SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
AEABEWTE BER WISSEISCHAFTEI.
PHILOSOPHISCH - HISTORISCHE CLASSE.
EINUNDSECHZIGSTER BAND.
WIEN.
AUS DER K.K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1869,
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
EINUNDSECHZIGSTER BAND.
Jahrgang 1869. — Heft I bis III.
KAIS. AKADEMIE
DER
WISSENSCHAFTEN
WIEN.
AUS DER K. IC. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD 1 S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1869.
300122
ha
INHALT.
Seite
Sitzung’ vom 7. Jänner 1869 3
Sitzung vom 13. Jänner 1869 5
Sitzung vom 20. Jänner 1869 6
fahlen, Laurentii Vallae opuscula tria. 1 7
xKmcala, Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König
Oidipus) 67
Müller, Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache 149
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 207
Sitzung vom 3. Februar 1869 213
Sitzung vom 17. Februar 1869 213
Sitzung vom 24. Februar 1869 214
Stark, Keltische Forschungen. I. Keltische Namen im Verbrüderungs
buche von St. Peter in Salzburg. Zweiter Theil 215
Pfizmaier, Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han 275
j Strobl, Reisebericht über die in Niederösterreich (Viertel ob und unter
dem Wienerwalde) angestellten Weisthümer-Forschungen . . 341
349
Verzcichniss der eingegangenen Druckschriften
II
Seite
Sitzung vom 10. März 1869
Sitzung vom 17. März 1869
Sitzung vom 31. März 1869 .
,Vahlen, Laurentii Vallae opuscula tria. II
L>
; Boiler, Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute in den ein
silbigen Sprachen ....
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften .
355
353
356
357
445
493
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
LXI. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1869. — JÄNNER.
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WISSENSCHAFTEN,
Commissionsbericht.
3
SITZUNG VOM 7. JÄNNER 1869.
Der Präsident tlieilt mit die Trauerbotschaft von dem Ableben
des correspondirenden Mitgliedes der kaiserl. Akademie, Prof. Dr.
Jacob Goldenthal.
Die Anwesenden geben ihre Theilnahme durch Aufstellen von
ihren Sitzen kund.
Der Secretär legt vor:
1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung des
w. M. Herrn Prof. Dr. K. Schenk 1 in Gräz: Xenopbontische Stu
dien. I. Beiträge zur Kritik der Anabasis“;
2. ein Ansuchen desselben, ihm eine Xenophon-Handschrift aus
der kaiserlichen Bibliothek zu Paris zu verschaffen;
3. ein Ansuchen des k. k. Regierungsrathes Dr. C. von Wurz
bach, ihm die für den 19. Band des biographischen Lexicons des
Kaiserthums Österreich bewilligte Subvention anzuweisen und ihm
für den 20. Band dieselbe Summe zu bewilligen;
4. ein Ansuchen des Herrn H. Gradl in Eger um eine Subven
tion zur Herausgabe der zwei alten Spruchdichter Spervogel;
5. eine Abhandlung des k. k. Oberlandesgerichtsrathes Herrn
Michael F. v. Jabornegg-Altenfels in Klagenfurt: „Kärntens
römische Alterthümer“;
6. eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung des
w. M. Herrn Prof. Dr. C. Höfler in Px'ag: „Wenzels Yon Luxem
burg Wahl zum römischen König“.
7. eine Zuschrift der Generalstabsabtheilung des k. k. Grenz-
truppen-Divisions-Commando’s zuTemesvar umMittheilung der ersten
1*
4
Commissionsbericht.
Auflage von J. G. Ritter v. Hahn’s Reise von Belgrad nach Salonik
und um einige litterarische Nachweisungen;
8. eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung des
c. M. Herrn Prof. Job. Kvi'cala in Prag: „Beiträge zur Kritik und
Erklärung des Sophokles, IV.“;
9. das im Aufträge der kais. Akademie von dem Actuar Herrn
Fr. Scharler zusammengestellte, im Druck vollendete Verzeichniss
sämmtlicher seit ihrer Gründung bis zum letzten October 1868 er
schienenen Druckschriften.
Commissionsbericht.
5
SITZUNG VOM 13. JÄNNER 1869.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Ansuchen der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel
um Mittheilung der Sitzungsberichte und Denkschriften;
2. eine Abhandlung des c. M. kaiserl. Rathes Herrn Prof. Dr.
Beda Dudfk in Brünn: „Bericht über die Diöcese Olmütz durch den
Cardinal Franz v. Dietrichstein im Jahre 1634“;
3. zwei Weisthümer: „Taiding zu Lewben und Tirnstain aus
dem Jahre 1S70“ und „Grenzbeschreibung des Gerichtes Rotenburg
in Tirol aus dem Jahre IS 16“, welche von dem Herrn Prof. Dr.
Richard Schröder in Bonn in Abschrift eingesandt worden sind;
4. eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung des
c. M. Herrn Prof. Dr. Fr. Müller in Wien: „Beiträge zur Kennt-
niss der Rom- (Zigeuner-) Sprache“.
5. ein Ansuchen des c. M. Herrn Prof. Dr. 0. Lorenz in
Wien um Mittheilung der bisher erschienenen Bände des Katalogs
der Handschriften der k. k. Hofbihliothek;
6. eine Abhandlung des Herrn F. Kanitz in Wien: „Reise im
bulgarischen Timok-, Lom- und Sveti Nikola-Balkangebiete, ausge
führt in den Jahren 1862, 1864 und 1868“;
7. eine Abhandlung des Herrn Theodor M airhofer, Chorherrn
von Neustift und Professor in Brisen: „Urkundenbuch des Augu
stiner-Chorherrenstiftes Neustift bei Brixen. Zweiter Theil.“
6
Commissionsbericht.
SITZUNG VOM 20. JÄNNER 1869.
Der Präsident tlieilt die Trauerkunde mit von dem Ableben des
wirk], Mitgliedes der kais. Akademie in der philosophisch-histori
schen Classe Herrn Prof. Dr. Anton Boiler.
Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzen zum Zeichen
ihrer Theilnahme.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Dankschreiben der Generalstabsabtheilung des k. k.
Grenztruppen - Divisions - Commando’s Nr. 23 in Temesvar für die
derselben mitgetheilten Bücher und litterarischen Nachweise ;
2. ein Weisthum von Anthering, welches in einer Abschrift aus
dem königl. Reichsarchiv in München von Herrn Prof. Dr. Richard
Schröder in Bonn eingeschickt wurde.
Vahlen. Laurentii Yallae opuscula tria. I.
7
LAURENTII VALLAE OPUSCULA TRIA.
Von dem w. M. J. Vahlen.
I.
(Vorgelegt in der Sitzung am lo. Januar 1868.)
Die humanistische Litteratur der Renaissance liegt zum Theil
noch in Handschriften zumeist italienischer Bibliotheken vergraben.
Eine mit Sachkenntniss unternommene Durchmusterung dürfte man
ches werthvolle Stück aus dem litterarischen Nachlass der Gelehrten
jenes Jahrhunderts zu Tage fördern.
Mein Interesse richtete sich vornehmlich auf die Litteratur des
Laurentius Valla. Als daher mein Freund, Prof. Reifferscheid, im
Aufträge der kais. Akademie nach Italien ging, um die dortigen
Bibliotheken für die Zwecke der von der Akademie unternommenen
Kirchenvater-Sammlung zu untersuchen, nahm ich die Gelegenheit
wahr, ihn zu ersuchen, was in den Katalogen italienischer Bibliotheken
von Schriften Valla’s sich verzeichnet finde, für mich auszuheben.
Er hat meinem Wunsche auf das freundschaftlichste entsprochen,
und ich befinde mich im Besitz eines reichhaltigen Verzeichnisses
von dem, was von Werken Valla’s noch heute handschriftlich in
Italien vorhanden ist. Gälte es, eine neue Ausgabe der Werke Valla’s
zu veranstalten — ein Unternehmen, das weder unnöthig noch un
nützlich, vielleicht aber zu gross und kostspielig wäre, als dass es
der Buchhandel trüge — so wüsste man wenigstens, wo und welche
Handschriften zu diesem Zweck einzusehen und zu vergleichen wären.
Unter diesen Verzeichnissen fanden sieh einige bisher nicht
bekannte Schriften Valla’s, von denen ich durch andere Gelehrte
habe Abschrift nehmen lassen. Von diesen veröffentliche ich für jetzt
drei, welche nach verschiedenen Seiten zur Charakteristik Valla’s
8
V a h I e n
und seiner schriftstellerischen Bestrebungen einen Beitrag zu liefern
geeignet sind.
Die erste derselben ist eine Rede, welche Yalla im October
1455 — zwei Jahre vor seinem Tode — in Rom vor einer Ver
sammlung von geistlichen und weltlichen Würdenträgern (er redet
seine Zuhörer venerandi patres ac viri clarissimi an) gehalten hat.
Es ist eine Inauguralrede, wie sie der Sitte gemäss alljährlich bei
Eröffnung der Studien an der römischen Universität von einem Mit-
gliede derselben gehalten wurde.
Der Verfasser der Elegantiae linguae latinae hat sich zum
Thema die Lobpreisung der lateinischen Sprache gewählt, nicht
etwa wegen besonderer Vorzüge, welche dieser Sprache vor anderen
eigenthümlich sind, sondern insofern sie vermöge ihrer allgemeinsten
Verbreitung die Vermittlerin aller Wissenschaft geworden ist.
Die Wissenschaft, sagt Valla, ist ein grosser Bau, dessen
glückliche Ausführung das Zusammenwirken vieler Arbeiter erfordert,
und damit nicht dieser Bau wie einst der babylonische Thurm aus
Mangel an gegenseitigem Verständniss unvollendet bleiben müsse,
bedürfe es einer gemeinsamen Sprache, durch welche alle von allen
lernen, die Entdeckungen eines jeden zu allen getragen und alle
zum Wetteifer in dem Ausbau des gemeinsamen Werks angespornt
werden. Die Sprache ist wie die Geldmünze, welche den Verkehr der
Länder unter einander eröffnet und den gegenseitigen Austausch der
besondern Erzeugnisse eines jeden ermöglicht hat.
Eine solche Sprache war die lateinische, welche von der
römischen Herrschaft bis an die äussersten Grenzen des grossen
Reiches getragen, Recht und Wissenschaft und Litteratur auf dem
Erdkreis verbreitet hat: und als das römische Reich zusammenbrach
und die lateinische Sprache aufhörte, das gemeinsame Verkehrsmittel
der Gelehrten zu sein, da sanken auch die Wissenschaften.
Dass sie aber nicht völlig erloschen, das ist das Verdienst des
apostolischen Stuhles, der durch die Verbreitung des Christenthums
und der von allen in lateinischer Sprache gelesenen Schriften des
alten und neuen Testamentes von neuem der lateinischen Sprache
die Rolle einer Trägerin und Vermittlerin der Wissenschaft zuertheilt
hat, und so lange sie diese Rolle behauptet, wird auch die Blüthe
der Wissenschaft dauern.
Laurentii Vallae opuscula tria. 1.
9
Darum, schliesst Valla, sind die Päbste vor allem zu preisen,
welche zur Hebung und Förderung der classiscbenStudien am meisten
beigetragen haben. Zu diesen rechnet er auch den eben jetzt
regierenden Pabst Calixtus III., welcher im Anfang des Jahres , in
welchem die Rede gehalten ward, den pähstlichen Thron bestiegen
hatte. Es ist nicht bekannt, dass derselbe während der kurzen Dauer
seines Pontificates den humanistischen Bestrebungen eine besondere
Gunst zugewendet hätte, doch hebt Valla an ihm rühmend hervor,
dass er — was ja auch ein Verdienst um die Wissenschaft ist —
das salarium für die lectores erhöht habe.
Die Überzeugung von der unaufhörlichen Dauer der lateinischen
Sprache und ihrer unersetzlichen Bedeutung für die Wissenschaften
war Gemeingut der Humanisten des XV. Jahrhunderts, und Valla
seihst hat mit den Gedanken dieser Rede verwandte Ideen in dem
mit Wärme geschriebenen Prooemium zu dem Werke über die
elegantiae linguae latinae ausgeführt. Die Entwickelung der Wissen
schaften hat freilich anders entschieden, und mit der Entfaltung
nationalen Lehens schwand mehr und mehr die Bedeutung der
lateinischen Sprache und ward ihre Anwendung in immer engere
Grenzen gewiesen. Und Niemand wird das beklagen. Dass aber
die Humanisten mit Begeisterung an diesem Glauben hingen, wird
man um so höher anzuschlagen haben, je unverkennbarer es ist, dass
derselbe für die Belebung und Verbreitung der classiscben Studien
beim Anbruch der neuen Zeit die schönsten Früchte getragen hat.
Und von dieser Seite gefasst, darfauch Valla's Rede 1 ) als ein be
redtes Zeugniss dieses Glaubens einiges Interesse in Anspruch
nehmen.
Die zweite Schrift führt den Titel de professione religiosorum.
Es ist ein Zwiegespräch, geführt von Laurentius Valla und einem
nicht namentlich genannten Ordensbruder, welcher auf gegebenen
Anlass die Behauptung aufgestellt und zu verfechten sich anheischig
gemacht hatte, dass bei gleich sittlichem und tugendhaftem Lebens
wandel dem durch das Ordensgelübde gebundenen ein höheres
Verdienst und ein grösserer Lohn zukomme als dem ausserhalb des
O Über die Handschriften, welche bei dem Abdruck benutzt sind, siehe den
ersten Excurs.
10
V a h 1 e n
Ordens stehenden. Valla eröffnet die Unterredung mit einer scharfen
und genauen Formulirung der aufgestellten Thesis, indem er beiläufig
sich gegen den Missbrauch erklärt, womit die Ordensbrüder die im
antiken wie im christlichen Sinne so viel umfassenderen Ausdrücke
religio und religiosi für sich allein und ausschliesslich in Anspruch
nähmen, während er selbst geneigter ist, die dem antiken Philosophen
brauch entlehnte Bezeichnung secta einzuführen. In die Sache selbst
eintretend, hebt er hervor, dass die von dem Ordensbruder seiner
Thesis zu Liebe gemachte Voraussetzung eines gleichen tugend
haften Lebenswandels für den im Orden und den ausserhalb stehenden
unhaltbar sei, da die Tugend des einen nicht auch die Tugend des
andern sei, und beide so wenig in Vergleich gestellt werden könnten,
als die Tüchtigkeit des Malers und die Tüchtigkeit des Bau
meisters.
Doch mit dieser vorläufigen Andeutung eines für die Entscheidung
der Controverse nicht unwichtigen Gesichtspunktes sich begnügend,
wünscht Valla vor allem die Ursachen zu vernehmen, welche den
behaupteten Anspruch auf ein höheres Verdienst bedingen sollen.
Drei Ursachen werden von dem Ordensbruder aufgestellt:
1) hätten sie durch das Gelübde sich zu Gehorsam, Armuth, Keuschheit
verpflichtet; 2) durch ein votum, das keiner Aufhebung fähig sei,
sich gebunden; 3) wie ein von ihnen begangenes Vergehen die
grössere Strafe zu gewärtigen habe, so müsse auch ihr der regulct
entsprechendes Leben den grossem Lohn beanspruchen.
Valla unterlässt nicht, im Vorbeigehen und wie zu vorläufiger
Orientirung auf das Unlogische in dieser Aufreihung aufmerksam zu
machen, da das zweite mit dem ersten zusammen nur eins ausmache,
das dritte aber keine nebengeordnete Ursache, sondern ein Beweis
grund für die Thesis sei, und unternimmt es sodann, die in diesen drei
Ursachen enthaltenen Momente einzeln in rückläufiger Abfolge einer
nähern Betrachtung zu unterziehen.
Hatte der Mönch aus der von ihm mehr behaupteten als er
wiesenen Thatsache, dass eine Übertretung der Ordensbrüder die
schwerere Strafe nach sich ziehe, den Schluss gezogen , dass sie
gleicherweise für ein rechtmässig geführtes Leben den grossem
Lohn zu beanspruchen hätten, so erweist Valla hingegen in einer
epagogisch geordneten Reihe von Beispielen , dass, wo die rechte
Ausführung einer Sache das grösste Verdienst sei, die misslungene
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
11
den geringsten Tadel verdiene, und umgekehrt wo die verfehlte Aus
führung der schärfste Tadel treffe, die gelungene nur ein geringes
Verdienst sein könne, und indem er hiervon Anwendung auf das
Ordensgeliibde macht, bringt er seinen Mitunterredner schier zur
Verzweiflung, die kaum erheblich gemildert wird durch Valla’s
wiederholte Versicherung, er kämpfe nicht gegen das Gelübde als
solches, sondern nur gegen den von dem Gegner seihst geltend
gemachten Grund.
Da dieser sich als beweiskräftig nicht erwiesen hat, so hält der
Ordensbruder das zu dem Gelübde hinzutretende voium entgegen,
das vermöge seiner Unverbrüchlichkeit dem Gelübde selbst ein
höheres Verdienst vindicieren müsse.
ValIa ergreift auch hier vorab die Gelegenheit darzuthun, dass
diese Anwendung des Ausdrucks votum, das ein unter der Bedingung
einer Gegenleistung gegebenes Versprechen bezeichne, unstatthaft
sei und eine unrichtige Vorstellung in sich scldiesse: das zu dem
Versprechen (professio, promissioj hinzu tretende Moment sei viel
mehr ein Eidschwur (ein iuramentum oder imiurandum), dieser
aber könne, wenn anders das Versprechen an sich Kraft und Be
deutung habe, seinen Werth nicht erhöhen und Anspruch auf ein
grösseres Verdienst verleihen, zumal es fraglich bleibe, oh ein Gott
geleistetes Versprechen überhaupt eine eidliche Bekräftigung vertrage.
Die von dem Ordensbruder betonte Gefahr des Eidbruchs, der
sich im Falle eines Vergehens die durch das Gelübde gebundenen
aussetzen, will Valla an dieser Stelle nicht in Erwägung ziehen,
sondern wendet sich zu dem dritten Punkt, dem Gelübde selbst:
denn wenn die hinzutretende Bekräftigung durch den Eid das bean
spruchte grössere Verdienst nicht begründen kann, so muss es, wenn
anders das Gelübde wirklich einen hohem Lohn zusichert, in dem
Inhalte des Gelübdes selbst liegen; dieses umfasst die früher ge
nannten drei Tugenden des Gehorsams, der Armuth und der Keusch
heit, die. demnach in dieser Abfolge einer genauem Prüfung unter
worfen werden.
Vor allem kommt es hierbei auf scharfe Umgrenzung des Inhaltes
einer jeden derselben an, da einiges von dem Mitunterredner in den Um
kreis derselben gezogene sich vielmehr als allgemeines für alle Menschen
geltendes Sittengebot darstellt: was aber als specitischer Inhalt jener
klösterlichen Tugenden übrig bleibe, das sei, meint Valla, theils so
12
V a h 1 e n
schwer nicht zu erfüllen — sei es ja leichter, Dinge, gegen welche
die menschliche Schwäche sich sträube, auf Befehl eines andern als
aus eigener Selbstbestimmung zu thun, und wenn das Gelübde des
Besitzes entkleide, so enthebe es auch der Sorge des Erwerbes
— tlieils nicht für alle passend und nicht für alle nothwendig: denn
gebe es eine Tugend des Gehorsams, so gebe es auch eine Tugend
weiser Herrschaft, und gebe es eine Tugend der Armuth, so auch
eine Tugend besonnenen Gebrauches des Reichthums, und der
Tugend der Keuschheit trete die Tugend der Ehe an die Seite.
Nachdem Valla in dieser Weise durch Zergliederung der ein
zelnen Tugenden den darauf gegründeten Anspruch eines liöhern
Verdienstes entkräftet hat, lässt er zum Schluss das Gelübde noch
einmal als Ganzes ins Auge und gibt jetzt auch die früher abgelehnte
Antwort auf die von dem Mitunterredner entgegengehaltene Gefahr
des Eidbruchs, in die sich die dem Ordensgelübde unterworfenen
begehen. Wohl, entgegnet er, setzen sie sich der Gefahr des Eid
bruchs aus, aber dies beweist eben, dass, wen das Gelübde bindet,
durch den Zwang des Gebotes, nicht durch freie Selbstbestimmung,
aus Furcht vor der Strafe, nicht aus Liebe zum Guten den Weg der
Tugend wandte: doch wisse er wohl, setzt er beschwichtigend hinzu,
dass es auch im Orden Männer gehe, welche nicht in dem Gebot,
sondern im freien Wollen, nicht in der Furcht, sondern in der Liebe
die Triebfeder ihres sittlichen Lebens fänden, und bahnt sich so den
Weg zu einer peroratio, in welcher er das Lob der Ordensbrüder
verkündet, wofern sie nur so wären, wie sie nach der Intention
ihrer Stifter sein sollten.
Der Mitunterredner erklärt sich durch Valla's Einwendungen
nicht besiegt, doch wolle er der Sache sorgfältiger nachdenken, und
dann den Streit von neuem aufnehmen.
Valla hat den Dialog, dessen Gang ich in den äussersten Um
rissen zu skizziren versucht habe, in einer von starkem Selbstgefühl
getragenen Widmung dem Baptista Platamon zugeeignet, einem
Manne, der am Hofe des Königs Alphons von Aragonien und Sicilien
eine einflussreiche Stellung einnahm und dem Könige persönlich
nahe stand 2 ). Die Abfassung der Schrift fällt sonach in Valla's Nea-
2 ) Siehe den zweiten Excurs.
Laurentii Vallae opuscula tria.
13
politanische Epoche, wo er unter dem Schutz dieses Königs seiner
angebornen Neigung, seine Meinungen gerade herauszusagen, den
freiesten Spielraum gewähren durfte.
Man kann annehmen, dass dem Dialog eine wirklich gehabte
Unterredung zu Grunde liegt: doch sind die dem Ordensbruder in
den Mund gelegten Anschauungen nicht als individuelle, sondern als
verbreitete anzusehen, deren Bekämpfung Valla wichtig genug hielt.
Bei der Aufzeichnung hat er sich indessen der Freiheit schrift
stellerischer Reproduction bedient, und obwohl der Dialog sich in
ungezwungenem, natürlichem Fluss bewegt, in welchem wie von
selbst ein Wort das andere zu bringen scheint, so erkennt man doch
die dialogische Kunst wieder, weiche Valla schon früher in dem
Dialog vom höchsten Gut und mehr noch in dem von Leibnitz hoch-
gehaltenen Zwiegespräch von der Freiheit des Willens bekundet
hatte s).
Als ein ebenso umsichtiger wie schlagfertiger Dialektiker ver
steht es Valla, indem er zunächst sich in der Defensive hält und den
Gegner über die von diesem selbst vorgebrachten Gründe straucheln
lässt, seine Hauptgründe aufzusparen und ein jedes Argument an den
Platz zu stellen, wo es seine volle Wirkung zu thun geeignet ist.
So sehr die Versuchung nahe lag, auf verschiedenen Punkten
über die Grenzen der aufgeworfenen Frage hinauszuschiessen, so
hält Valla mit Strenge an der zur Discussion gebrachten Thesis fest
und trachtet nur diese nach allen Seiten zu beleuchten: mit geschickt
ausgesuchten Exempeln und Belägen aus dem elassischen Alterthum
wie aus den Schriften des alten und neuen Testamentes, in denen
Valla nicht minder als in jenem zu Hause war, weiss er den Dialog
zu beleben und seine Sätze zu stützen und zu veranschaulichen.
Bezeichnend für Valla’s Art ist nicht minder der überall hervor
brechende Eifer, mit dem er auf rechten Gebrauch der lateinischen
Worte dringt, nicht blos aus dem bei dem Humanisten begreif
lichen Interesse, dass die elassischen Ausdrücke nur im Sinne der
elassischen Schriftsteller angewendet werden, sondern mehr noch
um der auf Unrechter Anwendung der Worte gegründeten Unklarheit
der Anschauung zu begegnen.
3 ) Siehe den dritten Exeurs.
14
V a h 1 e n
Doch Valla's Dialog bietet noch ein weiteres Interesse. Der
Kampf des Humanismus gegen das Mönchthum ist eines der charakte
ristischen Momente in der Culturbewegung des XV. Jahrhunderts. Die
an dem Geiste des classischen Alterthums genährten, freidenkenden
und aufklärerischen Humanisten, welche alle Zweige der Wissen
schaft in ihren Bereich zogen, auf der einen Seite, und die an der
mittelalterlichen Tradition in Sitte und Denkart haftenden Mönchs
orden auf der andern — wenn diese beiden schroff geschiedenen
Parteien in Berührung kamen, so war der Hader unvermeidlich,
und er ist nicht ausgeblieben. Fr. Philelphus hatte manch spitziges
Distichon gegen die Mönche geschleudert. Poggio, der in einer seiner
frühesten Schriften, dem Dialog de avaritia, helle Streiflichter auf
das Gebahren der Bettelmönche geworfen, hat noch in späten Jahren,
als Nicolaus' Pontificat ein freies Wort über den unter Eugeuius IV.
üppig wuchernden Observantenunfug gestattete, in dem Dialog contra
hypocrisim ein wenig einladendes Bild von den München seinerzeit ent
worfen. Doch haftete Poggio mehr an der Aussenseite des Mönchthums,
indem er Ausschreitungen einzelner in anekdotenhafter, nur zu sehr an
den Verfasser der facetiae erinnernder Manier dem Gespötte preisgab.
Valla hingegen, der das theologische Gebiet mehrfach beschritten,
sucht, entfernt von scurrilem Hohn, dem Gegensatz von einer Seite
nahe zu kommen, wo er ein wissenschaftliches Interesse bieten konnte,
und greift eine Frage auf, die einer dialektischen Erörterung fähig
und werth erschien. Auch ist sein Ziel nicht, das Mönchthum als
solches zu bekämpfen: die Leistung des Gelübdes, sagt er, ist ein
Weg neben andern, die zum Heile führen, und niemanden ist ein
Vorwurf zu machen, der diesen als den für ihn geeignetsten betritt,
wofern er nur nicht zugleich den Anspruch erhebt auf ein höheres
Verdienst als die übrigen Sterblichen, die ohne die Schranke des
Gelübdes in Zucht und Sitte ihren Lebensweg verfolgen: nur diesem
auf mangelhafter Einsicht gegründeten Anspruch suchte Valla’s Er
örterung die Unterlage zu entziehen, benahm aber dadurch dem
Gelübde das, was ihm damals in den Augen vieler den rechten Werth
und die rechte Weihe zu verleihen schien.
Poggio’s Hohngelächter über die Bettelmönche schürte die Er
bitterung: Valla’s dialektisch zugespitzter Angriff traf tiefer und
verfehlte nicht, grossen Anstoss zu erregen. Man entnimmt dies der
an Pabst Eugenius IV. gerichteten Vertheidigungsschrift Valla’s, in
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
15
welcher er mitten unter seinen übrigen hart angegriffenen Schriften
auch die in diesem Dialog entwickelten Sätze eingehend und an
gelegentlich zu verfechten sich-bemüht 4 ).
Aus dieser Stelle hätte man, wiewohl keiner der älteren oder
neueren Litterarhistoriker darauf geachtet zu haben scheint, längst
den Schluss ziehen können, Valla müsse ein dieser Frage gewidmetes
besonderes Werk verfasst haben. Eine darauf bezügliche Bemerkung
in dem 1864 gehaltenen Vortrag über Lorenzo Valla s) hat durch
Wiederauffindung der Schrift ihre erwünschte Bestätigung gefunden.
Die Handschrift, welche sie aufbewahrt hat, ist cocl. Urb. 393
der Vaticanischen Bibliothek, welcher auf 25 Octavblättern nur dieses
eine Werkchen Valla's enthält, im Ganzen in unversehrter Gestalt,
doch bleiben einige Unklarheiten, die vermuthlich auf Textesver-
derbniss zurückgehen 6 ).
Die dritte Schrift endlich ist eine lateinische Übersetzung der
Rede des Demosthenes für Ktesiphon oder vom Kranze.
Die humanistische Übersetzungslitteratur ist eine sehr aus
gebreitete: vieles davon ist in Drucken, freilich meist sehr seltenen,
vorhanden, anderes aber noch in Handschriften besonders in den
Bibliotheken Italiens verborgen.
Einigen dieser Übersetzungen, wie z. B. Bessarion’s und Bruni’s
Übersetzungen Aristotelischer Schriften, misst man noch heute
kritischen Werth bei, indem sie Rückschlüsse auf die ihnen zu Grunde
gelegenen griechischen Originale gestatten. Wichtiger jedoch sind
sie für die Entfaltung des Humanismus geworden, insofern sie die
Kenntniss griechischer Lilteraturwerke mittelbar verbreiteten zu einer
Zeit, als das Verständniss der griechischen Originale nur einer kleinern
Anzahl von Gelehrten vergönnt war 7 ). Und überdies gewährte die
4 ) Siehe den dritten Excurs.
5 ) Almanach der kais. Akademie der Wissenschaften XIV. 1864. S. 183—225.
e ) Eine sehr sorgfältige Abschrift der Handschrift, von welcher Reifferscheid die
ersten 4 Seiten als Probe mitg-etheilt hatte, danke ich Herrn Dr. Aug. Lorenz.
Geändert habe ich im Texte nichts ohne Angabe der handschriftlichen
Lesung: ein vollständiges Variantenvcrzeichniss wird niemand begehren, ich
habe vielmehr bei dieser, wie bei den andern hier abgedruckten Schriften nur
soviel mitgetheilf, als ich für nützlich hielt, und insbesondere Orthographie
und Interpunction stillschweigend so eingerichtet, wie es angemessen schien.
7 ) Wer einen Eindruck davon empfangen will, wie sehr diese Übersetzungen
in die damalige Litteraturbewegung einschlugen, der sei auf ßruni’s Brief-
16
V a h 1 e n
Übertragung griechischer Meisterwerke in Poesie und Prosa den
Humanisten einen erwünschten Stoff, um daran die von allen hoch
gehaltene Formgewandtheit in lateinischer Sprache zu erproben und
zu steigern. Daher denn die namhaftesten Humanisten des XV. Jahr
hunderts, Leonardo Bruni, Guarino, Ambrosius Tr%versari, Philelphus,
Poggio u. a., der eine mehr der andere weniger, in lateinischen Über
setzungen griechischer Profan- und Kirchenschriftsteller sich versucht
haben. Vollends nahm dieser Zweig humanistischer Litteratur einen
bedeutsamen Aufschwung, als Pabst Nicolaus V., der, selbst des Grie
chischen nicht mächtig, Sinn und Neigung für die classische Litteratur
besass, diesen Arbeiten "seine besondere Gunst und Unterstützung
zuwendete.
Auch Valla hatte auf diesem Gebiet sich bethätigt: er hatte die
Homerische Ilias in lateinischer Prosa übersetzt, und im Auftrag des
genannten Pabstes an der schwierigen Aufgabe sich versucht, Über
setzungen der beiden grossen Geschichtschreiber der Griechen, des
Thucydides und Herodotus zu liefern 8 ).
Zu diesen früher bekannten Übersetzungen Valla’s kommt die
genannte Demosthenes-Übersetzung neu hinzu, welche die Urbina-
tische Handschrift 337 an der Spitze einer Pieihe von Schriften des
selben erhalten hat 9 ).
Sammlung verwiesen, in welcher Bruni, wie einer der ältesten, so unstreitig
der bedeutendste und fruchtbarste Vertreter dieser Litteraturgattung, Aus
kunft gibt über seine Arbeiten auf diesem Gebiet und erkennen lässt, wie
rasch diese Übersetzungen sich verbreiteten, wie sehr sie begehrt waren,
wie Fragen und Discussionen sich daran knüpften: kurz man sieht, dass
diese Litteratur ihr Publicum hatte und ein Medium abgab zur Verbreitung
classischer Bildung, und das, denke ich, ist ein wesentliches Moment bei
Beurtheilung dieser Leistungen.
8 ) Siebe den vierten Excurs.
9 ) Die Übersetzung liegt mir in einer sehr accuraten Abschrift, die Herr Dr.
Hugo Hinck für mich besorgt hat — mit Ausnahme der ersten 4 Seiten, die
Herr Aug. Lorenz abgesehrieben — vollständig vor: doch habe ich den
Abdruck des Ganzen nicht rätblich gehalten, sondern mich beschränkt, ein
längeres Stück aus dem Anfang und den Schluss mitzutheilen: ersteres
habe ich so weit ausgedehnt, um eine am Anfang verstümmelte Wiener
Handschrift derselben Übersetzung, über deren eigenthümliche Bewandtniss
der fünfte Excurs nähere Auskunft gibt, noch eine ziemliche Strecke ver
gleichen zu können. Ausserdem schien es zweckmässig, auch von Bruni’s
Laurentii Vallae opuscula tria. 1.
17
Die Perle Demosthenisclier Beredsamkeit, die Rede vom Kranz,
hatte schon im Alterthum den Cicero zu einer lateinischen Nachbildung
gereizt, indem er, gleichsam als Ergänzung seiner im Orator nieder
gelegten Theorie, an dieser und Aeschines' Gegenrede seinen Zeit
genossen ein Muster des ächten attischen Stiles darbieten wollte.
Doch hat sich von Cicero’s Übersetzung ausser der Vorrede (de
optimo geilere oratorum) nichts erhalten.
Im Anfang des XV. Jahrhunderts aber hatte Leonardo Bruni
neben einer Reihe anderer Reden des Demosthenes auch diese von
neuem ins Lateinische übertragen 10 ).
Diese Umstände hätten andere von einem nochmaligen Versuche
eher abgeschreckt. Für Valla lag gerade ein besonderer Reiz darin,
an dieser schon im Alterthum und wieder von einem gefeierten Hu
manisten übertragenen Rede von neuem seine Kraft zu erproben und
so gleichsam den doppelten Wettstreit mit dem griechischen Redner
und seinem lateinischen Nachbildner zu bestehen. Denn gälte es blos
zu übersetzen, so, meinte er, sei die Aufgabe weder so schwierig
noch so verdienstlich, wie manche glaubten, deren Schriftstellerruf
fast einzig auf Nachbildungen antiker Litteratur gegründet war.
Komme ja doch das meiste von dem, was in Übertragungen Lob
verdiene, auf Rechnung des Originals, während dem Übersetzer
nichts bleibe als das Verdienst der Sprache. Im vorliegenden Falle
aber wuchsen die Schwierigkeiten mit den gesteigerten Ansprüchen,
welche man an eine zweite Übersetzung desselben Originals zu machen
berechtigt war, zumal Valla selbst die Vergleichung herausforderte.
Denn nicht weil Bruni’s Übersetzung mangelhaft sei, trachte er sie
zu überbieten, sondern im Gegentheil, weil sie gelungen, wolle er
darthun, dass das, was jener gut gegeben, nicht minder gut in
anderer Weise sich sagen lasse, und statt auf wortgetreue Wieder
gabe des griechischen Originals sich zu beschränken, bezwecke er
eine auch an sieb durch die Vorzüge lateinischer Beredsamkeit an-
Übersetzung eine Probe zur Vergleichung darzubieten: da mir keiner der
Drucke derselben, deren ich mehrere erwähnt finde, zugänglich gewesen,
so habe ich den betreffenden Abschnitt nach der Wiener Handschrift 3188
unter Vergleichung des nur ein kleines Stück des Anfangs enthaltenden
Wiener Codex 3121 (über welche beide näheres in dem genannten Excurs)
redigiert.
10 ) Siehe den fünften Excurs.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LSI. Bd. 1. Hft.
2
18
V a h 1 e n
sprechende Übertragung der griechischen Rede an die Seite zu
setzen.
Und in der That, vergleicht man Valla’s Übersetzung nur mit
Bruni, so darf man einräumen, dass er jene in der Widmung aus
gesprochenen Verheiss ungen nicht unerfüllt gelassen habe, und wird
leicht wahrnehmen, dass, während Bruni den Worten des griechischen
Redners getreulich folgt, Valla mit grösserer Freiheit der Bewegung
und unter sorgfältigerer Beachtung des lateinischen Rhythmus vieles
kräftiger und glücklicher übertragen hat, die Mängel aber, die beiden
anhaften, wird billige Beurtheilung der Zeit zu gute halten.
Laurentii Vallae opüscufä tria. 1.
19
ERSTER EXCURS.
Valla’s oratio in principio studii habila. — Antidotum in Poggium. — Valla’s
Lehrthütigkeit in Rom. — Iosephus Bripius. —• Iohannes episcopus Atrebatensis.
Von Valla's Rede in principio studii sind mir drei Handschriften
bekannt, eine Venetianische, cod. Marcianus XI. 77 (XCVII. 6) und
zwei Florentiner, ein Riccardianus 914, und ein Laurentianus bibl.
Gadd. plut. LXXXX super, cod. II. 1 ^Bandini Catul. codd. Laur. Lat. III
col.423J. Aus der ersten hat die Rede ein früherer Zögling desWiener
philologischen Seminars HerrA. Casagrande für mich abgeschrieben:
von den beiden anderen danke ich sorgfältige Vergleichungen Herrn
Dr. Hugo Hinck, der auch den Marcianus nicht ohne Nutzen einer
Nachvergleichung unterzogen hat. Die grosse Lücke in letzterem —
es scheint ein ganzes Blatt zu fehlen — wird durch die Florentiner
Handschriften glücklich ergänzt, von welchen jedoch der Riccardianus
im übrigen äusserst nachlässig geschrieben und von geringem
Werthe ist.
Valla’s Rede war Tiraboschi nicht unbekannt, der in der Storia
della letteratura italiana (seconda edizione Modencse) Tom. VI,
p. 1066 sowohl die Venetianische als auch die Laurentianische Hand
schrift anführt: doch scheint er mehr von ihr als die Aufschrift mit dem
Datum die XVIII. octobris 1433 nicht gesehen zu haben, und diese er
regt ihm unschwer zu beseitigende Bedenken: ma io sospetto, schreibt
er, di qualche errore in que'numeri,perciocchb i documenti da me
accennati non ci permettono di dubitare, che assai prima di quel-
l' anno non cominciasse il Valla a teuere scuola in Roma. Allein an
dem in der Aufschrift genannten Jahr 1455 lässt der Umstand keinen
Zweifel zu, dass in der Rede selbst Pabst Calixtus III. ausdrücklich
genannt wird, der am 8. April 1455 den päbstlichen Stuhl bestiegen
hatte. Anderseits wird allerdings die Thatsache, dass Valla mehre
Jahre vor 1455 öffentliche Vorlesungen an der Universität zu Rom ge
halten, aus seinen Streitschriften gegen Poggio erwiesen, auf deren
Datierung näher einzugehen, nicht zwecklos erscheinen wird.
2*
20
T n h 1 e n
Auf Valla’s höhnische Bemerkung, dass Poggio acht Monate über
seiner ersten Invective gearbeitet habe *), entgegnet Poggio (Invect. I,
fol. 81 r. Poggii opera. Arg ent- 1813): cum mense Octobris e balneis
revertissem, circiter Kalendas Decembris librum Epistolarum vidi,
in quo emendatoris nostri repreliensiones continebantur: mense Fe-
bruario orationem edidi. Ich nehme an, dass das Jubeljahr 1450 ge
meint sei, in welchem Pabst Nicolaus V., um der in Folge der zu
sammengeströmten Menschenmenge ausgebrochenen Pest auszuwei
chen, den Sommer und Herbst in Fabriano und Assisi zubrachte
(Georgius Vita Nicolai V. p. 81 ff. Marini Archiatri pontificii I
p. 146). Diese Gelegenheit hatte Poggio, wie er in der Widmung und
dem Eingang der in diese Zeit verlegten und bald nachher herausge
gebenen Disceptationcs convivales erzählt, zu einem Besuche in
seiner Heimath Terra nuova benutzt, wobei Florenz, das er fast alljähr
lich zu besuchen pflegte 3 ), natürlich nicht umgangen ward. Auf letzte
ren Besuch deuten Valla’s Worte *), sowie der Umstand, dass er dem
damals in Florenz lebenden Gianozzo Manetti die-Bolle zugetheilt, den
Poggio von einer Invective gegen Valla abzumahnen. Demnach ergän
zen wir Poggio’s eigenes Zeugniss dahin, dass im Februar 1451 seine
Invectivaprima gegen Valla erschien, welche dieser in demselben
Jahre durch sein Antidotum in 3 Büchern beantwortete, an deren
erstem er im Mai 1451 schrieb s ). Hiermit mochte Valla glauben, sich
U Antidotum I p. 233 (Laur. Voll. Opera. Basileae 1840): utinam ... de
edenda invectiva quempiam consuluisset prudentium amicorum vel Flo-
rentiae vel Romae; nam eam plus quam per octo menses utrobique com-
posuit. Vgl. Antidot. II p. 299: solidtim prope annum consumpsit in fabri-
canda invectiva.
2 ) Vgl. Dialogus contra hypocrisim im Eingang (Brown Append. ad fasciculum
rerum expet. et fug. Tom. 11 Lond. 1690 p. 871): consuetudo autem ita
iucunda nobis, ut cum Florentiam aecedo, fit autem ferme annis singulis,
is'imprimis a me amicitiae nostrae gratia visitetur.
3 ) Antid. I. p. 273, wo Valla ein thiitliches Rencontre zwischen Poggio und
Georgius Trapezunlius erwähnt, schreibt er: Tu vero quo pacto et facias et
patiaris iniuriam , vel hodiernus dies, qui est ante IVnon. Mail, testis est.
Dies kann, wie die weiterhin zusammenzustellenden Nachrichten zeigen, nur
der 4. Mai 1431 sein, und schon hieraus ergibt sich der Irrthum vonClausen
Laurentius Valla p. 237, der von Poggios erster Invective annimmt, dass
sie Februar 1432 herausgegeben worden, um von Zumpt's Verwirrungen
zu schweigen, die Voigt Wiederbel. 341 ablehnt, ohne selbst in die Frage
gründlicher einzugehen. — Die drei Bücher Antidotum bilden ein zusammen-
Laurentii Vallae opuscula tria.
21
und der Sache Genüge gethan zu haben, und erwartete wohl kaum
noch eine Erwiderung von Poggio: doch darin täuschte er sich.
Poggio antwortete in einer Incectiva secunda, die, wenn auch noch
14SI begonnen, bei Poggio's langsamerem Arbeiten wohl erst 14S2
herausgegeben ward, und der dann, um auch der Bücherzahl von
Valla’s Antidotum nichts nachzugeben, noch eine Invectiva tertia
und quarta folgten.
Valla scheint anfänglich wenig Lust verspürt zu haben, noch ein
mal in voller Rüstung auf dem Kampfplatz zu erscheinen. Nachdem
Poggio’s Invectiva //erschienen, aber Valla noch nicht zu Gesicht
gekommen war, schrieb er den Dialog Apologus (woraus Poggio
Invect. V. fol. 92. 93, ich weiss nicht, oh absichtlich, um frostige
Wortwitze daran zu heften, apologia macht), in welchem er in lau
niger Weise seine Stilkritik an Poggio's Briefen fortsetzte (audio,
beginnt er p. 366, Poggium alteram in me composuisse invectivam),
und einen zweiten, in welchem er das neueste Opus Poggio's (p. 376
ille celeberrimus (Über), tertio ■ abhinc anno compositus de
tribus convivalibus quaestionibus; vgl. 286. 295) einer mehr sach
lichen Prüfung unterzieht. Beide Dialoge sind rasch hinter einander,
und zwar, wie man annehmen muss, 1452 aufgesetzt worden.
Mehr kam es Valla darauf an, Urtheile anderer über seine drei
Bücher Antidotum einzuholen. Er hatte sie dem Gianozzo Manetti
gezeigt, als derselbe im März 1452 in der Gesandtschaft von Florenz
zu Friedrichs Kaiserkrönung nach Rom kam (Georgius Vita Nicolai
p. 106). Auf diesen Besuch Manetti’s nämlich glaube ich Valla’s
Worte Antidot. IV p. 335 fg. zu beziehen: etiam de opere meo Flo-
rentia iudicasse dicenda est, quandoquulem lannotius Manettus
vir eruditissimus cum legatus Florentinorum hie esset, cui defen-
sionem causae meae ostendi, exclamavit . . . nonne praedixi fore
ut Poggium poeniteret ... Et tu eum mihi subiratum fingis, quod
se fecerim obiurgantem ineptias tuas, quasi aut tune cum legatus
erat aut nuper cum Romam venit ’*) mecum de liac re expostula-
hangendes Ganzes, doch wurden sie einzeln, wie sie fertig waren, den
Freunden mitgetheilt. Antid. II 282: postquam per eos, quibus parlem
hidus responsionis ostendi, indicatum tibi est. 284: ab aliquo, qui vel a
me audivit, aut apud Antidotum meum legit.
4 ) Die hier gemeinte Übersiedelung Manetti’s nach Rom muss in das Jahr 1433
fallen, da Manetti selbst in der Vita Nicolai (Muratori Script, rer. ital.
22
V a h I e n
verit. Ebenso batte Valla in demselben Jahre 1432 dem Pabst Nico
laus das Archetypum seines Antidotum vorgelegt, worüber er An
tidot. IV p. 335 schreibt: certe summus pontifex, cui archetypum
meae defensionis ostendi, idem ipsum quod Venetias perlatum est,
simul ac perlegit, quingentis me papalihus avreis sua manu dona-
vit, ob absolutum quidem a me Thucydidem, quasi inter me et te
sententiam ferens. Denn von der Thucydidesübersetzung wissen wir
durch ein unten (Vierter Excurs) anzuführendes Zeugniss, dass das
für den Pabst bestimmte Exemplar am 13. Juli 1452 fertig geworden.
Das nämliche Exemplar des Antidotum, das er dem Pabste vorge
legt, ging, wie er a. a. 0. sagt (vgl. 325), auch nach Venedig, zu
nächst an denLaurentiusZaima, den archiepiscopusAspalatensis, der
es unter den dortigen Gelehrten verbreitete (p. 331): und ebendahin
schickte er den Apologus sowie den zweiten Dialog, den letztem
ganz so unvollendet (opusculum necdum absolutum: Antid. IV 330),
wie wir ihn heute haben. Beide lagen dem Antidotum IV, in welchem
sie wiederholt erwähnt werden (326. 333) , voraus.
