motive die dem Kreise des Liebelebens angehören.
Ulrich von Gutenburg hat neben seinem Leich nur eiustrophige
Minnelieder; Rudolf von Fenis neben sieben mehrstrophigen auch
zwei einstrophige. Auch beim Johannsdorf begegnen einige (5 unter
18 Gedichten) ganz alterthümlich kurze Liebesstrophen, umgekehrt
ein dreistrophiges Gedicht 89, 21 das sich mit einer öffentlichen
Frage, dem Kreuzzuge, beschäftigt und erst zum Schluss der Geliebten
Erwähnung thut.
Grösseren Umfang gestattet Heinrich von Rugge dem einstro-
phigen Gedichte: 20 unter 31 Gedichten (vom Leich abgesehen).
Dabei ganz gnomische wie 107, 27. Vergl. auch 104, 24. 105, 24.
33. 102, 1. 14. Die Sprüche vergleichen sich mit den ähnlichen
des Veldekers, welchen (61,33) Rugge wohl in dem Liedchen 100,
34 nachgeahmt, hat.
Auch Bernger von Horheim S. 115, Hartwig von Raute S. 117,
Heinrich von Morungen (129, 5. 134, 6. 142, 19. 147,4), Reinmar
der alte (152, 25 ff. 156, 10. 167, 13. 22. 169, 33. 175. 29. 36
336
Scherer
182,4. 183,20. 191, 23), Hartmaim von Aue gewähren Beispiele
des einstrophigen Gedichtes (obgleich hie und da zugehörige
Strophen für uns verloren sein mögen), und wer möchte alle Belege
aus späteren Lyrikern sammeln? Aber specifischen Charakter wüsste
ich nur selten nachzuweisen. Es sind eben kleinere Stoffe die für
eine umfänglichere Behandlung nicht ausreichen.
Am ehesten verrathen noch Hartmanns Einzelstrophen eine ge
wisse Besonderheit: das Klagelied über seines Herrn Tod 206, 10,
der Widerruf (208, 32) des fünfstrophigen Liedes 207, 11 und eine
kurze höchst einfach gebaute Strophe (211, 20), die offenbar zu
weiter Verbreitung bestimmt war und dem Kreuzzuge zahlreiche
Theilnehmer zuführen wollte: heutzutage würde man ein Flugblatt
ausgehen lassen oder eine Broschüre schreiben.
Ganz entsprechend der gewöhnlichen Scheidung von Lied und
Spruch sind die drei uns erhaltenen Gedichte Bliggers von Steinach.
Zwei Liebeslieder von zwei und drei Strophen. Ein Spruch in
langer Strophe mit langen Versen (aber doch dreitheilig gebaut),
streng didaktischen Inhaltes: moralische Betrachtungen, die sich an
ein Gleichniss knüpfen.
Wenn allen früher genannten Dichtern gegenüber Walther ein
so wesentlich anderes Gesicht zeigt, so wird das kein Zufall sein.
Der Österreicher stand auf einem anderen Boden. Hier war mit dem
Volksepos die volkstümliche Form der Lyrik und Gnomik länger in
Kraft und kräftiger geblieben. Beides wirkt auf ihn: Reinmars impor-
tirte Kunstpoesie und der altbewahrte Sang der Fahrenden.
Bei Walther hat die volkstümliche Gelegenheitsdichtung'
grossen Umfang zur Besprechung sei es persönlicher, sei es öffent
licher Verhältnisse, zum Vortrag sei es allgemein moralischer, sei es
christlicher Lehren. Aus ihm ist der Unterschied zwischen Lied und
Spruch hauptsächlich abstrahirt. Er behält für die Tagespoesie,
für das Epigramm, für didaktischen Inhalt die Form der Einstrophig-
keit grossentheils bei. Ohne sich jedoch strenge daran zu binden: wo
der Stoff zu gross ist um sich in die enge Form pressen zu lassen,
geht er ungescheut darüber hinaus. Umgekehrt können auch Liebes
lieder in der Strophe des Gelegenheitsgedichtes gesungen werden, wo
es sich nur um ein prägnantes Aussprechen, nicht um einen vollen
Erguss von Gefühlen handelt.
Der Bau der Strophe ist nicht minder durch den Inhalt bedingt.
Deutsche Studien. I.
337
Man kann leicht bemerken dass gewisse Weisen vorzugsweise
gewissen Gegenständen gewidmet sind. Eine andere Satzbildung
wird sieb einstellen im rhetorischen, eine andere im reflectirenden
Ton: die Länge der Verse, einfacheres oder künstlicheres Schema der
Strophe wird zunächst hiervon abhängen. Der Spruch steht der Prosa
näher.
Doch sind über das Verhältnis von Inhalt und Form in der
mittelhochdeutschen Poesie genauere Untersuchungen noch nicht an
gestellt. Tiecks überfeinhörige Bemerkungen in der Vorrede zu den
'Minneliedern’ waren Träumereien, Einbildungen.
Begnügen wir uns für jetzt damit zu sagen: der Spruch ist die
Form des altdeutschen volkstümlichen Gelegenheitsgedichtes, die
in der Blütezeit der mittelhochdeutschen Litteratur nur für gewisse
Stoffe heibehalten und nur von wenigen Dichtern ausgiebig gepflegt,
für das eigentliche Liebeslied aber in der Regel mit mehrstrophigen
und sangbareren (auch tanzbaren •) Weisen vertauscht wurde.
Unter Walthers Nachfolgern scheint Reinmar von Zweter, aller
dings vorwiegend Didaktiker, noch einmal ganz zu der Art des alten
Gelegenheitsgedichtes, wie es die Spielleute handhabten, zurückzu
kehren. Andere, wie der Marner, wie Konrad von Würzburg, bleiben
der Scheidung getreu: jeder Inhalt, jede Gattung hat ihre eigene
poetische Technik.
Wie und wann bei den späteren sich die Gattungen vermischen,
darüber will ich ohne Herbeiziehung der Musik keine Vermuthung
wagen. So viel lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass gegen Ende
des dreizehnten Jahrhunderts das Formgefühl abnimmt, dass jeder
beliebige Inhalt in jede beliebige Form gegossen wird.
Die Spruchtöne werden überkünstlich, und die künstlichsten
Spruchtöne werden nun auch zu epischen Gedichten gebraucht. Es
genügt an die Erzählungen vom Zauberer Virgilius Germ. 4, 237.
*) Man vergleiche die vielen Liebeslieder Ulrichs von Lichtenstein, welche als Tau/.-
weisen bezeichnet sind: es ist die überwiegende Mehrzahl aller seiner lyrischen
Gedichte. Sie werden nicht immer bloss von einem gesungen sein. Kann mau
zweifeln dass z. B. S. 443 ein Duett ist? Der Mann führt in jeder Strophe nur
einen Heim durch. Die weibliche Stimme bringt erst in ihrer zweiten Strophe die
Reime zu ihrer ersten nach. Im Schlussgesätz lösen sich beide mit ihrer Reimmanier
ab. Man ersieht zugleich aus 434, 14 ff. 442, 29, wie solche Duette aus höve schein
Gespräch (Salongespräch würden wir sagen) entstanden.
Sitzb. (I. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft.
22
338
Scherer
5, 369 oder a» die vom goldenen Horn Germ. 3, 102 oder an den
'alten Meistergesang’ bei Eschenburg Denkm. S. 347 zu erinnern.
Vergl. Wackernagel Litteraturgesch. S. 221.
Andererseits greifen die unstrophischen Reimpaare weit über
ihr ursprüngliches Gebiet hinaus. Nicht bloss die satirische und didak
tische Poesie, auch das Liebeslied darf sich im vierzehnten Jahr
hundert dieser Form bedienen, wie man sicli aus Lassbergs Lieder
saal überzeugen kann.
Beide Ausschreitungen entbehren allerdings nicht ganz des An
haltes in der älteren Litteratur.
Das Liebeslied in Reimpaaren geht von der Form des Liebes
briefes, des Büchleins aus.
Der epischen Strophe bediente sich die Spielmannsdichtung des
zwölften und nicht erst des zwölften Jahrhunderts, so wie die öster
reichische volkstümliche Epik, welche hierin auch auf die Öster
reicher Walther von der Vogelweide und Ulrich von Lichtenstein
wirkte.
Walther formt in seinem Do der sumer körnen was 94, 11 eine
Strophe, in welcher an drei Reimpaare von vier Hebungen stumpf
und drei Hebungen klingend (nur dass stumpf und klingend nicht
nach Belieben wechseln dürfen) ein Schluss von drei gleichen
Reimen gefugt ist, wie er aus der geistlichen Poesie des zwölften
Jahrhunderts (Rheinauer Paulus, Melker Bonus, Heinrichs von Melk
Pfatfenleben) durch Wirnt von Grafeuberg in die höfische Epik
(einerseits die thüringische: Segremors, andererseits die öster
reichisch-steirische: Krone, Edolanz) eingeführt wurde.
Ulrich von Lichtenstein bat in seinen Memoiren die Reimpaare
zu achtzeiligen Strophen verbunden und nach dem Beispiele der
Nibelungenstrophe sich nur stumpfe Reime gestattet. (Vergl. auch
das Tagelied Günthers aus dem Forste.)
So viel über die Form der Spervogelschen Poesie und ihre Ver
zweigungen. Nicht minder fordert der Inhalt zu eingehender histori
scher Betrachtung auf.
Deutsche Studien. I.
339
Spielin iiniispoesie.
Ans den Gedichten der Spervögel lernen wir zuerst, welche
Stoffe neben den epischen (dem historischen Lied, dem Volksepos,
dem speciell sogenannten Spielmannsgedicht und der Legende Denkm.
Nr. 17. 37) von den fahrenden Spielleuten überhaupt behandelt
wurden. Es ist daher der Mühe werth zu untersuchen, welche ein
zelnen Gatfungen ihre Poesie in sich begreift. Schon S. 302 [20]
wurde gezeigt, dass beim Anonymus seihst die Überlieferung einige
Unterscheidungen an die Hand gibt. Hier kommt es mir nur auf
eine rasche Übersicht mit wenigen Nachweisungen an.
Zuerst vom btspel. Es umfasst Sprichwort, Gleichniss, Fabel,
Parabel, Novelle. Über die innere Beziehung von Fabel und Sprich
wort s. Wh. Grimm Freidank S. LXXVII ff, Gervinus II. I3ä.
Wackernagel Zs. 6, 287. Als ein erzählendes Gedicht muss btspel
aufgefasst werden in Lamprechts Alexander 2062 (1712), eine Stelle
auf welche schon Lachmann brieflich Wilhelm Grimm aufmerksam
machte. Darius warnt den Alexander vor einem Einfall in Persien,
er würde da ein solches gestrüme vernehmen, da er (man?') immer
vtone molite zellen in lide unde in bispellen.
Die Thierfabel erscheint beimAnonymus in fünf Exemplaren,
27, 13—28, 12. Bl. 3 b der Urbs.; unzweifelhaft unterschieden von
derMenschenfabel, wenn ich so sagen darf, die erst in einer späteren
Gruppe seiner Gedichte (IV. 2. Bl. 4 b ) auftritt. Eine Moral fehlt in
der Regel. Nur in 27, 34 nimmt sie breiten Raum ein und wird
Kerling in den Mund gelegt*): die Fabel seihst ist hier auf eine
blosse Inhaltsangabe reducirt. Gleich darnach aber wird sie in einer
besonderen Strophe erzählt, und die Umarbeitung in Lassbergs
Liedersaal (MF. S. 240) nimmt offenbar beide Strophen als Ganzes.
Höchst merkwürdig sind diese Umarbeitungen bei Lassberg.
Nicht bloss als Zeugnisse des unmittelbaren Fortwirkens der Sper-
vogelschen Poesie unter den Spielleuten. Die beiden Fabeln des
Anonymus die sich im Liedersaal wiederfinden stehen mit der Um
arbeitung eines Spruches von Spervögel zusammen, und zwar in der
*) Ich meine: bloss die Moral ist Kerling’ in den Mund gelegt, die Anführung also
mit 28, 3 widersceze zu schliessen. Zu der citirten Äusserung Kerlings bringt der
Dichter die Erinnerung an die Fabel als Parallele hei.
22 *
340
Schere r
Ordnung: a) MF. 27, 20: b) 27, 34; c) 23, 21. Lassbergs Hs.
von 1371 ist eine Sammelhandschrift: sie hat die drei Beispiele in ihrer
Quelle ebenso auf einander folgend gefunden. Aber leicht möglich,
dass darin zwischen a und b auch MF. 27, 27 bearbeitet war. Gleich
viel, jedenfalls lag dem Bearbeiter eine Handschrilt vor, worin wie
in der oben S. 310 [28] reconstruirten Urbs. Gedichte des Anonymus
und Spervogels vereinigt waren. Und darin waren die Sprüche des
Anonymus ebenso geordnet wie in unserer Überlieferung, aber die
Spervogels gingen nicht voraus, sondern folgten der Chronologie
gemäss nach.
Auf die Frage nach der Quelle, aus welcher der Anonymus etwa
geschöpft haben könnte, lasse ich mich nicht ein. Die Vorstellung
von dem Mönchthum des Wolfes 27, 27 findet sich schon in den
ältesten Gedichten der Thiersage, in der Ecbasis und im Luparius
(Grimm Reinh. S. CXCI). Auf dem ganzen Gebiete der Fabel und
Thiersage muss man sich Wechselwirkung zwischen gelehrter
lateinischer Klosterdichtung und volkstümlicher Spielmannspoesie
denken. AVar doch auch Heinrich der Glichezare ein Fahrender und
ist die überwiegende Menge deutscher Thierfabeln eine Erbschaft
des Alterthums.
Die Vorbedingung der Fabel, den Thiermythus, besassen die
Germanen vor der Völkerwanderung: vergl. Zeitschr. für die österr.
Gymn. 1870, S. 48. Ob sie auch Thierfabeln besassen, wissen wir
nicht; nur dass bereits im 7. Jahrhundert solche im fränkischen
Volke umliefen, aus Fredegars rustica fabula dicitur (Grimm Reinh.
CXC1V; Müllenhoff Zs. 12, 409). Kein Zweifel dass damit Prosaerzäh
lung gemeint ist. Die Franken mochten dergleichen mündlich von den
gallischen Provinzialen erhalten. Und was schriftliche Überlieferung
betrifft, so hat Ausonius aus Bordeaux um 373 die prosaischen Apo-
loge des Julius Titianus in Trimeter umgesetzt und die prosaische
Sammlung vielleicht schon des sechsten Jahrhunderts, welche Roth
Philol. f. 323—346 nachwies, hat gewiss über Frankreich ihren
Weg nach Weissenburg (Anonymus Weissenburgensis) und anderen
deutschen Bildungsstätten genommen.
Seit wann ist die Thierfabel in der deutschen Dichtung nach
weisbar?
Die Sage von Theodo mit der Fabel vom Herzessen hat Fro-
mund nicht aus cantUenis priscis (Grimm Reinh. S. L) mitgetheilt.
Deutsche Studien. 1.
341
Aul'diese alten Gesänge beruft er sich dafür, dass die Noriker einst mit
Alexander M. Krieg geführt. Die Geschichte aber die er erzählt ist
ihm nimm cjuod in veteribus libris legitur. Aber wenn die Erzäh
lung in derKaiserehronik zum Theil noch ursprünglicheren Charakter
trägt als bei Fromund und andererseits gewisse Wandlungen er
fahren hat, die sich bei schriftlicher Überlieferung schwer erklären
würden (Zs. f. die österr. Gynm. 1870, S. 42), so müssen doch wohl
Lieder mindestens im zehnten Jahrhundert davon gehandelt und also
auch die äsopische Thierfabel eingeschaltet haben.
Nicht älter ist der Anfang des Beispiels von Hirsch und Hinde,
Denkm. Nr. 6, bei dem es Müllenhoff zweifelhaft lässt, ob die Lang
zeilen durch Reim oder Allitteration gebunden waren. In Anbetracht
des Zeitalters des Hs. (Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrh.)
möchte ich für ersteres stimmen. Die darüber gesetzten Neumen
bezeugen ausdrücklich gesungene Poesie.
Auffallend dass die deutsche geistlicheLitteratur des 11. und 12.
Jahrhunderts sich die Fabel entgehen liess. Es ist eine volksthüm-
liehe Gattung. Aber Stricker, seine Zeitgenossen und nächsten Vor
gänger (Pfeiffer in Haupts Zeitsch. 7, 318 — 382) werden nicht die
ersten gewesen sein, welche sie episch behandelten. Spruch und
Erzählung sind gewiss schon früher unter den Spielleuten neben
einander hergegangen. Ob die Ausdehnung des Epimythiums, ob
Kürze oder Länge der Fabel zur Bestimmung des Alters verwendet
werden können, ist mir noch zweifelhaft. Natürlich scheinen kürzere
Fabeln wie Altd. W. HI. Nr. 16. 17. 22. Pfeiffer a. 0. Nr. 22. 23.
31. 32. Grimm Reinh. S. 346 von nur 8 bis 14 Zeilen durch ihre auf
das Wesentlichste beschränkte Behandlung mit dem Spruche be
sonders nahe verwandt. Bei dem Spruche rührt diese Kürze davon
her, dass er seinem Charakter als Gelegenheitsgedicht gemäss mehr
zu bestimmtem Zwecke an die Fabel erinnern, ihren Grundriss bei-
bringen, als dieselbe vortragen will. Gleich die ältesten Zeugnisse
für Thierfabeln im deutschen Mund zeigen sie uns in solche]'Anwen
dung (Zs. f. österr. Gynm. 1870, S. 47) <). Indess hat auch die
*) Diesen Charakter der Fabel hat vortrefflich Herder Zerstr. Hl. 3 (1787) 146 ber-
vorgeboben : Es war weder eine abstracte Wahrheit noch ein allgemeiner moralischer
Satz auf welche der Fabeldichter arbeitete, 'es war ein besonderer praktischer
Satz. eine Ert'abrungslebre Jfiir eine bestimmte Situation des Lebens, die er in einer
Scherer
342
epische Fabel ohne Zweifel vom 10. bis zum 13. Jahrhundert mit
aller epischen Poesie den Weg von knappem, raschem, mehr alldeu
tendem Ton zu einer gewissen Fülle und behaglichen Ausführlichkeit
zurückgelegt.
Die Thierfabel im Spruch verfolgen wir vom Anonymus zu
Reinmar von Zweter (201), Marner (HMS. 2, 244. 245. 249. Str.
50. 57. 68), Süsskind (HMS. 2, 260), Kanzler (HMS. 2, 398.
Str. 70), Konrad von Würzburg (HMS. II. Str. 48. 49), Stolle
(HMS. III. Str. 26. 37), Kelin (18), Frauenloh (Spr. 204 Ettm.),
Heinrich von Mügeln (bei Müller 14 Nummern, dazu zwei Germ. 5,
286). Letzterer vielleicht mit dem Anonymus am nächsten zu ver
gleichen : beide sind darauf aus die Fabel als Gattung zu pflegen,
die anderen greifen mehr zufällig und gelegentlich darnach.
Natürlich dass auch Freidank sich der Fabel bediente, entweder
sie in knappster Form mittheilend oder darauf anspielend w'ie
Walther 13, 26.
Mensch enfahel. Anstatt der Thiere treten Menschen schon
in der äsopischen Fabel auf. Menschliches Tluin und menschliche
Gesinnung werden vorbildlich genommen. So beim Anonymus 29, 20
und 30, 6: Fabeln die von den einfachsten Verrichtungen des Acker
baues und der Obstzucht hergenommen sind. Auch solche linden
sich natürlich bei Spruchdichtern, z. B. bei Reinmar 178. 179. 193,
heim Goldener HMS. III. 51, bei Frauenlob Spr. 76. 77 Ettm., wie
bei allen mittelalterlichen Dichtern epischer Fabeln (in Hahns
Stricker z. B. Nr. 3. 6—8). In der Fabel vom gegessenen Herzen
hat der Adelger der Kaiserchronik zum Theii Menschen an die Stelle
der Thiere gesetzt.
Aber auch jede an sich interessante menschliche Begebenheit
kann benutzt werden , um eine Lehre daraus zu ziehen. Insofern
gehören auch Novelle, Märchen, Schwank hierher. Es ist bekannt,
wie jedem Schwank bei Stricker die Moral folgt. Und noch im Aesop
des Burkard Waldis z. B. fliessen Fabel, Schwank, Anekdote unter
schiedslos zusammen. Ein episches Märchen vom menschenfressen
den Riesen (Alld. W. 3, 178) bringt Konrad von Würzburg (Str.
100) in einen Spruch. Natürlich haben die Spielleute sich dieser
Gattungen nicht erst bemächtigt, um sie lehrhaft zu verwerthen. Son-
ähnlichen Situation anschaulich und für den gegenwärtigen bestimmten Vorfall
anwendbar machen wollte.’
Deutsche .Studien. I.
343
Hern die längst gepflegten Stoffe mussten um der lehrhafteren Rich
tung der Zeit willen ein didaktisches Schwänzchen erhalten. Auf die
novellistische Behandlung der Geschichte Lueretiens in der Kaiser
chronik will ich nicht zu viel Gewicht legen, sie könnte aus einer
lateinischen, in Italien entstandenen Novelle geflossen sein. Aber
auch sonst sind Anzeichen der Spielmannsnovelle vorhanden.
Wir besitzen eine Reihe lateinischer Novellen deutschen Ur
sprunges aus dem 10. und 11. Jahrhundert: Modus Liebinc, Modus
Florum, Lantfrid und Kobbo, Heriger, Alfrad (die anderen erzählenden
Stücke der Cambridger Hs. können kaum für Deutschland in Anspruch
genommen werden). Solche Gedichte wurden von Spielleuten vor
nehmen Herren vorgesungen <).
Nun hat schon Jacob Grimm mit Recht vermuthet (vgl.Denkm.
S. 317), dass dein Schwank von Heriger ein deutsches Lied zum
Grunde liege. Es fällt mir nicht ein, für die übrigen genannten
Novellen und Schwänke dasselbe behaupten zu wollen. Aber im
Allgemeinen glaube ich doch, dass diese lateinische Spielmanns
poesie ebenso ein Abbild der deutschen ist, wie der Waitharius dem
deutschen Volksepos entlehnt wurde. Ja es lässt sich die Frage auf
werfen, ob nicht der Rudiieb (die willkürlich phantastische Aus
bildung eines Stoffes der Heldensage) als der Vorfahr des Rother,
Orendel, Laurin anzusehen und zu deutschen Liedern in dasselbe
Verhältniss zu bringen ist wie der Waitharius.
Etwas anderes ist es, aus einer Erzählung einen moralischen
Satz ziehen. Und etwas anderes ist es, eine Erzählung Zug für Zug
umdeuten. Dieses Symbolische macht das Wesen der Parabel aus 3 ).
*) So berichtet Amarcius (über ihn s. Haupt Monatsber. 1834, S. 163; Biidinger
Älteste Denkm. der Züricher Litt. 1866 S. i—37, Anz. f. Schweiz. Gesch. 1868.
Nr. 1). Als Gegenstände des Vortrages des ioeator nennt er:
straverit ut grandcm pastoris funda Goliath,
ut simili argutus uxorem Snevulus arte
luserit, ntque sagax nudavcrit octo tenores
cantus Pythagoras, et quam mera vox Philomenac.
Das erste Gedicht von David und Goliath scheint verloren, das zweite hat Haupt als
den Modus Liebinc erkannt. Das dritte ist Nr. 24 oder 25» hei Jaffe Cambr. Lieder,
oder ein ähnliches. Das vierte findet sich bei Jaffe Nr. 27 (Dumeril Poesies pop.
lat. p. 278).
2 ) 'Parabel ist eine Gleichnissrede, eine Erzählung aus dem gemeinen Leben mehr zu
Einkleidung und Verhüllung einer Lehre, als zu ihrer Enthüllung; sie hat also
344
Scherer
Nur sind die Gattungen schwer zu scheiden. Die Ecbasis ist
eine Parabel, sie ist per tropologiam gedichtet. Aber jede beliebige
Fabel kann ebenso verwendet werden, ich kann von Wolf und Lamm
erzählen und ganz bestimmte Personen meinen. Beim Anonymus finden
wir 29, 13 eine sichere Parabel: der Garten, in den der Dichter
stieg, ist ein Herrenhof; das Obst sind Geld und Kleider und andere
Gaben; das Schütteln des Astes sind seine vergeblichen Bitten oder
zarten unverstandenen Andeutungen. Eine Parabel desselben Sinnes
(vergl. oben S. 289 [7]) beim Spervogel 23, 13. Eine zweite 23, 29.
Aber was ist der Spruch 30, 20 des Anonymus? Ich habe ihn oben
als Menschenfabel aufgeführt. Aber eigentlich ist es keine Erzählung,
sondern auf eine Thatsache wird hingewiesen, auf etwas das zu
geschehen pflegt, und dies offenbar im Sinne einer praktischen Lehre.
Etwa sollte ein Gönner des Dichters dadurch aufgefordert werden,
sein Gesinde von demoralisirenden Elementen zu reinigen. Derselbe
Stoff, etwas anders gewendet, findet sich beim Guter HMS. 3, 42:
dort wird nur eine Lehre daran geknüpft, die wir etwa durch das
Sprichwort 'böse Beispiele verderben gute Sitten’ ausdrücken
würden.
Blosse Deutung von wirklichen oder vermeinten Thatsacben
bieten auch die zahlreichen Sprüche, in denen die bekannten Phy-
siologi als Quellen benutzt sind. Auch in der Form von Träumen
oder an erfundene Symbole geknüpft kann dergleichen Vorkommen.
Eine wirkliche Parabel des 12. Jahrhunderts mit geistlicher
Deutung ist die Millstädter 'Hochzeit’. Von den unter Strickers
Namen gehenden erwähne ich hei Hahn Str. 9. 13, in Wackernagels
Lesebuch von 1847 Nr. 5 (Sp. 567 f.), in Docens Miscell. 1, 51. 2,
211: alle geistlich. Andere dergleichen hei Wernher von Elmendorf
153 ff. in der Warnung 2707 ff. im Liedersaal 1 , 253 usw.
Dagegen enthält die Parabel in Spruchform Waith. 106, 24 einen
Batli an den König.
Keim der Parabel ist der Vergleich -—• um nicht zu sagen:
das Gleiehniss, weil wir auch Parabeln, namentlich die biblischen
des neuen Testamentes, so zu bezeichnen pflegen. Hierher gehört
Anonymus 29, 27; Stricker hei Hahn Str. 1. 2; Frauenlob 192.
203. Das Alter der Gattung belegt z. B. Häva mal Sir. 90 Bugge.
etwas Emblematisches in sich.’ Herder Zerslr. Bl. 3, 87. Hegel würde freilich
MK. 29, 13 nicht eine Parabel, sondern ein Bild’ nennen nach Ästhetik I, .'»25.
Deutsche Studien. f.
Der Parabel mag sich als ebenfalls auf Deutung berechnet das
Räthsel anschliessen. Vergl. über dessen Verwandtschaft mit dem
Epigramm Gervinus 2, 312; über andere Berührungen Wacker
nagel Zs. 3, 25; zur Litteratur Plötz Wartburgkrieg S. 31 ; Fried
reich Geschichte des Räthsels (Dresden 1860); Gödeke Grund
riss S. 89. Der ■ Anonymus, Spervogel und ihre nächsten Ver
wandten haben es nicht gepflegt. Man weiss aber dass es zu den
ältesten Gattungen germanischer Volkspoesie gehört (s. Müllenhotf
Schleswigholst. Sagen S. XII; Zeitschr. f. Myth. 3, 1—20; Denkm.
S. 273 f.) und A. Kulm hat versprochen dasselbe als altarisch nach
zuweisen (Kuhns Zeitschr. 13, 49). Räthsel der Minne- und Meister
singer stellt Mone zusammen Anz. 1838 Sp. 372 ff. Wackernagel
meint (Zs. 3, 25), die ältere deutsche Poesie zeige sich ganz durch
drungen von einem Zuge nach rätselhafter Anschauung und Rede:
in zwei Gedichten haben wir 'augenfällige Ausläufer jenes Zuges, im
Traugemundsliede den volksmässigen, im Kriege auf der Wartburg den
gelehrt-meistersängerischen.’ Vergl. Wackernagels Litteraturgesch.
S. 269 f. und Gervinus 2, 27. Der Verfasser des Traugemundsliedes
ist für uns hier die wichtigste Person als ein Geselle der Spervogel:
das Räthsel ist dialogische Poesie, kein Wunder dass es in diesem
Liede dramatische Gestalt annimmt wie in den Vafthrudnis mal
und auf das Volksdrama Einfluss gewinnt (Gödeke Grundriss S. 95).
Aus der epischen Poesie gehört Strickers Amis hierher und
vielleicht der Tirol und Fridebrant, worin Räthselaufgaben vorge
kommen sein müssen, wenn es anders erlaubt ist, die Citate des
starken Roppe auf das erzählende Gedicht zu beziehen. Es würde
sich dann auch erklären, wie das volkstümliche Lehrgedicht gleiches
Namens zu seiner Einkleidung kam. Dasselbe zerfällt in drei Theile,
Str. 1—13. 14—-24. 25—45. Im dritten Täth König Tirol seinem
Sohn Fridebrant die werltlichen lere. Die beiden ersten mit ihren
zwei Rätseln machen die Verwandtschaft von Parabel und Räthsel
recht anschaulich: das erste wird Str. 13 ein bispel genannt. Uber
das Räthsel bei Freidank Wh. Grimm erste Ausg. S. CXXI1.
Über die Priamel will ich nicht ausführlich sein. Bergmanns
La priarnele (in der Revue d'Alsace, 1868) kenne ich nur aus der
Anzeige von Gaston Paris Revue eritique 1868 Nr. 39 (26. Sept.).
Bergmann sucht ihre Spuren in Indien, hei den Hebräern, Arabern,
Griechen, Römern und in den neueren europäischen Litteraturen.
346
Scherer
Vergl. Herder Zerstr. Blätter 5, 241 : 'In den Sprüchen Salonions
und im Sirach ist schon der Keim der Priameln da, woher ihre Form
auch genommen scheint.’ Aber die Priamel als poetische Gattung ist
der germanischen Poesie eigenthiimlich, und nur die Form der Häu
fung im Sprichwort und derGnome lässt sich auch sonst nachweisen.
In den germanischen Litteraturen selbst hat daher die Priamel eine
losere und eine strengere Form. Beide finden sich schon in den
Häva mal und bei Spervogel. Uber sonstiges Vorkommen vergl. Wh.
Grimm Freidank S. CXXII: die von ihm cilirte Strophe Reinmars des
alten gehört diesem aber nicht, s. MF. S. 308. Unter den Spruch
dichtern können am ehesten noch Gast und Boppe, weniger der
Kanzler oder Marner, neben Spervogel genannt werden; aber auch
Frauenlob (Spr. 402 Ettm., vergl. auch 54) mit einer ganz streng
gebauten Priamel. Sonst vergl. die bekannten Sammlungen von
Eschenburg, Weckherlin, Leyser, Keller (Alte gute Schwänke und
Fastnachtspiele Bd. 3) und Pfeiffers Germania 3, 368. 3, 44. Ausser
dem Uhländs Schriften 2, 324; Wackernagel Litt. S. 429; Gödeke
S. 89. 95. 98.
Die eigenthümlichste Gestalt der Priamel hat es auf Überra
schung des Hörers und auf eine komische Wirkung abgesehen. Zu
gleichem Zwecke bedient sich das Lügenmärchen (Wh. Grimm
Kinderm. 3, 408; Wackernagel Litt. S. 219) gerne der Figur der
Häufung. Auch dies eine alte Gattung (Denkm. Nr. 20) und im drei
zehnten Jahrhundert durch fahrende Spruchdichter gepflegt: durch
Reinmar (161. 162), dessen Lügenlieder Marner (38) nur eine Er
neuerung alter Erfindungen nennt, und durch Marner selbst (55).
Über das Alter des Sprichwortes wäre es überflüssig sich
auszulassen. Aber die Häufung desselben, die Aneinanderreihung
mehrerer Sprüche erfordert eine Bemerkung.
Wir haben gesehen, wie diejüngeren oben betrachteten Gedichte
(S. 324 [42]) unmerklich in die Weise Freidanks — auch ein Fahren
der, aber kein Lyriker — übergehen. Zum Theil mag noch persön
licher Bezug solchen Reihen ihre Einheit geben, zum Theil aber hält
sie nur sachliche Verwandtschaft zusammen, wie ja auch Freidank
sie nicht bunt und regellos unter einander gewürfelt hat. Von den
späteren Lyrikern reiht sich an Spervogel und Freidank im Grunde
nur der vielseitige Marner an, HMS. 11. 251 (Str. 74. 75) III. 432 a .
Und die Gedichte des vierzehnten Jahrhunderts bei Lassberg, 'die
Deutsche Studien. I.
347
einzelne Sprichwörter ohne inneren Zusammenhang neben einander
stellen’ (Wh. Grimm über Freidank S. 18, vergl. Freidank 2. Äusg.
S. V zu Hs. G: 'auf Bl. 33 — 35 noch allerlei Sprüche, darunter
auch einige aus dem Freidank’) — was aber doch nicht so
unbedingt richtig ist, vergl. Lieders. III. Nr. 177. 184 —186.
199. 238. 243. 248 — stehen ziemlich in einer Reihe mit den
vielen aus Freidank herausgerissenen Stücken derselben Hand
schrift (P'). Solche finden sich schon in den Carmina Burana p. 107
( Y) und sonst häufig, vergl. Wh. Grimms Vorrede zur zweiten Aus
gabe des Freidank unter den Hss. E (der Freidank zerstückt, doch
ohne dass etwas fehlte) KXZd. Freidank ist fast ein Gattungsname
für diese Art von Poesie geworden.
Soll man nun mit Wackernagel Litt. S. 280 die Sprüche Salo-
monis, Catos Disticha und andere Spruchsammlungen in latei
nischer Sprache unter die Vorbilder der 'Bescheidenheit’ rechnen?
Ich denke, für das Werk des Frydankus vagus thun wir besser, von
allen fremden Mustern abzusehen und seihst was die höfische Poesie
ähnliches bietet (Lachmann oben S. 316 [34]) weniger anzuschlagen,
als die verwandten Leistungen seines Standesgenossen Spervogel.
Kann nicht auch Wolfram, der die Poesie der Fahrenden so wohl
kannte, von daher veranlasst worden sein, den Parzival mit zusammen
gereihten Sprüchen anzufangen ? Und durch Wolfram wieder Gottfried ?
Wie alt aber war diese Gattung bei den Spielleuten?
Ich möchte an hohes Alterthum glauben. Hie Priamel beruht
auf der Häufung von Sprüchen: ihre losere Form ist von der Spruch
reihe nicht zu trennen. Besonders wenn die einzelnen Sätze sehr kurz
sind, Schlag auf Schlag einander folgen und vielleicht mehrfach ein
Satzglied gemeinschaftlich haben, wie die gnomischen Verse des Exo-
niensis und Cottonianus (Grein Bihl. Bd. 2). Der älteste Ausläufer der
Gattung, von welcher die 'Bescheidenheit’ das bekannteste Exemplar
ist, sind die altnordischen 'Sprüche des Hohen’ in ihrem ersten Theil. Es
waltet in solchen Spruchsammlungen derselbe Drang, der sich auf
einem anderen Gebiete in der katalogisirenden Poesie des ags. Wan
derersliedes zeigt. Man will Zerstreutes, Vereinzeltes in einem orien-
tirenden Ganzen überschauen.
Verwandt und ebenfalls uralt ist die Einkleidung der Spruch
reihen in die Form eines Rathes (vergl. Wh. Grimm Thierfabeln
hei den Meistersängen! S. 17 ff.). So sind die Loddfafnismäl ein
348
S c h e r er
Rüth Odins an seinen Schützling Loddl'afnir. Der Exoniensis enthält
(Grein 2, 347) Lehren eines Vaters an seinen Sohn mit epischem
Eingang, der sich wiederholt mit einer Zählung der Riithe. Aus der
deutschen Poesie erwähne ich den Faustinianus der Kaiserchronik
43, 22 ff. 81, 18 ff. Diem., den dritten Theil von Tirol und Fridebrant
und den Winsbeken (vergl. wie bei Wirnt 293, 14 Gawein seinen
Sohn Wigalois über die Ritterpflichten belehrt). Beiden letzteren
ist die Anspielung auf Wolframs Parzival gemein, und die Strophe
des Winsbeken muss man wohl als eine Fortbildung der Tirolstrophe
ansehen <). Die Form der Lehre an einen jungen Mann, aber mit
einheitlichem Thema, auch bei Walther 22, 32. 91, 17.
Wir kommen zur eigentlichen Gnome, dem Denkspruch. Die
Überlieferung des Anonymus sondert den mehr weltlichen und allge
mein moralischen wie 29,34 vom streng geistlichen und kirchlichen
wie 28,34. Mit Recht, wie mir scheint: ersterer ist alt und national,
dieser ohne Zweifel erst aus der geistlichen Poesie des eilften und
zwölften Jahrhunderts übernommen. Zur Vergleichung mit beiden
Arten ist zunächst Denkm. Nr. 49 herbeizuziehen.
An die geistliche Lebensregel reiht sich die kirchliche Lehre
überhaupt und das Gehet, sowie die Sündenklage. Davon war schon
oben S. 288 [6J. 328 [46] die Rede. Sogar geistliche Lieder für das
Volk traten im dreizehnten Jahrhundert hinzu.
Die weltliche Lebensregel zieht, wie wir sahen (S. 334 [82])
auch die Liebe in ihr Bereich, und durch individuelle Anwendung der
allgemeinen Sentenz geht sie ins Liebeslied selbst über.
Hiermit stehen wir auf dem persönlichen Gebiet, auf dem
Boden der persönlichen Interessen, die sich unmittelbar aussprechen.
Klagen über individuelles Missgeschick und verfehltes bedrängtes
Leben beim Anonymus, bei Spervogel, Walther und manchen
anderen; Loblieder, Trauerlieder, Spottlieder (ältestes Denkm.
*) Die Tirolstrophe ist die sechszeilige Schwester der Moroltstrophe, also durchweg
stumpf gereimt mit einer (ursprünglich gewiss meist klingenden) Waise vor der
letzten Zeile. Der Winsheke hält sich an die Grundsätze des dreitheiligen Baues:
in den vier ersten Versen muss die Reimfolge aabb der Ordnung abab weichen, um
die Stollen zu ergehen, und das dritte Reimpaar wird saniint der Waise verdoppelt:
die erste Hälfte des Doppelpaars erhält, um Stollen'und Ahgesang zu hinden, den
Reim bb\ die zweite Hälfte hehiilt c'c. Alle Reime aber stumpf und ebenso die
Waisen.
Deutsche Studien. F.
349
Nr. 28): es kommt nicht sehr viel darauf an. wann dergleichen
sich zuerst belegen lässt. Schon die Chorpoesie kannte z. B. Lobes
hymnen, vergl. Liliencron Hist. Volksl. Bd. 1, S. XXII.
Dagegen ist allerdings wichtig dass beim Anonymus, Spervogel
und ihren nächsten Verwandten das Lied das sich auf öffentliche
Zustände bezieht, ganz fehlt. Spervogels Trostlied 20, 2S kommt hier
nicht in Betracht. Die Satire auf allgemeine Gebrechen der Zeit tritt
auch nicht stark hervor. Und vollends vom politischen Lied keine
Spur.
Politische Lieder mehr persönlichen Charakters mag es immer
hin gegeben haben. Mancher Spielmann wird seinem Gönner die
Dienste eines Leibjournalisten zum Angriff auf politische Gegner ge
leistet haben (vergl. oben S. 291 [9]).
Aber das leidenschaftliche Gefühl für Wohl und Wehe der
Nation und des Reiches, die dichterische Betheiligung an der hohen
Politik lag diesen Leuten niederer Abkunft gewiss fern.
Das hat erst Walther von der Vogelweide in die deutschePoesie
gebracht und nur die leichtsinnigen fahrenden Kleriker des zwölften
Jahrhunderts waren ihm in gewisser Richtung vorangegangen. Geist
liche und Adel sind eben der herrschende Stand, der politische Stand
des Mittelalters: die öffentlichen Angelegenheiten sind ihre eigenen
Angelegenheiten.
Es ist als ob dieser grosse Dichter seine Nachfolger unter den
fahrenden Spruchdichtern aus ihrer engen Sphäre zu sich heraufge
hoben, ihnen einen Hauch seines Geistes eingeblasen hätte.
Die politischen Dichtungen des dreizehnten Jahrhunderts würden
eine eigene Abhandlung erfordern. Sie sind eine Art Barometer des
patriotischen Nationalgefühles der Deutschen. Der streng bürgerliche
Charakter der Poesie, der nun eintritt, weiss in seiner particulari-
tischen und egoistischen Verkommenheit davon eben so wenig, wie
von dem alten schwärmerischen Frauendienst.
Dieser bürgerliche Charakter liegt aber in Sper
vogel und seinen Verwandten vollkommen a u s g e b i I d et
vor.
So erscheint die politische Poesie Walthers von der Vogel weide
wie eine kurze Episode. Doch ist dies nur Schein. Schon vor ihm
geht ganz allgemein das Interesse der Kunstpoesie mit dem der
Reichseinheit und des Kaiserthums Hand in Hand.
Scherer
3!H)
Aber die Produele der Kunstpoesie erheben sieb in jener ganzen
Epoche nur wie einzelne Kirchthurmspitzen über ein unendliches
Häusermeer. Dieses Häusermeer ist für uns grossentheils freilich von
Nebel verhüllt: aber es war nichtsdestoweniger vorhanden, eine
reiche unaufhörlich gepflegte Volkspoesie, deren Träger die Spiel
leute.
Überblicken wir nun die geschichtliche Abfolge der Gattungen,
die sie pflegte, indem wir nur von der eigentlichen Chorpoesie und dem
Liede des rein persönlichen Interesses ahsehen. Diese haben ihre
Geschichte für sich und erfordern besondere Gesichtspunkte.
Sprichwort und Gnome (einzeln und in Reihen), ferner Räthsel
und Priamel sind uralt. Elemente des Lehrhaften, des Sinnreichen
und des Komischen waren damit gegeben.
Dazu tritt mit der Völkerwanderung die Heldensage, das
Nationalepos: das moralische Ideal der Germanen gewinnt menschliche
Ausprägung in der Poesie.
Die nun beginnende geistige Berührung mit der antiken Welt
eröffnet vermuthlich der Fabel den Eintritt. Ob schon in die Spiel
mannsdichtung, bleibt zweifelhaft. Nachweisbar dies erst seit dem
zehnten Jahrhundert.
Dieses erste goldene Zeitalter des deutschen Partieularismus
(En de des 9., Anfang des 10. Jahrh.) bringt uns auch, wenn ich nicht
irre, die Novelle, den Schwank, die phantastische und willkürliche
Epik. Die Unterhaltungslitteratur ohne sittliches Ideal erhält dadurch
eine grosse Verstärkung. Auch die Legende (Georgslied, Judith) wird
wohl nur in diesem Sinne, als merkwürdige Begebenheit, unter die
Spielmannsstoffe aufgenommen. Und das historische Lied erscheint
novellistisch abgerundet i).
Inzwischen hatte sich die geistliche Litteratur in deutscher
Sprache mächtig erhoben. Sie wirkte auf die Spielmannsdichtung
ein. Ihren phantastischen Erfindungen mischte sich ein religiöser Zug
bei. Der Anonymus, den wir kennen, nimmt sogar — der erste viel
leicht — directe geistliche Lehre auf. Das Räthsel, die Gnome
werden religiös. Und wie die geistliche Poesie nicht bloss religiös, son
dern auch im Anschluss an die spätlateinische Dichtung auf Mitthei-
0 Über die allgemeinen Voraussetzungen der Novelle s. Erdinannadörffer, Preuss.
Jahrb. 1870, I. S. 121 ff.
Deutsche Studien. I.
351
lung anderweitiger, geographischer (Merigarto), historischer (Kaiser
chronik u. a.), astronomischer (Priester Arnolt), astrologischer ('In
welchem Zeichen man Freunde kiesen soll’ Zs. 8, S42), naturhisto
rischer (so weit die Physiologi dergl. enthielten) Kenntnisse bedacht
war: so zog auch die Spielmannsdichtung des dreizehnten Jahrhun
derts solche Stoffe in ihren Bereich. Treffend sagt Wh. Grimm Frei
dank S. CXVIII von den Nachfolgern Walthers von der Vogelweide,
dass sie 'mit allzugrossem, schon bei Walther beginnenden Haften an
der Wirklichkeit der Poesie die Flügel binden und sie auf einen Weg
nöthigen wollen, den sie ungerne wandelt.’ EinZug nach Ausbreitung
des Wissens beherrscht die Zeit (vergl. Lorenz Geschichtsquellen S. 2).
Die Poesie wird eine Dienerin der Prosa (vergl. Gervinus 2, 93 ff.).
Je mehr diese Richtung um sich greift, desto mehr weicht die
Heldensage zurück und wird auf das Niveau der blossen Unterhal-
tungslitteratur herabgedrückt.
Wissenschaft, Moral, Unterhaltung werden die oberen Mächte
unserer geistigen Production. Die Wissenschaft in ihrem populären
Theil dient nur der Curiositätenwuth und dem Aberglauben. Die Moral
hat es lediglich auf die Privatsittlichkeit abgesehen, auf dieRespecta-
bilität. Die Unterhaltung sucht das Rohe, Gemeine, Lüsterne oder
scheut davor wenigstens nicht zurück.
Was bleibt also? Kirche und Carneval. Es sind die regierenden
Minister des Partieularismus. Und bei ihnen ruht die Gewalt über das
Volk bis im achtzehnten Jahrhundert mit einer neuen Staatsgesinnung
und neuem nationalem Selbstgefühl sich wieder eine ideale und zu
gleich volkstümliche Kunst emporhebt.
Schluss.
Von dem vorstehenden leicht umrissenen Gesammtbild der Spiel
mannsdichtung müssten sich die Individualitäten der Dichter, die uns
hier näher beschäftigten, nun erst ganz scharf und hell abheben.
Ich komme nicht auf sie zurück. Jeder Leser, dem der erste
und dritte Abschnitt dieses Aufsatzes noch gegenwärtig sind, wird
sich bald sagen können, welche Züge des allgemeinen Gattungs
charakters sich in den einzelnen Persönlichkeiten zusammenfinden.
Oh ich zu viel gethan habe in Herbeiziehung allgemeiner Mo
mente? Mir kommt es vor, als ob ich im Gegeutheil darin nicht weit
genug gegangen wäre.
Schere r
3S2
.leile Individualität ist nur zu begreifen — wenn ich den Ver
gleich gebrauchen darf — als ein Durchschnittspunkt unzähliger
Linien. Und jede solche Linie deutet eine allgemeinere geistige
Richtung an, welche der Einzelne mit wenigen oder vielen anderen
theilt. Diese Richtungen darf man als die Elemente ansehen, welche
ihn constituiren.
Kann man die Auflösung in die Elemente je zu weit treiben?
Kann sie überhaupt je vollständig gelingen?
Nächst der Auffassung der Individualität eröffnet sich aber hier
der Ausblick noch auf Probleme einer höheren Ordnung.
Die Dichtungsgattungen, welche die deutsche bürgerliche
Litteratur vorzugsweise pflegt, sind ihr zum geringsten Theil eigen-
thiimlich. Die Nothwendigkeit einer Naturgeschichte der poetischen
Gattungen bewährt sich auch hier. Dabei würde es sich unter anderem
um die Frage handeln: wo ist eine bestimmte Gattung gepflegt wor
den? wie lange? wie intensiv? wie hat sie sich zu der Gesammtheit
der 1 itterarischen Production eines gewissen Volkes verhalten? Mit
welchen anderen Gattungen findet sie sich am liebsten zusammen? Und
welches waren die Bedingungen ihres Gedeihens?
usw. Es ist mir nicht darum zu thun, alle einschlägigen Fragen
aufzuwerfen. Es sind ungefähr dieselben, mit denen sich die Pflan
zen- und Thiergeographie beschäftigt.
Bekannt ist z. B. dass manche Gattungen, die wir in unserer
Untersuchung als nahe Verwandte trafen, auch anderwärts Hand in
Hand gehen. Der Gesammtbegriff des bispels entspringt aus der ana
logen Behandlung solcher verschwisterter Gattungen. Damit ver
gleicht sich ganz nahe die mittelniederländische sproke : wie über
haupt die mnl. Poesie den Charakter der bürgerlichen Litteratur in
seltener Reinheit darstellt. Wie weit aber findet er sich anderwärts?
Und ist er überall einigermassen social gebunden? Worauf beruht
dann diese Gebundenheit? Und worauf beruht z. B. die rasche Accli-
matisation der indischen Märchen und Fabeln?
Man könnte auf manche dieser Fragen rasch mit einer Antwort
zur Hand sein. Aber warum soll man sich aufVermutliungen und un
genaue, ungefähre Formulirungen einlassen, wo eine exacte Unter
suchung möglich ist.
Ich möchte noch eine andere Analogie aus dem Verfahren der
Naturwissenschaften entnehmen, auf welche ebenfalls die Betrach
tungen über die Spielmannspoesie hinlenken.
Deutsche Studien. I.
353
'Die exacten Wissenschaften sind nur in dem Masse fortge
schritten, sagt A. v. Humboldt (Kl. Schriften Bd. 1, S. 400), als man
endlich angefangen die Naturerscheinungen in ihrer Gesammtheit
zu betrachten; und so allmälich aufgehört hat: hier den culminirenden
Punkten, die vereinzelt eine Linie hoher Gipfel bilden, dort den Tem-
peraturextremen, welche das Thermometer einige Tage im Jahre er
reicht, eine grosse Wichtigkeit beizulegen.’ Immer war man bis auf
Alexander von Humboldt vorzugsweise mit den Gebirgen, nicht mit
Hochländern und Tiefländern beschäftigt.
Uberschlägt man in seiner Phantasie die ganze Entwickelung
einer bestimmten Litteratur, so wird sie sich leicht als ein Bild dar
stellen, das mit den senkrechten Durchschnitten ganzer Länder wie
sie die Geographie handhabt einige Ähnlichkeit zeigen dürfte. Da
sieht man ganze Epochen als Tiefländer, andere als Hochländer und
über ihnen die Gebirge mit ragenden Gipfeln.
Man kann der Literaturgeschichte im Allgemeinen nicht den
Vorwurf machen, dass sie die Tiefländer vernachlässigt habe. Indess,
nur wo culminirende Punkte nicht vorhanden sind, lässt sie sich auch
gerne zu den geringeren Geistern herab.
Aber zu allen Zeiten gibt es Schichten der geistigen Bildung,
und um die unterste Schicht kümmert man sich viel zu wenig. Ich ge
stehe, es ist mir immer als ein grosser Mangel erschienen, dass uns so
ziemlich jede authentische Auskunft über die literarische Nahrung der
unteren Stände fehlt, ln gesunkenen Epochen sind das gerade die herr
schenden Mächte der gesammten Litteratur. Und die niedrigen Gattun
gen breiten sich wie eine unendliche gleiehmässige Tiefebene aus, von
der sich nur hier und da vielleicht einzelne Hügelgruppen abheben.
So erscheint mir die deutsche Poesie vom Ende des dreizehnten
bis in die Mite des achtzehnten Jahrhunderts. Noch Geliert und
Babener sind Nachfolger der Spervögel und Strickers. Und das 'mo-
ralisirende Zöpfehen’ war unsern Dichtern noch lange nicht abge
schabten.
Es ist ein besonderer Glücksfall dass uns die Gedichte Sper-
vogels und seines Vorgängers erhalten sind. Stricker, Freidank,
Reimnar von Zweter, Marner usw. stellen den Charakter ihrer
Gattung nicht rein genug dar. Die Kräfte, denen Hartmann, Wolf
ram, Gottfried, Walther ihre Erhebung verdanken, rissen auch den
fahrenden Spielmann empor.
Sitib. .1. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. I. Hft.
23
334
Scherer
Der Anonymus und Spervogel liegen dieser Erhebungsperiode
voraus. Und auf ihr Niveau sinken die späteren Dichter wieder hinab.
Dürfen wir jene genannten als das erste Lebenszeichen, gleich
sam als Vorboten, der langen bürgerlichen Epoche ansehen?
Nur für den geistlichen Zug ihrer Poesie kann das zugegeben
werden. Sonst aber haben vielleicht die obigen Betrachtungen genügt,
um eine andere Auffassung wahrscheinlich zu machen. Spervogel und
seine Verwandten stehen nebst den Verfassern des Rother, Morolt,
Orendel, Oswald usw. wie Endmoränen eines ehemals vorhan
denen, für uns aber verschwundenen Gletschers da, der in ähnlicher
Zusammensetzung mindestens vom Ende des neunten bis ans Ende
des zwölften Jahrhunderts gedauert hatte, dann auf kurze Zeit zu
rückwich, bis er fünf Jahrhunderte lang abermals und nun vjel weiter
sich ausbreitete, so dass — wenn der Ausdruck erlaubt ist — eine
allgemeine Vergletscherung unserer Poesie eintrat.
Wodurch wurde das Zurückweichen im zwölften und wieder im
achtzehnten Jahrhundert bewirkt? Oder, um mein früheres Bild wie
der aufzunehmen, welches sind die Hebungskräfte, durch welche die
Blüteepochen unserer Poesie, durch welche unsere grossen Dichter
hervorgetrieben wurden aus dem Tietlande?
Die Frage würde eine besondere Untersuchung verlangen. Das
Vorurthcil ist sehr verbreitet, dass die deutsche Litteratur des acht
zehnten Jahrhunderts sich wesentlich von allen modernen europäi
schen Litteraturen dadurch unterscheide, dass sie nicht mit einem
Aufstreben des nationalen Selbstgefühls zusammen falle. Ich glaube,
es lässt sich das Gegentheil beweisen. Doch hiervon jetzt nichts.
N ft c h t r n g.
Zu S. 285 13], DieS. 321. [39]. 322 140] angeführten Strophen,
Denkm. Nr. 49,3 und die von Keinz publicirte, lassen sich vielleicht
für die Vorgeschichte des zweiten Tons verwerthen. Jene stellt sich
als sechszeilige Strophe dar, bestehend aus zwei stumpfen Reim
paaren von vier Hebungen und einem klingenden Reimpaare von drei
Hebungen. Diese zeigt dieselbe Form mit Verlängerung der letzten
Zeile auf fünf Hebungen, Dazu brauchte nur noch die Waise hinzuzu
treten, und der zweite Spervogelton war fertig.
Deutsche Studien. I.
3S5
Zn S. 339 [571. Was das Fortleben Spervogels betrifft, so macht
mich Haupt auf das folgende Zeugniss der Zimmerischen Chronik
4,414 aufmerksam: dnrumb hat clcr maister Spervogel, der vor
et/ich hundert jaren gelept und zu selbiger zeit nit für den klain-
fuegsten deutschen poeten ist geachtet worden, nit unzeitlich ain
reimen oder gedieht hinder ime verlassen, wie hernach volgt.
Wer den wolf zu aim hirten annimpl,
der mag sein wol gewinnen schaden ;
ein weiser man soll seine schiff nit überladen.
was ich euch sag das ist war:
wer sim weih volgt durch das jar
und ir reiche klaider über rechte muss thut kaufen,
da mag ain hoffart von geschehen,
das sie im wol mag ain Stiefkind taufen.
Die Lesarten stimmen zur Hs. C. MF. 23, 21 S. 235.
23*
356
Zimmermnnn
Samuel Clarke’s Leben und Lehre.
Von dem w. M. Prof. Dr. Robert Zimmer mann.
Die Arbeit, welche ich der verehrten Classe vorzulegen die
Ehre habe, schliesst sich denjenigen Abhandlungen über Leib-
nitz'sche Philosophie an, welche ich in früheren Jahrgängen der
Sitzungsberichte (1852, 1854, 1855) veröffentlichte und welche
seitdem mit Erlaubniss der hohen Akademie im ersten Bande meiner
„Studien und Kritiken“ (Wien 1870) neuerdings abgedruckt
worden sind.
Dieselbe war ursprünglich bestimmt, die Controverse zwi
schen Leibnitz und dem englischen Philosophen Samuel Clarke,
dem Schüler und Freunde Newton’s, welche hauptsächlich die
Differenz zwischen Newton’? und Leibnitzens Raumtheorie, dann
aber ihrer gesammten Weltansicht betraf, ausführlich und im Zu
sammenhänge mit dem Ganzen sowol der monadistischen als der
atomistischen Grundlegung der Naturanschauung darzustellen.
Bei diesem Anlasse war es nicht nur natürlich, sondern unver
meidlich, dass die Aufmerksamkeit des Darstellenden nicht auf die
von Clarke selbst ursprünglich herausgegebenen und in der Erd-
mann’schen Ausgabe der philosophischen Schriften Leibnitz’ens
nach der von Desmaizeaux veranstalteten französischen Über
setzung aufgenommenen Actenstücke des obigen Streites sich be
schränken durfte, sondern von Clarke selbst, der bei dieser An
gelegenheit die wissenschaftliche Ehre Newton's und seines Vater
landes vertrat, ein möglichst umfassendes Bild zu gewinnen be
strebt sein musste.
Dies erschien um so nöthiger, als eine vergleichende Zuhilfe
nahme der Berichte über Clarke’s Leben und Lehre in den aus
führlichen Darstellungen der Geschichte der Philosophie weder ein
Samuel Clarke’s Leben und Lehre. 357
genügendes noch auch nur ein richtiges Bild von der letzteren zu
liefern geeignet ist.
So enthält z. B. die umfassende Geschichte der Philosophie von
Heinrich Ritter (Band XI, S. 535) nur wenige Zeilen über Clarke,
durch ein einziges Citat aus seinen Schriften unterstützt, in welchen
er überdies mit seinem Zeitgenossen William Wollaston gemeinsam
behandelt wird. Andere z. B. Reinhold (Lehrb. d. G. d. Phil. S. 325).
Schleiermacher, Vorländer thun seiner nur als Moralphilosophen,
oder wie Überweg (Grundr. d. G. d. Phil. III., S. 95, 2. Auflage) nur
literarhistorisch Erwähnung, während noch Andere wie z. B. Cour.
Hermann (Gesch. d. Phil, in pragmatischer Behandlung) ihn ganz
übergehen. Wo aber, wie von Erdmann (Grundr. d. Gesch. d. Phil.
II., S. 99), demselben ein eigener Paragraph gewidmet wird, da
zeigt, wie schon Thilo (Zeitschr. f. exacte Phil. IX. I., S. 52) her
vorgehoben hat, die Einreihung desselben unter die englischen
Sensualisten und Realisten von einer so gründlichen Unkenntniss oder
so vollständigem Missverstand, dass das Bediirfniss einer neuen, aus
den Quellen geschöpften Darstellung dadurch eher vermehrt als be
friedigt wird.
Eine solche erscheint um so weniger überflüssig, als das Ergeb
nis derselben dazu beitragen wird, die übliche Vorstellung nicht blos
von Clarke’s, sondern von der Philosophie und ihrer Entwicklung in
England überhaupt zu berichtigen. Der Empirismus Bacon's, der Ma
terialismus des Thomas Hobbes und der Sensualismus Locke’s haben
in den Augen nicht nur der Geschichtsschreiber, sondern der
Freunde und Feinde der Philosophie, deren Gestaltung auf englischem
Boden scheinbar einen so ausnahmslosen Charakter aufgeprägt, dass
man darüber völlig vergessen zu haben scheint, es habe daselbst
7.u gleicher Zeit auch einen sehr entschiedenen Rationalismus und
Idealismus gegeben, wie er, obgleich vereinzelt, auch iu neuester
Zeit der Alleinherrschaft Mill’s und der inductiven Methode wieder
entgegengetreten ist. Und zwar hat nicht blos der Idealismus in
Berkeley, der Rationalismus nicht blos in den englischen und schot
tischen Moralphilosophen von Cumberland, Wollaston und Shaftes-
bury bis auf Hutcheson und Adam Smith, sondern der letztere auch
metaphysische Vorkämpfer gefunden. Diese streifen zuweilen wie
Henry More, Robert Fludd und zum Tlieile selbst Cudworth sogar
auf das mystische Gebiet, haben ihren reinsten, der gleichzeitigen
358
Z i m m e r m a n n
rationalistischen Metaphysik des Cartesianismus , Spinozlsmus und
Monadologismus auf dem Festland ebenbürtigen Ausdruck aber in
Lord Herbert v. Cherbury und Samuel Clarke.
Beide theilen mit ihren Zeitgenossen und Landsleuten, den eng
lischen Freidenkern aus Locke’s und Toland's Schule die Opposition
gegen den kirchlichen Standpunkt der positiven Offenbarung auf
theoretischem sowol wie auf praktischem Gebiet, dem sie jedoch
nicht wie diese eine von jeder Autorität unabhängige Erkenntniß durch
den äussern Sinn, die Erfahrung, sondern vielmehr durch einen
innern Sinn, die Vernunft, entgegenstellen. Diese Vernunft, welche
sie selbst als einen Wahrheitsinstinkt bezeichnen, bedarf weder einer
historischen Überlieferung noch einer empirischen Wahrnehmung,
um zur Wahrheit zu gelangen. Letztere besitzt vielmehr für die sich
selbst überlassene willen- und interesselose Vernunft eine natürliche
Evidenz , vermöge welcher sie wie das mathematische Axiom von
jedem, der seiner Vernunft mächtig ist, schlechterdings nicht
nicht erkannt werden kann.
Im Vertrauen darauf setzt der Rationalismus die Offenbarung
durch die Vernunft als natürlich gewisse, jener durch Wunder
und Weissagungen als übernatürlich gewisser, aber auch jener
durch den äussern Sinn als blos zu wahrscheinlicher Erkenntniss
führender entgegen. Sein Bemühen geht dahin, nicht nur wie der
Deist, an die Stelle der Offenbarung einen natürlichen Beweis,
sondern auch an die Stelle des aposteriorischen Erfahrungs- den aprio
rischen Vernunftbeweis zu setzen. Durch jenes tritt er der kirchlichen
Orthodoxie, durch dieses dem rein- sensualistischen Empirismus,
durch die Behauptung der wesentlichen Übereinstimmung des In
halts der natürlichen mit jenem der geolfenharten Religion endlich
denLäugnern des religiösen Inhalts selbst, dem Atheismus und Mate
rialismus entgegen.
Dieser gleichzeitige Kampf des Rationalismus mit den Gegnern
der Vernunft und den Vertheidigern der blossen Sinneserkenntniss
drückt dem Leben und der Lehre Samuel Clarke’s den Stempel auf.
Als Theolog streitet er für die Vernunft gegen die kirchliche
Orthodoxie, als Philosoph mittelst der Vernunft gegen die Goltes-
und Geistesläugner. Als Anhänger Newton’s nimmt er die Naturwis
senschaft gegen den Buchstaben der Schrift in Schutz; als wissen
schaftlicher Prediger auf der von dem Physiker Robert Boyle, dem
Samuel Clarke’s Leben und Lehre.
359
Gründer der Londoner Gesellschaft der Wissenschaften testamen
tarisch zur Unterstützung der natürlichen Religion und Moral gestif
teten Kanzel vertheidigt er das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit
der Seele und die Freiheit des Willens mit Vernunftgründen gegen die
Anhänger des Spinoza und Hobbes, gegen Materialisten und
Atheisten. Die Folge ist, dass er einerseits von den Kirchlich
gesinnten als heterodox verschrieen, vor der bischöflichen Versamm
lung der englischen Hochkirche des Arianismus angeklagt und,
obgleich vergebens, zum Widerufe gedrängt, andererseits von den
Anhängern einer mechanischen Weltauffassung des Widerspruchs mit
sich selbst, mit der Erfahrung und Vernunft geziehen, des Supra
naturalismus und der Wundersucht beschuldigt wird.
In welchem Ansehen er trotzdem bei beiden Parteien, bei den
Strenggläubigen als einer der eifrigsten, bei den Ungläubigen als
einer der scharfsinnigsten Vertheidiger der wichtigsten Lehrsätze
über Gott und die Seele stand, geht aus dem Umstande hervor, dass
er, obgleich der Ketzerei verdächtig, doch im Besitz seiner kirch
lichen Functionen als Hofkaplan der Königin Anna belassen, anderer
seits, dass seine Beweisführung noch nach mehr als einem halben
Jahrhundert von den Angreifern der natürlichen Religion als deren
festestes Bollwerk anerkannt wurde. Als der Verfasser der Bibel des
modernen Materialismus, des Systeme de la nature, Holbach, seinen
Vernichtungsfeldzug gegen die Beweise für die Existenz Gottes
begann, suchte er vor Allem Clarke’s Demonstration derselben aus
dem Wege zu räumen und widmete ihrer punktweisen Widerlegung
iin Einzelnen ein ganzes umfangreiches Capitel seiner Schrift.
Der gleichen Anerkennung Clarke’s von Seiten der Gegner
begegnen wir bei allen hervorragenden antideistischen Schrift
stellern der Zeit z. B. bei Diderot. In seiner Lettre sur les aveugles
spricht er ausdrücklich von dem Gott Newton’s, Leibnitzen’s und
Clarke’s, so dass er diesen den beiden Andern als vollkommen eben
bürtig zur Seite stellt. Dass Newton selbst ihn als solchen behan
delte, geht aus der innigen Freundschaft hervor, die ihn bis ans
Lebensende mit Clarke verband und aus der Bitte, die er an ihn
richtete, seine Physik in die Schule und ins Leben einzuführen, was
jenem wirklich gelang. Als aber Leibnitz aus jahrelanger geheimer
Gegnerschaft gegen Newton’s Philosophie zum offenen Angriff über
ging, und in einem Schreiben an seine und Newton’s Schülerin, die
360
Zimmer man n, Samuel Clarke’s Leben und Lehre.
Kronprinzessin von England, Wilhelmine von Ansbach, deren innere
Haltbarkeit in Zweifel zog, wussten diese und Newton keinen Ande
ren, der ihm gewachsen wäre, entgegen zu stellen als Clarke, dessen
durch Leibnitzeus Tod vor dem Ende unterbrochener Briefwechsel
mit ihm durch der Prinzessin Hände lief und für die Kenntniss der
Newton'schen wie der Leibnilz’sehen Metaphysik eines der schätz
barsten Documente geworden ist.
All dies zusammen mag es rechtfertigen, wenn an eine Gesammt-
darstellung des Lebens und der Lehre dieses von seiner Zeit hoch
geachteten, von der unseru unbillig zurückgesetzten englischen
Denkers aus den (Indien gegangen wird. Wie auch die Philosophie
seitdem sich verändert und vervollkommnet haben mag, der Rationa
lismus hat lioch immer Grund gegen die blinde Orthodoxie wie gegen
den haaren Empirismus nach beiden Seiten hin wissenschaftlich Front
zu machen. Darum schien es auch nicht unpassend, die Angriffe
und Gegeneinwände, welche der Materialismus des 18. Jahrhunderts
gegen Clarke erhob, liier wieder mit aufzunehmen, denn der Materia
lismus von heute, so vornehm er sich dünkt, ist doch nichts weiter
als eine unverhesserte Wiederaullage des alten.
Die Schrift zerfällt in sieben Capitel, welche nach einander:
I. den englischen Rationalismus vor Clarke; II. sein Leben; 111. den
allgemeinen Charakter seiner Philosophie; IV. seine Kritik des
Atheismus und Materialismus sammt seiner Vertheidigung der natür
lichen Religion; V. die Antikritik" des Materialismus; VI. seinen
Streit mit Leibnitz; VII. seine Moralphilosophie, deren Einfluss sich
bis auf die neueste Zeit herab, insbesondere auf Herbart erstreckt,
behandeln. Dieselbe ist ihres grösseren Umfanges halber für den
nächsten Band der Denkschriften bestimmt, und icli ersuche um die
Aufnahme derselben als eines Beitrags zur Geschichte des philoso
phischen Rationalismus in England.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
361
VERZEICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(Jänner 1870.)
Academie Imperiale des Sciences de St. Petersbourg: Memoires.
Tome XII, Nrs. 1—5; Tome XIII, Nrs. 1—7. St. Petersbourg,
1861—1869; 4«. — Bulletin. Tome XIII, Nrs. 1—5. St. Peters
bourg, 1869; 4».
Academy, The American, of Arts and Sciences: Proceedings. Vol.
VII, Sign. 44-—66. Boston & Cambridge, 1868; 8°.
Accademia Pontificia de’ Nuovi Lincei: Atti. Anno XXI, Sessioni
I*—VI a , 1868. Roma; 4».
Akademie der Wissenschaften, Königl. Preuss., zu Berlin: Abhand
lungen. 1867 und 1868. Berlin, 1868 und 1869; 4°.
— der Wissenschaften und Künste, südslavische: Arbeiten. IX. Bd.
Agram, 1869; 8°.
Bern, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1868/69. Fol., 4° und 8°.
Bonn, Universität: Akademische Gelegenlieitsschriften aus dem
Jahre 1868. 4° und 8°.
Commission Imperiale archeologique ä St. Petersbourg: Compte-
rendu pour les annees 1865, 1866, 1867. St. Petersbourg,
1866 — 1868; Folio.
Essex Institute: Proceedings. Vol. V, Nrs. 7—8. Salem, 1868; 8°.
Gesellschaft für Salzburger Landeskunde: Mittheilungen. IX. Ver
einsjahr, 1869. Salzburg; 8°.
— k. k. m. schles., zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur-
und Landeskunde: Schriften der historisch-statistischenSection.
X., XVI., XVII. & XVIII. Band. Brünn, 1857, 1867 & 1868;
gr. 8«.
— Geographische, in Wien: Mittbeilungen. N. F. 3. Nr. 2.
Wien, 1870; 8°.
Sitih. d. phil.-hist. CI. I.XIV. Bd. I. Hft.
24
362 Verzeichniss der eing-egangenen Druckschriften.
Gesellschaft, Schlesische, für vaterländische Cultur: XLVI.
Jahresbericht. Breslau, 1869: 8°. — Abhandlungen: Philoso
phisch-historische Abtheilung. 1868, Heft 2 und 1869; Ab
theilung für Naturwissenschaften und Medicin. 1868/69. Bres
lau, 1869; 8».
— der Wissenschaften, König!. Dänische: Oversigt. 1867,
Nr. 6 — 7; 1868, Nr. 1—4; 1869, Nr. 1. Kjubenhavn; 8». —
Holm, Eduard, Danmarks Politik under den svensk-russiske
Krig fra 1788—1790. Kjefhenhavn, 1868; 4°. — Steen,
Adolph, Om Integrationen af Differentialligninger der fpre til
Additionstheoremer for transcendente Funktioner. Kjphenhavn,
1868; 4°. — Ussing, J. L., Kritische Bidrag til Graeken-
lands gamle Geographie. Kjtfbenhavn, 1868; 4°.
Gould, Benjamin Apthorp, Investigations in the Military and An-
thropological Statistics of American Soldiers. New York,
1869. 8».
Halle, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1868. 4° und 8°.
Hamelitz. IX. Jahrgang, Nr. 46—47, 49—60. Odessa, 1869; 4°.
Harz-Verein für Geschichte und Alterthumskunde: Zeitschrift.
II. Jahrgang. 1869, 4. Heft. Wernigerode; 8°.
Instituto di corrispondenza archeologica: Annali. Tomo XL.
Roma, 1868; 8°. — Bullettino per l'anno 1868. Roma; 8°. —
Monumenti inediti. Vol. VIII, Tav. L—LX & LV1II. Roma,
1854—1868; Folio.
Kiel, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem Jahre
1868. (XV. Band.) Kiel; 4«.
Königsberg, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
dem Jahre 1868/9. 4° & 8°.
Leyden, Universität: Annales academici, 1863—1864■ Lugduno-
Batavomm, 1868; 4».
Löwen, Katliol. Universität: Akademische Gelegenheitsschriften
aus dem Jahre 1866/67. 8° und 12«.
Marburg, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften. 1868/9.
4» und 8°.
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. XV. Jahrg. Jänner-Fehruar. Wien,
1870; 4».
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften. 363
Mittheilungen aus J. Perthes' geographischer Anstalt. Jahrgang
1869, XI-XU. Heft. Gotha; 4».
Nature. Vol. I, Nrs. 7—11. London, 1870; 4».
Report forty-ninth annual, of the Board of Controllers of Public
Schools of the first School District of Penn'a for the Year ending
December 31, 1867. Philadelphia, 1868; 8°.
— Monthly, of the Deputy Special Commission of the Revenue.
March 16, 1869. 4«.
Reports of the Commissioners of Fisheries of the State of Maine for
the Year 1867 & 1868. Augusta, 1869; 8°.
Revue des cours scientifiques et litteraires de la France et de
l’etranger. VII e Annee, Nrs. 3—7. Paris & Bruxelles, 1870; 4°.
Rostock, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1868/9. Folio, 4° und 8°.
Smithsonian Institution: Annual Report. 1867. Washington,
1868; 8°. — Letter of the President of the National Academy
of Sciences. 1866 & 1867; 8°.
Society, The American Philosophical: Proceedings. Yol. X.
Nrs. 78—80. Philadelphia, 1867 & 1868; 8».
— The Anthropological, of London: Anthropological Review &
Journal. Nrs. 24 — 26. (January, April, Juli 1869.) London,
Paris, Leipzig, Turin & Florence; 8».
— The Royal Dublin: Journal. Yol. V, Nr. XXXVIII. Dublin,
1869; 8».
Upsala, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1868/9. Folio, 4° und 8°.
Verein, historischer, für das Grossherzogthum Hessen: Archiv
für Hessische Geschichte und Alterthumskunde. XII. Band,
2. Heft. Darmstadt, 1869; 8°. — Die Alterthümer der heidni
schen Vorzeit innerhalb des Grossherzogthums Hessen, bespro
chen von Ph. A. F. Walther. Darmstadt, 1869; 8».
— für Nassauische Alterthumskunde und Geschichtsforschung:
Annalen. IX. Band, 1868. Wiesbaden; 4».
— für Geschichte und Alterthum Schlesiens: Zeitschrift. IX. Bd.,
1. und 2. Heft. Breslau 1868 und 1869; 8°. — Codex diplo-
maticus Silesiae. VII. Band, 1. Tlieil. Breslau, 1869; 4o. —
Acta publica. Verhandlungen und Correspondenzen der schle-
24«
364
Verzeichnis« der eingegangenen Druckschriften.
sischen Fürsten und Stände. Von Hermann Palm. Jahrgang
1619. Breslau, 1869; 4°.
Verein für meklenburgisclie Geschichte und Alterthumskunde:
Meklenburgisches Urkundenbuch. V. Band. 1301 — 1312.
Schwerin, 1869; 4».
Wackernagel, Wilhelm, Johann Fischart von Strassburg und
Basels Antheil an ihm. Basel, 1870; 8°.
Zürich, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften von Ostern
1867 bis Michaelis 1868. 4° und 8°.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE C LASSE.
LXIV. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1870. FEBRUAR.
Coinmissionsbericht.
SITZUNG VOM 3. FEBRUAR 1870.
Der prov. Secretär legt vor:
1) die von dem Abt von Kremsmünster Herrn P. Dr. Augustin
Reslhuber eingesendeten, von dem Prof. P. Leonhard Achleuth-
ner besorgten Abschriften von Taidingen aus dem Archive des
Stiftes und den ehemaligen Stiftsherrschaften Pernstein und
Scharnstein;
2) ein Ansuchen des Herrn Prof. Dr. Ed. Sachau in Wien um
eine Subvention zum Zweck der Drucklegung einer Anzahl syrischer
Übersetzungen griechischer Autoren aus Handschriften des britischen
Museums;
3) mehrere von der Academie royale de helles lettres, d’histoire
et d’antiquites zu Stockholm an die Akademie gesendete Publieationen.
Das w. M. Herr Hofrath Phillips legt vor eine Abhandlung
über die Einwanderung der Iberer in die pyrenäische Halbinsel.
Das w. M. Herr Regierungsrath Aschbach legt eine Abhand
lung vor: „Die Anicier und die römische Dichterin Proba“.
SITZUNG VOM 9. FEBRUAR 1870.
Der prov. Secretär legt vor zwei von dem Magistrats-Seeretär
und Custos des Stadtarchivs in Lemberg Herrn Carl Wilhelm Rasp
eingesendete Manuscripte: I) „Beiträge zur Geschichte der Stadt
25'
368
Commissionsbericht.
Lemberg“, und 2) „Beschreibungen der Stiftungen des städtischen
Bürger-Spitals St. Lazar in Lemberg“.
Das w. M. Herr Prof. Fr. Müller legt eine Abhandlung vor:
„Armeniaca, II. Heft“.
Der prov. Secretär Prof. VaIllen legt vor „Ungedruckte
Briefe von und an Laurentius Valla“.
SITZUNG VOM 16. FEBRUAR 1870.
Der Vicepräsident gibt Kunde von dem Hinscheiden des wirkl.
Mitgliedes der Akademie Herrn Hofrathes Dr. Franz Unger.
Die Mitglieder erbeben sich zum Zeichen des Beileides von
ihren Sitzen.
Herr Joseph Strobl hat eine Abhandlung eingesendet „Über
das Spielmannsgedicht von St. Oswald“.
Das corresp. Mitglied Herr Prof. Dr. Alexander Conze hat eine
Abhandlung „Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst“ ein
gesendet, mit dem Gesuche dieselbe in die Sitzungsberichte der
k. Akademie aufzunehmen und die zur Veranschaulichung des Gegen
standes erforderlichen artistischen Beilagen ausführen zu lassen.
Aschbach, Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
369
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
Von dem w. M. Dr. Joseph Asch bach.
I.
Die Anicier.
Es gibt kaum eine andere römische Familie, welche eine so
lange Reihe von Jahrhunderten hindurch ihre politische Bedeutung
gewahrt hat wie die Anicische. Schon in der Zeit der Kriege,
welche Rom zur Herrschaft über Italien geführt haben, werden die
Anicier unter den angesehenen und reichen römischen Bürgern ge
nannt, und sie gelangten dann auch in rascher Folge zu hohen Staats
ämtern. Aber die Anicische Familie erhielt erst recht ihre eigentliche
Bedeutung und eine hervorragende Stellung, als unter Constantin dem
Grossen der römische Staat eine neue Einrichtung bekam, der alte
Cultus schwand und das kaum eingeführte Christenthum zur Staats
religion erhoben wurde. Die Anicier gehörten damals zu den ersten
senalorischen Familien, welche am entschiedensten und eifrigsten
dem neuen Cultus und den Cönstantinischen Einrichtungen sich zu
wandten und wesentlich dazu beitrugen, den Übergang vom heidni
schen Rom zur christlichen Kaiserherrschaft zu befördern. Durch ihre
Stellung am Kaiserhof, durch ihre weitverzweigten Familien-Verbin-
dungen und ihren mächtigen Einfluss in dem wieder Ansehen gewin
nenden Senat, durch ihre unerschöpflichen Reichthümer und ihren
unermesslichen Länderbesitz in Italien und in fast allen Provinzen
des Reiches, waren die Anicier in den beiden letzten Jahrhunderten
der römischen Kaiserherrschaft im Abendlande beinahe die einzige
innere politische Macht, welche das Zerfallen und den Untergang des
Reiches noch aufhielt. Sie bekleideten fast beständig die höchsten
Staatsämter: selbst den Kaiserthron bestiegen einige Mitglieder der
Familie.
Asch h a c h
370
Auch nach dem Sturze des weströmischen Kaiserreiches bewahr
ten sie noch ihre Macht und ihr Ansehen: sie vertrugen sich mit den
in Italien herrschenden germanischen Königen wie auch mit den by
zantinischen Kaisern. Indem es dem Ehrgeiz und der Eitelkeit der
Vandalen- und Gothenkönige nicht wenig schmeichelte mit den Arn-
ciern durch Heirath in Verwandtschaft zu stehen, legten Kaiser in
Constantinopel sich den Anieischen Namen bei, gleichsam um anzu
deuten, als wären sie aus der illustren Familie entsprossen. In jener
Zeit war es auch, wo Abkömmlinge aus diesem Geschleckte die höch
ste geistliche Würde im Abendlande, das römische Pontificat, beklei
deten. — Die Anicier entbehrten auch nicht des Hutes und des
Glanzes auf litterarischem Gebiete, in einem Zeitalter, wo die Wissen
schaften und Künste sichtbar dem Verfalle zueilten: ihrer Familie ge
hörten an der fromme Sänger Paulinus, Bischof von Nola, der
berühmte Philosoph Boethius, ‘die römische Dichterin Faltonia Proba:
es waren schriftstellerische Notabilitäten, welche durch die Bewah
rung von mancherlei Reminiscenzen aus dem classisehen Alterthum
nicht ohne Einfluß blieben auf gewisse geistige Richtungen im Mittel-
alter.
Der neueste Erforscher der Geschichte der Stadt Rom in der
Kaiserzeit und im Mittelalter, welcher die historische Bedeutsamkeit
des Anieischen Geschlechtes wohl erkannt hat, beklagt, dass dessen
Geschichte noch sehr im Argen liege. Dieselbe aufzuklären, soweit
es die spärlichen und fragmentarischen Nachrichten gestatten, dürfte
nicht ein überflüssiger Versuch sein, jedenfalls dazu einen Beitrag lie
fern, einige noch nicht ganz aufgehellte Punkte in der römischen Ge
schichte näher zu beleuchten.
Früheste Nachrichten über die Anicier in den Zeiten
der Republik.
Der erste nachweisbare Anicier, der als Ahne des Anieischen Ge
schlechtes in Rom zu betrachten ist, war Q. Anicius Gallus, dem
auch der Beiname Praeuestinus gegeben wird, weil er aus dem
latinischen Municipium Praeheste stammte. <) Diese Stadt, an deren
*) ln Praeneste wurde eine Anzahl Inschriften mit dein Namen der Anicier gefunden.
Mominsen Inscr. lat. antiquiss. p. 28 11. n. 73 — 77. Der Name wird in Inschriften
auch Anitius und Anicio geschrieben.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
371
Stelle jetzt Palestrina liegt, leitete ihren Ursprung aus früher Vor
zeit von einer pelasgischen Ansiedelung, die noch vor der sagenhaften
Ankunft des Trojaners Aeneas in Latium stattgefunden haben sollte.
Im Laufe der Samniterkriege, nach einer schweren Niederlage
der Römer, fielen von diesen ihre latinischen Bundesgenossen, darun
ter auch die Pränestiner ah. Damals (um 340 vor Christus) lebte zu
Präneste ein angesehener Mann Q. Anicius Gallus, der durch
den Aufstand seiner Vaterstadt römischer Landesfeind geworden war.
Welche Rolle er in dem latinischen Kriege spielte, kann aus Mangel
an Nachrichten nicht näher angegeben werden, aber schon nach
wenigen Jahren, als die Empörung unterdrückt war, finden wir ihn
in Rom eingebürgert, und die Plebejer zählten ihn zu ihren angese
hensten Standesgenossen.
In der damaligen Zeit hatten die Plebejer nicht nur bereits den
Zutritt zum Consulat und dadurch die Theilnahme an der Mitregie
rung des Freistaates erlangt, sondern sie machten sich auch bald alle
curulischen Ämter, welche den Patriciern noch für ihren Stand be
sonders Vorbehalten waren, zugänglich. Die Aufnahme vieler latini
schen Municipes in den römischen Bürgerverband, die Gleichstellung
der Nachkommen der zahlreichen Freigelassenen mit den römischen
Altbürgern, wie auch die Vermehrung derTribus — alle diese Verän
derungen brachten neue Elemente ins Staatsleben, wodurch die Ple
bejer allmälig ein Übergewicht erhielten, das sie auch in den Wahl-
comitien zu ihrem Vortheile ausnützten. Die curulische Ädilität,
welche bei der Errichtung der Prätur die Patricier als ein ihnen nur
allein zustehendes Amt, den plebejischen Ädilen gegenüber, sich re-
servirt batten, theilten sie schon wenige Jahre später ohne besondern
Widerstand mit ihren politischen Gegnern, indem dasselbe wenig mit
Machtbefugnissen verbunden war, dagegen von seinen Trägern an
strengende Bemühungen und bei der ihnen obliegenden Abhaltung
von Festspielen nicht unbedeutende Geldopfer erheischt wurden.
Reiche Plebejer bewarben sich gern um das Amt, weil es die erste
Stufe zu den höheren Magistraturen und zur Nobilität bildete.
Es war im Jahr 450 der Stadt (304 v. Chr.), als Cn. Flavius,
ein Freigelassener des berühmten Appius Claudius Caecus, der durch
Veröffentlichung eines Amts- und Gerichts-Kalenders ein namhaftes
Verdienst um die Plebejer sich erworben hatte, und zugleich der
Pränestiner Q. Anicius Gallus zu curulischen Ädilen erwählt
Aschbnch
372
wurden, mit Übergehung der adeligen Candidaten aus den angesehen
sten Familien. Diese Wahl konnte der grosse Haufen als einen dop
pelten Triumph feiern. Cn. Flavius hatte das lucrative Geschäft
eines öffentlichen Schreibers oder eines Notars geführt, das man sonst
mit der Bekleidung eines Staatsamtes für unverträglich hielt; Q. Anicius
Gallus, der Pränestiner, der noch wenige Jahre zuvor die Waffen
gegen die Römer getragen, hatte seit seiner Übersiedlung nach Rom
sein ansehnliches Vermögen durch glückliche industrielle Unterneh
mungen bedeutend vergrössert, so dass er hinsichtlich seines Reich
thums mit den ersten patricischen Familien in die Schranken treten
konnte. Die Gewerbsfaction hatte offenbar in den Comitien den Sieg
über den Adel davongetragen
Diese Wahl empörte die Nobiles in dem Grade, dass sie, wie bei
einer allgemeinen Trauer, die goldenen Ringe und die Ritter den sil
bernen Pferdeschmuck ablegten s ).
Ihr Hass war aber mehr gegen Cn. Flavius als gegen seinen Col-
legen gerichtet. Mit diesem, der in seiner Heimath wohl von einer
angesehenen Familie stammte, s) söhnten sich die Adeligen eher aus
als mit dem Sklaven-Abkömmling.
*) Plin. hist. nat. XXXlll. c. 6. Hic (Cn. Flavius Annii libertini filius) publicatis
diebus fastis — tantam gratiam plebis adeptus est — ut aedilis curulis crearetur
cum Q. Anicio Praenestino, qui paucis ante annis hostis fuisset, praeteritis C. Poe-
telio et Domitio, quorum patres consules fuerant. Die Annalisten L. Calpurnius
Piso (bei Gell. Noct. Att. VI. 9) und Licinius Macer nennen den Collegen des
Cn. Flavius nicht namentlich. Livius Üb. IX. c. 46 folgt dem letztem: P. Sulpicio
Saverrione P. Sempronio consulibus — Cn. Flavius Cn. lilius scriba, patre über—
tino, humili fortuna ortus, ceterum eallidus vir et facundus, aedilis curulis fult
— — — Flavium dixerat aedilem forensis factio, Ap. Claudii censura vires nacta
— humilibus per omnes tribus divisis, forum et campum corrupit.
2 ) Liv. 1. c. Tantumque — — indignitatis habuerunt, ut plerique nobilium annulos
aureos et pbaleras deponerent. Plin. 1. c. Quo facto tanta senatus indignatione
exarsit, ut anulos ab eo abiectos fuisse in anliquissimis reperiatur annalibus.
Anulos quoque depositos a nobilitate in annales relatum est, non a senatu universo.
Hoc actmn P. Sempronio Longo L. Sulpicio consulibus. Valer. Maxim. Memorab.
II. 6, 2. Cum ingente nobilitatis indignatione factus aedilis IX. 3, 3. ungenau:
Quod Cn. Flavius humillimae quondam sortis praeturam adeptus erat, oflensi
(ii ex nobilitate) annulos aureos sibimet ipsis et phaleras equis suis detrnctas
abjecerunt, doloris impotentia tantum non luctum prolecto testati,
8 ) Hitsohl, Vorwort z. Katalog der Bonner Vorlesung 1863. p. VIII.
Die Anicier und die römische Dichterin Prohn
373
Der römische Annalist Calpurnius Piso und Livius erzählen, dass
dem erkrankten Adilen Anieius Gallus adelige Jünglinge einen Besuch ge
macht; als auch Cn. Flavius dahin gekommen, standen sie, wie die
Sitte es erheischte, nicht vor ihm auf. Um den adeligen Stolz zu de-
müthigen, liess Flavius den curulischen Sessel holen und in den Ein
gang des Gemaches stellen, so dass sie ihn sehen mussten, so lange
sie bei Anieius verweilten oder wenn sie sich entfernten ')•
Ob nach der Führung der curulischen Adilität Q. Anieius Gallus
mit seinem Collegen Flavius zum Volkstribunat gelangte, ist nicht
ganz sichergestellt 2).
In den Zeiten der beiden ersten punischen Kriege machten sich
die Anicier nicht besonders bemerklich. Dass M. Anieius Gallus im
J. 506 d. St. und Q. Anieius Praenestinus zwei Jahre später Volkstribun
gewesen, wird angegeben s), ohne dass dafür eine alte Quelle sich
vorfindet.
Als Ilannibal nach der Schlacht hei Cannä Casilinum in Campanien
belagerte, vertheidigten mit grosser Tapferkeit diese Festung
S00 Pränestiner, unter ihrem Führer M. Anieius. Spätere Denkmäler
in Präneste und Rom erwähnten in ihren Inschriften dieser Waffen-
that 4 ).
Als die Römer mit dem macedonischen König Perseus Krieg
führten, traten die Anicier, welche nun schon zu den angesehensten
l ) Livius (IX. 46), der die Sache nach dem Annalisten Licinius Macer erzählt, fügt
die Bemerkung bei: Hane memorabilem rem per se, nisi documentum adversus
superbiam nohilium plebejae libertatis sit, referam. Übereinstimmend lautet die Er
zählung des Calpurnius Piso bei Gell. Noct. Att. VI. 9. Valer. Maxim. Memor. II.
c. 6. berichtet in ähnlicher Weise.
3 ) Plin. 1. c. Additum Flavio ut simul et tribunus plebis esset.
3 ) Pighii annal. Tribun, pleb. ad a. u. 506 und 508.
Liv. XXIII. 17—20. Besonders wichtig ist die Stelle c. 19: Ceteri (Praenestini)
incolumes Praeneste cum praetore suo Manicio [es ist zu lesen M. Anicio] (scriba
is antea fuerat) redierunt. Statua ejus indicio f'uit, Praeneste in foro statuta,
loricata, ainicta toga, velato capite et tria signa cum titulo lamnae aeneae in-
scripto: Mnnicium [M. Anicium] pro militibus, qui Casilini in praesidio fuerint,
votum vovisse. Idem titulus tribus signis in aede Fortunae positis fuit subjectus.
Heumont Geschichte der Stadt Rom I. S. 688 hält irrthümlicher Weise diesen
M. Anieius, Prätor in seiner Vaterstadt Praeneste, für den am frühsten vorkommenden
Anicier. Giorgi (Bullettino dell’ Instit. di eorrisp. archeol. 1859. p. 41) theilt
diesen Irrthum: II primo degli Anici che figuri nella istoria di Roma e M. Anicio,
pretore di Preneste, che nell’ anno U. C. 536 eommandö un corpo di armati etc.
A s c h I) a c li
Nobiles gezählt werden, näher in der Geschichte auf. Für das Jahr
168 (v. Chr.) erhielt L. Anicius Gallus die Prätur; indem sein
College Cn Baehius Tamphilus die städtische Gerichtsbarkeit führte,
halte er seihst die fremde i). Die Führung des Krieges wurde im
Osten dem Consul Aemilius Paulus und dem Prätor L. Anicius über
tragen 2 ). Indem der erstere sehr rasch durch den Sieg bei Pydna und die
Gefangennehmung des Königs Perseus den Kampf in Macedonien zu
Gunsten der Römer beendigte, erfocht der Prätor L. Anicius gegen
Macedoniens Verbündeten, den illyrischen König Genthius, glänzende
Siege; in dreissig Tagen hatte er den Feldzug beendigt. Er eroberte
die illyrische Hauptstadt, nahm den König Genthius gefangen und
führte ihn in Rom bei seinem Triumphzuge auf. Auch die Epiroten
hatte der Sieger in kurzer Zeit unterworfen 3 ).
Den Cn. Anicius, einen nahen Verwandten des Prätors L. Anicius,
sandte der Consul Aemilius Paulus als seinen Legaten gegen die
thessalische Stadt Aeginium, um diese Festung, welche noch nach
Beendigung des Krieges Widerstand versucht hatte, zu unterwerfen*).
Wenige Jahre später gelangten die Anicier zur höchsten Magi
stratur des Consulats. Derselbe L. Anicius Gallus, der als Prätor
Illyrien unterworfen hatte, führte mit M. Cornelius Cethegus 160v. Chr.
dieFascesf). Dem letztem fiel alsProconsul Italien, dem L. Anicius Ligu
rien zu. Dieses Consulatsjahr war ausgezeichnet durch einen ganz
vortrefflichen Wein. Noch in Cicero’s Zeit lagerten in ihren Kellern
die reichen Römer unter den ältesten und köstlichsten Weinen den
Jahrgang von S94 d. St., mit der Nota oder dem Namen des Con-
*) Liv. XLIV. 17. Praetores Cn. Baebius urbanam, L. Anicius (Gallus) peregrinam
sortitus est.
2 ) Livius XLIV. c. 43. Nobilitate Anicius cum Aemilio et jure imperii praetor cum
consule conlatus.
8 ) Über die Kriegsthaten des L. Anicius Gallus und seinen Triumph ausführlich
Liv. XLIV. 30—32. XLV. 3. 26 und 43. Vgl. Vellej. Paterc. I. 9 , 5. Plutarch.
Aemil. Paul. c. 13. Appian. hist. Rom. IX. 9. Fasti triumphal, ad an. 168. Polyb. XXX.
13, Athenaeus XIV. 4. Nach der Angabe der beiden letztem Schriftsteller liess
L. Anicius bei der Triumphfeier zuerst Lustspiele aufrühren.
4 ) Liv. XLIV. c. 46. Ad Aeginium, ad quod oppugnandum Cn. Anicius Legatus
missus erat.
5 ) Fasti consular. a. urb. 594. Die abgekürzten Fasti: Gallo et Cethego; Cassiodor.
a. U. 593: L. Anicio M. Cornelio. Polyb. XXXII. 21.Terent. Adelph. Tit.: Facta e
Graeca Menaudru L. Anicio M. Cornelio Coss.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
375
suis Anicius bezeichnet, und schätzten ihn als Vinum Anicianum
besonders hoch ').
Es war ohne Zweite! derselbe Lucius Anicius, der mit einer
römischen Gesandtschaft an den König Prusias von Pergamum
geschickt wurde, um denselben aufzufordern, vom Kriege gegen At-
talus abzustehen 2 ).
Längere Zeit hindurch vernimmt man nichts von den Aniciern.
Während der Bürgerkriege zogen sie sich, obschon sie zur Mariani
schen Partei gehörten 3 ), von dem öffentlichen Leben und der Führung
hoher Staatsämter zurück. Im Besitze grosser Reichthiimer und weiter
Länderstrecken, vorzüglich in Italien, Griechenland und Nordafrika,
widmeten sie sich ganz den friedlichen Beschäftigungen. Sie wandten
sich der Landwirtschaft, der Industrie und grossen Bauunterneh
mungen zu. Namentlich richteten sie ihr Augenmerk auf die Ver
besserung der Boden - Cultur. Von ihren weitläufigen Ländereien
in Sicilien und Africa führten sie zu Verproviantirung der Hauptstadt
massenweise das Getreide ein, zu dessen Einlagerung die geräumigen
Hordea Aniciana bestimmt waren. Auf ihren unter den verschiedenen
Himmelsstrichen liegenden Besitzungen veredelten sie auch die Obst
zucht: eine ausgezeichnete Sorte von Birnen, die sie nach Italien
eingeführt hatten, wurde mit dein Namen^«Vwm ÄnicianumhawAwnV 1 ).
Nach einer eigentümlichen von ihnen erfundenen Behandlungsweise
wurden derartige Birnen, in Rosinenwein gelegt und somit gegen
Verderbniss geschützt, lange in aller Frische aufbewahrt 3 ). Zu den
grossartigen und prachtvollen Bauten, welche sie in Rom und in
Italien aufführten, Hessen sie aus ihren Ländereien das vortrefflichste
Baumaleriale herheischaffen. Sie besassen namentlich in Etrurien am
') Cicer. Brut. c. 83. Ut, si quis Palerno vino delectetur, sed eo nec ita novo, nt
proximis consulibus natuni velit: nec rursus ita vetere, ut Opimium (cons. a. U.
633) aut Anicium consulein (a. U. 694) quaerat: atque eae notae sunt optimae
credo, sed nimia vetustas nec habet eam, quam quaerimus, suavitatem.
2 ) Polyb. XXXIII. c. 6.
3 ) Es ist dieses aus der Stelle bei Cornel. Nep. vit. Pompon. Attic. 1. 2 zu schliessen:
Anicia, Pomponii consobrina, nupserat Servio, fratri P. Sulpicii (des Volkstribuns,
der auf Sulla’s Befehl ermordet worden).
^) Macrob. opp. p. 403 nennt nach dem Schriftsteller Cloatius Verus die feinem
Birnen - Sorten, darunter das pirum Anicianum. Über die Obstzucht in Praneste.
der Heiinath der Anicier, spricht Macrob. p. 400.
) Pün. hisl. nat. XV. 18. Aniciana (pira) observari et in passo (vino).
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A s c h h a c h
Volsinischen See umfangreiche Steinbrüche (sie hiessen Anicianae
lapidicinae), aus denen sehr harte, der Verwitterung nicht leicht unter
worfene Quarzsandsteine (albi silices) gewonnen wurden <).
Aber auch mancherlei, was den Luxus verbreitete und zur Ver
weichlichung diente, hatten die Anicier aus dem Oriente nach Italien
eingeführt: namentlich wird die nach ihnen benannte Sänfte (lectica
Aniciana) erwähnt, deren sich in Kleinasien die bithynischen Kö
nige auf ihren Reisen bedienten. Es war ein kleines luxuriös ausge
stattetes Gemach, welches von acht Männern getragen wurde, daher
man es auch Anicianum octopliorum nannte 2 ).
Grade dadurch, dass die Anicier in den römischen Bürger
kriegen keine besondere Rolle spielten, von den Parteien sich ferne
hielten und fast ausschliessend ihren Privatangelegenheiten sich wid
meten, sicherte die Familie sich ziemlich vor Verfolgungen, Confis-
cationen und Hinrichtungen. Nur selten geschieht in dieser Zeit ihrer
Erwähnung und dann nur im Zusammenhang mit ihren friedlichen
Beschäftigungen. Wenn der Redner Cicero von dem reichen und an
gesehenen Senator C. Anicius, den er zu seinen Freunden zählte,
Erwähnung macht, so geschieht es in Verbindung mit dessen Reise
nach Africa zur Ordnung seiner Familien-Angelegenheiten s). In
gleicher Weise erfahren wir in Briefen desselben Redners einiges von
T. Anicius, der von Quintus Cicero beim Ankäufe eines Landgutes in
der Nähe von Rom zu Rath gezogen wurde t).
Die Anicier in den drei ersten Jahrhunderten der
Kaiserherrschaft.
Auch in den ersten Jahrhunderten der Kaiserherrschaft kann
keine zusammenhängende eingehende Geschichte des Anicischen
Hauses geliefert werden. Die kurzen abgerissenen Nachrichten über
einzelne Anicier gestatten uns nicht einmal eine nur annähernde Rei
henfolge oder eine Darlegung der verschiedenen Zweige des verbrei-
*) Plin. hist. nat. XXXVI. 49. Nigri silices optimi — noniiunqunm veio et albi,
sicut in Tarquiensi Anicianis lapidicinis circa lacum Volsiniensent.
2 J Cic. Verr. V. II. Ut mos fuit liithyniae regibus, lectica (sc. Aniciana) octophoro
ferebatur (vgl. Cic. Epist. ad Quint, fratr. II. 10), in qua pulvinus erat perlucidus.
Cic. nennt an letzterer Stelle auch die lectica regis Ptolemnei Aniciana.
3 ) Cic. ep. ad divers. Vll. 26. XII. 21.
\) Cic. ep. ad Quint, fratr. II. ep. 10. III. 21.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
377
teten zahlreichen Geschlechtes zu liefern. Der Beiname Gallus,
den die Anicier früher führten, kommt nicht mehr vor; dagegen er
scheinen die Linien des Hauses mit besonderen Beinamen, von welchen
wir aber nur einige wenige kennen, wozu die Cognomina Cerealis,
Faustus und Maximus besonders gehören. Wenn sie auch fortfahren
sich im ganzen von dem politischen Leben und den Staatshändeln fern
zu halten, so schützte sie diese Vorsicht für ihre persönliche Sicher
heit und die Erhaltung des Besitzes ihres enormen Vermögens nichtvoll
ständig vor den Verfolgungen tyrannischer Kaiserregierungen. Auch
konnten sie als Mitglieder des römischen Senates und des Adels nicht
ganz ohne alle Theilnahme an dem Staatsleben bleiben. Sie beklei
deten hohe Stellen im römischen Heere und versahen nicht selten die
ersten Staatsämter. Unter Augustus kommt ein M. Anicius Verus,
der aus der gallischen Stadt Vienna stammte, als kaiserlicher Legat
der dritten Cyrenäischen Legion, die in Egypten stationirte, vor •).
Unter dem unsinnigen Kaiser Caligula stand Anicius Cerealis, der
im Senat grosses Ansehen genoss, an der Spitze einer Verschwörung
zum Sturz des Tyrannen. Sie wurde entdeckt und Anicius Cerealis
auf die Folter gebracht, um aus ihm Geständnisse über die Ver
schwörer zu erpressen. Er gestand nichts und wurde dann sogleich
hingerichtet. Sein Sohn S e x t u s A n i c i u s P a p i n i u s Hess sich durch
die kaiserlichen Versprechungen von Straflosigkeit bewegen die Mit
schuldigen zu nennen. Diese, wie er selbst, wurden hingerichtet a).
Demselben Zweige der Anicischen Familie gehörte ein anderer
Anicier an, der 25 Jahre später als ein Opfer Neronischer Grausam
keit fiel. Der reiche Senator Anicius Cerealis war im Jahre 65
n. Chr. von Nero, der ihn als einen ergebenen Anhänger betrachtete,
zum Consul designirt worden. Kurz nachher wurde die Verschwörung
Lueans zum Sturze von Nero’s Regierung entdeckt und durch blutige
') Letronne, Tnscr. de l’Egypte. Tab. 31. 3. Vol. II. p. 33S. Orelli-Hemen n. 5304.
M ' ANIC1VS • T ■ F • VOL ' VERVS • VIENNA
. . . LEG ‘ IH CYR ' AVD1' MEMNONI VI 1DVS
NOVEMBER • ANNO fll IMF“ ■ N . ET VI K 1ANVAR etc.
2 } Dio Cass. lib. LIX. c. 25 wird vervollständigt durch ein von Angelo Mai neu
aufgefundenes Excerpt über die Hinrichtung der Anicier, womit Zonar. Annal,
zu vergleichen ist. Borghesi im Giornale Arcadio 1829. T. XLII. p. 179 (Oeuvres
compl. III. 233) findet es wenig wahrscheinlich, dass Papinius der Sohn eines
Aniciers gewesen, er hält ihn für einen Sohn des Sext. Papinius Gallienus, der
»ni J. 36 n. Chr. Consul gewesen.
378
A s c h li a c li
Hinrichtungen bestraft. Bei dieser Gelegenheit erging sich Anicius
Cerealis im Senat in den niedrigsten Schmeicheleien für den Wiithe-
rich, dessen grausames Verfahren er nicht nur billigte, sondern er trug
auch darauf an, man solle dem göttlichen Nero auf öffentliche Kosten
Tempel errichten und als einem Gotte die schuldige Anbetung widmen.
Dessenungeachtet entging der feige Schmeichler nicht dem Ver
derben. Als nach wenigen Tagen weitere Hinrichtungen vornehmer
Römer erfolgten, so klagte einer derselben den Anicius Cerealis als
Mitschuldigen an, damit auch er, den man für einen Verräther hielt,
der Strafe nicht entgehe. So geschah es, dass Anicius Cerealis auf
Nero's Befehl ebenfalls hingerichtet wurde *).
Wir linden von Nero's Abgang bis in den Anfang des dritten
Jahrhunderts unter den Consules ordinarii keinen Anicier, erst im
Jahre 215 n. Chr. unter Kaiser Caracalla führte ein Anicius Ce
realis mit Laetus die Fasces 3 ). Aber aus einigen kurzen schrift
stellerischen Notizen und einer Anzahl Inschriften erfahren wir, dass
die Anicier fasst unter jeder Kaiserregierung des zweiten Jahr
hunderts hohe Staatsämter bekleideten.
Ein AniciusMaximus war Procurator von Bithynien in Klein
asiens), als Trajan regierte: in der Antoninischen Zeit wird Q. Ani
cius Antoninus als Curator der Varianischen Thermen (in Rom)
genannt 4 ). Der Kaiser Commodus lässt in seiner Verfolgungswuth
unter einer Anzahl vornehmer Römer den Senator Anicius Lu-
p u s hinrichten 5 ).
Die in einer Inschrift genannten Römer C. Anicius Falto-
nius Fronto und M. Anicius Probus lebten noch unter Marcus
Aurelius (173 n. Chr.) c ) Dagegen blühte der in einer Inschrift vor-
*) Tacit. Annal. XV. 74 und XVI. i7. Über den Tod berichtet der römische Geschicht
schreiber: Mella — additur codicillis — ita scripsisse: Se quidem mori nullis
supplicii causis: Rufium autem Crispinum et Anicium Ceriaiem vita frui, infensos
Principi. Quae composita credebantur; de Crispino, quia interfectus erat, de
Ceriale, ut interficeretur: neque enim multo post vim sibi adtulit, minore quam
ceteri miseratione, quia proditam C. Caesari conjurationem ab eo meminerant.
Vgl. Zonaras, Annal p. 537.
2 ) Fasti consulares a. U. 968: Laeto II et (Anicio) Cereale.
3 ) Plin. epp. ad Trajan. ep. 113 p. 299.
4 ) Inschrift bei Gruter. 122, 7. Orell. 43.
5 ) Lainprid. Commod. 7. Interemit — Anitium Lupum.
6 ) Gruter. 102Ö, 6.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
379
kommende Q. Anicius Faustus unter Kaiser Septimius Severus-:
er war Legat in Numidien und wird Consul designatus genannt ').
In dieselbe Regierung fällt auch die Amtsthätigkeit des Anitius
(Anicius) Adveutus, der in Britannien als Procurator erscheint 2 ).
Welcher Zeit der vielnamige Anicius Maximus Caesu-
lenus Martinlis Pisihanus Lepidus angehört, der in einer
Inschrift s ) die Prädicate Quaestor, Salius, Flamen, Patricius, Praetor,
Candidatus, Consul führt, ist noch nicht ermittelt. Die Fasces führte
er als Consul suffectus. Wahrscheinlich gehört er der ersten Hälfte
des dritten Jahrhundertes an.
Nach Caracalla, dessen Todesjahr (21S) in das Consulat des Ani
cius Cerealis fällt, schickt der kaiserliche Nachfolger Macrinus den
Anicius Faustus als Statthalter nach Asien *).
Manche wollen den Balista, welchen die Byzantiner Syncellus
und Zonaras Kallistus nennen,einen der sogenannten 30 Tyrannen-
•) Orelli 5331.
GEN10 ' LAMBAESIS
PRO SALVTE
IMPP ' CAESS • L' SEPTIMl
SEVERI PERTINAC1 AVG
ETM' AVRELII ANTONINI
AVG - FELIC' PAR " BR ’ GERM MAX
AVG • ETIVLIAE AVG ' MA
TRI • AVG ' N ' ET CAStROR
DEDICANTE Q ANICIO FAVSTO
LEG’AVGG•PR•PR•C’V•COS.DES
L. BAERIVS FLAVIA
NVS SIC'LEG-III AVG-PV
L BAEBI FELIC1S VET'EX
SIGNIFERO FIL1VS
VOTVM SOLVIT
2 ) Orelli-Ilenzen. n. 6701.
8 ) Orelli n. 2242.
*) üio Cass. Bist. Rom. I. 78. c. 22. "Oys 6 ’Avixio? £? njv ’Aaitxv ävrt
roO "Aanpou ap£tov, sxeftfärj. Es ist, «PaOoros anstatt «P^aroj zu lesen. Der
Beiname Festus kommt sonst bei den Aniciern nicht vor, wohl aber die Be-
nennuug Faustus. Borghesi, Oeuvres compl. V. p. 467: Fra le due varianti del
testo Dioneo Festo e Fausto i suoi editori malamente hanno preferito la prima.
Borghesi hält diesen asiatischen Statthalter Anicius Faustus identisch mit dem
Q- Anicius Faustus, der in Mösien unter Septimius Severus als Statthalter, und
in afrikanischen Inschriften (Renier, Inscr. Rom. de l’Algerie. n. 56 und 63)
als Consul designatus und Consul vorkommt.
380
Aschbach
kaiser in der Zeit des Gallienus, dem Anicischen Geschlechte zuspre
chen. Balista gehörte allerdings einer vornehmen römischen Familie an:
er war unter Kaiser Valerian Präfect von Rom und hatte sich durch
gute Anordnungen in der Organisation und Verpflegung des Heeres
die Gunst seines kaiserlichen Herrn erworben. Nachdem Valerian in
die Gefangenschaft der Perser gefallen (260 n. Chr.), trat Balista
an die Spitze des römischen Heeres, welches in Cilicien und
Lycaonien Siege gegen die Perser erfocht. Er veranlasste, dass
Macrianus mit seinen beiden Söhnen Macrianus und Quietus den
Purpur annahm; er selbst blieb als Präfect an der Spitze des Heeres.
Als aber Macrianus und sein gleichnamiger Sohn durch den Gegen
kaiser Aureolus überwunden wurden, fiel Balista von Quietus ab und
legte sich selbst den Kaisertitel bei, wurde aber alsbald durch einen
Soldaten des Tyrannenkaisers Odenatus ermordet»).
Dass dieser Balista aus dem Anicischen Geschlecht entsprossen
gewesen, wird behauptet auf Grund von Münzen mit der Legende : Ser-
vius Anicius Balista 2). Ältere Numismatiker halten die Münze für echt,
dagegen verwerfen sie als fälsch die kritischen Münzkenner Eckhel,
Cohen u. a.
In der Nähe von Ferentino in Campanien hat man eine dem
C. Anicius Pera gewidmete Inschrift auf einem alten Monumente
vorgefunden, welche aus der Kaiserzeit herrührt 3 ).
*) Trebell. Poll, triginta tyrann. c. 11 u. 17. Gallieni duo c. 1 u. c. 3. Valerian. c. 7.
Syneell. p. 382 ed Par. 1652. Zonar. Ann. XII. 23 fl. Vgl. Pauly, Real.-Encyci.
2. Ausg. Art. Anicii, wo aber kein Zweifel an dem Anicischen Ursprung des
Balista ausgesprochen ist. Oberdick, die Römerfeindl. Bewegungen im Orient
(254—274). Berlin 1869, der die verschiedenen Nachrichten von dem Tode des
Balista gibt, S. 33, schweigt davon, dass derselbe ein Anicier gewesen.
2 ) Mediobarb. Birag. Impp. numism. Rom. Mediol. 1684. p. 386.
SER-ANIC‘BALISTA PF 1 AVG oder
IMP* C'BALISTA PF AVG
Rev.: ANNONA AVG mit weiblicher Figur.
3 ) Giorgi — Bullet. delPInstit. di corrisp. arch. 1859. p. 41. gibt sie und vermuthet,
die Restauration des Monuments, dessen Errichtung in die Zeit der Republik
falle, habe unter den Kaisern stattgefunden.
C ANICIVS
PERA
BASEM VETVSTATE
CONSVMPTAM ORDO
DECVR RESTITVI
CENS
Die Anicier und die römische Dichterin Prob».
381
Es ist natürlich, dass auch der Anicische Name hei Personen
sicli vorfindet, welche nicht der berühmten weitverzweigten Familie
angehörten. Schon der Umstand, dass reiche Geschlechter häufig
ihre Sklaven mit der Freiheit beschenkten und die Freigelassenen,
welche später in das volle römische Bürgerrecht eintraten, sich
den Namen ihrer frühem Herrn beilegten, macht erklärlich, dass
Freigelassene mit dem Namen Anicius 1 ) und Anicia 2) sowohl in
der Zeit des Freistaates, wie auch in den Jahrhunderten des
Kaiserreiches Vorkommen, und dass Leute in den unteren Schich
ten des Volkes, Bürgers) und Soldaten 4 ), ohne besondere Stellung
und Rang mit dem Anicischen Namen bezeichnet werden. Bei Man
chen dürfte es zweifelhaft sein, oh sie dem alten Geschlechte ange
hören oder gleichnamigen neuen Familien, wenn sie ein priesterliches
Amt oder eine Magistratur in einer Provincialstadt bekleiden 5 ).
Genealogisches des Anicischen Geschlechts im 4. und
5. Jahrhundert.
Erst im Diocletianischen, mehr noch im Constantinischen
Zeitalter lassen sich die Verzweigungen und Abstammungen in
dem Anicischen Geschlechte näher verfolgen 6 ). Es theiite sich
0 Orelli n. 2511. M. Anicius, Marci libertus Primus.
2 ) Reines, synt. inscr. p. 714. M. Ulpius Dionysius et Anicia Faustina liberti. —
Orelli 4649. Anicia Glycera, Publii liberta.
3 ) Orelli n. 3659. Anicius Varus Cornutus. Orelli 3636. Anicius Verus.
4 ) Kellermann. Latere. Vigil. 2, 51. Anicius Honoratus und Anicius Silvanus.
5 ) Eine in Nordafrika gefundene Inschrift, welche hei Henzen-Orelli n. 5664 ab
gedruckt ist, nennt einen Neptuns-Priester L. Fl. Anicius Privatus:
NEPTVNO
AVG
L • FL * ANICIVS • PRIVAT VS
SA
CER DOS • NE PT VN I * AED , II. VIR
ET Ti VIR • QQ
AEDICVL ' CVM
OMNIBUS • ORNAMENT * EI VS • P • S • P • D
ü ) Über die späteren Anicier handelt Reines. Syntagm. Inscript, antiq. p. 63 — 72,
aber er gibt weder eine vollständige und wohlgeordnete Zusammenstellung, noch
ist er frei von Unrichtigkeiten. Soweit Anicier als Stadlpräfecten von Rom Vor
kommen, sind die Nachweisungen bei Corsini, Praefect. urbis. Pis. 1763 meistens
brauchbar: er stützt sich nicht nur auf Inschriften, die er in ansehnlicher Zahl
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. ßd. II. Hft.
20
382
Asch 1» a c h
die zahlreiche weitverzweigte Familie in vier Hauptlinien: es
waren diese die .4 in liier 1 ), A u chenie r, P i n <* i e r und
Petronier 8 ). Nach den Beinamen, welche diese Hauptstämme
führten, werden sie auch als Paulini, Bassi, Olybriis) und
mittheilt, sondern auch auf das alte Consuln- und Präfecten-Verzeichniss: Ex
temporibus tiallieni quis quantum temporis Praefecturam urbis adininistraverit ab
a. 254 ad a. 354. Abgedr. im App. ad Chronic. Paschal. ed. Bonn. 11. p. 194 sqq.
De Bossi Inscript. Christ. Rom. 1861. Vol. I. bietet nur Weniges über die Anicier.
*) Amnii ist der richtige Naine, der gewöhnlich in die falsche Form Annii entstellt
wird. Die Inschriften müssen hier entscheiden: die bei den Schriftstellern vor
kommenden unriehligen Lesungen sind nach jenen zu verbessern. So muss die bei
dein Dichter Claudianus gebrauchte Form Anniadae in Amniadae verändert werden
und auch in Auson. Carin. in Petronium Probum v. 31 sqq. ist nach der gewöhn
lichen Lesung:
Qui vicit aevi injuriam
Stirpis uovator Anniae,
Paribus coinit infulis
Aniciorum stemmata
Anniae in Amniae zu verbessern.
2 ) In der von Gruler. 352, 5 (vgl. unten Anhang n. 36) mitgetheilten Inschrift auf die
Anicia Faltonia Proba wird ihr das Prädicat Amnios, Pincios Aniciosque decorans
beigelegt: es soll damit bezeichnet werden, dass die Proba die Amnier, Pineier
und übrigen Anicier (d. i. die Auchenier und Petronier) schmücke. Weder der
Dichter Claudian,, noch der Geschichtschreiber Ammian Marcellin, die so viel mit
einzelnen Aniciern sich beschäftigen, nennen sie mit dem allgemeinen Geschlechts
namen : der erstere gebraucht dafür die Benennung Auchenii, der letztere gibt
nur die weiteren Beinamen der Individuen. — Auch die Neueren unterscheiden
die Linien nicht genau und klar. So auch Reumont, Gesch. der Stadt Rom I.
S. 288: Von den Dichtern werden sie (die Anicier) Amnier und Auchenier genannt
und im 4. Jahrhundert sind mit ihnen verschmolzen die Bassi und Olybrii und
theilten sich in Linien.
®) Prudent. in Symmach. üb. I. v. 551 sqq.
Jamque ruit —
Atque ad Apostolicos Evandria curia fontes
Anniadum soboles et pignora clara Proborum.
Fertur enim ante alios generosus Anieius urbis
Illustrasse caput: sic se Roma inclyta jactat.
Quin et Olybriaci generisque et nomine heres,
Adjutis fastis, palmata insignis ab aula (abolla?)
Martyris ante fores Bruti summitlere fasces
Ambit et Ausoniam Christo inclinasse sccurim.
Non Paulino rum, non Bassoruin dubitavit
Prompta dare fides se Christo stirpemque superbam
Gentis Patriciae venturo attolere seclo.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
383
Probi ‘) bezeichnet. Aber die Hauptstämme hatten wieder ihre Ab
zweigungen: die Paulini zerfielen in die Fausti, Cocceji. Acilii; die
Olybrii in dieFaltonii und Turannii; die Probi in die Probini und Maximi.
Von den Aucheniern sind keine Unterabtbeilungen bekannt. Durch
Wechselheirathen und Vererbungen verschmolzen die Linien wieder
mit einander 2 ). Solche vereinigte Familien bezeichneten durch Häu
fung ihrer Beinamen ihre nähere Verwandtschaft oder Herkunft von
dem einen oder anderen Hauptstamme. Die Benennung einer Haupt
linie verdrängte nicht selten den gemeinschaftlichen ursprünglichen *
Anicischen Namen: wenn Amnier, Auchenier, Olybrier, Petronier
genannt wurden, so verstand es sich schon von selbst, dass sie dem
Anicischen Hause angehörten.
1. Die Amnii oder Paul ini.
Die Linie des Anicischen Hauses, welche unter dem Namen der
Amnier oder Paul ini, mit oder ohne den Beisatz Faustus vor
kommt, wird schon vor der Diocletianischen Zeit in hohen Staats-
ämtern, namentlich im Consulat und in der Präfectur der Stadt Rom
erwähnt. Ohne Zweifel gehörte zu dieser Linie der Consul Pau 1 i n u s,
der mit Kaiser Probus im Jahre 277 n. Chr. die Fasces führte 3 ).
1 ) Der Dichter Claudian (Panegyr. in Probini et Olybrii fratrum consul. V. 8fll.) spricht
ungenau nur von zwei Anicischen Hauptstämmen, den Amniern und Aucheniern:
Scis genus Auchenium, nec te latuere potentes
Amniadae: nam saepe soles ductoribus illis
Instaurare vias et cursibus addere nomen.
His neque per dubium pendet Fortuna favorem,
Nec novit mutare vices; sed fixus in omnes
Cognatos procedit honos: qnemcunque requires
Hac de stirpe viruin, certum est de Consule nasci.
Per fasces numerantur avi, semperque renata
Nobilitate virent: et prolem fata sequuntur
Continuum simili servanda lege tenorem:
Nec quisqnam procerum tentat, licet aere vetusto
Floreat, et claro cingatur Roma senatu,
Se jactare parem: sed prima sede relicta
Aucheniis, de jure licet certare secundo.
2 ) Gibbon hist, of the fall of the R. Emp. V. ch. 31. The several branches — united
by marriage or inheritance the wealth and titles of the Annian, the Petronian,
and the Olybrian houses.
3 ) Fast. Consul. ad ann. 277: Probo et Paulino. Cod. Justin. VIII. 2. Probo A. et
Paullino cons.
26*
384
iMiüBni
mix
A s c ii li a c* h
Das zweite Consulat bekleidete er 298 unter Diocletian lind im
folgenden Jahre die städtische Präfectur; er wird in beiden Ämtern
inii seinem zweiten Namen Faustus bezeichnet i).
Aus der Familie dieses Paulinus Faustus waren die während
der Constantinischen Regierung im Anfänge des vierten Jahrhunderts
vorkommenden Consuln und städtischen Präfecten aus dem Anicischen
Geschlechle, welche entweder einfach zu Anicius den Namen
Pa u 1 i n u s 2 ) oder Paulinusjunior s) führten, oder sie erscheinen
mit ihren sämmtlichen Beinamen, wozu vornehmlich C a e s o n i u s N i c o-
rnachus gehörten: so kommt ein Amnius Manius Caesonius
Nicomach us Anicius Paulinus 4 ) und ein M. Junius
Caesonius Nicomachus Anicius Faustus Paulinus vor 5 ).
Es war in der Kaiserzeit, namentlich im dritten und vierten
Jahrhundert, bei den vornehmen Familien gebräuchlich, dass die
Söhne zu den väterlichen Namen auch die der Mutter beifügten. So
nannte sich Anicius Faustus Paulinus, der Consul des Jahres 325,
der Sohn des Consuls Anicius Faustus Paulinus vom Jahre 298, nach
seiner Mutter, einer Tochter des Junius Caesonius Nicomachus, mit
dem vollständigen Namen M. Junius Caesonius Nicomachus Anicius
Faustus Paulinus, während sein gleichnamiger älterer Bruder zu den
Namen Anicius Faustus Paulinus den Namen des Grossvaters nüitter-
1 ) Fast. Cons. ad a. 298: Fausto II et Gallo; bei Eusebius: ’Avixtoi» <t>a.v<7T0V xai
^eß-/jfjov FaX^ou,* römische Inschrift bei Muratori 370, 2: Anicio Fausto et Virio
Gallo. Auch im Cod. Justin. II, 3, 21 und bei Idat. Fausto II, was bestimmen muss,
das erste Cousulat ins J. 277 zu setzen. Über unsern Consul Faustus und die auf
ihn bezüglichen Inschriften handelt Borghesi Oeuvres 111. p. Iü5.
2 ) In dem Verzeichniss der Stadtpriifecten zu den Jahren 331, 332 und 334. Vgl.
Corsini 1. c. Fast. Cons. ad a. 325. Paulino et Juliano ; ad ann. 334. Optato et
Juliano. [bei Athanas. ed. Mai: Nov. Bibi. Patr. VI. 72: Optato Patricio et Anicio
Paulino] ; ad ann. 335. Constantio et Paulino. Borghesi (Bulletin, dell’ Inst, di
corr. arch. 1858 p. 21. Vgl. Anh. n. 5) bezieht die dem Sextus Anicius Paulinus,
der zweimal Consul, Stadtpräfect und afrikanischer Proconsul gewesen, gewidmete
Inschrift auch auf die Constantiuische Zeit. Ein Stadtpräfect Anicius Paulinus,
welchen Corsini p. 269 ins J. 380 setzt (vgl. d. Inschr. unten Anh. n. 4] gehört
vielleicht auch einer früheren Zeit an. So auch der Consul Anicius Paulinus hei
Corsini p. 182. Vgl. Anh. 3.
8 ) Er wird auch Proconsul Asiae et Hellesponti genannt. Die ihn betreffenden In
schriften bei Grut. 1086, 5 und 353, 4 = Orelii 1080 und 1082. Vgl. Anh. 8 u. 9,
4) Gruter. 1090, 19. Heines, syntag. 460 Corsini 181. Y T gl. Anh. Nr. 2.
b ) Inschr. vom J. 321. Corsini p. 176. Vgl. Anh Nr. 1.