Auch an den ihm damals persönlich unbekannten Franciscus
Barbaras in Venedig wendete sich Valla mit einem Brief und unter
Zusendung seiner gegen Poggio gerichteten Streitschriften s). Die
III P. II) p. 927 D bemerkt, dass er septimo pontificalus anno d. i. 1453 als
päbsjlicher Secretiir nach Rom gegangen sei. Aus Naldi’s Vita Manetti
(Muratori Scr. XX p. 578 (V.) und Vespasiano’s mit jenem übereinstimmenden
Erzählungen (Mai Spicil. Rom. I p. 583 fg.) ist über die Zeit nichts rechtes
zu entnehmen. Marini ArchiatriPoniificii I 14G schreibt, Manetti sei 29. Juli
1451 zum Secrelär von Nicolaus V. ernannt und von Pius II. 27. December
1458 in diesem Amte bestätigt worden. Doch die Ernennung erfordert, was
auch für andere Fälle gilt, nicht die Übersiedelung nach Rom und den so
fortigen Antritt des Amtes.
5 ) Der Rrief an Barbarus (Francisci Rarbari Epistolae. Brixiae 1743. p. 324)
ist leider undatirt. Auch ist mir nicht klar, wie man zu verstehen habe,
was Valla in diesem Briefe schreibt: mitto isluc alteram responsionem
adversus alterum aceusatorem, ideoque ntrumque meum opus Antidotum
appellavi: de quibus libris meis si non male seniles, aggrediar iertium
Antidotum adversus alteram Poggii invectivam, multo quam prwr fuit
impudentiorem eoqne confutatu faciliorem. Welches ist das utrumque opus,
das Valla Antidotum genannt hat? Die drei Bücher Antidoti gehören zusam
men und bilden ein Ganzes : daneben waren nur die beiden Dialoge geschrie
ben. Denn das Antidotum Iertium , das gegen Poggio’s Invectiva altera erst
geschrieben werden soll, ist das von Valla selbst Antidotum /Fgenannte.
Laurenlii Vallae opuscula tria. I.
23
von Venedig einlangenden für Valla schmeichelhaften Antworten ver
öffentlichte er in dem Antidotum IV.
Als ihm endlich Poggio' s Invectiva secunda zu Händen gekommen
war, entschloss er sich auf Andringen seiner Freunde, diese eine —
und auf mehr bezieht sich sein Antidotum IV nicht — noch zu beant
worten (p. 326); er that es (nach p. 342) ein Jahr später als jene
herausgekommen, womit für die Abfassung des Antidotum IV das
Jahr 1433 gewonnen ist, und dieses Datum lässt sich überdies durch
mehrere in ihm selbst enthaltene Angaben sicher stellen und enger be
grenzen. Indem Valla p.3Sl die von Poggio gegen sein Lehen in Pavia
geschleuderte bösartige Verleumdung abwehrt, schreibt er: verum ut
credatur tibi fabella, non affers testes vivos praesentesque loannem
Campesium, qui nudius tertius creatus est episcopus Placentinus,
qui Papiae in patria sua me novit, non episcopum Atrebatensem
tune abbatem et auditorem meum, non Ioseplium Brippium papalis
regesti praesidem, non Maphaeum Vegium papae dratarium °), non
Candidum collegam tuum, quos tres in libris de vero bono in ea urbe
conditis feci loquentes, non alios plurimos, sed mortuum, sed eum
qui postquam Papia in concilium Basiliense iam archiepiscopus Me-
diolanensis profectus est, te numquam vidit, sed eum qui ante me
ex ea urbe discessit etc. Auf den episcopus Atrebatensis und den
Iosephus Bripius werde ich, um diese Erörterung nicht zu unter
brechen, besonders zurückkommen, da ihre Nennung für die Datirung
des Antidotum IV zwar nichts ergibt, für sie selbst aber aus der
hiesigen Erwähnung einiges zu gewinnen ist. Was aber den Ioannes
Campisius, Aeneas Sylvius’ Freund, betrifft, so entnehme ich aus
Ughelli Italia sacra II p. 289, dass derselbe Papiensis ecclesiae
cantor sublectus Placentinus episcopus est 14S3, 10 Kal. Ap^ilis
(23. März). Der Umstand ferner, dass Valla den P. Candidus Decem-
brius 7 ) den Collegen Poggio’s im Secretariat nennt — Valla seihst
6 ) Soll datarium heissen: über die Bedeutung- dieses Amtes an der Curie
gibt Marini Auskunft Archiatripontificiil p. 274 fg.
7 ) Den Candidus Decembrius hatte nach Marini Archiatri pontif. II p. 147
Pabst Nicolaus V. am 7. Mai 1450 zum Secretiir ernannt, und am 15.
messoloin eserchio: womit zwar nicht iin Widerspruch, aberauchnicht recht
in Übereinstimmung ist, dass Franciscus Barbaras in einem Briefe Venetiis
pridie Kal. Malus MCCCCLIll (Epistolac Fr. B. p. 315 fg.) dem Candidus
dazu Glück wünscht, dass er von Mailand weg in den sichern Port bei
24
V a h 1 e n
war damals nur apostolischer Scriptor — zeigt, dass Poggio noch
als päbstlicher Secretär an der Curie war, was er bis zum Tode des
Carolus (Marsuppini) Aretinus verblieb; erst nachdem dieser, den
Valla Antidot. II p. 286 cancellarium Flor ent intim . ■ . Florentiae
profitentem nennt, am 24. April 1453 gestorben war, ward Poggio,
dem bei einer früheren Bewerbung Carolus Aretinus vorgezogen
worden (Valla a. a. 0.), zum Staatskanzler von Florenz berufen
und trat im Juni 1453 sein neues Amt ans). Mit Poggio's Entfernung
von Rom scheint der Streit seinen acuten Charakter verloren zu
haben; wenigstens hat Poggio, der in einer fünften Invective Valla's
ersten Dialog noch bedacht hat, auf das Antidotum IV nicht mehr
in einer besondern Schrift geantwortet, sondern nur in Briefen seinem
Groll Luft gemacht, von denen einige bei Mai Spicileg. Rom. IX
p. 631 ff. auszugsweise gedruckt sind.
Dasselbe Ergebniss, dass Valla in den Monaten März und April
an dem Antidotum IV geschrieben, bietet folgende Erwähnung des
Cardinais Nicolaus Cusanus dar (Antid. IV p. 34.0): inde a discessu
doctissimi viri et graecarum litt et'ar um peritissimi Sancti Petri
’ cardinalis . . . cuius verba ipsius chirograplio linec ad me sunt, et
si- non credis, eum interrogato, qui adest nuper reversus ex
legatione, cui te scio multa de me impudentissime fabulatum.
Cusanus») war von seiner legatio germanica, die er im December
Nicolaus eingelaufen. Dass Candidus wenigstens im Anfang des Jahres 1453
in Rom in seinem Amte war, dafür bürgt unsere Stelle.
8 ) Vgl. Recanati Vita Poggii bei Muratori Script, rer. ital. Tom. XX 174.
Marini Archiatr. pontif. II 127 bemerkt, dass Poggio IS. Mai 1433 auf
^seinen Scrittorato an der Curie Verzieht geleistet (u. dass ihn Calixtus III.
1453 wieder zum Seeretiir ernannt habe). Hierher gehört auch ein Brief
Poggio’s (Mai Spicil. Rom. X p. 227) an Pabst Nicolaus Florentiae XI. Kal.
Iulias, den Poggio geschrieben, nachdem er sich eben in Florenz in seiner
neuen Stellung eingerichtet.
») Ebenda p. 340 theilt Valla einen Brief des Nicolaus Cusanus 'ex Fabriano
ultima AugustP mit, von dem er sagt, dass er duobits fere annis antea
geschrieben sei; das kann nur August 1430 gewesen sein; Cusanus war
im Anfang dieses Jahres nach Rom gekommen, um den rothen Hut in
Empfang zu nehmen (Georgius Vita Nicolai p. 78), und hielt sich dann im
August dieses Jahres mit anderen Cardiniilen bei Pabst Nicolaus in Fabria-
num auf (Georgius a. a. 0. p. 81). Valla’s Ausdruck duobus fere annis
antea ist daher nicht genau, was, da der Brief vermuthlich ein Jahres-
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
25
14150 angetreten (Georgius Vita Nicolai p. 89), am 5. März 1453
nach Rom zurüekgekehrt, von wo er am 29. Mai in sein Bisthum
Brixen abging (Georgius a. a. 0. 131). Ferner Franciscus Barbaras
zum Frieden malmende Antwort an Valla, welche dieser in das
Antidotum IV p. 334 aufgenommen, ist vom 14. März datirt; denn
das bei Valla stehende Datum Venetiis primo idus Martias wird
das richtige sein, wonach das Datum Venetiis pridie idus Ma'uis
MCCCCLIII in Francisci Barbari Epistolae p. 326 zu corrigiren
ist io).
Hiernach also darf als festes Resultat gelten, dass Poggio den
Streit mit Valla durch die im Februar 1451 herausgegebene In-
vectiva prima eröffnet, Valla auf dieselbe um die Mitte desselben
Jahres mit den 3 Büchern Antidotum in Poggium geantwortet hat,
worauf im Jahre 1452 Poggio’s Invectiva secunda, tertia, quarta
und quinta folgten und gleichzeitig beide Dialoge Valla’s geschrieben
wurden, der alsdann mit dem im ersten Drittel des Jahres 1453 n)
ausgearbeiteteii Antidotum IV von seiner Seite dem Streit den Ab
schluss gab.
Und so wird sich denn auch der Anfang von Valla’s öffentlicher
Lehrthätigkeit bestimmen lassen, deren in dem Antidotum wiederholt
Erwähnung geschieht.
Das Lehramt der Rhetorik ward, nachdem der päbstliche
Secretär Rinuchius aus Gesundheitsrücksichten seine Vorlesungen
eingestellt hatte (Valla Antid. II 286), nur mehr von einem, dem
Georgius Trapezuntius versehen, durch dessen abschätzige Behand
lung des Quintilian Valla veranlasst ward, gleichfalls öffentliche
Vorlesungen zu halten, und er wusste es durch einige ihm günstig
datum gar nicht halte, nicht zu verwundern ist. Sicherlich kann diese Stelle
nichts gegen das anderweitig verbürgte Datum des Antid. IV beweisen.
10 ) Um dieselbe Zeit, nonis Martiis 1433, ist auch der an beide Streiter
gemeinsam gerichtete Brief von Philelphus (Francisci Philetß Epistolae
Venetiis 1302, t'ol. 73) geschrieben, da eben beide damals noch zu
sammen in Rom waren.
**) Dieses Jahr für die Abfassung des Antid. IV ist durch so viele unzweifel
hafte Indicien fcjstgestellt, dass man auch von diesem aus rückwärts über
den Anfang des Streites Schlüsse ziehen dürfte. Und auch so will es mir, wenn
man sich den ganzen Hergang vergegenwärtigt, durchaus unwahrscheinlich
Vorkommen, dass Poggio’s erste Invective erst Februar 1432 und nicht
schon 1431 geschrieben sei.
26
V n h 1 e n
gesinnte Cardinäle durehzusetzen, dass er, obwohl eine zweite Stelle
nicht zu besetzen war, neben Trapezuntius mit gleicher Besoldung
zum Professor bestellt ward: ego reddidi superiiis causam, cur ad
concurrendum cum Trapexuntio omnium rhetomm ut ferebatur
hac tempestate doctissimo adductus sim, etsi rhetoricae lectio,
ut nunc quoque, non habebat concurrentern, idqiie feci clam
summo pontifice, quem scirem non libenter auditurum aut me
alt er i rei quam interpretationi vacare, aut Trapexuntio suo
praesertim secretario negotium exliiberi. Sed Quintiliani iniuriam
toterare non potui, tametsi plurimi viri oratoriae artis studiosi
me ad legendum hört are nt ur, qui etiam cum aliquot cardinalibus
egerunt, ut ego pari cum Trapexuntio salario ad legendum con-
ducerer (Antidot. IV 348 vgl. II 286. 287). Ein halbes Jahr lang
las Yalla neben Trapezuntius, verleidete aber diesem die Lust am
Lesen so sehr, dass derselbe im folgenden Schuljahr aufseine Vor
lesungen verzichtete Antid. IV 335 : quorum denique nemo est non
mecum summa amicitia ac familiaritate coniunctus praeter unum
absentem ubique inimicissimum, Georgium Trapezuntium, cum quo
dimidium annum in legenda rhetorica contendi, quod Quintilianum
non desisteret incessere, in cuius gratiam redii, quod in sequenti
anno maluit non amplius legere quam contendere. Georgius hatte,
als Valia dies schrieb, nicht bloss sein Lehramt aufgegeben, sondern
auch die Curie und Rom bereits verlassen; aus einem Briefe des
selben an Franciscus Barbaras (Fr. Barbari Epistolue p. 296) ex
iVeapoli XV. Kalendas Octobris 1432 geht hervor, dass er nicht gar
lange vorher in Neapel und im Dienste des Königs Alphons sich
häuslich niedergelassen hatte. Um die Zeit näher zu bestimmen, wann
Georgias zu lesen aufgehört habe, kommt noch in Betracht, dass
Yalla Antidot. II 286, indem er die namhafteren Lehrer der Rhetorik
jener Zeit aufzählt, den Georgius Trapezuntius mit dem Zusatz e -
wähnt, qui superiore anno a docendo cessavit, so dass, wenn unsere
Annahme richtig ist, dass die drei Bücher des Antidotum 1451 ge
schrieben sind, Georgius schon 1450 zu lehren aufgehört hat, und
da Valia in dem Antidotum IV (also im März oder April 1453)
schrieb (p. 342) : Deus te perdat. . . qui amplius ab ista tua invec-
tiva triennio, hoc est abhinc quadriennio, transisse temporis ais,
ex quo id gestum est, cum non amplius tribus iam annis legerim,
so fassen wir das Ergebniss dieser Angaben dahin zusammen, dass
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
27
Valla seit der Mitte 1430 ein halbes Jahr lang neben Trapezuntius
Vorlesungen gehalten, dann aber, da dieser mit dem Beginne des
neuen Schuljahrs October 1430 resignirte, von da ah allein das
Lehramt der Rhetorik inne gehabt habe. Das genaue Datum der
Anstellung Valla’s müsste man in Rom unschwer eruiren können,
wie wir durch Marini’s unvergleichliche Accuratesse über die Daten
seiner sonstigen Stellungen an der Curie auf das genaueste unter
richtet sind; doch würde man sich irren, wenn man in dem ober
flächlichen Buch von Jos. Carafa De gynmasio Romano (Romae 1731)
über dergleichen Auskunft erwartete.
Wenn also Valla seit 1430 las, so kann die 1433 gehaltene
Oratio in principio studii nicht Valla's Antrittsrede sein, wofür sie
Tiraboschi wegen der schwerlich von Valla seihst herrührenden Auf
schrift in principio sui studii nahm. Denn nicht um damit sein
eigenes Lehramt zu inauguriren, sondern hei der alljährlich wieder
kehrenden feierlichen Eröffnung des Schuljahres hat Valla die Rede
gehalten, deren ähnliche er, wie man aus dem Eingang entnimmt,
schon mehre in Rom vorher mit angehört hatte. Und diese Gattung
von Reden ist in der humanistischen Litteratur des XV. Jahrhunderts
nicht spärlich vertreten: von Guarinus in Ferrara, von Philelphus
in Florenz und Mailand sei es allgemein in principio studii oder
zur Eröffnung einer besonderen Vorlesung gehaltene Reden werden
mehrfach erwähnt. In demselben Jahre mit Valla’s Rede hatte sein
Schüler Ioannes Antonius Campanus zu Perusia initio studii eine
.Rede gehalten, in der ergänz in der Weise, wie es Valla als zu
Rom üblich bezeichnet, einen encyclopädisehen Überblick über die
verschiedenen Wissenschaften, die gelehrt werden sollen, gab, und
war dies allerdings auch Campanus' Antrittsrede in Perugia, so war
davon ihr Zweck, der Eröffnung der Studien zu dienen, unberührt.
(Die Rede ist gedruckt in der von Michael Fernus 1495 besorgten
Sammelausgabe der Werke des Campanus. Vgl. Camp. Epist. Ed.
Mencken. II 1 p. 50 und II 2 p. 53.)
* *
*
Ich komme zurück auf den an der oben S. 23 mitgetheilten Stelle
des Antidot um IV p. 35! genannten Ioseplmm Brippium, papalis
regesti praesidem. Es ist aus dem Zusammenhang klar, dass Brippius
oderBripius, den Valla in Pavia gekannt hatte, damals d. h. 1453
als noch unter den lebenden erwähnt wird. Nun berichten Tiraboschi
28
V a h 1 e ii
Storiad. lett. ital. VI p. 916, Mazzuchelli Scrittori cCltalia. Tom. II
P. IV p. 2113, Saxius in der Historia typogr. litt. Mediolan. (vor
Argelati Bibi, script. Mediol.) I col. CCCXXXIX, und Argelati selbst
Bibi, script. Mediol. I P. II col. 230, dass Bripius zu Rom im Jahre
1430 im Alter von 80 Jahren gestorben sei; und zwar geht die
Nachricht zurück auf die von Argelati a. a. 0. mitgetheilte Inschrift
auf Bripius' Grabstein, in der es nach einigen mittelmässigen Versen
heisst: obiit Romae XI. Kal. Septembr. Anno Domini MCCCCL. /
Yixit annis LXXX. Dennoch kann kein Zweifel sein, dass dies in
Stein gehauene Zeugniss vor dem Citat bei Valla unbedingt zu
weichen hat; überdies ist es an Valla’s eigenem Beispiel bekannt,
wie wenig zuverlässig in den chronologischen Angaben die Grab
steine sind, da das, was der jetzt, wie es scheint, verschwundene
Grabstein über dessen Todesjahr und Lebensdauer angibt, mit den
unzweifelhaftesten Daten im Widerspruch ist 12 ); mit einer Grab
schrift des Facius hat es, wie Mehus Facius de viris illustribus
p. XXVI auseinandersetzt, eine ähnliche Bewandtniss, und über
dies sehe man noch, was derselbe Mehus Ambrosii Traversarii Epis-
tolae p. LXXXII über eine Grabschrift von Nicolaus Niccoli mittheilt.
Doch Bripius hat seinem Grabstein zum Trotz im J. 1453
nicht bloss noch gelebt, sondern auch noch gedichtet. Die von
Stephan Porcarius in Rom angezettelte und nach ihm benannte
coniuratio Porcaria, die im Januar 1433 entdeckt und unterdrückt
ward, hat poetische Bearbeitungen gefunden; eine derselben, über
deren Verfasser Oratius Romanus an anderer Stelle noch zu reden
sein wird, hat Vossius Histor. Lat. (Lugduni lGUI) III p. 384
erwähnt und den Anfang: Insidias patriae qui struxit et arma
parenti cet. aus einem Cod. Am. Buchellii mitgetheilt. Ein anderes
Gedicht über denselben Gegenstand führt Dom. Georgius in der
Vita Nicolai V. p. 130 aus der Vaticanischen Handschrift 3618 an,
das, wie er sagt, quidam Iosephus gedichtet und dem Pabst Nicolaus
gewidmet habe. Mancherlei Umstände legten den Gedanken nabe,
dass dieser Iosephus kein anderer als Iosephus Bripius sei, doch
hätte ich vielleicht Bedenken getragen, die Vermuthung auszu-
12 ) Obwohl dies bekannt und von mehreren gesagt ist, so liest man doch in
Fr. Überwegs Gesell, der Philos. III S. II : 'Laurentius Valla geh. zu Rom
1413, gesf, ebendaselbst 1463’, genau wie der Grabstein angibt.
Laurentii Vallae opuscula tria. I-
29
sprechen, wenn nicht eine Anfrage in Rom sie zur Gewissheit er
hoben hätte. Herr Dr. Hinck theilt mir auf meine Bitte die Aufschrift
jener Vaticanischen Handschrift mit, welche genau so lautet: Ad S.
d. nrm Pontificem maximum Nicolaum V. / Conformatio Curie
Romane loquentis edita per / E. S. Oratorem Ioseph B. doctorem
et c cum hu/mili semper recomendatione.
Das Gedicht selbst, dessen erste 14 Verse Georgius hat ab-
drucken lassen, beginnt Cum tua sancte pater — und schliesst
fol. 8 v.
Ac tandem in Christo per tot benefacta triumphans
Ecclesie et populo felix regnabis olympo.
—: Deo Gratias : —
Der Annahme, dass die Initiale B. in der Aufschrift Bripius
bezeichnet, wird man kein Bedenken entgegensetzen, wenn man
andere Aufschriften dieses Dichters, welche den vollen Namen ent
halten, vergleicht Die Wiener Handschrift, welche Endlicher n.
CCCLXXX beschreibt (3219 des neuen Katalogs), enthält einige
Heiligengedichte des Iosephus Bripius, in denen allen er in den
Scldussversen yosepli brypius oder bripius sich nennt, vollständiger
in dem letzten Gedicht:
En ego sancte pater tibi devotissimus olim
Bripius Ule yosepli; indignus doctor itemque
Prespiter indignus, genuit quem magna potensque
Urbs Mediolani cet.
Das erste dieser Gedichte nun trägt die Aufschrift: Landes
sancti allexii per yosepli brypium / ei' devotum doctorem et Ce
dite rome anno / MCCCCL, und eine Vergleichung dieser mit der
oben aus der Vaticanischen Handschrift gezogenen lässt an der
Identität der Verfasser nicht zweifeln. Die Gedichte der Wiener
Handschrift sind mit Ausnahme des ersten auf den heiligen Alexius
ungedruckt und in Mazzuchelli’s, Saxius’ und Argelati’s Verzeich
nissen der Schriften des Bripius nicht genannt. Es sind folgende:
de sancta Agnete; de sancta Maria Magdalena; Landes sanctae
Barbarae; de sancta Caecilia, welches letztere (was zur Ergänzung
der Beschreibung bei Endlicher angeführt sei) den ganzen Schluss mit
dem vorangehenden Gedicht übereinstimmend hat, so dass der Ab
schreiber die Scblussverse nicht noch einmal geschrieben bat; laudes
sancti leronimi. Das erste Gedicht, laudes S. Alexii, welches Ar-
30
V a h 1 e n
gelati IIP. II p. 1963, und Mazzucheili a. a. 0. erwähnen >3), hat Frie
drich Haase in dem Winter-Programm der Breslauer Universität vom
J. 1861 ex schedis ü. Middeldorpfii herausgegeben, wobei ihm die
Wiener Handschrift entgangen und was mehr zu verwundern ist, dieser
Bripius so fremd war, dass er sich in seltsamen Betrachtungen über
seinen Namen, seine Zeit, seine Herkunft usw. ergeht 14 ).
Nachdem wir dem Bripius das Leben bis 1433 verlängert
haben, gelingt es ihm noch einige Jahre zuzulegen. Melius in den
Prolegomena zu Ämbrosii Traversarii Epistolae p. LXXVHI, wo
er eine auch von Saxius erwähnte und theilweise mitgetheilte
metrische Epistel des Bripius an Nicolaus Niccoli 15 ) vollständig aus
einer Ambrosianischen Handschrift abdrucken lässt (vgl. auch Melius
p. L und p. LXH), bemerkt, dass zu den von Saxius und Argelati
angeführten Schriften des Bripius noch hinzuzufiigen sei hexametrum
carmen quod extat in codice [cod. I v. 134. in 4] membranaceo
bibliotliecae amplissimiMarchionis Gabrielis Riccardii. . inscribitur-
que: Ad sanclissimum Dominum Nostrum Papam Calistum Tertium
sacrosanctae Romanae ac Universalis Dei Ecclesiae Pontificem
Maximum dpc. incipitque: Alme Calixte Pater Celeberrime Summe-
que Patrum tfc. In bis versibus se a Calixto III beneficiis auctum
fatetur Bripius. Die Art, wie Bripius sich hier als Verfasser kund
gibt, hat Mehus nicht angegeben, und dass dieses Gedicht mit
dem von Saxius und Argelati angegebenen Todesjahr des Bripius
in offenem Widerspruch steht, scheint er, obwohl er jene Ge
lehrten wiederholt nennt und für Bripius’ Leben und Schriften auf
sie verweist, übersehen zu haben. Pabst Calixtus III bestieg am
8. April 1433 den päbstliehen Stuhl und mindestens also bis eine
Strecke in dieses Jahr hinein muss Bripius gelebt haben. Es reiht
13 ) Tiraboschi a. a. 0. erwähnt eine Handschrift della libreria di S. Salvadore
in Bologna mit der Aufschrift: Laudes S. Alexii edite per los. Brippium
eiits devotum doctorem, edite Rome felieiter. Am Schluss steht: scripsit
Iohannes de Mediolano an. 1441 Rome, worin die Jahreszahl wohl ver
sehrieben ist.
14 ) Haase envähnt p. 4 auch noch zwei Handschriften des Gedichtes desancta
Agnete.
15 ) Das Gedicht schliesst nach Mehus’ Angabe: Decus verum vale. Papiae
tertio idus septembris per tuum Ioseph ordinariorum Mediolanensis ecclesiae
minimum.
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
31
sich übrigens dieses Gedicht den anderen von Saxius und Ärgelati
angeführten an, in denen er die Päbste Alexander V. und Martin V.
angesungen hatte.
Zu den an den mehrerwähnten Orten aufgezählten prosaischen
Werken des Bripius kommt endlich aus einer Wiener Handschrift
noch eine Rede hinzu, welche er zu Mailand gehalten zu der Zeit als
König Sigismund zur Krönung gekommen war: in dem Katalog der
Wiener Handschriften n. 3244 wird zwar der Verfasser der Rede
Ioseph Pippius genannt, doch ist in der Handschrift selbst der Name
richtig geschrieben fol. 143: Oro clurissimi doctoris et venerabilis /
religiosi dni losepbripii medioiah pro / iUustrissimo principe
philippo marin / duce mediolnnesi pnüciata cord serenissimo im-
patore Sigismundo.
Es bleibt noch übrig des ßisehofs von Arras zu gedenken, den
Valia an der Stelle, die uns zu dieser Betrachtung Anlass gegeben,
unter den in Rom lebenden Freunden erwähnt : non episcopum Atre-
batensem, tune abbatem et auditorem meum. Es ist zu bedauern,
dass Valia uns den Namen dieses Bischofs vorenthalten, der uns
der Nothwendigkeit einer spinösen Untersuchung überhoben haben
würde. Im J. 1433 gab es nämlich drei oder gar vier episcopi
Atrebatenses. Nachdem der Bischof von Arras Fortigarius de Pla-
centia am 21. Februar 1432 (d. i. 1433) gestorben war, wurde
10■ Kal. April. 1452 stilo gallico (d. i. 1433) Iacobus de Portugal
zu diesem Bischofsitz befördert, aber schon nach vier oder fünf
Monaten von Pabst Nicolaus V. ad archiepiscopatum Ulissiponensem
in Lusitania berufen. Gallia Christ. Tom. III. Paris 1723. p. 344.
Cardelia Memorie storiche de’ Cardinali. Rom. 1793. T. III p. 124.
Diesen kann Valia nicht meinen: denn da feststeht, dass derselbe,
nachdem er 1436 Cardinal geworden, 1439 in noch nicht vollendetem
26. Lebensjahr (zu Florenz) gestorben, so war er 1433, in welchem
Jahre Valia Pa via verliess, kaum geboren. Nach jenem wurde Johannes
Goffridus, Luxovii in Burgundiae comitatu geboren, in demselben
Jahre 1483 zum episcopas Atrebatensis ernannt. Gallia Christ-
Tom III p. 343 und Tom. I p. 32 fg. Cardelia a. a. 0. 147. An ihn
zu denken, macht der Umstand räthlich, dass derselbe, bevor er
Bischof von Arras wurde, Abt in seiner Ileimath Luxeuil (abbas
LuxoviensisJ gewesen und in dieser Eigenschaft den Concilien von
Ferrara und Florenz in den Jahren 1438 und 39 beigewohnt hatte.
32
V a h I e n
Ton ihm wäre es demnach nicht gewagt, anzunehmen, dass er schon
ein paar Jahre früher um 1433 als Abt unter Valla’s Zuhörern in
Pavia sich befunden. Doch ist mir nicht gelungen, ein bestimmtes
Datum, wann er Bischof von Arras geworden, das für unsern Zweck
von Wichtigkeit wäre, aufzufinden 1 «). Wenn es seine Richtigkeit
hat, dass lacobus Portugallensis am 23. März 1433 zum episcopus
Atrebatensis ernannt und erst nach 4 — 3 Monaten in das Erzbisthum
Lissabon versetzt worden, so könnte die Ernennung des Johannes
Goffridus nicht früher als in den Juli dieses Jahres fallen, was mit
den aus Valla’s Zeugniss gezogenen anderweitigen chronologischen
Daten nicht zu reimen ist. Dazu kommt, um die Verwirrung voll zu
machen, dass nach einem Gattin Christiana Tom. III p. 344 mit-
getheilten Actenstück ex probationibus historiae gentis Mont-
morenciacae das Bisthum Arras dem Johannes Goffridus streitig
gemacht wurde von Dionysius de Montmorenciaco, der für sich an
führte : quod episcopatus Atrebatensis per decessum Fortigarii de
Placentia Ultimi episcopi Atrebatensis durantibus tribus mensibus
ad electionem pastoris minime processerat et nullam electionem
fecerat sicque provisio episcopatus praedicti ad dispositionem
archiepiscopi Remensis . ■ devoluta fuerat, qui quidem . . de per
sona antedicti magistri Dionysii debite providerat. nihilominus
capitulum Atrebatense illiim admittere recusavit in favorem Io-
hannis Geolfroy alienigenae ord. S. B. se dicentis ins per bullas
apostolicas in dicto episcopatu habere etc. Iudicatum pro
Dionysio lit reciperetur et gauderet fructibus XXI Iulii anno 1433.
Auffallend ist, dass hierin des lacobus Portugallensis und seiner
Ernennung zum Bischof von Arras nicht nur keine Erwähnung ge
schieht, sondern der im Februar 1433 gestorbene Fortigarius de
Placentia ausdrücklich als ultimus episcopus Atrebatensis be
zeichnet wird. Wenn also jener Portugiesische Infant überhaupt zum
Bischof von Arras ernannt worden, so muss er doch das Bisthum nie
mals angetreten haben, und seine Versetzung in das Erzbisthum Lissa
bon kann nicht 4—5 Monate später als jene Ernennung fallen. Ander
seits möchte man nach den von dem genannten Dionysius vorgebrach
ten Gründen anzunehmen geneigt sein, dass lohannes Goffridus noch
i«) Den Ciaconius kann ich leider nur in einem älteren Drucke einsehen, der
zu nichts hilft.
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
33
■vor Ablauf der drei Monate seit Fortigarius am 21. Februar 1453
erfolgten Tode durch päbstliche Bulle zum Bischof yon Arras de-
signirt worden, und alles wäre klar und in Übereinstimmung, wenn
das von der Ernennung des Iacobus Portugallensis angeführte Datum
10. Kal. April. 1433 vielmehr von des Iohannes Goffridus Ernennung
zum Bischof von Arras zu gelten hätte. Doch wage ich nichts zu
entscheiden, und bemerke nur noch, dass wenn die Nennung des
episcopus Atrebatensis bei Yalla für die Datirung des Antidotum
nicht verwerthet werden kann, sie doch auch nicht geeignet ist, den
anderweitig gewonnenen Ergebnissen Abbruch zu thun.
Schliesslich sei noch eine Verwirrung berührt, die sich an
eben jene beiden episcopi Atrebatenses Iacobus Portugallensis und
Iohannes Goffridus knüpft. Georgius Vita Nicolai p. 164 schreibt,
dass 1455 beim Tode des Pabstes Nicolaus Iacobus episcopus Atre
batensis die Leichenrede gehalten, welche die Vaticanische Hand
schrift 3673 aufbewahre, und bemerkt über diesen episcopus Atreba
tensis des weiteren: paucis ante pontificis obitum diebus Atrebaten
sis episcopus ad Philippum Burgundiae ducem legatus designatus
erat [die nämliche Sendung des 'episcopus Atrebatensis vom
10. März 1433 erwähnt Georgius auch p. 160]: fuit autem e regio
Lusitanorum sanguine, Omnibus ingenii ac animi dotibus modestia-
que praeditus atque a Callisto III a. 1436 in amplissimum cardi-
nalium ordinem lectus, verum immaturo fato praeceptus: obiit enim
Florentiae, quum nondum XXVI. aetatis annum implevisset. Allein
dieser aus königlichem Blut stammende Iacobus (über den auch
Vespasiano Spicil. Rom. I 200 fg.) war nach dem oben mitgetheilten,
wenn er es überhaupt je gewesen, beim Tode des Pabstes Nicolaus
sicher nicht mehr episcopus Atrebatensis; auch war nicht dieser es,
welcher am 10. März 1435 mit einer Gesandtschaft an Herzog Philipp
von Burgund beauftragt worden, sondern Iohannes Goffridus (Gallia
Christiana III 345), und letzterer wird es also auch gewesen sein,
der die Leichenrede auf Pabst Nicolaus gehalten, über deren Ver
fasser die Vaticanische Handschrift Auskunft geben müsste. Iohannes
Goffridus galt übrigens wie als Gelehrter überhaupt so auch als
Redner, und von ihm ist es leicht zu glauben, dass er eine Ge
legenheit, eine Probe seiner Beredsamkeit abzulegen, nicht ungern
ergriff (Voigt Enea Silvio III p. 192).
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXl. Bd„ I. Hft.
3
34
V a h 1 e n
ZWEITER EXCURS.
Baptista Platamon. — Panormita’s Briefsammlung. — Valla in Pavia. —
Gaudentius Vanius.
Baptista Platamon oder Platamonius, dem Valla den Dialog de
professione zugeeignet, war einer der angesehensten und ein
flussreichsten Diplomaten und Räthe am Hofe König Alphons von
Aragonien. Ihn nennt Qurita Anales de Aragon. Tom. III fol. 319 r. b.
(1449) unter den Staatsmännern, die im Rath des Königs am meisten
gegolten: assistian al consejo por personas sabias en el dereclio
civil y canonico Baptista Platamon su Vicecanceller varon de
singulär prudencia y experiencia en las cosas del estado assi en
paz como en guerra usw. und bei demselben Carito erscheint
Platamon in den Jahren 1432—-1447 in verschiedenen diplomatischen
Missionen, an die Königin Johanna von Neapel, an Kaiser Sigismund,
an die Venetianer, an Herzog Philipp Maria von Mailand, und in
Unterhandlungen mit den Abgesandten des Pabstes Eugen, den
Deputirten der Republik Genua usw. J ). f urita nennt ihn III fol.
*) Die einzelnen Verhandlungen näher zu bezeichnen, ist für unsern Zweck
untergeordnet, doch setze ich die Citate aus Qurita Tom. III und Summonte
Historia di Napoli T. III hierher: 1432 Curita fol. 214 v. b. — 1433
fol. 219 v. a. b. — 1433 fol. 227 v. b. 230 v. a. — 1444 fol. 284 v. b.
und Summonte III p. 37. — 1443 fol. 292 v. a. — 1446 fol. 300 v. b.
301 r. a; v. b; Summonte III p. 33. 63. 67. 83. — 1447 fol. 308 r. b.
Vgl. noch Facius Res gestae Alphonsi fGraevius Thesaurus antiq.
Ital. Tom. IX P. 3) p. 147 F. — Herausheben will ich nur die Ver
handlungen mit den Genuesen, wobei im Auftrag des Königs Alphons Bap
tista Platamon und der auch aus Valla’s Schriften bekannte Juan de Olzina
(Reerim. in Fac. 464. 480. 626. Praef. in Raud. u. s.) fungirten, als
Gesandter der Genuesen aber Bartholomaeus Facius, wie er selbst erzählt
in Res gest. Alphonsi VIII p. 123 D. 126. 127. Er kam bei dieser Gelegen
heit, da die erste Verhandlung erfolglos blieb, ein zweites Mal in das Lager
Alphons. Das Creditiv, das er bei einer dieser beiden Gesandtschaften
von der Republik Genua erhalten hatte, steht in der Sammlung Epistolae
principum. Venetiis 1374. p. 12 und trägt das Datum X Sept. 1444
Laurentii Vallae opuscala tria.
35
214 v. b. z. J. 1432, wo er meines Erinnerns zuerst vorkommt, lue»
de la grün corte und vermuthlieh wollte Valla, der ihn in der
Widmung vir praetorie anredet, diese Stellung desselben bezeichnen.
In späteren Jahren war Platamon Vicekanzler des Königs; Qurita
nennt ihn so zuerst i. J. 1444 (III f. 284 v. b.), woraus nicht folgt,
dass er es erst in diesem Jahre geworden; doch zeigt Valla’s An
rede in der Widmung, dass der Dialog früher geschrieben ist, als
Platamon jene Stellung einnahm, und die Schrift demnach mindestens
vor 1444 fallen muss, wie sich auch aus anderweitiger Betrachtung
ergeben wird. In der Briefsammlung Panormita’s (Antonii Bononiae
Beccatelli cognomento Panhormitae Epistolarum libri V. Venetiis
loS3) findet sich ein Brief des letzteren an Baptista Platamon, den
man geneigt sein könnte, auf jene Beförderung zu beziehen (fol.
102 v.). Die Sage vom Hercules, dass er den Himmel auf seinen
Schultern getragen, sagt Panormita, deute er so: Herculem fuisse
virum aliquem prudentia atque eloquentia excellentem, cuius con-
silio et opera uteretur Rex saus, statumque et ditionem illins
sapientiae permitteret gubernandum . . . Hercules tu igitur, ut per-
liibent qui quotidie ad nos abs te veniunt, effectus es: coelum
tangis et Herculea clava omnia moderar is etc. Doch ist der Brief,
wie leider die meisten in dieser Sammlung, undatirt. Ein anderer
gleichfalls undatirter Brief Panormita’s an Platamon (fol. 104 v.)
gehört nachweisbar einer späteren Zeit an; in demselben empfiehlt
Hierdurch erledigt sieh das Bedenken, welches Melius in der Vi'la Facii
(De vir. illuslr.) p. XXIV gegen die Nachricht von Niceron ausdrückt:
Scribit Petrus Niceronus, Barl/iolomaetim noslrum a republica Genuensi le-
gatum missum fuisse ad Alphonsum Aragonum regem, sed re infecta domum
reditsse. An res itu se habeat, incompertum mihi est, guum praesertim
Niceronus scriptoris aucloritatem nullam afferat, qua opinionem suam probet.
Und wir gewinnen dadurch zugleich ein Zeugniss dafür, dass Facius nicht
vor dem Ende des Jahres 1444 am Hofe König Alphons eine Stellung bekam.
Dass Facius 1445 bereits in Neapel war, ergibt sich aus folgendem. In
den Res gestae Alph. fol. 80 A. B, wo er den Tod des Don Pedro, Alphons
Bruder, der 1438 bei der Belagerung Neapels umkam (Qurita III fol. 253 r.)
berichtet, bemerkt er, dass die Bestattung desselben auf einen spiitexm
Zeitpunkt verschoben worden, und dass er ihr selbst in Neapel beigewohnt
habe; diese feierliche Bestattung fand (Qurita III fol. 279 r. b.) im Mai
1445 statt. In dieses Jahr, in welchem Valla kurze Zeit in Rom war, gehört
der Streit zwischen ihm und Facius.
3*
36
V a h I e n
ihm Panormita den Bartholomäus Facius, der eben rerum gestarum
Alplionsi libros octo abgeschlossen habe und dem Könige zu über
reichen wünsche: in einem in dieselbe Sammlung (fol. 108 r.) auf
genommenen Briefe nämlich an Franciscus Barbaras Yom 26. Sep
tember 1451 3 ) schreibt Facius selbst, dass er libros septem der Res
gestae bereits edirt habe und eben mit der Fortsetzung des Werkes
beschäftigt sei: wonach Panormita’s Brief an Platamon nach 1451
geschrieben sein muss.
* *
#
Wir verweilen bei Panormita’s Briefsammlung noch einen Augen
blick, um die für Laurentius Valla interessanten Daten aus derselben
herauszuheben. Hierher gehört vor allem der Brief (fol. 84 v.), mit
welchem Panormita von Rom aus den Valla an Carolus (Marsuppini)
Aretinus empfiehlt, welchem dieser seine Schrift über Cicero und
Quintilian geschickt hatte. Antonius Panhor. Carolo Areiirio V. C.
S. P. D. — Gaudentius Vanius, qui pariter ad te scribit, et libelli
sui quoddam quasi praeludium mittit, a me pro egregiis virtuti-
bus prolixe diligitur: mira quidem hominis continentia, morum
sobrietas, et incredibilis ardor ad studia literarum et bonas
artes. Facit ac monumentis litterarum tradit quandam inter M. T.
Ciceronem et M. Fa- Quintilianum comparationem, odiosam qui
dem illam sed proinde excusandam, quia solum ut sese exer-
ceat, tum ut quosdam a somno excitet, id agere respondet: prae-
stantiam vero nostri Ciceronis cognitam habet illamque et ob-
servat et colit ac pro virili sua sequi magnopere studet: adficitur
tarnen inprimis ad Fa. Quintilianum, qui tametsi mirifice in-
stituerit vel ipsis incunabulis oratorem et causas sive mavis de-
clamationes scripserit etiam egregie, tarnen, Quintiliani et Gau-
dentii pace dixerim, nequaquam Ciceroni latinae eloquentiae
principi fuerat non dico praeponendus sed ne aequandus quidem.
Sed stultior ego, qui in Gaudentii causa patronus datus contra
eum postulem. Excusandus est inquam Gaudentius noster, qui
~) Derselbe Brief ist auch in Francisci liarhari Epistolae p. 160 fg. und daraus
bei Mehus Facius de viris illustr. p. 93 fg. abgedruekt, mit mancherlei
stilistischen Abänderungen, die auf eine spätere Kedaction sehliessen
lassen. Aus dem gleichfalls bei Mehus a. a. 0. 104 abgedruckten Briefe des
Facius an Poggio vom 14. April 14SS geht hervor, dass er in diesem Jahre
an dem X. Buch der Res gestae, dem letzten, das er vollendet hat, arbeitete.
Laurentii Vallae opuscuJa tria. I.
37
exercitationis gratia icl facit, ut modo dixi, et ut nonnullis
dormientibus eo pacto prospiciat: int er dum enim quos summissa
voce non possumus, clamore ac manibus excitamus. Ceterum hac
in re tuum officium erit, primo Gaudentii virtutes et ornamenta
diligere, eo magis, quod te in amicitiam id est amorem provocavit,
deinde eins lianc exercitationem potius quam comparationem aequo
animo ferre et ut nos facimus etiam excusare, postremo illum
hortari ad humanitatis studia, ad quae qu'ulem natura meo quidem
iudicio natus est. Nam si tu quoque, ut severi quidam ac rigidi
iudices et studiorum censores, eum increpes atque succenseas, facile
ab inceptis sane humanissimis destiterit: tantum apud illum valet
auctoritas tua. Vale, decus nostrum, et Nicolao Nicocli (sic)
et Ambrosio Monacho viris clarissimis ex me salutem plurimam
dicas. Vale.
Mit diesem Briefe halte man zusammen, was Valla selbst in
den Recriminationes in Facium IV p. 621 schreibt: Avunculus meus
(Melchior Scribanus) in moribus quidem patre suo digtius,
in litteris autem is fuit, qui magis officio suo satis fecit quam
ut condendis operibus vires sibi suppeterent . . . quo vivente
comparationem Ciceronis et Quintiliani Florentiam ad Caro-
lum misi, rem profecto, quam ille numquam fuisset ausurus.
Und im Antidotum in Poggium IV p. 332: at ego priusquam adi-
umquam Papiam, tecum milies locutus fueram, tecum etiam alter-
catus, tecum et cum omnibus secretariis de facundia certaveram;
quippe de comparatione Ciceronis Quintilianique conscripseram.
Diese Äusserungen stimmen genau zusammen mit Panormita’s Bemer
kungen in obigem Briefe und dienen denselben mehrfach zur Auf
klärung. Urtlieile Valla’s über Quintilian, den er sein Leben lang hoch-
gehalten und über den er noch in späten Jahren eine schriftstellerische
Arbeit unter Händen hatte, finden sich allenthalben in seinen Schriften
zerstreut. Quintilian’s Verhältniss zu Cicero, dem jene Erstlings
schrift gewidmet war, bezeichnet Valla im Antidot. I p. 266 in
folgender Weise: neque si hunc fQuintiliamimj tantopere laudavi,
fit, ut laudes Ciceronis elevaverim imminuerimve: de quo Quinti-
lianus cum alia multa tum vero illud, ille, inquit, se profecisse
sciat, cui Cicero valde placebit (X 1, 112). Ex quo palam est,
me quidem, cui si Quintilianus placet, nimirum et Cicero valde
placet, profecisse, tibi vero, qui nihil profecisti, neque Quinti-
38
Tahlen
Vinnum placere neque Ciceronem: de quibus duobus itn sentio,
ne alia attingam, qune ad utriusque landen pertinent, neminem
posse neque Quintilianum intelligere nisi Ciceronem optime teneat,
nec Ciceronem probe sequi, nisi Quintiliano pareat, neque um-
qucim fuisse quempiam eloquentem post Quintilianum nec esse
posse nisi qui se totum arti eins formandum imitationique tra-
diderit. Nach diesen und ähnlichen wohl überlegten Urtheilen in
Verbindung mit Panormita’s Brief wird man sich von diesem, wie
es scheint, spurlos verschwundenen Jugendwerk Valla’s eine unge
fähre Vorstellung bilden können.
In einem andern Brief (fol. 66 v.) schreibt Panormita an
Marcolinus Barbavaria folgende Stelle über Valla: Tibi mitto epi-
stolam quandam Gaudentii mei versibus ad me proxime exaratam,
meo quidem animo elegantem et te dignam: redolent in ea omnia
antiquitatem et nt auctor ipse Romanus est, sic et hoc et quid-
quid ab eo quotidie ernannt, quandam spirat sapitque romanitatem:
omnia sunt in ea tersa, luculenta, omnia crebra et sonora. Eam
perlegas, te oro, tametsi vel invitum te trabet scio, eam aestimes
et si quid est, quod in ea te fortassis oblectet, quod spero fore,
id ingenue et sincere, nt cetera, pronunties: qui mihi enim in hac
re per amicitiam fortasse non credunt, tibi pro tuo gravi et severo
iudicio adsentiant oportebit. Equidem nolim illi amorem et officium
meum obesse virumque doctum mea causa sua laude fraudari.
Vale. Valla hatte also dem Panormita eine poetische Epistel ge
schickt, die heute mit so mancher andern seiner Arbeiten verloren
ist. Das günstige Urtheil Panormita’s über sie, sowie die Arbeiten
Valla's überhaupt in diesem und den anderen Briefen aus Zeiten, da
beide noch in gutem Einvernehmen standen, ist wohl der Beachtung
werth und im Gedächtniss zu behalten, um daran die Schmähungen
zu messen, die sie später, als der Hader zwischen beide gefahren war,
gegen einander ausschütteten. Der Adressat des Briefes Marcolinus
Barbavaria scheint, wie der gleichfalls in diesen Briefen mehrfach
vorkommende Franciscus Barbavaria, am Hof des Herzogs Philipp
Maria von Mailand, vielleicht als Secretär des Herzogs, eine Stelle
eingenommen zu habend). Die Absicht des Briefes ist deutlich:
s ) Franciscus Barbavaria, an den Panormita fol. 88 schreibt, und den er fol.
77 in einem Brief an Guarinus seinen Maecenas nennt, wird mehrfach als
. Luurentii Vallae opuscula tria. I.
39
Panormita wünscht Valla durch dessen Vermittelung recht nach
drücklich empfohlen zu sehen: möglich, obwohl nicht zu erweisen,
dass der Brief geschrieben worden, bevor Valla seine Professur in
Paria erlangt hatte.
Ein dritter Brief Panormita's ist an Valla selbst gerichtet
(fol. 68 r.): Aut. Pnnlior. Gaudentio S. P. D- Eram et ipse de te
vehementer anxius, hoc maxime rure eigens, ubi innumerabilibus
ferme incommoditatibus atque molestiis deiectus ac prope confectus
sum, cum tuis interim epistolis, id est suavitate incredibili, re-
creatus atque restitutus sum: qnibus haud scio an fortunatius
fortasse illiquid seil nihil certe iucundius aut opportunius mihi
in hoc praesertim loco potuisset acciilere, quodque me erigeret
promptius atque redimeret ab hisce turbationibus oppugnationibus-
que rusticanis. (Nun folgt eine launige Schilderung der Situation,
in der sich Panormita in seinem Landaufenthalt befand.) Tu quidem
sane aruspex et mearum quasi conscius aerumnarum amice pariter
et humaniter e/fecisti litteras ad me ilando pervenustas quidem
ac meis liisce infqrtuniis unicum profecto remedium. Scribis ut
in scribendo eam gloriam adepturus sis, quam culhuc iuvenum
adsecutus est nemo: provocas adolescens senes, provocas et vincis
ingenio et natura felix, doctrina eruditissimus, oratione adeo
dulcis et suavis, ut quae ipse componis, efficere ac complere apes
floribus et innectere videantur; seil de te apud te non dicam
ulterius. Be profectione autem tun sic sentio, ut siquidem a summo
pontifice accersitus es, eas, nihil te moror: dignitas enim tua
simul et utilitas me licet desertum proque tua absentia semi-
animem eriget atque exsuscitabit, scio: sin vero intemperata
quadam propinquorum tuorum benevolentia evocaris, itaque in
Gesandter des Herzogs Philipp erwähnt (Faeius Res gestae Alphonsi
63 D. 132 B. furita Anales de Aragon III fol. 276 r. a, 279 r. a. und
sonst); und Saxius4rcAfep.Mediol. T. III p.Söl nennt ihn und den gleichfalls
in Panormita's Briefen verkommenden Aloysius de Crottis nach einem Briefe
v. J. 1429 a secretis ducis. Von Marcolinus Barbavaria kann ich es nicht
nachweisen und führe nur an, dass in einem Schreiben des Herzogs Philipp
<bei Bandini Codd. Laur. Lat. III plut. LXXXX cnd. XXXVI n. XVII) ein
Marcolinus als Secretär unterzeich net ist und hei Parodius Elenchus privileg.
l'ie. stud. in dem Verzeichnis der herzoglichen Seeretäre, welche die
Erlässe an die Universität Unterzeichneten, für die Jahre 1441 — 1444 ein
Marcholinus genannt wird.
40
V a h 1 e n
rem minus certam profecturus es, ne dececlns, te hortor atqu e
rogo, ne illorum mollities te infirmet deque gradu deiicicit, ut
dicitur. Praeterea illuc accessurus es, unde omnes exeunt fugiunt—
que propter famem, bellum civile et pestilentiam, ut beati quo-
dammodo habeantur, si quibus illinc se recipere potestas aut fa
cultas data est. Est nimirum tibi hic gentium tenue salarium tua-
que doctrina ac meritis non satis dignum, id fateor; verum illud'
meminisse praestabit, quod Turpilius 4 ) Limpia (sic) eleganter
ait: profecto ut quisque minimo contentus fuit, ita fortunatam
vitam vixit maxirne, Ut philosophi nunc (sic) isti, quibus quid-
vis sat estQuodsi grandiorem tibi pecuniam expetiscis, erit
tibi publica Ticini lectura, et de meo salario tibi quantum vis
impartias tuoque superadiicias volo, spondeo, recipio, atque adeo-
omnia quae mea sunt tibi habeas communia et utaris et fruaris.
Postremo eum librum, quem de voluptate nuper edidisti, videre
ardeo cupiditate incredibili, eo magis quod de dolore scribere
mihi conli est. Opus id igitur quam maturrime ad me mittas te
oro et obtestor aut si vacat ipse me visens adferas tecum opta-
tissime mi Gaudenti. Vale litterarum spes et Bossio pontißci et
Bossiolo tuo meo nomine salutem plurimam impartias. Ex Stratella.
Panormita schreibt aus Strailella, einem borgo 14 Miglien
von Pavia entfernt — wofern nämlich das heutige Stradella mit
Panormita’s Stratella identisch ist —: er hatte sich dorthin begeben,,
um der Pest zu entrinnen, die Ende 1430 und Anfang 1431 in.
Pavia erwartet wurde, und Studenten und Professoren der Hoch
schule von dannen trieb 5). Valla, von dem Panormita in einem
Briefe an Antonius Cremona fol. 21 v. schreibt Gaudenlius noster
adhuc Placentiae agit n ), befand sich damals bereits in Pavia , in
4 ) Turpilius Lindia IV Ribb.
s ) In einem noch in anderer Beziehung zu benutzenden Briefe an den Andreas-
theologus (fol. 06 v.) schreibt Panormita (offenbar in derselben Zeit): tu
viam vora teque confer ad Stratellae oppidum, ubi pestilentiam fugiens
ago in praesentiarum. — Jac. Parodius Elenchtis privileg. et act. publici
Ticinensis sludii 17S3 verzeichnet (p. 28) zum 12. 0ctoborl430 Snspensi»
aperitionis sludii ex suspieione pestis, und zu diesem und dem folgenden
Jahre einige andere Vorsorge gegen die Pest betreffende Verordnungen.
e ) Die Stelle lautet vollständig: Gaudentius noster adhuc Placentiae agit. Te
vero adventiirum ad nos audio hastiludii gralia vel nos potius visendi: qua
in proposito ul perstes, noster Gaudenlius satis suadere polest; eum st
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
41
einem nicht näher zu bestimmenden Verhältniss zu dem Bossius
pontifex und dem Bossiolus, an welche Panormita Grösse aufträgt.
Bossii, Sprösslinge der antica casa Bossa in Mailand, gab es in
jener Zeit viele 7 ): allein einen Bischof (pontifex) Bossius, der in
die Jahre fällt, die hier allein in Betracht kommen können, finde
ich nur den einen Franciscus Bossius, den Ughelli ltalia sacra
V col. 312 unter den Comenses Episcopi aufführt und folgender-
massen notificirt: Franciscum Bossium Mediolanensem, Apostolicum
Referendarium, ad Comensem sedem Martinas Quintus provexit
ex Turchoni cessione 1420 prid. Idus Februarii, minoris aetatis
condonato defectu. Praefuit IS annos, fatoque functus est Basileae,
cniiis ad concilium profeclas fuerat 1433 ibidemque sepulturam
accepit. Dieser Bischof, der mit Gasparinus Barzizius und Candidus
videris, amabis et cum mox non videris desiderabis. Und ich führe hier
gleich noch eine Stelle aus einem Briefe an denselben Antonius Cremona
(fol. IS r.) an, in welcher Valla’s gedacht wird: si mihi umquam alias
auscultasti, dato operam, ut hic epistolarum adlator Gaudentii nostri
necessarius recta dirigatur, deducatur atque absolvatur mature: tuo consilio
tuoque auxilio indiget. Tu rebus illius ita consule ut meis suesli: nusti iam
mihi nihil aeque iucundum ac voluptuosum esse quam Gaudentium et
Gaudentianos omnes.
7 ) S. den Syllabus vor Philippi Argelati Ribliotheca scriptor. Mediolanens.
Tom. I Pars II und Morigia Nobiltd di Milano (Milano 1395) lib. III c. 4
p. 124 f. Über den Bischof Bossius s. die Nachrichten bei Morigia a. a. 0.
109. 12S. Argelati a. a. 0. T. II P. II col. 1848 ff. u. 1961 und Mazzuchelli
Scrittori d'ltalia vol. II P. 3 p. 1851. Ein undatierter Brief des Gasparinus
Barzizius an Franciscus Bossius Novocomensis episcopus steht bei J. A.
Furiettus Gasparini Barzhii Bergomatis et Guiniforti filii Opera. Romae
1728 I p.216 fg. Mehre Briefe desselben an Bossius führt Argelati a. a. 0.
aus einem Cod. Ambrosianus an; und derselbe citiert aus Ambros. Handschr.
des Decembrius einige zwischen diesem und Bossius in den Jahren 1432
und 1434 gewechselte Briefe. Die von Argelati p. 1961 angeführten Briefe
des Aeneas Sylvius an Franciscus Bossius gehen nicht den pontifex, sondern
einen Franciscus Bossius Iclus an, mit welchem Aeneas in den Jahren
1443 und 1444 (also erheblich nach des Bischofs Tode) in Briefwechsel
stand: vgl. Voigt im Archiv f. Kunde Ösir. Geschichtsquellen XVI 2.
S. 351 fg. Möglich, dass dieser Franciscus Bossius Tctus derselbe ist mit dem,
welchen Parodiusin dem seinem Elenchus privileg. Ticin. stud. angehängten
Sgllabus leclorum zum Jahr 1431 als Professor des ins civile in Pavia an
führt. Die bei Argelati abgedruckte Weihinschrift besagt, dass Franciscus
Bossius Pontifex Cumensis einen Altar gestiftet, welchen vir nobilissimus
Thomas Bossius eiusdem pontificis nepos et heres ausgeführt habe.
42
V a h I e n
Decembrius im Anfang der dreissiger Jahre in Briefwechsel stand,
wird demnach vermuthlich der von Panormita gemeinte sein und
der Bossiolus möglicherweise des Bischofs Neffe, der in einer von
Argelati mitgetheilten Weihinschrift genannt ist. Daraus dass Bossius
Bischof von Novum Comum war, wird niemand schliessen wollen,
dass Valla dort zu dieser Zeit sich aufgehalten: begegnet man ja in
dieser Epoche vielfach den Bischöfen überall anderswo eher als in
ihrer Dioecese: und zu geschweigen, dass Panormita's Brief den
Valla in grösserer Nähe voraussetzt, Valla selbst, der zweimal auf
diesen seinen Aufenthalt in der Lombardie zu reden kommt, erwähnt
Comum nicht: in dem Briefe an Ludovicus Scarampus (Epistolae
principum p. 347) schreibt er veilem creationi suae (näml. desPabstes
Eugenius IV.) affuissem, sed eo tempore Papiae er am, und ein
gehender in dem Antidotum in Poggium IV 3o2: post aliquot
tarnen dies (nachdem er sich um das Secretariat beworben) ad
eum (Pahst Martin V.) a cardinali S. Eustachii sum dedactus: cui
etsi iunior quam pro auctoritate secretariatus visus sutn, tarnen
optimam spem dedit . . . post id Colloquium cum summa pontifice
iussu aviae matrisque ac materterarum ob hereditatem avi et
avunculi eodem anno defunctorum profectus sum Placentiam 8 ),
petitis tarnen in via Venetiis, ut tria milia aureorum filiae Iacobi
Esculani consobrinae meae in monte ut aiunt Venetiarum collata
disponerem. Cum ob eum. rem diutins Placentiae manerem, Mar-
tinus decessit Eugeniusque electus est: mox ortis Romae bellis
reverti supersedi, contulique me tune primum Papiam, non ut
adolescentulus discerem, quemadmodum tu putas, sed nt iam vir
docerem conductusque ad legendum rhetoricam sum cet. Hiermit
stimmen die Angaben des Briefes aufs beste überein: es ist klar,
dass derselbe in der Zeit geschrieben ist, als Pabst Martin V. gestorben
war, und Eugenius IV. den päbstlichen Thron bestieg (Februar und
s) Diese Reise wird in den Anfang des Jahres 1430 fallen; dass sie früher
nicht fallen kann, beweist Marini Archiatri pontificii I 241. Auch müsste
man nach dem Wortlaut der hiesigen Stelle annehmen, dass Valla zur Zeit
als Eugenius gewählt wurde (März 1431) noch in Piaeenza gewesen, was
ich früher für das richtige nahm: doch bin ich jetzt geneigter, darin nur
eine Ungenauigkeit des Ausdrucks zu erkennen und anzunehmen, dass
Valla damals schon einige Zeit in Pavia war, wie es der Brief an Scarampo
sagt und Panormita's Brief wahrscheinlich macht
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
43
März 1431). Diese Umstünde hatten in Valla den Gedanken angeregt,
jetzt nach Rom zurückzukehren, um von dem ihm schon früher
persönlich bekannten und geneigten Pabst Eugen eine Stellung an
der Curie zu erlangen, um die er bei Pabst Martin vergebens sich
beworben hatte. Von diesem, augenscheinlich nicht auf bestimmte
Anerbietungen gegründeten Gedanken sucht ihn Panormita abzu
bringen, durch Hinweis auf die bald nach Eugens Thronbesteigung
in Rom ausgebrochenen Unruhen, deren Valla im Antidot, a. a. 0.
selbst gedenkt, und anderseits durch die Aussicht auf eine öffent
liche Professur in Pavia. Panormita, dessen Rekanntschaft Valla
noch in Rom gemacht hatte, war damals bereits an der Hochschule
zu Pavia angestellt 9 ), aber mit jener Freiheit und einflussreichen
Stellung, von welcher er in einem leider undatierten Briefe an
Guarinus fol. 77 schreibt <°). Panonriita’s Einfluss bei Herzog Philipp
Maria von Mailand und dessen Rüthen scheint mehre veranlasst zu
haben, ihn um seine Vermittelung anzugehen: so schreibt er in
dem schon erwähnten Brief aus Stratella an Andreas theologus
8 ) In Parodius’ Sgllabus Icctorum ist zu dem .1. 1430 als dem Anfangsjahr der
Lectura Panormita Antonius Panorm. Art. Orat. S. li. E. Cardin, aufge-
fiihrt, worin der dem Panormita zugetheilte Cardinalat auf Gott weiss
welchem Irrthum beruht: in dem Elench. privileg. selbst finde ich noch
folgende den Panormita angehende Data: 1430. IS Mart. Lit. Duc. pro
elect. ad Lectur. D. Antonii Vanormitae cum salario, et pro eius Solu
tions. — 1430. 25. Novemb. Literae Ducalis Consil. pro addilione in Rotido
Magistri Antonii Panormitae, elect. ad Lecturam etc. — 1433. 19 Mart.
Eleclio ad Lecturam Rhetoricae Magistri Antonii de Panormo, et Magistri
Antonii Astensis cum distributione stipendii.
,0 ) Ich unterlasse nicht, wenigstens einiges aus dem Briefe mitzutheilen, was
Panormita’s Stellung zu charakterisieren geeignet ist: igitur, ne altius in
praesentia exordiar, PhilippiMariae Angli Mediolanensium amplissimi atque
illustrissimi Principis ac mei Caesaris gratiam vel intimam adseeutus sum,
nec non Francisci Rarbavariae, Maecenatis mei, viri omnium quos nostra
aetas fert et humanissimi et beneficentissimi, tum curialium, patrum con-
scriptnrum, seribarum, denique primorum fere omnium apud Cacsarem
hunc virorum ac proeerum; idque potissimum mihi felix et fortunatum
est, magnorum ac speclatissimorum hominum gratiam inisse: nam elsi sa-
larium quoque gründe satis mihi conferatur, hoc facultates arguit, illud
virtutes illud paene exciderat, quod tu vel in primis admiraberis, quod
neqne lecturae ncque scriptioni, nisi quantum libeat, obstnctus sum: sa-
larium quoque, si cui solvitur, mihi percommode solvitur et perlibenter.
44
V a h 1 e n
(fol. 66 v.) Veni, fortuna tibi parta est honorificentissima et
satis utilis, etiam praeter lecturam, quam tibi fadle impetrabimus:
et tu put ab as me fortassis oblitum tui: at ego feci ut crearere
studii ut vulgo loquar cancellarius etc. In gleicher Art war Panormita,
der zu dieser Zeit recht den Protector des mehr als fünfzehn Jahre
jüngern Valla macht, bemüht, diesem eine publica lectura Ticini
zu verschaffen: und seine Bemühungen waren nicht vergeblich.
Doch noch bevor Valla das öffentliche Lehramt der Rhetorik
antrat, hatte er bereits, wie wir aus Panormita’s Brief entnehmen,
den Dialog de voluptate ausgearbeitet und herausgegeben. Aus dem
Dialoge selbst, der in das Jahr 1427 verlegt ist 11 ), und den Valla,
wie er sagt, ungefähr so, wie er ihn vor drei Jahren mit angehört,
referiere, kann man entnehmen, dass derselbe 1430 ausgearbeitet
worden 13 ), so dass er — ganz in Übereinstimmung mit Panormita’s
Brief—in den ersten Monaten des Jahres 1431 veröffentlicht werden
konnte. Die Professur in Pavia aber hatte Valla am 19. November
dieses Jahres inne, und hat von da ab das ganze Schuljahr 1431 —
1432 Vorlesungen gehalten, scheint aber, obwohl er für das folgende
Schuljahr 1432—1433 von neuem ad lecturam rhetoricae engagirt
war, bald nach Beginn desselben im November 1432 resignirt zu
haben. In Folge davon ward durch herzogliches Rescript vom 19. März
1433 lectura rhetoricae in Studio nostro Papiensi vacante per
recessum M. Laurentii Vallae dem Antonius Panormita und Antonius
Astensis das für jenen ausgesetzte Solarium zu ungleichen Theilen
H) Dieses Jahr als dasjenige, in welchem nach der Piction die Unterredung
gehalten wird, ergibt sich aus der Erwähnung (I p. 898) des Leonardus
Aretinus tune pro legato a Florentinis ad summum pontificem missus. Diese
Gesandtschaft fällt in das genannte Jahr (Mehus L. Bruni Epistolae
p. XLIV); womit vortrefllich harmoniert, dass Nieolaus Nicoli p. 991 sagt,
dass er jetzt 63 Jahre alt sei, wenn anders Mehus’ Angabe (Ambros.
Travers. Epistolae p. LXXXII), dass Niccoli im Januar 1437 im Alter von
73 Jahren gestorben, wohl begründet und völlig verlässlich ist. Doch
vgl. Apostolo Zeno Dissertazioni Vossiane I 34. Dabei bleibt allerdings der
kleine Anachronismus, dass Valla im Eingang des Dialogs Eugenius IV. be
reits als Pabsl nennt.
13 ) Valla nimmt an der Unterredung nicht Theil, sondern hört nur zu: er ist.
als adolescens wiederholt bezeichnet (p. 897. 987. 991), der aber bereits
als vir zu betrachten sei (997). Und diese Unterredung, sagt er p. 897,
habe er so aufgezeichnet, qualem prope revera iam hinc tribus annis me
audienle habuerant.
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
45
zugewiesen ls ). Damit ist denn einigermassen in Übereinstimmung,
was Valla in den Recriminationes in Factum schreibt, dass der
so viel ältere Panormita über ein Jahr unter seinen Zuhörern gesessen,
dann aber in Folge des Ruhmes, den ihm sein Werk de voluptate
eingetragen, die Entzweiung eingetreten sei: p. 624 nam qnod ais
de me optime esse meritum (Panormitam), nullo alio poteris
argnmento probare, quam quod cum amici essemus, solebat prae-
dicare, se quidem ceteros omnes docuisse, a me autem esse doc-
tum, quodque cum publice conductus rhetoricam legerem, amicitiae
potius quam discendi gratia (sic enim interpretor) annum et eo
amplius, quoad fuimus amici, meus fuit auditor, licet me plus
XV annis sit natu grandior: verum liaec omnia sua in me benelicia
nova proditione foedavit perstrictus fulgore famae, qua ob opus
de vero bono per hominum ora celebrabar, quam iniuriam aliis
postea cumulavit et cumulat. Die Folge der Entzweiung war, dass
Valla den Dialog, in welchem Panormita eine Hauptrolle hatte, jetzt
umarbeitete, neue Scenen und andere Personen einführte, und dem
ls ) Parodius Elenchusprivileg. publ. Ticin. stndii führt kein Valla betreffendes
Actenstück an: nur in dem angehängten Syllab. lectorum wird z. d.
Jahr 1433 als dem ersten seiner lectura verzeichnet Valla Laurentius
Mediolanens. Art. Orat., worin mehr als ein Irrthum liegt, den aufzuhellen
vielleicht der Zusatz Mediolanensis hilft. — Besseres Material über diese
Verhältnisse hat Poggiali Memorie di Lorenzo Valla p. 24 u. 25 aus dem
Archiv zu Pavia mitgetheilt, dennoch wird zur völligen Klarstellung noch
manches vermisst. So ist nicht ersichtlich, ob Valla, von dem es in dem
Rotulus von 1431 unter dem 19. November heisst: ad lecturam rhetoricae
M. Laurentius de Scrivanis (nach seiner Mutter so genannt) positus in
rolulo porrecto per rectorem iuristarum, unter diesem Datum zuerst ernannt
worden; unklar ist auch die von Poggiali aus dem Registrum 1432 & 1433
Litterarum, Provisionum , Bidleltarum, Dationum etc. fol. SO mitgetheilte
Notiz: ad lecturam rhetoricae M. Laurentius de Placentia, qui legit anno
praelerito, florenos quinquaginta. Aus demselben Registrum fol. 38 führt
Poggiali noch an, che a Lorenzo fu pagalo il salario come a professore
a tutto il novembre del 1432, e nulla piü; in dem Rotulus vom 16. October
1432 finde er sich dagegen verzeichnet per leggere a tutto l'anno scolastico
1433. Klar ist und gewährt einen festen Anhalt das von Poggiali p. 25
abgedruckte herzogliche Rescript vom 19. März 1433 (dasselbe, welches
Parodius im Elenchus zu diesem Datum anführt), durch welches an Stelle
des zurückgetretenen M. Laurentius Valla die lectura rhetoricae in sludio
Papiensi dem Antonius de Panormo undAntonius Astensis aufgetragen wird
46
V a h 1 e n
beträchtlich erweiterten Werk statt des früheren Titels de voluptate
jetzt den sachgemässeren und minder anstössigen de ve.ro bono vor -
setzte 14 ). Diese zweite Bearbeitung ist noch in Pavia entstanden
(Antidotum IV 351), wo Valla, auch nachdem er zu lesen aufgehört
hatte, sich noch bis in den Spätherbst des Jahres 1433 aufhielt. Dass
14 ) Auf diese zweite Bearbeitung kommt Valla in den Recriminationes in Facium
zu reden, wo er den von jenem hingeworfenen Verdacht, Valla habe in
dem Dialog de voluptate ein hinterlassenes Werk seines Oheims Scribanus
unter eigenem Namen veröffentlicht, abzuweisen sich genöthigt siebt. Der
offenbar bald nach der Entzweiung mit Panormita aufgetauehte Verdacht
hatte wohl seinen iiussern Anlass darin, dass Valla, dem man ein so umfang
reiches Werk kaum recht Zutrauen mochte, unverhofft und ohne dass
Jemand wusste, dass er mit einer solchen Arbeit beschäftigt sei, während
seines Aufenthaltes in Piaeenza und Pavia bald nach dem Tode seines
Oheims damit hervorgetreten war. Wie wenig cs indessen mit dem Ver
dacht auf sich hatte, das zeigt unter anderm Facius selbst dadurch, dass
er diesen Dialog ohne Bedenken unter Valla’s Hauptwerken in der Schrift
de viris illustribus aufführt. In den Recriminationes p. 621 schreibt Valla,
um Facius’ Verdächtigung zurückzuweisen: adde qaod non misissem eos
(libros de voluptate) ex urbe Papia Romam, ubi Ule (Scribanus) et
plurimos propinquos reliquisset et notissimus fuisset, qui non ut nunc
fuerant inscripti de vero bono sed de voluptate ac dimidio quam
modo sunt breviores... inquibus,ut codex ipse testis est, alios collocutores
induxeram, quos poslea perfidia Panormitae mutavi. Diese neuen Unter
redner kennen wir zum Theil aus dem Antidotum IV p. 351, non Iosephum
Brippium, non Maphueum Vegium, non Candidum, quos tres in libris
de vero bono in ea urbe (Papiae) conditis feci loquentes , von denen
der Dichter Maphaeus Vegius (nach Antid. IV 342 fg.J an Panormita’s
Stelle die Rolle des Epicureers erhalten hatte; wie die anderen vertheilt
waren, ist nicht zu bestimmen: hinzu kam noch, um statt Niceoli den
christlichen Standpunkt zu vertreten, Antonius Raudensis (vgl. die prae-
fatio der Raudensia und Antidot. IV p. 343J. Diese Personen gehören
alle nach Pavia oder Mailand, wohin jetzt die Unterredung verlegt war.
Uns ist von dieser zweiten Bearbeitung — in den Drucken liegt nur die
erste vor — keine Spur erhalten: wenn nicht das eine ist, dass Trithemius
in dem kleinen Verzeichniss der Schriften Valla’s (Catalogus scriptorum
ecclesiasticorum Per ■ . loannem a Trittenhem. Anno MDXXXI) fol. 133 b
aufführt: Panegiricus de vero bono li. 3 Instituenti mihi Paule. Denn
dieser Anfang ist ein von dem uns bekannten Werk verschiedener. In
dem Sachlichen muss Valla trotz der Vermehrung des Umfangs keine
Änderungen vorgenommen haben: die Anführungen bei ihm selbst, die auf
die zweite Bearbeitung gehen, finden wenigstens alle auch in der ersten
ihre Erledigung.
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
47
Valla im März dieses Jahres noch in Paria war, beweist eine von
ihm am 4. März 1433 in dieser Stadt ausgestellte Schenkungs
urkunde, welche Poggiali Memorie di Lorenzo Valla p. 27 nach
Tiraboschi mittheilt, und dass sich der Aufenthalt noch mehre Monate
länger erstreckte, entnehme ich aus folgender Äusserung im Anti
dotum in Poggium IV 351 : du nennst nicht, schreibt er an Poggio, als
Zeugen deiner Anklage meines Lebens in Pavia noch lebende Freunde
von dort her, sed mortmim, sed eum, quipostquam Papia in con-
cilium Basiliense iam archiepiscopus Mediolanensis profectus est,
te nunquam vidit, sed eum, qui ante me ex ea urbe discessit, in
qua certe non perseverassem legere, si infamia notatus fuissem,
ex qua Mediolanum non me contulissem legendi gratia, si talis
extitissem. Gemeint ist der in diesem Zusammenhang wiederholt
genannte Franciscus Piccolpassus *s), der in jenen Jahren Bischof
15 ) Über Franciscus Piccolpassus gibt Jos. Aut. Saxius Archiepisc. Mediolun.
T. III (Mediolani 1733) p. 858 ff. Nachrichten. Demselben entnehme ich
(p. 834) das Datum von Bartholomäus Capra’s Tod. Mit der aus Valla
gezogenen Annahme, dass Piccolpassus noch in demselben Jahre 1433
bereits als Erzbischof von Mailand nach Basel gegangen, steht nicht
in unlösbarem Widerspruche, dass, wie Saxius p. 858 fg. ausführt,
Piccolpassus von 1435—1443 Erzbischof vonMailand gewesen : denn leicht
denkbar ist es, dass er, der als designirter Erzbischof von Mailand nach Base 1
ging, vielleichterstein paar Jahre später unter päbstlieher Approbation
das Erzbisthum selbst antrat. Unrichtig scheint es dagegen zu sein, wenn
Ughelii Italia sacra I 37® ihn bis zum Jahre 1435 das Bisthum Pavia
verwalten lässt: und hiermit sowohl, wie mit dem angegebenen Datum
des Todes von Bartholomäus Capra ist schlechterdings nicht zu ver
einigen, was Ughelii IV 365 schreibt, dass Piccolpassus ad ecclesiam
Mediolanensem translatus est 1433 die 23 mcnsis Iidii, das wäre noch
vor Capra’s Tode. — In Mai’s Spicileg. Rom. X 278 fg. sind zwei Briefe
Poggio’s an diesen Franciscus archiepiscopus Mediolanensis abgedruckt,
(ein dritter ist augenscheinlich später), die vielleicht für unsere Frage
dienlich sein könnten, wenn sie ein Jahresdatum hätten: sie sind nach
Basel geschrieben, und die Beziehungen auf das, was die Väter zu Basel
trieben, die Mai verkannt hat, sind deutlich : überdies wünscht ihm Poggio
in dem ersten d. d. Bononiae d. XX. nou. Glück ob eam quam asseculus es
dignitatem, d. i. das Erzbisthum: doch folgt daraus nicht, dass der Brief
1433 geschrieben sei, wie Mai annimmt, denn die Gratulation wird in ihm
selbst als eine ziemlich verspätete angedeutet: und überdies wird in dem
selben die oratio funebris in landern Nicolai nostri, qui diem suum obiit
erwähnt, wonach der Brief frühestens 1437 (s. oben A. 11) geschrieben
48
V a h 1 e n
von Pa via war, und nachdem der Erzbischof von Mailand Bartholomäus
Capra am 30. September 1433 in Basel gestorben war, als Ersatz
an das Concil, bereits als designirter Erzbischof von Mailand, ge
sendet wurde, wohin er von Pa via, wie Valla sagt, noch vor ihm
abging, so dass dieser nicht vor Ende des Jahres 1433 Pavia ver
lassen und nach Mailand, wohin er sich sodann legendi gratia
begab, gegangen sein kann.
Panormita's Briefsammlung 16 ), die uns zu diesen Ausführungen
Anlass gegeben, wird mehrfach erwähnt, scheint aber wenig benutzt
zu sein. Tiraboschi Storia d. lett. ital. VI 7o5 A. hat sie noch
nachträglich für Panormita selbst verwertbet, aber nicht erschöpft.
Dass er oder sonst jemand von denen, welche über Valla geschrieben
haben, für diesen davon Gebrauch gemacht hätte, finde ich nicht,
und vielleicht sind auch denen, welche die Sammlung kannten, die
Beziehungen auf Valla in Folge der Pseudonymität entgangen, in
welcher er hier erscheint. Die Briefsammlung ist von Panormita
selbst angelegt: zuerst vier Bücher Epistolarum Gallicarum, das
sind die in der Lombardie geschriebenen mit der Dedicationsepistel
A. P. Francisco Arcellio sororio suo; dann ein Buch Epistolarum
Campanarum wiederum mit einer besonderen Widmung an Nicolaus
Buczutus, den Panormita De dict. et fact. Alplionsi I 30 und Iov.
Pontanus De principe (Opera. Venetiis ISIS') fol. 93 r. erwähnen.
sein kann, in welches Jahr (nach Melius Ainbr. Travers. Epistol. p. LXXXII)
einige andere Briefe Poggio’s, von Bononia geschrieben, in denen jene
Leichenrede erwähnt wird, fallen.
* 6 ) Dieselbe Edition (Venetiis 1883), die mir vorliegt, erwähnt Zeno Diss.
Voss. I 312. Tiraboschi a. a. 0. 786 nennt eine ältere aus dem Ende des
XY. Jahrh., aber ohne Jahreszahl: Antonii Panormilae Epistolae familiäres
et Campanae. Neapoli; und Mehus Ambr. Trav. Ep. p. XXII eine Neapolitaner
Ausgabe v. 1746 fol., die mir beide unbekannt sind. Ausser jenen Epistol.
Gallicarum libri IV und den Epistol. Campan. gab es noch ein Volumen
epistolarum, das Bandini Catal. codd. Laur.Lat. III 603 f. plut. LXXXX
cod. XLVI anführt: Antonii Panormitae quintum epistolarum volumen
Oliverio Archiepiscopo Neapolitano dicatum: ’ Quintum hoc Epistolarum
volumen proxime cum absolvissem agitaremque animo, ad quem potissimum
libellum conscriberem tu unus omnium occurristi.' Der Adressat ist
Oliverius Carafl'a, der 1488 Erzbischof von Neapel und 1467 Cardinal
wurde (vgl. Cardeila Memorie storiche de’ Cardin. T. III 189). Die in
diesem fünften Volumen enthaltenen Briefe stehen zum Theil, nach Bandini’s
■
I
Laurentii Vallae opuscula tria. I. 49
Panormita hat also, als er seine Briefe sammelte und heraus
gab, auch die Documente seiner einstigen Freundschaft mit Laurentius
Valla nicht unterdrücken wollen, ihn aber nicht unter seinem, sondern
dem boshaft gewählten und für die Zeitgenossen gewiss sofort ver
ständlichen Gaudentius Vanius eingeführt: denn an der Identität
dieses mit Laurentius Valla wird Niemand, der die angeführten
Daten vergleicht, zweifeln wollen.
Valla selbst hat nie eine Briefsammlung angelegt — auch darin
von anderen Humanisten der Zeit verschieden, welche das Brief
schreiben wie einen besonderen Litteraturzweig trieben — im
Antidot. IV p. 345 sagt er: ego enirn ideo epistolas meas non liabeo,
quia eas in libros nec referre nec transcribere soleo. Daher denn
auch Briefe Valla's nur vereinzelt und in nicht grosser Anzahl in
Handschriften sich finden. Wie es sich mit dem Epistolarum tnul-
tarum li. 1 verhalte, welchen Trithemius in dem erwähnten Ver
zeichniss der Schriften Valla’s aufführt, kann ich nicht sagen: denk
bar wäre es ja, dass jemand die Briefe Valla’s, die sich vorfanden, in
einer Sammlung vereinigt hätte, und wenn ich die mir bekannten,
gedruckte und ungedruckte, übersehe, so reichen sie wohl hin, dass
daraus nach Trithemius’ Ausdruck epistolarum multarum Uber
unus zusammengestellt werde: denn Poggiali Memorie di Lorenzo
Valla p. 174, der selbst nur die sechs in die Sammlung der Epistolae
principum aufgenommenen kannte, übertreibt, wenn er von einem
'grosso volume d’ epistole’ spricht, das Trithemius anführe.
Angabe, in der (auch von Zeno Diss. Voss. I 314 erwähnten) Sammlung
Regis Ferdinandi et aliorum epistolae ac orationes 1386. die mir nicht
zu Gesicht gekommen ist.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LX1. Bd., I. Hft.
4
50
V a h 1 e n
DRITTER EXCURS.
Die Dialoge de professione, de libertate arbitrii, de voluptate. — Apologia
ad Eugenium. — Zur Chronologie Valla’seher Schriften. — Garcia episcopus
Ilerdensis. — Bernardus Serra.
Für die Beurtheiiung des Dialogs de professione ist die An
nahme eines wirklichen Gesprächs untergeordnet, auch wird sich
dieselbe weder beweisen noch widerlegen lassen; was mir die An
nahme einer wirklich gehabten Unterredung wahrscheinlich macht,
ist der Umstand, dass Valla thatsächlich vielfach auch im mündlichen
Disput gestritten und daraus Vorwürfe für schriftstellerische Arbeiten
gezogen hat. Hierüber mag also jeder urtheilen, wie ihm gut dünkt.
Die Gliederung des Dialogs ist durch die Marginalindices
deutlich gemacht, durch welche die Hauptgruppen des Gesprächs
zweckmässig gesondert werden: narratio — de nomine religiosorum
— an sint eadem actione vitae professi et non professi — num-
quid plus sequatur praemii ubi plus sequeretur po'enae — de voto
quod male vulgo accipiunt quidani — de obedientia — de pauper-
tate — de continentia — confutatio simul trium partium. Ich habe
sie aus der Handschrift beibehalten, wo sie auf dem Rande und mit
unter zwischen den Zeilen zum Theil von derselben Hand, die den
Text schrieb, vermerkt sind, und zweifle nicht, dass sie von Valla
seihst herrühren, der auch sonst sich solcher Randvermerke bediente,
wie in der Historia Ferdinandi (worüber Recrimin. in Facium
p. 464 vgl. 573. 579) und in den Elegantiae, worüber Valla in den
Briefen an Aurispa und Gherardo Landriani (epistolae principum
p. 359 u. 354) redet.
Die Stelle in dem Dialog de libertate arbitrii, auf welche Valla
im Eingang der Schrift de professione fol. 3 v. für die in beiden
Dialogen beliebte dramatische Anlage der Unterredung sich bezieht,
lautet (p. 1000): ciiius disputationis verba in libellum retuli ex-
ponens illa quasi agatur res non quasi narretur, ne ’inquam et
’inquit’ saepius interpolieretur, quod se fecisse M. Tullius vir im-
mortali ingenio cur dixerit in libro quem inscripsit Laelium
equidem non video. Nam ubi auctor non a se disputata sed ab
Laurentii Vallae opuscula tria. 1.
51
aliis recitat, quonam modo 'inquam interpoliere potest, veluti est
in Laelio Ciceronis etc. ') Ausser dieser durch Valla’s ausdrückliches
Citat hervorgehobenen Gemeinsamkeit in der dramatischen Anlage
beider Dialoge, zeigt sich die Übereinstimmung beider der Zeit nach
nahe bei einander liegenden Gespräche auch in anderem, wie z. ß.
darin, dass nachdem die Hauptpunkte dialogisch erörtert sind, mit
einer per oratio abgeschlossen wird. In der Schrift de libertate arbitrii
p. 1009 schreibt Valla: Adperorationem igitur veniamus aliquando-
qite finem faciamus: cum tibi de praescientia, de voluntate dei,
de Boetio quaerenti, ut reor, satisfecerim, hoc quod reliquum est
exhortandi non docendi gratia dicam etc. Ähnlich schliesst er
das Gespräch de professione fol. 24 r. mit der laudatio fratrum als
einer peroratio ab. Und die de professione fol. 24 v. gebrauchte
Schlusswendung, das eben gehabte Gespräch aufzuzeichnen und dem
Eingangs genannten Platamonius zu unterbreiten, hat ihr Analagon
an dem Abschluss der Schrift de libertate arbitrii, worin Valla
p. 1010 auf die seinem Mitunterredner Glarea in den Mund gelegten
Worte: ceterum hanc disputationem, quam inter nos habuimus,
nonne mandabis litteris et in commentarium rediges ut liuius boni
alios participes facias, erwidert, probe admones, faciamus huius
rei ceteros iudices, si bona est, participes, et ante omnes ad
episcopum Ilerdensem disputationem hanc scriptum et ut ais in
commentarium redactam mittamus etc. So kehrt in beiden Dialogen
(auch dies nach Cicero's Muster) der Schluss zum Anfang zurück,
indem die Widmung als ein Ergehniss der Unterredung selbst sich
herausstellt. Endlich tragen beide, in denen die dialogische Er
örterung in rascher Wechselrede von nur zwei Personen geführt
wird — denn Paulus Corbio in de professione kann als Mitunter
redner kaum gelten — recht eigentlich dialogischen Charakter und
heben sich in dieser Beziehung wie in manchem andern von dem
beträchtlich älteren und umfangreicheren Dialog de voluptate oder
de vero bono ab. Denn in diesem ist die Unterredung, der Valla
nach der Fiction als junger Mann beigewohnt, eine von ihm erzählte,
doch tritt das dialogische überall mehr zurück, indem (in der dem
U Valla meint den Eingang von Cicero's Laelius (vgl. Tuscul. I 4, 8): doch
ist sein Tadel unbegründet, da ja Cicero den Dialog von Scaevola, wie
ihn dieser mit Pannius und Laelius gehalten, erzählen lassen konnte.
4*
52
V a h 1 e n
Cicero geläufigen Weise) die drei Hauptunterredner Leonardus
Aretinus, Antonius Panormita, Nicolaus Niccoli, jeder seinen Stand
punkt in der zu erörternden Frage über das höchste Gut in einer
oratio perpetua darlegt (worauf p. 911 und 964 ausdrücklich Bezug
genommen wird) und die übrigen fast nur zur Staffage dienenden
Personen nur in den Übergängen von einer Hauptgruppe zur andern
mässig in den Dialog eingreifen. Überdies hat Valla hier eine reichere
Scenerie angewendet: der dritte Haupttheil, in welchem der greise
Niccoli die christliche Glückseligkeit darzulegen hat, ist von den
beiden vorangegangenen Abschnitten, in denen die antike Ethik an
den Gegensätzen des Stoicismus und Epicureismus zur Anschauung
gebracht wird, durch ein Gastmahl abgetrennt, was p. 998 zu der
schalkhaften Bemerkung Anlass gibt, dass Nicolaus den Panormita
überboten, weil letzterer ieiunus, jener cibo potuque refectus ge
sprochen habe: und den Schluss bildet ein Komos in antikem Stil,
indem die Gesellschaft den Niccoli unter Fackelbeleuchtung nach
Hause geleitet.
Dass Valla, der in diesen drei Schriften nach verschie
dener Seite in der dialogischen Kunst sich versucht hat — hin
zu kommen noch die beiden komisch-polemischen gegen Poggio —
über die Aufgaben des Dialogs klarer sah als andere zeitgenössische
Schriftsteller, deren mehrere sich der dialogischen Form bedient
hatten, das zeigt er überdies in den scharfen Kritiken, denen er in
den Recrimhiationes (p. 541 fg.) einen Dialog des Facius und in dem
zweiten Dialog gegen Poggio (p. 378) eine dialogische Auf
zeichnung dieses unterzieht.
* *
Den die Schrift de professione angehenden Abschnitt der Apo-
logia ad Eugeniam habe ich im Anhänge zu ersterer, nach zwei
Handschriften berichtigt, abdrucken lassen, nach denen eine voll
ständige Bedaction der Schrift wenigstens an einem Beispiel zeigen
könnte, bis zu welchem Grade Valla’s Werke in dem gangbarsten
Baseler Drucke (apud Henricum Petrum 1340) verunstaltet sind.
Über diesen Abschnitt der Apologia redet Poggiali Memorie di
Lorenzo Valla p. 49 ff. (vgl. 134) sehr unbestimmt und scheint
nach der von ihm beliebten Sonderung, dass die in jener Ver-
theidigungsschrift verfochtenen propositionipurte estratte da diversi
libri di esso e parte uscito a lui di bocca nelle esercitazioni
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
S3
scolastiche e ne famigliari ragionamenti seien, die auf die professio
bezüglichen Sätze zu der letzteren Classe gerechnet zu haben.
Clausen Laurentius Valla p. 177 hat, soviel ich erkennen kann, in
seiner Inhaltsübersicht der Apologia diesen doch nicht eben gleich
gültigen Abschnitt ganz übersprungen. G. Voigt aber, dessen Be-
urtheilung Valla's überall weniger auf dessen eigenen Schriften als
auf A. W. Zumpt’s Auszug aus Poggiali’s Memorie basiert ist, äussert
sich Wiederbelebung p. 226 so, als ob die Behauptung, 'dass die
Mönche sich mit Unrecht einbildeten, wegen ihrer Profession mehr
Verdienst zu haben als andere Menschen’, nebst anderen dort gar
nicht hingehörenden Sätzen in den 'Tractaten über die Wollust und
über den freien Willen’ vorgekommen, in denen doch gar nichts auf
diese Frage bezügliches zu finden ist 2 ). Und das war aus der
Apologia selbst zu entnehmen, in welcher nicht blos die von Valla für
die beabsichtigte öffentliche Disputation aufgestellten und dann von
der neapolitanischen Inquisition aufgegriflfenen Thesen (quaestiones)
der Reihe nach aufgezählt, sondern auch die Schriften, aus welchen
die einzelnen Sätze gezogen sind, mit hinreichender Deutlichkeit
unterschieden werden. Auf die quaestiones selbst, bei welchen einige
Schwierigkeiten zu erledigen bleiben, will ich hier nicht näher ein-
gelien; die Schriften aber werden in folgender Reihenfolge aufge
führt: 1) de voluptate oder nach der spätem Aufschrift de vero
bono, welche dem engherzigen Fanatismus am meisten Scrupel be-.
reitet zu haben scheint und daher von Valla am eingehendsten ver
fochten .wird; 2) de repastinaiione philosophiae oder, wie sie
gemeinhin genannt wird, dialecticae quaestiones; 3) elegantiae
linguae latinae; 4) de libertate arbitrii; S) de professione religio-
sorum; 6) de symbolo apostolico 3 ). Über den letztem Gegen-
Die einzige dem Antonius Panormita (de volupt. I c. 44—46 p. 923 ff.)
sowie in der späteren Bearbeitung (nach Antidotum IV p. 342 fg.) dem
Maphaeus Vegius in den Mund gelegte epicureische Verdammung der
virgines sanctimoniales oder Vestales bat, selbst wenn die Beziehung auf
gegenwärtige Verhältnisse zuzugeben, mit der Frage der professio, wie
sie in der Apologia behandelt wird, gar nichts zu thun.