Die Anicier und die römische Dichterin Prohn.
385
lieber Seite, des Consuls Julianus Caesonius Nieomachus, sich
beilegte ').
Abzweigungen der Linie waren die Junier und Cocceier
mit und ohne den Beinamen Flavianus 2 ). Als Stadtprätect kommt.
31J Junius Flavianus vor 3 ). In gleicher Eigenschaft erscheint
392 und 399 Virius Nieomachus Flavianus 4 ). Demselben
Jahrhundert gehört an der afrikanische Proconsul Sex. Cocceius
Anicius Faustus Paulinus 5 ) und der Consular M. Cocceius
A n i ciu s Faustus FI a via nu s Pa tri ci u s 6 ).
Durch Verschwägerung kam auch das alte römische Geschlecht
der A c i I i e r mit dem Cognomen G1 a b r i o in die Familie der Amnier.
Sie führen gewöhnlich den Beinamen Faustus, aber auch Agina-
tius 7 ) und Severus 8 ) werden sie beigenannt. Sie kommen als
Stadtpräfecten, Consuln und Präfecti Praetorio vor, besonders im
*) Borghesi in der Erklärung der griechischen Inschrift des Consuls Nieomachus
Julianus (aus der Gallienischen Zeit): ßullettino archeol. Napolitan. nuov. ser.
a. IV. p. 89 und in Borghesi’s Oeuvres compl. T. V. p. 447 tll. Paris. 1869.
Borghesi (T. V. 447 und 450) gibt folgende genealogische Zusammenstellung,
die aber nicht auf ganz zuverlässige und sichere Daten sich stützt:
1. Anicius Faustus Paulinus (vollständiger mit den Namen M. Iunius Caeso
nius Nieomachus), Schwiegersohn des Consularen Iunius Caesonius Nieomachus
und Consul des J. 298.
2. Dessen Sohn Anicius Faustus Paulinus (vollständiger Sex tun Cocceius),
Consul im J. 325.
3. Dessen Bruder Anicius Julianus (vollständiger mit dem Namen Amnius),
Consul im J. 322.
4. Des vorgenannten Sohn Anicius Paulinus Junior (auch mit den Namen
Amnius Manius Caesonius Nieomachus), Consul im J. 334.
2 ) Flavianus ist auch ein Beiname der Anicier in der Olybrischen Linie mit den
Beinamen Clodius Hermogenes. Beines, syntagm. p. 66., wo ein Clodius Hennogenes
Flavianus angeführt wird in hohen Staatsämtern nach dem J. 363.
8 ) Corsini Praef. urb. ad an. 311.
Corsini 1. c. p. 294 und 303.
5 ) MafFei, Mus. Veron. p. 460. 1. Vgl. unten Anh. 7.
Orelli-Henzen Nr. 6408. Vgl. Anhang. 6. Die Inschrift wird fälschlich auf den
Consul Faustus des J. 298 bezogen ; sie gehört ins vierte Jahrhundert.
7 ) Anunian. Marcellin. XXVIII. 1. (im J. 368). Corsin. Praef. urb. p. 155. Anicius
Acilius Aginatius Faustus (zum J. 299). Gruter. 1067, 5. Muratori bestimmt dafür
das J. 424. Die Inschrift im Anh. 10.
Ein Acilius Severus ist 323 Consul. 325 Stadlpräfeel.
386
A .s c li 1) a e h
fünften Jahrhundert. Wichtig ist der Gonsul des Jahres 438 A n i c i u s
A c i I i u s Glabrio Faustus ').
Der Paulinische Zweig der Anicier erhielt sich noch nach dem
Untergange des weströmischen Kaiserreiches unter der Herrschaft
Odoakers und Theodorichs des Grossen in hohen Staatsämtem, nament
lich im Consulat. Als Consuln werden sie gewöhnlich nur einfach mit
dem Namen Paulinus oder F a u s t u s, auch A v i e n u s genannt; sie
werden mit dem Ehrennamen Flavins ausgezeichnet s).
Nicht unerwähnt ist zu lassen, dass der Dichter Paulinus,
der um die Mitte des vierten Jahrhunderts zu Bordeaux in Gallien
geboren war, 378 Consul suflectus gewesen. 389 Christ geworden
und 431 in hohem Alter zu Nola in Campauien als Bischof auf seinen
ererbten grossen Besitzungen aus dem Leben schied, zum Paulini
schen Zweige der Anicier gehörte. Sein vollständiger Name war
M e r op i u s A n i ci u s Po n t i u.s Paulinus 3). Der Dichter Ausonius
zählte ihn zu seinen innigsten Freunden 4 ).
2. Die Auchenii oder Bassi.
Der A uchen i er, als eines Zweiges der Anicier, geschieht erst
Erwähnung im vierten Jahrhundert; damals führen sie beständig den
') Muratori 404. 6. C,roter 192, 2. 344, 2. 471, 8. Orell. 3171. G910. (Vgl. im Anh. 11
und Gesta in senatu tirhis Romae de reeipiendo Tlieodosiano codice : Domino
FI. Theodosio Aug. et Anicio Aeilio Glabrione Fausto V. C. Coss. Es wird daselbst
der letztere illuster tertio expraefect. urbis, praefectus Praetorio et consul Ordi
narius genannt. Über diesen Anicius Acilius Glabrio Faustus, Sohn des Consuls
Acilius Glabrio Sividius Spedius, und Consul des J. 438, handelt Borghesi Oeuvres
compl. III. 508 und IV. 32.
2 ) Fasti consular. ad ann. 483: Fausto [Anicius Acilius Glabrio Aginatius Faustus]
ad ann. 490 Fausto [Flavius Faustus Junior v. c.]
ad ann. 498 Paulino
ad ann. 301 Fausto (Avieno.)
ad ann. 502 Probo et Flavio (Fausto) Avieno juniore
Der letzte Amnier, welcher unter der gothischen Herrschaft das Consulat
bekleidete, war im J. 334 Flavius Theodorus Paulinus junior. Es erwähnt des
altern Paulinus, Consuls des J. 498, Boethius in der Schrift de consolat. philos.
1. 4: Paulinurn consularem virum, cujus opes Palatinae canes jam spe atque ambi-
tione devorassent, ab ipsis biantibus faueihus traxi.
s ) Paulini opera. Antw. 1622. Dijon 1662. ed. Chifflet. Paris 1683. 2 Voll. (ed. Le-
brun). Verona. 1736. ed. Muratori. Neu aufgefundene Dichtungen und Beden edirte
A. Mai Rom. 1827. und im Spicileg. Vatic. IV. — La vie de St. Pauliu de Nola.
Paris 1743. Murator. <1 iss. IX. p. 816 über das Consulatsjahr des Paulinus.
^) Auson. Epist. XIX flgg. Vgl. Biilir. ohristl. Dichter n. Geschichtschreiber Roms.
S. 49—5 4.
Die Anicier uiul die römische Dichtei'in Proba.
3<S7
Beinamen Bassus, mit dem sie in den Consularfasten allein ohne
weiteren Beisatz bezeielinet werden. Da sie eine Hauptlinie der
Anicier bildeten, so gebrauchte man den Namen der Auchenier
auch öfter für eine allgemeine Bezeichnung der Anicier >).
Wenn auch zu vermuthen ist, dass die Consuln der Jahre 238,
239, 271 '-) mit dem einfachen Namen Bassus Auchenier gewesen
sind, so steht dieses docli nicht ganz fest. Aber es dürfte keinem
Zweifel unterliegen, dass die in der Constantinischen Zeit vorkommen
den Bassi Mitglieder der Anicischen Familie gewesen. Der dem Jahre
317 angehörende Consul Bassus führt den Namen Septimius
wie der Stadtpräfect des Jahres 318 3 ); er wird auch Julianus 4 )
genannt.
Im Jahre 339 kommt Junius Au chen ins Bassus als
Stadtpräfect in Rom 5 ) vor; er war einer der ersten aus der Anici
schen Familie, der zum Christenthum übertrat. Sein Sarkophag mit
einer Inschrift und bildlichen Darstellungen aus dem alten und neuen
Testamente hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten 6 ).
*) Der Dichter Ciaudianus nennt die Anicier im Allgemeinen Auchenii. Clibhon V.
ch. 31. not. 13 bemerkt darüber: The obscure name of tlie Auchenii bas
ainazed the crities: but tbev all agree, that whatever may be the true reading<
tlie sense of Claudian can be applied only on the Anician fainily.
2 ) Fast. Consul. a. 258: Tusco et Basso; 239: Aemiliano et Basso; 271: Aureliano
A. et Basso [M. Ceionio Virio Basso].
a ) Fast. Consul. ad a. 317. Cod. Theod. Septimius Bassus Cons.
4 ) Fast. Cons. ad ann. 317S bei Fea Fram.: Gallicano et Juliano. Vgl. Marin. Arval.
p. 149. 151. Not. 17. Corsini Praef. urb. p. 129. Schon unter Diocletian kommt
ein Proconsul Africae mit dem Namen Anicius Julianus vor.
5 ) Ammian. Marcell. XVII1. c. 11. Er starb als Stadtpräfect 359: Qui recens pro-
motus urbi Praefectus fatali decesserit inorte. Die dunkle, vielleicht corrumpirle
Stelle bei Ammian. Marc. XXVIII. 11 (J. 368) bezieht sich wohl auch auf einen
Stadtpriifecten aus der Familie der Auchenier: Tarratius Bassus postea urbi prae
fectus et frater eins Camenius et Marcianus quidam et Eusaphius omnes clarissimi,
areessiti in crimen, quod ejusdem conscii veneficii aurigam fovere dicebantur
Auchcnium. Valesius meint Tarrutius Bassus, den Corsini p. 290 im J. 390 als
Stadtpräfect anführt, sei identisch mit Anicius Auchenius Bassus, den Restitutor
generis Aniciorum.
fi ) Die Inschrift vom J. 359 bezeichnet ihn als Stadtpräfect, der im Amt gestorben
(Ammian. Marcellin. XXVIII. 11 bestätigt dies) und als Neophyt: sie ist abgedruckt
bei Corsini p. 224 und unten im Anhang Nr. 12. Gregorovius Gesell, d. Stadt Rom I.
S. 95. Not 2 und Reumont, Gesch. d. St. Rom I. S. 668 und 770 sprechen von
dem Sarkophag, der aus der Anicischen Grabcapelle in die vaticanische Basilica
tat?“' .«■*1'!!
388
Asch h n c h
Der bekannteste und angesehenste des Auchenischen Geschlechtes
war Anicius Auclieni us Bass us, der mit dem Ehrennamen Resti~
tutur generis Aniciorum ausgezeichnet wird '). Er war wohl der Sohn
des Stadtpräfecten Junius Auchenius Bassus, und erwarb sich in
einer Reihe von Ämtern und Würden vielfache Verdienste und allge
meine Anerkennung seiner Tüchtigkeit und ‘Thätigkeit. Er war zu
gleicher Zeit Praetor tutelaris, Proconsularis Campaniae und Praefectus
Urbia). Bei einer Mungersnoth, welche verschiedene Gegenden Ita
liens, besonders Campanien, stark heimsuchte (im J. 382) a), traf er
schleunige und durchgreifende Massregeln das Obel zu mindern und
bald zu heben. Es errichteten ihm daher zur dankbaren Erinnerung
an seine treffliche Verwaltung Städte und Bezirke Denksteine mit In
schriften, die seine Verdienste priesen 4 ). Auch von seiner Bauthätig-
keit haben sich Nachrichten erhalten 5 ).
Zwei spätere Consuln desselben Namens Anicius Auchenius
Bassus in den Jahren 408 und 431 ß ) waren ohne Zweifel seine
Nachkommen, der eine wahrscheinlich sein Sohn, der andere sein
Enkel.
Der Name Auchenius Bassus kommt dann weiter nicht mehr
vor in den römischen Aufzeichnungen. Die Linie erlosch wohl um
die Mitte des fünften Jahrhunderts.
3. Die Pincii oder Olybrii.
Die dritte Hauptlinie bildeten die Pineier, welche gewöhnlich
mit dem Namen der Ol y b ri er 7 ) bezeichnet werden. Sie kommen nicht
übertragen worden. Die Darstellung auf den» Sarkophag hält Reumont von be
deutenden» Werth für die erste Zeit der christlichen Kunst.
i ) Über ihn handelt A. Giorgi in» Bullettino dell’lnstit. di corr. arch. J. 1859. p. 45
und 52 und A. Garruci in demselben Bullett. J. 1858 p. 58 und 90 — 94. Letzterer
theilt mehrere Inschriften mit und widerlegt Bücking Adnotat. ad Notit. Rom.
imp., der die Lebenszeit unseres Auchenius Bassus ins J. 193 setzt.
a ) Nach der Inschrift bei Reines, syntagm. p. 395 und unten im Anhang l». 13. Von
Kaiser Theodosius war er als Untersuchungsrichfer bestellt in einer Erbschafts-
sache zu entscheiden. Symmach. üb. X. epist. 7.
3 ) Symmach. lib. X. ep. 36 und 61. II. ep. 7. Tillemont, hist, des Emp. V. 172.
4) Vgl. die Inschriften im Anhang n. 14—20.
5 ) Miiratori 464, 7. Mommsen J. R. N. n. 1418. und unten im Anhang n. 16.
ö ) Fast. Cousul. a. 408 : Basso et Philippo. (Orell. Inscr. n. 105 unrichtig bezogen
auf den Consul des .1. 408, anstatt auf den frühem Proconsul Campaniae); a. 431
Basso et Antiocho.
7 ) Man leitet den Namen Olyhrius von der alten thracischen Stadt Selybria, wo die:
Anicier, welche mit Constantin dem Grossen von Rom nach Constantinopel über-
Die Aiiicier und die römische Dichterin Prob«.
389
vor dem vierten Jahrhundert vor und zeigen durch ilire Beinamen
Hermogenes, Hermogenianus, AIy pius, A d eI phi us u. s. w.
dass griechische Familien mit ihnen verschwägert waren. Weitere
Benennungen der Olybrier sind J ulianus, Turannius, Falto-
nius. Mehrere führen auch den Namen Clodius oder Claudius.
Aurelius Hermogenes war 309 Stadtpräfect, und um dieselbe
Zeit begegnet uns ein Consularis M. Macrinius Vindex Hermogenianus;
ob diese zum Anicischen Geschlechte gehörten, ist freilich nicht fest
gestellt; dagegen gehört zum Olybrischeu Zweig der Turannier, von
welchen schon einer als Consul im J. 290 vorkommt, Anicius Jul i-
a n u s [Turannius], der 322 <) und 325 als Consul, 325 als Stadtpräfect
und später als Comes Orientis erscheint 2 ). Seine Enkelin war wohl
die Anieia Juliana Turannia, welche durch Heirath in den Petronisehen
Zweig überging 3 ).
Das bedeutendste Mitglied des Olyhrisch-Anicischen Zweiges in
der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts war Q. Clodius Her
rn ogeni anus01 ybriu s, der von dem gleichzeitigenPräfectusPrae-
torio (359) Ol yhrius Hermogenes Ponticus zu unterscheiden
ist 4 ). Q. Clodius Hermogenianus bekleidete eine Reihe hoher Staats
ämter: er war Consular-Vorsteher von Campanien, Proconsul von
Afrika, Stadtpräfect 5 ), Präfectus Praetorio von Illyricum und
siedelten, grosse Besitzungen erhielten. Reines. Syntagm. p. 68. Zosim. hist. II. 31:
(Kojvtjravrtvo?) xara<7x£ua<7ac otxi'ag ria\ rwv ex tyjs *yepou<7ta$ axoXoy-
Svjffaffiv aürcb. Zu den in der Constantinischen Zeit nach Byzanz gekommenen
römischen Senatoren gehörten sicher auch Anicier.
*) Fast. Cons. ad ann. 322: Prohiano et Juliano. Gruter. 364, 1. Petronio Prohiano
et Anicio Juliano Coss.
3 ) Man zählt diesen Julianus auch zu den Aucheniein, die aber nicht den Beinamen
Turannius führten.
3 ) Vgl. die Inschriften Anh. 29. 38. 39.
*) Ammian. Marcellin. XIX. 12. nennt heim J. 359 einen Hermogenes Ponticus prae-
fectus Praetorio und spricht daneben auch im J. 369 [XXVIII. 1 und 4] von dem
Stadtpräfecten Olybrius, den er wohl von Hermogenes unterscheidet. Hier ist noch
der in der Inschrift bei Reines, syntagm. p. 64 vorkommende Clodius Hermo
genianus Caesarius, s. Anh. 22, xu erwähnen. Ein Magister Ofüciorum Caesarius
kommt 397 als Consul vor. Über die verschiedenen Clodii mit dem Beinamen Her
mogenes oder Hermogenianus, die dem Anicischen Geschlechte angehörten, handelt
Reines. Syntag. p. 67.
5 ) Re> Ammian. Marcellin. XXIX. 6 wird er anstatt Clodius genannt Claudius; die
Stadtpraefectur fällt ins J. 371. Corsini p. 245 setzt sie ins J. 370, die Inschrift
aut ihn daselbst und bei Reines. 121, 5.
390
Asch h a c h
dem Orient, Consul im J. 379 zugleich mit dem Dichter Auso-
11 i11s ').
Der Bruder unseres Q. Clodius Olybrius Herrnogenianus war
Faltonius Probus Alypius, der während der Theodosianischen
Regierung (zwischen 375—395) Stadtpräfect war 2 ), nachdem früher
(351) ein anderes Mitglied der Olybrischen Familie, Clodius Adel
phius s), dasselbe Amt bekleidet hatte 4 ).
Die Erbtochter des Q. Clodius Herrnogenianus war Faltonia
Proba s), welche ihren Namen nach den Henenungen ihres Oheims
Faltonius Probus führte. Durch die Heirath mit Sextus Petronius
Probus, brachte sie ihrem Gemälde die Besitzungen und Reichthümer
ihres Vaters zu. Ihr ältester Sohn erhielt den Namen des Grossvaters
(). CIo d iu s A n icius Herm ogen ia nus01 y bri u s 6 ), seit welcher
Zeit die Olybrisch-Petronische Familie zugleich die Pincier und die
Petronier in sich schloss, obschon derFaltonische Zweig mit den Bei
namen Alypius und Adelphius noch weiter besonders florirte 7 ).
4. Die Petr oni i oder Pro bi.
Die Petronier, ein altes römisches Geschlecht, wurden
erst in der Kaiserzeit durch Heirath in die Anicische Familie aufge
nommen, und seitdem Sextus Anicius Petronius Probus sich mit der
Anicia Faltonia, einer Olybrischen Erbtochter, vermählt batte (vor
1 ) Fast. Consul. ad ann. 379: Ausonio et Olybrio. Gruter. 353. 2. Conjugi Q. Clodi
Hermogeniani Olybrii V. C. Consularis Campaniae, Proconsulis Africae, Praefccti
urbis, Praef. Praet. lllyrici, Praef. Orientis, Consulis ordinarii . . .
2 ) Srnet. Inscr. 136, 17. Baron, ann. eecl. ad a. 395. Vgl. unten Anb. n. 23 und 24.
8 ) Heines, syntagn». p. 07. Verzeichniss der Praelf. urb. bei Corsini p. 209.
**) Ein Alypius aus Antioehia kommt 304 unfer Kaiser Julianus als Procurator in
Britannia, dann in Pnlacstina, vor, mit der Mission den raschen Aufbau des Tempels
in Jerusalem zu beschleunigten. Ammian. Marcell. XXIII. 1. Von einem Alypius
nobilis adolescens wird 308 ebenda XXVIII. 1. gesprochen.
5 ) Über die abweichenden Ansichten von der Abstammung der Faltonia Proba wird
unten das Nähere angegeben.
6 ) Baron, ann. eccl. ad ann. 395 verwechselt die beiden Hermogeniani Olybrii mit
einander, indem er den altern den Vater der heil. Demetrias nennt, da diese doch
die Tochter des gleichnamigen jungem war.
7 ) Ein Alypius, der auch unrichtig Callepius und Calipius geschrieben wird, kommt
447 als Consul vor: Fast. cons. a. 447: Calepio et Ardabure; Graec. Fast. ’Apoa-
ßovpLov xod ’AXuttiou. Der Consul Adelphius erscheint Fast. Cons. 451 : Marciano
A. et Adelphio V. C.
Die Anicier und die römische Dichterin Proha.
391
371), gelangte das Petronisch-Olybrische Geschlecht an die Spitze
der Anieischen Familie.
Die Petronier führten die Beinamen Maximus und Pro
hlis, letzteren mit den Variationen Probianus und Prob inus.
Schon unter Constantin und seinen Söhnen werden die Petronier in
hoben Staatsämtern erwähnt; im J. 310 führt ein Probus 1 ) die Fas-
ces, 322 ist Petronius Probian us Consul -), 329 Stadtpräfect.
Petronius Probmus s) bekleidet 341 das Consulat, 343 und 346 die
städtische Präfectur*) Um diese Zeit(363) wird ein Legionsvorsteher
Petronius zum Patricius erhoben.
Der Sohn des Petronius Probinus war Sextus Petronius
Probus. der im ,T. 371 mit Kaiser Gratianus das Consulat führte«).
Seitdem er die reiche Erbtochter, seine Verwandte die Anicia Fal
ten i a Pro b a, geheiralhet hatte, trat er an die Spitze des Anieischen
Hauses, indem er in der Petronischen Familie die Namen und Besitzun
gen der Olybrier und Petronier vereinigte 7 ).
Sextus Petronius Probus hatte aus der Ehe mit der Faltonia
Proha drei Söhne: Q. CI o d i u s 01 yb r i u s H e r m o g e n i a n u s, der
nach seinem mütterlichen Grossvater benannt wurde; Petronius
Probinus und Petronius Probus, welche die Namen des Petro
nischen Geschlechts bewahrten. Die beiden älteren Söhne bekleideten
gemeinschaftlich das Consulat im J. 393, der jüngste führte es 406
0 Oroll. 3559. Bnlleltino dell’ Inst, di corr arch. 1858. p. 177.
2 ) Fast. Cons. ad ann. 322: Probiano et .luliano. Gruter 464, 1. Petronio Probiano
et Anicio .luliano.
3 ) In den fastis heisst er Probinus und Probianus. Murat. 377, 2 = Orell. 4033:
Antonio Murcellino et Petronio Probino Cos.s Die Inschrift ist verdächtig - . Probinus
ist die richtige Lesung - : MalTei M. V. 279, (i. Marini Arval. p. 382 Orell. 7333.
Socrat. Mist. eccl. II. 3.
4 ) Corsini p. 203. Vgl. unten Anh. Nr. 23.
■’) Ammian. Marcellin. XXVI. 6. Petronius ex Praeposito Martensium militiim promotus
repentino saltu Patricius, animo deformis et babitu.
(> ) Fast. cons. ad ann. 371. Gratiano Aug. II. et Probo. Gruter., Murat., Momnisen.,
Orelli nach Inschriften: Sextus Petronius Probus V. C. Fea fram. p. XCIV: DN. FL.
GRATIANO AVG. II ET PETRONIO PRORO COSS. Ausonius, der in seinen Gedichten
öfter des Petronius Probus gedenkt, nennt ihn in der Epistol. XVI Collegnm Augusti
eonsulis. Vergl unten S. 27. not. 7.
') Die näheren Mittbeilungen über Sextus Petronius Probus werden in dem folgenden
ihm gewidmeten Abschnitte gegeben.
392
Asch b a c h
mit Kaiser Arcadius. Durch die Heirath des Pelrouiers Q. Clodius
Oiybrius Hermogenianus mit einer Verwandten aus dem Oly(»rischen
Geschlechte, mit der Juliana Turannia, Enkelin des Anicius Ju
lianus Turannius, häuften die Petronier weiter die Reichthümer der
Anieierin ihrer Familie. Aus letzterer Ehe entspross die vom Kirchen
schriftsteller Hieronymus gepriesene heilige Demetrias i) und wahr
scheinlich auch ein Sohn Probus 3 ), der um 423 die städtische
Präfectur bekleidete und durch seine ausserordentliche Verschwen
dung Aufsehen erregte s).
Dem Petronischen Zweige des Anicischen Geschlechts gehörte
der reiche römische Senator Flavius Petron ins Maximus an;
er führte dreimal die Stadtpräfectur, zweimal das Consulat (433 und
443), war Praefectus Praetorio von Italien und wurde durch den Ti
tel Patricias ausgezeichnet. Nach der Ermordung Valentinians 111.
bestieg er (4oö) im weströmischen Reiche den Kaiserthron, den er
aber nur drei Monate bis zu seinem Sturze inne hatte. Von seinem
Sohne Palla dius.ist nichts Näheres bekannt 4 ).
Ein Sprössling aus dem Olybrisch-Petrouischen Geschlechte war
auch der römische Senator Anicius Oiybrius, der 464 mit llusti-
eius Consul war und durch die Heirath mit K. Valentinians 111. Toch
ter Placidia in Verwandtschaft mit dem byzantinischen Kaiserhause
wie auch mit der vandalischen Königsfamilie trat und dadurch sich
den Weg auf den weströmischen Kaiserthron bahnte, den er wenige
Wochen über ein halbes Jahr inne hatte (472) 5 ). Seine Tochter
Julia na 8 ) war an den byzantinischen Magister militum Areobindus
1 ) Über die Familie des Sext. Petronius Probus vgl. den folgenden Abschnitt.
2 ) Garrucci 1. c. nicht richtig: Le due case, cioe quella di Anicio Auchenio Basso
e quella di Anicio Ermogeniano Olibrio finirono nella santa vergine Demetriade,
unico pegno del matrimonio di Olibrio cou Giuliana.
8 ) Olympiodor. Excerpt. p. 470 ed. Bonn. Probus, der Sohn des Oiybrius (6 r.cdc
OXvßptov ist zu lesen anstatt 6 7raig ’OX v (X ~ C o - j), verwendete bei dem
Antritt der städtischen Präfectur doidexa xevrrjvaata y^pviov. Beines, syntagm
p. 67 nennt diesen Prohns einen Sohn des Alypius, da er an der corrumpirten
Stelle Olympiodor’s liest: 6 Kcdg ’AXvrciov.
Vergl. über Petronius Maximus unten den ihm gewidmeten Abschnitt und im
Anhang 40 — 43.
5 ) Vgl. unten das Nähere über den Kaiser Oiybrius.
ö ) Vgl. unten über sie das Nähere, ln einer sehr alten Handschrift des Dioscorides Kspi
ßoravwv xcd p'.£o)v auf der Hofbibliothek in Wien wird angegeben, dass der
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
3 9 3
verheirathet, welchen eine Fraction in Constantinopel 512 zum Kaiser
erheben wollte. Aus dieser Ehe sprosste Flavius Olybrius Junior,
der im J. 491 und 526 als Consul vorkommt i).
Das Petronisch-Anicische Geschlecht zählt gegen Ende des
fünften und im Anfang des sechsten Jahrhunderts noch mehrere Con-
suln aus seiner Mitte, deren Grade der Verwandtschaft zu einander
aber nicht zu ermitteln sind. Die Fasces führten: 471 Probianus,
489 Probinus, 502 und 513 Probus, 523 Maximus, 525
Probu s Junior2).
Zu welcher Linie des Anicischen Hauses die mit den Symma-
chern verschwägerte 3 ) Familie der ßoethier gehörten, ist nicht
zu ermitteln. Es ist aber sicher, dass sie Anicier waren 4 ). Sie standen
ein Jahrhundert hindurch in hohen Staatsämtern, und in drei Gene
rationen waren die ßoethier durch die Bekleidung des Consulats aus
gezeichnet.
Schon unter Kaiser Valentinian III. kommt ein römischer Senator
Boethius als Praefectus Praetorio vor; er war ein treuer Anhänger
des berühmten Feldherrn Aetius. Als dieser von dem Kaiser ermordet
wurde (454), traf den Boethius ein gleiches Schicksal wie seinen
Freund, auch er fiel als ein Opfer des kaiserlichen Misstrauens durch
Codex: cura et liberalitate .Tulianae Aniciae, Imperatoris Flavii Anicii Olybrii liliae,
geschrieben worden sei. Vgl. Lambecii Commentarii de Bibliothec. Vindobonensi
T. II. p. 119.
*) Vgl. unten das Nähere. Der Anicisch-Olybrischen Familie gehörte sicher auch der
in der Zeit Theodorieh’s des Grossen lebende Jurist und Redner Olybrius an, von
dem Cassiodor. Variar. VIII. 19 und Ennod. Epist. I. 24. II. 9. III. 2 sprechen. Sie
zählen ihn zu den römischen Grossen. Ein anderer Olybrius, der in Ravenna lebte
und aus einer der edelsten Familien stammte, wurde Mönch: er war wohl auch
aus der Anicischen Familie. Vit. ss. Hilarii et Olybrii Confessor. Ravennat. Reines,
syntag. p.69 zählt auch den Petronius, filius Probi, der um das J. 430 Bischof von
Bologna war, zu den Aniciern.
a ) Vgl. das Verzeichniss der Consuln von 482—334.
De Rossi, Inscript. Christ. I. p. 263 n. 613 gibt von dem Praefectus Anicius
Aurelius Symmachus, der ins .1. 419 gesetzt wird, eine Inschrift. Vgl. unten Anhang
n. 43. Sie gehört wohl in eine spätere Zeit.
4 ) Alte Vita Boethii in Obbarius Prolegg. p. XXVI zu Boethii de consolat. philos.
libb. V. Boetius ergo nominatus est Anicius eo, quod fuerit de {/euere Aniciorum.
Anicii autem dicti suntfabii quasi invicti: a/i/eosque namque Graece dicitur invictus.
3B4
Asch I» a c I«
Meuchelmord ‘). Dessen Sohn, der römische Senator Man lins Bo e-
thius, wurde nach dem Untergang des weströmischen Kaiserreiches
durch den Herulerkönig Odoaker im J. 487 zum Consul erhoben 2 ).
Seinem Sohne, dem berühmten Philosophen Anicius Manlius
(Torquatus) Severinus B-oethius») verlieh der ostgothisclie
König Theodorich noch grössere Auszeichnungen: er zog ihn
an seinen Hof als Patricias und Magister officioruin, machte ihn im
,1. 510 4 ) zum Consul und Hess seine beiden Söhne ebenfalls und
zwar gemeinschaftlich mit dem Consulat bekleiden (im J. 522) 5 ).
Der ältere von diesen wurde nach dem Vater seiner Mutter Rusticia,
nach dem römischen Senator Symmachus, genannt Flavins Ani
cius Symmachus, der jüngere behielt den väterlichen Namen
Flavins Anicius Boethius. Als später ilie Boethier und die
Symmacher von dem ostgothischen Könige auf das äusserste verfolgt
und der Philosoph Boethius wie auch sein Schwiegervater Sym
machus hingerichtet wurden (52(5)«),. scheint der ganze Zweig
der Boethier seinen Untergang im ostgothischen Krieg gefunden zu
haben. Als Totilas (546) Rom eroberte und den römischen Staat in
seine Gewalt brachte, geschieht keine Erwähnung der Boethier mehr:
es wird nur von dem Elende, worin sich Rusticia, die Tochter des
Symmachus und Wittwe des Philosophen Boethius, befunden, ge
sprochen 7 ).
*) Histor. Miscell. ed. Eyssenhardt p. 337. nennt den Boethius einen Senator nohi-
lissimns, die Prosperische Chronik bezeichnet ihn als Praefectus Praetorio, die
Chronik Marcellin’s als Amicus Aetii. Vgl. darüber unten das Nähere.
2 ) Fast. Consul. ad ann. 487. Boetlus V. C. Cos. (sine collega).
3 ) Der Name Torquatus wird ihm in den ältesten Berichten nicht beigelegt.
4 ) Fast, consul. ad a. 310. Boetius V. C. cos. (sine collega). Die Aufschrift der
Boethischen Trostschrift lautet nach dem Herausgeber Obbarius (Jen. 1843) im
Gothaisehen Codex: Anicii Manlii Severini Boetii V. C. et illustris excons.
ordinär, exmag. offic. atque Patric. philosophicae consolationis lihri.
5 ) Fast. Consul. ad ann. 322: Flavio Syinmacho et Flavio Boetio VV. CC. Vita Boetii
1. c. Duo filii ejus (Boetii) in consulatu permanserunt sub regia potestate. Boeth.
de eonsol. philos. 11. 3 spricht von den Feierlichkeiten bei dem Antritt des Consu-
lats seiner beiden Söhne.
6 ) Vita Boetii I. c. und der Anonymus Valesianus im Append. zum Ammian. Marcellin.
7 ) Procop de hello Gothic. III. c. 20.
Di«* Auicier und die römische Dichterin Proba.
Sextus Petronius Probus und seine Familie imTheodo-
s i a n i s c h e n Z e i t a 11 e r.
Die bedeutendste Persönlichkeit desAuicischen Geschlechtes im
vierten christlichen Jahrhundert war unstreitig Sextus Petronius
Pr ob us. Er stand an der Spitze der Anicier und des römischen
Adels überhaupt *). Man nannte ihn den Erneue rer des Auicischen
Geschlechtes 2 ). Seine Ungeheuern Reichthiimer, seine weitläufigen
Besitzungen nicht nur in Italien, sondern in (äst allen Provinzen des
Reiches im Occident wie im Orient, seine Stellung in den höchsten
Staatsämtern verliehen ihm ein ungemein grosses Ansehen und eine
wahrhafte Macht 3 ), welche die Kaiser selbst mit Eifer für ihre Inte
ressen zu gewinnen und zu verwenden bestrebt waren 4 ).
Sein Vater wie sein Grossvater hatten hohe Staatsämter be
kleidet 5 ). Der letztere Petronius Probianus war im J. 322 Consul
und erscheint 329 als Stadtpräfect; der Vater Petronius Probinus
führte 341 die Fasces, und 34S und 346 die städtische Präfectur«).
Petronius Probus selbst war zweimal Consul: das erstemal 371
mit Kaiser Gratianus 7 ), er führte den Vorsitz im römischen Senat
1 ) In den Inschriften heisst er: Gulmen Aniciae domus, culmen nobilitatis.
2 ) Auson. Epist. XVI Stirpis Novator Amniae (i. e. Aniciae).
3 ) Animian. Marcell. XXVII. 11. Probus — claritudine generis et potentia et opum
magnitudine cognitus orbi Romano, per quem Universum paene patriinonia sparsa
possedit, juste an secus non judicioli est nostri.
Im Epitaph. Probi: Laetabare prius mensae regalis honore,
Principis alloquio regia amicitia.
5 ) Epitaph. Probi:
Dives opum, clarusque genus, praeclarus honore,
Fascibus inlustris consule dignus avo. —
Consulibus proavis socerisque et consule major.
Auson. Epist. XVI. Ut hic (Probus) avi ac patris decus
Mixto refulgens sanguine,
Probianoque ac Anicio.
Die Inschrift bei Corsini p. 206 (Vgl. unten Anhang n. 25.) nennt Probinus
den Vater des Sext. Petronius Probus, Probianus den Grossvater.
6 ) Die Fasti consulares zu den betreifenden Jahren.
') Auson. Epist. XVI Probo Praefecto Praetorio ad librum, ut eat ad Probum:
Dico hunc senati Praesulem,
Praefectum eumlem el consulem —
A s c h li a e h
396
war Stadtpräfect (3ti‘J) und viermal Praefectus Praetorio für Italien,
lllyricum, Africa und Gallien, ferner Proeonsul von Africa '), und
zeichnete sich in mehreren Kriegen als Feldherr aus, wie auch durch
eine umsichtige und musterhafte Verwaltung der ihm anvertrauten
Provinzen 3 ). An der Donau (er lebte längere Zeit in der pannonischen
Stadt Sirmium) wehrte er mit Kraft und Vorsicht die Angriffe und
Einbrüche der Germanen und Sarmaten ab 3 ); in der Nähe von Mai
land kämpfte er für seinen Kaiser gegen den Usurpator Maximus. Als
er Praefectus Praetorio von Italien war, setzte er den Ambrosius (den
nachherigen Bischof, der damals noch Heide war) mit den prophe-
Collegam Augusti Consulis,
Columen curulis Romulae,
Primum in secundis fascibus.
Nam pTimus e cunctis erit
Gonsul, secundus principi.
Generi hie superstes aureo,
Satorque prolis aureae,
Convicit Ascraeum senem,
Quoi seculum omne ferreum :
Qui vincit. aevi injuriam,
Stirpis novator Anniae [leg. Amniae] :
Paribusque comit infulis
Aniciorum steminata.
Probuin loquor.
*) Inschrift auf Sext. Petron. Probus im Anhang n. 29: Sexto Petronio Probo V. C. Pro-
consuli Africae, Praefecto Praetorio quater Italiae, lllyrici, Africae, Galliarum,
consuli ordinario. — Epitaph. Prob.: Geminas consul reddidit ipse domos, Prae
fectus quartum toto dilectus in orbe.
2 ) Claudian. Panegyr. in consul. Olybr. et Probin. v. 55.
Non, mihi centenis resonent si vocibus ora,
Multifidibusque ruat centum per pectora Phoebus,
Acta Probi numerare queam, quot in ordine gentes
Rexerit, ad surnmi quoties fastigia juris
Vexerit, Italiae late quam frena teneret,
IUyricosque sinus et quos arat Africa campos.
3 ) Ammian. Marcell. XXIX. 6. Praefectus Praetorio agens tune (371) apud Sirmium
Probus, nullis bellorum terroribus assuetus, rerum novarum lugubri visu prae-
strictus — haerebat diu, quid capesseret ambigens. Ammian Marcellin ist im Ganzen
nicht sehr gut auf Probus zu sprechen, doch schimmert überall seine Parteilichkeit
gegen ihn durch. Claudian dagegen erhebt ihn zu sehr. Jedenfalls ist aber
die grosse politische Bedeutung des Mannes nicht zu verkennen.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
397
tischen Worten als Statthalter von Ligurien ein, ihn zur Gerechtig
keit auffordernd: Handle wie ein Bischofi).
Als Stadtpräfect von Rom oblag er unermüdet und auf das ge
wissenhafteste den Pflichten seines Amtes und hielt Ordnung und
Gerechtigkeit mit aller Strenge und in musterhafter Weise aufrecht,
so dass ihm die allgemeine Anerkennung und Dankbarkeit des Kaisers
wie des Volkes zu Theil wurde 2 ). Seine unermesslichen Reichtlnimer
und Schätze verwandte er grösstentheils zu gemeinnützigen und
wohlthätigen Zwecken s).
Dessen ungeachtet verblieben ihm von seinem unerschöpflichen
Einkommen noch Millionen übrig zur Errichtung der kolossalen
Bauwerke und prachtvollsten Paläste, welche das Erstaunen und die
Bewunderung der Zeitgenossen im römischen Reiche wie auch in den
benachbarten Ländern erregten 4 ). Es wird erzählt, dass persische
Grosse, welche damals das Abendland bereisten, vor allen anderen
merkwürdigen Dingen in Mailand die grosse Rednergabe des Bischofs
Ambrosius bewundern, in Rom die Paläste des Sextus Petronius Pro-
1 ) Vita Ambrosii. Cf. Baron, ann. eccl. ad ann. 395. IV. p. 727.
2 ) Ammian. Marcellin. XXX. 5. (a. 374) spricht allerdings nicht mit Lob von der
Präfectur des Probus. Hic eam (praefecturam) multis atque utinam probabilibus
modis in longum proferre gestiens, non nt prosapiae suae claritudo monebat, plus
adulationi quam verecundiae dedit. Doch wird bemerkt, dass von einer Seite
die administratio Probi in caelum erhoben wurde.
8 ) Dass der Dichter Claudian. im Pnnegyr. 1. c. v. 42 fll. die Farben etwas stark
aufgetragen habe, mag sein.
Hic non divitias nigrantibus abdidit. antris,
Nec tenebris damnavit opes, sed largior imbre
Sueverat innumeras hominum ditare catervas:
Quippe velut densos currentia munera nimbos
Cernere semper erat; populis undare penates;
Assiduos intrare inopes, remeare beatos.
Ähnlich ist es mit den Lobpreisungen in den Epitaphien: Virtutis, fidei,
pietatis, honoris amicus, parcus opuin nulli, largus ut ipse facit solainen. Die
Amtsführung des Probus als Stadtpriifect (368) wird von Ammian Marcellin. XXVII.
1 mehr getadelt als gelobt. Er schliesst. mit einer Charakteristik, die den Probus
ziemlich herabsetzt: (Probus erat) ita implacabilis et directus, ut si laedere
quemquam instituisset, nec exorari posset, nec ad ignoscendum erroribus inclinari:
ideoque aures non cera, sed plumbis videbantur obstrüctae. In summis divitiarum
ct dignitatum culminibus anxius et sollicitus, ideoque semper levibus morbis
afflictus.
4 ) Claudian. Panegyr. in Olybr. et Probin. consul. v. 30 sqq.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. II. Hft.
27
398
Aschbach
bus anstaunen wollten '). Es wurde damals sprichwörtliche Redens
art, den Anicischen Marmorpalast in Rom zu nennen s), wenn man ein
Bauwerk anführen wollte, das ebenso sehr durch seinen ungeheuren
Umfang Staunen erregte, als es durch die treffliche Architektur und
die verschwenderische Pracht in allen seinen einzelnen Theilen den
Beschauer mit Bewunderung erfüllte.
Ausser dem berühmten Marmorpalast, der mit Nero’s goldenem
Hause verglichen werden konnte, Hess Probus andere umfangreiche
Gebäude in Rom aufführen, welche ganze Stadtquartiere in sich fass
ten mit Plätzen, Strassen, Hippodromen, Gärten, Hainen, Seen,
Tempeln, so dass ein solches Gebäude als eine Stadt für sich be
trachtet werden konnte s).
Der Anicische Marmorpalast und ein Tlieil der andern Bauwerke,
welche Petronius Probus hatte aufführen lassen, lagen am Berge
Pincius zwischen den Sallustischen und Pompejanischen Gärten in
dem neuen Stadttheil, der durch die von Kaiser Aurelian errichteten
Mauern innerhalb der Befestigung Roms einbezogen worden war. Da
die Anicier schon früher in dieser Gegend, wo es eine Via Pincia und
eine Porta Pincia gab, Häuser und Gärten besassen, so mag ein Zweig
ihrer Familie von dem Orte ihrer Besitzungen den Namen Pincii er
halten haben. Ohne Zweifel ist es auch diesem Umstande zuzu
schreiben, dass der neue Marmorpalast D om us Pin ci an a genannt
wurde. Es haben sich von ihm kaum Spuren erhalten, es ist dieses
aber aus seiner frühzeitigen Zerstörung zu erklären. Als der West
gothenkönig Alarich im J. 410 Rom erstürmte, drang er zuerst durch
die Porta Salaria gegen die Sallustischen Gärten und das Pincianische
Quartier vor, so dass zunächst und am meisten dieser Stadttheil von
Plünderung, Verwüstung und Verheerung betroffen wurde 4 ). Von
*) Paulin. vit. Ambros. Manich. Epist.
2 ) Secundin. in Ambros, opp. bei Baron. Annal. eccl. ad a. 390. n. 34.
8 ) Olympiodor. Excerpt. p. 469. ed. Bonn. Claud. Rutil. Numnntin. Itinerar. v. Hl-
Heumont, Gesch. d. St. Hom 1.759 gibt ein griechisches Epigramm in der Übersetzung:
Ein Haus bildet die Stadt und tausend von Städten umschliesst sie:
Stadt wird ein jegliches Haus und die Stadt zu tausend von Häusern.
Olympiodor. a. a. 0. theilt ein kürzeres ähnliches Epigramm mit: Etc dopoS
adrv 7teXsi, noXig adtea [ivpia xsu^ei.
4 ) Procop. de bello Vandalico I. 2 p. 316. ed. Bonn. Ot dk vag olxiccg svsKprjdotv,
ai v9]<; ttvXyjS (r-rjg laXapiag) a^^tcra vjdav, iv alg vjv xat v? XlaXovdviov —
r)g 5yj va nXsldva vjpuxaura xat ig ip.k scrrvjxe.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
399
dem durch Feuer theihveise zerstörten Piiicianischen Palaste liess
hundert Jahre später der Ostgothenkönig Theodorich die Marmor
blöcke und Säulen abbrechen und nach Ravenna bringen zur Ver
wendung bei der Errichtung seiner dortigen Paläste ').
Auch ein grosser Gönner und Pfleger der Künste und Wissen
schaften war Probus; überhaupt zeigte er sich als Beförderer alles
Edlen und Guten und als ein wahrhafter Freund der Humanität, [n
seiner Umgebung lebten als seine Vertrauten und Freunde die gelehr
testen und gebildetsten Männer der damaligen Zeit, unter denen
besonders die Dichter Ausonius und Claudianus zu erwähnen sind 2 ).
Die frühere Lebenszeit des Anicius Probus fällt in die Regierung
des Kaisers Julianus Apostata, wo unter den vornehmen Römern das
Heidenthum noch vorherrschend war. Allerdings hatten seit Constan-
tins des Grossen Zeit sich einige Anicier dem Christenthum zuge
wendet, aber das Anicische Geschlecht in seiner Gesammtheit war
noch nicht förmlich dem neuen Glauben beigetreten, wenn auch seine
Hinneigung zu demselben nicht zu verkennen war. Sextus Anicius
Petronius Probus sprach sich in manchen Handlungen noch als Heide
aus 2 ), aber im Allgemeinen war er wie seine Familie, schon lange
der christlichen Lehre zugethan, ehe er öffentlich sich zu ihr be
kannte. Kurz vor derZeit seines Todes liess er, wie es auch Constantin
der Grosse gethan batte, sieb durch die Taufe förmlich unter die
Bekenner des christlichen Glaubens aufnehmen(vor 395) 4 ).
*) Cnssiodor. Variar. I. III. 10. Marmorn, quae de domo Pinciana constat esse
deposita, ad Ravennatem urbem — dirigantur. Im gothischen Krieg bei den
wiederholten Belagerungen und Erstürmungen Roms in der Zeit Belisar’s war die
Gegend bei dem Pincisehen und Salarischen Thor vorzüglich der Schauplatz der
Verwüstung und Zerstörung.
2 ) In den Inschriften erhält Probus die Prädicate: civis eximiae bonitatis, huma-
nitatis auctor, disertissimus, eruditissimus, literarum et eloquentiae lumen, auc-
toritatis exemplum, provisionum et dispositionum magister, moderationis patronus,
devotionis antistes etc. Die Freundschaft des Ausonius, der 379 mit dem Anicier
Olybrius Hermogenes Consul gewesen, erhellt aus seinem Briefe XVI ad Probum
und aus Claudiani Panegyr. in Consulat. Olybrii et Probini lassen sich dessen
freundliche Beziehungen zu der Familie des Probus entnehmen.
3 ) Man hat von ihm noch eine Widmung auf die Göttin Juno. S. im Anh. n. 26 die
Inschrift.
4 ) Nach dem Epitaphium: Jordane ablutus nunc Probus es melior. Vgl. Baron, ann.
eccl. ad an. 395. Corsini setzt den Tod des Probus schon um 476, was nicht
richtig ist; er starb sicher viel später.
27*
400
A s i* h 1) a c h
Seine Familie liess ihn in einer prachtvollen Grabcapelle, die
sie ihm zu Ehren erbaut hatte, beisetzen und seinem Andenken einige
Inschriften widmen, welche sich bis auf den heutigen Tag erhalten
haben <). Die Grabcapelle erhob sich auf dem Coemeterium ad fon-
tem S. Petri: es war eine kleine Basilica, an der Tribüne der grossen
Kirche angebaut. Sie führte die Benennung T e m p 1 u m Prob i. Papst
Nicolaus V. liess im 15. Jahrhundert beim Beginn des Neubaues von
St. Peter, zur Anlage der jetzigen Tribüne in besagter Kirche, die
Grabcapelle abtragen, und den mit Basreliefs geschmückten Sarko
phag des Probus in das Seitenschiff der Kirche von St. Peter, in
die Capelle der Pieta bringen a).
Nicht nur seine Familie, sondern auch Provinzen, Städte, Ge
nossenschaftenerrichteten dem berühmten Manne, welchen christliche
und heidnische Schriftsteller in ihren Schriften priesen, als Zeichen
ihrer dankbaren Erinnerung und Verehrung Denksteine und Monu
mente.
Anicius Probus hatte von seiner Gemahlin Faltonia Pr oha
drei Söhne: Olybrius, Probinus und Probus. Diese sämmtlichen
Glieder der Familie unseres Anicius nehmen eine nicht unbedeutende
Stellung in der Geschichte ihres Hauses ein.
Faltonia Proba stammte aus dem Anicischen Zweige der
Olybrier oder Pincier, welche ausser dem Beinamen Hermogenes auch
die Benennung Faltonius führten 8 ). Ihr Vater war der im J. 351 als
Stadtpräfect und im J. 379 als Consul 4 ) vorkommende Olybrier Q.
Clodius Adelphius Hermogenianus; ihr väterlicher Oheim hiess Fal
tonius Probus Alypius 5 ). Nach dem letztem führte sie ihre Namen
*) Baron, ann. eccl. ad a. 395. IV. p. 724. S. unten Anhang' n. 29 fll.
Abbildung des Sarkophags bei Baron, ad a. 395. p. 724. Vgl. Ciampini de sacris
aedificiis p. 94. Aringhi Roma subterranea, und Reumont Gesell, d. St. Rom.
I. S. 770, woselbst über den Sarkophag des Probus gehandelt ist. Gregorov.
Gesell, d. St. Rom I. S. 95. „Petronius Probus liess sich in jener von ihm erbauten
Capelle (templum Prohi) in einem Sarkophag beisetzen, der noch erhalten ist .
In der Note 2 dazu: „Maphaeus Vegius sah noch das templum Prohi, ehe es Nico
laus V. niederreissen liess und rettete die Grabschriften des Probus und der Proba,
s. seine Hist. Bas. Ant. S. P. IV. 109. 110.“
3 ) Vgl. oben. S. 22.
4 ) Daher konnte in der Inschrift auf die Faltonia Proba (s. Anhang n. 3(5) gesagt
werden: consulis uxori, consulis filiae, consulum matri.
5 ) Vgl. Anh, n. 23. u. 24.
Die Anieier und die römische Dichterin Proba.
401
Anicia Faltonia Proba. Sie wird als ein Muster einer treuen und zärt
lichen Gattin, einer liebevollen Mutter, einer streng sittlichen Matrone
gepriesen i), die durch ihre christliche Frömmigkeit sich auszeichnete.
Ihre Bildung war eine ungewöhnlich hohe. Frühzeitig war sie mit
den grossen römischen Dichtern , namentlich mit Lucan und
Virgil, auf das innigste vertraut und ahmte den ersten in einem
Gedichte über römische Bürgerkriege nach a ). Als sie aber Christin
geworden, wandte sie sich mit allem Eifer der Lectüre der biblischen
Bücher zu. Sie verfasste geistliche Dichtungen in einem Cento Vir-
gilianus in der Art, dass sie die vorzüglichsten Geschichten des alten
und neuen Testaments aus ganzen und halben Virgilianischen Versen
zusammengesetzt in dichterischen Erzählungen gab s).
Faltonia Proba stand schon in hohem Alter, als Alarich zum dritten
mal (410) vor Rom rückte und im Begriff war die Stadt wegen ihres
wiederholten Widerstandes und erneuerten Abfalls, auf das strengste
zu bestrafen und der Zerstörung preiszugeben. Dass der Westgothen
könig nach der Einnahme der Stadt sie nicht seine volle Wuth er
fahren liess, verdankte man der eindringlichen Fürsprache der Fal
tonia Proba. Dieselbe hatte zu öfterenmalen germanischen Kriegsgefan
genen in Rom eine sorgfältige Verpflegung angedeihen lassen, und der
Ruf von diesen den Stammgenossen erwiesenen Wohlthaten war
auch zur Kenntniss Alarichs gekommen. Es gab dieser daher den
Bitten der angesehenen römischen Matrone nach, bei der Plünderung
der Stadt, die Christen und ihre Kirchen zu verschonen und sie nicht
feindlich zu behandeln. Missgünstige Römer, die den Zusammenhang
der Sache nicht kannten, legten die Unterhandlungen der Anicierin
als eine Verrätherei und ein Einverständniss derselben mit den
Gothen aus, wodurch denselben die Eroberung der Stadt erleichtert
worden sei 4 ).
') Claiulian. Panegyr. in consul. Olybr. et Probin. v. 192 sqq. Er vergleicht sie mit
den (lüttinen .Inno und Pudicitia und es gipfelt seine Lobpreisung v. 197 sq.
Talern milln refert antiquis pagina libris,
Nec Latiae eecinere tubae, »ec Graeca vetustas.
Hieronym. ep. 8. Proba — nobilitate illustris, sanctitate etc.
3 ) Es ist dieses aus dem Vorworte der Proba zu ihrem Cento Virgilianus zu ver
muthen.
3 ) S. das Nähere darüber unten im Abschn.: Die röm. Dichterin Proba.
4 ) Procop. de hello Vandal. 1. c. 2. Tivig de ovy ovvoj f P’AXapiytp aXwvat
<pa<jiv, a).Xa npoßvjv ‘yuvaixa kIovto) re xai doErj sv *ye 'PeofMCieav ßov\y
402
A s c h 1) a c h
Die Faltonia Proba verwandte ihr enormes Vermögen theilweise
zur Gründung von Kirchen und frommen Stiftungen. Kirchenschrift
steller wie Johannes Chrisostomus sprechen von ihren weitläufigen Be
sitzungen, die in verschiedenen Gegenden des Orients zerstreut lagen.
Nicht nur eine lange Reihe von ihren Vorfahren wie auch ihr
Vater und ihr Gemahl waren Consuln; es stiegen auch ihre drei Söhne
zur höchsten Magistratur i) des Consulates empor. Mit Recht konnte
man sie Consuln-Mutter (consulum mater) nennen.
Von den drei Söhnen, welche sie ihrem Gemahle Petronius Pro
bus gebar, führten die beiden ältesten die grossväterlichen Namen.
Q. Clodius Hermogenianus Olybrius hatte die Namen des
mütterlichen Grossvaters, der andere Petronius Probinus war
nach dem väterlichen Grossvater benannt. Auf besonderes Ansuchen
des römischen Senats wurde das Petronische Brüderpaar wegen der
Verdienste des Vaters durch Kaiser Theodosius zum gemeinschaft
lichen Consulat erhoben (395) 2 ).
Clodius Hermogenianus heirathete eine Verwandte aus dem
Olybrischen Geschlechte, die Anicia Juliana Turannia»). Aus
dieser Ehe entspross die heilige Demetrias, von welcher einige
iirtijpavEOTärvjv (zäXiara ouaav oixrsZpou |/iv Xip.ii re xa't rfl aXXip xoixoiraBeia
8ia<pBsipofisvovg 'Pwpacouj, ot xai aXX^Xoiv vjövj i^evovTO. öpwerav 8s ok
käsa aövoüs £\it\g a^aSvi iniksXoinsi, toO te jrorapoü xai Xips’vos iy.op.ivov
npog r£>v jroXepi'wv, roZg olxiroag iyxeXevaaaätxi vuxroip ävocyvuvai vag
7rvXag. Baronius hat schon die Proba gegen die Anklage der Verrätherei vertheidigt.
Gregorovius Gesell, der Stadt Rom I. S. 148 nennt die Sache sonderbarer Weise
eine „Fabel, die von den Christen in Afrika mag erfunden worden sein“.
t) Hieronym. ep. 1 ad Demetrind. p. 72. Proba illa — — quam trium liberorum
Probini, Olybrii et Probi non fatigarunt ordinarii consulatus.
a ) Claudian. panegyr. in Olybrii et Probin. consulat. V. 142 AI. Fast, consul. a. 395.
Olibrio et Probino. de Rossi, Inscr. Christ. 1. p. 185 nr. 423. Olibrio et Probino
Coss. Vgl. Anh. unten d. Inscbr. n. 35 u. 40. Wenn Gibbon nach Claudinns Vor-
gang (v. 276) angibt, es sei ohne Beispiel in den römischen Annalen gewesen,
dass Brüder zu gleicher Zeit das Consulat bekleidet hatten, so ist das unrichtig.
In der Kaiserzeit kommt es mehrmals vor.
3 ) Vgl. Anhang die Inschr. n. 38 und 39. Die Juliana Proba war nicht eine Tochter
der Faltonia Proba, wie einige meinten, sondern deren-Schwiegertochter. Dass
filia öfter die Bedeutung von nurus bat, weist Reines, syntag. Inscr. p. 69 nach.
Augustin, in der Schrift de viduitate nennt die Proba ausdrücklich socrus
Julianae.
Die Anioier und die römische Dichterin Probn.
403
kirchliche Schriftsteller sprechen <). Es ist wahrscheinlich, dass aus
dieser Verbindung auch ein männlicher Nachkomme, Probus (er
wird ein Sohn des Olybrius genannt) stammte, der (um 423) bei
Übernahme der städtischen Präfectur eine ganz unmässige Verschwen
dung zeigte, indem er enorme Summen für Spiele und Geschenke
verwendete 2).
Von dem zweiten Sohne des Sextus Petronius Probus, dessen
Name Probinus war und der im J. 39ö mit seinem Bruder Oly
brius gemeinschaftlich das Consulat bekleidete, ist weiter nichts
bekannt s ).
Der dritte Sohn wie der Vater ebenfalls Petronius Probus
genannt, den eine Inschrift als Quaestor Candidatus 4 ) bezeichnet,
führte mit Kaiser Arcadius das Consulat im J. 406t 5 ).
Diesem Consul Anicius Probus wird ein kostbares Diptychon aus
Elfenbein mit kunstreicher Arbeit zugeschrieben, das nach Inhalt der
darauf befindlichen Schrift dem Kaiser Honorius gewidmet war. Auf
einer jeden der beiden äussern Flächen der Elfenbeintäfelchen ist der
bediademte Kaiser Honorius in voller Bewaffnung unter einem reich
verzierten Bogengewölbe dargestellt. Auf dem einen Täfelchen hält
der Kaiser in der Rechten die Kreuzesfahne oder das Labarum mit
der Aufschrift IN NOAUNE XPI- VINCAS SEMPER- In der linken
Hand hat er eine Kugel mit einer Victoria, welche dem Triumphator
die Palme reicht. Den Kopf des Kaisers umgibt ein Nimbus, worüber
die Worte stehen:
D • N • HONORIO SEMPER AVG.
*) Über die hi. Demetrias sprechen Hieronymus. Augustinus, Fulgentius. Vgl.
Reumönt, Gesch. d. St. Rom I. S. 815, wo auch die Dedicalionsinschrift auf die
Demetrias und ihr Sarkophag im Louvre erwähnt werden.
3 ) Olyinpiodor. excerpt. p. 470. ed. Bonn.
8 ) Vielleicht bezieht sich auf ihn Auson. Epigramm. CXVII. In Faustnlum staturae
brevis Anicii Probini.
**) Die Einladungen zu den circensischen Spielen gingen von den Quaestores Candidali
aus. Symmach. epist. VII. ad Auctar. Offero igitur vobis eburneum diptychum et
canistellum argenteum librarum duarum, filii mei nomine, qui quaestorinm munus
exhibuit. Der Kaiser Valentinian I. und seine nächsten Nachfolger stellten den
Missbrauch, solche kostbare Geschenke zu geben, ab und erlaubten den Consuln
nur elfenbeinerne Diptychen zu ertheilen.
ö ) Fast. Consular. a. 406.
404
A s c h h a e h
Diese lusehrift wiederholt sieli auch auf dem andern Täfelchen
hei der gleichen Darstellung des Kaisers, der hier nur anstatt des
Labarum die Lanze in der Rechten hält und die Linke auf einen
Schild stützt. Zu Füssen der beiden Kaiserbilder finden sich die
Worte:
PROB VS FAMVLVS VC- CONS- ORD-
Dieses Diptychon, welches man 1833 in der Kathedrale zu
Aosta aufgefunden haben will, hat manches Auffallende und der an
gegebenen Zeit nicht ganz Entsprechende, so dass die Authenticität des
Denkmals sich wohl in Zweifel ziehen lässt. Der neueste Erklärer des
Diptychon, E. Aubert ■), hat sich entschieden für die Echtheit aus
gesprochen, doch ist es ihm nicht gelungen, allen Bedenklichkeiten und
Einwürfen, die erhoben werden können, siegreich zu begegnen-).
*) In der Revue archeol. Nouv. Ser. V. vol. Paris 1862: L’emp. Honorius et le
consul Anicius Probus p. 161 fgl. Aubert gibt als Resultat seiner Untersuchung
p. 170: Le diptyque d’Aoste est st la fois consulaire et imperiale: il a ete sculpte
en 406, par ordre d’Anicius Probus, au moment ou il prenait possession du con-
sulat. Pour plaire s\ P empereur, le eonsul a rappele les honneurs du triomphe,
qu’Honorius recevait Ronte, en 404, en Souvenir de la victoire de Pollentia
A notre point de vue, le diptyque d’Aoste offre toutes les meilleures garanties
d’authenticite. Non serons heureux, si nous avons reussi s\ dissiper les doutes qui
avaient envahi certains esprits. Dass der Kaiser im Kriegscostüme gegen die ge
wöhnliche Sitte das Schwert an der rechten Seite hat und zugleich das Cinctoriunt
und den Baltheus trägt, dieses und einiges andere Auffallende in Diptychon hat
Aubert durch Vergleichung mit andern alten Denkmälern dieser Art zu rechtt'ertigen
versucht. Das sonderbar gebrauchte Wort Famulus in der Zusammenstellung mit
dem Worte consul vermag er aber nicht zu erklären, auch auf das Paläographische
mit den hesondern Eigenthümlichkeiten hat er keine Rücksicht genommen.
2 ) Nicht bloss das Wort Famulus in der Zusammenstellung mit V. C (Vir clarissimus)
und Consul Ordinarius macht das Alter des Denkmals verdächtig: es kommen
noch andere wichtige Momente hinzu, welche die Authenticität erschüttern. Die
am Schlüsse der Zeilen nach SEMPER AVG und ORD gesetzten Punkte wider
sprechen der alten römischen Epigraphik, wie auch die mittelalterliche Schreibung
und Verkürzung des Christus-Monogrammes; der Gebrauch des Prädicats Semper
Augustus in Inschriften ohne Pius Felix (P. F.) dürfte nicht in der Zeit des
Theodosius und seiner nächsten Nachfolger nachzuweisen sein; der Nimbus bei
einem christlichen Kaiser zur Bezeichnung des Wortes Divus erscheint unstatthaft,
ebenso wie die Zusammenstellung der Kreuzesfahne mit dem Christus-Monogramm
und der heidnischen Göttin Victoria. Es sind dieses offenbar Reminiscenzen an
Constantinische Denkmäler. Die Vermischung heidnischer und christlicher Vor
stellungen findet in der Zeit Constantin’s des Grossen ihre natürliche Erklärung,
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
405
Dass des Prohns Söhne und die übrigen Glieder der Anicischen
Familie in der Zeit der Regierung des Kaisers Honorius, wo durch
die Einbrüche germanischer Kriegsvölker in die apenninische Halb
insel das Bestehen des weströmischen Reichs selbst in Frage gestellt
wurde, fest und treu dem Theodosiauischen Hause ergehen waren,
zeigte sich bei mehreren Gelegenheiten, besonders aber bei der zwei
ten Einnahme Roms durch Alarich (409), als dieser zumGegenkaiser
Attalus aufstellte. Dieser, der zum Heidenthum hinneigte '), erhob
gleichgesinnte Männer zu den höchsten Staatsämtern und setzte
die Anicier sichtbar zurück, welche daher mit den neuen Verhält
nissen unzufrieden, sich zurückzogen und ihre grossen Reichthümer
wie auch ihren mächtigen Einfluss dem Gegenkaiser keineswegs zur
Verfügung stellten 2 ).
Die Kaiser Petronius Maximus und Olybrius aus dem
Anicischen Ge schlechte.
Als die Nachkommen Theodosius des Grossen in Byzanz wie in
Rom die Herrschaft führten, waren die Anicier an beiden Kaiserhöfen
die angesehensten und einflussreichsten Grossen. Besonders bedeu
tend war ihre politische Stellung im Occident: in Rom führten Mit
glieder ihres Geschlechtes fast beständig die städtische Präfectur
hundert Jahre später im Theodosianisehen Zeitalter vermied mail solche Zusammen
stellungen.
*) Da Attalus vor seiner Erhebung zum Kaiser Stadtpräfect war und unter Honorius
der Senat und die höheren Magistraturen nur mit Christen besetzt wurden, so hatte
er sich sicher nicht offen als Heide bekennen können. Den Gothen zu Gefallen
liess er sich von einem arianischen Bischof taufen. Gregorovius Gesch. d. St.
Horn I. S. 131: Attalus begünstigte das Heidenthum Öffentlich, indem er nicht
allein die Tempel wieder aufzuschliessen erlaubte, sondern selbst das Labarum
mit dem Monogramm Christi auf seinen Münzen (vgl. Vaillant, Numism. 111. p. 134)
ausliess und statt des christlichen Zeichens des Kreuzes die Lanze und das verpönte
Bild der römischen Victoria darin aufnahm.
2 ) Zosimus hist. Rom. VI. c. 7 gibt an, dass Attalus zur grossen Befriedigung einer
politischen Partei in Rom Lampadius zum Stadtpriifecten, Marcianus zum Praefectus
Praetorio, Tertullus zum Consul, lauter Männer, die der Anicischen Familie fremd
waren, erhoben habe, worauf die reichen Anicier unzufrieden und schmollend
sich von den öffentlichen Angelegenheiten zurückgezogen hätten. Er sagt: Movov
fie röv rcov Xs70(jt.sv&ov ’Avixcwv otxov iXvirsf. ra xoiv^? doxouvra kolgi \vai-
reXetv, ineidv; [movol rwv Travrwv (ojg sikslv) s-^ovre? t:\ovtqv im zcdg xoivcdq
sfiug^c'pcavov sv/rpa^iaic.
406
A s c h b a c h
und die Verwaltung Italiens: sie bekleideten häufig das Consulat und
wurden durch die hohen Titel Flavius und Patricius ausgezeichnet:
nach der Mitte des fünften Jahrhunderts gelangten sie auch auf den
abendländischen Kaiserthron. Die letzten Zeiten des weströmischen
Kaiserreiches sind auf das Innigste mit den Schicksalen und dem
Leben mehrerer Anicier verflochten.
Bei der sichtbaren Auflösung der römischen Herrschaft und dem
tiefem Eindringen des germanischen Elements in den Staatsorganis
mus, bildeten sich damals in Italien und vorzüglich in Rom, wo der
Senat wieder eine gewisse Bedeutung erlangte, drei politische Par
teien, welche in den Zielen, die sie verfolgten, ziemlich ausein
ander gingen. Die eine Richtung erstrebte eine Wiederherstellung
der alten Römerherrschaft: sie hielt fest am Heidenthum und bewahrte
sorgfältig die Reminiscenzen vergangener Zeiten. Die andere Partei
lehnte sich an die byzantinischen Kaiser und erwartete alles Heil von
der innigen Vereinigung Roms mit Constantinopel und der Befesti
gung der mit dem Christenthum erhaltenen neuen Institutionen. Indem
beide Richtungen die germanischen Hilfsvölker nur als Werkzeug
gebrauchen wollten, dessen man sich vorübergehend zur Erreichung
seines Zieles bediente, um es später zu gelegener Zeit wieder auf die
Seite zu werfen, erklärte sich eine dritte Partei, welche die beste
henden Verhältnisse in ihrer Unhaltbarkeit erkannte, für eine völlige
Regenerirung des römischen Staatswesens auf Grundlage der Ver
einigung und Verschmelzung des Romanischen mit dem Germani
schen. Mit dem Heidenthum sollte gänzlich gebrochen, Rom von By
zanz emancipirt, und der neue christlich-römische Staat im Abendland
selbstständig durch den Senat und die germanischen Kriegsführer
aufgerichtet werden. Zu dieser dritten Partei gehörten die Anicier
und gaben ihr durch ihren ungemein grossen politischen Einfluss Be
deutung und Ausbreitung. Da sie unter den römischen Senatoren zu
den ersten gehörten, welche sich entschieden für das Christenthum
erklärt hatten, da sie ferner mit den germanischen Heerführern in
römischen Kriegsdiensten häufig freundlichst verkehrten, und einer
Verständigung mit ihnen das Wort redeten, so waren sowohl die
heidnischen Altrömer wie die byzantinische Partei nicht selten erbit
terte Gegner der Anicier, welche man als Verräther an dem echten
römischen Wesen zu verdächtigen suchte *).
’) Procop. de bell. Vandal. 1. c. 2. Cf. Tillemont hist, des Empereurs IV. 183. V. 44.
Gibbon Rom. Emp. V. ch. 31.
Die Anieier und die römische Dichterin Proba.
407
Diese eigenthümlichen Zustände in Italien traten recht sichtbar
heim Tode Valentinians III. an den Tag. Für diesen schwachen abend
ländischen Kaiser, den Enkel Theodosius des Grossen, hatte lange
die Mutter Placidia die Zügel der Regierung geführt, indem Aetius,
ein ausgezeichneter Feldherr, an der Spitze des Heerwesens gestan
den. Nachdem derselbe durch den glänzenden Sieg über den Hunnen
könig Attila das Reich gerettet hatte, kam fast die ganze Regierungs
gewalt in die Hände des mächtigen Heerführers. Er ging offenbar dar
auf aus, seine Familie mit der Valentinians III. durch Heirath in
Verbindung zu bringen und dadurch seinem Sohne Gaudentius, der
eine kaiserliche Prinzessin. Eudoxia, heirathen sollte, den Kaiserthron
zu verschaffen. Mit dieser Sache war weder die byzantinische noch
die Anicische Partei *) einverstanden. Je eifriger Aetius die Heirath
betrieb, desto mehr boten die Gegner desselben Alles auf, ihn
zu stürzen. Valentinian wurde mit Argwohn erfüllt, Aetius be
drohe seine Regierung und sein Leben: der schwache Kaiser sah
nur in einer Gewaltthat Rettung. So wurde Aetius meuchelmörde
rischer Weise aus dem Wege geräumt. Mit ihm fiel auch ein Anieier,
der sich von seiner Familie getrennt und dem Aetius und seinen Plänen
angeschlossen hatte. Dieser Anieier war der römische Senator Roe-
thius, Praefectus Praetorio, Grossvater des Philosophen Roethius a ).
Mit dem Sturze des Aetius gelangte der römische Senator
Petronius Maximus, der damals an der Spitze der Anicischen
Familie stand s), in die besondere Gunst des Kaisers: dieser zog ihn
in seine nähere Umgehung und schenkte ihm vorzüglich sein Vertrauen.
Petronius Maximus hatte wie viele seiner Vorfahren eine Reihe
von hohen Staatsämtern bekleidet: viermal hatte er in Rom die städ-
1 ) Jordan, de regn. suecessioue: Maxinii Patricii, cujus etiam fraude Aetius perierat.
2 ) Marcellin. Coinit. Chronic, nennt den Boethius einen amicus Aetii, die Prosperische
Chronik gibt ihm die Bezeichnung' Praefectus Praetorio. Die Historin Miscella ed.
Eyssenhardt p. 337 berichtet: Valentinianus eum (Aetium) simuique Boetium sena-
torem nobilissimum gladio peremit.
3 ) Procop. de bell. Vandal. I. c. 4 berichtet, dass Petronius Maximus aus der Familie
des Spaniers Maximus gewesen, der zur Zeit Theodosius des Grossen als Gegen
kaiser aufgetreten war. Dieser falschen Angabe folgt auch Theophanes in seiner
Chronographie. Procopius selbst widerspricht sich, wenn er (de bell. Gothic.
IV. 34) den Anieier Maximus, der im J. 523 das Consulat bekleidet hatte (vgl.
Cassiodor Variar. X 11 und 12), einen Abkömmling des Kaisers Petronius Maximus
nennt.
408
A 8 c h li a c 1»
tische Präfectur geführt, zweimal das Consulat er war von Italien
Praefectus Praetorio gewesen,er wurde durch den Titel Patricius aus
gezeichnet und auf Antrag des Senats und kaiserliche Anordnung
wurde ihm eine Statue auf dem Forum Ulpium errichtet, deren In
schrift a ) seine vielfachen Ämter und Verdienste angab. Seine
unermesslichen Reichthümer und sein ausgedehnter Länderbesitz
lieferten ihm die Mittel mit fürstlichem Aufwand und in verschwende
rischem Luxus zu leben und in seine Umgebung ein zahlreiches Ge
folge von Freunden und Anhängern zu ziehen. Ungeachtet er fast
ganz den Zerstreuungen und Vergnügungen zu leben schien, entsagte
er doch nicht den ernsteren Beschäftigungen: er zog sich zeitweise
zum Studium der Philosophie zurück, welches ihm Genuss und Er
holung gewährte 3 ).
Aus dieser glücklichen Unabhängigkeit wurde er plötzlich in die
Intriguen und unruhigen Bewegungen des kaiserlichen Hoflebens ge
zogen. Der Kaiser Valentinian erhob ihn als seinen besonderen
Günstling zu den höchsten Ehrenstellen. Nachdem aber dessen
schöne Gattin von dem ausschweifenden Kaiser durch List verführt
und entehrt worden war 4 ), verwandelte sich die frühere treue An
hänglichkeit des Aniciers an die kaiserliche Person in die glühendste
Rache und in Todfeindschaft. Petrouius Maximus schloss sich
nunmehr an die Reste der Aetianischen Partei, welche ohnehin auf
das Verderben des Kaisers sann. Er gewann zwei Gepiden, welche
früher in Diensten des Aetius gestanden, zur Ermordung Valentinians,
als derselbe auf dem Marsfelde eine Musterung des in der Treue
schon wankenden Heeres vornahmDie Mörder brachten dem
i ) Fast. Consul. a. 433: Theodosio Äug. XIV et Maxirno; a. 443: Petronio Maxime II
et Paterio. Prosper. Ghron. Maximus vir gemini consulatus et patriciae dignitatis.
3 ) Diese Inschrift nebst drei andern bei Corsini p. 338—41. Gruter, 449,7 und 1080, 6.
Vgl. unten Anhang n. 41—44.
8 ) Sidon. Apollinar. (Epist. II. 13) schildert den Charakter, das Lehen und die
Beschäftigungen des Petronius.
Procop. de bell. Vandalic. II. 4 erzählt die Verführung der Gemahlin des Petronius
ausführlich, er verwirrt aber die Reihenfolge der Begebenheiten, wenn er nach
diesem Vorfälle erst die Ermordung des Aetius angibt. Die abendländischen
Quellen^wissen nichts von der Verführungsgeschichte, welche auch Evagrius- hist,
eccl. II. c. 7. erwähnt.
5 ) Dass Petronius Maximus der Urheber der kaiserlichen Ermordung war, sagt nicht
nur Procop. a. a. 0., sondern es melden dies auch die abendländischen Quellen -
Die Anicier und die römische Dichterin Froh».
40$)
Petronius ilt»s kaiserliche Diadem mul Streitross, und die Soldaten,
namentlich die hurgundisehen Miethsvölker, denen reichlicheSpenden
von dem Anicier zuflossen, zögerten nicht ihn sogleich zum Kaiser
auszurufen (16. März 455) ').
Der neue Kaiser suchte vor allen Dingen sich und seiner Fa
milie den Thron durch Verschwägerung mit den letzten Sprossen der
Theodosianischen Familie zu sichern und zu befestigen. Er bestimmte,
dass sein Sohn Palladius s), den er zum Cäsar erhoben hatte, eine von
den Töchtern Valentinians III. heirathe s) : er selbst wollte die kaiser
liche Witwe Eudoxia zur Gemahlin nehmen, welcher Verbindung die
selbe aber auf das entschiedenste widerstrebte 4 ). Zu ihrer Befreiung
aus der Gefangenschaft, worin sie Petronius Maximus hielt, rief sie
den Vandalenkönig Geiserich aus Afrika herbei 5 ). Kaum näherte sich
dieser mit seiner Flotte der Stadt, so brach daselbst ein Aufstand aus
(Juni 455). Das Volk und ein Tlieil der Truppen erhoben sieb. Pe
tronius Maximus suchte eiligst mit einer Kriegsschaar aus Rom zu
entfliehen. Jedoch gelang ihm dieses nicht. Kaum hatte man den
flüchtigen Kaiser auf der Strasse erkannt, als von allen Seiten Steine
auf ihn geworfen wurden, bis er getödtet war. Den vom Haupt ge
trennten Körper schleifte man durch die Strassen der Stadt und warf
ihn dann in den Tiberfluss, wie nach altem Herkommen bei dem Tode
Marcellin. Chronic. Valentinianus dolo Maximi Patricii, cuius et iam fraude Aetius
perierat, in campo Martio per Optilain et Transtilam, Aetii satellites — truncatus
est. Jordan, de reb. Getic. c. 45. Valentinianus Imperator dolo Maximi occisus
est. De regnor. success.: Valentinianus Imp. dolo Maximi Patricii — in campo
Martio per Obtilam et Transsistilam Aetii satellites — truncatus est. Hist. Miscell.
Valentinianus a Transila Aetii milite per consilium Maximi confossus interiit.
*) Jordan 1. c. Maximus tyrannico more regnum invasit. Marcellin. Chron. Maximus
invasit imperium. Prosp. Chronic. Sumsit imperium.
2 ) Sonst kommt dieser Name in der Anicischen Familie nicht vor: in den fast.
Consular. a. 41G wird Junius Quartus Palladius als Consul angeführt: ob dieser ein
Anicier gewesen, dürfte zu bezweifeln sein.
a ) Idat. Chronic. (Maximus) cum lilio suo ex priore conjuge Palladio, quem Caesarem
fecerat, Valentiniani filiain in conjugium tradidisset etc.
4 ) Procop. de bell. Vnnd. 1. c. 4. Ma^tfJt.0? xat rv^v rupavvtöa T£ EOöo^ta
^vvyiyovs ßia, yvirq 'yct.p vjizsp aurai £uvüjxei, rersXeurvpxsi ot) 7roXXa) Tzporspov.
Hist. Mise. I. c. Ilegni jura jam dictus Maximus apud urhem invadens et Eudoxiae
Valentiniani relictae vi sociatus. So auch Prosper. Chron. — Idat. Chronic, aber
spricht nur von der Heirath: cum relictam Valentiniani sihi duxisset uxorem.
5 ) Proeop. I. c. Marcellin. Chronic.
410
Aschbach
eines Tyrannen und Usurpators verfahren wurde *). Oie Regierung
des Petronius Maximus hatte drei Monate gedauert a ).
Nach einer vierzehntägigen Plünderung Roms durch die Vandalen
kehrte der König Geiserich mit unermesslicher Beute und vielen
Kriegsgefangenen nach Africa zurück. Unter den Gefangenen befand
sich auch die verwitwete Kaiserin Eudoxia mit ihren beiden Töch
tern. Die ältere, auch Eudoxia geheissen, wurde die Gemahlin Hune-
richs, Sohnes des Vandalenkönigs Geiserich.
Das weströmische Kaiserreich bestand nach dieser Katastrophe
nur noch zwei Decennien. Sechzehn Jahre lang herrschte der Sueve
Ricimir, an der Spitze der germanischen Truppen in römischen
Kriegsdiensten. Er setzte Kaiser ein und ab, oder er Hess den
Thron erledigt und regierte selbständig nach Gutdünken und Will
kür. In rascher Folge war nach der Ermordung des Petronius
Maximus der Kaiser Avitus erhoben, abgesetzt und ermordet worden:
gleiches Schicksal hatte Majorian, dem nach dem Willen Ricimir’s Li-
bius Severus folgte, und als dieser (465) mit Tod abging, blieb der
Kaiserthron unbesetzt zwei Jahre hindurch, bis von Constantinopel
aus Anthemius gesendet wurde und dieser mit Ricimir gemeinschaft
lich regierte. In der Zeit der Verwirrung und des Verfalls der alten
Auctorität gelang es dem römischen Senat wieder einiges Ansehen zu
gewinnen, und aus seiner Mitte erhoben sich einzelne vornehme Rö
mer zur Bedeutung, namentlich gewannen die reichen Anicier wieder
grossen Einfluss. Als Ricimir mit dem Kaiser Anthemius verfallen
und mit ihm in offenen Krieg gerathen war, schloss er sich an die
t) Sidon. Apollin. 1. c. und Panegyr. in Avit. 442. Diese Quelle gibt an, dass der
Kaiser zuerst von einem burgundischen Miethssoldaten niedergestossen worden
sei. Jordan, de reb. Get. c. 44 nennt einen quidam (Jrsus miles Romanus. Procop.
de bell. Vand. I. c. 5 und 9. Dieser spricht ausdrücklich von der Steinigung. Die
Hist. Miseell. Plurimis nobilibus seu popularibus ex urbe fugientibus, inter quos
etiain Maximus tyrannus fugiens a Romanis perimitur. Prosper. Chronic. Maximus
— quum ipse quoque data cunctis abeundi licentia trepide vellet abscedere, a
famulis reginae dilaniatus et membratim dejectus in Tiberim, sepultura quoque
caruit. Eckhel hält die Münzen des Maximus mit der Legende ANICIVS PETRO-
NIVS MAX1MVS für unecht.
2 ) Marcellin. Chronic. Maximus tertio tyrannidis suae mense, membratim Romae a
Romanis tractus discerptusque est. Idat. Chronic. Cum (Maximus) imperium deserere
vellet et Romam, vix quatuor regni sui meusihus expletis, in ipsa urbe tumultu
populi et sedi Jone occiditur militari.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba. 411
Anicier, und diese hofften in ihrem Ehrgeiz durch den mächtigen
deutschen Kriegsführer die höchste Gewalt zu erlangen.
Geiserich hatte in seiner veränderlichen Politik bald eine feind
liche, bald eine friedliche Stellung zu Byzanz eingenommen, je nach
dem ihn die Umstände auf die eine oder die andere Seite drängten.
Noch zu den Lebzeiten des Kaisers Libius Severus näherte er sich
dem Kaiserhofe von Constantinopel und um einen Beweis seiner
friedlicheren Gesinnung zu geben, sandte er die in Karthago gefangen
gehaltene Kaisers-Witwe Eudoxia mit ihrer jüngern Tochter Placidia
nach Byzanz, während deren ältere Schwester, die Gemahlin des van-
dalischen Königsohnes Hunerich, in Africa verblieb. Der Kaiser Leo
vermählte Theodosius des Grossen Enkelin Placidia mit dem Anicier
Olybrius *), dem reichsten und angesehensten römischen Senator, der
bei der Einnahme Borns durch Geiserich nach Constantinopel ent
flohen war 3 ), und zeichnete ihn nicht nur durch den Titel Flavius aus,
sondern erhob ihn auch zum Consul (464) »). So war der Anicier in
Verschwägerung mit dem Kaiserhause und mit dem vandalischen
Königsgeschlechte getreten. Da der von Constantinopel nach Italien
als Kaiser geschickte Anthemius, welchen Bicimir anfänglich anerkannt
und geschützt hatte, von Byzanz wie von dem deutschen Heer
führer sich unabhängig machen wollte, so verdarb er es auf beiden
Seiten und machte seine Stellung ganz unhaltbar. Der Kaiser Leo,
welcher im Jahre 471 mit dem Anicier Probianus das Consulat ge
führt hatte *), willfahrte dem Ansuchen des Vandalenkönigs 5 ) und
erhob den Flavius Anicius Olybrius, den Gemahl der kaiser
lichen Prinzessin Placidia, zum Kaiser des Occidents. Er sandte ihn
mit einer Flotte nach Italien; und zwar grade in der Zeit gelangte
diese in die Nähe von Born, als Bicimir nach einigen blutigen
Kämpfen mit Anthemius einen Tlieil der Hauptstadt erobert hatte e).
') Procop. de hell. Vandal. 1. c. S.
а ) Evagrii hist. eccl. II. 7.
3 ) Fast Consul. ann. 404. Fl. Rustico et Fl. Anicio Olybrio.
4 ) Fast. Consul. a. 471. Leone Aug. IV et Anicio Probiano. Über Probianus vgl.
Reines. Syntagm. p. 67.
5 ) Procop. de hello Vand. I. e. 6.
б ) Hist. Miscell. p. 341. Olybrius a Leone Augusto missns ad urbem venit vivoque ad-
huc Anthemio regiam adeptus est potestatem et Placidiam Valentiniani neptem
(filiam) principis duxit uxorem. Vgl. Evagrii hist. eccl. U. 7, u. 16.
412
A s e 1t 1) st o h
Olybrius zögerte nicht sich mit dem Sieger zu vereinigen,v
der ihn auch sogleich als rechtmässigen Kaiser aufnahm *). Die
nächste Folge dieser neuen Allianz war der gänzliche Sturz des
Anthemius, der sich noch einige Zeit in einem Tlieile von Rom be
hauptet hatte 3 ). Er wurde gelängen und hingerichtet, die Stadl
wegen ihres hartnäckigen Widerstandes geplündert und verwüstet.
Doch genossen die Sieger nicht lange die Früchte ihrer Erfolge.
Einer furchtbaren Pest, welche viele Tausende in der halbzerstörten
Stadt dahinraft'te, erlag schon am 40. Tage nach der Einnahme Roms
Ricimir (20. August): ein paar Monate später schied auch Olybrius
aus dem Lehen (October 472). Seine ganze Regierung hatte nicht
völlig sieben Monate gedauert s). Er hinterliess nur eine Tochter Na
mens J u 1 i a na *), welche später an den byzantinischen Magister Mili-
tum Areobindus, einen Abkömmling aus dem Theodosianischen Kaiser
hause, verheirathet wurde s). Aus dieser Ehe entsprosste Olyhrius
Nach Cassiodor. Chronic., Theophanes, dem Cuspinian. Chronograph, und der
Historia Miscella war Olybrius schon Kaiser vor dem Tode des Anthemius, was
Pagi in der Critica Baron, mit Unrecht bestreitet.
3 ) Jordan, de reb. Get. c. 45. Anthemius cum Ricimiro genero suo intestino hello
saeviens Romam trivisset, ipseque a genero suo peremptus regnum reliquit Olibrio.
Anders stellt die Erhebung des Olybrius das Chronic. Paschal. dar: ’Olvßpio?
irep.f3elS ev f Pwpt.$ und AeovroS ßoiGikiuq xai ß taubste viro r&v ixeXae
c Pwp.atc*>v, ixetGE ye Lp ot o vecrai ßctGiXevq. Nach Evagrii hist. eccl. II. 16
erhob Ricimir den Olybrius zum Kaiser. Gregorovius (Gesch d. St. Rom, I. S. 235),
der die Herkunft des Olybrius aus dem Anicischen Geschlecht unerwähnt lässt, gibt
nur allgemein an: „Schon vor der Einnahme Roms mit Bewilligung Leo’s zum
Kaiser ernannt, nahm er nun Besitz von dem Cäsarenpalast und liess sich vom
Senat in seiner Würde bestätigen.“
8 ) Jordan, de reb. Get. c. 45. Olibrio octavo mense in regnum ingresso obeunte.
Marcellin. Chronic. Olybrius — septimo mense imperii sui vita defunctus est.
Chronograph. Cuspinian. — Defunctus est imperator Olybrius-Romae X. Kal. Nov.
Hist. misc. p. 342: Mortuo Ricimere Olibrius Imp. Gundibarum eius nepotem
Patricium elTecit. Olibrius quoque dum septem menses imperium gessisset, morte
propria Romae defunctus est. Die Münzen des Kaisers haben die Legende: DN
AN1CIVS OLYBRIVS AVG. Auf der Kehrseite ein Kreuz im Lorberkranz, mit oder
ohne die Schrift SALVS MVNDI.
!i ) Über ihre grossen Reichthümer spricht Gregor. Tur. de Glor. Martyr. c. 133.
5 ) Chronic. Paschal. I. p. 594 ed Bonn. Ygl. Ducange, Familiae Byzantin. p* 74.
Gibbon, V. ch. 30. not. 111. Areobindus, who appears to have married the niece of
the emperor Justinian was the eighth descendant of the elder Theodosius. Ein
Areobindus, vielleicht ein Grossvater unseres Areobindus, war 434 Consul. Das
Chronicon Paschnle erzählt von der Juliana Patricia, sie habe (512) in Constan-
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
413
minor, der in der Zeit der Herrschaft des ostgothischeu Königs
Theodorich als Consul vorkommt •). Eine Kirche, welche der Kaiser
Olybrius mit seiner Gemahlin Placidia der hl. Euphemia in Rom er
richtet hatte, wurde nach dem kaiserlichen Namen bezeichnet 2 ).
Welche Rolle die Anicier unter den folgenden unbedeutenden
Kaisern Glycerius, Julius Nepos und Romulus bis zum Untergang des
weströmischen Kaiserreiches spielten, darüber liegen keine Nach
richten vor. Da aber bei der zunehmenden Gewalt der deutschen
Heerführer in römischen Kriegsdiensten, welche das Ende des Reiches
herbeiführte, der römische Senat noch die einzige eigentliche Aucto-
rität war, weiche einen gewissen gesetzmässigen Zustand aufrecht
erhielt, so waren die Anicier ohne Zweifel dabei besonders thätig, da
sie zu jener Zeit zu den einflussreichsten senatorischen Familien
gehörten.
Die Anicier in Italien unter der herulisehen und ost-
gothischen Herrschaft.
Den Untergang des weströmischen Kaiserreiches überdauerte das
Anicische Geschlecht: es behauptete sich trotz der grossen Staats
umwälzungen und politischen Veränderungen unter germanischen
Herrschern. Als der ostgothische König Theodorich der Grosse das
herulische Reich, welches Odoakar in Italien gegründet batte, stürzte
und seine eigene Herrschaft über die ganze apenninische Halbinsel
verbreitete, verkannte er nicht die grosse Schwierigkeit, die Re
gierung über ein Land von so gemischter Revölkerung zu führen.
Die eingewanderten Germanen konnten den friedlichen Besitz der
eroberten Länder nur behaupten, wenn sie sich mit den alten Ein
wohnern verglichen, einen geordneten Rechtszustand einrichteten
und dem Staat einen den neuen Verhältnissen angemessenen
Organismus gaben. Bei diesem Werke konnte der Gothenkönig
die Hilfe und Mitwirkung der Römer nicht entbehren. Er musste ihnen
tinopel den circensischen Spielen beigewohnt; da sei plötzlich der Ruf erschollen :
Areobindus sei Kaiser der Römer. Dieser habe sich dann, um den Verfolgungen des
K. Anastasius zu entgehen, übers Meer geflüchtet. Areobindus zeichnete sich später
als Held im Einzelkampfe aus und befehligte im byzantinischen Heere als Feldherr
gegen die Perser. Chronic. Paschal. 1. c. und Procop. de bell. Persic, I. 8
*) Chronic. Pasch, und Fast. Consul. ad ann. 491 u. 526.
2 ) Chronic. Paschal. p. 594.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. LX1V. ßd II. Hft. 28
414
A s c h 1) a c li
eine gewisse Autonomie zusiehern unter der Leitung des römischen
Senats, zu dessen hervorragendsten Mitgliedern die Anicier gehörten.
Da die alten Staatseinrichtungen grösstentheils beibehalten wurden
und die Anicier, welche bis dahin als die reichsten Römer die
höchsten Staatsstellen fast beständig inne gehabt hatten, den ger
manischen Gewalthabern schon aus Schonung ihrer Interessen sich
nicht feindlich erwiesen '), so war es natürlich, dass der weise Ost
gothenkönig Theodorich, welcher die allmälige Verschmelzung (lei-
germanischen und römischen Bevölkerung herbeizuführen beabsich
tigte, die höchsten Staatsämter römischen Senatoren, besonders aus
dem Anicischen Geschleckte übertrug. Namentlich war es das
Consulat, das noch immer bestand und als ein vorzüglich ehrenvolles
Amt galt, welches die Anicier bekleideten. Es existirten damals noch,
mit Ausnahme der Auchenischen Linie, die Hauptstämme des Ge
schlechtes: die Paulini oder Fausti, die Olybrii und Petronii nebst
einigen Nebenzweigen.
Auch unter der herulischen Herrschaft Odoakars hatte der rö
mische Senat mit gewissen Rechten der Regierung über die römische
Bevölkerung bestanden und eine Reihe von Aniciern batte das Con
sulat meistens ohne Collegen geführt : 483 Anicius Acilius Glabrio
Faustus, 487 Anicius Manlius Boethius (der Vater des gleichnamigen
Philosophen), 489 Anicius Probinus, 490 Flavius Anicius Faustus
junior, 491 Flavius Anicius Olybrius junior a).
Während der langen Regierung des oslgothischen Königs Theo
dorich, welche ein Menschenalter (von 493— 526) umfasste, finden
*) ln welchem Ansehen die Anicier in Italien in der ostgothischen Zeit standen und wie
man sie als das edelste römische Geschlecht betrachtete, darüber geben zwei Briefe
Cassiodors Aufschluss. Cassiodor. Var. X. ep. II. Maximo Domestico Theodahadus
Kex de concessione Primieeriatus. Anitios quidem pene principibus pares aetas
prisca progenuit: quorurn nominis dignitas ad te sanguinis fonte perducta collectis
viribus hilarior iiistaurata rutilavit. Quis ergo relinqueret in posteris minus honoris,
quos tarn diu constat fuisse praecipuos? Accusarentur saecula. si talis potuisset
latere familia. Und ep. 12. Neque enini fas est humile dici, qtiod gerit Anitius:
familia toto orbe praedicata, quae vere dicitur nobilis, quando ab ea actionis
probitas non recedit. Sed iis bonis addimus P. C. ul nostrae affinitati praecelsae
clara familiae vestrae gratia misceatur. Verum haue gloriam non sibi tarnen (tantum)
potest. unus assumere , quam nos prohamur Romano nomini (nomine) contulisse.
a ) Vgl. die Fast. Consular., Muratori (Jeseh. v. Ital. III. zu den betreffenden Jahren,
und Inschriften bei tiruter., Mommsen etc.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
41l>
wir last beständig' Anicier oder mit ihnen verschwägerte Senatoren im
Consulate. Als Anicier seihst sind anzuführen im Consulat (zum Theil
ohne Collegen) von folgenden Jahren:
498 Paulinus.
501 Avienus [Rufus Magnus Faustus Avienus].
502 Probus.
Faustus Avienus junior [Flavianus Faustus junior]
S04 Cethegus [Rufus Petronius Nicomachus Cethegus],
510 ßoethius (allein), der Philosoph.
511 Felix.
513 Probus.
522 Fl. Symmaehus
die Söhne des Philosophen ßoethius <)
Fl. ßoethius
523 Fl. Maximus (allein).
525 Probus junior.
526 Olybrius junior (allein) 2 ).
Der letzte Anicier, der unter der gothischen Herrschaft das Con
sulat bekleidete, war Flavius Theodorus Paulinus junior im J. 534 3 ).
Manche zählen denselben aber nicht zu den Aniciern, sondern zu den
Deciern, einem vornehmen senatorischen Geschlechte jener Zeit.
ln den letzten Jahren seiner Regierung, wo Theodorich mit Miss
trauen gegen die römische Bevölkerung erfüllt war, dass sie mit
Byzanz im Einverständniss gegen ihn und die arianischen Gothen con-
spirire, verfiel er auch mit dem Anicischen Geschlechte; ja er
V Boeth. de consol. phil. II. 3. Cum duos pariter consules liberos tuos domo provehi
sub frequentia patrum, sub plebis alacritate vidisti, cum eisdem in curia curules
insidentibus tu regiae laudis orator, ingenii gloriam facundiaeque meruisti, cum
in circo duorum medius consulum circumfusae multitudinis expectationem trium-
phali largitione satiasti.
2 ) Vgl. die Fast. Consular., Röm. Inschriften, Muratori Gesell, v. Italien, bei -den
betreff. Jahren, Concilior. act. Der Consul des J. 501 Avienus war Praefectus
Praetorio. Cassidor. Variar. VIII. ep. 20; der Consul des J. 523 Maximus war
Domesticus. Beim Antritte seines Consulats liess er Thierkämpfe halten ; er musste
die, welche bei diesem gefährlichen Schauspiel ihr Leben wagten, aus eigenen
Mitteln belohnen. Cassiod. Variar. V. ep. 42.
) Obschon noch einige Zeit in Constantinopel die Jahre nach Consuln gezählt
wurden bis 541, wo Basilius zuletzt die Fasces führte, so hörte doch im Occident
seit 534 die Einsetzung von Consuln auf: man zählte dann die Jahre post con-
sulatum Paulini.
28
41«
A s e li b a c li
verfolgte dasselbe ganz besonders: er liess die angesehensten Mit
glieder desselben wegen liochverrätherischer Verbindungen mit Cori-
stantinopel einkerkern, und selbst einige, wie den Philosophen Boe-
thius, der Consul, Patricius und Magister officiorum gewesen, hin
richten ').
Auch dessen hochbejahrten Schwiegervater, den Senator Sym-
machus, traf dasselbe Schicksal. Je mehr die Anicier von den
Gothen verfolgt wurden, desto mehr stieg ihr Ansehen in Constanti-
nopel 3 ). Der alleinige Consnl des Jahres 526, in welchem Theo-
dorich der Grosse starb, war Anicius Olybrius 3 ). Er war sicher nicht
von dem Gothenkönige, sondern von dem byzantinischen Kaiser er
hoben worden.
Damals herrschte noch in Constantinopel Kaiser Justinus, der
schon seinen Neffen Justinian zum Mitregenten angenommen. Beide
glaubten ihr Ansehen zu erhöhen und ihre Regierung zu befestigen,
wenn sie sich den Namen Anicius beilegten und dadurch ihre Ver
wandtschaft mit dem alten senatorischen Hause, welches mit der Theo-
dosianischen Kaiserfamilie verschwägert war, ausdrückten, Freilich
standen die beiden Kaiser Justinus und Justinianus sowohl nach ihrer
Abstammung 4 ) wie nach ihren Heirathen nicht mit dem Anicischen
1 ) Excerpt. Valesian. auctoris ignoti im Anhang zu Ammian Marcellin. Rex dolum
Romanis tendebnt et quaerebat, quemadmodum eos interficeret: plus credidit falsis
testibus quain senatoribus. TuncAIbinus etBoethius ducti in custodia ad Baptisterium
Ecclesiae. Rex vero — inaudito Boethio protulit in eum sententiam. Qui mox in agro
Oalventiano, ubi in custodia habehatur, misit rex et fecit occidi- Vgl. oben S. 20.
Der im 6. Jahrhundert lebende byzantinische Schriftsteller Johannes Lydus in der
Schrift de Magistratib. Rom. lib. I. c. 4. p. 124 erwähnt der Anicier unter den
vornehmsten römischen Geschlechtern und vergleicht sie mit den alten Familien
der Fabier, Cornelier und Julier.
8 ) Fast. Cons. ad a. 526. Dieser Olybrius war wohl der Sohn des Areobindus und der
Anicierin Julinna, der Tochter des Kaisers Olybrius, der im Chronic. Paschale als
der jüngere bezeichnet wird. 1. S. 594: Fewoc av~9jg, (\Y\axi8iagj ^O'K'jßpiog
’louXiavav rv^v •yevop.svyjv ^vvalxct ApEoßivdov roö [xeyalov roO [xovo-
p.a^yjö’avrog sv Iiepffirh, oiv^evvarai v ßp lo $ 6 p. lxp 6 g.
*) Sie stammten von einer barbarischen Familie aus Thracien oder Dardanieu. Gibbon
ch. 41 Not. 3 gibt die Notiz: Ludewig (Vit. Justiniani p. 127 —135) attempts
to justify tlie Anieian name of Justinian and Theodora, and to connect them with
a fainily from which the house of Austria bas been derived. Dass die Grafen von
llabsburg aus dem Anieisehen Geschleehte stammten, wollte der Abt Seifridus von
Zwettel in seiner Schrift Arbor Aniciann (Vienn. 1613) und Andere (Vgl. P^ 1 *.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
417
Geschlechte in Verwandtschaft, sie stellten aber solche dadurch
her, dass des Kaisers Justinus Neffe sich mit einer Anicierin ver
mählte, aus welcher Ehe Germanus entsprosste, der unter der Regie
rung seines Vetters dustiniau als Magister Militum Kriegsheere gegen
die Ostgothen befehligte. Derselbe heirathete die Mathasuenta, die
Enkelin Theodorichs des Grossen, die Witwe des nach Constan-
tinopel gebrachten ostgothischen Königs Witigis. Aus dieser Ver
bindung des Anicischen Hauses mit der ostgothischen Königs
familie der Amaler entsprosste der jüngere Germanus, welchem
vom kinderlosen Justinian die Kaiserherrschaft bestimmt war so
wohl im Orient wie im Occident. Der frühe Tod dieses Ger-
manus vereitelte den Plan ')• Als durch Belisarius Rom dem
byzantinischen Reiche wieder gewonnen wurde, besonders mit Hilfe
der dort mächtigen Senatoren aus der Anicischen Familie, gelangte
dieselbe wieder zu hohem Ansehen in Rom. Freilich traf sie auch
ganz besonders die Verfolgung der Ostgothen, als deren König Totilas
die Stadt eroberte (54t>) und die vornehmsten Anicier, die Senatoren
Maximus ä) und Olybrius, gefangen nahm in der Peterskirche,
wohin sie sich mit einer Anzahl vornehmer Römer geflüchtet hatten.
Totilas warf den beiden Aniciern wie den übrigen römischen Se
natoren, welche in seine Gewalt gefallen waren, ihre grosse Undank
barkeit gegen die gothische Regierung vor, unter deren Schutz und
Schirm sie in Ansehen und Reichthum gelebt hatten und von welcher
ihnen hohe Staatsämter übertragen worden. Ungeachtet dieser vielen
grossen Gunstbezeigungen hätten sie in verrätherischer Weise die
Byzantiner, die ihnen nur Übles zugefügt, herbeigerufen s ).
Lambecius in denCommentar. de bibliotheca Vindobonensi II. p. 119 tl. u. I. p. 106.
Herrgott, genealog. dipl. august. gentis Habsbnrg. I. Prol. p. LXIX sqq.) beweisen.
Es ist überflüssig diese abenteuerlichen genealogischen Versuche zu widerlegen.
Mascov, (lesch. d. Teutschen, I. S. 482, not. 1 hat sie schon gehörig gewürdigt.
*) Jordan, de reb. Get. e. 60. Mathasuentam jugalem ejus (Witigis) fratri (leg.
fratris filio) suo Germano Patricio conjunxit Imperator. De quibus posthumus patris
Germani natus est lilius item Germanus. In quo conjuncta Aniciorum gcns cum
Amala stirpc spem adhuc utriusquc gencris domino pracstante promittit.
2 ) Wohl der gleichnamige Consul des Jahres 523. Procop. de bell. Gothic. I. 25
spricht von einigen römischen Senatoren, die exilirt und später von Belisarius resti-
tuirt worden. Er nennt darunter Maximus: ov dy 6 7rpo7rarwp Ma^tp.og ro sg Ba-
Xevrtvtavöv ßaaiXia. itäSoS eip^aazo. Vgl. Procop. de bell. Goth. III. 20. IV. 34.
8 ) Procop. de bello Gothic. III. 20 II'. p. 263 fll. ed. Bonn. Dass die Anicier Maximus
und Olybrius dieselben gewesen, welche 523 und 526 das Consulat bekleidet hatten,
lsl höchst wahrscheinlich.
418
A s q h b n c h
Die Lage der Römer war damals eine höchst bedauernswürdige.
Die Senatoren, welche durch die Plünderung ihre Habe und ihr Ver
mögen verloren, waren genöthigt, mit Lumpen bedeckt und in flehen
der Haltung, ihren Lebensunterhalt zu erbetteln. Unter den Unglück
lichen fand sich die Gemahlin des Philosophen Boethius, die Rusti-
ciana, die Tochter des Senators Symmachus, welche den Hass und
die Erbitterung der Gothen gegen sich vorzüglich dadurch erregt
hatte, weil sie die römische Bevölkerung, um die Hinrichtung ihres
Vaters und Gatten zu rächen, zum Umsturz der Statuen Theodorichs
des Grossen in Rom aufgefordert und auch wirklich die Zerstörung
der gothischen Denkmäler zu Stande gebracht hatte. Desshalb wollten
die Gothen die Frau misshandeln, was aber der edle König Totilas
nicht zuliess *).
Die Anicier, welche Mitglieder des römischen Senates waren,
traf wie ihre Collegen ein hartes Schicksal durch die Ostgothen.
Wenn auch deren König Totilas Rom mit seinen Monumenten nicht
zerstörte, wie er anfänglich beabsichtigte, so riss er doch den dritten
Theil der Stadtmauern namentlich zwischen dem Pränestinischen
Thor und der Porta Pinciana nieder, und hei seinem Abzug aus
der Stadt nahm er alle Senatoren als Gefangene mit sich und
trieb die ganze Bevölkerungaus ihren Wohnungen ins Elend, so dass
Rom einige Zeit menschenleer blieb 2). Als Beiisar die Stadt wieder
besetzte und einen grossen Theil der vertriebenen Einwohner zurück
führte, richtete er auch die eingerissenen Mauern eiligst wieder auf,
zum Theil aus den Steinen der halbzerstörten Paläste: so mögen die
Reste der domus Pinciana in der Nähe der Porta Salaria Bau
material für die Stadtmauern geliefert haben. Auch mehrere von den
zu Capua in gothischer Gefangenschaft gehaltenen Senatoren wurden
durch einen Überfall der Byzantiner befreit und ihnen die Gelegen
heit geboten nach Unteritalien und Sicilien zu flüchten, wo manche,
wie die Anicier, grosse Besitzungen hatten. Andere Senatoren aber,
welche in Capua verblieben, wurden später von Totilas, als er sich
549 wiederum Roms bemächtigt hatte, dahin zurückgebracht, um mit
ihrer Hülfe für die römische Bevölkerung ein geordnetes Regiment
*) Procop. de bell. Goth. I. c. p. 365.
Jordan, de regnor. success. Cunctos senatores, demolitn Roma, Cainpaniae terra
trausmutat, Procop. de bell. Goth. 111. 22. Marcellin. Chronic. Cont.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
419
einzuführen. Aber eine Anzahl Senatoren wurde weiter in Campanien
in Gefangenschaft gehalten: diese fanden ihren Tod durch die von
Totilas befohlene grausame Hinrichtung, als Narses Rom abermals be
setzt hatte und im Begriffe stand der gothischen Herrschaft ein Ende
zu machen. Unter den Ermordeten wird Maximus, ein Anicier, wohl
derselbe, welcher 523 das Consulat bekleidet batte, namentlich an
geführt !).
Die Anicier waren auch die Stammväter von mehreren Päpsten.
Felix III., der vom J. 483—492 in der Zeit der Herrschaft der He
ruler und Ostgothen das Pontificat führte, gehörte der Anicischen
Familie an, wie auch Gregor I., der Grosse, welcher von 590 — 604
den päpstlichen Stuhl inne hatte. Dieser, der Sohn des römischen
Senators Gordianus, entsprosste in zweiter Generation aus der Familie
des Papstes Felix Hl. -), welcher wohl dem Zweige der Paulini oder
der Fausti angehörte. Diese legten sich auch den Namen Felix s) bei.
Gregor's hohe Stellung in Rom und seine grossen Besitzungen in
Italien und Sicilien, welche ihn in Stand setzten mehrere Klöster zu
stiften, bevor er Papst geworden war, werden dadurch erklärlich,
dass er aus dem erlauchten reichen Geschlechte stammte. — Die Ani
cier werden später in Rom mit dem Namen de Comitibus be
zeichnet, den die Italiener dann in die Benennung Conti veränderten.
Aus dem gräflich Conti'schen Hause leiteten eine Anzahl Päpste ihre
Abkunft ab; unter diesen Hadrian III., Benedict VIII., Johann XIX.,
Benedict IX. und X., Innocenz III. und Gregor IX. Es lässt sich daraus
entnehmen, dass die Nachkommen der Anicier noch in späteren
Zeiten in hohem Ansehen und grossem Glanze standen und das An
denken an ihre frühere Bedeutung nicht in der Erinnerung der
Römer erloschen war.
1 ) Procop. de bello Gothic. IV. 34. (TorSot) roüf llarptxtouc ä-avras Exretvav,
£v -<h; x«i Ma£i(/.o? vjv, o6~sp iv -ois efi-po'jäev Xo'-jfoij ip.vri7äviv.
2 ) Artaud hist, des Pontifs Rom. I. p. 388: S. Gregoire — ne vers Pan 340, devoit
le jour ä Gordien, senateur de depuis diacre-cardinal regionnaire, et ä
Siivie. dame tres-pieuse. R etait petit-neven da pape S. Felix III de la faiuille
Anicia, anjourd'hni Conti. — Gregorovins, Gesell, der Stadt Rom im Mittelalter
II, 31. Gregor stiftete ans seinem Vermögen 6 Klöster in Sicilien; daselbst lagen
Güter seiner Familie (der Anicier). Fr war früher auch Stadtpriilect.
s ) Pagi Pontif. Rom. I. 331. Baron, ad an. 483. u. Martyrolog. Rum. ad diem XXV.
Mens. Fehr.
420
A s v h I» a c li
ii.
Die römische Dichterin Proba.
In den späteren Jahrhunderten der Kaiserzeit versuchten sich die
römischen Dichter in einer eigenthümlichen poetischen Spielerei. Sie
eigneten sich die Werke der frühem grossen Dichter, namentlich
Virgils, ganz und gar in der Weise an, dass sie im Stande waren,
aus diesen Mustern Verse und Halhverse zu neuen poetischen Pro-
ductionen zu verwenden. Solche Machwerke wurden Cento n es») ge
nannt. In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts setzte ein
höchst frivoles Gedieht unter-dem Titel Cento nuptialis aus Virgi-
lianischen Versen der Dichter Ausonius zusammen. Andere fertigten
aus Virgil und Homer solche Compositionen, aber in ernsterer Rich
tung.
In diese Zeit der Centonen-Litteratur fällt auch ein Cento Vir-
gilianus, d. i. eine Sammlung von ganzen und halben Virgilianisehen
Versen, welche Geschichten des alten und neuen Testaments produ-
ciren a). Als Urheberin dieser eigenthümlichen Zusammenstellung
nennt sich die Dichterin selbst Proba. Sie widmete ihr Werk dem
Kaiser Honorius s) und versah es mit einem dichterischen Vorworte,
*) Isidor. Etymol. I. c. 39. Centones apud Grammaticos vocari solent, qui de car-
minibus Homeri vel Virgilii ad propria opera inore centonario ex multis hincinde
compositis versibus in unuin sarciunt corpus ad facultatem cujusque materiae.
2 ) Isidor. Etyrnol. I. 39. Denique Proba uxor Adelphi centonem ex Virgilio de fabrica
mundi et evangeliis plenissime expressit, materia composita seeundum versus et
versibus seeundum materiam coneinnatis. Vgl. unten Not. Isidor, de vir. illustr. c. 5.
8 ) Romulidum ductor, clari lux altera solis,
Eoi qui regna regis moderamine justo,
Spes orbis, fratrisque deeus, dignare, Marone
Mutato in melius divinum agnoscere sensum,
Scribendum famulae quem jusserat: hie tibi mundi
Principium, formamque, polos, hominemque creatum
Expediet liino ; Christi hic tibi proferet ortus,
Insidias regis, magorum praemia, doctos
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
42 t
worin sie angiht, dass die biblischen Geschichten mit den Worten
des grossen römischen Poeten erzählt werden und wobei zugleich die
fromme Tendenz der Verfasserin durchleuchtet, auf diese Weise die
Wahrheiten der christlichen Lehre zu verbreiten.
Da der Cento Virgilianus dem Kaiser Honorius gewidmet ist, und
die Verfasserin sich mit dem Namen Proba 1 ) bezeichnet, so hat
man über die Entstehungszeit sowohl, als über die Autorschaft feste
Anhaltspunkte, bei der sichern Voraussetzung, dass hier eine echte
alte Production vorliegt 3 ).
Da wir durch Isidorus Hispalensis, der im Anfang des 7. Jahr
hunderts schrieb, erfahren, dass er einen derartigen Cento Virgili
anus von einer römischen Dichterin Proba kannte, welcher wie andere
solche fromme Compositionen von Papst Gelasius (496) zu den
apokryphen Schriften verwiesen worden 3 ), so hat man keine
Discipulos, pelagique vias gressumque per aequor;
Hic fractum famulare jugum, vitnmque reductam
Unius ducis auxilio reditumque sepultae
Mortis et ascensum pariter sua regna petentis.
Haec relegas servesque diu tradasque miuori
Area d io: haec legat ille tuo generi, haec tua semper
Accipiat, doceatque suos Augusta propago
*) Nunc, Deus omnipotens, sacrum, precor, accipe carmen,
Aeternumque tui septemplicis ora resolve
Spiritus atque mei resera penetralia cordis
Arcana ut possim natis Proha cuncta referre. — —
Hinc canere incipiam: praesens Deus erige mentem :
V i r g i 1 i u m c e c i n i s s e 1 o q u a r p i a munera Christi:
Hem nulli obscuram repetens ab origine pandam etc
2 ) Johann. Vossius de Poetis iatinis bemerkt: Ambigunt alii, quia Isidorus eos (Cen-
tones Virgilianos) vel iis similes factos dicat a Pomponio nohili poeta. Isidorus
spricht von dem Cento Virgilianus des Pomponius. Etymol. I. 39. Dieser Pomponius
war demnach auch ein alter Dichter, der jedenfalls vor Isidorus gelebt hat.
3 ) Isidor. Hispalens. script. eccl. c. 3. Proba, uxor Adelphi Proconsulis, femina Inter
viros ecclesiasticos idcirco posita sola, pro eo quod in laudem Christi versata est,
componens centonem de Christo Virgilianis coaptatum versibus. Cujus quidem non
miramur studium, sed laudainus ingenium. Quod tarnen opusculum legitur inter
apocryphas scripturas insertum. So auch Sigebert. Gemblac. und Job. Trithem. in
ihren Schriften de script. eccl.: letzterer fügt einiges bei über die Gelehrsamkeit
der Proba im Griechischen, im Lateinischen und in der Metrik: sie habe um 430
gelebt und schliesst: Si quid amplius scripsit nescio.
422
A s c li h a c li
triftigen Gründe, das Alter des Cent» Virgilianus und die Autor
schaft der Dichterin Proba in Zweifel zu ziehen. Gegenstand der
Untersuchung wäre zunächst: wer war die Dichterin Proba? welche
Lebensstellung hatte sie und können ihre näheren Familienbe
ziehungen ermittelt werden? Grade über diese Punkte haben
sich in der Litteraturgeschichte verschiedene Ansichten geltend zu
machen gesucht.
Was den vollständigen Namen der Dichterin betrifft, so gab
man ihr auf das Zeugniss des Isidorus Hispalensis den Beinamen F al-
conia, nannte sie Gemahlin des Proconsuls Adelphius <) und
leitete ihr Geschlecht aus einer senatorischen Familie ab, daher
sie als clarissima femina bezeichnet wurde.
Weil aber in einem Manuscript des Isidorus Hispalensis an der
angeführten Stelle über die Proba dem Namen noch ein weiterer Zu
satz VAL beigefügt sich findet, so behauptete man, auf Grund der
verschiedenen Interpolationen, die Dichterin habe Proba Falconia
Valeria geheissen und sei die Gemahlin des Proconsuls Adelphius.
aus der bei Viterbo gelegenen Stadt Horta gewesen 2).
Durch die Inschriften auf die Anicia Faltonia Proba,
Gemahlin des Sextus Petronius Probus, wie auch durch die Erwäh
nungen der Kirchenschriftsteller von der ausgezeichneten Frömmigkeit
und hohen Bildung dieser im Theodosianischen Zeitalter lebenden ad
ligen Matrone haben sieb andere Gelehrte bestimmen lassen, unserer
clarissima femina aus dem Aniciscben Hause die Autorschaft des Cento
Virgilianus der biblischen Geschichten zuzuschreiben.
ln neuerer Zeit haben Literarhistoriker, die sich mit der Sache
nicht eingehend genug beschäftigten, eine arge Verwirrung in dieselbe
gebracht, indem sie die verschiedenen Meinungen über die Dichterin
*) In einem Isidorischen Ms. findet sich zu Proha, uxor Adelphi proconsulis die
Interpolation: quae cognomento Falconia dicitur. Sigebert. Geinbl. und Joh, Trithem.
welche Isidor. Hisp. ausgeschrieben haben, geben den Zusatz nicht.
a ) Th. de Simeonibus hist. diss. Rom. eccles. de tollenda penes gravissimos scriptores
inclita ambiguitate et confusione inter duas Romanas matronas, professione chri-
stiana celebres, videlicet Aniciam Faltoniam Probam, Sexti Probi V. C. uxorem,
Olybrii et Probini et Probi consulum matrem: et Valcriam Falconiam Probam,
Adelphii Proconsulis conjugem, poetriam ingeniosissimam, quae centonem Virgilii
de Christo confecit. ßonon. 1692. 4°. — Cf. Just. Fontanini, de antiquitatibus
Hortae. Rom. 1708. 4. II. p. 189—24o. Fabricius in der Note zu Isidor Hispiil- de
script. eccl. 5,
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
423
Proba hinsichtlich ihres vollständigen Namens, ihrer Herkunft und
Familienbeziehungen mit einander verschmolzen und confundirten ').
Wenn man in Erwägung zieht, daß die historische Persönlichkeit
der Valeria Falconia Proba, Frau des Proconsuls Adelphius, keine
feste Grundlage hat, sondern nur auf einigen nach Interpolationen
gemachten Überlieferungen beruht, dagegen die Anicia Faltonia
Proha, die Gemahlin des S. Petronius Probus, durch eine Anzahl
echter Inschriften und zuverlässlicher Berichte zeitgenössischer
Schriftsteller hinsichtlich ihrer Existenz in der Zeit des Theodosius
und Honorius, ihrer hohen Familienstellung wie auch ihrer unge
wöhnlichen Bildung und frommen Richtung vollkommen sicher
gestellt ist: so wird man nicht anstehen, die Autorschaft des Cento
Virgilianus nicht der Valeria Falconia Proha, sondern der Anicia
Faltonia Proha zuzusprechen.
Aber die Isidorischen Interpolationen sind beachtenswerth: sie
sind nicht ganz willkürlich gemacht. Wenn die darin vorkommenden
Versehen, Entstellungen und Missverständnisse berichtigt werden,
wird sich zeigen, dass sie nicht von einem Unwissenden herrühren,
sondern von jemand, dem die Familienbeziehungen der Proba bekannt
waren. Der unrichtige Name Falconia anstatt Faltonia lässt sich
leicht durch eine falsche Lesung oder durch ein Schreibversehen er
klären. Die zu Proha beigefügten Buchstaben, welche man VALeria
las, mögen corrumpirt sein und die Sigla CLF (Clarissima Femina)
geliefert haben. Der Beisatz uxor Adelphi Proconsulis ist eine unge
naue und missverstandene Angabe der Familienbeziehung der Anicia
Proba: sie war nicht Frau, sondern Tochter des Olybrius Hermo-
genes, mit dem Beinamen Adelphius, der nicht nur Consul und
Stadtpräfect, sondern auch Proconsul von Afrika gewesen war.
Den Namen Faltonia führte die Proba nach ihrem Oheim Prohns
*) Job. Vossius de Poet. lat hat Falsches und Richtiges: Honorii et Theodosii
junioris aetate fuit Proba Falconia scu Faltonia, uxor Adelphi, proconsulis viri,
matcr Julianae, sct. Demetriadis avia. ßiihr. die christl. Dichter u. Geschichtschr.
Roms. Karlsruhe 18116, S. 39. Über den Namen einer Dichterin herrscht grosse
Verschiedenheit, da neben den gewöhnlichen Namen Proba Falconia die Namen
Faltonia, Valeria Faltonia, Proba Valeria etc. fvorkominen. Bähr gibt weiter an:
Isidor nennt sie Gemahlin des Adolphus (sic), dagegen Funcke und G. J. Voss Ge
mahlin des Consuls S. Petronius Probus, dagegen schieden von dieser die Dichterin
Falconia Proba die Litterarhistoriker Saxe und Fabrieius und setzten sie ins
424
A s c h h a c ii
Alypius, der auch Faltonius hiess, eine Benennung, die bei den
Olybriern voi kommt *).
Wie bei den spätem römischen Schriftstellern leicht Irrthümer
mit unterlaufen konnten in ihren Berichten über früher lebende
Persönlichkeiten, zeigt Fulgentius Ferrandus^) bei der Erwähnung der
Römerin Proba. Dieser spricht offenbar von unserer Proba Faltonia,
wenn er ihre Abstammung aus einem Hause angibt, das von alten
Zeiten her eine lange Reihe von Consuln zu seinen Mitgliedern zählte.
Da er sie aber eine römische Jungfrau nennt, die durch Frömmig
keit und Bildung ausgezeichnet gewesen, so könnte man versucht
sein sie von der Gemahlin des S. Petronius Probijs, wie auch von der
Frau des Proconsuls Adelphius zu unterscheiden. Man würde somit
zu den beiden Frauen des Namens Proba noch eine dritte, die Jung
frau Proba erhalten, welcher die Anwartschaft auf die Abfassung des
Cento Virgilianus zugeschrieben werden könnte. Aber Alles, was
von der Dichterin Proba uns bekannt geworden, passt vollständig auf
die Anicia Faltonia Proba. Sie nahm als eine clarissima femina aus
einer der ersten senatorischen Familie eine hohe gesellschaftliche
Stellung ein (und zwar gerade in der Zeit des Kaisers Honorius, dem
J. 379. — Grässe, Lit.-Gesch. I. S. 268 behauptet, die Proba Faltonia aus Horta bei
Viterbo habe schon zu ihrer Zeit keine Ehre mit ihrem Cento Virgilianus ein
gelegt. Woher weiss dies der Literarhistoriker? Vielleicht aus Isidorus, dessen
Worte dieses aber nicht sagen.
*) Die Abstammung und Verwandtschaft der Faltonia Proba ist oben in dem genealo
gischen Abschnitt über die Anicisch-Olyhrische Linie dargelegt. A. Garrucci im
Bullettino delP Instit. di corr. arch. 1869. S. 58 fll. irrt, wenn er die Proba mit
dem Paulinischen Zweig der Anicier in Zusammenhang bringt: Probo uni alla sua
casa degli Anicii sposando Anicia Faltonia Proba, unica herede di Amnio Manio
Cesonio Nicomacho Anicio Paulino. Diese Ansicht Garrucci’s ist falsch : denn in
in der Zeit des K. Theodosius war die Linie der Pauliner oder Amnier nicht er
loschen. Mit Recht erklärt sich Garrucci gegen die Meinung Corsini’s (Praefect.
urb. p. 258), dass Prohns zweimal verheirathet gewesen: von der ersten Frau,
einer Tochter des Amnius Manius Paulinus, habe er und seine Söhne den Titel der
Familie Amnia, von der zweiten Gemahlin, der Anicia Faltonia, die des Anicischen
Geschlechts geführt. Reumont, Gesch. d. St. Rom, I. 812 hält den Consul des
J. 334, den Anicius Paulinus, für den Vater der Faltonia Proba, gegen welche An
nahme schon die Zeitfolge spricht, indem die Dichterin erst im dritten Deeennium
des 5. Jahrhunderts aus dem Leben schied.
2 ) Fulgent. ep. ad Gail II. c. 6 de statu viduar. Proba virgo liomana, virginitatis et
humanitalis exemplar, avis atavisque nata consulibus.
Die Anicier und die römische Dichterin Froh«.
42ä
der Cento Virgilianus gewidmet ist); sie war Dichterin, wie aus ihrem
poetischen Epitaphium auf ihren Gemahl Petronius Probus entnommen
werden kann; in ihrer Umgebung lebten die Dichter Claudianus und
Ausonius, Freunde ihres Hauses, und ihr Verwandter der fromme
Sänger Anicius Paulinus, Bischof von Nola, deren poetische Pro-
ductionen sie zur Dichtkunst angeregt haben konnten. In ihrem frü
heren Lebensalter, als sie wie ihr Gemahl noch dem Heidenthum zu-
gethan war, hatte sie sich in profanen Dichtungen versucht <), erst
später, nachdem sie Christin geworden und sich eifrig dem Lesen
biblischer Schriften zugewendet, widmete sie sich der frommen
geistlichen Dichtung und zeichnete sich durch Werke der christlichen
Wohlthätigkeit aus, indem sie wie der heil. Johann Chrysostomus, ihr
Zeitgenosse, berichtet, aus den reichen Einkünften ihrer von ihren
Vorfahren ererbten asiatischen Gütern kirchliche Stiftungen und
milde Anstalten errichtete.