3 ) Aus den Schlussworten der Apologia p. 800 entnimmt man noch, dass auch
Valla zur Zeit des Unionsconcils zu Florenz mit der damals vielfach auch
ausser dem Concil verhandelten Frage über den processus Spiritus sancti
sich befasst hatte: nam illa, quae de spiritu sancto obiecerunt, respondi
mentiri eos , qui me affirmasse aliquid contra ecclesiam criminarenlur, sed
54
V a h 1 e n
stand, welcher den nächsten Anlass zu Valla's Anklage und Ver-
urtheilung abgegeben, hat Valla ausser der Antidotum IV p. 360
erwähnten epistola ad Collegium iurisconsultorum Neapolitanorum,
in welcher er die beiden für das Alter des sogenannten apo
stolischen Symbols in Frage kommenden Stellen des Isidorus und
Gratianus kritisch auszugleichen gesucht hatte, vermuthlich in
Folge der daran sich knüpfenden Ereignisse nichts weiter auf
gesetzt. Sicherlich gehört nicht hierher eine Schrift unter dem
Titel Calum/nia tlieologica / Laurentio Vallensi olim Ne/apoli
intentata, quod ne/gasset symbolum mem/bratim articulatimque /
per Apostolos esse/compositum. / Ipso Laurentio Valla autliure. / =
Argentorati apud Hulderi/chum Morhardum, Mense’ Iunio. Anno /
M. D. XXII, welche Poggiali, der sie nicht gesehen, nach Fabricius
Bibi. m. et inf. lat. anführt, und über welche er sich Memorie
p. 133 fg. zweifelnd so ausspricht: Se veramente il Valla scrisse
quest' opera, c assai probabile, che fosse una prima o seconda
Orazione Apologetica da lui composta in Roma e ristretta a quel
punto solo, che tanti guai gli avea tirati addosso in Neapoli e
occasion diede a tante dicerie da' nemici contra lui divulgate.
Diese Schrift ist nämlich nichts als ein besonderer Abdruck des
diesen Streit betreffenden Abschnittes aus dem Antidotum in
Poggium IV p. 353: Iste tuus clandestinus — p. 362 contra me
sub alio pontifice conatus sit: wie dies auch die innere Aufschrift
über der Schrift selbst besagt.
Die übrigen fünf in der Apologia genannten Schriften sind
augenscheinlich in chronologischer Abfolge an einander gereiht, und
wir gewinnen hieran einen weitern Anhalt, um die Abfassungszeit
der Schrift de professione zu bestimmen. Von der ersten, dem
Dialog de voluptate, ward früher (zweiter Excurs S. 44 fg.) ausge
führt, dass die erste diesenTitel tragende Bearbeitung in den Anfang
des Jahres 1431 zu setzen, die zweite, welche die Aufschrift de vero
bono führt, in das Jahr 1433 falle. Die letztere Bearbeitung aber
lag fertig vor, als Valla die dialecticae quaestiones niederschrieb,
aliqua vel ante concilium Florentinum vel ipsius concilii tempore, ut
armatior pro Latinis essem, disseruissc confessus sum: neque de hac re
post accusationem illam vel ipsi inimici mei dixerunt me qnippiam pro-
tulisse.
Laurentii Valfae opuscula tria. 1.
35
in denen mehre eingehende Erörterungen mit Ausführungen in jener
Schrift parallel gehen: woher es auch kommt, dass in der Apologiu
einige quaestiones aus dem Buch de vero bono angeführt werden,
welche ebenso und zum Theil in noch genauerer Übereinstimmung
in den dialecticae quaestiones sich finden. Ausser diesen hier nicht
näher zu verfolgenden Beziehungen zwischen beiden Schriften wird
in den dialecticae quaestiones auch ausdrücklich auf jenen Dialog und
zwar unter dem Titel der zweiten Bearbeitung de vero bono verwiesen:
I c. 9 p. 663 pergamus dicere de eisdem animae potentiis, ut
aliqua de virtute et moribns disputemus: etsi haec in libris de
vero bono tractavimus, non tarnen hie otiosa erunt, und beim
Abschluss dieser Erörterung de virtutibus I c. 10 p. 670: de qua
iam finem faciam, ne omnia, quae dici possunt, consectari videar,
cum praesertim latius de his in alio opere disseruerimus. In dem
selben Abschnitt (p. 669) über die Ausdrücke voluptas und fruitio
heisst es: plura attulimus huius rei in libris de vero bono
exempla. Die Abfassung der dialecticae quaestiones, die, wenn ich
nicht irre, mit Valla’s Lehrthätigkeit in Pavia im Zusammenhang
stand (vgl. p. 694), scheint sich durch mehre Jahre hindurchge-
zogen zu haben, und aus dem III c. 6 p. 736 angeführten Beispiel von
Campania darf man schliessen, dass dieses Buch wenigstens nicht
mehr in derLombardie geschrieben worden. Der Stossseufzer im Epi
log (p. 760 fg.) über die Gefahren, denen Yalla sich durch das Stre
ben, die Wahrheit zu erforschen und frei herauszusagen, ausgesetzt
habe, hat ohne Zweifel einen ganz speciellen Anlass, und der eben
dort erwähnte Vorwurf seiner Anverwandten, quod dignitatis am-
pliandae rationem non haberet ac ne salutis quidem, legt die Ver-
muthung nahe, dass der Epilog in dem Intervall geschrieben sei, als
Valla seine Lehrthätigkeit in der Lombardie aufgegeben, aber eine
feste Stellung im Dienste des Königs Alphons noch nicht wieder
gewonnen hatte.
Einen näheren Anhalt zur Bestimmung, wann die dialecticae
quaestiones vollendet waren, gewinnen wir aus den in der Zeit sich
zunächst anschliessenden, zum Theil mit ihnen parallel gehenden
Elegantiae linguae latinae. Letztere Bücher, welche einzeln bekannt
gemacht sind, gehen in ihren Anfängen in Valla's Aufenthalt in der
Lombardie zurück, wie man aus dem Prooemium zum II. Buch ent
nimmt. Schon im ersten Buch, das auf einige in den dialektischen
56
V a h 1 e n
Untersuchungen berührte Fragen des Sprachgebrauchs zurückkommt
(wie Elecj. I 29 in ipso legere vgl. mit Dial. quaest. I c. 5 p. 654),
wird I c. 35 auf das philosophische Werk verwiesen: alia quoque
knc pertinentia (er handelt von den participia praesentis') in nostris
de philosophia libris commodius explicantur. Das Prooeinium des
dritten Buchs kündigt die philosophische Schritt als fertig und zur
Herausgabe bereit an: philosophorum .... quos ego ob hoc maxime
errare, quod loquendi facultate caruerunt, in libris meis de dia-
lectica ostendo: quos iam edidissem, nisi amici me lios potius edere
coegissent: und in diesem Buche selbst III e. 69 heisst es ent
sprechend: ’aliquis', 'qtäsquam , 'quispicim , ’ullus’ idem signi-
ficant differuntque a ' quidam , ut in alio opere, quod de dialectica
propediem edemus, ostendetur: sowie auch schon III c. 30 die
Dialektik als vollendet bezeichnet ist: cetera, quae de natura
negationum disputari solent, in libros dialecticae nostrae con-
tulimus (vgl. Dial. quaest. III c. 17).
Am dritten Buch der Elegantiae aber arbeitete Yalla im
Jahre 1438. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem III c. 15 an
geführten Beispiel: a natali domini salvatoris anni sunt mille
quadringenti triginta octo, vel mille et quadringenti ac triginta
octo ... ab incarnatione salvatoris sunt anni mille quadringenti
düodequadraginta. Et per denominativa, ut ab incarnatione agitur
antius millesimus quadringentesimus duodequadragesimus. Denn
wer zur Erläuterung der lateinischen Numeralia ein Beispiel dieser
Art gebraucht, nimmt entweder ein völlig beziehungsloses Jahr oder
er nimmt das, in welchem er schreibt 4 ). Überdies kommen andere
Yalla liebt es, die selbstgemachten Beispiele von sich und seinen Ver
hältnissen zu nehmen. Es ist verkehrt, wenn Tiraboschi Stör. dell. lelt.
ital. VI p. 1058 das Elegant. III 63 für den Unterschied von orlus und
oriundus angeführte Beispiel cuius utendi hic modus esl: 'Ego surn orlus
Romae, oriundus a Plaeentia’ nicht auf Valla selbst bezogen wissen will,
da es doch das (auch anderweitig feststehende) thatsäehliche Ver-
hältniss, dass Valla’s Eltern aus Piacenza stammten, er selbst in Rom ge
boren war, in knappem Ausdruck ausspricht. Wer Valla’s Erlebnisse vor
seiner ersten Abreise von Rom im Gedächtniss hat (vgl. oben S. 42), dem
wird die Beziehung des Beispiels Eleg. I c. 19: ne hoc quidem harharie
caret... ’iste esl nirnis iuvenis ad dandum sibi tale negotium’ von selbst
klar sein. Auch Eleg. V c. 68: impositmn est praesidium Caietae ist be-
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
57
Indicien hinzu, welche, wenn auch minder bestimmt, das aus jenem
Citat geschöpfte Resultat bekräftigen.
Das Prooemium dieses nämlichen Buchs der Elegantiae beginnt
mit den Worten: Pcrlegi proxime quinquaginta digestorum libros
ex plerisque iurisconsultorum voluminibus excerptos, und aus
Valla’s Antidotum in Poggium IV 355 entnehmen wir, dass diese
eindringliche Beschäftigung mit dem corpus iuris civilis in seinen
Aufenthalt auf Gaeta gehört: liic (ein ungenannter Bischof) Caietae
cum a quibusdam suae gentis hominibus me laudari audisset, ut
grammaticum, rhetorem, poetam egregium, et dialecticum, pliilo-
sophum, theologum, et litteris graecis mediocrem, nugae sunt
ista, inquit, iuris scientia est rerum regina . . . Atqui Laurentius,
illi inquiunt, non alienus est ab iuris scientia, quippe qui cum
alias tum vero superioribus diebus totum corpus iuris civilis e-
volvit. Perturbatus hic sane, quid, aitne iste se intelligere ins
civile? Quidni, illi respondent, cum etiam in opere suo de elegantia
linguae latinae iurisconsultos testetur 5 ). Ferner im Prooemium zum
V. Buch der Elegantiae schreibt er: Tertius iam mihi et prope
quartus annus agitur peregrinanti semper et per omnia maria
terrasque volitanti, proxima etiam aestate et quidem tota mili-
tiam experto. Wir werden nicht irren, wenn wir hierin die Jahre
1436—1439 bezeichnet sehen, in denen Valla in der docta cohors
zeichnend. Daher wir auch oben S. SS in den dialect. quaest. das Beispiel
von Campania unbedenklich für die Zeitbestimmung dieser Schrift be
nutzten. — Die Citate aus den Elegantiae sind nach der Ed. Coloniae 1322
gegeben.
5 ) Valla erzählt dort weiter, wie er jenen auf seine Rechtsgelehrsamkeit
pochenden Wann verblüfft habe, der ihm dann Rache geschworen (p. 356)
praesertim qnod audissetpaulo post quandain me rem de iure componere,
euius si tutum esset nunc facerem menlionem, sed non sunt omnia in prae-
sentiarumpatefacienda: und in ähnlicher Art schreibt er bald nachher von
einer in dieselbe Zeit und, wenn ich nicht irrrc, gleichfalls nach Gaeta
gehörigen Begegnung mit einem andern Bischof, der in Folge dessen mit
jenem erstem zusammen anfing de me frequenter maligne loqui et consultare
ob illudpraecipue opus, quod nuper composuissem , quod si hoc pacto sub-
ruerent, magnas sibi spes proponebant: non licet apertius loqui, forte erunt,
qui haec intelligent etc. Es ist die Schrift de donatione Constantini gemeint,
mit deren Abfassung Valla um das Jahr 1440 beschäftigt war. An Gedanken
in dieser Schrift erinnert auch die Expectoration über die reges Romani
in Eleg. IV c. 70.
58
V a h l e n
des Königs Alphons diesen auf seinen Feldzügen begleitete 6 ); und
in demselben Zusammenhang erklärt Valla weiter, dass er die schon
Yor jenen bewegten Jahren angelegten sechs Bücher Elegantiarum
nun rasch zum Abschluss zu bringen gedenke, um sie den vielen
Liebhabern, welche das Werk bereits gefunden, nicht länger vor
zuenthalten.
Die dialektischen Untersuchungen also, halten wir fest, harrten
schon vor 1438 der Herausgabe, wir nehmen an, dass sie in diesem
oder einem der nächstfolgenden Jahre wenn auch nicht eigentlich
ediert — denn es fehlt ihnen eine Widmung, die nach der Sitte
der Zeit als Zeichen der Herausgabe zu gelten hat •—■ so doch in
weiteren Kreisen verbreitet worden"). Die Elegantiac selbst aber,
deren drei letzte Bücher nach 1438 rasch hinter einander ausge
arbeitet sind,.müssen spätestens im J. 1442 schon in vielen Exem
plaren verbreitet gewesen sein, ln den gegen Ende 1443 verfassten
Recriminationes in Facium schreibt Valla I p. 470 taceo ceteros, apud
quos idem reperitur, u me diligentissime lectos, cum de elegantia
linguae latinae composui . . . cuius operis plus quam centum
exemplaria muttis iam annis conscripta ccüumniam hominis co-
arguunt. Die adnotationes in Raudensem, welche, wie ich glaube
wahrscheinlich machen zu können, Anfang des Jahres 1443 ge
schrieben sind, setzen die Verbreitung der Elegantiae nothwendig
B ) Einen erläuternden Commentar zu jener Stelle der Elegantiae gewährt
was Valla zur Abwehr der dagegen gerichteten Verhöhnung Poggio’s im
Antidot. I 273 ausführt: quid mendacius quam negare me navigasse, qui
Venetias mari circumfluas, qui insulam Siciliam adii, qui non semel oram
Elvuscam Ligusticamque sum praetervectus, quipugnis navalibus ad insulam
Jnariam (d, i. Aenaria oder Isclai) et alibi interfui, non sine vitae perictdo,
negare. me etiam militiam expertum et nudum conspexisse ensem, qui tot
expeditionum clarissimi regis Alphonsi comes fui ac tot praelia vidi, in
quibus de salute quoque mea agebatur etc.
7 ) In den späteren Büchern der Elegantiae linden sich neben manchfacher
stillschweigender Rücksichtnahme auf die dialektischen Untersuchungen
auch ausdrückliche Citate derselben, wie z. B. IV 99 über qualitas und
substantia , quas res diligentius exequimur in dialeeticis nostris und VI 34
in der Untersuchung über persona bei Erörterung des Begriffs qualitas:
quumquam de hac re suo loco in nostro opere de dialectica disseruimus.
Doch lässt der Wortlaut derselben nicht mit Bestimmtheit erkennen, ob
das Werk als herausgegebenes zu betrachten sei.
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
59
voraus, und in der dieser Schrift Vorgesetzten Widmung beklagt
sich Valla, dass Aurispa die Elegantiae, noch bevor sie jemanden
gewidmet worden, puhlicirt habe: veritus sum, ne quod elegantiis
accidit, id huic libro accideret: cum enim Mas ad nullum scribo,
sed ad' te atque ad loannem Aurispam cognoscendas mitto, ie
absente Aurispa publicavit, ut iam post infinita exempla vix ausim
eas ad aliquem scribere (vgl. auch die viel spätere Dedication der
Elegantiae an Iohannes Tortellius). In den Ende Deeember 1444
an Aurispa und Anfang 1445 an Gherardo Landriani geschriebenen
Briefen (Epistolae principum p. 345 u. p. 3 G ft) redet er von den
Marginalglossen, durch die er das Werk noch nützlicher gemacht
zu haben hoffe, und der Absicht, die Raadensia als VII. Buch den
bisherigen sechs hinzuzufügen.
Sowie nun die bisher besprochenen Schriften de voluptate oder
de vero bono, dialecticae quaestiones, elegantiae linguae latinae
durch die innern Beziehungen der einen auf die andern in dieser
Abfolge chronologisch geordnet erscheinen, so verhält es sich auch mit
den beiden noch übrigen Dialogen de libertate arbitrii und deprofes-
sione religiosorum. Beide Schriften werden durch die früher hervorge-
liobene Gleichartigkeit in der Anlage näher an einander gerückt
und die zweite nimmt auf die erste ausdrücklich Bezug, sowie diese
hinwiederum auf den Dialog vero bono verweist (de libertate arbitrii
p. 1000: in praesentiarum vero ostendere volumus Boetium . .
non eo modo quo debuit disputasse de libero arbitrio in quinto
libro de consolatione: nam primis quatuor libris respondimus in
opere nostro de vero bono). Allerdings finden sich in jenen beiden
Dialogen keine directen Beziehungen auf die Dialektik oder auf die
Eleganzen. Allein die im übrigen deutlich vorliegende chronologische
Reihenfolge, in welcher die Schriften aufgeführt werden, kann nicht
daran zweifeln lassen, dass es gleichfalls einen chronologischen
Grund hatte, dass Valla diese beiden Dialoge nicht dem älteren de
vero bono unmittelbar angereiht, sondern von diesem durch die
zwischengestellten ganz anderartigen Bücher über die Dialektik und
die Eleganzen getrennt hat. Schon nach dieser Erwägung muss es
als nicht wohl überlegt erscheinen, dass Clausen in der seinem
Buche angehängten chronologischen Tabelle (vgl. die Besprechung
S. 73) den Dialog de libertate arbitrii unmittelbar hinter dem
andern de voluptate unter Pa via (1431J eingereiht hat. Zwar
60
V a h 1 e n
hatte ich selbst in meinem Vortrag über Lorenzo Valla S. 187 beide
Schriften hinter einander und im Zusammenhang behandelt, allein
ich that es wegen der von Valla selbst hervorgehobenen inneren
Beziehung beider, die in der Bekämpfung des Boetius gegeben ist,
und that es nicht ohne die ausdrückliche Erklärung, dass der Dialog
de libertate arbitrii 'viel später’ aufgesetzt sei. Und dies musste sich
auch, von jeder weiteren Erwägung abgesehen, schon aus dem
Umstande ergeben, dass sowohl der Mitunterredner Antonius Glarea
(den Valla p. 1000 einen Landsmann des h. Laurentius, nach der
gewöhnlichen Tradition eines Spaniers, nennt) als auch Garsn
episcopus Ilerdensis, dem der Dialog gewidmet ist, Spanier sind,
deren Bekanntschaft, wie man naturgemäss annimmt, Valla erst
gemacht hat, als er im Dienste des Königs Alphons stand. Uber den
ersteren, der im Antidotum in Poggium IV 344 mit Bezug auf
die hiesige Schrift noch einmal, aber sonst in Valla’s Werken nicht
mehr genannt wird, weiss ich näheres nicht zu sagen. Was aber
über den zweiten nachzuweisen möglich gewesen, wird, die An
nahme, dass jener Dialog nicht mehr in der Lombardie geschrieben
sei, bekräftigen. Über ihn entnehme ich einige Daten (urita’s Anales
de Aragon Tom III.
Im J. 1420 ist es Garcia Aznar de Anon (damals noch nicht
Bischof von Lerida), der den Gesandten der Königin Johanna von
Neapel veranlasst, sich an König Alphons von Aragonien um Hülfe
für die bedrängte Königin zu wenden , was den ersten Anfang
bildete zu dem langjährigen Krieg um den Thron von Neapel, der
mit der Eroberung des Königreichs durch Alphons sein Ende fand.
£urita (fol. 140 v. b) schreibt zu dem Jahre 1420: Hallava se a
caso en Florencia un cortesano Romano natural del reyno de
Aragon, q se llamava Garcia Aznar de Anon, q fue despues Dean
de Tarugonu y Obispo de Lerida y dio grau esperanga al Car affa,
que de Principe ninguno del mudo non podia ser la Reyna socor-
rida . . tan oportunamente, como del Rey su senor (Alphons) s). Im
Jahr 1434 (am 9. Juli) wird Garcia, jetzt, wie £urita hinzufügt,
8 ) Es ist dieselbe Gelegenheit, von welcher Faeius Res gestae Alphonsi
I fol. 2 D erzählt: Erat enim forte per id temporis Florentiae Gartias
quidam Jhspanus eques, Alphonso pereants, qui eognita causa adventus
Malihae (Cara/fae), cum haud duliam auxilii regii spem fecisset, uti ad
regem continuo navigaret, persaasit. Vgl. Corio L’ Eistoria di Milano
Laurentii Vallae opuscula tria. I.
61
Dean de Taragona, von König Alphons an den damals von Rom ge
flüchteten Pabst Eugen IV und bald nachher an die dem König ab
wendig gewordene Königin Johanna gesendet (Qurita fol. 223 r. a.
v. b). Erst zum Januar 1435 erwähnt Qurita (fol. 227 v. a.) den
Garcia Aznar de Anon als obispo de Lerida, indem er hinzufügt,
dass er dies Bisthum erhalten, nachdem der bisherige Cardinal
von Lerida Domingo Ram das Erzbisthum Taragona übernommen
hatte. Aus der Espana sagrada (Tom. XLVII p. 77 ff.) füge ich
die weiteren Angaben hinzu, dass Domingo Ram am 25. August
1434 von dem Bisthum Lerida in das Erzbisthum Taragona ver
setzt worden, aber dasselbe erst am 26. Juli 1435 angetreten
habe, Garcia aber, dessen Ernennung zum Nachfolger Ram's in
Lerida nach der Espana sagrada in den ersten Monaten, nach
Qurita spätestens im Januar 1435 erfolgte, am 22. Juli dieses
Jahres von dem Bisthum durch einen Procurator Besitz nahm:
denn er selbst widmete sich trotz der Übernahme des Bisthums,
wie bisher, den diplomatischen Geschäften des Königs, dessen
Vertrauen er in hohem Grade besessen zu haben scheint. Er war
in den Jahren 1435 und 1436 der königliche Gesandte am päbst-
lichen Hofe, bis im März des zuletzt genannten Jahres die Ver
handlungen zwischen König und Pabst abgebrochen und der Bischof
von Lerida sowie die übrigen aragonesischen Prälaten abbe
rufen wurden s). Wohin sich Garcia seitdem begeben, ist unklar.
Am 4. Januar 1437 hatte der König Befehl gegeben, dass Abge
ordnete ans seinen Staaten an das Baseler Concil aufbrechen sollten:
Vinegia 1334 fol. 319 r. Dieser Gartias Hispanus eques, der spätere
episcopus Ilerdensis ist nicht zu verwechseln mit dem bei Facius fol. 94 B
und auch sonst mehrfach erwähnten Gartias Cabanellus Hispanus eques,
der auch bei Qurita wiederholt genannt wird, Garcia de Cabanillas. Unseres
Bischofs Garcia thut meines Erinncrns Facius keine weitere Erwähnung.
°) Vgl. Qurita Tom. III fol. 227 v. 23S v. 236 v. 238 r. und Espana sagrada
Tom. XLVII p. 79 und p. 313. Zwischen den Nachrichten beider besteht
eine nicht unerhebliche chronologische Differenz, die ich nicht auszugleiehen
weiss. Die von Garcia mit dem Pabst geführten Unterhandlungen über die
Einnahme von Terracina verlegt furita in den Februar 1436, während die
in der Esp. sagr. 313 abgedruckte königl. Instruction an Garcia (der nicht,
wie furita sagt, von Gaeta geschickt wird, sondern sich am päbstlichen Hofe
befindet) das Datum Gaeta 11. Februar 1433 trägt. Hiernach aber müsste
die ganze Reihenfolge der bei Qurita erzählten Ereignisse um ein Jahr
zurückgeschoben werden.
62
V a h 1 e n
auch Garcia gehörte zu ihnen, doch war er im März 1438 noch in
Valencia in Angelegenheiten des Königs beschäftigt (Espana sagrada
a. a. 0. p. 79), und scheint erst in den nächstfolgenden Jahren —von
dem J. 1440 ist es durch eine in der Espana sagrada a. a. 0. p. 317 fg.
abgedruckte Urkunde sicher — an den Berathungen des Concils
Antheil genommen zu haben. Seit seiner nicht näher zu bestimmenden
Rückkehr von Basel finden wir ihn wiederum in Italien und Spanien
in diplomatischen Verhandlungen thätig (vgl. furita z. J. 1445 fol.
294 r. b. 295 r. a. 298 v. a). Er starb im März 1449 10 ).
Hiernach ist klar, dass der dem Bischof von Lerida gewidmete
Dialog de libertate arbitrii vor dem Jahre 1435 gar nicht geschrieben
sein konnte, und dass er noch das eine und andere Jahr weiter hinab
zurücken sei, legt der Umstand nahe, dass Valla erst seit 1436 in
den Dienst König Alphons' getreten war. Als Valla in dem Prooemium
zum IV. Buch der Elegantiae die Worte schrieb: nolo in lioc loco
comparationem facere inter philosophiam et eloquentiam, utra
magis obesse possit, de quo multi diccerunt, ostendentes philo
sophiam cum religione Christiana vix coliaerere omnesque haereses
ex philosopliiae fontibusprofluxisse, hatte er vermuthlich die Schrift
de libertate arbitrii noch nicht geschrieben, in deren praefatio
(p. 999) er denselben Gedanken ausführt: si probe animadvertamus,
quidquid Ulis temporibus haeresum fuit, quas non parum multas
fuisse accepimus, id omne fere ex philosophicorum dogmatum
fontibus nascebatur, utnon modo non prodesset philosophia sanctis-
simae religioni sed etiam vehementer obesset.
Später als dieser Dialog ist der andere, auf jenen verweisende
de professione religiosorum, aus dessen Widmung an Baptista
Platamon wir früher (S. 35) entnahmen, dass er wenigstens vor
1444 verfasst sein müsste: was sich auch daraus ergibt, dass die
10 ) An seiner Stelle erhielt das Bisthum Lerida der Cardinal Antonius Cerdani
tit. S. Chrysogoni (Marini Archiatriponlif. I 149. Georgias Vita Nicol.
p. 59), und dieser cardinalis Ilerdensis, der in den Jahren 1452—1459
in Rom seinen Sitz hatte, ist es, den Valla im Antidotum IV p. 340 nennt.
Er ist es auch, der in dem Conclave bei der Wahl Pius’ II. Cardinalis Ilerdensis
genannt wird, worüber Voigt Enea Silvio III S. 9 A. einen seltsamen
Irrthum begeht, indem er Juan Luis de Mila für den cardinalis Ilerdensis
nimmt und daher diesen zweimal genannt, den Cerdani aber übergangen
glaubt.
£
Laurentii Vallae opuscula tria. I. 63
beabsichtigte öffentliche Disputation, für welche Valla Sätze auch
aus dieser Schrift anfgestellt hatte, in dieses Jahr fällt, sowie die
der Verfechtung jener Thesen gewidmete Apologia ad Eugenium
1445 aufgesetzt worden ist *i). Allein der Dialog wird noch etliche
Jahre weiter zurückgeschoben durch die Erwägung, dass er unter
den neuesten Productionen, die Valla in dem Briefe an Aurispa
pridie Kal. lau. [1444] und dem an Gherardo Landriani XII Kal.
Febr. [1445] seinen Freunden ankündigt, nicht genannt ist. Unter
den dort erwähnten lässt sich, um von den früher verbreiteten
Elegantiae cum compendiariis glossis zu schweigen, von den
Baudensia zeigen, dass sie Anfangs 1443 verfasst sind, von den
Annotationes in novum testamentum, auf welche die Baudensia
als eine fertige Schrift wiederholt Bezug nehmen ,2 )> bezeugt Valla
1 1) Auf diese Verhältnisse und Jahre, die ich jetzt nicht eingehender be
handeln kann, hoffe ich bei einer andern Gelegenheit zurückzukommen:
für jetzt sei soviel bemerkt, dass Valla im September 1445 auf kurze Zeit
in Rom war: gleich nach seiner Rückkehr nach Neapel schrieb er in Folge
der in Rom gemachten Erfahrungen die Apologia ad Eugenium, welche
eben herausgegeben und verbreitet wurde, als Valla an den Recriminationes
in Facium arbeitete IV 626: teslis est meus libellus ad summum pontificem
scriptus, qui a plurimis transcribitur. Vgl. p. 632 nisi libellus ille ad
summum ponlificem missus satis responderet calumniae vestrae. Eben
da p. 632 bezeichnet er den Besuch in Rom als kurz vorhergegangen: non
rex, cui tot menses lego, vir bonus est, nec summus pontifex, quem
superipribus diebus adii, nec cardinales, qui ad me scriptilant.
13 ) In- den Annotationes in Raudensem (hinter Elegantiae. Col&niae lo22)
p. 15 f. schreibt Valla zu d. W. Areopagus: ob hunc errorem puto istos
existimasse hunc esse locum sapientum ac philosophorum, ut in alio dixi
opere vgl. mit Annot. in N. T. Act. apost. c. 17 p. 852 b. Rand. p. 47
über presbyter: de quo latius in alio disputavimus opere, verum ibi de vi
nominis vgl. mit Ann. in N. T. Act. apost. c. 15 p. 851 (890 u. 892). Und
p. 30 über reatus: de usu cvangeliorum hoc loco non attinet dicere , cum
plura disseramus in libris super novum testamentum. P. 40 illud autem
exemplum ex actibus apostolorum 'quempiam Simonem’ quam eleganter
dicatur, in libris interpretationis novi testamenti ostendimus u. a. Doch sind
spätere Zusätze in der Schrift über das N. Test, gemacht, was ich hier nicht
verfolge. Valla hatte die Bücher, wie er in dem Briefe an Aurispa versprach,
als er 1445 nach Rom kam, mitgenommen und hier kamen sie, da sie von
mehreren begehrt wurden, ihm selbst abhanden, so dass er im Antidotum
in Poggium IV p. 339 fg. (d. i. also J 453) schreiben kann: per occupatione
meas . . . non edidi nec unum mensem penes me fuerunt Itbri illi iam octo
64
V a h 1 e n
selbst, dass sie vor der Eroberung Neapels 1442 ausgearbeitet
sind, indem er Antidotum in Poggium IV 342 schreibt: mentiris,
quoniam et antequam rex expugnaret Neapolim , fuit mihi ille
inimicissimus (Panormita) iam inde a Caieta, tametsi male adhuc
sarta gratia erat Papiae rescissa et post ortas inter nos simultates
ego de novi testamenti collatione composui, ut ipse illiul opus a me
ostensum sibi non queat dicere.
Hiernach also dürfen wir annehmen, dass der Dialog de pro
fessione, der übrigens weder in den Recrimmationes in Facium noch
im Antidotum in Poggium erwähnt wird 1 “), zu den vor 1442 ver
fassten Schriften gehört, wonach er dem andern, ihm auch in deräussern
Anlage verwandten de libertate arbitrii in der Zeit näher gerückt wird.
Fassen wir das Ergebniss dieser Untersuchung zusammen, so
erhalten wir folgende chronologische Reihe: 1431 de voluptate in
erster Bearbeitung; 1433 in zweiter Bearbeitung unter dem Titel
de vero bono; in dem Intervall von 1433—1438 die dialecticae
quaestiones; 1438 das III. Buch der Elegahtiae und in den Jahren
kurz vorher und nachher die übrigen Bücher dieses Werkes; 1438—
1442 die Dialoge de libertate arbitrii und de professione religio-
sorum. In diesen Ansätzen, welche der Aufreihung in der Apologia
entsprechen, wird kaum ein Irrthum sein, wenn auch in dem einen
und andern Fall sich die Grenzen vielleicht noch enger ziehen Hessen.
Dies wäre für den Dialog de professione möglich geworden,
wenn es hätte gelingen wollen, die im Eingang desselben erwähnte
Entdeckung einer Verschwörung, welche auf den 4. Januar gefallen,
an ein bestimmtes Jahr zu heften. An Complotten und Ver
schwörungen hat es in jenen Jahren eines langwierigen Prätendenten
kriegs, in welchem das Königreich Neapel in die Angiovinische,
Dyrrliachinische, Aragonesische Partei gespalten war, zwischen
welchen noch eine pontificische ihr Spiel trieb, überall nicht gefehlt,
doch was ich dieser Art erwähnt finde, ist entweder undatirt oder
fügt sich sonst nicht zu Valla’s Angaben: vielleicht gelingt es
annis ex quo composui, et apud Marcellum sunt Caput ferreum iam inde
a discessu doctissimi viri . . S. Petri Cardinalis (Nie. Cusanus).
■< 8 ) Man darf daraus mit Sicherheit schliessen, dass sie weder Facius noch
Poggius bekannt war: viele Abschriften derselben werden also wohl über
haupt nicht verbreitet gewesen sein, wie denn auch heute nur eine einzige
sich erhalten hat.
Laurentii Vallae opuscula tria. I. 05
anderen in der Geschichte dieses Zeitraums besser bewanderten das
mir fehlende zu ergänzen.
Über den in dem Dialog genannten Paulus Corbio, der sonst
in Valla's Schriften nicht erwähnt wird, kann ich keine Auskunft
geben. Was aber den in der praefatio erwähnten Serra (ad ami-
cissimitm mihi SerramJ anlangt, au den Valla eine umfangreiche
epistola apologetica geschrieben, so möchte man geneigt sein, in
ihm des Königs Alphons Almosenier Bernardus Serra, Cisterzienser-
mönch und Magister der Theologie zu erkennen, welcher gerade in
denselben Jahren und in ähnlichen Unterhandlungen mit Pabst
Eugen und dem Baseler Concil wiederholt begegnet wie der
Bischof von Lerida, und es wäre nicht ohne Interesse wahrzunehmen,
dass Laurentius Valla, der seinerseits in die Verhandlungen über
den Neapolitanischen Thronstreit nicht uneingeweiht war, so wie
er einem Diplomaten wie Garcia, einem Staatsmann wie Platamon
nahe stand, auch mit jenem im Rath des Königs angesehenen Theo
logen freundschaftliche Beziehungen unterhalten und ihn auser
sehen habe, um in einer eingehenden epistola sich wegen der ihm
,4 ) Sehon 1432 war dieser Bernardus Serra vom König Alphons an das Baseler
Concil gesendet worden: das ihm ausgestellte königl. Creditiv nebst zwei
anderen Schreiben des Königs an das Concil bei Martene & Durand Vet.
script. ampl. coli. Tom.;VIII. f. 188—193; und von demselben Serra rührt her
die ebend. f. 206 abgedruckte Propositio facta per dominum eleomosy-
narium regis Aragonensis in congregatione generali s. conc. Basil. — Im
J. 1435 ist Serra beim König in der Gefangenschaft in Mailand (f 111'ita
III f. 232 v.) und im folgenden Jahre führt er mit Pabst Eugen Unter
handlungen in der Neapolitanischen Erhfolgefrage (Qurita 1. c. f. 236.
237. 242); 1437 geht er abermals mit Aufträgen des Königs nach Basel
(Qurita fol. 243 v.), ist aber 1438 wieder in Italien, und in Unter
handlungen mit Pabst Eugen (tjurita f. 249 v.j. — Es ist dabei nicht zu
vergessen, dass Valla selbst mit dem Baseler Concil in Verbindung stand:
denn die Anklage, dass er von dort wegen seiner feindseligen Gesinnung
gegen Pabst Eugen Beneficien erlangt habe (Apolog. z. E.), wird von ihm
nicht stricte widerlegt. — Dass Valla’s Freund Serra ein Spanier
gewesen, könnte man auch daraus schliessen, dass Spanier dieses Namens
mehrfach genannt worden, wenn auch nicht aus dieser Zeit: doch ist auch
dieser Schluss nicht sicher, und die ganze Frage, da uns Valla nicht
wenigstens noch den Vornamen gegönnt hat. schwerlich zu entscheiden.
Nur soviel scheint klar nach der Art, wie er in der Widmung an Platamon
eingeführt wird, dass es eine in jenen Kreisen hinreichend bekannte
Persönlichkeit gewesen sein muss.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd., I. Hit.
5
66
Vahlen Laurentii Vallae opuscula tria. I.
schon damals vielfach gemachten Vorwürfe, dass er sich in seinen
Schriften 15 ) semper aliquem ad repr eilenden dum aussuche, zu
rechtfertigen. Dennoch verhehle ich mir nicht, wie trügerisch diese
Combination sein kann, die lediglich auf der Übereinstimmung des
einen Namens Serra beruht, und so mag denn die Person dieses
Freundes ebenso im Unklaren bleiben, wie uns die an ihn gerichtet
gewesene epistola völlig verschwunden ist, was um so mehr zu be
dauern, je mehr nach dem ausgesprochenen Zweck derselben sie
über die früheren schriftstellerischen Arbeiten Valla’s Auskunft zu
geben Veranlassung hatte. Doch haben wir den Verlust so mancher
Schrift Valla’s zu beklagen, deren in den erhaltenen Werken Er
wähnung geschieht, und bei denen wir hie und da nothdürftig aus
den von ihm gegebenen Andeutungen uns eine ungefähre Vorstellung
zusammenzulesen im Stande sind. So war die in dem Brief an
Cardinal Gherardo Landriani erwähnte Epistola (mitto ad te
epistolam quam nuper ad amicum misi, ut sciam quid de mea
sententia sentias) nicht ein freundschaftlicher Brief, sondern eine
in Briefform gekleidete Untersuchung, über deren Inhalt sich ver
schiedenes vermuthen, nichts mit einiger Zuversicht aussagen lässt.
In den Recriminationes in Facium I p. 504 erwähnt er libellum de
novis rebus antiquitati prorsus ignotis condidi, ubi de hac quoque
(bombarda) feci mentionem testatus uecesse scriptoribus esse
uti ipsarum rerum vocabulis iam usu receptis, und was interessanter
ist, in denselben Recriminationes wird mehrfach einer kurz vorher
von Valla geschriebenen, aber damals noch nicht herausgegebenen
Schrift über die Rhetorik ad Herennium gedacht, über welche, so
wie über einige andere sonst gelegentlich angeführte aber heute nicht
vorhandene Schriften desselben, vielleicht eine andere Gelegenheit
sich darbieten wird, Näheres mitzutheilen.
15 j Aus dieser Stelle, sowie dein ganzen Zusammenhang der Vorrede geht
deutlich hervor, dass von Valla schon mehrere schriftstellerische Arbeiten
bekannt sein mussten, und insbesondere auch solche, in welchen er sich
auf das theologische Gebiet gewagt hatte. Von letzteren besitzen wir, ab
gesehen von dem, was mehr gelegentlich dieser Art in dem Dialog de
voluptate, in den Dialecticae quaestiones und den Elegantiae behandelt
wird, aus früherer Zeit nur die Schrift de libertate arbitrii, und kennen
aus der Erwähnung in der Apologia nur noch, was Valla über den processus
spiritus sancti aufgesetzt hatte.
Kvicala. Beiträge zur Kritik u. Erklärung des Sophokles (K. Oidipus). 67
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles
(König Oidipus).
Von dem c. M. Johann Kvfcala.
IV.
Oid. Tyr. V. 6 f.
äyco dixauöjv p.rj nctp’ dyyEXtov, rExva,
äiQtnv äxovetv aiiTÖg coö’ Vti'XvSa,.
Meineke (Anal. Soph. in der Ausgabe des Oed. Col. p. 219)
machte mit Recht darauf aufmerksam, dass die Erklärung nap'
äXXcov äyyeXXövTitiv oder die Annahme, äXAcov stehe hier pleonastisch
in der Bedeutung des Adverbs „anderseits“ (wofür man Phil. 38 Ai.
S16 u. dgl. anführt) nicht befriedige. Aber trotzdem ist eine Con-
jectur (Meineke conjiciert ip.dIv) unnöthig. Die einleuchtend richtige
Erklärung dieser Stelle bietet M. Schmidt (Zeitschrift f. d. Österreich.
Gymn. XV, S. 1), indem er als Gegensatz von nap’ dyyiAcuv äXXwv
bezeichnet: äXXä nap’ vp.üv adrt5v. „Als wohlmeinender, väterlich
gesinnter Fürst will Oedipus mit seinem bedrängten Volke nicht durch
die Mittelsperson von Boten verkehren, sich die Klagen und Wünsche
seiner Landeskinder nicht durch Boten melden, sondern aus dem
Munde des Volkes seihst vortragen lassen. Das Volk soll sein eigener
Bote und Sprecher bei seinem Fürsten sein dürfen.“ Wenn man auf
die Frage Schmidt's „was nöthigt denn den Gegensatz zu äAXwv in
aiirög zu suchen?“ antworten wollte, dass man eben durch das Vor-
5 *
68
K v i c a 1 a
kommen des avzog neben äXXtnv veranlasst werde, diese Worte im
Gegensätze zu einander aufzufassen, und dass der von Schmidt an
gegebene Gegensatz, eben weil vfxzig liier nicht vorkommt, nicht
richtig zu sein scheine : so wäre darauf zu erwidern, dass auch nach
Schmidt’s Erklärung avzög cod’ DAIvSa seinen guten Grund hat;
diese Worte veranlassen uns, an den Gegensatz zu denken ovx äXkov
EÄ-Sctv ixileuaa oder ovx aXkov ijtEfxipa. Übrigens beabsichtigte So
phokles offenbar bei Trap’ äyyeXov äXXwv den Gegensatz Kap’ öjxwv
avztZv nahezulegen, da er in bedeutsamer Weise zixva zwischen
«77iXwv und äXAtnv setzte, worauf auch schon Schmidt hinge
wiesen hat.
V. 9 ff.
äXX, <L yspaii, <ppä£\ ind npinwv etpvg
npd Toüvds ytovciv, rtvt zponu> xaSiazazs,
deiaavzzg rj azip^avzsg; üg SiXovzog av
ip.ov npooaox.slv näv.
hzeptiavzeg wird gewöhnlich gelesen, obzwar Laurentianus
aziiavzeg hat und azipigavzsg „a. m. rec.“ herrührt. In anderen Hand
schriften steht theils azi£avzsg, theils ozip£avzeg. ZzipEavzeg wird
auf doppelte Weise erklärt:
a) Schob: 77 yäp diä deog xo'kdaeuig, 77 naSövztg ixrhxiag zvyüv
d^iovzs. onep sdrjX&KXSv dt« roü oziplgavzeg, ofov, non mnovSbzsg.
Hermann: „'Ezipfevzsg non est petentes, sed a cquiescentes
ferendo quod evitari non potuit.“ Schneidewin: „Statt des als Gegen
satz zu ädaavzeg erwarteten non naSövzeg wählt Oed. den milderen
Ausdruck ozepZccvzeg, nachdem ihr euch in ein Unglück, das euch
betroffen, habt fügen müssen.“ Diese Erklärung ist sprachlich mög
lich, aber dem Sinne nach unzulässig, weil sie der Situation nicht
angemessen ist. Asiaavzag kann man gelten lassen; aber wie kann
Oidipus fragen, ob ein erlittenes Unglück Ursache der iopa sei?
Es hätte doch den Anschein, als wüsste er von Theben’s Elend gar
nichts. Neuerdings hat auch Pelliccioni (Commentariis in Oed. R.
epimetron S. 13) gegen diese Auffassung sich erklärt: „At inepta
plane et otiosa fuisset Oedipi interrogatio, Oedipi inquam illius, qui
infelicem statum civitatis optime noverat.“
i
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 69
b) Ellendt (lex. Sopli. s. v. crrspyco): „Num metum vestrum
an desideria mecum communicaturi adestis?“ Wunder: „auxilium
petentes“. Dindorf: „Recte legitur arsptgavTsg i. e. desiderantes,
cupientes, orantes“. Und so noch andere. Aber diese Erklärung ist
sprachlich unzulässig. Es ist auffallend, dass keiner dieser Gelehrten
beachtete, dass der Aorist diese Erklärung unmöglich macht. Das
Präsens wäre nothwendig, gerade so wie es an der Stelle, auf welche
man hinweist, V. 58 f. heisst:
yvcord xoüx äyvwrd poi
KpoafäSsS' tpsipovreg.
Neben arspyovreg wäre auch arspyovreg (als Ausdruck des
Zweckes) möglich, was man zu conjicieren sich versucht fühlen
könnte, wenn nicht überhaupt die Bedeutung „wünschen“, die man
für arspysiv annimmt, in der Luft schwebte. Die einzige Stelle, die
man für diese Bedeutung anführt, Oed. Col. 1094
xstt töv dypevrdv ’ An677m
x«t x.a.aiyvr,rav nvxvoarixrMv önxoöv
Mxunö§Mv i7,c7.(pmv orepyM, oin'Aäg dpMyäg
[xo'AsIv yd rdos xod no7iroag
ist keine genügende Analogie, da hier arspysiv seine eigentliche Be
deutung nicht aufgibt und der Begriff des Wunsches in dem ganzen
Contexte liegt. An unserer Stelle könnte aber arspigoivrsg nur solche
bezeichnen, die etwas liebgewonnen oder sich in etwas gefügt
haben.
Vielleicht ist zu schreiben ftsiaavreg ri arstgovreg, so dass mit
dem Participium der Ursache ein Participium des Zweckes verbunden
wäre „defensuri, prohibituri.“ Mit arsysiv in dieser Bedeutung vgl,
Aisch. Sieben 199 nvpyov arsysiv s'uysaSs noXspiov dopv. In Betreff
der Verbindung oeiaavrsg r, ars^ovreg muss man bedenken, dass v
nicht immer zwei wesentlich und innerlich verschiedene Glieder dis-
jungiert, sondern dass zuweilen auch blos eine formale Verschieden
heit obwaltet, wie z. B. Oed. Col. 2 rt'va? y&povg dpiypeS’ yi tivmv
dvdpoöv n67iv ; 258 ri df/ra 8d£r t g r t ri xXrjSövog xxAfig p.drriv psovarig
wysXnpa yiyvsron;
70
K v i c a 1 a
V. 12 f.
övctd'XyriTog yap olv
£irjv, rotdvÖE pr; od xarotxrdpojv eopav.
Es wird nicht überflüssig sein, bei dieser Gelegenheit eine Unter
suchung über den Gebrauch von pri od anzustellen, da eine befrie
digende Erklärung dieser Construction nicht unwichtig ist.
1.
Eine richtige Erklärung der Construction prj od mit dem Parti-
eipium, sowie pr) od mit dem Infinitiv kann nur dann gegeben wer
den, wenn man zum Ausgangspunkte der Untersuchung die ältere
Construction wählt, auf deren Grundlage sich diese jüngeren Con-
structionen entwickelt haben. Man schlägt nicht den richtigen Weg
ein, wenn man den Blick blos auf pr) od mit dem Infinitiv und Par-
ticipium richtet und die Geltung und Berechtigung sowohl von pr) als
von od bei dieser Construction nachzuweisen sucht. Es scheint mir
vielmehr unzweifelhaft zu sein, dass die uns so auffallende Verbin
dung prj od von einer einfachen Construction, nämlich von der Ver
bindung pr) od mit dem Conjunctiv, auf andere Constructioiien über
tragen und ausgedehnt wurde. Es ist demnach der historische W r eg
bei der Untersuchung einzuschlagen.
Die Construction, welche die geeignete Grundlage der Erklärung
ist, findet sich schon bei Homer:
II. a 28 pr, v-j rot oii •/pai'jixr, axfinrpov xat arippa Sxiolo.
II. a 666 pr, vd rot od j_poiiapo)oiv öooiStEoi do iv ’O^Opxcp.
II. o 163 pr} p’ ovdi xptxrspog nsp ithv kmövra rrxkdoor, peivac.
II. oj 569 pr] äs, yspov, odo’ adröv ivi xAtorpatv idao).
Spätere Beispiele sind z. B. Plat. Men. 89 D izpög rt ßxinuv
dvayspodvEig adrö xat dKionXg. pr] odx iniOTr,pr, r, -q dpErr,. 94 B pr)
odxp otdaxrdv. 94 E äXÄä ydp, co ETcrXpE*Amrs,pr]odxf, otdaxrov dpErrj.
Pbaid. 76 B dlXd jroXd pdWov tpoßoüpoa, pr] ocöptov rv/vtxädc odxirt
r, ävSpojTTüiv ovoEig a£iojg otog te toOto noirjooct.
Die Erklärung der Construction prj od mit dem Conjunctiv kann
natürlich keine andere sein als die Erklärung von prj mit dem Con
junctiv. Der Unterschied ist eben nur der, dass in letzterem Falle nach pr>
ein positiver, in ersterem ein negativer Satz folgt. So wie nun pr, mit
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 7 1
dem Conjunctiv ursprünglich ein Ausdruck der Abwehr war 1 ), dann
aber auch den Sinn der Besorgniss oder Vermuthung annahm, dass
etwas (trotz der Abwehr) stattfinden dürfte: so bedeutete p vv toi
ov %pai3[xri axrjnTpov ursprünglich „ich wünsche das ov y_paio[xsiv
nicht und wehre es ab;“ es nahm aber sodann dieser Satz die Be
deutung an „es ist zu besorgen, dass das ov ^paiopfv eintreten
wird „feto? ov Man fühlte also in einem solchen Satze
nur eine Negation (ov), wie denn ^tatsächlich p hier niemals eine
eigentliche Negation (des Verstandes) war, sondern eine prohibitive
Partikel (der Willensthätigkeit); man fühlte den Satz als eine nega
tive Vermuthung.
In demselben Sinne fühlte man auch Sätze, die sich auf die
Vergangenheit beziehen, in denen, da der Conjunctiv nicht als
der angemessene Modus erschien, der Indicativ gebraucht wurde.
Plat. Men. 89 C dÄAä p rovro ov xaXcö? 'J)jj.oXoyr}oa[xsv; Lys. 213 D
apa p za Kocpdrim ovx öpS&g itrjTOvp.ev; Diese Sätze, die man wol
richtig als Fragesätze auffasst, widersprechen dem regelmässigen
Gebrauche der mit p eingeleiteten Fragesätze, die ja eine nega
tive Antwort voraussetzen. Wenn man nämlich Men. 89 C und Lys.
213 D nach der gewöhnlichen Gebrauchsweise erklären würde, so
würde sich der verkehrte Sinn ovx ov xcäüg copoAGyriffapv, also
xaAtö? copAcpoapv ergeben. Es beweisen solche Stellen, dass
man, da man bereits gewohnt war, p ov mit dem Conjunctiv als
eine negative Vermuthung aufzufassen, auch p ov in demselben
Sinne (einer negativen Vermuthung) auf den Indicativ in Fragesätzen
übertrug.
II.
In ähnlicher Weise wurde nun die Verbindung p ov als eine
bereits fertig vorliegende sprachliche Formel auch auf
den Infinitiv übertragen. Der Satz ov xio/6o> ot p ovx äiidvcu ist
zurückzuführen auf die zwei einfachen Sätze, die seine Elemente
sind: ov xwAüw os. ■ p ovx äair,i;. Der zweite dieser Sätze ist an und
für sich der Ausdruck der Besorgniss, dass das odx ämivai statt
finden oder das txniivcn nicht stattfinden werde 2 ). Aus der innigen
*) Vgl. meine Abhandlung über o*J [xvj in der Ztschft. f. d. öst. Gymn. X, S. 745 ff.
Man könnte freilich auch denken, dass ov xojXvoj ge y.Y) ovx arrtsvat auf ein
finales Satzgefüge ov xoikvoy ge, fir; ovx <x7Ztyg „ich hindere dich nicht, damit
72
K v i c a 1 a
Verbindung aber, in welche dieser Satz zu ov xo:Xvo> a- tritt (der
Ausdruck dieser innigen Verbindung und der Abhängigkeit des
zweiten Satzes von dem ersten ist der Infinitiv), resultiert, dass der
ganze Complex einen affirmativen Sinn hat *), indem der negative
Sinn des abhängigen, mit pn? oO verbundenen Infinitivs durch die
Negation des regierenden Satzes aufgehoben wird: „ich hindere
dich nicht, so dass du nicht Weggehen könntest“, oder „ich lege dir
kein Hinderniss, welches, wenn ich es anwenden würde, dein Nicht
gehen zur Folge hätte“. Dieser mit prj od verbundene Infinitiv steht
zu dem regierenden Satze in consecutivem Verhältnisse und ist
zu vergleichen mit den lateinischen consecutiven, mit quin einge
leiteten Sätzen, über welche treffliche Andeutungen Haase (zuReisig's
Vorlesungen über lat. Sprachwissenschaft, Anm. 492) gibt. So ist z. B.
Cie. fam. 9, 8 teneri non potui, quin declararem = ich konnte nicht
zurückgehalten werden, so dass ich in Folge dieses Zurückhaltens
(quin = quT ne = qui non = ut eo non) nicht erklärt hätte. Ter.
Eun. 4, 7, 21 numquam accedo, quin abs te abeam doctior = nie
ist meine Ankunft eine solche, dass ich nicht gelehrter weggienge.
Ebenso ist bei ‘den negierten Ausdrücken der Möglichkeit in
Verbindung mit [j:'n oü c. inf. dieselbe Erklärung anzuwenden. Oü
50va.ii.cu [ir, ovy. oeörov iizouveiv = ich bin nicht so vermögend (so
stark), ich habe nicht die Möglichkeit, dass ich ihn nicht loben
nicht oux airtevai eintrete (ne non abeas)“ zurückgeht. Aber diese Erklärung ist
aus mehreren Gründen nicht annehmbar, namentlich desshalb, weil sie sich auf Sätze
wie ou düveepeu jaij oux arctsvai nicht ausdehnen lässt, man müsste denn zu dem
gewagten Auskunftsmittel seine Zuflucht nehmen, dass ein solcher Satz zu erklären
sei: ou äuvajAai aTrsyeo’.^ai (oder mit Ergänzung irgend eines anderen ähnlichen
Verbums) y.Y) oux dbrisvai. Vollends lassen aber Sätze wie edo^pov ioti ja>7 ou
jAayeo\Sai von diesem Standpunkte aus gar keine genügende Erklärung zu.
*) Dies ist überhaupt das charakteristische Merkmal der Construction ja - ^ ou. Die
verschiedenen Fälle, in denen [/.V/ ou zur Anwendung kommt, sowol beim Infinitiv
(nämlich a) nach den mit ou verbundenen Verben xojXuscv, ccTrsysu^at, xpveLoSai
u.dgl.. b) nach den negierten Ausdrücken der Möglichkeit und Befähigung, c) nach
aiffypov, ou fttxaiov iozi u. dgl.) als auch beim Participium — sie alle haben
das gemeinsame Merkmal, dass der durch den ganzen Satzcomplex ausgesprochene
Gedanke im Grunde genommen ein positiver ist, gerade so wie im Latein bei
quin, M'elche Construction überhaupt eine sehr angemessene Analogie für jx^ ou
darbietet.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus).
73
könnte = facere non possum, quin eum landein (das oüy. ina.vjs.lv
würde im Falle des ditvaaSai eintreten).
Dessgleichen sind die Beispiele der dritten Gruppe ähnlich zu
erklären. May^pov ian [xv] oü [xdyEaSai = es ist schmählich so zu
verfahren, dass die Folge oü [xdyjoSa.t wäre. Dem Sinne nach kommt
dies auf dasselbe hinaus, wie oü dvva.[xai [xr, oü [xd-yjaSrou.
Das c o nsecu ti ve Verhältnis, in welchem [xri oü c. inf. zu
dem regierenden Satze steht, tritt deutlicher hervor, wenn zur Be
zeichnung der Folge coc:ze (Soph. Ant. 46 f. nsiao/xat ydp oü zoooüzov
oüftiv ü)ozs [xv] oü xaXojg ■S'ccveiv) oder r6 vor [xv oü gesetzt wird.
Dass tö [xr, oü c. inf. wesentlich gleichsteht der Construction ojgze
[xi] oü, ist von vielen Forschern anerkannt, von manchen geleugnet
worden. Es bezeichnet rd [xri oü c. inf. eigentlich das Ohject, und
zwar das innere Object, welches eine Folge der durch das
Verbum des Hauptsatzes angegebenen Thätigkeit ist. Diese Folge
wird aber, da der Hauptsatz negiert ist, durch diese Negation auf
gehoben. Vgl.
Soph. A.: 724 fl’. sfr’ öve'ioegiv
fipaoGov evSev y.dvSsv oüzig egS' og oü,
zov roü [xavivzog y.ämßovXeuTOü azpexzoü
£0vou[xov dnoy.aXoüvzEg, ä>g oüx dpyEGOi
ro p.r, oü nizpoiGi ndg y.aza^av^dg SxveIv.
Ant. 544 f. [xr,zot, yaaiyvozr,, p.' äzip.ä.ar t g tö [xr, oü
Ssovjüv ze avv Goi zöv Savovzo. dyviGOU.
Oid. T. 283. ei y.cd zpiz’ iazi, [xr, napr,g zo [xrj oü ppdoou.
„ „ 1 232 f. Xsinsi [xev oüd’ & npöo^EV fiÖE[XEV rö p.r, oü
ßapvozov’ Eivea.
Trach. 88 f. oüdiv iXXsi'ipoj zo [xrj oü
ndaav nvSioSca rcövö’ d.Xr^Eiav nipi.
Vgl. ausserdem Aisch. From. 793. 926. Eur. Phoen. 1210.
Arist. Ban. 68. Lysistr. 1196. Plat. Krit. 43 C, Bep. I, 354. Xen.
Kyr. 1, 6, 32; VIII, 4, 5; Hell. Hl, 3, 7; V, 2, 36; Symp. 3, 3.
III.
Die Verbindung von [xri oü mit dem Participium setzt ebenfalls
die Construction p.i] oü mit dem Conjunctiv im Sinne einer negativen
74
K v i e a 1 a
Vermuthung voraus; die Verbindung p.ri ov ward wiederum als eine
fertige Forme], in welcher nur eine Negation fühlbar war, in die
Participialconstruction herübergenommen. Es scheint mir diese Con-
struction noch jünger zu sein, als p.rj ov mit dem Infinitiv. Der Satz-
complex nämlich, in welchem p.rj oij mit dem Participium vor
kommt, hat regelmässig einen bejahenden Sinn. So ist z. B. an
unserer Stelle der Sinn „ich kann nicht umhin, eine solche sdpx zu
bemitleiden“. Dies scheint daraus erklärt werden zu müssen, dass
man nach Analogie der Sätze, in denen p.ri od mit dem Infinitiv vor
kommt, auch mit dem Participium p.-'o ov in der Weise zu verbinden
sich veranlasst fand, dass der ganze Satzcomplex ein positives Re
sultat darbietet. Allerdings kann auch der Satz ovaalyr^og yäp uv
strjv toiuvoe [xfi y.uToixTsipoiv sdpav den positiven Gedanken „facere
non possurn quin miserear“ involvieren; aber p.ri ov war in diesem
Sinne gewiss d entlieh er, weil man eben durch den sehr häufigen
Gebrauch von p.ri ov e. inf. an eine solche Verbindung des p.f) ov mit
positivem Sinne gewöhnt war.
Das Participium, welches mit p.rt ov verbunden wird, ist nicht
überall ein hypothetisches. An unserer Stelle hat es wohl diese Gel
tung; ebenso Isokr. 10, 47 rotavrr,tg di rip.rig rvysiv, &ote ^vr/röv
övra 3sojv yEVEaSca xpirrjv, ovy oliv te p.ri ov jzo)>v rjj yvüp.ri dia-
fipovru. Aber Her. 6, 106 sivdrp oüx k’XsvosaSou E<paaav, p.r/ ov
jrXr/psog iövTog rov xvy.Aov ist das Participium nicht bedingend (cf.
Bellermann zu Soph. Oid. T. V. 221), ebenso wenig Her. 2, 110
ov duaiov elvou lärmen iip.Jzpoa.3-E rüv ixsivov üva3r / p.arcov p.r] ovx
ÖJr£pßci)26p.Evov rolai Epyoioi. Schwierig ist die Stelle unserer
Tragödie 219 ff.:
dyoj Zivog p-iv rov Aoyov rovd' iZzpü,
Zivog oe zov npayS-EVTog. ov ydp uv ixaxpdv
ryvEvov gzvto p.rj oöx syoiv rt avp.ßolov.
vvv 6’, vavEpog ydp darog Eig äarovg teX5>,
vp.iv jzpoipoovüi zzdai Kaop.Eioig tu3e.
Keine von den Erklärungen, die mir bekannt sind, berücksichtigt
gehörig das vöv 3' (im V. 222), welches einen Gegensatz zu dem
vorausgehenden einleitet, wobei, wie bekannt, die eigentliche Be
deutung von vvv (Bezeichnung der Gegenwart) nicht hervortritt. Wo
findet sich nun nach der Auffassung der Erklärer (parum ipse in-
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 75
vestigando proficerem, nisi aliquid indicii reperirem) dieser Gegen
satz in den vorausgehenden Worten? Nirgends! Wir erwarten fol
genden Zusammenhang; „Wäre ich nicht ein Fremdling, hätte ich
ein ovpßo'Xov, so würde ich nicht lange nachzuforschen brauchen; so
aber, da ich später ein Thebaner geworden hin, muss ich eueren
Beistand in Anspruch nehmen“. Diesen Sinn würde eyuw rt avpßolov
gewähren. Sollen wir nun vielleicht hier einen Fall annehmen, in
welchem die hypothetische Negation pri und die Negation ov sich
aufheben und den positiven Sinn ergeben „wenn ich nicht kein
Zeichen hätte“, d. i. „wenn ich irgend ein Zeichen hätte“? Das wäre
doch sehr gewagt und ungerechtfertigt. Es bleibt somit (wenn man
eben vöv o’ und den Zusammenhang mit dem vorausgehenden gehörig
berücksichtigt) nur übrig, zu erklären: ov yäp av, ei pr/ fsvo? r/v,
pay.päv Xyyevov avro, &ore pr t ovx syjiv rt avpßo\ov = wäre ich
nicht ein Fremdling, so würde ich nicht lange so nach
forschen, dass ich kein avpßolov hätte, d. h. gar bald
würde ich ein avpßolov haben. Diese Zuversicht ist für
Oidipus, der die Sphinx durch seinen so oft gerühmten Scharfsinn
besiegt hat, gewiss passend; und hiebei ist der folgende Gegensatz
vöv de ganz erklärlich. — Es fragt sich nur, ob eywv diese Er
klärung zulässt. Diese Frage ist zu bejahen. So wie ein Adjectiv
möglich wäre, z. ß. ov yäp äv paxpäv iyvevov avrd äerpaxTO? oder
äzrpaxro? cov, so ist auch p-r) ovx eywv zulässig. Es ist diesParticipium
prädicativ und, was das Verhältniss zu ov 7äp av paxpäv iyvevov avro
betrifft, consecutiv aufzufassen „ich würde nicht lange nachfor
schen als ein kein Erkennungsmittel habender, so dass ich kein Er
kennungsmittel hätte“. Demnach hat auch dieser Satzcomplex im
Ganzen einen positiven Sinn, gerade so wie die Construction pri ov
mit dem Infinitiv, z. B. ei pri £svg£ r,v, ovy olov r fjv epe pri ovx
tyeiv rt avpßolov.
In derselben Weise ist Oid. Kol. 359 f. zu erklären:
f/xeu; yäp ov y.evh 75, roör’ iytlt ffaytäj
e£ciöa, pr] ovyi Help’ epoi yepovaa rt,
welche Stelle Bellermann (zu Oid. T. 221) gut erklärt: „Du kommst
nicht leer, ohne eine Schreckensnachricht zu bringen; du kommst
nicht als eine, die keine Schreckensnachricht bringt“.
76
K v i c a I a
IV.
Es ist im vorausgehenden behauptet worden, dass die Ver
bindung p.rj od zwar ursprünglich so gebraucht ward, dass beide
Elemente, pi? ebenso wie od, die ihnen zukommende Geltung batten,
dass aber später diese Verbindung als eine fertige sprachliche
Formel auch auf den Infinitiv und auf das Participium ausgedehnt
ward. Als eine sehr zutreffende Analogie können wir in dieser Be
ziehung die Verbindung od pr, anführen. Indem nämlich od pr, mit
dem folgenden Verbum nach und nach zu einem einzigen Begriff,
dem einer stark verneinenden Behauptung verschmolz, kam es, dass
die Sprache mit dieser Fügung frei schaltete und sie eben so gut
wie einen anderen Satz in verschiedene Verhältnisse der Abhängig
keit treten liess. So wurde z. B. auch ein das Object bezeichnender
Accusativus cum Infinitivo mit od uv; versehen, wie Eur. Phoen.
1592 f.:
aayöig yxp dne Tetpeaixg od jxr, irore
«joö rr,vde y-ijv oixoüvrog ev xpx£civ jtöAiv.
Man würde ganz irre gehen, wenn man sich bemühen wollte, in
dieser Construction die Geltung der einzelnen Elemente od und pr,
zu verfolgen und nachzuweisen. Nicht in dieser Construction darf man
die Function von od und pv; nachweisen wollen, sondern vielmehr in
der Construction od pr, jto-s ev xpx£r, tzölig. Weil dieser Satz als
eine starke Negation gefühlt wurde, so construierte man dann auch
EtTrsv od [x'n £Ü xpx^stv Koliv. Eine andere Analogie bietet der Ge
brauch von odxoöv dar. Vgl. Zlschft. f. d. öst. Gymn. X, S. 750, 751.
V. 15 f.
opdg piv r/[xäg •fjlixoi xpooopeSrx
ßojpoto! roXg GoXg • ot u.£v oddi~oj ixa/.p xv
y-riaSai aSivovreg, oi oe odv yr,px ßxoeXg
iip’fic, kyü) /xiv Zr/vog, oi o ex
XzXTOl.
„Bopoio: roXg aoXg. Non aris tibi dicatis, sed aris pro
foribus tuarum aedium positis“. Brunck. Abzulehnen ist Nauck’s
Conjecfur und Bemerkung: „Vermuthlich dö/xoiot roXg iolg. Die
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus).
77
Altäre gehören den Göttern, nicht dein Oedipus“. In der ö. Auflage
aber hält Nauck den Vorschlag von M. Schmidt (Philol. 18, 229)
ßciSpoiai rot? aolg für „viel wahrscheinlicher“. Es ist aber weder
döttoiai noch ßtkSpoim „wahrscheinlich“, weil die Berechtigung des
Ausdruckes ßcop.oto'i roh; aolg nicht zu bezweiteln ist. Sowie die
Thebaner ohne Zweifel die gemeinschaftlichen Altäre ßojfxoi rf,g
Kols'jjg, f,p.ETepoi ßwp.oi nennen konnten, sowie die Tempel, welche
die Thebaner behufs des Cultus verschiedener Götter errichtet hatten,
vaot rtöv Br/ßaicov heissen konnten: so konnte doch wol auch gewiss
der Priester die Altäre, die vor der Königsburg standen, „königliche
Altäre“ oder „deine Altäre“ nennen.
Für Upsig hat Bentley isosiig vorgeschlagen. Nauck, der diese
Conjectur für richtig hält, meint nun weiter: „Um aber diese Ver
besserung möglich zu machen, musste entweder iyw p.iv ispsvg oder
Upeiig iyrayi geschrieben werden“. Mir scheint der Fehler — denn
dass diese Stelle fehlerhaft überliefert ist, halte ich für gewiss —
anderswo zu liegen. Mich leiten folgende Erwägungen:
1. Ich glaube, dass hier nach V. IS ipdg p.iv ri<j.äg yjAixoi npoc-
r;p.s$<x ßojjxoZfjc -cic aoXg (womit ein charakteristisches Merk
mal dieser idpa angegeben wird) nur zwei Altersklassen anzunehmen
sind, nämlich nur Kinder und Greise, also Personen, die noch nicht
Kraft erlangt haben und solche, die sie schon verloren haben. TI/.G.oi
würde bedeutend au Gewicht verlieren, wenn noch als dritte Classe
die Jünglinge erwähnt würden.
2. Vollends unzulässig scheint mir die Annahme „der Plural ot
di axjy -jr,pcp ßapsXg nöthige nicht, an mehrere Greise zu denken.“
Zwar hat schon der Scholiast dies angenommen (rö di aiiv yopq
ßapsXg. if' icairaO tg n^r/Suvrixov t/pr/axTo. xai r6 XspsXg 6p.oico?);
aber wenn auch zuweilen, namentlich in der Poesie, der Plural statt
des Singulars gebraucht wird, so ist doch der Context dieser Stelle
einer solchen Annahme nicht günstig. Es wäre höchst auffallend,
wenn der Priester nach der Äusserung opdg tp.äg vV.xoi iipoo-op-eSci
der Mehrzahl der Kinder eine Mehrzahl der Greise entgegensetzen
würde, die keine Mehrzahl ist.
3. oi di oöv yhpa ßccpsXg bildet erst dann den richtigen Gegen
satz, wenn UpiXg davon grammatisch getrennt wird. Aber die Zer
stückelung of di oiiv 7r,pa ßctpzXg. izpfig. iyd) p.iv Zr/v6g (so inter-
pungiert Hermann) ist offenbar unzulässig.
78
K v { c a 1 a
Diese und andere Erwägungen führen mich zu der Vermuthung,
dass der Dichter erstlich zwei Classen erwähnte, aus denen die
ixirda. besteht (Kinder und Greise), dass er sodann die Worte tepelg
d’, lyrh p.sv Zv?vö? folgen liess und darauf noch andere. Priester
erwähnte. Dass mehrere Priester anwesend waren, ist bei dem
feierlichen Charakter, den diese uereia hatte, von vornherein wahr
scheinlich; es ist auch desshalb wahrscheinlich, weil vor der Königs
burg sich Altäre mehrerer Götter befanden; und die Worte iyu> pev
l/tjvög bringen dies zur Evidenz. Nach den Worten lycö piv Ztjvog hat
der Dichter, glaube ich, die Supplierung ot de äAAcov nicht den
Zuhörern überlassen, sondern er hat diesen Gegensatz ausgedrückt,
nicht blos angedeutet. Ich halte also die Worte ot o’ ln' fuSeuv,
oder wie sie geschrieben werden mögen (das Schwanken der Über
lieferung weist auf die Corruptel hin), für unrichtig; vielleicht ist in
ruSemv das Wort .S-stüv enthalten.
V. 49 ff.
dAA’ dapa\iw. rrjvo’ avopSwoov koA'.v
öpviSi ydp y.ai rrjv tot’ cdaiop riiyrjv
Kocpsoyjg rjp.lv, y.ai tx vüv Xaog yevov.
(hg einep dp£eig rrjaSe yfg, (hanep xpareig,
(uv avdpaaiv xdAAtov rj xevr/j xparsfv.
Nach dieser gewöhnlichen Interpunction der letzten zwei Verse,
nach welcher die Apodosis mit (uv avdpaaiv beginnt, scheint mir der
Sinn dieser Stelle kein befriedigender zu sein. Ich zweifle, ob ein
Unterthan, und wenn er auch Priester des Zeus ist, seinem Könige
sagen darf einep dp^eig rfade yfjg, mit welchen Worten die Fort
dauer der Herrschaft als eine nicht ausser allem Zweifel stehende
bezeichnet wird. Wohl darf aber der Priester folgende Hypothesis
aussprechen: einep äptjsig Triade yfjg (öv avdpaaiv. Somit ist anzu
nehmen, dass die Apodosis erst mit xdAAiov beginnt, und es ist zu
interpungieren:
üg einep dp^eig Triade yf,g, ihanep xpartig,
(üv avdpaaiv, xdAAtov fj xevrjg xpareiv
d. i. denn wenn du dies Land beherrschen wirst, wie du
es eben beherrschest, nämlich als ein wolbevülkertes,
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 79
so ist es schöner, als über ein leeres Land zu herrschen
d. i. so ist deine Herrschaft eine schönere, a 1s die Herr
schaft über ein leeres Land. Wollte man aber etwa sagen,
dass coanep darauf hinweist, dass das äpyecv rfiaSe 7rig eben ein
äpyetv 7f/g ävdpüv ttAü-S'O? syovarji; ist, so müsste darauf erwidert
werden, dass dann das Vorkommen der Worte ävdpdGiv in einer
Apodosis unbegreiflich ist.
V. 86 ff.
Ol. rcV f>[xcv rjxscg tov 3eoO fripxiv ipipciiv;
KP. daSÄrjv’ Xeyoj 7dp, xcä rtx SÖGWCp' ei riiyoi
xar' cpStov i£eX36vra, tzavr' av eiiruyiiv.
Dies ist die richtige Interpunction. Gewöhnlich setzt man nach
Svafop’ das Komma, und nach dieser unpassenden Interpunction
erklärt man: „ich meine, auch das schwer lastende Unglück pflegt
alles sich zum Glück zu wenden, wenn es in rechter Weise zum
Ziele gelangt, d. h. wenn man es recht anfasst“. Diese Erklärung
ist aus mehreren Gründen unzulässig, von denen einen einzigen an
zuführen genügt. Et rvyot xar' öpSov e^eX^övra kann nimmer be
deuten „wenn man es recht an fasst,“ sondern nur „wenn es einen
güten Ausgang nimmt“. Sonach wäre, wenn man eben Schneide-
win's unmögliches Postulat beseitigt, der Sinn nach der gewöhn
lichen Interpunction: „auch das schwer lastende Unglück dürfte sich
alles zum Glücke wenden, wenn es einen glücklichen Ausgang nimmt“
— eine Tautologie, die ganz und gar unmöglich ist und für die man
Stellen wie Aisch. Ag. 1008 ndSoi av, d ndScu’- äneiSowg d'
ttrco? nicht anführen kann, da es mit solchen Stellen eine ganz andere
Bewandtniss hat.
Man muss entschieden der Erklärung der Scholiasten folgen:
liyu) 7äp Jidvrcc av evruyelv rnv ttöAiv, ei xcä rä. ovG<pr,p.a riiyoi av
xar' 6p3öv i£aA36vTa. Toureanv, ei rä äyvcoura ywaSeiy, ro rig eouv
6 fovevg Aaiov. Nur darin ist von dem Scholiasten gefehlt worden, dass
er TYjv kqXiv als Subjectsaccusativ zu evrvyeiv ergänzte (ein anderes
Scholion ergänzt ■np.äg'), während navra der Subjectsaccusativ ist.
Kreon bringt eine Botschaft, die zum Theil günstig, zum Theil unan
genehm lautet, günstig, weil Apollon eröffnet hat, wodurch die Stadt
von der Seuche befreit werden könnte; unangenehm, weil er nicht
80
K v i c a 11
gleich selbst den Mörder bezeiehnete, sondern den Tbebanern zu-
muthete, nach so langer Zeit den Mörder ausfindig zu machen. Kreon
nennt die Botschaft ia.S-Xvjv, indem er das erste Moment hiebei be
rücksichtigt und die Verwirklichung des zweiten in Aussicht nimmt:
„wenn auch r« döafopa (die uns auferlegte Entdeckung des Mör
ders) gelingt, dann ist alles gut, nicht blos ein Theil, wie jetzt“.
Auch Heimsoeth (Kritische Studien I, 43) verficht diese Erklä
rung, aber seine Conjectur ovaSpo’ (dücSpoa) für oOafdpa ist als
eine ganz und gar überflüssige und desshalb unberechtigte zurück
zuweisen. Man begreift nicht, wie Heimsoeth behaupten kann, dass
man sich vergeblich bemühen würde, den Begriff diiafopa „da
hinein zu interpretiren“. Avcfopa bezeichnet hier das lästige,
Missmuth erregende, ö zig yjxlsTrüc tpipsi. Avatpopov war es jeden
falls, dass Apollon nicht gleich seihst den Mörder bezeiehnete. Heim
soeth irrt, wenn er in den Scholien einen Beweis zu finden meint,
dass einmal die Leseart oiivSpoa existierte. „Wenn es bei dem Scho-
liasten, ganz unmotivirt durch das uns überlieferte Wort,.heisst: 6
di vovg' ki'jtii -jap jzdvza dv zdzj-yjlv zr,v reo/nv, si -/.cd za diiafripa
tiryji av xar’ dpSdv i^zA^ovza^ so ist dvafripa zwar nicht das Ori
ginalwort des Dichters, aber die genaue Übersetzung desselben“
(nämlich ddaSpoa). — Was den Scholiasten veranlasste, das Wort
dvafr^pa zu gebrauchen, das wird uns sehr klar sein, wenn wir den
Anfang des Scholion berücksichtigen: 6 piv Oidixovg zig strj d x? r >~
opäg iTivvSävezo. 6 di od)t eö.S'öj adzö rö pr,zöv ’püdv zhzzv. dno ydp
z(hv zdfr,p<av dpZaoScu JüiAzi xt/,. Was der Dichter dOofopa
nennt, dafür gebraucht der Scholiasl mit Rücksicht auf seine ei
gene Interpretation und im Gegensätze zu cöfhpuv den
Ausdruck diiafripa. Dass dem Scholion nur diiafopa zu Grunde
liegt, beweist der Schluss: oddiv yäp x<x AS7z öv ivi iv zth ypriapä),
a/.Ä' ayvostrai pövov rö dn’ adzov pr^iv.
V. 96 ff.
KP. ävwyiv r,,uäj >t>olßcg ip.fa.vihg dvag
piaapa yjhpag, cog zeSpappivav yßovi
iv zfid 1 , iAadvsiv pr,d’ dvrtazazov zpifziv.
01. rrottp xaSappih; zig 6 zpÖKOg zfig Evpfopäg
KP. ävdpYiAaroOvrag r t fövui fövov Kafov
Aiiovrag, (hg zäd’ atpa -yeipätliv koaiv.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 8 l
OL rcoiorj yäp dvopog rv;yds /xyjvüs! zCyjiv;
KP. fjv fjfxiv, covcc|, Adlig noS’ i^yEfjüov y.zh
Im V. 99 ist das überlieferte zpirzog nicht anzutasten. Sein- gut
und klar bestimmt Meineke (Anal. Sopli. p. 221) den Zusammen
hang: „Dixerat Creon iubere deum zo p.ixop.a. zf,g ydopag iltxvvstv,
tum Oedipus quo piamento? et cuius generis est quod
dicitdeuspiaculum? ad haec Creon aut exilio aut caedem
caede luendo;caedes enim, null um aliud piaculi ge nus
est, quo civitas agitatur“. Gegen F. W. Schmidt’s Bemerkung
(Anal. Sopli. et Eur. p. 26): „miror reliquisse adbuc zpinog inter-
pretes. Quo genere enim calamitatis civitas vexetur, non fugit
Oedipum, ignorat vero rationem expiandi. Quare haud scio an
emendetur oratio hae coniectura: sotto y.aJ}ap[xä> ■ zig 6 jripogzrig
£vp,'popäg;“ ist folgendes zu erinnern: Oidipus weiss bisher
(nach V. 98) nur, dass ein fua.aii.ci ydtpag existiert; durch
welche Tliat dies [xiccoixx erzeugt worden ist, das weiss er
noch nicht; denn ein fjuaspa y&pxg kann seinen Grund in
verschiedenen Verbrechen haben. Erst durch V. 100 f.
erfährt er, dass der Gott einen Mord meint, und erst durch
V. 103 ff., dass er die Ermordung des Laios meint. Er konnte dem
nach V. 99 fragen: „welcher Art ist die £uixyopd, d. i. piaculum?“
— Dass die Fragen des Oidipus ein Hysteron proteron enthalten,
ist bekanntlich keine beispiellose, sondern eine ziemlich häufige Er
scheinung, und an dieser Stelle ist das Hysteron proteron sehr er
klärlich. Oidipus fragt hastig im Anschlüsse an ptaou« yjhpag
ezaovstv, welche Sühne der Gott meine; er erinnert sich aber sofort,
dass er noch nicht einmal weiss, wodurch die Sühne nothwendig
geworden ist und darum fragt er zig 6 zpinog zf,g ^vp.fopäg; Auf
beide Fragen erhält er eine Antwort.
Im V. 101 sucht Heimscfeth (Krit. Stud. I, lö4) die Überlie
ferung zio (Hermann conjieierfe zdo , Mudge rvjvo’) damit zu recht-
fertigen, dass „aus dem Orakel geantwortet wird“. „Der Gott sprach
ohne weiteres von einem Mord und hczeiehnete dies Blut als den Grund
der Pest“. Ichhalle gegenüber dieser sehrgesuchten und sehr unwahr
scheinlichen Erklärung >) an der einfachen, von Erfurdt und Schäfer
J ) Gut bemerkt Schneidewin zu V. 06: „Spricht Kreon nicht gleich bestimmt vom
Morde des Laios, so hat das seinen Grund in der durch Fragen und Antworten he-
Sitzh. d. phii.-hist. CI. LXI. Bd., I. Hft. 6
82
K v i c a 1 ;i
gegebenen Erklärung fest, reo’ alp.cc sei mit Rücksicht auf den im
V. 100 erwähnten Mord (yövov) gesetzt. Durch Hermann’« Einwen
dung wird diese Erklärung nicht umgestossen. Dass ein Mord statt-
gefunden hat, hat Kreon bereits mit den Worten avoprjXatoövraj
r, yövoi yövov nxXiv Ivcvrc/.g gesagt, und darum konnte er in dem
folgenden Causälsatze sagen „weil dieser Mord (den ich nach dem
Bescheid des Gottes erwähnt habe) die Stadt bedrängt“.
V. 105.
e£cid' dxoöwv • od yap sfaeXSiv js ttoj.
Mit der Erklärung: „oü ;rtn liier nicht nondum, sondern kei
neswegs, durchaus nicht etwa, ein Gebrauch, den die Tragiker aus
Homer beibehalten haben“ (Schneidewin) bin ich nicht einverstan
den. Warum sollten wir hier nicht ardi in der temporalen Bedeutung
„jemals“ nehmen, also oü jrw=n umquam? An der ähnlichen Stelle
Phil. 250 heisst es xtbg yocp xärotö’ Sv 7’ dSov oüSinibTrors. Für
sicher muss man es doch halten, dass sich die Bedeutung nondum
bei oü/Too aus der Bedeutung non u mquam entwickelt hat. Was
(bis zum gegenwärtigen Augenblick) nicht irgend einmal (rrto) ein
getreten ist, das ist „noch nicht“ geschehen. Dass der Partikel mb
die Bedeutung „jemals“ zuerkannt werden muss, erhellt aus Stellen,
an denen oüirco mit npboSsv verbunden ist, wie Tracli. 154 ev ö’,
0lov oü/TW npbaBtv, avrcx’ i£spcb Trach. 158 f. äixoi npieS-sv owe
etXvj 7\rors, noXkoiig aytivag i£icbv, oüiroi ypaoat. Diese Bedeutung
ist auch an den meisten Stellen, an denen man mb modal aufzufassen
geneigt ist, weil „nondum“ unzulässig erscheint, anzunehmen.
El. 403 ztoj voO tooovo’ eiyjv xsvr, heisst nicht „möchte ich nicht
etwa so meines Verstandes baar sein“, sondern „möchte ich doch
nicht jemals so des Verstandes baar sein“. Eur. Hek. 1256
[xaviin Tovöapi? rooövös a:oüg. An den meisten Stellen muss man
sich erinnern, dass auch im Griechischen statt der Negation „nicht“
der stärkere Ausdruck „niemals“ gebraucht werden konnte, wie im
Deutschen nicht blos „niemals“, sondern auch „nimmermehr“ als
lebten Gestaltung der Exposition“. Apollon dagegen hat natürlich gleich nicht
von e i n e r Ermordung, sondern von der Ermordung des Laios gesprochen und
dieselbe als <1 ie Ursache der Pest bezeichnet.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 83
starke Negation gebraucht wird. So II. 7 306 ov koj (niemals) rAr,-
oojx’ iv äf^ocXfxoX'jiv öpäaSou jj.ccpvdjj.svov filov vc6v. p. 270 ov mo
xdvrsg ojxoloi ocvipsg iv xoXsjjl'j) u. a. In demselben Sinne kommt
ovnors vor, z. B. Soph. Phil. 1035 ff.
olslojs d’ voixvxoTsg
tov ävopcc rovds, Ssoloiv st diy.fjg jj.iXsi.
s^oiocc o'djg [j.tAsi 7’ • sTzsi oijnor ccv aroAov
ixlsOaccr ccv rovo’ ovvsx ocvopog dS'Aiov,
si jxr] n y.svrpov SsTov fj7’ vjj.äg i[j.ov.
Ebenso im Latein n lim quam bei Plaut. Asin. 3, 3, 40: Qui
hodie numquam ad vesperam vivam! Dass solche temporale Wörter
im Sinne einer starken Negation gebraucht werden, kann 11m so
weniger Wunder nehmen, da auch locale Adverbia in derselben Weise
fungieren.
V. 106 f.
tovtov SxvovTog vOv imarsllsi occcpüg
TOijg avrosvrccg ystpi rijxoJpsTv rcväg.
Nauck und Heimsoeth (Krit. Stud. I, 134) vermuthen Ssög für
für nvag; in der 5. Auflage stellt Nauck auch die Möglichkeit, aacpüg
mit 3c!5g zu vertauschen, hin. Heimsoeth sagt, so oft er die Stelle im
Zusammenhänge lese, meine er, es müsse heissen $$6g. „Dieses
Subject durfte wieder einmal ausgesprochen werden, und dass es
zum Schlüsse eintrete, darauf scheint der ganze Satz geformt zu
sein.“ Ich meine im Gegensätze dazu, dass, gerade wenn man die
Stelle im Zusammenhänge liest, das Bedürfnis der Conjectur
Ssög sich nicht fühlbar macht. Allerdings ist das Subject (boißog (96)
von den Worten 106 f. durch eine ziemliche Anzahl von Versen ge
trennt; aber damit man im V. 107 das Subject -3-egs nicht vermisse,
dafür sorgt V. 102. Wenn in diesem Verse das Subject noch nicht
vermisst wird, so kann auch im V. 106 oder 107 von einem Ver
missen keine Rede sein. V. 106. 107 hängt ja eng mit 103. 104 zu
sammen. Der ganze Verscomplex 103. 104. 106. 107 bildet eine
Antwort auf die Frage des Oidipus 102. Diese innerlich zusammen
hängende Antwort Kreon's wird nur der äusseren Symmetrie zuliebe
(um das stichomythische Verhältnis 1 : 2 durchzuführen) durch
6’
84
K v i c u 1 a
V. 105 getrennt, auf welchen Vers Kreon in seiner Antwort gar keine
Rücksicht nimmt.
Es handelt sich nur darum, zu entscheiden, ob zcva oder zcvag
zu - schreiben ist. Der Bericht Dübner’s über die Überlieferung des
Laurentianus lautet: „zcvag cum puncto super <r a m. pr., quod
erasit m. rec.“. Dindorf schreibt und lobt zcva: „Prudenter autem
poeta oraculum zcva dixisse finxit, quum neque Oedipum nominare
posset, quem postmodum apparet non aüos punire, sed ipsum puniri
debere, nec Creontem, qui in extrema demum fabulae parte Oedipo
in imperio succedit, crimine illius patefacto“. Aber woraus soll man
denn scldiessen, dass das Orakel das Subject, welches Rache nehmen
soll, mit zig bezeichnete, da doch Kreon 96 sagt:
ävo>7sv Vpäg fyocßcg sp.cpavö>g äval-
p'caap.a tlig zs.9-paij.tj.svov %9-ovi
sv Trio’, ilavvscv pr/d’ dvr,xsazov zpscpscv,
womit 305 ff. übereinstimmt:
<t>ocßog ydp, si xai p.ri xliisig zöiv «77sÄcov,
7rs[j.tpa(j'.v Yip.iv avzsKsptysv, sxlvatv
povov dv D.Sstv zovos zov voatpazog,
sc zoxjg xzavdvzag Aätov paSovzsg av
y.zsivacpsv yj 7f,g cpvyaoag sxxspcpacpsSa.
Tcvdg hat schon Hermann befriedigend erklärt. Passende Bei
spiele führt Schneidewin an; man kann auch auf die Verbindung des
zig mit demonstrativen Pronominen hinweisen, wie Plat. Gorg. 522 D.
ccüzy, rt? ßor,3sca.
V. 116 f.
ovd’ äyys),6g zcg 0110s mp.xpdx.zojp 600O
y.azslrY, özov zcg sxpaSdjv sy^pr,Gaz'’ dv ;
Wenn eine Änderung des y.azslrY ozov nötbig wäre, so würde
sich die Conjectur y.azr,~/,9-' özov am meisten empfehlen. Aber y.azslo
ist tadellos «)• Es kam dem Oidipus darauf an, zu erfahren, ob es
0 Daraus, dass im L. xarsttJsv geschrieben ist, darf man kein Capital behufs einer
Conjectur schlagen. Solche Ergänzungen — sowohl richtige als falsche — sind
bekanntlich keine Seltenheit in den Handschriften.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 85
keinen Augenzeugen der Tliat gibt. Wol könnte man vielleicht
sagen, dass, wenn Oidipus voraussetzte, Laios sei nielit allein gereist,
das xanfteiv von Seiten eines aufj.Kpdy.Toip 6§ov sich von selbst ver
stand, so dass von diesem Standpuncte aus die Frage, ob ein
avfj.Kpdy.Twp 6Seiü yocrslft’, sonderbar erscheinen könnte. Aber Laios
konnte ja vielleicht in dem Momente, als der Mörder sein Werk voll
brachte, allein gewesen sein. Oidipus konnte es sich als möglich
denken, dass die Begleiter des Laios, wenn sie sich auch in der Nähe
ihres Herrn befanden, doch nicht gerade die Tliat mit eigenen Augen
ansahen; es konnte z. B. Laios Nachts in seinem Schlafgemache
ermordet worden sein.—Für die Richtigkeit des xccTscft’ spricht sehr
die Antwort Kreon's: „Wol waren die Begleiter des Laios Augen
zeugen; doch sie sind todt; nur einer ist entronnen, aber dieser
Zeuge ist nicht viel werth, da er
tpößw ipuywv,
oiv slfts kIyjv sv ovftiv siy’ siftwg cppdaou.
Dies ei§e spricht für die Richtigkeit des y.arsio . Das Object von
xa-slo’ ist natürlich „den Vorgang, die Tliat“; ich glaube nicht, dass
dies Object hier als ein „kaum zu entbehrendes“ (?) ausdrücklich
gesetzt werden musste. Cf. El. 761 ff.:
TOidvrd aoi tuvt’ sauv, dig p.sv iv loyal
iklysivd, rot? o’ iftovatv, oiKsp sifto/xev,
fjLsyiara Kdvzoiv oiv ottojk iyoi xocxwv.
Dasselbe Object (wie bei y.areid’) ist auch zu iy.p.cc3div hinzu
zudenken: „durch welchen belehrt man von dieser Belehrung Toörco, 5
ti? S.v icifj.v.3i) hätte Gebrauch machen können (näml. zur En f -
deckung und Ergreifung des Mörders)“ <).
Die meisten Conjecturen der Gelehrten bieten gegenüber der
tadellosen Überlieferung gegründete Bedenken. So ist z. B. Dindorf s
xcirslf’ geradezu unzulässig, weil darauf nicht folgen könnte otov rig
£xjxoc3ojv iyprjao'.z’ äv d. i. otov ng i£ifi.a3tv dv y.cd sy^pr,aa.To; denn
wenn xoctsiks angenommen wird, so ist das sxfj.x3slv derer, welchen
der Bote xoctsiks, so selbstverständlich, dass eine ausdrückliche Er
wähnung des sy.fj.oc3siv geradezu abgeschmackt wäre.