Der Cento Virgilianus der Proba, welcher 719 Verse umfasst,
ist einzig aus Virgilianisehen Versen zusammengesetzt, die nicht nur
aus der Aeneide, sondern auch aus den Bucolicis und Georgiern ent
nommen sind: mit Virgils Worten werden die Geschichten des alten
und neuen Testamentes erzählt. Bei der gewaltsamen und gezwun
genen Anpassung der Phrasen des heidnischen Dichters an die bibli
schen Geschichten mussten Natürlichkeit und Klarheit nicht selten
darunter leiden. Das Verständniss wird oft nur durch die Zusammen
stellung mit dem entsprechenden biblischen Text ermittelt. Der hl.
Hieronymus s) tadelt daher solche biblische Centones, welche nicht
geeignet seien, die echte Überlieferung zu bewahren; von gleicher
Ansicht ging auch Papst Gelasius bei der Aufstellung der canoni-
schen Bücher aus, indem er die Centones zu den apokryphen
1 ) Sie sagt dieses selbst in dem Vorworte zum Cento:
Jam dudum temerasse duces pia foedera pacis,
Regnandi miseros tenuit quos dira cupido,
Diversasque neces regum, crudelia bella,
Cognatasque acies, pollutos caede parentum,
Insignes elypeos diverso ex hoste tropaea,
Sanguine conspersos tulerat quos Roma triumphos,
Innumeris toties viduatas civihus urbes,
Confiteor, scripsi: satis est meminisse malorum.
a ) Hieronym. ep. 103. ad Paulin.
426
A s e li b » c I)
Schriften verwies i). Von den biblischen Schriften hatte Proba wohl
eine alte lateinische Übersetzung vor sich, wahrscheinlich die soge
nannte ltala: sie kann aber auch die von dem hl. Hieronymus verfer
tigte Übertragung, die Vulgata, gelesen haben, da diese in der Theo-
dosianischen Zeit schon verbreitet war.
Der Cento Virgilianus zerfällt in eine ansehnliche Anzahl von
grösseren und kleineren biblischen Geschichten mit besonderen
Überschriften =). Er ist nicht selten gedruckt worden. Seit 1472, in
welchem Jahre die erste Ausgabe in Venedig erschien s), sind bis in
das 19. Jahrhundert eine Reihe Ausgabeu, manche auch mit Noten
ausgestattet, veröffentlicht worden 4 ).
Centones de Christo Virgilianis versibus compaganati apocryphi.
2 ) Als Proben folgen hier ein paar Geschichten:
Deus indieit utrique [Adae et Evae] mortem. [Nach Genes. III. 16].
v. 280. Haec tibi semper erunt. Tuque, o saevissima conjux
Non ignara mali, caput horum et causa malorum,
Nec quae circumstent te deinde pericula cernis.
Nunc morere, ut merita est, tota quod mente petisti;
Nec mea jam mutata loco sententia cedit.
Der erste Halbvers Haec tibi semper erunt ist aus der Eclog. V. v. 74, das
übrige aus verschiedenen Büchern der Aeneide entnommen. Der zweite Halbvers
Non ignara mali gehört der Aeneid. lib. I. v. 630, die andere Hälfte caput horum
et causa malorum Aen. XI. v. 361 an. Der dritte Vers steht Aen. IV. 361 etc.
v. 364. De Nativitate Christi (nach Matth. I. 23. Luc. II. 1).
Tumque aderat promissa dies, quo tempore primum
Extulit os sacrum divinae stirpis origo,
Missa sub imperio, venitque e corpore virtus
Omnipotens, subiit cari genitoris imago.
Nur im ersten Verse ist der Schluss quo tempore primum aus den Georgic.
1. 61, die übrigen Verse sind aus der Aeneide entnommen.
8 ) Sie hat den Titel: Probae Centonae (sic) clarissimae feminae excerptum e Maronis
carininibus ad testimonia veteris novique testamenti. Auf 11 Folioblättern im An
hänge zu Ausonii Epigrammatum libri Venet. 1472. Die zweite Ausgabe folgte bald
Romae 1487.
4 ) Im 16. Jahrhunderte erschienen die Ausgaben: Venet. 1301. in aedib. Aldii. Paris
1330 u. 1378, Colon. 1392, Helmstadt 1397. (cum notis var. emend. ab H. Meibom.)
Hai. 1719 (c. not. J. H. Kromayer). Später findet sich der Cento Virgilianus Proba
auch in den Sammelwerken der Centones und der christlichen Dichter aufge
nommen: von Teucher als Anhang zu den Homerocentra Lips. 1793. 8. p. 127—148
unter dem Titel: Probae Falconiae feminae clarissimae Hortinae Cento Virgilianus
historiam veteris et novi testamenti complexus und mit der Überschrift: Probae
Falconiae Virgiliani Centones in vetus et novum testamentum ad Honorium
Die Anieier und die römische Dichterin Proba.
427
Der Humanist Conrad Celtes, der auf seiner italienischen Reise
sicli nach Handschriften und Ausgaben römischer Classiker eifrig
umsah. bekam während seines Aufenthalts in Venedig 1487 die erste
daselbst im J. 1472 gedruckte Ausgabe des Ausonius mit dem Cento
Virgilianus der Proba zu Gesicht und erhielt dadurch nähere Kennt-
niss von der Schrift unserer Dichterin. Sie erregte bei den Humani
sten besonderes Interesse vorzüglich desshalb, weil eine Frau eine
solche Dichtung verfasst hatte. Als er wenige Jahre später mit der
Herausgabe der angeblichen Werke der sächsischen Nonne Roswitha
sich beschäftigte und seine Absicht dahin ging den Italienern zu zeigen,
dass die Deutschen in der Pflege der Poesie ihnen nicht nachstünden,
ja dass sie sogar in den frühem Jahrhunderten der Barbarei schon
Musterhaftes geleistet hätten, so erachtete er es für angemessen die
römische Dichterin Proba mit der sächsischen Dichterin Roswitha zu
sammenzustellen, in der Weise, dass letztere wie ein Virgil der er
stem als Quelle und Muster hätte dienen können. Er feierte die Glori-
ficirung der lateinischen Poesie im Mittelalter bei den Deutschen in
einem der Roswitha gewidmeten Epigramm, das lautet:
Si Proba magniloquum cogens centone Maronem
Atque aluit doctum quos tulerat Latium,
Hane nostram legerent Saxono sanguine cretam,
Nostrae laudassent carmine vatis opus.
In der zweiten Zeile ist durch das Druckversehen a 1 u i t anstatt
alii der Sinn entstellt, welcher offenbar folgender ist:
Wenn Proba, welche die schönen Phrasen Virgils in einem
Sammelgedichte vereinigte, und andere [derartige] römische Dich
ter [wie z. B. Ausonius] diese unsere sächsische Dichterin gelesen
hätten, so würden sie das Werk unserer Sängerin durch ein Gedicht
[d. i. durch einen Cento oder eine Vers-Sammlung daraus] geloht
haben.
Der Kern des Epigramms ist demnach keineswegs eine Gleich
stellung der Proba und der Roswitha sondern vielmehr eine Ver-
Augustum, Theodosii majoris lilium et Arcadii Augusti fratrem. Bei Maittaire Corp.
poet. lat. T. II. p. 1624, in der Maxim. Bibi. Patr. (Lugd.) V. p. 1218 und bei
Migne, quarti saec. poet. Christ, opp. Paris 1846 finden sich auch Abdrücke.
*) Es behauptet dies E. Munk (in Lehmann’s Magazin f. d. Lit. d. Auslands. Berl. 1869.
N. 10. S. 136). Indem er in höchst willkürlicher Weise aluit in alios, legerent
428
A s c h b a c h
herrlichung der letztem, aus deren Muster-Schriften wie aus den Ge
dichten Virgils Proha und andere Centoneuverfasser ihre poetischen
Productionen hätten fertigen können. Das religiöse Moment bei beiden
Dichterinnen kommt hier gar nicht in Anschlag: es handelt sich ein
zig und allein um ihren dichterischen Werth.
in legeret,laudassent in laudasset verändert,wird von ihm ein ganz falscher
Sinn dem Epigramm unterschoben: „Hätte Proha, welche Virgil und andere
lateinische Dichter in einem Cento zusammengefasst, diese unsere aus sächsischem
Blute entsprossene Dichterin gelesen, so würde sie das Werk unserer Dichterin
durch ein Gedicht gepriesen haben.“ — Es ist schon ein grober Irrthum zu be
haupten, Proba habe ihren Cento nicht nur aus Virgils Versen, sondern auch aus
Phrasen anderer lateinischer Dichter zusammengesetzt. Ebenso unrichtig
ist es, wenn gesagt wird: „Celtes rühmt einfach die deutsche religiöse
Dichterin als eine glückliche Nebenbuhlerin der römischen.“
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
429
Anhang 1 .
Anicische Inschriften aus dem 4. und 5. Jahrhundert.
1.
DEO HERCVLI IN
VICTO
AV IVN- CAESONIVS
NICOMACHVS
ANICIVS FAVSTVS
PAVLINVS
C ■ V • P • V • D • D
XII • KAL • OCTOB
CRISPO ET CONSTANTI
NO CAESS- ET COSS >)
2.
HONORI AA\NIO A\ANIO CAESONIO NICO
A\AXO ANICIO PAVLINO V- C- CONS- ORDINARIO
PRAEF- VRBI IVD- SACRAR- CONDITION- CONSVIA
PROV- ASIAE ET HELLESPONTI VICE SACRA IVDICANTI
LEGATO KARIACENI SVP- PROCONS- AFRICE ANICIO
1VLIANO PATRE SVO CVIVS PROVIDENTIA ADaVE
(sic) EVTILITAS ET INTEGRITAS REI PVBLICAE CORPORI
CORARIORVA\ INSVLAS AD PRISTINVA\ STATVA\
SVVA\ SECVNDVAA LEGES PRINCIPVA\ PRIORVA\
') Die Inschrift, welche »us dem J. 321 herrührt, findet sich bei Corsini Proef. urb.
\
p. 176; die Siglen in der 7. Zeile sind nicht aufzulösen als: Consul Ordinarius
Praefectus Vrbis Dedicavit, sondern als: Clarissimus Vir Praefectus Vrbis De-
dicavit.
Sitih. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. II. Ilft. 29
I
430
A sc h li a c h
IMPF VAL.SEPTIMI SEVERI ET M. AVR. ANTONINI
RESTAVRARI ADCLVE ADORNARI PER VICINVM
EA SVA PROVIDIT IN MERA MEMORIA ADaVE
IN OMNIA IVSTITIA SVA CORPVS CORARIORVM
PATRONO DIGNO STATVERVNT ')
3.
OPI DIVINAE
ANNICIVS PAVLLINVS
V- C- CONS- ORDINARIVS
PRAEF- VRBIS
ET IVDEX SACRARVM
CONSTITVTIONVM ®)
4.
ANICIVS PAVLINVS IVN V C.
BENIGN VS SAN CT VS R . ..
PROCONS • AFRIC- CONS- ORD
PRAEF VRBI ACCEPITS . . »)
5.
SEX • ANIGIO PAVLINO PROCONS
AFRICAE BIS COS • PRAEF • VRß 4 )
6.
7.
M. COCCEIO
ANICIO FAVS
TO FLAVIANO
PATRICIO
CONSVLARI
OMNI VIR
TVTI s)
SEX COCCEIO ANI
CIO FAVSTO PAV
LINO PROCO s
PROVINCIAE AFri
cAE RESPVBLICA
COLONIA . . .
. . . . AVGVSTAE«)
1 ) Gruter. 1090, 19. = Corsini p. 182. An einigen Stellen offenbar nicht ganz correct.
2 ) Corsini, p. 182 e Gudio 14. 6.
ß ) Corsini Praef. urb. p. 269 z. J. 380.
4 ) Borgliesi im Bullett. dell’ Instit. di corr. arch. J. 1838. p. 21.
5 ) Orell.-Henzen. Inscr. 6408.
6 ) Maffei Mus. Veron. p. 460, 7 = Donati 429, 24.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
'
8.
ANICII IVN
ANICIO PAVLINO IVN- C V
PROCOS- ASIAE ET HELLESPONTI
CONSVLI ORDINARIO PRAEF • YRBI
VICE SACRA IVDICANTI OB
MERITVM NOBILITATIS ELOaVII
IVSTITIAE ATa- CENSVRAE aVI
BVS PRIVATIM AC PVBLICE
CLARVS EST PETITV POPVLI R
TESTIMONIO SENATVS IVDICIO
DD NN TRIVMPHATORIS AVG
CAESARVMCLVE FLORENTIVM
STATVAM SECVNDAM AVRO
SVPERFVSAM LOCARI SVMPTV
PVBLICO PLACVIT <)
9.
DOMINO CONSTANTINO MAXPIO
FELICI AC TRIVMPHATORI
SEMPER AVG
OB AMPLIFICATAM TOTO ORBE RP
FACTIS CONSVLTISaVE
S • P • a. • R
DEDICANTE ANICIO PAVLINO IVNIORE
VC- CONS ■ ORD • PRAEF • VRBI *)
10.
SIMVLACRVM MINERVAE
ABOLENDO INCENDIO
TVMVLTVS CIVILIS IGNI
TECTO CADENTE CONFRACTVM
ANICIVS ACILIVS AGINATIVS
0 Gruter, 353, 4 = Orell. 1U82.
~) Gruter. 1085, 5 = Orelli 1080.
29
432
Aschbach
FA VST VS SAC-IVD
11.
. . DD NN AETERNIS PRINCIPIBVS HONORIO ET ARCADIO
ANICIVS ACILIVS GLABRIO FAVSTVS V • C ■ PRAEF ■ V.RBIS
VICE SACRA IVDIC
FATALI CASV SVBVERSAM IN FORMAM PRISTINI VSVS
RESTITVIT s)
ll b .
TARRVTENIO MAXIMILIANO V C
ELOaVENTISSIMOaVE CONSVLARI
PICENI ANNO AETATIS NONODECIMO
VICARIO VRBIS ROMAE LEGATO AMPLIS
SIMI SENATVS SECVNDO SOCERO
EXOPTATISSIMO ANICIVS ACILIVS
GLABRIO FAVSTVS V C- LOCI HVIVS
ORNATOR TOGATAM STATVAM
LIBENS POSVI *)
12.
IVNIVS BASSVS c-v-avi VIXIT ANNOS XXXXII
MEN-II-IN IPSA PRAEFECTVRA VRBI
NEOFITVS IIT AD DEVM VIII KAL-SEPT
EVSEBIO ET YPATIO GOSS *) '
*) Corsini p. 343. Murator. 470, 1.
2 ) Corsini p. 308 (um 400), Gruter. 192, 2. cf. Grut. 344, 2, wo eine Inschrift an-
angibt:
Anicius Acilius Glabrio Faustus V. C.
statuam Acilio Glabrioni Sibidio V. C.
patri suo dicavit.
3 J Corsini p. 279. (J. 384) = Grut. 47i, 8. In der ersten Zeile wird für MAXIMILIANO
gelesen MAH1NIANO.
4 ) Corsini Praef. urb. p. 224. J. 339.
Die Anioier und die römische Dichterin Proba.
433
13.
ANICIO AVCHENIO BASSO V C CLVAE
STORI CANDIDATO
VNO ET EODEM TEMPORE PRAETORI
TVTELARI PROCONSVLARI
CAMPANIAE PRAEFECTO VRBI TRINI
MAGISTRATVS
INSIGNIA FACVNDIAE ET NATAL1VM
SPECIOSA LVCE VIRTVTIS ORNANTI *)
14.
BASSI
ANICIO AVCHENIO
BASSO VC- PROCONS
CAMP • PROVISORI EI VS
DEM PROVINCIAE RES
TITVTORI GENERIS
ANICIORVM OB MERITA
EIVS INLVSTRIA
ORDO POPVLVSaVE CIVITA
TIS PRAEN ESTIN AE PON ■ CENS -)
15.
ANICI BASSI
ANICIO AVCHENIO BASSO V C
PROCONSVEI CAMPANIAE
VICE SACRATA IVDICANTI praes
tantissimo viro gene
fis aniciorum RESTITV
TORI PATRIAE IAM INDE
AB ORIGINE PATRONO CLVI
') Keines, syntugm. 39,'».
3 ) Diese Pränestinische Inschrift, welche Foggini Fasti p. VIII miftheilt, gibt auch
Orell. n. 10.'», wo sie aber unrichtig auf den späteren Consul Air henins Kassus
des .1. 403 bezogen wird.
434
Asch 1» a c h
OMNIBVS IN COMMVNI
EST DECORI BENEVENTANA PLEBS ')
16.
FLORENTE IMPERIO DDD AAA CCCCANNN GRATIANI
VALENTINIANI ET THEODOSII PRINCIPVM MAXIMORVM
THERA\ARVA\ SPECIEA\
ANICIVS AVCHENIVS BASSVS V C PROCONSVL CAA\PANIAE
VICE SACRA IVDICANS REPARAVIT ....*)
17.
RESTITVT . . GENERIS
ANICIORVA\ OB INLVS
TRIA A\ERITA ORDO PO
PVLVSCL CIVITAS VETVSC (sio)
DIGNISSIA\0 PATRONO 3 )
18.
ANIKION BASION TON AAMÜPOTATON
AN0Y11ATON KAMÜANIAS AOPMATI
TOY KOINOY IIAIAI THI
EHAPXIAI OIKOYNENIOI AOII0EOI
ASKAHniOAOTOI O AAM1IPOTATOI
YUATIKOS THI KPHTßN
EI1APXIA! ANEITHSEN *)
! ) Diese Beneventanische Inschrift gibt Mommsen Inscr. Keg-. Neapol. n. 1418 mit
seinen Ergänzungen und Ginrgi, Bullet, dell’Instit. di corr. arch. 1859. p. 43.
2 ) Muratori 464, 7 und Giorgi Bullet, dell’ Instit. di corr. arch. 1859 p. 44 mit
Erklärung.
3 ) Die von Ceccano und Giorgi ßullett. dell’ Instit. di coir. d. arch. 1859 p. 44 zu
Falvatera (Fabrateria in Latium) gefundene verstümmelte Inschrift bezieht sich
ohne Zweifel auf Anicius Auchenius Bassus.
4 ) Diese auf der Insel Creta dem Anicius Bassus gewidmete Inschrift findet sich bei
Gruter 1090, 20 und Corsini Praef. urb. p. 276.
Die Anicier und die römische Dichterin Proha.
435
19.
ANICI BASSI
ANICIO AVCHENIO BASSO V • C
PROCONSVLI CAAXPANIAE
VICE SACRA IVDICANDO BIC
PIVNISSTIAGICANODIO
AIANIONI AVENIIA RESTITV
TORI PATRIAE IAAX INDE
AB ORIGINE PATRONO aVI
OAVNIBVS IN COMMYNI
DECO RI EST BENEVEN . .
PLEBS *)
20.
ANICI BASSI
ANICIO AVCHENIO BASSO V C
PROCON CAAVPANIA SVP IVD
PRAESTANTISSIAXO VIRO
NOEIINOAXINIIVSSI LARI . . .
EX HIRPINA SPIRE CV
NARE PRATERITOS HO
NORES INSIGNE REGIOS
OVINA RECTE TRACTATORVA\
OA\NIVA\ AVEA\OR IOCA
RVIT a)
21.
CLODIVS HERMOGENI AN VS
OLYBRIVS V C
G a r r u c ci verbessert:
. . NOMINI EIVS SINGVLARI
EX I AVI VAX MVNVS ET PECV
LIARE PRAET ALTEROS HO
NORES INSIGNE REGIOSCLVE
LINA RECTE FACTORVM
OAXNIVM AXENOR LO
CA VIT
') ßullettino deU’lnstrt. di corr. arch. lSS'J (Von fiarrucci mitgethoiH und tlieit-
weise erklärt) p. 1)2.
2 ) Bullett. !. c. p. 93 von Garrucci nach einigen Abschriften verbessert.
436
Aschbach
PRAEF-VRB
CVRAVIT ')
22.
MATRI DEVM MAGNAE
IDAEAE SVMMAE PA
RENTI HERMAE ET ATTIDI
MENO TYRANNO INVICTO
CLODIVS HERMOGENIANVS
CAESARIVS V'C>)
23.
a- CLODIO HERMOGENIANO
OLYBRIO VC- FRATRI
ADMIRANDAE PIETATIS
FALTONIVS PROB VS ALYPIVS »)
24.
DOMINO NOSTRO
FL • THEODOSIO
AVGVSTO
FALTONIVS PROBVS
ALYPIVS VC- PRAEF • VRB 4)
25.
PETRONIO PROBO V C
# «
*
NEPOTI PROBIANI
1 ) Coi-Sini Praef. urb. p. 245 (J. 369). Reines synt. i2i, S.
Reines synt. inscr. p. 64.
3 ) Smet. inscr. 156, 7. Baron, ann. eccl. ad a. 395.
4 ) Corsin. Praef. urb. ßaron. a. II. ce.
Die Anicier und die römische Dichterin Prob«.
437
FILIO PROBINI VV CG
PRAEF-VRBIS ET COS *)
26.
V F
IVNONI SACRVM
PETRONIO PROBO VE. . .
TOTIVS ADMIRATIONIS V. .
PROCOS • AFRICAE ET
PRAEF PRAET ILLYRICI
PRAEF GRAECIAE GALLIAE II
PRAEF PRAET GALLIAE
ATCLVE AFRICAE
PRAEF VERON III
CONS ORDINARIO
CIVI EXIMIAE BONITATIS
DISERTISSIM ATCLVE OMNIBVS
REBVS ERVDITISSIM =>)
27.
PETRONIO PROBO
VIRO CONSVLARI
PROCONSVLI AFRICAE
PRAEFECTO PRATORIO
PER ILLYRICVM ITALIAM ET AFRICAM.
CONSVLI ORDINARIO
VENETI ATaVE HISTRI
PECVLIARES EIVS
PATRONO PRAESTANTISSLWO
VIIDAVG
*) Muratori 371, 2 = Corsini pag. 206.
2 ) Gruter, 430, 1. Auhert in der Revue archeol. 1862. Nouv. Ser. T. V. p. 167 be
zweifelt die Echtheit der Inschrift wegen PRAEF ’ GRAECIAE und PRAEF * VERON
III, welche Präfecturen sonst nicht Vorkommen.
438
A s c h 1) a c h
VALENTE VI
ET VALENTIANO II
AVG- CONS t)
28.
IIETPONION TIPOBON
TON AAMÜPOTATON
ANGYnATON KAI
AIIO YIIAPXßN nPAITQPIßN
r AOrMATI THX AAMÜPAI
rOPTINIßN BOYAHX
OIKOYAYENIOX AOXI0EOS
ASKAHniOAOTOS
AAAYÜPOTATOS YÜATIK02
ANESTH2EN »)
29.
SEXTO ■ PETRONIO • PROBO
ANICIAE ■ DOAYVS
CVLAYINI • PROCONSVLI
AFRICAE • PRAEFECTO
PRAETORIO • aVATER
ITALIAE ■ ILLYRICI • AFRI
CAE • GALLI AR VAY CON
SVLI • ORDINARIO • CON
SVLVAV ■ PATRI • ANICIVS
HERAYOGENIANVS
OLYBRIVS -VC- CONSVL
ORDINARIVS • ET ■ ANI
CIA • IVLIANA • C ■ F • EIVS
*) Corsini Praef. urh. p. 257. J. 378.
2 ) Cretensische Inschrift bei Corsini p. 254 mit der lateinischen Übersetzung 1
Petronium Prohum | v. c. | Procons. et | Expraef. Praetorio | III deereto illustris |
Gortynioruin senutus | Oecumenius Dositheus | Asclepiodotus | clarissnnus consu-
laris | erexit.
Die Anicier und die römische Dichterin Proha.
43!)
DEVOTISSIMI • FILII
DEDICAVERVNT <)
30.
SEXTO • PETRONIO • PROBO V C
PROCONSVLI • AFRICAE
PRAEFECTO PRAETORIO
(XV ATER • ITALIAE • ILLYRICI
AFRICAE-GALLIARVM
CONSVLI • ORDINARIO
PATRI CONSVLVM
ANICIVS PROBINVS V-C
CONSVL ORDINARIVS
ET ANICIVS PR OB VS V-C
aVAESTOR CANDIDATVS FILII
MVNVS SINGVLARI RELIGIONI
DEBITVM DEDICARVNT 2)
31.
NOBILITATIS CVLMINI
LITTERARVM ET ELOCLVENTIAE LVMINI
AVCTORITATIS EXEMPLO
PROVISIONVM AC DISPOSITIONVM MAGISTRO
HVMANITATIS AVCTORI
MODERATIONIS PATRONO
DEVOTIONIS ANTISTITI
PETRONIO
PROBO V-C PROCONSVLI AFRICAE
PRAEFECTO PRAETORIO
PER ILLYRICVM ITALIAM ET AFRICAM
CONSVLI ORDINARIO
OB INSIGNIA ERGA SE REMEDIORVM GENERA
0 Hömische Inschrift bei (»ruter 450.
3 ) Komische Inschrift hei (Jruter 450.
440
Aschbach
VENETI ATCLVE HISTRI PECVLIARES EIVS
PATRONO PRAESTANTISSIMO
Auf der linken Seite:
DEDICATA
VIIDVSAVG
DD NN
VALENTE VI ET
VALENTINIANO II
AVGG CONS >)
32.
Epitaphium auf Sextus Petronius Probus.
EXIMII RESOLVTVS IN AETHERIBVS AEO.VORE TANTVM
CVRRIS ITER CVNCTIS INTEGER A VITIIS
NOMINI CLVOD RESONAS IMITATVS MORIBVS atolve
IORDANE ABLVTVS NVNC PROBVS ES MELIOR
DIVES OPVM CLARVSa- GEN VS PRAECLARVS HONORE
FASCIBVS INLVSTRIS CONSVLE DIGNVS AVO
BIS GEMINA POPVLOS PRAEFECTVS SEDE GVBERNANS
HAS MVNDI PHALERAS HOS PROCERVM TITVLOS
TRANSCENDIS SENIOR DONATVS MVNERE CHRISTI
HIC EST VERVS HONOR HAEC TVA NOBILITAS
LAETABARE PRIVS MENSAE REGAI.IS HONORE
PRINCIPIS ALLOaVIO REGIS AMICITIA
NVNC PROPIOR CHRISTO SANCTORVM SEDE POTITVS
LVCF. NOVA FRVERIS LVX TIBI CHRISTVS ADEST
O NVNCLVAM DEFEEN'DE TVIS CVM VITA MANERET
CORPORIS ATOl- ARTVS SPIRITVS HOS REGERET
PR IM VS ERAS NVLLIOo PATRVM VIRTVTE SECVNDVS
NVNC RENOVATVS HABES PERPETVAM REaVIEM
CANDIDA FVSCATVS NVLLA V EL AMIN A CVLPA
ET NOVVS INSVETIS INCOLA LIMINIBVS
') Römische [naehrift v. J. S78 hei Uoneti 187, I
Heiizen f5418.
Die Anicier und die röniiselie Dichterin Proba.
441
HIS SOLARE TVOS ClVAMClVAM SOLATIA MOESTA
GRATIA NON CLVAERAT GRATIA CHRISTE TVA
VIVIT IN AETERNA PARADISI SEDE BEAT VS
CLVI NOVA DECEDENS M VN ERIS AETHERII
VESTIMENTI TVLIT aVO DEMIGRANTE BELIAL
CESSIT ET INGEMVIT HIC NIHIL ESSE SVVM
HVNC TV CHRISTE CHORIS IVNGAS CAELESTIBVS ORO
TE CANAT ET PLACIDVM IVGITER ASPICIAT
avia- TVO SEMPER DILECTVS PENDET AB ORE
AVXILIVM SOBOLI CONIVGIOCL. FERAT <)
33.
Epitaphium a u f P e t r o n i u s P r o b u s und Proba.
SVBLIMES aVISaVIS TVMVLI MIRABERIS ARCES
DICES aVANTVS ERAT avi PROBVS HIC SITVS EST
CONSVLIBVS PROAVIS SOCERISa- ET CONSVLE MAIOR
aVOD GEMINAS CONSVL REDDIDIT IPSE DOMOS
PRAEFECTVS (XVARTVM TOTO DILECTVS IN ORBE
SED FAMA EMENSVS avIDaVID IN ORBE HOMINVM EST
AETERNOS HEV ROMA TIBI aVI POSCERET ANNOS
CVR NON VOTA TVI VIXIT ADVSa- BONI
NAM CVM SEXDENOS MENSIS SVSPENDERET ANNOS
DILECTAE GREMIO RAPTVS IN AETHERA PROBAE
SED PERIISSE PROBVM MERITIS PRO TALIBVS ABSIT
CREDAS ROMA TVVM VIVIT ET ASTRA TENET
VIRTVTIS FIDEI PIETATIS HONORIS AMICVS
PARC VS OPVM NVLLI LARGVS AT IPSE FVIT
SOLAMEN TANTI CONIVX TAMEN OPTIMA LVCTVS
HOC PROBA SORTITA EST IVNGAT ET VRNA PARES
FOELIA HEV NIMIVM FOELIX DVM VITA MANERET
DIGNA IVNCTA VIRO DIGNA SIMVL TVMVLO *)
‘) Hnron. ann. eccl. ad an». 395. IV. p. 721.
') Baron, annal. eccl. ad ann. 395. I. c.
44 2
As c li Ine li
34.
PETRONI ANICIVS
PROBI VC OLYBR ET
ET ANICIE PROBINI
PROBE CF VV CC ')
35.
ANICIAE FALTONIAE
PROBAE FIDEI NOBILITA
TIS AN TI CV VAE ORNA
MENTO ANICIANAE
FAMILIAE SER V AND AE ET
DOCENDAE CASTITATIS
EXEMPLO CONSVLVM
PROLI CONSVLVM MATRI
ANICIVS HERMOGENIANVS
OLYBRIVS V C
CONSVL ORDINARIVS
ET ANICIA IVLIANA C • F
EI VS DEV OTISSIMI FILII
DEDICARVNT a)
36.
ANICIAE FALTONIAE
PROBAE AMNIOS PINCIOS
ANICIOSaVE DECORANTI
CONSVLIS VXORI
CONSVLIS FILIAE
CONSVLVM MATRI
ANICIVS PROBINVS VC
CONSVL ORDINARIVS
ET ANICIVS PROBVS V-C
aVAESTOR CANDIDATVS
*) Paduanische Inschrift bei Murßtori 729, 9.
2 ) Römische Inschrift bei Gruter 352, G.
Dii» Anicier und die römische Dichterin Proba.
443
FILII DEVINCTI
MATERNIS MERITIS
DEDICAVERVNT >)
37.
ANICIAE FALTONIAE
1LLVSTRISSIMAE ET
SANCTISSIMAE
CASTISSIMAE FEMINAE
HERMOGENIANVS OLYBRIVS
VC- CONSVL ORDINARIVS
ET ANICIA IVLIANA C-F
D Da)
,38.
TVRANNIAE ANICIAE
IVLIANAE C-F CONIVGI
a • CLODI HERMOGENIANI
OLYBRII V-C
CONSVLARIS CAMPANIAE
PROCONSVLIS AFRICAE
PRAEFECTI VRBIS
PR AEF • PRAET • ILLYRICI
PR AEF • PRAET • ORIENTIS
CONSVLIS ORDINARII
FL-CLODI VS-RVFVS-V-P
PATRONAE PERPETVAE »)
39.
TVRANNIA ANICIA
ARAM ET SI
GNVAY VENERI FLA
Römische Inschrift bei Gruter 35‘i, 5.
') Römische Inschrift hei Gruter 351, 1.
Römische Inschrift hei Gruter 353, !i.
444
A s c li 1) » c li
SVA PECVN D D
DEDIC • XIII • KAL • I VN
C • CLAVDIO ET M-PERPERNA
COSS. 1)
40.
CONSIMILES FRATRVM TRABEIS GESTAMINA HONORVM
TERTIA aVAE DEDERANT ADDIMVS TITVLIS
DIEECTAE PROBVS HAEC PERSOLVIT MVNERA MATRI
RESTITVENS STATVIS PRAEMIA aVAE DEDERAT *)
41.
PETRONIVS
MAXIMVS
PRAEF-VRBI
GVRAVIT »)
42.
VALENTINIANVS P-F-AVG
PETRONIVS MAXIM VS VC- GONS *)
43.
DOMINO RERVM HVMANARVM
VALENTINIANO AVGVSTO
PETRONIVS MAXIMVS
VC- FORI CONDITOR
POST OlVATVOR PRAEFECTVRAS
ET DVOS ORDINARIOS CONSVLATVS
AVCTORI SIBI TOT HONORVM
LOCAVIT 5)
') Verdächtige römische Inschrift bei Reines. Syntagm. 288.
2 ) A. Mai script. veter. nov. collect. Rom. 1831. p. 293. Mai hat die Inschrift in
Rom im Atrium Caesiorum auf zwei Postamenten gefunden: anstatt DEDERANT
in der zweiten Zeile liest er DEERANT, anstatt DEDERAT am Schlüsse DEERAT.
Gruter 1080, 6 = Corsini p. 340.
4) Corsini p. 341 (J. 443).
4 ) Gruter 449, 7 = Corsini p. 340.
Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
44S
44.
PETRONI MAXIMI
DDD • NNN • INVICTISSIMI PRINCIPES HONQR1VS
THEODOSIVS ET CONSTANTIVS CENSORES
REAWNERATORESa VE VIRTVTVM
PETRONIO MAXIMO V-CPRAEF-VRBOB PETITION
SENATVS AMPLISSIMI POPVLICL • ROMANI STATVAM
MERITORVM PERENNE MONVMENTVM IN FORO
VLPIO CONSTITVI IVSSERVNT CVM A PROAVIS
ATAVISCL • NOBILITAS» PARIBVS TITVLORVM INSIGNIBVS
ORNATVR aVI PRIMARIVS IN CONSISTORIO
SACRO TRIBVNVS NOTARIVS MER VIT NONO DECIM
AETATIS ANNO SACRARVM REMVNERATIONVM
PER TRIENNIVM COMES POST PRAEF-VRBIS OCT-SEX
MENS HASaVE OMNES DIGNITATES INTRA VICE
SIMVM aVINT\ r M ASSECVTVS AETATIS ANNVM
PVBLICVM IN SE TESTIMONIVM ET AETERNORVM
PRINCIPVM IVDICIVM PROVOCAVIT i)
45.
Repai atori rei publicae parenti invictissimo..
principum et cos . . t . .
ve et inlustri comiti
magistro utriusq . . .
patricio et tertio c
ordinario auranicius
symmachus v. c. pr. urb.
vice sacra judicans
dedicavit. 2)
REPARATORI REI PVBLICAE [et]
PARENTI INVICTISSIMO [rum]
PRINCIPVM ET COnStanTio
1 ) Corsini p. 339.
s ) De Rossi Insch. ehrist. I. p. 263 bemerkt über diese Inschrift: Elogium ropperi
Klavii Constantii (consul. III. a. 420J in basi certe statuae eidein dedicatae ltoinae
incisum, quod in Parmensi codiee (fol. 100 1 ’) vulgaribus literis ita deseriptnm ae
depravatum oITendi.
Sitib. d. phil.-hist. CI. I.XIV. Bd. II. Hft.
30
■humk«^
446 Aschbach, Die Anicier und die römische Dichterin Proba.
V ■ C • ET INLVSTRI COAYITI et
PATRICIO ET TERTIO Cons.
ORDINARIO AVRANICIVS
SYMMAXVS V ■ C • PR ■ VRB
VICE SACRA IVDICANS
DEDICAVIT i)
46.
ANAVRAYANL BOETHIVS VCETINL
EXPPPVSECCONSORDETPATRIC *)
1 ) Wie'derhergestellt durch de Rossi a. a. 0.
2 ) Inschrift auf einem Brescianischen Diptychon, welche Corsini Praef. urb. p. 361
ins Jahr 487 n. Chr. setzt. Sie ist zu lesen: ANicius AVRelius MANLius BOETHIVS
V’C’ET INLustris EX Praefectus Praetorio Praefectus Vrbis SECundo CONSul
ORDinarius ET PATRICius.
Müller. Armeuiaca. II.
447
Armeniaca.
II.
Von Dr. Friedrich Müller,
Professor an der Wiener Universität.
1. Über das armenische Imperfectum.
Ich habe in einem, im Aprilheft des Jahrganges 1863 der
Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften (Band XLII)
abgedruckten Aufsatze, betitelt: „Beiträge zur Conjugation des
armenischen Verbums“ das armenische Imperfectum mit dem
schwachen Aorist aus einer und derselben Urform, nämlich einer
durch Zusammensetzung der Wurzel mit dem Verbum substantivum
«s gebildeten Aoristform entstanden, erklärt. Obwohl solche, durch
Differenzirung entstandene Bildungen in der Sprachgeschichte nicht
unerhört sind, so bin ich dennoch durch abermalige Betrachtung des
Gegenstandes, namentlich durch Vergleichung desselben mit den
Erscheinungen der verwandten Sprachen, zur Überzeugung gekom
men; dass hier zwei ursprünglich verschiedene Bildungen vorliegen.
Die schwierigere der beiden Formen, das Imperfectum, kann auf
diese Weise nicht nur befriedigend erklärt, sondern es können auch
die verwandten Bildungen der anderen Sprachen, welche bisher einer
genügenden Erklärung trotzten, dadurch wenigstens als echt
organische Formen erkannt werden.
30 *
448
Müller
Obwohl das Jt Avelches im Imperfectum des Armenischen vor
den PersonalsuiTixen erscheint, lautlich ganz gut aus s entstanden
sein kann, wie ich bisher angenommen hatte, so scheint mir nun
seine Erklärung aus y, welche lautlich ebenso gut begründet ist,
dennoch viel wahrscheinlicher. Ich stelle daher, abweichend von
meiner früher gegebenen Erklärung (a. a. 0. p. 341 (IS) das
Schema des Imperfectums folgendermassen her:
Die Themen apaja-, siraja- gegenüber den Präsensthemen
apa-, sira- decken sich aber vollkommen mit den Themen des
litauischen Präteritums balaya-, sukaja- gegenüber den Präsens
themen bala-, suka-.
Das litauische Präteritum ist demnach formell mit dem arme
nischen Imperfectum identisch, ein Umstand , der Schleicher in der
ersten Auflage seines Compendiums entgangen zu sein scheint, da er
das litauische Präteritum als ausser allem Zusammenhänge innerhalb
der indogermanischen Sprachen stehend betrachtet (vgl. jedoch
II. Aufl., S. 808).
Einen zweiten Verwandten hat das armenische Imperfec
tum an dem Imperfectum des Altslavischen, dessen Bildung
nach dem Geständnisse Schleichers immer noch nicht genügend
erklärt ist.
Das altslavisehe Imperfectum hat dieselbe Bildung wie der
schwache, durch Zusammensetzung mit dem Verbum substantivum
gebildete Aorist, mit dem Unterschiede, dass, während beim Aorist
das Verbum substantivum mit dem Verhalstamme unmittelbar ver
bunden wird, beim Imperfectum sich zwischen beiden gewisse Laute
finden, welche den Formen desselben gegenüber jenen des Aorists
das Ansehen von grösserem Umfang und Gewicht ertheilen.
Wir wollen es versuchen der ursprünglichen Form dieser
räthselhaften Elemente auf die Spur zu kommen.
Anneniaca. II
449
Die Iinperfectformen plcte-u-chü, pec-a-a-chü, bi-ja-a-chü,
gore-a-chü, chval-ja-a-chü, pis-a-a-chü, kupovaachü gegenüber
den Aoristformen plctochü, pekochü, bicliü, gorechü, chvalichü,
pisachü, kupovachu könnten leicht zur Ansicht führen, der speci-
fische Character des altslavischen Imperfects gegenüber dem Aorist
sei in seiner ursprünglichen Form e, und dieses sei, zwischen Verbal
stamm und Suffix stehend, den jeweiligen Lautgesetzen gemäss
verändert worden. Da jedoch e im Altslavischen sowohl aus aj als
auch aus ja entstanden sein kann, so fragt es sich, welches von
beiden, ob aj oder ja als Urform des Zeichens des Imperfects ange
nommen werden müsse.
Gegen die Annahme 6 = ja zu erklären, spricht schon die von
uns gleich am Anfang citirte Form pleteacliü, welche in diesem Falle
nicht also, sondern plestaachu — plet-jaachu lauten müsste. Ebenso
wären Formen wie vedeachü (Imperfect von ved altind. vidj dade-
achü (Imperfectum von dad = altind. du) jadeacliü (Imperfectum
von jad — altind. ad) unmöglich, da sie nach den Lautgesetzen des
Altslavischen vsidaachü (= vSdjaachü), dazdaachü (—dad-
jaachü), jazdaacliü (—jad-jaachü) lauten müssten.
Es bleibt also nichts anderes übrig als B = aj zu erklären und
den Präsensstämmen ved-, dad-, jad-, nesa-, pleta- u. s. w. gegen
über Imperfectstämme vedaja-, dadaja-, jadaja-, nesaja-, pletaja-
anzusetzen; Stämme, welche augenscheinlich mit dem Präterital-
stamm des Litauischen und dem Imperfectstamm des Armenischen
vollkommen zusammenfallen.
Auch in der lautlichen Behandlung dieser Imperfectstämme
stimmen Altslavisch und Armenisch merkwürdigerweise in einem
Punkte überein. Das Armenische lässt hei Stämmen, welche im Präsens
a zeigen, das j neben demselben bestehen, während es bei Stämmen,
welche im Präsens e zeigen das j mit diesem in e (= e -\- j d. h.
<i -\-j) zusammenzieht. Das Altslavisebe zeigt denselben Vorgang.
Überall, wo der auslautende Stammvocal als a auftritt, wurde j mit
demselben nicht zusammengezogen, sondern wie bei der zusammen
gesetzten (pronominalen) Deelination des Adjectivs (z. B. novaago —
novajego) unversehrt erhalten und später elidirt, dagegen überall
dort, wo der auslautende Stammvocal als e, o auftritt, wurde j mit
demselben in e (= e-\-j d. h. a-\-j) zusammengezogen. Aus jaja
450
Müller
wurde jaa, aus eaja dagegen ea, da eaa gegen den Genius des Alt—
slavischen verstosst.
Wir finden daher delaacliü, pisaachü, dejaacliü, kupovaacliü =
delajachü, pisajachu, dejajachü, kupovajachüj goreachü —gorea-
jachu; javljaachü = javljnjachü; chvaljaachü = chaljajachü;
dagegen pleteachu, neseuc.hu, grebßachu — pletajachü, nesn-
jachü, grebajachü ganz nach Analogie der armenischen u,quyf, und
“fahl"
Der Unterschied zwischen der armenischen, litauischen und alt-
slavischen Bildung besteht darin, dass, während in den beiden ersten
die Form unmittelbar aus dem mittelst ya oder a-ya vom Präsens
stamme gebildeten Tbema hervorgeht, in der slavischen Bildung eine
Zusammensetzung mit dem Verbum substantivum stattfindet. Es ver
hält sich demnach lautlich das slavische Imperfectum zum
litauischen Präteritum ebenso, wie der slavische Aorist zum slavi
schen Präsens. Das armenische Imperfectum deckt sich formell voll
kommen mit dem litauischen Präteritum und dürfte auch der Bedeu
tung nach von demselben ursprünglich nicht wesentlich verschieden
gewesen sein.
2. iurjnu!~u (apoves).
Das armenische Wort lurjnL. ku (apoves) „Fuchs“ im Genitiv
(npoves-i) und ujrjnufiunt. (apovis-u) setzt in dieser Hin
sicht zwei Stämme voraus, nämlich den Stamm apavas- und den
Stamm apavis-. Der erstere steht mit dem griechischen dlemex-,
der letztere mit dem altbaktrischen (urupie-) in voller Über
einstimmung. Was die altbaktrische Form anbelangt, so kennen wir
von ihr den Nominativ, welcher mit dem Worte -»ej” (?pü) verbun
den wird (Vendid. V. 108, 109) und ■‘ö*<y>b (urupis) lautet und den
Genitiv (Vendid. XIII. 48), welcher von Westergaard in der Gestalt
(urupdis) hergestellt wird, worauf aber die Lesearten der
verschiedenen Handschriften nicht zu führen scheinen. Denn, .abge
sehen von der höchst sonderbaren Genitivform in -Ais, gegenüber
der gewöhnlichen in -dis, welche sich nur auf die zwei Fälle ■*e““{»^
(urupäis) und (raopaisj stützen würde, weisen die in den
Armeniaca. II.
451
neu-eranischen Idiomen erhaltenen Formen auf ganz andere Themen
als auf urupi-, raopi- hin. Das in (raopdis) steckende
Wort ist gewiss nichts anderes, als das neupersische (robah),
Pehlewi Dton (röbas), ossetisch Tag. pyöac, Dig. pyßac. *)
Wird aber diese Gleichung zugegeben, so ist das s (den moder
nen Formen nach nothwendig ein palatales) zu Ende des Wortes
wurzelhaft und muss raopac- als Stamm im Altbaktrischen an
genommen werden. Ist nun dies richtig, so ist auch kein Hinder-
uiss vorhanden, im Nominativ -*ö*ü>^> (urupis) den Stamm
”*e)>h (urupic-) vorauszusehen und die beiden Genitive im Vendid. XIII.
48 in (urupico) und (raopacd) zu emendiren.
Der Stamm urupic- entspricht vollkommen dem armenischen
uujnupu (apovis). — Nachdem diese beiden Formen auf ein älteres
<ilapic- zurückgehen, so liegt der Vergleich mit dem griechischen
dluTte-/.-, mit welchem das zweite armenische Thema Lurjnuhu (apoves)
vollkommen zusammenstimmt, auf der Hand. Die Urform dieser Bil
dungen lautete wahrscheinlich alapak- und das co der griechischen
Form ist ein specifisch griechisches Erzeugniss.
Ist dies richtig, so sind die beiden Worte ■*o i ei>h (urupis) und
f-raopas) von einander verschieden und neupersisch
(robd/i) und armenisch ,uqn^u (apoves) wurden, obgleich beide
heutzutage den „Fuchs“ bezeichnen, ursprünglich nicht auf ein und
dasselbe Thier bezogen (vgl. Armeniaca. I. das über tym-qp und
lunfiLir Gesagte).
3. o(i (or).
Das armenische Wort a p (or) „Tag“ wird von Petermann
(Grammatica linguae armeniacae 1837, pag. 41) mit dem hebräischen
UN (or) und daneben auch mit dem sanskritischen aliar verglichen.
Abgesehen davon, dass sanskritisches aliar (alias, ahan), auf erä-
•uschem Boden azo, azan lautend, nimmermehr zu or werden kann, legt
der in den obliquen Casusformen hervortretende Stamm UMunup (avur)
') Auf raopac- g-eht die Pehlewi-Form (6 — altbaktr. ao) zurück, nicht auf urupis.
wie Justi (Bundehesh, Glossar p. li>8) behauptet.
452
Müller
gegen einen solchen Vergleich ein energisches Veto ein. Das Wort
ist auch keineswegs, worauf der Vergleich mit dem hebräischen hn
hinführen könnte, entlehnt, sondern, meiner Ansicht nach, ein echt
indogermanisches Erbgut, dessen Wurzel ich zwar nicht mit Sicher
heit bestimmen kann, das aber mit dem griechischen fiyap sich voll
kommen deckt. Aus amar wurde im Armenischen avar wie aus
anaman-, anovn-, anun (u/hm/b), wie aus yastaman- paston
( uju/^ lri u 'lj ) ■
Von <yi (ör) ist mittelst des Suffixes -£% (-en) = altbaktrisch
-aenn das Wort 0 pl/b (dren) abgeleitet, welches ursprünglich „auf
den Tag, das tägliche Leben bezüglich“, dann „Sitte, Regel, Richt
schnur“ bedeutet. Nur diese Ableitung ist die nach den Laut
gesetzen des Armenischen allein mögliche; ganz falsch dagegen ist
jene beliebte, nach welcher mit dem altbaktrischen
(varena) identisch sein soll, welche neuerdings von De Lagarde
(Beiträge zur baktrischen Lexicographie p. 6) mit grosser Bestimmt
heit vorgetragen wird. Besser im Einklänge mit der armenischen
Lautlehre (wonach armenisches £ stets älteres cd darstellt) ist die
von A. Ludwig (Sitzungsberichte, Bd. LV, S. 190) gegebene
Erklärung des <y,£7, als altbaktrisches (ahuraena). Die
selbe ist jedoch schon deswegen nicht passend, weil der Gebrauch
des Wortes, wie auch De Lagarde a. a. 0. richtig bemerkt,
nicht aufs Dogma, sondern auf den Brauch geht und zu dieser
Annahme wenig stimmt. Namentlich Ausdrücke, wie .[u.puiqopk'b
(waraz-ören) u. A. lassen sich schwer begreifen, wenn opl/h auf alt
baktrisches *ahuraena zurückgeführt wird.
4. (inC)
In dem vor Kurzem erschienenen Werke „Geschichte der Sprach
wissenschaft in Deutschland“ S. 600, bemerkt Benfey, die Inder
hätten den Löwen durch ein Wort bezeichnet, welches nicht aus
einer indogermanischen Wurzel gebildet ist, was zu dem Glauben
verleiten könnte, als stehe der indische Ausdruck sinha ganz
unvermittelt im Kreise der indogermanischen Sprachen da. Dass
dies jedoch nicht der Fall ist und dass die Eränier sich einmal des
selben Ausdruckes bedient haben, dies beweist das armenische [hui
Armeniaca. II.
453
(inQ „Leopard“, welches auf ein alteränisclies hinzu, den Reflex
des altindischen siriha (= fi/igha) zurückgeht. Über den Wechsel der
Bedeutung hei Thiernamen vergleiche man das in Armeniaca I.
Gesagte und bedenke, dass der Ausdruck (serj, mit welchem
der heutige Perser den Löwen bezeichnet, dem modernen Inder als
Bezeichnung für den Tieger gilt und dass er auf den Löwen das Wort
(singh) gleich seinem Vorfahr anwendet.
In Betreff der Etymologie des altindischen siriha wage ich
keine Erklärung zu versuchen; ich kann vor der Hand nur Ver
muthungen bieten. Man könnte an sah denken, wornach der Löwe
als der „Starke“ passend bezeichnet wäre; indessen steht vielleicht
das Wort siriha im arischen Sprachkreise für altindogermanisches
svirlgha wie ku für kva, kati für kvati etc. und ist der indische
Löwe mit der griechischen ayiyi; identisch.
Dieses armenische Wort wurde unter anderem auch dazu
benützt, das griechische rCpavvog zu erklären (vgl. Gosche de ariana
lieg. arm. ind. 27). Nach meiner Ansicht haben beide Worte mit ein
ander nichts gemein und dürfte das griechische rOpavvog wegen der
Nebenform xoipavo? auf eine Wurzel mit anlautendem Guttural zu
beziehen sein. Das armenische Ul kp weist wegen des im Genitiv
intriun% (tcarn) auftretenden zweisilbigen Stammes auf eine Zu
sammenziehung des £ aus i,,j hin, dessen j, wie sonst häufig, aus
altem th hervorgegangen sein dürfte. Wir werden demzufolge aut
eine ältere Form tatlir hingeführt, welche nach meiner Ansicht nichts
anderes, als das bekannte altbaktrische Wort (dntarej, vgl.
•y*y[, (hajr) aus patlir — patare, Jly ( , (majr) aus mdthr = rnatare
repräsentirt. Das anlautende d ist, wie sonst häufig im Armenischen,
zu t verschoben worden.
6. (siramarg).
Das armenische (siramarg) „Pfau“ wird von De
La gar de (Beiträge zur baktrischen Lexicographie S. 65) mit dem
454
M ii Iler
altbaktrischen -"‘jfh« •-“jw-“" (caena-mereglia), tlem neupersischeu
(simurgh), Purst (cinamru) identificirt. Dies ist nach
meiner Ansicht schondeswegen nicht richtig, weil das ei'ste Glied des
Compositums sira- nach den Lautgesetzen des Armenischen nie aus
dem altbaktrischen -"iw**" (caenaj entstanden sein kann. Die Form
caena selbst lautet im Armenischen als Glied eines Compositums
u [,‘h (sin), ') als selbstständiges Wort g[,i, (%inj, Formen, welche
mit sira nichts zu thun haben. Dieses darf von (ser) nicht
getrennt werden, wornach der Pfau dem Armenier nichts anderes,
als „reizender, lieblicher Vogel“ bedeutet.
T. i[uipti tati), ui (wardapet).
Dieses Wort bringen die Armenier (ich weiss nicht, ob nur
jene, welche ich darüber consultirt habe), mit ( wni 'd) „Rose“
in Verbindung, eine Ansicht, welche auch von europäischen Gelehrten
(vgl. Ewald in den Abh. der Göttinger Gesellsch. d. Wiss. B. X.
S. 80) getheilt wird. Mir scheint diese Deutung mehr eine Volksetymo
logie, denn eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhendezu sein. Ich
fasse ward im Sinne des altbaktrischen (varedha) „Wachs
thum, Förderung“ und erkläre den Ausdruck als „Förderer“,
welches eine ganz passende Bezeichnung des Lehrers sein dürfte.
8. ni (Uhl) .
Das armenische Suffix -»»-<£/» (-uhi) bildet Feminina von Mas-
culinformen. welche vernünftige Wesen bezeichnen; z. B. lU^L^LUiUnL^jl
(abbasuhi) „Äbtissin** von iuu (abbas^ „Abt**.
(thaguhi) „Königin** von p-iui^uiun^i (thagavov^ „Künit^**.
jnuty (arqajithi) „Königin“ von ui^ny (arg ah) „König“,
D i 11 dem Worte tu^nph farsin) = n 11 b. _uj (airya caenaj, ar- im
Sinne von airya kommt mich in (aragilj „Storch“ vor, dessen zweites
Glied mit dem lateinischen aquila identisch sein dürfte.
Armeniaca. II.
453
(q'rmuhi) „heidnische Priesterin“ von om.pJ' (q urmj „heidnischer
Priester“ etc. Die wissenschaftliche Erklärung dieses Suffixes ist
ziemlich schwer, da die verwandten Sprachen keine Analogien
zu demselben bieten. De Lagarde (Beiträge zur baktrisehen
LexicographieS.62) führt dasselbe, gestützt auf die Leseart ,<$[,
(urhi) in zwei Stellen des Moses von Khoren auf das altbaktrische
(puthra) zurück, so dass (ulii) vollkommen dem Femi
ninum von puthra, nämlich *^<S7e> (puthri) entspräche.
Gegen diese Erklärung erheben sich zwei Schwierigkeiten,
nämlich eine lautliche und eine begriffliche. Wenn ein selbst
ständiges Wort <£„<_<£ (huh) oder (hurh), der armenische
Reflex des altbaktrischen puthra existirte und ein in späterer Zeit
erfolgtes Verwachsen des Femininums desselben mit dem vorherge
henden Nominalthema angenommen werden könnte, dann würde man
gegen diese Erklärung wohl nichts Wesentliches einzuwenden haben.
Da aber ein Wort oder nicht existirt und die Composition
eine alte zu sein scheint, so macht der Ausfall von p von der Form
puthri im Inlaute bedeutende, nicht leicht wegzuräumende Schwie
rigkeiten. Jedoch abgesehen von der lautlichen Seite passt das
Wort puthri zur Erklärung des Suffixes -ulii, -urlii deswegen nicht,
weil die hieher gehörigen Compositionen nicht Tochter des N. N.,
sondern Frau des N. N., dann überhaupt das weibliche Gegen
bild des männlichen Ausdruckes bezeichnen. Wir müssen also die
Erklärung des armenischen -ulii aus dem altbaktrischen puthri
fallen lassen und uns nach einer anderen mehr passenden Um
sehen.
Wir finden im Altbaktrischen unter den Ausdrücken für Gattin
auch den Ausdruck vanta, neben dem Masculinum vantu, aus denen
auf die Möglichkeit eines *vantar, dessen Femininum *vathri
(di^ls) lauten würde, geschlossen werden kann. Dieses *vathri
würde aber im Armenischen, den Lautgesetzen gemäss, namentlich
als letztes Compositionsglied -urlii lauten.
Das armenische Wort np^f, (vordi) „Sohn“ hat man schon
lange mit dem altbaktrischen puthra in Verbindung gebracht; andere
Gelehrte haben das griechische uöprtg (welches jedoch in
stecken dürfte) zur Vergleichung herbeigezogen. Obwohl ich namentlich
die erstere Gleichung lange Zeit für richtig gehalten habe, kann ich
gegenwärtig derselben nicht beistimmen. Wenn puthra sich im
456
Müller, Armeniaca. II.
Armenischen nachweisen Hesse, so müsste der Dental desselben als
auftreten und könnte am allerwenigsten neben r zu d herabgesunken
sein. Ich halte daher das armenische npq./, für identisch mit dem
altbaktrischen (varedha) im Sinne von „Heranwachsender“,
das bekanntlich im Sinne von „herangewachsener, kräftiger Mann,
Athlet“ im neupersischen Jy (gurd) sich wiederfindet. Die arme
nische Form ist aus der altbaktrischen mittelst des Suffixes -ya
weitergebildet.
Strobl. Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
457
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
Von Joseph Strobl.
K. Simrock hat in seiner Übersetzung des Orendel die Meinung
ausgesprochen, dass der Orendel in der fünfzeiligen Moroltstrophe
abgefasst sei. Er hat dieselbe in seiner Schrift: Die Nibelungen
strophe und ihr Ursprung S. 75 wieder zurückgenommen, aber aus
der überlieferten Form der Spielmannsgedichte Schlüsse gezogen,
welche mindestens gewagt sind. E. H. Meyer erkennt in der Zeitschr.
f. d. A. 12, 392 die Moroltstrophe auch dem Oswald zu, natürlich
wie er in der Schaffhausener, Münchener und Innsbrucker Hand
schrift überliefert ist. Aus dem Orendel hat Simrock eine Anzahl
von Strophen herzustellen gesucht, ich will den Oswald nach dieser
Seite untersuchen.
Wenn L. Ettmüller und mit ihm W. Wackernagel Litteraturge-
schichteS. 163 und noch andere unser Gedicht ins zwölfte Jahrhundert
rücken, so waren es wohl nicht allein die Reime, in Betreff deren
K. Bartsch ihre Ansicht in Pfeiffers Germania 5, 129 ff. zurückzu
weisen sucht, welche dazu bewogen, sondern noch etwas anderes.
Die Verse des Oswald stellen ihn bei flüchtigerer Betrachtung jener
Gattung zur Seite, welche W. Wackernagel, das äussere treffend
kennzeichnend, das innere Wesen verkennend, Reimprosa genannt
hat. Jenen Gedichten also des zwölften Jahrhunderts, deren Ver
fasser lang und kurz gemessene Verse bilden, die sich in das Schema
der drei oder vier Hebungen nicht oder nur gewaltsam fügen lassen.
Ich wüsste aber bei aller sonstigen 'Rohheit’ des vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhunderts solche Verse in jener Zeit nicht nachzu
weisen. Den Orendel wird man mir nicht entgegen halten, wenigstens
nicht, nachdem man meine Abhandlung verfolgt hat. Von der Form
458
Strobl
der Verse und ihrer Verbindung ausgehend darf man wohl unter
suchen, ob nicht sie irgend einen Anhalt zur Lösung der Frage
bieten. L. Ettmüller zerlegt den Orendel in Strophen von vier
Zeilen mit tadelnswerther Kühnheit, doch nicht ohne in der Über
lieferung des Gedichtes einen wenigstens scheinbaren Grund zu
haben. Ich meine Stellen wie die folgende:
Do gähten an diu schif mit kraft
Diu vil stolze herschaft
Si zugen üf iren segel
Die kiele die fluzzen eben.
Do furen die selben berren
So mit grozen ären
Do vluzzen si mit schalle
Sehs wochen alle.
Do kam ein starker sturmwint
Und warf diu ellenten kint
Daz vil wünnecliche her
Uf daz wilde Clebermer.
Da lägen si dri jar als lange
Als relit herte gefangen,
Sicherlich diu selben liute
Als uns daz buoch bediute.
Der junge kam in gröze not
Er vorht er müst. Ifden den tot
Do was der junge kiinec bestanden
Und mohte niht körnen von dannen.
Sie rieten alle in disen dingen
Wie si sich dannen mohten bringen.
Daz erbarmte die edel und die frie
Die künigin santa Marie.
Sie sprach: sun vil guter
Hilf dem künige Orendel uz ncelen
Trut sun, vil lieber herre
Durch dines beilegen grabes ere.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
459
Do tete ein Zeichen unser herre
Durch sin muoter sant Marien ere
Er sante dar einen sturmwint
Er brahte danan diu eilenden kint.
Do si wären ab dem Clebermer körnen
Si ruften unde sungen,
Si zugen üf ire segel
fr kiele giengen eben.
Do furen die selben herren
Mit höhen grözen eren
Mit einer starken menige
Zu der grözen Babilönie.
v. d. Hagen 357 — 398. Solche Absätze zu vier Zeilen finden sich in
dem Gedichte reichlich, 85—108, wo man nur besser interpungieren
muss, als es v. d. Hagen getan, ferner 1347 — 1358. 1385 —1404
1503—1514.1633—1686 (wo nur 1657 und 1658 stören). Daneben
findet man wohl auch sechszeilige Gesätze, wie 1309—1320. 1585
—1596. In wieweit solche beabsichtigt oder zufällig erscheinen,
wird sich später ergeben. Auch Oswald weist Absätze von vier
Zeilen in grosser Menge auf. In Ettmüller’s Ausgabe werden sie recht
gut ersichtlich. Gleich im Anfang, Vers 19 — 98, zwanzig solcher
Gesätze, 101—128. 131 — 146. 161 — 168. 229—236. 239 — 242.
249—256. 275 — 278. 293—296. 313—328. 341—356. 365 bis
416. 423 — 426. 429—436. 463—478. 487—490. 497—508.
523—542. 549—556. 559 — 566. 579-582. 595—610. 613 bis
672. 691 —722. 731—746. 755—774. 781—792. 799—838.
Die Lücke der iSchaffhausener-Handschrift nach 840 ergänzt Bartsch
a- a. 0. 114 aus der Münchener. (Aus der Innsbrucker steht die
Stelle im Anzeiger 1856 S. 271) 839 5-21. 9 M— 36 M. 43 M
bis 58 M. 845—848 wenn wir S folgen dürfen, denn M stört hier
das Gesätz. 849—860. 867—882. 897 — 928. 937—948. 971 bis
978. 985—992. 1013- 1016. 1025-1040. 1049—1052 (nach S,
anders M). 1065—1068. 1075 — 1078. 1085—1088. 1113 — 1140.
1143—1154. (1141 und 1142 wie 1155 und 1156 könnten mit den
vorhergehenden vier Zeilen auch einen Abschnitt von sechs Versen
bilden. Sie berühren sich jedoch so stark in ihrem Inhalt und haben
460
Strobl
noch dazu den zweiten Vers gemeinsam: des begunde er (nu) truren
unde klagen, zudem fehlen 1141 und 1142 in M, dass ich sie
lieber übergehe, wenn auch eine solche Wiederholung der
Spielmannspoesie an sich nicht widerspricht.) 1157—1172. 1185
— 1188. 1191—1194. 1201 — 1236. 1257 — 1268. 1275—1278.
1287-1314. 1327—1330. (Anders!/.) 1333—1364. 1373—1392.
1395—1398. 1407—1426. 1441 — 1472. 1475—1478. 1497 bis
1508. 1527t)—1538. 1541—1544. 1571 — 1578. 1591-1598.
1605 — 1608. 1615—1630. 1633—1636. 1649—1660. 1669 bis
1676. 1685—1696. 1711 — 1718. 1741—1748. 1749 — 1752.
1753—1768. 1771—1782. 1791—1802. 1827—1842. 1845 bis
1868. 1871 — 1882. 1889—1892. 1895 — 1914. (Dass 1913. 1914
nicht so herzustellen sind wie Bartsch a. a. 0. S. 149 will, wird sich
später ergeben. Ettmüller hat das Zeitwort intrenken missverstanden.
Das rnlid. Wörterbuch weist es u. a. aus dem Rosengarten 2146
und aus Neidhart nach, ausserdem findet es sich im Apollonius, siehe
mein Glossar. Der Volkspoesie und der volkstlnimlichen ist es also
nicht fremd. Warum M es tilgt, werde ich ebenfalls unten ausein
ander setzen.) 1929 — 1940. 1949 — 1960. 1967—1970. 1975 bis
1980 nach M. 1985—1996. 2023—2030. 2035—2038. 2045 bis
2048. 2061 -2064. 2067-2078. 2081—2084. 2089-2096.
2099—2114. 2123-2130. 2137—2152. 2155-2170. 2173 bis
2180. 2183-2190. 2193—2216. 2225—2228. 2237—2240.
2245—2252. 2269 — 2276. 2297—2300. 2307—2314. 2343 bis
2358. 2361—2372. 2379. 2380. 2381 und der Vers aus Ma. a. O.
S. 150 ab den heulen und ab den Kunden. Ferner die hier gleich
folgenden: Er het ze biten niht mer Im was ze vlieliene ger aus M
nebst 2383. 2384 S. 2385-2400. (Warum 2395. 2396 in M 'mit
Recht’ fehlen sollen, kann ich nicht finden.) 2405—2412. 2447 bis
2450. 2459—2462. 2465 — 2480. 2483 — 2486. 2493—2512.
2519 — 2538. Die in S hier fehlenden Verse a.a. O. S. 151 ebenlalls
1—4. 5—8. 2539—2574. 2591—2614.2617—2624. 2631—2694.
2709—2712. 2719—2730. 2739—2742. 2749-2756. 2759 bis
2778. 2787—2806. 2809—2828. 2835—2858. 2863-2866.
2899—2902. 2911—2918. 2927 — 2934. 2945-2956. 2985 bis
*) = Ettm. 1526, da Ettm. sich hier um einen Vers verzählt. Ich behalte jedoch im
folgenden Ettmüller’s Verszählung bei.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
46 t
2992. 3043—3046. 3067—3074. 3091—3094. 3099—3114.
3135—3174. 3181—3252. 3257—3264. 3279—3286. 3319 bis
3330. 3339—3350. 3357—3364. 3371—3394. 3401 — 3412.
3425—3440. 3457—3464.
Dazu kommen noch Gesätze zu sechs Zeilen. Es kann in einigen
Fällen wo wie oben zwischen 1140 und 1143, 1188 und 1191, 1330
und 1333, 1472 und 1475, 1538 und 1541, 1630 und 1633
und noch öfter sich zwei Verse zwischen den vierzeiligen Abschnitten
zeigen, streitig sein, ob man vier oder sechszeilige Gesätze annehmen
soll. Es ist dies im einzelnen gleiehgiltig, da es uns bloss darauf an
kam, zu beobachten, dass Verse von vier und sechs Zeilen zusammen
einen abgeschlossenen Sinn bilden. Letztere finden sich, wobei ich
die angedeuteten zweifelhaften Fälle übergangen habe: 279—284.
287—292. 297—302. 437—442. 491—496. 583—588. 775 bis
780. 793—798. 929—934. 979—984. 1269 — 1274. 1509 — 1514.
1515 — 1520. 1579—1584. 1585—1590. 1599—1604. 1637 bis
1642. 1643—1648. 1739—1744. 1785—1790. 1883 — 1888.
1997—2002. 2065—2070. 2131—2136. 2263—2268. 2279 bis
2296. 2301-2306. 2373—2378. 2401—2404 nach M. 2451 bis
2456. 2487 — 2492. 2513—2518. 2579 — 2584. 2585—2590.
2575 -2579 nach M. 2625—2630. 2703—2708. 2713—2718.
2731-2736. 2743 — 2748. 2779—2784. 2829—2834. 2871 bis
2876. 2891—2896. 2903-2908. 3013-3018. 3019—3024.
3029—3034. 3059 — 3064. 3079—3084. 3175—3180. 3287 bis
3392. 3313—33.18. 3331—3336. 3351 — 3356. 3365 — 3370.
3395—3400. 3413—3418. 3419-3424. 3441-3446.
Unter 3470 Versen finden sich also 2028 Verse in Absätzen zu
vier und 400 in solchen zu sechs Zeilen, wobei jene, welche sich
bloss aus M ergeben, nicht mitgerechnet sind. Diese Gesätze, welche
man darum nicht als zufällig erklären darf, weil sie im Oswald
so häufig sind — in dem 'gleiche Schule’ verrathenden Orendel sich
finden und noch anderweitig, wie ich unten nachweisen werde —
zeigen in manchen Fällen deutlich eine ihnen zu Grunde liegende
andere Strophe.
417 Do sprach der edel rabe :
'Herre merke waz ich dir sage
Keiner menschlicher stimme
Wierest du von mir niemer worden inne.’
Sita]). (1. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. II. Hft. 31
462
Strobl
418 nach M. nu merket waz ich tu sage S.
Do sprach der edele rabe:
'Herre merke weich dir sage
Keiner menschlicher stimme
Wasrestu niemer
Von mir worden inne.’
Über weich vgl. N. Jahrb. f. Phil. u. Paedag., 1869. II Abt., 413.
595 Und sage der kiiniginne vri,
Daz mir an got nieman lieber si
Dan mir ist ir werder lip
Sie sol ob got wil werden min wip.
Der Rabe in der Botschaft an die Königin 1033 wiederholt die
Worte:
Dir enbiutet der viirste vri
Daz im an got nieman lieber si,
Dan im ist din werder lip.
Du solt, ob got wil, werden sin wip.
1084 lautet der letzte Vers so liep daz ich hoffe, ich werde
sin elich wip, 1314: si welle ob got wil, gerne werden din wip.
Gerne im letzten Verse ist sicher ein Flickwort, wie 249 und 255,
elich ist mir ebenfalls verdächtig. Zwei Fälle sind hier denkbar, in
der Vorlage stand kein weiteres Wort und es hiess: Du solt obe got
wil wdrden sin ivip, woran ich unten erinnern werde, oder es stand
an allen vier Stellen ein Wort (u. z. wol jedesmal ein anderes), welches
zweimal ausgelassen, zweimal durch naheliegende Flickworte ersetzt
wurde. Nehmen wir das letztere an, so erhalten wir die folgende
Strophe, wobei ich ein für alle mal bemerke, dass was ich ergänze
cursiv gedruckt, was ich gegen die Handschriften auswerfe, mit
runder Klammer versehen ist:
Nü sage der küniginne vri
Daz mir (an got) nieman lieber si,
Dan mir ist ir werder lip.
Sie sol obe got wil
Werden min * wip.
Über das Spielmaunsgedicht von St. Oswald.
463
Ähnlich sind die angeführten Strophen gleichen Inhalts zu be
handeln. Gerne nannte ich oben ein Flickwort, ich setze die bewei
sende Stelle nachträglich hieher.
249 Sie wolten gerne zuo dem toufe kören
Und kristenliehen glouben meren
Beidiu spät unde vruo.
Und liabent nieman der in helfe dar zuo.
Do sprach der vürste guot:
Nu muoz ich über des meres vluot
Ich hilfe in zuo dem toufe gerne
Also sprach der junge degen
Und gieng ez mir an min jungez leben.
Sie wellen ze toufe (?) keren
Und kristenglouben meren,
Beidiu spät unde vruo
Und ne liabent nieman
Der in helfe darzuo.
Do sprach der vürste guot:
'Nü muoz ich über des meres vluot’.
Also sprach der junge degen:
'Ich hilfe in zuo dem toufe
Und gieng ez mir an min leben’.
Auch hier die fünfzeilige Strophe, die erste wieder wie die
frühem einer vierzeiligen entsprechend, deren letzter Vers die reim
lose und die letzte Zeile der gefundenen Strophe enthält. Etwas anders
stellt sich der zweite Fall dar. Ettmüller meint, der Schreiber habe
den langen Vers in zwei zerlegt, wie V. 225 setzt er hinzu. Siehe
Anmerkung zu Vers 235. Dort erscheint aber ein Vers eingeschoben,
der noch dazu ganz unpassend ist; hier muss Ettm. bei degen das
junge streichen, während doch klar ist, das diess richtig und ihm das
junge bei leben seine Stelle verdankt. Der Waise ist, damit er die
Reime nicht trennt, nur zwischen die Verspaare eingeschoben.
629 Sin kraft was im entwichen
In bete diu müede erslichen,
3t“
464
Strobl
Daz eil lat iuch (niht) wunder dünken
Er vlouc unz an den zehenden tac
Ungezzen unde untrunken.
Wenn unz an den zehenden tac nicht kerübergenommen ist aus
Vers 623.
Vers 801 Wserlich diu küniginne guot
Ist vor mir rekte wol beliuot.
Die stolzen küniginne
Mac ick der botschaft niemer bringen inne.
Der letzte Vers enthält, wie oben die zwei:
Enmac ick flirre botschaft
Niemer bringen inne.
929 Diu wile werte niht lange
Der rabe wart gevangen;
Und an derselben stunde
Wart er kreftliclich gebunden
Mit hirzinen riemen. der kunic in vienc
Den raben er an ein stangen hienc.
iP/ liest hier von Vers 933 an :
Mit hirzinen riemen.
Dem raben half da niemen.
Der heidensch kunic dö niht enlie
Den raben er an ein stangen hie.
S und M haben mittelbar dieselbe Vorlage X, doch müssen wir
zwischen X und M und S noch zwei Mittelglieder annehmen, die
bessern und glätten wie hier <). Also:
1 ) Vers 1101 ff. lauten bei Ettmiiller: Heiz in des kieles mäze büwen Und ne läze im
niht die vart sin ein trouni Ouch sol er die kiele büwen mit rotem golde vin Daz ez
si allez luter unde rein. Die M gibt sie folgender Maassen: Hais in des lciels maspatvm
Vnd .haiz im di vart nicht wesen ain trawm Weschlahen mit cdclcm gestain Daz daz
sei lauter und rain. Auch hier haben beide Vorlagen, jede auf ihre Weise geändert.
Ich sehe ab von mäze büwen, da ich die handschriftliche Leseart von S nicht kenne
und Ettmiiller immerhin etwa ein mas poun oder ähnliches missverstanden haben
könnte. S oder X| fühlt, dass 1103, wie es noch in M erscheint, durch den einge
schobenen Vers 1102 in der Luft schwebt und setzt zu Ouch s. e. d. k. b. M nimmt
Über das Spiulmannsgedicht von St. Oswald.
465
x
x,
S Hl
In Xmag noch manches stehen gehliehen sein, das x l und x a
jedes auf seine Weise ändern. Während x t hier einfach nach
riemen den nächsten Vers gekürzt anreiht, um den Reim zu erhalten,
ist Xu sorgfältiger und schiebt einen Vers ein. Auf den Vers mit
hirzinen riemen war daher ein Reim zu finden oder er war sonst
unterzubringen. Wir haben hier den Waisen der fünfzeiligen Strophe :
Diu wile werte tudange
Der rabe wart gevangen
Und an der selben stunde
Mit hirzinen riemen
Krefteclich gebunden.
Die Tochter tadelt, dass ihr Vater den gegebenen Frieden an
dem Raben brechen wolle, und fährt fort 949:
Und verlieset er in dem vride daz leben sin
Daz stät vil übel den eren din
Und muost sin oucli iemer laster haben
Swa manz höret singen oder sagen.
Man spriehet du sist worden triuwelös
Und wirst auch niemer mere keins biderben
mannes genöz.
9S5 Wie stät dir daz an?
Man spriehet du sist ein vridebrüchiger man
Und hast sin ouch gröze schände
Swä du verst in dem lande.
Daz habe von miner lere
Wan du kanst dich ze guoten dingen geliehen
niemer mere.
Anstoss an dem Reim vinXrein, der ursprünglich offenbar nicht beabsichtigt war,,
sondern bei der Umänderung stehen blieb. Dürften wir hier nicht dasselbe ver-
muthen, wie in der obigen Steile? Etwa:
Heiz in des kieles maspoum
Reslahcn mit rötem golde vtn.
La im die vart niht sin ein tronm. Ähnlich V. 1329.
466
Strobl
In Vers 949 ist in dem vride, wenn man die vorhergehenden
Verse betrachtet, überflüssig, 951 und 952 entsprechen dem Sinne
nach den Versen 957 und 9S8, wie auch 955 und 956 nur eine
Wiederholung der vorhergehenden Verse sind. Es wird zu lesen sein:
Verliuset er daz leben sin
Daz stät vil übel den eren din.
Man sprichet du sist triuwelös
Und wirst auch niemer mere
Keines biderben mannes gnöz.
Du hast sin grüze schände
Swä du verst in dem lande.
Daz habe von miner lere
Du enkanst ze guoten dingen
Dich glichen niemer mere.
Einen ähnlichen Fall, wie wir zu 929 besprochen, bieten 1041
ff. Vorher geht ein Abschnitt von vier Versen, dann folgen:
Vil edeliu küniginne gemeit
Nü hau ich dir ez allez wol geseit,
Waz minem herren ist ze mnot.
Nü merke werdiu küniginne guot
1045 Und gip mir urloup halt von hinnen
Des bite ich dich vil edeliu küniginne.
V. 1044 hat fünf Hebungen, 1045 vier mit klingendem Schluss.
Und gip mir urloup balde war der Waise, er ward unter die Verse
gesetzt, deren Reime er trennte. Um ein Reimpaar zu erhalten, ist
noch ein Vers hinzugedichtet.
Nü gip mir urloup balde
Werdiu künniginne guot.
Ganz derselbe Fall 1069 ff., dem wieder vier Verse wie oben
voraufgehen.
An dem niunden morgen vruo
1070 Giene si dem raben wider zuo
Und stricte im under daz gevidere sin
Einen brief und ein guldin vingerlin
Mit einer sidinen snuore
Daz er ez über mer solte vüeren.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
467
An dem munden morgen vruo
Giene si dem raben wider zuo
Und stricte im undr die vedere sin
Mit sidiner sniiere
Einen brief unde ein vingerlin.
Man bemerkt in beiden Fällen die aus den fünfzeiligen entstan
denen sechszeiligen Strophen.
1167 Wan ich kenne dich relit wol;
Sit ich dir daz sagen sol:
Din leit tuo mir bekant
1070 Ich w;en du dienist sant Oswalde in Engellant.
Nu hat mir geboten der himelisclie herre
Ich sol din biten umbe dinen herren.
Des raben herze wart vröuden vol
Do er daz vernam also.
1075 Ich kan dirz niht vertragen
Ich muoz dir künden unde sagen
Waz mir ze leide ist geschehen,
Als ich dir nü wil verjehen.
In 1071 und 1072 hat M entschieden nicht die bessere Lesung,
es (natürlich als Vertreter seiner älteren Vorlage) vermeidet nur den
rührenden Reim. Dass es auf bessere Reime ausgeht, haben wir oben
gesehen. 1174 hat M allerdings eine bessere Lesung, wohl aber
kaum die alte. Die Prosa kann in solchen Fällen nicht entscheiden.
Des raben herze wart vrö
Do er daz vernam also
war etwa das ursprüngliche, das X vor sich hatte. Vers 1070
Ich wsene du dienist
Sant Oswalde in Engellant
bildet den Schluss der ersten Strophe; die zweite mag gelautet
haben:
Der raben herze wart vro,
Do er daz vernam also,
Strobl
Icli ettkan dirz niht verdaten:
Waz mir leides ist geschehen
Mnoz ich dir künden unde sagen.
Got und ouch diu muoter sin
Diu täten do ir genäde sohin
(Und sante in ein engel werden M)
Herwider üf die erde
Des wurden si gevröuwet sere
S hat den Vers 1721 ausgelassen. Das Adjectivum werden
ist des folgenden Reimwortes wegen gesetzt, es stand offenbar liere
reimend auf sere:
Und santen ein engel liere
Nider üf die erde.
Des wären se ervröuwet sere.
1759 ff. Da von ist er komen in arebeit
Daz hän ich im allez vor geseit.
Ich seife dem vürsten hohgeborn
Kanner an mich dar sin arbeit, waere ganz verlorn.
Diese Strophe wird gelautet haben: Des ist er u. s. f.; der
Schluss:
Kaeme er dar äne mich
sin arbeit wsere gar verlorn.
Zu 1765—1770 vergleiche das zu 1041 gesagte:
Wil er niht senden den hirz sin
Hin ze der edelen kiinigin?
Nimt er den schaden oder sin dienstman
Waerlich da hin ich unschuldec an.
Si nemen sin vromen oder schaden
Den gewin suln si an mich tragen.
Wil er niht den hirz sin
Senden zer edelen künigin?
Ob er und sine dienestman
Sin nemen vromen oder schaden
Da hin ich unschuldec an.
468
1719 ff.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
469
Die gleich sich anschliessenden vier Verse 1771—1774 lassen
sich mit einer leichten Änderung ebenfalls in der fünfzeiligen Strophe
darstellen:
Do diu rede dö was geschehen
Aber hegende der engel jehen :
Lieber rabe (nü) lä (den) dinen zorn
Unde kum ze helfe
Dinem vürsten höehgeborn.
V. 1849 —1856 bilden zwei Absätze zu je vier Zeilen:
Zwar ich muoz in der wärheit jehen
Iwern raben den hän ich hie gesehen.
Er ist her ze lande komen.
Al unser trüren
Hat ein ende genomen.
Dö diu rede dö vol geschach
Sant Oswalt lachet unde sprach:
Und ist er komen uz Engellant
Drizee marc goldes
Daz gib ich dir a/zehant.
In Vers 1851 habe ich zwäre gestrichen, das aus 1849 ohne
hin wiederholt ist, für 1854 begunde lachen das einfache Praeteritum
hergestellt. Dass späte Handschriften das Praeteritum mit beginnen
zu umschreiben pflegen ist schon aus Erec Vers 22 bekannt.
1899—1902 wieder ein Gesätz von vier Versen:
Do du von dem lande wsere komen
Zehant wart mir min spise genomen.
Si pflegeten wird noch ere
Sie wänden du ksemest
Ze lande niemer mere.
1975 —1980: Wä lieze du den herren dtn
Daz sage mir lieber rabe min,
Wserlich den siehe ich also rehte gerne,
Daz muoz ich dir in der wärheit verjehen.
Daz er ist gewesen also lange.
470
S t r o 1> 1
M hat die Stelle folgendermaassen :
«
Wä liezestu dinen herr.en?
Den ssehe ich rehte gerne.
Der ist gewesen so lange
Des ist min vrönde nach im zergangen.
Um aus diesen beiden Fassungen die erreichbare Vorlage zu
gewinnen, muss festgehalten werden, dass die in den zwei Stellen
gemeinsamen Verse beiden Bearbeitern Vorgelegen sein müssen. In
S ist gerne-, vergehen kein Reim und fehlt der auf lange. Ursprünglich
muss herren: gerne wie im M gereimt haben, vergehen hatte keinen,
war der Waise. Der Bearbeiter von £ der es wiederholt nicht genau
nimmt, bindet gern: jehn und hilft sich im ersten Verse mit din und
einem Einschub. In X stand daher:
Wä lieze du din herren?
Den sselie ich rehte gerne.
Min vröude ist nach zergangen,
Des muoz ich dir zeware jehen,
Daz er ist gewesen so lange.
2107-2110 vier Verse:
Er sagte in diu maere
Daz vur die hure (komen) wsre
Kamen vil maneger (werder) kristenman
Die (und Hs) wellent unserm herren
Siniu lant gewinnen an.
Vers 2115—2118 nach S:
An den seihen stunden
Si ir helme uf bunden.
Sie verwäfenten sich sere
Aisamt als vil nu ir wären.
M dagegen:
An den selben stunden
Si ir helme üf bunden
Si verwäfenten sich grimme
In die liehten stahelringe.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
47t
Las die Vorlage:
An den selben stunden
Si ir helme üf bunden
Si verwäfenten sich grimme
Als vil nü ir wären
In die liehten stahelringe,
so hat M den Waisen einfach weggelassen, S einen Reimbehelf
gesucht und den letzten Vers getilgt.
2311—2314: An dem ahten morgen vruo
Vuortern an den buregraben hinzuo.
Da liez er den hirz stän
Und begunde herwidere
Zuo der ^rofrsmitten gän.
Zu goltsmitte vergleiche Vers 2537.
2361—2364: Si sümten sieb niht lenger mär
Bogen und spiez truoc man in her
Der begundes niht verdriezen.
Si wolten den guldinen hirz
Stechen unde schiezen.
Hierauf wieder ein Abschnitt von vier Versen, dann 2369 bis
2372:
Der beiden vröude diu wart gröz,
Einer vür den andern sehöz.
Dili porte wart in üf getan
Unde die hunde.
Ab den seilen gelän.
2493—2496: Dü daz bet vol geschach
Daz sloz sich von der porten brach
In aller der getsete
Als ob ez ein grözer wint
Üf geworfen hsete.
Die in S fehlenden aus4/a. a. 0. Seite 151 ergänzten Verse nach
2538 bilden 1—8 zwei Strophen von je vier Zeilen, sie lassen auch
die fünfzeilige zu:
472
Strobl
Do sprach der viirste lobesam:
'Wol üf al min dienestman
Und lät ans heben von hinnen:
Ich han gewannen relite
Die jungen kuniginne.
Die selben dienestherren
Vröuten sich der eren
Daz in so (wol) was gelungen
Und sie die kuniginne
Häten gewonnen.’
2675—2678, im Gesätz zu vier Versen; wobei die Folge der
ersten Verse in M die bessere sein wird:
Der heide ist nach uns her komen,
Zwäre daz han ich wol vernomen.
Ez en welle got understän
Ich vürlite wir müezen
Unser leben verloren hän.
2791 — 2795: Nu warn die beiden allesamt
Zuo im komen üf daz lant.
Sant Oswalt (den beiden) in widerböt
(Nü) Airerste huop sich angest
Unde (gröziu) grcezlichiu not.
2809—2814 lauten in 5:
Sant Oswalt der wigant
2810 Vuorte den sturmvanen in siner hant
Der manheit waz er nilit ein tör
Den sinen vaht er ritterlichen vor.
Er vaht relit als ein biderber herre
Er gap den sinen rät und lere.
Vers 2813 überliefert M: Er vaht relit als ein wilder her, was
Bartsch der Lesung von S vorziehen will. Wir dürfen aber trotz der
augenblicklich einnehmenden Fassung in M beide Verse wieder für
Versuche erklären auf die reimlose Zeile einen Reim zu finden. Diese
Zeile war offenbar die beiden gemeinsame: Er gap den sinen rat
und Ure, die Strophe lautete :
Über das Spielmannsg-edicht von 8t. Oswald.
473
Sant Oswalt der wigant
Vuort.en sturmvanen in siner haut.
Der manheit was er niht ein tor:
Er gap den sinen (rät und) lere,
Und vaht (den sinen) in ritterlichen vor.
2853—2858: Do si sant Oswalt an sach
Do begunde er lachen unde sprach:
'Her sweher sit mir gote wilkomen
Zwäre iuwer zuokunft
Hän ich gerne vernomen.’
Die beiden letzten Verse lehren auch in 1391—-1394 die Strophe
herstellen:
Do in der künic an sach
Nü muget ir hceren wie er sprach:
Meister nii sit mir gote wilkomen,
Zwäre iuwer zuokunft
Hän ich gerne vernomen.
3081—3084: Und hilf mir daz die (touften) beiden
Senftecliche (hie) verscheiden
Und daz sie also ersterben
Und mit dem andern töde
Dine hulde erwerben.
3193—3196 : Dar zuo gap er im ringe
Zwelf guldin pfenninge.
Daz muot die diener sere.
Si sprächen zuo dem hilgerfn
Nune kom herwider niht mere.
Hierauf ein Gesätz von vier Versen, dann 3201 — 3204
Des guotes er sich verwac
Wie balde erz armen liuten gap.
Nü wolt er lenger niht bestän
Er begunde balde
Wider hin gen hove gän.
3323—3226: Do sprach der edel bilgerin :
Herre, lät iuwern zorn sin
474
Strobl
Zwar ich rate (ez) iu üf min triuwe.
Wan tnot ir mir wider reht
Daz mac inch wol geriuwen.
Wir waren im Stande aus unseren Vorlagen eine Reihe von
fünfzeiligen Strophen zu gewinnen, entsprechend der sogenannten
Moroltstrophe. Es fanden sich einige Fälle, in denen der vierte Vers
eines vierzeiligen Gesätzes den Waisen und den letzten Vers der
Strophe enthielt. Es darf aber nur ein oder das andere Wort sich
leicht haben entbehren lassen und fort geblieben sein, dann ist von den
zwei alten Zeilen keine Spur mehr vorhanden. In einzelnen Fällen
kann man sich eine Besserung erlauben und sich u. a. auf Orendel
Vers 2711 ff. (nach v. d. Hagen) berufen. Hier hat die Handschrift
Er Iiez sieh schön üf siniu knie
Er bat unsern herren ie
Also reht tugentlichen
Und ouch frow Brid die kunigin riche.
Der Druck hat Also tet ouch /'. B. die edel kunigin r., worin
deutlich die zwei letzten Verse der sog. Moroltstrophe zu- erkennen
sind. Simrock, Die Nibelungenstrophe usw. S. 74, hat die Strophe
hergestellt, nur hat der Waise zu lauten:
Also tet ouch vrou Bride.
Machen wir von diesem Rechte ausgedehnteren Gebrauch, (ich
habe es oben bei Vers 1771—1774 schon gethan) so lässt sich
noch eine Anzahl von Strophen aus dem Oswald herstellen. Z. B.
871 ff:
Er sprach: 'sit du mich hast gemant
An min vrowen und an min lant
Son verzihe ich dir des vrides niht
Swie halt mir darumbe
Unde den minen geschiht. ’
1029 f. Daz hat dir bi mir gesant
Künec Üswalt in Engellant.
Merke, vrouwe, dest min rät
Waz (er) dir der vürste edele
Bi mir her enboten hat.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
475
2539 f. Er bäte niht ze vvi'len
Er begunde vaste ilen
Er i'lte (vaste) hin an die gailin
Mit den beiden sinen
Unde mit der künigin.
So können nocli öfter bald mit grösserer, bald mit geringerer
Sicherheit Ergänzungen angebracht werden.
Der zweite Weg, den ich eingeschlagen habe, lässt sich nur an
der Hand der Überlieferung wagen ; wo die beiden Vorlagen solche
Anhaltspunkte nicht bieten, bin ich wenigstens nicht kühn genug zu
conjicieren.
Ich habe oben meiner Untersuchung etwas vorgegriffen und die
gefundenen fünfzehigen Strophen Moroltstrophen genannt. Freilich
haben diese in dem Gedichte, von welchem sie den Namen tragen,
meist oder einzig diese Gestalt:
Do sprach diu vrouwe wol getan:
'Swic und lä die rede stän
Ja bistuz selbe Salmans man.
Kumt mir der künic Pharao
Es muoz dir an din leben gän’.
oder:
Ir kele was wiz als der sne,
1z enwart nie schcener vrouwe me,
Ir munt r$ht als ein rubin bran
Und spihlen ir diu ougen
Als irm alder wol gezam.
Dazu noch im dritten und fünften Vers 'einmal’ wie Simrock
bemerkt: sterne: gerne. Die aus unserm Oswald gewonnenen
Strophen weichen theilweise von diesen ab, indem bei einigen die
beiden ersten Verse klingend und dreimal gehoben sind. Die übrigen
Veränderungen, im dritten und fünften Vers klingender Reim und
weibliche Caesur in der vierten Zeile kommen auch im Morolt vor,
wie wir oben gesehen. Klingend im dritten und fünften Vers reimen
ja auch die beiden schönen alten Strophen in MF. 3, 7 und
3, 12.
476
Strobl
Wier diu werlt alliu min
Von dem mer unz an den Rin,
Des wolte ich mich darben,
Daz diu künegin von Engellant
Liege an minen armen.
Weiblich im ersten lind zweiten Verse reimt z. B. Oswald
Diu wile werte unlange
Der rabe wart gevangen
Und an derselben stunde
Mit hirzinen riemen
Krefteclich gebunden.
Man könnte geneigt sein, und Simrock tut es wirklich, den
Unterschied zwischen diesen Strophen zu läugnen und behaupten,
es sei zu lesen: darben : armen und im Oswalt. unlange :gevangdn,
riemen, stunde : gebunden u. s. w. Freilich, hei der jetzt, wie es
scheint, allgemeiner als je verbreiteten Ansicht über den Nibelungen-
vers, der sieben und acht Hebungen zählen soll, stünde einem solchen
Beginnen nichts entgegen. Ich halte es für unerlaubt und die Er
klärung des Nibelungenverses für unrichtig. Die wenigstens dem
Datum nach älteste Strophe an die schöne Eleonore, die nach 1154
fallen muss, wohl aber auch nicht viel später, hat, wie bemerkt, im
dritten und fünften Verse weiblichen Reim und die Caesur im vierten
auf den fünften Vers, fällt nach hochtoniger Silbe. Beweis dafür sind
die Strophen Spervogel’s, welche nur eine Weiterbildung dieser alten
Strophe sind.
Ich sage in lieben süne min
lun wahset körn noch der win,
lehn kan in niht gezeigen
Diu lchen noch diu eigen.
Nü gnade in got der guote
Und gehe iu sselde unde heil.
Vil vvol gelanc von Tenemarke Fruote.
Da sind zwei Zeilen mehr und die letzte ist um zwei Hebungen
verlängert. Weiter geht der junge Spervogel. Er verlängert die
beiden ersten Verse seines nächsten Vorbildes und verdoppelt die
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
477
beiden letzten, welchen er jedoch die alten drei Hebungen lässt.
Diese letzten vier Zeilen behält auch der dritte — MF 242 ff — bei.
Ich glaube der klingende Reim in 3 und S der ersterwähnten Strophen
in MF steht fest: der alte Spervogel braucht zwar noch zweisilbige
Wörter mit langer Penultima für stumpfen Reim, ersetzt aber an der
bezeichneten Stelle nie das zweisilbige Wort durch ein einsilbiges
Reimwort. So die ihm folgen. In der vorletzten Zeile steht vor der
Caesur stets ein hoehtoniges Wort, ja in den beiden alten Gesätzen
sogar cretischer Schluss, der auch bei Spervogel überwiegt. Da
gegen nur Steinberc saz, (wenn man die leichte Änderung Lach
manns gesaz nicht annehmen will) underziunent den hof (nach
Simrock's, Pfeiffer’s und Rartschen’s, neuerdings von R. Hügel auch
für Otfried behaupteter Lesung creticus) wie auch alrerste min
hart, nicht aber, wenn man sorgfältig liest: wöl in daz er ie wärt,
also genau genommen drei Fälle gegen fünf und zwanzig. Und doch
lag für Spervogel, der eigen: zeigen reimt, so nahe, auch hier ein
zweisilbiges Wort mit langer Penultima als dritte und vierte Hebung
zu setzen. Warum also cretischer Versschluss oder vielmehr hoch-
tonige Silbe gerade hier? Weil tieftonige Silbe zu wenig schwer
war, vor der Caesur eine Hebung zu bilden.
Der Umstand, dass schon die beiden volkstümlichen Liedchen
dieses Gesetz zeigen, beweist, dass wir es nicht etwa mit einer
Eigenthümlichkeit eines einzelnen Dichter zu thun haben. Es war
eine Forderung, die in der Natur der Strophe, in dem Materiale,
mit welchem der Dichter arbeitet, begründet war. Die Strophe
forderte männliche Caesur; was im neunten Jahrhunderte in Chind
in chuninchriche noch gelten konnte, tieftonige Silbe am Schluss
des ersten Halbverses als Hebung, galt offenbar nicht mehr. Wenn
wir also Moroltstrophen finden mit den Versen:
und spilden in diu ougen als irm alder wol gezam
oder in der Gudrun den letzten Vers, der dem sechsten und siebenten
der Strophe des alten Spervogel entspricht:
die sie uz stürmen bringent, tiefe wunden, wie sol man die heilen
so wird man wohl zugeben, dass sie den alten Vorbildern nicht mehr
ganz entsprechen.
Dem Dichter der Moroltstrophen und dem alten Spervogel konnten
diese Schlüsse vor den Caesuren nicht mehr als männliche gelten.
Die Nibelungenstrophe entspricht folgender Form der Moroltstrophe:
SUy.l). <1. phil.-hist. Cl. LXIV. B<1. II. Hft. 32
478
Strobl
Verlieset er daz leben sin
Daz stät vil übel den eren din.
Man sprichet du sist triuwelös
Und wirst ouch niemer mere
Keines biderben mannes gnöz.
Sie bezeichnet nur darin eine Weiterbildung, dass die ersten
drei Verse sechs Hebungen erhielten und in Halbverse getheilt
wurden. Wie die viermal gehobenen drei Verse zu sechsmal geho
benen noch dazu mit Caesur werden konnten, ist wohl nicht so schwie
rig. Sechsmal gehobene setzt auch der jüngere Spervogel an die
Stelle der viermal gehobenen seines Vorbildes, derselbe wiederholt
die Schlussverse. Nehmen wir nun obige Strophe so behandelt, etwa
die drei ersten Verse auf sechs Hebungen verlängert, so haben wir
die Nibelungenstrophe.
Die Gudrunstrophe schliesst sich an die Strophe des altern
Spervogel, wenigstens was die Verlängerung des letzten Halbverses
und den klingenden Ausgang der beiden letzten Verse anlangt. Die
Entstehung des Gedichtes setzt K. Bartsch von 1190 —1200. Es
ist aber ein Wiederspruch gegen diese Annahme, wenn er be
hauptet, die klingende Caesur zähle zwei Hebungen. Was sich Sper
vogel nicht mehr gestattet, durfte um so viel später gewiss nicht
erlaubt sein. Ougen in derMoroltstrophe kann also nicht gleich stehen
dem von Engellant, so wenig als man etwa behaupten wird, dass
armen : darben zu lesen sei, sich berufend auf das bestän : gdn des
Oswald, oder umgekehrt, dass erc : sere desselben Gedichtes in den
beiden ersten Versen zwei Hebungen tragen müssen. Wir haben
uns zu gewöhnen hier einfache Weiterentwickelung zu sehen, die
mit der sonstigen Geschichte der mittelhochdeutschen Reimkunst
übereinstimmt. Dass der klingende Reim des zwölften Jahrhunderts
demguato:gimuato Otfrieds noch entspreche, hat man zwar behauptet
und sogar zu beweisen gesucht, aber beim gänzlichen Verkennen
einer reimlich historischen Entwickelung musste das misslingen. Sper
vogel hat noch beide Fälle: lange : manne 1 , baise : erläse. Wer da
an Otfried denkt, wie Simrock Die Nibelungenstrophe S. 13, der dart
auch den Unterschied dieser beiden Reime nicht anerkennen. Sper
vogel übt eben noch die alte Art, kennt aber bereits die neue. Ja er
beschränkt sich in der Anwendung der ersten: er fühlt noch die
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
479
Forderung nach einer Hebung vor der Caesur, findet aber den Tief
ton nicht mehr genügend. Er zeigt eben mit dem Dichter der alten
Moroltstrophen den Übergang von der absterbenden alten zur noch
nicht entwickelten neuen Zeit. Noch ein Schritt weiter und die neue
Kunst ist eine Thatsache.
An die Stelle männlicher Caesur tritt weibliche, an die Stelle
viermal gehobenen stumpfen Verses dreimal gehobener klingender. Die
Morolt- und Nibelungenstrophe nehmen nach dieser Richtung dieselbe
Entwickelung, oder, wie ich oben vermuthet, der Nibelungenvers hat
sein Vorbild in der weiblichen Caesur der Moroltstrophe. Wie das
Vorbild beide Fälle zeigt, so die Strophe des Kürenberger und das
Nibelungenlied. Neben Jo stuont ich nehtint späte und Ez icas ein
kiinigiime finden sich Daz mir den benomen liän und Er mohte
Hagnen swestersuti.
Die Nibelungenstroplie gehört also der Zeit an, wo der klingende
Reim bereits eingetreten ist in die deutsche Poesie. Dass die weib
liche Caesur von der Moroltstrophe in den Nibelungenvers einge
drungen sei und nicht umgekehrt, beweist, dass sie im Nibelungen
liede bereits die Regel ist. Im anderen Falle müsste die hochtonige
Silbe viel häufiger sein. Wir haben in den nachweisbar ältesten
Moroltstrophen, welche in ihrem Bau entsprungen aus der Strophe
Otfrieds das Vorbild für den Nibelungenvers bilden, und in ihren
ältesten Nachahmungen stumpfen Schluss. Vielleicht dankt die
Nibelungenstrophe den von Bartsch behaupteten cretischen Ausgang
des achten Halbverses ebenfalls der Moroltstrophe, jedesfalls ist er
ein Stück Beweis dafür, dass der Erfinder dieser Strophe die Auf
gabe des cretischen Versschlusses kennt, ihn aber an der Stelle, wo
er ihn vorfand, nicht brauchte und an den Schluss der Strophe ver
setzte. Wenn in den ersten beiden Versen Reime wie Voten: guoten
u. a. Vorkommen, so fehlen sie in der zweiten Hälfte der Nibelungen
strophe; also dieselbe Bedeutung des Creticus, die wir oben gefunden.
Ihm konnte daher en in mären und ähnliches in der Caesur nicht
mehr als Hebung gelten. Klingende Reime in der Moroltstrophe an
Stelle der gehörigen stumpfen, wie entwichen: erstichen, ere: sere
muss man wie armen: darben gelten lassen, Alterthümlichkeiten sind
cs nicht. Ich könnte auf Kriemhilde: wilde und ähnliches über
gehen, die mir eine weitere Parallelentwickelung der Morolt- und
32*
480
Strobl
Nibelungenstrophe zu sein scheinen, aber meine Aufgabe ist diesmal
eine andere.
Sogenannte Moroltstrophen sind also im Oswald nicht zu
läugnen, ihre Abweichungen im einzelnen Zeugniss der in solchen
Dingen wenig strengen Spielmannspoesie. Vorbild hierin ist ja schon
das Nibelungenlied mit seinen dreimal und viermal gehobenen ersten
Halbversen und seinen wiewohl seltenen klingenden Reimen, welche
man, wie sie auch immer aufzufassen seien, zur Zeit der grössten Ver
breitung unserer Lieder doch nur für klingend halten konnte.
Wir haben jedesfalls eine Überarbeitung vor uns, einen Versuch,
ein ursprünglich strophisches Gedicht in Reimpaare zu bringen, roh
allerdings in Form und Ausführung, wie die sinkende Spielmanns
dichtung auch in Gedanken ein schwacher Abglanz einstiger Grösse
ist. Simrock hat aber, wie ich schon oben bemerkt, seine einmal
ausgesprochene Ansicht über die Form des Gedichtes zufückge-
nommen. Er sagt in seiner Nibelungenstrophe u. s. w. S. 75: „Indess
hat mich die nähere Betrachtung der Spielmannspoesie überzeugt,
dass nur einzelne Langzeilen stehen geblieben sind, als die Spielleute
dem Geschmack der Höfe nachgebend, ihre früher gesungenen Lieder
zum Vorlesen einrichteten und sich dabei der beliebten Form der
kurzen Reimpaare bedienten. Niemals waren jene Gedichte in der
fünfzeiligen Strophe verfasst, welche in die kurzen Reimpaare umzu
bilden kein Grund gewesen wäre.“ Das Folgende mag man an Ort
und Stelle nachlesen. Die Beobachtung Simrock’s ist theilweise
richtig. Ausser diesen Langzeilen findet sich aber auch eine Reihe
von vierzeiligen Strophen mit gut gemessenen Versen, welche nicht
den geringsten Anhalt bieten, die Moroltstrophen herzustelien und
kaum einen Verdacht gegen ihre Ursprünglichkeit erwecken. Ueber
diese letzteren muss ich unten in anderem Zusammenhänge sprechen.
Hier beschäftigen uns zunächst die Langzeilen, sechsmal gehoben
hinter der Senkung nach der dritten Hebung der Caesur. Ich lasse
dieselben hier folgen. Vgl. auch oben Seite 462.
19. Nü verweisente sant Oswalt vruo.
45. Oswalt süln diniu lant an ein vrouwen stän.
59. Nü gap im sin engel in sinen muot.
61. Nim dir kein vrouwen in den landen din,
Ich wil dir raten üf die triuwe min.
Über das Spielmaunsg-edicht von St. Oswald.
481
176.
182.
219.
230.
248.
232.
(233.
279.
298.
310.
336.
349.
438.
469.
376.
393.
639.
688.
691.
693.
698.
712.
714.
iuwer genöz.
kein künigin.
linde wol gestalt.
bilde nie gesehen,
ir daz leben an.
der in helfe darzno.
gerne sprach der degen,
Wir ne vinden niene
Wir ne wizzen niene
Ein künigin schcene
Ich enhän so sehoenez
Wisterz er gewönne
Und ne habent nieman
Ich hilfe in zuo dem toufe
siehe oben, S. 463).
Äne gotes helfe sprach der werde man.
Daz er mir gehe sin toliter die jungen künigin *).
Der beiden enmeme sin vil ebene war.
Zwäre du enmölitest davor ir nicht geschaden.
Ez ne lebet oucli niender ein so wiser man.
Unde pfliget man darzuo gnoter witze niht.
Do der kamersere 2 ) den herren ane sach.
Nü sümet mich niht lenger lieber lierre min.
Und sage ouch der edelen königinne vri. s )
Daz er deheine vröude niht künde haben
Er begiinde vaste truren unde elagen.
Nü ist ez üf mins herren hove also gestalt
Daz kein kurzwile tribet kein yremder man
Er miieze vor ie gezzen unde trunken han.
Vrouwe heizt mir ze ezzen
Heizet mir geben semelen
Davon werdent vremde
Mohtest du schotiwen
Waz hebet sich Wunders
und ze trinken geben,
unde guoten win.
liute wolgemuot.
üf die triuwe din.
an des meres grünt.
1 1 Wenn M hier liest daz er mir gebe die tohter sin und Bartsch n. a. 0. S. 143 meint,
5 ändere, um den rührenden Reim zu meiden, so kann seine Ansicht allerdings
die richtige sein und der Vers wäre dann hier zu streichen. Man kann anführen
die Verse 320 und 323 er welle sin toliter minnen und daz der /leiden sin tohter iht
miaue nach M, er welle selber zeiner vrouwen nemen die tohter sin und daz der
beiden niht zeiner vrouwen nemc die tohter sin. Das Verbum minnen kann hier
Anstoss zur Änderung gegeben haben und es entstehen Verse, die scheinbar auf
einen Langvers deuten. Aber A/kürzt überhaupt die Verse und sucht sie zu glätten,
anderseits ist 298 in S ganz unverdächtig, während die Lesarten an den beiden
anderen Stellen deutlich das Gepräge jüngerer Änderung, d. h. nach Xj tragen-
2 ) Hds. kemerlinc . kamercerc im Reime wenige Zeilen unten 494.
3 J Nib. Lni. 443, 3.
482
Strobl
730. Er vlouc hin widere
734. Daz ez hin widere
742. Jegeliche ir vröude
780. Do saeh er hunde
uf den hohen stein,
in daz mer erhal.
do gar vergaz.
und heidenische man.
782. Oh er die juncfrouwen iender künde sehen.
809. Ez si minem herren liep oder zorn.
838. Wir ne liaben kluogern vogel nie gesehen.
864. Mit dinem gote Machmet bin ich ganz betrogen.
905. Er sprach daz wil ich allen minen beiden klagen.
908. Zwar daz riuwet mich (vielleicht mich d. r.) diewile ich
hän daz leben.
918 Davon märet sich des raben ungemach. 1 )
924. Der rabe ne molite niender körnen dar uz.
(933. Mit hirzinen riemen der kunic in vienc, siehe jedoch
oben).
(937. Als die junge kuniginne ervuor diu msere,
Daz der rabe an ir willen gevangen waere).
941. Si sprach wie hänt dich dine sinne betrogen.
(934. Und wirst auch niemer mere keines biderben mannes
gnoz, siehe jedoch oben).
989. Er sprach du ne viiegest nicht zeinem spilwip.
968. So gät im danne gröziu sorge zuo.
1009. Diu junge kuniginne daz niht enlie.
1031. Nii merke vrouwe daz ist min rät.
1093. Und also manic tüsent ritaer herlich.
1103. Ouch sol er die kiele büwen mit rotem golde vin.
1118. Nu kom her widere mit dem herren din.
1141. Er mohte sines vluges niht mö gehaben.
niht me gehaben.
von örste an saeh.
die kuniginne guot.
ein ende genomen.
1133. Er mohte keine vröude
1161. Do in der einsidlaere
1183. Ich hän im erworben
1229. Die zite bäten schiere
1231. Herre wir wellen iu liebe maere sagen.
1236. Sant Oswalde mohte niht lieber sin geschehen.
1259. Ein zoblinen mantel er umbe sich vienc.
1323. Und also manic tüsent ritser herlich (1. Vers).
J ) Vgl. Nib. Lm. 333, 4, wo ltC offenbar zu bessern suchen.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
483
1333. Swenne du des nahtes verst üf dem iner.
1441. Sie warn bereit mit golde und mit guotem vliz.
1475. Ez si den wilden heiden liep oder leit.
1493. Jeglicher wirdet reiner dann der sunnen schin.
(Bartsch 147) Sant Oswalt mit den lierren umüezec was.
1573. Alle zite bäten schiere ein ende genomen.
1606. Der sprach ich wil iu herre raten ob ich kan.
1671. Er sprach nü wizzet min dienair allesant.
1744. Do was ich im waeger danne ein ganzes her.
(1 774. Unde kum ze helfe
1778. Swenn si diner helfe
1783. Miner kraft und sterke
1814. Daz er sin gevidere
Drizec marc goldes
Ze dem schifkneht(e)
1896. Ich hän dir herre also vil ze klagen.
1902. Sie wanden du ksmest ze lande niemer me(re).
1924. Daz dir wol waere gerastet daz gevidere din.
1943. Wie ich si sül gewinnen uz der bürge guot.
1991. Wie er iucli gewinne
2001. Und er sich damit luete
2004. Also sprach diu junge
2040. Die warn mit im gevaren
2045. Nü merket uns rehte
2052. Wir hän unsern wercziug
1836.
1870.
dem viirsten höchgeborn, S. oben),
niht mugent gehaben.
bin ich worden wan.
üz einander lie.
daz gib ich dir ze hant.
stuont aller sin gedanc.
üz der bürge guot.
vür die burc erhaben,
künigin lobesam.
über des mere vluot.
(edler) vürste lobesam.
mit uns her braht.
2063. Er sprach darumbe wil ich iu lihen unde geben.
2075. Sin goltsmide rihten sich ze der arebeit.
2110. Und wellent unserm lierren daz laut gewinnen
(Moroltstrophe).
2125. Einen sidin mantel sie umbe sich vienc.
2223. Und solt von mir haben helfe unde rät.
2240. Daz hiezern üz der hürge in ir herberge tragen.
2255. Und het mich dä mite
2258. Dennoch müest ich wider
2259. Daz ich niht innen wurde
2279. Die wil ich mincm hirze
2295. Vil lilite belibet diu porte unbehuot,
So gewinne ich lihte die küniginne guot.
vur die burc erhaben,
varn über mer.
sprach der fürste halt,
mit snüeren sidin.
an,
484
S t r o I) I
2305.
2314.
2373.
2376.
2382.
2435.
2442.
2443.
2480.
2483.
2489.
2544.
2576.
2578.
2580.
2609.
2655.
2661.
2666.
2678.
2686.
2696.
2719.
2732.
2759.
2769.
Und was daz gesmfdc allez schöne bereit.
Und begunde her widere zuo der smitten gän.
Do die beiden waren
Die porten er balde
Nu het er ze beiten
Wan im was . . .
Swenne min krankheit
Diu junge küniginne
Diu junge küniginne
Diu junge küniginne
Diu junge küniginne
Marja din genäde
üz der burc körnen,
wider zuo slöz.
niemer gemach,
ze vliehenne gäch.
ein ende hat genomen.
begund sich dannen heben,
huop sich uz der schar,
her widere abe vlöch.
dö niht enlie.
laz an uns erselu'nen
Und hilf uns daz wir komen frcelich von hinnen.
Die goltsmitten liezens vor der burc stän
Er vuor enzwischen die berge sä ze hant.
Wir wellen von der alten küniginne sagen.
Dö si den heiden zuo der bürge riten sacli.
Nü wis mir willkomen richer künie Aaron.
Zwäre ich ertrenke in in dem wilden mer.
Der künie nam selbe ein ruoder in die hant.
Dö waren im die heiden also nähe komen
Aber sant Oswalt bete des niht vernomen.
So wsre der cristen keiner komen heim.
Ich vürhte wir müezen daz leben vlorn hän.
Ich vürhte die cristen werden alle erslagen.
Wan uns Kristus Jesus selbe hat erlöst.
Swes er mich durch dinen willen ermant
Und bitter mich . . . umbe bürge unde lant
Und b»te er mich umbez lioubet min
Zwäre daz gib ich im durch den willen din.
Den wilden heiden nihtwan nebel unde wint.
Sie sprachen und hsete
So müezen die kristen
Sant Oswalt die heiden
Nü hceret wie er . . .
Wert iuch des betwinget
Wir werden bestanden
sin diu werlt gesworn
ir leben hän verlorn,
zuo im vliegen sach
zuo den sinen sprach,
uns vil gröziu not,
üf den grimmen tot.
Über das Spielniannsg-edicht von St. Oswald.
485
2776.
2813.
2822.
2824.
2843.
2838.
2890.
2893.
2923.
2998.
3021.
3033.
3046.
3062.
3063.
3076.
3078.
3117.
3121.
3137.
3139.
3164.
3179.
3204.
3208.
3236.
3240.
Herre nü habt selbe
Er vuorte wisliche
einen vesten muot.
den strit den sinen vor
Des wären al sin herren
Sie sluogen den beiden
Des vil maniger beiden
Zwäre ez ne mohte
Zwäre iuwer zuokunft
Sant Oswalt gen liimele
Da du mit erlöstest
Und sundaer die dinen
$ daz ich gelouben
Wan darumbe wsere
Tüsent wagene mühten
Zwar ich muoz dir iemer
unde knehte vrö.
gröze wunden wit.
da sin leben verlos,
anders niht gewesen,
hän ich gerne vernomen.
üf sacli unde sprach,
vrouwen unde man
willen liänt getan,
wolte an dinen got
ich aller heiden spot,
ez niht hän getragen,
der warheit verjehen.
Sant Oswalt toufte dä den sweher sin.
Unde Sprüngen alle mit einander drin
Ir drie würfen daz wazzer in den munt.
Nu ist uns mit dem töde als we beschehen.
Müezen wir noch eines liden den tot.
Daz er im unser sele läze enpholhen sin.
Wes in dö maniger getoufter heiden bat.
Sie ürten den mllten künic sant Oswalt
Durch die gröze herschaft und den sinen gewalt.
Von . . pfingestcn unz üf den sunnentac
Daz ieder man ezzens unde trinkens pflac.
Ob er im wolde leisten der vürste . . . guot,
Daz er im bete verheizen üf des wilden meres vluot.
Dö diu armen liute die botschaft beten vernomen,
Wie balde si gen hove dö wären komen,
Sant Oswalt satzte liute zehen schar
Den wolte got der herre aber versuochen me
Ob er im wolde leisten der . . . werde man
Waz er im bete versprochen üf des meres trän.
Der bilgrin hat hiute zesamene getragen.
Er begunde balde wider gen hove gän.
Waz er im verheizen bade üf des wilden meres trän.
Wie balde er den bilgrin bi der hant gevie.
Ich heize dir ezzen unde trinken geben.
486
Strobl
3259. Er sprach vil edler vürste (Oswalt) du solt mir den
köpf geben,
Daz dir got behüete din junges leben.
3263. Daz man darinne wandel daz lebendige bröt.
33IS. Swes man an mich iemer durch sinen willen gert
Des wirt ein ieglicher meuscbe gewert.
3332. Er ne wolt üf nieman
3343. Do sprach der milte
33S0. Ich ne bete denne
33SS. Zwäre ich verzihe
3363. Sant Oswalt die vrouwen
Wie er mit ir dd schöne
3370. Und wil mich geliehen
3397. Er sprach waz mahtu .
Und ouch ze tuonne
3400. Wistest du niht gerne
3411. Ob du mir wolltest leisten edler vürste guot,
Daz du mir verhieze üf des wilden meres vluot,
Du hast daz allez schöne getan
nie kein sorge han.
künic sant Oswalt.
ein vrouwen tugentlich.
dich niht der vrouwen min.
hi der hende nam
zem bilgrine kam.
einem armen man.
. . mit mir ze schaffen haben
des muoz ich (ie) wunder tragen,
wer ich müge sin.
soltu wider hän.
mit diner vrouwen pflegen
danne zwei jär.
sülist widerstan.
bi einander ligen
sie sich verzigen
vröude betwanc.
Din laut und dine bürge
3416. Du solt deheiner sünde
Und du lebst niht lenger
3421. Merke wie du den sünden
3437. Si begunden lieplichen
Aller werltlichen liebin
Swenn sie aber der werlte
Zweihundert Langzeilen ungefähr. Ausserdem finde ich im
Gedichte eine Anzahl von Versen, welche die Caesur an der er
wähnten Stelle aufweisen, ohne vollständige Langzeilen zu sein, z. B.
187. Kunnet ir mir denne geraten niht.
Durch ein einziges Wort wie etwa baz würde der Vers zu einer
vollständigen Langzeile, ebenso leicht aber durch eine Kürzung zu
einem viermal gehobenen:
Kunnet ir mir raten niht.
192. Dö vuoren die herren heim ze laut.
Ein ie sd oder ähnliches das wohl passte, macht auch diesen Vers
zu einer Langzeile. Ein sie statt die herren stellt einen viermal
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
487
gehobenen Vers her.
204. Und gruozte sant Oswalt in Engellant.
Den künec in E. oder ähnliches bildet den Langvers.
273. Het ich dir niht geraten edler herre.
Vielleicht h. min.
556. Zwelf marc golt ich wol verdienet hän.
Lies goldes. Dieser Vers zeigt eine andere Abart, die nämlich
den zweiten Halbvers noch aufweist.
Besonders 1669 u. f„ wo ich die Ergänzungen gleich an
bringen will:
Ez klagte dd vil sere der edele vürste gnot
Als noch laute manec man von grözem leide tuot
Er sprach nu wizzet min dienser allesant . . .
Vers 1913 und 1914 nach S:
Daz du si beide wellest valien und in daz intrenken
Unde sie beide an galgen henken.
M liest:
Daz du sie bede wellest valien
Unde an einen galgen hähen.
Das Wort intrenken ist oben besprochen, M bildet wieder gute
Verse, hat aber den Reim behalten, S geändert.
Daz du in daz intrenkest und sie wellest van
Unde sie beide an einen galgen hän.
Wenn intrenken nicht von S dem Reim henken zu Liebe zu
gesetzt ist.
2662. Dö die beiden wurden die kristen sihtic
Do wurden sie so grimme und zornic lind inbriinstic.
Der erste Vers lässt sich mit Hilfe von M leicht herstellen:
Do die beiden wurden die kristen sihtic an.
Der zweite Vers fehlt in M. S hat im ersten das an übersehen
oder in der Vorlage nicht gehabt, und musste daher auf sihtic einen
Reim finden, was ihm durch inbriinstic schlecht genug gelang, aber
488
S t r o !) I
auf den ursprünglichen leitet das Wort, er wird geheissen haben
inbran, und der letzte Halbvers: ir herze in zorne inbran, von
welchem mit Ausnahme von herze sich jedes Wort wenigstens aus
5 erklären lässt. M hat eben wieder gute Verse gemacht. Es würde
zu weit führen, wenn ich alle diese Spuren von Langversen durch
sprechen wollte. Bei einigen wird man im Zweifel sein, ich habe das
nicht verschwiegen. Am verdächtigsten sind sie in der Mitte eines
Gesätzes von vier Zeilen, dessen andere drei Verse gut gemessen
sind. Da wird man sie, wenn es möglich ist, auf vier Hebungen
zurückführen dürfen. In anderen und zwar den meisten Fällen, kann
und darf man sie ergänzen oder wenigstens eine Ergänzung noth-
wendig halten, gestützt auf die Anzahl von wirklichen Langversen,
welche durch das Gedicht zerstreut Vorkommen. Ich lasse diese
Verse mit der Caesur hier folgen, indem ich bei jenen, welche die
letzte Hälfte einer Langzeile aufweisen, diese cursiv drucken lasse.
ISO.
ISS.
161.
169.
170.
175.
186.
190.
192.
194.
204.
206.
210.
273.
328.
331.
353.
369.
379.
407.
425.
444.
Nü ratet (mir) was iuch dunke daz beste sin.
Kunnet ir mir iender gezeigen.
Vil maniger harte ab der vräge erschriket (erschrac).
Ir aller triuwe da wol erschein.
Die besten da wurden überein.
Iuwer gewalt ist uz der mazen gröz.
Ne kunnet ir mir denne geraten niht.
Begunde dem rate urloup geben.
Do vuoren die lierren heim ze lant.
Dö trüret der fürste lobesam.
Und gruozte sant Oswalt
Er begunde in enpfähen
Din kunft hän ich gerne
Het ieli dir niht geraten
Und vüere si dannen
Er hat ein burc veste
Er hat von unserm lierren
Ne si niht redende worden
in Engellant.
unde sprach,
vernomen.
edler herre.
mit gewalt.
und guot.
daz gebot,
der rabe di'n.
Nu beeret ir lierren in dem ringe.
Im ne moht niht lieber sin geschehen.
Ich wil dir die botschaft werben.
So wirt man mich vaste kapfen an.
Über das Spieimannsgedicht von St. Oswald.
489
446. Und her widere vliegen von dan.
451. So wirde ich dester schöner enpfangen.
486. Einen goltsmit der ivas ein kiinstericher man.
508. Dö begunde ern grüezen unde sprach.
530. Daz geschach eins äbents also späte.
546. Daz ich die kunst ie gelernet hdn.
548. La mich sin geniezen iemer mere.
706. Allez man der frouwen her truoc.
713. Unde sich hin umbe an dirre stunt.
720. Und wart in ze schouwen also ger.
735. Daz heten die vrouwen da erhoeret.
739. Die vrouwen al umbe sich plicten.
761. Unde gultez denne daz leben din.
776. Zwischen zwo zinnen er da saz.
781. Dö begunde er schouwen unde spehen.
790. Was si zallen ziten wol beliuot.
795. Swenn si zuo dem tische wolte gan.
796. So muosfen sie den pfeller ob ir hän.
798. Niht möhte genähen der künigin.
804. Ne mac ich die botschaft nimmer bringen.
810. So han ich al min arbeit verlorn.
811. Also reite wider sich selben der rabe.
815. Ich wil beiten unz si gezzent unde trinkent.
826. Der gesegen iu iuwer trinken unde ezzen.
833. Dö keret er sich umbe in dem sal.
Und neicte dem hofgesinde liberal.
Bartsch 3. Dä sprach ein heidenischer hoveschalc.
„ 6. Des raben vart ist mir wol bekant.
„ 52. Wie harte er sich vrouwen dö began.
854. Du muost minen stseten vride hän.
856. Sulnt haben den Staaten vride min.
911. Er beginnet mir sin vrouwen vor nennen.
913. Also sprach der beiden an der stet.
914. liret unsern herren Maehmet.
965. Ich ne läze in zwäre niht lenger leben.
1010. Ir vater si licplich umbe vie.
1024. Mit ezzen unde trinken guoter spise.
490
Strobl
1023. Als der rabe dö gaz iinde gelranc.
Daz gevider er uz einander swanc.
1041. Yil edeliu kiiniginne gemeit,
Nü hau ich dir allez wolgeseit.
1034. Mit rater ne tiiot dir zwäre niht mere.
1139. Der was da gesezzen daz ist war.
1187. Daz ist mir entvallen in daz mer,
Ez mühte niht vinden ein ganzes her.