*) sxn&väaveiv wird bekanntlich gerade so wie alle ähnlichen Verba häufig ohne
Object gesetzt „Belehrung schöpfen“.
86
K v i e a I »
V. 139 f.
Saug 7dp f/v ixeivov 6 xravoov, rd-£ oiv
xöi[x äv roiavTY] y_ sl P‘ Tl Pu^psiv -SiXot.
Treffend ist Schneidewin's Bemerkung: „nptupeiv, indem Oed
seine oben 124 geäusserte Muthmassung gleich für eine Thatsache
nimmt, besorgt er, der Mörder, ein politisch unzufriedener oder von
politischen Gegnern gedungener, könne in gleicherweise an ihm selbst
Rache üben“. Oidipus vermuthet ein politisches Motiv der Tliat, wie
Kreon in der Antigone 289 ff. Ttpicopeiv ist im Munde des Oidipus,
der den wahren Sachverhalt nicht ahnt, sehr bezeichnend, worauf
schon der Scholiast aufmerksam war: Tre/rXccycaarat di mxkiv 6 löyog,
xcci rr,v akriSsiav ocIvittbtou reö -Sectrpto, Sn ccjrog dpavag räv yövov
6 Oioirco-jg xcä iauräv np.eoprj(jerxi. Darum werden wol nicht viele
zur Billigung der Conjectur Axt’s nnp.cdveiv (Philol. IV, 373) oder
M. Schmidt's (Ztschr.f. d. öst. Gymn. XV, S. 4) xäp.’ äv toioOtov
X^'-pi tiy.ü)pü> .9-svoi u. a. sich versucht fühlen.
V. 161.
“Apnp.iv, ä xuxIosvt äpopäg JäpGvov eüxXia •S'daast.
Es ist eine Selbsttäuschung, wenn man glaubt, xuxliug könne
der Spovog heissen, weil kyklische Chöre sich um den Spövog der
Artemis auf dem Markte bewegten. Es ist unmöglich, diese An
nahme, xux\6sig sei dem passiven xux\ovp.svog gleich, zu beweisen.
Ebenso unmöglich ist aber auch die Annahme der Enallage « evxkix
Spävov iv xvx’Xoi'j'sy dyopä Sdaaei (Wunder). Dass xwlöug äyopäg
Spovog für xvx’Xoiaa-og äyopäg Spövcg gesagt werden könnte, ist
ebenso undenkbar, als z. B. im Deutschen „das runde Haus auf dem
Markte“ für „das Haus auf dem runden Markte“.
Behält man die Überlieferung bei, so bleibt nichts anderes
übrig, als xvxlÖBig SpSvcg in der Bedeutung „kreisförmiger Sitz“ zu
nehmen. Die Einwendung Neue’s, dass xvxldetg nicht dasselbe wie
xw/Aufag bedeuten könne, sondern nur die Bedeutung „viele Kreise
habend“ haben könne, ist ganz und gar nichtig. Wol bezeichnen
solche Adjectiva >) gewöhnlich eine Fülle, eine reiche Menge;
O Sie entsprechen bekanntlich etymologisch den altindischen, mit dein Sufiix van t,
den lateinischen mit dem Suffix oso (Nom. osus) gebildeten Adjectiven.
Beiträge zur Krilik und Erklärung des Sophokles (König Oidipns). 87
aber uothwendig ist diese Bedeutung nielit und es ist diese Bedeutung
auch gar nicht die ursprüngliche. Vielmehr bedeuteten diese Adjectiva
ursprünglich überhaupt „mit etwas versehen, etwas in sich oder an
sich habend“ 1 )- Dass gewöhnlich der Begriff der Fülle in solchen
Adjectiven zu finden ist, erklärt sich sehr leicht. Alle Sprachen neigen
dazu hin, das „versehen sein“ in prägnantem Sinne „reichlich
versehen sein“ aufzufassen. Aber durchaus notliwendig ist dieser Be
griff des Besitzes einer Menge nicht. Vgl. z. B. folgende Adjectiva:
iÖEig (II. tp SSO), leipiosis (II. v 830 17 132; Od. r,, 107), 6jj.'fa.Ao£ig
(acnzig 6\).<j>a\osaa«), ovtxrösig (törd)£!?), y.spoug, xpoxöug, T£xvÖ£ig
[Sopli. Traeh. 308 2 )j, insbesondere aber rpoyösig „radförmig, rund
wie ein Rad“ (Kallim. Del. 2(51), das für ■/.■jy.Aosig die beste Analogie
bietet. Ferner vergleiche man die zwar an andere Nominalstämme
sich anlehnenden, aber nach demselben Princip gebildeten Adjectiva
adozjsjf, fwrisig, xtonrjeig (mit einem Griff oder Heft versehen, z. B.
fijaoj II. Tr, 322), p.op’priug (formosus).
Also gegen die Annahme der Bedeutung „kreisförmig“ bei xnxlc-
£ig wäre nichts einzuwenden. Wohl aber kann man einen begründeten
Zweifel hegen, ob dies Wort in dieser Bedeutung dem Contexte
unserer Stelle angemessen wäre. Ich stimme ganz Wunder und Diu-
dorf bei, dass hier vielmehr von dem berühmten Spovog auf der
runden ayopcc die Rede sein soll, wie schon Eustathios p. 1138, 2
geurtheilt hat. Aber die Überlieferung lässt sich in diesem Sinne
nicht auffassen, wenn man nicht mit der Annahme der Enallage Miss-
*) So ist Skr. p ad van (Stamm padvant) = mit Fussen versehen; dies Wort
würde, wenn es im Griechischen vorkäme, Ttodoeig lauten. Skr. arkavant ist =
den Blitzstrahl haltend.
*) o) duaraXatva, zig tzoz* et veavtftcov;
avavfyos yj rsxvoOaffa;
Nauek schreibt rexoOffa und bemerkt: „rsxoöffa, bereits Mutter ge
worden, nicht, wie gewöhnlich gegen (?) die handschriftliche Autorität gelesen
wird, rexvo0<7(7a, was nur (?) kinderreich bedeuten könnte, wenn es überhaupt
ein Wort wäre.“ Aber was die handschriftliche Autorität betrifft, so lautet der
Bericht „rexouaa, v a m. pr.“. Also ist eigentlich rexvci0<7a überliefert (der
Schreiber corrigirte seinen Fehler), was natürlich nicht von rsxvoöv kommt, son
dern rexvoOaora zu lauten hat. Auch das Scholion zeugt dafür: avav&poj vj
rexvoOua (recte rsxvoOffffa) ; Tsxva l^ou^a, ojrsp KaXXi'paxo? rcatfioOffa
(recte TraifoOtJffa).
88
K v 1 c a 1 a
brauch treiben will; es bleibt demnach nur übrig, die Stelle durch
eine Conjectur zu ändern. Ich vermuthe:
''ApTEpuv, ä. üOxXte eiv dyopäg Spovctv eöxXia Srdaoei.
Mit xi/xlcg dyopäg vergleiche Eur. Or. 911:
ohydxig ügtv xdyopäg ^pai'vcov xvAov.
Et’y, das bei Sophokles einmal im jambischen Trimeter vor
kommt, war in einer lyrischen Partie um so mehr zulässig. Die Stel
lung der Wörter ist dieselbe wie 178 dxräv npög izKipov SeoO.
V. 168 ff.
!1> Tzönoi, ä.\iä.piSp.a. ydp fipiü
nr,p.ara' voasi di [xoc Tcpönag
GTÖlog.
Irrig ist die Erklärung von nponag arilog „universus populus“.
Richtig hat Linwood die Bedeutung von ardkog aufgefasst, wie ich
aus Dindorfs Bemerkung ersehe „omnia, quae habeo, urbs, domus,
ager“. Sehr passend können wir mit diesem in einer anderen Sprache
schwer wiederzugebenden Worte das thukydideische napaoxevri ver
gleichen, z. B. 1, 1, 5 six.ij.ä^ovTES riGccv eg avzov dp.f6repoi napxG/.evy
tti -dar,. 1, 2, 2 eure psyeSei nöXeojo laytibv oure rvj äXkri napxaxe’jri.
V. 171 ff.
Ours ydp ev.yovx
xXvräg -/_Sovdg aö^erat, oöre roxotoiv
ir/ioyj xap.dr&jv dviyovai yuvaXy.eg.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Dichter Unfruchtbarkeit
der Felder und Unfruchtbarkeit der Weiber hier zusammengestellt
hat. Die Erklärungen aber, die man bisher aufgestellt hat, um zu
diesem Sinne zu gelangen, sind so gewaltsam und bedenklich , dass
man sich nicht wundern kann, w'enn die Herausgeber diese oder jene
Erklärung zwar annehmen, aber 'doch zu verstehen geben, dass sie
von ihrer Richtigkeit nicht überzeugt sind. Ebenso kann man sich
nicht wundern, dass Bedenken gegen die Richtigkeit der Überliefe
rung laut geworden sind. Wunder: „Itaque in eam inclino opinionem,
ut pro uviyovaiv aliud vocabulum a poeta Ibisse positum putem“.
Ileimsoeth (Krit. Stud. I, 9) vermulhet Iriioug xxij.drovg dvvtovol.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 89
Aber es zeigt sich doch noch ein anderer Weg der Erklärung, der,
wie mich bedüukt, der Sprache nicht Gewalt anthut.
Man kann nämlich «7ova, das im ersten Satze Subject ist, im
zweiten Satze als ein von dviyoxjai (= dg <pd>g dyovGt, tpaivouai) 1)
abhängiges Object ergänzen. Dass ix'yova. beiden Gliedern gemein
schaftlich ist, will vielleicht auch das Scholion andeuten: ixyovx
rj rd divSpcc r/ roug nalöccg yriacj. ’Ivji'wv xxp.drci>v wäre mit
diesem zu ergänzenden zxyova zu verbinden, so dass sxyova xXoräg
yjdovig und ixyovx irjiuiv xap.«rcov 2 ) Gegensätze wären; roxgiglv
dviyouGi aber ist = partu edunt. Demnach wäre der Sinn „weder
gedeiht die Frucht der herrlichen Erde, noch bringen dies) der
seufzererregenden Wehen die Weiber durch Geburten zur Welt“.
Die Bedeutung „hervorkommen lassen, hervorbringen“ glaube ich
für dviyj.iv annehmen zu können, da dasselbe Verbum in iniransitiver
Geltung „hervorkommen“ bedeutet. Vgl. dvtGyeiv, das nicht hlos von
dem Aufgehen der Sonne, des Mondes gebraucht wird, sondern auch
von dem Entspringen des Flusses, vom Auftauchen eines Feuer
zeichens. Ferner vgl. ccvbj/ju von der hervorbringenden Kraft der
Erde; dann bietet dvariXhuv bei Pind. Istlim. 6, 1 ff. eine passende
Analogie dar:
Ttvt rcov Tidpog, co p.dxaipa drjßx,
xaXüiv imywpiuv [j.d’XiGra ■9’vp.dv rsov
süippavtxg; rj pa yaXxoxpGTOv ndpeopov
Acxp.dr£pog dv'ix Evpvyairav
ävTsiXag Aiövvgov
Endlich berufe ich mich aufBekk. An. 400, 11 xcä dviysiv rö
ota ßccGrd^eiv xtxi epi p £ c v, 0 xcä dviyja^xi xod inxviyjiv.
V. 174 ff.
aXXov <5’av äAXcp npoai($Gt.g } dnip Evnrspcv o'pvcv
XpElGGOV dp.(Xt[XXxiTGU TCVpÖg öpp-EVOV
dxzdv npdg ionspov 3soO.
') Cf. Od. 5, 12 ’EXivfi de äeol 'jivov ouxsV’ syatvov.
Z J Cf. Eur. Phoen. 358 cd dC eöÄi'vcov '/oval'.
■’.l Näml. die Frucht. Durch die Auslassung des Substantivs will ich die Construc-
tion des Textes, wie ich sie eben annehme, einigermassen naehahmen.
4 ) Dagegen Apoll. Rhod. I, 810 intransitiv: axoxir, 5’ dvexeXXe ■jeviAX'/i.
90
K v i c a 1 a
Schol.: tö de xpeiGGov dp.aipxxezov xvpig, rj oiov d£vzipovg
TTupög dg zd aneOdsiv zig "Aidou. Diese Erklärung des Scholiasten,
mit der Musgrave's Auffassung übereinstimmt, hat die Zustimmung
der Herausgeber gefunden. Und doch verdient wol die zweite Er
klärung des Scholiasten den Vorzug: yj ouzmg • xpetggo'j xvpög, c!>g
p.r) xazahxp.ßdvsiv zd xOp zd rcöv dxoS-vY]Gxivzü)v xÄrjSog xai xaieiv.
xcci ydp oxepßoXrj xcd inizxotg zov xd^ovg. Werden die Worte in
diesem Sinne genommen, dann bilden sie eine passende Vorbereitung
für das, was in der Antistrophe folgt:
dov xdhg mdpi.3-p.og olXozoa •
vvjXsa ds yeosSlx xpög xidip
JdoivixzGiipipci xeizxi dvoixzoog.
Mit xpeiGGOv, wenn xpelGGov xvpdg so aufgefasst wird, vgl. Aisch.
Ag. 1370 vipog xpziGGOv ixxr l dr,p.azog und 1374 unserer Tragödie:
zp'f iozi xpeiGGOv' d‘j-/ovr,g dpy<x<jp.iv<x.
Bei der anderen Erklärung ist der doppelte Vergleich nicht
Idos nutzlos, sondern auch auffallend.
V. 198 f.
zflei r /äp d zi dipri,
zovz' ix' vp.czp epyszoa.
Diese schwierige Stelle hat zwar manigfache Erklärungen und
Conjecturen veranlasst; dennoch war man bisher ziemlich einig dar
über, dass schon der Scholiast den Sinn im allgemeinen richtig an
gegeben hat: ßoiihzzca oi leyeiv, ozi zd xxx.d ddidXeixzov eyei. ei
ydp zi rj vü£ äfrj exi rcö exvzfig ziAei dßlxßeg, p.0 tpSdaccGX avzo
dxolioca, zoOzo p.e3-' r,p.ipm ä'/r,pnaazca. Nur Pelliccioni (Commen-
tariis in Oed. R. Epimetron. Bononiae 1867, p. 31 ff.) glaubte einen
anderen Weg einschlagen zu müssen: „Nova igitur via ineunda, quae
non adeo sentibus obsita ut impervia sit, duminodo vö£ et r t p.ccp non
propria et naturali signiücatione sed allegorice accipiantur sic: si
quid enim nox dimiserit (hoc est, a quo nox discesserit), illud
tandemdiesoccupat. Quemadmodum, inquit, nox aeterna nulla
est, sic extincto crudeli illo ac pestifero deo qui veluti atra nox civi-
tati incuhuit; vel (si magis placet) discussis aliquando aerumnarum
tenebris civitas pacis et felicitatis exoptata tandem luce recreabitur.“
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipusj. 9t
TeAsi wird hiebei in der Bedeutung „({indem“ genommen. Eine Wider
legung dieser Auffassung, die eben so wunderlich ist, wie ihre Be
gründung, ist natürlich überflüssig.
Die Überlieferung rsAst ist schlechterdings unhaltbar, mag man
das Wort in der Bedeutung teAe'co? nehmen, oder „morti“ erklären
oder wie immer auffassen. Bedenklich ist Hermann’s Conjectur rsAsiv,
auf die derselbe übrigens kein grosses Gewicht gelegt wissen wollte.
Ansprechend ist dagegen Bergk's rsAst 7 «cp d. h. „denn er (Ares)
wird’s vollbringen (wozu das Object aus flsysi 192 zu entnehmen
ist), nämlich dann, wenn meine Bitte nicht in Erfüllung geht und
ihm weiteres Wirken gestattet wird“. Aber das Asyndeton rslsi ydp-
et tc yü£ zfVi TOör’ sk •op.ap sp-yszai ist unmöglich. Es ist desshalb
wol zu schreiben:
tsIsl yäp, si, to (d. i. o) vvc dcyji,
tovt' en’■np.ap sp^srou.
Hiebei ist et = si quidem.
Die Rede des Königs Oidipns.
V. 216—275.
Diese in mehrfacher Hinsicht merkwürdige Rede hat bekanntlich
zu einer wissenschaftlichen Controverse zwischen 0. Ribbeek und
Classen Anlass gegeben. Nachdem Ribbeek (Rhein. Mus. XIH,
S. 129 ff.) die handschriftlich überlieferte Reihenfolge der Verse 246
bis 272 verworfen und die Umstellung der sechs Verse 246—251
nach V. 266, also die Anordnung 245, 252-272, 246—251,^73 ff.
vorgeschlagen hatte, bekämpfte Classen diesen Vorschlag und suehte
die Richtigkeit der Überlieferung darzuthun, wodurch Ribbeek zu
einer Erwiderung veranlasst ward, in welcher er seine früher aus
gesprochene Ansicht vertheidigte {). Eine wiederholte Prüfung der
Rede desOidipus hat mich in der Überzeugung von der Richtigkeit der
Überlieferung bestärkt, zugleich aber auch in der Ansicht, dass die
Verteidigung der überlieferten Folge von einem anderen Standpunkte
geführt werden muss, als der von Classen eingenommene ist. Wenn
nämlich die Überlieferung nicht anders aufrecht erhalten werden
0 Ich citire iin folgenden nach der Seitenzahl des „besonderen Abdruckes aus dem
rhein. Mus. für die Milglieder der 20. Versammlung d. Phil.“. Frankfurt a.M. 1861.
K v i p a I a
<)*>
könnte, als durch die Annahme, dass im V. 236 unter röv ävdpx
rovrov nicht der Mörder, sondern der Hehl er zu verstehen sei, so
wäre meiner Ansicht nach jede sonst noch so scharfsinnige und eifrige
Verteidigung der handschriftlichen Folge vergeblich; denn diese
Erklärung der Stelle ist ein viel gewagteres Mittel als die vonRibbeck
oder Bernhardy (Griech. Literaturgesch. II, 2, S. 326 der 2. Be
arbeitung) vorgeschlagene Transposition. Die einzig und allein mög
liche, bei vorurteilsfreier Betrachtung unbedingt einleuchtende Be
ziehung der Worte röv ävopa rovrov auf den Mörder hat Ribbeck
unwiderleglich durgetan.
Meiner Meinung nach hängt die Entscheidung der Frage, ob
Umstellung oder Beibehaltung der überlieferten Folge, von der Beant
wortung der Vorfrage ab, fiir welche Zeit Oidipus die Vollstreckung
der 236—243 über den Mörder ausgesprochenen Acht in Aus
sicht nimmt. Sollte es durchaus notwendig sein anzunehmen, dass
Oidipus eine schon jetzt stattfinden sollende Vollstreckung der Acht
im Sinne hat, dann ergeben sich allerdings solche Schwierigkeiten,
dass man die Rolle eines Verteidigers der Überlieferung nicht mit
Erfolg spielen könnte •). Für diesen Fall wäre Ribbeck’s scharfsinni
ger Vorschlag ansprechend. Aber ist denn wirklich jene Notwen
digkeit vorhanden? Kann nicht
röv ävdp' äiravdüj rovrov, dang eoryvg
rrjad’, r t g iyö: xpdrr, re y.xi Spovoug vipco,
\i;r,r eiooeyka-dai pv;re Trpootpoiveiv riva y.rA.
auf die Zukunft bezogen werden, auf jene Zeit, wann der
Mörder doch endlich einmal bekannt würde? Kann nicht
folgender Gedankenzusammenhang aufgestellt werden: „Wer den
Mörder kennt, möge ihn angeben ! Fürchtet der Mörder sich
seihst anzugeben, so wisse er, dass ihn nichts anderes treffen
wird, als dass er unbehelligt das Land verlassen muss. Weiss
jemand von einem anderen, dass er der Mörder ist, so schweige
er nicht; ich werde ihm Dank wissen. Wenn ihr aber schweigen
werdet und weder der Mörder sich selbst angeben, noch auch ein
1 ) Inwiefern die Frage über die überlieferte Versfolge mit der Auffassung von
V. 236 ff. zusammenhängt, darüber vergleiche man Classen S. 14—15 die Worte
„Was sind nun die Gründe — des zuletzt gar nicht erwähnten Mörders“.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus).
93
Freund, der ihn kennt, denselben anzeigen wird, so spreche icli im
voraus die Acht aus, welche den Mörder treffen wird. Den Mörder
wird, wenn sein Name nicht jetzt bekannt werden wird, sondern erst
später 1 )» niemand in diesem Lande, das ich beherrsche, weder aul
nehmen noch ansprechen dürfen“ u. s. w.
Ich glaube behaupten zu können, dass diese Zeit der Achtvoll
streckung nicht blos angenommen werden kann, sondern ange
nommen werden muss. Folgende Gründe sind es, die diese Annahme,
wie mir scheint, nothwendig machen.
1. Die Ansicht, Oidipus verlange „die Bürger sollen, wenn sie
wissentlich schweigen, indirect durch ihr Verhalten den Greuel ent
fernen helfen und unschädlich machen, den zu offenbaren ihnen irgend
welche Scheu verbiete“ (Ribbeck, S. 18) ist unhaltbar. Diese an den
Wissenden oder an die Wissenden gerichtete Aufforderung würde
doch auf dasselbe hinauslaufen, wie die Aufforderung V. 224 ff.:
Sang 7T0.9-’ 6/xwv Acttov töv Aaßväxov
xdnudsv dvopig ix r'tvog diSilszo,
rovrov xeAsöco Ttdvrcc or,p.cäv£iv ipoi.
Diese Vollstreckung der Acht wäre auch ein arip.alvivj und zwar
ein <jvjp.a(v£iv durch Handlungen; dem Könige würde sicherlich diese
Achtvollstreckung und damit auch der Mörder bekannt werden. Wie
kann nun Oidipus voraussetzen, dass die, welche wissentlich schwei
gen und welche den Mörder nicht angeben wollen, ihn durch die
Achtvollstreckung offenbaren würden? Diese Voraussetzung des Oidipus
wäre eben so thöricht, wie das Benehmen der betreffenden Leute
seihst. Was sollte nämlich jene, die bereit wären die Acht zu Voll
streckern abhalten, den Namen des Mörders geradezu zu nennen?
2. Die Worte töv ävop’ ixTxavdco roürov .... pizr’ S-iodiy^soSca
p.r,r£ npoa'puvüv rtvcc z.tA. bezeichnen eine Folge, deren Bedingung
in V. 233 und 234 ausgesprochen ist. Diese Bedingung wird in
doppelter Fassung ausgesprochen: a) d o ah aiwnrjaeoSs, b) xai
ng ri tpiXov Sdaag dnthau rohnog r, y^ahrov rööe. Der zweite Aus
druck ist ampüficirt durch Hinzufügung des Motivs. Das Motiv des
wissentlichen Schweigens könnte nach der Ansicht des Königs nur
') Bis nämlich die Seuche noch grösseres Unglück angerichtet haben wird. Ein
späteres Kundwerden des Mörders konnte Oidipus für möglich halten ; dasselbe
konnte durch Zufall oder durch Teiresias oder sonst irgendwie erfolgen.
94
K v 1 c a 1 a
entweder Furcht für einen Freund oder Furcht für sich seihst sein.
Zwischen Folge und Bedingung muss nun doch nothwendiger Weise
ein vernünftiger Zusammenhang stattfinden. Welcher Zusammenhang
ist aber zwischen
ei ff uv atomriaeaSe, xalnj? tpilov
o £ig ag ukojg ei rovn g g r t -/uinov rode
und rov üvSp’ uKuvrjüj tovtgv, Saug eazi, yfjg
Tf/off, f/f sycii apürr, re x«t Spivovg vsp.0),
fXrif’ £IG0£-/_£G^UI [Xr,T£ KpGG(pU>V£lV TIVU
eiSeTv ff an ctxwv navrug xrÄ.
An wen ist das Verbot gerichtet? Doch wohl an alle Unter-
thanen! Ist nun nicht diese Ausdrucksweise höchst sonderbar und
unmöglich: „Wenn A oder B, oder A und B den Mörder kennt und
aus freundschaftlicher Besorgniss nicht angeben will, so darf keiner
meiner Unterthanen ihn aufnehmen oder anreden, sondern alle müssen
ihn von ihren Häusern verstossen“? Wie sollen denn die übrigen
Unterthanen (mit Ausnahme des wissenden A oder der wissenden A
und B) das Gebot erfüllen, wenn sie den Mörder nicht kennen ? Man
müsste annehmen, Oidipus habe sagen wollen: „Wenn irgend welche
Bürger den Mörder aus Besorgniss für ihn nicht angeben wollen, so
mögen sie wenigstens den Verkehr mit ihm aufgeben und zugleich
dafür sorgen, dass auch alle übrigen Unterthanen den Verkehr mit
ihm aufgeben.“ Können wir dies zwischen den Zeilen lesen? Gewiss
nicht! Und wenn die den Mörder Kennenden dafür sorgen sollten,
dass die Achtvollstreckung eine allgemeine wäre, so könnten sie dies
nur durch Offenbarung des Mörders, und zwar durch eine allgemeine
Offenbarung erreichen, die auch dem Könige nicht unbekannt bleiben
könnte. Wie kann, fragen wir auch hier, Oidipus in einem Athem die
Voraussetzung machen ei ö’ au GioxnriGeGSe und dann ein Gebot er
lassen, bei dem er solches Benehmen bei den Wissenden voraussetzt,
durch welches der Mörder allgemein bekannt werden müsste?
Sollen wir also, um diesen Schwierigkeiten zu entgehen, rivsc
und nuvzag blos auf die Wissenden einschränken? Dies scheint
Ribbeck angenommen zu haben, da er (Rh. Mus. XIII, S. 129)
paraphrasirt: „Schweigt ihr aber dennoch und gelingt es nicht, den
Mörder durch einfachen Spruch zu entfernen, so soll ihn wenigstens
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 9S
keiner, der ihn kennt, unter seinem Dache beherbergen, ihn der
Opfergemeinschaft oder irgend welches Verkehrs würdigen, so dass
auf diese Weise das pttao/ia der Stadt zu Tage kommt und gesühnt
wird.“ Aber wenn Oidipus eine so gemässigte Forderung stellt,
was ist damit gewonnen? Bei anderen würde der Mörder Aufnahme
finden und auf diese Weise im Lande bleiben, und so würde dasselbe
von dem pu'affpia nicht befreit werden. Übrigens ist diese Beschrän
kung wegen der Ausdrücke nvd, navTag und 7?}? Togos unmöglich;
denn alle diese Ausdrücke weisen darauf hin, dass ein Verbot erlassen
wird, welches allgemeine Geltung haben soll.
Dass ferner zwischen s'l ng avrov osi Gag an Aast rovnog vol
lends gar kein Zusammenhang stattfindet, ist klar. Wenn nämlich
der Mörder auch der einzige ist, der um die Tliat weiss, und wenn
er schweigt, wie soll da die Acht vollstreckt werden ?
Es wäre demnach bei der von mir bekämpften Auffassung dieser
Stelle diese Partie eine durch und durch verworrene. In ganz an
derem Lichte erscheint diese Stelle, wenn man die Achtvollstreckung
auf eine zukünftige Zeit, bis nämlich der Mörder doch einmal
irgendwie bekannt geworden sein wird, bezieht. Dann ist alles in der
Ordnung. An das Gebot, den Mörder kund zu thun, knüpft Oidipus
mit V. 233 ff. nicht eine zweite, ermässigte Forderung an, dass die
Thebaner, wenn sie schon aus irgend welcher Scheu den Mörder
nicht nennen wollen, doch wenigstens auf eine andere Weise das
p.ta<jp.oc entfernen sollen; sondern die Verse 233 ff. enthalten eine
Verkündigung’dessen, was, wenn das Gebot wirkungslos bleibt, den
Mörder bei späterer Kundwerdung treffen soll. Die Besorgniss um
den Mörder (osicag 234) soll diesem nicht zum Nutzen gereichen.
Einmal wird der Mörder doch endlich bekannt werden und dann wird
denselben schimpfliche Acht treffen.
3. Auch die Worte dx rüvds dp dato (V. 235) sprechen für
die Richtigkeit unserer Auffassung. Nach der entgegengesetzten
Auffassung würde man vielmehr erwarten dx züvös lsyu> oder dx
tüivos üfxäg nois.lv ßoOXo[xat.
Um jeden Zweifel zu beseitigen, wird es nicht unzweckmässig
sein, zwei Argumente, die man vielleicht gegen die empfohlene Auf
fassung der Stelle anführen könnte, im voraus zu beseitigen.
1. Das Präsens dnavoöj könnte auffallend erscheinen. Aber in
diescmContext (zumal nach vorausgehendem dx töjvos öpdcico) ist es
90
K v i.e a 1 n
klar, dass das Verbot auf die Zukunft sich bezieht. Oidipus konnte
und musste dies Verbot, dessen Erfüllung in die Zukunft fällt, schon
jetzt aussprechen, weil er durch die Bekanntmachung der Strafe sein
Ziel um so eher zu erreichen hoffte, nämlich Einschüchterung und
eventuelle sofortige Bekanntgebung des Mörders. Apdooj bezeichnet,
dass Oidipus dafür sorgen werde, dass die Strafe, die schon jetzt
angekündigt wird, seiner Zeit vollstreckt werde.
2’. Die Strafe (Acht) könnte für den Fall, dass der Mörder sich
selbst nicht angibt und auch nicht von anderen angegeben wird, folg
lich im Lande bleibt und weiteres Unglück über dasselbe herauf
beschwört, zu mild erscheinen. Warum spricht Oidipus für diesenFall
nicht die Todesstrafe aus? Dies konnte nach der Anlage des
Stückes nicht geschehen. Oidipus spricht ja unwissend diese Strafe
über sich selbst aus; cf. 350 tf. 1381 ff. Es würde mit der Fabel des
Drama's nicht gut übereinstimmen, wenn er die Todesstrafe aus
drücklich bestimmt hätte; denn dann hätte er nach der Entdeckung
seiner Lage darauf bestehen müssen, so wie er sich der Strafe, die
er angekündigt hat, wirklich unterzieht. Übrigens ist die Tödtung
auch nicht ausgeschlossen. Den Geächteten konnte jeder (schon nach
des Gottes Spruche.) tödten; cf. 100 und 1411.
II.
Prüfen wir nun nach Erledigung dieser Vorfrage, ob die Rede
des Königs nach der handschriftlichen Versfolge einen befriedigen
den Gedankenzusammenhang darbietet.
Nach der Aufforderung, den Mörder zu bezeichnen (224—232)
verkündet Oidipus für den Fall, dass diese Aufforderung nicht den
gewünschten Erfolg haben sollte, die Acht, die den Mörder treffen
soll, bis er entdeckt worden sein wird (233 — 243). Hierauf fährt
er fort
£7CÜ p.EV OUV TOlÖG^E T'Jl TE OcdjJ.OVl
r& r dvopi Tö) Solvgvn aiipixa-^og kOm.
Die Worte roidaos beziehen sich 1. auf die Aufforde
rung, den Mörder anzugeben, 2. auf die Verkündigung der Acht. Nun
begnügt sich aber Oidipus nicht damit, dass er die Strafe bekannt
gemacht hat, die den Mörder, bis er entdeckt worden sein wird,
treffen soll: sondern er verflucht ihn schon für die Gegenwart:
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 97
xaTEvyopai 1rdv öeöpcc/.or’, eite rtj
efff div AsAriSev, eite xAeiövojv psTa,
xaxov xaxcö? vtv äp.opov ixTpüpai ßiov.
Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass der vernichte, jetzt
unbekannte Q.eAvSev') Mörder bis zu seiner Entdeckung, deren Zeit
punkt in unbestimmter Zukunft liegt, ein strafloses Leben führen
solle; darum wünscht er ihm ein unseliges Leben, da er eben für
den Augenblick nichts anderes tliun kann, als ihn verfluchen. Dass
nach dieser Auffassung sich xaTEvyopai xrA. gerade hier passend an-
schliesst, ist wol klar.
Doch auch damit begnügt sich Oidipus in seinem Eifer noch
nicht. Er hat das Gebot erlassen, den Mörder bekannt zu geben; um
nun zu zeigen, wie ernst er die Sache nimmt, verflucht er für den
Fall, dass er wissend den Mörder an seinem Herde aufnehmen und
bergen würde'), sich selbst zu einem unseligen Leben und stellt
sich für diesen Fall dem Aslr/Sthg tpovEvg gleich (249 —251
EKEvyopai xtA.).
Nachdem nun Oidipus in den Versen 244—251 von sich ge
sprochen (avp.p.ayos 7te)m, xa.TEvyop.co., E7iEvyop.ai), wendet er sich
mit eindringlicher Rede an die Bürger:
vp.lv di Tavra ndvT iKWxrjKTO) rsiUtv,
imip t ip.avrov rov SeoO te Tf/adi te
yrjg dtd’ dxäpnojg xct^scof itpSapp.£vyjf.
Schwierigkeit macht raör« 7rävr’. Aber diese Schwierigkeit ist
nicht eine durch unsere Erklärung von töv ävdp' diravdü) tovtov xtA.
verschuldete, sondern sie hat ihren Grund darin, dass Oidipus einen
Gedanken, den er jetzt als bekannt voraussetzt, nicht ausgesprochen
hat. Zur Noth könnte man raüra ndvTa damit erklären, dass Oidipus
V. 227—232 eine Alternative ausgesprochen und auch V. 226
navTa gebraucht hat. Aber seine Worte enthielten nur die Aufforde
rung, derjenige, der von dem Morde etwas wisse, solle darüber Mit—
9 Schneidewin-Nauok: „Zum Beweise wie ernst er die Sache nimmt und um seine
völlige Unwissenheit nochmals zu betheuern, verflucht Oed. auch sich, wenn er
den Mörder unter seinen Hausgenossen verhehle“. Aber Ei $uveotiqs 7svoiro ent
spricht nicht d er Construction el %vve<Tvt6$ iari, sondern vielmehr eav ^uvearios
72VVJT0U der directen Rede.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. ßd. I. Hfl.
7
98
K v i c a 1 a
theilungen machen. Nun aber sagt er, und zwar, was wol zu be
achten ist, mit Anwendung des begründenden ydp
o'jo’ , d ydp rjv tö npäjp.« prj SsyiXxtov 1
dxdSaprov 6p.dg sixdg rjv oüreo? idv,
dvdpög 7’ dpiorov ßccaiXswg r’ dKoXközog,
dXX i^spsvvxv,
womit zu vergleichen ist 265 f. xxki ndvz’ x<pitgop.xi £>? rö>v zov
xvzö%sipx rov <povov 'Xxßslv.
Er setzt also voraus, dass er die Bürger nicht blos zum oyp.xi-
vsiv dessen, was sie wissen, sondern auch zum Nach forschen auf
gefordert hat und desshalb mag zxvzx ndvzx gesetzt worden sein >).
Darauf setzt Oidipus 258—268 auseinander, welches Interesse
er habe, dem Mörder eitrigst nachzuforschen; dann verflucht er
(269—272) jene, die etwa den Mörder nicht angeben und ihm nicht
nachforschen wollen a ); jenen dagegen, oooig zdd’ sor’ xpsoxovzx,
wünscht er Heil und Segen. Kai zxvzx zolg p.rj dpüoiv hängt mit
252 vp.lv di zxvzx ndvz’ imaxrinzo) zslslv zusammen.
III.
Es sind nun die Gründe, welche Ribbeck gegen die handschrift-
iche Versfolge geltend macht, zu besprechen, beziehungsweise zu
widerlegen 3 ).
!) Die Schwierigkeit, welche dies raOra Travra bietet, sucht Classen dadurch zu be
seitigen, dass er raOra travra auf die dre 1 faehe Verwünschung gegen die
Hehler im allgemeinen, gegen den nicht entdeckten Mörder und gegen Oedipus
selbst bezieht (S. 17) ; dagegen bemerkt Ribbeck (S. 21): „Dagegen befürchte
ich nicht, dass bei meiner Anordnung dem Leser die Beziehung der Worte radra
Travra auf eine vorausgegangene Mehrheit fehlen werde. Theilt ja doch Oedipus
sein Verbot V. 238 durch ein fünffaches p.^rs in eben so viele einzeln zu be
achtende Theile, und etwas andres kann selbst nach Ihrer Auffas
sung Oedipus nicht meinen wollen, da die Erfüllung des Gebetes
an die Götter (246—251) nicht in der Hand der Bürger liegt“.
Aber wenn rov av&p 5 aKCtudtb roörov xrX. (236 ff.) auf eine erst künftig zu voll
streckende Acht bezogen werden muss, was ich nachgewiesen zu haben glaube, so
entfällt die Möglichkeit, den Ausdruck raöra Travra auf diese Worte zu beziehen.
2 ) Gut ist die Bemerkung von Schn.-N. zu V. 263 (269): „Er meint die, welche den
Mörder nicht anzeigen oder ihm nicht nachforschen“.
3 ) Das Urtheil über Punkt 1 und 3 hängt mit der oben erledigten Vorfrage zu
sammen.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 99
1. Die Verse 246—248 sind keine massige Wiederholung der
selben Verwünschung, die 236—243 feierlich verkündet wurde.
Die Verkündigung der Acht geht auf die Zukunft; die Verwünschung
246—248 auf die Gegenwart. Vgl. das oben gesagte.
2. Zwischen dem psv im V. 244 und dem os im V. 246 findet
allerdings kein Zusammenhang statt (Ribb. S. 3 und S. 21); es ist
unmöglich, mit Classen (S. 16 —17) diesen Zusammenhang anzu
erkennen. Das os in zaTsü^opcci de (V. 246) und £ne£iy_o[j.at oe
(V. 249) ist eine blos anreihende Partikel; der wirkliche Gegensatz
von psv (244) wird erst durch ds (252) gegeben. Das ps'v ist an
gekettet und lässt upfv de erwarten, was aber nicht unmittel
bar folgen muss. Es konnte hier vpiv de nicht unmittelbar folgen,
weil es dem Dichter darauf ankam, den Oidipus alle die Momente zu
sammenstellen zu lassen, welche seinen Eifer in dieser Ange
legenheit besonders beleuchten (vgl. die Darlegung des Gedanken
zusammenhanges). Dass zahlreiche Beispiele einer solchen Beziehung
eines entfernteren (nicht des zunächst stehenden) ds auf psv sich
finden, ist bekannt.
3. „Wenn der Mörder von Haus zu Haus verstossen und von
allen Altären verjagt wird“, so kann, sollte man meinen, von keinem
la.v3-a.veiv (247) weiter die Rede sein. Es sieht vielmehr so aus, als
ob dies ein neuer Fall wäre: „wenn er doch verborgen bleibt, so
soll es ihm schlecht ergehen“. Rihbeck (S. 3). Die Achterklärung
geht auf die Zukunft; Oidipus will aber auch für die Gegenwart
thun, was er-eben thun kann; das ist die Verfluchung.
4. Schwieriger als diese Punkte ist nun freilich toXgos (V. 251).
Wenn die Überlieferung in diesem Verse echt ist, so muss ich von
meinem Standpunkte aus sagen, dass toigSs auf V. 246 f. ehe ng
cf? cov ~Xslri3sv, eite Ttleiivwv fxsra sich bezieht und dass
der Plural dadurch veranlasst worden ist. Wenn Rihbeck (S. 4)
sagt: „Wer sind diese otds? Die mehreren Mörder, unter der
Voraussetzung, dass er den Mörder an seinem Heerde birgt, dass
dieser £vv£gnog jsvoito! Das ist doch einleuchtend toll“ und
weiter: „Wo und was hat er denn geflucht? Bis jetzt noch nirgends
und mit keiner Silbe“: so ist auf letzteres zu erwidern, dass er so
eben mit xarsO^opai Si xrA. einen Fluch ausgesprochen hat. Auf die
erste Einwendung aber müsste ich unter Voraussetzung der Echtheit
des Wortes toXgos sagen, dass die im V. 246, 247 gebrauchte Wen-
7“
100
K v i o a i n
düng gleichstellt dem Ausdrucke xanijyop.ai di zov dsdpaxo za vj ro Cif
dsdpaxozag xta. und dass mit Rücksicht darauf zoZads (d. i. der
eventuellen Mehrzahl von Mördern) gesetzt erscheint. Aber freilich
gestehe ich offen, dass diese Erklärung nur ein schüchterner Versuch
ist. Ich halte es vielmehr für wahrscheinlich, dass in roiad’, vielleicht
in den drei Worten äxsp zolod’ äpzioog, eine Corruptel steckt. Dieser
Umstand, dass die Annahme einer Corruptel sich aufdrängt, könnte
nun vielleicht doch gegen die handschriftliche Versfolge und gegen
die oben aufgestellte Erklärung der Verse 236 ff. misstrauisch
machen, und ein solches Misstrauen wäre nicht unbegründet, wenn
bei Ribbeck's Anordnung der Verse zoZads kein Bedenken darböte.
Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Ribbeck bezieht toZaos auf
zaüza zoig jm dpZöaiv. Dass dazwischen nach seiner Anordnung acht
Verse stehen, würde nichts zu sagen haben, wenn nicht drei von
diesen Versen (xazB0yop.au—ßtov) auf eine ganz andere Person,
nämlich auf den Mörder, sich bezögen. Bei dieser Sachlage ist die
Beziehung von zoZads auf zaüza zoig p.ri dpöoaiv, namentlich wenn
man die dem ods zukommende Geltung berücksichtigt, nicht zulässig.
Auch würden die Worte i7Zs.iiyjop.ai naSslv, äxso zoZad' äpzioog ripa-
aäp:r,v, wenn sie auf xai zaüza zoig p.rj dpöiaiv ixsüyop.ai Ssoüg p.r t r'
äpozov aiizolg yng aviivou zivd, p.'n z’ o uv y uv aixöov xai dag be
zogen werden sollten, im Munde des Oidipus, der eine ziemlich
grosse Anzahl von Kindern hatte, sonderbar sich ausnehmen; und es
ist doch wohl anzunehmeü, dass Oidipus bei dieser Selbstverwün-
schung ein Unglück nannte, das ihn treffen konnte, nicht aber ein
solches, das ihn nicht mehr treffen konnte.
Ich glaube, dass die Beziehung von ixsuycp.ai. xaSeiv, axep . . .
ripaodp.r,v (mit dem erwähnten Vorbehalte der Annahme einer Cor
ruptel) auf xazeiryjop.ai di ... . xaxov xaxöog viv äp.opov kxzpfyai
ßcov die richtige ist. Diese Verwünschung geht in Erfüllung. Wollte
man einwenden, dass es unpassend ist, dass Oidipus die dem unent-
deckten Mörder angewünschte Strafe über sich heraufbeschwört,
falls er der Hehler des Mörders würde, so ist darauf zu erwidern:
Diese Inconcinnität ist sehr wirksam. Oidipus will eben dadurch
zeigen, wie ernst er die Sache nimmt. Wenn der König für den Fall,
dass er den Mörder an seinem Herde bergen würde, dieselbe
Verwünschung gegen sich, wie gegen den Mörder, ausspricht, so
kann er hoffen, dass bei der Kundgebung eines so ernsten könig-
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (Honig Oidipus). 101
liehen Willens die Entdeckung des Mörders um so eher erfol
gen wird.
Es könnten nun noch noch dieser Beurtheilung der von Ribbeek
gegen die Überlieferung angeführten Gründe einige Argumente her
vorgehoben werden, welche gegen die von ihm empfohlene Umstellung
sprechen. Mit Übergehung der übrigen mag hier nur das von Classen
(S. 17) hervorgehobene erwähnt werden: „Es tritt die Verfluchung
des Mörders 246—248, die ihre Motivirung nur darin hat, dass die
Nichtentdeckung der That vorausgesetzt und eben erwähnt ist (wie
in der Vulg.) jetzt ohne diese Beziehung durch nichts vorbereitet
sehr auffallend in die Mitte hinein“. Dies Argument sucht freilich
Ribbeek (S. 2t—22) in scharfsinniger Weise zu entkräften: „Aber
so wie so würde sie, denk’ ich, auf der so eben ausgesprochenen
(rot? per, dpwatv) Voraussetzung beruhen, dass die Entdeckung des
Mörders nicht gelungen sei. Oidipus hat V. 264—268 sein eifriges
Bemühen den Mörder zu entdecken feierlich bekannt, und hierauf
natürlich zunächst alle diejenigen Mitbürger verflucht, die an diesem
frommen Bemühen etwa nicht Theil nehmen (269—272). Wenn
nun (durch Schuld derselben) der Mörder unentdeckt bleiben sollte,
so wird seine Bestrafung (zu seiner Einschüchterung und um ihn zur
Selbstanzeige oder zu freiwilliger Entfernung zu treiben) den Göttern
anempfohlen“. Aber es lässt sich doch nicht verkennen, dass der in
der Vulgata so passende Anschluss von 0/j.Xv de roXg ocIIolgi Kadpetöt?
(273) an y.ai tccjtoc roXg prj öpcöaiv (269) sehr zu Gunsten der Über
lieferung spricht.
V. 216 ff.
airetj • & o ai'reic. rckp." eav izr)
xÄöwv de^ea^at vj; vötyw vnr t persXv,
äXxr;v XdßoiG av y.ävay.ov<pi<7iv y.axtZv.
Der Ausdruck rf, voatp ürvjpereTv ist, wie schon manche Kritiker
hervorgehoben haben, auffallend; er lässt sich nicht mitsolchen Stellen,
wie Plat. Nom. 4,720 D rä vorip.xza SspaTtsOsi xai iKimor.eX ver-
theidigen. Auch hat der Scholiast etwas anderes gelesen. Vielleicht
ist zu schreiben:
y.A'j'jyj nv/_i r jäaJ. r’ iv vdatp -S-’ ünnpsTeXv,
K v 1 c a 1 a
rr
102
wobei zu bnripezeXv natürlich ifxoi hinzuzudenken ist, geradeso wie bei
der Erklärung des Scholiasten inapxeXv xai <jvp.7tpazzeiv auch ip.oi
verstanden werden muss, welcher Umstand eben für die aufgestellte
Conjectur zu sprechen scheint.