1193. So kiim ich niemer mere in Engellant.'
1213. Des nam der einsidol*re vil guot war.
1229. Nü nimz und vüerez keime in Engellant.
1338. Erste wart im groziu vröude bekant.
1380. Im und sinen lielden aliensamt.
1435. Und swaz sie dienstliute mohten haben.
1449. Er het sich selben garw'et kreftecliche.
1479. Daz mac an iuwer helfe niht geschehen.
1501. Nü wäget iuwer ere ir edelen künige.
1511. So bereitet iuch mit mir üf die vart.
1513. Hab er iu ie delieine triuwe getan.
1536. Ein michel gedranc hin zuo den kriuzen wart.
1545. Sant Oswalt mit den herren unmüezic was.
1605. Daz unser die heiden niht innen werden.
1619. Sie volgeten alle dem einigen rate.
1623. Ez ilten die kristen alle samt.
1625. Enzwischen die berge üf den anger breiten.
1649. Der kemerlinc vil harte erschricket.
1670. Als noch manec man von grozem leide tuot.
1673. Nü was mir grozer eren gedalit.
1675. Gen der küniginne höchgeborn.
1679. Wir haben wa;rliche niht reht getan,
Daz wir den raben daheime haben gelän.
1684. Ich han iuch gevüeret iu den tot.
1697. Sant Oswalt die groze klage an sach.
1708. Und ir alle ruofet got von himele an.
1735. Kumst du im niht ze helfe in kurzer zit eben.
1738. Wie bist du so lange von ime gewesen.
1701. Ich seite dem fürsten hochgeboren.
1763. Nü hat er einen hirz an mine stat genomen.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
491
1765- Ne wil er nilit senden den hirz sin.
1773. Lieber rabe nu läz von dinem zorn.
1779. Do sprach der rabe merke waz ich dir sage.
1784. Minern herren ich nilit gelielfen kan.
1786. Do wart mir min pfriinde genomen.
1808. Mahtu danne des vluges niht gehahm.
1811. Da näcli hästu geleistet die triuwe din.
1826. Da sant Oswalt in grdzen nceten lac.
1828. Aller siner niüede er vergaz.
1842. Da er den künic milten sant Oswalt vant.
1845. Er sprach ze dem herren sant Oswalt.
1850. luwern raben den hdn ich hie gesehen.
1869. Der rabe sin gevidere erswanc.
1894. Under dinen dienestliuten alle sant.
1895. Ich erckan dir lierre ouch niht verdagen.
1899. Do du von dem lande waere körnen,
Ze hant wart mir min spise genomen.
1907. Ich mnoste niuwan ezzen zallen stunden.
1941. Ich si durch ir willen körnen her.
1944. Daz liiez in reden der vürste höchgemuot.
1950. Ich kan ir ez allez gesagen wol,
Und wil ouch herwidere sagen dir.
1953. Der rabe von dem herren urloup nam,
Und scliiet ouch vrceliclie von dan.
1961. Als er zuo der veste was komen.
1992. Ouch so enbiutet iu der vürste höchgemuot.
2009. Und swaz er sunst dienstliute mac hän,
Die sol er enzwisclien den bergen län.
2014. Darumbe daz in nieman ne müge gesehen.
2016. Heiz in da üf rillten ein kleinez zeit,
Und ob in ieman fraget der ma;re.
2031. Er sprach herre wiltu nu e're bejagen.
2039. Die rede erhörten zwelf beide also guot.
2041. Die sprächen herre ir sult iuch wol gehaben.
2105. Und begunde die heiden alle wecken.
2151. Die würkent sie dir schöne üz golt.
2157. Er schuof mit sinen herren allen samt.
2188. Der heiden begunde si griiezen unde sprach.
492
Strobl
2190. Zwar iuwer kunft hart ich gerne vernomen.
2193. Ich sihe wol ir sit alle ritter linde knelite.
2200. Wie daz din tohter dir entvremdet waere.
2216. Du unt diniu vrouwe diu küniginne.
2245. Dannoch lägens vor der bürge daz ist war.
2247. Daz si keiner vrouwen bilde niemer gesähen.
2249. Nü sprach der milte künic sant Oswalt.
2252. Ich wolte daz wir waeren in Engellant.
2256- So kiind ich ir nimmer niut geschaden.
2259. Darnmbe daz ich inne niht wurde halt.
2261. Und ne mühte niemer
Wie diu juncfrouwe
inne werden halt,
waere gestalt.
Hier überliefert M den entschieden besseren Text. Statt:
Darumbe daz ich inne niht wurde halt
Also sprach sant Oswalt
Und mühte niemer inne werden halt,
Wie diu juncvrowe waere gestalt.
hat M die zwei gut gemessenen Nibelungenverse:
Daz ich niht innen wurde sprach der fürste halt,
Wie diu juncvrouwe waere gestalt.
2276- Wie ich soltc gewinnen die künigin.
2282. Und machet mir zwei guldin hirzhorn,
Machet mir diu schöne mit vinem golt.
2287. Daz si neb,en dem hirze ge uf.
2290. Daz tuon ich eines morgens also vruo.
2291. So ist der künic ein erericlier man.
2297. Die goltsmide wurden alle vrö.
2334. Zwäre ich muoz dir der wdrheit verjehen.
2357. Sie liezen in herziehen diu marc.
2375. Der torhiietaeres triuwe diu was gröz.
2390. Da was nie niht lebender iiberkomen.
2399. Der kam über dem berge zuo dem mer.
2424. Heb mir uf min mantel und min kröne.
2427. Vür min muoter die küniginne vri.
2430. Mir ist an dem lioubte worden we.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
243 9. Umb sich nam si den mantel schone
Und satzt ir üf ir houbet die kröne.
2482. Die dri juncfrouwen ilten ir vaste nach.
2513. Er sprach herre ich kan dirs niht verdagen.
2517. Mich netriegen denne die sinne.
2533. Einez daz ander umbeslöz.
2550. Wie daz er vrcelich komen wsere.
2555. Daz here mit einander üf brach.
2565. Schiften sich vrceliche üf daz mere,
Da kämen die marntere allesamt,
Und nämen die ruoder in die hant.
2598. Diu ist mit den goltsmiden von hinnen.
2603. Daz wiste ich vvol liez ich leben den raben.
2604. Daz ich sin kaeme ze grözen schaden.
2606. Der vüeret mine tohter an siner hant.
2624. Den erhörten die herren alle schöne.
2625. Die herren undern beiden üf den vesten.
2628. Unserm herren ist von schulden komen zorn.
allesamt,
vaste nach,
die cristen silitic,
und inbrünstic.
und immer mere,
der vater min.
klage an sacli.
üf der erde.
2956. Also täten die marnsere
2658. Sie ilten sant Oswalde
2664. Dö die beiden wurden
Dö wurden sie so grimme
2680. Sie sprach wäfen hiute
Und ist näch uns komen
2691. Sant Oswalt dö die gröze
2697. Daz kein kristen sterbe
2699. Oder er habe denne verworht dez leben.
2703. Des ne hät kein kristen obe got wil.
2708. Daz si uns helfe mit Ören von hinnen.
2715. Daz mich üf ertriche ein man.
2733. Daz sie niht ne moliten gesehen.
2755. Dö kämen die heiden an den stunden,
Dä si die werden kristen funden.
2767. Nemet alle an iuch einen vesten muot,
Läzet iuch es nieman leiden,
Und wert iuch kreftecliche der heiden,
2771. Swer nü von den heiden wirt erslagen.
2775. Dö sprachen die werden cristen guot.
Sitab. d. phil.-hist. CI. LX1V. Bd. 11. Hit.
493
33
494
Strobl
2777.
2787.
2791.
2793.
2793.
2803.
2804.
2814.
2820.
2823.
2828.
2833.
2840.
2844.
2830.
2854.
2803.
2871.
2892.
2902.
2908.
2996.
3013.
3021.
3028.
3045.
3049.
3056.
3058.
3080.
3084.
Wir wellen iu mit tfiuwen bigestan,
Al die wile und wir daz leben han.
Sant Oswalt dö selbe vür dranc,
Den sturmvanen nam er in sin hant.
Nu wären die beiden allesamt.
Sant Oswalt den heiden wider böt.
Kein man dö lenger niht vermeit.
Sie drungen zesamene ein geswinde vart.
Einer den andern da niht sparte.
Sie brahten die heiden in gröze klage.
Sie begunden mindern der heiden schar,
Sie machten ungevfiege den strit.
Die kristeu begerten keiner reste.
Sie valten die töten uf daz lant.
Sie väliten einen sumerlangen tac,
Daz nie nieman decheiner reste pflac,
Vollecliche unz an den abent dan,
Dö wurden erslagen die heidenischen man.
Wol drizic tusent heiden er da verlos.
Man neliez ir keinen niht genesen.
Daz er der juncvrouwen vater was.
Da sie sant Oswalden vunden.
Oswalt wiltu mich zuo einem swelier hchi.
Ich bin an dir worden sigehaft.
Ich erman dich hiute des todes din.
Nihtwan als ob sie sanfte entsläfen wseren.
Und kristenlichen glouben emphahen.
Daz sahen beidiu vrouiven unde man.
Der heiden ab der rede vil sere erschricket.
Zwar ich muoz dir der wdrheit verjehn,
Wan ich hän sulch Zeichen von unserm gote nie gesehn.
Oswalt min herze des toufes mit vlize begert.
Sie vorhten sie müesten versandet sin.
Als dö getoufet wurden die heiden.
Got hat aller dinge wol gewalt.
Ir sterbet in dem jare allesamt.
Herre got nu tuo mir din gendde kunt.
Und mit dem andern töde dine lmlde erwerben.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
495
3086. Alles des sin herze hete begert.
3090. Und alle von dem töde darnider sigen.
3119 Und ouch durch die grözen warheit-
3127. Sie zugen alle heime
3139. Do die armen liute
3174. Daz dir got behüete
3203. Nu ne wolte er lenger
3203. Sant Oswalt der vürste
3207. Ob er im vvolde leisten
3220. Und viir sant Oswaldes
3230. Sant Oswalt begunde
3231. Er sprach ne soltich
3231. Den braten er dö selbe
3287. Siu bete niht mere
3296. Sluoc einen schiltvezzel
3299. Dem driten gap er
ze lande.
die botschaft vernamen.
din werdez leben,
niht bestän.
here.
der werde man.
tisch stän.
des nemen war.
daz niht understän.
ufbuop.
ze beiten.
zuo den orn.
ein ungevüegen slac.
3302. Und zöch in durch die stuoben her unde hin.
3303. Waz wsenet ir warumbe er mich bite.
3306. Nu ne gät ez doch uz iuwern kosten nit.
3337. Daz tuo durch den willen des himelischen heilandes.
3366. La dir si üf din triuwe
3393. Er gienc hinwidere
3401. Het ich die genäde
3413. Daz wil ich dir allez
3444. Ir leben daz ne werte
3447. Der werlte muosten
Und begunden sich
3430. Sie hiezen zwene priester
3454. Als man sie solde tragen
empholhen sin.
niht ungerne.
von unserm herren.
widergeben,
niht me lange.
sie sich gar verwegen,
an ein bette legen.
bringen her.
in die erde.
Lnngverse also und solche Verse, welche mehr oder minder
deutlich die Spuren ihrer Entstehung aus Langzeilen an sich tragen.
Langverse hat schon K. Simrock, wie bemerkt, erkannt. Sie allein
aus den beiden letzten Versen der Moroltstrophe zu erklären, geht
nicht an. Verlängerung von kurzen Versen — ausser etwa wo der
Reim einen Zusatz mit sich brachte — darf man, wenn beide Hand
schriften stimmen, nicht annehmen, das erlaubt das Alter von X nicht.
In X finden wir nämlich schon den allerdings noch nicht ganz durch-
33*
496
Strobl
geführten Versuch, das ursprünglich strophische Gedicht in Reim
paare umzudichten. Weiter auf dem Wege geht .r u , während^ wie
wir oben gesehen, häufig dem alten X näher steht. Das Spielmanns
gedicht, mit welchem die Überarbeitung die nächste Verwandtschaft
zeigt, ist Laurin. Strophische Anlage in diesem Gedichte hat schon
K. Müllenhoff bemerkt, derselbe auch, dass Strophen nicht beab
sichtigt sind. Z. B. Gesätze zu vier Zeilen:
26 S. Des -antworte im her Dietrich
Harte wol gezogenlich
'Neinä du vil kleiner man
Du sott dinen zorn iän.
Man sol niht fürsten phenden
Bi füezen und bi henden,
Die wol geben riehen solt
Beide silber unde golt.’
721. Do sprach Dietleip ze Laurin
'Saga hästu die swester min?
Daz soltu mich wizzen Iän
50 wil ich dich ze swäger hän.’
Do sprach der kleine Laurin
'Ja hän ich die swester din,
Egester morgen
Genomen unverborgen.
(Wie selten ich ir vergaz
Die wile ich in den sorgen was,
Der vil lieben vrouwen min.
51 ist ein edel kiinegin 1 ).
Alliu twerc sint ir undertän
Für wär ich daz sprechen kan.
Wie sie mir wart, daz sage ich dir,
Daz soltu gelouben mir.)
V) Müllenhoff’s Interpunction ist natürlich sinnentsprechender. Ich lasse die Verse
stehen der vorhergehenden und nachfolgenden wegen.
Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald. 497
Stire ist ein burc genant
Da ich die reinen kiuschen vant,
Daz merke degen küene,
Under einer linden grüene.
Dar was si knrzwilen gegän,
Mit maneger meide wol getan,
Dannoch huoten ir zwene man,
Mit listen ich si ane gewan.
Do kom ich hin zuo geriten
Gar nach ritterlichen siten,
Daz mich nieman ensaeli
Und mir ouch nieman zuosprach.
Under die linden ich da reit:
Da vant ich die sclicenen meit.
Si luchte uz den andern schone
Als für die sterne tuot der mäne.
Frou Krimhilt ist si genant,
Ich vienc si bi der wizen liant,
Uf satzte ich ir min kappelin,
Für mich swanc ich daz megetin;
Ich fuort si mit gewalte dan,
Uns Sachen weder wip noch man.
Ich fuort si mit mir in den berc,
Da dienet ir manec getwerc
Und manec getwerginne
Mit golde und mit gimme.
Für war ich daz sprechen wil
Ich hän guotes also vil
Mer dan alle künige hän:
Daz ist ir allez undertän.
Der 'Leser’ erbittet sich seinen Trunk ebenfalls in einem vier
zeiligen Gesätze:
1215. Nü lägen si gevangen:
Wie kämen si von dannen?
498
Strobl
Da/, enmae niemer ergän
Der leser mno/ ein trinken hän.
Solcher Gesätze kann man im Laurin und auch im Walberän
noch mehrere finden. Beabsichtigt sind sie nicht, aber die Gewohn
heit in Strophen zu dichten lag diesen Spielleuten so nahe, dass
solche sich ihnen unwillkürlich einstellten. Wenn wir daher im Os-
walt dieselbe Erscheinung finden, so dürfen wir, abgesehen davon,
oh die vierzeiligen Strophen alle — was, wie wir gesehen, nicht der
Fall ist — ursprünglichen Moroltstrophen entsprechen oder nicht,
ungefähr gleiche Zeit für die Entstehung Laurins und die Umarbeitung
des Oswalt in X in Anspruch nehmen. Die Spielmannspoesie wendet
sich den kurzen Reimpaaren zu und wie in der Zeit der reinen Reime
ältere Gedichte umgearbeitet werden, so ist es hier mit dem strophi
schen Gedichte der Fall. Wegen einzelner Reime, vorzüglich i: ei,
müssen wir unsere Umarbeitung an das Ende des dreizehnten Jahr
hunderts rücken, also ungefähr in dieselbe Zeit mit Walberän. Dass
die Reime, welche K. Bartsch a. a. 0. zusammenstellt, meiner An
nahme nicht widersprechen, zeigt Müllenh. D. Heldenb. 1, XLVII.
Aus demselben Laurin und Walberän aber lernen wir die Reimpaare der
Spielleute kennen und finden, dass dieselben gut gemessen sind. Wo
daher im Oswald aus der Übereinstimmung der Handschriften sich
Langverse für X ergeben, haben wir ein Recht, dieselben nicht dieser
Umarbeitung zuzuschreiben, sondern in ihnen Spuren der älteren
Vorlage zu sehen.
Spuren der älteren Vorlage, aber in welcher Weise? Simrock
denkt an dreizeilige, siebenzeilige, auch zweizeilige Strophen. Solche
sind aber nirgend nachgewiesen. Ich versuche eine andere Erklärung,
wenn ich sie nicht bestimmt fassen kann, wird man das mit der
Schwierigkeit des Falles entschuldigen.
V. 19. Nü verweisente sant Oswalt vruo
Des gienc im groziu not zuo.
Er lebte mit grözen sorgen
Den abent und den morgen.
, Sorge dwanc in in gröze not
Wan im was vater und muoter töt.
M liest 23 des czivang in gr., was wohl das richtige ist. Ich
muthmasse:
Uber das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
499
Nu verweisente sant Oswalt vruo
Des gienc im groziu sorge kumberlichen zuo
Den abent und den morgen. des dwanc in groziu not
Wan im was valer und muoter bi sinen jungen tagen tot.
Eine Nibelungenstrophe, die ich durch nichts rechtfertigen
kann, als dass ich, ohne von der Handschrift mich weit zu entfernen,
sie zu Stande gebracht. Ich darf aber für sie in Anspruch nehmen,
dass alle Änderungen in unserm vorliegenden Texte sich aus ihr er
klären lassen. Sorge musste in den dritten Vers als Reim auf morgen,
kumberlichen und bi sinen j. t. fiel aus. Man wird mir auch zu
geben, dass Vers 4 meiner Strophe einen bessern Sinn gibt als Vers
23 und 24. Wäre statt vruo : duo erlaubt, so würde die Strophe
nur gewinnen, nu — dö steht auch Barlaam 6, 17, und vruo kann
hinauf statt des bi sinen jungen tagen.
Ebenso 807:
Ich muoz ez klagen iemer mere
Daz ich ie bin körnen here
Ez si minem herren fiep oder zorn
So liän ich al min arebeit verlorn.
Ursprünglich könnte gestanden haben:
Ich muoz ez klagen sere hiute und iemer me
Daz ich ie die reise bin körnen über se
Ez si minem herren fiep oder zorn
So bau ich al min arbeit leider verlorn.
Die vier Verse 2691 haben ebenfalls noch ganz das Aussehen
einer Nibelungenstrophe, welche vielfach krank sichere Heilung
schwierig macht. Aber gleich darauf Vers 269S:
Des haben wir kristen wol ein tröst
Wan uns Kristus Jesus selbe hat erlöst
Daz kein kristen sterbe uf der erde
Ez miieze ime sin rehter wetac werden,
Oder er habe danne verworht dez leben
Gegen den himelischen degen
So stirbet er e sfner zit
Und wirt ouch verlorn sele unde lip.
500
Strobl
Des ne hat kein kristen, obe got wil
Under uns also vil
Hie bi lins verworht, noch nie getan
Wir suln tröst bi unserm herren han.
Nü bitet die himelische küniginne
Daz si uns helfe mit eren yoii hinnen.
Vielleicht so:
Des haben wir kristen
Wan uns Kristus Jesus
Daz kein kristen sterbe
Ez müeze im sin rehter
Oder er habe denne
Gegen dem kimelsdegene
Des ne hat kein kristen
Des helfe uns ....
wol einen tröst,
selbe hat erlöst,
üf der erden me.
wetac werden e.
verworht den sinen lip
so stirbt er ö der zit.
hie bi uns getan
mit eren von dan.
Vers 775 ff.:
Der rabe lenger niht vergaz,
Zwischen zwo zinnen er da saz,
Uf die burcmüren,
Do begunde er sich vrouwen unde truren.
Er sach wider unde dan,
Do sach er hunde unde heidenische man.
Dafür:
Der edele rabe lenger du niht vergaz
Zwischen zwo zinnen uf die müren er da saz
Da begunde er schouwen wider unde dan.
Do sach er hunde und heidenische man.
2760—2764:
Sie sprächen und hsete
Sö müezent die kristen
Sant Oswalt die beiden
Nü hceret wie er zuo
sin diu werlt gesworn
ir leben han verlorn.
zuo im vliezen sach
den sinen sprach.
Über das Spielmannsgedicbt von St. Oswald.
301
Sie sprachen unde hißte sin diu werlt gesworn
So müezent die kristen ir leben hän verlorn.’
Sant Oswait die beiden zuo im vliezen sach
Nu hceret wie balde ' er zuo den sinen sprach.
Gleich 2769 und 2770 bilden wieder zwei Nibelungenverse:
Wert iuch des betwinget uns vil gröziu not
Wir werden bestanden uf den grimmen tot.
Wenige Verse unten 2775 — 2778:
Do sprachen die werden kristen guot
Herre nü habt selbe ein vesten muot
Wir wellen iu mit triuwen bigestän
Al di wile und wir daz leben hän.
Do sprächen die kristen die werden beide guot,
Herre nü habt selbe einen vesten muot,
Wir wellen iu mit triuwen iemer bigestän
Hiute und al die wile und wir daz leben hän.
Und wenn das Hildebrandstrophen sind, so darf man mit den
in der Nähe stehenden Versen 2787—2790 ähnliches versuchen:
Sant Oswait do selbess trän
Den sturmvanen er in sin hant nam
Her gen den beiden was im gäch
Die sine ilten im halt hin näch.
S ist in Vers 2787 unverständlich, M ändert gründlich:
Sant Oswait niht enlie
Den sturmvanen er selbe in sin hant gevie.
Das sonderbare trän scheint also ein alter Fehler in X zu sein,
das der, wie wir wiederhalt gesehen, glücklicherweise nachlässige
Schreiber von X x stehen liess. Am nächsten liegt der Überlieferung
und dem Reime nam nach zu vermuthen: bram:
Sant Oswait dö selbe
Den sturmvanen wizen
Her gen den beiden
Die sinen beide ilten
als ein eher bram
in sin hant er nam
was im verre gäch
im balde hin näch.
502
Strobl
Also Langzeilen, Spuren von Langzeilen und Stellen, aus denen
sich Hildebrandstrophen herstellen lassen. Wenn das letztere mit
geringerer Sicherheit möglich war, als die Herstellung von
Moroltstrophen, wo wiederholt die Überlieferung zu Hilfe kam,
so beweist das nur, dass schon X mit ihnen gründlich aufgeräumt
hatte. Wer aber den Versuch machen will, Hildebrandstrophen etwa
aus Ortnit oder den Wolfdietrichen in der Weise zu behandeln, wie
wir es gesehen haben, wobei es auf fünfmal gehobene Verse nicht
ankam, wird die Möglichkeit meiner Annahme leichter fühlen. Bei
den letzt angeführten Stellen kommt noch dazu, dass sie in nächster
Nähe stehen und so dem Gedanken Raum geben, dass hier wirklich
eine Anzahl Strophen überarbeitet vorliegt.
Anführen will ich noch, dass öfter eine Anzahl von vier längeren
Zeilen zusammensteht in einer Weise, dass man sich der Meinung,
es liege hier eine Hildebrandstrophe überarbeitet vor, nicht entziehen
kann, wie etwa Vers 31 — 34:
Er was zallen ziten in dem getrehte
Wie er gote gedienen mehte,
Er sprach himeliseher degen,
Ich wil dir dienen die wil ich hän daz leben.
oder 59—62:
Nü gap im der engel in sinen muot
Ich wil dir raten edeler vürste guot
Nim dir kein vrouwen in den landen din
Ich wil dir raten üf die trinwe inin.
und so öfter. Eine in der Nähe stehende Strophe sei noch versucht,
Vers 45 f.
Oswalt, süln diniu lant an ein vrouwen stan
Triwen daz ist niht wol getan
Zwiu sint dir witiu kunicriche
Du habest denue ein vrouwen tugentrfche.
Wan sturbest du, so wurdez erbelös;
Nim dir eine, diu si din genöz:
Oswalt suln diniu riclie an ein vrouwen stän
Entriuwen daz ist niht wol getan
Über das Spielmannsg-edieht von St. Oswald.
503
Zwiu sint (suln?) dir künicriche sie werdent erbelos
Du ne habest ein vrouwen diu si din genöz.
Man dürfte daher nach dem bisherigen berechtigt sein zu dem
Schlüsse, dass ausser einem in der Moroltstrophe verfassten Oswalt
es noch einen in Hildebrandstrophen gegeben habe. Den letztem hat
der Uberarbeiter gekannt und manche Strophen benutzt. Die Über
arbeitung fällt an das Ende des dreizehnten Jahrhunderts, ist gleicher
Schule mit Laurin und Walberän, und in Oberdeutschland, wahr
scheinlich Baiern oder Österreich entstanden.
Diese Vorlage, die ich X nannte, hatte, da wir bei der von
Bartsch a. a. 0. aus M ergänzten Stelle annehmen müssen, dass vor
S (a? u ) ein Blatt ausgefallen war, ungefähr 29 Zeilen auf der Seite,
war also eine kleine, vielleicht zum Gebrauche eines Fahrenden be
stimmte Handschrift.
Durch den Nachweis einer Bearbeitung des Oswald im Hilde
brandstone rückt das Gedicht näher an den auch sonst verwandten
Ortnit und bildet gewissermassen ein Mittelglied zwischen den in
Moroltstrophen abgefassten Spielmannsgedichten und diesem. Eine
nach jeder Richtung stärkere Überarbeitung weist Orendel auf.
Simrock bat, wie Anfangs bemerkt, die herstellbaren Strophen mit-
getheilt in seiner Übersetzung. Er liess sich aber von diesem sichern
Wege später wieder ablenken durch die Beobachtung, dass oft zwei
Langzeilen auf einander reimen und sogar 'siebenzeilige Strophen
erscheinen. Dass dieses Gedicht viel weniger Langzeilen oder
Verse mit der Caesur aufweist und überhaupt auch inhaltlich stärkere
Überarbeitung zeigt als unser Oswald, ergibt sich genauerer Be
trachtung bald. Auf den in vieler Beziehung anerkannt bessern
alten Druck zurück zu geben, nützt nicht viel. Es verdiente eine
sorgsame Untersuchung und einen neuen aber besser vorbereiteten
Herausgeber, als er ihm zweimale zu Tlieil geworden. Ich kann also
hier über dies Gedicht kein endgültiges Wort sprechen. Dass es
aber wie Oswald auch Hildebrandstrophen in seiner Vorlage gehabt,
ist mir jetzt schon wahrscheinlich. Man beachte Verse wie 2291 lf.
Do was derselbe degen gemeit
Zwischen sinen brogen zweier spannen breit
Do in der grawe roc ane sach
Gerne mugent ir hceren wie er sprach.
504
S t r o I) 1 , Über das Spielmannsgedicht von St. Oswald.
Das sind vier Verse, welche wenigstens die Umrisse einer
Hildebrandstrophe zeigen. Oder 2349 :
Frouwe Bride . - .
Manigen pfeller riehen
Die gap man den herren
Frou Bride hiez künden
liiez üf den hof tragen
mit golde ivol durchslagen
zu haut
. . . durch diu laut!
Ferner 2879:
Kum ich im niht ze liilfe in kurzer zit
Er und al die sine verliesent den lip.
2893:
Befelhet iuwer riche einem andern man
Wan ich wil mit iu varen über mer hindan . . .
Min herre gevüeret niemer keinen man,
Der im si nutzer üf des meres trän.
Doch ich will, bis nicht andere auf den Orendel bezügliche
Fragen erledigt sind, einhalten. Es gibt aber kaum ein anziehen
deres Capitel in der Geschichte der altdeutschen Literatur als das,
welches von den Spielmannsgedichten handelt. Man hat sie vielfach
bereits in den Kreis der Beobachtung gezogen, man wird es noch
mehr thun müssen, um manches Schwankende noch sicher zu stellen.
Keine Producte unserer altdeutschen Poesie haben unter dem Wandel
der Zeiten so viel gelitten, keine tragen wie sie den Stempel so ver
schiedener Jahrhunderte, verschiedener Anschauungen.
Einen kleinen Beitrag möchte ich im Obigen gegeben haben.
;
Conze, Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
505
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
Von A. Conze.
(Mit 11 Tafeln.)
Eine Erforschung des Entwicklungsganges der griechischen
Kunst aus deren Überresten ist nach dem Verlaufe von Jahrtausenden
dadurch noch begünstigt, dass die Griechen so ausserordentlich
fruchtbar an künstlerischen Hervorbringungen jeder Art waren und
so unzählbare Massen von Werken griechischer Phantasie und
Hand eben durch ihre Anzahl allen Zerstörungen der Zeiten mit immer
doch noch für uns einigermassen günstigem Erfolge ihren leidenden
Widerstand entgegensetzen konnten. So furchtbar klaffende Lücken
auch die von Natur und nachkommenden Geschlechtern geübte Zer
störung, der immer neue Verbrauch schon einmal geformten Ma
terials zu neuen Zwecken gerissen haben, was davon nicht betroffen
ist, bietet noch Stützpunkte genug für unsere auf Wiedererkennen des
verlorenen Ganzen gerichtete Bemühung. Eine Vermehrung dieses
nutzbaren Materials braucht auch durchaus nicht allein von neuen
glücklichen Funden und Ausgrabungen erwartet zu werden; wir sind
noch bei Weitem nicht am Ende mit der Herbeiziehung des vorhan
denen Bestandes. Freilich ist man dabei genöthigt, von den oft un
scheinbaren Resten keinen, wenigstens ohne ihn scharf geprüft zu
haben, als zu unbedeutend zu verwerfen, oder als zu nichtssagend
einstweilen bei Seite zu lassen. Handwerkserzeugnisse, die zur Zeit
ihres Entstehens wenig Beachtung verdienen mochten, derengleichen
bei der Erforschung uns näher liegender Kunstepochen, deren beste
Leistungen uns noch vor Augen stehen, kaum eines Blickes gewürdigt
werden, machen es uns oft allein möglich, wenn auch nur den schwachen
506
C o n z e
Abglanz der Eigenart von Kunstschöpfungen ersten Ranges für unsere
Betrachtung wieder erscheinen zu lassen, sie sind oft die einzigen aus
ganzen Perioden gebliebenen Zeugnisse. In richtiger Würdigung dieser
Sachlage hat die neuere Archäologie auf die Sammlung, Beobachtung
und möglichst weitgehende Venverthung solch verhältnissmässig un
tergeordneter Arbeiten wie die der griechischen Töpfer und Gefäss-
maler den grössten Fleiss verwandt. Führte nun auch die Bedürf
tigkeit anderer nach neuen Quellen des Wissens begieriger Disciplinen
der Alterthumswissenschaft, zugleich auch die persönliche Richtung
besonders hervorragender Forscher dahin, dass der Inhalt der in den
Vasenbildern dargestellten Gegenstände besonders in den Vordergrund
gestellt wurde, versäumt ist es darüber nicht, die Vasen auch kunst
geschichtlich zu verwerthen; erkannt wurde, um nur ein Beispiel zu
nennen, dass es nur nöthig sei gewisse auf Rechnung der weniger
meisterhaften ausführenden Hände zu setzende Mängel abzuziehen und
das dann Bleibende sich innerlich und äusserlich gesteigert zu denken,
um eine in der Hauptsache gewiss nicht allzu unrichtige, sonst über
haupt unmöglich wiederzufindende Vorstellung von der Zeichnung
eines Polygnot aus den Malereien auf gleichzeitigen Thongefässen zu
gewinnen. Trotz alle dem blieb doch immer eine gewisse Gefahr,
dass grade solche Gefässe, deren Malereien nur äusserst geringes In
teresse durch die in ihnen dargestellten Gegenstände zu erregen ver
mochten, bei denen man so gut wie allein auf die Betrachtung der
Formen angewiesen blieb, der eingehenderen und allseitigeren Be
achtung sich entzogen. Der Art sind nun grade die Gefässe, mit deren
gemaltem Zierrath sich der vorliegende Aufsatz beschäftigen soll.
Nicht als ob ich hier von ihnen wirklich zu allererst als von
Etwas bisher gar nicht Gekannten zu sprechen anfinge! Seit ich nach
und nach eine immer grössere Anzahl derselben in verschiedenen
Sammlungen sah, seit ich auch durchaus nicht mit einem Male eine
richtige Auffassung ihrer Eigenthümlichkeit zu gewinnen glaubte und
theils erst, nachdem sich diese Autfassung hei weiterer Prüfung mir
zu bewähren schien und fester sich gestaltet hatte, fand ich auch,
dass schon Andere diesen in der That gegen die gesammte übrige
Kunstproduetion der Griechen sehr fremdartig abstechenden Gelassen
ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatten, dass einige charakteristische
Exemplare bereits in Abbildungen veröffentlicht sind, dass neben Ver
kehrtem manches Richtige schon über sie gesagt ist. Die sorgfältigste
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
507
Arbeit ist die von Burgon >), welcher eine Anzahl der Gefässe, welche
ich im Auge habe, kannte und bekannt machte und namentlich ganz
bestimmt ihre gesonderte Eigenthümlichkeit zugleich und ihr über
das aller andern griechischen Thongefässe hinausgehendes hohes Alter
nachwies. Ihm schliesst sich im Wesentlichen Birch 3 ) an, doch nicht
ohne Ungenauigkeit in Einzelnem. Sonst sind hei Erwähnung solcher
Vasen hei Gerhards), Raoul-Rochette 4 ), Stackeiberg«), de Witte«),
auch Otto Jahn 7 ) und Bursian 8 ) und nicht minder früher gelegentlich
von mir«) seihst Dinge unter einander gemischt, die grade scharf ge
sondert sein wollen. Endlich hat namentlich Semper i»), nur in einer
für die Mehrzahl der Leser zu andeutenden Kürze, den geschichtlichen
Werth gerade dieser Gefässe bereits treffend hervorgehoben. Es hat
aber Niemand bisher von seinem Winke Gebrauch gemacht und für
die Gesammtdarstelluug der Anfänge griechischer Kunst den, wie mir
scheint, sehr erheblichen, durch diese Vasenmalereien gebotenen Ge
winn verwerthet. Ich möchte hierzu eindringlicher auffordern, auch
habe ich das Material vollständiger gesammelt, als es bisher geschehen
war, und grade auch auf dessen grosse Menge hinweisen zu können
erscheint mir bei der Benutzung nicht ganz unwichtig. Dieser Aufsatz
warbereits abgeschlossen, als zahlreiche vom amerikanischen General-
consul L. P. de Cesnola auf Kypros ausgegebene Gefässe in das hie
sige k. k. Münz- und Antikencabiuet gelangten und von mir verglichen
werden konnten. Sie haben keinen Anlass gegeben irgend Etwas an
meiner Besprechung zu ändern oder hinzuzuthun. Auch andere Samm-
ä ) Transactions of the R. Society of litterature vol. il. 1847. S. 296 ff.
3 1 History of ancient pottery. London 1838. S. 232 ff.
Annali deil’ inst, di corr. arch. 1837. S. 134.
V) Memoires d’ areheologie coinparee in den Mem. de 1’ Institut national de France,
acad. des inscr. et belles-lettres XVII, 2. Paris 184S. Z. B. S. 78 ff.
5 ) Gräber der Hellenen zu Taf. IX.
«) Etudes sur ies vases peints. Paris 1863. S. 35.
') Beschreibung der Vasensaminlnng König Ludwigs München 1854. S. XXV. XXVII.
Vergl. S. CXLIV ff.
s ) Ersch und Grubers Allg. Encyclop. der Wiss. und K. 1. Sect. LXXXII, S. 395.
9 ) Verhandlungen der 23. Vers, deutscher Philologen und Schulmänner in Hannover
S. 40.
’°) Der Stil u. s. w. München 1860. 1863. II, S. 138.
508 Co nie
lungen, darunter besonders das k. Museum zu Berlin, haben von diesen
kyprischen Gefässen kürzlich grössere Reihen erhalten. Ich glaubte,
dass alle diese kyprischen Funde am besten zu einer besonderen um
fassenden Bearbeitung, welche wir vielleicht vonFriederichs erwarten
dürfen, aufgespart blieben. Jedenfalls wird man dabei auf das hier
behandelte Thema zurückkommen und dann vielleicht noch ein Mal
derUntersuchung unterwerfen müssen, ob eine Annahme, die ich, wie
sich ergeben wird, nicht theilen kann, wirklich irgendwie zu Ehren
kommen kann, dass nämlich in den betreffenden Vasen phünizische
Arbeiten zu erkennen seien. Der Fundort Kypros wird dafür möglicher
weise geltend gemacht werden; sonst hat man sich bei einer solchen
Annahme nur von einer gewissen Fremdartigkeit im Vergleiche mit
später griechischen Arbeiten bestimmen lassen.
Bisher waren es die Vasensammlungen des k. niederländischen
Museums der Alterthiimer zu Leyden, des brittischen Museums, des
Louvre und der Porzellanmanufactur in Sevres, welche die zahlreichsten
Exemplare der Tliongefässe, welche ich besprechen will, enthalten.
Es sindGefässe griechischen Fundorts mit aufgemalten sehr einfachen
Zierrathen, deren Elemente so wenig zahlreich sind, wenigstens in so
sehr ähnlicher Zusammensetzung sich stets wiederholen, dass man,
zumal bei der ebenfalls sich ziemlich gleich bleibenden Technik der
Gefässeund der Malereien, sie bald als eine zusammengehörige Klasse
herauserkennt. Das konnte zunächst den Beamten jener Sammlungen
nicht entgehen, man hat sich danach bei der Aufstellung und Cata-
logisirung gerichtet. In andern, als den genannten Sammlungen, fand
sich bisher — immer von jenen neuesten Erwerbungen aus Kypros
abgesehen — diese Classe sehr wenig vertreten. Ein Beispiel ist mir
aus Kopenhagen bekannt geworden, ein Exemplar besitzt die Uni
versitätssammlung zu Würzburg, ein Fragment liegt im archäolo
gischen Museum der Universität Heidelberg, in der k. Sammlung zu
Turin sah ich ein wenig merkwürdiges Stück, n. 9 und n. 48 der
Vasensammlung des k. k. Münz-und Antikencabinets zu Wien ‘) haben
auch keine besondere Bedeutung, in Petersburg, Berlin und München
*) Sacken und Kenner die Samml. des k. k. Münz- und Antiken-Cabiuetes. Wien 1866.
S. 147. ISO.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst. 509
fand ich keine zugehörigen irgendwie beachtenswerten Stücke, wenig
auch in Athen.
Ich gebe zunächst auf Grund eigener Anschauung ein Verzeich
niss der einzelnen Vasen mit kurzer Beschreibung und Hinweiss auf
die Abbildungen, wobei hoffentlich wenigstens keine bedeutenderen
Exemplare übergangen sind.
Ich stelle voran die Vasen im k. niederländischen Mu
seum der Alterthümer zu Leyden; zu Grunde liegen Auf
zeichnungen aus dem Jahre 1862. Die Nummern stimmen überein
mit denen des gedruckten Verzeichnisses i).
Leyden II 1540. Amphora, 0,47 M. hoch. Das Ornament am
Halse läuft nicht ringsum, sondern endet beiderseits über der Mitte
der Henkel. Taf. I, 1.
Leyden II 1550. Grosse bauchige Amphora, nur mit horizontal
umlaufenden Streifen und Reihen von concentrischen Kreisen bemalt.
Taf. I, 2.
Leyden II 1551. Amphora. Die Bemalung der Rückseite gleich
der der Vorderseite. Taf. III, 4.
Leyden II 1552. Amphora. Die horizontale Streifung läuft rings
um das Gefäss, sämmtliche die Zwischenräume derselben füllende
Zierrathe befinden sich nur auf der Vorderseite so , wie die
Abbildung sie zeigt, auf der Rückseite des Gefässes fehlen sie
ganz. Taf. II, a Gesammtansicht, b aus dem Zierrath in Origi
nalgrösse.
Leyden II 1553. Zweihenkliges Gefäss mit Deckel. Verziert
wiederum mit horizontal ganz umlaufenden Streifen, das Feld zwischen
den Henkeln wiederum nur auf der Vorderseite mit linearem Ornament
gefüllt. Taf. III, 1.
Leyden II 1554. Zweihenklige Schale. Der Mäander hier auf
beiden Seiten zwischen den Henkeln wiederholt. Taf. III, 3.
Leyden II 1555 und 1556. Desgleichen. Ebenso verziert, nur
anstatt des Mäanders eine doppelte liegende Zickzacklinie.
*) Oe grieksche, romeinsche en etrurische Monumenten van het Museum van Oudheden
te Leyden, kort beschreven door L. J. F. Jannsen. Leyden. 1848.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LX1V. Bd. II. Hft. 34
510
C o n z e
Leyden II 1557. Desgleichen. Wiederum ebenso verziert, nur
statt Mäanders oder doppelten Zickzacks hier eine einfache liegende
Zickzacklinie.
Leyden II 1558. Desgleichen. Wiederum gleiche Art der Ver
zierung, an der gewöhnlichen Stelle zwischen den Henkeln drei senk
recht neben einander gestellte Zickzacklinien.
Leyden II1560. Hochgezogenes zweihenkliges Gefäss mit Deckel.
Die Verzierungen laufen sämmtlich ringsum. Taf. III, 2.
Leyden II 1561. 1562. 1563. 1564. Vier in Form und Ma
lerei im Wesentlichen übereinstimmende einhenklige Giessgefässe.
Das Ornament besteht wieder aus ringsumlaufenden horizontalen
Streifen; gedrängterer Zierrath von Zickzacklinien, Mäandern, con-
centrischen Kreisen füllt wiederum nur die vordere Hälfte der beiden
obersten am Halse und an dem anstossenden Obertheile des Gefäss-
bauches befindlichen Streifen. Auf diese sehr vorwiegend bei allen
verwandten Gefässen mit dem reichsten Theile der Verzierung be
dachte Stelle des Gefässes musste bei einer niedrigen Aufstellung
desselben besonders der Blick fallen. Es wird das, wie ein Freund
mir bemerkt, bei der Genesis dieser Ornamentik im Spiele ge
wesen sein.
Leyden II 1565. Einhenkliges Giessgefäss, 0,115 M. hoch.
Taf. IV, a Gesammtansicht, b der Hauptzierrath, in dem je ein an
einer Krippe angebundenes Pferd symmetrisch wiederholt ist, in Ori
ginalgrösse. Vgl. London 2531. Taf. V, 2.
Leyden II 1566—1573. Sämmtlich unbedeutender.
Leyden II 1574. Zweihenkliges Gefäss. Ornament beiderseits
gleich wiederholt. Taf. III, 5.
Nach Janssens auf den Museumsacten beruhenden Angaben im
Kataloge, stammen von diesen Leydener Gefässen 1540 und 1557
vom holländischen ConsulCocq van Breugel zu Tripolis, 1550—1556,
ferner n. 1567—1574 vom holländischen Consul van Lennep zu
Smyrna, während 1559, 1560, 1562, 1563, 1565 und 1566 nur als
Ankäufe aus der in Griechenland gebildeten Sammlung Bottiers auf
geführt werden. 1561 kam aus der Sammlung Corazzi zu Cortona.
Wir kennen also den Fundort von keinem einzigen dieser Gefässe
mit Sicherheit. 0. Jahn i) hat die Exemplare aus Smyrna und
^ Beschreibung der Vasens. König Ludwigs. S. XXVII. XXIX.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
511
Tripolis in sein Register der Vasenfundorte unter diesen Namen
eingereiht, aber namentlich Smyrna ist seit langer Zeit Handels
platz auch für Alterthümer, die von den verschiedensten Seiten
kommen.
Ich lasse hierauf die Vasen aus dem brittischen Museum
folgen. Ich folge dabei meinen Aufzeichnungen vom Jahre 1863; die
Nummern sind die, mit welchen sich die Vasen damals in den
Schrankfächern 56 bis 60 aufgestellt fanden; manche Nummern
waren mir bei der Stellung der Gefässe nicht sichtbar; ich gebe sie
einfach als ohne Nummer an. Die Aufstellung scheint nach den sum
marischen Angaben der neuesten Ausgabe des kleinen Kataloges i)
inzwischen verändert zu sein. Der erste meines Wissens bis jetzt
einzige Band des grossen Vasen-Kataloges enthält diese Vasen noch
nicht. Unbedeutende Exemplare, auf denen sehr einfache immer
wiederkehrende Verzierungen nur flüchtig wiederholt sind, sind in
meiner Aufzählung übergangen.
London 2307—2310 und 2312. Fünf nur mehr oder weniger
schlanke, zweihenklige Gelasse, reichlich 0,40 M. hoch. Form
und Verzierungsart gleichen dem Leydener Exemplare II, 1360, so
dass hier eine Verweisung auf dessen Abbildung auf Taf. III, 2 ge
nügt. Die einzelnen Elemente der Verzierungen sind bei jedem ein
zelnen Gefässe anders combinirt, sie liegen aber durchaus innerhalb
des uns bereits bekannten Formenvorraths.
London 2324. Einhenklige Flasche, reichlich 0,40 M. hoch,
reich bemalt. Dreifach gezogene horizontal umlaufende Streifen bil
den Bänder, welche durch Zickzack- und Mäanderlinien verschiede
ner Ausführung gefüllt sind; in dem breitesten Bande sind durch
senkrechte Linien Felder abgetheilt, die wiederum mit Mäanderlinien
gefüllt sind.
London 2523 und 2526. Zwei einhenklige Krüge (die Form
auf Taf. V, 1“). Die ganze Oberfläche des Gefässes ist wiederum in
horizontal umlaufende Bänder zertheilt, welche durch wiederum
jedesmal dreifach gezogene Linien von einander getrennt werden.
Die einzelnen Bänder sind durch Ornamente ausgefüllt, deren Muster
ich, die Bänder von oben nach unten der Reihe nach numerirend,
D A Guide to the first vase room. 1869. S. 7.
34*
512
C o n z e
auf Taf. V angebe, und zwar unter l b die Muster des Kruges 2525,
auch die Verzierung auf dem Rücken des Henkels, unter l c die des
Kruges 2526.
London 2529. Einhenkliges Giessgefäss, reichlich 0,20 M. hoch,
verziert im Wesentlichen wie Leyden 1561 —1564.
London 2531. Desgleichen. Taf. V, 2 nach Birch history of
ancient pottery S. 255, Fig. 122. Vergl. Leyden 2565. Taf. IV.
London 2535. Kleiner Krug. Taf. V, 3 nach Burgon in den
Transactions of the royal society of litterature 2. Series vol. II (1847)
n. 90. Dort sind unter n. 224 und 239 noch zwei jetzt beide eben
falls im brittischen Museum befindliche gleichartige Gefasse (Bur
gon 239 = Brit. mus. 2564) abgebildet.
London 2543. Zweihenkliges Gefäss. Der Deckel mit 2571**
bezeichnet, zeigt nur uns bereits bekannte Verzierungselemente.
Wenn nicht dieser, so doch ein gleicher Deckel wird ursprünglich
zu dem Gefasse gehört haben. Die senkrechten Streifen in dem nach
oben stark verjüngten Fusse des Gefässes sind durch ganz aus dem
Thon geschnittene Löcher gebildet; diese Form kommt an hochalten
griechischen 1 ) und in altetruskischen 2 ) Gefässen häufig vor; an
etruskischen Gefässen, namentlich aus Chiusi, sind die Unterbrechun
gen des Fusses oft viel weiter, so dass der zwischen ihnen stehen-
bleibende Thon sich zu gesonderten Füssen gestaltet, die endlich
oft auch plastischen Figurenzierrath erhalten. Taf. V, 4. Vergl. Birch
history of ancient pottery S. 253, Fig. 121. Stackeiberg Gräber der
Hellenen Taf. IX, rechts. Semper der Stil II, S. 29. Brongniart et
Riocreux description meth. du Musee ceram. de Sevres pl. VI, 1.
London 2539. Breite Schale, der Zierrath am Halse wesentlich
gleich dem auf 2543.
London 2548. Ähnliche Form.
London 2554. Kleine zweihenklige Schale. Taf. VI, 1.
London ohne Nummer. Taf. VI, 2. Gleichartig sind zwei andere
Gefässe ohne Nummer und 2541, 2555, 2560, 2561.
London ohne Nummer. Kleine rundbauchige Flasche. Jeder-
seits eine Gruppe concentrischer Kreise, die von horizontal umlaufen-
*) Conze melische Thongefässe. Titelvignette und Taf. I.
2 ) Z. B. Noel des Vergers l’Etrurie et les Etrusques pl. XV11I, 1.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
513
den Ringen durchschnitten werden. Die gleiche Gefässform mit der
gleichen Verzierung kommt mehrfach vor. Tat. VI, 3. Vergl. Bur
gon transaetions etc. n. 224.
London ohne Nummer. Unter den „archaic vases from Camirus,
Rhodes“ aufgesteltt. Einhenkliger Krug. Taf. VI, 4.
London ohne Nummer. Untersatz eines Gefässes. Man kann
diese Form mit dem Gefässl'usse von London 2543, Taf. V, 4 u. s. w.
als gleichartig anseheu, nur darf ein losgelöster Untersatz daraus
geworden und damit eine etwas reichere Gestaltung und auch reichere
Verzierung eingetreten ist. Wir werden dieselbe Form eines Unter
satzes mit ganz gleichartiger Ornamentik noch drei Mal in Sevres,
einmal in Würzburg, zweimal im Louvre aufzuzählen haben. Unter
den Gefässen späteren Stils kommt sie meines Wissens nicht mehr
vor. Ganz dasselbe in anderer Technik ausgeführt war das ukoxpri-
njpi'dtov ai'rnpEgv xüXXrjTÖv, das üirö.S'rip.Gc oder Ü7röarrjp.a von Eisen,
wie ein nach oben sich verjüngender Thurm gestalteti), welches
einmal einen silbernen Krater trug, das berühmte Werk des Glaukos
von Chios, das Weihgeschenk des Lyders Alyattes zu Delphi. Nur
in seiner Ornamentik zeigte dieser eiserne Untersatz schon einen
andern Charakter, wie aus den in der Beschreibung des Hege
sandros genannten fvTtxpia zu schliessen ist. Es wird das weiter
unten deutlich gemacht werden. Taf. VII, 1.
Ich füge noch hinzu einen zweihenkligen Krug Taf. VI, 3 nach
Birch hist, of anc. pottery S. 252, fig. 120.
In die gleiche Reihe gehört London 2572*, der kreisrunde
Deckel eines Thongefässes; das Rund durch einen Mäander in zwei
Hälften getheilt, auf jeder von denen frei ausgearbeitet eine sehr rohe
Pferdefigur steht, neben dem einen Pferde noch zwei Vögel und ein
Kreuz angebracht; die Körper der beiden Pferdefiguren sind mit
rautengefüllten Gurten und mit concentrischen Kreisornamenten
bemalt.
Fundnotizen über diese Londoner Gefässe wird vielleicht die
Fortsetzung des ausführlichen Vasen-Kataloges bringen. Einstweilen
wissen wir nur, dass das eineGefäss (Taf. VI, 4) ausKameiros, eine
! ) Overbeck die antiken Schriftquellen zur Gesell, der bild. Künste bei den Griechen.
Leipzig 1868. S. 47 f.
514
C o n z e
bei Burgon abgebildete Flasebe (transactions of the roy. soc. of litt,
a. a. 0. n. 224) aus Melos und so wie 2535 auch das ebenfalls in
diese Classe gehörige Gefäss 2564 aus Athen stammt.
Ich zähle ferner die in Paris und Sevres befindlichen Ge-
fässe auf.
Die vier wichtigsten hierher gehörigen Stücke des Museums
zu Sevres sind abgebildet bei Brongniarf und Riocreux description
methodique du musee ceramique de Sevres pl. XIII, Fig. 2. 10. 13.
16. Die erstere Vase ist von ansehnlicher Grösse, über 0,50 M. hoch.
Fundort von 2 und 10 ist Melos, von 13 und 16 Thera. Die Exemplare
aus Thera kamen durch Bory de St. Vincent nach Sevres—ils etaient
situes clans trois tombeaux creusds duns le calcaire compacte, sol
principal de l’tle, mais que ce sol et ces tombeaux ont etc re Cou
verts par des dejections volcaniques, qui, au-dessus de ces tombes,
ont une epaisseur de iS ä 20 mbtres. La datede ces epanchements
est incohnue. So berichtet Brongniart traite des ärts ceramiques 2. ed.
Paris 1854. I, S. 577. — Taf. III, 1. 2. 3. 4 nach Br. und Riocr.
a. a. 0. .
Dass sich drei dem Londoner Exemplare (Taf. VII, 1) wesent
lich gleiche Untersätze in Sevres befinden, ist schon erwähnt. Dann
wiederholt sich in Sevres zweimal die auffallende Form kleiner
Gefasschen, die um ein grösseres von einem wieder durchbrochenen
Fusse getragenes Gefäss gestellt sind, (Brongniart und Riocreux a. a. 0.
pl. XIII, Fig. 1. Semper der Stil II, S. 135). Auch im brittischen
Museum sind mehre Exemplare derselben Art. Nach Technik und
Ornamentik, welche letztere übrigens ungemein einfach ist, gehören
sie zu der hier zusammengestellten Classe. In späteren griechischen
Thonarbeiten kommt diese eigenthümliche Form meines Wissens
nicht mehr vor. Die beiden Exemplare in Sevres stammen aus
Melos.
Drei wiederum sehr charakteristische Exemplare derselben
Vasenclasse wurden im Jahre 1862 in einem Zimmer über dem
Cabinet des me da i lies zu Paris aufbewahrt. Es sind drei
grössere Amphoren, bezeichnet, als ich sie sah, 748, 749 und 756.
InForm und Ornamentik gleichen sie am meisten der gleich zu erwäh
nenden Amphora in Kopenhagen (Taf. IX, 2), auch im Einzelnen ent
hält die Ornamentik keine von den hier näher beschriebenen und ab
gebildeten Exemplaren abweichende Elemente; auf 748 steht mitten
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
515
auf dem Gefässbauche die radförmige Verzierung im viereckigen
Felde, ganz wie auf der Kopenhagener Amphora, auch die Ecken
des Viereckes sind wie dort gefüllt, nur steht in den beiden oberen
jedesmal ein sogenanntes Hakenkreuz; auf 749 kommt ein Pferd,
über dessen Rücken ein Vogel gemalt ist, auf 756 eine Vogelfigur
(oder eine Reihe von solchen?) vor;
Die Vasensammlung des Louvre hatte im Jahre 1862 zwei der
bereits besprochenen Untersätze aufzuweisen. Fröhners gütiger Ver
mittlung verdanke ich ein farbiges Facsimile eines Theiles des einen
Exemplares: Taf. VIII.
Im zweiten Zimmer der Vasensammlung des Louvre fand sich
ferner im Jahre 1862 die von Stackeiberg Gräber der Hellenen, Taf.
IX inmitten und dann in einer andern Ansicht bei Brongniart traite
des arts ceramiques (2. edition Paris 1854) pl. II, Fig. 14 abgebil
dete Vase vor. Auch die zwei anderen bei Stackeiberg a. a. 0 auf
Taf. IX abgebildeten Vasen gehören zur gleichen Classe. Es ist übri
gens zu bemerken, dass die auf der Stackelbergschen Tafel diesen
Gefässen gegebene Farbe ganz willkürlich gewählt ist und keine
Vorstellung von der wirklichen Technik gibt. Diese drei Stackel-
bergscheu oder vielmehr nach ihrem ersten Besitzer Fauvelschen
Gefässe sind deshalb besonders wichtig, weil wir über sie eine ge
naue Fundnotiz besitzen. Stackeiberg gibt an, sie seien am heiligen
Wege bei Athen, und zwar zu unterst dreier verschiedener Gräber
lagen ausgegraben. Fauvels Angabe, aus Millins magazin encyclop.
1813. V. 362 abgedruckt bei Ross archäol. Aufs. I, S. 33, lautet:
„A la meme profondeur (ä la porte Dipylon—ä trente pieds sous
terre) j'ai trouve beaucoup de vases usuels, et une urne ronde
de deux pieds de diametre remplie d’ossemens bruliis. Cette urne est
d’un genre phenicien: eile est ornde de meandres. On voit des
clievaux dcins les compartimens et des cocliotis sons les anses. Au
dessus du niveau ou etaient ces vases, il y en avait d'untres grecs,
tres-beaux, et plus haut, des tombeaux de chiens qui sont des es-
peces de levriers.“ Es ist hier also nur von der einen bei Stackel-
berg Taf. IX inmitten, und bei Brongniart a. a. 0. abgebildeten jetzt
im Louvre befindlichen Vase die Rede. Taf. IX, 1 nach Brongniart
a. a. 0. .
Ein sehr gutes Specimen derselben Vasenclasse im Prind-
senspalais zu Kopenhagen habe ich nach einer Skizze von
516
C o n z e
Michaelis schon früher publicirt (Conze inelische Thongefässe.
Leipzig 1802. S. VII Vign.). Audi hier gehen die parallelen hori
zontalen Streifen rings um das Gefäss, die weitere Verzierung i)
ist dagegen auf die Vorderseite beschränkt. Ich möchte vermuthen,
dass auf dem hier viermal wiederholten Ornamentsreifen der ver
bundenen Kreise die verbindenden schrägen Linien am Origi
nale nicht ganz so geschwungen wie in der Zeichnung sind. So ist
wenigstens die sonst auf Gefassen dieser Classe constanteForm dieses
Ornamentes. Dieses Kopenhagener Exemplar stammt aus Thera, kam
nach Kopenhagen durch L. Ross. Taf. IX, 2 nach Conze a. a. 0.
Das beste Exemplar wiederum derselben Vasenclasse, welches
mir in einer deutschen Sammlung vorgekommen ist, besitzt die Uni
versitätssammlung zu Würzburg 2 ); es stammt aus der
Faberschen Sammlung und zwar angeblich aus dem Piraeeus. Es ist
wieder einer jener Untersätze, die wir bereits aus dem brittischen
Museum, aus dem Louvre und aus Sevres kennen. Taf. VII, 2 nach
dem Originale, welches Urlichs mir zur Verfügung zu stellen die
Güte hatte.
Ein Fragment einer gleichartigen Vase liegt unter den Antika-
glien des Universitätsmuseums zu Heidelberg. Aufgemalt
ist ein Pferd, über demselben zwei Vögel und vor demselben glaube
ich noch ein kleineres Thier; auch ein Überrest der horizontalen ein
rahmenden Striche zu beiden Seiten ist noch erhalten.
Andere gleichartige Fragmente linden sich abgebildet beiSeroux
d'Agincourt recueil de fragmens de sculpture antique en terre cuite
pl. XXIII, n. VII, bei Burgon a. a. 0., hei Raoul-Rochette mein,
d’archeologie comparee in den Mem. de l’institut national de France,
acad. des inscr. et belles-lettres XVII, 2. 1848. Taf. IX. 1. l a . 9.
danach bei Semper der Stil in den technischen und tektonischen
Künsten (Frankfurt 1860) I, S. 440. Diese sind zum Theil auf dem
Boden von Mykenai gefunden, wo jeder Reisende Gelegenheit hat,
das Vorkommen solcher Fragmente zu beobachten. Ähnliche Vasen
*) Über die „grosse Rosette“ verspricht Wieseler eine Abhandlung. Gött. gel. Anz.
1863, S. 1945.
2 ) Urlichs Verzeichniss. der Antikensaramlung der Univ. Würzburg. W. 1865. S. 57.
n. 153. 257.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
517
sah Newton auf Rhodos (Travels in the Levant I, S. 235), wie es
nach den nicht ganz genauen Angaben scheint, sind Überreste von
gleichartigen auch am Monumente des Menekrates auf Korfu ge
funden (Birch in Gerhards archäol. Zeit. 1846, S. 378. Vischer
Erinnerungen und Eindrücke aus Griechenland, S. 23).
In Bezug auf alle Abbildungen ist noch zu erwähnen, dass nur
die bei Burgon und hei Raoul-Rochette eine richtige Vorstellung von
der Technik dieser Vasenclasse gewähren; dazu kommt jetzt nament
lich unsere Tafel VIII.
Genau beschrieben ist die technische Eigenthümlichkeit dieser
Gefässe von Burgon. Auf meist blassgelbem Thongrunde sind
die Ornamente aufgemalt „of a tawny red, or brownish colour, so-
metimes merging itito dusky black, and frequently shoiving botli the
tawny red, and the black colour, on the same specimen. 11 Diese
Farben *) sind sehr ähnlich denen der sogenannten korinthischen,
richtiger orientalisirenden Vasen, welche letztere von der hier be
sprochenen Classe abgesehen, jedenfalls und ganz unbestritten die
ältesten Producte griechischer Vasenfabrikation sind. Später ver
schwinden diese Farben, sowohl die des Thons, als die der Malerei
bekanntlich ganz aus dem Gebrauche und damit ist zusammenzuhalten,
dass andererseits in der späteren Technik, welche reineres Schwarz,
sei es für die Figuren, sei es für den Grund verwendet, die Verzierungs
art der hier aufgezählten Gefässe nie mehr vorkommt. Hierin liegt
schon ein sicheres Kriterium für ein hohes Alter unserer Vasen, für
welches auch der angeführte Fundbericht Fauvels und Brongniarts
Angabe über die Funde auf Thera in Anschlag zu bringen ist. Die
Pinselfübrung ist durchweg eine ziemlich derbe; eigenthümlich ist die
sehr oft wiederkehrende Art, wie sehr dicke Linien hergestellt werden.
Es geschieht das nämlich nicht mit voller Farbe, welche die ganze
Breite der Linie füllte, sondern es werden zur grösseren Abkürzung
des Verfahrens zwei Randlinien gezogen und der Raum dazwischen
mit einer schrägen Schraffirung ausgefüllt. Man erinnert sich dabei
leicht der Art, wie sehr starke altgriechische Mauern oft ausgeführt
l ) In der Ornamentik verwandt, aber in der Technik zu verschieden, um sie hier
herbeiziehen zu können, sind Vasen aus Kameiros bei Longperier Musee Napo
leon III, choix de inonuments antiques etc. pl. L.
Conze
wurden. Alles gibt der ganzen Art der Malerei ein rohes Ansehen,
doch ist eine grosse Sicherheit und eine bestimmte handwerkliche
Tradition bei der Ausführung der freilich sehr einfachen, den Malern
aber offenbar sehr geläufigen Ornamentik nicht zu verkennen. Es sind
nicht allererste unbeholfene Anfänge, sondern es ist ein ganz bestimm
ter Stil, auf langer Übung beruhend, sehr primitiv allerdings von
Haus aus und ohne bei den ewigen Wiederholungen aufgewandte
Sorgfalt.
Es tritt unseine mit Consequenz, freilich auch mit Beschränktheit
ausgebildete Formenwelt entgegen, innerhalb deren man zur Zeit der
Ausbildung derselben volles Genügen gefunden haben muss. Es liegt
also eine allerdings nur bei sehr unentwickeltem Stande der Mensch
heit mögliche Erscheinungsform des Schönen vor, dessen Begriff sich
damals mit dem des Bunten so ziemlich deckte. Die Linie, welche
Schiller im Briefe an Körner <) als unzweifelhaft unschön hinzeichnet,
galt da als schön.
Wir müssen jetzt das Ganze in seine Theile zerlegen und diese
genauer beschreiben.
Auf allen bisher bekannten Gefössen fehlen Schriftzeichen gänz
lich, ebenso fehlen menschliche Figuren. Die Malereien sind rein de-
corativ; gebildet sind die Zierformen aus einer Combination ein
fachster Linien, gerader in verschiedenen Richtungen und rein kreis
förmiger; andere geschwungene Linien sind wenigstens sehr selten.
Durchgehend a ) wird der Körper der Gefässe mit parallelen Hori
zontalstreifen umzogen; die Linien werden hierbei gern zu dreien
enge neben einander geführt. In die bandförmig umlaufenden Zwi
schenräume dieser Horizontalstreifen werden weitere zierende Aus
füllungen gesetzt, sehr oft nur auf einer Seite, der Vorderseite des
Gelasses, und nicht selten mit Bevorzugung des oberen Gefässtheiles,
und namentlich des Raumes in der Höbe der Henkel, auf deren
*.) Briefwechsel III, S. 69.
2 ) Es kommen in gleicher Technik ausgeführte Gefässe vor, auf denen wenigstens
ein grösserer Raum von den Streifen frei gelassen und dieser freigelassene Raum
dann mit den einzelnen Ornamentmotiven ganz ungeordnet und nicht sehr dicht
überstreut ist. Dieser ausartenden Varietät, in denen der Stil so zu sagen aus den
Fugen gegangen ist, gehört z. B. British Museum Vasensammlung n. 2517 und
andere Exemplare dort, auf denen ich keine Nummer fand, an.
Zur Geschichte der Anfiinge griechischer Kunst.
519
Beachtung ein einf aches technisches Gefühl führen musste. Die band
förmigen Streifen werden so mit Zickzack-, Rauten-, Schachbrett-,
mannigfachen Mäandermustern der Länge nach gefüllt, ferner mit
Kreisen; diese Kreise, einfach oder concentrisch mehre in einanderge-
legt, zuweilen ganz dunkel ausgefüllt, zuweilen mit einem Kreuze,
viel häufiger aber mit einem Punkte im Centrum, stehen sehr häufig
in dichten Reihen neben einander und werden dann gern durch gerade
schräg aufwärts gerichtete Linien, Tangenten von Peripherie zu
Peripherie, zu einem zusammenhängenden Ornamente verbunden,
ohne dass das später beliebte gefälligere Ineinanderfliessen der Kreise
und der Verbindungslinien mit geschwungener Führung der letzteren
erreicht oder auch nur versucht wäre 1 ). An mehr auszuzeichnenden
Stellen des Gefässes, so zwischen den Henkeln, wo auch schon
die Bänder breiter gelassen sind, werden diese nicht mit einem
der Länge nach gleichmässig fortlaufenden Zierrathe gefüllt, sondern
es tritt eine Unterbrechung des Rythmus ein, wieder mit den ein
fachsten Mitteln, mit denen sich übrigens noch dorische Architektur
bei der Behandlung des Frieses begnügt, bewirkt; senkrechte Linien,
die selbst durch Vervielfältigung oder Verzierung stärker betont werden
können, zerlegen das Band in einzelne vierseitige Felder und diese Fel
der werden nun wieder gefüllt durch Mäandermuster, Hakenkreuze,
Zickzacklinien, Rauten oder Kreise, oder hin und wieder z;ur reichsten
Form durch eine radähnliche Ausfüllung im Innern erhoben. Der
Name Rosette wird hierfür als Missverständnis erregend lieber zu
vermeiden sein.
So weit fehlt den Formen jedes auf Nachahmung von Natur-
gegenständen zurückzuführende Element. Dasselbe tritt aber hinzu
mit den Thierfiguren; mit ihnen ist das Äusserste im decorativen
Reichthume dieses Vasenstils geleistet, Vierfüssler, besonders Pferde,
sogar sammt einer Krippe, oder Hirsche, Steinböcke (Schweine?)
und Vögel verschiedener Bildung, sehr oft Gänsen oder anderen
Wasservögeln ähnlich, in Reihen oder mehr einzeln füllen die unun
terbrochenen Bänder oder die abgetheilten Felder. Diese Thierbilder
sind nun aber den übrigen mit Linien spielenden Formen durchaus
9 ln solcher noch die Führung der Hand beim Aulinalen erkennen lassenden Dingen
sind Abbildungen leicht nicht charakteristisch genug.
320
C o n z e
assimilirt; sie sind selbst in ein lineares Schema aufgelöst und
auch wo der Leih einmal mit vollerem Pinsel ausgefüllt ist, tritt dieses
lineare Schematismen bei den Extremitäten, namentlich den Fiissen,
in einer sehr gleichmässig sich wiederholenden und auffallenden
Weise auf. Auch da also kein unsicheres Versuchen der Darstellung,
sondern eine ganz bestimmte einmal bequem und passende gefundene
Manier, hei der man ruhig immer wieder bleibt. Wo die nothwendig
unregelmässigere Thierfigur ein Stück Thongrund unausgefüllt lässt,
werden andere kleinere Tliiere, ein Stern, Zickzacklinien, Haken
kreuze und dergleichen zur Ausfüllung hineingesetzt.
Der Technik nach gleichen unsere Vasen, wie gesagt, am mei
sten den orientalisirenden, wie das Dodwellsche Gefäss, von denen
jetzt nicht leicht einer Sammlung Beispiele fehlen. Auch in den For
mender Bemalung, zeigt sich bis zu einem gewissen Grade Ähnlich
keit, so in der Vorliebe für parallele Streifenanlage rings um das
Gefäss, in der Lust an Ausfüllung leer bleibender Fleckchen, in der
häufigen Verwendung von Thierfiguren. Dagegen ist sonst wieder
eine so tief gehende Verschiedenheit vorhanden, dass hier noth
wendig zwei Classen scharf geschieden sein wollen, wie Burgon und
nach ihm Birch es gethan haben, während de Witte die Eintheilung
annimmt, ohne selbst, wie es scheint, denEintheilungsgrund recht klar
zu sehen, während endlich in aller übrigen mir bekannten Literatur
mit Ausnahme der Andeutungen Sempers unsere Vasen mit den
orientalisirenden völlig durcheinander gemischt werden. Ein Haupt
unterschied beider Vasenclassen ist der, dass in den Verzierungen
der orientalisirenden Vasen stilisirte Pflanzenformen einen Haupt
bestandteil bilden, wie ja bekanntlich die ganze, so weit wir sehen
an letzter Stelle in Assyrien ausgebildete und von da verbreitete
Formenwelt, also auch die der Phönizier, Etrusker und, sobald diese
beeinflusst wurden, derGriechen, wie übrigens auch die der Ägypter,
zum grossen Theile stylisirte Pflanzenformen bietet. Die Pflanzen
form fehlt dagegen in der Ornamentik unserer Gefässe fast gänzlich,
und sieht man die allerdings ganz vereinzelt vorkommenden mit
einigerDeutlichkeit erkennbaren Darstellungen eines Blätterzweiges *),
0 Brongniart et Riocreux descr. methodique du musee ceram. de Sevres pl. XIII»
n. 15. Oben als wenig charakteristisch nicht mit aufgezählt.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
521
an, so sieht man alsbald, dass diese noch dazu so verschwindend
selten eingemischten Formen durchaus anderer Art sind, als die sehr
durchgebildet stilisirten Pflanzenformen der orientalischen Kunst und
der orientalisirenden griechischen Kunstweise; bei den Blätter
zweigen unserer Vasen kann kaum von einer Stilisirung die Rede
sein i). Wenn nur aber Thierfiguren und Thierfiguren beiden Vasen-
classen, welche wir eben vergleichen, gemeinsam sind, so sind sie
der Art nach auf den orientalisirenden und auf unseren Vasen wie
derum völlig verschieden; eine Stilisirung, eine ausgebildete Manier,
findet sich hier und dort, aber auf unseren Vasen ist sie unerkennbar
von weit primitiverer Art ; ihre dünn linirten Figuren stechen grell
und sehr zu ihrem Nachtheile ab gegen die sehr schwungvolle, die
charakteristischen Einzelformen mit gutem Verständnisse beherr
schende Bildung der Thierleiber aller orientalischen und orien
talisirenden Kunst, wo im Gegensätze gegen ein Bevorzugen der
geraden Linien und ihres eckigen Auleinandertreffens vielmehr ein
sichtliches Wohlgefallen an gerundeten Formen, geschwungener Be
wegung massgebend gewesen ist. Dasselbe Vorherrschen von grad
linigen und eckigen bei der einen 2 ), von gerundeten Formen bei
den anderen Vasen, da Magerkeit, hier Fülle charakterisirt aber fast
noch augenfälliger als die Thierformen die gesammten Zierrathen
der einen und anderen Classe, entschieden die Sonderung zweier
solcher Classen fordernd. Weiter tritt als unterscheidendes Merkmal
auf, dass gewisse Liehlingsmotive der Ornamentik unserer Vasen,
z. B. die durch schräge Linien verbundenen Reihen von Kreisen, auf
den rein orientalisirenden Vasen gar nicht mehr gefunden werden; der
länger in Gebrauch bleibende Formenvorrath dagegen wird immer
mehr von den reicheren und durchgebildeteren Pflanzenornamenten
zurückgedrängt, die einzelnen concentrischen Kreise werden von
mehr blüthenförmigen Rosetten abgelöst, diesem, wie schon Raoul-
Rochette besonders betonte, am meisten charakteristischen Orna-
') Mir ist aus der Abbildung (Revue archeol. N. S. XVI. 1867. pi. XVI), auch aus
der Photographie von des Granges nicht ganz deutlich, wie sich hierzu die auf
Thera gefundenen hochalten bemalten Scherben verhalten.
Ä ) Vereinzelte Beispiele, wo bei sehr nachlässiger Ausführung das Ornament so zu
sagen cursiv geworden ist, beweisen dagegen Nichts, z. B. das Gefäss aus Thera
in Gerhards archäol. Zeit. 18C6, zu S. 257* Taf. A, 2.
522
C o n z e
mente der orientalisirenden Vasen, das bald oft ganz allein in grosser
Zahl und den verschiedensten Grössen den Grund der Malereien
füllt, das dagegen wieder auf unseren Vasen nie vorkommt; denn die
oben erwähnten radförmig ausgefiillten Kreise sind etwas Verschie
denes, und ich wollte deshalb den Namen Rosette für sie vermieden
wissen. Die Zickzacklinien bleiben noch auf manchen Vasen mit
orientalisirenden Zierrathen eingemischt, dann verschwinden sie
wenigstens in der reihenweisen Zusammenstellung gänzlich, etwas
zäher als einzelne Dreiecke am unteren oder oberen Rande der Bild
streifen sich hie und da behauptend. Am lebensfähigsten hat sich
der Mäander erwiesen, den die griechische Kunst bekanntlich nie
aufgab. Auch das kann noch als unterscheidend bemerkt werden,
dass die horizontal umlaufende Streifung der Gefässe beiden Classen
zwar gemeinsam ist, dass aber das Zerschneiden einzelner Haupt
streifen durch senkrechte Linien in besondere Felder, so geläufig in
den Vasen unserer hier besprochenen Classe, den orientalisirenden
ganz fremd ist. Auch die ausschliessliche Häufung der Zierrathe
nur auf einer Vorderseite des Gefässes, die wir wiederholt fanden,
ist ihnen fremd.
Ganz treffend hat Semper es bereits ausgesprochen, dass die
Formeinzelheiten und die gesammte Formeigentluimlichkeit der Or
namentik unserer Vasenclasse vorwiegend technischen Ursprungs
sind, und zwar auf die Technik der Weberei i), allenfalls auch des
Flechtens und Stickens zurückweisen; die rechtwinklig sich kreu
zenden Fäden bedingen den linearen Charakter, die geradlinigen und
eckigen Formen der Zeichnung. Dass man sich auch bei Ausführung
des Zierraths mit dem Pinsel auf diesen in einer ganz anderen Tech
nik wurzelnden Formenvorrath beschränkte, scheint zu beweisen,
dass die Production einer Zeit und eines Volkes hier ihre Spuren
zurückgelassen hat, in der Weberei, Stickerei, Flechten, natürlich be
sonders von Frauen geübt, überhaupt der höchste für alle anderen
Versuche des Bildens tonangebende Kunstzweig war. Auf dieser von
*) Daher erhält sich diese Ornamentik in Griechenland auf gewebten Stoffen am
allerlängsten, wie zahlreiche Vasenbilder zeigen, wo solche Stoffe dargestellt
sind und bei allen Völkern, auch Assyrern und Ägyptern, erscheint sie in Webereien.
Auch die Mosaiktechnik führt zu allen Zeiten auf ähnliche Motive.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
523
den begünstigteren und begabteren Völkern unvordenklich früh über
wundenen Cultur- und Kunststufe, stehen ja noch beute manche
Völkerschaften auch innerhalb Europas.
Ich muss jedoch noch einmal auf die Thierbilder beider Vasen-
classen zurückkommen. Dass sie verschieden im Styl der Zeichnung
sind, wurde hervorgehoben. Es sind aber auch nicht dieselben
Thiere, die auf beiden Arten von Vasen zur Darstellung kommen
oder doch vorzugsweise zur Darstellung kommen. Ganz abgesehen
von den phantastischen Mischbildungen, welche die orientalisirenden
Vasen füllen, auf den anderen hingegen nie erscheinen, fehlen diesen
letzteren namentlich die beiden Liehlingsthiere der orientalisi
renden Vasen, der Löwe und der Tiger. Zwei mir bekannte schein
bare Ausnahmen unter den vorhandenen Vasen, verdienen hier
genauere Beachtung, eine Amphora n. 755, im Jahre 1862 im
Zimmer über dem Cahinet des medailles zu Paris befindlich, und
eine Amphora im Museum zu Leyden II, 1547. In Technik und
Gesammtcharakter der Decoration ähneln sie der hier besonders
besprochenen Classe von Gefässen. Ich habe sie dennoch oben nicht
? mit aufgezählt; denn die Figur des liegenden Löwen auf beiden,
ist in ihrer durchaus orientalisirenden Stilisirung völlig verschieden
von der Behandlung der Thierfiguren der anderen Classe. Den Ab
bildungen auf Taf. XI, 1 (Cab. des med. 755) und 2 (Leyden 1547)
liegen Durchzeichnungen zu Grunde i).
Dass die seit Kramer sogenannten korinthischen, sonst auch
phönicisirend, ganz mit Ungrund ägyptisirend genannten, jetzt
, besser, wenn auch etwas zu allgemein klingend als orientalisirend
zu bezeichnenden Vasen in ihren Malereien in der That ganz von
orientalischen , für uns namentlich auf assyrische Quelle zurück
gehenden Vorbildern abhängen, dass sie im Kleinen, wie die Be
schreibungen von Kunstarbeiten im Epos, Nachklänge einer Periode
sind, in der diese fremde Weise das Höchste im Kunstschaffen auf
griechischem Boden war, daran zweifelt jetzt Niemand mehr. Mit
D Zwei in der Befestigung des Castells von Thasos eingefiigte Reliefsteine, einen mit
einem liegenden Löwen, den andern mit einem liegenden Tiger, erklärt Bursian
(Artikel Griechische Kunst in Erscli und Grubers Enc. 1. Section. LXXXII.
S. 392, Anm. 22) für mittelalterlich. Ich bleibe anderer Ansicht und vielleicht
sprechen die hier abgebildeten Löwen der beiden Vasen für mich.
)
524
C o n l e
diesen orientalisirenden Vasen berühren sich der Zeit nach die
hier besprochenen; schon die, wie oben gesagt, beiden gemein
same, später abkommende Technik und die übrige bis zu der be-
zeichneten Grenze gehende Verwandschaft sprechen dafür. Es
kann aber weiter unbedenklich behauptet werden, dass die orien
talisirenden Vasen einer später auftretenden, die andere ältere all-
mälig ganz verdrängenden Kunstweise angehören. Alles ist auf der
einen Seite alterthümlicher, die grössere Einfachheit, ja' Armuth der
Formensprache, das Fehlen des wichtigen ornamentalen Elementes
der Pflanzenform, die weit mangelhaftere Stilisirung der Thier
formen. Dazu tritt weiter bestätigend hinzu, dass wir den Übergang
der orientalisirenden Weise zu der noch späteren reinhellenischen Art
deutlich in zahlreichen Vasen verfolgen können. Ist dem so, so müssen
nothwendig auch Spuren eines Überganges aus der Kunstweise
unserer also allerältesten Vasen zu der der orientalisirenden sich auf
finden lassen. Sie lassen sich aufweisen. Man erkennt an einer Reihe
von bemalten Gefässen deutlich, wie das orientalisirende Element, das
in der That reichere und durchgebildetere, überwiegend wird, es wer
den mit den schwungvoller behandelten und auch an sich phantasti
scheren Thierkörpern, die gleich fertig und zwar ziemlich complicirt
ausgebildeten, aus dem alterworbenen Formenvorrathe des Orients
übernommenen Pflanzenornamente vorherrschend, aber daneben
werden die alten Zickzacke, Mäander, concentrischen Kreise und rau
tenförmigen Gebilde, wie schon berührt wurde, nicht gleich aufge
geben; zur Füllung des Grundes eignen sie sich auch nach der
neuen Weise noch immer sehr wohl. So sind sie hin und wieder,
sogar da noch, wenn auch nur spärlicher, eingemischt vorhanden,
wo unter den orientalisirenden Pflanzen- und Thierformen ein ganz
neues, das hellenische Element in Menschenbildern, mythischen Sce-
nen sich Bahn bricht. Wir können hierfür besonders einzelne grosse
auf Melos gefundene Thongefässe anführen. Da sind erste Anfangs
versuche in menschlichen Figuren hellenische Götter- und Heroen
gestalten zu zeichnen, die ganze weitere Einkleidung ist orientali-
sirend, die Flügelrösse, die Pflanzenornamente; dazwischen treten
aber noch in grosser Ausdehnung die gehäuften Zickzacklinien der
ältesten, sonst hier schon weit zurückliegenden Decoration auf. Dass
diese melischen Gefässe gegenüber der grossen Menge orientali-
sirender Vasen, wie der Dodwellschen etwas Eigenthümliches hatten,
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst. 525
das sie als besonders alt erscheinen lässt, das habe ich selbst
bei der Herausgabe i) wohl erkannt und Andere, wie Brunn 3 ), haben
dem beigepflichtet, aber erst jetzt sehe ich, dass diese auf eine be
sonders frühe Zeit zurückweisende Eigenthümlichkeit in der aller
dings bereits auf ein Minimum herabgedrückten, aber doch den Ge
schmack noch beeinflussenden Beimischung jenes allerältesten Stils,
den wir in den hier zusammengestellten Vasen in ungemischter
Reinheit kennen gelernt haben, besteht. Ebenfalls als Mischformen
beider Stile sind jene obenerwähnten, in der Anlage der ganzen
Malerei der ältesten Classe angehörenden, in den Löwenbildern
orientalischen Einfluss zeigenden zwei Gefässe zu Leyden und Paris
(Taf. XI, 1. 2.) zu betrachten. Ein hervorragendes Beispiel solcher
Mischdecoration bringen ferner die hoch nicht ausgegebenen Monu-
menti in. dell’ inst, di corr. arch. 3 ) in dem Kruge, dessen Mündung
als Greifenkopf gestaltet schon völlig orientalische Muster wiederholt,
in dessen Ornamentik ebenso Palmetten- und Volutenformen, der
Pflanzenwelt entnommen, völlig ausgebildet Vorkommen. Von den
umlaufenden Streifen zeigt der obere einen Löwen oder Panther,
der einen Hirsch gefasst hat, symmetrisch steht jederseits ein schrei
tendes Pferd. Diese Pferde ihrer geradlinig gestreckten Form, die
feekigen Ornamente, welche zwischen ihnen den Grund füllen, die
Menge von coneentrischen Kreisen oben am Gefässbalse, sind eben
so viele Nachklänge der ältesten, vor der orientalisirenden liegenden
0 Melische Thongefässe. Leipzig 1862.
2 ) Bull, dell 1 inst, di corr. arch. 1861, S. 9.
3 ) Vol. IX, 1869, tav. V, 1. Ich erhalte einen Separatabdruck des Textes von Richard
Förster in den Annali dell’inst. 1869, S. 172 fl. eben noch vor dem Drucke dieser
Abhandlung und sehe, dass sich Förster’s Bemerkungen völlig in das hier im
grösseren Zusammenhänge Erörterte einfügen. Das Gefiiss soll von Thera stammen
und befindet sich jetzt bei Castellani in Neapel. Im Jahre 1860 befand sich in dem
kleinen Häuschen auf der Akropolis von Athen ein Gefäss mit Greifenkopf, so weit
die mir vorliegenden Angaben reichen, auch etwa gleicher Grösse und so voll
ständig in allen Ornamenten mit dem jetzt Castelianischen Exemplare überein
stimmend (kurz erwähnt schon von Gerhard Annali dell’inst. 1837, S. 134 und von
Michaelis Gerhards Archäol. Anz. 1861, S. 198* f.), dass man wohl auffordern
kann, jetzt in Athen sich einmal zu überzeugen, ob wirklich zwei Wiederholungen
eines Gefässes in solcher Gleichheit existiren. Der Art nach sehr verwandt ist
sonst British Museum Vasensammlung n. 385.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LX1V. ßd. II. Hft.
35
526
C o n z e
Weise. Auf derselben Tafel der Monumenti ist oben unter n, 2 ein
zweites Gefäss abgebildet, welches in seiner rein orientalisirenden
Deeoration das über die Miscbformen des anderen Gesagte recht
deutlich zu machen geeignet ist.
Schon nach diesen ganz auf die Funde in griechischen Gegenden be
schränkten Beobachtungen muss man am meisten geneigt sein, in der hier
besprochenen VasenclasseProducte oder die Nachklänge von Producten
vor einer durchgreifenden Beeinflussung Griechenlands und seiner Kunst
vom Oriente her zu erkennen. Vom Oriente her kam die Pflanzenorna
mentik, kamen die schwungvoller stilisirten Thierbilder, besonders
Löwe und Tiger, von denen man begreift, dass sie den von Norden
gekommenen Bewohnern Griechenlands wenigstens nicht von Alters
vor ihrer Einwanderung in die Balkanhalbinsel her bekannt sein
mochten!), vom Oriente kamen die phantastischen Mischbildungen
der Flügelrösse, der Greife, Sphinxe u. s. w., von dort kamen endlich
mit alle diesem die Schriftzeichen. Die ursprünglichen Verfertiger
der hier behandelten Vasen schrieben noch nicht mit phönicischen
Lettern, welche auf den orientalisirenden Vasen bald erscheinen.
Wollte man danach eine kurze und wenigstens verständliche Be
zeichnung für die nachgewiesene älteste Vasenclasse suchen, so
würde man an das Mythische anknüpfeud vorkadmeisch sagen, man
würde das vielgemissbrauchte pelasgisch Vorschlägen können. Indo
germanisch, wofür Andere lieber das wenigstens kürzere arisch
wählen werden, hat sie Semper genannt. In der Dichtung, welche
diese Benennung andeutet, müssen wir uns weiter umsehen, um
unser bisher gewonnenes Urtheil über jene Gefässe in der That
bestätigt, den letztgenannten einen grösseren Zusammenhang be
tonenden Namen berechtigt zu sehen, um den Schlüssel zu finden zu
einem noch gesicherter richtigen historischen Verständnisse der
selben.
Ich bevorworte zunächst, dass hierbei nicht wieder das alte will
kürliche Spiel mit Gleichheit und Ähnlichkeit einzelner ureinfacher
*) Benfey (im Vorworte zu Fick Wörterbuch der indogermanischen Grundsprache.
Göttingen 1868. S. VIII) behauptet, nicht die Spur eines Urnamens für die be-
deutensten asiatischen Raubthiere, Löwe und Tiger, finde sich in den indoger
manischen Sprachen. Vergl. Förstemann in Kulms Zeitschr. für vergl. Sprach
forschung I, S. 495 f. 499.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
527
Formen, die sich allüberall wieder finden, getrieben werden soll. Dass
der Mäander, die Zickzacklinie u. s. w. da und da und da auch sonst
Vorkommen, in uralten Werken zumal und bei Völkern mit unent
wickelter Kunst, das zu bemerken, daraus irgend Etwas zur geschicht
lichen Beurtheilung derjenigen Vasen, welche allerdings in ihren Or
namenten vorzugsweise diese einfachen Formen tragen, zu gewinnen,
weisen wir ganz von der Hand. Aber Folgendes ist etwas wirklich
Bedeutsames. Völlig dasselbe Gesammtsystem der verzierenden
Bildnerei, sozusagen dasselbe ganze Gerüst mit seiner eigenthüm-
lichen Art der Fügung, innerhalb desselben dann dieselben Einzel
formen, lineare Zeichnungen und Thierbilder, zugleich ferner — und
das verdient besondere Beachtung — dieselbe Ausschliessung aller
stilisirten Pflanzenbildungen, wie wir sie auf den betreffenden ältesten
Vasen griechischer Fundorte gewahren, charakterisirt die gesammte
Kunstübung der nordeuropäischen Völkerschaften, als sie schon
Bronze und nachher Eisen bearbeiteten, aber ehe sie in engere Be
rührung mit dem asiatisch-mittelmeerländischen Culturkreise traten
und ihre Kunst vor dessen überwältigender Überlegenheit wich.
Wenn ich die aus zahllosen Funden bekannten Arbeiten der
Bronzezeit und der beginnenden Eisenzeit Nordeuropas mit jenen
ältesten Vasen griechischer Fundorte in Bezug auf die Ornamentik
vergleichen will, so führe ich am liebsten gleich eine ohne alle
Absicht hier für uns Beweismittel liefern zu wollen gemachte Zusam
menstellung der Elemente nordischer Ornamentik der Bronzezeit an,
z. B. in Sackens Leitfaden zur Kunde des heidnischen Alterthums
(Wien 1865), S. 102. Da finden wir den Ring in Reihen gestellt,
[aber auch einzelnen häufig], mit dem Punkte inmitten oder einem
Kreuze gefüllt*), einfach oder mehre concentrisch vereinigt; wir
finden die Zickzacklinie, die in horizontaler, senkrechter, schräger
Richtung gestellten gestreiften Bänder, ebenso die Raute, die S-för
mige Verzierung [auch das Schachbrettmuster kommt vor]. Wir
haben auf unsern griechischen Vasen eine bestimmte Art der
Zeichnung der durch schräge Linien verbundenen gereihten Kreise
kennen gelernt; genau auch in der Führung der Hand so hergestellt
*) Vergl. die radförmige Form z. ß. Lindensehmit die AHerthiimer unserer heidnischen
Vorzeit. 2 ßnde. Mainz 1864. 1870. I, I, 7. IV, 4. X, 7. II, V, 4. XII, 2.
35 *
C o n z e
528
ist dieselbe, z. B. auf Knochenstürken nordischen Fundes gewöhnlich.
Pflanzliche Gebilde, sagt Sacken, kommen gar nicht vor, was auch
Wilson, Lubbock, Trojon als charakteristisch betonten. Das Letztere
allein ist in der That genügend, um die Verkehrtheit der An
nahme zu zeigen, die Masse der nordischen Bronzearbeiten seien
in ihrer Gesammtheit phönicischen •) oder auch etruskischen -)
Ursprungs. Als eine die Regel des Fehlens von Pflanzenformen, wie
wir sahen, nicht erschütternde Ausnahme fanden wir auf jene alt
griechischen Vasen ganz vereinzelt, dann aber ganz primitiv und zum
Unterschiede von orientalischen Formen ohne deren Stilisirung nach
gebildete Zweige mit Blättern; ganz ebenso ausnahmsweise und dann
in derselben primitiven Gestalt finden diese sich auch auf einzelnen
nordischen Fundstücken, z. B. der hei Wangen im Bodensee mit Ge
genständen sogar der Steinzeit gefundenen Vase (Troyon habitations
lacustres. Lausanne 1860. pl. VII, 35. S. 42). Merkwürdig auch im
Gegenstände zusammentreffend sind, wie Sacken mir noch besonders
bemerkt, die symmetrisch einander ■gegenübergestellten zwei Pferde
mit einer Krippe auf zwei der griechischen Gelasse und in einer
Bronze des für unser ganzes Thema mir sehr lehrreich gewordenen
Hallstädter Fundes 3 ); ferner beruht auf demselben grossen Zusammen
hänge das Vorkommen des Pferdes mit dem Vogel im leeren Raume
drüber auf den griechischen Vasen und wieder auf einem gallischen
Ziegelstempel*), womit auch die Häufigkeit desselben Typus auf
gallischen Münzen zusammenhängt. Wir gehen weiter und finden,
*) So wollte Nilsson (die Ureinwohner des skandinav. Nordens. Aus dem Schwedischen.
Hamburg. 2. Ausgabe. 1866.) glauben machen, so spinnt Rougemont den Faden
weiter (die Bronzezeit oder die Semiten im Occident. Übersetzt von Keerl.
Gütersloh 1869.), dazu sagte u. A. Petersen ja (Gött. geh Anz. 1866, S. 961 ff.).
An Protesten hat es nicht gefehlt; treffend ist der von John Lubbock (pre-historic
times. London 186ö. S. 49), besonnen sind die Entgegnungen von Wibel (die
Kultur der Bronzezeit Nord- und Mitteleuropas. Kiel 1866.)
2 J Lindenschmit die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit. II, III zu Taf. 6 Beilage.
Auch hiergegen ist Wibel (a. a. 0.) völlig im Rechte, während Wiberg (der Einfluss
der classischen Völker auf den Norden. Deutsch von Mestorf. Hamburg 1867.)
zwar sich der Nilssonschen Phoinizier, nicht aber der von Lindenschmit etwas
zu sehr in dön Vordergrund gestellten Etrusker zu erwehren weis.
s ) Sacken das Grabfeld von Hallstadt. Wien 1868.
4 ) Revue archeol. N. S. XV. 1867. pl. I.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
529
dass die Gesammteintheilung der zu verzierenden Fläche in parallel
horizontal umlaufende Banden und deren Theilung in Felder durch
senkrechte Linien im Norden ebenso vorherrscht, wie auf den grie
chischen Vasen, dass ferner die Bevorzugung des obersten Theiles
des Gefässkörpers heim Verzieren dort sich ebenso findet, ja im
Zusammenhänge hiermit findet sich auch die in eine obere und
untere Abschrägung getheilte Gefässform () im Norden wie unter
diesen Gefässen griechischen Fundorts wieder; die obere Ab
schrägung trägt dann hier wie dort das Hauptornament. Die IJnter-
siitze Tal'. VII, 1. 2. VIII. sind mit dem Hallstädter Untersatze aus
Erz (Sacken a. a. 0. Taf. XXII, 3) die Pferde auf dem Deckel
London 2372* mit den Hallstädter Bronzeexemplaren von Pferden
(Sacken a. a. 0. Taf. VIII, 2. XV, 5) zusammenzustellen.
So stehen die Verfertiger jener altgriechischen Gefässe ganz
auf der bezeichneten Kunststufe ihrer nordischen Stammesver
wandten und man wird die Gleichheit mit guter Zuversicht auf ge
meinsame Mitgift an Kunstfertigkeit schon von ihrer gemeinsamen
Heimat her ansehen dürfen. Dass die, wie wir sahen, für diese ganze
Kunstweise zu Grunde liegende Technik der Weberei und der ver
wandten Fertigkeiten im Besitze der Indogermanen schon vor ihrer
Trennung war, haben die sprachwissenschaftlichen Untersuchungen 2 )
gezeigt. Man wird in das Kulturbild jener Urzeit, wie es namentlich
Kuhn als erkennbar zeigte, zu Allem was dazu die Sprach- und
Mythenforschung geliefert hat, auch einen Vorrath von Kunstformen
und ein System ihrer Verwendung aufnehmen dürfen, wie es uns
die nordeuropäischen Funde der Bronzezeit s ), welche doch am wahr
scheinlichsten mit dem Auftreten der Indogermanen anhebt 4 ), in
gleicher Weise wie jene indo-germanisch-griechischen Thongefässe
') Vergl. mich die Form bei Lindenschrait n. a. 0. Band II, Heft I, Taf. 1.
2 ) Pictet origines indo-europeennes. Paris 1859. II, S. 155 II’. Bruno Kneisel Cultur-
zustand der indogermanischen Völker vor ihrer Trennung. Naumburger Gymnasial-
programm 1867. S. 17 f.
°) Dass auch Griechenland seine Bronzezeit hatte, ist mehrfach bemerkt, so von
Christian Petersen über das Verhältnis des Bronzealters zur histor. Zeit bei den
Völkern des Alterthums. Festgabe zum Bonner Universitätsjubiläum. Hamburg
1868. S. 16 ff.
4 ) Schleicher in Hildebrands Jahrb. für Nationalökonomie und Statistik 1, S. 410.
530
C o n z e
noch aus der gemeinsamen Quelle abgeleitet aufweisen. Zudenpelas-
gischen Culten ohne Götterbilder passt eine so beschränkte Kunst
weise völlig. Vergleichen wir nun freilich die Technik der nordeuro
päischen und jener verwandten griechischen Thongefässe, so steht
da das griechische Fabricat schon höher; die Farbstoffe und ihre
Anwendung kommen so im Norden nicht vor, auch die tektonische Form
der griechischen Gefässe ist vollendeter. Hier sehen wir also schon
eine partielle Weiterbildung <), wie die einer besonderen, von den
verwandten sich loslösenden Sprache. Es scheint also, dass die Grie
chen, welche später dem künstlerischen Triebe eine so ungemein hohe
Entwicklung gaben, dem orientalischen Einflüsse weit früher zwar,
aber unter günstigeren Verhältnissen bereits entwickelter entge
gentraten, als die Nordländer der etruskischen und römischen Ein
wirkung.
In Griechenland hatte diese für Italien ebenfalls vorauszusetzende
und in einzelnen hier jedoch nicht zu verfolgenden Spuren auch noch
nachzuweisende a) Kunstweise früh ein Ende, sobald die Berührung
mit dem Orient inniger wurde, jedenfalls schon im zweiten Jahr
tausend vor Chr. Wie Griechenland wurde Italien schon zur Zeit
der Etruskermacht dem orientalischen Culturkreise gewonnen. Na
mentlich von Italien, von Etruskern und erfolgreicher von den Römern
getragen, unter unmittelbarer Mitwirkung der Griechen namentlich
auch von Südfrankreich her und gewiss auch hie und da der Phö-
nieier im Westen, drang dann erst viel später und langsamer die
Wirkung dieses nun orientalisch-mittelmeerländischen Cultur- und
Kunstkreises gegen Nordeuropa vor. Reichlich tausend Jahre länger
als in Griechenland blieb man dort in der einfachen, auf indoger
manischer Mitgift beruhenden Kunstübung befangen, von deren Arbei
ten desshalh so ungleich zahlreichere als von den verwandten griechi-
8 ) Solche Unterschiede finden sich nicht, wenn man die Funde aus der Bronzezeit
in der Schweiz und etwa in Dänemark vergleicht, was schon von Lyell (the geo-
logical evidence of the antiquity of man. London 1863. S. 21) als ein Beweis für
eine sehr gleichförmige Civilisation in ganz Centraleuropa in jener Periode
betont ist.
4 ) Ein Grabfund in Corneto erscheint nach dem ersten Berichte wichtig. Bull,
dell’inst. 1869, S. 258 ff. Nach brieflicher Mittheilung Helbigs wird das Ganze
leider nicht zusammen bleiben; die Wallen sind von der römischen Regierung
für das Museum Gregorianum angekauft, das Übrige soll vereinzelt in den Handel
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
531
sehen, die wir dennoch nachgewiesen zu haben glauben, auf uns
gekommen sind. Im gleichen Verhältnisse der Häufigkeit und Selten
heit stehen die Funde der Steinzeit im Norden gegenüber denen
gleicher Art in Italien und Griechenland.
Die Funde römischer Arbeiten, Bronzen, Münzen u. s. w., un
mittelbar unter einheimischen Fabricaten über den ganzen Norden
Europas bis nach Skandinavien hinauf, zeigen uns deutlich die zuerst
in Handel und Verkehr vereinzelt herannahenden Einwirkungen,
denen dann die mächtige Unterstützung der römischen Waffen, end
lich die Ausbreitung des namentlich auf künstlerischem Gebiete eng
mit römischer Cultur verbundenen Christenthums den letzten un
widerstehlichen Erfolg sicherten. Ehe die Römer aber so in den
Vordergrund traten, waren es, wie gesagt, die Etrusker von Italien,
die Griechen von Südfrankreich, vermuthlich auch die Phoinicier von
Spanien aus, welche den Vollzug desselben grossen geschichtlichen Pro-
cesses begannen. Namentlich die etruskischen Einwirkungen stehen uns
wiederum durch einzelne Funde im Norden, so den von Grächwyl
im Canton Bern, den von Hallstadt in Oberösterreich, den bei Dürk
heim a. d. Haardt und bei Nidda in Oberhessen i) und andere, deut
lich vor Augen. Die Hallstädter Arbeiten gehören der grossen Menge
nach der einheimischen Kunstweise an, sie bieten durchaus Ver
gleichungspunkte mit den besprochenen ältestgriechischen Vasen;
aber jedenfalls ein Gefäss ist darunter, dessen stilisirte Thierfiguren
sicher, wie, auch Sacken 3 ) annahm, etruskischen Ursprung kund
gehen. Diese etruskischen Einwirkungen haben offenbar zu keiner
weitreichenden völligen Überwindung der einheimischen Kunst
weise desNordens geführt; erfolgreicher muss schon die Beeinflussung
gallischen Kunstbetriebs von Massilia und den benachbarten Griechen
städten aus gewesen sein; ich erinnere nur an die Münzprägung.
Die Entscheidung war auf allen diesen Gebieten erst den Römern
und jenseits der auch den Römern gesteckten Grenzen dem Christen-
thume Vorbehalten. Im höheren Norden blieb also noch die längste
kommen. Vergl. ferner den durch Biondelli in das Museum zu Mailand gekommenen
Grabfund von Sesto - Calende. Revue archeol. N. S. XVI. 1867. S. 280 ff.
Taf. XXI.
*) Lindenschmit die Alterth. unserer heidn. Vorzeit I, II, 3. II, II, 2. V, 2.
3 ) Das Grabfeld von Hallstadt. Taf. XX, 4. XXI, 1. S. 96 f.
832
C o n z e
Frist für die Übung der einheimischen Weise, die dort daher noch
zu der zopfigen Ausgestaltung, welcher die verschlungenen und mit
Schlangenleibern durchsetzten Linearornamente der Eisenzeit t) eigen
sind, gelangte. Derselbe Vorgang aber, welcher im Norden Europas,
im grossen zusammenhängenden Körper des Erdtheils, so verhältniss-
mässig spät zum Abschlüsse kam, war auf den losgelösten Halbinsel
gliedern Griechenlands und Italiens und auf den anliegenden Inseln,
einem zugänglicheren und empfänglicheren Gebiete, schon über ein
Jahrtausend früher vollendet. Die Zusammengehörigkeit beider Rie
senschritte der Civilisation kann desshalb aber doch nicht verkannt
werden. In Italien kennen wir namentlich, als aus orientalischer Ein
wirkung erwachsen, die altetruskische Kunst, in Griechenland die
Kunst der vordorischen Zeit, die besonders in Peloponnes, vor Allem
in Argos ihre gewaltigen Trümmer, dann aber auch die Menge der
orientalisirenden bemalten Vasen hinterlassen hat. Mit dieser Periode
sind wir jetzt gewohnt die Darstellungen der Geschichte der grie
chischen Kunst beginnen zu sehen; der historische Werth der nach
gewiesenen älteren Vasenclasse liegt nun also darin, dass wir nament
lich durch sie in den Stand gesetzt sind, die Kunstweise der in Grie
chenland älteransässigen Stämme, die dann vor der orientalischen
Weise erlag, aber wesentlich gleichartig mit der Kunstweise der
verwandten nordeuropäischen Völker war, noch zu erkennen. Wir
sehen hierin das Glied, welches in der Kette des geschichtlichen
Zusammenhanges die besondere griechische Kunst mit der allge
meinen der übrigen indogermanischen Völker verbindet. Es bildet
sich so eine Folie, auf der die orientalische, eine Zeit lang in Grie
chenland herrschende Kunstweise sich deutlicher abhebt; wir sehen
bestimmter, wie diese orientalische Kunstweise doch nicht der eigent
liche Anfang war, sondern nur eine befruchtende Einwirkung übte,
sehen einigermassen wenigstens deutlicher, was das Neue war, das
mit der fremden Weise nach Griechenland kam.
Es ist schon oben auf diejenigen Vasenmalereien hinge
wiesen, welche uns den allmäligen Process der Verdrängung der
älteren Weise durch die fremde neue im Einzelnen zeigen, dabei die
Als eine neuere Publication nenne icli beispielsweise Oscar Montelins remains
from the iron age of Scandinavia. Stockholm 18(59.
Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
533
unvermeidliche Mischung der beiden Weisen, bis wie beim Zusam
menflüssen zweier Flüsse verschiedenfarbigen Wassers die Farbe
des schwächeren immer mehr verschwindet. Hier werden noch
weitere Beobachtungen zu machen sein. Wenn aus den grossen
Bauten von Mykenai die orientalisirende Richtung uns entgegentritt,
aus den Scherben der dort gefundenen Thongefässe die älterein-
heimische Weise hervorblickt, so könnte man, Gleichzeitigkeit vor
ausgesetzt, wohl denken, dass der volkstümlichere Betrieb der
Töpferei noch am Alten hing, während für das Herrscherhaus nach
fremder Mode gebaut wurde; aber auch in den Reihen von Kreisen,
in den Zickzacklinien ain Thore des grossen Grabbaus <) erscheinen
die Formelemente der einheimischen Weise. Für diese Formen bietet
zwar die vorderasiatische Kunst auch einzelne Analogien, vielleicht
sind sie aber doch so zu erklären, wie die auch aus jener nordeuro
päischen Formensprache in die sonst ganz romanischen Bauformen
der normannischen Kirchen hineingeflossenen Zickzackornamente und
wie jene ungethümliche Ornamentik, die, aus der letzten nordischen
Verbildung der ältesten indo-germanischen Kunstweise entlehnt, be
sonders in gewissen Manuseriptverzierungen ein sehr üppiges Nach
leben entfaltet, während sonst schon durchaus römische, romanische
Form, am deutlichsten ja in der Schrift seihst, herrschend ge
worden war.
Jedenfalls muss man das immer mehr verkümmernde Nachleben
der älteren, vor der orientalisirenden erliegenden Kunstweise im
Auge behalten, wenn man die von uns angenommene Altersbestim
mung der ganzen Art und Weise der betreffenden Vasenmalerei nicht
verwechseln will mit der Frage nach dem Alter der einzelnen uns
erhaltenen Exemplare. Da wird es gut sein sich auch daran stets
zu erinnern, dass gerade in der griechischen Vasenfabrication auch
später eine ältere Weise nie kurzweg durch eine neue abgelöst
wurde, sondern dass beispielsweise bekanntlich noch sehr lange
schwarze Figuren gemalt wurden, nachdem schon die bessere und
zuletzt allein sich behauptende Technik der hellthonfarbnen Figuren
auf schwarzem Grunde in Übung gekommen war. Viele einzelne
Vasen mit schwarzen Figuren können gleichzeitig mit denen mit
‘j Verwandte Ornamente in Stein fand Newton in den Ruinen von Agios Phokas auf
Rhodos. Travels in the Levant I, S. 203.
534
Conze. Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
hellen Figuren, ja können jünger als viele von diesen sein, ohne dass
es Jemand darum für weniger sicher halten wird, dass die Malerei
von Vasen mit schwarzen Figuren im Ganzen die ältere gewesen ist.
Die Anwendung dieses Beispiels auf den Gegenstand unserer Be
sprechung liegt auf der Hand. Wir besitzen wirklich noch viele von
denGefassen mit jener Bemalung primitiven Styls, die in ihrer ganzen
Art den Eindruck einer späten Verfertigung mit nur handwerksmäs-
sigem Festhalten einer althergebrachten und immer mehr verwischten
Manier machen. Die Töpferei war ja auch durchaus keine führende
Kunst. Diese Classe von Arbeitern konnte besonders leicht an dem
sonst ganz Aufgegebenen noch hängen bleiben. Namentlich machen
mir die verwandten auf Kypros gefundenen Gefässe, welche ich sah,
diesen Eindruck. Kypros war ja einer jener Winkel, wo sich Alter-
tlnimliches zuletzt als Fratze besonders lange erhielt. Ob ein einzelnes
Exemplar früher oder später gemacht ist, diese Frage hat aber über
haupt geringe Bedeutung. Mag auch kein einziges der uns erhaltenen
Gefässe in das zweite Jahrtausend vor Chr. zurückreichen, das Ge-
sammtbild einer so hochalten und weiter zurückreichenden Kunst
weise bewahren sie uns alle zusammengenommen doch.
fozize . Zur &e schichte der Anfänge griechischer Kunst. Taf.I.
Mit
A. d. x.k.liof-u-. Staats drucket ei.
Sitzun^si). d.k.Akad. dA\ r . philos .liistor.CI.IXI\ r .Bd. 2.Heft..1870.
A. ii. k.k.lioi-a- Staats äruckere.'
Nitzmiosh . ii. k. Akad. d.W. plii'los .bistot.CI.LXIV r .ßd.2.Het't. i,S70.
Conze
griechisch er
X
( onze . Zur Oes.chich.te der Anfänge griechischer Kunst. Taf.IV.
A. cL.lc.k'.'tlof-u-. Staats drucken*'.
Sitzung sh. d. k. Äkad. d.W. ph i los. Iris tor. CI. LXIV. Bd.2. Heft. 1870.
i
Taf.Y.
t oxi ze . Zur (je schichte der Anfänge griechischer Kunst.
'
A. d.lc.'k. liof-u-. Staatsüruckerei.
Sitzungsb d.k.Akad. d.\\\ pljilos.liislor. C1.1.X1V.Bd.2.Heft.. 1870.
Conze . Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst. Taf.VII.
■
Sitzungsb. d.k- Akad. d.W. pliilosdlistor.Cl. LXIV'. Bd.2.Heft. 1870-
-&• d.k.k.Hof-u Staats drucke
( oxize . Zxir (* e schichte der Anfänge griechischer Kunst. Taf. VIII.
1
. onze. Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst.
Taf.X.
, ’ A.d.k.k.Tiof-u: Staats drucke
Sitzung'sb. d.k.Äkad.d.AV. philos.liistor.Cl.IXI\ r .ßd.2.Heft. 1870.
-
j
I
_ A. cLk.k.Hof-u- Staats ärucfceiei.
iSitzun^'sb. d.k.Akad.iUf. pliilos.Iristor.CI.IXIV.Bit. 2. Heft. 1S70.
Verzeichntes der eingegangenen Druckschriften.
535
VERZEICHNIS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(FEBRUAR 1870.)
Academie Royale Suedoise des Sciences: Handlingar. N. F. V. Bd.,
2. Heft (1864); VI. Bd., 1. & 2. Heft (1865); VII. Bd.,
1. Heft, (1867). Stockholm; 4°. — Öfversigt. Bd. 22—25,
(1865—1868). Stockholm; 8°. — Meteorologiska Jakttagelser
i Sverige. Bd. 6 — 8. (1864—1866). Stockholm; Quer 4».—
EugeniesResa omkring jorden. Heft 12. 4». — Lefnadstecknin-
gar. Bd. I, Hüfte 1. Stockholm, 1869; 8«. — Sundeval],
Carl J„ Die Thierarten des Aristoteles. Stockholm, 1863; 8°.
— Idem, Conspectus avium picinarum. Stockholmiae,
1866; 8°. — Stal, Carolus, Hemiptera Africana. Tomus
I—IV. Holmiae, 1864—1866; 8°. — Nordenskiöld, A. E.,
Sketch of the Geology of Spitzbergen. Stockholm, 1867;
Kl. 4°. — Fries, Sveriges ätliga och giftiga Svampar. Hüfte
7—10. Folio.
— Royale de Beiles-Leltres, d’Histoire et d’Antiquites a Stock
holm: Handlingar. N. F5>i—V. Delen. Stockholm; 8°. — An
tiquarisk Tidskrift für Sverige. I. Delen. Stockholm, 1864; 8°.
— Hildebrand, Emil, Minnespenningar öfver enskilda
Svenska mün och quinnor. Stockholm, 1860; 8°. — Svenska
Sigiller frän Medeltiden. I. & II. Haftet. Folio.
Accademia delle Scienze dellTstituto di Bologna: Memorie. Seriell.
Tomo IX, fase. 1. Bologna, 1869; 4°.
Agassiz, Louis, Address delivered on the centennial Anniversary
of the Birth of Alexander von Humboldt. Boston, 1869; 8°.
Akademie der Wissenschaften, königl., zu Amsterdam: Verhande
lingen. Afd. Letterkunde, IV. Deel. (1869); Afd. Natuurkunde,
536
Verzeichntes der eing-egangenen Druckschriften.
XL Deel. (1868). Amsterdam; 4«. — Verslagen en Mededee-
lingen. Afd. Letterkunde, XI. Deel. (1868). Afd. Natuurkunde,
II. Recks, II. & III. Deel. (1868 & 1869). Amsterdam; 8». —
Jaarboek, 1867 & 1868. Amsterdam; 8<>. — Processen-Ver-
baal. Afd. Natuurkunde, 1867—1869. Amsterdam; 8°. —
Catalogus van de Boekerij. II. Deels 2. Stuck. Amsterdam,
1868; 8°. — Ekker, A. H. A., Exeunte Octobri. Adfiliolum.
Carmen. Amstelodami, 1868; 8°.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Bayer., zu München:
Sitzungsberichte. 1869. I, Heft 4; 1869. II, Heft 1—2.
München; 8°. — Catalogus codicum latinorum Bibliothecae
Regiae Monacensis. Tomi I. pars I. Codices Num. 1—2329
complectens. Monachii, 1868; 8°.
— — und Künste, südslavische: Arkiv. Knjiga. IX & X. U Za-
grebu, 1868 & 1869; 8°.
— — Königl. Preuss., zu Berlin: Corpus inscriptionum latinarum.
Vol. II. Berolini, DMCCCLXIX; Folio. — Monatsbericht. No
vember 1869. Berlin; 8°.
American Journal of Science and Arts. Vol. XLVIII, Nr. 144.
New Haven, 1869; 8°.
Annuario marittimo per l’anno 1870 compilato presso l’i. r. governo
centrale marittimo. XX. Annata. Trieste, 1870; 8°.
Baumgarten. P. Amand, Aus der volksmässigen Überlieferung
der Heimat. IX. (Mus. Jahr. Ber. XXIX). 8°.
Bibliotheque de TEcole des Chartes. 30° Annee. VI 0 . Serie.
Tome V% 4° & 5° Livraisons. Paris, 1869; 8«.
Breslau, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1868/9. 4" & 8«.
Central-Commission, k. k. statistische: Ausweise über den
auswärtigen Handel der österr.-ungarischen Monarchie im Son-
nen-Jahre 1868. XXIX. Jahrgang. Wien, 1870; 4«.
Christi an ia, Universität: Akademische Gelegenheitsschrilten aus
dem Jahre 1868/9. 4» & 8°.
Elliot, Sir Henry M., Memoirs on the History, Folk-Lore, and Di
stribution of the Races of the North Western Provinces oi In-
dia etc. Edited, revised, and re-arranged by John Bearaes.
Vol. I & II. London, 1869; So.
Fenicia, Cav. Salvatore, Libro XV° della politica. Bari, 1869; 8°.
i
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften. 537
Freiburg, i. Br., Universität: Akademische Gelegenheitsschriften
aus dem Jahre 1868/9. 4° & 8°.
Gesellschaft, Deutsche morgenländische: Zeitschrift. XXIII. Bd.,
4. Heft. Leipzig, 1869; 8°.
— gelehrte estnische, zu Dorpat: Verhandlungen. V. Band, 4.Heft.
Dorpat, 1869; 8°. — Sitzungsberichte 1868. Dorpat; 8°. —
Schriften, Nr. 7. Dorpat, 1869; 8°.
— geographische, in Wien: Mittheilungen. N. F. Bd. III. Nr. 3.
Wien. 1870; 8».
— archäologische, zu Berlin: 29. Programm zum Winckelmanns-
fest. Berlin, 1869; 4°.
— der Wissenschaften, König!. Dänische: Skrifter. V. Raekke.
Histnrisk og philos. Afdeling. III. Bd. 2. Hft. Kjvbenhavn,
1869; 4°. — Lütken, Chr. Fr., Additamenta ad historiam
Ophiuridarum. Kjtfbenhavn, 1869; 4°. — Paludar-Müller,
C. Studier til Danmarks Historie i det 13 de Aarhundrede.
I. Stykke. Kjpbenhavn, 1869; 4°.
Giessen, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1868/9. 4» & 8».
Greifswald, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
den Jahren 1866 — 68. 4° & 8°.
Hamelitz. IX. Jahrgang. Nr. 51—52. Odessa, 1869; 4°.
Helsingfors, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
dem Jahre 1868/9. 4° & 8°.
Instituut, Koninkl., voor de taal- land- en volkenkunde van
Nederlandsch Indie: Bijdragen. IV. Deel., 2. & 3. Stuk. 'sGra-
venhage, 1869; 8».
Istituto, R., Veneto di Scienze, Lettere ad Arti: Atti. Tomo XV 0 ,
Serie 111°, disp. 1“. Venezia, 1869—70; 8°.
Katalog sämmtlicher in der k. k. Kriegs-Bibliothek befindlichen
Werke und Manuscripte. 2 Theile. Wien, 1853 & 1869; 8°.
Lese-Verein, akademischer, in Graz: II. Jahresbericht für 1869.
Graz; 8°.
Maatsc happij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden: Hande
lingen en Mededeelingen. 1869. (Nebst „Bijlage“.) Leiden; 8°.
Marion, Jules, Cartulaires de l'eglise Cathedrale de Grenoble dits
Cartulaires de Saint-Hugues. (Collection de documents inedits
sur l'histoire de France.) Paris, 1869; 4°.
a
538 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
Mittheilungen aus J. Perthes' geographischer Anstalt. Jahrgang
1870, I. Heft. Gotha; 4°.
Museum des Königreiches Böhmen: Casopis. 1868, Svazek 1—4;
1869, Svazek 1—2. V Praze; 8°. — : Pamatky. Dil VII, Sv.
7—8; Dfl VIII, Sv. 1—4. V Praze, 1868; 4».
Museum-Verein, Siebenbürgischer: Jahresbericht 1866 —1867.
Klausenburg, 1868; 8°.
Revue des cours scientifiques et litteraires de la France et de
l'etranger. VIP Annee, Nrs. 8—11. Paris & Bruxelles, 1870; 4°.
Scientific Opinion. Vol. III. Part. XV, Nrs. 62—6S. London,
1870; 4».
Societas scientiarum Fennica: Bidrag tili kännedom af Finlands
natur och folk. XIII. & XIV. Haltet. Ilelsingfors, 1868 & 1869;
8°. -— Öfversigt. XI. 1868—1869. Ilelsingfors; 8°. — Hjelt,
Otto A. E., Gedächtnissrede auf Alexander v. Nordmann.
Helsingfors, 1868; 8°.
Society, The Royal, of London: Catalogue of Scientific Papers.
(1800—18.63.) Vol. III. London, 1869; 4».
— The Royal, of Edinburgh: Transactions. Vol. XXV, Part 1.
För the Session 1867—68. 4°. -— Proceedings. Vol. VI,
Nrs. 74 — 76; 8».
— The Literary and Philosophical, of Manchester: Memoirs.
III d Series, Vol. III. London, Paris, 1868; 8°. — Proceedings.
Vol. V—VII. Manchester, 1866 — 1868; 8».
TurbigIio, Sebastien, L’empire de la logique. Essai d’un nouveau
Systeme de philosophie. Florerice, Turin, Milan, 1870; 8°.
Verein für hessische Geschichte und Landeskunde: Zeitschrift.
N. F. II. Band, Heft 3 & 4. Kassel, 1869; 8°; II. Supplement.
Kassel, 1869; 4°. — Mittheilungen, Nr. 5 & 6. 8°.
— historischer, für Krain: Mittheilungen. XXIII. Jahrgang. 1868.
Laibach; 4°.
.
i
1
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
LXIV. BAND. HI. HEFT.
JAHRGANG 1870.
MÄRZ.
Commissionsbericht.
541
SITZUNG VOM 9. MÄRZ 1870.
Der Vicepräsident widmet einige Worte dem Andenken des
dahingeschiedenen Mitgliedes der kais. Akademie Professor Dr. Josef
Redtenbacher.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileids von ihren
Sitzen.
Der prov. Secretär legt vor:
1) ein Schreiben des Präfecten der k. k. Hofbibliothek Sr. Ex-
cellenz des Freiherrn von Münch, worin derselbe seinen Dank
ausspricht für die der k. k. Hofbibliothek überlassenen Werke in
chinesischer und japanischer Sprache, welche von der wissenschaft
lichen Abtheilung der ostasiatischen Expedition für die kais. Akade
mie erworben wurden;
2) ein Dankschreiben des Bürgermeisters von Kuttenberg für
die der Kuttenberger Realschule von der kais. Akademie gemachten
Geschenke an akademischen Druckschriften;
3) ein Dankschreiben des Herrn Prof. Dr. Sachau für die ihm
zur Herausgabe syrischer Texte bewilligte Subvention;
36 *
S42
Commissionsbericht.
4) ein Gesuch der Universitätsbibliothek zu Graz um Bethei
lung mit dem akademischen Anzeiger;
5) eine von dem c. M. Herrn Prof. Dr. J. V. Zingerle in
Innsbruck zum Abdruck in den Sitzungsberichten eingesendete Ab
handlung : Beiträge zur älteren tirolischen Literatur. I. Oswald von
Wolkenstein;
6) eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung des
c. M. Herrn Prof. Dr. Adolf Mussafia: „Über eine altfranzösische
Handschrift der k. Universitätsbibliothek zu Pavia.“
Das w. M. Herr Dr. Pfizmaier legt eine für die Sitzungsbe
richte bestimmte Abhandlung, betitelt: „Aus dem Traumleben der
Chinesen“, vor.
SITZUNG VOM 16. MÄRZ 1870.
Der prov. Secretär legt vor:
1) ein Ansuchen des Ausschusses Berliner Studierender um
Gewährung eines Freiexemplares der akademischen Druckschriften;
2) ein Schreiben des Abbd Dr. Nolte in Paris, worin derselbe
mittheilt, dass er eine allgemein für verloren gehaltene Schrift des
Commissionsbericht. 543
Honorius yon Autun wieder aufgefunden habe, deren Veröffentlichung
in den Schriften der kais. Akademie er wünsche.
SITZUNG VOM 23. MÄRZ 1870.
Der Vicepräsident gibt Kunde von dem am 18. März erfolgten
Ableben des Ehrenmitgliedes der kais. Akademie Herrn Geheimrathes
Dr. Karl Heinr. Rau in Heidelberg.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileids von ihren
Sitzen.
Der prov. Secretär legt vor:
1) ein Ansuchen des k. k. Regierungsrathes Herrn Dr. C.
v. Wurzbach, ihm für den im Druck vollendeten 21. Band des
biographischen Lexikons des Kaiserthums Österreich eine Subvention
zu bewilligen;
2) ein Ansuchen des w. M. Herrn Prof. K. Schenkl in Graz
um eine Subvention zum Zwecke, Collationen von Handschriften der
Poetae Latini Minores in Rom anfertigen zu lassen;
3) ein Ansuchen des c. M. Herrn Prof. Dr. Joseph Müller in
Turin um die Bewilligung einer Reiseunterstützung zum Zwecke
einer Sammlung der im Oriente vorhandenen griechischen Urkunden;
4) zwei von dem w. M. Herrn Regierungsrath Höfler in Prag
eingesendete Abhandlungen: die eine zu den „Abhandlungen aus
dem Gebiete der alten Geschichte“ gehörig und al$ solche N. II ent-
544
Commissionsbericht.
hält eine Würdigung des L. Cornelius Sulla als Gesetz
geber und Staatsmann.
Die andere Abhandlung bildet N. II der „Abhandlungen zur Ge
schichte Österreichs unter den Kaisern Leopold I., Josef I. und
Karl VI.“ und trägt den Specialtitel: Habsburg und Wittels
bach.
C.1
'• ■ - : : , tuv
«
.
M u s s a f i a, Über eine altfranz. Handschr. d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 545
Über eine altfranzösische Handschrift der k. Uni
versitätsbibliothek zu Pavia
von dem c. M. Dr. A. Mussafia.
In dem Cataloge: „Manuscriptorum codicum series apud Petrum
Victorium Aldinium in i. r. Ticinensi universitate archeologiae
numismaticaediplomaticae atque heraldicae professorem, Ticini regii,
1840. 4°“ findet sich unter Nr. 108 eine altfranzösische Handschrift
wie folgend verzeichnet:
„Poesies, ou contes en vers francois de Pierre Ausout (sic); le
dit du Bouchier d’Abeville; de Courtois d’Arras; la priere de Theo
philus; sur la mort etc.
An editae docti videant Galli, certe antiquissima ac plurimi faci
enda gallicae linguae monumenta. Memhr. saec. saltem XIII int.
hon. not.“
Trotzdem später die Hs. in eine öffentliche Bibliothek gelangte,
blieb sie den zahlreichen Forschern unbekannt, welche die altfran
zösischen und provenzalischen Handschriften Italiens so emsig unter
suchten. Wohl aber hatte sie die Aufmerksamkeit Ferdinand Wolfs
auf sich gezogen, welcher schon im Jahre 1859 Herrn Prof.
Josef Müller (damals in Pavia, jetzt in Turin) um eine Inhaltsangabe
ersuchte. Müller theilte Anfang und Ende aller in der Hs. enthaltenen
Stücke auf das Sorgfältigste mit, und schon daraus Hess sich die
Wichtigkeit der kleinen Sammlung entnehmen. Die damaligen Ver
hältnisse hinderten Wolf daran, die Hs. zum Gegenstände eines ein
gehenden Studiums zu machen, und wenig Monate vor seinem Hin
scheiden forderte er mich auf, mich jener Arbeit zu unterziehen, die
er nicht hatte vollführen können. In letzterer Zeit hatte ich Gelegen
heit, die Hs. mit einiger Müsse zu benützen, und das Resultat meiner
Untersuchung lege ich nun den Fachgenossen vor.
S46
M u s s a f i a
Die Handschrift der Universitäts-Bibliothek zu Pavia CXXX.
E. 5 besteht aus 87 in jüngster Zeit numerirten Blättern auf Per
gament; zweispaltig zu 38 Zeilen auf jede Spalte. Die zum grössten
Theile von einer und derselben Hand herrührende Schrift gehört dem
Anfänge des XIV. Jahrhunderts; sie ist fast immer sehr zierlich und
deutlich; hie und da wird sie auf längere oder kürzere Strecken
etwas gröber und nachlässiger, um dann wieder zur früheren Schön
heit zurückzukehren. Nur das auf Bl. 56 a —57 b enthaltene Bit de
bigamie ist entschieden von anderer Hand, und einen beträchtlichen
Unterschied von der gewöhnlichen Schrift bemerkt man auch in den
letzten vier Blättern, so dass möglicherweise auch hier ein anderer
Schreiber eintrat.
Über die Reinheit der Texte lässt sich natürlich kein allge
meines Urtheil fällen; nur in Bezug auf jene Stücke, für welche mir
andere Texte zugänglich waren, konnte ich bemerken, dass die in
letzteren befolgte Declinationsregel in unserer Hs. häufig verletzt
wird. Oh nun der Schreiber des XIV. Jahrhunderts reine Vorlagen
alterirte oder schon verderbte Vorlagen benützte, ist gleichgiltig; es
genügt zu wissen, dass er in diesem Punkte keine Gewähr gibt und
dass man daher, falls andere Gründe dafür vorhanden, getrost emen-
dieren kann. Schliesslich sei eine Eigenthümlichkeit des Schreibers
erwähnt, welcher den Nexus tt, möge was immer dessen Quelle sein,
mit it — z. B. leitre meitre — schreibt.
Ich will nun über die einzelnen Stücke berichten.
I) 1“—4 d . Rubrik: Ce sont les vers de la mort. Beginnt:
Mort, qui m a mis muer eil mue.
Dieses Gedicht ist schon viermal herausgegeben worden. Vin-
centius Bellovacensis (Speculum historiale XXIX 108^ sagt von
Helinandus, er habe jene Versus de morte verfasst, qui publice le-
guntur tarn eleganter et utiliter nt luce clarius patuit. Diess ver-
anlasste Anton Loisel, den Verfasser der Memoires . ... de Beau-
vais u. s. w. sich um das Werk seines berühmten Landsmannes zu
kümmern; er erhielt eine Abschrift von Fauchet und Hess dieselbe
im Jahre 1594 durch den Druck erscheinen. Der von ihm gebotene
Text ist mangelhaft; abgesehen von einzelnen fehlenden Versen, ent
hält er nur 39 Strophen. Die Zahl der Strophen steigt auf 48 in
einer Hs., welche einst der Sorbonne gehörig, nun in der kaiser-
I
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 547
liehen Bibliothek in Paris aufbewahrt wird; man sehe über dieselbe
den Auszug aus einem Berichte von Levesque de la Ravaillere in den
Memoires de l’ acadimie des in s er ip t io ns XXXIII 254—261. Auch
hier wird das Gedicht dem Helinand zugeschrieben. Im Jahre 1826
veranstaltete Meon eine neue Ausgabe. Er benützte eine Hs., welche
aus der Abtei S. Victor in die k. Bibliothek gelangte und 49 Stro
phen enthält. Er stützte sich auf die Rubrik — Versus domini Theo-
ba.ldi de Marliaco de morte, compilati apud Sarneum — und wies
demnach das Gedicht dem Thibaut de Marly zu. Zu bemerken ist die
Variante in den Schlussversen: Ici(st) finent les vers Bouchart
dict de Marly. Laborde, Essai sur la musique II 202 u. 333, kennt
einen Liederdichter dieses Namens und verzeichnet von ihm das
Lied: Trop me puis de chanter faire. Dieses wurde von Meon ab
gedruckt, welcher zwar bemerkt, die Hs. trage die Überschrift:
Mesire Bouchars de Malli, sich aber an die Verschiedenheit des
Namens nicht stösst *)• Die Hist. litt. XXIII 534 verweist bloss auf
Laborde, ohne zu bemerken, dass das angeführte Lied schon gedruckt
wurde. Im Jahre 1835 erschien Meon’s Buch in zweiter Auflage 2).
V' Der in dem nämlichen Jahre herausgegebene XVIII. Band der Hist. litt.
widmet (S. 87 —103) dem Helinand einen längeren Aufsatz (von
M. Brial); auch hier wird eine Pariser Hs. angeführt, die aus S. Victor
stammt und 49 Strophen enthält, so dass man sich kaum erwehren
kann, diese und Meon’s Hs. als identisch anzunehmen. Man wird nur
durch den Umstand unschlüssig, dass die Hist. litt, weder von Ru
brik noch von Schlussschrift etwas weiss, während diese doch eine
Besprechung, wenn auch nur eine widerlegende, erfordert hätten.
*) Auch bei Laborde, an erster Stelle, begegnet man beiden Namen: Mgr. Bouchard
de Mailly (in der Anmerkung wird an die Variante Marly erinnert) vivait au milieu
du treiziemc siecle et a fait unc longue satyre intitulee VEstoire li Romans de Mgr.
Thiebaut de Mailly. Elle est curieuse par la quantite de personnages qu’il y nomine.
Über dieses Gedicht des Thibaud sehe man Hist. litt. XVIII 824; ein Bruchstück
davon bei Meon. Der älteste Bruder von Thibaud hiess Bouchart; die zwei Brüder
hat man in eine Person vereinigt. Sollte man einem unter ihnen die Vers de la
mort zuschreiben, so würde wohl der Moraldichter Thibaud grösseren Anspruch
darauf haben.
a ) Nur diese liegt mir vor. Der Titel lautet: Vers sur la mort per Thibaud de Marly
ou de Marly publies d'apres un manuscrit de la bibliotheque du roi. Seconde edition
augment.ee du dit des trois mors et des trois vifs et du mireour du mondc. Paris.
Crapelet, 183ö.
i
548
M u s s a f i a
Dass Meon's Ausgabe nicht erwähnt wird, ist weniger auffallend;
die nicht angenommene Ansicht wurde ignorirt. Wohl aber spielt dar
auf an ein anderer Artikel (von Amaury Duval), in demselben Bande,
S. 825, wo von Thihaud die Rede ist: „On lui attribue dans quel
ques ouvrages lesstances sur la mort. On ne douteguhre aujourd'hui
qu eiles ne soient d’ Hdlinand, aateur d'un tout autre mdrit“.
Im Jahre 1843 endlich druckte Buchon das Gedicht, welches er
wohl als unedirt betrachtete, noch einmal ab*). Er benützte die Hs.
zu Montecassino 209, welche 33 Strophen enthält und liess sich in
keine Untersuchung über den Verfasser ein. Andere Ilss., welche das
Gedicht (wie es scheint alle anonym) enthalten, wären 423 (== 7024,
nach Paulin Paris, Manuscrits frangais IV 73, 49 Strophen in an
derer Anordnung als hei Meon), 837 (=7218), 1444 (=7334,
50 Strophen), 1593 (= 7615, früher Fauchet, also wahrscheinlich
Loisel’s Quelle). Bei der Besprechung der ersten neigt sich Paris der
Ansicht, der Verfasser sei Thibaud de Marly. Der Catalogue des ma
nuscrits frangais de la bibliotlieque imperiale sagt hei der ersten
Hs.: Vers sur la mort, attribuds par les uns ä Hdlinand et par les
autres ä Thibaut de Marly; hei den anderen Ilss. wird das Stück
anonym angeführt. In dem Schlussworte zum Barlaam und Josaphat
des Gui de Cambrai (Stuttgart 1864, S. 335) sagen die Herausgeber,
Meyer und Zotenberg, unser Gedicht werde „ohne genügenden Grund“'
dem Helinand zugesehrieben; Meyer indessen theilt mir brieflich mit,
seine Zweifel seien nunmehr gewichen.
Ein Schwanken in Anzahl und Anordnung der Strophen wird in
den meisten Hss. zu beobachten sein; die Beschaffenheit des Gedich
tes, welches aus zumeist nur lose zusammenhängenden Betrachtungen
besteht, gab dazu gar leichte Veranlassung. Die Hs. von Pavia ent
hält 49 Strophen, die nämlichen wie bei Meon, nur in folgender Ord
nung: 1 — 17. 24—26. 18. 20. 19. 21 — 23. 27—41. 43—47. 42.
48. 49.
Bei Buchon stimmen 1—49 mit Meon überein, es folgt als
50. Strophe jene, welche Meon als Anhang druckte, und seiner An
gabe nach die 25. in der Hs. 1444 ist; endlich noch drei neue.
O Nouvelles recherches historiques sur la principaute frangaise de Moree . . . par
Buchon. Paris 1842, II 364. Das Buch ist wieder zu Paris 1845, mit verändertem
Titel, erschienen.
Über eine altfranzäsische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pnvia. 549
Loisel konnte ich nicht vergleichen.
Der Gleichheit des Gegenstandes wegen will ich schon jetzt ein
anderes Gedicht verzeichnen, welches in unserer Hs. erst gegen das
Ende vorkommt.
XVIII) 66'—83' 1 . Ohne Rubrik. Es sind wieder Vers de la
mort, beginnend: Mors si te ses entrebouter; 219 Strophen zu 12
achtsylbigen Versen, mit derselben Reimstellung wie beim vorange
henden Gedichte. Das nämliche Stück ist in der Pariser Hs. 375
(=6987) enthalten; nur bietet letzterer Text nach den übereinstim
menden Angaben von Paulin Paris, Mss. frg. III 228, und des Cat. des
mss. frg. nicht weniger als 313 Strophen. Michel, welcher im näm
lichen Jahre (1840) wie Paris die Inhaltsangabe der Pariser Hs.
(Chroniques Anglo-Normandes III, VI—XXXVI) mittheilte, hatte
keinen Anlass nach dem Verfasser zu forschen: Paris bemüht sich zu
beweisen, das Gedicht rühre von Adam de la Halle her. Es ist mir
nicht bekannt, ob diese Annahme später Bestätigung oder Wider
spruch erfahren hat; der Cat. des mss. behandelt das Stück als anonym.
Dasselbe ist nicht durchaus unbekannt. Ein Bruchstück von
54 Strophen ist davon gedruckt worden in (Auguis) Les poetes fran-
gois depuis le XII. siecle jusqu ä Malherbe, Paris 1824, II 58.
Hier wird es dem Helinand zugeschrieben; die Art aber wie es ge
schieht zeigt von Oberflächlichkeit. Es wird da die Ausgabe von Loi
sel erwähnt i) und hinzugefügt, die k. Bibliothek besitze eine Hs.,
welche um 11 Strophen mehr enthält. Da Loisel's Druck, wie wir
wissen, aus 39 Strophen besteht, so dürfte damit die obenerwähnte Hs.
1444 gemeint seien. Gleich darauf heisst es: Le texte que nous don-
nons de la piece d' Helinand est conforme ä ce manuscrit, sur
lequel il a dtd collationd. Diess ist unmöglich, weil das jetzt in Rede
stehende Gedicht von jenem bei Loisel und folglich von jeder zu letz
terem gehörigen Handschrift durchwegs verschieden ist. Einer Mit
theilung von P. Meyer entnehme ich dass die Pariser Hs. 12615
(chansonnier de NoaillesJ ein Bruchstück von 54 Strophen unseres
Gedichtes enthält; es ist also sehr wahrscheinlich, dass diese Augis’
Quelle gewesen sei.
Auch hier, wie bei I, begegnen mannigfache Abweichungen in Be
zug auf Anordnung der Strophen. Vergleicht man z. B. die Pavia-Hs.
*) Als Jahr des Erscheinens wird irrthiimlich 1Ö95 angegeben.
M u ss a f i a
550
(P) mit dem Bruchstücke bei Augis, so bemerkt man, dass 1—3
übereinstimmen, von da aber die zwei Texte mehrfach auseinander
gehen. Ähnliches ist zu sagen in Bezug auf P und Hs. 373, so weit
man das Verhältniss aus den wenigen von Paris angeführten Strophen
entnehmen kann. Der grosse Unterschied in der Anzahl der Strophen
dürfte von dem Umstande herrühren, dass P aller Wahrscheinlich
keit nach unvollständig ist. Nach 219, der letzten Strophe (Pour ce
qu'il riont ) steht zwar E.vplicit, da aber hier eine Lage zu
Ende ist, und was folgt an Pergament und Schrift verschieden ist,
so liegt die Vermuthung nahe, es sei eine Lage zu acht Blättern
verloren gegangen. Berechnet man, wie im Vorhandenen, zwölf
Strophen für jedes Blatt, so erreicht man die Zahl der in der Pariser
Hs. enthaltenen Strophen.
Varianten zu 1 zu sammeln, schien mir bei der grossen Anzahl
von Handschriften und Drucken überflüssig; und um eine vollstän
dige Abschrift von XVIII zu nehmen, gebrach mir an Zeit. Sollte sich
ein Herausgeber für dieses Gedicht finden, so wird er jedenfalls auch
P zu rathe ziehen müssen.
II) 4 b —6“ Ln priere Tybaut d,'Amiens.
Die erste Strophe lautet:
J’ai un euer trop let,
Qui souvent meffet
Et poi s’en esmaie,
Et li temps s'en vet
Et je n’ai rienz fet,
Oü grant fiance aiei);
Mon temps ai*) use
Et lonc temps muse
Dont j'atent grief paie,
Se par sa honte
La flour de purte
Son filz ne m’apaie.
Die IS. und letzte:
Tibaus 3 ) congie prent,
La mort le sorprent,
’) Hs. aye 2 ) Hs. ay 3 ) Hs. Tybaut.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Paria, 551
Qui le contralie;
Chetif et dolent
Se claime souvent,
A Dien merci crie.
He! Tibausi) d’Amiens,
Moult as eüs biens
Les jours de ta vie,
Or n'en portes riens
C'un fessel de fiens,
C’est ta cliar porrie.
Laborde, Essai H 222 u. 339, den die Hist. litt. XXIII 763 wie
derholt, führt von Thibaut dieses einzige Lied an; als erster Vers
wird aber J’ai un euer trop lent angegeben. Möglich dass diess eine
Variante sei, welche dann andere in den Versen 2. 4. 5 mit sich ge
führt haben muss; noch näher liegt aber die Vermuthung, dass ein
falscher Strich über let geschrieben oder auch nur gesehen worden
sei. Nach Laborde findet sich das Lied in den Hss. Sainte Palaye und
Clairambaut. Die erste scheint nach Meyer (Archives des missions
scientifiques II, 3, 255) unauffindbar; die zweite entspricht (Meyer,
a. a. 0.) der Hs. 845 der k. Bibliothek; im Verzeichnisse, welches
der Catalogue mittheilt, konnte ich aber das Lied nicht auffinden,
eben so wenig in Brakelmann's Übersicht (Archiv XLII 52). Es ist
demnach als selten zu bezeichnen; trotzdem theile ich es nicht mit,
um den emsigen Arbeitern auf dem Gebiete der altfranzösischen Lyrik
nicht Yorzugreifen.
III) 6"—7 C La complainte du conte de Flaiidres.
IV) 7' — 8 c La rendue du conte de Flandres et la de-
partie.
V) 8 d —13 11 La deffiance au conte de Flandres et
tout Festat de l’ost.
Drei Gedichte, welche sich auf die flandrischen Wirren am
Ende des XIII. Jahrhunderts beziehen. Sie bilden ein Seitenstück zur
Clironique rimee, die Le Glay herausgab a). Eine Abschrift dieser
drei Stücke wurde von mir der Societd des bibliophiles beiges über-
*) Hs. Tybaue.
2 ) Chronique rimec des troubles de Flandre a la fin du XIV. siecle , . . publiee . . .
par Edward le Glay. Lille, Ducrocq. 1842. 8°.
amu*.
IHMKlMBnl
552 Mussafia
lassen, welche die Herausgabe einer Sammlung historischer Gedichte
beabsichtigt.
VI) 14“—IS“ C'est le dit des dames.
Da mir trotz eifrigen Nachsuchens nicht gelungen ist, irgend
einen Nachweis über dieses nicht uninteressante Stück zu finden, so
bringe ich es hier zum Abdrucke. Die Hs. schreibt (wie in V, XVII
undXIX, die ebenfalls in Alexandrinern gedichtet sind) die Hemistiche
abgetheilt, aus dem rein äusserlichen Grunde, dass die Spalte keinen
Raum für die Langzeile bietet; hie und da, wo es anging, findet sich
in der That der ganze Vers ausgeschrieben. Bei unserem Gedichte
kann man bemerken, dass in der II. Strophe auch die ersten Hälften
der vier Verse unter sich (im 2. Verse nicht ganz rein) reimen; das
selbe gilt von drei Versen der III. Strophe, ja falls die vorgeschlagene
Emendation richtig ist, von allen vier. Man wird wohl darin nur Zufall
zu erblicken haben. Die Declinationsregel zeigt in Reimwörtern einige
Verstösse; es ist daher nicht rathsam sie im Innern des Verses zur
Geltung zu bringen.
Jehan a dit et fet mainte rime nouvele,
Mainte cliose jolie que on dit en viele;
Or vous dire des dames, dont la rime est bele;
Quant d'eles mi souvient, tout le euer mi sautele.
5 Je pleure moult souvent et mes cheveus detire
Et si sui moult dolens, au euer ai moult grant ire,
Quant mon euer point n’emprent nus jours bone matire
Que feisse asprement un biau dit tire ä tire.
Mes il m’est souvenu d’uns mos que je savoie:
10 Amours si est veraie qui fins amans avoie ;
N’est jone ne chenu qui ne doie avoir joie;
L’arbre flourist menu et li pres si verdoie.
Et li douz oiseillon si chantent au matin,
De joie se semont ä mult tres grant hustin
15 N’est hörne si cuvert, si vilain, si mastin,
Qui ne doie avoir joie, s’il entent lor latin.
Li uns si dist: 'Oci le mauves de l’espee’;
L’autre dist: 'fet il chaut?’ ä moult grant alenee;
10 Die folgenden Verse enthalten eine Beschreibung des Frühlings, der Jahreszeit der
Liebe. Könnte da man nicht im ersten Hemistiche vermuthen: Li mois si est venus?
7 Hs. jour; vgl. 50 14 Wohl semonnent.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 553
Coitous ile euer me fraint et li chanter m’agree;
20 Lors a fet un assaut amours en ma contree.
Amours si est d’onour le puis et la fontaine,
Si a meillour oudour que espice ne graine;
Amours si vient de fame, c’est verite certaine,
Dont est fame par droit sus amour souveraine.
25 Puis qu'amours vient de fame miex vaut fame qu’amours;
Je le di pour ces rimes que font ces jugleours,
Qui mesdient des dames et se font vanteours;
Nus ne mesdit de fame, qu’au chief n'en soit hontous.
L’en doit fame honourer essauchier et lever,
30 De faire lor servise se doit chascun pener
Et de seur ce que tout servir et honourer;
II y a .ix. resons, pour voir le voil prouver.
La premiere reson que fame est honouree
C'est en l’enour de cele qui est vierge clamee,
35 Qui conqut le filz Dieu, eile en fu corounee,
En crestiente est mere Dien apelee.
La seconde reson est bien aparissable
11 n'est si haut bourgois, Chevalier si metable,
Prince, conte ne duc, qui tant soit connestable;
40 Qui ne soit plus jolis s’il a fame a sa table.
Et la tierce reson est legiere ä oir:
II n'est home en ce monde qui doie fame hair;
Cil qui mesdit des dames voudroit bien Deudrai'r,
Fame de son doulz chant fet maint home esjoi'r.
45 Et la quarte reson vous dire je briement:
II n’est nus bouhordeis ne nul tornoiement,
Qui ne soit fet pour fame, saclies le vraiement;
Cil qui mesdit des dames certes je le desment.
La cinquisme reson dire de hone empointe:
50 II n'est nus homs qui soit nus jours jolis ne cointe,
Qui tant ait bele robe qui sus lui soit bien jointe,
S'il n’aime aucune dame qui de lui soit acointe.
La sisisme reson ne laire que ne die:
S’il avient c’uns vallds ait une bele amie,
19 Hs. Corrons. 32 Hs. uoiel.
554 Mussafi
55 S'il la puet regarder el jour fois ou demie,
Qu'il n'en soit plus jolis touz les jours de sa vie.
La septisme reson dire de bone escole:
Se pluseurs biax valles sont ä uue querole,
Si dira tout le monde: 'Ce sont une gent fole’, 14 4
60 Cil ont avecques eus dames que il acole
La huitisme reson dire sanz plus targier:
S’un riebe bourgois a une ente en son vergier,
S ou en coupe une brauche, il s’en veult corroucier
Pour l’amour du bon fruit qu’il atent ä mengier.
65 il est dolent de l’arbre pour l’amour du fruitage,
Et si n'en puet venir parente ne lignage;
Dont a fame par droit dessus Pente avantage,
Qui portent li enfant qui font maint vasselage.
Or vous ai je conte toutes les .ix. resons;
70 Pour fame doit ou fere priere et oroisons;
Pour sa fame fet on maintes beles mesons,
Maint bourc, mainle eite, maint chastiaus, maint donjons.
Pour les l'ames fet on maintes beles cbaiifons
Et maint dorez lorains et maint dorez artjons;
75 Cil qui fourma la fame fu bien mestre ma^ons,
Fame ne doit pas estre a coars n’ä ganjons.
Nous trouvons en la bible et en viez testament
Que li homs doit lessier et cousins et parent,
Son pere et sa mere et tout son tenement,
80 Et estre avec sa ferne bei et cortoisement.
Se la fame savoit tres bien de verite
Comme eile est precieuse et de grant dignete,
Plus seroit debonere de grant humilitd,
Ne ja vilain de euer n’aroit a son coste.
85 Je ne di pas pour moi, je ne sui pas gentis;
Ains le di pour ces autres qui se font avantis,
Qui mesdient des dames et si sont aprentis;
60 Jedenfalls S'il n'ont. Soll im zweiten Ilemistiche acolent mit unreinem Reime ge
lesen werden ? Oder damc qui les acole ?
68 Nach diesem Verse fehlt wenigstens eine Strophe, welche den neunten Grund
angehen sollte.
I
Über eine altfraiizösisehe Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 5S5
Nus ne mesdit de fame qu'au ehief ne soit chetis.
J’ni dit le dit des dames si ai fet que senes
90 A Dieu en rent je graces qui m’a le sens dounes,
Qu’en trestoute ma vie n’auroie racontes
Le liien qui est es dames ne les jolivetes.
VII) IS“. 18“. C'est plaine boursse de sens, einPabliau von
Jean liGalois. Herausgegeben bei Barbazan-MeonlH, 38 nach den Hss.
837 (=7218) und 1593 (= 7615). Ich verzeichne die Varianten.
5 Cil b. 7 Qu’il ert sages 8 Et s’avoit 12 son mari 16 Et
eile le servi 17 Que moult le savoit 18 La dame 19 vit 20 Ne
se pot mie plus t. 21 Ohne a; deist zweisylbig 22 Ohne Biau;
sire, ä bilden Hiatus 24 Ohne vous; im Druck ist der Vers neun-
sylbig 25 Sire, ne prenez 27 ocist 29 Car 30 Et tout li
mondes vous en het 31 Dieu et trestouz s. p. 34 s’en va cor-
rouciez, pl. 35 Et s’en 36 Qui fort estoit et noble et bei 39
desor l’iave de L. 41 ä Cr. 52 se leva main 59—60 Qu. j.
que je vos aport V. avoir pour vo deport 61 b. ville 67 qui le
veoit fol 70 Et si 73 quoi qu’ele 80 Quant ot ce fet 81 et
sanz targier 84 et d’ar. et c. 85 et dr. 86 II 87—88 Mes
pers de gant de bone laine Et esc. t. en gr. 89 Et de Gant 90
Trop m’i seroit grief a nommer 91 L’av. que m. 93 Car
merveilles y ot grans somes 94 deux bomes 97 C. lor doune
98 Tantost ach. 99 Trestout le g.
104 II vint droit en la h. 8 M. avoit le sens ä l’env. 9 le
lia 11 Le lie et tr. 12 qu’ele s. 14 par une autre rue 16 II
d. 18 Son vallet 22 set 25 Un mercier 29 li marchans
30 grifaigne 34 Et il li a dit sanz targier 36 marcheant 38
y est v. 39 Le sens d. qui li 42 vit 43 L. repaire 45 Les
les changes desus un f. 47 N’enquersist point 48 li vint devant
ä la chiere 50 Voulez vous, fet il 51 Amis, ou girofle 55—56
fehlen 59 S. en vous or point ä v. 62 pl. paine n’en auras 65
Elle est preus et sage 66 ohne et 67 N’as donc? Oil, par Dieu,
b. s. 68 commentja a rire 70 dist il, or di avant 76 el fere
77 Et aut. ch. que ne p. 78 se ne te 79—80 Je ne te weil
pas engignier Ains te weil moult bien conseiller 83 pres de ton pai's
U0—91 Reinheit der Reime bloss für (Iss Auge; denn inan wird nicht les sens lesen
wollen ; 92 könnte sonst les biens qui sollt bluten.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Ild. III. Hft.
37
556
M ii s s a f i a
87 Viese et erresse et bien d. 88 Si qu'andoi li p. ii coute 89 t’en
iras 91 de nul av. 92 mes ice s. 94 Mes au matin t'en veus a.
96 S’ele t’aq. 97 S’a la r. bien des.
200 Com apartient a p. 2 L. porras bien ap. 3 ton sens
13 nouvele 14 Que tu ne feras ta danzele 15 Quoi qu’ele die eie
ert ta f. 17 que je t’ai commande 19 li unz de l'a. part 220
moult li fu tart 222 qui pas n’estoit 23 Voudra ii ce tour essaier
24 Et paier selonc son loier 26 Que de rienz ne s’i asseüre 27
qu'il vint a ses ch. 28 il est m. 30 vallet 31 — 32 Vous ne
savez que j'ai afaire Mes il le vous couvient ä taire 35 v. den.
36 Lors si 38 Le n. 39 Dedens la ville entra 41 v. en la meson
42 Qui en son lit ert e. 43 N’avoit gueres qu’el se coucha 44
si l'apela 48 Lors li d. que devoit 49 il estoit si 50 escoutes
63 entendi la n. 66 Qui durement 67 court si c. 70 amoit miex
que tout le m. 71 Et il n’i a plus atendu 74 Com s’il estoit 75
Que f. eil ii cui 77 je ne les porre 79 Et vit qu’il se clamoit
82 Si en serez v. bien d. 84 Si v. 87 m. pressoirs 88 Et pres
et bois et cles 89 Et je Potroieroi de moi 90 Ycele robe que
je v. 91 bone 93 Vostre 94 Qui fu toute nueve en yver 96
avons nous 97 Plus que demi ceus de la v.
304 dormir 7 Lors fu la parole esmeüe 8 Parmi Disize et
fu s. 11 s. cheval 12 De perdre sont en grant balance 13 Cil qui
pour lui enpleges sont 14 II est levez 15 Tuit si parent 16 Et
il les a f. asseoir 17 Puis 18 S., c’est verite ap. 21 rienz 22
partant 25 deporterez s’il 27 Mes li unz 29 escharni 30 mal-
bailli 34 Devant eus ont veii Gief. 36 Veü l’ont par une fenestre
38 Beniers, Guillaumes et G. 39 Quant Pont veü, d. 44 Ne je aussi
45 voit 48 Foi que doi Dieu de tout le m. 49 et quanqu’il a ens
52 vous en estuet es. 57 Sedile 61 entendez que il m’av. 62
Sedille 64 not 68 Achete P a[i]' 70 A mes ch. en reving 71
Illuec lessai m. p. 72 vallet 76 ving en ceste 77 Sedile 81
Qu’ä Troie oi este es. 83 Hors de sa meson 85 Ceains oü miex
ere connus 86 si fui r. 87 que je avoie 88 Por lui quise 90
Je croi que bon gre m’en saura 91 Et quant la d. Pa oi’ 93
enhen enlien 97 tint.
401 preigne 2 Cil est moult fox 7—8 S'el veoit que fussiez
au bas Plus vous harroit que li cliien chas 13 —14 vor 9—12
13 entendre et veir 9 Oü il n’a 10 qui y met al. 15 —16 fehlen
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia.
S57
18 Dist si comme f. 20 Est c. de 1'. aouvers 21 Touz tems 22
ohne das zweite ce 2b piperesses 20 chiens 28 Ne bien ne 1.
ne Ioi 29 d un h. 32 en est. Dazu folgende vier Verse: Et souvent
aus iex le veez, Se je di voir si nie creez; Or ai mon fablel trait
ä fin, Si devons demander le vin.
VIII) 18 1 —50 a . Die Rubrik findet sich am Fusse der Seite wie
folgend angegeben : Ci commancent les flabes Pierre Au f'or. Eben
so am Ende: Explicit de Pierre Aufour. Man erkennt gleich den
Petrus Alphonsus, und in der That begegnen wir liier jener metri
schen Übersetzung der Disciplina clericalis, welche schon im Jahre
1824 durch die Societe des bibliophiles (es wird nicht angegeben
nach welcher Hs.) zugleich mit dem Originale und einer französischen
Prosaübersetzung herausgegeben wurde. Sie ist von der bei Barba-
zan-Meon II 39 ff. nicht vollständig abgedruckten ganz verschieden.
Im November 1862 erwähnte Bartsch (Germania VIII öl) einer altfr.
Hs. der Wallerstein’sehen Bibliothek zu Mayhingen, welche verschie
dene Gedichte, meist didactische, enthält. Kurze Zeit darauf (Juli
1863) machte A. Wallenfels im Jahrhuche für romanische Littera-
turen V 339 auf'einen’ altfranzösischen Codex aufmerksam, welcher
unter andern 'eine zweite ganz neue, bis jetzt unedirte Bearbeitung
der Disciplina clericalis’ enthalten sollte. Er gab zugleich Proben
aus dem Ineditum, welche die Identität mit der Bibliophilen-Aus-
galie sogleich erkennen Hessen. Dass Wallenfels das schwer zugäng
liche Buch nicht gekannt hat, wird man ihm übrigens nicht hoch an
rechnen; ist es doch seinerzeit auch dem so umsichtigen Valentin
Schmidt entgangen, welcher drei Jahre später (Berlin 1827) das
lateinische Original 'zum ersten Mal’ herausgab. Die Wallerstein’sche
Hs. wurde dann von K. Bartsch benützt, welcher in seiner Alt
franz. Chrestomathie (Leipzig 1866, Sp. 241—246) derselben zwei
Abschnitte, worunter ein unedirtes, entnahm. Bei dem grossen Um
fange des Werkes halte ich es für unzulässig, die Varietas lectionum
mitzutheilen; um so mehr, als bei einer Vergleichung jener Stellen,
für welche der Text der zwei anderen Hss, vorliegt, ich mich über
zeugen konnte, dass P an Reinheit beiden nachsteht. Trotzdem
dürfte eine zweite Ausgabe des Gedichtes (und bei der Seltenheit
der ersten wäre eine solche zu wünschen) auch dieses critische
Hilfsmittel nicht unberücksichtigt lassen.
37*
SS8
M u s s a f i a
Ich will nur noch über den Inhalt berichten. Die verschiedenen
Texte, die wir kennen, stimmen im Ganzen überein; nur gegen Ende
zeigen sich Abweichungen. Zur leichteren Orientirung mag folgende
Tabelle dienen:
Bis zur Erzählung des Schneidergesellen Nedui, stimmen alle
überein: das Original, Barbazan Meon (BM.), die Bibliophilen-Aus-
gabe (Bbl.) und P.
BM Bbl. P AV
id. fehlt fehlt
id. id. id.
id. id. id.
id. id. id.
id. id. id. id.
id. fehlt fehlt id.
id. id. id.
id. id. id.
id. fehlt erst später
fehlt fehlt fehlt
id. id. id.
fehlt id. id. id.
id.
id.
id.
Nacli 'Träumender Bauer’ hat Bbl. eine längere Bede des A r aters
an den Sohn, welche endet:
Diex otreit ä toz et consente
Que i aillons la dreite sente
Que ne nos puisse desveier
Cil qui mout vuet nostre encombrier.
Diess gibt einen guten Schluss der Schrift. Trotzdem folgt,
aber ohne irgend eine Vermittlung, die Geschichte von Nedui oder
Nediu; und am Ende derselben eine Lehre, die eigentlich dazu be
rufen ist, die folgende Geschichte 'Keine Knochen’ einzuleiten. Man
sieht deutlich, dass hier eine rein äusserliche Versetzung des Ab
schnittes stattgefunden, welcher in seine ursprüngliche Stelle leicht
gerückt werden könnte. Eigen dieser Hs. ist aber die Aufnahme einer
zur Disciplina nicht angehörenden Erzählung. Der Sohn fragt: Vater,
muss man Jemanden mehr lieben als seine Kinder? — Wohl, seine
Original
Nedui
Keine Knochen
Drei Lehren des A^ogels
Mond im Brunnen
Dieb am Mondstrahle
Marianus nach Plato
Zwei Brüder
Maimundus
Socrates
Grossherziger Knabe
Zaudernder Dieb
Träumender Bauer
Philosoph im Friedhof
Alexander’s Grab
Rede an die Seele
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibl. zu Pavia. 559
Altern; je grössere Wohlthateu man ihnen erweist, desto länger und
geachteter lebt man, mes eil est bien foul qui s’ essille ne por soti
filz ne por sa fille. Und erzählt die bekannte Geschichte des Vaters,
welcher bei Lebzeiten seine ganze Habe den Kindern vermacht.
P stimmt genau mit Bbl. bis zur oben angeführten Stelle über
ein; nach dem letzten Verse, der hier lautet:
Cil qui tent ä nostre encombrier
folgt von jüngerer Hand ein Glossema:
C'est deables qu’ ä nous espie
Qui envers nous a graut envie
Par ce que bien a en memoire
Que les biens auront (l.-ons) et la gloire
Que il par son orgueil perdi
Quant il trebucha et chei.
Dann ohne Vermittlung die Geschichte von Socrates, welche
aber richtig dem Diogenes zugeschrieben wird. Darauf 'Philosoph
im Friedhöfe’, 'Alexanders Grab’ und 'Rede an die Seele’. Schliess
lich findet man die Erzählung des einjährigen Königs, welcher seine
Zeit gut benützt, um auf einer wüsten Insel sich eine Zufluchtsstätte
für die Zukunft zu bereiten. Diese dem Barlaam und Josaphat ent
nommene, der Disciplina nicht gehörige Parabel, wird aber mit letz
terem Werke dadurch in Verbindung gebracht, dass am Schlüsse die
gewöhnliche Ermahnung des Vaters an den Sohn angehängt wird.
Bartsch theilt mir mit, auch die Wallerstein’sche Hs. stimme im In
halte mit der Bbl. nicht vollständig überein; der Schluss sei
ganz verschieden. Möglich, dass W die von Bbl. weggelassenen
letzten Abschnitte des Originals biete; möglich aber auch, dass es
ausser oder statt dieser andere Erzählungen hinzufüge. Man kann
im Allgemeinen also den Hang constatiren, gegen das Ende des
Werkes, dasselbe besonders dadurch zu modificieren, dass man be
liebte, aus anderen Quellen geschöpfte Mähren einschaltete. Ich
lasse nun als Probe die letzten Abschnitte von P folgen. Ich ver
ändere oft y zu i und auslautendes z zu ohne diess anzu-
merken. Die Strenge, mit welcher im Reime die Declinationsregel
beobachtet wird, gestattet, sie auch innerhalb des Verses herzu
stellen. Als Prädicat muss man die oblique Form zulassen.
Diogenes fu riebe assez 47 b
Et philosophe[s] alosoz.
AI u i s a f i »
S(50
Tont deguerpi et s’en ala,
En un prive lieu abita,
5 En un bois que il vit moult bei.
Et meson y fist d’un tonnel,
Et li toniaus si fais estoit
Qu'il tournoit quel part qu'il vouloit;
Le fons tornoit devers le vent
10 Et vers la pluie moult souvent,
L’autre cbief qui ouvers estoit
Vers le soleil quant il luisoit.
Li rois Alexandre[s] un jour
Ala chacier illec entour;
15 Li veneür y sont venu,
Diogenes y ont veü
Ou seoit et s’espooilloit
Et vers le ciel se retornoit.
A grant merveille l’esgarderent
20 Et le soleil li destornerent,
Et eil lor dist: 'Ne me tolez
Ce que douner ne me poez’.
Cil se pristrent a merveiller
Et a lui fort a corroucier,
25 Du tounel le voudrent geter
Et moult loing d'ilecques geter,
Que li rois quant illec venist
8i vile chose ne vei'st.
'Fui t’en'dient li veneour
30 'De la voie nostre seignour’.
Diogenes respondi bien
Qui nes voult espargnier de rien: 47 1 ’
'Ne criem pas’ dist il 'vostre roi,
Car il est mains puissant de moi,
35 Car il est sers a son sergant,
Et vous le tenez a puissant;
Tel chose le puet mestrier
Qu’il ne puet pas justisier.’
25 od. 26 boutcr?
Über eine nltfrnnzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia.
S61
Quant eil l’oirent, par droite ire
40 Le vouloient illec occire;
Mes eil qui erent de mesure
De lui touchier n'avoient eure
De si que li rois y venist
Et son plesir de lui feist.
45 Comme il aloient si parlant
Et au philosophe plaidant,
Li rois y vint. Quant il le voit,
Vers li se tourne ii graut esploit.
Demande lor dont il parloient
50 Et dont lor affere tenoient.
Li veneour li ont conte
Com faitement il ot parle.
Quant li rois l'ot oi conter,
Celle part commence a aler,
55 Pour savoir se il li diroit
Ce que as autres dit avoit.
A lui vint, si li demanda
Et si li requist et pria
Comment a ses sergans disoit,
60 Et Diogenes respounoit:
'Volentes’ dist il 'm’est semise
Et tu la sers en mainte guise,
De toi fet a sa commandise
Et eile est de ma manantise;
65 Dont sers tu celui, ce m'est vis,
Que j’ai en mon servise mis;
Donques es tu mendre de moi,
Mes que la geilt t'apelent roi.’
Dist Alixandre[s]: 'A ton dit
70 M'est vis que me doutes petit; 47*
Tu ne criens gueres ma puissance,
Dont maintes gens font gran parlance.’
Et il liessa un po sa chiere,
Puis si parla en tiel maniere:
6t Hs. Volentieri dist il mcsl sc misc; Int. Vohintas subjecta ex mihi.
75 'Assez' dist il 't'auras lasse
Pour tem’enne poeste,
Et terrienne couvoitise
Du tont t’a mis en sa justise;
Mes je te mouster[r]oi moult bien
80 Que ta puissance ne vaut rien.
Ta puissance iei-t tost trespassee,
Car eile n'iert mie aduree;
Bien ses que vivre ne pues mie
Fors tant com Diex t'apreste vie,
85 Ne ta puissance ne durra
Fors tant que Damedieu plera.
Toute puissance de Dien muet,
Donques douter pas ne t'estuet;
Anfois doit l'on Dieu seul douter,
90 Cui puissance est a redouter.
A celle qui est a venir
Pues tu, bien se, de nient faillir;
Icelle iert moult en aventure
Qui touz temps fu et vert et dure;
95 Celle qui est presentement
Ne dure fors un seul moment,
Celle d'ore est plus tost passee
Que ta main ne seroit tornee;
Que vaut donques ta poeste?
100 Pour quoi ies tu tant redoute?
Tu ne pues pas estre certain
Que tu vives jusque ä demain.’
Li rois ot bone entention,
Bien set qu’il ne dit se voir non,
105 Et dit ä ceus qui o lui estoient,
Qui par la forest le menoient:
'Cil boms est de Dieu voirement
Qui moult parole sagement; 48“
Ne li fetes nulle grevance
110 Que Diex en prendroit sa venjance.’ —
87 Hs. Dieux 102 IIs. iusques tü5 qui lii est.? 107 Hs. Cilz 110 Hs. Dieu
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 563
'ßiau filz’ ce li a dit li pere
'Quant le siede est de tel maniere
Que terrienne poeste
N’a ci point de stabilite,
llo Pour quoi nous effor<;ons nous tant
D'estre si riebe et si manant?
Folie est d’amer se pou non
Terrienne possession.’
Ce dit li filz: 'Vous dites voir,
120 L’en n'i doit pas son euer avoir;
Mes nous amer tant la devon
Que nous trop povre ne soion.
Li pbilosoplie[s] si nous dit,
Si com nous trovons en escrit,
125 Pour le siede qu'est b venir
Fai si com tu doies morir;
Et pour celui qu'est en presens
Pourchace toi en proehain tens
Com deüsses vivre touz dis,
130 Qu’il est moult miex, ce m’est avis,
Que ce que auras porchacie
Aies a tes amis lessie
Que tu l'eüsses tout gaste
Et tout par ta-guele avale;
133 Et pour ce que tu n'aies mie
Trop graut besoing de nulle aie,
Pourcbace bien ta garison
Que puisses vivre par reson;
Mes n'i met pas trop ton corage,
140 T'ame y porroit avoir domage;
Membre toi de la mort certaine,
N’oublie pas l'infernal paine,
Soies proz et garnis touz dis
Que tu ne soies entrepris.
111 Hs. le p. 112 li sieeles würde hier das Metrum stören.
M u s s a f i a
564
D’un philosophe qui passoit par de 1 ez 1 a tombe ä
u n m o r t.
145 D’un philosophe oi conter, 48 b
Ne le sai ore pas nomer,
Par une contree passa
Comme aventure le mena,
Une moult helle tombe vit,
150 Ou vers estoient par escrit;
Li vers qui erent en la pierre
Disoient en itel moniere:
'Tu qui passes a boche close
Par la oü eis cors se repose,
155 Entent ce que je te dire,
Si comme dire le te se,
Tiex comme ore ies et je tiex fui
Et tiex seras comme je sui;
De la mort ne pensoie mie
160 Tandis comme j'estoie en vie;
En terre avoie graut richesse,
Dont je fesoie graut noblesse;
Terre, mesons et grant tresor,
Dras et chevaus, argent et or;
165 Mes or sui povres et chetis
Et en part'ont en terre mis;
Ma grant biaute est toute alee,
Ma char est toute degastee;
Si ai moult estroite meson,
170 En moi n’a se vermine non,
Et se tu ore me veisses
Je ne cuit pas que tu deisses
Que onques liorn eüsse este,
Ainsi me sentoie mue.
175 Deprie au celestiel roi
Que il [or] ait merci de moi;
Tuit eil qui pour moi p[ri]eront
[Et] envers Dieu m’acorderont
ISO Hs. eacript 1S1 Hs. Lea IST Tel . . ■ tel; vgl. 1S8 173 Home, (las übrigens, als
Prädicat, angehen kann 174 sent or je?
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 565
Diex les rnette en son paradis,
180 Oü nus ne puet estre mendis.’
Quant li philosophefs] ot liz
Les vers que il trouva escriz,
Le siede tint a vanite
Et il ot droit par verite;
185 Le siede guerpi comme sage
Et se inist en un lierrnitage;
Pour ce garde n'oublie pas
La mort par oü tu passeras;
La remembrance de ta fin
190 Te merra parmi le chemin,
Dont tu estoies forvoie
Par encombrement de pecbie.
De la torabe Al ixandre.
Li rois Alixandres avoit
Tombe belle comme il devoit
195 Qui valoit un moult graut tresor,
Car eile estoit trestoute d’or.
Pluseur philosophe venoient
Et de li leur pense disoient.
.1. philosopbe[s] y passa
200 Et en tel maniere parla :
'Alixandrefs] (ist tresor d'or,
Or fet ors de li son tresor;
L'ors ne li pot avoir foison
Ne humaine possession,
205 Mes or n'a il pas, ce sacliies,
De terre seulement .v. pies;
Lui qui souloit estre si fiers
Or ne le redoute .1. bouviers;
Lors ot amis et anemis,
210 Mes ore sont a .l.tout mis.’
Pluseur autre qui y venoient
De lui asses biaus dis disoient,
Mes ne me puet de tout membrer
Quanque j'en ai oi conter.
48 c
101 Hs. forvoiez. Oder ist im folgenden Versn peehiez zu inen? 211 Hs. autre».
566
MUH
Mussafia
D’un autre philosophe
215 Uns pliilosophes y venoit,
Haus lioms fu et aiusi parloit:
'La moie ame, n’oublie pas
Dont tu venis et oü iras,
Si fai bien tant com tu vivras, 48 d
220 Car tu ne ses quant tu morras
Et au jugement tu iras,
Si verras quanque fet auras;
Li angre te tesmoigneront
Et tes pechies descoverront;
225 Quanque tu as ja cele
Sera illeeques raconte;
Ne ti ami ne ti parent
Valoir ne t’i porront noient,
Tuit ensamble te guerpiront,
230 Quant a mal jugier te verront.
Or te pues tu bien avancier
Et ton sauvement adrecier;
Guerpis la terrienne amour,
Si te tourne h ton creatour;
235 Ne di pas: ’üemain le ferai,
Demain a Dieu m’acorderai.'
Quant li siecles t’aura sorpris
Et en la convoitise mis,
Si que ne t'en porras issir,
240 Ainz t’cstouvra illec morir;
Et se aiusi ies deviez
Touz es a mort aiusi jugiez;
Or pren garde, oü sont ale
Cil qui devant toi onteste?
245 Oü sont or li empereour,
Roi et baroa et vavassour,
Qui assamblerent graut tresor
De pierres et d’argent et d'or?
Ore est com n'eüssent estd,
244 Hs. Ceus.
Über eine altfrnnzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 567
250 Of sont tuit ]i besaut ale;
Ainsi est de l’arbre la flour,
Qui chiet de l’arbre sanz retour;
Ne criem ja que soies greve
Par seculiere adversite,
255 Mes criem Dieu et le sien juise,
Qui des felons fera justise;
Redoute Dieu omnipotent 49 a
Et fai le sien commandement,
Pour ce te fist il voirement
260 Que le dois creindre vraiement
Et creindre et amer ensement
Et servil* sanz repentement,
Que tu puisses estre privez
En sa court avec ses privez.
265 Diex qui fist ciel et terre et mer,
Sanz qui nus biens ne puet ester,
Nous doinst le regne deservir
Ou nus preudons ne doit faillir.’
D’uu roy qui estoit envoie chascum
an en essi 1.
Fiuz, ou roiaume de Cartage
270 Souloit avoir un fei usage,
Que cbascun an un roi fesoient
Et nouvel home y eslisoient;
Haut et bas son plesir fesoient
Et par 1 ui tuit se justisoient;
275 Mes quant li ans estoit passez,
Lors li fesoient honte assez,
Qu’il li ostoient la coroune
Et le [sjceptre qui l’oneur doune,
Si l’enveoient en essil
280 Povre d'avoir et nu et vil;
La oft l’en aler le fesoit
250 nicht ganz deutlich, da hier das Pergament stark fleckig* ist.
253 Hs. grevez. Man könnte 254 -es adversites lesen.
568
M u s s a f i a
Ble[s] ne vin[s] ne herbe n’i croissoit
Ne nul bien avoir n’i pooit,
Se trop chier ne le comparoit.
285 Mes une annee avint, biau fils,
C’un[s] estrange hom vint ou pais,
Moult sage [estoit] et raoult vezie,
Car il avoit moult essaie
En cest siede et mal et bien;
290 Ne l'en ne li demandast rien,
Dont il ne seiist reson rendre
Qui a court l’aie deust tendre.
Une annee a roi l’eslurent 49 b
Et a lor seignor le refurent;
295 II se contint si sagement
Que tuit l'anierent durement.
Un sage bome avec li avoit,
Qui preudons iert et moult savoit.
Li rois en fist son conseillier;
300 Un jour le prist ä conseillier
Et dit: 'Sire, entern! es a moi,
Pour ce se l’en vous a fet roi,
Sire, ne vous oubliez mie
Ou temps ne en la seignorie;
305 C’est une gloire qui peut vaut
Despuis que au chief de l’an faut;
Ce est joie et deuls ensamble
Qui sus le cors de I’ome asamble;
La joie y faut en pou d’eure,
310 Mes li deuls lonc tens y demeure
Taut que li homs vit en l’essil
Ou l’en l’envoie povre et vil.
Sire, de ce ne doutez pas,
Vous vendres de si baut si bas,
315 Quant vcndra au chief de cest an;
286 Hs. hörne.
302 Hs. que Ven f
307 Hs. ioiez.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 569
La droit vous envoiera l'an
Oü li autre sont envoie
Qui a doleur sont avoie’.
Et li rois li a respondu:
320 'Amis, que m’en conseilles tu?
Vostre conseil m'en dites tont,
Et jel ferai tres tont de bout;
Vostre conseil, comment qn’il aille,
Si fere puis sanz nulle faille’.
325 'Oil,vous le ferez moult bien;
Vous n'en serez desdit de rien,
Car vous poez tout de nianois
Et fere et dire come rois,
Ne nus ne vous en puet desdire
330 L'an que vous estes rois et sire.
Or entendez: vous ferez fere 49°
Une meson et un repere
Fort et non pas de grant porprise,
Que l'en ne le tiegne ä mesprise;
335 Metes ouvriers assez par sens
Si qu’ele soit fete en briez tens,
Et quant la meson sera fete
Close fermant et a chief trete,
Si la garnissiez de touz biens,
340 De ble, de vin sus toutes riens
Et grant plente d’autre vitaille,
Si que de graut temps ne vous faille
D’or et d’argent et de denier[s].
Ne sainbles les fox armeniers
345 Qui devant vous out este roi;
Prends de vous si bon conroi
Que vous soiez trestout a ese
Ou lieu oü eil sont ä ineseise,
Qui an$ois de vous seignours furent
350 Et par folie se deijurent;
Ceste honeur ne poez tenir,
Pensez de ce qu’est a venir’. —
Biax fils, le rois ainsi le fist,
570
msmmm
M 11 s s a f i a
Tant y porta et tant y inist
355 Qu’aise i vesqui tonte sa vie;
Or orras que ce senefie.
Biau fils, un pou enteilt a moi:
Li roiauns oü on t'et le roi
Si senefie ceste vie,
340 Qui de jour en jour nous defie;
Voirs est c’un an y est li rois,
Ce n’est pas la disme d’un mois
De vie d’ome en verite,
Envers la pardurablete,
345 Ce saches tu, de l’autre vie,
Qu'elle iei't sanz fin, n'en doutes mie.
Tant comrae li lioms vit et regne
Saches qu’il est rois de sori regne,
De soi puet fere voirement 40 J
350 Et mal et bien a son talent;
Se il t'et mal, par saint Cambril,
L’en l'envoiera en essil
Ou feu d’enfer qui tozjours dure;
Nus n’a la coenne si dure
355 Qu'il n’i soit batus et rouilliez
Et o grans max touz deffroiez;
Mes li sage qui les biens font
Au siede tant comme il y sont
Et qui sagement se porvoient
360 Et lor graut tresor y envoient
La oü il sevent qu’il seront
Par plus lonc temps que ci ne sont. ...
Li ouvrier sont les oroisons,
Qu’en paradis font les mesons;
365 Les aumosnes c’est la vitaille,
Dont la messe se tint sanz faille;
Cil qui les aumosnes envoient
Ce sont li sage qui retroient
358 Hs. Le royaume. Nach 362 fehlt etwas.
357 Hs. les sayes.
Uber eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitütsbibl. zu Pavia. S71
All sage roi qui en l’essil
370 Fist son repere, comme eil
Qui sagement vouloil ouvrer;
Cil qui Ie conseil volt douner
Senefie les preescheurs
De sainte eglise et les docteurs
375 Qui enseignent au[x] gens du siecle
De sagement vivre la riegle;
Cil qui ne croient fermement
Saches qu'au jour du jugement
Le eomperront chier sanz delaie.
380 Biau filz, ce sera jour de paie,
Illecques auront sanz doutance
Ce dont aront fet recreance;
Ce sera jour de paiement,
Tuit y seront certainement
385 Li un joieus, li autre ä perte
Et aura chascun sa deserte.
Tel comme il aura desservie 59*
Et pourchacie en ceste vie;
Li mauves en enfer iront,
390 Li bon en paradis seront,
Oü cil Sire touz nous conduie
Qui fet le vent et fet la pluie.
Cist romans faut, ce est la somme,
Diex face merci au preudomme
395 Qui enseigne ovec son enfant;
Touz ceus qui orront le rommant,
Vous qui estes en ceste place,
Priez Dieu que merci li face.
IX.) 50“-—53 J Ci commence le dit du bouc hier d’ Ab-
beville. Herausgegeben bei Barbazan-Meon IV 1 ff. nach den
Hss. 837 (= 7218) und 2168 (= 7989 2 ). Der Verfasser ist Eu-
stache d’ Amiens.
377 Hs. Ceus.
393 Hs. cest est la s.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. III. Hft.
38
572
M ii s « n t* i n
1 Or entendez uue m. 2 Unc mes 3 voeil ci raconter
6 qu’ eile est 0—14 fehlen 19 Car trop trouva 21 Et cuvers
et de pute af. 26 De bien errer sa voie atourh'e 27 Sa chape
porte sus 28 Et pres 30 li ennuita 32 A vespre l’nt et
moult fist noir 33 Pense qu'uimes 34 remaindra 25 Qu'il
red oute 36 Qu' il ne 39 Ot une p. 40 II li demande et li dist
tant 42 nulle c'on puisse d. 44 Onques 46 Sire, par touz
les sains dou mont 47 mes maris 51 Qu' il acheta ä N.
52 Touz temps 53 Alez avec li I' ostel p. 54 g" ire
55 Fel li b., Diex vous consaut 56 et il vous saut 57—58
fehlen 60 Qui moult avoit en li d’orguel 61 II le s. et si li dil
62 Sire, Dies vous doint bone nuit 66 Fov que je doy ä saint
Lambert 68 Querez qui v. b. 70 Querez amont, querez aval
71—74 fehlen 75 Que ce n’est 79 Oil, sire 80 Ales vous
ent 81 Ce m’est avis que c’est 82 A! sire, ainz seroit graut a.
83 S' umes (= buimes) 85 Car je sai bien 86 Se de vo vin
87 — 88 Graces et gre vous en sare Et volentiers le poiere (= pai-
erai) 89 Rienz nule ne vous voeil e. 91 Itise p. 98 fu et de
eorrous
102 erent 3 tropel 8 se Diex 9 Cui est cis
avoirs? ä no prestre 10 De par Damedieu, puist-ce estre
12 Tout c. 13 ne l'ap. Nach 14 hat P: Ains ne le vit
ne ne le sot Et le boucber plus tost qu’ il pol 17 S' en vel chies
le doien(s) ar. 18 rri. iert fiers 29 Sire, an. 32 An. en
soil 34 Aporte I’ai 36 couvoite 38 Yi\s\ fehlt 39 Cer-
tes, fet il, m. v. 40 Mes que vous y fussiez vous tiers 41 —
42 Vous berbergere voirement S'aurez ostel ii vo talent’. Aine nus
homs miex ne se prouva Com li doiens celui fet a 44 de bon af-
faire 50—51 Que ja Diex de ses iex ne voie Celui cui 52 Hui-
iries se treront vers le tu 53 entrenl 56 Regarde a et sus
58 lues ap. 59 I" fehlt 60 Sus le baue a gete 61 Puis
prist la char 62 Puis dist, Sire 64 est bien prouvez
65 Vez comme il esl 67 de trop loing 69 Metes l'espaule
tonte en r. 70 Et s’en faites cuire p. p. 73 C'onques
75 Vez comme eile est crasse 76 la sausse 78 soit :» v. I.
80 Or faites doric 81 n’ i a que du I. 85 Dont il jalous
forment estoit 89—94 Avec son oste bien ei bei Et menja de
mainl bon morsel Celle nuit avec le boucbier Et fet samblant que
Über eine nUlimizösisc.'lie Handschrift U. k. Unirersitätshibl. z.u Pavin. 573
moull l’ait chier. Quant orent mengie par delit La dame li fist fere
.j. lit De blans dras lavez de nouvel Si li fist et tost et isnel
97 b. a ese 98 Et qu" il
203 Bel os. ot et bon s. 8 —10 Se tu veus soufTrir de mon
gieu'. 'Taisiez vous, je n’en ai que Faire!’ 'Par Dieu il Je couvenra
Faire 12 Or dites donc 13 avec moi gesir 14 Fere mon bon et
mon plesir 17 Taisiez, onques ce ne me d. 18 Par Dieu, vous
n'estes pas lierites 20 Diex! comme estes m. 21—22 Certes trop
esles riotousSe no bon l'esons moi et vous 23 diriez a ma dame 24
ait pite de m' ame 25 Ja ä nulli 26 ne vous enc. 227 eile
agreante Nach 28 Et tantost s’en ala couchier La meschine avec le
bouchier 30 Au matin aliima le tu 31 Son pot a pris, si
trest sesb. 32 Adonques 34 1 ire lor saldier Statt 34—41:
Et li bouchiers si s’esl levez Si s'est vestuz et atornez Et esl
venu sanz plus atendre Droit ä la dame congie prendre. Le loquet
liauce, 1’ uis ouvri 44 D. son lit ou il estoil 45 Moult se mer-
velle 49 Et si m'aves 50 pres du cli. 51 Met sa main
sus 53 Et voit sa 54 E sa boutine et sa m. 56 Saint Ber-
thelemi et s. B. 58 Qu'avec tel Farne 59 Si m’aVt bien
60 en seroit b. 62 Que petisse avec vous gesir 64 n'est
pas 67 — 68 Faites tost, alez liors, pour De Messire avera ja
chante 69 S'il 71 auriez honnie et m. 74 ne me mouvre
78 fust ennuieuse 79 Ne l'ocesisse 80 Mes ore oez mon cou-
venanl 81 Et Faites 82 Ma pel, dame 83 Grant foison
86 Que fehlt 88 com soie ne vis 91 li a dit, taut 94
Fant qu’il en ot tont s. b. f. 96 Au montier s - en vet 97 — 98
Ot ja eommence son sermon En une ne sai quel lefon
301—2 Sire, dist il, nomeement De vostre ostel graces vous
re nt 3—5 Je me Io de votre semblant Si vous voeil dire main-
tenant Et vous pri taut pour moi faebiez 7 Si m’arez 8 -x-
livres 10 prenez la por deus 13 Dist li prestres, moult v.
I8 La b. d. se I. 20 Vestue ot une verde c. 21 Bien esl
22 Escorcbie ot moult bien les p. 25—26 fehlen 27 El
la mesebine, senz at. 28 Va 32 qu’eu aves vous ä I.
36 Eie seroit trop en la voie 37 Si Fai 38 Dame, j ai tel.
je n' ai 39 que vous 40 Par Foi 45 Par Dien, dame,
que si 46 Trestoute m’en entremetrai 47 Si en F. com de
48 que eile est toie 51 Ou voises en 52 Moull ai ore tres
:!8*
574
Mussafia
graut 53 Que tu d. 55 Va t’en 56 Dame, or dites vous d.
58 sor fehlt; 59 Si sera la piau toute moie 61 N'ai plus
62 Car tu es trop fole et trop nice 65 t’ai-je encueilli
66 Que par le col 68 J' atenderai que il v. 69 Et puis cer-
tes 70 steht in P vor 369 *) 73 B.! voir, vous d. m.
79 Par le euer D. 80 La dame a prise 86 moult fort
88 prestre en la m. 89 fet il, qui a ce fet 90 forfet
91 Certes pour noient n’est ce mie 92 Di m'en le voir, ne me
ment mie 93 Certes, sire 94 Qui pendoit la dessus le fu
95 Sachiez que vous 97 vos 98 Eüst liostel
400 voirement 1 jurer porai 2 gaaignie 5 culonee a)
6 Pour la pel qu’il li ot d. 7 II fu 8 n'a osd 14 vos
fehlt 16 rendriez dreisylbig 17 Que 21 Ne je ne se
qu’il av. 22 Mes que la pel moie sera 23—24 fehlen 25
Elle est vostre? par qu. r. 26 Vos h. j. en ma m. 27 Seur
ma cointe (?) e sur mes 1. 28 Maugre en ait sainte Richeus
30 B. seur 31 Par la foy que me promeistes 32 vous
en cest hostel v. 35 Et la meschine 36 He! sire, ne l'en
37 fu avant d. 38 fussies vous 40 Alez hors de nostre
m. 42 le saint seigneur 43 li doiens 44 Bien voi que le
liaes a mort 45 C'est pour ce qu’ele est m. 48 M'avene, mon
forment, mon hie 49 et mon lart me prenes 50 Certes, moult
estes forssenes 53 Et fetes que a li contes 54 or escoutes
57 Dites moi qui la vous d. 58 Mes ostes 59 Oez pour
le cors 61 An§ois que parust 62 com par estes 63 si
tres cruelment 64 II prist congie si doucement 67 Nenil, sire
70 II couvient . . . esponde 74 Et s'en ala tout maintenant
75 Plus ne parla ne plus ne dist 76 N’autre chose 78 vos
i penses la folie 81 La merci Dieu se tout bien non 83 bis
84 fehlen 85—86 Mise m'aves muer en mue Que nule fois ne
me remue 93 Diva 95 Va t’en, si vide m. o. 96 Je m'en
ire 97 M. sur sains j. 98 Que james ne te maintenrai
*) Dies ist die natürliche Ordnung-. Denn die Verse 366—70 werden von der Magd ge
sprochen. Sie will sich nicht abweisen lassen, ohne mit dem Herrn gesprochen
zu haben. Sie sagt zur Frau: Ich will warten bis der Herr kommt, und werde mich
bei ihm beklagen, dann werde ich jedenfalls fortgehen. Worauf die Frau: Du
willst dich beklagen! In P. Vous clamerez, sote b.
2 ) Ist dieser erotische Ausdruck schon bekannt? Der Druck in milderer Form enyancc.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 575
500 Touz cor. et touz marris 5 En la ch. s'en entre 6 p.
demaintenant 9 —10 G. al. est revenuz Touz corrouciez et esperdus
11 Frotant ses ongles 12 disoit s'oroison 13—14 fehlen
IS—16 Atant entre li pastre en l'us. 'Qu’est ce, mal soies tu venus
18 Tu d. 20 Sire, j’ai perdu un m. 21 le plus bei de mon 22
Diva! Ou as-tu done este 26 Sire, pour Dieu 28 i fehlt 30 En
ch., en chemin 31 — 34 fehlen 3S Qui le 40 Et ma pel mei'sme
v. 42 Qu’a bone eure 43 Onques ne m’en soi 43—44 stehen in
P in umgekehrter Ordnung 46 Connoisteroies S7—58 Que
dites vous, biau sire, a moi? Oil moult bien, se je la voi 49 — 50
II prent Et la repince et la retaste 52 li paistres sa b.
53 H. ce dist 54 Par les yex bieu 55 miex am. 57 — 58 fehlen
61 bajasse 63 Parole a moi 64 sur ceste 66 la bajasse 68 de
ra'ame 71—76 fehlen •) 78 Vous qui cest conte oi avez 80 Et
vous prie et vous comande 81 le jug. 82 Chascuns en die son
talent 86 Ou la bajasse pinprenesse.
X) 53 d —55“ Ohne Rubrik, aber mit der Schlussschrift: Ex-
plicit la leitre que Verite envoia au roi de France. Be
ginnt: Verite qui ne tot ne pince.
Jubinal, Nouveau recueil II 82 ff., druckte nach der Hs. Suppl.
fr$. 1132, jetzt 12483, ein dit de Verite, welches, von einem Prologe
und Epiloge abgesehen, welche in der Pariser Hs. Vorkommen, im
Ganzen mit dem hier vorliegenden Gedichte übereinstimmt. Er sagt
darüber: Cette piece . . . est evidemment . . . une satire dirigee
contre la politique de Saint Louis; Verite c’est le parti liberal, le
parti universitaire, c’est ä dire celui de Guillaume de Saint-
Amour et des rimeurs de son epoque. Je ne serais pas meme etonne
que quelques uns des vers qu’on va lire fissent allusion a l'exil
queut ä subir l'auteur du traite „Des perils des derniers
temps“ et ä son voyage ä Rome. Nicht anders Victor Le Clerc in
der Hist. litt. XXIII 440: L’editeur suppose, avec vraisem-
blance, quelle (la lettre au roi) se rapporte aux persecutions
que les Dominicains et les Franciscains, comptant sur la pro-
*) Durch offenbares Versehen des Abschreibers, welcher von \. S70 zum gleich-
lautenden 76 übersprang.
H76
M u s s a f i a
tection de Louis IX, susciterent ä plusieurs reprises contre
l universite de Paris. Und in demselben Bande S. 292 weist Le
Clerc auf den in der Pariser Hs. enthaltenen Prolog zum Dit, worin
es heisst .Toi conter mestre Nichole Qui longuement fu ä l’eschole;
De Flavigny avoit surnom, Arcevesque de Besengon. Da nun dieser
Erzbischof 1235 gestorben sei, lasse sich daraus beiläufig das Alter
sowol des Prologs als des Dit entnehmen. Das Register verzeichnet in
der Tbat: „Un dit de Verite, vers 1256“. Renan endlich (Hist. litt.
XXV, S. XXXI) spricht vom Dit als von einer touchante regnete en
vers de l’univcrsite contre les puissants ennemis qui Vattaquaient
aupres de Blanche de Castille et de saint Louis. Ein zwingender
Grund für diese Annahme wurde indessen nicht vorgebracht; Jubinal
meint: aucune des e.vpressions du trouvere anonyme n’est assez po
sitive pour que je me permette d'avancer ce fait autrement que
comme une hypothhse. Nur zu den Worten: Tu aimes ceus qui
t'ont hay, Peril. y a bemerkt Le Clerc: On ne s'est sa?is doute pas
trompi en reconnaissant dans ce cri d’alarme, I*6ril y a, le celibre
livre de Guillaume sur les pe’rils des derniers temps. Unsere
Hs. ist indessen geeignet, die Unhaltbarkeit der Hypothese dar
zulegen. Es finden sich hier viele Strophen mehr als in der
Pariser Hs., und zwar vorzugsweise solche, welche auf bestimmte
Verhältnisse hinweisen, ja sogar eine wo das Datum 1295 angegeben
wird. Wäre Jubinal's Vermuthung gegründet, so müsste man an
nehmen, im Anlänge des XIV. Jahrhundertes habe Jemand ein frü
heres Gedicht benützt und es besonders durch Erweiterungen der
Geschichte seiner Zeit angepasst.
Diese Annahme ist nicht so einfach, als dass man nicht an die
natürlichere Deutung denken sollte, ein Abschreiber habe alle jene
Stellen entfernt, die ihm die Achtung gegen die Geistlichkeit allzu
sehr zu verletzen schienen. Diess scheint um so glaubwürdiger, wenn
man die Beschaffenheit der von Jubinal benützten Hs. berücksich
tigt i). P. Meyer, dem vorliegender Bericht so viel zu verdanken bat,
batte die Güte mir darüber Folgendes mitzutheilen: Ce ms. est une
cspiee de poßme moral, qui ne vaut rien par lui meme, mais qui
J ) Auf spätere Anfrage um die hei Juhina] fehlende Angabe des Alters der Hs. ver-
sicherte mich Meyer, dieselbe gehöre zweifellos erst dem Beginne desXIV. Jahr. an.
Übet- eine allfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Havia. 577
est bourre de pi'eces, lyriques et untres, generalement reli-
yieuses ou morales, dont un hon> nombre sont inedites. Man
wird also wo! geneigt sein anzunehmen, das Bit sei 1295 ver
fasst worden; Verite schreibt an König Philipp IV. den Schönen,
um ihn zu ermahnen, sie aus der Verbannung zurückzurufen und der
Willkühr sittenloser Geistlichen einen Damm zu setzen.
Ich gebe nun im Folgenden die Varianten und Zusätze aus P:
8 (juant contre moi.
13—14 Or m’en fui je desques ä Romme Mes l’en n’i prisoit
une pomme
17 Mult te font eil tres grant domache.
20 Qui te souloit
22—23 Roy de France, se tu yes frans Ne me les plus croupir
souz bans.
32—33 Taut que je t’eüsse conte La grant reson.
37 A il nul si hardi... ? worauf 40 geantwortet ivird: Nenil voir.
38 sur le sueil.
Nicht nach ö2, sondern nach öl fehlt ein Vers, welcher nach
P lautet: Car je ne sai faussete faire.
54 Car c’est la somme.
Onques mauvais n'ama preudomme; Certes ces gar-
tjons devers Romme (= Mais tele gent que je ne nomme.)
58 — 59 Car soutils sont et desloiaus Qu’en eus abonde tout li
maus.
64 Puisque ne le veulent ti mestre.
65 Tu croiz garfons (=tel gent) qui te font pestre. Dann
folgender Zusatz:
Tu es raviz;
Memento, domine, David,
Qui tant pense as cons et as viz,
Com grant baillie
Tu li as livree et baillie;
Honeur ne li est pas faillie
Pour crupeter; i)
Aus dames convendra prester
1 ) Gewiss ein obseönes Wort, zu croupe geliör.g; trotz »ier Unzucht, die er treibt,
wird er nicht weniger geehrt 5 .
578
M u s s a f i a
Et du cuir a poilacheter
De ton avoir;
Grant honte en deüsses avoir;
Le pueple, ce dois tu savoir,
Si s’en corrouce;
Ne n'est merveille s’il engrouce,
N’ont pas recouvre hone liouce
Por eus couvrir.
Por ce voeil je ma bouclie ouvrir
Por ce grant barat descouvrir;
Bien fet ä dire,
Tiex choses nous tollent le rire,
Si que de grant angoisse et d'ire
Touz tressuon.
Merveille est que ne nous tuon
Propter David servum tuum
De Chaaliz, 2 )
Qui de Margot e d'Aeliz s)
Est si durement acbaliz, *)
Si com l’en conte;
Or l’as tu fet pareil a conte;
Itel gent ä ta court se monte,
66 Dont c’est grant grief.
74 pour ta countree
79 Ta court estoit noble et pleniere 80 la baniere
82—84 Lors n’avoies tu nule guerre N’en Gascoigne n'en
Engleterre N’en Normandie (= guerre Es eles (?) d'en-
viron ta terre N’autre partie)
86 Ta court fu tantost replenie
92 Q’ a fet 93 Ne puet o'ir
95 Rois, se du tien veus bien joi'r
*) Pelze.
2 ) Cistercienser-Abtei in der Diöcese von Senliz. Kenner der französischen Geschichte
werden wahrscheinlich über diesen David de Chaaliz etwas zu berichten wissen.
3 ) Erdichtete oder wahre Namen 'lustiger Weiber’, die sich der Freundschaft Davids
erfreuten.
4 ) Ist das Wort bekannt?
Uber eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 579
97 Je te trairai de tel merele
Que eil cherront en la berele
Qui t'ont neü;
Par moi sera trestout seü
Le tripot qui tant a geü;
Je dirai tout
Quanque g’i saure bout ii bout;
N’i ara ni fei ni estout,
Qui ne me doute;
Tieus qui cbevauchent en ta route
Ne verront dedens .j. an goute,
Se me rapeles,
Car j’estendre si haut mes eles
98 Que tu sauras bien les nouveles
101 hoirs roiaus
110 Les mestres qui t’ont pris
116—18 Ceus qui si te tiennent en cresche N’ont mie doute
Que fortune ä court me reboute
121 und 122 stehen in umgekehrter Ordnung in P; 121 Dex
doint que ne soiez tray
124—125 Celi qui porta Maria Confunde la langue dya (?)
127 Ta guerre mener si a point
133 Ici veil fenir ceste leitre
134 Si com je m'en sai entremeitre.
El fu dounee
En ce mois d’aoust ä l’entree
A Orliens chies Guillot Fusee,
Qui ä ses mains
En l'an. m. et .cccv. mains i)
L’escript en despit des Romains
135 A ma requeste.
136 P rans ro ’ s > se aymes ta teste.
(Fai sur tes plus privez enqueste.
137 Lors trouveras verite preste.
XI) 55“—Se 11 Ohne Rubrik. Ein historisches Gedicht in satyri-
schem Tone gegen die Engländer zur Zeit Eduard’sl. Ich konnte dar-
*) 1300 weniger ö = 1293.
580
M u s s a f i a
über nichts erfahren, und muss daher das Stück als bisher unbekannt
betrachten. Da es von nicht geringem Interesse ist, lasse ich es hier
abdrucken. Das Gedicht besteht aus 24 Strophen zu je acht acht-
sylbigen Versen. Reimstellung: ab ab ab ab. Lateinische und fran
zösische Verse alterniren mit einander; und zwar geht in den un
geraden Strophen der lateinische dem französischen voran; in den
geraden findet das umgekehrte Verhältniss statt. Dieser Wechsel ist
durch den Umstand bedungen, dass das letzte Wort der einen
Strophe im Beginne der folgenden wiederholt wird; es sind coblas
capfinidas. Nur bei Strophe X—XI ist diess dem Dichter nicht
vollständig gelungen, die zwei Wörter aber haben wenigstens
Gleichklang.
I Unus frater.de Syleyo,
Qui moult aime bon vin sanz lie,
Nocte vidit in sompnio
Cayn, son filz et leur lignie,
Idest patrem cum filio,
Mes li sains espirs n’i est mie,
Omnes uno consilio
Plains de traison et d’envie.
II Euvie tormente Cayn,
Ortum Anglorum semine,
Longue keue et lonc trayn
Vipereo genimine;
Pour ce en franfois et en latin
Scribo quadrato carmine;
Primes au soir et au matin
Gloria tibi domine.
III Domine, labia mea
Ouvrez a moustrer equite
De cahyna gente rea
Plaine de mal sanz charite,
Gebusea, cananea,
De Cain vient iniquite;
A nobis sit farisea,
De son roy dirai verite.
I, 1 Silly, Diöcese von See/ in der Normandie
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 581
IV Veritez ne quiert pas Angles,
Odit sordes viciorum;
L’ordure couve es angles,
Non in medio domoi'um;
Ab Anglia sont dit angles,
Loca quaerunt angulorum;
Pour couver mucent es angles,
Quod demo[n]strat rex Anglorum.
V Anglorum rex [nunc] edidit
Ce qu'il a longuement couve,
Regem Francorum prodidit
Son seigneur, son cousin prouve,
Argentum multum perdidit,
Cil qui l'ont eü l'ont trouve;
Judas dominum tradidit,
Ainsi l’en sera reprouve.
VI Reprouve pardurablement
Erit Angliae gentibus;
Anglois euvre angleement,
In factis pares vulpibus;
Walecome font doucement,
Intus sunt pleni fraudibus;
En blandient trai'telment
Similant scorpionibus.
VII Scorpionibus similes,
Pour ce sont dit Anglois coue;
In mente sunt versatiles,
Tost tra'issent leur avoue;
lnfideles, instabiles
Tuit sont de traison doue;
In omnibus odibiles,
Leur bien prive sont soch noue.
VIII Socli noez est qui a tiance
IV, 2 Hs. On dit. Meyer.
3. 7 Wortspiel zwischen anguli und Angl-enses, trotz der verschiedenen Tonstelle.
Oder soll ein Deminutiv, anglet, Plur. angles, angenommen werden?
V, 6 Cil Vont eü qui Co. t. ? Meyer.
VH, 8 Was bedeutet soch noue?
M u s s a f i a
In illis et in talibus; 85
C’est Odoart qui s’esperance
Met in mundi principibus,
Degastee a toute s’enfance
In vanis equitatibus;
Ja ne puist revenir en France,
Vastatis suis omnibus.
IX Omnibus est odibilis,
Crestiente par 1 ui mebaigne,
Miser inmiserabilis,
Droiz est cbascun de lui se plaigne
Antiehristo fit similis,
Contre Dieu eslieve s’ensaigne;
Stultus et execrabilis,
Bien cuide avoir trouve coquaigne.
X Coquaigne n'a mie trouvee,
Pontinum nec Normanniam,
Pierregort n’a pas recouvree,
Agenon nec Vasconiam;
Sa traison est bien prouvee,
Scitur per omnem patriam,
II a esclose sa couvee
Usque in Alemaniam.
XI Alioniam filiam
Au conte de Bar a dounee,
Alteram per industriam
Li Holandois a espousee,
Dux Brebancie tertiam,
Et la quarte qui est l'ainsnee
Ad compiendam malitiam
Est a Glocestre demoree.
XII Demouree est en Angleterre
Ut conregnet in Anglia;
Son filz vouloit en ceste terre
Maritare in Flandria;
Ainsi cuidoit France conquerre
Per talia conjugia,
Mes a maintenir ceste guerre
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. £)S3
In ipso patet mania. 55 a
XIII Mania rex cruciatur,
Qui est tres grant forssenerie;
Religio conturbatur,
La court de Rome est esbaliie,
Plebs communis depredatur,
Tormentee est clievalerie,
Rex a vero deviatur,
Onques n’en prist si grant folie.
XIV Folie diz je ambition,
Per quam ille deviatur;
N'aura du dart delation,
Superbia perforatur;
Deable a en lui menciou,
A quo miser superatur;
Morir ä graut confusion
Ei cito concedatur.
XV Concedatur ut privetur
De son sens et de son avoir,
Et quod nuuquam dominetur
En terre qui tant a avoir,
Fraudulentus defraudetur
Encor en ara ä ravoir,
Nam delusor deludetur,
Ysai'es le fei savoir.
XVI Savoir poons par grant boidie
Et per argenti copiam
A ensamble tres grant navie,
Similando milieiam,
Cuide recouvrer Normendie,
Hane non solum sed Franciam
Et aquerre ä sa seignorie
Palmam imperatoriam.
XVII Imperator[i]um decus
Et de France la seignorie
Desiderat ille mestus,
Mes encore ne l'a il mie,
7 —8 Etwa Prov. 111 34: ipsc deludet illuaores?
584
M u s s n f i a
Homo i'erus, mente cecus
Grant keue a en sa lignie, 56'
Non honorem sed dedecus
Li doint Diex et tres courte vie.
XVIII Courte vie ait, quant fast destruite
Aeun ejus consilio,
De France cuidoit avoir cuite
Decimam cum subsidio,
Mes i! out trop povre refuite
Compendii consilio;
Encore n'est pas seue quite,
Respondit cleri concio.
XIX Concio si consensisset
A faire ce fu tricherie,
Et proditor percepisset
Que France se tust esvudie.
Tune levius potuisset
Nostre terre avoir envaie,
Et forte regem cepisset
Par mer et sa chevalerie.
XX Chevalerie tust liounie,
Rex careret judicio,
Mes ainsi ne li avint mie
Ex divino judicio;
Puis prist les vins par sa hoidie
Opesque cum navigio;
Ce fu ä no roi vilounie
Et communis perditio.
XXI Perditio mereatorum
Par touz regnes est graut domache,
Partim deffectus vinorum
De lde, de sei, de vin, de vache
Et mullorum aliorum,
XVIII, 2 Acon, Aceon, Acre.
3 cuite — quite.
3 Die Hs. scheint eher out zu haben.
6 Compendii zweimal; Coinprmlium = Compiegne.
7 Ich verstehe den Vers nicht gut. Etwa Setie (= Seine) q.? oder s\
aqua cocta. das eine sprichwörtliche Redensart sein könnte?
p = sita
Ülier eine aUfmiznsiacIte Hnmlselirifl <1. k. Universitiitsliilil. zu Pavia. 1)81)
Frise s'en sent et Danesmarche,
Iiiicium est dolorum
Chascun dit: 'Je ne se que fache’.
XXII Ne sai que fache ne que die;
Regem, constabularium
Et leur freres et leur mesnie
Eorumque consorcium 56 b
Gart de mal et de vilounie
Deus creator omnium:
A Cayn et a sa lignie
Det damnum et ex(c)ieium.
XXIII Ex(c)icium per fortuna
Leur doiut Diex sanz nule demeure,
Fortuna non semper una
Est qu’ele tourne en petit d’eure;
Oportuna, importuna,
Tel rit au maiu qui au soir pleure;
Leti rex, ltarones una
Et Dex les gart et les sequeure.
XXIV Diex sequeure le roy de France.
Confundat regem Anglie,
Challes Herecourl de pesance,
Conductores milicie,
Gart et eens de leur aliance,
Non perfidos Vasconie;
Des faus Anglois prenne venjance
Deus largitor venie.
Amen.
Xll) 56“—57 b Ci commance le dit de bigamie.
Auch dieses Gedicht scheint mir nirgends nachgewiesen ge
worden zu sein. Es vertheidigl Jene, welche eine zweite Ehe eiu-
gehen, was nach strengen kirchlichen Satzungen nicht gestattet war.
Der Dichter — Jehan Pitart — nennt sich in einem Aerostichon
XXIII 2 Hs. demore.
XXIV, 3 Karl von Valois und Johann von Hnrecourt, Admiral der französischen Flotte
im Jahre 1291). Um die asyndetische Construction zu vermeiden und die Declina-
tionsregel zu wahren, empfiehlt sich Challc ct H. zu lesen. Die Einsohiehung der
Apposition Conductores rnilitiae hleiht allerdings immer elwas hart.
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*■:
1
586
M u s s fl f i a
V.113—124. Ergebraucht stets rührende Reime, nach Art des Gautier
de Coinsy, des Baudouin de Conde und so mancher Anderen. Trotzdem
der Dichter dadurch oft zu einer gezwungenen Ausdruckweise ver
leitet wird, bietet das Stück kaum erhebliche Schwierigkeiten. Ich
halte es für nützlich, dasselbe hier mitzutheilen.
[QJuant l’estat del monde regart
Et de mon fet me praing regart,
Lors m’est en mon couraige avis
Que li homs qui a hon avis
5 Ne me devroit torner a hlasme
Ce de quoi mainz homs autrui hlasme
Et dient que qui se marie
Seconde l'oiz chiere marrie,
Se il est clers, doit bien avoir,
10 Car il en pert qui passe avoir,
C’est priviliege de couronne;
Mes je di que Diex, qui coronne
De gloire, primes coronna
Mariaige; en tel coronne a 56°
15 Haute ordre et moult tres nosble atour
Car eil qui s’i est mis a tour
Por soi garentir de la face
De l’anemi, c’est qu'il ne face
Contre droit pechie de nature;
20 Et Diex qui toute rienz nature
Adan ä Eve maria,
Et aussi tost que mari a
A li doune, ceste parole
Leur dist, si com la loy parole,
25 Nature par quoi les coupla,
Et dit, en faisant d’euls couple, a
Qu'il pensent de mouteploier.
Obeir doit moult et ploier
Chascun a si nosble commant,
30 Car de chose que Diex commant
/
4 Hs. amis.
26 Hs. dist.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. UniversitStsbibl. zu Pavia. £) 87
Ne devroit on nului reprandre.
Si di donques que de reprandre
Farne autre foiz, qui n'est reprise
J)e l'oleur, n'est mie reprise.
35 Dont ja nus saige ne repraigne,
Mes que fame d'onneur repraigne;
Mes qui fole fame reprant
•s De son gre, se on l’en reprent,
Ce ne tien ge mie ä merveille.
40 S’ai je pense a graut merveille
En que] estat me maintenisse,
Por ce qu'ä droit ma main tenisse,
Si que je ne faillisse a traire
Mon euer ä euvre qui atraire
4ö Me peüst a tel fin acquerre
Con chascun doit pariser ä querre;
Mes ainc ne poi eslire voie
En nesun estat que je voie,
Oü l’en puist mener en ce monde,
50 Ce m’est avis, vie plus monde
Qu’an mariaige, car en ordre,
En regardant toutes par ordre, 56 d
Ne tont pas bien tuit leur devoir;
Ausi ne font, ce sui de voir,
55 Tuit eist qui sont prestre eure;
Si ai je maintes foiz eure
De regarder tout point ä point
Aucun estat, par quoi ä point
Peiisse ancore au siede vivre,
60 Et quant plus regardai le vivre
Dont ebaseun vit, lors me recort
Que mariaige a mon recort
Est li estas de quoi envie
Doit avoir li homs qui en vie
65 Veult demorer senz soi mesfaire;
Car es ordres ne voi mes faire,
Amis, les poinz qu'ordre devise;
S’ai esleii ä ma devise,
Sitzb. d. phil.-liist. CI. LX1V. Bd. III. Hfl.
39
588
Mussafia
Por Ie miex que g’i puis sayoir,
70 Que je faiz trop greigneur savoir
Et miex me vaut bigamus estre
Qu’antrer en relegieus estre,
El puis m'en repante demain;
C’onques Jesus Crist le demain
75 Des moinnes ne leur establie
N’establi par loi establie,
Ne ne commanda leur destroiz
A tenir en nulle des troiz;
Loi naturel ne loi devine
80 Ne juive rienz n'en devine;
Mes Diex ceste ordre conferma
En .iij. loiz et si conferme a
S’aucuns prenoit fames ja .x.,
Si com aucun firent jadis,
85 .ij. ou trois, de riens ne mesfait
Qui fait selone le droit escript
Que es lois Dieu trovons escript.
Car Jacobins n’autre couvens
90 Ne fist Diex, je vous ai couvens;
Mais S. Bernart et S. Francois 57“
E S. Dominiques franijois
Les out, qui selone leur voloir
Por la volante Dieu vouloir
95 Eslurent Fordre que maintiennent
Cil qu’orendroit en lor main tiennent
Del monde la greigneur partie.
Einsi est la chose partie.
Si di, puisque Diex a prouvee
100 Loy de mariage, approuvee
Doit estre, ne rienz ne forfait
Horns qui ne fait autre forfait
Que seconde foiz prandre lame
Por eschiver la male fame
92 D. angois?
95 Hs. quil m.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 580
105 De luxure le mal pechie,
Oü maint d'autre estat ont pechie
Contre la loy que il ont prise.
Si di, qui que m’en blasme ou prise,
Qu’an moi mariant n'ai mespris
110 A la seconde fois, mes pris
Le meillieur, je vous asseür,
Des estaz pour vivre a sseür
Senz faire pechie et folie.
Je di que li homs trop folie
115 En son fait qui vie demainne,
Honorable voe, et demainne
Autre vie qu’il n’a empris.
Nus ne devroit monter en pris,
Puis qu’autre vie apres emprent,
120 II faut et le pieur en prent.
Trop vautmiex legiere ordre emprandre
A tenir que faillir en prandre
Religion greveuse et dure.
Taut di je bien et mon non dure
125 Dusques ici qui fis ce conte,
Qui de bigamie vous conte,
Et mon seurnom tout il delivre
Cil qui counnoist leistre de livre
Puet trouVer tout apertement 59 b
130 Oü escripture aperte ment
En .xi. verz desus escriz,
Dont I est li premierz escriz.
Si di que cil est a aprendre
Qui lesse bele et bone a prendre
135 Por tenir de coronne habit.
J'aing trop miex qu’avec moi habit
Mon espouse en ceste moniere
C'une lole fame maniere
D'omme seurprandre et decevoir
140 En .j. autre estat; de ce voir
Vous di et par mon droit ä cort
. En.
39
S90
M u s s a f i a
A estre bigamus accorl
Ma volante senz contredit,
Car nule loy n’a contredit
145 Mariaige, ainz l’ont approuve,
Et li cuerz de moi a prouve
Icest bien par certainne preuve
Que eil mal se gouverne et preuve,
Qui fole fame en sa niain tient,
150 Mes qui bigamie maintient
11 n’euvre pas contre droiture
Or pri Diex, qui touz nous droiture,
Qu'en bigamie maintenant
Me face tel que maintenant
155 Quant ma vie aurai traite a fin
Que tuit li saint soient affin
A moi qui ai ceste ordre emprise
Que maint apelent fole emprise.
XIII) 58 a —62 a De c ourtois cTArraz; Paraphrase der Pa
rabel des Verlorenen Sohnes. Herausgegeben bei Barbazan-Meon
I 356 fT. nach den Hss. 7218 (= 838), 7595 (= 1553) und S.
Germ. 1850.
1 Jetez, jetez 3 que deussent 4 Ja est 8 Ja d. 10 me p.
14 comme vostre 18 qui fehlt; dafür noient 20 N'ains ne
l'envoiastes o moi 21 Pour f. 25, revel 27 Ce que 29
Ie cliace 30 grant peril 34—36 fehlen 38 Or soit deable en
tel d. 39 Dehait james le 40 fehlt <) 41 De vo court me
voeil departir 42 Mes je voeill contre vous p. 44 fehlt Q 46
Gist en berbis et en aigniax Qchatiax) 48 Cest argent ne 52
Si mangiez 58 .xl. 60 Tu les auras 61 Que tu guerpiz 62 Et
tout le nostre cl. 64 Ainz ne vi si 1. torse 65 jel t. 72—3 Que
tu n’atens mes nul secours Par quoi doies estre recours 75 S’est
li s. 76 et a ploins 80 que j’aie tele guerele 81.xl. 82 a
l’en repus 85 N’a talent c’un seul en escli 87 argent ferloie
93 —128 fehlen.
131—32 Courant s’en va teste levee Si a Ia bourse moult anflee
34 de .ij. maaille 35 waufle 36 Qui eüst 37 plain poton de
vin 40 A ce mot a ol buchier 41 Ceanz est li vins 43 ii ha-
*) Dieser Vers stört den metrischen Bau : aabaab. Erst mit V. 129 fangen Reimpaare an.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 591
nap d'argent 47 N'i estuet 50 Et escrisent ce que il 54 je
ai tel pl. 56 Moult est 59 Qu’en a assez vin et v. 61 Ore est
69 S'il y a chose 75 Couvertures beles et netes 77—78 fehlen
80 La toaille et l’iave 81 A laver 82 Diex! si a 83 Que
quanqu’en 84 sacliez 85 Que je l’ai chier 87 Du meilleur
89 garisse voz biax 91 Se vo dent et vo bele bouche 96 Dam.
moult v. 98 Ah damoiseaus
203 Ainz croi bien et en mon euer pens 4 en vos a 5
pleust ore a s. R. 6 eusse ausi 7 Par convenant que rois 8
N’ont onques jour tant 11 Oil certes, dame 12 li porroiz
soudre 13 et roncin 14 Ne mes qu'il se gart 15 n’a mestier 1.
17 Avenez moult bien 18 or de 19 Ne puis mie 20 Mes en-
core soie je seus 21 a moult fol 23 a ceanz 30 Que vous
avez trouvez 31 Damoisele mignote et e. 32 Bien avenant
34 vez ici le h. 35 de tilleul 37 aurons 38 Car nous con-
terons de comraun 40 Bien finerons ä dearrain 41 Quant 45
Diex ne fist 46 Quar il est d’A. ou fr. 50 Tenez, sade, froit et
buvant 51 p. prouver 52 Cortois, je vous di sanz m. 53 mie
55 Qui si 57 Et sachiez bien 60 Et j’ en apel le beverage
61 si afruite 62 tout estes 65 Se on le treuve encor enuit
68 He Diex! que doit qu’il 69 Com jel trere vers moi enqui 70
aurons hui 71 di je 72 donez nous 74 Verses vous ore
81 N’en souffrez ja nule diiete 85 S’irai lä fors un poi 86 de
l’alourder 87 Nous av. tr. famolain 88 Ba! il fet 89 Si cuide
91 Abessera moult 92 et si buvee 93 saurons 97 Bien me
doit estre descouvert 98 N. av. ceanz
300—1 Mes je voeil la bourse entamer Qu’il a si grant au cul
noe[e] 4 nel me p. r. 6 Je le Iere ci en no lieu 10 getes
11 Dont il y a un saquetel 13 la cotelle sanz dangier 15 Et
quant ara lessid son gage 16 le fetes bouter au 1. 18 Souffrez
(S’ouvrez?) bien en seron del. 19 — 20 fehlen 21 lä outre
23 Diex ne fist rienz qui ceanz faille 25—28 les bouclers
Vez les ci moult biax et moult chiers 29 Et l’eve ebaude de seson
31 Ne devez 33 quanqu’ä touz homes d. 34 li soubet de melite
35 comme je pens et d. 36 le vin 37 Je doi 38 Je ne fere
ja tant Laver 40 Poire, veus tu 41 atendras 42 Ainz n’amai
en vin ä souper 45 vous 47—48 Amis, savez que je wel dire?
Je vous dire sanz contredire 50 Querre le doit et esligier 57 bis
592
M u s s a f i a
58 Mes gardez bien que ne joez Ainz mangiez et buvez assez 60
Ja mar de ce averez doute 63 Trop y avez 66 Be! tenez dont
68—69 Je les aime miex en mon sain Que vous les metez a mal
preu 74 Et tu ses bien 77 En iert il fet tout ton talent 78
Je Ie gree, je le creant 79 Que je del tout a 1. 80 Oil, devant
qu’ele r. 86—87 fehlen 89 Est pour Porete embuvrez 90 Si
est pour lui ceans remez 91 li a eile 92 Or al. a lui gage p.
96 Sire, eiles sont en 1. 99—400 fehlen
401 Quant P. vous a mis en plege 2 La plus male, la
plus sanz fege 3 Qu’onques s’entremist 6 Qu’ele e. d. Maugin
7—10 E dant ßauderon de Tuben , Qui n'en porterent rienz du
sen Ainz lessierent' leur palefroiz Pour .xx. livres de celentoiz
En la meson Girart le noir, Or les metons en non chaloir 11 Que
de ce 13 Que j'en soie 14 Ostes, n’aiez nule 17 cest m.
18 devez 19 Mes la cotele woeil av. 20 Las! comment ire
je sans oec 21 Quant onques n'ap. t. a. 22 Certes 23
ros b. 25 Nous avons aill. a ent. 28 doi saint Climent 30 .xl.
31 a mon braiel laiez 32 A Porete les ai bailliez 33 Si les
prist et la b. 34 Certes, bien en estes sans ec 35 Et de l'argent
36 Sachez qu’el ne vous amoit mie 37 Si com par t. por. pr.
38 Se vous le voulez esprouver 39 Ou entendre n. a. 40
A. v. en devers B. 43 ä l’orage 44 mes peres 47 N'ainc
ne woeil entendre a savoir 51—52 fehlen 53 Si est drois
que je le c. 54 Que n’ai 57 Que ainsi avez 58 S’ai
pou g. de la m. 59 elz; deviez clreisylbig 60 sercotel moult v.
63 Celui aurez, se 64 Biax ostes car le me prestes 65—66
stehen nach 67—68 65 S'iert toutes voies p. h. 68 Va tost, si
li doune, L. 69 Moult me vient <u-e bien a main 70 Mes vous
le perderez d. 72 ci a moult m. ch. 73 Et je sui 75 Diex te
consaut (im Drucke fehlt der Reim) 77 tant par puis 78 a
moi 79 retour 81 ch., onques 82 or le m’est. 83 De ceste
parteüre 84 Car je ne sai rouver 85 Par mon fol sens meismes
86 gratez 87 que ainsi me b. 89 Qu. disoit mes peres 91 A
tart me reconnois et tieng 92 Li chevaus est perduz, or 93
En sus de mon pai's et loins de m'acointance 94 Me couvendra
souffrir 95 Vrai Dieu ceste poverte m'atourne 96 En tel lieu
m'asenez qu'aie ma soustenance 97—98 fehlen
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 593
SOS Ainz que je Je voir en despomle S du tout 6 Ha! biax
amis 7 Que Diex vous fera ci ap. Spas assez 10 Mes si eist
vous 1 4 S’alez g. 17 que vous en mente 24 sanz ec 25
grant torte 26 A bouter en v. p. 29 Mes pors et metrai en p.
30 La defors 32 Pren donc ta m. 34 Diex vez ci ce que j'ai mes-
tier 35—36 fehlen 37 Ceste cliar 38 Si n’est pas norrie
39 Que moult a lardue la fasse 40 Et l’eschine grant et esp.
41—42 Bien en porron fere larde Car il a moult cras le coste 43
En l'ostel monseigneur de m. 45 Vrai D. 47 Plains est de
mousture et de drouez 48 A enviz le manjassent ouez 49 A
l'ostel m. de pere 52 est changies 57 Je voi qu’il est d'av.
58 J’ai moult errifflee la g. 61 Ja ne 62 mentir 63 je sui r.
65 Ne li p. 66 Moult a ci peneuse s. 67 Quant bien ne m’i puet
68 d. me puisse soustenir 70 tel f. 71 Mes qu. 72 Merveille
moi 73—74 Tant iert fete de male atourne II iert ja par temps
passe noune (im Drucke reine Reime) 75 Ne suel pas mengier
a tele eure 76 Ilelas! 78 Mes par raa deserte 79 a duel
acueillete 80 Et si n'ai pas v. cueillete 81 ne d. 83 Ainsi
me sui mis 87 Mes je ne se de quele p. 89 Trop m’oub.
91 Je ci v. aus p. deffoüler 93 Ne ma g. f. apaier 94 Or 95
Que n’est d. 96 m’engresse 98 II sout moult amer et moult a.
600 II fussent moult meilleurs au 1. 2 Je morre ja 4 Ha
Diex! se 5 Que je vesquisse a si vil feur 6 Auroit il ja pitie au c.
7 Qu’il me vousist 9 puisque fere le m'es. 10 Certes , or
12 Li ire je crier m. 14 Mes moult me crieng c’on ne me voie
17 Que je sere del m. el v. 18 Se je revenisse 20 Je eüsse
plus biau 21 n'aurai je 22 Et mes frere est si pute 23 Bien
sai tost m’aura r. 25 — 26 Mes encor soit mes freres tielz Si est
mes peres humilielz 27 Et bien 29—30 fehlen 32 James ne
35 M'estuet 48 vo chetif de filz 50 N’ainc ne 52 v. porDieu
m. 54 Qui es tu la? trop ies m. 55 t’iez mis 56 Di qui tu ez
et l’acbesons 57 De quoi 58 B. d. p. v. vous ci 60 estrive
62 B. f. par .c.et mille 63 li bien revenuz 64 quar 67 Que
reperisses 71 Et du tout as 73 Tuere pour ta revenue 74 D.
la gran cort 76 Et semondrons tout no lignage 79 Couvient
80 mengiere 81 ore empliz 83 Pour qui 85 Cortois! 92
Tart .... tart 94 Por vassal 95 Vous devez m. 97 vassal
594
IN I u s s a f i a
701—4 'fehlen 7 C’iert en la fin moult b. 10 vor 9
10 Selonc le sens et l’escripture 12 Quant il se conoist 13 no-
nante [mit der Bibel übereinstimmend] 14 Bien en poons
XIV) 62 c —64" Rubrik: Du cors et de Farne. Beginnt: Cors,
en toi na point de savoir. Sollte eigentlich wie die Hist. litt.
XXXIII 283 richtig bemerkt, bloss du cors genannt werden, da es
nicht zu den so häufig vorkommenden Streiten zwischen Leib und
Seele gehört, sondern bloss aus einer Reihe von Mahnungen an den
sündhaften Leib besteht. Das Stück kommt in Hss. sehr häufig vor.
Aus Paris, Mss. frg., dem Catalogue, und der Hist. litt, kenne ich
folgende, die in der grossen Pariser Bibliothek aufbewahrt werden:
937 (=7292 3a ), nach Paris VII 340 enthält dieser Text 16 Strophen.
— 763 (= 7181 3 ), nach Paris VI 33, mit zwei einleitenden Versen:
Signor doctrine dit au cors Quilporchasse ä Farne sa mort. Der Ca
talogue liest droiture, und rubriciert demnach das Stück ’lnvectives de
droiture contre lecorps'. Da der Catalogue nur diese zwei ersten Verse
abdruckt, so Hesse sich aus denselben das so weitverbreitete Stück
nicht erkennen. — 837 (=7218), nach Paris VI 409, 20 Strophen.—
1634 (=7632) und 13132 (= S. Germ. 1239). Die jetzige Nummer
der letzteren wurde mir von Meyer angegeben, welcher mir zugleich
die zwei folgenden Hss. nachwies: 12471 (=Suppl. fr$. 6 3 2 3 ) und
12613. Scheler bereitet eine Ausgabe vor, unter Benützung einer
Brüssler und einer Turiner Handschrift. Wir hätten also da schon
zehn Handschriften, und deren Anzahl wird wol noch beträchtlicher
sein. Es genügt demnach, um P in Bezug auf den Inhalt mit den an
deren vergleichen zu können, die Anfangsverse der einzelnen Strophen
hieherzusetzen.
Cors, en toi n’a point de savoir
Cors, tu par es trop angcisseus
Cors desloialz de venin plainz
Cors, pense que tu devendras
Cors desloiaus et envieux
Cors desloiaus plain de laste
Cors, tu t’endors et tu engoules
Cors, tu te cuides escuser
Cors, Diex est moult plus debonere
Cors, de ce n’as tu or talent
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 5 95
Cors, tu es si biax par defnrs
Cors, rjue cuides tu devenir
Cors, tu couvoites trop l’argent
Cors, car me di ore en quel guise
He cors, pour Dien, car te retrai
Cors, tu es si plain de grant rage
Cors, se tu yeres bien senez
Cors, quant tu ez enseveliz
Cors, je n’ai pitie fürs de t'ame
Cors, de coi maines tu dangier
Cors, se Diex u’eiist esgarde.
XV) 64“—65* La priere Tlieophilus. Ist herausgegeben
worden zuerst von Jubinal in den Anmerkungen zum Rutebeufi),
dann vom Abbe Poquet 2). Vergleicht man die zwei Drucke, so finden
sich der Abweichungen viele; auch unsere Hs. stimmt weder mit dem
einen noch mit dem anderen überein. Es lohnt nicht der Mühe, Va
rianten zu verzeichnen. Nach dem letzten Verse
65’’ Que il par sa pitie ä bone fin nous maint
folgt ohne irgend einen Absatz
XVI) 65“—65’’ein zweites Gedicht verwandten Inhaltes, dessen
erste Strophe lautet:
Marie mere de Concorde,
De Jesucrist ton filz m’acorde,
Dont mi pechie m'ont descorde,
Dame, par ta misericorde
D’entour mon col oste la corde,
Dont deable m’ont acorde.
Und mit gleicher Reimkünstelei geht es fort in anderen zwölf
Strophen, deren letzte lautet:
Virge esmeree pure et fine,
En m’oroison qui se define
*) Oeuvres complctes de Rutebeuf trouvere du XIII. siede recueillies et mises au jour
pour la prcmierc fois par Achille Jubinal. Paris 1839. 11 327.
Lcs miracles de la sainte Vierge traduits et mis en vers par Gautier de Coincy
publies par M. l’abbe Poquei. Paris 1857. Der Hg“, sagt (Sp. 73) : „Comme cette
piece . . . n'off re qu'un mediocre interet, nous n'avons pas juge a propos de la
596
M u s s a f i a
Te pri de hon euer et de fin
Que tu depries finement
Celui qui ue faut ne ment,
Venir nous face a hone fin.
Es ist ganz die Manier des Gautier von Coinsy (vgl. Poquet
13), dem auch wahrscheinlich das Gedicht angehört. Am Ende Ex-
plicit de Theopliilus.
XVII) 65 d —66 c De l'.anunciation nostre Dame
Beginnt: Ma volente est hone et preste,
Selonc ma simple intention,
Que je vous die d une feste
Qu'en dit l'annunciation,
Que Dies qui touz les biens nous preste
Frist char et incarnation
En la verge Marie honeste;
De tel racine tel cion.
Folgen andere zwölf Strophen zu je acht Versen; nur die letzte
zählt deren zehn. Dieselbe lautet:
Virge, qui en ton saint aumaire
Portas ton doulz filz et ton pere,
Ci ot precieus saintuaire
Qui nous reaint de mort amere,
Prie ton doulz fds dehonaire
Qu'il regart nostre grant misere
Et qu'il nous doint tel chose faire
En ceste mortel vie amere
Qu’[a]u ciel aions nostre repaire,
Prion en tuit et suer et frere.
1. 3. 5. 7 hat die Hs. den Ausgang -ere.
XVIII) 66 c —83 b Siehe oben nach I.
XIX) 84“—85 b Ohne Rubrik. Ein Fahliau, welches ich nirgends
verzeichnet finde. Da es eine weitverbreitete Erzählung wiedergibt,
so theile ich dasselbe hier mit. Wir haben schon oben erwähnt, dass
reproduireUnd dennoch druckt er das Gedicht, freilich unbewusst, Sp. 757,
wieder ah.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 597
die letzten vier Blätter von einem anderen, nicht sehr sorgfältigen
Schreiber herrühren. Der Text lässt in der That manches zu wün
schen übrig. Mehr als eine Stelle ist kaum verständlich; eine ganze
Strophe ist ausgefallen; einer anderen fehlt wieder ein Vers. Wenn
dagegen einmal die Anzahl der Verse auf fünf steigt, so rührt Diess
wol vom Dichter her. Das Gleiche begegnet auch bei anderen der
artigen Gedichten. Bei drei Strophen finden wir die Reinheit der
Reime dadurch getrübt, dass in den zwei letzten Versen (7—8,
36 — 37, 48—49) ein auslautendes s hinzutritt; und fast immer han
delt es sich um ohnehin dunkle Stellen. V. 64 begegnen wir einer
blossen Assonanz; gente: -endre. Wiederholung desselben Wortes
in Reim fällt oftmals auf; wird man z. B. glauben, dass der Dichter
VV. 68 und 69 achoison gebraucht habe? Die Schreibung schwankt
mehrfach; so zwischen en und an, zwischen s und z im Auslaute; c
statt s und umgekehrt corrigierte ich der Deutlichkeit halber;
zwischen -aus (aiez, aux) und -ax als Wiedergabe von -eil's al’s
als zu entscheiden schien mir weder leicht noch nöthig.
Au tans anciennor, ice vous di pour voir,
Que la geilt ne savoient gaber ne decevoir,
Telle estoit la coustume, ce vous di ge pour voir,
Qu'au[x] viex liomes d'aage queroit on le savoir.
5 L'an li devoit bien querre le sanz selonc l'aage,
Qu'il amoient la pes et heoient l’outrage;
Or est li tanz muez, la loi et li usage;
Li jeune et li anfant sont ore li plus sage.
La loi est remuee, c'est sience perie;
10 Quant Salemon regna, qui fu roi de Surie,
Touz les viex homes fist ocirre par folie,
*
Car par soi vost avoir et sanz et seigneurie.
Ociz furent li viel de tonte la couronne;
La ot un damoisiau qui pitie avironne,
IS Le sien pere fist mestre par dessouz une tonne.
Ne vost tuer son pere, car n'estoit pas droiture;
Sor deffance le garde, lä se prouva nature,
1 Hs. ancien voir
8 Hs. iemie sagcs.
Hs. 7 li usages; der Plural nach dem Verbum wäre zulässig.
84 b
Ses mambres et sa vie en mist en aventure;
20 Puis en ot grant honneur, si com dist l’escripture.
Ociz furent li viel tbrs que im seullement,
Et li roys Salemon sanz nul delaiement
Au[x] juenes coumendoit a fere jugement;
Mes li juenne ne sorent fin ne commencement.
25 Li filz au viel preudome les clameurs escoutoit
Puis venoit ä son pere, trestout li racontoit;
De ce que li preudons faire li coumendoit
L'enfes devant le roi les jugemens faisoit,
Si que tuit li creantent et li rois l'otroioit.
30 Loiaute sauve l’oume qui it bien s’apareille,
Celui tient on ii sage qui ii bien l'ere veille;
Mes li rois Salemons durement s’esmerveille,
Se eil sanz vient de lui ou autres li consseille.
Esprouver le voudra li rois proucheinnement,
33 Oiez en quel maniere et pourquoi et coument;
Du roi li furent fet quatre coumandemant
Seur mambres et seur vie, seur ses eritemanz.
'Vassaus’ ce dit li rois 'entandez 5a ä mi:
Vendredi amenez a la cour vostre ami, 84 b
40 Vo serf, vo damoisel, vo mortel anemi;
Se ainssinc ne le fetes, ne seres mon ami.’
Cil se parti du roi qu'il formant redouta,
A son pere s'en vient, trestout li aeonta.
Quant li preudoms l’oy, tantost respondu a:
45 'Or iert cil encusez qui ceanz me bouta.’
'Et que c’est?’ dit li enfes 'nus ne le set par m’ame
Fors que Dieux seulement, vous et moi et ma fame.’
'Fiuz, li rois ce mescroit, qui des sages iert iennes
Se eist sens vient de toi qui ta parolle sames.
26 Hs. rascontoit Hs. 28 L'anfant 32 Hs. Salcmont 33 Hs. Ce eil.
36 Hs. fez . . . coumamlcmanz.
37 Hs. seur dessus eritemanz.
38 Hs. Massauz roiz.
40 Hs. sers.
48 Man kann auch icimcs lesen. Liegt etwa darin (jemma?
49 Hs. Ce. Das letzte Wort ist deutlich zu lesen. Was gemeint ist kann ich nicht nngehen.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 599
50 Par ce qu’il t’a rouve serai ge descouvers;
A la court iert mcnes tes arnes et tes sers,
Tes levriers et tes fiuz que tu vollantier sers;
Ta fame iert avec aus, par celle iers descouvers.’
Quant li anfes l’antant, moult s’an esmerveilla,
55 De ce qu'il li ot dit durement se saigna,
Pour sa fame soupire et des iex lermoia,
Ne sot que senefie, adonc le demanda.
'Pere’ dist li valles 'dites moi l'achoison 84 l!
Coument pourrai ouvrer ne par quel achoison;
60 Car ne voudroie mie pour le tresor Oton
Que vous fussiez seiiz dedanz ceste meson’.
'Biau fiuz, tu t’en iras a la court sanz atendre,
0 toy merras ton arne, ce te vueil faire entendre,
Ton levrier et ton fil, ta fame qui est geilte;
65 Chascun t’iert demande par soi pour faire entandre.
Ton arne tout premier au roi presanteras,
Diras que s'iert ton serf, bien creiis en seras;
Et ton levrier apres a toi appelleras,
Di que s’iert ton ami, ne le mescroira pas. <)
70 Mes quant ton anemi te couvendra nommer,
Lors dep[r]ie au roi que il t’en laist ester.
Se il ne le veut fere, lors pourras apeler
Ta fame anemi par devant lui moustrer.
Devant touz anemi cjamer te couvendra
75 Ta fame, lors verras coument se contandra;
Trestoute la responsse tantost descouverra;
Par li iers encuse et au roy le dira’.
Quant li anfes l’antant d’ire va tressuant, 85*
De ce qu’il li ot dire se courrou^a forment;
80 Poi s’an faut qu’ä son pere ne se prist erraument;
Non pour ce li dist il auques de son talent.
'Tesiez, pere’ dist il 'trop est gentil et franche’.
'Voire, fiuz. bien verras quelle en iert la prouvanche’.
52 Hs. Ton leurieur et ton f.
55 Hs. sainffna
*) Nach 6!) muss eine Strophe, in welcher vom Kinde die Rede war, ausgefallen sein.
600
Mussafia
Lors apresta son erre eil qui fu en doutance;
85 Aler veut a la court, dont ot duel et pesance.
A la voie s’est mis li damoisiau vaillant;
En lui a tel maniere, dont il l'u moult dolant.
Quant ii court fu venuz, lii trouva de tel geilt,
Dont ainssoiz qu’il s’en parte sera mout negligent.
90 Cil vint devant le roi qui le euer ot irie,
Son arne tint lez lui, mout l’ot bien acesme;
Au roi dit: 'Vez mon serf, que vous ai amend,
II n'iert ja contre moi, tant ne l’are pand’.
Au premerain coumant fu quites li donsiaus,
Apres montra son fil, qui ert et genz et biaus,
95 Au roi dist: ’Entandez, eist est mes damoisiauz, 85 l
De quant que puis et se li faz touz ses aviax’.
Apres prist son levrier, au roi l'ala moustrant:
'Roiz, vez ei mon ami, de ce me lo et vant;
De quanque il puet faire fait il le mien coumant,
100 Tant ne l'aurd battu qu’il ne reviegne avant’.
Des .iij. le clama quite li franz roiz Salemon;
Lors li dist li valles: 'Pour Dieu, roiz gentiz hom,
Pardonnez moi le cart, dont sui en soupegon’.
'Non ferai’ dist li rois 'pour le tresor Oton;
105 Ou avant l’amerras ou nostre amor define’.
Alee estoit la dame es ebambres la roine;
Li valles l’apella dollanz, la ebiere encline,
Ja orra la parolle que son pere destine.
Devant le roi l’amaine, puis li dist: 'A droiture
110 Vez ei mon anemi ii tort contre nature’.
'Vous mentez’ dist la dame 'coume laus et parjure;
Mout ai mal emploiee tonte la nourreture.
La nourreture ai je emploiee viexment,
Que j’ai fait ii vo pere, dont j’ai le euer dollant; 85'
115 Mes il n’iert plus cele d’ice jor en avant.
Hs. ce8t.
91 Hs. a8esme.
93 Hs. coument.
98 Hs. ces.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Paria. 601
Rois, faites en justice; n’i alez atandant.
Rois, .xi. anz l'ai garde par dedanz une croute,
Plus ne le vueil celer’ dist la Telle, l'estoute.
'Roi[s], faites lai inander’ dist la Telle, la gloute.
120 ' Voltentiers’ dist li rois, qui bien set ä cai inoute.
Tout maintenant fu pris et saisis li donziaux
Puis dist rois Salemons: 'Pire es que desloiax
Qui a sa Tarne conte ne dit touz ses aviaux
Qui le fait, sei compere; bien l'en doit venir maux’.
125 Pour le preudoume envoie tout maintenant li rois,
Et il vint ä la court, de inort fu en effroi;
Li rois quant il le vit eontre 1 ui va menois,
Si le baise et acolle plus de .1. fois.
Quant le preudome vit, grant joie demena,
130 Ses bras li inist au col et souvent le baisa,
Puis dist: 'Rien ait celui qui taut garde vous a;
Se il vit longuement, grant bonneur l’en croistra’.
Lors (ist celui venir qui sanz poor n’est mie; 85 d
Quant li rois l’a veü, si l’acolle et amie;
135 Puis li dist: Je te reut ta terre en ta baillie,
Pour ce que a ton pere as sauvee la vie’.
Mout fu li rois joieus du preudom qu’ot trouve,
Lors reg [ ] et dist par follete
Les fist touz mestre <\ inort et par iniquite;
140 Lors en a le vallet de bon euer mercie.
Par sa grant loiaute rot il son tenement
Et par le sanz son pere qu’il garda longuement;
Pour ce fet l’en rendi li rois son tenement
Et senescbal le roi Tu puis son vivant.
145 Mont conquiert grant bonneur li lioms qui est loiax,
Au vallet parut bien qui ne vost estre faux;
Pour les plus anciaus, dont li dis est roiaus,
149 Et pour essemple faire les fist -i. cardounaux.
118 IIs. dedam une crouste 121 = monte 123 11s. Salemont 123 Hs. tout 124
Hs. cel 128 IIs. foiz 129 Hs. li fr. 130 Hs. les 138 regi; das i ist unter-
punctirt; dann ein radirtes Wort. 139 Ist das zweite Hemistich richtig? 148
ancians?
149 Der Sinn ist mir nicht ganz deutlich. Der Dichter scheint zu sagen, ein Cardinal
602
M u s s a f i a
Sein 1 ähnlich ist die Erzählung bei Ratherius (X. Jahrh.) im
III. Sermo de octavis paschae, zuletzt abgedruckt in Haupt’s Zeit
schrift für deutsches Alterthum VIII, 21 *). Es wird erwünscht sein,
statt eines Auszuges den kurzen Text vor sich haben zu können:
Quidam rex iuvenis cum baberet exercituin et multitudinem sa-
pientum dumque nequirent quod iuvenibus competebat, sapientibus
stultitiam eorum reprirnentibus, agere, ihiierunt Consilium ut quisque
illorum patrem interficeret proprium. Actum est. Unussedillorum, non
tolerans tantum admittere scelus, dixit uxori suae: 'si patrem meum
interficio, ne consilio pereamus prodito non modice metuo’. Consensit
uxor ad servandam soceri vitam atque alendum in suo eum ccllario
locant. Imperat sane filio pater ut interrogatus a rege de quovis
consilio non antea responderet donec ad se illud referebat. Obtem-
perans igitur tarn industrius regis est consiliarius factus ut inviderent
illi omnes socii eius. Adeuntes itaque regem interminati sunt quod,
nisi eum interficeret, eos omnes absque dubio perderet. Tristissimus
rex consensit; quaesivit tarnen ab eis qua occasione id facere posset.
'Praecipe’ aiunt 'illi ut cras veniens non secum ducat nisi unum ser-
vum, unum amicum et unum inimicum’. Territushoc dicto, ille patrem
ex hoc sciscitaturus adivit. Pater vero 'ne contristeris’ inquit; 'sed
valde bonum prsepara nobis obsonium, Optimum de me accepturus
consilium’. Post prandium igitur dixit illi secretius pater: 'habes Op
timum asinum; illum pane vino et carne duc tecum onustum: habes
caniculam ad tua defendenda valde paratam; illam tecum habeto,
uxorem quoque adhibens tecum, asinum pro servo, canem pro amico,
uxorem of(erens pro inimico’. Agit, asinum assumsit, canem secum pa-
riter duxit, uxorem nec liquit. Regem adiit tristissimum, considerare
quae detulerat flagitans illum, 'iste’ inquiens'qui adstat onustus, meus
est servus; ille alter meus amicus; tertia meus est quo infestiorem
habere me spero neminem inimicus’. Audiens illa super ignem ait
accensa: 'inimicumne me tuum esse pronuncias? merito, inquam, quae
contra regis prseceptum tuo servavi patri, tibi obediens, vitam’. Ado-
habe die Mähre als Lehrbeispiel niedergeschrieben. Meint er damit etwa den gleich
zu erwähnenden Ratherius? Dieser kann aber seine unmittelbare Quelle nicht ge
wesen sein.
*) Schon Wolf, Altd. Bll. I 28, hatte darauf verwiesen.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 603
lescens ad regem conversus:' videturne vestrse maiestati inimicam hanc
esse mihi?’ Valde respondit ille : 'sed utrum verum sit volo ediscere’.
'Verum est’ ait 'gratias deo’ lsetissimus ille respondit. 'Curre igitur,
curre et mihi festina eum reducere’. Actum est. Consiliarius regis op-
timus redditur, adolescens a mortis instante periculo liberatur, uxor
est non amare iuvenem, ut videbatur, detecta, quse fore utique ami-
cissima putaretur, nisi taliter probaretur.
Es fehlt liier also das Kind als Lustigmacher. Dasselbe findet
sieb wieder in der Scala coeli des Johannes Gobii, gewöhnlich Jo
hannes Junior genannt. Bei der Seltenheit des Werkes halte ich es
für nützlich, die Erzählung hielier zu setzen. Ich bediene mich dabei
des Incunabeldruckes, Ulm 1480, und der erst neulich erworbenen
Wiener Hs. Suppl. 2636.
liefert Heraclius quod fuit quidam rex multuni juvenis et ideo
juvenum consilio utebatur. Unde de eorum consilio ordinationem fecit
quod omnis homo sexagenarius interficeretur. Et quia in illo consilio
erat unus juvenis, qui hahebat unum patremi) militem, ne interficeretur,
occultavit eum in Camera suae uxoris. Et quia 2) iste juvenis omnia
secreta revelabats) patri et pater cum esset prudentissimus eum in-
tormahat quid respouderet in consilio, tanquamprudentiorinteromnes
lionorahatur a rege. Tandem aemuli instigantes regem contra eum *), ju-
veni rex mandavit ut ad eum accederet cum suo servo, cum suo jocula-
tore, cum suo amico et cum inimico suo. Qui habito consilio cum patre,
asinum pro servo duxit, filium unicum pro joculatore, canem pro
amico, uxorem pro inimico. Quod illa aspiciens, statim incepit cla-
mare: Si essem inimjeus vester, octo anni sunt quod fuissetis sus-
pensus, eo quod patrem vestrum contra praeceptum regis vivum ser-
vastis. Tune juvenis: Eccedomine mi rex, jam 5 ) apparetquod inimicus
meus est. Tune rex scita veritate, quod a patre sene juvenis tarn bona
consilia hahuisset, jussit ut senes viverent et in consilio ponerentur.'
Im Dolopathos (ed. Brunet u. Montaiglon, S. 225; auch bei Le
Roux de Liney, S. 191; deutsch in den Altd. Blättern I 149) finden wir
f) patrem fehlt im Drucke.
~) quia fehlt im Drucke.
; ‘J Druck revelavit.
4 ) eum fehlt im Drucke.
5 ) Druck quod jam.
-Sitzh. (I. phil.-hist. CI. l.XIV. Bil. III. Hft.
40
604
M u s s a f i a
eine Version, in welcher die Scene nach Rom verlegt wird. Die Stadt
wird belagert und grosser Mangel an Lebensmitteln macht sich fühl
bar; da lässt der junge König auf Anrathen seiner Altersgenossen alle
alten Leutetödten. Nur ein junger Mann, im Einverständnis mit seiner
Frau, versteckt seinen Vater in einen unterirdischen Raum. Nach ge
schlossenem Frieden herrscht grosse Unordnung in der Stadt, welche
nur von jungenLeuten regiert wird. Der alte Mann, dem sein Sohn Alles
berichtet, zeigt ihm den Weg zum Besseren. Der Sohn lässt die em
pfangenen Rathschläge hei Hofe gelten; tant se pena en tel moniere
Que moult mist le roi ä mesure Tant k'il /ist reson et droiture . . .
Li rois Vama et einer le tint .... N'i ot md ke il amast tant. Die
anderen Höflinge, neidisch darüber, argwöhnen der Alte lebe noch,
von ihm kämen die weisen Lehren. Sie wagen nicht, auf diese blosse
Vermuthung hin, den jungen Mann des Ungehorsams anzuklagen,
und ersinnen eine List. Sie ermuthigen den König, ein Fest auszu
schreiben, hei welchem Jeder Freund, Feind, Diener und Lustigmacher
mitnehmen soll; denn sie denken, der verhasste Gefährte wird gewiss
den Alten als seinen besten Freund mitnehmen. Letzterer aber durch
schaut die List, und sagt seinem Sohne: er solle den Hund, den Esel,
das Kind und die Frau mitnehmen. Als die Frau sich als Feindin be
zeichnen hört, verräth sie Alles.
Manche Eigenthümlichkeit im Gange der Erzählung bietet die
letzte der Cento novelle antiche.
Ein junger König hatte ein Mädchen geheiratet, die mehr zum
Bösen als zum Guten geneigt war. Die Gegenwart eines alten Rath
gebers des Königs wird ihr lästig, und sie überredet ihren Gemahl,
alle Männer über sechzig Jahre tödten zu lassen. Nach einiger Zeit
hat der König einen unheilverkündenden Traum; er beruft seine
Räthe; sie sind aber alle jung, und vermögen nicht den Traum zu
deuten. Da werden nach einem benachbarten Lande, wo [Viele alte
Leute lebten, Boten gesandt. Diese erhalten zur Antwort, der König
solle seine Unterthanen auffordern, an einem bestimmten Tage bei
Hofe mit Freund, Feind und Lustigmacher zu erscheinen; wenn sich
Einer fände, der diese Aufgabe zu lösen verstünde, der würde auch
den Traum deuten können. Nun hatte ein junger Manu seinen Vater
geschont und in einer geheimen Kammer versteckt; seine Frau hatte
Kunde davon erhalten. Auf Anrathen des Vaters bringt er zum König
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 605
den Hund, das Kind, die Frau; und gibt die bekannten Erklärungen.
Der Alte wird darauf befreit.
Enenkel erzählt die Mähre mit vielen Abweichungen; darin, dass
nicht der König aus eigenem Antriebe oder auf Anstiften der Neider
die Aufgabe stellt, sondern dass nach einer fremden Stadt um Rath
geschickt wird und von dorther die Aufforderung zur Erfüllung der
Aufgabe kommt, liegt ein Berührungspunkt mit den Cento novelle. Der
Text steht bei Massmann, Kaiserchronik III 405, abgedruckt: hier
einen Auszug, den ich meinem werthen Freunde J. Strobl verdanke.