V. 224 ff.
ouzig tto3’ öfuöv Aäiov zöv Aaßäaxou
xäzoidev avopäg ix zivog oiMezo,
zoiizov xeAsöoü navza avp.aiveiv ip.oi.
xsi p.iv ipoßsXzai zuEinixlr^ix vneEelcbv
avzig xaS’ aiizoxj • neiaezai ydp aAXo piv
dazepyig oöosv, yf,g o’ aneioiv <xaipalr t g.
ei o’ ad zig aXXov olftev iE ällrig y^ovög
röv avziyeipa, pr; aicoKazixj • zä ydp
xepoog ze'/M ’yti) yji ydpig kpaaxeiaezai.
Ein radicales Mittel zur Beseitigung der Schwierigkeiten im
Y. 227 hat Blaydes gefunden (und auch Heimsoeth, ohne Blaydes'
Fund zu kennen) : xai ph ipoßeicsSu) zoÖ7zixfo}p.’ öne^eleXv aiizog xaä'
avzov’ neiaezai ydp xzl. Diese Änderung ist nicht hlos höchst will
kürlich, sondern sie ist auch, obzwar sie bei oberflächlicher Be
trachtung bequem zu sein scheint, doch dem Contexte durchaus nicht
angemessen. Die Conjectur xai p.Y] tpoßeiaSu klingt nämlich gerade
so, als oh Oidipus früher schon gesagt hätte „wer den Laios ermor
det hat, soll sich angeben“, während statt dessen vorausgeht oazig
Aaiov x.dzoioev dvdpog ix zivog diülezo. Wenn mau sich ernstlich
fragt, oh auf diese Worte wirklich xai fj.ri <p o ß e i uS w zovnixlrtp.’
tineEeleXv aiizig x«5’ adrsö folgen kann, so wird man wol^diese
Frage verneinen. Ganz anders und sehr passend klingt die hypo
thetische Äusserung „und wenn der Mörder sich selbst angeben
möchte, aber sich furchtet, die Anklage gegen sich selbst zu erheben
(eig. hervorzuholen) <), so“ u. s. w.
*) Halm’s Conjectur uite^eXeiv ist ansprechend, aber nicht unumgänglich nothwendig.
Die Ueberlieferung erkläre ich, indem ich zu xsr! p.sv <p6ßsZvoti aus den unmittel
bar vorhergehenden Worten <7vj k u.atvetv ergänze; zu diesem zu ergänzenden
<T>jf».atvetv gehört U7re£eXöJV als modales oder instrumentales Participium „durch
eine Selbstauklage“.
Beitrüge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 103
Weiter kann ich mich, was die Construction betrifft, nicht
überzeugen, dass nach aiizog auroü die Ergänzung der Apo-
dosis prj ipoßeioSiD passend wäre, ja sie erscheint mir nicht einmal
möglich. Vielmehr hat Oidiptts auch hier das im Sinne, was über
haupt den Kern seines Gebotes bildet, nämlich or,p.atvs7a> oder p.rj
giidkoizo). Doch nehme ich nicht an, dass py giiokxzo) nach ccörds
xa.3-’ avroO förmlich ausgelassen sei, sondern nach dem bekannten
griechischen Sprachgebrauch wird nach der Protasis erst der be
gründende Satz Keiaezai yäp äXXo piv aGzepyig ovdiv, yfjg d' änei-
aiv aaipalyg vorausgeschickt. Nun sollte allerdings py aiioKazw fol
gen ; aber da dieser Satz ebenfalls die Apodosis zu der zweiten Pro
tasis ei d’ au zig xk\ov oidev bildet, so konnte er bis dahin aufgespart
bleiben. Es ist also py gioikcizo), um den Terminus der Grammatiker
zu gebrauchen, änö xoivoü zu denken. Folgende Periphrase wird die
Construction veranschaulichen; xel'§tsv ipoßelzai aypxivsiv zoÖKixlyp’
ÖKeSelwv avzdg xa.3-’ auroö (Keiaezai yäp aAAo piv aarepyig oüdsv,
7yg o aneiaiv i&Gfalrig'), ywaaOrwg ei zig äXXov oidev . . . zöv atirö-
Xtiptx, p:y GiWKa.ro).
Die Worte im V. 230 können in der Gestalt, in der sie über
liefert sind, nicht richtig sein. Aber auch mit der Conjeetur Neue’s
iS ällyg yepög (mag man nun ei d’ au zig äXXov oidev iS aXkyg yjpög
oder y ’S ällyg yepog schreiben) ist nicht geholfen. Allerdings wäre
der Sinn, den man in diese Änderung hineinlegt, befriedigend, aber
gewichtige sprachliche Gründe lassen diese Conjeetur als unmöglich
erscheinen. •
Heimsoeth (Krit. Stud. I, 283) vermuthet, indem er einen
Theil der Gründe, die gegen iS ällyg yzpig oder y ’S ällyg yepog
sprechen, gewürdigt zu haben scheint:
ei d’ au zig ällov oidev y ’S ällyg yspö?
?5 xadzöyeipa.
Neu ist diese Conjeetur nicht; dasselbe verlangte mit anderen
Worten Enger (Philol. XV, 108):
ei d’ al> zig ällov oidev y iS ällyg yepog
eiz' aitzöyeipa.
Wenn Heimsoeth erklärt y iS ällyg yepog y xai oixeiaig yepai
zoüpyov KoirjGavza, so muss man fragen: Wo ist denn im Texte, wie
104
K v i c a I a
ihn Heimsoeth geschrieben wissen will, dasjenige, was er mit roöp-
yov noir,aavrcf. erklärt? Nirgends; und es kann auch nicht ergänzt
werden, da die Fassung der Verse 224 f.
Sara; t:o3’ vjxöjv Aduov röv Aaßödxou
xäroiosv dvSpdg Ix rivog diülero
eine solche Ergänzung nicht zulässt; und ot'&x riva äXkng' yzpög
an und für sich (ohne n-otf/tfavra) ist gewiss unmöglich.
Bei reiflicher Erwägung aller Momente finde ich, dass die wahr
scheinliche Emendation die Vermuthung Hermann's ist
ei d’ aö ng äÄAov oidsv r> ’f äAAv? J j(3ovöj
röv cxvröy_Eipa, p.rj aicündrixj,
obzwar Hermann selbst später diese Conjectur aufgab. Im ersten
Theile seines Gebotes fordert Oidipus den Mörder auf, sich selbst zu
nennen; im zweiten Theile verlangt er, jeder, der, ohne selbst der
Mörder zu sein, den Thäter kennt, solle ihn angeben. Unter ccAAov
ist zunächst „ein anderer Thebaner“ gemeint. Sowie Oidipus 223
sagt:
Op.iv Tipoipcovcö nöiGi KaSpiEioig rdoE
und V. 224 öptöv, sowie 226 roürov auf die Thebaner sich bezieht,
so ist auch das Suhject von ipaßsTrai (227) „ein Thebaner“; dem
nach ist es natürlich, dass auch 230 sowohl rig als äAAov auf die
Bürger Theben’s zu beziehen ist. Nun fällt aber dem Oidipus ein,
dass der Mörder auch aus fremdem Lande herstammen könne^ da er
114 f. erfuhr, Laios sei in der Fremde erschlagen worden. Allerdings
hat Apollon 97 gesagt ci>g rs3-pap.p.EVOv )(3ovi iv rrtos und 100 dv-
öpvjAaroüvra?: aber der Mörder konnte ein Fremder sein und jetzt in
Theben leben. Es passt aber diese Vermuthung, wie Schneidewdn
darauf aufmerksam gemacht hat, auf Oidipus selbst; und gerade in
dieser bedeutungsvollen Beziehung auf Oidipus liegt der Beweis für
die Richtigkeit der Worte r, ’£ dcAAv;? ySovog.
Wenn Heimsoeth (S. 282) sagt „nach äAAov konnte ein röv
(xOrbyzipa. überhaupt nicht mehr folgen, sondern nur noch ein aörö-
yeipei“, so ist dies offenbar eine nicht gut erwogene Behauptung.
"AAAov ist nicht mit röv aOriyiipa. eng zu verbinden, sondern der
Sinn ist „wenn aber jemand weiss, dass der (gesuchte) Mörder ein
anderer ist (ö'vra kann ergänzt werden), oder aus einem anderen
Lande, so schweige er nicht“.
Beitrüge »ur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). i 0t>
V. 238 ir.
VÖV d’ £7T£l X'Jp'jJ t’ l‘/'jJ
?yct)V [x.iv dpX&S «£ £x£tvo? dyj npiv,
E/tov di IsxTp cc xoti yjvy.ly' ipdanopav,
xotvtäv r£ 7rat'dcov xoiv’ äv, ei xEtyto yivo?
firj ’ dv<7Tuyr/<jsv, r t v äv ixTcetpuxortx xrA.
Den Ausdruck xotvcäv 7rottdojv xoivex bezeichnet man als einen
Pleonasmus für xotvot 7rottde?. Dass diese Angabe eine ganz äusser-
liche Behauptung ist, durch die nichts erklärt wird, liegt zu
Tage. Verlangt man Beispiele für einen so seltsamen Pleonasmus,
so findet man nichts entsprechendes; denn Ausdrücke, wie äppnrot
äppr,rtov sind, wie Nauck richtig bemerkt, nur scheinbar ähnlich, in
Wirklichkeit liegen sie von dem Ausdruck xotvtüv ncäSaxv xotvä weit
ab. Darum hat Meineke (Anal. Soph. p. 225) auf die Annahme des
Pleonasmus verzichtet: „Nullum in his pleonasticaedictionis indicium:
xotvot vocantur 7ro«d£? Oedipo et Laio cotnmunes, xotvot autem spectat
ad rationern, quae his a diversis patribus natis intercedit, quasi dicas
xotvtöv rs 7rottöodv ctdeAyo'rvjrot, communes nobis nati essent liberi,
fraternitatis vinculo inter se nexi“. Aber wenn auch diese Erklärung
viel besser ist als die gewöhnliche, seltsam ist und bleibt der Aus
druck auch bei dieser Erklärung. Dazu kommt, dass der Scholiast
etwas ganz anderes gelesen zu haben scheint: xotvot: döüpcc rot?
li/xtöv. ofov, xott yjpuv otv eyivzTO, ei rjv rexva rtl> Aottto yivopeva. Dar
nach glaubte ich ■fip.lv re 7rottdojv xotV äv conjicieren zu können. In
dem Scholion sind zwei verschiedene Erklärungen vereinigt. Die
zweite Erklärung weist klar auf ein „nobis“ hin, das wir im Texte
nicht lesen. Aber auch die Worte ädeAp ä rot? i? vj^xcöv können eine
Erklärung von rip.lv re xrA. sein, wenn nämlich der Scholiast irriger
Weise annahm, dass der Dativ 17/Atv in brachylogischer Weise mit
xotvot nach Analogie der Construction bei den Ausdrücken der Gleich
heit, Ähnlichkeit u. a. zu verbinden sei (wie xopca yapheaoiv opolai
H. p 31); so sagt Eur. Hik. 20 xotvöv rottods <p6p-ov eyoxv.
Aber Sophokles hat vielmehr geschrieben
xott vöjv rä nottooüv xotV äv, st xit'vw '/ovo?
u.r, ’duariryrtfzv, rjv äv ixmfjxira.
106
K v i c a 1 a
Diese glänzende Eraendation (denn dass es eine wirklich«
Emendation ist, halte ich für unzweifelhaft) hat M. Schmidt (Philol.
XVII, 412) vorgeschlagen und später nochmals (Ztschft. f. d. öst.
Gymn. XV, 9 f.) empfohlen. — Bekanntlich wird r6 und tol mit dem
Genitiv zuweilen so gebraucht, dass es fast dem Nominativ des be
treffenden Substantivs gleichkommt, gerade so wie rö öpöv, rö v^ps-
Tspöv zuweilen dem £yä), v7pEt? ziemlich gleichkommt, wenn auch
das Neutrum eigentlich das Betragen, die Verhältnisse u. dgl. be
zeichnet. Vgl. die sophokleischen Stellen, die Ellendt (lex. Soph. II,
p. 226 s. v. 6) anführt. Wie nahe sich rö ncddojv oder rä ncrfdujv
mit naldzg berühren kann, dafür bietet einen lehrreichen Beleg Plat.
Rep. 8, 563 C: rö p.iv yccp rüv Srip'iuv rcöv und rolg ccvSpünoig ogm
ilevSeputTepa. ianv ivnxüSa v ev äAAip, oöx äv rt? nziSoiro änzipog.
Ein Bedenken scheint aber noch gegen xat vö>v obzuwalten.
Warum hat der Scholiast dies vcpv nicht beibehalten, sondern viel
mehr rj[xüv und i7puv gesagt? Aber der Scholiast nahm, glaube ich,
vüv in der Bedeutung von v7p.1v. Unter den zahlreichen Vertauschun
gen, die bei den persönlichen und possessiven Pronominen in der
späteren Gräcität vorkamen, findet sich nämlich auch die, dass vönv
für v7p.1v gebraucht wurde. Bei Quintus Smyrnaeus liest man dies
z. B.:
1, 211 ff. xat rig (sc. ’Ap7stcov) dp’ dypopivoiGiv enog non rolov
ezinzv.
Ti? §v Tpfoag äyzipz pzS' "Exropa SipiutSzvra.,
ovg ipccpzv oöx zn vcöiv unavndaziv p.zpaöjTag;
1, 369 viöiv (sc. TpwsutJi) xaxa jroAAä <pzpovrzg
Der Scholiast nahm vwv für vp.Lv, und dies sein vp.div und vpXv
ist kein wirklicher Plural, der sich auf Laios und Oidipus zugleich
bezöge, sondern er meint unter vp.iv und vpüv, wie seine Erklärung
zeigt, nur den Oidipus. Aus diesem Grunde behielt er vüv nicht
bei, sondern setzte v$pcöv und vp.lv, weil diese Formen für ipoO und
£p.ot ihm geläufig waren.
V. 287.
dAA’ oöx £v äpyolg oödi tovt’ inpa.la.ptjv.
Man glaubt, kv dpyolg habe die adverbiale Geltung. So schon
Schob rec.: „tö ovopa. dvri snLppvp.ccTog • oöx dpytjjg“. Schneidewin
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 107
vergleicht Ae. 971 iv xevolg vßpdirw. Dies iv y.evolg wird erklärt:
paraiwg — gewiss unrichtig! Es bedarf nicht des Beweises, dass
Wolff richtig erklärt: „bei Nichtigem; das, worin sich seine vßpig
bewegt, ist nichtig“. Die Ausdrücke iv r5> tpavepw = (pavepöiv
rdy_ei = rayiwg u. ähnl. berechtigen nicht zu der Annahme, dass
auch £v apyolg = apyüg. Übrigens auch wenn man dies annähme,
scheint mir hier noch immer kein befriedigender Sinn zu resultieren,
es müsste denn sein, dass apyölg — dpywg die Bedeutung „lässig“
haben könnte: „auch dies habe ich nicht lässig betrieben“. Aber
dpyog bedeutet doch nur „ungethan“ oder „nicht tliuend“, und dessJ
halb scheint mir der Ausdruck dpywg (sv apyolg) inpatgdpxv unstatt
haft. Leicht ist es, zu sagen, der Sinn sei „ne hoc quidem infectum
esse sivi“, aber man versuche dies auf Grundlage der Annahme, dass
iv apyolg dem Adverbium dpywg gleichstehe, nachzuweisen.
Wolff zu Ai. 971 sagt „prädicativ iv apyolg ovöi roör inpa-
idpxiv“. Also soll es so viel sein als cZote dpyöv elvai. Aber wenn wir
die Bedeutung, welche npdrreiv oder irpdrreaSai haben kann, im
Auge behalten, so stellt sich diese Erklärung als unmöglich dar.
Wolff hat wol hierbei an die Ausdrücke iv op-oiit), iaw noielad'ai
oder ey^etv u. dgl. gedacht, in denen xoniaSca wie riSeod-ai ge
braucht wird. Aber was von noieZoSai gilt, lässt sich nicht auf
npdTzsLv oder KparreoSai ausdehnen. ’Ev apyolg 7ToielaSai oder
rtöeaSai rt könnte bedeuten: „etwas in die Classe der ungethanen
Dinge versetzen“, also „ungethan sein lassen“. Dass auch npdrreaSai
(an dem Medium hat übrigens auch Meineke Oed. Col. p. 22S Anstoss
genommen) so gebraucht werden kann, müsste erst bewiesen werden,
wird sich aber nicht beweisen lassen.
Es muss wol eine Corruptel angenommen werden, und wahr
scheinlich ist inpaZap-riv corrupt. Sophokles scheint ein Verbum hier
gesetzt zu haben, mit welchem iv apyolg in der Bedeutung wäre iv
apyolg elvai, oiare dpydv slvai verbunden werden konnte, vermuthlich
ein Verbum des Vernachlässigens: „ich habe auch dies nicht vernach
lässigt, so dass es ungethan, unversucht wäre“.
V. 292.
XO. Saveiv eXi^r, npog rtvcov odoinöpwv.
01. vxovaa xdyw • rdv d’ coövr’ oüdeig ipä.
108
K v i e n 1 *
XO. <xXX £t rt piv Sri Sdp.a.rig 7’ iyju pupsg,
zdg aag ctxoöcov o\> ptever roidaS' dpdg.
01. CjJ pW} £(771 OpöiVTl TGCpßog, OllS' SKOg (poßd.
Da der Chor 294 f. vom Mörder spricht und ebenso Oidipus
V. 296, so vermuthet man im V. 293 töv de dptSvr’ ovSdg dpa. Dass
im Y. 294, 293, 296 vom Mörder die Rede ist, kann nicht be
zweifelt werden. Classen nimmt zwar im Einklänge mit seiner Auf
fassung von 236 ff. an, dass auch V. 294, 295, 296 vom Hehler
zu verstehen ist, und es wäre zur Noth möglich, diese drei Verse
in diesem Sinne zu deuten, wenn nur nicht V. 297 all’ oüleX^&ov
aurov sauv darauf folgte; denn diese Worte können nimmermehr auf
die Entdeckung des Hehlers, sondern nur auf die des Thäters
sich beziehen.
Nichtsdestoweniger halte ich tdovra für echt und glaube, dass
jene Kritiker, welche dpcövra für die richtige Leseart halten, eine
scheinbare Unzukömmlichkeit beseitigen wollen und eine wirk
liche an die Stelle derselben setzen. Dass die Unzukömmlichkeit
nur eine scheinbare ist, ergibt sich aus der Betrachtung des Ge
dankenzusammenhanges, bei welcher als ein wichtiges Moment der
vom Dichter beabsichtigte Gegensatz zwischen iliySr, und röv S'
t'öovr’ beachtet werden muss. Nach der Erwähnung des Gerüchtes
(■3-avefv Trpög rtvcov dootaröptnv) sagt Oidipus: „Auch ich habe es ge
hört; doch was nützt das Gerücht, wenn wir keinen Augen
zeugen haben, der die Mörder gesehen hat und sie bezeichnen
könnte“ 1 ). Dass der Chor darauf von dem Mörder sagt „er wird
sich stellen“, widerspricht nicht dem vorausgehenden, sondern steht
damit in gutem Zusammenhänge. Da nämlich Oidipus hervorhebt,
man habe keinen Augenzeugen, der zur Entdeckung des Mörders ver
helfen könnte, so tröstet der Chor den König mit der Äusserung,
der Mörder werde aus Furcht sich selbst angeben. Oidipus bezeich
net diese Hoffnung als eine nicht sonderlich verlässliche, worauf der
Chor bemerkt, in Ermanglung eines Augenzeugen, in Ermanglung
einer Selbstanzeige des Mörders sei noch ein Mittel zur Entdeckung
vorhanden, die Sehergabe des Teiresias.
Unrichtig Classen S. 16 **; dagegen Ribbeck S. 19.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 109
Aber, wird man vielleicht einwenden, wie kann Oidipus sagen
röv iäovr’ oödsig 6pü, da er doch 118 f. von Kreon gehört hat:
Svr,ax.o\)<si 7ap, xlvv Big rt?, 8g <p6ßu> f'jyoiv
01V BIOS TtXijV k'v GliÖSV £!Od)J fpUdUl
und 122 f. :
Ifarug BipuoxB avvzvjivrag od pitf
puip.fl xtuvbiv viv, allen aiiv 7:lr t $Bt ypspiZv.
Darauf ist zu antworten, dass Oidipus an diesen einzigen Zeu
gen, dessen Mittheiluug der Dichter absichtlich den Kreon als eine
ganz und gar geringfügige bezeichnen lässt (vgl. Schneidewin’s Be
merkung zu 119) gar nicht denkt. Für diese vollständige Nicht
beachtung dieses Moments führe ich als bestätigenden Umstand
V. 7S4 f. an :
Zig fjV 770TB
o t ov o8b Xi^a g t oii g Xoy ov g vplv, yOvai;
Wenn nämlich dem Oidipus Kreon's Äusserung 118 f. und
122 f. erinnerlich gewesen wäre, so hätte er sicherlich nicht erst
gefragt; er hätte wissen müssen, dass es niemand anderer sein
konnte, als eben der Diener, den Kreon 118 erwähnte. Übrigens
müsste man ja auch bei Annahme der Conjectur röv os opätw' die
selbe Voraussetzung machen, dass Oidipus an V. 118 f. nicht dachte
oder diese Mittheilung als eine ganz unerhebliche unberücksichtigt
liess; sonst könnte er ja nicht sagen röv ös opöivr’ ovosig opa. Der
Dichter hat absichtlich schon 118 f. den Kreon jenes Moment als
geringfügig bezeichnen und den Oidipus (trotzdem er anfangs hastig
fragt rö noiov; iv 7dp 7ioXX’ uv i^Bvpoi paSsiv u. s. w. 120 f.) das
selbe nicht beachten lassen, indem er ihn mit Anknüpfung an lyardg
(122) sofort fragen lässt mZg ovv 6 -hg x~X.
Es war dies nach dem Plane des Dichters nothwendig. Denn
hätten Oidipus und Kreon der Vermuthung Raum gegeben, dass sie
irgend etwas nur einigermassen erhebliches von jenem am Leben
gebliebenen Diener erfahren könnten, so hätte er sofort geholt wer
den müssen, wodurch der Plan der Tragödie beeinträchtigt und ge
stört worden wäre.
Auch die Differenz zwischen Xriozug (122) und S0Gtzröpeov(292)
veranlasst den Oidipus nicht zur Verwunderung und zum Nachiragen,
110
R v { c a 1 a
was ein weiterer Beweis für die gänzliche Nichtbeachtung von
V. 118 f. ist. Ich erkläre mir diese Differenz zwischen Kreon’s Miti
theilung und der Angabe des Chores auf folgende Weise. Der
Diener, der dem ßlutbade entronnen war, erzählte nach seiner
Rückkehr den Bürgern, bevor er in den königlichen Palast kam,
den wahren Sachverhalt (nur mit der natürlichen, die Feigheit
beschönigenden Abweichung von der Wahrheit, dass er die Mehr
zahl statt der Einzahl gebrauchte), dass Wanderer den Laios er
schlagen hätten. Als er dann in den Palast kam und den Oidipus, der
mittlerweile König geworden war (cf. 758 ff.) erblickte, da erzählte
er der lokaste sowol als dem Kreon von Xr,<jrat; hierauf mochte er
dann auch wol anderen dieselbe Modification'Vorfragen (cf. 850).
Der Chorführer aber, der V. 292 spricht, hat das Gerücht in jener
ersten Fassung vernommen; Oidipus aber, indem er 293 sagt rjxouffa
xcr/co, hat dabei die ihm von Kreon gemachten Mittheilungen im
Sinne, ohne sich jedoch dieselben lebhaft zu reproduciren, wesshalb
er die Differenz nicht beachtet.
Dass der Mörder V. 293 nicht ausdrücklich genannt wird
und doch im V. 294 zu e/ei und 295 zu p.Ev« als Subject hinzuge
dacht werden muss, ist durchaus nicht bedenklich. Die Worte 294 f.
enthalten eine an und für sich so klare Rückweisung auf den Mörder
(dem Chor schwebt die Achterklärung vor), dass ein Missverständ
nis unmöglich ist; der Mörder ist die Person, um den sich das ganze
Gespräch dreht. Schon Erfurdt bemerkte richtig: „Stare tarnen potest
vulgata, si verbo sj^ei seq. v. non röv Idovra., sed, qui loquentis
animo obversabatur, interfectorem respici putes“.
Die Unzukömmlichkeit, welche durch die Conjectur röv di dptüvr’
geschaffen wird, ist die, dass man nicht begreift, warum diese banale,
ganz und gar selbstverständliche Äusserung „derThäter aber ist nicht
zu sehen“, d. i. „der Mörder aber ist unbekannt“ hier hätte einge
schoben werden sollen. Man müsste annehmen, dass es dem Dichter
nur um die Ausfüllung des Verses zu thun war und dass er eine ge
schicktere Ausfüllung des Verses zu geben nicht in der Lage war.
V. 305 ff.
<P r Aßog yap, ei x«i p.r) xXüeij riäv dyye)MV,
7T£IJ. , p<X7lV r/fjUV ävr£7T£jüt.l|lEV, £XÄU<JIV.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 1 t 1
p.ovvjv av i)iSslv zovde zov voarj/xazog,
ei zovg xzavövzag Aouov p.a$6vzeg ev
xzeivcu[j.ev Yj yrig (pvydöag ex7iep.ipaip.e$u.
Mit Recht hat Meinecke (Oed. Col. p. 226) an ev (308) An-
stoss genommen. Ich glaube, dass man auf die Unzulässigkeit dieses
Wortes nur aufmerksam gemacht zu werden braucht, um dieselbe
sehr lebhaft zu fühlen. Meinecke vermuthet für ev fi; wahrschein
licher dürfte aber au sein, welches in der Bedeutung „hinwiederum“
die entsprechende Vergeltung bezeichnen würde. Vgl. besonders
Eur. Or. SOI ff.
ei zwo’ dnoxzeiveiev 6p.o),exzpog yuvr}
ydi zavSe izcäg aü [xyzep’ dvzxnoxzevei,
nepag or) Trot xaxüv npoßriGezxt. •,
Für diese Conjectur spricht auch der Umstand, dass im V. 100,
auf den sich diese Stelle bezieht, die Wiedervergeltung in ähnlicher
Weise, und zwar durch r.dXiv, bezeichnet wird.
V. 312 f.
fvGCii Gexvzöv xai mhv, fivacu ö' ep.e,
pvaca oe ndv p.iaGp.a rot) zeS-vrixizog.
Die bei Schneidewin-Nauck sich findende Erklärung der Worte
fvaca ndv ixcaG[xa ist nicht annehmbar. Diese Worte können nicht
bedeuten „schaffe Rettung durch Entternung des p.ia.ap.a.“. Sopho
kles hat hier püacu nicht in derselben Bedeutung gesetzt, wie im vor
ausgehenden Verse; denn wie könnte in dieser Bedeutung mit dem
Verbum (ztaapa als Object verbunden werden? Man sollte solche
Phrasen, durch welche nichts erklärt wird, vermeiden. ’Pvgcu p.tx-
ap.<x war nur desshalb möglich, weil in dem Verbum die Bedeutung
„wegziehen, beseitigen“ gefühlt wurde. Zufolge dieser Bedeutung
konnte eben so gut gesagt werden pveaScei zi „etwas Gefahrdrohen
des wegziehen, entfernen,“ wie pOeaS-ai zivx (rtvos) „einen von einer
Gefahr wegziehen, schützen“. Dass diese letztere Construction und
Bedeutung die regelmässige geworden ist, das machte die Anwen
dung von pveaSai zi in der hier anzunehmenden Bedeutung nicht ab
solut unmöglich. Bei Sophokles findet sich allerdings kein factischer
Beleg für dieselbe, und auch bei anderen Schriftstellern sind die
K v i c a I )i
1 12
Stellen, an denen pOeaS»t die Bedeutung „beseitigen, zuriickhalten,
hemmen“ oder eine ähnl. hat, selten; eine entsprechende Analogie
jedoch bietet Tliuk. S, 63 dar ioyu yscp dytx3ü> ßvoeaSctt rag airtag
arparevadp-svog, wo, mag man bei einer freieren Übersetzung diesen
oder jenen Ausdruk anwenden, doch zur Erklärung die Bedeutung
„beseitigen, amovere“ anzunehmen ist. Und wenn auch äveaSat in
dieser Bedeutung sehr selten war, so wird doch die Annahme, dass
Sophokles auf die ursprüngliche Bedeutung zurückzugehen wagen
konnte, nicht unglaublich erscheinen, wenn man bedenkt, dass er
auch sonst hie und da manche Wörter in einer Bedeutung gebraucht
hat, die von der zu seiner Zeit in Cours befindlichen abwich und
dem älteren Sprachgebrauch oder der Etymologie sich anschloss.
Übrigens vergleiche man noch den Gebrauch von ipveoSau bei Homer.
— Ich möchte sonach den griechischen Text durch folgende latei-
nischeÜbersetzung nachahmen: „delende te ipsum urbemque, defende
me, defende piaculum“ (wie dies Verbum mit morbos, injuriam,
frigus u. s. w. verbunden wird, z. B. Cie. Off. 3, 18, 74 qui non
defendit injuriam neque propulsat, obzwar die gewöhnliche Be
deutung von defende re aliquid „etwas vertheidigen“ war; diese
gewöhnliche Bedeutung hinderte aber doch nicht die Anwendung
dieses Wortes in der ursprünglichen Bedeutung „abstossen, ab
halten“). Auch kann man durch folgende deutsche Übersetzung, bei
welcher ich mir freilich einen vulgären Ausdruck gestatten muss,
die Eigenthümlichkeit unserer Stelle anschaulich machen: „Reiss
heraus dich und die Stadt, reiss heraus mich, reiss heraus die Be
fleckung.“
Die von Schneidewin für seine Erklärung angeführten Bei
spiele beweisen nichts; denn in allen ist die Construction eine sehr
wohl begreifliche, was von seiner Erklärung der Verbindung pOaoa
tua.'jp.a nicht gesagt werden kann. V. 33 steht l^ilvaag daap-vv nicht
für e&liiGbi vpag ösc<7p.oü, sondern wie neben Xüstv rtvcü auch Aüstv
rt in der Bedeutung „etwas auflösen, beheben“ möglich ist, so ly.luetv
rt (iy.Xi/eaSat) z. ß. Dem. 18, 26 i^s^öaaaSs rag Trapaoxsvag roö
xo)Jp.ov. Ebenso wenig entsprechen die übrigen Beispiele.
V. 332 f.
cot’ Evvop.’ tbcag ovrs TcpoatptXfj jröXs'.
Tf/ö’, r; g ed-ps^s. ryivö’ dnoGTspüv 'fdnv.
Beitrage zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 113
Nauck: „Es .befremdet, dass Oid. neben dem Wobl der Stadt
noch sein Macbtgebot (?) dem Teiresias gegenüber geltend machen
soll, zumal da er 326 f. nicht befiehlt, sondern flehentlich bittet:
vielleicht ist das überlieferte Ewoptov aus qxypov’ entstanden.“ Und
im Anhang: „sp.<ppovx habe ich vorgeschlagen. Es hat keinen Sinn,
wenn Oidipus neben dem Wolde der Stadt noch den d. h. seine
Verordnung (?), geltend macht, die ja eben nur dem Wohle der Stadt
dienen soll. Höchst befremdlich wäre es dagegen, wenn Oid. über
die ersten Worte des Teiresias in 320 völlig schwiege. Muss es nicht
dem Oid. als sinnlos erscheinen, wenn Teiresias ihm sagt: du wirst
dich am wohlsten befinden, falls ich die gewünschte Auskunft ver
weigere“ ? — Auf diese. Frage Nauck's wird wol jeder sofort ohne
Zögern antworten: Nein. An dunkle Aussprüche war man bei
einem Seher gewöhnt und man musste auf solche Aussprüche gefasst
sein; dass aber Teiresias „unverständig“ „sinnlos“ rede, das konnte
dem Oidipus hier nicht einfallen; erst später in der Hitze des Streites
370 macht er dem Seher einen ähnlichen Vorwurf. Nauck’s Beden
ken ist offenbar eine selbstgeschaffene Schwierigkeit. ”Evvopta be
zieht sich nicht auf das speciel 1 e Gebot des Oidipus (das hätte
auch ohne Zweifel vom Dichter klarer bezeichnet werden müssen),
sondern es bat die allgemeine Bedeutung „gesetzlich“ d. h. mit
den bestehenden allgemeinen Gesetzen übereinstimmend“. "Ewoptov
ist es, dem bedrängten Vaterlande zu helfen; und in diesem
Sinne macht Oidipus dem Teiresias den Vorwurf ovr’ svvop.’ ihxag.
Höchstens könnte man einwenden, dass ovte-ovts hier nicht
streng logisch ist, da eben durch die Lieblosigkeit gegen das Vater
land sich die Ungesetzlichkeit äussert. Oda fvvop.’ ovds npoGfiAfj
Kokzi (oder ov npoG<pilfi nölu ov§' i'vvojx’) wäre logisch richtiger;
aber dass auch die handschriftliche Ueberlieferung sich mit nicht
wenigen Beispielen belegen lässt, ist bekannt.
V. 328 ff.
TE. ndvte$ yäp oö fpovsZz' 1 • iycl> o ov p.rj ttote
väp.’, oi? äv siKüi uv) rcc ff’, ixtpyviü /.ay.d.
Diese Stelle ist nicht sinnlos, wie Nauck meint, und es bedarf
nicht seines Vorschlages syco d’ oö p:'o kozs. avarya? eitcoo, der aller
dings alles sehr plan machen würde. Man kann sich damit begnügen,
Sitzb. (1. phil.-histor. CI. LXI. Bd., I. litt. 8
114
K v i c a I a
darauf hinzuweisen, dass bei Sophokles zahlreiche, absichtlich dunkel
gehaltene Stellen Vorkommen 1 ), und dass Teiresias so dunkel
spricht, ist sehr natürlich. Dass er aber nach der Ueberlieferung
nicht sinnlos spricht, das hat schon Erfurdt klar gesehen, an dessen
Auffassung ich mich anschliesse. „Ich werde niemals,“ sagt Teire
sias, „mein Übel verkünden, um nicht das Deinige zu nennen,“ d. i.
„ich werde meinen schlimmen Spruch nicht verkünden, um nicht
damit deine unseligen Thaten zu nennen.“ Der Ausdruck rä ipd
xccxd ist doppelsinnig. Teiresias meinte von seinem Standpunkte aus
zunächst „das Übel, das ich weiss und das zu verkünden ich aufge
fordert werde“. Oidipus aber konnte und musste die Worte so ver
stehen, dass Teiresias irgend ein eigenes Vergehen mit Stillschwei
gen bedecken wolle. Den Verdacht, den er aus dieser Aeusserung
geschöpft haben mochte, spricht er entschieden aus V. 346 f.
Was die Erklärung der Worte rä Ipä xstxd betrifft, so ist die
obige Auffassung derselben gewiss vollkommen zulässig. Wenn rö
adv Xevo? (Ant. 573) bedeutet „die Ehe Haimon’s und der Antigone,
von der du sprichst“ (vgl. Phil. 1251 tov adv pdßov Eur. Heracl.
to adv ydp ”Apyog oü ösoocx’ iytL u. a.), so ist natürlich auch rä sp.ä
xstxd in der Bedeutung „das Übel, von welchem ich weiss“ möglich.
— Die auf eine Bedingung hinweisende Verbindung eLg dev bedarf
keiner Rechtfertigung.
Dagegen ist noch über die unregelmässige Stellung des eine
Bemerkung zu machen, da eben diese Stellung hauptsächlich, wie es
scheint, zum Suchen einer anderen Erklärung oder einer Conjectur
veranlasst hat. Ich selbst hegte früher die Vermuthung, es sei zu
schreiben iytL d’ oö pj kots. rdpi’, (Lg av slr.oijj. sv rä a’, ix<pr,va>
xtzxd oder iyd> ö’ ov pj kots, räp.’ (Lg dv sikojjxsv, tcc c’ ixfr,va>
xaxd, wobei ein ähnlicher Wechsel des Singulars und Plurals statt
fände, wie Plat. Symp. 186 B dp£opat ds and Tijg iaTptxrjg Xsyoiv,
ha xai npsaßsvo>p.sv rrjv rsyvr/v oder Eur. Here. für. 830 "HXiov
lxapTvpd[j.EoSa dpcoa’ ä dpäv oii ßoii),op.at. Aber es finden sich auch
hei Sophokles Beispiele einer ungewöhnlichen Stellung des pdj, nicht
blos da, wo es eine Negation ist (z. B. Phil. 67 st ö’ ipydaet p.rj
Beherzigenswerth ist betreffs solcher Stellen die Mahnung Erfurdt’s zu V. 423:
„Obscuritatem de industria quaesitam non coniectura tolli, sed interpretatione
minui oportet“.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 115
raüra, Ivntjv träfftv ’Apydoig ßahig), sondern auch da, wo es die
Rolle der prohibitiven Partikel spielt, wie Phil. 332 ypdayg poi prj
nipx. Oid. Kol. 1522 roürov di <ppd^E pv nor’ äv-SpdtTiwv rtvt; vgl.
Ant. 84 Kpopr/vüayg ys xoOxo pr/dsvi roupyov. Oid. Kol. 1738
xpia-nxs. prjdiv. Eine besonders passende Analogie bietet aber Phil.
652 f.
El [AOl rt XO^OtV TCÖVo’ ärevjp.£/rjp.EVOV
xapsppvrixsv, dt g Vazot prj rw Xaßeiv.
Um von anderen Analogien nur eine, aber eine, wie mich dünkt,
recht passende hervorzuheben, so erinnere ich an die zwar unregel
mässige, aber doch nicht selten vorkommende Stellung der Frage
wörter in der Mitte oder am Schlüsse des Satzes. Gerade so wie
man z. B. Eur. Or. 393 rip^ot di Ivaarig jiöte; erst nachträglich er
sieht, dass der Satz den Charakter einer Frage hat, so sieht man
Phil. 332 bei (ppdarig poi prj Tripce und an unserer Stelle bei dtg
av EiTrin pvj xd ad auch erst nachträglich, dass im ersten Falle ein
Verbot, im zweiten eine negative Absicht ausgesprochen wird.
V. 334 ff.
ovx, dt xaxwv xäxiaTE, xai yäp av nixpcv
fiiaiv a(t y’ apydveiag, i^spsig 7ror£,
d/X dtd' äxe-'/y.xag xdxslevxrjxog yavEi', -
Die Conjectur von Blaydes dpyiazixg (für öpydviiag'), welche
Nauck im Anhang erwähnt, charakterisiert die Methode des englischen
Gelehrten. Dass opyi£etv die gewöhnliche Verbalform für „erzür
nen“ ist, darauf brauchte man nicht erst durch Blaydes aufmerksam
gemacht zu werden. Aber an eine Änderung des überlieferten öpya-
VEiag ist nicht zu denken. Hätte Blaydes den betreffenden Artikel des
lexieon Sopbocleum von Ellendt consultiert und beherzigt, namentlich
die Worte „nec profeeto duobus exemplis illud efficitur, ut tertio
aliquo aliter dictum verbum statim de vitio suspectum sit“: so würde
er wol seiner Conjectur gegenüber sich nach G. Hermann’s Rath so
verhalten haben, wie Kronos gegen seine Kinder. Unter den von
Ellendt angeführten Beispielen ist besonders dsipaivEiv hervorzuheben,
das, obzwar es in einer ansehnlichen Zahl von Stellen die intransitive
Bedeutung hat, doch bei Aischylos zweimal die factitive Bedeutung
hat. Überhaupt muss man aber daran erinnern, dass eine sehr grosse
8*
llo
K v i c a 1 a
Zahl von Verben auf -o.ivs.iv und -Ovsiv die transitive Bedeutung hat;
ja die Zald dieser Verba dürfte grösser sein als die der Verba mit
intransitiver Bedeutung ').
Bezüglich der ebenfalls von Nauck erwähnten Conjectur Sehr-
wald’s (observatt. critic. in Soph. Ant. et Oed. Reg. specimen, Alten-
burg 1863, S. 10) v.d.Tcapaizr)rog für y.dzslsvzrizog verweise ich auf
meine Soph. Beitr. III, S. 84 f. und füge als passende Analogie noch
dixr/y^avag hinzu.
V. 345 f.
y.ac p.riv 7rc£pfjaw y’ oöoiv, cog opyrjg syo),
änsp ^vvirip.c.
Die von Blaydes aufgestellte (von Nauck aufgenommene) Con
jectur ojvjtep für &7zsp ist unnöthig. Es wusste natürlich jeder Her
ausgeber vor Blaydes, dass &v7tsp die regelmässige Construction wäre;
trotzdem stellte niemand diese Conjectur auf, in richtiger Würdigung
des Umstandes, dass die Assimilation, welche allerdings die Regel
bildet, doch in manchen, und zwar nicht eben ganz seltenen Fällen,
unterblieben ist. Da die hier vorliegende Construction im Grunde
genommen nichts anderes ist, als die Auslassung des Demonstrativ
pronomens, verbunden mit der Beibehaltung jenes Casus des Relativ
pronomens, welchen das Verbum des Relativsatzes fordert, so können
wir als Analogien alle solche Stellen anführen, wie Eur. Med. 747 f.
cp.vvp.i . . . iij.p.svsXv ä. gov xXüw, eh. 753 zv/oOg' a. ßoülo[xcu. Soph.
Trach. 350 ä p.iv ydp ligüpr,y.a.g äyvoid. p.' £%si Thule. 2, 61, 2
tfv.aprsp.sXv & syvutzs. Man wird wol nicht sagen, dass an diesen
Stellen das Unterbleiben der Attraction möglich war, weil an keiner
derselben ein partitiver Genetiv des Pronomen demonstrativum
im Spiele ist; denn warum sollte gerade der partitive Genetiv ein
Schutz gegen das Unterbleiben der Attraction sein? Die Möglichkeit
der an unserer Stelle vorliegenden Construction wird übrigens posi
tiv bewiesen durch Phil. 1162 p.fidsvdg xparüvcov oaa nip.nsi ßii-
owpog cd<x. — Der Grund, wesshalb an unserer Stelle die Attraction
unterblieb, mag übrigens darin liegen, dass der demonstrative und
*) So eben sehe ich, dass auch M. Schmidt (Ztschft. f. d. öst. Gymn. XV, S. IG) gv
’ op*yaveiag durch ab rap*yav£ta$ ersetzt wissen will. Ich kann auch dieser
Conjectur gegenüber das oben gesagte nicht zurücknehmen.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 117
relative Satz durch den Zwischensatz üg opyng syco getrennt sind.
Durch 7rapv)ffa) y’ ovoev &vksp £vvtrip.i würde bekanntlich eine sehr
innige formelle Verschmelzung beider Sätze erzielt werden. Wenn
nun aber der Dichter auf eine solche Verschmelzung verzichtet —
und diese Verzichtleistung zeigt sich in der Einschiebung des
Zwischensatzes — so entfällt die Veranlassung zur Anwendung der
Attraction.
V. 354 f.
ovrojg ävoudüg iE.Ey.ivr,Gag Tods
rö pf,p.a; xcä kov tovto tpzülgEaSca oov.sZg.
Dass ymI kov unrichtig ist und xcd kov geschrieben werden muss,
haben die meisten Herausgeber seit Brunck anerkannt. Hinzuzulügen
ist, dass dieser Satz keine Frage, sondern ein ironischer Aus
sagesatz ist „und du glaubst wol der Strafe dafür entgehen zu
können“. Vgl. Ai. 1008 f.
f kov pts TsÄap.oöv, oog nazf,p ip.6g r’ tato?,
di^aiz’ c/.v EVKpoGwnog ikswg r’, i’acov
yoipovvz' ävEv aoO. nüg 7äp ouyj
V. 359 ff.
Ol. koZov loyov, Hy’’ avSig, chg jxällov p.ä3-w.
TE. ovyi %vvf)y.ag KpoaSev; ft iy.Keipä Xsysiv;
Ol. ovy oogzs 7’ e/keTv yvoiozov • ahV ocvSig tppa.Gov.
Ich stimme mit Nauck's Ansicht, dass HyEtv unrichtig sei, ganz
überein. Der Sinn soll sein: „Non prius intellexisti? aut tentas me, ut
revera dicam?“ (Erfurdt) oder „tentas me, sperans fore ut plura
dicendo me ipse coarguam“ (Dindorf). Aber erstens müsste die C011-
struction sxKEipöjp.ai Isy.Eiv zivd in der Bedeutung „tento aliquern,
ut dicat“ nachgewiesen werden; ferner müsste man, die Zulässigkeit
dieser Construction vorausgesetzt, auch das nachweisen, dass nva
(d. i. hier ip-i) ausgelassen werden konnte. Dies letztere halte ich
trotz Hermann’s Entschuldigung für ganz unmöglich und glaube,
dass fj hKsipd liyeiv nicht anders verstanden werden könnte, als
„oder versuchst du zu reden?“ Auch muss man, um nur noch ein
Bedenken gegen Erfurdt’s Erklärung hervorzuheben, behaupten, dass
118
K v i c a 1 a
der Begriff, den Erfurdt mit „revera“ in die Worte hineinträgt, nicht
fehlen durfte.