Zu Rom sassen die Alten an den Rath und sandten die Jungen
in den Krieg. Nachdem die Feinde bezwungen waren, meinten jene
es sei durch ihren Rath geschehen, dass sie die Völker unterworfen
hätten. Die Jungen schrieben es allein ihrer Tapferkeit zu. Das that
den Alten weh. Streit und Hass herrschten seitdem. Die Jungen san
nen, wie sie es zur Gewissheit brächten, dass sie die Völker besiegt.
'Tödten wir unsere Väter’, rief einer, 'dann werden wir ihre Weisheit
seilen’. Der Rath wird angenommen und ausgeführt; nur einer war
unter ihnen, dem es missfiel und der ein gutes Herz hatte. Der ver-
räth seinem Vater den Anschlag, versteckt ihn in seine Kemenate
und erhält ihn am Leben. Den anderen sagt er, er habe seinen Vater
getödtet. Den feindlichen Fürsten, als sie das erfuhren, war es lieb
und nicht leid. Sie gewinnen ihre verlorenen Reiche von den Römern
wieder zürück. Der brave Sohn erzählt das seinem Vater, der das
Unglück als eine Folge des Mordes erklärt und ihn ermahnt seinen
Freunden zu rathen, aus einer anderen Stadt einen weisen Mann
herbeizurufen, der guten Rath ertheilen könne. Den Jungen gefällt
der Vorschlag ihres Freundes und sie senden nach einem solchen
Manne, dem sie unterthan sein wollen und reichen Lohn bieten. Dem
sagen die Boten auf seine Frage nach den Altlierren Roms, diese
seien todt und versprechen ihm Treue. Darauf geht er mit ihnen. In
Rom reich empfangen, erhält er nochmals eidliche Zusicherung des
Gehorsams und verlangt, es solle jeder drei Dinge mitbringen: das
treuste was er habe, das ungetreuste und den besten Spielmann. Dem
Jungen räth sein Vater, sein Kind und seinen Hund mitzuführen,
und sein Weib hinter ihm nachgehen zu lassen. So kommt er vor
den Hauptmann’, der ihn alsbald bei der Hand fasst und aus der
Reihe der andern, die ebenfalls herbeigekommen waren, herausführt.
Das ist wohl ein weiser Mann, der diesen Rath ertheilt. Das Hund-
40 •
lein dgs ihr es alle wisset, ist das treuste. Schlüge er ihm jetzt einen
Fuss ab, dass er hinken muss, es hinkte doch zu ihm und schwäre
es an allen Gliedern, es thäf ihm doch leid wenn seinem Herrn übel
es geschähe. Untreu dagegen ist des Mannes Weib, schlägt er sie
um ihrer Missethat willen, so sähe sie gerne, wenn ihm ein Leid ge
schehe, ja wenn er das Leben verliere. So ist der beste Spielmann
ein braves junges Kind, kein andrer kann sieh ihm vergleichen, wenn
er seinem Vater lieb ist’. Er wisse wol, fährt der 'Hauptmann’fort,
dass ein so junger Mann so weisen Rath nicht finden könne, und fragt
wer ihm denselben gegeben. Des Jungen Weil) verräth es. Sie habe
selbst den Vater vom Tode erretten helfen, nun habe er gerathen den
Hund ihr vorzuziehen, und so möge er denn sterben. In diesen
Worten findet der 'Hauptmann’ eine Bestätigung dessen, was er
über das Weib gesagt und fordert die Römer auf, den alten Vater zu
ihrem Führer zu nehmen. Sein Rath wird angenommen.
Betrachtet man die bisher angeführten Versionen näher, so
wird man bald gewahr, dass hier zwei märchenhafte Stoffe zu
Einer Erzählung vereinigt sind:
I) „Ein trotz Verbot geborgener Greis erweist sich durch klugen
Rath in der Zeit der Noth als Retter“. So Reinhold Köhler, welcher
diese Sage in Wolfs Zeitschrift für deutsche Mythologie (II 110)
bespricht und Festus (ed. Müller S. 334), den Pseudo-Callistenes
(Buch II, Cap. 39—40), ein walachisches Märchen (Schott, S. 152)
und Ratherius anführt. Dazu wäre Justinus, XVIII., zu halten, woraus
das Libro de los Enxemplos, (Nr. 347), Johannes Gallensis (Pars
II, Dist. I, Cap. 4), Vicentius Kadlubek und gewiss manche Andere
schöpften.
Die Ursache des Todes der Alten wird in unseren Versionen
verschieden angegeben: bei Ratherius, in der Scala coeli und in dem
franz. Gedichte wollen die Jungen (in den Cento novelle bloss die
junge Königin) sich der lästigen Ermahnungen der Alten entle
digen; im Dolopathos zwingt Hungersnoth die Anzahl der Einwohner
der Stadt zu vermindern; bei Enenkel endlich bildet Rivalität in Be
zug auf Siegesruhm den Beweggrund zum Morde. Das franz. Gedicht
bezieht die Geschichte auf Salomon (wol eine Verwechselung mit
Roboam, dem von den Jungen schlecht berathenen Könige); Dolo
pathos und Enenkel verlegen die Handlung nach Rom; die anderen
Versionen wissen weder von Ort noch von Zeit der Begebenheit etwas.
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 007
II) Eine riithselhafte Aufgabe, welche zunächst darin besteht,
den besten Freund und den ärgsten Feind vorzuf(ihren, wird dadurch
gelöst, dass als der erste der Hund, als der zweite aber die Gemalin
bezeichnet wird. Die vorzuführenden Wesen können um eines oder
um zwei vermehrt werden; das eigentliche Gewicht der Erzählung
fällt aber lediglich auf die zwei ersten.
Es gibt dann eine zweite Gruppe von Versionen, welche nur den
unter II) angeführten Stoff behandeln. Da heisst es bloss, dass Einer,
dem eine Strafe angedroht wird, Verzeihung nur dann erwirken
kann, wenn er die Aufgabe löst. Die Frau muss hier etwas Anderes
zu verrathen haben, und da finden wir immer, dass der Mann ihr
vorspiegelt, er habe einen Mord begangen. Diese zweite Gruppe hat
auch das Eigentümliche, dass nicht bloss zwei (oder drei, hier nie
vier) Wesen vorgebracht werden müssen, sondern zu dieser Aufgabe
noch eine zweite anders geartete hinzutritt, welche aber— aus anderen
Erzählungskreisen geholt — nur zur Ausschmückung dient und mit
dem inneren Wesen der hier in Rede stehenden Mähre nichts zu
thun hat. Diese zweite Gruppe besteht aus folgenden eng zusam
menhängenden Versionen:
Die Gesta Romanorum (lat. und deutsch 124, Violier 148,
Swan II 164) erzählen:
Ein Ritter, der den König schwer beleidigt hatte, erhält nur
unter folgenden Redingungen Gnade: er solle zum Hofe halb zu Ross
halb zu Fuss kommen i) und mit sich Freund, Feind und Lustigmacher
bringen. — Der Ritter hatte in einer Nacht einem Reisenden Her
berge gewährt, der viel Geld bei sich hatte. Er verabredet mit seiner
Frau, den Fremden zu ermorden. Dann besinnt er sich eines anderen,
lässt den Reisenden fortziehen, schneidet eins seiner Kälber in
Stücken und steckt es in einen Sack; seiner Frau sagt er, er habe
darin die Arme und Beine des Ermordeten, den Körper habe er im
Stalle vergraben. Zu Hofe begibt er sich nun mit seinem Hunde (über
dessen Rücken er das rechte Rein legt als oh er ritte, während er
mit dem linken auf der Erde geht), mit seinem kleinen Kinde, und
mit seiner Frau. Die erste Aufgabe hat er durch die Art seines Auf
tretens gelöst; auf die Frage nach seinem besten Freunde antwortet
0 Ülier diese und ähnliche Räthselaufgaben siehe Grimm, KHM. III 171, 298.
608
M u s s a f i a
er dadurch, dass er mit dem Schwerte dem Hunde eine schwere
Wunde versetzt und ihn dann zurückruft; der Hund kommt willig
zurück. Der Ritter sagt darauf, warum das Kind sein Lustigmacher
sei. Befragt wer sein ärgster Feind sei, gibt der Ritter der Frau eine
Ohrfeige, indem er ihr vorwirft, sie sehe den König frech an. Darauf
entdeckt sie den vermeintlichen Mord; beim Nachsuchen findet man
nur das Kalb.
Bei Pauli, Schimpf und Ernst 423 '), nimmt der Angeklagte
sein Pferd (einen Fuss hält er auf dem Stegreife, den anderen auf
der Erde), seinen Hund und seine Frau mit. Das Kind fehlt. Auch ist
hier nicht von einem Reisenden, der sich wirklich hei den Eheleuten
eingefunden haben soll, die Rede, sondern der Mann sagt seiner Frau
im Allgemeinen, er habe einen Mord begangen. Die Reihenfolge ist
auch verschieden als in den Gesta und in den Erzählungen der ersten
Gruppe. Zuerst wird die Frau, weil sie den Richter frech ansehe, ge
schlagen, dann erst der Hund verwundet 2 ).
Alle diese kleinen Abweichungen finden sich wieder bei
Hans Sachs im Schwanke 'Der Hecker mit den drey seltzamen
Stücken’, welcher aber wieder den Eingang dadurch verändert,
dass er angibt, worin die Beleidigung des erzürnten Herrn bestanden
habe. Während einer grossen Theuerung im Frankenlande gebietet
der Pfleger auf einem Schlosse, kein Häcker dürfe bei einer Strafe
von drei Gulden zum Wein gehen. Indessen kümmert sich ein solcher,
der allerlei Schwänke trieb, um dieses Verbot nicht. Die Geldstrafe
kann er nicht bezahlen; drei Wochen im Thurme sitzen will er nicht,
denn wer wird indessen Weih und Kind ernähren? Der Pfleger meint,
die Strafe würde dem Häcker erlassen werden, wenn er die bekannten
Aufgaben löst.
In Bezug auf die Scene, welche bei der Vorführung des Hundes
und der Frau stattfindet, bemerken wir einen Unterschied zwischen
den zwei Gruppen. Ratherius und Johannes Junior sagen bloss: Diess
0 ed. Österlej-, Stuttgart 1866. Man sehe im Anhänge die zahlreichen Nachweise.
2 ) Grimm, a. a. 0., verweist auch auf ein altd. Gedicht in der Pfiilz. Ils. 336, welches
die gleiche Sage behandelt.
Über eine altfranzösisehe Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 609
ist mein Freund und Diess mein Feind“, Dolopathos sagt vom Hunde
ausführlicher: Se jel bat, il le souffera Et, separ aucane ocaisonLe
chassoie fors de maison, Ja si fort batu ne Vanroie Se doucemant le
rapeloie Que volentiers ne revenist; ähnlich, wenn auch kürzer, unser
FabliauV 100. Die Cento novellegehenum einen Schritt weiter. Es han
delt sich nicht bloss um einfaches Schlagen, sondern „Se io taglieröe
a questo mio cane il piedc, s'io il chiamerbe poi e mostrerolli belli
sembianti, elli mi seguirä volentieri con amore.“ In Bezug auf die
Frau fasst sich Dolopathos ganz kurz: pur mon ennemi pior S'ai ci
via ferne amenee; eben so Fabliau V. 111. Das Novellino ist ausführ
licher; mit rhetorischer Breite werden die Gründe angegeben, warum
wir in den Frauen unsere erbittertsten Feinde erblicken müssen;
vom Schlagen der Frau verlautet aber nichts. Enenkel, welcher die
Eigenthümlichkeit bietet, dass nicht der junge Mann, sondern der
'Hauptmann’, vor dem die Vorstellung stattfindet, die Bedeutung der
einzelnen Wesen erklärt, spricht vom Schlagen nicht bloss in Bezug
auf den Hund (hier eigentlich vom Abschlagen eines Fusses, worin
eine weitere Ähnlichkeit mit dem Novellino sich erkennen lässt), son
dern auch in Bezug auf die Frau, wodurch der Gegensatz prägnanter
wird. Die zweite Gruppe lässt dann an die Stelle der blossen Andeu
tung die Thatsache seihst eintreten. Hier ist dann noch ein Un
terschied zu bemerken. Die Gesta sagen noch, wie alle Versionen der
ersten Gruppe, dass der Mann seine Frau ausdrücklich als seine ärg
ste Feindin angibt; und diess kann allerdings als Entschuldigung der
Gattin dienen, welche schwer beleidigt, in der Aufwallung eines ge
rechten Zornes, ihren Gemal anklagt. Mit feinem Gefühle haben da
her Pauli und Hans Sachs diesen Zug weggelassen; der gestellten
Aufgabe geschieht hier vor dem Richter keine Erwähnung; ein blosser
Schlag, der als gerechte Züchtigung gelten soll, genügt, damit die
Frau ihren Mann sicherer Todesgefahr preisgebe, während der Hund
ohne alle Ursache tödtlich verwundet wird und sich dennoch voll
Liebe erweist. Die nämliche Bemerkung finden wir in einer der
neuesten Darstellungen der Mähre, welche zugleich die überflüssige
Zuthat der zweiten Aufgabe ausschliesst, und sich auf das Wesent
liche— den Gegensatz zwischen Hund und Frau — beschränkt. Darin
und in der ganzen Art der Darstellung erkennt man den späten Be
arbeiter, welcher den volkstümlichen Stoff wirksam und überzeu-
610
M u s s a f i a
gern] zu behandeln sich bemüht. Diese Version findet sich hei Schre-
ger, Zeitvertreiber, Stadt am Hof 1783, S. 635 und wir lassen sie
hier gerne folgen.
Ein gewisser fürnehmer Graf wurde aus Verschwärzung von
dem kaiserlichen Hof Maxentii verstossen; jedoch mit dieser Bedin
gung, dass wenn er seinen ärgsten Feind und seinen besten Freund
innerhalb drei Tagen dem Kaiser vorstellen würde, er wiederum sollte
zu Gnaden aufgenommen werden. Der Graf besinnte sich Tag und
Nacht, wie er dieses anstellen wollte. Endlich stellte er sich, als
hätte er einen fürnehmen Ritter auf seinem Gute ermordet und ihn
seines Geldes beraubt; gab also seiner Frau Gräfin den abgenommenen
Beutel voll Geld und verbot ihr bei Leib und Leben, keinem Menschen
etwas davon zu sagen, welches sie auch heilig zu halten versprochen.
Den dritten Tag ging der Graf nach Hof, nahm seine Gräfin und
seinen Hund mit sich. Kaum, da er in das Zimmer zu dem Kaiser ge
kommen, fing er an seinen Hund erbärmlich zu schlagen; der Hund
aber hat auf jeden Schlag seinem Herrn Grafen die Hände abgeleckt
und tausend Zeichen der Liebe erzeigt. Die Gräfin, welche nicht
wusste worauf der Handel abgesehen, gab ihrem Herrn einen scharfen
Verweis, dass er im Angesicht des Kaisers sich also närrisch stelle und
einen so grossen Tumult mit dem Hunde mache. Der Graf, nicht faul,
Hess von dem Hunde ab und gab der Gräfin eine brackete Ohrfeige.
Die Gräfin ganz rasend: „Wie!“ sagte sie „ist dir, du Schelm, du
Dieb, du Mörder, noch nicht genug, dass du erst vor drei Tagen einen
reisenden Edelmann so jämmerlich ermordet und seines Geldes be
raubt hast?“ Zog darauf den Geldbeutel heraus, zeigte selben dem
Kaiser und erzählte ihm den ganzen Verlauf. Alsdann fing der Graf
an zu dem Kaiser also zu reden: „Hier sehen euer kais. Majestät
beisamm beide, meinen besten Fre Aid und meinen ärgsten Feind.
Mein bester Freund auf der Welt ist mein Hund; denn ob ich selben
schon hart geschlagen, wie Ihr Majestät selbst mit Augen gesehen,
so hat er mir doch alle Treu und Liebe erzeiget. Mein Weib
ist aber mein ärgster Feind ; denn diese, ob sie mir schon
mit ehelicher Treu von sich selbst verbunden und erst vor drei
Tagen heilig versprochen, Niemand etwas von diesem Todschlag
zu sagen, so hat sie doch Alles geoffenbaret, und zwar nur wegen
einer einzigen Ohrfeige“. Dieser sinnreiche Fund gefiel den Kaiser
Über eine altfranzösische Handschrift d k. Universitätsbibi, zu Pavia. 611
also wol, dass er diesen Grafen wiederum in seine vorige Eliren-
stelle eingesetzt hatte.
Zu diesem Erzählungskreise gehört dann auch eine Andeutung
in dem spanischen Buche du In reyna Sebillu. Galalon verdächtigt
das Zeugniss des Hundes, da erhebt sich der weise Herzog Jaymes,
verweist Galalon seine Rathschläge und sucht die Treue dieser
Thiere durch das Beispiel Merlin's zu beweisen, „der einst von dem
Kaiser Ropla (K. von Roma?) nur unter der Bedingung aus der Ge
fangenschaft entlassen wurde, dass er seinen Feind, seinen Freund,
seinen Lustigmacher und seinen Diener an dessen Hof bringe, und
der dann sein Weib, sein Kind, seinen Esel und seinen Freund dem
Kaiser vorstellte“ i).
Es ist nicht leicht zu ersehen, welcher Gruppe diese Version
gehört; der Anzahl der Wesen nach schiene sie zunächst der ersten
anzugehören; darin, dass keine Erwähnung vom geretteten Alten
vorkommt, und es nur im Allgemeinen heisst, dass die Lösung der
Aufgabe den Angeklagten von einer angedrohten — hier schon an
getretenen — Strafe befreien soll, kann man einen Berührungspunkt
mit der zweiten Gruppe erblicken.
Folgende Tabelle mag uns das gegenseitige Verhältniss der ein
zelnen Versionen in Bezug auf die gestellten Aufgaben veranschau
lichen :
*) Siehe F. Wolf, Über die neuesten Leistungen der Franzosen u. s. w., S. 133. Hier
mag- nocli Zinkg-räf (Weidner) Apophtegmata, Amsterdam, 1653—1655, IV 255
angeführt werden: f NN. war von einem zu gast geladen mit begehren, dass er sein
besten freundt und ärgsten feundt solle mitbringen; das thät er und brachte seinen
Hunt und Frau mit 5 ; wie dies begründet worden sei, wird nicht gesagt. Endlich
wollen wir bemerken, dass die so oft wiederholte Behauptung auch im altvenez.
Tristan (Hs. der Wiener Hofbibi. 3325) vorkommt; nur passt hier der Satz zur
Erzählung nicht; denn der Hund zeigt wohl seine bekannte Anhänglichkeit, die
Frau ist aber nichts weniger als feindlich gegen ihren Mann gesinnt; vielmehr
leidet sie den Tod um die geschworene Treue nicht zu brechen. Um die Anmerkung
nicht übermässig lang werden zu lassen, theile ich die betrelFende Stelle
im Anhänge mit. Auch verzichte ich darauf, auf alle Erzählungen hinzu
weisen , worin der Gegensatz vorkommt, welcher die Grundlage der bisher
besprochenen Mähre ausmacht; der Hund erkennt früher als die Gattin den
rückkehrenden Odysseus.; Ydain in der Vengeance de Raguidel wechselt leicht
fertig den Gegenstand ihrer Liebe, während die Hunde treu zu ihrem Herrn
halten u. s. w.
612
M u s s a f ia
I. Aufgabe bei beiden Gruppen.
1. Gruppe 2. Gruppe
Freund Rath. Scala Fabl. Dol. Novell. Enk. Merl. Gesta Pauli H. Sachs Schg.
Feind Rath. Scala Fabl. Dol. Novell. Enk. Merl. Gesta Pauli H. Sachs Schg.
Diener Rath. Scala Fabl. Dol. Merl.
Lustigm. Scala Fabl. Dol. Novell. Enk. Merl. Gesta
II. Aufgabe der 2. Gruppe:
halb gehend halb reitend
i wieder Hund
Pferd
Gesta
Pauli H. Sachs
Fasst man den Zug in’s Auge, dass ein Mann, der seiner Frau
ein wichtiges Geheimniss anvertraut hat, dadurch in Todesgefahr
geräth, so finden wir einen Zusammenhang zwischen den bisher
aufgezählten Erzählungen, besonders der zweiten Gruppe, und den
folgenden:
Bei Straparola, Notti I 4, liest man:
Ein Edelmann aus Genua schärft auf dem Sterbebette seinem Sohne
Salardo drei Lehren ein: er solle seiner Frau kein Geheimniss an
vertrauen, kein fremdes Kind adoptieren, sich der Botmässigkeit
eines absoluten Herrschers nicht unterwerfen. Salardo nimmt aber
trotzdem Postumio an Kindes Statt an und begibt sich an den Hof des
Marquis von Monferrato, welcher ihm die zärtlichste Liebe bezeugt.
Salardo meint bei sich, zwei der Ermahnungen seines Vaters hätten
sich als grundlos erwiesen; er will sehen wie es sich mit der
dritten verhalte. Er nimmt den schönsten Falken des Marquis weg
und versteckt ihn, seiner Frau zeigt er aber einen anderen todten
Falken, indem er vorgibt, es sei jener des Marquis; sie solle ihn
für das Mittagsmahl richten und das Geheimniss bewahren. Die
Frau macht ihm über seine Handlung Vorwürfe und will vom Falken
nicht kosten; darauf schlägt er sie in’s Gesicht. Da verklagt sie ihn;
der Marquis verurtheilt ihn zum Tode; seine Habe solle unter der
Frau, dem Sohne und dem Henker vertheilt werden. Da erbietet sich
Postumio als Henker. Ein treuer Diener (hier gleichsam als Seiten
stück zum Hunde) nimmt sich Salardo's an, dem es leicht wird,
durch Vorzeigen des lebenden Falken seine Freiheit wieder zu er
ringen ').
*) Das schwedische Volksbuch, dessen ausführlicher Titel bei Rückstrom Svenska folk-
böekeiS. 89 der Öfvcrsujt, mitgetheilt wird, floss, wie Bückström selbst erkannte,
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. Universitätsbibl. zu Pavia.
(513
Grosse Ähnlichkeit damit hat eine im Trattato dell’ ingratitu-
dine e di molti esempli d'essa 3 ) enthaltene Erzählung:
Ein Baron findet in einem Buche drei Sprichwörter: Binde
keinen Gehängten los, denn er wird dich aufhängen; die zwei
anderen, von der Frau und Herrengunst, wie hei Straparola. Der
Baron begibt sich in ein fremdes Land, erwirbt sich die Liebe des
Königs und erwirkt die Verzeihung eines Ritters, welcher gerade auf
gehängt werden sollte. Der König schenkt dem Barone einen kost
baren Ring, verbietet ihm aber bei Todesstrafe, Diess wem immer
zu erzählen. Der Frau gelingt es jedoch ihm dasGeheimniss abzulocken,
und hei dem ersten geringfügigen Streit verräth sie den Gemal.
Dieser soll nun aufgehängt werden. Niemand will sich zum Henker
des Unschuldigen herbeilassen, da meldet sich der einst von ihm Befreite.
— Die Hs.-, welcher der Tractat entnommen, gehört dem XV. Jahr
hunderte; es ist aber sehr wahrscheinlich dass das Werk selbst
noch in’s XIV. Jahrhundert zurückreiche.
Dem XIV. gehört ohne Zweifel das Livre du Chevalier de
la Tour Landry (zuletzt herausgegeben von A. de Montaiglon,
Paris 18(54), in dessen letzten Capitel erzählt wird, dass Cato
seinem Sohne Catonnet die nämlichen drei Lehren gibt, wie im
Trattato. Catonnet nimmt aber Dienste beim Kaiser von Rom an
und befreit einen Dieb, den man zum Galgen führte. In der Nacht
hatte er manchen Traum, der ihn an die Lehren seines Vaters
mahnte, die er nicht befolgt; um in Bezug auf die dritte seine Frau
auf die Probe zu stellen erzählt er ihr, er habe den ihm anvertrauten
Sohn des Königs getüdtet und dessen Herz den Altern zu essen ge
geben. Die Frau verspricht zu schweigen; bei Tagesanbruch aber
vertraut sie Alles einer Freundin an, welche ihrerseits läuft dem
Kaiser die furchtbare Kunde zu bringen. Der König befiehlt
Catonnet solle gleich gehängt werden; letzterer meint aber,
solcher Übereilung bedürfe es nicht, man möge am morgigen
Tage vor dem ganzen Volke die Untersuchung pflegen; er schickt in
dessen einen Boten den Königssohn abzuholen, welchen er der Obhut
aus Straparola. Ein arabischer König gibt auf seinem Todtenbette dem Sohne die
drei Lehren.
2 ) Aus einer Hs. der Ambrosiana, ed. Ceriani im Propugnatore II 401.
614
M u s s a f i a
eines befreundeten Edelmannes anvertraut hatte, und sorgt dafür,
dass bis zum Eintreffen de,s Prinzen der Henker sich versteckt halte.
Als am morgigen Tage Catonnet zum Galgen geführt werden soll,
findet sich der Henker nicht, und nun erbietet sich zu diesem Dienste
der befreite Dieb. Indessen kommt der Königssohn und Alles klärt
sich auf.
Dieser Fassung schliesst sich zunächst Hans Sachs an im Schwanke
'Von dem Marschalk mit seinem Sohn’. Sophus, Marschall des Kaisers
Vespasian, gibt in der Todesstunde seinem Sohne drei Lehren: die
vom Dieb und der Frau wie bei La Tour; dann solle er Niemanden
zu Gast einladen, der mächtiger sei als er. Pamphilus aber befreit
einen Dieb, und ladet Vespasianus und Titus zu Tisch; das Gefolge
stiehlt ihm sein kostbares Geschirr. Da will er die Frau erproben;
er führt Titus zu einem Mädchen, die er für eine Gräfin ausgibt, und
der er die Weisung gab, den jungen Mann drei Tage bei sich zu be
halten. Titus wird vermisst; Pamphilus zeigt seiner Frau einen Sack,
worin ein todtes Kalb war und sagt ihr, es stecke darin der Leichnam
des Kaisersohnes, den er im Zorne erschlagen habe. Die Frau sagt's
einer Freundin, diese ihrem Gemale, die Sache wird ruchbar. Zum
Henker erbietet sich der Dieb.
Die Version bei La Tour und Hans Sachs unterscheidet sich zu
ihrem Nachtheile von den zwei früheren; denn hier verurtheilt der
Herrscher seinen Liebling zum Tode nicht etwa einer geringfügigen
Ursache, sondern eines grossen Verbrechens wegen. Höchstens kann
ihm der Vorwurf der Übereilung gemacht werden, wobei ihn wieder
der Schmerz um den ermordeten Sohn füglich entschuldigen kann.
Dem Geiste der Erzählung aber ist es angemessen, die Wahrheit
der eingeprägten Lehre, dass absolute Herrscher nur nach ihrer
Laune handeln und jede, wenn auch so geringe Unbill an ihren besten
Freunden mit den schwersten Strafen rächen, auf die schärfste und
überzeugendste Art zu beweisen. Wir möchten darin schon eine Ent
artung derSage erblicken, und haben daher die Version desRitters 'vom
Thurme’, obwol chronologisch älter, nach der von Straparola ange
führt. Geringere Wichtigkeit möchten wir dem Verhalten des Weibes
beimessen. Allerdings scheint es wenig wahrscheinlich, dass eine Frau
ein Geheimniss verplaudere, dass auch ihr zu grösstem Schaden ge
reichen muss; indessen ist diess ein ächt schwankmässiger Zug,
welcher durch Übertreibung an Wirksamkeit gewinnt. Dass aber der
Über eine altfranzösische Handschrift d. k. UniversiUitsbibl. zu Pavia. 6 1 S
Zorn über eine geringfügige Beleidigung die Frau dazu treibt ihren
Mann anzuklagen, ist freilich wahrscheinlicher und entspricht mehr
den Erzählungen von Hund und Frau. Mit der zweiten Gruppe der
letzteren berühren sich wieder näher La Tour und Hans Sachs durch
die simulirte Mordthat (Hans Sachs bewahrt den traditionellen Zug des
Kalbes im Sacket), La Tour hat eine Erinnerung an die Sage des
gegessenen Herzens); bei Straparola, der kein so schweres Ver
brechen annahm, vertritt der todte Falke das Kalb, der lebendige
dagegen die des angeblich Gemordeten; der Zug im Trattato dell'
ingratitudine rührt wohl nicht vom Verfasser her.
Zum Schlüsse möge erwähnt werden, dass ähnliche Verbote
häufig wiederkehren:
In der Hervarasage (ed. Biörnonis, Hafniae 1785, S. 84 ff.)
unter Anderen; Einem nicht zu Hilfe kommen, der seinen Landes
herrn verräth oder seinen Gefährten ermordet (= Niemanden vom
gerechten Tode retten); der Beischläferin (=Frau) kein Geheimniss
anvertrauen; kein Kind eines vornehmen Mannes (= fremdes Kind
überhaupt) adoptieren; keine Einladung zu Tische von Seite eines
vornehmen Mannes annehmen (= ihn nicht zu Gast bitten). Eben so
bei Gautier Mapes, Nugae curialium II 31 -). Ein Seneschail von
Frankreich schärft seinem Sohne unter anderen Lehren folgende ein:
Non liberabis justo condemnutum judicio 3 ).
Damit stehen im Zusammenhänge Sacchetti XVI, Cent nouvelles
nouvelles 411 u. s. w. 4 ); drei Verbote des sterbenden Vaters werden
vom Sohne übertreten, welcher dann drei Warnungszeichen in seinem
Saale aufhängt. Da aber hier von Schweigsamkeit gegen die Frau
nichts vorkommt, so hat diese Erzählung mit dem Fabliau, von dem
wir ausgegangen, nichts mehr gemein, und es genügt demnach auf
dieselben verwiesen zu haben. Dasselbe thun wir in Bezug auf jene
Mähren, in welchen Lehren (gewöhnlich drei) ertheilt werden, deren
Übertretung Schaden bringt — z. B. Petrus Alphonsus ed. Schmidt
*) So z. B. in der Erzählung „der halbe Freund“ bei P. Alphonsus.
2 ) Ed. Wright 1850 für die Camden Society. Der Text der betreffenden Erzählung
ist leider verstümmelt. Es dürfte in der Hs. ein Blatt ausgefallen sein.
8 ) Vgl. Liebrecht in Pfeiffer’s Germania II 244.
4 ) Vgl. Schmidt zu Straparola, S. 291 ff.
616
M u s s a f i a
XXIII; dazu Uhland, Schriften III 101 — oder deren Befolgung vor
Schaden wahrt — siehe R. Köhler zu Genzenbach, Sicilianische Mähr—
eben II —.
XX) 85 d —87 c . Ohne Rubrik: Du Chevalier ä la rohe ver-
meille; abgedruckt bei Barbazan-Meon III 273 nach der Hss.
(= 7218) und (= 7615).
Bei der geringen Reinheit des Textes ist es kaum erspriesslich, Va
rianten zu sammeln.
87' 1 enthält endlich von verschiedenen Händen vier französische
Priameln und folgendes Distichon: Qui d'autrui duel a lief courage
Souvent est pres de son damage.
88 a und 89 sind Vorstichblätter, enthaltend Fragmente eines
mit Noten versehenen Breviers.
»
Anhang
Aus dem altvenezianischen Tristan.
König Apollo von Leonis war als Gast am Hofe des Königs
Claudex. Uno zorno siatido a disinar lo re Claude.v trepando *)
disse a lo re Apollo digando". ’Se Dio ve salve, dime la veritade,
qui sc lo migior amigo e lo maor inimigo che tu ebis") in questo
mondo . E lo re Apollo aveva uno levrier molto hon, lo quäl era lä
presente, et oldando la domanda de lo re Claudex, de presente ello
respose digando: ’ Vede vui questo levrier? questo si c lo megior
amigo che io ahia al mondo fermamentrc. E lo maor inimigo che
io ahia al mondo si c mia mugier . Et oldando soa mugier questa
resposta, si l'ave a mal, digando come de cid ch’elo diseva non era
vero che lo levrier li volesse maor hen cha lie. Per la quäl cosa
ella se irä con lo marido per tal qu'ella se lievä su de la tola troppo
scherzend.
2) eftis = aibas = abias.
Übei- eine altfrnnzösische Handschrift d. k. Universitätsbibi, zu Pavia. 6 I 7
gramegosa e tuto quello zorno aveva gran vera •) con so marido.
E lo re Claudex vegando la rctinu esser in descordio con so marido
tene muodo con belle parole, le quäl disse a la raina, ch'ello la
umilia c si la fese far pasie con so marido.
Der Solm des Königs Claudex verliebt sich in die Frau Apollo’s.
Er wagt nicht, ihr seine Liehe zu entdecken; als aber Apollo mit
Weib und Kind heimkehrt, setzt er ihnen nach, schlägt das Gefolge
in die Flucht und befiehlt, der besiegte König solle in einen
Thurm eingeschlossen werden. Avanti ch’eli fosse messo in presion,
re Apollo diseva infra si mediesimo che tuto questo oitracio -) 'me
fo fato solamentre per la mugier . Puoi disse a lamugier, creciando
cid ela fosse colpevele: 'Io fisi mal andar in la corte del re Claudex
con lo mio nimigo, conciosiachc se vui non fosse stada co mi,
questo mal non me serave stado intravignudo !’ E la donna como
femena innocente respose a lo marido digando che: 'Se me aida
Dio como de questo oitracio che ve se stadho avignuto io non
saveva alguna cossa, angi son grama e dolente de questa Ventura
che ve sh ocorso .
Die Frau ist in der That unschuldig, denn als der junge JVIann,
der sie in einem anderen Thurm hatte führen lassen, sich ihr nähern
will, überhäuft sie ihn mit Vorwürfen, und den Tod der Schande vor
ziehend, stürzt sie sich von einem F'enster.
Apollo stirbt indessen an den erhaltenen Wunden. Der Körper
wird auf Geheiss des Königssohnes ins Meer geworfen Lo levrier,
lo quäl ciamai non lo volse abandonar .... quando vete lo corpo
del so signor esser gitadho in mar, ello saltä apresso lui et andeva
una ora a fondi in fin tanto ch’ello nudhaiulo trasse lo corpo de-
sovra, e si se messe sovra lui per sustignir lo corpo. Pud fese
tanto ch’ello lo trasse a la riva e si lo comengä tirar fuora de la
riva con li denti e con le ongle altrosi segondo come ello pote, e
quando ello Vave tiradlio qualcossa fuora de la riva, ello comengä
gratar con le ongle et a far una gran fosa e profonda. E quando
f) guerra.
2 ) ci vor Vocal stellt den Laut z (sonst p geschrieben) dar.
618 Mussafia, Über einealtfranz. Handschr. d. k. Universitätsbibi, zu Pavia.
ello have fato ln fossa, ello messe dentro lo corpo del so siffnor lo
megio ch’ello pude, e puoi sentava apresso lui e fo si ben aviso
cli ello lo vardava si che bestia ne lwmo non li tocase. Später geht
König Claudex vorüber, erkennt den Hund (questo se lo levrier che
lo re Apollo apellava so amigo quando ello disse che soa mugier
ern so ininnga), lässt die Grube untersuchen und entdeckt den Mord.
Zusätze.
Zu II. Im Jahrbuche für rom. Litt. XI 98 theilt Brakeimann
als Ergebniss weiterer Forschung mit, die Pariser Ils. 845 könne
nicht mit dem Ms. de Clairembaut identisch sein; letzteres sei
verloren. Abschriften daraus weist Brakeimann nach in dem
bekannten Recueil des poetes fran$ois avant 1300 (kais. Bibi.
12610—13). Auf meine Bitte war er so gütig nach Thibaut's Lied
zu suchen. Dasselbe findet sich im zweiten Bande der Sammlung
(also Hs. 12611) auf S. 826 mit der Bemerkung, es sei dem
'Ms. de Clairembaut’ entnommen. Die ersten zwei Verse lauten:
J’ai un euer trop lent — Qui souvent mesprent; V. 4 und 5 sind
aber die Reimwörter auf -et beibehalten worden. Es sind liier nur
fünf Strophen: i, 2, 3 entsprechen den nämlichen in P; 4 kommt
in P nicht vor; 5 entspricht der 15. und letzten in P.
Zu VIII. Ebenda XI 151 bespricht G. Paris die Identität des
Bibliophilentextes mit dem, welchen Wallenfels nachwies.
Z i u g e r 1 e , Zur altern tirolischen Literatur. I.
619
Zur altern tirolischen Literatur.
I.
Oswald von Wolkenstein.
Von Dr. Ignaz V. Zingerle.
Wir besitzen bisher nur eine Ausgabe von Oswald’s Gedichten,
nämlich die von meinem unvergesslichen Lehrer Beda Weber veran
staltete i). So dankbar man dem Herausgeber dafür sein musste,
dass er die Lieder des sogenannten letzten Minnesingers durch den
Druck weitern Kreisen zugänglich machte, so kann man nicht leug
nen, dass seine Ausgabe selbst sehr bescheidenen Ansprüchen nicht
genügt. Beda Weher hesass weder die Kenntniss der älteren Sprache 3 ),
die zu einer solchen Aufgabe unumgänglich nothwendig ist, noch jene
Ausdauer, Ruhe und Consequenz, die hei einer kritischen Ausgabe ge
fordert werden. Wie sollte Beda Weher bei seiner vielseitigen
literarischen Thätigkeit und bei seinen anderweitigen Amtsarbeiten
Zeit und Müsse gefunden haben, Oswald’s Gedichten jene Aufmerk
samkeit, jenes liebevolle Eingehen, jenes vorurtheilslose Prüfen und
Ahwägen zuzuwenden, wie es eine solche Aufgabe dringend verlangt!
Aber abgesehen von alledem, tliat er einen entschiedenen Missgriff,
als er seiner Ausgabe die Handschrift des Museums in Innsbruck
(J) zu Grunde legte s). Beda Weher gieng nämlich von der Ansicht
aus, dass alle drei uns erhaltenen Handschriften: die Wiener (W),
geschrieben 142S, die Wolkensteiner (X), geschrieben 1432, und
die Innsbrucker (nach B. W- wahrscheinlich aus der ersten Hälfte
*) Die (Jedichte Oswald’s von Wolkenstein. Innsbruck, Wagner 1847.
2 ) Man lese nur den Lxeurs über Oswald’s Grammatik S. 485 IT.
8 ) Vergl. S. 18.
Sitzb. der phil.-hist. CI. LX1V. Bd. III. Hft. 41
620
Z i n g e r 1 e
des Jahres 1444, also kurz vor Oswald’s Tode verfasst 1 ), von Os-
wald's eigener Hand geschrieben seien, und dass somit die jüngste
Handschrift den letzten, vom Dichter am öftesten gefeilten und besten
Text enthalte. Schon Webers Ausgabe, wenn man sie mit den aus
W und X auch nur spärlich und oft sehr willkürlich gebotenen
Varianten vergleicht, zeigt, dass dem nicht also sei. Was ß. Weber
ein Hervortreten des etschländiscben Volksidioms in J nennt 2 ), ist
nur eine Vergröberung und Verschlechterung des Textes. Allein ab
gesehen davon, kann die Innsbrucker Handschrift (100 Blätter Papier
in 4°. Sign. IV, C, 1) nicht Oswald’s Hand angehören, denn Oswald
starb am 2. August 1445, und diese Handschrift mit ihren rohen,
nachlässigen Zügen kann erst der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun-
hundert’s zugewiesen werden. Jeder, der einige Kenntniss von Hand
schriften besitzt, wird mir zugestehen müssen, dass sie unmöglich
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts angehören kann. Dass diese
stiefmütterlich ausgestattete Handschrift im Besitze der Wolken
steiner sich befand, wie die gegen Ende eingeschriebenen Familien
notizen, am Schlüsse: „Item ich Sigmundt von Wolklienstein pin
geporti worden am ertag des 23. tags mai im 1314 iar“ bezeugen,
ändert nichts an der Sache. Franz Pfeiffer besprach Webers Aus
gabe bald nach ihrem Erscheinen in Menzels Literaturblatte (1847
N° 70 und 71. S. 279 und 281) und bezeichnete die Innsbrucker
Handschrift als die schlechteste. „Sie gibt,“ sagt er, „eine wahre
Musterkarte von geschmackloser, inconsequenter Orthographie. Con-
sequent ist sie nur in ihren Fehlern.“ „Was hier von der Orthogra
phie gesagt ist, gilt auch und in noch höherm Maasse in Beziehung
auf den Text“ (S. 283). Wenn ich in dieser Hinsicht mit Pfeiffer
mich ganz einverstanden erkläre, möchte ich einer andern Ansicht
nicht unbedingt beipflichten. Er schreibt: „Trotz aller Sagen und
Überlieferungen vom Gegentheil lässt sich aber mit Sicherheit be
haupten, dass Oswald keine dieser zierlichen Handschriften selbst
geschrieben hat. Ein Kriegsheld wie Oswald, der gegen sechzig
Jahre lang fast ohne Unterlass das Schwert geführt hat, wäre selbst
in unsern Tagen zum Kalligraphen verdorben. Zudem hatte er gewiss
wichtigere Dinge zu thun, als seine Gedichte, wie stolz er auch dar-
') S. 484.
®) S. 18 und 484.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
621
auf gewesen sein mag, immer wieder von neuem abzuschreiben.
Das könnte heutzutage einem dichtenden Jünglinge begegnen: Os
wald aber bat dieses Geschäft bestimmt einem Andern, einem Schrei
ber von Profession überlassen.“ (S. 283) Wir können dem Grunde,
Oswald hatte gewiss wichtigere Dinge zu thun, als seine Gedichte
abzuschreiben, nicht beipflichten. Oswald kehrte nach dem beweg
testen, an Freuden und Leiden überreichen Leben im Jahre 1432
nach Kastelrutt und Hauenstein zurück, um nie mehr auf längere
Zeit diese Einsamkeit zu verlassen. In diesem Jahre verschied ihm
auch seine zweite Gattin Anna von Ems, und sein Lehen auf den von
allem Verkehre weit entlegenen Burgen war noch einsamer. Mitten
aus dem Treiben und Leben der grossen Welt, mitten aus dem
Glanze der Höfe ward er wie ein Schiffbrüchiger auf das einsame
Mittelgebirge am linken Eisackufer geworfen. Seine schönsten Träume,
sein höchstes Streben waren zerstoben, seine Ehren zerronnen. Sein
einsames trauriges Leben auf Hauenstein schildert er uns selbst:
„auf einem runden kofel smal,
mit dickem wald umbfangen,
vil hoher berg und tieffe tal,
stain, stauden, stock, snee, Stangen,
der sich ich teglich ane zal.
noch aines tuet mich pangen,
das mir der klainen kindlin schal
mein oren dick bedrängen,
band durchgangen.“ W. Ausg. S. 32
und „wellent ich gugk, so hindert mich
köstlicher ziere sinder,
der ich ee pflag, dafür ich sich
neur kelber, gaiss, bück, rinder,
und knospot leut, swarz, hässelich,
vast ruessig gen dem winder.
die geben muet, als saekwein vich.
vor angst slach ich mein kinder
oft hinhinder.“ W. Ausg. S. 33.
Am ausführlichsten aber malt er uns seine Lage mit folgender
Stelle:
41
622
Z i n g e r 1 e
„Mein kurtzweil die ist mangerlai,
neur esel gesang und pfawen geschrai.
des wünscht ich nicht mer umb ain ai.
vast rauscht der hach neur hurlahai
mein houbt enzwai,
das es beginnt zu kranken.
Also trag ich mein aigen swer;
teglicher sorg, vil böser mer
wirt Howenstain gar seiden 1er.
möclit ichs gewenden an gever
oder wer das wer,
dem wolt ich immer danken.
Mein landesfiirst der ist mir gram
von höser leute neide;
mein dienst die sein im widerzam.
das ist mir schad und laide,
wie wol mir sust kain fürstlich stam
bei meinem gueten aide
nie hat geswecht leib, er, guet nam
in seiner fürstenwaide
köstlich raide.
Mein freund die hassen mich über ain
an schuld; des muess ich greisen.
das klag ich aller werlt gemain,
den frommen und den weisen,
darzue vil hohen fürsten rain,
die sich ir er land breisen,
das si mich armen Wolkenstein
die wolf nicht lan erzaisen,
gar verwaisen.“ W. Ausg. S. 33 u. 34.
Man dürfte es doch nicht unwahrscheinlich finden, dass unser
Dichter, der an rastlose Thätigkeit gewohnt und mit iiclitem Sänger
stolze erfüllt war, in seiner Einsamkeit sich nicht nur mit Erinnerun
gen an seine ehemals gespielte politische Rolle, an die ihm erwiesenen
Ehren und die weitreichenden Reisen unterhielt und tröstete, sondern
sich am liebsten mit dem Schatze und Ruhme beschäftigte, den er
Zur altern tirolischen Literatur. I. 623
ungeachtet aller Wirren der Zeit und aller Missgeschicke gerettet
hatte, — mit dem seiner Lieder.
Merkwürdiger Weise trägt nun die Handschrift X gerade auf
ihrem ersten Blatte die Zahl jenes Jahres, in dem sich unsers Wissens
Oswald aus der politischen Action zurückzog, in dem Anna von Ems
starb, jenes Jahres, in dem Oswald seine dreizehnjährige Einsamkeit
auf Kastelrutt und Hauenstein antrat.
Denn an der Spitze derselben steht: „Jn der iarzal tausent
vierhundert und darnach in dem zwai und dreissigosten iare an dem
nächsten samstag nach sant Augustins tag ist diss buch geticht und
volbracht worden durch mich Oswalten von Wolkenstein, ritter des
allerdurchleuchtigosten römischen Königs Sigmunds etc. rat iar. 18.“
Dass die Handschrift aber 1432 nicht abgeschlossen war, wie
uns diese Aufschrift glauben machen möchte, beweist uns Bl. 47“ die
Oswald’s bedeutendstem didaktischen Gedichte:
„Mich fragt ain ritter angevar,
der sich der weide manig iar etc.“
(W. Ausg. S. 94—105.) beigegebene Notiz:
„Anno Mo cccc° xxxviij« hec fabula completa per me Oswaldum
militem.“ von der nämlichen Hand. Unser Manuscript war somit
1432 nicht vollendet, sondern später gefertigte Gedichte wurden
auch eingetragen.
Bl. 45 b steht bei dem Gedichte:
„Jn oherland
ain hoher künig gewaltikleich gesessen“ etc.
(W. Ausg. S. 241).
Die Aufschrift: „Passio domini nostri Jhesu Christi completa
anno 36.“, undBl. 46 a findet sich dabei vorder letzten Viertelstrophe
mit rother Tinte geschrieben :
„Confundantur omnes qui nos persecuntur“, ein Wunsch, der
unserm verfolgten, gekränkten Dichter nur allzuleicht entfahren
*) Pergament, 49 Blätter in Grossfolio, dreispaltig. Initialen roth oder blau. Die
meisten Lieder sind mit Noten versehen. Diese Handschrift wurde mir auf die
freundlichste Weise vom Herrn G r a fe n Arthur von Wolkenstein zur Be
nützung; anvertraut, wofür ich meinen tiefgefühlten Dank hier öffentlich aus
spreche.
624
Z i n g e r 1 e
mochte. Was aber mich vorzüglich bestimmen könnte, unsere Hand
schrift (X) Oswald selbst zuzuschreiben, ist das Bl. 2“ unten am
Rande angefügte Concept eines Schreibens, das von der nämlichen
Hand, wie der Liedertext, herrührt. Es lautet:
„Kiinig Sigmund etc. herzog Fridrich ze Österreich.
Hochgeborner lieber Öhaim und fürst, als yetzund dein rete all-
hie bey uns gewesen sein, haben wir in unser . . ung wol erzeilt
an dein lieb widerumb zu bringen und | senden darzu mit in den
edlen Oswalten von Wolkenstein unsern rat und lieben getruen . .
len ettlich unser mainung . . . furn und dir(?) zu bringen]das deiner
land und leut bestes und nutz ist und begeren, was er dir von unsern
wegen . . . wellest im gentzlich gelouben und j und
leut bestes fürwenden, wann wir dir ie in güt genaigt sein; wiltu
anders, das soltu zu Nuremberg anno etc. tricesimo
primo.“
Die Schrift ist dabei kleiner, aber dieselbe. Die Züge sind nicht
zierlich, aber deutlich und fest. Ich glaube, dass diese Handschrift
gar wohl von Oswald’s eigener Hand herrühren könne, wenigstens
ist sie unter seiner Aufsicht gefertigt worden. Die Orthographie zeigt
eine für jene Zeit auffallende Consequenz, an tirolische Aussprache
erinnert am meisten die gewöhnliche Schreibung mentzsch für mensch,
der Text ist von seltener Güte und Reinheit, was die Proben, die ich
am Ende beigebe, bestätigen werden. Der Wechsel von b und iv, der
uns in J und in Webers Ausgabe so häufig und so störend entgegen
tritt, fehlt hier beinahe gänzlich. Unsere Handschrift, die nach den
von Weber mitgetheilten Varianten mit W beinahe durchaus stimmt,
ist würdig, einer neuen Ausgabe zu Grunde gelegt zu werden. —
Die Rodenegger Handschrift '), mit der Herr Fenner von Fenne
berg im Jahre 1847 in Deutschland hausieren gieng, scheint nach
einer Beschreibung im Äusseren mit W und X übereingestimmt zu
haben. Sie ist nun verschollen. Vermuthlich war es die im Jahre 1442
beendete, von der Engelhart Dietrich von Wolkenstein schrieb: „In
der iarzal vierzehenhundert und darnach im 42. iar ist dieses puech
compliert worden von herrn Oswald mit dem ein aug.“ Von den
Resten ältester Aufschreibung, die zum Einbande von Urkunden
heften gebraucht wurden und sich im Archive zu Trostburg nach
1 ) Vergl. Weber S. 482.
Zur ältern tirolischen Literatur. I.
625
Weber (S. 483) befinden sollten, fand ich im genannten Archive un
geachtet der vollständigsten Nachforschung nicht die geringste Spur,
wie auch die von B. Weber so oft citierten Reisenotaten des Oswald t),
die ebenfalls im Trostburger Archive sein sollten, vergebens gesucht
wurden. Auch von den interessanten Mittheilungen über Oswald, die
B. Weber angeblich aus Engelhart Dietrich’s Aufzeichnungen ent
lehnte 2 ), konnte ich in Engelhart’s Manuscripte sozusagen Nichts
finden. Ich spreche hier Sr. Excell euz Herrn Grafen Leopold
vonWolke n stein meinen tief gefühlten Dank für die liebens
würdige Liberalität aus, mit welcher der edle Herr mir die Durch
forschung des Archives zu Trostburg erlaubte und erleichterte.
Waren die auf Oswald bezüglichen Resultate nur negative, so ge
währten sie dennoch Trost und Beruhigung. Einen ähnlichen Erfolg
hatten die Versuche, ein anderes Oswald zugeschriebenes Werk auf
zufinden. Freiherr von Hormayr schrieb in seiner goldenen Chronik
von Hohenschwangau S. 143. „Aus der auf ein langes ruheloses Um
hertreiben und unglaublich thatenreiches Leben folgenden Einsam
keit hinterliess Oswald ein Inngedenkbuch über den dama
ligen Stand der Kriegskunst und der Waffen, eine
seltene Stufenleiter über die Fortschritte der Pulvererfindung und
eine Sammlung lebens- und leidenschaftsvoller Lieder.“ Da Hormayr
unter letzterer die Wiener Handschrift im Auge hatte, sollte man
glauben, das Buch über die Kriegskunst befinde sich auch zu Wien.
Allein weder in Wien, noch in München ist ein ähnliches Werk Os
wald's zu treffen.
Von einzelnen Liedern finden wir im Liederbuche der Clara
Hätzlerin (Ausgabe von C. Haitaus. Quedlinburg 1840) drei.
1. Es seuszt dort her von Orient
der wind, Levant ist er genent. Weber S. 111. Hätzl. S. 24.
2. Vier hundert iar auf erd die gelten neur ein tag. WeberS. 189.
Hätzl. S. 37.
3. Freuntlicher blick
wundet ser meins hertzen sehrein. Weber S. 191. Hätzl. S. 65.
1) Oswald von Wolkenstein und Friedrich mit der leeren Tasche. Innsbruck 1850.
S. 108. 113. 182. 285. u. s. f.
0 Obiges Werk S. 109. 115. 130. 131 191. If.
626 Zingerle
Ein Lied (WeberS. 114) findet sich inHagen’s Minnesingern III,
306 b ff.
Auf der k. Hof- und Staatsbibliothek in München fand ich fol
gende Ausbeute. DerCodex germ. 379 vom Jahre 1454, Papier in 4°,
225 Bl. enthält neben anderen Gedichten, namentlich hübschen, wenn
auch nicht erbaulichen Erzählungen, folgende Lieder, die dem Os
wald zugeschrieben sind:
bl. lll a Wolanff wir wellen slnffen. Weber S. 49.
bl. Il8 b Mein traut gesell und liebster hört, fehlt in den Hand
schriften und hei Weher.
bl. 119 b enthält: „Wolkenstainer.“
Si hat mein herz getrolTen,
die schön, die wolgemuet etc., das in den andern Hand
schriften und hei Weber fehlt.
bl. 120*: „Wolkenstainer.“
Zu hurss, so spricht her Michel von Wolkenstaine. Weber
S. 50.
Die Überlieferung beider dem Oswald sicher angehörigen Ge
dichte ist sehr schlecht.
Die Handschrift 3897. XV. Jahrh. 2°. 330 Bl. enthält bl. 195’
bis 196 b den von Oswald gereimten Kalender. Weber S. 281—286.
Am Ende heisst es : „Den Kalender hat von newen dingen gemacht
der edel Oswald von Wolkenstain.“ Der Kalender ist von der näm
lichen Hand geschrieben, die hl. 194 b beisetzte: „Explicit über per
manus Oswaldi Holer Brixinensis diocesis tune temporis scriptor
dominorum de Starkemberg nee non domini Johannis vom Tor ze
Horenstain anno domini millesimo quadringentesimo vigesimo octavo
in crastina sancti Martini.“
Der Codex germ. 4871 vom J. 1461, Papier in 4». 146 Seiten,
enthält eine Abschrift des Lohengrin , dann p. 135 das Lied:.
„Wolkenstain“.
Mir dringet,
zwinget,
fraw, dein guet
mein gemuet etc.,
das dem Wolkensteiner wohl angehören könnte, aber in den Hand
schriften fehlt.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
627
Die Handschrift 713 *) aus dem 13. Jahrli. Papier, 182 Bl. in
4°. enthält neben Kirchengesängen zwei religiöse Lieder, die im
Register in folgender Weise aufgeführt sind:
1. Ein ander mittit ad virginemhat der Oswald Wolkchenstainer
gemacht p. 302.
2. Ein ander mundi renovatio des Wolkchenstainer p. 135.
Das erstere steht aber Bl. 150—153 und beginnt:
Von got so wart gesant
der iungkfrawn her zu lant etc.
Das zweite Bl. 143—144 mit dem Anfänge:
Der werlde vernewung laudter klar
pirt new frewd aller creatur,
nw got erstanden ist füerwar etc.
Beide fehlen in den Handschriften des Wolkensteiner’s, sind
auch namenlos in der Lambacher Liederhandschrift (s. altdeutsche
Blätter II, 312).
Das im Register genannte Gedicht: „Oswald Wolkchenstainer
von gespot der vrowen“ fehlt in der Handschrift.
Das in dem nämlichen Codex, Bl. 180 und in der Lambacher
Handschrift (Alt. Bl. II, 314) enthaltene Gedicht:
„Von sant Marteins gesellesehaft.“
Wolauf lieben Gesellen unverzait
(seit gem)ait
in der frewden klait“ etc.,
das Schmeller unserm Dichter zuschreiben wollte, gehört dem Münch
von Salzburg ans). Herrn Prof. Dr. Conrad Hofmann in München
danke ich hier für seine freundlichen Mittheilungen.
Nach diesen Vorbemerkungen gebe ich einige Textverbesse
rungen, die grösstentheils auf den Lesearten in X beruhen.
Wenn X, wie Weber I, 1, 23, liest:
zocli ich zu mir
so muss, wie der Reim fordert: „zu mer“ gelesen werden, was
auch nur einen Sinn gibt. Ebenso muss I, 1, 27 statt biderhar (X
widerhar) schon des Reimes willen „widerher“ gelesen werden.
*) Eine genaue Beschreibung mit dem Inhalte gehen die altdeutschen Blätter II,
325 ff.
2 ) S. Josef Ampferer, über den Mönch von Salzburg. S. 27.
*■- ' . ’as&afi
m,
Z i n g e r 1 e
I, 2, 18. Die schwartzen see Weber, swartzer X. ist zu
lesen: die scltwarzeu see.
I, 3, 22. ist mit W, X statt mein „neun“ zu lesen.
I, 4, 28. haben W, X das richtige „erfröret.“ Weber liest
mit J. erstöret.
I, 5, 12. lies gerost (gereist): getrost.
I, 6, 9. Liest Weber:
Wann ich
in eilend dick
mein hend oft winden muess.
X bietet das Richtige, dass allein dem Strophenbau
entspricht:
wenn ich in eilend
dick mein hend
oft winden muess.
I, 7, 5. 1. mit X. So kann ich der vergessen nimmer
ewiklich.
II, 2, 16 I. mit W, X.
den gueten freunden mein.
II, 2, 20. auff wilden meres fluet X-
II, 2, 23. liest Weber sinnlos:
das roch mich zu den reiffen. W, X bat das Richtige:
das zoch ( W zog) mich zue dem reiffen.
vergl. I, 2,28 und swarn ich zu dem reiffen = ans Ufer.
II, 3, 8. 1. mit meiner nasen spitz X.
II, 3, 30. poliert durch edel dach W, X.
II, 4, 30. pei ainer haissen gluet X.
III, 2, 19. Die geben muet, als sackwein vielt W, X.
tuet st. vielt, wie Weher liest, ist schon des Reimes
wegen unstatthaft.
IV, 1, 20. sond W, X st. sult.
IV, 1, 29, 30 1. wellen: keilen W, X.
IV, 2, 15. 1. für singen ] springen X.
IV, 2, 27. er liess im niena reder W, X.
IV, 2, 30. den selben fleder W, X-
IV, 3, 3. gemescht von kleib W, X.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
629
IV, 3, 13 und 14 1.
zwai smale fiisslin als ain schilt
trait si in praiten schuehen X.
V, 1, 12. 1. erslüege.
V, 2, 10. 1. enzelt.
V, 3, IS. ist statt germe wo! getriben zu lesen.
Es muss sich auf wide : plibe : verzigen reimen.
VI, SO. 1, an leonen noch an phawen X.
VI, 144. 1. Margarith X.
VI, 177.1. bengel W, X.
VI, 184. st. da stuenden 1. Studenten W, X.
VI, 187. nit bestan ] nicht gestan X.
VI, 194. 1. garnen strecken' W, X.
VI, 198.1. mit manchem planken zier W. X.
VI, 200. 1. ertragen X.
VI, 212. 1. Sophoya X.
VII, 2, 7. 1. kain hailg hett irs geschrieben nach W, X.
XII, 2, 23. 1. der beghart wolgevallen X.
auch I, 4, 2 ist heghart zu lesen, was nicht einen
Landstreicher, Wanderlustigen bedeutet, wie Weber
S. 467 will, sondern einen Klosterbruder, Laienbruder,
s. Pfeiffers Mystiker I, 462. Lexer I, 144.
XII, 3, 10. I. göttlichen X.
XII, 4. 1.1. auf meinen volen W, X.
XII, 42. 1. und schiffen W, X.
XIII, 3, 10. 1. versteret W, X.
XIII, 4, 2. 1. zwen W, X.
XV, 3, 2. I. uns freud zu geben X r .
XVI, 2, 20. 1. durch gogeliche schant X.
XVI, 3, 3. 1. markt X.
XVI, 4, 14. den bein ] dein win X.
XVI, 4, 17. 1. das tue mein herr von Österreich X.
XVII, 1, 8. 1. geswechet und naturt. W, X.
XVII, 1, 27. 1. mit seinem slaichen X.
XVII, 1, 28. I. tarant W, X.
XVII, 2, 23 1. von lugern gross an Iougen W, X.
XVII, 2, 32. 1. pewer.t W. (bewart X.)
XVII, 3, 3. 1. tarant W, X.
630
Z i n g e r 1 e
XVII, 3, 12. I. schendt X.
XVII, 4, 16. 1. huglich W, X.
XVII, 4, 18. waidenlich X.
XVII, 4, 24. übei'geit X.
XVII, 4, 25. 1. dick hals, klain houbt X.
XVII, 5, 6. 1. schenter X
XVII, 5, 12. 1. torocht W, X.
XVIII, 1, 2. dich ] dick W, J.
XVIII, 3, 6. 1. eur sniibel, fiiess, forcbtiklich verkämet X.
XVIII, 3, 8, herren ] maister W, X.
XVIII, 4, 1. 1. Ir sägger, blaufuess W, X.
XVIII, 5, 1. 1. Iu Huss W, X.
XVIII, 5, 2. 1. Lucifer W, X.
XVIII, 5, 9. 1. wilt du den Wigklöff nicht verlan W, X.
wo Weber den vorlauf! liest.
XVIII, .6, 1. 1. weit W, X
XIX, 1, 5. I. bedort X.
XIX, 1, 6. 1. gehört X.
XIX, 1, 8. 1. und sunder gen dem winder. W, X.
XIX, 1. 10.1. gen X. st. gern.
XIX, 2, 5. 1. das mir gewirt W, X.
XIX, 3, 7. 1. neur iu ich iag W, X.
XX, 1, 12. I. der dunkt sich des gemait X.
XX, 2, 17. 1. davon si niemand kreisen sol X.
XX, 3, 2. 1. die sueclien sich ainander X.
XX, 3, 6. I. an vil grossem höptern wol X.
XXI, 2, 6. 1. erlöst X.
XXII, 3, 9. 1. ain man X.
XXII, 3, 10. 1. durch warhait niempt entuemt X.
vergl. sein loh wirt im enthuemet XXXVI, 6, 10.
XXII, 3, 15. I. dem wolf zimt nicht wol schafes wat X.
XXII, 3, 17. 1. nicht bodems X.
XXII, 5, 22. i. verzeichen X.
XXIII. 1, 6. I. ob ich kan X.
XXIII, 1, 10. versert ] veriert X.
XXIII, 1, 12. 1. euch noch bedeute X.
XXIII, 2, 7. 1. der sölher zeich X.
XXIII, 3, 3. I. so in die macht X.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
631
XXIII, 3, 10. I. an ainer lammen X.
XXIII, 4, 7. den ist zu tilgen X.
XXIV, 2, 11. ist wohl s n a b e n zu lesen. Xscheint s n i a b e n zu
haben.
XXIV, 4, 1. nu hört ] ir horcht X.
XXV, 1, 11. 1. das ist die hell mit irem slund W, X,
XXV, 2, 1. 1. gelt wider gelt X.
XXVI, 1. 1. angevar X.
XXVI, 53. guter ist zu tilgen X
XXVI, 54. 1. durch in abgrüntlich in die hell X.
XXVI, 56. gar ist zu tilgen X.
XXVI, 64. 1. des st. dester X.
XXVI, nach V. 104 ist einzuschalten:
so ist das recht in seiner hant X.
XXVI, 109. 1. trib X.
XXVI, 152. 1. in das hol X.
XXVI, 153. von im ] dannen X.
XXVI, 184. 1. von priesterschaft und ir genoss X.
XXVI, 187. 1. durch si das recht vil mer erkrumpt X.
XXVI, 188. wann das von anders iemand kumpt X.
XXVI, 192. 1. si machen kunnen X.
XXVI, nach V. 200 ist einzuschalten:
das durch die gierten für und für
zu merken ist ain solche spür X.
XXVI, 202. 1. zu leren in das ewig gnesen X.
XXVI, 214. 1. m ugen han X.
XXVI, 224. 1. da wil man Hindert hören von X.
XXVI, 234. I. fluss aus des grossen meres slund X
XXVI, 257. 1. ain ieder sach der ist gesetzt X.
XXVI, 265. 1. und dise weit darzu versucht X.
XXVI, 268. 1. vernuftiklichen X.
XXVI, nach V 283 ist einzufügen:
das man oft setzt ain öden gauch X.
XXVI, 302 ee ist zu tilgen X.
XXVI, 325. I. dem andern tail rat nicht darin X.
XXVI, 352. 1. du solt auch niemand fragen X.
XXVI, 353. zu dem ] wo X.
XXVI, 354. ainem ] wedern X.
V M V
632 Zingerle
XXVI, 357. 1. an sach ich dir ditz nicht ensag X.
XXVI, 391. 1. si krampt sich X.
XXVII, 3, 26. 1. mit armen blank umbvangen W, X.
XXVIII, 3, 7. 1. mit des Zirkels furm W, X.
XXIX, 2, 12. 1. sein sundern jan X. und Hätzl. 1, 20, 47.
vergl. mhd. Wb. I, 769 b .
XXIX, 2, 23. 1. das ich wolt sein ein animal X. ein ainemal W.
ain ainig mal Hätzl. 1, 20, 58.
XXIX. 3, 6. 1. o trumetan wie hastu mein
vergessen hie in solcher pein.
XXIX, 3, 10. 1. dein sterklich widergrein X.
starker Hätzl. 1, 20, 80.
XXIX, 3, 24. 1. die von mir ungeswachet war
hie worden ist an Zweifel gar X.
den 2ten V. liest Hätzl. 1, 20, 95:
beliben ist on alle fär.
XXX, 1, 8. 1. mag er nit lenger tauren X.
XXX, 1, 14. 1. gras, würmli, tierli mued X.
XXX, 1, 20. 1. gepauer, reut W, X.
XXX, 1, 22. 1. perg, ow und tal, vorscht, das gevild. X.
XXX, 1, 27. 1. orsch (W, X.) st. ros.
XXX, 2, 24. 1. trag W. trueg X.
XXXI, 1, 31 erklärt Weber parell als Pärchen S. 396, es
bedeutet aber Pokal, Becher, mild. Wb. 1,89 a . Lexerl, 128.
XXXI, 2, 31. 1. des hett ich nie genossen X.
XXXI, 4, 5. 1. bei ainlif zende X.
XXXI, 4, 18. 1. seid ich han kainen zand W-
XXXII, 1, 19. 1. die mir X.
XXXIII, 2, 6. 1. und unverdrossen X.
XXXIII, 2, 25. 1. schieret W, X.
XXXIII, 3, 7. 1. sein amplick X.
XXXIII, 3, 9. 1. von eu versichert W, X.
XXXIV, 1, 13. 1. der ich nacht und tag X.
XXXIV, 3, 12. 1, ich furcht ain schidlichs streuen X.
1. auch 3, 7. gaum, 3, 11. träum, 3, 15. paum X.
XXXV, 2, 6. 1. schaune (W, X) für schöne.
XXXV, 3, 42. 1. litt X.
XXXV, 3, 44. 1. stritt X.
■
Zur altern tirolischen Literatur. I.
633
XXXVI,
XXXVI,
XXXVI,
XXXVI,
XXXVI,
XXXVI,
XXXIX,
XLIII,
XLIII,
XL IV,
XLIX,
XLIX,
LI,
LII,
LIV,
LV,
LV,
LVI,
LVIII,
LX,
LXVII,
LXVII,
LXX,
LXXII,
LXXV,
LXXV,
LXXXII,
LXXXVI,
XC, 1,
3. ]. mit tugentlichen X.
2, 8. ist a n zu tilgen X.
3, 4. 1. in ewerm dienst X.
5, 4. 1. erhör mich, lieb frewlin X.
7, 3. 1. st. das euch ] was eu X.
7, 8. 1. dienst ist mir X.
1, 7. 1. zue, lat euch W, X.
1, 3. 1. engagent W, X.
1, 19. 1. zue bi will W, X.
2, 6. 1. verrückt X.
1, 11. I. freundlichen under das üchsen smuck W, X.
2, 1. 1. seid das die wilden voglin sind W, X.
2, IS. 1. das machen neur. (: abenteur) X.
3, 9. I. ob ich des kriegs dernider lag,
villeicht so wurd mir dannocht tag. X.
2, 2. 1. bewar dein höchsten schätz W, X.
1, 1, 1. weiss, rot X.
2, 10. 1. vil nahent ich ir rampt X.
2, 1. 1. Mit eren o ausserweltes G.
so freust du mich
gelich X.
vergl. Mit eren ausserweltes M. LXXII, 3, 6.
S, 1. 1. hin get der raie X.
4, 8. 1. si hob X.
2, 7. 1. ir secht recht als ain valkenkel X.
4, S. 1. ist dir ein dicker schotten X.
1, 13. 1. das selbig knechtlin, wol berait X.
3, 1. 1. Sündlichen sehen X
1, 10. 1. auf ainen höggen W, X.
vergl. bremisches Wörterbuch: h oiken II, 648.
2, 2. werd ] durt W, X.
2, 1. I.
Gepiird, wort, weis an tadel speh
schowt man durch hügelichen trit
von manger stoltzen frowen weh X.
5, 19. 1. si sprach: das sein hie'alte lueg.
9. 1. Ich hör die voglin gross und klain
a
f
034 Z i n g e r1e
in meinem wuld umb Howenstain
die mnsick brechen in der kel,
durch scharpfe nötlin schellen X.
XC, 2, 6. 1.
Da sach ich vierstund zwai und zwai
gewetten schon nach ainem rai W, X.
XCV, 2, 17. 1. und wurd mir do ein krentzlin grüen W, X.
XCV, 3, IS. die recht mensur apposita X
XCVI, 3, 9. 1. wem denn der schoflen sail X.
C1I, 3, 7. 1. Die dein genas,
vor der du sass,
ir herr du was X.
CV, 2, 1. 1. Rouben, steien, töten ist mir gach X.
CV, 2, 7. 1. verräterschaft, brand gib icli zol W, X.
CV, 3, 2. 1. die sünd ich tuen X.
CV, 3, 3. 1. günstlich nicht understen die tat X.
CVI, S, 6. 1. wann er aim iunger was ain tail gelich X.
CVI, 5, 12. 1. antwurt X.
CVI, 5. fehlt der 18. Vers:
und das er williklich die marter lait X.
CVI, 6, 12. 1. lost X.
CVI, 8, 8.1. krenkt sein gewissen von des kaisers grausen X.
CVII, 2, 20. 1. iungern X.
CVIII, 2, 6. I.' nie lieber wart XJ.
CVIII, 2, 8. 1. des ich vil hab XJ.
CVIII, 4, 2. 1. mag sprechen icht X.
CIX, 1, 2. 1. ir f'rowen und ouch manne XJ.
CIX, 2, IS. 1. wenn vatter und muetter von im kert X.
CX, 1, 1. 1. wenn ich X.
CX, 1, 11. 1. vil schnöder ist X.
CX, 3, 3. 1. der äugen want X.
CXI, 2, 11. 1. des teufels list X.
CXI, 2, 17. 1. wo sich erzündt der minne zach X.
CXH, 2, S. 1. wer du X.
CXIII, 1, 14. 1. do mir geweiset wärt X.
CXIll, 2, 3. 1. weit X.
CXIII, 2, IS. 1. lat mich allain X.
CXIII, 3, S. 1. Lucifer X.
CXV, 1, 2, 1. gib uns deins vatters X.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
635
CXV, 1, 5. 1. die loben got an underlast X.
CXV, 1, 7. 1. der alles wesen umbetast X
CXV, 2, 8. 1. ist auf gesatzt von got X.
CXV, 2, 18. 1. posnieren schon, solt er des leibs verderben X
CXV, 3, 8. I. gar manigvaltikliehen unzelieret X
CXV, 4, 3. I. mensch die genad X
CXV, 4, 13. I. und übernenst X.
CXV, 3, 7. 1. in den sunden gart X.
CXVI, 1, 1. 1. 0 weit, o weit ein freud der kranken mauer W, X
CXVI, 3, 7. 1. der Neithart Hess eim nicht ein vesen X.
CXVII, 3. 10. 1. wer mag des ieht X.
CXVII, 4, 1. 1. In hoffuung, smerz, in l'orchten und in freuden X.
CXVII, 4, 3. I. und sich das guet zue argem bald verwandelt X.
CXVII, 7, 10. das du von rach icht werst enzunt X.
CX1X, 2, 2. 1. aus der vil hailgen scbrift X.
CXIX, 2, 4. 1. wer in der siinde gilt X.
Ich habe hier nur wenige Belege geboten, wie der Text von
Oswald’s Gedichten mitHülfe von WX gebessert werden konnte. Eine
neue Ausgabe, welche auf diesen Handschriften fusst, wird einen
sehr lesbaren Text bieten und seihst jene zu Freunden des hoch-
begabten Sängers machen, die jetzt vor seiner Lectüre zuriick-
schaudern. Bemerkt muss hier auch werden, dass die Reihenfolge
der Gedichte, wie sie Weber bietel, eine von ihm willkürlich zu
sammengestellte ist, und dass die Handschriften sie nach den Tönen
geordnet enthalten. Oswald ist nach Inhalt und Form einer der viel
seitigsten Dichter des Mittelalters. Er kann in dieser Beziehung nur
mit Walther von der Vogelweide verglichen werden. Wie dieser
singt er nicht nur von Liebe und Leid, vonLenz und Herbst, sondern
er greift auch seine Stolle aus dem polilischen Lebeu und Treiben
heraus, vertieft sich in Beschaulichkeit und feiert das Übersinnliche.
Kann er die Gesuchtheit und Rohheit der spätem Zeit auch nicht ganz
vermeiden, so zeigt sich doch im Ganzen und Grossen edle Mass-
haltung, Wahrheit und Frische. Viele Lieder klingen an's Volks
lied an.
Oswald weiss aber auch seine Verdienste zu schätzen und ist mit
gerechtem Dichterstolze erfüllt. So legt er dem Herzog Friedrich die
Worte in den Mund :
sitzl). (1. phil.-hist. Cl. LXIV. Bil. III. Hf't.
42
636
Z i n g e r 1 e
„ia werden solcher leut
von bomen nicht g'eboren“ S. 61,
d. h. Leute, wie Oswald, kommen nicht häufig vor, und S. 62 spricht
der Herzog:
„wie lang sol ich in ligen hin?
kiint ir die taiding nimmer mer versliessen?
was hilft mich nu sein trauren da?
mein zeit getränt ich wol mit im vertreiben.
wir miiessen singen fa sol la
und tichten höflich von den schönen weihen.“
Und Friedrichs Marschall sprach zu Oswald:
. „nu trit mir zue,
mein herr hat deins gesanges kom erbitten.“ S. 62.
Er selbst nennt sich einmal die Nachtigall:
„Seid ich nu haiss die nachtigal
und loh oucli vast die freulin guet,
doch breis ich wol durch hellen schal
ein zart schön weih mit er behuet
für sterk der grossen lewen.“ S. 183.
und dichtet, damit er nicht vergessen werde:
„Und swig ich nu die lenge zwar,
so würd mein schier vergessen gar;
durch churze iar
niemand mein gedächte.
Darum!) so wil ich heben an
zu singen wider, ob ich kan,
von manchem man“ u. s. f. S. 86 ff.
In seiner Verlassenheit, enttäuscht von der Welt, ruft er aus:
„was hilft mein tichten und gesank
von manger küngin schöne?“ S. 269.
Wo er seine Kunst gelernt hat. an welchen Meistern er sich
gebildet habe, das lässt sich um so weniger feststellen, als er selbst
vornehmes Schweigen darüber beobachtet. Nicht nur die deutsche,
sondern auch die spanische, südfranzösische und italienische Poesie
hatte der dafür schwärmende Ritter auf seinen zahlreichen Wande
rungen kennen gelernt. Sein Gedicht:
„Durch toren weis
so wird ich greis“ S. 91 ff-
Zur altern tirolischen Literatur. I. 637
hisst uns vermuthen, dass er Dante’s l’inferno gekannt habe, während
er uns Petrarca ausdrücklich nennt:
„ez zeucht sein wan zue torhait, als Petrarcha spricht:
in aller werlt der toren kreis
kan niemt mit zal erlouffen. “ S. 271 ')
Von deutschen Dichtern scheint Neidhart auf ihn grossen Ein-
lluss geübt zu haben. Stellen wie:
„Vernempt mein schal,
hal
liberal
auf perg, in tal“ S. 91.
Ir alten weih, nu freut euch mit den jungen,
was uns der kalte winter hat betwungen,
das wil der maie
mit geschraie S. 114.
„Gar waidenlich tritt si den firlifanzen,
ir hohe spriing unweiplich sind zu tanzen“ S. 117.
„Fröleichen so well wir
schir
singen,
springen
hoh,
uns zwaien,
schon raien
all in des maien
loh.“ S. 134, worin der Vers
„wurd mir der kranz von Rosental“
vorkommt, erinnern lebhaft an denselben.
Reminiscenzen aus Walther können sein:
„Ain ieder vogel in der weit
sein Orden halt, in dem er ist geboren“ S. 76.
„was ich der land ie hab erkunt“ S. 212.
„für alle, die ich ie erkant“ S. 213.
Das Gedicht: „ Wol au ff, gesell!
wer iagen well,
engagent im kain ungevell“ S. 144.
*) Einmal nennt er auch den Thomas de Aquino: „Aquinus Thomas der beschaidt.“
S. 242.
42
638
Z i n g- e r I e
mahnt an den von Labers. Gewiss kannte aber Oswald Freidank’s
Bescheidenheit, was sich aus dem Gedichte XXII, S. 83 ergibt, das
auch lehrreich für die Bearbeitung fremder Vorlagen von unserm
Dichter ist. Man vergl.:
Wer hie umb diser weide lost
sein ewig freud dort geben wil,
zwar des gewerb, gewinn noch flust
ich halten wil auf kainem spil.
Secht, der betreugt sich selber zwar,
und paut auf ainen zweifei gar,
das sag ich eu fürwar XXII, 1,1.
vrgl. swer umbe dise kurze zit-
die ewigen früude glt,
der hat sich selbe gar betrogen
und zimbert üf den regenbogen. Fr. 1, 7.
Auch wer die sei sein wil bewaren,
damit si wol versorget sei,
der lass die glust hie ierdisch varen,
und hiiet sich vor den sünden frei. „1, 8.
vrgl. swer die sele wil bewarn,
der muoz sich selben läzen varn. Fr. 1, 13.
Wer merken wolt sein missetat,
der hett der meinen vil guet rat
zue melden frne und spat. „1, 12.
vrgl. swer merket sine missetat,
die mine er ungemeldet lat. Fr. 34, 1.
Und wer zwain herren dienen sol
und die ungünstlieh sein in ain,
zwar der bedarf geliickes wol,
das er sein dienst nützlichen lain. „1, IS.
vrgl. w r er zwein herren dienen sol,
der bedarf gelüekes wol. Fr. 50, 6.
Von wen ain man hat ereil grund,
der schäm sich des zu kainer stund. „1, 19.
vrgl. swä von ein man sin ere hat,
schämt er sich des, deist missetat. Fr. S3, 9.
Es ward kain fürste nie so reich,
gleich
Zur altern tirolischen Literatur. I.
639
so wer icli im,
nim,
mit gedenken icli das main. „1, 22.
vrgl. ezn wart nie keiser also rieh,
ichn si im mit gedanken glich. Fr. llä, 20.
Wer mit dem fride welle sein
und trachten nach der sele hail,
mass sich der fürsten prot und wein,,
wann ir gemuct. ist voller mail. „2, 1.
vrgl. swer mit gemache gerne si,
der wese den fürsten selten bi. Fr. 73, 10.
Ich näm ains weisen mannes muet
für vier torleicher fürsten guet
und hielt mein sei in huet. „2, ü.
vrgl. ich naeme eins wisen mannes muot
für zweier richer tören guot. Fr. 80,16.
Secht, manger gvellt im selber wol,
des ist die weit der toren vol. „2, 12.
vrgl. wir gevallen alle uns selben wol,
des ist die weilt gar toren vol. Fr. 84, 6.
Vil manger weilt, er kenne mich,
und der nie recht erkante sich
geleich als ain ander vicli. „2, 19.
vrgl. Maneger waent erkennen mich,
der selbe nie erkande sich. Fr. 106, 12.
Auch wer nie liebes weih gewan,
hau
maint er die best,
vest
bleibt er darauff allain. „2, 22.
vrgl. swer ie liebez wip gewan,
der waent der besten eine hau. Fr. 104, 12.
Wein, zoren, spil und schöne weih,
die vier betören mangen man. „3, 1.
vrgl. Irriu wip, zorn unde spil
diu machent tumber liute vil. Fr. 48. 9.
und der vil lobt sein aigen leib,
secht, der hat lützel er davon. „3, 3.
640
Z i n g e r 1 e
vrgl. swer sich lopt aleine,
des lop ist leider kleine. Fr. 61, 3.
Wer mag die besten ans gelesen,
seid niemant wil der böste wesen? „3, 5.
vrgl. wer kan die besten üz gelesen,
swenne nieinan wil boese wesen? Fr. 90, 23.
Es wirt oft nach dem tod gernemt
ain man, der lob hie nie gewan. „3, 8.
vrgl. man lobt nach töde manegen man,
der lop zer werkle nie gewan. Fr. 61,9.
Wes sieb die iugent bat geweilt,
das alter sieb darnach verseilt,
und wirt gar hart verkleid. „3, 12.
vrgl. ein ieglich kint sich da nach seid,
als ez diu muoter bat gewent. Fr. 108, 11.
Dem wolf zimt nicht wol schafes wat. „3, 13.
vrgl. Dem wolve enzimt niht schafes wät. Fr. 137, 1.
Wer guet gewunnen bat mit not,
die geitikait nicht bodems bat.
si lat es hart bis an den tod. „3, 16.
vrgl. swer guot mit not gewunnen hat,
deist wund r, ob erz sanfte lät. Fr. 37, 16.
Sich vindt, das sanft gewunnen guet
macht holfart und üppigen muet,
und dick ain sündiges pluet. „3, 19.
vrgl. sanfte gewunnen guot
machet üppigen muot. Fr. 36, 21.
Zwar niemand stiit beleihen mag
tag
in aim gemuet
guet,
übel, ain kerleicher schein. „3, 22.
vrgl. in einem muote nieman mac
geleben einen halben tae. Fr. 38, 12.
Und wer aim laidt sein liebes leben,
von freuden er in schaidet weit;
den armen ist nicht anders gehen,
wann guet geding und übel zeit. „4, 1.
Zur altern tirolisehen Literatur. 1.
641
vrgl. dem armen ist niht me gegeben,
wan gnot gedinge und übel leben. Fr. 415, 12.
Die sünde, nagel und das hai-
wachst an dem indischen ierlich fruet. „4, 8.
vrgl. an mir wahset al das iär
sünde, nagel linde har. Fr. 39, 22.
Aim ieglichem dem liehet zwar
neur was er aller gernest tuet. „4, 10.
vrgl. ein iegelfchen dunket guot,
swaz er aller gernest tuot. Fr. 108, 19.
Ich main wol, das ain milter man
zu geben nie genueg gewan,
als vil er möcht gelian. „4, 12
vrgl. Ich weiz wol, daz ein milter man
genuoc ze gebenne nie gewan. Fr. 86, 10.
Wer auf den leib gevangen haiss
leit, dem ist lang ain kurze weil,
und sagt ich alles, das ich waiss,
so müesst ich raumen manig meil. „4, 15.
vgl. und seitich, halbes daz ich w-eiz,
so miieste ich büwen fremden kreiz. Fr. 74, 27.
Man höret selten, toren rat
vil grosser laut betwungen hat, \
wer sich darauff verstat. „4, 19.
vrgl. geligen sin und töi-en rät
vil selten lant betwungen hat. Fr. 82, 14.
Man sichet selten weissagen
tragen
schon die krön
dahaim,
neur in der fremde rain. „4, 22.
vrgl. man siht vil selten w-issagen
in sime lande kröne tragen. Fr. 119, 6.
Und fuer ain ochs durch alle land,
so hiess man in doch neur ain rind. „5, 1.
vrgl. kumt ein ohse in fremediu lant,
er wird doch für ein rint erkant. Fr. 139, 13
Stillen sol man fraidigen hund.
642
Z i n g e r I e
I
s
l :
i
‘4
A
vS-
das er nicht grein zu aller stund. „5, 5.
vrgl. man sol streichen värnden hunt,
daz er ilit grine zaller stunt. Fr. 138, 7.
Gedingen fröwet manchen krist,
und der nie herzenlieb gefreit. „5, 10.
vrgl. gedinge fröwet manegen man,
der doch nie herzeliep gewan. „135, 2.
Und möclit icli freien willen han,
dem kaiser liess ich gar sein reich. „5, 15.
vrgl. mölite ich wol minen willen hau,
ich wolde dem keiser'z rfche län. Fr. 73, 20.
Die weisen möchten nicht bestan
und wären in die toren gleich. „5, 17.
vrgl. die wisen möhten nilit genesen,
soltens äne toren wesen. Fr. 81, 11.
Wir wünschen alters alle tag,
und wenn es kompt, so ist ain klag,
das ainer nimmer mag. „5, 19.
vrgl. wir wünschen alters alle tage,
swanne ez kumpt, so istz ein klage. Fr. 51, 13-
Obwohl Oswald manchen Sprüchen Freidanks schlimme Gewalt
anthut, um sie in sein Reimschema zu zwängen, so ergibt sich den
noch sonnenklar, dass er dessen Bescheidenheit kannte und hier als
Stoff benützte. In ähnlicher Weise bearbeitete er ein lateinisches
Gedicht, dessen Text uns vorliegt.
Proprietates vinosi.
Bis sex, credatis, species sunt ebrietatis.
in multis primus sapiens et alter opimus,
ternus grande vorat, quartus sua crimina plorat,
quintus luxuriat, sextus per numina iurat,
magnum quid fieri, rixas et bella moveri;
septimus incendit, octavus singula vendit,
nonus nil eelat, secretum quidque revelat;
sompnum denus amat, undenus turpia clamat;
cum fuerit plenus, vomitum faeit hic duodenus. i)
') Sterzinger Handschrift hl. 28 b . Sitzungsberichte L1V. Rd. S. 318.
Zur altem tirolischen Literatur. I.
643
Man vergleiche damit Oswald’s Lied:
Und swig ich nu die lenge zwar,
so würd mein schier vergessen gar (Weber S. 86—89),
worin er aber die Vorlage freier und selbstständiger behandelt.
Unter seinen Gedichten sprechen uns aber mehr, als solche Bear
beitungen und als viele mit den künstlichsten, gesuchten Strophen-
lormen ausgestattete Tanz- und Minnelieder (s. Weber S. 129.
134. 142. 145. 169. 196, 198 u. ähnl.) jene an, in denen er in
sein reiches Leben greift und seine Erfahrungen, sein Lieb und Leid,
oder seine Reflexionen in einfacherer Form und mit ungesuchter
Frische darlegt. Ich rechne dazu vorzüglich N° I (S. 21—27), II.
( S. 27—31), III. (S. 31-34), IV. (S. 34—37), VI. (S. 40—46),
das schnittige Hetzlied: „Nu liuss,“ sprach der Michel von Wolken-
stain X. (S. SO), XXI. (S. 81), XXVI. (S. 94), XXXI. (S. 118),
XXXVI. (S. 131), XXXVII. (S. 133), LXXIV. (S. 189), LXXV.
(S. 190), LXXVI. (S. 191), LXXXI1. (S. 201). XC. (S. 213), CXVI.
(S. 268) und ähnl. Es weht uns hier, oft ungeachtet der dennoch
schwierigen Strophen, ein solch frischer Ton, eine solche Wärme der
Empfindung und eine solche männliche kernhafte Gesinnung entgegen,
dass sie in der damaligen Zeit argen Verfalles uns wie Erzeugnisse
eines echten Dichters doppelt angenehm berühren. Manche seiner
Gedichte haben nach Ton, Sprache und Humor etwas echt Volksthüm-
liches und beweisen uns, dass Oswald nicht nur an deutschen und
anderen Kunstdichtern, sondern an dem ewigfrischen, körnigen Volks
liede sich gebildet habe. Ich verweise nur auf folgende;
Wolauff, wir wellen slaffen,
hausknecht, nu zündt ain liechtel S. 49
Wer die ougen wil verschüren mit den beenden S. 66
Iler wiert, uns dürstet also sere,
frag auf wein! S. 165.
Ain graserin durch küelen tou S. 175.
ln einzelnen Strophen kommen Anklänge an das Volkslied oft
vor, ja selbst an ein bekanntes Kinderlied erinnern die Verse:
Da zyssli, miissli.
füssli, fissli,
kenne, klüssli
kompt ins hüsli etc. !) S. 118.
U Vergl. Rorbbolz Kinderlieb S. 374. Stöbbr, Volksbiicblein S. 13.
644
Z i n sr e r 1 e
Wie sehr sich unser Dichter mit der Volkssprache und mit
Volkssprüchen vertraut gemacht hat, zeigen uns die häufigen Sprich
wörter, die er gebraucht. Nicht leicht ein Zweiter hat das Sprich
wort und die sprichwörtliche Redeweise so oft benützt, wie er. Die
folgende Auslese, welche auf ganze Vollständigkeit keinen Anspruch
erhebt, mag dies beweisen.
Die gehen muet, als saekvvein vieli. S. 33,
wann er geit freud und hohen muet
recht, als der sack dem esel tuet. S. 35.
genesch wil haben allzeit sieg. S. 38.
zwar mir sait ainst ain weise mugg,
geleiehe piird precli nienul den rugg,
und siechte gwinn ain edle prugg. S. 39.
wer überwell, der überwalzt. S. 39
ain iegklichs gevelt im selber wol,
des ist die weit der narren vol. S. 39.
wer nie laid versuecliet hat,
wie mag er freud ervaren? S. 40.
die pfeiffent dir mit grillen
zu tanz auff ainer tillen. S. 43.
und hiessen mich ein lappen
in seiner narrenknppen. S. 44.
in grossen wassern michel visch
facht man mit garnen strecken. S. 45.
ie zarter kind, ie grösser ruet. S. 47.
Ich hör, wer übel leihe, das sei ain böser gelt. S. 51.
wer ainen wigt
nach schauen, der pfligt
der witze nicht. S. 55.
er sprach: ia werden solcher leut
von bomen nicht geboren. S. 61.
ain miie die andern vindt,
wers alles wil besorgen. S. 70.
der tod die leng vil saeh rieht slieht
und mangen krumpen sin. S. 70.
wann alte sünd pringt newe schäm,
hör ich die weisen sagen. S. 75.
ie lieber kind, ie grösser besen. S. 79.
darumb so dringt da manger stuel
■7 Vf/ v
Zur altern tirolischen Literatur. I. 645
für alle tisch und penk,
der billich wol ain schamel wer. S. 80.
wenn der apt die würfel tragt,
die brueder spilen all hin nach. S. 93.
das er nicht fiinfe zellen kan. S. 96.
das recht hat gar ein wechsin nas. S. 97.
wann siecht das houbt durch blöden wank,
die glider werden alle krank. S. 100.
ain gwonhait bös, wie alt die ist,
die ist zu meiden kurzer frist. S. 101.
als manig hiern, als manig houbt. S. 101.
wie sol der straffen weih und man,
der sich selbs nicht straffen kan? S. 102.
oft ains gewissen ist so lom,
si krumpt sich als der weg gen Rom. S. 103.
wann alte weih und enten
gehören in einen see. S. 122.
so ist neur, ach!
mit ungemach
feur in dem dach. S. 123.
Ach senliches leiden,
meiden,
neiden,
schaiden,
das tuet wee. S. 142.
gelück ist guet für ungevell. S. 131.
so tuet si gleich als der Abrell. S. 151.
sinbel recht als die biern. S. 152.
die vasnaeht und des Maien pfat
die pfeiffen vast auss ainem sack. S. 133.
durch ahenteuer
muess man wagen vil. S. 156.
vil besser ist mit eren kurz gestorben zwar,
wann mit schänden hie gelebt zwai hundert iar. S. 159.
vier hundert iar auf erd die gelten neur ain tag. S. 189.
wo herzenlieb beinander ist,
do dürt die nacht ain ougenblick. S. 190.
wer alden weihen wol getraut,
■HiHHiWHiMlMHiHi I
646 Z i n g e r1e
der nimpt den teufel zue der ee. S. 207.
es ist ain alt gesprochen wort,
recht tuen das sei ain grosser hört,
wann es kompt alles an den tag. S. 215.
freuden hoff und halt die mass. S. 219.
zwar alte sünd pringt neues laid. S. 234.
trag-, neidig, als der esel und hund S. 239.
lieh an laid die leng nit mag besten. S. 251.
die zeit pringt glück und ungevell. S. 252.
das si als ain zeisel sung. S. 256.
wer du ietz pist, der was ich vor. S. 261.
so wirt mir pald ain strich dadurch getan. S. 262.
ie grösser er, ie merer toben und wüeten. S. 269.
ie grösser lieb, ie grösser laid. S. 269.
wer hocher klimht an widerhab,
wer mag des ieht, vellt er herab? S. 271.
geleich kiest sein geleichen. S. 275.
Dahin weisen auch volkstümliche Alliterationen, z. B.
mein mitt und mass S. 25.
gefangen und geföeret S. 29.
in wasser, wetter, wegen S. 29.
stain, Stauden, stock, snee, stangen S. 32.
wie vil ich sich, hör, sing und sag S. 46.
plitz und platz S. 57.
mit smucken und mit smiegen S. 69.
wol auff, all vogel rauch und rain S 76.
recht und rat S. 101.
klumpern, klingen S. 115.
ich kouff dir kue und kalben S. 122.
das gilt dir wärst, und weck S. 1 22.
geuden und güften S. 129.
und kan mich weder weis noch wort S. 132.
frisch, fro, frei S. 166.
dein schallen und scherzen S. 167.
frisch, frölich, fruet, S. 173.
frisch, frei, fro, frölich S. 184.
gail, gol, gölich S. 184.
frisch, frei, fruet S. 186.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
647
schallen, schimpfen S. 188.
kinn und kel S. 213.
leih und leben S. 267.
henn und han S. 27S.
Auf das Volkslied weist auch der in seinen Gedichten verwen
dete Juchzer hin:
ju haig, haig!
ju haig, haig!
ju haig, haig! S. 166.
ju heia haig! S. 174.
und das an den Jodler mahnende: heiaho! S. 171. 172.
Mit Oswalds Poesie steht seine Musikkenntniss in innigstem Zu
sammenhänge. Manche seiner Lieder nehmen sich wie heutzutagige
Operntexte aus, die an und für sich wertldos, erst von der Musik ge
tragen, Wirkung und Bedeutung erhalten. Es wäre deshalb sehr zu
wünschen, wenn einer neuen Ausgabe auch die Melodieen in Noten
beigefügt werden könnten. Dass unser Dichter für die damalige Zeit
bedeutende Kenntnisse der Musik besass, bezeugt er uns selbst, z. B.
auch kund ich fidlen, trummen, paugken, pfeiffen S. 22.
Auf seine Sangeskunst und Notenkenntniss kommt er öfters
zurück:
nach unserm fueg
begund wir singen, schallen. S. öS.
was get die red den Plätzscher an?
mein singen mag ich nicht gelan.
wem das missval, der lass mich gan. S. 214.
und manche fürstin schöne,
die mich zu schallen bat. S. 222.
Auf seine Notenkenntniss deuten:
Auff von dem ut hoch in das la,
und hrab zu tal schon auff das fa. S. 214.
Si dempft die gantzen musica
mit grosser resonantz,
die recht mengur apposita,
all noten hol und gantz
lat si erzittren durch ir kel. S. 222.
und mich veriert
mein singen und erschellet
648
Z i n g e v 1 e
durch manche valsche dissonant/.,
falseten gross, dabei kain freuntlich concordantz.
der resonantz
hat mich so dick verdrossen. S. 78.
cant frolich sol la Barbara. S. 290.
Und Herzog Friedrich sagt von ihm:
wir müessen singen fa sol la
und tichten höflich von den schönen weihen. S. 62.
Selbst das erfahren wir von ihm, dass er Tenor gesungen
habe :
„0 wee“ ist mein gesangk,
das selb quintier ich tag und naciit.
mein tenor ist mit rümpfen wol bedacht. S. 261.
An die Stelle des ehemaligen hellen Singens und Schallens war
ein böser Husten getreten:
für singen liuest ich durch die kel,
der atem ist mir kurtz. S. 261.
Auf seinen Wanderungen hatte er sogar „heidnisch singen“
gelernt.
ain edler nam ward mir gelesen
Wisskunte von Türkei,
vil manger want, ich sei gewesen
ain haidenisclier frei;
mörisch gewant von gokle rot,
künig Sigmund mirs köstlich hot;
dorinnen kund ich wol swanzen
und haidnisch singen und tanzen. S. 44.
Seine Dichtkunst und sein Gesang verschönten ihm das Lehen,
gewannen ihm Freunde und Ehren auf seinen Reisen, wie sie ihm
seine Einsamkeit auf Hauenstein versüssten. Wie auf sie, blickte
aber auch auf seine weitgestreckten Wanderungen der Dichter mit
gerechtem Stolze zurück, denn die Wenigsten seiner Zeit konnten
sich rühmen, so vieler Menschen Städte gesehen und Sitten kennen
gelernt zu haben, wie er. Alle Länder unsers Erdtheiles, einen Theil
Asiens und Afrikas hatte er durchwandert, und auch „auf dem Meere
viel herzkränkende Leiden erduldet.“
Zur altern tirolischen Literatur. I.
649
Er wusste auch die Früchte seiner Reisen zu schätzen und
immer von neuem taucht die Erinnerung an seine Fahrten in seinen
Liedern wieder auf. Sie bildet seinen Stolz; denn im Dichten und Singen
wetteiferten mit ihm manche, in Bezug auf Reisen-und Länderkennt-
niss konnte wohl kein Deutscher mit Ausnahme des Johannes Schild
berger sich mit ihm messen. Kein Wunder deshalb, dass der Dichter
in seinen Liedern so oft auf dies Thema zurückgreift!
Es fuegt sich, do ich was von zehen iaren alt,
ich wolt besehen, wie die werlt wer gestalt ;
mit eilend, armuet mangen winkel haiss und kalt
hab ich gebaut bei Christen, Kriechen, beiden. S. 2i.
Gen Preussen, Littawn, Tartarei, Türkei, über mer,
gen Frankreich, Lampart, Yspanien, mit zwaien künges her
traib mich die minn onf meines aigen geldes wer. S. 22.
Ich bah umbfarn
insei und arm,
manig land
aufl' scheffen gross. S. 22.
von liaim so wolt ich varen
ain rais in fremde land.
in Portugal, Granaten,
Yspania, Barbarei,
dorinn kom mir ze staten
vil krumper stampanei. S. 3ü.
Durch Barbarei, Arabia,
durch Hermany in Persia,
durch Tartary in Suria,
durch Bomany in Turggia,
Ybernia,
der sprüng hab ich vergessen.
Durch Reussen, Preussen, Eiffenlanl,
gen Litto, LitTen übern strant,
gen Tenmarch, Sweden, in Prabant,
durch Flandern, Frankreich, Engelaut
und Schottenlant
hab ich lang nicht gemessen.
Durch Arragon, Kastilie,
Granaten und Alleren,
Z i n g e r I e
650
aus Portugal, Yspanie
bis gen dem Yinstern-steren,
von Profenz gen Marsilie,
in Races vor Saleren,
daselbs belaib ich an der e etc. S. 31. 32.
Ispania, Preussen, soldans lant,
Tenmarch, Reussen, Eifenstrant,
Aircren, Frankreich, Engelaut,
Flandern, Bickardi, Prabant,
Cippern, Nappel, Romani, Duscant,
Reinstram, wer dich hat erkant,
bistus der freude token. S. 117.
In Frankreich.
Ispanien, Arrigun, Castilie, Engelant,
Tenmark, Sweden, Belieim, Ungern, dort
in Pullen und Alleren,
in Cippern und Cecilie,
in Portugal, Granaten, soldans krön,
die sechzehen künigreich
hab ich umbfaren und versueclit. S- 221.
Von seinen Fahrten nach England, Schottland, Irland, Portugal,
Barbarei erzählt er im Gedichte XIII ausführlicher,
Und in seinen geistlichen Liedern sagt er:
Was hilft mich nu mein reisen fremder lande,
in manig küngkreich, das mir ist bekande? S. 26S.
Wenn ich mein krank vernuft nerliehen sunder
und vast bedenk der tummen weide wunder,
der ich ain t a i 1 ervar e n li a n,
gesehen und gehöret. S. 270.
Nebst diesen allgemeinen Bemerkungen über seine Reisen tlieilt
uns der Dichter auch viel Einzelnes daraus mit, z. B. wie er aut
dem schwarzen Meere Schiffbruch litt (S. 22. 28), wie die Königin
von Arragon ihm ein Ringlein an den Bart band (S. 23), wie ihn die
schöne Königin Margarite mit zwei Ohrringen schmückte (S. 44)
und wie er zu Bethlehem die vom erzürnten Teufel gespaltene Mauer
selbst gesehen habe (S. 233) '). Hieher gehören auch die Gedichte
0
des Wunders bloss
gar ser verdross
Zur altern tirolischen Literatur. I.
651
von seinem Aufenthalte in Constanz (S. 37. 40), von seinem Leben
in Perpignan (Parpian) (S. 40), in Paris (S. 44), von seinem Weilen
in Köln (S. 54. 57) und seinem Elend in Presburg (S. 48). Hieher
gehört auch sein Lied an den Pfalzgrafen Ludwig, dem er die schöne
Preisstrophe auf Heidelberg einflicht:
Ich ruem dich, Haideiberg!
lob
oben
auf dem perg
das schöne
fröne
mündlin rot u. s. f. S. 32.
Noch einmal feiert er Heidelberg und das schöne Leben auf
dem Schlosse in dem Liede:
Gen Haideiberg
rait ich zu meinem herren reich. S. 56,
wo er auch seine Sangeskunst zeigen musste:
schier muest ich singen,
hell erklingen
manig lief
an allen iamer.
Vom Lobe Heidelbergs sticht scharf das Spottlied auf das un
verschämt tlieure Überlingen ab:
Wer machen well sein peutel ring
und im des selben wol geling,
der frag den weg gen Uberling!
da gelten vierzen pfiflerling
fiinfzen Schilling etc. S. 34,
so wie das heissende Gedicht aufseinen Aufenthalt in Oberitalien:
Wer die ougen wil verschüren mit den brenden. S. 66.
Tritt in vielen seiner Gedichte ein derber, volkstümlicher
Humor zu Tage, so geschieht dies vorzüglich in den zwei letztge-
den tiefel gross,
das er durch zornes laide
brach in ain mauer tieft“ ein klut't,
als es die alten iehen.
zu Betlaheme ob der gruft
die spalt bah ich gesehen.
Sitzb. d. phil.-hist. Ol. LXIW Bd. III. Ilft.
43
652
Ziug-erle
nannten. Auch von Augsburg (S. 55 u. 215) und Ulm weiss er uns
zu erzählen (S. 55); in letzterer Stadt begegnete ihm Folgendes:
Zu Ulmen vand ich ainen tanz, köstlich verschränkt
von freulin klueg,
die künden höflich schallen.
Ain edelman
der weist heran
sein elich kon ')
für mich zu sten:
„nu haiss mir den
wilkomen schon!“
si sprach zue im:
„ich wol vernimb
dein krumben don;
was möcht mir, ach!
der beghart wol gevallen?“ —
Ser ich engalt,
das mein gestalt
fuert halbs gesicht 3 ).
Unter seinen hier berührten Gedichten sind von besonderem
Interesse die über seinen Aufenthalt zu Constanz während des Con-
cils (S. 37 ff.) und sein Weilen in Perpignan (S. 40). Die Reisen,
deren erste er schon als zehnjähriger Knabe begann, gaben Oswald
1) Kun WX. Kan J.
3 ) Vrgl. „seid mir ein oug sein wandel zaigt“ S. 150.
„do sich zu fleiss mein oug“ S. 160.
Oswald verlor schon als Knabe durch einen Schuss hei einer Fassnachtfeier
lichkeit sein rechtes Auge, weshalb er in Familienaufzeichnungen: „Oswalt mit
dem ainem Auge“ genannt wurde. Über seine Gestalt gibt er uns keine weitere An
deutungen, als:
Ain k r a u s weiss har
von locken dick het ainst mein houbt bedecket,
das selb plasniert sich swarz und graw,
von Schilden kal durchschöcket.
mein rotter mund wil werden plaw.
darumb was ich der lieben widerzam. S. 261.
Seinen früh ergrauten Bart berührt er:
mein dienst der louft neur hinden nach,
seid mir die weiss durch braunen hart auf dringt. S. 223.
Zyr altern tirolisehen Literatur. I.
653
jenen freien, weitsehauendeu Blick, jene treffende Beobachtungsgabe
der Menschen und des Lebens, jenes sichere, feste Urtbeil, die wir
in seinen Gedichten bewundern. Und in welchen verschiedenen Lagen
und Schicksalen begegnet uns hier der von Abenteuerlust getriebene
Jüngling und der vielgewanderte Mann! Als Knabe, der mit drei
Pfennigen zu Fuss den Bitterschaaren nachläuft, als Koch, Pferde
knecht, Schiffsjunge, als Schiffbrüchiger und Kaufmann, und dann
als gefeierter Held und Sänger, den Königinnen ehrten und schmück
ten, als Freund, Bath, Begleiter und Gesandter desdeutschen Kaisers,
und dann wieder begegnet er uns als ein von seinem Landesfürsten
Verfolgter und Geächteter, der in der Fremde Kettung, und Heil
sucht. Wohl kein Dichter hat den Wechsel des Schicksals in solcher
Fülle erfahren, wie Oswald, und er klingt mächtig durch seine Lieder
von der himmelaufjauchzenden Freude bis zum herzverzehrenden
Grame. Die ßeisen und deren Erlebnisse gaben aber unserm Dichter
nicht nur diesen Beichthum und diese Mannigfaltigkeit des Stoffes,
sondern verliehen ihm jene für seine Zeit so seltene Sprachenkenntniss,
die selbst aus seinen Gedichten widerklingt.
Er sagt:
Franzoisch, mörisch, kationisch und kastilian,
teutsch, latein, windisch, lampertisch, reuschiseh und roman,
die zehen sprach liab ich gebraucht, wenn mir zerran. S. 22.
Einzelne Proben dieses Wissens begegnen uns zerstreut, z. B.:
non maiplus disligaides S. 23, und nent man si raicädes S. 23,
und scbrai: misericordia! do canta dulz den firlafai S. 65, passart
S. 65, pro zingk soldin,
et tre zesin S. 66, conscientz S. 67, cum dola S. 67, noli me
tangere S. 69, paga den zol S. 116, huet dich vor kalamiten S. 109,
challa, potzu, karga S. 109, viegga waniadat was ir gruess S. 206.
Ein grösseres Zeugniss für seine Sprachkenntniss gibt er im folgenden
tändelnden Gedichte, das ihm manche Mühe gekostet haben mag:
1.
Do fraig amors,
adjuva me!
ma lot, mein ors,
na moy sercce
43*
654
Z i n g e r I e
rent mit gedank,
frow, pur aty.
eck lopp, eck slapp,
vel quo vado,
we segg, mein krap
ne dirs dobro;
ju gslaff, ee frank,
mersclii voys gry.
Teutscli, welchisch mach,
franzoisch wach,
ungrischen lach,
brot windisch bacli,
flemming so krach,
latein die sibend sprach.
2.
Mille schenna,
yme, man gür,
per omnia
des leibes spür,
centza befiu
met gschoner war
dut serviray,
pur tzscliätti gaiss,
nem tudem frai,
kain falsche rais.
got wett wol twiu
eck de amar.
Teutscli, welchisch mach etc.
3.
Demit mundesch,
Margaritha well,
ex profundes
das tuen ich snell.
dat löff, draga Griet,
per ma foy.
in recommisso
Zur altern tiroliselieu Literatur. I.
(lyors et not
my ty commando.
wo ich trott,
yambre, twoya
allopp my troy.
Teutsch, welchisch mach etc.
Exp o s i c i o.
1.
Do fraig amors, ach wars mein lieb,
adjuva me, hilf mir,
ma lotmein pferd,
min ors, mein ross
na 2 ) moy sercce, dorzu mein herz
rennt mit gedank
frow r , pur aty, frow, neur zu dir.
eck lopp, eck slapp, ich lauff, ich slaff,
vel quo vado, oder wo ich gen,
wesegg, werlicli,
mein krapf
ne dirs dohrö, der halt nicht vast,
ju gslair, ich aigen,
ee frank und frei,
merschy voys gry,
dir denklich ruelf.
2.
Mille schenna, zart liebstes weib,
yme, see hin,
man giir, mein hertz,
per omnia, liberal,
meins leibes spür.
eentza betiu, an allen spot
met gschoner war,
mit schönem werd
655
1 ) lout X.
s ) nay X.
656 Zingerlo
dut serviray,
ich dien dir ganz,
pur tscliätti gaiss, neur was du wilt,
nem tudem, und waiss nit,
fray, für war
kain falsche rais.
got wet wol twiu, g'ot waiss wol wie,
eck de araar, ich dich lieb hab.
3.
Demit mundesch, neur was du wilt,
Margarita well, mein schöne Gret,
ex profundes, aus ganzen gründen
das tuen ich snell.
dat löff, das gloub,
draga Griet, liebe Gret!
per ma foy, auff mein treu.
in recommisso, in dein bevelclinuss,
diors et not, tag und nacht
my ti commando, mich dir emphilch.
wo ich trott,
jambre, liebe,
twoya, neur dein,
allopp my troy, all auff min treu. (S. 162 ff.)
An dies Gedicht reiht sich ein anderes, in welchem Oswald
seine Kenntniss des Niederdeutschen verwertet. Es lautet nach X:
Grasselick lif, war lief ick dick verloren
all dise lange sütten summertit,
dat gi mi komt tu vorn,
so left min hert in grot io lit.
Geilicken fro all telich sunder truren
tut io frowen lan einig minen lif.
dat gschol ick nit verluren
mit willen gschin dein einig wif.
Freuntlicker gschat, dat slot müt gschin verbunden
und so keiserlick wol verrigelt sir,
Zur altern tirolisehen Literatur. I.
657
erst lief ich freiule funden
und weit min hert kain andern mier *)• S. 199.
Das erstere dieser Gedichte ist an Margaretha von Sehwangau
gerichtet, vermuthlich auch das zweite. Margaretha war ja dastreue,
gemiithreiche, edle Weih, das dem fahrtenmüden, sorgenvollen Dichter
„sein herz erlöste“ 2) und ihm das Glück wahrer Liebe erschloss. Ob
er im Jahre 1409 diese Dame in Schwangau schon kennen lernte
und sich mit ihr verlobte, wie ß. Weber wissen will 3), lassen wir
dahingestellt, da uns alle Belege für diese Annahme fehlen. Gewiss
ist, dass er sie schon kannte, als er in Constanz während des Concils
mit ihr zusammentraf 4 ). Beiläufig 1414—1416 führte Oswald die
1 ) Auch sonst begegnen niederdeutsche Formen oder Aukliinge davon: grot S. 193.
beschütten (beschützen) S. 69. sütten hechtigin S. 66. höggen S. 190.
3 ) Mein hertz iungt sich in hoher gail
und ist getrost,
erlöst
von lieber hand,
die inir zu fleiss, frei tadels mail,
zärtlich erschoss,
entsloss
all meine band
so gar an streflich sehand S. 161.
s ) Oswald und Friedrich S. 171 ff. Dass sie ihm vor ihrer Erscheinung in Constanz
verlobt war, scheint das schöne Lied „Senlich mit langer zeit und weil vertreib“
S. 199 zu bestätigen.
0 wunnikliches paradis,
wie gar zu C o s t n i tz v i n d ich dich!
für alles, das ich hör, sich, lis,
mit guetem herzen fröust du mich.
Inwendig, auss und überal,
zu Münsterling und anderswa
regniert dein adelicher schal:
wer möcht da immer werden graw!
Vil ougenwaid
in mangem klaid
siecht, zierlich, raid
sicht man zu Costnitz brangen
von miindlin rot
an alle not,
der mir nins drot
mit röselochten wangen etc. S. 201.
658
Z i n g e r I e
herzlich geliebte Schwäbin i) auf seine einsame Burg Hauenstein, die
sie ihm durch ihre Liebe und ihre Tugenden in eine selige Insel ver
wandelte. Oswald leierte seine Gattin nun in Liedern, die „an Wahr
heit und Glut alles übertreffen“, was er je gedichtet hat 2 ). Ich ver
weise auf das Wechselgespräch S. 176 und andere Lieder, S. 178,
182, 187, 199, auf das Frühlingslied :
Wol auff, wol an !
kind, weih und man ete. S- 173.
und den Neujahrswunsch S. 167. Das glückliche Liebeleben ward
aber schon vor 1427 durch „Gretli’s“ Tod gelöst. Von seiner zweiten
Frau Anna von Ems, die schon 1432 von hinnen schied, meldet
uns keines seiner Lieder. Aber die Stelle III, 2, 20 ff.:
vor angst slaeh ich inein kinder
oft hinhinder.
so kompt ir mueter zue gebraust,
zwar die beginnt zu schelten;
gab si mir aines mit der fällst,
des muest ich ser engelten.
si spricht: „wie liastu nu erzaust
die kind zu ainem zelten!“
ab irem zoren mir da graust,
doch mangel ich sein selten
scharpf mit spelten.
ist zweifelsohne auf sie zu beziehen.
So konnte und durfte Oswald von Margaretha nicht sprechen
und es klingt wie Sehnsucht nach seiner innig geliebten ersten Frau,
wenn er in dem nämlichen Liede früher klagt:
Vil gueter witz der gieng mir not,
seid ich muess sorgen umb das prot,
darzue so wirt mir vil gedrot,
und tr ö s t mich n i e n a m ü n dli rot; 3 )
0 Vrgl. dafür lieht mir ain rotter mund
von Swaben her. S. 212.
Ain stolze Swnbin das bewärt,
an der sich nie kain tadel vand. S. 212.
2 ) Vrgl. S. 160. 16t. 172. 173. 176. 178. 182. 189. 201. 211. 212. u. a.
3 ) Margaretha nennt er ja seine Trösterin LVF, 1. Von ihr sagt er:
darnach ein edel R und E
mich trösten sol
Zur altern tirolischen Literatur. I.
659
den ich ee bot,
die lassen mich eilende. III, 2, 7 ff.
Abgesehen von andern Dingen, die uns gänzlich unbekannt sind,
mochte schon das einsame Leben auf dem von allem Verkehre abge
legenen Schlosse die Einserin, deren Heimat nahe dem Rheinthale in
milder, schöner Gegend lag i), verstimmen und, wie es aus der oben
angeführten Stelle scheint, ihr reitzbares Temperament steigern.
Enttäuschungen auf beiden Seiten mochten das Familienleben um so
mehr stören, je mehr Oswald an das schöne innige Zusammenleben
mit Margaretha dachte. Höchst bedeutungsvoll, ja noch tiefeingrei
fender in das Leben und die Gedichte des Wolkensteiners, selbst
als Margarethe, tritt uns eine andere Frauengestalt entgegen: Sabina
Jäger ausTisens, später v e r eh lic ht e Hausma nn. Erscheint Gretli
als milder Engel, der Trost, Frieden und Glück in des Dichters Herz
goss, so war die schöne Jägerin der böse Dämon, der feurige Liebe,
Unruhe, Hass und Verfolgung in Oswald’s Leben brachte. Es musste
kein gewöhnliches Weib gewesen sein, das den vielgewanderten
Dichter, der so viele Schönheiten kennen gelernt hatte, derart ent
zündete, dass er ungeachtet aller Treulosigkeiten und Verfolgungen,
die er von ihr erduldet hatte, ihrem Andenken nicht entsagen konnte.
Die Erstlingsliebe zu dieser an Körper und Geist hochbegabten Ko
kette begleitete unsern Dichter wie sein Schatten durch das Leben,
wenn auch zwischendrein die Erinnerung an sie in Hass und Ver
wünschungen umschlägt. Ais er von seiner ersten langen Fahrt
(1396?) nach Tirol ziirückgekehrt war, lernte er sie kennen, die
•achtzehnjährige 2 ), bildschöne Jungfrau 8 ) und ward von heisser Liebe
so wol
durch roten mund,
frölich zu aller stund. S. 161 (LVI. 2, 5)
mich frewet, traut M'eib,
dein roter mund. S. 168.
ir röseiochter mund S. 173.
von deinem röselochten mund. S. 177.
mich freut für war
ir roter mund. S. 182.
*) Vrgl. .1. v. Bergmann. Landeskunde von Vorarlberg S. 51 u. 105, und desselben:
Die Edlen von Embs. Denkschriften der kais. Akademie Bd. 11, 93 ff.
2 ) N° XLV1I. S. 150. Weber Friedrich und Oswald S. 123.
3 ) Ihre Beschreibung' XLVIII. 2, 1 II'. S. läi. vrg 1 . auch I. 6, I II'. S. 25.
660
Z i n g- e r I e
zu ihr hingerissen. Sie aber konnte gegen den frühgealterten, ein
äugigen Dichter, dessen Haare schon grauten, keine wahre Neigung
empfinden, die Verehrung des vielgewanderten, berühmten Helden
schmeichelte aber ihrer Eitelkeit. So entspann sich von ihrer Seite
jenes Spiel von scheinbar liebender Hingabe und Schmollen, das
Oswald so treffend im Gedichte, worin er die Geliebte mit den Mo
naten vergleicht, uns schildert'). Dass sie ihm manchmal nicht nur
gewöhnliche Liebesgunst gewährte, scheint aus seinen Gedichten
sich sicher zu ergehen 2). Um des ungestümen Werbers endlich los
zu werden, gab sie ihm zur Liebesprobe eine Wallfahrt nach dem
heiligen Grabe auf, die der von Liebe Betbörte auch unternahm 3 ).
Indessen aber verehlichte sie sich mit dem alten, reichen Haus
mann in Hall und der gegen das Ende 1400 nach Tirol zurück
kehrende Dichter fand sich durch diese Belohnung seiner Liebes-
wallfahrt aufs Bitterste enttäuscht. Ihr Bild trug er aber dennoch in
seinem Herzen, denn nach seinem eigenen Geständnisse diente er
ihr dreizehn Jahre 4 ). Sie aber hatte einen zwar reichen, doch in
andern Beziehungen nicht hervorragenden Mann geehlicht, der schon
dem Alter nach der jungen, eitlen Dame nicht Zusagen konnte. Im
Jahre 1410 starb Hausmann und vielleicht dachte die junge Witwe
an ihren frühem Verehrer, der nun eine so bedeutende politische
Rolle spielte. Er aber führte die Schwangauerin zum Altäre, und
Thatsache ist es, dass die Hausmannin des Dichters grössle Feindin
ward. Ob gekränkte Liebe, enttäuschte Hoffnung und Eitelkeit das
Motiv zu ihrem Vorgehen gegen Oswald, oder das Streben es war,
dem Herzog Friedrich, dessen Buhle sie genannt wurde s), gefällig
») N° xlviii. s. ist.
2 ) Vrgi. in freuden si mir manig- nacht
verleeh ir ermlin blos. S. 252.
mit meines p ne len freunt. S. 61.
mein puel laist mir Gesellschaft zwar. S. 151.
3 ) I, 4, 1 ff.
4 t
Ain frauenpild,
mit der ich han mein zeit so lang 1 vertrihen
wol dreuzehen iar und dnnnoch mer,
in treuen stet heliben
zu willen nach ir’s herzen ger,
das mir auf erd kain mensch nie Hebers was. S. 251.
und ich den tratz muest sehen an,
das si ain andern t reuten kan,
Zur altern tirolisehen Literatur. I.
661
zu sein, lassen wir ununtersucht. Vermuthlich wirkten beide Motive
zusammen. Thatsache ist es, dass sie ihn circa 1418 in die Falle
lockte und ihn zum Gefangenen des Landesfürsten machte. Da sie
von ihren Altern her eine Forderung an die Wolkensteiner hatte,
verlangte sie Hauenstein oder 6000 Gulden') und lud Oswald zu
einer Besprechung über diese lange schwebende Angelegenheit nach
Tramin ein, wo sie sich im Herbste auf ihren Gütern aufhielt. Unter
dem Vorwände einer Wallfahrt eilte er dorthin 3 ), wurde von Neid
hart, Frei und Jäger überfallen, gefangen und in den Thurm zu
Entiklar geschleppt, wo sie von ihm 4000 Mark Berner oder Hauen
stein s) forderte. Von dort wurde er später 1421 in’s Gefängniss
nach Innsbruck abgeführt, aus dem er erst im Jänner 1422 ent
lassen wurde. Die Klage über ihren Verrath, die Erinnerung an die
schmerzliche Gefangenschaft klingt aus manchem Liede 4 ), z. B.:
die mich vor iaren ouch beslueg
mit grossen eisen niden zu den bainen.
was ich der minn genossen hab,
der mirvil Iaides hett getan,
das laidot mir mein essen. S. 46.
sechs tausend g-uldin wil er han,
die puelschaft kam mich sauer an. S. 49.
mit meines puelen freiint muest ich mich aineh. S. 61.
*) Weber, Friedrich 356. Osw. Gedichte S. 12.
2 ) Au fl' wolgetrawen ich mich verschoss
zu ir von rechter liebe gross,
des hab ich mangen herten stoss
des selben gang’s erlitten.
Do ich ir kirchfart übersach,
die si wolt reiten, als si sprach,
kain hailg hett irs’s geschriben nach,
hett si die fart vermitten.
Doch hab ich es also betracht,
die rais wer mir zu guet erdacht,
wann hett si mich gen himel bracht,
so müsst ich dort für si bitten,
dorumh das si mir an gever
mit ainer boyen michel swer
die schinpain freuntlich hin und her
hiess reihen ane sitten. S. 46. vrgl. das ganze Gedicht N° VII.
3 ) S. 47.
4 ) S. 46. 48. 61. 252. 258.
662
Z i n g e r l e
des werden meine kiiullin noch wol innen,
wenn ich dort lig in meinem grab,
so müssen si ire hendlin dorumb winden,
das ich den namen ie erkant
von diser Hausmaninne n. S. öl.
Er wundert sieh, dass er ihr so lange trauen konnte.
Mich wundert mer,
das ich mich nie kund massen meiner frowen,
die mich so lang betrogen hat
mit grossen ungevellen.
mich hat geplent mein tummer sin
und nie bekant, das si mir was gevar. S. 277.
und warnt vor schönen Frauen >)•
Bald nachdem Oswald die Freiheit wiedergegeben war, schied
Sabine von dieser Erde 2). Oswald erwähnt nach ihrem Tode seiner
Freundin und Feindin zweimal. Einmal, erbittert von ihrem Verrathe
und seiner Gefangenschaft, der er ein bis zu seinem Tode andauern
des Leiden zuschreiben musste, in derber Weise, mit arger Ver
wünschung:
dank liab mein alter buel,
die mir hat zue gepfiffen
vil meines leibes not,
wie wol si hat begriffen
vor lang der bitter tot!
ir letz die slach der schauer
und kratz der wilde her!
die ist mir worden sauer,
1) S. 257. 258. Der Schluss lautet:
auch ward betäubet,
gefangen durch ains weibes list
der von Wolkenstein, des bank er inangen tritt.
Dorumb so rat ich iung und alt:
fliecht pöser weibe glanz!
bedenkt inwendig ir gestalt,
vergiftig ist ir swanz,
und dient den frommen freulin rain,
der lob ich preis für all karfunkelstain.
2 ) Weber, Friedrich S. .‘160.
■
Zur altern tirolischen Literatur. I. 663
das icli ir nimmer ger.
liet icli die lieb gesiidert
bei ainer haissen gluet,
des wer icli bas gefödert
an leib, sei, er und guet. <),
das andere Mal in edlerer Art mit der Bitte, Gott möchte ihr Alles
vergeben, was sie ihm Liebes und Leides gethan hat.
Zwar alte sünd pringt neues laid,
des wird ich teglich innen,
umb das ich leid vil gross arbeit,
dem kan ich nicht entrinnen.
Wie wol der leib
von ainem weil)
mit todes schreib
ist in der erd versoffen,
so hat ir letz
mit scharpfer wetz
und sneller hetz
mein hail auff erd erloffen.
Ich waten, noch geswimmen kan
und get mein pflueg uneben,
was si mir lieb, laid hat getan,
das well ir got vergeben. S. 234.
Herman Schmid hat in seinem Romane „Friedei und Oswald“
die zwei Frauengestalten Gretli und Sabina mit vielem Glücke aus
der Vergangenheit heraufbeschworen und ihrGedächtniss in weiteren
Kreisen erweckt. Beide verdienten es, denn beide griffen tief und
nachhaltig in das Leben, wie in die Poesie unsers Sängers ein.
Traurige Erfahrungen muss unser Dichter an älteren Frauen
gemacht haben, darauf verweisen die Stellen:
Wer alden weiben wol getraut,
der nimpt den teufel zu der ee.
secht, also ist geschehen mir 2 )
und noch vil mangem iner.
J ) S. 30.
3 ) Wäre dies wörtlieh zu verstehen und auf Anna von Ems zu beziehen? Die verlier-
gehende Strophe könnte darauf deuten.
■
664
Z i n g e r 1 e
Man solt si baissen in der haut
und darnach werfen in den see.
das war ain hochzeitliche zier,
der werlt ain köstlich er.
Zobri und kuppelspil
das machen si nicht tewer,
es wirt oft aine gar versert
mit ainem haissen fewer.
dorumb hab ich gedingen guet,
also beschech ouch der.
Wann in ist nicht ze vil,
wo si den segel wenden.
das prueft man an der aubentewer wol.
man solt si blenden
und all ir lielfer swach, unfruet.
das wer meins herzen ger. S. 207. 208.
In dem Gedichte, das uns erzählt, wie ein Ritter und ein Bürger
unter dem Vorsitze einer alten Dirne disputieren, wer yon ihnen mehr
Glück bei Liebeswerbungen habe, lautet der Schluss:
wer alte weiber hauset,
der hat ouch geren gest.
wann alte weib und änten
gehören in ainen see.
was sol man dran verquenten?
kain vieh das snattrot me. S. 1-22.
Ist diese Obmännin eine Kupplerin aus Brixen i), so bezieht sich
ein anderes Gedicht auf dieselbe Stadt und die dortigen Zustände.
Er singt:
Nu mir der pawer ist gevar,
und auch gen Brixsen nicht wol tar,
dorumb das ich erzürnet han
ain klainen ungenant
1 ) Sie selbst sagt von sich:
ich hab mein zeit verkuppelt
zue Brixsen in dem kraiss,
vil parell aus gesuggelt,
das ich den louff wol waiss. S. 119.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
665
Mit ainem smalen widerdriess,
den ich liot dem geraden viess. ')
so reut mich klain, wes icli dem gan,
der mir den schimpf da wandt.
Der fräveliche schlupf
dem risen wer geweret,
dem er zu seiner metzen tuet.
und alle gassen keret
mit einem m a n t e 1 Gabriel.
des faul dir mer ain zand!
Ich näm ain grossen klopf,
als der mir Strassburg gäbe,
ob in wurd allen ausgefegt
mit ainer haissen schabe,
die minn da pflegen sunder hei
durch gogeliche schand.
Ich wond, mein sach wer richtig ganz,
neur an der treu so lag der stoss.
das markt ich wol an aim gereun 3 ),
das stob aus faulem luft,
Da sweigen was mein peste schanz,
got sei gelobt, wes ich genoss,
do man die rigel und die zeun
so geren hett vermulft.
Noli me tangere!
laich mich nicht, Pertzli Ueli!
was sich nicht gelimpfen mag,
das rieht man auf ain stueli
schon mit der newen band beluckt
nach welischer vernull't.
Leicht tuen ich mir so wee
mit smucken und mit smiegen,
ob ich den bauch noch recken möcht,
leicht liulf ich ainen biegen,
D Füss X.
') geriin X. gerün .1.
606
Z i n £ e r I e
der mir den Staffel geren zuckt
tief in des meres grnft. S. C8. 69.
Der Anfang dieser Stelle
Nu mir der pawer ist gevar,
und auch gen ßrixsen nicht wol tar,
deutet auf Oswald's Streit mit dem ßrixner Bischöfe Ulrich Putsch,
dem er am Allerheiligenabende 1429 für dasDomcapitel eintretend ei
genhändig eine kräftige Ohrfeige gab *). Unter Pertzli Ueli ist demnach
auch der Bischof Ulrich Putsch zu verstehen, der 1427 —1437 der
Kirche von Brixen Vorstand u. dem (-{• 29. Aug. 1437) die Domher
ren, mit denen er in häufigem Zwiste lebte, ein Hufeisen mit in die
Gruft gaben 2 ). Nicht nur auf den BischofUlrich, sondern auf geistliche
Würdenträger überhaupt beziehen sich die Verse:
1) Ulricli erzählt selbst in seinem Tägebuche, wie seine Amtleute und Domherrn in
seine Burg-kamen und fährt fort: „Da mir dieses angezeigt wurde, gieng ich ihnen
entgegen, nahm sie gütig auf, so wie auch sie mir dankten und jeder mir die
Hand bot; worauf ich ohne Verzug um einen Malvasier schickte und sie in mein
Zimmer hinauf führte. Da ich nun nahe an die Zimmerthür gekommen war, gab
mir Oswald von Wolkenstein flugs einen derben Streich mit der Faust, stiess mich
zurück und sagte: „steet still, es ist nimmer, als vor.“ Ich erwiderte: „Wie
thuest du also? Ich glaube, du seiest nicht wohl bei dir selber.“ Er aber: „Sitzt
bald nieder, oder ihr müsst leiden, das ihr ungern leidf.“ So setzte ich mich
nieder. Dann zeigten sie mir eine Schrift mit dem Inhalt, welche schriftliche Ver
sicherung das Kapitel von mir fordere, das wahrhaft etwas entsetzliches war.“
Sinnacher, Beiträge der b. Kirche Sähen und Brixen VI, 113. Sieh dort über den
weitern Verlauf dieser Händel ff. und Webers Friedrich S. 406—412.
2 ) Sinnacher theilt interessante Excerpte aus seinem Tagehuche mit VI, 97 —160.
Eine Stelle zeigt, dass unser Fürstbischof sich nicht nur um geistliche, sondern
auch geistige Dinge kümmerte, denn er erzählt, dass er (1431) zu Stande gebracht
habe, dass in Brixen Malvasier, Humäner und Wein von Rivoglio (Rainfal) ausge
schenkt werde. Denn unter Rabolium ist nicht Rosoglio, sondern Wein von Rivo
glio zu verstehen. Vgl. Suchenwirt I, 116. 408. Wenn Sinnacher Rumaria liest, so
ist dafür Humana zu lesen. Vgl. man sol ouch den Kriechei und RdmAner schenken.
Mer. Stadtrecht §. IV. — Die Mitgabe des Hufeisens (Sinnacher VI, 161) erklärt sich
aus dem Spruche: Der Hastige soll trägen Esel reifen.
So kumt dir gar daz Sprichwort wol,
daz muotes alze gaeher man
vil traegen esel riten sol. Winsbecke 33, 8.
Swer gaehe ist zallen riten.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
667
oft gaistlich vätter sein so zach,
sant Petern kainer volget nach.
wo gaistlich herschen leut und lant,
da wirt mer ungeleichs erkant,
wann fürsten, den das zuegebiert,
das recht zu halten unverierrt,
oder andern adel gross und klain. S. 98,
und:
mer unfrid kompt der weide bloss
Yon priesterschaft und ir genoss,
wann sust von allen laien pschicht etc. S. 99 *).
Wie über alte Weiber und Priester zeigt er sich gegen die
Hotleute ergrämt, deren Leben und Treiben er im Gedichte von ihrer
Beichte CV. S. 238 ff. geisselt und von denen er am einem andern
Orte sagt:
Kain ermer vich
linder allen tieren kund ich nie ervaren,
neur eines, haist ein hofeman,
der geit sich gar für aigen
dem herren sein umb klainen sold,
des tet ein esel nicht und wer er frei. usf. S. 275.
Ich ende hiemit und werde in einem zweiten Hefte über Oswalds
Sprache, Reime, Metrik und Strophen handeln. Zum Schlüsse lasse
ich das vollständige Inhalts-Verzeichniss der Handschrift X und
mehrere Gedichte nach derselben folgen.
Inhalt der Handschrift X.
1. Ain anefangk X 2 a (W. 251)
2. Wach, menzschlich tier X 2 b . (IT. 254)
der sol den esel rlten. Freidank 116, 25.
Debet homo lentuin vehemens equitare nimentum. Narrensch.
Com. 370*. Vgl. meine Sprichwörter S. 76. 77.
') s. Anhang XXVI. Weber S. 183.
Sitzb. d. phil.-liist. 01. I.XIV. 6(1. III. Hff.
44
068
Z i n g e r 1 e
3. Wenn ich betracht X 3 a . (W. 237)
4. Hör, kristenhait X 3“. (IE 258)
5. Ich sich und hör X 3 b . (IE 260)
6. Ich spür ain tier X 3 b . (W. 262)
7. Löblicher got X 4“. *) (JE 263)
8. Du armer mensch, las dich dein sünd hie rewen ser X 4*.
(IT. 265)
9. 0 weit, o weit, ein freud der kranken mauerX 4 b . (JE. 268)
10. Wenn ich mein krank Vernunft nerlichen sunder X 5“. s )
(JE. 270)
11. 0 snüde weit X 5 b . (JE 274)
12. In Frankereich X6“. 8 ) (JE. 222)
13. Wer ist, die da durchleuchtet X 6 b (JE. 224)
14. Gesegnet sei die frucht 17* (JE 226)
15. Wol auff als das zu himel sei X 7“ (JE. 226)
16. Ich spür ein luft X 7 b (JE 106)
17. Var, lieng und lass X 8“ (JE 108)
18. Es fucgt sich, do ich was von zehen iaren alt X8“ (JE. 21)
19. Es ist ain alt gesprochner rat I 9“ (JE. 40)
20. Es seust dort her von Orient X 10“ (IE. 111)
21. Ir alten weih, nu freut ew mit den iungen X 10 b (JE. 114)
22. Des grossen herren wunder X 11“ (IE. 70)
23. Wie vil ich sing und tichte X ll b 4 ) (IE. 27)
24. Rain freud mit klarem herzen X 12“ (IE. 278)
25. Ain Bürger und ein hofman X 12 b 5 ) (IE 118)
26. Durch aubenteuer tal und perg X 13“ (IE. 58)
27. Ich hab gehört durch mangen grans X 13 b (IE 75)
1) Nota dise vorgeschriben siben lieder singent sich in der ersten weise des anefangs,
der da sich mit Worten also anhebet: „Ain anefangk an göttlich foreht etc.“
2 ) Nota diss obgeschriben lied: „Wenn ich mein kranck Vernunft“ singet sich inn der
weise: „O weit, o weit etc.“
s ) Nota diss vorgeschriben lfed: „In Frankereich“ singet sich inn der melodei: „0
snöde werlt etc.“
A) Nota diss vorgeschriben lied: „Wie vil ich sing und tichte“ singet sich inn der
melody: „des grossen herren wunder.“
6 ) Nota diss vorgeschriben zwai lieder: „Rain freud mit klarem herzen“ und: »Ain
burger und ain hofman“ singet sich inn der melodey: „des grossen herren wunder-
Zur altern tirolischen Literatur. I.
669
28. Menzschlichen got, beschnitten schon X 14 b (PF 288)
29. Der himel fürst uns heut bewar X IS“ (PF 227)
30. Kain eilend tet mir nie so and X 13“ (PF. 77)
31. Der oben swebt XIS“ (PF 229)
32. Durch toren weis i) X 15 b (PF 91)
33. Ain tunkle varb X 16“ (PF 122)
34. Es leucht durch graw X IC“ (1F. 230)
35. In Suria X 16 b (1F 233)
S6. Zwar alte sünd pringt newes laid X 16 b 2 ) (PF 234)
37. Des himels trone X 16 b (PF 124)
38. Keuschlicli geboren X 17“ s) (PF 236)
39. Mein sünd und schuld eu priester klag X 17 b (PF. 238)
40. Erwach an schrick, vil schönes weih X 17 b (PF. 127)
41. Von Wolkenstein X 18“ (PF. 34)
42. Vil lieber grüsse X 19“ (PF 129)
43. Ain guet geboren edelman X 19“ (PF 131)
44. Durch Barbarei, Arabia X 19 b (PF 31)
43. Wer machen well sein peutel ring X 20“ 4 ) (PF 34.)
46. Du ausserweltes schöns mein herz X 20 b (PF 133)
47. Fröleichen so well wir X 21“ (PF 134)
48. Frow, ich enmagX 21 b (PF. 136)
49. Sag an, herzlieb X 22“ (PF 138)
30. Der mai mit lieber za] X22 b (PF 139)
51. Ach senliches leiden X 23“ (PF 142)
52. Wol auff gesell X 23 b (PF 144)
53. Frölich, zärtlich, lieplicli und klärlich, lustlich, stille, leise
X 24" (PF 145)
54. Frölich geschrai so well wir machen X 24 b (PF 147)
55. Wes mich mein puel ie hat erfreut X 25“ (PF 47)
1 J Item die vier lieder oben geschriben nach ainander das erst: „Der himel fürst“;
das ander: „kain eilend“ singent sich inn der melody: „Menschlichen got.“
2 ) Nota die vorgeschriben dreu lieder: „Es leucht durch graw“ und die andre zwai
darnach singent sich in der weise: „Ain tunkle färb.“
3 ) Nota diss ohgeschrihen lied : „keuschlicli geboren“ singt sich inn der melody: „Des
himels trone.“
4 ) Nota diss vorgeschriben lied: „Wer machen well den peutel ring“ singt sich in
der melody: „durch Barbar,y, Arabia.“
44
670
Z i n g e r 1 e
56. Tröstlicher hört, wer tröstet mich X 25 b (kV. 148)
57. Ain mentzsch von aclizehen iaren klueg X 26" (IT. 150)
58. Mein buel laist mir gesellschaft zwar X 26“ (W. 151)
59. Solt ich von sorgen werden greis X 26 b (IT. 46)
60. Es nahet gen der vasennacht X 27“ (kV. 152)
61. Geliick und hail, ein michel schar X 27“ (kV. 155)
62. Von rechter lieb kraft X 27 b (kV. 155)
63. Wol mich an we der lieben stund X 28“ (kV. 156)
64. Gar wunniklich hat si mein herz besessen X 28 b (kV. 158)
65. Mein herz das ist versert X 28 1 ’ (W. 159)
66. Weiss, rot mit braun verleucht *) X 29“ (kV. 160)
67. Genner X 29“ (kV. 281)
68. Mein herz iungt sich in hoher gail X 30“ (kV. 161)
69. Do fraig Amors X 30“ (kV. 162)
70. Her wiert uns dürstet also sere X 30 b (kV. 165)
71. Mit günstlichem herzen X 31“ (kV. 167)
72. Die minne fueget niemand, wer da nicht enhat X 31“
(kV. 169)
73. O herzenlieber Nickel mein X 31 b (kV. 171)
74. Sweig still, gesell, dem ding ist recht X 31 b (kV. 172)
75. Wol autT, wol an X 32“ (kV. 173)
76. Ain graserin durch kuelen tow X 32 b (kV. 175)
77. Simm, Gredlin, Gret X 32 b (kV. 176)
78. Mich trüst ein adeliche mait X 33“ (kV 178)
79. Frölich so wil ich X 33 1 ’ (kV. 179)
80. Ain rainklich weib X 34“ (kV. 181)
81. Sweig guet gesell, schimpflichen lach X 34 T ’ (kV. 182)
82. Got geh eu einen gueten morgen X 34 b (kV. 184)
83. Ain ietterin iunk, frisch, frei, fruet X 35“ (kV. 186)
84. Wol auff wir wellen slaffen X 35 b (kV. 49)
85. Nu huss, sprach der Michel von Wolkenstain X 36 b (kV. 50)
86. 0 plialzgraff Ludewig X 37 b (kV. 51)
87. Rot weiss ain frölich angesichts) X 37 b (kV. 187)
*) Nota diss obgeschriben lied: „Weiss rot mit braun“ singet sich inn der melody:
„Mein herz.“
2 ) Nota diss ohgeschriben lied: „Rot weiss“ singt sich inn der melody: „Ain ietterin
iunk.“
Zur altern tirolischen Literatur. 1.
671
88. Vier hundert iar auf erd die gelten nur ainen tag X 37 b
(W. 189)
89. Herz, muet, leib, sei und was ich han X 38“ (IF 189)
90. Ach got, wer ich ain bilgerin X 38“ (IT. 190)
91. Freuntlicher blick X38 b (IF 191)
92. Treib her, treib überher X 39“ (IF 194)
93. Herz, prich X 39 b (IF 196)
94. Lieb, dein verlangen X 39 b (IF. 198)
95. 0 rainer got X 40“ (IF 79)
96. Grasselick lif, war lief ich dick verloren X 40“ (W. 199)
97. Senlich mit langer zeit und weil vertreib X 40 b (1F. 199)
98. 0 wunnikliches paradis X 40 b (IF. 201)
99. Für allen schimpf, des ich vil sich X 41“ (IF 202)
100. 0 wunniklicher, wol gezierter mai X 41“ (IF 203)
101. Wach auf, mein hört X 41 b (IF 203)
102. Sich manger freut das lange iar X 41 b (1F. 204)
103. Wer die ougen wil verschüren mit den prenden X 42 b
(W. 66)
104. Von trauren möcht ich werden taub X 42 b (W. 67)
105. Es körnen newe mer. gerant') X 43 b (IF 63)
106. Nempt war der schönen plüde X 43 b (W. 208)
107. Kom, liebster man X 44“ (1F. 211)
108. Ich klag, ich klag ain engel X 44 b
109. Ave mater, o Maria X 44 b (IF. 280^
1092 Gratis X45“ (IF 534)
110. Ich hör, sich manger fröwen lat X 45“ (IF. 212)
111. In Oberland X 45 b (IF 241)
112. Mich fragt ain ritter angevar X 46 b (IF. 94)
113. Ir bäbst, ir kaiser, du pauman X 47 b (IF 81)
114. Hör zu, was ellentleiclier mer X 47 b (IF 247)
115. Wer hie umb diser weide lust X 48“ (IF 83)
116. Zergangen ist meins herzen we X 48 b (IF 213)
117. Und swig ich nu die lenge zwar 3 ) X 49“ (IF 86)
118. Wol auf und wacht X 49 b (IF 89)
Nota diss lied singt sich in der weise: „Von tniuren möcht ich.“
2 ) Daz lied singt sich in der Melodei: „der himmelfürst mich heut bewar.“
672
Z i n g e r I e
IX. (S. 49.)
Wol auff, wir wellen slaffen,
hauskneeht, nu ziindt ain liechtel,
wann es ist an der zeit,
damit wir nicht verkaffen, —
5 der letzst sei gar verheit, —
das laien, müncli und pfaffen
zu unsern weihen Staffen,
sich liueb ain böser streit.
Heb auff und lass uns trinken,
10 das wir also nicht schaiden
von disem gueten wein;
und lämt er uns die Schinken,
so müsst er doch herein.
her köpf, nu lat eu winken,
15 ob wir zu bette hinken,
das ist ain klainer pein.
»
Nu sleich wir gen der türen,
secht zu, das wir nicht wenken
mit ungelichem tritt.
20 was gilt des stoubs ein üren!
her wiert, nu halt es mit.
wir wellen doch nicht züren,
ob ir eu werdt bekiiren
nach pollanischem sitt.
25 Her tragt den fürsten leise,
damit er uns nicht feile
auff gottes ertereich,
sein lob ich immer breise,
er macht uns freuden reich.
30 ie ainr den andern weise!
1 slaufTen X.
%
Zur altern tirolischen Literatur. I.
673
wiert, slipf nicht auf dem eise,
wann es gat ungeleicli.
Hin slafTen well wir walzen,
nu fragt das hausdierelin,
35 ob es gebettet sei.
das kraut hat si versalzen,
darzu ain gueten hrei.
was soll wir dorzu kalzen?
es was nit wol gesmalzen,
40 der seheden waren drei.
X. (S. 50.)
„Nu huss!“ sprach der Michel von Wolkenstain.
„so hetzen wir!“ sprach Oswalt von Wolkenstain.
„za hürs!“ sprach her Lienhart von Wolkenstain,
„si müssen alle fliehen von Greiffenstain geleich.“
5 Do huch sich ain gestöber auss der gluet
all nider in die köfel, das es alles bluet.
banzer und armbrost, darzu die eisenhuet,
die Hessens uns zu letze . do wurd wir freuden reich.
Die handwerch und hütten und ander ir gezelt,
10 das ward zu ainer aschen in dem obern veld.
ich hör, wer übel leihe, das sei ain böser gelt
also well wir bezalen, herzog Friderich!
Schalmützen, schalmeussen niemand schied,
das geschach vorm Raubenstain in dem ried,
15 das mangem ward gezogen ain spannlange niet
von ainem pfeil geflogen durch armebrost gebiet.
Die gepauren von sant Jürgen, die ganz gemaine,
die betten uns gesworen falsch, unraine.
16 armberost X.
674
Z i n g e r ! e
do komen guet gesellen vom Raubenstaine.
20 got grüss euch, nachgepawern, eiir treu ist klaine.
Ein werfen und ein scliiessen, ain gross gepreuss,
hueb sich an verdriessen, glöggel dich und seuss.
nu riir dich, guet hofeman, gewinn oder fleus!
ouch ward daselbs besenget vil däclier unde meus.
25 Die Botzner, der Ritten und die von Meran,
Häfning, der Melten, die zogen oben hran,
Serntner, Senesier, die fraidige man,
die wolten uns vergernen, do komen wir dervon.
XV. (S. 66.)
Wer die ougen wil verscbüren mit den beenden,
sein leben enden
mit gueten zenden,
übel essen, ligen in dem stro,
5 der füg sich in die Lumpardie,
da vil manger wirt unfro.
tief ist das kot,
tewer das brot.
ungötlicli reu
10 mit falscher treu
sol man da vinden teglichen neu.
das ist ain speis, der ich nicht keu.
Wer nach der wage ringe hechten koufen welle
für ungevelle,
15 so fail, geselle,
ainen, der ain staine Ieber trag,
forsch in des kaisers canzelie,
wo man solche fisch eriag.
Gülcher, mach kund,
20 was galt ain pfund?
pro zingk soldin
et tre zesin,
Zur altern tirolischen Literatur. I.
675
also galt sich das leberlin vin
von disem sötten hechtigin.
2S Herinan, Marquart, Costnitz, Ulmen, wer das leben
uns freud zu geben
von mündlin eben,
und mein öhem hinder dem ofen wer,
das wör ain besser stampanie,
30 wann das uns der peutel 1er
wirt zu Plaeenz.
mein conscienz
wirt oft so swach,
wie wol ich lach,
35 so das mein Schreiber dick gefach ♦
klagt seinen grossen Ungemach.
Sebastian, werst dus ain oxs zu Florenzola
oder ain caniola
und zugst cum dola
40 teglieh mist auf ainem wagen gross,
das nem ich für ain süssen breie.
für war ich geh dir auch ain stoss
zu deiner brust,
als du mir tuest
45 mit valscher gier
grob, als ain stier,
zwar des geleichen videlt ich dir,
und w’urd dir mer, das stünd zu mir.
XVI. (S. 67.)
Von trauren möcht ich werden taub,
seid das der vorder winterklaub
her wider hat behauset sich
auf seinen alten sitz.
5 Der ist so nalient bei der für
gelegen mir durch mangen spür,
des ich mag Idain erfröwen mich.
Z i n g e r I e
das macht sein grober litz.
Kelt, reif und grossen snee,
10 den bach verdankt mit eise
bracht er auss des Bösaiers liaus,
des nam ich auch nicht preise;
wann raine fruclit aus bösem ai
kom nie von vogels hitz.
15 Gras, bluemen, grüner klee
ganz seider ist verswunden.
verflogen sein die vogelin,
der wald ist loubs beschunden.
die sunn verlos von seim geschrai
20 zu Howenstain den glitz.
Nu mir der pawer ist gevar
und auch gen Brixsen nicht wol tar,
dorumb das ich erzürnet lian
ain klainen ungenant
25 Mit ainem smalen widerdriess,
den ich bot dem geraden fiess,
so reut mich klain, wes ich dem gan,
der mir den schimpf da wandt.
Der fräveliche schlupf
30 dem risen wer geweret,
den er zu seiner metzen tuet
und alle gassen keret
mit ainem mantel Gabriel,
des faul dir mer ain zand !
35 Ich näm ain grossen klupf,
als der mir Strassburg gäbe,
ob in wurd allen ausgefegt
mit ainem liaissen schabe,
die minn da pflegen sunder bei
40 durch gogeliche schand.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
677
Ich wond, mein sach wer richtig" ganz,
nenr an der treu so lag der stoss.
das markt ich wol an aim gereun,
das stob aus faulem luft.
43 Da sweigen was mein peste schanz,
got sei gelobt, wes ich genoss,
do man die rigel und die zeun
so geren hett vermufft.
Noli me tangere,
SO laich mich nicht, Perzli Ueli!
was sich nicht gelimpfen mag,
das rieht man auf ain stueli
schon mit der newen hand beluckt
nach welischer vernuft.
SS Leicht tuen ich mir so we.
mit smucken und mit smiegen,
ob ich den bauch noch recken möcht,
leicht hulf ich ainen biegen,
der mir den Staffel geren zuckt
60 tief in des meres gruft.
Ach, Cölen, Wienen, Mainz, Paris,
Affian, Costnitz, Nüremberg,
was ich ie freuden da gesach,
die gan mir hie nicht in.
6S Dorumb das ich von ebner wis
dick hausen nmess auf hohem berg,
das macht ain weih under ainein dach
von Swangöw, der ich hin,
Und darzu manig kind,
70 die mir den schimpf zerrütten,
dorumb das ich bedenken muess,
wie ich si miig beschütten,
43 geriin X.
SO Üli X.
52 stüli X.
678
Z i n g e r 1 e
das in die wolf verzucken nicht
das brütlin und den win.
75 Ain müe die ander vindt,
wers alles wil besorgen,
das tue mein herr von Österreich
umb seinen schätz verborgen,
der tod die leng vil saclx rieht slicht
80 und mangen krumpen sin.
XV III. (S. 75.)
Ich hab gehört durch mangen grans
mit ainem Sprichwort dick ein toren triegen,
Sym Lippel wer ein guete gans,
hett er neur vedern, das im slaunt ze fliegen.
5 pei dem ein ieder merken sol,
das sich die löff in manchen weg verkeren.
das prüft man an den gensen wol:
ir ainvalt si gescheidiklichen meren
zu Behem und ouch anderswo,
10 do si die vedern reren.
Das federspil hat ser verzagt
die adler, falken, häbich, sparwer, smieren.
sein baiss mir laider nit beilagt,
wann ich ir schellen vast hör timpelieren.
15 des wirt vil manig edel geviecht
von ainer groben gans ze tod geslagen,
gebissen ser und gar verdiecht,
wie das beschicht, darnach türft in nichtfragen.
wann alte sürnl pringt newe schäm,
20 hör ich die weisen sagen.
74 den] dein X.
75 mii X.
18 das] da X.
Zur altern tirolischen Literatur. 1.
679
Ir edlen valken pilg'erin,
enr nam ist gaistlich wirdikleich gepreiset
mit ewerm flug vil höher hin,
wann ander valken, kürlieh underweiset.
25 ain maistcr gross von oherlant
eur Schnäbel, füss hat forchtiklich verhürnet.
nu lat eu reulicli wesen ant,
wo ir den selben maister band erzürnet,
und mausst die alten federn ab.
30 leicht wirt die gans verdiirnet.
Ir sägger, blaufüss nemet war
als edl geviecht der cristenhait besunder,
seid euch entstet ein genslich schar
von ainem land, das lat eu wesen wunder.
35 des hört man oft ein genselein
durch seinen vaisten kragen spöttlich lachen,
wol auf, all vogel rauch und rain,
hilf adler gross, dein swaimen lass erwachen,
fliegt schärpflich ab und stosst die gens,
40 das in die rügk erkrachen.
Iu Huss, nu hass dich alles laid
und heck dich Lucifer, Pilatus herre!
des herberg' wirt dir unversait,
wenn du im körnst auss fremden landen ferre,
45 und ist dir kalt, er macht dir warm,
mit einem bett so wirstu nicht verlassen,
vil guet geferten reich und arm,
die möchstu finden auf der selben strassen.
wilt du den Wigklöff nicht verlan,
50 sein 1er die wirt dich hassen.
Ain ieder vogel in der weit
sein orden halt, in dem er ist geboren,
mit seinem gelouben unvermelt,
wann neur die gans wil tragen krampe hören,
55 damit si ander vogel rain
ISnMHHUHHMMHHH
Z i n g e r I e
verstossen wil, sieh selber gar versenken
mit tiefem fing von der gemain,
gen Feuerspach tuet si die federn schrenken,
die schrift zu felschen mer, wann all
60 ir vodern ie gedenken.
Den besten vogel, den ich waiss,
das was ein gans, vor Zeiten ward gesungen,
das hat zu Beheim in dem krais
verkeret sich, wann in ist misselungen
63 mit einem wort, wo vor das best
in disem raien merklich ist gestanden,
dawider schreiben maister, gest
das böst, so man es vindt in allen landen,
also hat sich die gans verkert
70 daselbs mit grossen schänden.
Ir braiter fuess müclit werden smal,
wolt neur ein man, der uns all hat beschaffen,
wie der vergess seins Zornes fal
und stiess durch harmung in sein veintlich Waffen,
75 das er über uns gezogen hat
mit scharpfer sneid und grauselichem spitze
umb unser grosse missetat,
die wir teglich hegen durch sünden glitze,
der kaine ungescliaben bleibt
80 mit peiniklicher hitze.
Ir gueten cristan seit gemant,
andächtiklich helft uns den fürsten flehen,
das im sein zoren werd gewant,
den wir durch grosse zaichen rächlich sehen
85 in Frankreich, Engelaut, Catalon,
> in Lampart und zu Behem auf der mitte
mit influess, mansleg, sterben gan,
und durch gelouben ketzerlicher sitte.
stee für, Maria, wendt dein kind.
90 ich Wolkenstein das bitte.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
681
XXVI. (S. 94.)
Mich fragt ain ritter angevar,
der sich der weide inanig iar
zu gueter mass ervaren lieft
durch manig kungkreich, lant lind stet
5 in fürsten liüfen hin und her,
ain tail der haidenschaft entwer,
als dann aim ritter zu gebiert,
in ainem so was er veriert,
das ich in des beschaiden solt,
10 dorumb und er mich fragen wolt:
„beschaid mich, lieber hruder mein,
von welchen Sachen mag das sein,
das gütliche gerechtikait
geordnet ist an unterschait
IS in aller christenhait gemain
aim ieden menschen lauter rain
zue statten komen durch gericht,
und doch gar selten das beschicht,
besunderlichen der gestalt,
20 da man die leges nicht enthalt
nach den gesetzten kaiserleich,
da wird betrogen arm und reich.“
Ich sprach: „als ferr ich mich verstan,
da sein vil höpter schuldig an.
25 wer da regiert nach seinem houbt,
wie clueg er ist, er wirt betoubt,
besetzt er nicht ain weisen rat,
da bei frau Ere wol bestat,
und volgt dem nach durch gütlich forcht.
30 in welchem land man das verhorclit,
so hat gewalt das recht verhagt,
als wenn der apt die würfel tragt,
32 abpt X.
682
Z i n g e r I e
die brüder spilen all bin nacli
zu lieb dem herren wüster sacb.
35 vitztumb, ratgeb, pfleget 1 und verg,
richter, vorsprech, urtailer, scherg,
die tretten all ain valscbe pan,
ain ieder zlieb seim überinan,
zwar der gewissen wirt so bol,
40 damit man sich behelfen sol
zu gütlicher gereclitikait,
seid das man ins nit undersait,
das niemand kain geleichs beschicht,
das ist ain swere zuversiebt,
45 und ist aim land ain lierte liuess,
wo man das recht erkouffen muess.
damit so stet des armen schanz
neitr alzeit binden an dem tanz.
Der Gebhart hat ain swachen nam,
50 wie wol er ist natürlich zam,
dorumb das er ist ganz durehpaisst;
mit grosser gierhait man das liaisst.
davon verlait sieh mang gesell
durch in abgriintlich in die hell.
55 doch nemen, geben arm und reich,
secht aber, es ist ungeleich,
wer nimpt, das man im geren geit,
also das er kain argen neit
well tragen der gerechtikeit
60 weder umb lieb, gab oder leit
dem geber welle bei bestan,
neur wes er gütlich recht sol han,
es sei mit urtail oder rat,
sein rum ist im des minder schad.
65 tet er es aber gar durch got,
das wer vil besser sunder spot;
beschüch es dann umb ainen sust,
da bei so wer ain klain verlost,
im wurd doch so vil er davon,
70 das im bezalet wer der Ion.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
683
Auch möcht er richten baid partei,
und tet sein gueten vleiss dabei,
darinn erwurb er lob und er
von got und von der weide ger.
75 selig wer das recht, wo man es niim,
wenn guete freuntschaft davon kam.
was man an recht geslichten mag,
das ist den teufein grosser slag.
durch recht verlouft sich mange diet
80 mit urtail, reten. gab und miet.
falsch zeugknuss, aid und aufsätz hol,
das fuegt dem teufel alles wol.
kain recht kompt seiden zu dem zil
an sünde wenig oder vil,
83 besunderlichen in der hait,
da iederman auf seinen aid
ertailen sol nach seinem houbt,
darunder manger ist betoubt,
das er nicht fünfe zellen kan.
90 wie mag der selb ain recht verstan?
und gilt als vil am abelesen,
als wer er Salomon gewesen,
und gärlichen in der gemain
fuegt sich das recht gar seiden rain.
93 hat ainer neur ain urtailer
und dabei leute nach der swer,
si volgen all dem selben nach,
wie falschleich ist sein anesprach.
Der richter lat auch Übergen
100 und wil das unrecht nicht versten,
das ienem tail beschehen ist.
das tuet als Gebhart, wo der ist.
fleisst sich ain fürste swacher ret,
den sei, noch er nicht hoher krät,
73 und err X.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LX1V. Bd. III. Hft.
45
684
Zingerle
105 so ist das recht in seiner hant,
neur wie in lust, wirt es erkant.
wann sie wissen wol als die hund
irs herren willen zu aller stund,
da hat das recht kain andre gestalt,
110 wann trib man friivel und gewalt,
und desgleichen volgt der schein
von allen, die gewaltig sein,
das recht besitzen für und für
an vorcht, gewissen, als ich spür,
115 hoch von dem lioubt bis auf den fuess
und nimpt doch end mit swerer buess.
Ain redner, der da nimet guet
Yon ainem, dem er reden tuet,
der ist ein argkwöhnleich man,
120 den solt man nicht ertailen lan.
traut man darüber seinem aid,
sündt man daran, das ist mir laid.
das recht hat gar ain wechsin nas,
es lat sich biegen, als der bas,
125 so in der hund bringt in den wank;
neur hin und her stat sein gedank.
Ich hör, das manger vorsprech nimpt
zu baider seit, das übel zimpt.
von ainem nimpt er offenlich,
130 der ander sticht in haimelich.
der ainen part redt er das wort,
der ander tail behabt den hört,
mit dem so wirt durch in verhaut
die ain partei, die im getraut.
135 o Judas, du unseiger man,
was hastu brüder hie gelan!
allain nicht der da vorsprech haisst.
mang höher, der den Wechsel baisst,
gaistlich, weltlich vindt man der,
140 und die doch wellen haben er
gen diser weit, wie halt gen got.
daselben fürcht ich ir mit spot.
Zur altern tirolischen Literatur. 1.
685
Noch ains lass ich nicht unvermeldt,
ain bös gewonhait in der weit:
145 die gaistlieh sein und weltlich recht
regieren mer, wann ritter und knecht,
und wellen nutzen baide swert.
wie habent die so gueten wert!
sant Peter hett neur ains berait,
150 da er den juden mit versnait
und slaunt im damit nicht gar wol
und tet da fliehen in das hol,
und get der grund doch dannen her
von got gesatzt, gaistliclie 1er.
155 oft gaistlieh viitter sein so zach,
sant Petern kainer volget nach,
wo gaistlieh berschen leut und lant,
da wirt mer ungeleichs erkant,
wann fürsten, den das zu gebiert,
160 das recht zu halten unverierrt,
oder anderm adel gross und klain
in aller christenhait gemain.
got hat drei tail geordent schon,
dorumb er geben wil den Ion
165 dort ewikleichen sunder swer:
gaistlieh, edel und arbaiter.
der gaistlieh ist also bedacht,
das er sol bitten tag und nacht
für die zwen taile gottes kraft.
170 und streiten sol die ritterschaft
hert für die andern vorgenant,
der pauer darzue ist gewant,
das er sein arbeit teglich brauch
umb unser nar, im selber auch.
175 das hat ain grosse underseliaid
besunder an der gaistlichait
durch ungeleichs in diser weit,
als ich das voran hab vermeldt.
ich wolt, wer gaistlieh wer gemuet,
180 er hielt sein orden in der huet,
45
686
Z i n g e r 1 e
das er solt von rechte tuen,
das wer der weit ain grosse suen.
mer unfrid kompt der weide bloss
von priesterschaft und ir genoss,
185 wann sust von allen laien pscliicht.
das hat doch got beschaffen nicht,
durch si das recht vil mer erkrumpt,
wann das von anders iemand kumpt.
das hab ich mer zu Rom ervaren,
190 wann anderswo in kurzen iaren.
recht zu unrecht, unrecht zu recht
si machen kunnen krump und siecht,
aufsätz, trugnuss, loycaspil
lernt man zu Rom, wie vil man wil,
195 an die prelätisch pregkanei,
die man da treibt durch symanei.
da unser Zuflucht solde sein
zu waschen ab der sünden pein,
das man so böse 1er da tragt,
200 das sei dir got von himel klagt,
das durch die gierten für und für
zu merken ist ain solche spür,
die unser Rechter süllen wesen
zu leren in das ewig gnesen,
205 das kompt als von den höpten dar,
die sich emblössen offenbar,
und das unrecht machen zam
an gütlich vorclit, sunder schäm,
gaistlicli, weltlich, wer das tuet,
210 der ist von sünden nicht beliuet.
wan siecht das houbt durch blöden wank,
die glider werden alle krank.
Der kaiser nimpt auch geren guet,
vil fürsten han den selben muet,
215 si liessen etwas übergan,
wo si die volge mugen gehan
an reten, landen und auch leut.
dafür ich gsatzte rechte treut,
Zur altern tirolisehen Literatur. I.
687
wo man die kaiserlichen halt,
220 und ain guete gewonhait alt,
die ist zu lialden für ain recht,
wer sich des fliss, do wurd vil siecht,
das sust gar langksam krump heleibt.
nach dünken recht, wo man das treibt,
225 wo kaiserliche recht nicht gan,
da wil man nindert hören von,
das man dem keiser icht engunn,
und ist doch aller recht ain brunn,
darauss si fliessen ganz gerecht
230 in alle land natürlich siecht.
und mag kain landsreeht sein erdacht,
an kaiserliche recht verbracht,
es muess ain zuesatz davon haben
vil von den kaiserlichen gaben,
235 als alle wasser habent grund
fluss auss des grossen meres slund,
man well dann felsehen gots gesetz
und das gerechte machen letz.
Was von dem reich zu leben ist,
240 das mag sich zwar zu kainer frist
auss seinem recht enziehen nicht
mit kainem loyca geticht.
vil g'ucter gwonhait ist vergundt
aim ieden lande nach dem grund
245 zu lialden nach des landes schein,
teglich zu bessern ane pein.
ain gwonhait bös, wie alt die ist,
die ist zu meiden kurzer frist
und gütlich reformieren pald,
250 das si haiss guet gewonhait alt.
wo man des selben nicht entuet,
so gilt si nicht ain helbling guet.
gwonheit neu niemand setzen mag,
bschicht es darüber ane frag,
255 und an gewalt des keisers gunst,
peenvellig ist die selbig kunst.
wann so er leicht, er pstät nicht mer.
nur redlich alte gwonhait her.
ain ieder sacli der ist gesetzt
260 das recht weislichen unverhetzt.
wie mag das ainer gächling haiss
bedenken, der des nicht enwaiss,
so man in fragt auf seinen aid,
das recht zu treffen klar gemait.
265 wie weis er ist, er wird betört,
er hab der recht dann vil gehört,
und dise weit darzu versuecht
nach notdurft, als sich das geruecht,
an enden, wo man recht und rat
270 vernüftiklichen vor im hat.
als manig liiern, als manig houbt.
wie künd aim ieden sein erloubt,
das recht ganz pringen an sein stat,
darauf man lang gstudieret hat!
275 trifft ainer ains, so falt er zwai.
hedunken recht scliadt mangerlai,
des man in rechten nicht enhielt,
wo man der kaiserlichen wielt.
Ain pawer, der nie schrift verhört
280 und mit den oxsen ist betört,
der sol nu bas verstan das recht,
wann ain gewandert gueter knecht,
oder ain gelertcr weiser man.
wo wolt er das erlesen han ?
285 Noch wundert mich ains grossen auch,
das man oft setzt ain öden gaucli
zu ainem richter, der nicht hat
gütliche vorcht noch weisen rat,
und was dem rechten zu gehört,
290 das er des genzlich ist betört.
wie sol der straffen weih und man,
der sich selbs nicht straffen kan?
als ich eu das noch bas bedeut:
wem man bevilcht land oder leut,
Zur altern tirolischen Literatur. I.
689
295 ampt, pfleg;, gericht und desgeleich
zu straffen, richten arm und reich,
der sol sich halten in dem schein,
das er unstrefflich mug gesein,
und desgeleiehen all, die han
300 lierschaft, land, leut undertan,
gaistlich, weltlich, wer die sind,
o wie gar seiden man das vindt!
Ain fürst in seinem hof und lant
sol haben rete, die da liand
30S göttlich ee, gewissen, edel und weis,
ain gmain guet wort, der ereil preis,
wo des ain fürste nicht enhat,
das recht daselben übel gat,
baide mit urtail und geding
310 so hat das recht ain misseling,
und darf sich niemand trösten siecht,
wie vil er hat der gueten recht,
im wirt die schrann also bestellt
mit ainer urtail da gevellt
315 an seinem tail durch klain gewin.
da hat das recht ain bösen sin.
Verzichte wort und all gever
im rechten sein verholten swer.
man lat sein aber dorumb nicht
320 und ist ain alts, als man da spricht.
Ain weis man, der ratmäsig ist.
der tue sein vleiss zu aller vrist,
damit er rat zu gleichem scliid
auf baid partei nach guetem frid.
323 wil ainer sein ain schidlich man,
der mag an baide rät wol gan;
wil er aber ainem hilflich sein,
dem andern tail rat nicht darein
und hör auch seiner rechten nicht,
330 neur was an offner schrann beschicht,
damit bleibt er an mailes neit,
liebt im das recht zu baider seit.
Z i n g e r 1 e
kain ratgeb der sol weib noch man
verfüren auf ain Zweifels wan,
33S zu dem er nicht gedienen mag
mit nrtail, kompt es an die frag,
verweist er in darüber sus.
so hat er schuld an seiner flust.
Du richter solt nicht pärtig sein
340 in der partei vil oder klain,
noch niemand das gestatten bist
dem, der des selben leders ist.
wo man ain solch geriehte hat
und da ain richter des gestatt,
34S das iede part da setzt ir leut,
das recht ich weder lob noch treut.
und wirt das recht hinhinder kert
und durch die aid gröblich versert,
da bistu richter schuldig an,
350 das du die partei lassest gan.
wann ieder stat dem seinen bei,
wie wol das recht sol wesen frei
an argen list, grüntlich verklärt,
wie wol man seiden das bewärt.
355 du solt auch niemand fragen nicht,
wo du hast solche Zuversicht,
de - wedern taile sei genaigt
an guet gewissen — das versaigt,
und niemand füdern durch dein frag.
360 an sach ich dir ditzs nicht ensag.
man vindt nicht vil der selben land,
da solche krumpe recht ergand,
und ist den teufein grosser fluech,
wo man tuet richten nach dem buech,
365 darinn die recht sein wol bedacht,
auf iede sach gütlich verbracht,
Zur altern tirolischen Literatur. I.
691
dabei gewonhait guet vergundt
aim ieden land nach seinem grnnd,
und die man halt, baid arm und reich.
370 das ist aim land ain löblich zeich,
besunderlich in welschem land,
durch mang küngkreich mir bekant.
all reichstet haben auch den sit,
vil ander teutzsche land damit,
37S da man durch zwelf tuet richten rain
bas, wan sust durch ganz gemain.
selten durch gemain ain sach ergat
an schand und ettlich missetat.
des lob ich nicht, wo man des pfligt
380 für gschribne recht; wo man die wigt
durch solche leut, die es verstan,
da wird versorgt baid frau und man.
Ain ebenbild ich melden wil.
sicht ainer zwen ob ainem spil
38S und die er nie erkante sust,
er gunt dem ainen bas Verlust,
und desgeleich an ainer schrann,
die man besetzt durch mangen man.
bstet aim da neur giinstlich gevell,
390 er hat die volg, gee, wie es well,
das als an stetten nicht beschech,
wo man die recht geschriben sech.
oft ains gewissen ist so lom,
si krumpt sich als der weg gen Rom.
39S dorumb so lob ich sicher klain,
das man ain sach auf ain gemain
durch urtail dick erkennen tuet,
ain solch gewonhait ist nicht guet,
wann gütlich recht hat kainen twank
400 zu nöten auf ain hindergangk
374 teutzseh X.
■a
mhhmhh
692 Zingerlc
durcli kainer hantle nrtai! frei,
es sei dann gueter will dapei.
noch ist der tädel ane zal,
darinn das recht hat bösen val.
405 zwar wider ditzs, das man da halt
geschriben nach den büchern alt,
und die man teglieh bessern tuet,
darinn ist meniklich behuet,
wo man die füret lautter, rain.
410 bekenn ich Oswalt Wolkenstain.
XXXI. (S. 118.)
Ain burger und ein liofman
begunden tispietiern.
die namen einen obman
für war ein alte diern,
5 und welcher bas rnöcht geben
den freulin hohen muet,
darumb si wurden streben,
do sprach der hofinan guet:
,Ich bin ain iüngling küne,
10 kraus, weiss ist mir das har,
darauf ein krenzlin grüne
trueg ich das ganze iar.
wol kan ich singen, schallen
und schreien frischlieh in.
15 solt ich nit bas gevallen
den freulin rain, wann du?’
„Ich sei ein burger weise,
gar still ist mein gevert.
mit süssen Worten leise
20 wirt mir vil liebs beschert,
und trag ein swere faschen,
die ist der pfenning vol.
darinn so lass ich naschen,
das tuet den freulin wol.
24 vol X.
Zur altern tirolischen Literatur. I.
693
25 Des frag- die alte kewe
mit kurzen Worten siecht.“
,,,ich sprich hei meiner trewe,
der burger hat wol recht,
ich liab mein zeit verkuppelt
30 zu Brixsen in dem krais,
vil parell aus gesuggelt,
das ich den louff wol waiss.’”
,Icli pflig nit grosser witze,
mein barschaft die ist klain.
35 ir alte kammerzitze,
ia bin ich hübsch und rain.
solt mir nicht has gelingen?
nu tuen ich mir so we
mit reiten, tanzen, springen
40 vil durch den grünen kle.’
„Ich buel mit gueten sitten,
daran bin ich nicht lass,
hab ich nicht vil geritten,
leicht mag ich dester has
45 mit guet und an dem leihe,
wann ir vil röscher knab.
oucli fueg ich mangem weihe
mit kostberlicher gab.”
,Rain frow von hohen eren,
50 der ist dein gab enwicht,
ir herz mag nit emberen,
wann si mich frölich sicht
verwegenlichen sprengen
über einen graben tief.
55 ich hoff, si tue verbeugen,
send ich ir meinen brief. “
„,Des muess ich aber lachen,’” —
sprach es die grieswertlin, —
„,was sol man daraus machen?
GO die buelschaft hat nicht inn.
694
Z i n g e r 1 e
ich het mich ainst verschossen
mit einem knaben iunk.
des hett ich nie genossen
neur umb ein bösen trunk.’”
65 „Her iünglingk, eu möcht friesen!
ir habt verschrotten zwier,
werdt ir das dritt Verliesen,
das habt ir neur von ir.
ich trau, ein maid ersl eichen
70 zwar, die ir nicht erlouft,
und mögt mir nicht geleichen,
ir werdt dann recht getouft.”
,Das müsst der valant schaffen,
ich sei von kristen art,
75 und weis das mit dem pfaffen,
der mich töftlich bewart.
auch wil ich des gemessen
gen freulin weit für dich,
wenn ich mein sper lass fliessen
80 mit ritterlichem stich.’
„turnieren und ouch stechen
das ward mir nie bekant;
ich hab ein peutel frechen,
darin stoss ich mein liand.
85 gold, silber, edl gestaine
zeuch ich daraus genueg,
und tail den freulin raine.
das selb ist bas ir fueg.”
,„Gar war”’, sprach es die alte,
90 ,„so werdt mir nimmer holt,
kain besser lieb nicht walte,
wann silber oder gold.
darumb liess ich mich nützen
auf den gerackten tod,
Zur altern tirolischen Literatur. I.
95 e ich mich wolt bekützen
mit kaines hofmans not. ”
,Seid ich nu han verloren,
du alter, böser sack,
das tuet mir immer zoren.
100 ich slach dich auf dein nack,
das dir bei ainlif zende
empballen nicht gar schon,
der tiefel muss dich sehenden!
das gib ich dir zu Ion.’
105 „Ich burger zuck ein riem guet
von einem peuiel gross,
see hin, mein liebe Diemuet,
fünf pfund für diesen stoss !
kouf liüner, air und würste
110 und darzu gueten wein,
und wenn dich aber dürste,
so kom lierwider ein.”
,„Der Ion der wirt mir sawer!
nu han ich kainen zand.
115 den hofman slach der schawer,
der mir si hat entrant,
und müss hinfür derwellien,
kouft ir mir nit ain kue,
damit ich hab zu melhcn
120 ein mues des morgen frue.”’
„Ich kouf dir kue und kalben
und wes dein leib bedarf,
seid ich den hofman valben
hab überstritten scharf,
125 und wais ein schöne mefzen
dort oben an dem egk,
die soltu mir erswetzen.
das gilt dir wiirst und wegk.”
695
Der streit hat sich verbrauset,
696
Zingerle, Zur altern tirolischen Literatur. I.
130 redt all darzu das best,
wer aide weiber hauset,
der hat ouch geren gest.
wann alte welb und änten
gehören in ainen see.
135 was sol man dran verquenten?
kain vich das schnattrot me.
P f i z m a i e r , Aus dem Traumleben der Chinesen.
697
Aus dem Traumleben der Chinesen.
Von dem w. M. Di\ A. Pfizmaier.
Die vorliegende Abhandlung bringt eine Anzahl denkwürdiger,
von alten Schriftstellern, besonders Geschichtschreibern, verzeich-
neter Träume aus früheren, den Zeitraum des Hauses Thang noch in
sich fassenden Zeiten China’s.
Die hier gelieferten Nachrichten sind sowohl durh die eigen-
thümliche Beschaffenheit dep angeführten Träume, als durch die Deu
tung, auf die in China damals sehr grosses Gewicht gelegt wurde,
beachtenswerth, wobei übrigens nicht zu verkennen ist, dass in Be
zug auf die aus den ältesten Zeiten verzeichneten Träume einige
derselben nicht in Wirklichkeit vorgekommen, sondern zu gewissen
Zwecken oder aus Vorliebe für Wunderbares erfunden zu sein
scheinen.
Die einzelnen Theile der Abhandlung enthalten: Allgemeine
Träume, glückliche Träume, entsprechende Träume, unglückliche
Träume.
Allgemeine Träume.
Die Überlieferungen Tso's, Tschao, erstes Jahr, sagen:
Tse-tschan von Tsching begab sich nach Tsin. Der Lehensfürst
von Tsin war krank. Han-siuen-tse sprach: Unser Landesfürst liegt
krank darnieder bis zu dem gegenwärtigen Augenblicke drei Monate.
Wir sind geeilt zu sämmtiichen Orten des Gesichtskreises i). Es er-
1 ) Man war zu den innerhalb des Gesichtskreises des Reiches Tsin befindlichen
Bergen und Flüssen, denen man zu opfern pflegte, geeilt und hatte daselbst die
Götter angerufen.
<)98 Pfizmaiwr
folgte Zunahme, aber keine Wiederherstellung. Jetzt träumte mir, dass
ein gelber Bär in das Thor des Schlafgemaches drang. Was für ein
grausamer Dämon sollte dieses sein? — Jener antwortete: Durch
die Erleuchtung des Landesherrn führst du die grosse Lenkung.
Welche Grausamkeit sollte es da geben? Einst weihte Yao dem Ver
derben Kuen auf dem Berge Yii. Der Geist Kuen’s verwandelte sich
in einen gelben Bären. Er trat in den Abgrund der Wasser des Yü.
Es ist wirklich die Umgebung der Hauptstadt der Hia, und die drei
Herrscherhäuser opferten daselbst. Tsin ist der Vorgesetzte des be
schworenen Vertrages, und es hat vielleicht noch nicht geopfert. —
Han-tse opferte in der Umgebung der Hauptstadt der Hia. Der Fürst
von Tsin wurde wiederhergestellt.
Bei Tschao, siebentes Jahr, wird gesagt:
Der Fürst von Tsu vollendete die Erdstufe der buntschimmern
den Blumen. Er wollte sie mit den Lehensfürsten einweihen. Der
grosse Vorgesetzte Yuen-khi-kiang erschien und berief den Fürsten
(von Lu). Der Fürst wollte die Reise antreten. Es träumte ihm, dass
Fürst Siang dem Gotte des Weges opferte. Tsche-schin sprach:
Der Landesherr möge nicht wirklich abreisen. Als Fürst Siang sich
nach Tsu begab, träumte ihm, dass der Fürst von Tscheu dem Gotte
des Weges opferte, und er ging dennoch. Jetzt opfert Fürst Siang
wirklich dem Gotte des Weges. Möge der Landesherr nicht gehen.
— Tse-fö-hoei-pe sprach: Man möge gehen. Der frühere Landes
herr hatte sich noch nicht nach Tsu begeben. Der Fürst von Tscheu
opferte daher dem Gotte des Weges, um ihn zu führen. Fürst Siang
hat sich nach Tsu begeben, und er opferte dem Gotte des Weges,
um den Landesherrn zu führen. Wenn man nicht geht, wohin wird
man dann gelangen? — Im dritten Monate des Jahres reiste der
Fürst nach Tsu.
Das von Sie-sching verfasste Buch der späteren Han sagt:
Fan-schi führte den Jünglingsnamen Klmi-king nnd stammte aus
Kin-hiang in Schan-yang. Er diente in der Provinz und wurde ein
verdienstvoller Richter. Er war mit dem aus Jü-nan stammenden
Tschang-schao, dessen Jünglingsname Yuen-pe, befreundet. Später
lag Yuen-pe ernstlich krank darnieder. Seine Provinzgenossen
Tschi-kiün-tschang und Yin-tse-wei nahmen ihn unter ihre Obhut.
Als Yuen-pe im Sterben war, seufzte er und sprach: Es thut mir
leid, dass ich meinen Freund im Tode nicht sehe. — In diesem
Aus dem Traumleben der Chinesen.
699
Augenblicke verschied er. Schi sah Yuen-pe plötzlich im Traume.
Derselbe trug die ursprünglichen Lappen der Mütze, eine herabhän
gende Schärpe, Schuhe von Holz und rief: Ich bin an dem gewissen
Tage gestorben, ich werde zu der gewissen Stunde begraben, ich
kehre auf ewig heim bei den gelben Quellen. Ich bin weggezogen,
wie könnten wir zu einander gelangen ? — Schi erwachte und war
erschrocken. Er seufzte schmerzlich und eilte zu ihm hin.
Die Denkwürdigkeiten von Wei sagen:
Tscheu-siuen führte den Jünglingsnamen Khung-ho und war
grosser Vermerker. Einst stellte Jemand an ihn die Frage: Ich habe
heute Nacht im Traume einen Hund aus Futtergras gesehen. Wie
lässt sich dieses deuten? — Siuen antwortete: Du wirst eine vor
treffliche Speise erhalten. — Nach einer Weile ging Jener aus und
traf wirklich auf dem Wege ein reichliches Gericht Speise. Später
stellte er wieder die Frage: Ich habe in der letzten Nacht nochmals
im Traume einen Hund als Futtergras gesehen. Warum ist dieses? —
Siuen sprach: Du dürftest aus dem Wagen fallen und ein Bein bre
chen. Du solltest dich davor hüten. — Es geschah wirklich, wie
Siuen sagte. Später fragte Jener wieder: Ich habe in der letzten
Nacht im Traume einen Hund aus Futtergras gesehen. Warum ist
dieses? — Siuen antwortete: In deinem Hause dürfte Feuer aus-
kommen. Du solltest dich davor schützen. — Das Feuer brach
sofort aus.
Jener sagte hierauf zu Siuen: Zu drei verschiedener Zeiten, wo
ich dich fragte, habe ich nicht geträumt. Ich wollte dich nur auf die
Probe stellen. Wie kommt es, dass deine Worte jedesmal eintrafen?
— Siuen antwortete: Hier hat der Geist der Götter dich angeregt
und dich bewogen zu sprechen. Desswegen war es nicht anders, als
bei einem wirklichen Traume. — Jener fragte wieder: Ich träumte
dreimal von einem Hunde aus Futtergras, aber die Deutung war
nicht dieselbe. Woher kommt dieses? — Siuen sprach: Der Hund
aus Futtergras ist ein Gegenstand, den man den Göttern opfert. Dess
wegen solltest du, als du das erste Mal träumtest, Trank und Speise
erhalten. Wenn das Opfer zu Ende ist, ist der Hund aus Futtergras
das Geleise für die Wagen. Desswegen solltest du, als du das zweite
Mal träumtest, aus dem Wagen fallen und das Bein brechen. Nach
dem der Hund aus Futtergras das Geleise für die Wagen geworden,
ladet man ihn auf Wagen und gebraucht ihn als Brennstoff. Dess-
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIY. Bd. III. Hft. 46
700
1* f i l in ii i e r
wegen solltest du, als du das letzte Mal träumtest, den Kummei
wegen Ausbruch des Feuers haben. — Alle Traumdeutungen Siuen's
waren von dieser Art.
Das Buch der späteren Wei sagt:
Zu den Zeiten des Kaisers Tschuang, in dem Zeiträume Yung-
ngan (5?8 bis 530 n. Chr.) drang Hao, König von Pe-hai, in
Lö. Kaiser Tschuang zog im Norden umher. Hoei, König von Tsching-
yang, warf sich vertrauensvoll Keu-tsu-jin, dem Befehlshaber von Lö-
yang, in die Arme. Tsu-jin hörte, dass Ni-tschü-tschao den Befehl
zur Ergreifung Hoei’s gegeben habe. Er schlug ihm jetzt das Haupt
ah und schickte es als ein Geschenk. Tschao träumte, dass Hoei
sprach: Ich besitze zweihundert Pfund Goldes und einhundert
Pferde. Dieses befindet sich in dem Hause Tsu-jin’s, und du kannst es
nehmen. — Tschao bängte jetzt Tsu-jin mit dem Haupte an einem
Baum, liess einen Stein auf dessen Füsse herabfallen und peitschte
ihn, indem er das Gold und die Pferde begehrte. Tsu-jin starb.
Die Zeitgenossen hielten dafür, dass ihm auf der Stelle vergolten
worden.
Die Verzeichnisse der früheren Liang in dem von Thsui-hung
verfassten Frühling und Herbst der sechszehn Reiche sagen:
Sö-keng führte den Jünglingsnamen Schö-tschT und war geübt
in der Rechenkunst und in der Auslegung der Träume. Der die Stelle
eines Hiao-lien (Elternliebenden und Uneigennützigen) bekleidende
Ling-hu-tsI träumte, dass er auf dem Eise stand und mit einem unter
dem Eise befindlichen Menschen redete. Keng sprach: Die Gegend
über dem Eise ist das Yang. Die Gegend unter den Eise ist das Yin.
Es ist eine Sache des Yin und Yang. Der vorzügliche Mann kehrt zu der
Gattin heim, zur Zeit, wo das Eis noch nicht gelöst ist. Es ist eine
Sache der Vermälung. Du befindest dich über dem Eise und redest mit
einem unten befindlichen Menschen. Es ist die Sache der Stellung
zwischen Yin und Yang. Du wirst ein Vermittler unter den Men
schen sein. Wenn das Eis sich löst, kommt die Vermälung zu Staude.
— TsI sprach: Ich hin bereits ein achtzigjähriger Greis, ich trete
nicht alä Vermittler auf. — Da ereignete es sich, dass der Statthalter
Tien-mö durch Tsi für seinen Sohn um die Tochter Tschang-kung-
tsching’s anhielt. In der Mitte des Frühlings kam die Vermälung zu
Stande.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
701
Tschang-tü, (1er Vorgesetzle der Register in der Provinz,
träumte, dass er das Pferd spornte und einen Berg hinanritt. Als er
nach Hause zurückkehrte, ritt er dreimal im Kreise herum. Er sah
bloss Fichten und Cypressen, er erkannte nicht die Stelle des Thores.
Keng sprach: Das Pferd ist das Lieht. Das Licht ist das Unglück
durch Fehler. Wenn ein Mensch einen Berg ersteigt, so ist dieses das
Zeichen des Unheils. Bloss Fichten und Cypressen sehen, ist das Bild
des Thores zu dem Grabhügel. Die Stelle des Thores nicht erkennen,
ist ohne Thor sein. Drei Umkreisungen sind drei bestimmte Zeiten.
Nach drei Jahren wird gewiss grosses Unglück entstehen. — Tö
liess sich wirklich mit Ku-khiü und Anderen in eine Verschwörung
•ein. Er wurde schuldig befunden und hingerichtet.
Ma-hing-ping stellte an Keng die Frage: Mir träumte die letzte
Nacht, dass heim Nachhausekommen die Pferde tanzten. Etliche zehn
Menschen wendeten sich gegen die Pferde und schlugen in die Hände.
Was bedeutet dieses? — Keng sprach: Das Pferd ist das Feuer.
Tanzen ist der Ausbruch des Feuers. Die gegen die Pferde sich
wenden und in die Hände schlagen, sind die Löschmänner. —
Ping war noch nicht nach Hause zurückgekehrt, als das Feuer
ausbrach.
Tschang-mö, der verdienstvolle Richter in der Provinz, hatte
die Stelle eines Gesandten für Tsin-lscheu erhalten. In der Nacht
träumte ihm, dass ein Wolf ihm das eine Bein abfrass. Keng sprach:
Wenn das Fleisch des Beines abgefressen wird, so ist dieses das
Zeichen des Zurückwerfens. — Da ereignete es sich, dass die öst
lichen Gefangenen sich empörten, und er trat demnach die Reise
nicht an.
Tschang-pin sollte zu der Stelle eines „Elternliebenden und
Uneigennützigen“ erhoben werden. Es träumte ihm, dass er eine
Stange aufstellte und an den Himmel stiess. Keng sprach: Dieses ist
das Zeichen „noch nicht.“ Pin blieb wirklich stehen. Alle Träume,
die Keng deutete, gingen ohne Ausnahme in Erfüllung.
Die von Hoang-fu-ml verfasste Darlegung der Zeitalter der
Kaiser und Könige sagt:
Der gelbe Kaiser träumte, dass ein Sturmwind blies und Staub
und Schmutz der W^elt verschwanden. Ferner träumte ihm, dass ein
Mensch eine Armbrust der tausend Dreissigpl'unde erfasste und eine
Heerde von mehreren zehntausend Schafen trieb. Der Kaiser er-
46
702
P f i z ra a i e r
wachte und sprach seufzend: Der Wind ist der laute Befehl, der die
Lenkung Führende. Die Entfernung des Schmutzes, die Lösung der
Erde ist die reine Verwaltung. Sollte es in der Welt Jemanden
geben, dessen Geschlechtsname Fung (Wind), dessen Name Heu 1 )?
Die Armbrust der tausend Dreissigpfunde trachtet nach Stärke, die
im Stande ist, in die Ferne zu reichen. Eine Heerde von mehreren
zehntausend Schafen treiben, bezieht sich auf denjenigen, der im
Stande ist, ein guter Hirt zu sein. Sollte es in der Welt Jemanden
geben, dessen Geschlechtsname Li (Stärke), dessen Name Mo (Hirt)?
— Hierauf suchte er der Deutung der beiden Träume gemäss diese
Menschen. Er fand Fung-heu in dem Winkel des Meeres. Er lies»
ihn aufsteigen und machte ihn zum Reichsgehilfen. Er fand Li-niö in
dem grossen Sumpfe. Er Hess ihn vorschreiten und machte ihn
zum Heerführer.
Thang sehnte sich nach weisen Männern. Er sah im Traume
einen Menschen, der auf dem Rücken einen Dreifuss trug und mit den
Händen ein Hackbret erhob. Derselbe stand ihm gegenüber und
lachte. Thang erwachte und deutete den Traum, indem er sprach:
Der Dreifuss vereinigt alle Arten des Geschmackes. Auf dem Hack-
brete wird geschnitten und zerlegt. Sollte es in der Welt Jemanden
geben, der mein Vorschneider wäre? — Ein Nachkomme Ll-mö's,
Namens I-tschl, trieb Ackerbau in den Wildnissen von Yeu-sin. Thang
hörte von ihm und rief ihn durch Geschenke herbei. Der Landesherr
von Yeu-sin hielt Tschi zurück und liess ihn nicht vortreten. Thang
freite jetzt bei dem Landesherrn von Yeu-sin. Der Landesherr von
Yeu-sin vermälte Thang mit seiner Tochter und machte Tschi zum
Diener der Brauthegleitung. Als dieser nach Pö ®) gelangte, trug er
auf dem Rücken einen Dreifuss, nahm in die Arme ein Hackbret und
erschien vor Thang.
Das Buch Lie-tse sagt: Das Wachen hat acht Bestätigungen-
Das Träumen hat sechs Erspähungen. Es wird gefragt, wie die sechs
*) Aus keu „Schmutz“ wird mit Hinweglassung von —tu „Erde“ da»
Zeichen £ heu „der Befehlende“.
*) Pö war die Hauptstadt des Königs Thang von Schang.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
703
Erspähunge» heissen. Die erste heisst: richtige Träume. Die zweite
heisst: schreckhafte Träume. Die dritte heisst: gedankenvolle Träume.
Die vierte heisst: wache Träume. Die fünfte heisst: freudige Träume.
Die sechste heisst: hange Träume. Diese sechs Dinge sind es, mit
denen die Götter sich verbinden. Fülle und Leere, Vernichtung und
Ruhe des ganzen Leibes' stehen im Verkehr mit Himmel und Erde,
sie entsprechen den Arten der Dinge. Ist daher die Luft des Yin
kräftig, so träumt man, dass man über ein grosses Wasser setzt und
sich fürchtet. Ist die Luft des Yang kräftig, so träumt man, dass man
über ein grosses Feuer setzt und verbrennt. Ist das Yin und Yang zu
gleich kräftig, so träumt man, dass das Leben getödtet wird. Ist man
an Schwimmen und Leere erkrankt, so träumt man, dass man sich
ausdehnt. Ist man an Versunkensein und Vollsein erkrankt, so träumt
man, dass man ertrinkt. Legt man sich auf den Gürtel, indess man
schläft, so träumt man von Schlangen. Hält ein fliegender Vogel in
dem Schnabel ein Haupthaar, so träumt man vom Fliegen. Soll man
sich verbergen, so träumt man von Feuer. Soll man erkranken, so
träumt man von Speise. Wein trinken, ist Kummer. Singen undTanzen
ist Wehklage. Desswegen kommt der Geist entgegen und ist der
Traum. Die Gestalt trifft zusammen und ist die Sache. Die wahren
Menschen des Alterthums, wenn sie wachten, vergassen sie auf sich
selbst. Wenn sie schliefen, träumten sie nicht.
An der südlichen Ecke der westlichen Gipfelung befindet sich
ein Reich, Namens Ku-mang, mit dem die Luft des Yin und Yang sich
nicht verbindet, wo Hitze und Kälte keinen Unterschied machen, das
der Glanz der Sonne und des Mondes nicht erleuchtet, wo Tag und
Nacht keinen Unterschied machen. Sein Volk verzehrt keine Speise
und kleidet sich nicht, aber es schläft viel. In fünfzig Tagen wachen
die Menschen einmal auf. Was sie im Traume thun, ist Wirklichkeit.
Was sie im wachen Zustande sehen, ist eitel.
Der Mann des Geschlechtes Yün von Tscheu befasste sich im
grossen Massstabe mit Erzeugnissen. Die unter ihm stehenden, hinzu
eilenden Dienstleute traten vor und gönnten sich am frühen Morgen und
am Abend keine Ruhe. Ein alter Handlanger hatte die Kraft der Sehnen
704
P f i /. m n i e r
erschöpft. In der Nacht war er betäubt, ermattet und schlief fest. In
der Nacht träumte ihm, dass er der Gebieter eines Reiches sei. Er
lustwandelte, hatte Festlichkeiten, Obrigkeiten, Aussichten, alles,
was er sich wünschen konnte. Seine Freude hatte nicht ihres Gleichen.
Wenn er erwachte, war er wieder ein Handlanger. Jemand äusserte
sich anerkennend über seinen Fleiss. Der Handlanger sprach: Wenn
der Mensch hundert.Iahre lebt, hat er die Theilung von Tag und Nacht.
Ich hin am Tage ein Handlanger. Wenn ich mich abmühe, so mühe
ich mich ah. In der Nacht hin ich ein Gebieter der Menschen. Die
Freude, die ich empfinde, hat nicht ihres Gleichen. Warum sollte ich
mich betrüben? — Der Mann von dem Geschlechte Yün hatte schwere
Sorge wegen der Geschäfte des Hauses. Sein Geist und seine Ge
stalt waren verkümmert. Er war betäubt, ermattet und schlief ein.
Jede Nacht träumte ihm, dass er ein Knecht unter den Menschen sei.
Schnell laufen, Dienste verrichten, nichts war, das er nicht tliat.
Häufig gescholten werden, mit dem Stocke geschlagen werden,
nichts war, das ihm nicht widerfuhr. Der Mann von dem Ge
schlechte Yün war darüber sehr gekränkt, und er fragte seinen
Freund. Der Freund sprach: Wenn du in der Nacht träumst, dass
du ein Knecht hist, so ist dieses die Wiederholung der Mühsal und
der Müsse, die Gewöhnlichkeit der Zahlen. Wolltest du im Wachen
und im Träumen beides zusammenfassen, wie könntest du es
erreichen?
Der gelbe Kaiser träumte in seinem fünfzehnten Jahre am'
Tage, dass er zu dem Reiche des Geschlechtes Hoa-siü lustwandelte.
Dieses Reich liegt im Westen von Yen-tseheu, im Norden von Tai-
tscheu. Man weiss nicht, wie viele tausendmal zehntausend Weg
längen es von dem Reiche Tsi entfernt ist. Es wird zu Schiffe und
zu Wagen, durch die Kraft der Füsse nicht erreicht, ln demselben
gibt es keine Lehrmeister und Älteste. Es gibt keine Gelüste und
Wünsche. Man kennt nicht die Freude an dem Lehen, man kennt
nicht den Widerwillen gegen den Tod. Es gibt kein frühzeitige?
Sterben. Man kennt nicht die Befreundung mit dem eigenen Selbst,
man kennt nicht das Fernstehen von den Dingen. Der Kaiser er
wachte, besann sich und berief seine Stützen. Er sagte zu ihnen:
Ich dachte daran, dass ich den Weg der Pflege des eigenen Seihst,
Aus dem Traumleben der Chinesen.
705
der Ordnung der Dinge nicht erlange. Ich war ermattet und schlief
ein. Auf diese Weise erfuhr ich, dass man den vollendeten Weg nicht
nach Neigung suchen kann. Ich habe ihn bereits erlangt.
Das Buch Tschuang-tse sagt:
Das Träumen ist der Geist der Luft des Yang. Hat das Herz,
worüber es sich freut, worüber es zürnt, so folgt die geistige Luft
ihm nach.
Träumt man, dass man Wein trinkt, so wird man am Morgen
wehklagen und weinen. Träumt man, dass man wehklagt und weint,
so wird man am Morgen auf die Jagd gehen. Dies ist die Verände
rung der Sache das Wachens und Schlafens. Während man träumt,
weiss man nicht, dass man träumt. In dem Traume deutet man
noch den Traum. Erst wenn man erwacht, weiss man, dass man ge
träumt hat.
Einst träumte Tschuang-tscheu, dass er ein Schmetterling sei.
Er war mit Freuden ein Schmetterling. Er sagte sich, dass er wohl
seine Absicht erreicht habe, er wusste nicht, dass er Tscheu sei. Als
er unvermuthet erwachte, war es handgreiflich, dass er Tscheu sei.
Er wusste nicht, oh Tscheu träumte, dass er ein Schmetterling sei,
oder oh der Schmetterling träumte, dass er Tscheu sei.
Das Buch Fu-tse sagt:
Man träumt, dass man an Sonne und Mond sich anhält, und
heim Erwachen steigt man nicht zu dem Vorhofe des Himmels empor.
Man träumt, dass man in die neun Quellen dringt, und beim Er
wachen erreicht man nicht die Gegend unter der Erde. Kao-tsung
fand Schuü nur zufällig.
Das Buch Hoai-nan-tse sagt:
Wenn der Mensch zehntausendmal sich verwandelt und noch
nicht die Anfänge der Gipfelung besitzt, wenn er zerschlagen
ist und dann neu wird, lässt die Freude, die er empfindet, sich be
schreiben? Es ist wie hei Träumen. Man träumt, man ist ein Vogel
und fliegt zu dem Himmel. Man träumt, man ist ein Fisch und ver
sinkt in den Abgrund der Wasser. Während man träumt, weiss man
nicht, dass man träumt. Erst wenn man erwacht, weiss man, dass
man geträumt hat. Jetzt wird es Dinge gehen, hei denen ein grosses
700
P f i z m a i e r
Erwachen ist. Dann erst wird man wissen, dass das Gegenwärtige
ein grosses Träumen ist.
Die Denkwürdigkeiten von vielseitigen Dingen sagen:
Der grosse Fürst war Befehlshaber des Erdaltares der Strö
mung. Um die Zeit sah König Wen im Traume ein Weib, das auf
dem Wege wehklagte. Er fragte sie um die Ursache. Sie antwortete:
Ich bin die Tochter der grossen Bergtreppe. Ich ward vermält und
wurde das Weib des westlichen Meeres. Wenn ich wandle, muss ich
beim Kommen und Gehen mich eines heftigen Sturmes und eines
Platzregens bedienen. Jetzt befindet sich der Befehlshaber des Erd
altars der Strömung auf meinem Wege. Ich wage es nicht, mit hef
tigem Sturmwind und Platzregen vorüberzuziehen. — Als er aus
seinem Traume erwachte, berief er den grossen Fürsten zu sich.
Nach drei Tagen zog wirklich ein heftiger Sturmwind mit Platzregen
an dem Erdaltar der Strömung vorüber.
Der Wagebalken der Erörterungen sagt:
Tschao-kien-tse sah im Traume der. Uimmelskaiser. Als man
hierüber in Bezug auf den Traum zur Wahrsagung schritt, erfuhr
man, dass die Erdstufe des Stockwerkes und die Anhöhe des Berges
das Bild der Rangstufe einer Obrigkeit sei. Wenn ein Mensch träumt,
dass er in ein Stockwerk hinaufgeht, die Anhöhe des Berges besteigt,
so erlangt er ohne weiteres die Rangstufe einer Obrigkeit. Da in
Wirklichkeit die Erdstufe des Stockwerkes und die Anhöhe des
Berges nicht die Rangstufen der Obrigkeit sind, so wusste man, dass
der Kaiser, den Kien-tse im Traume sah, nicht der Himmelskaiser
gewesen.
Die Besprechungen des Zeitalters sagen:
Als Wei-kiai noch die Hörner des Haupthaares knüpfte, fragte
er Yö-kuang nach den Träumen. Der Mann von dem Geschleehte Yo
sagte, sie seien Einbildungen. Der Mann von dem Geschleehte Wei
sprach: Wenn man dasjenige träumt, womit Geist und Gestalt nichts
zu schaffen haben, wie könnten diess dann Einbildungen sein? —
Der Mann von dem Geschleehte Yö sprach: Es gibt Veranlassungen.
— Der Mann von dem Geschleehte Wei dachte darüber nach, ob es
Veranlassungen gebe oder nicht. Er zog sich sofort eine Krankheit
zu. Der Mann von dem Geschleehte Yö hörte dieses und hiess ihn
ausfahren, damit er die Krankheit theile und breche. In der Krank
heit des Mannes von dem Geschleehte Wei erfolgte eine kleine
Aus dem Traumleben der Chinesen.
707
Besserung. Der Mann von dem Geschlechte Yo brach in Ausrufe des
Staunens aus und sprach: In der Brust dieses Weisen muss keine
Gegend unter der Herzgrube und kein Zwerchfell sein.
Das Buch der Träume sagt:
Der Traum ist ein Bild. Er ist die Bewegung der geistigen Luft.
Die Seele trennt sich von dem Leibe, der Geist kommt und geht.
Das Yin und Yang sind angeregt von dem Zustandekommen, das
Glückbringende und das Unglückverkündende wird bestätigt. Der
Traum spricht zu dem Menschen. Er lässt ihn vorläufig sehen die
Fehler, gleichwie der Weise sie erkennt und sich bessert. Der Traum
ist eine Kundgebung, er gibt seine Gestalt kund. Das Auge sieht
nichts, das Ohr hört nichts, die Nase holt nicht Athem und riecht
nicht, der Mund spricht nicht. Die Seele tritt aus und wandelt um
her, der Leib ist allein vorhanden. Wenn im Herzen über etwas
nachgedacht wird, vergisst sie auf den Leib. Sie empfängt die Er
mahnungen der Götter des Himmels, kehrt zurück und gibt es dem
Menschen kund. Wenn sie die Ermahnungen empfängt und nicht auf
merksam ist, vergisst sie die Worte der Götter. Man nennt dieses
das Erwachen. Es ist die Kundgebung des Eintreffens der Beglaubi-
gungsmai ke. In dem Alterthume gab es Obrigkeiten der Träume. Die
Zeitalter vererbten sie auf einander.
Einst, zu den Zeiten der höchstweisen Kaiser, der erleuchteten
Könige, kam die göttliche Luft hellglänzend früher zum Vorschein.
Desswegen träumte Yao, dass er einen Drachen anspannte und zu
demTai-schan emporfuhr. Schün träumte, dass er die Himmelstrommel
schlug. Yü träumte, dass seine Arme lang wurden. Thang träumte,
dass er in der Welt Befehle erliess. Später gelangten diese Männer
in den Besitz der Welt. Khie träumte, dass ein heftiger Wind seinen
Palast zerstörte. Tsch’heu träumte, dass ein grosser Donner seinen
Arm schlug. Hoan von Tsi träumte, dass er von einem grossen Vogel
getroffen worden. Der Kaiser des zweiten Geschlechtsalters aus dem
Hause Thsin träumte, dass ein Tiger sein Pferd biss, Die Herrscher,
die dieses träumten, wurden der Welt verlustig.
Das Nadelbuch des gelben Kaisers sagt:
Khi-pe sprach: Richtiges undUnrichtiges dringen von aussen
in das Innere, doch haben sie noch keine bestimmte Wohnstätte. Ist
708
P f i 7. in a i e r
im Gegentheil eine Ausschreitung in der Vorrathskammer, so wandeln
Blüthe und Schutzwache zugleich und fliegen und dehnen sich mit
der Seele. Gesetzt, ein Mensch legt sich nieder. Er kann nicht ruhen
und träumt mit Freude. Ist eine Ausschreitung der Luft in dem Ver
sammlungshause, so ist Überfluss nach aussen und Unzulänglich
keit im Inneren. Ist eine Ausschreitung der Luft in der Vorraths
kammer, so ist Überfluss im Inneren und Unzulänglichkeit nach aussen.
Ist die Luft des Yin vollkommen, so träumt man, dass man durch
ein grosses Wasser setzt und sich fürchtet. Ist die Luft des Yang
vollkommen, so träumt man, dass man durch ein grosses Feuer setzt
und verbrannt wird. Sind das Yin und Yang zugleich vollkommen, so
träumt man von gegenseitiger Tüdtung, Zerstörung und Verletzung.
Ist das Obere vollkommen, so träumt man von Emporfliegen. Ist das
Untere vollkommen, so träumt man von Herabfallen. Ist man sein-
satt, so träumt man von Geben. Ist man sehr hungerig, so träumt
man von Nehmen. Ist die Luft der Leber vollkommen, so träumt man,
dass man zornig ist. Ist die Luft der Lunge vollkommen, so träumt
man, dass man sich fürchtet. Ist die Luft des Herzens vollkommen,
so träumt man, dass man fröhlich ist und lacht. Ist die Luft der Milz
vollkommen, so träumt man, dass man singt und Musik macht. Die
Gliedinassen sind schwer, der Leib erhebt sich nicht. Ist die Luft
der Nieren vollkommen, so träumt man, dass das Rückgrat zu beiden
Seiten sich löst und uns nicht gehört. Gastet die eigene Luft in
dem Herzen, so sieht man im Traume Anhöhen, Berge und Fackel
licht. Gastet sie in der Lunge, so träumt man, dass man fliegt und
sich ausbreitet. Man sieht wunderbare Gegenstände von Gold und
Eisen. Gastet sie in der Leber, so träumt man von Gebirgswäldern
und Räumen. Gastet sie in der Milz, so sieht man im Traume Erd-
lnigel, Anhöhen, grosse Sümpfe, eingefallene Häuser, Regen mit
Wind. Gastet sie in den Nieren, so träumt man, dass man an einem
Abgrundder Wasser steht, untersinkt und in dem Wasser weilt. Gastet
sie in der Harnblase, so träumt man, dass man lustwandelt und
umhergeht. Gastet sie in dem Magen, so träumt man von Speise und
Trank. Gastet sie in den grossen Gedärmen, so träumt man von
Ackern und vom freien Felde. Gastet sie in den kleinen Gedärmen, so
träumt man von Niederlassungen, Städten, Gassen und Durchgängen.
Gastet sie in der Galle, so träumt man von Kampf, Streitigkeiten und
Aufreissen des Leibes durch die eigene Hand. Gastet sie in den ver-
Aus «lern Traumleben der Chinesen.
709
borgenen Theilen, so träumt man von Zusammentreffen im Inneren.
Gastet sie in ilem Scheitel, so träumt man von Enthauptungen.
Gastet sie in den Füssen, so träumt man, dass man einhergeht, läuft
und nicht erreichen kann. Man weilt in tiefen Fallgruben. Gastet sie
in den Schenkeln und Armen, so träumt man von Umschränkung
durch die Gebräuche, von Verbeugung und Niederknien.
Glückliche Träume.
Die Überlieferungen Tso’s, letzter Theil des Fürsten Ngai,
sagen:
King, Fürst von Sung, hatte keine Söhne. Er nahm Te und Khi,
die Söhne Kung-süu-tscheu’s, zu sich und erzog sie in dem fürst
lichen Palaste. Die Einsetzung war noch nicht bewerkstelligt, als der
Fürst starb. Te träumte, dass Khi an der Seite des „weissen Hauptes“ 1 )
in dem Thore Lu 2) schlief. Er selbst war ein Vogel und sass in der
Höhe auf. Sein Schnabel legte sich auf das Südthor. Sein Schweif
legte sich auf das Thor des Baumes Tungs). Er sprach: Mein Traum
ist trefflich. Ich werde gewiss eingesetzt. — Man setzte Te ein.
Das Buch der Tscheu sagt:
König Wen entfernte sich aus Schang und befand sich in
Tsching 4 ). In dem ersten Monate des Jahres, als es bereits der le
bende Geist der Dunkelheit 5 ') war, sah Ta-1 6 ) im Traume, dass in
dem Vorhofe der Schang Dornen wuchsen. Ihr jüngster Sohn Fä
nahm den Hartriegel in dem Vorhofe von Tscheu und pflanzte ihn
zwischen die Thorwarte. Der Hartriegel verwandelte sich in Fichten,
Cypressen, Weissdorn und Ulmen. Sie erwachte im Schrecken und
erzählte es dem Könige Wen. Der König und sein zur Nachfolge be
stimmter Sohn Fä warfen sich zu Boden und sagten, dass sie den
*) Das weisse Haupt ist das ßild des Todes und befand sich ausserhalb des Thores.
Es ist das Bild des Verlustes des Reiches.
2 ) Das Thor Lu ist das östliche Thor der Hauptstadt von Sung’.
3 ) Das Thor des Baumes Tung ist das nördliche Thor der Hauptstadt von Sung.
Tsching war damals die Hauptstadt von Tscheu.
5 ) Der lebende Geist der Dunkelheit ist die Zeit nach dem Vollmonde. Der todte
Geist der Dunkelheit ist der zweite Tag des Neumondes.
6 ) Ta-I ist die Gemalin des Königs Wen von Tscheu.
710
P f i z m a i e r
grossen Befehl der Schang von dem erhabenen Himmel, dem höchsten
Kaiser erhalten haben.
Das Sse-ki sagt:
Wen, Fürst von Thsin, träumte, dass eine gelbe Schlange von
dem Himmel herabkam und sich an die Erde hängte. IhrMund haftete
aut der Berghöhe des Feu. Er fragte Sse-tün. Tun sprach: Dieses
ist eine Kundgebung des höchsten Kaisers. Mögest du, o Gebieter,
ihm opfern.
Die Geschichte der Han von der östlichen Warte sagt:
Die Heerführer forderten Kuang-wu auf, die Rangstufe einzu
nehmen. Er berief jetzt Fung-I. Der Kaiser sprach: Ich habe die
letzte Nacht geträumt, dass ich mit einem rothen Drachen fuhr und
zu dem Himmel emporstieg. Als ich erwachte, fühlte ich in dem
Herzen eine Bewegung und ein Klopfen. — I stieg desshalb von dem
Teppich herab, verbeugte sich und wünschte Glück, indem er sprach:
Hier hat sich der Befehl des Himmels geoflenbart in dem reinen
Geiste. — I bestimmte hierauf im Rathe mit den Heerführern, dass
dem Kaiser der Ehrentitel beigelegt werde.
Im Frühlinge des dritten Jahres des Zeitraumes Yung-ping (60
n. Chr.) hielten die Inhaber der Vorsteherämter an dem Hofe
einen Vortrag und baten, dass man den Palast des langen Herbstes
errichte und dadurch die acht Nebengemalinnen voranstelle. Der
Kaiser hatte sich noch nicht ausgesprochen. Die Kaiserin sprach:
Die vornehme Frau von dem Geschlechte Ma steht durch Tugenden
an der Spitze in dem rückwärts gelegenen Palaste. — Sie stieg
hierauf zu der höchsten Ehrenstufe. Einige Tage früher hatte die
Kaiserin geträumt, dass kleine Insekten ohne Zahl ihr nachflogen,
sich auf ihren Leib setzten und in ihre Haut und ihr Fleisch drangen,
worauf sie wieder entflogen.
Die Kaiserin Ho-hi von dem Geschlechte Teng träumte einst,
dass sie den Leib des Himmels berührte. Derselbe war umfangreich,
rein blau und glatt gleich dem Wundersteine. Es befand sich daselbst
etwas wie Tropfstein. Es war als oh sie sich zurückbeugte und ihn be
leckte. Sie befragte die Traumdeuter. Man sagte: Yao träumte, dass er
Aus dem Traumleben der Chinesen.
71 1
sich an dem Himmel festhielt und emporstieg, Thang, dass ersieh zu
dem Himmel zurückbog und ihn beleckte. Dieses waren Träume
höchstweiser Vorgesetzter.
Das von Fan-hoa verfasste Buch der späteren Han sagt:
Tsai-meu träumte, dass er in der Vorhalle der grossen Gipfelung
sass. In der Höhe befanden sich drei Ähren. Meu sprang empor, um sie
wegzunehmen. Er erlangte die mittlere Ähre, aber sofort verlor er
sie wieder. Er befragte desshalb Kö-ho. Ho verliess den Teppich,
wünschte Glück und sprach: Die grosse Vorhalle ist das Bild des
Versammlungshauses der Obrigkeiten. Die Ähren, die sich auf der
Gipfelung befinden, sind der Gehalt eines Dieners unter den Menschen.
Dass du die mittlere Ähre wegnahmst, bedeutet die Rangstufe des
mittleren Anfangs i). In der Schrift bilden „Ähre“ und „verlieren“
das Amts). — Nach einem Monate wurde Meu berufen. Auch Ho
wurde berufen und zum Zugesellten ernannt.
Das von Wang-yin verfasste Buch der Tsin sagt:
Tao-khan führte den Jünglingsnamen Sse-hung und stammte
aus Po-yang. In seiner Jugend fischte er in dem Donnersumpfe. Er
träumte, dass auf seinem Rücken acht Flügel wuchsen, und er flog
in das Thor des Himmels. Er sah, dass das Thor ein ungewöhnliches
war. Er wollte eintreten und getraute sich nicht. Er flog daher wie
der herab. Khan überwachte später die Angelegenheiten des Kriegs
heeres in den acht Landstrichen.
Teng-yin war Statthalter von Hoai-nan. Er träumte, dass er an
dem Ufer eines Flusses wandelte. Daselbst sah er ein Mädchen, hinter
dem ein Tiger in Aufregung daher kam und ihm den Beutel des Gür
tels abbiss. Der Ausleger meinte, das Mädchen, dass sich an dem
Ufer des Flusses befand, sei das Wort Jü s). Was das Abbeissen des
Beutels des Gürtels betrifft, so sei das neue Hu-teu (Tigerhaupt)
*) In dem Sternbilde der drei Anfänge (san-tai) ist der Stern des mittleren Anfangs
(tschung-tai) der Vorsteher der Scharen.
2) Tschl „der Rang, das Amt“ ist aus ^ Ho „Aehre“ und & Schl,
„verlieren“ zusammengesetzt.
*) Das Wort Niü „Mädchen“ wird mit
verwechselt. Das
Letztere ist der Name eines Flusses.
712
P f i z m a i e r
das alle Hu-teu in Tai. Wenn nicht Jü-yin geschrieben werde, so
müsse es Jü-nan sein. Jener wurde wirklich nach Jü-yin versetzt.
Die von Wang-schao-tschi verfasste Geschichte des Kaisers Ngau
von Tsin sagt:
Als Lieu-king-siuen sich in Tsi befand, träumte ihm, dass er
eine Kugel aus Erde verschlang und dass im Traume ein Ausleger
ihm antwortete: Diese als Arznei gebrauchte Kugel wird verschlun
gen. — Als er erwacht war, sprach er freudig: Die Kugel ist Hoan i).
Hoan wird verschlungen. Ich werde wieder in mein Land zurück
kehren. — Binnen zehn Tagen ward Yuen geschlagen und Jener
konnte heimkehren.
Das von Lö-ki verfasste Buch der Tsin sagt:
Als Wang-jui sich in der Provinz Pa befand, träumte ihm, dass
inan vierMesser über ihn aufhing. Dieses war ihm sehr zuwider. Li-I,
bei Jui der Vorgesetzte der Register, verbeugte sich und wünschte
ihm Glück, indem er sprach: Drei Messer sind ein Landstrich 3 ). Dass
du aber vier sähest, ist die Vermehrung um eines. Wie sollte Ming-
fu die Aufsicht über Yi-tscheu 3 ) führen? — Später wurde Jener
wirklich der stechende Vermerker von Yi-tscheu.
Das Buch der Tsin sagt:
Lo-han führte den Jünglingsnamen Kiün-tschang und stammte
aus Siang-yaug. ln seiner Jugend träumte er, dass ein fünffärbiger
Vogel in seinen Busen flog. Sofort nahm er ihn und verschluckte ihn.
Als Han erwachte, hatte er in seiner Brust ein Gefühl, als oh er etwas
verschluckt hätte. Er sagte sich in Gedanken, dass dies nichts
Gutes bedeute. Er erzählte es seiner Muhme von dem Geschleckte
Tsckü. Die Muhme von dem Geschlechte Tschü sprach: DieserVogel
besass glänzenden Schmuck. Du wirst dich auf den glänzenden
Schmuck der Schrift verstehen. — Dieses Wort ging wirklich in
Erfüllung. Die Menschen sagten von ihm, dass er gleich den Fichten
‘>7£ Hoan „Kugel“ ist gleichlautend mit dem Geschlechtsnamen jj~l Hoan.
Die Empörung Hoan-yuen’s fällt in das zweite Jahr des Zeitraumes Lung-ugan
(398 n. Ohr.).
2 ) Das Wort Tscheu „Landstrich“ hat Ähnlichkeit mit dem dreimal gesetzten
Worte Tao „Messer“.
3 ) Yi-tscheu bedeutet wörtlich: der Landstrich der Vermehrung.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
713
und dem Bambus von King und Tsu. Hoan-wen, der stechende Ver
merken von King-tscheu, meinte, dass er die reine ßlüthe der linken
Seite des Stromes.
Das Buch der Sung sagt:
Tse-hiün, König von Tsin-ngan, errichtete im Süden der Feste
von Thsin-yang einen Erdaltar und nahm seine Stute ein. Tse-hiün
sagte im Gespräche zu den Leuten seiner Umgebung: Ich habe die
letzte Nacht geträumt, dass ich Drachen anspannte und zu dem
Himmel emporstieg. Als ich mich bückte und sie anblickte, sah ich
nicht ilirHaupt. — Alle erblassten und Niemand war, der Antwort gab.
Der in der Reihe als Leibwächter dienende Sün-I trat vor und sprach:
Die Verwandlungen sagen, dass, wenn man Drachen ohne Haupt
sieht, dieses ein glückliches Zeichen sei. — Alle waren jetzt sehr
erfreut.
Lieu-mö-tschi träumte einst, dass er mit dem Kaiser Wu von
Sung auf dem Meere fuhr und einen Sturm erlebte. Erschrocken
blickte er in die Tiefe und sah unter dem Schiffe zwei weisse Dra
chen, die das Schiff zwischen sich festhielten. Hierauf gelangte er
zu einem Berge. Der Gipfel des Berges erhob sich steil und glänzte
wie Bliithe. Er empfand darüber grosse Freude. Als Kaiser Wu die
Feste von King bewältigte, schloss sich Jener an Ho-wu-ki und be
warb sich um die Stelle eines Vorgesetzten der Register des Ver
sammlungshauses. Wu-ki empfahl Mö-tschi. Der Kaiser sprach: Ich
kenne ihn ebenfalls. — Er berief ihn sofort zu sich.
Tsehin-king-tschi träumte einst, dass er die Wagenreihe des
Himmelssohnes in einen Abort führte. King-tschi war die Gemeinheit
des Eintrittes in den Abort sehr zuwider. Um die Zeit lebte ein ge
schickter Ausleger der Träume. Derselbe erklärte es ihm, indem er
sprach : Du wirst sehr reich und vornehm werden. Es geschieht aber
noch nicht zwischen Morgen und Abend. — Jener fragte um die Ur
sache und erhielt zur Antwort: Die Wagenreihe des Himmelssohnes
war ehemals reich und vornehm. Dass sie in dem Aborte Platz hat,
bedeutet den späteren Kaiser. I)u wirst nicht unter dem gegenwär
tigen Gebieter reich und vornehm werden.
isrnrnrnmimamäksst
714 Pfiimaier
Das Buch der späteren Wei sagt:
Kaiser Siuen-wu hiess mit Namen Kho. Er war der älteste Sohn
des Kaisers Hiao-wen. Seine Mutter hiess: das Geschlecht Kao. Die
selbe hatte geträumt, dass sie yon der Sonne verfolgt wurde. Sie ging
ihr aus dem Wege und versteckte sich unter das Bett. Die Sonne
verwandelte sich in einen Drachen und umwand sie mehrfach. Beim
Erwachen empfand sie Schrecken und hatte Herzklopfen. Sie ward
schwanger und gebar den Kaiser.
Das Buch der späteren Tscheu sagt:
Kao-lin führte den Jünglingsnamen Sieu-lin. Sein Vorfahr
war ein Mensch von Kao-li. Seine Mutter bannte einst die bösen
Geister an den Ufern des Sse. Sie lag und sah zufällig einen Stein.
Derselbe war buntglänzend und von leuchtender Glätte. Sie ergriff
ihn und ging nach Hause. In der nämlichen Nacht sah sie im Traume
einen Menschen, der Kleider und Mütze wie ein Unsterblicher trug
und zu ihr sagte: Der Stein, den die vornehme Frau unlängst ergriff
und mitnahm, ist der Geist des schwimmenden Musiksteines. Wenn
der Gebieter ihn erhält, kann er sich einen Sohn verschaffen. — Die
Mutter erwachte im Schrecken, so dass ihr ganzer Leib mitSchweiss
bedeckt war. Sie war unvermuthet schwanger und gebar Lin. Man
gab diesem demnach den Namen und den Jünglingsnamen 1 ). Als er er
wachsen war, besass er grosse Urtheilskraft, Verstand und Überle
gung. Er schloss sich an den Kaiser W T en und erwarb sich in den
Kämpfen fortwährend Verdienste. Er gelangte zu der Rangstufe eines
das Versammlungshaus Eröffnenden, und seine Würde war derjenigen
der drei grossen Vorsteher gleich.
Die Abkürzungen der Vorbilder der drei Reiche sagen:
Kao-hoan träumte einst, dass er auf die Sterne trat und einher
wandelte. Beim Erwachen empfand er im Inneren Freude. Er gab
sofort die Landwirthschaft auf und sammelte Gäste.
Yü-wen-yung-kuei stammte aus Ta-ke in Tschang-li. Als seine
Mutter mit ihm schwanger war, träumte ihr, dass ein Greis in den
Armen ein Kind hielt und es ihr übergab, indem er sprach: Ich
*) Der Name Lin bedeutet den Edelstein Lin. Der Jünglingsname Sieu-lin hat die
Bedeutung: der zierliche Edelstein Lin.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
715
schenke dir diesenSolin. Ich lasse ihn lange leben und auch vornehm
werden. — Als sie ihn geboren halte, war er von Gestalt demjenigen
ähnlich, von dem sie geträumt hatte. Man gab ihm daher den Jüng
lingsnamen Yung-kuei (immerwährend vornehm).
Hieu-tschi von Tsi-yang wollte in seinen jungen Jahren in
Dienste treten. Er träumte, dass im Südosten der Feste von Nie sich
ein grosser Hügel befand. Auf der Höhe desselben befand sich eine
kupferne Säule, deren Fussblatt blühende Wasserlilien waren. Er
stieg von der südwestlichen Seite hinan und erfasste die Säule. Die
Säule drehte sich nach rechts. Er beschwor sie im Traume, indem
er sagte: Nach drei Umdrehungen mögest du innehalten. — Die
Säule that, wie er sagte. Nachdem er zu Ehren gelangt und vornehm
. geworden war, befand sich das Haus, welches er bewohnte, zuletzt
an dieser Stelle.
Tsu-ting wusste, dass Tai-schang von Tsi sich mit grossen Ge
danken trage. Er verband sich mit ihm auf das Innigste. Er hob einst
an und sprach: Ich habe dieletzteNacht geträumt, dass du, o grosser
König, mit Drachen fuhrst und zu dem Himmel emporstiegst. Es ist
mein Wunsch, dass ich dich innig liebe.—Tai-schang empfand grosse
Freude. Als er seine Rangstufe eingenommen hatte, zog er Jenen
hervor und ernannte ihn zum mittleren Buchführer und aufwartenden
Leibwächter.
Hiao-yuen von Liang führte den Jünglingsnamen Schi-sching.
Er war der siebente Sohn des Kaisers Wu von Liang. Sein kleiner
Jünglingsname war TsI-fu (die siebente Beglaubigungsmarke). Kaiser
Wu von Liang hatte geträumt, das ein kleinäugiger Bonze ein Räu
cherfass ergriff und vorgab, dass er sein Lehen dem Palaste des
Königs weihe. Nach dieser Zeit erhob ein geschmücktes Mädchen
von dem Geschlechte Schi als Aufwärterin zum ersten Male den Vor
hang der Thüre. Ein Zugwind drehte ihr den Rock um. Kaiser Wu
von Liang war imGemüthe erregt und beglückte sie. Das geschmückte
Mädchen träumte, dass der Mond in ihren Busen herabfiel. Sie war
hierauf schwanger. An dem Abende, an welchem Hiao-yuen geboren
Sit/.b. d. p’iil.-hist. CI. LXIV. Bd. III. Hft. 47
716 Pfizmaier
wurde, war das ganze innere Haus von Lichtglanz erhellt. In dem
inneren Hause hatte man die Wunder ungewöhnlicher Wolrlgeriiche
und purpurner Fruchthüllen.
Das Buch der Liang sagt:
Kiang-yen sah in seiner Jugend im Traume einen Menschen, der
ihm einen fünffiärbigen Pinsel übergab. Er erlangte dadurch den glän
zenden Schmuck der Schrift. Zehn Jahre später träumte er plötzlich,
dass ein Mann, der sich Kö-pö nannte, zu ihm sagte: Den Pinsel,
den ich dir vordem geliehen habe, kannst du mir zurückgeben. —
Yen suchte im Traume nach dem in seinem Busen befindlichen
Pinsel. Seit dieser Zeit besass er nicht mehr den glänzenden Schmuck
der Schrift. Man sagte um die Zeit, dass es mit der Begabung Yen’s
zu Ende sei.
Tsching-tschö diente in seiner Jugend Hoahg-khan. Tscho war
von Gemiithsart lauter und thätig. Er verstand sich vorzüglich auf
die dreifachen Gebräuche. In seiner Jugendzeit hatte ihm geträumt,
dass Hoang-khan zu ihm sagte: Leibwächter von dem Geschlechte
Tsching, öffne den Mund! — Khan spuckte hiermit Tscho in den
Mund. Tscho schritt seitdem in der Weise seines Benehmens immer
vorwärts.
Ho-tien litt zur Zeit seiner Jugend einst an Durst. Über ein
Jahr erfolgte keine Besserung. Als er sich später iuU befand, stellten
die Bonzen des Klosters des steinernen Buddha Nachforschungen
an. Während er am Tage schlief, träumte er, dass ein Mensch des
Weges, dessen Gestalt und Anblick ungewöhnlich waren, ihm zwei
Handvoll Kugeln übergab. Er gebrauchte sie im Traume und war
geheilt.
Das Buch der Tschin sagt:
Zur Zeit als Kao-tsu noch unbekannt war, lustwmndelte er einst
nach I-hing und kehrte bei dem Geschlechte Hiii ein. Es träumte ihm,
dass der Himmel sich in einer Ausdehnung von mehreren Klaftern
öffnete. Es waren daselbst vier Menschen in hellrothenKleidern. Die
selben kamen herbei, indem sie in den Händen die Sonne hielten.
Sie steckten diese in den Mund des Kaisers. Als der Kaiser erwachte,
war das Innere seines Bauches noch immer heiss.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
717
Die Geschichtschreiber des Südens sagen:
Siii-ling führte den Jünglingsnamen Hiao-mö. Seine Mutter war
von dem Geschlechte Tsang. Dieselbe träumte einst, dass fünffärbige
Wolken sich in Paradiesvögel verwandelten. Diese setzten sich auf
ihre linke Schulter. Sie gebar hierauf Ling. Als Ling einige Jahre
alt war, hoben ihn die Hausgenossen empor und befragten die kost
baren Erwägungen der Schamanen und Buddhisten. Die kostbaren
Erwägungen sagten: Dieser ist das steinerne Einhorn auf der Höhe
des Himmels.
Das Buch der Thang sagt:
Li-kiao stammte aus Tsan-hoang in Tschao-tscheu und war ein
Grossneffe des zu den Zeiten der Sui lebenden inneren Vermerkers
und aufwartenden Leibwächters Yuen-tsao. Das Geschlecht brachte
unter verschiedenen Herrscherhäusern seinen Namen zu Berühmtheit.
Sein Vater Tschin-ngö war Befehlshaber der Feste von Siang. Kiao
war frühzeitig eine Waise. Er diente seiner Mutter und ward durch
Elternliebe bekannt. Als er noch ein Kind und ein Knabe war,
träumte ihm, dass ein göttlicher Mensch ihm ein Paar Pinsel hinter-
liess. Seit dieser Zeit betrieb er allmälig das Geschäft des Lernens.
Er ward im zarten Alter mit der Mütze bekleidet und zu einem vor
schreitenden ausgezeichneten Männe erhoben.
Yün-tschi-tschang stammte aus Yi-tsching in Kiang-tscheu.
In seiner Jugend verlegte er sich eifrig auf das Lernen. Er träumte
einst, dass ein göttlicher Mensch mit einem grossen Meissei ihmdasHerz
öffnete und Arznei hineingoss. Von diesem Tage angefangen war er
mehr erschlossen, völlig erleuchtet, und verstand den Sinn der richt-
schnurmässigen Bücher. Es währte nicht lange, so waren seine
Lehrer und Freunde mit dem Angesicht nach Norden gekehrt und
empfingen von ihm die Beschäftigung.
Tschang-tsien führte den Jünglingsnamen Hiao-khiü und stammte
aus Lö-scln in Schin-tscheu. Sein Grossvater Tsö führte den Jüng
lingsnamen Wen-tsching. Derselbe war scharfsinnig, aufgeweckt und
übertraf seine Genossen. Es war kein Buch, das er nicht überblickt
hatte. Zur Zeit, als er ein Kind und Knabe war, träumte er, dass ein
47»
718
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grosser Vogel von purpurner Farbe, bei dem fünf schimmernde
Farben die Streifen bildeten, zu dem Vorhofe des Hauses herabstieg.
Sein Grossvater sagte zu ihm: Fünf Farben und rotlie Streifen ist
der Paradiesvogel. Purpurne Streifen ist der rothe Paradiesvogel
(yö-tsö). Dieser ist der Gehilfe des Paradiesvogels. Mein Kind wird
durch den Schmuck der Schrift in dem Vorhofe sein Glück machen.
— Man gab ihm demnach den Namen') und den Jünglingsnamen =).
In dem Zeiträume Thien-pao (742 bis 756 n. Chr.) trat Ngan-
lo-schan, von Fan-yang kommend, an dem Hofe ein. Sü-tsungs) sah
dessen unheilvolle Selbstsucht und Widersetzlichkeit und sprach
darüber mit dem Kaiser Tai-schang. Der Kaiser Tai-schang änderte
es und nahm Jenen nicht auf. Der Kaiser fürchtete, dass die Landes
götter in Gefahr gerathen könnten. Sofort bat er rein und wahrhaftig
die Götter um Träume. In derselben Nacht träumte er, dass drei
ehemalige Aufwartende des Inneren, unter ihnen Hu-pu-tsI, in den
Händen eine mit einem gelben Tuche bedeckte Tafel haltend, von dem
Himmel herabstiegen. Als sie vor den Kaiser gelangten, befanden
sieb darauf ungeschmückte Breter mit rother Schrift und sehr viele
zierliche Aufsätze. Als er erwachte, hatte er sich bloss vier Ab
schnitte gemerkt. Dieselben lauteten: Hat er denn es nicht gesagt?
Er denkt an seine Zeit. Was der hohe Himmel beschützt, bei dem
nehmen Glück und Segen nicht ab. — Im vierzehnten Jahre des
selben Zeitraumes (755 n. Chr.), im ersten Monate des Jahres, an
dem Tage Kiä-tse (1) schützte Lö-schan wirklich einen Feldzug vor
und wandte sich gegen die Thorwarte.
Lieu-mien war ursprünglich ein kleiner Befehlshaber der Red
lichkeit und des Kriegsmuthes. Er begleiteteLi-kuang-yen auf dessen
Zuge nach dem Westen des Hoai und war ein die Gefangenen fest
nehmender Anführer. Er wurde sowohl früher als später von Räubern
überfallen, und er kämpfte auf der Stelle. Mehrere seiner Leute erhielten
*) Tsö, der rothe Paradiesvogel.
*) Wen-tsching, die Ausbildung der Streifen.
8 ) Der nachherige Kaiser Su-tsung aus dem Hause Thang.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
719
Stich- und Hiebwunden, etliche vier blieben todt. Als ihm Verwun
dung drohte, legte er sich in die Gräser nieder. Es ward Nacht, und
er wusste nicht, auf welchem Wege er keimkehren solle. Er schlief
in seiner Betäubung ein. Da träumte ihm, dass ein Mensch ihm zwei
Kerzen übergab und dabei sprach: Du bist gegenwärtig sehr vor
nehm. Du hast nichts zu besorgen, wenn du hier wandelst. Du kannst
diese Gegenstände in die Hand nehmen und zurückkehren. — Als
er hierauf fortging, befanden sich vor ihm zwei hellglänzende Lichter.
Der Frühling und Herbst Yen-tse’s sagt:
Fürst King erkrankte am Wasser. Nach zehn Tagen träumte er
in der Nacht, dass er mit zwei Sonnen kämpfte und nicht siegte.
Yen-tse erschien an dem Hofe. Der Fürst erzählte es ihm und sprach:
Werde ich sterben? — Jener antwortete: Man lasse durch die
Menschen einen Traumdeuter holen. — Als dieser kam, erzählte ihm
Yen-tse den Traum des Fürsten und sagte ihm die Auslegung. Der
Traumdeuter bat, auf seine Bücher zurückkommen zu dürfen. Yen-
tse sprach: Man braucht nicht auf die Bücher zurückzukommen.
Dasjenige, woran der Fürst erkrankt ist, ist das Yin. Die Sonne ist
das Yang. Ein einziges Yin besiegt nicht zwei Yang. Desswegen
wird die Krankheit geheilt werden. Diesem gemäss mögest du ant- •
Worten. — Der Traumdeuter trat ein und antwortete wie Yen-tse
ihm gesagt. Nach drei Tagen war der Fürst von seiner Krankheit
vollkommen geheilt. Der Fürst wollte den Traumdeuter beschenken.
Der Traumdeuter sprach: Dieses ist nicht mein Verdienst. Yen-tse
hat mit belehrt.
Das Buch Li-schö sagt:
Kaiser Wu führte den Namen Hiung. Er war der dritte Sohn
Schi-tsu’s. Als die Königin Sehi-tsu’s schwanger war, träumte ihr,
dass zwei Schlangen von demThore zu dem Himmel aufstiegen. Eine
Schlange ward in der Mitte durchhauen. Nachdem sie geboren, sagte
die Königin immer: Wenn die Söhne erwachsen sein werden, wird
gewiss einer von ihnen früher zu Grunde gehen, und ein Anderer
wird sehr vornehm werden. — Später starb Li-thang wirklich eines
frühen Todes. Li-hiung wurde König in Scho.
Die Geschichte von Lin-yl sagt:
In Lin-yl nennt man das vorzüglichste Gold insgemein das pur
purne geschliffene Gold. Die östlichen Fremdländer nennen das vor
züglichste Gold insgemein das Gold Yang-mai. Als die Mutter Fan-
720
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yang-mai’s schwanger war, träumte ihr, dass ein Mensch einen
Teppich von dem Golde Yang-mai aushreitete und ihn dem Kinde,
das geboren wurde, galt. Das Kind fiel auf den Teppich. Ein gold
farbenes Licht erhob sich und leuchtete mit reichem Sonnenglanz.
Als der Sohn gehören war, gab man ihm den Namen Yang-mai. Der
selbe setzte sich später in den Besitz der Königswürde und verstand
es, die Neigung der Menschen zu erwerben.
Die von Hoang-fu-hi verfasste Darlegung der Geschlechtsalter
der Kaiser und Könige sagt:
König Wen übersiedelte von Tsching und machte Fung zu seiner
Hauptstadt. In dem letzten Monate des Herbstes, an dem Tage Kiä-
tse (1) kamen rothe Sperlinge, in den Schnäbeln eine mennigrothe
Schrift haltend, nach Fung und Hessen sich an der Thüre des Königs
Wen nieder. Man sagte, dieses habe den Sinn, dass der Befehl des
Himmels sich den Tscheu zuwende. Vorher träumte König Wen, dass
das Licht der Sonne und des Mondes sich an seinen Leib legte.
Die Überlieferungen der früheren Weisen von Kuei-ki sagen:
Yen-schi, der im Inneren Aufwartende von U, führte den Jüng
lingsnamen Te-jün und stammte aus Schan-yin. Derselbe war acht
Monate in dem Leibe seiner Mutter, als der Ton des Anschreiens
auswärts zitterte. Als er dreizehn Jahre alt war, träumte er in der
Nacht, dass sein Name und sein Jünglingsname in glänzendem Lichte
hinter dem Monde angehängt waren. Er stieg hierauf sonnengleich
empor.
Der Garten der Merkwürdigkeiten sagt:
Tschang-khang-tsching wählte Ma-jung zu seinem Lehrer.
Durch drei Jahre wurde nichts von ihm gehört. Fung hielt ihn für
gemein und schickte ihn fort. Als Khang-tsching zu seinem Wohnorte
zurückkehrte, kam er an dem Schatten von Bäumen vorbei. Er schlief
eine Weile und sah im Traume einen Greis, der ihm mit einer
Schwertklinge das Herz öffnete und zu ihm sagte: Du kannst jetzt
lernen. — Er wandte sich hierauf zu den Schrifttafeln der Vorbilder
der geistigen Tiefen zurück.
Kö-teng-tschi von Tai-yuen führte denJünglingsnamenTschung-
tsing. Im Anfänge des Zeitraumes I-hi (40S bis 418 n. Chr.) wollte
Tschü-kö-tschang-min die Fragen und Berathungen für sich in An
spruch nehmen. Teng-tsehi halte hieran keine Freude. Später wurde
Aus dem Traumleben der Chinesen.
721
■er Statthalter von Nan-khang. Als Lu-siün sich empörte, gedachte
Tschang-min über Teng-tschi, weil dieser nichts vorher gemeldet
hatte, eine grosse Strafe zu verhängen. Teng-tschi träumte, dass
ein göttlicher Mensch ihm einen Rosenkranz aus Rabenhorn gab. Ob
gleich im Erwachen begriffen, traf er ihn besonders mit dem Finger.
Nach dem Erwachen befand er sich zu seiner Seite. Er mochte etwa
einen Schuh lang sein und war von Gestalt und Arbeit sehr gemein.
Dem Manne von dem GesChlechte Kö widerfuhr hierauf nichts weiter.
Er zeichnete sich mehrmals in dem Amte aus. Später übersiedelte
er und trat in den Grenzpass. Er übergab, was er nachkommen liess,
und befestigte den Rosenkranz in dem Reisegepäck. Plötzlich hatte
er vergessen, wo der Rosenkranz sich befand.
Die Verzeichnisse des Dunklen und Hellen sagen:
Sie-ngan blieb fest in dem Zeitalter Hoan-wen’s »). Er fürchtete
immer, dass er nicht unversehrt bleiben werde. In der Nacht träumte
ihm plötzlich, dass er einen Handwagen des Geschlechtes Hoan be
stieg und sechzehn Weglängen weit fortzog. Als er einen weissen
Hahn erblickte, blieb er stehen und konnte nicht mehr vorwärts.
Niemand konnte ihm diesen Traum erklären. Nachdem Wen zu
Grunde gegangen, war Ngan wirklich an dessen Stelle Hausminister
und Reichsgehilfe. Er hatte sechzehn Jahre verbracht, als er von einer
Krankheit befallen wurde. Ngan besann sich jetzt und sagte: Sech
zehn Weglängen sind sechzehn Jahre. In Betreff dessen, dass ich
einen weissen Halm gesehen habe und still gestanden bin, so steht
das grosse Jahr jetzt in dem Zeichen Yeu. Ich werde mich von meiner
Krankheit wohl nicht erheben. — Nach wenigen Tagen starb er-).
Tsien-sching von U-bing hatte sich zu den Zeiten Sün-kiuen’s
einst am Tage niedergelegt und war lange Zeit nicht erwacht. Der
Speichel, der von seinen beiden Mundwinkeln floss, betrug mehrere
Ganting. Seine Mutter ging um ihn herum und rief ihn. Er sagte, er
habe eben einen Greis gesehen, der ihn mit gerösteten Sehnen speiste.
') Iloan-wen hatte im sechsten Jahre des Zeitraumes Tai-ho (371 n. Chr.) den
Kaiser der östlichen Tsin abgesetzt und ihn zum Könige von Tung-hai ernannt.
2 ) Sie-ngan starb in dem Jahre Yi-yeu (22), dem zehnten des Zeitraumes Tai-yuen
(385 II. Chr.).
722
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Es verdross ihn, dass man ihn gerufen hatte, ehe Jener damit zu
Ende war. Selling hatte ursprünglich ein verkrümmtes Rückgrath.
Nachdem ihm dieses begegnet, wurde er bald durch seine Stärke
berühmt. Im Amte brachte er es zu einem mühelosen Aufseher.
Entsprechende Träume.
Die Geschichte der Han von der östlichen Warte sagt:
Zu den Zeiten des Kaisers Hoan war Tschang-hoan Statthalter
Von Wu-wei. Als seine Gattin schwanger war, träumte sie,'dass sie
das Siegel und das breite Band Hoan’s an dem Gürtel trug, ein Stock
werk erstieg und sang. Die Deutung sagte: Sie wird gewiss einen
Knaben gebären. Dieser wird wieder diese Provinz beaufsichtigen
und sein Leben in diesem Stockwerke beschließen. — Sie gebar
hierauf den Sohn Mung. Derselbe wurde in dem Zeiträume Kien-
ngan (196 bis 220 n. Chr.) Statthalter von Wu-wei. Sehang von
Han-tan, der frühere Statthalter der Provinz, wurde[durch Mung ge-
tödtet. Dieser setzte sich in der Provinz fest und empörte sich. Durch
Han-sui angegriffen, erkannte er, dass er sterben müsse. Er bestieg
daher das Stockwerk und gab sieb den Tod durch Feuer.
Das Buch der Tsin sagt:
Zu den Zeiten des Kaisers Ming träumte Tschang-meu, dass er
einen grossen Elephanten erlangte. Er fragte die Menschen: Wie ist
dieses zu deuten? •— Man antwortete ihm: Du wirst eine grosse
Provinz verwalten, aber es wird für dich nicht gut sein. — Jemand
fragte um den Grund. Man sagte: Der Elephant ist ein grosses vier-
füssiges Thier. Ein vierfüssiges Thier ist bewachen <). Desswegen
wird man eine grosse Provinz verwalten. Aber der Elephant wird
seiner Zähne willen erlegt. Man wird gewiss durch Menschen in’»
Verderben gestürzt. — Später wurde Meu durch Tschin-tsch'hung,
den inneren Vermerket’ des Reiches U, in’s Verderben gestürzt.
Zu den Zeiten des Kaisers Ming, im ersten Jahre des Zeitraumes
Ta-ning (323 n. Chr.) verschwor sich Wang-tün zu Widersetzlich:-
*) Die Wörter r/?J( scheu „vierfüssiges Thier“ udü —.rj *. scheu „bewachen“
haben gleichen Laut.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
723
keit. Der Kaiser beschloss im Rathe mit Wang-tao, Wen-kiao und
Arideren, gegen ihn einen Eroberungszug zu unternehmen. Tün
lagerte in Hu-yin. Der Kaiser wollte dessen Lagerwälle ausforschen.
Er bestieg ein schnelles Pferd und gelangte unerkannt bis Hu-yin.
Tun schlief eben am Tage und träumte, dass die Sonne seine Feste
einringte. Er fuhr erschrocken empor und rief: Hier ist gewiss der
gelbbärtige Sclave von Sien-pi angekommen. Warum bindet man ihn
nicht?
Kien-wen sah die Schrift der Vorhersagung, welche lautete:
Das (IIiick des Geschlechtes Tsin ist durchaus Schimmer und Glanz.
Als Hiao-wu noch im Mutterleibe war, träumte die Kaiserin von dem
Geschlechte Li, dass ein göttlicher Mensch zu ihr sagte: Du wirst einen
Knaben gebären, der den Namen Tschang-ming (Schimmer und
Glanz) führen wird. — Als sie hierauf gebar, begann die Gegend
des Ostens eben im Glanze zu strahlen. Man gab daher dem Sohne
den Namen. Kien-wen erinnerte sich später und vergoss desshalb
Thränen.
Das Buch der späteren Wei sagt:
Als Kao-tsu nach Lo übersiedelte, sprach er zu Wang-
tscbing von Jin-sching: Ich, der Kaiser, habe die letzte Nacht ge
träumt, dass ein Greis mit blendend weissem Haupt und Haarbusch,
mit stattlich hergerichteter Mütze und Kleidung sich verbeugte und
zur linken Seite des Weges stand. Ich, der Kaiser, staunte darüber
und fragte ihn. Er sagte, Ki-schan, der im Inneren Aufwartende von
Tsin, komme hier absichtlich entgegen. Sein Geist war aufgeweckt,
unterthänig, schüchtern, und erschien etwas begehren zu wollen.—
Tsching erwiederte: Bei den Unordnungen des Zeitalters von Tsin
schützte Ki-schao mit dem Leibe den Gebieter, verlor das Leben und
lenkte zur Seite. Er war ebenfalls ein redlicher Diener von Tsin. —
Man suchte hierauf die Grenzen der Deutung, schickte einen Abge
sandten und liess um den Todten trauern und ihm opfern.
Als Kaiser Tschuang sich in Fan befand, träumte Wang-schün
von Jin-tsching, dass eine schwarze Wolke gerade von Nordwesten
kam und gegen den Südosten stiess. In der Höhe wurden die Sonne
724
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und der Mond zertrümmert. Sie verdeckte wieder die Sterne, der
Himmel und die Erde waren gänzlich finster. Plötzlich vergingen die
Wolken, derNehel zertheilte sich und die Sonne kam zum Vorschein.
Kaiser Tsehuang zog durch das Thor Tschang-kö ein und stieg zu
der Vorhalle der grossen Gipfelung. Diejenigen, die „zehntausend
Jahre!“ riefen, waren dreihundert Obrigkeiten, und alle waren mit
Hofkleidern angethan. Als er erwachte, liess er den Traum deuten.
Man sagte: Die schwarze Wolke, unter den Lufterscheinungen die
böseste, ist die Farbe der nördlichen Gegenden. Es wird gewiss ge
schehen, dass der nördliche Feind Unordnung über die Muttersladt
bringt. Die Sonne ist das Bild des Gebieters. Der Mond ist das. Bild
des Herrschers. Die Sterne sind das Bild der Obrigkeiten. Bespricht
man es diesem gemäss, so werden die Mutterstadt und die Städte
Unglück haben. — Später ging der Träum in Erfüllung.
Lu-yuen-ming war Buchführer der Mitte und aufwartender Leib
wächter. Sein Freund Wang-yeu hatte seinen Aufenthalt in Ying-
tschuen genommen. Plötzlich sah er im Traume Yeu, der Wein trug
und auf ihn zukam. Derselbe sagte, dass er sich trennen müsse und
beschenkte ihn hei dieser Gelegenheit mit einem Gedichte. Beim Er
wachen hatte sich Yuen-ming zehn Wörter gemerkt. Diese lauteten:
Wenn ich einmal von hier weggezogen, wandle ich nicht mehr an
dem Hofe und auf dem Markte. — Yuen-ming seufzte und sprach:
Es hat gewiss eine andere Ursache. — Nach drei Tagen hörte er
wirklich, dass Yeu durch die Streitmacht der Aufrührer getiidtet
worden. Er forschte nach dem Tage, wo dieses geschah. Es war die
Nacht, in der er geträumt hatte.
Pei-ngan-tsu lebte abgeschlossen und bestärkte sich in seinen
Vorsätzen. Er verliess nicht die Feste und die Stadt. Er war einst
bei heissem Wetter ausgegangen und stellte sich unter einen Baum.
Daselbst verfolgte ein ßaubvogel einen Fasan. Der Fasan warf sich
in Hast auf Ngan-tsu, stiess hierauf an den Baum und war todt.
Ngan-tsu bedauerte ihn. Er nahm ihn und legte ihn an eine schattige
Stelle, wo er ihn gemächlich hütete und nach ihm blickte. Nach
längerer Zeit wurde der Fasan wieder lebendig. Ngan-tsu war erfreut
Aus dem Traumleben der Chinesen.
725
und liess ihn los. Später träumte er in der Nacht, dass ein Mann,
dessen Kleid und Kopfbedeckung sehr wunderbar waren, mit einem ge
krümmten Halskragen angethan, sich ihm zuwandte und zweimal sich
verbeugte. Ngan-tsu verwunderte sich und fragte ihn. Dieser Mensch
sagte: Es erfüllt mein Herz mit Rührung, dass ich durch dich in frü
heren Tagen losgelassen wurde. Ich komme desshalb, mich für die
Wohlthat zu bedanken. — Diejenigen, die es hörten, hielten es für
etwas Ausserordentliches.
Das Ruch der nördlichen Tsi sagt:
Tschang-liang führte den Jünglingsnamen Pe-te und stammte
aus Si-tsching in Si-lio. Er wurde zu einem Grossen der grossen
Mitte ernannt. Sie-tschö träumte immer, dass er auf einem Berge
Seidenfäden anhand. Er erzählte es Liang, und dieser deutete es
auch. Er sprach: Seidenfäden auf einem Berge sind das Wort Yeu i).
Du wirst Yeu-tscheu verwalten. — Nach einigen Monaten trat Jener
aus und wurde stechender Vermerker von Yeu-tscheu.
Sung-ying war stechender Vermerker von Liang-tscheu. Ying's
frühere Gattin von dem Gesehlechte Teng war gestorben. Zehn Jahre
später sah er sie im Traume. Sie wendete sich ihm zu, verbeugte sich
und sprach: Ich die Braut ward jetzt Kao-tsung als Gattin zuge-
theilt. Desswegen komme ich und verbeuge mich, indem ich Abschied
nehme. — Ying besuchte Tsung und erzählte ihm dieses. Tsung
starb nach einigen Tagen.
Das Buch der Liang sagt:
Ke-sse-tschen träumte zur Zeit seiner Jugend, dass er einen
Haufen Hirschhäute fand und sie zählte. Es waren eilf Stücke. Als er
erwachte, freute er sich und sprach: Der Hirsch ist der Gehalt 2 ).
Ich werde einen einfachen Gehalt beziehen. — Später erhielt er Auf
träge und rückte vor. Was er beaufsichtigte, war neunlach. Als man
ihm zwei Provinzen wegnahm, war ihm diess im Herzen zuwider. Er
1) I» dem Namen des Landstrichs [|||| Yeu wird hier das Wort |J_| schan „Berg;“
und die Hälfte des Wortes sse „Seidenfäden“ in Betracht gezogen.
2 ) Die Wörter ß Lö „Hirsch“ und Lö „Gehalt“ liahen gleichen Laut.
726
Pfizmaier
verfiel in eine Krankheit und mochte nicht genesen. Im siebenten
Jahre des Zeitraumes Pu-thung (526 n. Chr.) starb er in der
Provinz.
Die Durchsicht der Vorbilder der drei Reiche sagt:
Yin-tse-tschün war einst Statthalter von Tung-kuan. Um die
Zeit liess Wang-schin-nien, der stechende Vermerker von Kuei-
tscheu, einen an dem Meere gelegenen göttlichen Almentempel nieder-
reissen. Auf einem Balken des Saales befand sich eine grosse
Schlange. Ein Arbeiter stieg hinab, fing sie und warf sie in die
Fluthen des Meeres. In derselben Nacht sah Tse-tschün im Traume
einen Menschen, der auf sein Versammlungshaus zeigte und sprach:
Es ist ein Mensch, der gequält wird, man zerstört sein Wohnhaus.
Da er nichts hat, wo er Schutz findet, möchte er in dieser Umgrenzung
ausruhen. — Tse-tschün prägte sich dieses insgeheim ins Gedächt-
niss. Nach zwei Tagen wusste er, dass Schin-nien einen Ahnen
tempel zerstört habe. Er bestimmte demnach Opferthiere und Wein,
errichtete ein Dach und brachte jenem Menschen das Opfer. Nach
einigen Tagen träumte er, dass ein Mensch in einem hellrothen Kleide
sich bedankte und sprach: Ich bin deiner grossen Gnade theilhaftig
geworden. Ich werde dir durch den Landstrich vergelten. — Nach
einem Monate wollte das Kriegsheer von Wei gegen die Berge von
Kiii andringen. Tse-tschün wusste dieses im Voraus. Er legte einen
Hinterhalt und rieb den Feind auf. Kaiser Wu von Liang ernannte
Tse-tschün zum stechenden Vermerker des südlichen Tsing-tscheu.
Das Buch der Tschin sagt:
In der Nacht des Tages, an welchem Kaiser Wu die Altäre der
Landesgötter in Besitz nahm, träumte Fu-sse-pu, ein Eingeborner
von Kuei-ki, in dem geraden abgeschlossenen Theile des Palastes,
dass ein Mensch von dem Himmel herahstieg. Derselbe trug ein hell-
rotlies Kleid und eine Kriegsmütze. Ihm folgten etliche zehn Weg
weiser, die in den Händen ein Bret hielten. Auf dem Brete befanden
sich Schriftzeichen. Der Mann von dem Geschlechte Fu blickte auf
sie. Die Schriftzeichen lauteten: Fünf Vorgesetzte, vierunddreissig
Jahre des Geschlechtes Tschin. — Hierauf stiegen Jene zu der kalten
Himmelsluft empor. Am Morgen gab er es bekannt. Khung-tsung-fan,
der aufwartende Leibwächter des gelben Thores, sprach seufzend :
Um unsere Sache ist es geschehen! Wir haben den Kummer der
Söhne und Enkel! — Den nach dem Kaiser Wu ahgesetzten Kaiser
Aus dein Traumleben der Chinesen.
727
mit inbegriffen, sind fünf Vorgesetzte. Vom Anfänge des Zeitraumes
Yurig-ting (557 n. Chr.) bis zum Ende des Zeitraumes Tsching-ming
(589 n. Chr.) sind vier und dreissig Jahre >).
Der Frühling und Herbst Yen-tse's sagt:
Fürst King erhob die Waffen und wollte Sung angreifen. Er
kam zu dem Tai-sehan. Der Fürst sab im Traume zwei Männer, die
in ihrem Gemüthe ganz erzürnt waren. Der Fürst fragte die Traum
deuter. Diese sagten: Das Heer kommt zu dem Tai-schan und macht
keinen Gebrauch von der Sache des Opfers. Die Götter des Tai-
schan zürnen. — Der Fürst fragte Yen-tse. Yen-tse sprach: Es sind
nicht die Götter des Tai-schan. Es sind die Vorfahren Thang und
I-yün. Thang ist hochgewachsen. Sein Bart ist straff nach oben und
reich nach unten. Er hat einen geraden Leib und eine laute Stimme.
I-yün ist kurz und hat ein krauses Haupt. Sein Bart ist reich nach
oben und straff nach unten. Er hat einen gekrümmten Leib und eine
leise Stimme. Der Fürst sprach: So ist es.
Fürst King jagte in Ngu-kung. Es war Nacht und noch frühe,
als der Fürst sich niedersetzte und einschlief. Es träumte ihm, dass
fünf Männer das Gesiebt nach Norden kehrten und sagten, dass sie
unschuldig seien. Als der Fürst erwachte, berief er Yen-tse zu sich
und erzählte ihm, was er geträumt. Der Fürst sprach: Habe ich ein
mal einen Unschuldigen getüdtet? — Yen-tse antwortete: Einst be
fand sich der frühere Landesherr, Fürst Ling auf der Jagd. Fünf
Männer schreckten das Wild. Er Hess desshalb ihre Häupter ab-
schlagen. Er Hess sie begraben und nannte die Stelle: den Erd
hügel der fünf Männer. Sollten es wohl diese sein? — Man befahl
Leuten, den Ort, wo sie begraben waren, aufzugraben und sie zu
suchen. Es waren fünf Häupter in einer gemeinschaftlichen Grube
vorhanden. Der Fürst belobte dieses. Er befahl den Angestellten, sie
zu begraben.
Das Buch Tschuang-tse sagt:
Tsiang-sclu reiste nach Tsi und gelangte nach Khio-yuen. Er
sab die Bäume des Altars der Eichen. Sie waren von einer Grösse,
dass sie tausend Rinder überschatteten. Er sprach : Es sind unbrauch
bare Bäume. Desswegen können sie ein solches Alter erreichen. Als
*) Dem Hause Tschin werden sonst nur drei und dreissig Jahre zugezählt, was übri
gens mit den oben angeführten Zeitabschnitten übereinstimmt.
728
Pfizmaier
Tsiang-schi heimkehrte, erschien ihm der Altar der Eichen im Traume
und sprach: Willst du mich mit den geschmückten Bäumen ver
gleichen? mit den Birnbäumen, den Citronenbäumen, den Bäumen,
die Früchte und Beeren tragen? Wenn ihre Früchte reif sind, so wer
den sie geschlagen. Werden sie geschlagen, so sind sie beschimpft.
Die grossen Zwerge werden gebrochen, die kleinen Zweige werden
umhergestreut. Diess sind solche, die ihrer Gaben willen im Leben
gequält sind. Ich habe lange Zeit gesucht, was man nicht brauchen
kann. Ich habe es jetzt gefunden.
Der Frühling und Herbst des Geschlechtes Liii sagt:
I-jü lernte das Wagenlenken. In drei Jahren hatte er sich nichts
angeeignet. In der Nacht träumte ihm, dass er das Fahren des
Herbstes von seinem Lehrer lernte. Den folgenden Tag ging er fort
und besuchte seinen Lehrer. Dieser sprach zu ihm: Es ist nicht der
Fall, dass ich den Weg gespart habe. Ich fürchtete, dass du nicht be
lehrt werden könnest. Heute werde ich dich das Fahren des Herbstes
lehren. — I-jü lief seinerseits voraus, kehrte das Angesicht nach
Norden und verbeugte sich zweimal. Er sprach: Ich habe heute Nacht
geträumt, dass ich es erlernte. — Er erzählte früher seinem Lehrer,
was er geträumt hatte, und dieser lehrte ihn das Fahren des Herbstes.
Das Schreiben Ku-l's sagt:
König Wen legte sich am Tage nieder. Es träumte ihm, dass
ein Mensch die Stadtmauer erstieg, ihn anrief und sagte: Ich bin
das vermoderte Gebein der nordwestlichen Ecke. Mögest du mich
schnell wie einen Gebieter der Menschen begraben lassen. — König
Wen sprach: Ja. — Als er erwachte, berief er die Angestellten zu
sich und beauftragte sie, nachzusehen. Es verhielt sich wirklich so.
König Wen sprach: Begrabt ihn schnell wie einen Gebieter der
Menschen. •— Die Angestellten sprachen: Hier gibt es keinen Vor
stehenden. Wir bitten, es nach den Gebräuchen für einen Grossen
des Reiches thun zu dürfen. — König Wen sprach: Ich habe es im
Traume bereits zugesagt. Wie könnte ich mein Wort brechen?
Die neuen Erörterungen Hoau-tan’s sagen:
Von Yang-tse-yün ward ebenfalls zu den Zeiten des Kaisers
Tsching gesprochen. Der Kaiser begab sich nach Kan-tsiuen. Er berief
ihn zu sich und beauftragte ihn, ein bilderloses Gedicht zu verfertigen.
Tse-yün that dieses. Plötzlich war er ermüdet, und er legte sich
nieder. Es träumte ihm, dass seine Eingeweide heraustraten und auf
Aus dein Traumleben der Chinesen.
729
der Erde lagen. Er fasste sie mit den Händen zusammen und brachte
sie ein. Als er erwachte, waren die grosse und die kleine Luft er
krankt. In einem Jahre starb er.
Die Gespräche des Zeitalters sagen:
Wäng-tung-ting träumte einst, dass ein Mensch ihm einen
grossen Pinsel gab. Das Rohr war von der Grösse eines Pfeilers. Als
er erwachte, erzählte er es den Menschen und sagte: Die nächsten
Tage wird es ein Ereigniss für ein grosses Werk des Pinsels geben.
— In wenigen Tagen fuhr Lie-tsung mit dem Wagen am Abend aus 4 ).
Die Schrifttafel der Trauer, die Lobrede und die Berathungen wurden
durch den Mann von dem Geschlechte Wang verfasst.
Die Denkwürdigkeiten von vielseitigen Dingen sagen:
Zu den Zeiten des Kaisers Ling sagte Hoang-fan, Statthalter von
Liao-si, an höchster Stelle: An dem Ufer des Meeres ist ein umher
treibender Leichnam, der die Mütze und ein hellrothes Kleid sehen
lässt. Derselbe rührte mich und sagte zu mir imTraume: Ich bin der
jüngere Bruder Pe-I’s, der Landesherr von Ku-tschö. — Die Ange
stellten und die Menschen des Volkes, welche hierüber lachten,
wurden von dem Tode ereilt.
Die von Hoang-fu-hi verfassten Überlieferungen von erha
benen Männern sagen:
Kaiser Hoan liebte die Bücher Lao-tse’s. In der Nacht träumte
ihm, dass er Lao-tse sah. Er erliess eine höchste Verkündung und
errichtete in Tschin für Lao-tse einen Tempel.
Die alten Angelegenheiten des Kaisers Wu von Han sagen:
Der Kaiser errichtete die Altäre des Opfers für die Erde. Später
träumte ihm, dass Kao-tsu in der glänzenden Halle sass. Sämmtliche
Diener träumten ebenfalls. Hierauf brachte man Kao-tsu das Opfer
in der glänzenden Halle.
Die Überlieferungen von Merkwürdigkeiten sagen:
Lieu-tscho von Tschang-scha, zu den Zeiten vonU der erwählte
gebietende Vermerker der Richter, zog sich eine Krankheit zu. Er
träumte, dass ein Mensch ihm ein weisses Hemd von Yue gab und zu
ihm sagte: Ziehe dieses Hemd an. Wenn es schmutzig ist, brenne
es im Feuer, und es wird sofort rein werden. — Als er erwachte,
1) Das Ausfahren mit dem Wagen am Abend bezeichnet den Tod des Himmelssohnes.
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befand sich das Hemd wirklich an seiner Seite. Später ward es
schmutzig, und er brannte es sofort im Feuer.
Die Geschichte des fortgesetzten Sucliens der Götter sagt:
Sching-kien stammte aus Tung-kuan. Zehn Jahre nach seiner
Bestattung schickte er plötzlicli in derNaclit dem Befehlshaber seines
Distrietes einen Traum, indem er sagte: Sching-kien, ein versun
kener ehemaliger Mann des Volkes, wird jetzt bedroht. Durch das
erleuchtete Versammlungshaus werde ich schleunig gerettet. — Der
Befehlshaber erliess sofort an das Innere und Äussere eine Aufforderung.
Man rüstete sich, ging auf den Grabhügel und trat ein. Die Sonne
war bereits aufgegangen, als der Himmel plötzlich sich mit einem
dichten Nebel umzog. Man konnte einander von Angesicht nicht
sehen. Man hörte hlos in dem Grabe mehrere Stimmen und ein Ge
räusch, als ob der Sarg zerschlagen würde. Auf dem Grabhügel be
fanden sich zwei Menschen, die in die Ferne blickten. Dieselben
sahen jedoch bei dem Nebel und in der Dunkelheit nicht, dass
Menschen nahten. Als der Befehlshaber gekommen war, griff man
drei Menschen in dem Inneren des Grabes auf. Den zwei Menschen
auf der Höhe des Grabhügels gelang es zu entkommen. Sie entliefen,
ehe der Sarg noch zerstört war. Der Befehlshaber beauftragte Leute,
sie wieder einzubringen. In derselben Nacht träumte ihm nochmals,
dass Kien zu ihm sagte: Den zwei Menschen ist es zwar gelungen,
zu entfliehen, allein das ganze Volk kennt sie. Der Eine hat auf dem
Angesichte ein grünes Maal gleich einem Vieleckblatte. Der Ändere
hat zwei eingeschlagene Vorderzähne. Wenn das erleuchtete Ver
sammlungshaus diesem gemäss Nachforschungen anstellen wollte,
wird es die Menschen entdecken. — Der Befehlshaber richtete sich
nach diesen Worten. Er Hess nach diesen Menschen fahnden, und
sie wurden gefangen.
Tsung-yuen führte den Jünglingsnamen Schö-lin und stammte
aus Nan-yang. In dem Zeiträume Tai-yuen von Tsin (376 bis 396
n. Chr.) war er Statthalter von Tsin-yang und besass etliche zehn
Schildkröten. Er gab sie in die Küche bis zum Morgen. Am Morgen
Hess er aus zweien derselben ein Eingemachtes bereiten. Er goss
hierauf die Brühe in einen Krug und nährte die Schildkröten damit.
An demselben Abende träumte ihm, dass zehn Männer, mit Beinklei-
Aus dem Traumleben der Chinesen.
731
dem und Mänteln von schwarzem Tuche angethan, sich seihst ban
den. Dieselben wendeten sich zu Tsung-yuen und schlugen die
Häupter an den Boden, als oh sie um Erbarmen bäten. Am folgenden
Tage zerlegte der Koch zwei Schildkröten. An demselben Abende
träumte Tsung-yuen wieder, dass acht Menschen ihn wie früher um
Erbarmen baten. Tsung-yuen besann sich jetzt. Er gab Befehl, die
Schildkröten nicht zu tödten. In der folgenden Nacht sah er noch
mals im Traume die gestrigen acht Menschen, die herbeikamen, nie
derknieten und sich für die Gnade bedankten. Er erschrak jetzt und
kam zu sich. Am folgenden Morgen ging er in das Gebirge Liii und
liess sie frei. Seit dieser Zeit ass er keine Schildkröten mehr.
Yin-tschung-kan, der stechende Vermerker von King-tscheu,
lebte zur Zeit, als er noch leinene Kleider trug, in Tan-tu. Er sah
im Traume plötzlich einen Menschen, der sagte, dass er ein Mensch
von Schang-yü in Kuei-ki sei. Er sei ein Todter und schwimme auf
dem wirbelnden Strome. Am nächsten Tage werde er ankommen. Er
setzte hinzu: Du, o Gebieter, besitzest die Menschlichkeit, welche
den lebendigen Wesen Hilfe leistet. Solltest du wohl im Stande sein,
mich wegzuschaffen? Wenn ich an einen hohen versengten Ort ge
langen könnte, so würde sich die Gnade auf meine vermoderten
Knochen erstrecken. — Am folgenden Tage ging er mit seinen Leuten
an das Ufer des Stromes und blickte hin. Er sah wirkich einen Sarg,
der, von den Finthen getrieben, herabschwamm und in dem Wirbel
bei der Stelle, wo der Mann von demGeschlechte Yin sass, anlangte.
Er gab seinen Leuten Befehl, den Sarg herbeizuziehen. Die Inschrift
stimmte mit dem überein, was er geträumt. Er schaffte ihn sogleich
fort, legte ihn auf die Uferhank und opferte ihm Wein und Speise.
An demselben Abende träumte ihm wieder, dass dieser Mensch her
beikam und sich für die Gnade bedankte.
Siii-tai von Kia-hing verlor in seiner Jugend seine Eltern. Wei,
sein Oheim von väterlicher Seite, zog ihn auf, und zwar besser, als
dieses die Eltern gethan hatten. Wei erkrankte, und er pflegte ihn
mit grösster Sorgfalt. Um die dritte Nachtwache träumte ihm, dass
zwei Menschen ein Schiff bestiegen und einen Koffer erfassten. Sie
Sitzb. d. phil.-hist. CI. bXIV. Bd. III. Hft. 48
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erhoben Tai zu dem Ende eines Bettes und öffneten den Koffer. Sie
nahmen ein Register heraus und zeigten es ihm mit den Worten:
Dein Oheim soll sterben. — Tai warf sich im Traume sofort auf den
Boden und schlug aufihn mit dem Haupte. Nach längerer Zeit sprachen
sie: Gibt es in deinem Districte einen Menschen, der den nämlichen
Geschlechtsuamen und Namen hat? — Tai war erfreut, dass er mit
Dämonen sprechen konnte. Er sagte: Es gibt einen Wei von dem
Geschlechte Tschang, aber keinen von dem Geschlechte Siii. — Diese
Männer sagten: Wir können ihn ebenfalls zwingen. In Betracht, dass
du fähig bist, deinem Oheim zu dienen, werden wir Jenen dir zu Liebe
in Empfang nehmen. — Er sah hieruf diese Menschen nicht wieder
Der Garten der Merkwürdigkeiten sagt:
Tan-meu-tsung von Kao-ping verlor in dem Zeiträume I-hi (405
bis 418 n. Chr.) seine Mutter. Dieselbe war von dem Geschlechte
Lieu aus der Provinz Pei. Er schlief am Tage ein und träumte, dass
sie ihn besuchte und mit der Hand einen Fächer ergriff. Sie sagte:
Deine Jahre und dein Leben sind noch nicht zu Ende. Mir kamen
in den WegUnglück und Härte, wir sind auf ewig getrennt. Ich reiche
dir diesen Fächer zum Abschiede. — Seine Mutter vergoss Thränen.
Er erwachte im Schrecken und fand wirklich in demThoredes Wind
schirms einen Fächer. Derselbe hatte das Aussehen, als ob er ganz
mit Spinnengewebe überzogen wäre. Tsung erfasste ihn und war
schmerzlich bewegt.
Die Geschichte der erzählten Merkwürdigkeiten sagt:
Die Sclavin des Geschlechtes Tscheu von Tschin-lieu hiess mit
ihrem Namen Yii. Dieselbe trat in das Gebirge und sammelte dürres
Holz. Sie sah im Traume plötzlich ein Mädchen, welches sprach: In
meinen Augen befinden sich Dornen. Nimm dir die Mühe und ziehe
sie heraus. Es soll dir reichlich vergolten werden. — Diese Sclavin
sab jetzt einen verfaulten Sarg und einen Schädel. In den Augen
höhlen des Schädels wuchsen Pflanzen. Sie zog die Pflanzen heraus.
Sofort fand sie an einem gewissen Orte ein Paar goldene Fingerringe.
Die Denkwürdigkeiten des Geistigen und der Seelen sagen:
In der Mündung des Jü-siü liegt ein grosses Seeschiff. Dasselbe
befindet sich umgestürzt in dem Wasser. Wenn das Wasser niedrig
ist, kommt es zum Vorschein. Einst verbrachte ein Fischer die Nacht
an dessen Seite, und er band daran sein Schiff. Er hörte bloss die
Klänge der Cithern und Flöten, der Saiten und Röhre. Er träumte,
Aus dem Traumleben der Chinesen.
733
dass Leute ihn fortjagten und sprachen: Nahe nicht den obrigkeit
lichen Buhlerinnen! — Dieser Mensch erwachte im Schrecken und
brachte sofort sein Schiff weg. Die Überlieferung sagt, es sei dieses
das Schilf, in welches Tsao-kung die Buhlerinnen setzte. Es sei hier
umgestürzt und gegenwärtig noch vorhanden.
Die Überlieferungen von Tschi-kiung sagen:
Hien-tschao führte den Jünglingsnamen I-tschao. Er träumte,
dass ein göttliches Mädchen ihn begleitete. Dasselbe nannte sich die
Edelsteintochter von der Hohe des Himmels. Ihr Geschlechtsname sei
Tsching, ihr Mädchenname Tschi-kiung. Sie habe frühzeitig Vater
und Mutter verloren. Der Himmelskaiser bedauere sie. Er habe sie
entsendet, damit sie danieden sich vermälen könne. Dieses geschah
drei bis vier Mal. Am Morgen erwachte er und dachte ehrfurchtsvoll
darüber nach. Da kam sie sichtbar dahergewandelt. Sie fuhr in einem
verdeckten Wagen und war von acht Sclavinnen begleitet. Sie sagte:
Ich bin die Edelsteintochter des Himmelskaisers. — Hierauf verban
den sie sich. Sie schenkte ihm zweihundert Worte eines Gedichtes
und veröffentlichte ausserdem sieben Bollen der Verwandlungen.
Tschao verstand deren Sinn.
Unglückliche Träume.
Die Überlieferungen von Tso, erster Tlieil des Fürsten Tsching,
sagen:
Der Fürst von Tsin träumte, dass ein grosser Dämon, von seinem
Haupthaar bedeckt, die Erde erreichte. Derselbe schlug sich auf die
Brust, sprang empor und rief: Du hast meinen Enkel getödtet zu
wider der Gerechtigkeit. Ich habe meine Bitte durchgesetzt bei dem
Kaiser. — Er zerstörte das grosse Thor und das Thor des Schlaf
gemaches, als er eintrat. Dem Fürsten bangte, und er trat in das
innere Haus. Jener zerstörte auch die Thüre. Der Fürst erwachte
und berief den Zauberer des Maulbeerfeldes. Der Zauberer sagte, der
Traum werde in Erfüllung gehen. Der Fürst sprach: In wie lern? —
Jener sprach: Du wirst keine neue Frucht mehr essen. — Im sechsten
Monate des Jahres, an dem Tage Ping-wu (43), verlangte der Fürst
nach Weizen. Er hiess den Schaffner Weizen bringen. Als er essen
wollte, schwoll er. Er ging auf den Abort, stürzte nieder und starb.
Ein kleiner Diener träumte am frühen Morgen, dass er den Fürsten
48*
734
Pfizmnier
auf dem Rücken trug und zu dem Himmel stieg. Als es Mittag war,
trug er den Fürsten von Tsin auf dem Rücken hinaus zu dem Abort.
Er wurde hierauf mit ihm begraben.
Der letzte Theil des Fürsten Tsching sagt:
Tsin und Tsu wollten kämpfen. Liii-I träumte, dass er nach dem
Monde schoss und ihn traf. Beim Zurückweichen trater in den Koth. Er
liess den Traum deuten, und man sagte: Das Geschlecht Ki ist die
Sonne. Die anderen Geschlechter sind der Mond. Es ist gewiss der
König von Tsu. Dass du nach ihm schossest und ihn trafest, dass du
beim Zurückweichen in den Koth tratest, ist der sichere Tod. — Als
man kämpfte, schoss er nach dem Könige Kung und traf ihn in das
Auge. Der König rief Yang-yeu-khi zu sich, gab ihm zwei Pfeile und
hiess ihn nach Liü-1 schiessen. Yang-yeu-khi traf diesen in den Hals.
Er barg den Pfeil in dem Köcher und hatte mit einem einzigen Pfeile
den Befehl vollzogen.
Sching-pe hatte geträumt, dass er den Yuen übersetzte. Jemand
gab ihm Rubinen und Perlen, die er verzehrte. Er weinte, und seine
Thränen verwandelten sich in Rubinen und Perlen. Diese füllten
seinen Busen. Er schloss sich an den Geber und sang: Ich über
setze die Wasser des Yuen. Du beschenkst mich mit Rubinen und
Perlen. Ich kehre heim! ich kehre heim! Rubinen und Perlen füllen
meinen Busen. — Er fürchtete sich und getraute sich nicht, den Traum
deuten zu lassen. Er kehrte aus Tsching zurück. Als er nach Li-
tschang gelangte, liess er ihn deuten. Er sprach: Ich fürchtete zu
sterben, desswegen getraute ich mich nicht, ihn deuten zu lassen.
Jetzt ist eine grosse Menge, die mich durch drei Jahre begleitet. Ich
bin aber unverletzt. — Er sprach dieses, und am Abende war er ge
storben.
Die Überlieferungen von Tso, drittes Jahr des Fürsten Siang,
sagen:
Der Fürst vonTsi richtete einen Angriff gegen unsere nördlichen
Grenzstädte. Hien-tse von Tschung-hang wollte Tsi angreifen. Er
träumte, dass er mit dem Fürsten Li stritt und nicht siegte i). De 1 '
*) Fürst Li war durch Hien-tse getödtet worden.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
735
Fürst stiess ihn mit einer Lanze. Das Haupt Hien-tse’s fiel vor dem
Fürsten nieder. Hien-tse hielt es knieend über sich empor. Er reichte
es dar und entfloh. Er besuchte Kao, den Zauberer von Keng-yang i).
Den anderen Tag sah er ihn auf dem Wege. Er sprach mit ihm, und
es war bei diesem dasselbe 3 ). Der Zauberer sprach: Jetzt muss der
Vorgesetzte hierbei sterben. Hat man eine Angelegenheit in den öst
lichen Gegenden, so kann man es lösen. —Hien-tse war hiermit ein
verstanden.
Das zweite Jahr des Fürsten Tschao sagt:
Mö-tse floh vor dem Geschlechte Schö-sün und erreichte Keng-
tsung. Daselbst traf er ein Weib, das ihn aus eigenem Antriebe
speiste und ihm ein Nachtlager gab. Als er nach Tsi gelangte, träumte
ihm, dass der Himmel ihn erdrückte und er nicht obsiegen konnte.
Er sah sich um und erblickte einen Menschen. Derselbe war schwarz,
oben eingekrümmt, hatte tiefliegende Augen und die Schnauze eines
Ebers. Mö-tse rief ihm zu: Wu, hilf mir! — Er siegte jetzt dem
Himmel ob. Als er nach Lu zurückkehrte, überreichte ihm das AVeih
von Keng-tsung, wo er übernachtet hatte, einen Fasan. Er fragte nach
den Söhnen ihres Geschlechtes. Sie antwortete: Mein Sohn ist bereits
erwachsen. Er ist im Stande, einen Fasan zu reichen und sich mir an-
zuschliessen. — Er berief ihn zu sich und empfing ihn. Es war der
nämliche, von dem er geträumt hatte. Ohne ihn nach dem Namen zu
fragen, rief ihn Mö-tse bei dem Namen Wu. Jener antwortete : Ja. —
Mu-tse rief seine Leute und hiess sie Jenen sehen. Er ernannte ihn
hierauf zum kleinen Dieners).
Der erste Theil des Fürsten Ngai sagt:
Ein Mensch von Tsao hatte geträumt, dass sämmtliche weise
Männer in dem Palaste der Landesgötter standen und berathschlagten,
wie sie Tsao dem Untergange zuführen könnten. Schin-tö, der Oheim
von Tsao *), bat, dass man auf Kung-sün-kiang warten möge. Man
gewährte dieses. Am Morgen suchte jener Mensch nach Kung-sün-
kiang, allein in Tsao war ein Mann dieses Namens nicht zu finden. Er
ermahnte seine Söhne und sprach: Wenn ihr nach meinem Tode
*) Hien-tse träumte, dass er zugleich den Zauberer Kao besuchte.
2 ) Der Zauberer hatte ebenfalls geträumt, dass Hien-tse mit dem Fürsten Li stritt.
3 ) Die Überlieferungen sagen: Nach dem Traume sich richten, ist noch nicht
gliickverheissend.
Schin-tö ist der Ahnherr der Fürsten von Tsao.
736
Pfizmaier.
hören solltet, dass Kung-siin-kiang die Lenkung führt, so müsset ihr
euch von ihm entfernen. — Als Yang, Fürst von Tsao, zu seiner
Würde gelangte,liehte er Jagd und Wurfpfeile. Kung-sün-kiang, der
Mensch einer Grenzstadt von Tsao, liebte das Schiessen mit Wurf
pfeilen. Er erlegte eine weisse Gans und überreichte sie. Zugleich
sprach er von Jagd und Wurfpfeilen und erkundigte sich dahei nach
den Angelegenheiten der Lenkung. Der Fürst fand an ihm grossen Ge
fallen und begünstigte ihn. Er ernannte ihn zum Vorsteher der
Stadtmauern und hiess ihn in Sachen der Lenkung Gehör geben. Die
Söhne desjenigen, der geträumt hatte, machten sich auf die Reise.
Kiang sprach von Oberherrlichkeit zu dem Fürsten von Tsao. Dieser
befolgte dessen Worte. Er kehrte jetzt Tsin den Rücken und überfiel
Sung. Die Menschen von Sung griffen Tsao an. Die Menschen von
Tsin kamen nicht zu Hilfe, und Tsao ging zu Grunde.
Der letzte Tlieil des Fürsten Ngai sagt:
Der Fürst von Wei hatte einen Traum in dem nördlichen
Palaste. Er sah einen Menschen, der die Warte von Kuen-ngu 1 )
erstieg. Derselbe war mit seinem Haupthaar bedeckt, kehrte das
Angesicht nach Norden und sang: Ich steige zu dieser Anhöhe von
Kuen-ngu, zu den sprossenden Melonen. Ich bin Hoei-liang-fu, ich
rufe zu dem Himmel, ich bin ohne Schuld. — Der Fürst zog eigen
händig die Wahrsagepflanze. Siü-mi-sehe deutete es und sprach:
Es bringt keinen Schaden. — Der Fürst gab ihm eine Stadt. Jener
liess sie liegen und floh nach Sung 2 ).
Die Worte der Reiche sagen:
Hien, Fürst von Tsin, griff Kue an. Der Fürst von Kue
träumte, dass er sich an dem Hofe befand. Ein göttlicher Mensch,
der jedoch mit weissen Haaren und Tigerklauen versehen war, er
griff eine Axt und stellte sich an den unteren Tlieil des westlichen
Flusses. Der Fürst fürchtete sich und entfloh. Der Gott sprach:
Entfliehe nicht. Der Kaiser hiess Tsin dringen in dein Thor. — Der
Fürst verbeugte sich und senkte das Haupt zu Roden. Er berief den
Vermerker Ngao und liess es deuten. Dieser erwiederte: Wenn es
*) Wei hatte eine Warte, die sich auf der alten Anhöhe des Geschlechtes Kuen-ngu
befand.
3 ) Er getraute sich nicht, die Wahrheit zu sagen. Er fürchtete das Unheil und
entfloh.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
737
so ist, wie du, o Gebieter, sagst, so ist es der Einsammler der Streu.
Es ist der strafende Gott des Himmels. — Der Fürst liess den Ver-
merker in ein Gefängniss setzen. Dann beauftragte er die Menschen
des Reiches, wegen des Traumes Glück zu wünschen. Tscheu-tschi-
kiao sagte zu seinen Verwandtschaften: Alle sagen, dass Kue zu
Grunde gellt in nicht langer Zeit. Ich weiss dieses jetzt. Nach innen
und aussen gibt es keine Angehörigen, wer wird es retten? Ich
bringe es nicht über mich, zuzuwarten. — Er nahm seine Ver
wandtschaften und ging nach Tsin. Nach sechs Jahren war Kue zu
Grunde gegangen.
Das Sse-ki sagt:
Der Kaiser des Anfangs träumte, dass er mit dem Meergott
kämpfte wie mit einem Menschen. Er hiess Menschen sich auf das
Meer begehen und verschaffte sich Werkzeuge für den Fang grosser
Fische. Er seihst wartete mit aneinanderliegenden Armbrüsten auf
das Erscheinen der grossen Fische, damit er sie schiesse. Er zog
hierauf längs des Westens des Meeres dahin. Er gelangte zur Furt
von Ping-yuen und erkrankte.
Der Kaiser des zweiten Geschlechtsalters von Thsin träumte,
dass ein weisser Tiger das linke Pferd seines Dreigespanns hiss und
es tüdtete. Er fragte die Traumdeuter. Diese sagten: Der Fluss
King stiftet Unheil. — Er opferte jetzt dem Gesichtskreise. Yen-yö
von I-kung tödtete ihn und setzte den Sohn Ying zum Könige ein.
Das Buch der Han sagt:
Der König von Tschang-yi sah im Traume, dass grüne Fliegen
reihenweise auf den östlichen und westlichen Stufen der Vorhalle
sich ansammelten. Er fragte Kung. Dieser antwortete hierauf: Das
Gedicht sagt: Es summen rings die grünen Fliegen, sie setzen sich
nieder auf der Hecke. In seinem Beginnen der Gebieter glaube nicht
der Verleumdung Worten. — Du, vor dem ich unter den Stufen
stehe, mögest dieses erforschen. — Der König änderte sich durch
aus nicht.
Das Buch der fortgesetzten Han sagt:
Tsching-yuen träumte , dass Khung-tse ihm begegnete und
sprach: Das gegenwärtige Jahr befindet sich in dem Schin (5). Das
künftige Jahr befindet sich in dem I (6). — Als er erwachte, deutete
738
P f i z in n i e v
er es nach den Vorhersagungen. Er erkannte, dass sein Leben zu
Ende sei. Nach einer Weile legte er sich krank nieder und starb.
Tscheu-puan führte den Jünglingsnamen Pe-kien. Am Morgen
versammelte er die Beflissenen, er erklärte und erörterte den ganzen
Tag. Bei dieser Gelegenheit entbot er seine zwei Söhne und sprach r
Ich habe am Tage geträumt, dass ich den Frühgebornen sah. Der
Frühgeborne der östlichen Gasse erklärte mit mir in der südwest
lichen Ecke der verborgenen Halle. — Hierauf setzte er seufzend
hinzu: Sollte mein Leben zu Ende sein? — In demselben Monate, an
einem Tage des Vollmondes starb er plötzlich ohne vorhergegan
gene Krankheit.
Die Denkwürdigkeiten von Wei sagen:
Terig-I führte den Jünglingsnamen Sse-tai. Als er Scho an
greifen sollte, träumte ihm, dass er auf einem Berge sass, wo sich
ein fliessendes Wasser befand. Er befragte Yuen-schao, den die
Gefangenen (die Hiung-nu's) verderbenden Beschützer des Kriegs
heeres. Schao sprach: Nach den Abrissen der Verwandlungen
heisst Wasser auf dem Berge ein Hinderniss. Ein Hinderniss deutet
auf Nutzen im Südwesten, es ist kein Nutzen im Nordosten. Khung-
tse sagt: Das Hinderniss ist von Nutzen im Südwestern Man zieht hin
und hat Verdienste. Es ist von keinem Nutzen im Nordosten. Die Wege
dahin sind elend. —Du wirst ausziehen und Scho bewältigen, du wirst
aber nicht zurückkehren. — I besann sich und war nicht erfreut.
Kaiser Wen fragte Tscheu-siuen: Ich habe geträumt, dass
zwei Ziegel von dem Dache der Vorhalle zur Erde fielen und sich
in Wildenten verwandelten. Was bedeutet dieses? — Jener ant
wortete: An der Rückseite des Palastes wird es plötzlich Todte
geben. — Der Kaiser sprach: Ich habe dich nur belogen. — Jener
antwortete: Träume sind Gedanken. Wenn man die Gestalt bespricht,
so deutet es sofort auf Glück und Unglück. — Er hatte noch nicht
ausgeredet, als der Befehlshaber des gelben Thores meldete, dass
die Menschen des Palastes sich gegenseitig tödten.
Die Denkwürdigkeiten von Selm sagen :
Wei-yen führte den Jünglingsnamen Wen-tschang und stammte
aus I-yang. Er träumte, dass ihm auf dem Haupte Hörner wuchsen.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
739
Ei' befragte den Traumdeuter Tschao-tscln. Tschi belog Yen und
sprach: Das Einhorn besitzt ein Horn, aber es macht davon keinen
Gebrauch. Dieses ist ein Zeichen, dass die Räuber ohne Kampf
von selbst auseinandergesprengt werden. — Er zog sich zurück und
sagte zu den Menschen: Horn ist ein Schriftzeichen, bei welchem
„gebrauchen“ unter „Messer“ steht i). Dass auf dem Haupte ein
Messer gebraucht wird, dieses verkündet grosses Unglück. — Yen
wurde in späterer Zeit wirklich hingerichtet.
Kuan-yii liess das Kriegsheer ausrücken und belagerte Puan.
Es träumte ihm, dass ein Schwein ihn in den Fuss hiss. Er erzählte
es Tse-ping. Dieser sprach: In diesem Jahre erfolgt das Verderben.
— Jener wurde in der That plötzlich getödtet.
Das Buch der Tsin sagt:
Kö-yü stammte aus Tiin-hoang. Gegen das Ende der Zeiten
des Geschlechtes Fu 3 ) griff Mo, König von Lio-yang, zu den Waffen
in'Tsieu-tsiuen und setzte sich ins Einvernehmen mit Tschang-yii.
Er schickte einen Gesandten und berief Yii sammt seinem Provinz
genossen Sö-hia, damit sie sich mit ihm ins Einvernehmen setzen.
Die Königin Mo’s glaubte die Verleumdung und wollte Hia hinrichten
lassen. Yii machte Vorstellungen, die nicht beachtet wurden. Er
rief am Morgen und am Abend zu den Göttern um den Tod. In der
Nacht träumte ihm, dass er einen grünen Drachen bestieg, zu der
Höhe des Daches gelangte und dort hielt. Beim Erwachen sprach
er seufzend: Der Drache fliegt in den Himmel. Jetzt aber hält er
auf dem Dache. Dach als Schriftzeichen ist das Ankominen unter
dem Leichnam s). Der Drache fliegt und gelangt zu dem Leichnam,
ich werde sterben. Die Weisheitsfreunde des Alterthums starben
nicht in dem inneren Schlafgemache, um wie viel weniger kann dieses
! ) Es wird hier angenommen, dass das Wort
„Messer“ und
Kiö „Horn“ ans JTj
Tao
Yung „gebrauchen“ zusammengesetzt ist.
2 ) Fu-kien nannte sich im siebenten Jahre des Zeitraumes Yung-ho (331 n. Chr.) den
Himmelskönig von Tschin.
) Bei dem Worte J^ üö „Dach“ werden hier dieTheile
nam“ und ^ tschi „ankommen“ in Betracht gezogen.
Schi „Leich-
740
P f i z m a i e r
ich als echter Kriegsmaiin! — Hierauf kehrte er nach Tsieu-tsiuen
zurück. An dem Seitenthore der rothen Uferbank des südlichen
Berges trank er die Luft und starb.
Zu den Zeiten des Kaisers Hoei unternahm Lö-ki im Aufträge
des Königs I von Tschang-scha einen Kriegszug gegen Yung, König
von Ho-kien. In der Nacht träumte er, dass ein schwarzer Vorhang
dreifach seinen Wagen umzog. Er schlug gegen ihn und konnte nicht
hervorkommen. Am folgenden Morgen wurde er getödtet. An dem
selben Tage entwurzelte ein Sturm die Bäume. Die Zeitgenossen
hielten dafür, dass das Geschlecht Lo der Schuld überführt sei.
Tschang-hoa legte sich am Tage nieder. Plötzlich sah er im
Traume, dass das Dach einstürzte. Als er erwachte, war ihm dieses
zuwider. In derselben Nacht entstand das Unheil. Man gab vor,
dass man ihn berufe. Hierauf wurde er zugleich mit Pei-wei auf-
gegriffen.
Schi-hu von dem fälschlichen Tschao schlief am Tage in dem
ewigen Palaste. Er träumte, dass eine Herde Schafe, die auf dem
Rücken Fische trugen, aus Nordost herbeikam. Die Erde im Nord
osten von Ye war an ihrer Oberfläche in der flöhe einer Klafter von
hölzernen Nösseln erfüllt. Als er erwachte, befragte er die Abbil
dungen Buddha’s. Daseihst hiess es deutlich: Es verkündet Unglück,
Das Reich wird geschlagen.
Wen-kiao war Heerführer der raschen Reiter und hielt Wu
tschang nieder. Als er zu den Stauungen des Flussarmes der
Rinder gelangte, war das Wasser unermesslich tief. Man sagte: In
der Tiefe gibt es viele Wunder. — Kiao verbrannte hierauf Rhi-
noceroshörner und beleuchtete die Stelle. Augenblicklich sah er
zehntausend Gattungen der Wassergeschlechter. In derselben Nacht
träumte ihm, dass ein Mensch zu ihm sagte: Wir waren von dir
durch die Wege der Dunkelheit und der Klarheit abgeschlossen. Was
dachtest du, dass du uns beleuchtetest? — Kiao war dieses zuwider.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
741
Plötzlich wurde er vom Schlage gerührt. Er kam dazu, niederzu-
halten und starb nach zehn Tagen.
Yang-hiung war Befehlshaber von Tschün-yang. Er griff zu
den Waffen und vertheidigte sich gegen Wang-tün. Seine Feste
fiel, und er wurde durch Tim erlegt. In der Nacht desselben Tages,
an welchem Hiung ergriffen wurde, hatte er geträumt, dass er einen
Wagen bestieg und an dessen Seite Fleisch bängte. Er deutete es
und sprach: Das Fleisch hat gewiss Sehnen *). Es ist die Axt =). Der
Wagen hat zur Seite die Axt, ich werde gemordet werden. —
Alsbald wurde er durch Waug-tün getödtet.
Der Frühling und Herbst der fortgesetzten Tsin sagt:
Fu-kien entsandte Mu-yung-tschui. Der im Inneren Aufwartende
Kiuen-yl machte dagegen Vorstellungen und ward nicht gehört.
Hierauf entsandte Yi in der Nacht eigenmächtig starke Kriegsmänner,
welche den Weg durchsuchten und jenen angriflfen. Tschui träumte
in dieser Nacht, dass er auf dem Wege einherzog. Der Weg ging
zu Ende. Er sah sich um und erblickte das Grab Khung-tse's. Zur
Seite desselben befanden sich acht Erdhügel. Als er erwachte, war
ihm dieses im Herzen zuwider. Er berief einen Traumdeuter und
Hess es deuten. Dieser sprach: Man zieht auf dem Wege einher und
ist zu Ende. Hier ist der Weg zu Ende, und man kann nicht einher
ziehen. Khung-tse führte den Namen Meu (ein Gewissser). Acht, zu
Erdhügel gesellt, ist das Wort Waffen s). Auf dem Wege befindet
sich gewiss ein Hinterhalt von Kriegern. Du solltest sehr vor ihnen
auf der Hut sein. — Tschui drang jetzt auf einem anderen Wege
vorwärts. Die im Hinterhalte liegenden Streitkräfte Yi's fingen ihn
alsbald und tödteten ihn.
i) l)ie Wörter ttnA Kin „Sehne“ und Fr Kin „Axt“ haben gleichen Laut.
tsche „Wagen“ gesetzt,
bildet das Wort ■I'/r tschau „enthaupten“.
•ff
acht“ betrachtet.
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Die Verzeichnisse des früheren Liang sagen:
Tschang-siün’s zwölftes Jahr •). Im fünften Monate des Jahres
erkrankte Siün und träumte, dass er auszog und lustwandelte. Er
kannte nicht den Ort. Er sah eine ursprüngliche Schildkröte, die
sich ihm zuwendete. Sie öffnete den Mund und sagte: Sobald neun
Tage vorüber sind, wird es eine treffliche Anfrage geben. — Er
verbrachte hierauf neun Tage und starb.
Die Verzeichnisse des früheren Tschao sagen:
Lieu-yao träumte in seinem letzten Jahre, dass drei Menschen
mit goldenen Angesichtern und Lippen von Mennig sich nach Osten
wandten und auf und ab schritten. Sie sprachen nicht und zogen
sich zurück. Yao verbeugte sich und trat in ihre Fussstapfen. Der
als grosser Vermerker gebietende Jin-I sprach: Drei ist die Gi-
pfelung der vorübergehenden Kreisläufe. Der Osten ist der Donner
schlag 2 ). Es ist der Anläng und die Reihenfolge der Herrscher.
Das Gold ist die gefällige Sache. Es ist Schwinden und Herabfallen.
Der Mennig der Lippen und nicht sprechen, ist das Ende der Dinge.
Auf und ab schreiten, die Arme zu Boden senken und Verzicht
leisten, sind die Wege des Loslassens. Indess man sich dabei ver
beugt, beugt man sich und wirft sich zu Boden vor den Menschen.
Indem man in die Fussstapfen tritt und wandelt, hütet man sich,
dass man nicht die Grenzen überschreite. Die Streitkräfte werden
gewiss in grossen Mengen sich erheben. — Im dritten Jahre des
Zeitraumes Yuen-tschi (328 n. Chr.) wurde Yao durch Schi-li
gefangen und getödtet.
Die Verzeichnisse des früheren Yen sagen:
Mu-yung-tsiuen träumte, dass Schi-hu ihn in den Arm biss s ).
Als er erwachte, fühlte er sofort Schmerz und es war ihm zuwider.
Er sprach: Wie konnten die Todten ruhen? Wagt man es, im
Traume als Himmelssohn zu leben? — Er liess ihn ausgraben. Er
1 ) Im zwölften Jahre des Zeitraumes Kuang-thsu von Tschao (32!) n. Chr.).
Tschang-siün war König- von Liang.
2 ) Das Buch der Verwandlungen sagt: Die zehntausend Dinge kommen aus dem
Donnersclilage hervor. Der Donnerschlag ist die Gegend des Ostens.
3 ) SchT-hu hatte sich im fünften Jahre des Zeitraumes Yung-ho (349 n. Chr.) Kaiser
des späteren Tschao genannt. Mu-yung-tsiuen hatte von dessen Ländern im achten
Jahre desselben Zeitraumes (332 n. Chr.) Besitz genommen und sich Kaiser von
Yen genannt.
V.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
743
hielt ihm die Verbrechen vor, peitschte den Leichnam und warf ihn
in den Fluss Tschang. Plötzlich legte er sich krank nieder und starb.
Das von Tschin-yo verfasste Buch der Sung sagt:
Die Unseligkeit und die Grausamkeit des jungen Kaisers wurden
täglich ärger i). Tschin-king-tschi redete noch immer frei, machte
Vorstellungen und stritt. Der Kaiser entsandte Yeu-tschi, den Sohn
King-tschi’s, hiess ihn eine Arznei herbeischaffen und beschenkte
King-tschi mit dem Tode. Dieser war um die Zeit achtzig Jahre alt.
King-tsclii hatte geträumt, dass ein Mensch ihm zwei Weben Atlas
gab und zu ihm sprach: Dieser Atlas hat das hinreichende Maass.■—-
King-tsclii sagte zu den Menschen: Dieses Jahr werde ich nicht ent
kommen. Zwei Weben sind achtzig Schuh. Das Maass ist voll, es
bleibt nichts übrig.
Das Buch der späteren Wei sagt:
Yuen-hi träumte um die Zeit, die dem Ableben des Königs
Tsching von Jin-tsching voranging, dass ein Mensch zu ihm sagte:
Jin-tsching wird sterben. Zweihundert Tage nach seinem Tode wirst
du ebenfalls nicht entkommen. Wenn du es nicht glaubst, so prüfe es
und blicke auf das Haus Jin-tsching's. —Hi blickte im Traume nach
rückwärts und sah, dass die Mauern der Wohngebäude auf allen
vier Seiten einstürzten, so dass keine einzige Wand übrig blieb. Hi
war dieses zuwider, und er erzählte es nach dem Erwachen den ihm
nahestehenden Menschen. Als Hi starb, zeigte sich, dass der Traum
in Erfüllung gegangen war.
Thsui-liao beredete das Verderben Li-schün's. Als der Grund
und die Anfänge bereits zu Stande gekommen waren, träumte ihm in
der Nacht, dass er einen Feuerbrand ergriff und das Schlafgemach
Schün's anzündete. Das Feuer brach aus und Scliiin starb. Hao stand
mit der Schaar seiner Hausgenossen und blickte hin. Plötzlich trat
der jüngere Bruder Schiin’s, mit lauter Stimme wehklagend hervor
und rief: Diese Menschen sind meine Mörder! — Er stiess gegen sie
mit einer Hakenlanze und warf sie sämmtlich in den Fluss. Hao er
wachte, und es war ihm zuwider. Er erzählte es Fung-king-jin, dem
1) Kaiser Wen von Sung wurde im dreissigstcn Jahre des Zeitraumes Yuen-kia
(4.'i:i n. Chr.) durch den zur Nachfolge bestimmten Sohn Schau getödtet. Dieser
bewerkstelligte seine eigene Einsetzung, ward aber noch in demselben Jahre durch
Siiin, König von Wu-ling, den nachherigen Kaiser Hiao-wu, bewältigt.
744
P f i z m a i e r
Gaste des Amtsgebäudes. King-jin sprach: Dieses ist wirklich nicht
gut, es ist keine eitle Sache mehr. MitFeuer die Menschen verbrennen,
ist der höchste Grad der Grausamkeit. Was ferner nach der Deutung
anfänglich böse ist, endet mit Unheil. Wer sammelt, was nicht gut
ist, hat nichts übrig. Die Stufen von Glück und Verderben sind zu
Stande gekommen, mögest du es überlegen. — Hao sprach: Ich denke
eben darüber nach, aber ich kann es nicht ändern. — Zuletzt wurde
er sammt seinem Geschlechte hingerichtet.
Die Abkürzungen der Vorbilder der drei Reiche sagen:
Li-hien von Tsi führte den Jünglingsnamen Pao-ting und stammte
aus Nan-pi in Pö-hai. Im Frühlinge und im Sommer befasste er sich
mit Ackerbau. Im Herbste und im Winter trat er ein und lernte.
Unter den weiteren Erklärungen der richtschnurmässigen Bücher
sind viele durch Hien herausgegeben worden. Er war von einer
Krankheit an das Bett gefesselt. In der Nacht träumte er, dassKhung-
tse ihm zürnte, weil er die Muster der weiteren Erklärungen in zu
grosser Breite verfasst hatte. Khuug-tse stiess ihn und schlug ihn
mit dem Stocke. Als er erwachte, waren seine weiteren Erklärungen
verbrannt. Er war alsbald von seiner Krankheit genesen.
Das Buch der Tsi sagt:
Als Kaiser Wu seine Stufe erstieg, träumte er, dass ein goldge
flügelter Vogel zu der Vorhalle herabflog und zahllose kleine Drachen
verzehrte, worauf er zu dem Himmel emporflog. Als Kaiser Ming zu
seinerRangstufe gelangte, liess er die Söhne undEnkel der Kaiser Kao
und Wu hinrichten. Dieselben waren ausgerottet. Es war desswegen,
weil Kaiser Ming den Namen Luan (der göttliche Vogel) führte.
Als Tsehang-king-ni, zu den Zeiten des Kaisers Wu stechender
Vermerker von Yung-tscheu, noch nicht vornehm war, träumte ihm,
dass die Bäume des Altares des Dorfes, wo er wohnte, urplötzlich
mehrere Klafter hoch waren. Er verwaltete hierauf Yung-tscheu. Ferner
träumte ihm, dass dieBäume des Altares gerade bis zu dem Himmel sich
erhoben. Er wurde alsbald schuldig befunden und hingerichtet.
Das Buch der Liang sagt:
Im Anfänge der Lenkung des Kaisers Wu, gegen das Ende der
Zeiten von Tsi, hatte Tschin-yö den Rath gegeben, dass man den
Kaiser Ho von Tsi absetzen möge. Später träumte er, dass der Kaiser
Ho ihm mit einem Messer die Zunge abschnitt. Yö hatte grosse Furcht.
Aus dem Traumleben der Chinesen. 745
Er berief einen Zauberer, der sagte, es werde sieb so verhalten, wie
im Traume. Zuletzt starb er aus Kränkung.
Das Buch der Thang sagt:
Zu den Zeiten Tai-tsung’s unternahm Siü-king den Eroberungs
zug nacliLiao. Unter seinen Gerichtsbeamten befand sich ein Wächter,
dessen Geschlechtsname und Name nicht ermittelt werden konnten.
Als King sich bei dem Kriegsheer befand, träumte ihm plötzlich, dass
er sich in ein Schaf verwandelte und durch den Wächter getödtet
wurde. Beim Erwachen fürchtete er sich und vergoss Schweiss. Als
es Tag wurde, erschien der Wächter bei der Gerichtsbank. King
fragte ihn: Hast du heute Nacht etwas geträumt? — Der Wächter
sprach: Ich habe geträumt, dass du ein Schaf warst und dass ich dich
schlachtete. — King ass seit dieser Zeit kein Schaffleisch, und es
war Fügung des Himmels. King brachte es hierauf bis zu einem Vor
steher des Ackerbaues, zu einem kleinen Reichsminister und Vor
steher der Pferde für Yung-tscheu. Der Wächter wurde um die Zeit
bereits als Gehilfe des Gefängnisses der grossen Ordnung verwendet.
Später wurde King fälschlich beschuldigt, dass er mit Pei-yen, dem
Gebietenden der inneren Vermerket', verkehre und sich zu gemein
schaftlichem Auftreten mit dem Fürsten von Ying verschworen habe.
Siü-king betrieb die Angelegenheit in Yang-tscheu. Er wurde jedoch
ergriffen und zu der grossen Ordnung gebracht. Plötzlich erblickte
er den Gehilfen, der das Gefängniss beaufsichtigte. King vergoss
Thränen und sagte zu ihm: Der Traum des Eroberungszuges nach
Liao geht jetzt in Erfüllung. — Als er hingerichtet wurde, war es der
Gehilfe, der ihn zuletzt hinwegführte.
Tu-mö wusste seine Lebensjahre. Als er erkrankte, verfasste
er seine Grabschrift und die Opferschrift. Auch hatte er einst ge
träumt, dass man zu ihm sagte: Verändere deinen Namen in Pt (Hasen
netz). — Nach einem Monate kam der Sclave aus dem Hause und
meldete ihm: Das Geröstete ist beinahe gar, aber der Napf ist zer
sprungen. — Mö sprach: Diess alles ist von unglücklicher Vorbe
deutung. — Alsbald träumte er noch, dass er auf einen Streifen
Papier die Worte schrieb: Glänzend hell das weisse Füllen befindet
sich in jenem leeren Thale. — Er erwachte und sprach seufzend:
Diess ist das Schreiten über die Ritzen. Ich bin in dem Sternbilde
Kio (Horn) geboren. Das Mao (das Fahnenhaupt) und das Pt (das
746
Pfizmaicr
Hasennetz) sind in Bezug auf das Kiu der achte Palast. Ich hin sehr
eiend. Ich bin vom Bewahrer des See’s durch Versetzung ein Haus
genosse geworden. Das Holz kehrt zu dem Kio zurück, und dieses
genügt. — In demselben Jahre starb er au seiner Krankheit.
Wei-wen wurde der betrachtende und untersuchende Abge
sandte Siuen-hi’s. Im folgenden Jahre entstand an seinem Haupte ein
Ausschlag. Er sagte zu Ngai-si-tschang, dass er nach Lu zurück
kehren werde und sprach: Zur Zeit als ich mit der Stelle eines die
Bücher vergleichenden Leibwächters betraut war, träumte ich, dass
zwei gelbgekleidete Menschen, in den Händen Beglaubigungsmarken
haltend, herankamen und mich verfolgten. Als ich den Tschan er
reichte, wollte ich übersetzen. Der Eine dieser Menschen rückte ganz
nahe und sprach : Jener Erdhügel ist erreicht. Warte auf die grossen
Verdienste zehntausend Tage. ■— Hierauf übersetzte ich nicht den
Fluss und erwachte. Nach meiner Berechnung sind es heute zehn
tausend Tage. Ich werde mit dir zu Käthe gehen. — Am nächsten
Tage starb er.
Thsui-tscln hatte mit Lu-tsang-yung, dem Gehilfen zur Beeil
ten des obersten Buchführers, gleiches Schicksal, und sie wandelten
gemeinschaftlich. Tschi sprach zu Tsang-yung: Ich, der jüngere
Bruder des Hauses, erhielt Gnade und ich habe vielleicht auf Gross-
muth zu hoffen. Desswegen verspätete ich mich und zog nicht schnell
vorwärts. Als ich nach King-tscheu gekommen war, träumte ich, dass
ich in der Halle der Erklärung mich in einem Spiegel besah. Der
Spiegel ist das Bild des Lichtes. Ich werde von dem Gebieter der
Menschen ins Licht gestellt werden. — Man erzählte es dem Traum
deuter Tschang-schin. Schin zog sich zurück und sprach: Die Halle
der Erklärung ist der Ort, an welchem man die Gesetze in Empfang
nimmt. Spiegel ist nach der Schrift: auf der Stelle das Eisen
sehen *). Dieses ist kein glückliches Zeichen. — An demselben Tage
kamen die verfolgenden Abgesandten herbei, und Jene erhängten
sich in dem Posthause.
*) King „Spiegel“ ist, aus 3t LT „stehen“, dem bedeutungslosen , aus
dem durch Hinzufügung eines Striches das Wort S Kien „sehen“ sich bilden
lässt, und W Kin „Metall“ „Eisen u zusammengesetzt.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
747
Die neuen Worte der Thang sagen:
Wu-kung suchte die Gesellschaft der weisen Männer. Nach
einiger Zeit starb er plötzlich an einer hitzigen Krankheit. Früher
hatte Kung geträumt, dass er, mit Kleid und Mütze angethan, den
Berg Pe-mang bestieg und dass seine Freunde ihn begleiteten. Als er
zu dem Gipfel des Berges gelangte, kehrte er sich um und sah nicht
Einen Menschen. Es war ihm dieses in der Seele sehr zuwider. Als
er starb, begleiteten ihn seine Freunde und begruben ihn auf dem
Berge Pe-mang. Es geschah alles, wie er geträumt hatte.
Der Frühling und Herbst des Geschlechtes Liü sagt:
Zu den Zeiten des Fürsten Tschuang von Tsi lebte ein Kriegs
mann Namens Pin-pi-tsiü. Er träumte, dass ein starker Kriegsmann
ihm folgte und ihn anschrie. Dieser spie ihm dabei in das Angesicht.
Voll Bestürzung erwachte er und sass die Nacht hindurch in Unlust.
Am nächsten Tage entbot er seinen Freund zu sich und sagte ihm: Ich
bin sechzig Jahre alt und wurde durch Niemanden zerschlagen und
beschimpft. Ich werde ihn suchen. Finde ich ihn, so ist es gut.
Finde ich ihn nicht, so werde ich dabei sterben. — Er stand jeden
Morgen in den Durchwegen. In drei Tagen hatte er ihn nicht ge
funden. Er zog sich zurück und tödtete sich selbst.
Die neuen Erörterungen von Hoan-tan sagen:
Han-seng, der Schüler eines vielseitigen Gelehrten, hatte drei
Nächte hindurch böse Träume. Er fragte desshalb die Menschen. Die
Menschen riethen ihm, am frühen Morgen aufzustehen und in dem
Aborte zu den Geistern zu rufen. Nach drei Morgen zeigten es die
Menschen an, indem sie dafür hielten, dass er fluche. Man nahm ihn
fest und nmssregelte ihn. In einigen Tagen starb er.
Der Frühling und Herbst Yuen-yen's sagt:
Im zwölften Monate des Jahres an dem Abende des Tages Yl-
tscheu (2) träumte ich, dass ich in der Mutterstadt eintraf. Als ich aus
dem Ahnentempel trat, sah ich eine grosse Menge Wagen und Reiter.
Man zeigte etwas in dem Ahnentempel und sagte: Der grosse Heer
führer Tsao-schuang wird hingerichtet. — Als ich erwachte, er
zählte ich es Liang-sl. St sprach: Willst du, dass das Geschlecht
Tsao ein Gegenstand der Träume der Menschen sei? An dem Hofe
hat man nicht die Gewaltthätigkeit des Geschlechtes Kung-sün i). —
1) Kung-siin-yuen hatte sich im ersten Jahre des Zeitraumes King-thsu (237 n. Chr.)
zum Könige von Yen aufgeworfen und wurde im nächstfolgenden Jahre enthauptet.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXIV. Bd. III. Hft. 49
I
748
P f i z m a i e r
Ich sprach: Schuang hat nicht die Bitte um Zurechtstellung und Auf
richtung. Durch Bedrückung verliert er die Triebwerke des Himmels,
er ist geschlagen. Wozu brauchte man auf die Gewaltthätigkeit zu
warten*) ?
Die alte Geschichte der Greise von Yi-tu sagt:
Ho-hien träumte einst, dass in einem Brunnen Maulbeerbäume
wuchsen. Er fragte desshalb den Traumdeuter Tscliao-tschi. Tschl
sprach: Der Maulbeerbaum ist kein Gegenstand, der in dem Brunnen
wächst. Allein in dem Worte „Maulbeerbaum“ steht unter „vierzig“
die Zahl „acht“ 3 ). Ich fürchte, dass dein Leben nicht über dieses
hinaus dauern wird. — Später war es wirklich, wie Tsclri gesagt.
Die besondere Geschichte Kuan-lu's sagt:
Lu besuchte den obersten Buchführer von dem Geschleclite
Ho. Der Mann von dem Geschleclite Ho sprach: Ich habe eben fort
während geträumt, dass etliche zehn grüne Fliegen herbeikamen und
sich auf meiner Nase befanden. Als ich sie verjagte, wollten sie sich
nicht entfernen. Warum ist dieses? — Lu sprach: Die Nase ist der
Stillstand. Es ist der Berg in dem Himmel s), und die Fliegen sam
meln sich auf ihm. Derjenige, dessen Rangstufe hoch ist, schwebt in
Gefahr. Wer leicht und gewaltig ist, geht zu Grunde. — Später
wurde Jener sofort hingerichtet.
Die Geschichte des Suchens der Götter sagt:
Zu den Zeiten von U erkrankte Siü-pe-schi von Kia-hing. Er
hiess Liü-schi, einen Mann des Weges, den göttlichen Sitzsaal be
ruhigen. Schi hatte zwei Schüler, Namens Tai-pen und Wang-sse.
Dieselben wohnten in Hai-yen. Pe-schi liess sie herbeiholen, damit
sie Jenen unterstützen. Schi legte sich am Tage nieder und träumte,
dass er zu dem Himmel emporstieg. Unter dem Thore des nörd
lichen Nössels sah er drei auswärtige gesattelte Pferde. Man sagte:
Am morgigen Tage wird man Schi mit einem derselben abholen. Mit
*) Tsao-schuang wurde im ersten Jahre des Zeitraumes Kia-ping (249 n. Chr.) durch
Sse-ma-I getödtet.
2 ) Das Wort sang 1 „Maulbeerbaum“ wird gewöhnlich geschrieben. Die
Abkürzung der Zahl „vierzig“ ist aber sonst M sl. Die Zahl A pa „acht“
muss aus dem Theile 7|n mö „Baum“ erst herausgesucht werden.
*) Das Bild des Abrisses & Ken „Stillstand“ ist ein hoher Berg.
Aus dem Traumleben der Chinesen.
749
dem anderen wird man Pen abholen. Mit dem dritten wird man Sse
abholen. — Schi erwachte aus seinem Traume und sagte zu Pen und
Sse: Also ist die Zeit unseres Todes gekommen. Wir können
schnell zurükkehren. — Er verabschiedete sich von dem Hause und
entfernte sich, ohne seine Geschäfte beendet zu haben. Pe-schi
wunderte sieb und hielt ihn zurück. Jener sprach: Ich fürchte, dass
wir unser Haus nicht sehen werden. — Den zweiten Tag starben die
drei Menschen an dem nämlichen Tage.
Die Geschichte des fortgesetzten Suchens der Götter sagt:
Sie-fung von Kuei-ki stand mit Kö-pe-yeu, Statthalter von
Yung-kia, auf gutem Fusse. Der Mann des Geschlechtes Sie träumte
plötzlich, dass der Mann des Geschlechtes Kö mit einem Menschen an
den Ufern des Tsche-kiang um das Geld des Spieles Hö-pu stritt. Er
wurde durch den Flussgott zurechtgewiesen, fiel in das Wasser und
starb. Fung selbst schaffte Ordnung bei dem unglücklichen Ereig
nisse, das den Mann von dem Geschleckte Kö betraf. Ais er erw achte,
ging er sofort zu dem Manne von dem Geschleckte Kö. Dieser war
einverstanden, dass sie mit einander das Bretspiel spielten. Nach
längerer Zeit sprach der Mann von dem Geschleckte Sie: Weisst du,
in welcher Absicht ich gekommen hin? — Dabei erzählte er ihm,
was er geträumt hatte. Als der Mann von dem Geschleckte Kö dieses
hörte, sagte er ängstlich: Ich habe wirklich mit einem Menschen ge
stritten, wie du geträumt hast. Um welche Zeit, wird es überhaupt
eintreffen? — Nach einer Weile ging er auf den Abort. Er stürzte
sofort zu Boden, und seine Lebensluft war zerrissen. Der Mann von
dem Geschleckte Sie schaffte dabei Ordnung, wie er es geträumt hatte.
Der Garten der Merkwürdigkeiten sagt:
Fu-kien befehligte ein Kriegsheer und wollte im Süden den
Feldzug eröffnen. Er träumte, dass Malven innerhalb der Stadtmauer
wuchsen, Am folgenden Morgen fragte er sein Weih. Sein Weib
sprach: Wenn du einen Eroberungszug unternimmst und das Kriegs
heer in die Ferne auszieht, so ist es schwer, zu befehligen. — Kien
träumte ferner, dass die Erde im Südosten sich auf die Seite neigte.
Er fragte wieder, und das Weib sagte: Die rechte Seite des Stromes
kann nicht beruhigt werden. Mögest du nicht nach Süden ziehen,
du wirst gewiss dabei geschlagen werden. Es geht in Erfüllung. —
Kien befolgte dieses nicht, und er ward zuletzt geschlagen.
49 *
750
P f i z m a i e r
Yin-ling-kiün aus der Provinz Tschin war in dem Zeiträume
I-hi (405 bis 418 n. Chr.) Statthalter von Kuei-yang. Er träumte,,
dass die Menschen ihn banden. Als er sich entfernen wollte, waren
Gestalt und Geist verkehrt und zerstreut. Es erschien nochmals ein
Mensch, der sagte: Wir setzen dich vorläufig hin, wo du dich mit
Heng-yang befassen kannst. Du sollst es annehmen. — Der Mann
des Geschlechtes Yin erwachte im Schrecken und empfand Bangig
keit. Im dritten Jahre des Zeitraumes Yung-thsu (422 n. Chr.)
wurde er an der Stelle eines anderen zum Statthalter der Provinz
Heng-yang ernannt. Er erkannte, dass es unmöglich sei, den dunk
len Anordnungen aus dem Wege zu gehen. Er weigerte sich, aber
er kam nicht los. Alsbald legte er sich krank nieder und starb.
Die Geschichte der erzählten Merkwürdigkeiten sagt:
Tao-ki-tschi war Befehlshaber von Mö-ling und tödtete die Meu
terer. Einer unter diesen war ein Begabter der grossen Musik. Der
selbe hatte keine Meuterei gemacht, allein der Mann von dem Ge
schleckte Tao drängte ihn und tödtete ihn. Vor seinem Tode sprach
er: Ich habe in Wirklichkeit keine Meuterei gemacht, und ich werde
sofort ungerechter Weise getödtet. Wenn ich ein Dämon sein werde,
werde ich es hei der Ordnung der Dinge anzeigen. — Nach kurzer Zeit
sah der Mann von dem Geschlechte Tao im Traume diesen Begabten.
Derselbe kam herbei und sagte: Ich habe es bei dem Himmel ange
zeigt, und es gelang mir, mich zu rechtfertigen. Jetzt komme ich und
nehme dich mit. — Hierauf sprang er in den Mund des Mannes von
dem Geschlechte Tao und fiel augenblicklich in dessen Bauche nieder.
Der Mann von dem Geschlechte Tao erkrankte alsbald und starb.
Yao-tschang hatte Fu-kien getödtet und stand Fu-teng in Lung-
tung gegenüber. Tschang träumte in der Nacht, dass Kien an der
Spitze der Abgesandten des Himmelskaisers die Streitmacht vorwärts
führte und in schnellem Laufe in das Lager Tschang’s eindrang. Er
stach nach Tschang mit einer Lanze und traf ihn gerade in das Ge-
mächt. Tschang erwachte im Schrecken. Sein Gemächt war ge
schwollen und schmerzte. Am nächstfolgenden Tage starb er.
Tschang-siiin war erkrankt. Er träumte, dass er ausging und
lustwandelte. Er blickte umher und erkannte nicht den Ort. Die
Wasser von Kan-tsiuen waren ausgetreten. Daselbst befand sich
Aus dem Traumleben der Chinesen.
751
eine ursprüngliche Schildkröte. Dieselbe wandte sich gegen ihn,
öffnete den Mund und sagte: Sobald neun Tage vorüber sind, wirst
du eine vortreffliche Nachfrage, eine gute Schmelzung und Ruhe
haben. — Er erwachte plötzlich und schrieb es nieder. Die ver
siegelte Schrift befand sich in einer Röhre, ohne dass die Menschen
etwas davon wussten. Dabei legte er sich krank nieder. Als neun
Tage vergangen waren, starb er.
Die Verzeichnisse des Dunklen und Hellen sagen:
Kaiser Wu von Wei <) fürchtete und verabscheute den Sohn des
Kaisers Siuen von Tsin a ), weil derselbe kein echter Diener des Ge
schlechtes Tsao s). Auch träumte er einst, dass drei Pferde sich an einer
einzigen Krippe befanden und gemeinschaftlich das Futter verzehrten.
Er hasste ihn in seiner Seele noch mehr. Er berief daher die zwei Kaiser
Wen und Ming 4 ) zu sich uud erzählte ihnen, was er sah. Sie sagten:
Was der Ordnung der Dinge im Wege steht, ist an sich vieles. Mache
dir keine Unrechten Gedanken. — Der Kaiser war hiermit einver
standen. Später erfolgte wirklich die Tödtung der Verwandtschaften
und die Fortschaffung der Geräthe. Alles, wie in dem Traume s).
Meu-hung, der Reichsgehilfe des Königs, träumte, dass die
Menschen um hundertmal zehntausend Kupfermünzen sein grosses
Kind Tschang-yii kaufen wollten. Dem Reichsgehilfen war die Sache
sehr zuwider. Diejenigen, welche in der Tiefe die Götter anriefen,
hielten Asche in Bereitschaft und errichteten ein Dach. Man fand
eine Grube voll Kupfermünzen, deren Anzahl auf hundertmal zehn
tausend Hunderttausende berechnet wurde. Von grosser Furcht er
fasst, verbarg und verschloss er alles als ein Ganzes. Wider Ver-
muthen starb Tschang-yii.
Tschin-kia aus Lung-si führte den Jünglingsnamen Sse-hoei.
Derselbe war ein hervorragender und glänzender Gelehrter. Sein
Weib hiess Siü-schö. Dieselbe war ebenfalls ihrer Gaben und Schön-
J ) Kaiser Wu von Wei ist Tsao-tsao, der Vater des Kaisers Wen von Wei. Er erhielt
den Kaisertitel erst nach seinem Tode.
2 ) Kaiser Siuen von Tsin ist Sse-ma-I, der Grossvater des nachherigen Kaisers Wu
von Tsin. Derselbe erhielt den Kaisertitel ebenfalls erst nach seinem Tode.
• 3 ) Die Kaiser von Wei waren von dem Geschlechte Tsao.
Der nachherige Kaiser Wen war der Sohn Tsao-tsao’s. Der Sohn des Kaisers Wen
ist der nachherige Kaiser Ming.
3 ) Sse-ma-yen, der Enkel Sse-ma-I’s, vernichtete die Häuser Wei und U.
752
P f i z m a i e r, Aus dem Traumleben der Chinesen.
heit willen ringsumher gepriesen. Zu den Zeiten des Kaisers Hoan
wurde Kia der Zugesellte des Richters und eilte nach Lo. Schi) kehrte
heim. Indem sie in dem Hause ausruhte, legte sie sich am Tage
nieder. Sie vergoss Thränen und verhüllte ihr Angesicht. Ihre
Schwägerin wunderte sich und befragte sie. Sie sagte: Ich habe
eben Kia gesehen. Er erzählte mir, dass er zu der Furt gegangen, in
dem Einkehrhause des Bezirkes erkrankt und gestorben sei. Zwei Gäste
seien zurückgeblieben. Der eine bewache den Leichnam, der andere sei
im Besitze eines Briefes und werde zurückkehren. Am Mittag werde
er ankommen. — Das ganze Haus gerieth in grossen Schrecken. Als
der Brief ankam, verhielt sich alles so, wie sie geträumt hatte.
Die Geschichte der gesammelten Merkwürdigkeiten sagt:
Sung-kin von Yang-ping verstand sich auf die Auslegung der
Träume. Ein Mann von dem Geschlechte Siin suchte ein Amt. Er
schlief ein und träumte, dass zwei Paradiesvögel sich auf seine beiden
Fäuste setzten. Er befragte Kin. Kin sprach: Der Paradiesvogel
setzt sich nirgends nieder, als auf den Baum Ngu-thung. Er verzehrt
nichts, als die Früchte des Bambusrohres. Du wirst grosses Unglück
erleben. Es ist kein Bambusstab, es ist sofort der gespaltene Stab •).
— Später hatte der Mann von dem Geschlechte Siin wirklich die
Trauer um die verstorbene Mutter.
Als Tschang-thien-si sich in Liarig-tscheu 3 ) befand, träumte er,
dass ein grüngelber Hund von sehr langer Gestalt im Südosten der
Stadtmauern hervorkam und ihn beissen wollte. Der Mann von dem
Geschlechte Tschang ging ihm auf dem Bette aus dem Wege. Als
er im Kreise herumlief, fiel er zu Boden. Später entsandte Fu-kien
einen Mann, Namens Keu-tschang. Derselbe zog hin und zertrümmerte
die Macht des Mannes von dem Geschlechte Tschang. Er trug einen
Mantel von grüngelbem Erdbrocat und drang durch das südöstliche
Thor. Alles geschah, wie Jener geträumt hatte)).
1) Bei der Trauer um die Verstorbenen wurden Stäbe verwendet.
2 ) Im ersten Jahre des Zeitraumes Hing-ning (363 n. Chr.) tödtefe Tschang-thien-si
von Liang seinen Gebieter und bewirkte seine eigene Einsetzung. Derselbe ergab
sich im ersten Jahre des Zeitraumes Tai-yuen (376 n. Chr.) an Thsin.
*) Der Abgesandte Fu-kien’s führte den mit Keu „Hund“ gleichlautenden Ge-
schlechfsnamc.n Keu und den Namen Tschang „lang“.
Höfler, Würdigung des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber u. Staatsm 753
Abhandlungen aus dem Gebiete der alten Geschichte.
II.
Würdigung des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber
und Staatsmann.
Von C. Höfler.
Als Lucius Cornelius Sulla von Asien aus über Griechenland
nach Italien zurückkehrte, konnte er auf Thaten hinweisen, die zu
den grössten der römischen Geschichte gehörten. Als ein Jahrhundert
früher Antiochus, König von Syrien, auf dem Wege nach Italien in
Griechenland einbrach, hatte er zwar Hannibai auf seiner Seite, aber
die griechische Bevölkerung gegen sich. Jetzt hatte sich der Orient
mit Griechenland verbündet. Die asiatischen Griechen hatten das ent
setzliche Blutbad unter den Römern und Italern angerichtet, welches
durch die Masse der Erschlagenen durch die verrätherische Art
des Überfalles ohne Gleichen war. Der Abfall der reichsten Provinz
des römischen Reiches in dem Augenblicke, als in Rom der Bürger
krieg, in Italien der Bundesgenossenkrieg wüthete, war ein Stoss, der
nach dem Herzen Rom’s gezielt war.
Als Ephesus, Athen mit dem Piräus und Chalkis die Pforten
geworden waren, aus denen die politischen Flotten und Heere nach
dem Abendlande zur Eroberung des uneinigen Italiens hervorbrachen,
und zur Abwehr der grössten Gefahr nicht 50.000 Mann von Rom
nach Griechenland hinüberzogen, hing in der That das Geschick der
römischen Herrschaft von L. Sulla ab.
754
H ö f 1 e r
Er befand sich in einer ähnlichen Lage in Griechenland, wie
einst Hannibal in Italien, ohne Magazine, ohne Stützpunkt, ohne Ver
stärkung, ja selbst noch in einer schlimmeren Lage, da die römischen
Legionen, welche von Italien herüber kamen, ihm feindlich waren.
Er war 5 Jahre lang nur auf jene Hülfsquellen angewiesen, die
ihm sein militärisches Genie eröffnete und stand nicht bloss einer
fast uneinnehmbaren, durch das Meer wie durch künstliche Befesti
gung unendlich starken feindlichen Stellung gegenüber, sondern auch
dreien Heeren, die er hei ihrem Herausrücken festhielt und zurück
warf, hiebei eine taktische Meisterschaft beurkundend, die ihn den
grössten Feldherrn zur Seite stellt. Nicht bloss dass er den überle
genen Feind auf hielt, so dass er von Griechenland nicht nach Italien
kommen konnte; er warf ihn aus Griechenland zurück, drang selbst
nach Asien vor, zwang dort den König zur Herausgabe seiner Flotte
wie seiner Eroberungen; er entwaffnete ihn, beraubte ihn des ganzen
Nimbus göttlicher Sendung, mit welchem er auf die Hellenen einge
wirkt, gewann für Rom den bereits verlorenen Orient, für sich aber
den Ruhm eines Wiederherstellers der römischen Welt
macht, die vom Besitze Asiens abhing.
Mag man das Schicksal, welches den asiatischen Hellenen jetzt
bei der römischen Besitzergreifung betraf, noch so tragisch aus
malen, Sulla war auf Requisitionen angewiesen und Asien musste
jetzt die Kosten zur Wiederherstellung einer Centralmacht in Rom
selbst gewähren. Darum handelte es sich seit dem Jahre 83, als sich
Sulla entschloss, diejenige Partei zu bekämpfen, die ihn als ihren
Todfeind behandelt und wie später jene Römer, welche gegen C. Julius
Cäsar mit Ariovist in Verbindung standen, gerne gesehen hätten,
wenn er von römischen und politischen Legionen erdrückt worden
wäre.
Ausdrücklich wird aber hervorgehoben, wie friedlich das erste
Auftreten Sulla's bei seiner Rückkehr nach Italien war, wie er seine
Legionen ohne Beschädigung Anderer durch Calabrien, Apulien nach
Campanien führte <)• Er hatte bereits eine folgenreiche Umwandlung
bewirkt. Die Legionen, die ihm als ihrem Feldherrn unbedingten Ge-
*) Putares Sullam venisse in ltaliam non belli vindicem sed pacis autorein. Veil.
Paterc. II. 25.
Würdigung 1 des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 755
horsam widmeten, waren nicht die eines Consuls, Praetors oder Lega
ten; sie folgten ihm, dem abgesetzen Consul gegen die Magistrate
Rom’s, demselben, der in Rom Fakeln verlangt hatte, als die damalige
Senatspartei ihm dem Oberbefehl gegen Mithradates abgenommen.
Aber selbst nach dem Siege am Berge Tifata bot er die Hand zu
Unterhandlungen dar; dann freilich musste er gewahren, dass die
Partei, welche vor 5 Jahren die verdientesten und angesehensten
Männer, die Sieger über in- und auswärtige Feinde hatte morden
lassen, die 5 Tage und 5 Nächte Consulen und Freunde Sulla’s dem
Tode geweiht hatte, unversöhnlich sei, mit ihr kein Vertrag, kein Ab
kommen, kein Vergleich getroffen werden könnte. Da beschloss er
Vernichtung derselben und führte diese nun mit einer Consequenz
und in einer Ausdehnung durch, dass der ganze Zustand Italiens und
Rom’s selbst vom Grunde aus verändert wurde. Sulla, der nichts
halb tbat, sah nur auf den Erfolg. Es handelte sich darum, zwei
Parteien, die marianische wie die samnitische zu vernichten, je sicherer
desto besser, je früher desto lieber. Am wenigsten durften aber hier
über die Marianer sieb beklagen, dass nun gegen sie gewüthet wurde,
wie sie, so weit ihr Arm gereicht, gegen die Sullaner gewüthet, deren
Leichen den Vögeln des Himmels und den Thieren des Waldes zum
Frasse vorgeworfen worden waren, aber nicht begraben werden
durften. —
Die zwei Jahre von Sulla's Rückkehr bis zum Untergange der
marianischen Partei und der Samniten gehören zu den schreck
lichsten der römischen Geschichte. In den 20 Schlachten dieser Zeit
ging die waffenfähige Mannschaft Italiens, das schon im Bundesge
nossenkriege drei Jahre lang so furchtbar gelitten, bis auf Sulla's Le
gionen unter. Es wird keine Übertreibung sein, wenn man sagt, die
120.000 Mann, welche Sulla nachher in Italien colonisirte, reprä-
sentirten so ziemlich Italiens mannhafte Bevölkerung; nachdem mehr
als 300.000 Mann im Alter von 25 bis 50 Jahren in Italien gefallen
waren J ), ohne die, welche im mithradatischen Kriege ihr Lehen ver-
*). Id bellum amplius trecenta millia juventutis Italicae abstulit. C. Vellejus Paterculus,
II. c. 15. damit möge man vergleichen, was Livius bei Gelegenheit des lateinischen
Krieges berichtet: Undique non urbana tantum sed etiam agresti juventute decem
legiones scriptae dicuntur quaternum millium et ducenorum peditum equitumque
trecenorum, quem nunc novum exercitum, siqua externa vis ingruat, hae vires
756
'■M'11*111 ■
H ö f I e r
loren. Aber niclit bloss in dieser Beziehung war eine Lücke, welche
durch Soldaten, Freigelassene und Sclaven ersetzt werden musste.
Es fiel, als auf das marianisehe Morden das sullanische nachfolgte,
Senatoren und Ritter in Masse ermordet wurden, zum unersetzlichen
Schaden Rom's der in Staatsgeschäften und politischen Erfahrungen
ergraute Theil der Nobilit.ät, der eigentlich magistratische Theil der
Bevölkerung aus, wie überhaupt die Bevölkerung in den mittleren
Lebensjahren, und an die Stelle dieser vor der Zeit dem Tode ver
fallenen trat jetzt eine jüngere Generation, welche erst nach 10 bis
20 Jahren auf dem gewöhnlichen Wege zu Ämtern und Würden
hätte kommen sollen, Rom förmlich überschwemmend ein. Die ent
standene Lücke liess sich naturgemäß nicht ausfüllen, es war eben
eine Generation ausgefallen und an ihre Stelle rückten nun die Glücks
kinder der Gegenwart, junge Leute, die im Bürgerkriege groß ge
worden waren.
Das aber wiederholte sich von nun an mit einer gewissen
Regelmässigkeit in Rom, bis die Perioden sich verkürzen und in
dem allgemeinen Morden nach dem Tode Cäsars alles untergeht,
was die Tage der Republik gesehen. Die vorübergehende Alleinherr
schaft des Sulla beruhte auf keinem anderen Gesetze, als die blutig
endende des C. Julius Cäsar oder die bleibende des Cäsar Augustus.
Das Geheimniß der letztem bestand ja, wie Tacitus es so richtig
auseinandersetzt, darin, daß Brutus und Cassius getödtet, Pompejus
gestürzt und ermordet, Lepidus beseitigt wurde, Antonius sichermordet
hatte und von der Julischen Partei Octavianus der einzige noch übrige
Anführer war. Augustus aber wie Cäsar, als er den Cnejus Pompejus
Magnus, denJuba und Cato, dann die Söhne des Pompejus besiegt hatte
und bis aufSextus Pompejus alle Führer der Gegenpartei gefallen waren,
fühlten das gleiche Bedürfniß, nicht bei dem Morden stehen zu bleiben,
sondern zur Organisation des Staates zu schreiten. Das Gelingen
ihrer Organisationen aber hing wie bei L. Cornelius Sulla davon ab,
ob, nachdem sie selbst tabula rasa gemacht, eine ganze Generation
ausgefallen war, sie noch die tauglichen Werkzeuge für ihre Organi
sationen fänden und nicht etwa durch deren Abgang ihre Organi
sationen zum blossen Mechanismus, zur Maschine herabsänken, ihre
populi Romani, quas vix terrarum capit orbis, contractae in unum haud facile ef-
ficiant: adeo in quae laboramus sola crevimus, divitias luxuriamque. VH. Vö.
Würdigung des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 757
Reformen zum leeren Schematismus, ihre Verfassung zum blossen
Fachwerke ohne Leben, ohne Seele, ohne innere Kraft und Be
deutung.
Der Sieg Sulla’s ist und bleibt somit der Anfang einer Umwäl
zung, welche Julius Cäsar wieder aufnimmt, Cäsar Augustus vollen
det. Mit ihm beginnen die zuletzt siegreichen monarchischen Be
wegungen Rom’s, die den Staat zu seinem Anfänge, der Monarchie,
zuriickführen und die römische Geschichte harmonisch abschliessen,
sie mehr, als dieses mit der Geschichte irgend eines anderen Volkes
des Alterthums der Fall war, als einen wohlgegliederten Organismus
erscheinen lassen.
Sulla selbst hatte wohl kaum eine Ahnung, welche neue Zeit er
einführe und dass durch das, was er jetzt that, der ganze Charakter
Rom’s vom Grunde aus sich änderte, verändert blieb; die ganze grie
chische Geschichte kennt keinen Kampf wie den Bundesgenossen
krieg, hat keine Schlachten aufzuweisen wie die von Sacriportus und
vor der porta Collina, aber auch keine Verwilderung wie jene, welche
sich nach dem blutigen Siege zeigte und von der die Proscriptionen
so wie die Ermordung der 8000 Gefangenen hinlänglich Zeugniss
geben.
Eine Republik aber, welche eine derartige Krise durchgemacht
und an diesem Abgrund angelangt ist, kann sich nicht mehr als solche
erhalten. Ihre Tage sind unwiderruflich gezählt.
Allein Sulla, als siegreicher Gegner ohne Erbarmen, zeigte jetzt,
dass er nicht bloss den Wiederbeginn des Bürgerkrieges, wenigstens
unter dem alten Parteinamen unmöglich zu machen verstehe. Er war
nicht eine blosse militärische Natur. Der Staat musste wieder aufge
richtet, das grosse Leichenfeld Italien den Händen seiner Bürger,
welche Rom den Frieden gegeben, zugewendet und aufs Neue colo-
nisirt werden, Rom durch Gesetze gekräftigt, durch Sitten geläutert,
nach Innen neu aufgebaut, nicht bloss die Macht Roms wiederherge
stellt werden. Nur einem Oetavius Augustus war Ähnliches zu unter
nehmen noch Vorbehalten. Er that dies, nachdem ein langer Bürger
krieg wie ein verzehrendes Feuer die ganze Peripherie des Reiches
umwandelt und von Rom ausgehend dahin zurückgekehrt war, und
zwar mit der Absicht unter dem Scheine der Republik ihr Wesen für
immer zu Grabe zu tragen. Sulla gedachte die Republik zu erneuern,
nicht ihr Erbe zu werden, sondern ihr Wiederhersteller. Oetavian
758
Hofier
wollte die höchste Gewalt niederlegen t), Sulla tliat es, als er die Re
publik geordnet hatte. Man kann nicht läugnen, dass die Gesetze,
welche er jetzt nach Beendigung des Bürgerkrieges ertheilte, die
einzigen möglichen waren, die eine Republik noch überhaupt auf-
richten konnten, wie ihre Beseitigung auch nur dem masslosen Ehr
geize Einzelner den Weg erst zum Triumvirate, dann zur Dictatur,
zur Beseitigung der Republik bereitete. Ja nachdem die Nothwendig-
keit einer Reform des Staates seit den Tagen der Gracchen sich immer
dringender gezeigt hatte und ebenso unumstösslich die Thatsache,
dass jede von unten nach oben angeregte Reform einen blutigen
Widerstand gefunden, ihrem Urheber den sicheren Untergang be
reitet hatte, blieb kein anderer Ausweg übrig, als dass dieselbe von
der obersten Gewalt in die Hand genommen und mit Beseitigung des
Widerstandes, ohne jene Scenen, welche Rom seit 133 erlebt, durch
geführt werde. Erfolgte sie nicht, so war und blieb Rom ein Vulkan,
der nur mehr Asche zu Tage förderte.
Der erste Gedanke musste sein, Italien zu beruhigen. Das ge
schah in dreifacher Weise, durch Anerkennung des Bürgerrechtes
der Bundesgenossen, wodurch der schlimmste aller Kämpfe beendigt
wurde; durch Anweisung von ganzen Städten und ausgedehnten
Ländereien 3 ) an seine siegreichen Soldaten, wodurch einerseits die
bisherige Opposition vernichtet wurde, andererseits Italien, dessen
freie ackerbautreibende Bevölkerung so sehr gesunken war, wieder
seine Bauern erlangte; endlich durch Freilassung von Sclaven, der
10.000 Cornelier, gewiss sehr handfester Leute, die zwar die ächtrö
mische Bevölkerung nicht vermehrten, aber die Lücken der italischen
etwas ausfüllten.
Nun war dieses freilich ein Experiment, das misslingen konnte,
indem ein im Bürgerkriege an Schlacht und Kampf gewohnter Soldat
selten ein ruhiger Bürger, ein tüchtiger Landmann wird. Man darf aber
nicht vergessen, dass hiebei Sulla unter dem Drucke einer gewissen
Notlnvendigkeit handelte, die Versorgung der Marianer dieser Ver
sorgung der Sullaner vorausgegangen war, wie Marius die Sclaven
*) De reddenda republica bis cogitavit. Suet. D. Octav. Caesar Augustus c. 28.
3 ) Quadraginta septem legiones in agros captos dedduxit et eos iis divisit. Liv.
epit. LXXXIX.
Würdigung- des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 759
unter Waffen gerufen hatte. Aber wer kann läugnen, dass Sulla auch
bei dieser ihm durch die Verhältnisse aufgenöthigten Maßregel hätte
stehen bleiben können, während jetzt erst seine eigentliche staats-
männische Befähigung herantrat, als er das gethan hatte, was er auch
als Militär noth wendig fand, dieBeschiitzungund Bewachung Italiens als
des Hauptlandes des Beiches durch die siegreichen Truppen. Es war
eine grosse Thatsache diese politische Gleichstellung Italiens, im Ge
gensätze zu Gallia cisalpina und Sicilia, das Resultat zahlloser Kämpfe,
die endlich die Einheit des römischen Bürgerrechtes zur Einheit der
Sprache, der Waffen, der Sitten und Gesetze gefügt hatten. Das
Nächste war nun die definitive Regelung des alten Streites über die
Gränzen der einzelnen republikanischen Gewalten. Waren alle inneren
Unruhen von den Tribunen ausgegangen, die es sich zur Aufgabe
gemacht hatten, seit Scipio Africanus alle grossen Männer Rom’s zu
verfolgen, das Ansehen des Senates zu erniedrigen, die Herrschaft
eines Volkes, fast ohne Privatbesitz aber mit colossal gesteigerten
Ansprüchen zu erweitern, den Ritterstand in Conflict mit dem Senate
zu bringen, so sollte auch in dieser Beziehung ein für alle Mal aufge
räumt werden. Von den privilegirten Blutsaugern des römischen Rei
ches, jenen Rittern, welche mit ihrer scheusslichen Habsucht, ihren
Wuchergeschäften und Erpressungen die Provincialen zur Verzweif
lung brachten, den Abfall Asiens zu Mithridat auf ihrem Gewissen
batten, waren 1600 durch die Proscription gefallen. Schwerlich
wurde diesen von Andern als ihren nächsten Angehörigen sehr nach
geweint. Wenn Sulla diese Schwämme, welche sich am Marke und
Blute des römischen Staates vollgesogen hatten, wieder auspresste,
so stand ihm zur Seite, dass diese Personen wegen des von ihnen be-
thätigten Mitleidens nicht bekannt waren. Doch reconstruirte Sulla den
Senat durch Beiziehung des Ritterstandes bis auf 600 Mitglieder >),
übergab aber jenem die Gerichte. Es war die Sühne für die Ver-
urtheilung des Publius Rutilius, welchen „nicht bloss seines Jahr
hunderts, sondern jedes Zeitalters besten Mann“ die Ritter zur
grössten Betrübniss des ganzen Staates wegen seiner Amtsführung
in Asien einst verurtheilt hatten; der politische wie der moralische
Schwerpunkt sollte wieder in den Senat verlegt werden wie es ehe
mals war.
*) Senatum ex equestri ordine supplevit. Liv.
760
Hofier
Nur ihm gebührte bei den grossen Spielen die Auszeichnung
besonderer Sitze, er ward auch der Willkür censorischer Verfügung
entzogen, hingegen durch die Vermehrung der Quästoren auf 20 und
die Bestimmung dieses Magistrates als eines Überganges zum Senate
(gleich Consulat und Prütur) der Eintritt auf die blosse Grundlage
der Volksgunst, wie bisher die Ädilen ihn sich erworben, verschlossen;
denn, wenn auch künftig die Tributcomitien die Wald in den Senat
Vornahmen und dadurch der Senat in der innigsten Verbindung mit
dem Volke blieb, so war diese Wahl doch an wirkliches, dem Staate
und nicht einer Partei erwiesenes Verdienst geknüpft. Man könnte
sagen, Sulla habe nur den Schwerpunkt der Demokratie verlegt, um
der Aristokratie zu steuern, als er die Zahl der Prätoren auf 8, die der
Quästoren auf 20, die der Pontifices und Auguren auf 15, die der Se
natoren auf 600 vermehrte. Sein Hauptaugenmerk war, an die Stelle
der Auflehnung Disciplin, an die der Unordnung Ordnung im Staate
zu schaffen und die Wiederkehr der alten Factionen, die Zerfleischung
des Staates durch Entfesselung unbändiger Leidenschaften unmöglich
zu machen, den Abgrund der Revolution zu scldiessen. Dazu gehörte
nicht bloss Beseitigung derjenigen Factionen, welche den Bürgerkrieg
veranlasst, selbst nicht bloss unerbitterliche Strenge gegen die eigene
Partei, wie er bei OfeiIa und Pompejus zeigte, damit nicht aufs Neue
Insubordination entstehe, sondern vor Allem Einführung einer ge
nauen Abgränzung der Gewalten im Staate. Daher die Festhaltung
an bestimmten Jahren, um Magistrate zu erlangen und an dem Über
gange von der Quästur zur Prätur, von da zum Consulatc; die Ab
gränzung der Functionen der Consuln und Prätoren von denen der
Proconsulen und Proprätoren, die Zurückweisung der Censur auf das
Gebiet der Finanzen, die Organisation Italiens, indem nun Italien
staatsrechtlich zu Rom, Rom zu Italien geworden war, die Anord
nungen über die Verwaltung der Provinzen, die Vermehrung der Ge
richte, Avelche mit der Vermehrung der Prätur im Zusammenhänge
stand, wie diese mit der Vermehrung der Provinzen.
Man glaubte häufig mit der Charakteristik dieser Gesetze damit
fertig zu werden, dass man sie als aristokratisch bezeichnete. Sie
sind es nur insoferne gewesen, als sie der entschieden demokratischen
Tendenz gracchischer, appuleischer Gesetze die Spitze brachen.
Sulla sah aber wohl ein, dass die Verfassung Rom’s, ursprünglich
eine Stadtverfassung, nicht mehr passe, seitdem die Bürger Rom’s
Würdigung- des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 761
nicht mehr in Rom allein wohnten, ja in diesem, was die Masse betraf,
eher der schlechteste als der beste Theil der römischen Bürgerschaft
weilte und die bewegende Kraft des Staates in den Händen eines
Magistrates lag, der, zur Schutzwehr der Plebejer gegen Patricier
gegründet, seine ursprüngliche Aufgabe total verändert, den wahren
Grund seines Bestandes verloren hatte. Das Ziel der gewaltigsten
Kämpfe war erreicht. Die Überwindung Italiens durch Rom, die
schwerste, langwierigste und nachhaltigste Arbeit der Römer hatte,
wer kann es läugnen? zu einer Überwindung Rom’s selbst geführt.
Das lange verweigerte Bürgerrecht, der Stolz der Römer, war den
Italienern zuerkannt worden, Sulla, der Besieger Mithradat’s, hatte
sich auch vor dieser Thatsache beugen müssen; der Bundesgenos
senkrieg war umsonst geführt worden, die Wölfin, deren Raubnest
Mithradat und Pontius Telesinus zu zerstören gedacht, hatte sich er
halten, aber Rom's Ausschliesslichkeit war gebrochen und in wenigen
Jahren eine der grössten Veränderungen der römischen Geschichte
erfolgt, welcher nur noch die der Ausdehnung des römischen Bürger
rechtes über die ganze Welt gleich kommen konnte.
In diesem Augenblicke musste eine organisatorische Natur auf-
treten, um das richtige Verhältniss des Alten zum Neuen zu be
stimmen.
Da aber war es ganz begreiflich, dass alle Magistrate ohne
Ausnahme eine Veränderung erlitten. Nicht bloss das Volkstribunat
ward anders, sondern die Veränderung erstreckte sich auf alle Ge
walten, die in der Stadt Rom massgebend gewesen waren, Consulat,
Censur, Prätur, ebenso wie Tribunat. Dass letzteres die Veränderung
am Härtesten fühlen musste, lag nicht etwa bloss in aristokratischen
Tendenzen Sulla’s und dem gefährlichen Treiben früherer Tribunen, in
der Gefahr, dass diese ganz Italien aufwiegeln konnten, es lag in der
Natur der Sache. Falsch aber ist es geradezu, oligarchische Bestrebun
gen damit zu verknüpfen, wo doch die offene Absicht war, die Anzahl
der Magistrate zu vermehren und nicht zu mindern. Sollte der Senat
wirklich die Regierungsbehörde des Staates sein, so musste er von
dem Tribunate unabhängig gemacht, diesem überhaupt die bisher
ausgeübte Dictatur gelegt werden. Ohne eine Beschränkung der
Befugnisse der Volkstribunen konnte die Republik in die Länge nicht
bestehen. Was am Tribunate heilsam war, die controlirende Befugniss,
blieb, aber auch der Senat erlangte eine Controle über das Tribunat,
762
H ö f 1 e r
indem letzterem die Wilkiir entzogen wurde, Gesetzesvorschläge
an das Volk zu bringen *). Zugleich wurde bestimmt, dass das
Tribunat nicht die politische Laufbahn eröffne, sondern schliesse
und die curulischen Aemter, nicht aber das Tribunat zu den
Würden der Republik führten. Dadurch ward dem politischen Ehr
geize ein anderer Weg angewiesen und nicht die vernichtende Tlüitig-
keit, in welcher sich die Tribunen seit Jahrzehenten gefielen, als
Ausgangspunkt des politischen Streitens eröffnet. Es war Sulla'
sicht ebenso zu verhindern, dass aus dem Tribunate eine Tyrannei
heraus wachse, als er, gewitzigt durch das siebenfache Consulat des
Marius, auch dem monarchischen Streben der Consularen ein Ziel zu
setzen suchte. Nur nach einem Zwischenräume von 2 Jahren sollte ein
ungleichartiges Amt wieder erlangt werden können, nur nach
10 Jahren dasselbe zum zweiten Male. Ich möchte sagen, wenn in der
Absicht, Ämter des Staates Vielen zugänglich zu machen, ein demo
kratisches Element liegt, so war die Neuorganisation Roms we
sentlich demokratisch. Das demokratische Element war nur nach
einer andern Seite als früher verlegt, nicht in die Masse, sondern
in die Einzelnen, nicht in diejenige, welche von den Tribunen zu
Gewaltthaten aufgewirbelt wurde, sondern in die Masse derjenigen,
welche zur Erhaltung des Staates in dessen Dienst traten.
Die sudanischen Einrichtungen setzten jedoch, wie alle Orga
nisationen, die günstig wirken sollen, zwei Dinge voraus: Zeit, da
mit sich wenigstens eine Generation hineinlebe, und Menschen,
welchen das Gesammtinteresse höher galt als ihr eigenes. Das Eine
wie das Andere fehlte ihnen. Als Sulla schon 78 starb, schwand der
jenige, welcher allein im Stande war, das innere Wachsthum dieser
Organisationen zu überwachen und zu fördern. Da nun der Bürger
krieg die ältere Generation hinweggerafft, dafür aber eine Epigo
nengeneration ermöglicht hatte, welche an Bürgerkriege gewöhnt,
und der an der Erhaltung des Staates nur so viel gelegen war, als
dieser seihst sich zu egoistischen Zwecken ausnützen liess, konnten
sich Organisationen nicht erhalten, die ein in der Zucht des Gesetzes
herangezogenes Geschlecht zu ihrem Bestände und ihrer Wirksam
keit verlangten. Als es jetzt das organisirte Italien traf, für die heil-
l) Tribunorum plebis poteslatem minuit et omne jus legem ferendarum adeinit. Liv.
Würdigung des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 763
samsten aller Veränderungen einzutreten, zeigte sich erst die rechte
Wirkung der vorausgegangenen Bürgerkriege und ihrer durch keine
Gesetze zu steuernden Demoralisation; es bot entweder selbst zu
gewaltsamen Neuerungen die Hand oder verhielt sich als stummer
Zuschauer zu dem neuen Factionsspiele, das in Rom von den ehe
maligen Unterfeldherren Sulla's oder wiederauftauchenden Marianern
'•etrieben wurde.
1 Von allen römischen Staatsmännern hatte keiner so tief ein
schneidende Veränderungen der Verfassung beabsichtigt, keiner so
grosse erzielt. Man muss bis auf Servius Tullius zurückgehen, um
eine Ähnlichkeit ausfindig zu machen. Die servianische Verfassung
erhielt sich auch, als Servius erschlagen, Tarquinius vertrieben
worden war, so lange es altrömische Sitte und in dieser erzogene
Männer gab. Als diese schwanden, war auch der Grund für eine
Verfassung, die Bürgschaft ihrer Dauer verschwunden. Glücklicher
als die beiden Scipionen und die beiden Gracchen, glücklicher als
Pompejus, der sich ihm gegenüber mit der aufgehenden Sonne ver
glichen und C. Julius Cäsar, Cinna’s Schwiegersohn, dem er das
Leben nur zögernd geschenkt, als Crassus, welcher die Samniten
vor Rom niedergeworfen, endigte Sulla, nachdem er die Dictatur
niedergelegt zu Puteoli 78 im Genüsse alles irdischen Glückes i).
Aber das Werk, das er begründet, verlor mit ihm auch denjenigen,
welcher es stützte. So lange sein Name in Ansehen war, so lange
die Furcht übermächtig war, es möchte, wenn man daran rüttle,
gleich die alte Mordperiode von Neuem beginnen, erhielt es sich, ohne
Wurzeln schlagen zu können, aber auch nicht länger. Nichts desto
weniger rechtfertigen die späteren Ereignisse Sulla’s gesetzge
berische Weisheit. Als ein Stück nach dem andern abgebrochen
wurde, dauerte es nur ein Menschenalter und die Republik war nach
einer neuen und noch wilderen Mordperiode das Eigenthum eines
Einzigen geworden.
Nach diesem bedurfte es nur mehr der Hälfte der Zeit und die
Republik war bleibend in eine Monarchie umgewandelt. Es gibt seit
Sulla kein Leben des Staates mehr sondern nur ein Ausgeistern. Es
ist nicht mehr von Rom, dem Walten des römischen Senates, seiner
'I Hoch meint Sext. Aur. Viclor: dictsturam deposuit undo aperni coeptua.
Sit/.h. d. phil.-hist. CI. LX1V. Bd. III. Hft. KO
764
II ö f 1 e r
legitimen Magistrate die Rede, sondern nur noch von dem Bemühen Ein
zelner, sich in den Besitz des Ganzen zu setzen, von dem, einem
Flickwerke zu vergleichenden Bestrehen Anderer, das lecke Staats
schiff für kurze Zeit noch seetüchtig zu machen. Es sind auch nicht
mehr grosse politische Parteien, welche sich um die Herrschaft streiten,
sondern Einzelne, welche sich mit allen Mitteln der List und Gewalt
emporzuschwingen suchen, erst drei, dann zwei, dann einer. Es war
dies die natürliche Folge des Umstandes, dass die neue Verfassung
alles sittlichen Haltes an der Bevölkerung entbehrte. Vergeblich
hatte Sulla wie jeder weise Gesetzgeber an das Bestehende ange
knüpft. Da dieses bereits morsch war, half selbst die natürlichste
Vorsicht nicht mehr aus. Der Mangel an ethischer Grundlage zer
störte das Werk eines der grössten Geister Roms.
Sulla hatte geglaubt die Republik wieder aufgerichtet zu
haben, sie ward in der nächsten Zeit in Frage gestellt. Erst durch die
jenigen, welche seine eigenen Gesetze und Proscriptionen heimathlos
gemacht hatten und die sich an dem Aufstande des Consul Lepidus
wie an dem achtjährigen Kampfe des Sertorius in Spanien bethei
ligten, dann durch diejenigen, welche die römische Gesetzgebung
nicht blos heimatlis- sondern auch rechtslos gemacht und fast unter das
Thier gestellt hatte, die Fechter und Sclaven, die die entwürdigte,
mit Füssen getretene Menschheit an ihren Drängern rächten, wäh
rend gleichzeitig Mithradates den König von Armenien wie den Ar-
saces von Parthien gegen die gemeinsamen Feinde aller Könige, die
Räuber aller Völker (latrones gentium) aufrief. Endlich erfolgte
binnen 15 Jahren der gefährlichste aller dieser Stürme, der von
Rom seihst ausging, von allen geistig heimathlosen Gesellen, Marian-
ern und Sullanern, Freien und Sclaven, Vornehmen und Geringen,
von denen, die das Ihrige verprass tund vergeudet hatten, mit Schulden
beladen waren, wie von denjenigen, welche von Hause nichts hatten,
vom geistigen und moralischen Proletariate, mit einem Worte von
Lucius Sergius Catilina und seinen vornehmen und nicht vornehmen
Spiessgesellen. Bei dieser dreifachen Gefahr, die der innere Krieg
Rom brachte, vermisst man auf Seite derer, welche Rom erhielten,
den Namen des Mannes, der mehr als jeder Andere sich berufen
fühlte, Sulla's glückliches Streben nach Alleinherrschaft sich eigen
zu machen, ohne jedoch den Gedanken zu hegen, die über dem
Grabe der Republik aufgerichtete Alleinherrschaft, wie der Cornelier
Würdigung des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 765
es gethan, freiwillig anfzugeben, des Cajus Julius Cäsar. Die uner
messliche Veränderung, welche die Zeit nach allen Seiten erlitten,
seit Bürgerkrieg, Revolution und Proscription Rom förmlich umge-
pfliigt, spiegelte sich in nichts so sehr ah als in der Art und Weise,
wie jetzt im Vergleiche zur Scipionenzeit die vornehme Jugend im
Sturmmarsche über die Republik weg zum Besitze des Staates zu
kommen eilte. Welche Verwirrung der Begriffe an und für sich,
dass Julius Cäsar, welcher sein Geschlecht mit den Königen Roms
und mit den Göttern in Verbindung brachte i) und so eigentlich die
Herrschaft als sein natürliches Erbe ansprach, als der gefähr
lichste Parteigänger des Cajus Marius auftrat, der von sich zu sagen
pflegte, alle seine Hoffnung beruhe auf ihm selbst 2 ), nicht auf Ab
stammung, Reichthum und Clientei.
Er musste sich aber auf das Innigste mit ihm verwandt fühlen,
da er wie dieser Alles und Alle nur als Mittel zum Zwecke betrach
tete, sein Zweck aber die Herrschaft war. In dieser Beziehung frei
lich konnte Cäsar wie Marius sagen: meine Hoffnung beruht ganz
in mir.
Die Generation, zu welcher Cäsar gehörte, kannte den cimbri-
sclien Krieg nur mehr vom Hörensagen. Er hatte sich an Cinna auf
dem Höhepunkte seiner Macht angeschlossen und seine erste Ge
mahlin verstossen, um Cinna's Tochter, die Mutter der Julia, zu hei-
rathen. Cinna wurde von den meuterischen Soldaten erschlagen, die
er gegen Sulla führen wollte, Cäsar rettete vor letzterem mit Mühe
sein Leben und warf sich dann von einer Verschwörung in die
andere. Er eilte von Asien zurück; um sich an dem Aufstande des
Lepidus zu betheiligen. Als derselbe früher als er dachte, unterdrückt
wurde, betheiligte er sich am Umstürze der cornelischen Gesetze. Er
suchte sodann als Quästor einen Aufstand zu erregen, betheiligte sich
an der Conspiration des P. Sulla, des Antonius und Crassus, an der
des Cnejus Piso, als Pontifex maximus und Prätor an der des L. Ser
gius Catilina. Er hatte bisher alles gethan, den Ausspruch des Sulla
zu rechtfertigen, in ihm steckten viele Marius. Mit 17 Jahren
flamen dialis hatte er seine Laufbahn mit der priesterlichen Würde
Sueton. Jul. Cuesar. 1.
2 ) Sallustii Jugurtha c. 85. Mihi spes omnes in memet sitae.
50
766
Hofier
begonnen: nicht bloss ungeheuere Summen, sein ganzes Leben setzte
er daran die bleibende Würde eines pontifex maximus zu gewinnen,
welche seitdem die Cäsaren bekleideten und die erst eine neue
Ära, die die ganze Welt veränderte, ihnen wieder abnahm. Zwischen
der einen und der anderen priesterlichen Würde, liegt nun eine
stürmische Jugend ohne Gleichen, auf welche man wohl jedes Wort
anwenden kann, das Sallust in der Schilderung sudanischer Moral
verhältnisse (Catilina XIII) gebraucht. Es ist auch wohl keine Über
treibung, wenn man sagt, dass der Mann, von welchem es später
hiess. er sei aller Frauen Mann und aller Männern Weih gewesen,
alle Ehemänner möchten sich vor ihm hüten , unter der stürmi
schen Jugend Rom's der stürmischste war. Liederlichkeit, Ausschwei
fungen jeder Art, Schuldenmaclierei im grössten Massstabe charak-
terisirten den aufstrebenden jungen Mann. Allein ebenso, dass ihn
der colossale Ehrgeiz, welcher ihn beseelte, und der unerschütter
liche Wille über alle Schwierigkeiten hinweg zur obersten Gewalt
zu kommen, nie völlig untergeben Hessen. Wie er keinen neben sich
duldete, riss ersieh in dem Augenblicke, als jeder andere in dem
Strudel der Nichtswürdigkeit zu Grunde gegangen wäre, wieder
empor, um das eigentliche Ziel seines Lebens, die Herrschaft, nicht
aus dem Auge zu verlieren. Der Kriegsdienst in Asien, wo er eine
corona civilis erlangte, sein Aufenthalt in Rhodus um Beredsamkeit
bei Apollonios Molon zu studiren, die Theilnahme am mithradatischen
Kriege, welche ihm das Militärtrihunat verschaffte, wie seine spätere
Thätigkeit in Hispania ulterior, das seine Schulden bezahlen musste,
sind derartige Episoden. Als er -Adil geworden war, scheint in sein
bisher mehr vages Streben System gekommen zu sein, wie denn
Cicero ausdrücklich sagt, er habe als Adil an das Königthum zu
denken begonnen, dasselbe sodann durch sein Consulat begründet').
Was bisher geschehen, war nur ein Vorspiel dessen, was folgte. Er
verdrängte als Ädil seinen Collegen M. Bibulus, so dass es schien, er
allein sei Ädil. Als Consul wurde Bibulus zur Treppe hinunterge-
worfen und vom Forum verjagt, Cäsar war factisch einziger Consul.
Die verschiedenen Verschwörungen, an denen er sich betheiligte,
endigten immer schlecht für die Genossen, gut für ihn und brachten
') Caesarem in consulatu confirmasse regjnnn de ijuo Aedilis cogitarat.
Würdigung dps L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 76T
endlich jene bleibende und den Staat beherrschende Verschwörung
hervor, die den Namen des ersten Triumvirates trägt. Es gab keine
grössere als diese. Der Unterschied der früheren Zeit und dieser be
stand einfach darin, dass Sulla und Marius vom Bundesgenossenkriege
an die Entscheidung durch Waffengewalt gewöhnt, gleich anfänglich
an diese appellirten, alle Versöhnung von sich stiessen und auf die
Vernichtung der Gegenpartei hinarbeiteten; dazu waren die Dinge
für Cäsar noch nicht reif. Ehe man die eisernen Würfel fallen liess,
konnte man von einer Versöhnung politischer Antagonisten den grössten
Vortheil ziehen; auch standen nicht zwei, sondern drei Männer
mit gleichen Ansprüchen einander gegenüber. Wenn man aber die
Machtfrage erörterte, auf welche sich zuletzt Alles reducirte, so
musste sich Cäsar erst diejenige schaffen, welche Pompejus und
Crassus.bereits besassen. Die Sache war jedoch seit Cäsar's Con-
sulat in ein gesichertes Fahrwasser gelangt. Ausserhalb aller Be
rechnung stand, dass Crassus sobald vom Schauplatze abtrat, dass er
den Partkern erlag. Unglücklicher Weise that kein Kelte oder Ger
mane dem Pompejus den Gefallen, den C. Julius Cäsar zu erschlagen,
sonst wäre die Welt des Lobes über die Klugheit des erstereu voll,
der seine Colljegen im Triumvirate, den einen in die Wälder und Sümpfe
Galliens, den anderen in die Wüste Syriens zu beseitigen wusste, um
dort unterzugehen, während er seihst zu Hause blieb, und den gan
zen Staat von Horn aus leitete. Diejenigen aber, welche in Pompejus
eben nur den Corporal, den Hohlkopf erblicken i), würden, sobald der
Erfolg sich an seine Combinationen geknüpft hätte, ihm dieselben
Phrasen zum Weihgeschenke darbringen, mit welchen sie die blut
triefende Laufbahn Cäsar’s wie mit Bosen schmücken. Jeder, welcher
sich gewöhnt hat, die grossartigen Katastrophen der Weltgeschichte
mit möglichst unbefangenem Auge zu überblicken, wird sich der in
neren Nothwendigkeit des Umsturzes der entarteten Republik nicht
verschliessen können. Ein so entsetzliches Morden, wie sich an den
Namen Casars anknüpft, ein so grossartiges Blutbad nicht etwa wilder
barbarischer Völker, Mongolen oder Azteken, sondern derjenigen,
Man sollte in der ßeurtheilung des Pompejus nicht vergessen, dass, wo er frei
handelte, wie bei Dyrrhaehium Caesar aus seinem Lager trieb, bei Pharsalus aber
geschlagen wurde, weil er, wie Brutus sagte, nicht sowohl coinmandirte, als von
dem in Pharsalus befindlichen Senate coinmandirt wurde.
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- —— —
768 Hofier
welche nunmehr die ganze Weltgeschichte allein repräsentirten, alle
übrigen Völker in sich aufgenommen hatten, ist aber geradezu unerhört.
Alles ward dem Ehrgeize eines Einzigen geopfert, welcher noch viel
weniger gestillt werden konnte, als der Golddurst des Crassus. Als
Sulla starb, dauerte es doch noch dreissig Jahre, bis der Bürgerkrieg
im grossen Massstabe ausbrach und sechs Jahre von einem Ende
des Reiches zum andern wüthete. Als Cäsar ermordet wurde, weil
er die Schwachheit batte, nur im Grossen und Ganzen zu morden,
und nicht auch im Einzelnen wie Sulla, der freilich auch den Cäsar
verschont batte, so dauerte es nicht so viele Monate als früher
Jahre, und die neue Reibe von Bürgerkriegen begann, die als bellum
Mutinense, Philippense, Perusinum, Siculum, Actiacum aufgeführt
werden. Das verstand Octavius Cäsar Augustus selbst noch gründlicher
als Sulla. Moriendum est, war sein Wahlspruch der besiegten Par
tei gegenüber, und wenn durch Sulla's Proscriptionen die Consular-
generation ausfiel, so erinnert das Verfahren des Octavianus an den
Aufenthalt der Juden in der Wüste, wo sie so lange blieben, bis die
alte Generation völlig ausgestorben war. Nur brauchte Octavian, um
diejenigen, welche die Tage der Republik geschaut, auszurotten, nicht
40 Jahre, sondern die fünf Bürgerkriege sorgten dafür, dass die blu
tige Operation sieb etwas rascher vollzog und das Werk der Um
wandlung des Staates in einen besseren Zustand *) auf dem breiten
Grabe der Freiheitskämpfer, der Mörder Cäsar's, der Pompejaner, der
Antonianer vor sich ging. Wen hätte Cäsar Augustus nicht ge
mordet, wenn er ihm im Wege gestanden wäre? Er hätte den Fehler
Sulla's, den C. Julius Cäsar am Leben zu lassen, nicht begangen 3 ).
Es war ja die einzige Halbheit Sulla’s gewesen.
Will man aber etwa den sittlichen Werth Cäsar's oder des Au
gustus über den Sulla's stellen, so kann nicht geläugnet werden, dass
Cornelius Sulla die Republik gegen den grimmigsten auswärtigen Feind
vertheidigte und rettete: dass er sie in Italien gegen innere Feinde
*) Vovit et magnos ludos Jovi 0. M. si respublica in meliorem slatum vertisset. Suet.
2 ) G. Gallium praetorein — tabules duplices in veste tectas tenentem suspicatus
(Octavianus) g-ladium oceulere — raptum e tribunali servilem in modum torsit ac
fatentem nihil jussit occidi, pj'ius oculis ejus sua manu c/f'ossis. Suetonius, Oct.
Aug-. c. 27. — Capite Bruti Itomum misso ut statuae caesaris sulwnitteretur in splen-
didissimum quemque captivum non sine verborum contumelia saevit.
|
a
Würdigung- des L. Cornelius Sulla als Gesetzgeber und Staatsmann. 769
vertheidigte und rettete; dass er sie wiederherstellte, erneuerte und
freilich der Generation, zu welcher Cäsar aber auch Cicero gehörte,
übergab. Wenn er aber dann nach einein in den grössten Feldzügen
zugebrachten mühevollen Leben seine letzten Tage in Genüssen
aller Art beschloss, so darf dieses nicht vom Standpunkte der Apo
logeten Cäsar's getadelt werden, dessen Lebensende gewaltsam abge
schnitten wurde, der aber in Bithynien wie in Alexandrien, in der
Jugend, wie im vorgerückten Mannesalter, im mithradatischen wie im
alexandrinischen Kriege sudanischen Leidenschaften fröhnte, um der
Kleopatra willen alle seine Erfolge auf das Spiel setzte. Von Au-
gustus aber darf vollends, wo es sich um sittliche Dinge handelt, gar
keine Rede sein. Man weiss nicht was ärger war, dass er Frauen
verführt oder dass dieses dadurch entschuldigt wurde, er habe von
ihnen die Geheimnisse ihrer Männer erfahren wollen. Hat doch Livia
selbst ihm von allen Seiten Jungfrauen zugeführt, zu deren Auswahl
nach Art der Sclavenhändler er seine Freunde gebrauchte <).
Was aber war denn zuletzt sittlicher, die Aufrichtung und
Wiederherstellung der Republik durch Sulla, der sein bluttriefendes
Schwert nicht augenblicklich in die Scheide steckte, oder die
gewaltsame Erstickung derselben im Blute von mehr als einer Mil
lion Menschen durch Julius Cäsar, welcher, noch ehe er König
Rom’s wurde, dem Senate seine Verachtung nicht genug zu erkennen
geben konnte; oder endlich jene schauderhafte Heuchelei Oetavians,
der vor der Schlacht von Actium ein nach Blut lechzender Henker,
ebenso treulos als gefühllos war, nachher, als die Grausamkeit am
Unrechten Orte gewesen wäre, den Milden, den Apollo spielte, alle
Gewalten der Republik an sich zog und indem er dem römischen
Reiche den Frieden schenkte, den Bürgern die Freiheit stahl?
Hier hört aber auch jede Vergleichung zwischen Sulla und Au-
gustus auf. Die Reformen des ersteren bezogen sich auf Rom; die
des letzteren auf Rom nicht minder als auf den römischen Erdkreis.
Jenem fehlen die 44 Jahre, welche Augustus zu Gebote standen,
nicht nur unter Beibehaltung aller Formen die Republik zu besei
tigen, die Sulla zu retten gedachte, sondern auch die damalige Ge
genwart zu überzeugen, dass Alles, was er tliat, zu Rom’s Heile ge-
*) Inter duodecim catnmitos totideinque puellas accumbere solitus erat. Sext. Aur.
Viet. epit.
770 hö fl er, Würdigung des L. Cortielius Sulla als Gesetzgeber u. Staatsin.
reiche, im Interesse Rom's nichts Besseres ersonnen werden könne,
als was der Vater des Vaterlandes erdachte, dem ja der capitolinische
Jupiter seihst das Zeichen der Herrschaft, die Peitsche, für das ge
duldige Rom verliehen. War nach der Meinung etrurischer Seher
mitSulla eines der acht Zeitalter angebrochen '). so muss von Augustus
zugestanden werden, er habe das neue Zeitalter befestigt und in das
letzte umgewandelt, welches der Geschichte des Alterthums zukam.
1) Plutarchus, c c. 7.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
771
VERZEICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
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Wechniakof, Theodore, Introduction aux recherclies sur l'eco-
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