Ich kann mich aber auch mit der Erklärung von Schneidewin-
Nauck nicht befreunden: „Teil-, merkt recht wol, worauf Oed. hinaus
will, dass er sich durch weiteres Reden compromittire“. Wie und
woraus will man denn beweisen, dass Oidipus da hinaus wollte oder
dass Teiresias diese Absicht bei Oidipus voraussetzte? Meiner An
sicht nach sind die Worte ley' avSig (359) und all' avSig ippaoov
(361) gar nichts anderes, als eine in drohendem Tone und mit dro
hender Geberde ausgesprochene Aufforderung, Teiresias solle doch
seine Anklage 350 ff.
alr^sg • ivvenoj ai tü tfip\jyp.azi
mnep TtpoelKag ep.p.evetv, xa<p' rip-ipag
zfjg vvv npoaavdäv p.f,ze zGvade p.f,z' ep.i,
co g ovzi yfig z fi g §' av o g i u> p. i d a z o p t,
die Oidipus gewiss verstand und verstehen musste, wieder
holen, falls er den Muth dazu habe. Oidipus glaubte, Teiresias werde
diesen Muth nicht haben; er wollte ihn einschüchtern und dadurch
als Verläumder beschämen. Das war es, worauf er hinaus wollte.
Den Gebrauch solcher drohenden Formeln, wie hier ley' avühg, beim
heftigen Wortwechsel kennt jedes Volk. Gerade so hört man heutzu
tage beim Wortwechsel sehr häulig die drohende, auf Einschüchte
rung abzielende Phrase „sag mir's noch einmal“. Vgl. 363 all’ ovzi
yaipuiv di g ye mjpovag epelg.
Bezüglich der Emendation dieser Stelle getraue ich mir nicht
einen bestimmten Vorschlag zu machen. Aus Diibner’s Mittheilung
über die Überlieferung des Laur. geht hervor, dass auch die Leseart
ei '-/.KEipä 16ya>v existierte, die in dem Sinne von ei rzeipav loycov
xtvst? wol möglich war. Aber aus den Worten des folgenden Verses
ody_ &gzs y’ eiTzeiv yvutGzov glaube ich schliessen zu können, dass die
zweite Hälfte des vorausgehenden Verses einen ganz anderen Ge
danken enthielt. Die Erklärung des Scholiasten odyi £uvf/xa ourcof,
ÜGze eixelv iyva>Gp.evov o evo-naa, die allgemein angenommen wird,
setzt doch eine gar zu geschraubte Ausdrucksweise voraus. Warum
hätte Oidipus diese unnützer Weise weitschweifige Wendung ge
brauchen sollen statt der einfachen ody_ &Gze yvüvai? Ich glaube,
dass Teiresias 360 sagte: „Hast du es nicht früher vernommen? oder
Beitrage zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 119
habe ich nicht deutlich genug gesprochen?“ worauf Oidipus erwi
dert: „Nicht so (hast du gesprochen), dass du verständlich ge
sprochen hättest“. Dieser Auffassung würde entsprechen etwa 77 ov
rpoevfi elsyov. Doch will ich damit nur andeuten, in welcher Sphäre
sich meiner Ansicht nach die Emendationsversuche bewegen könnten.
V. 374 ff.
Ol. pedg rpipsi Kpog vvxrog, (Lars prjr’ ipi
pör’ ä.X),ov, oaug füg opd, ß^aipca Kar’ dv.
TE. ov yexp ps poipa Kpog ys aov Ksasiv, iKsi
ixavög ’AaroXAcov, u> rao’ ix.Kpdticn pelsi.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Brunck’s Änderung des
dritten dieser Verse ov ydp as poipa Kpog y’ ipov ntaslv richtig ist.
Aber es dürfte nicht unzweckmässig sein, nachzuweisen, wie die
corrupte Überlieferung entstand. Die Verse 374, 375 wurden im
Alterthuine auf doppelte Weise erklärt, je nachdem man Ips und
ak'kov richtig als Objeclsaecusative oder unrichtig als Subjectsaccusa-
live auffasste und im ersten Falle cts als Suhjectsaccusativ, im zweiten
cts als übjectsaccusativ ergänzte. AlkIovv to diav6-op.ee . otoi ovv
ovroig • vko p’.dg vvxrög, rrjg aopaaiag rf,g OLOvsxüg xarsyovarjg as
Tpsyrj, Sig podsv diaSslvai xaxöv rovg öpthvrag • 77 ovuo • dia tö
K-r,pöv sfvat iksovac as ndvrsg . aKÖ-ypr) ydp xai r6 rög K-opüaswg.
(Schob)
Die zweite Erklärung hat nun auf die Überlieferung der uns
erhaltenen handschriftlichen Quellen eingewirkt; ihr zu liebe ver
änderte man die echte Leseart durch Conjectur in ov ydp ps poipa
Kpög ys aov Ksasiv und im Einklänge damit wurde £> rad’ kxKpätiai
psksi erklärt XsIksi, iav ps fovsvaipg (Schob). Auf diese Weise
suchten alte Erklärer an dieser Stelle alles in Ordnung zu bringen
und es ist somit Hermann’s Bemerkung nicht ihrem vollen Umfange
nach gerechtfertigt. Aber freilich sprechen andere zu Tage liegende
Gründe für Brunck’s Änderung.
V. 378 f.
Ol. Kpsovrog 77 aov ravra rdgsvpopara;
TE. Kpscnv de aoi KÖp’ ovdiv, dkX avrog av aoi.
Hermann’s Erklärung von di „me'a haec inventa sunt: Creo
autem tibi nihil nocet“ ist besser als die von Schneidewin-Nauck:
120
K v i c a I a
„Kreon ist aber kein Unheil für dich. Kpeeov di tritt gleich
gegensätzlich voran, da Teir. im Sinne hat au gxutü) Trrj/xa e?“. Es
hat nämlich gar keine Wahrscheinlichkeit für sich, dass derselbe
Gedanke, der in der zweiten Vershälfte mit akX avrdg gu gge aus
gesprochen wird, auch vor den Worten Kpicov oi aoi nrip.’ ovdiv hin
zuzudenken ist und dass dieser zu supplierende Gedanke das di ver
anlasst hat. Aber freilich ist auch Hermann’s Erklärung nicht ganz
genau. Der Gedankenzusammenhang ist vielmehr: „Du beschuldigst
Kreon; Kreon aber ist kein Unheil für dich“. Zugleich muss man sich
daran erinnern, dass di nicht selten die Wirklichkeit der Nichtwirk
lichkeit, das Wahre dem Falschen gegenüber stellt; vgl. darüber
besonders Bäumlein, Untersuchungen über griech. Partikeln S. 9ü, 96.
V. 383.
„Ouvsxa kann schwerlich für hvxx gebraucht werden; mit
Recht hat Blaydes hier und sonst die selbst für die attische Prosa
gut bezeugte Form eevexse gesetzt“. Nauck (Anh.). Über diese Ände
rung muss man sich sehr wundern, weil sie dem Princip, von welchem
sich Blaydes sonst nach dem Vorgänge anderer Kritiker leiten liess,
widerspricht. Dieses — freilich bedauerliche und sehr schädliche —
Princip ist die Ansicht, dass das ausnahmsweise vorkommende
gar nicht Vorkommen dürfe und dass somit solche Stellen, an
denen eine seltenere sprachliche Erscheinung überliefert ist, geändert
und so oder so uniformiert werden müssen. Im vorliegenden Falle aber
ist Blaydes seinem Lieblingsprincip untreu geworden. Oövsxa findet
sich nämlich bei den Tragikern in der Bedeutung von svexa viel
häufiger, als die Form etvsxa, welche Form zwar episch und
neuionisch ist, aber hei anderen Schriftstellern wenn auch „gut
bezeugt“, doch im ganzen recht selten ist. Oüvexx findet siel) in der
präpositionalen Geltung hei Sophokles zwanzigmal, eevexcc (und k'vsxa)
nicht ein einzigesmal überliefert: und diese 20 Stellen sollen wir
ändern einer Form zu liehe, die für Sophokles gar nicht bezeugt ist?
Und wesshalb? „Weil oövex« schwerlich für fvsxa gebraucht werden
kann.“ Ist cs aber denkbar, dass oüvsxa unbefugter Weise fast
alle Stellen hei den Tragikern, alle hei Sophokles occupiert und
das rechtmässige eivexoe verdrängt haben sollte? Wie konnte man,
wenn ou-jexo. niemals die Geltung von ivexa hatte und nur ou svexa
Beitrüge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). ! 2 1
bedeutete, auf den Gedanken kommen, widersinniger Weise so oft
ovvsxa einzuschmuggeln? Blaydes hat offenbar diesen Punkt nicht
reiflich erwogen. Es ist wahr, dass ouvExa ursprünglich und eigent
lich su EVExa ist; aber ebenso wahr ist es, dass diese Form in Folge
eines Vorganges, den wir freilich als einen missbräuchlichen bezeich
nen können, auch statt der einfachen Präposition gebraucht wurde,
indem die Bedeutung von ou ganz erlosch. Man kann dies um so
bestimmter behaupten, da sich eine ganz entsprechende Analogie
findet, nämlich der Ausdruck y.iypt ou (srou), welcher bei Herodot
nicht eben selten in der Bedeutung der einfachen Präposition yiy^pt
vorkommt, z. B. 1, 181 ytypi ou oxrw niipyuv, zu welcher Stelle
Stein noch vier Parallelen anführt, nämlich 2, 19, 13; 33, 3; 173, 2 ;
3, 104, 7.
V. 391 ff.
ntjjg ovy, SX f, fa^/tyodg ivSäö' r,v xüwv,
rjv'jag ~i rotod’ äoroiotv ExÄuryjpiov;
xat'rot tö y’ atviyp.’ oöyi Tovniovzog f,v
avdpö? oistrrslv, dXkä y.avvEta? sdst •
vjv oür’ äü’ otcnvwv ou kpou(pmr,g syoiv
gut’ ix ’S'zöjv tov yvojTGi/ • dXk iyöj pioÄojv,
6 y.r,div siocbg Oldinovg, SKCxvad vtv,
yvojy.ri xupr,aag oud’ ä/T’ oftovtöv yaSojv.
Heimsoeth (Krit. Stud. 1, 63) schreibt für Eurauoä vtv im V. 397
EÄuoa vtv mit Bezug auf uhiyyct., weil die Worte yv&yri xuprjoa?
oüo’ d7r’ otoovtöv yaSuv auf das Räthsel sich beziehen. Setzt man
die von Heimsoeth für Aueiv angenommene Bedeutung als eine bei
Sophokles zulässige voraus, so könnte allerdings die Erwähnung des
Räthsels im V. 397 manchem als eine natürliche erscheinen. Aber
trotzdem darf man doch nicht behaupten, dass enavaä vtv (Spty/a)
unzulässig ist. Ein begründetes Bedenken bietet «rauoä vtv, das
den Gegensatz von nüg ovx r,v dag n rotoo’ äorototv ixÄurr/ptov
bildet, nicht dar; nicht einen Augenblick ist der Leser (und noch
weniger der Hörer) im Zweifel, was unter vtv zu verstehen ist. Man
vergleiche die ähnliche Stelle 33 ff, wo die Worte oüdsv iZeioüg
tt/U'ov ouo’ ixoiotxySsig auch auf die Lösung des Räthsels sich
beziehen; und doch wird im Vorausgehenden nicht gesagt „der du
122
K v 1 c a 1 a
das Riithsel gelöst hast“, sondern „der du den Tribut, den wir der
grausen Sängerin entrichteten, aufgehoben hast“.
So wie an unserer Stelle der Untergang der Sphinx erwähnt
wird, eben so findet dasselbe statt 1196 ff.
Sari*; y.aS' vnzpßoXdv
ToZzOoag ixparrjaz roO navr’ iSoa.ip.ovog okßov,
oo Zeö, y.ard pzv pSiaag
rav yap.<pd>vuya napSzvov
ypr,op.u>dov, Savarwv o ipd
X&pa nvpyog ävzara.
Eur. Phoen. 1761 ff.
og povog yhpiyyog xutzoyov rfig piaupovov xpoirrj.
Aisch. Sept. 756 ff.
Saov tot OWireouv rt'ov,
rav dpiza^avdpav
xrjp’ ä ip z'aovt a yupag.
Heimsoeth’s Conjectur gegenüber muss man aber die Frage auf
werfen, ob für Sophokles wirklich die Phrase Xiiziv alviypa unbe
denklich angenommen -werden könne. In der versificierten Hypothesis
0.7) findet sich allerdings Xopiyyög St dzivrigSavd.aip.ov Ivaag
p.z'/.og, aber kein Tragiker hat sich dieses Ausdrucks bedient. In un
serer Tragödie ist V. 394 der Ausdruck rd aiviypa dizinzlv ge
braucht, V. 1323 og ra xAziv' aiviypaTa vjöct. Eur. Phoen. 30
Tvyyavzi dz zrutg alviyp.' ipog naig 0idinovg Hpiyydg paSdiv
lb. 1731 napSzvov xöpag alviyp daOvzTOv zvpojv (vgl. 0. T. 441
zvpiaxziv etpo?). Ib. 1760 og Ta xlziv’ aiviypar’ zyvo). Bei Herodot
findet sich von dem Errathen eines räthselhaften Spruches auXXaßzlv
gebraucht. 1, 91 ov auXXaßdiv dz rd friSzv. 1, 63 HziGioTpaTog dz
avXXaßuv rd yprjOTripiov. Auf V. 406 f. unserer Tragödie aXX’ onoig
Td toü Szov pavTz'C äpiGTa XOaopzv kann man sich nicht berufen
da hier durch XOziv nicht das Auflösen, das Errathen bezeichnet wird
(obzwar dies die natürliche Prämisse ist), sondern die Erfüllung
des Götterspruches (100 f., 106 f.), wie schon Ellendt s. v. Ai/oj
richtig erklärt „solvamus, i. e. impleamus ambiguitate sua difficilia,
inde officio defungamur“. ' Anopiav Xvziv bei Plat. Prot. 324 E. u. s.
ist auch keine zureichende Analogie, da der eigentliche Sinn dieser
Phrase ist „die Schwierigkeit zerstören, aufheben, beseitigen“.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 1 ?3
V. 435 f.
r/jxsig TOioid’ e<pv[xsv, djg fj.lv aoi öoxst,
fxrjjpot, yovsüai S\ ol a' itpvaoiv, sp.<ppovsg.
Schäfer's Änderung ojg aoi fj.lv doxsX hielt Nauck in der 4.
Aufl. für „wahrscheinlich aus metrischen Gründen,“ wobei er auf
Elmsley in den Schol. Oed. T. p. XI ed. Lips. verwies. In der 5.
Aufl. wird zwar Schäfer’s unnütze Conjectur noch erwähnt, aber die
eben citierte Approbation ist weggeblieben. Gerade die Rücksicht auf
das Metrum spricht für die Ueberlieferung, da nach derselben aoi
mit dem metrischen Accent zusammenfällt. Die Stellung cLg aoi fj.lv
doxsX wäre bei dem eminenten Nachdruck, der dem aoi hier zukommt
unnatürlich.
V. 437 ff.
Ol. 7roioiai; ixsXvov. rig ol fx’ IxipOsi ßporibv;
TE. rjfxlpa ipiiasi as xai oiatpSspsX.
Ol. d>g ndvr äyav cdvixrd xdaccfö )Jysig.
Ich glaube, dass ich Nauck’s Scharfsinn nicht nahe trete, wenn
ich seine Bemerkung zu 438 „ipoasi scheint nicht zulässig; eher
wol ipoivsX“ für eine geradezu unbegreifliche erkläre. Es kann doch
nicht zweifelhaft sein, dass nach der Frage des Oidipus rt'g ol ix’
IxipOsi ßpoTtjjv (vgl. 436 ol a' iipoauv) in der Antwort des Tei-
resias tpiiasi in sehr passender Weise wiederkehrt und dass tpvasi
auch durch den Gegensatz öiaipSspsX gerechtfertigt ist. Der Aus
druck des Teiresias ist freilich kühn, aber der Sehersprache ganz
angemessen, was sich auch aus der Erwiderung des Oidipus ergibt
ojg ndvr’ dytxv aivixrd xdazipr, ?.sysig. Teiresias weiss, dass
der heutige Tag den Oidipus über seinen Ursprung aufklären wird:
kann der Seher dies nicht «j’vwrvjpt'cog mit den Worten bezeichnen,
dass dieser Tag, der seinen Wahn über seinen Ursprung zerstören
und ihm die Wahrheit enthüllen wird, gleichsam sein Geburtstag
sein wird? Es handelt sich nur darum, Analogien beizubringen für
diesen kühnen, aber eigentümlich schönen Gebrauch von r,d' rjfxlpa
fvast as in der Bedeutung von yd' rifxipa. Seiest as oSsv lysv-
vr,$r,g.
In dieser Hinsicht erinnere ich daran, dass man z. B. „dieser
Tag hat mir einen Bruder geschenkt“ und ähnliches nicht bloss von
124
K v i c a 1 a
der Geburt eines Bruders sagen kann, sondern auch in dem Falle,
wenn man einen längst geborenen Bruder, von dem man nicht wusste,
kennen lernt. Ferner vgl. Eur. Ion 785, wo wenn auch nicht
dieselbeBracbylogie, wie an unserer Stelle, so doch eine ähnliche
vorliegt, xecvcp piv, to 7spate, Tracda Ao£ta? sdwxsv, während
die Logik eigentlich erfordert „Loxias that ihm kund, wer sein Sohn
sei“. Vgl. Ion 790 f. 797. 420. Von Orestes, der eine falsche Kunde
von seinem Tode in seiner Heimat melden liess, heisst es Sopli. El.
1228 f. kurz und schön
o'pär’ ’Opiarriv rövos, p?xavaiai pliv
Savovra, vüv de [XYjyavaTg asawap-ivov.
Von Sokrates, der sich anderen Menschen so zeigt, als ob er in
schöne Jünglinge verlieht wäre und als oh ihm jedes Wissen ab-
gienge, heisst es mit ähnlicher Kürze dpäre ydp : Sri Scnzpärrj?
ipojuxüig diaxeirai rcöv x.aXtiv xai dei Trepi rovzovg iari xai exne-
7t\rjxra.i, xai au dyvoeX Trebra xai ovoiv otosv (Plat. Symp. 216 D).
V. 445 ff.
xopu£srw drj.3-’ • etig napdjv au 7’ spiTroddiv
dyleXg, auJdeig r’ dv oüx dv d~kyüvaig nleov.
Meineke Oed. Col. Anal. Sopli. p. 227: „Altero versu ttAsov,
quod proprie maiorem in modum significat, hic ita dictum est 11t
vix alio loco reperias. Sententia oüx er av äXyüvaig requirit, quare
vide ne ttipa a poeta scriptum sit, quod etiam alias in nleov cor-
ruptum memini“.
Aber vgl. 1165 p.'r, npog SetZv, pr/, deanoS’, iaröpei arXsöv,
wo eben so gut nipa stehen könnte, aber nicht stehen muss. Phil.
576 prj vöv p’ epr, r ä n ’Xeiov’. 0. C. 36 npiv vvv rct nleiov
iaropeXv, dann 0. C. 1777 dXX dnorzaüsre pr, d’ irci nie iw Sp'O-
vov lyeipeze und die häufig vorkommende Verbindung stti nleov in
der Bedeutung „noch weiter, ferner“. Ebenso wird im Deutschen
„mehr“ in negativen Sätzen gebraucht, z. ß. „verfolge ihn nicht
mehr“, „ich werde ihn nicht mehr tadeln“. Oüx dv alyvvaig nleov
ist auch sprachlich vollkommen berechtigt, da man sofort dabei, ge
rade wie in dem Satze oüx dv n'liav d'Kyog pot napdayoig, ergänzt
„als bisher.“
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus), | 25
V. 483 f.
oeivu fjtiv ouv, öeivä. zupdoasi aotpög oltovoSirag
oözs doxoövr oöz’ unoydaxovS' • o rt ab^oj o’ dnopcö.
Die Richtigkeit der von manchen angenommenen Erklärung des
Scholiasten oürs retard ovze dmazu lässt sich nicht beweisen, da
man eine genügende Analogie für die hiebei postulierte Bedeutung
von dxotpuGxovza nicht beibringen kann. Ohne Zweifel ist die Er
klärung „nec affirmantem nec negantem“ richtig. Dass das Object
ip.i nicht ausdrücklich gesetzt werden musste, ist bekannt, da nicht
selten verschiedene Casus von lyco, crö, ca)zog ausgelassen werden,
wo ein Missverständnis nicht möglich ist, z. B. Ant. 1084 f.
zoiuözd goo, In nBig 7 dp, &gze Toförvjg
aipfixu Sollt!) xupöiag ro^Eupara
ßsßaia.
Ant. 1098 Bvßooliug ost, res« MsvoLxittig Kpiov
Ai. 706 eXogev aivov äyog dar’ o’ppdrwv "Aprjg.
Die Ueberlieferung öelvu psv oöv ist gegen die Conjectur ostvd
[iE vovv (Nauck), ottvd ps vöv (Bergk) geschützt durch das Vor
kommen von psv oöv in dem entsprechenden Verse der Antistrophe.
So kommt auch ßaadvip am Schlüsse der Strophe und Antistrophe
vor und zwischen 466 ff.
&pu vtv dsAAdocov
IKKCÜV aSEVapOJTEpOV
tpoyd reödot voipdv
und 476 fT.
tpoizcp ydp 07r’ aypiav
öAav dvd r dvzpu xai
TZETpCtg ÖLTE TOtÜpOg
ist ein Parallelismus nicht zu verkennen; ebenso ist der Schluss der
ersten Strophe
ösivui 6’ dp.’ ekovzou
Krjpsg dvcuzldxr/zoi
und der Schluss der ersten Antistrophe
ZU Ö’ (sc. IIUVZEIU) UEl
iLÜVZU KEpUZOTÜZUl
126
K v l c a I a
ähnlich der Form und dem Gedanken nach. So lassen sich in diesem
Chorliede, wie aucli in anderen, noch mehrere solche Parallelismen
naclnveisen. Die grosse Anzahl solcher Parallelismen beweist, dass
man es mit keiner zufälligen Erscheinung zu thun hat. Vgl. z. B.
noch die Parallelismen der 1. 2. 3. Strophe und Antistrophe im Aias
348 ff. oder 1203 rzpipiv im o. Verse der Strophe mit rzpipig (1213)
im S. Verse der Antistrophe, oder 1210 Tpoiocg opp. 1222 ’A-S-ävas-
u. s. w. Man ist um so mehr berechtigt, solche Symmetrien hervor
zuheben, da eine Classe solcher Parallelismen, nämlich die Wieder
kehr von Interjectionen an denselben Stellen der Strophe und Anti
strophe notorisch und unzweifelhaft vom Dichter beabsichtigt ist.
V. 489 ff.
Ti yäp rj Aaßdaxidaig
71 Ttö Tlolüßov vzixog zxzir , ovrz näpoiSzv kor’ zyuy’ oiirz rä
VÜV ,7TOJ
la-Sw, npög Szou ßaoävcü * * * *
ini rav inidapov ipduv zip.’ Oidinööx Axßoxxidxig
enixovpog ctöfjAwv Jjxvxtwv.
So lässt Nauck diese Stelle drucken, während Hermann in der
Strophe keine Lücke annahm, dagegen in der Antistrophe die Worte
7dp in aurtö tilgte. Dies Auskunftsmitte], welches Dindorf annahm,
ist aber ein höchst unwahrscheinliches, da der Scholiast die von
Hermann getilgten Worte kanntet), wenn auch seine Erklärung sonst
ganz falsch ist. Ausserdem wird, wenn man schreibt
äXk’ ovkot’ £yu>y’ xv, npiv ’icioip’ opSöv znog pzp<popzvu>ii xv xx-
rxfxiriv.
(pXVZpX KTZpOZGG’ xi\^Z XÖpX
norz, xai GOipdg üitpSr),
der Zusammenhang so sehr vermisst, dass man, wenn der Text
in dieser Fassung überliefert wäre, an die Richtigkeit desselben nicht
glauben könnte und zu einer Conjectur sich veranlasst sähe. Auch
kann man vielleicht auf den Parallelismus zwischen ini rxv inidxpov
1) ä fiiv tyxaXoOfftv aürcS, aftvjX« xal ov jravtM? aXvj3^. a ot xaroXp^Mffs,
yavs^a, ore in $ ov g ai)rw r ryg hyiyiog <jqv6
127
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König- Oidipus).
ipdziv dp.’ Oidinöda und (pxvspd -yap irr’ «lirw r,A$e -dpa. hin-
weisen.
Die Scholien bieten hier eine erwünschte Anleitung zur Con-
stituierung des Textes, wobei auch nicht ein einziger Buchslahe der
Ueberlieferung zu ändern, wol aber die Lücke durch das von den
Scholien dargebotene -/_priadpsvo<; (was schon Brunck aufnahm) zu
ergänzen ist. Es ist nämlich zu schreiben:
rt ydp 77 Aaßoaxidcag
fj tü lla^Oßav vetxoj exziz’, cörs xdpoiSiv nor’
VÖV TMi)
epaSov. ffoöj 0 zov orj ßaadvip y^p 77 adpsv 0 ? *)
£7re zdv ixidccpov (pdziv dp.’ 0ioiKÖoa. xrX.
*) Die Annahme der Dehnung der letzten Sylhe von wird freilich auf
Widerspruch stossen. Ich halte diese Dehnung für zulässig aus mehreren Gründen.
Es ist, glaube ich, namentlich bei einem viersylbigen Worte, dessen Messung
— ist, die Dehnung der letzten Kürze in der Arsis nach den drei ersten einen
Dactylus bildenden Sylben natürlich und in dem allgemeinen rhythmischen Princip
begründet. Es stellt sich nämlich in diesem Falle von selbst das Bedürfnis
heraus nach einer Unterscheidung der dritten Kürze von.den zwei vorausgehenden,
d. i. das Bedürfnis nach einer Hervorhebung derselben in der Aussprache und
nach einer Dehnung. So wird im Deutschen im troehäischen und jambischen
Metrum von zwei auf einander folgenden Kürzen die zweite, in der Arsis stehende,
zur Länge: herrliche Gestalt, das goldene Gefäss. Im dactvlischen Metrum findet
dasselbe bei der letzten von drei aufeinander folgenden Kürzen statt; z. B. Klop-
stock Messias 5, 24:
„Und die schrecklicheren der Christen erhüben sich behend“.
Ich sehe nicht ein, warum man diese Dehnung, die man bei Homer willig an
erkennt, bei den Tragikern bestreiten und die Stellen, an denen diese Erscheinung
vorkommt, ändern sollte. Bei Homer liest man z. B. Od. 230:
TvjXs'jjiaxs, ttoiov <re eiroc epxog o&o'vrcov ,•
In unserer Tragödie lesen wir 866:
v'piKodsg, oupavcav
aiSipot. rexvtt£evrs£.
Ferner habe ich noch folgendes zu bemerken. Man findet bekanntlich nicht
selten in einer stärkeren Interpunction eine Entschuldigung für die Dehnung
einer Kürze. Ich erkenne diese „Entschuldigung“ als berechtigt an, bin aber über
zeugt, dass dieselbe auch für manche Fälle in Anwendung kommen kann, wo nur
ein Komma oder auch gar keine Interpunction gesetzt wird. Dies scheinbare
Paradoxon ist leicht zu begreifen. Nicht die Interpunction an und für sich ist es
128
K v I c a I a
In dem Scholion sind zwei Erklärungen vereinigt. Ilot'w loyiapw.
avzi roO, zivog Kpdyparog y.pLOEi ypyiadpsvog rüg ’Xsyop.ivoig tu-
Gziiiatj) y.azd Qioinooog. Die eine, nrotte loyiop-ih, paraphrasiert kurz
tov (zivog) ßaadvcp; die andere hält sich genau an den Text, erklärt
zov durch ziveg 7ipd.yp.azog, ßaadvcp durch xptazi und behält ypzi-
adpsvog bei. — Liest man apog ö zov dr h so wird die Geltung von
or, erst recht ersichtlich. Ilpdf o ist „darum, demgemäss“, ent
spricht also dem zü> (darum) am Schlüsse der Antistrophe. ToO
ßdoavog ist der „woher (nöSEv) zu entnehmende, worauf sich stüz-
ze; de Beweis“.
Zu vergleichen ist mit dieser Construction (statt welcher man
allerdings auch zti oyi ßaadvu vermutben könnte) Oed. Col. 835 zay
sig ßdoavov zlyzpüv (die Hände sollen entscheiden) und ebend. 1297
ovzs vixoactg köyo) ovz’ sig sleyyov yjipog ovo’ spyov p.oXcbv : wo eben
falls yj.ipög und ipyov nicht objective Genetive sind, sondern sie be
zeichnen dasjenige, was den elsyyog darbieten soll.
ja, welche die Dehnung einer kurzen Sylbe begünstigt, sondern es wird diese
Dehnung begünstigt durch dasjenige Moment, dessen äusseres Zeichen die Inter
punktion ist, nämlich durch die Pause. Wo immer eine Pause naturgemäss statt
findet, da gilt die oberwähnte Entschuldigung der Dehnung, mag die Pause der
Rede von uns im Drucke durch eine stärkere oder schwächere Interpunclion
oder gar nicht bezeichnet werden. An unserer Stelle nun bilden die Worte tov dy
ßouravü) ^pvj'jajzevos wenn auch nicht einen Satz, doch ein Kolon des Satzes (das
durch einen Satz ausgedrückt werden könnte), nach welchem der Redefluss natur
gemäss einen Moment innehält und schon desshalb innehalten muss, damit dadurch
die Zusammengehörigkeit von tov do jSaffavw )(p7j<7aund die Trennung
des xpr}a6ctJ.EVog von irrt rav s\*u&a/j.ov yariv (xpijaSai rm int n wäre ja
auch eine sprachlich mögliche Construction) bezeichnet würde.
V. 866 folgt auf vipirvofteg nur ein Komma; aber auch hier ist es natürlich,
dass nach diesem Worte eine erheblichere Pause stattfindet. Eine solche Pause ist
ja bei Aufzählung von Epitheten, die einem Gegenstände zukommen, zumal wenn
diese Epitheta gewichtig sind, natürlich.
Gestützt auf diese Gründe überlasse ich die Entscheidung dieser Frage, speciell
die Entscheidung darüber, ob meine Conjectur metrisch zulässig ist, competenteren
Forschern. Sollte eine vorurteilsfreie, nicht durch ungebührliche Uniformierungs
sucht beeinflusste und nicht ohne wirkliche Gründe absprechende Forschung gegen
mich entscheiden, so wäre dann mit Brunck xpYjGäp.evog vor dvj zu setzen:
ep.ct3ov . rzpdg ö tov ^pvjca^evog drj /Sauavw.
Aber tov dr) ist aus dem im Texte angegebenen Grunde angemessener.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 129
Schliesslich nur noch ein Wort über den Versuch, den man
macht, um npog orov, wie man schreibt, zu erklären. Hermann er
klärt „quo explorato“, Schneidewin „woran anknüpfend (unde exor-
sus)“. Aber Beispiele dafür vermisst man ganz und gar. Das einzige
Beispiel, auf welches manche (wie Wunder, Schneidewin) hin-
weisen, ist V. 525 rov npog d’ zcäg ijxoüg yvcofxca? ozi
neiaSeig 6 p.dvzig zovg \6yovg ipevoetg Aiyoi; aber hier ist ohne Zwei
fel zovnog zu lesen; vgl. die Bemerkung zu 525.
V. 505 ff.
Drei verschiedene Interpunctionen und demgemäss auch drei
Erklärungen sind denkbar.
1. äXX’ ovnor rywy’ äv, npiv idoip.’ opSöv inog, psp^oplivojv äv
xtxzatpairjv.
2. äXX’ ovkoz' sytuy' äv, npiv tdoip.’, dpSdv enog p.£p.<po[xivu)v äv
xazatpcd rjv.
3. äXX’ ou7tot’ iywy’ äv, npiv woip.’ dpSdv enog peptpopevoiv, äv
xaraepäivjv.
Die zwei ersten Erklärungen sind in dem Scholion vereinigt.
’Eyw ds ovx äv noze iTraiviaocifu zoiig ixep.<pop.ivovg rov ßaCTiXia,
oüd’ opSdv äv aürcliv ro enog yai'vjv, npiv ’t'doipu aatpri rä epycc xai
zrjv dnoßaaiv. Die Worte eyd) di ovx äv noze enaiveoatpi zovg p.ep-
fopevovg r. ß. weisen auf die erste Interpunction hin. Aber die fol
genden Worte, in welchen von oüd’ äv yatVjv ab hängt zd enog
dpSdv weisen ebenso bestimmt auf die zweite Interpunction hin, nach
welcher eben ovjtot’ äv goJjgv enog xazcctpairiv zusammenhängt,
npiv idoipu wird hiebei für sich genommen und erklärt npiv 'looip-i
oa<p?i rä epya xai zijv dnoßaotv. Daraus sieht man, was man da
von zu halten hat, wenn manche schlechthin sagen, dass die erste
Interpunction durch das Scholion bestätigt wird.
Die zweite Interpunction ist entschieden vorzuziehen. "Idoipi
konnte sehr wol absolut gebraucht werden „erst muss ich sehen
(d. h. erst muss ich augenscheinliche Beweise haben), bevor ich zu
geben könnte, dass das Wort der Tadler berechtigt sei.“ Es ist aber
iOEtv entgegengesetzt dem blossen Gerede, dem blossen Verdacht,
der blossen Vermuthung. So hat Sophokles auch sonst idefv ge-
Sitzk. d. pliil.-hist. CI. I.XI. lld., 1. Ilft. 9
130
K v { c a 1 a
braucht; vgl. El. 833 döo[xzv « SpozTg, besonders aber Ai.
1416 ir.
ri Tiollä. ßpOZOlg EGZIV ioovGiv
yvüjvca ■ 7zpiv cT ISetv, ovdzig [xdvzig
züv p.sXÄövrcov, o zi Tcpd^zi.
Im Gegensätze zum Hören El. 761 ff.:
zoiccvzd GOt zavz' lurcv, &g pJv iv ’köytp
dXyziva, rüg S' (’ooöctiv, owep ddopzv,
piyiaza Trävrwv d>v ökiüiz’ iytb xccxäiv.
V. 319 ff.
ov ydp zig dnlovv
r, £r,p.ia p.oi roO löyov zovzov yspsi,
dlX ig piyiazov, ei xaxdg piv iv tcölet,
xaxäg di npög gov xou yt'Äwv xzxXdaopai.
Im V. 322 erregt xpög gov Bedenken. Der Chor repräsentiert
doch die Stadt; cf. 144, 168, 513. Wie kann also der Chor durch
gov der nöhg gegenüber gestellt werden? Sol! man vielleicht sagen,
dass, weil der Chor aus yjlipa.g dvaxzzg (911) besteht, unter der
nölig hier oi noXXoi zu verstehen sind? Dies Auskunftsmittel befriedigt
nicht, da iv nölzi in diesem Falle gewiss nicht der entsprechende
Ausdruck wäre. Kreon versteht unter nöhg gewiss die Bürger, i n s-
besondere die anwesenden Repräsentanten der Bürgerschaft
(Jxvdpzg nohzca 513), welche Zeugen der Beschimpfung Kreon’s
waren; und im folgenden Verse ist npög zov za; <pi/Mv zu lesen,
wobei xcd die Bedeutung „sogar“ hat. Diese Gegenüberstellung von
nöhg und ff/Mv zig ist angemessen; die Corruptel gov entstand wol
durch Misverständnis von xod, welches man wegen der minder ge
wöhnlichen Stellung in der Bedeutung „und“ nahm.
V. 525 f.
zov npög ö’ ifdvSr), zoüg yvti)p.<xig özi
nsiG^eig 6 pdvzig zovg löyovg ■•pevdzig liyoi;
Tov npög ist nicht zulässig. Wer nicht an der Überlieferung
ä tout prix festhalten will, wird es gewiss nicht in der Bedeutung „von
welchem Anlass aus“ auffassen; vielmehr würde man sich versucht
fühlen, zov als Masculinum zu nehmen, was aber wieder, wie der
Beitrüge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 131
Zusammenhang lehrt, unmöglich ist. Die Leseart rovnog, die einige
Handschriften darbieten, hat Nauck in der 5. Auflage mit Recht in
den Text gesetzt; nur muss V. 525 f. fragend gelesen werden, da
ein Aussagesatz, der eine Fortsetzung der Klagen Kreon's wäre,
offenbar unstatthaft ist.
Heimsoeth’s Änderung raig i[xaig ßov^ctigfür raXg i[j.alg yvüp.cug
ist zu verwerfen. „Mit Gesinnungen“ sagt Heimsoeth (Krit. Stud.
I, 150) „überredet man Niemanden zu etwas, sondern mit Worten
oder mit Rathschlägen.“ Aber sollen wir, nur damit wir um eine
Corruptel mehr annehmen könnten, an der Bedeutung „Gesinnung“
ausschliesslich festhalten und den sonstigen thatsächliclien und be
kannten Gebrauch von Yvwpwj ignorieren ? Mit Gesinnungen, so lange
sie im Stillen gehegt werden, überredet man freilich nicht, aber
wenn man seine ^vco/jiv; (welches Wort ebenso, wie das lat. sententia,
auch den Entschluss, Plan bedeuten kann) aus spricht, so kann
man allerdings einen anderen überreden. Mit „Gesinnungen“ kann
man einen anderen auch nicht fpzvovv, und doch sagt Soph. Trach. 52
vöv o ei öi'xcciov roi/g i’kzv.grzpovg ippzvoüv yvo)p.caai ooiiloug.
Übrigens scheint mirrai? gpuxi? yvüp.ccig nicht ein instrumentaler
Dativ zu sein. Für passender halte ich es, diesen Dativ in derselben
Bedeutung zu nehmen, wie er bei KsiSzaSai „folgen“ vorkommt.
Dass auch der Dativ der Sache mit nsiSsaScu in dieser Bedeutung
verbunden werden kann, ist bekannt; vgl. II. a 150; S 502;
t 65; ^ 157. Dass aber nicht bloss das Präsens oder der mediale
Aorist, sondern auch der passive Aorist einen solchen Dativ des
Beziehungsobjects zu sich nimmt, beweist Soph. El. 974 nsiaSeZa'
■ip.oL Oed. Col. 756 tzeia.Ssig zp.ot. 1414 UetsOui ctz neiaSrivcti ri p.oi.
Oidipus glaubte, der Plan zu seiner Entthronung, den er entdeckt zu
haben wähnte, sei eine Erfindung Kreon's (378) und Teiresias habe
sich demselben als ein Werkzeug in Kreon’s Händen gefügt (jzzi-
oSzig) ; darauf bezieht sich Kreon’s Aeusserung.
V. 536 ff.
ipep’ eitzz TTpög 3cdiv, vzilixv r, p.u)piav
(oün rtv’ zv [xoi ravr’ ißovAzvao) kgizZv ;
r, roupYov o)g ov •yvutpiolp.i nov t6Qz
ooI'j} npoaipirov /. o 0 v. a\z&ip.-f)y p.a3i!iv ;
9
132
K v 1 c n 1 a
Im V. 537 halte ich rtv’ für angemessener als rcv’. Im folgenden
Verse hat schon Schäfer vorgeschlagen, was von Hermann etwas
obenhin abgefertigt wurde. Im letzten Verse ist die Änderung p ovx.
für y.ovy. nicht nöthig, da es bekannt ist, dass ziemlich oft sowol ein
zelne Wörter als auch ganze Sätze ebenso gut durch das copulative
rs oder xal verbunden, wie durch p disjungirt werden können. Hier
ist xovx ganz berechtigt; denn in Kreon’s Geist waren nach der
Meinung des Oidipus beide Vermuthungen vorhanden. Kreon glaubte
— nach Oidipus’ Ansicht — einerseits, dass Oidipus dies Werk
nicht merken würde, anderseits dass er, wenn er es auch merkte,
sich doch nicht wehren würde. Zudem ist durch das hypothetische
Participium p.aSotv für ein gehöriges Verständnis des Ganzen ge
nügend gesorgt: kurz xai ist im Griechischen ebenso wenig auf
fallend, wie in der Übersetzung.
V. 562 ff.
01. tot' ovv 6 pdcm? ovTog pv sv rp Tsyyri ;
KP. oopog Y öpoitng x.d£ loov rtp.töp.£vog.
01. öpvpffar’ ovv ipoö rt r£> rör’ iv ypovip-,
KP. ovx ouv spoü y’ eaTöiTog ovdapotj nsAag.
01. AXa' ovx spsvvav roü ^avövTog soysTs;
KP. na.pioyoit.sv, nüg d’ ovyi; xovx pxcöaapsv.
Im V. 566 verlangt Meineke (Oed. Col. 229) roö xravövrog
für roö .Savövroc. Doch da er seihst sagt „una tantum ratio suppeteret
qua librorum scriptura servari potest, si demonstrari posset, i'psvvav
tov SavövTog Sophoclem dixisse pro spsvvav nspi röv •S'avövra“ und
da dies bewiesen werden kann, so ist die Richtigkeit der Überliefe
rung nicht zu bezweifeln. "Epsuvctv tov SavövTog ist berechtigt, da
der Todte und sein Tod Ursache und Gegenstand der Nachforschung
war. Es ist diese Construction neben spsvvav nspi tov SavivTog
gerade so zulässig, wie öpp dyysA'ro II. r, 336 oder Plat. Theait.
164 I). 6 [tvSog 6 rpg Ö7rtarppp? xai atoSrjosotg. ib. 147 C. iv rp
roö nrjXov IpiüTYjoei. Xen. Mein. 2, 7, 13 röv roö xuvög Xöyov. Soph.
Ant. 11 f. spot psv ovdsig pö.$o?, ’Avrryo'vp, (piAwv oö^’ pöög ovt'
ddysiväg Ix.st ; vgl. Stallb. zu Plat. Apol. 26 B. (und Cic. Tusc. 1, 23
quaestio animorum).
Dem folgenden Vers hat Ilcimsoeth folgende Gestalt gegeben
(S. 180): xarfip-^opsv, ncög ö’ ottyj, xovösv pvopev. Ein Theil von
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 133
ovosv soll durch die zum dreisylbigen Originale xovdev vjvo/xsv ange
wandte viersylbige Erklärung ■ovuaaixsv überdeckt und dies -nvOaaii.sv
selbst wieder in -nxovaaiJ.sv verschrieben worden sein, und „diesem
xovdiv ■'nvou.sv wird das Verbum im Anfänge des Verses entsprochen
haben“; demnach schreibt Heimsoeth sofort statt nap-
sayop-sv. Auf diese Weise dürfte es möglich sein, alles aus allem zu
machen. Die Phantasie hat, wenn man zu erwägen beginnt, was alles
geschehen sein kann, einen sehr weiten Spielraum. Man könnte
z. B. mit demselben Recht oder Unrecht sagen, dass Sophokles xovosv
nv kasov schrieb, dass dies durch xovosv -nvvaaij.su, xovx nvvaap.sv
erklärt und in xovx r,x.ovaa[j.sv verschrieben ward. Und solcher werth
losen Hypothesen könnte man gar viele aufstellen, ohne sich damit
ein Verdienst um den Dichter zu erwerben. Dagegen hat sich Pel-
liccioni, in dessen Büchlein sich freilich sonst vieles sonderbare
findet, um diese Stelle ein wirkliches Verdienst erworben. Er hat
sich die Frage gestellt, oh nicht unserer Stelle eher durch eine
gründliche Exegese, als durch das kritische Messer, geholfen werden
könnte, und er gibt auf diese Frage eine bejahende und, wie ich
glaube, glückliche Antwort.
Im V. ü64 fragt Oidipus, ob Teiresias gleich nach der Ermor
dung des Laios bezüglich des Oidipus i^v-naarö rt d. i. ob er schon
damals den Oidipus des Mordes beschuldigte *). Kreon weiss davon
nichts. Nun könnte aber, wenn Teiresias damals noch nicht jene Be
schuldigung aussprach, der Grund davon der sein, dass vielleicht
überhaupt gar keine Nachforschung darüber angestellt wurde, wie
und durch wen Laios umkam: darum fragt Oidipus sofort anV ovx
spsvvav rov Savivrog saysrs; denn wenn Nachforschungen statt
fanden und Teiresias trotzdem damals schwieg, so ist es nach Oidipus’
Meinung klar, dass seine jetzige Aussage eine betrügerische ist. Auf
diese Frage erwidert nun Kreon: „Allerdings haben wir nachge
forscht; sed nihil ta 1 e de te tune a Tir es i a dictum a u d i v i-
mus“ (Pelliccioni). Oßx nxoOaaiJ.iv bezieht sich also auf V. S64.
Würde hier nicht das Gesetz der Stichomythie obwalten, so hätte Kreon
0 Kreon versteht, nämlich die Worte des Oidipus, wenn sie auch unbestimmt sind,
doch ganz gut, da ihm nicht blos hinterbracht wurde der/ eky; xarv/yopstv auroO
röv rupavvov OtöiTrovv, sondern auch, dass Teresias den Oidipus einen Mörder
nannte; cf. ö2ö f.
134
K v i c a I a
vielleicht das betreffende Object hinzugefügt. Aber auch so sind
seine Worte nicht unverständlich, wenn man ihren Zusammenhang mit
V. 564 erwägt und bedenkt, dass sofort im V. 568 nüg oüx 77uda rdSe
folgt. Dies rads, das doch nothwendig auf den dem Oidipus zur Last
gelegten Mord geht, spricht deutlich für Pelliccioni’s Erklärung. Da
gegen wäre xovoiv rjvop.iv ein nutzloses Ausfüllsel des Verses; denn
dass nichts erreicht wurde, das weiss Oidipus nur zu gut.
Rapiayopsv entspricht allerdings äusserlich nicht genau der
Frage soyjrs; aber diese Abweichung ist sehr begreiflich und sehr
angemessen. Mit diesem Verbum bezeichnet Kreon, dass die Thebaner
leisteten, was sie zu leisten hatten, dass sie ihrer Pflicht
gegen den Herrscher nicht uneingedenk waren. Die Frage des Oidipus
lässt nämlich die Möglichkeit eines verletzenden Vorwurfes offen,
und dagegen repliciert Kreon mit Lebhaftigkeit, indem er napiayopvj
gebraucht (worin der Sinn liegt Tcapiayopev rr;v h rtö kpevväv yß-p'-v
tö> Savbvrt) und xcjjg d’ ovyi, womit die Erfüllung der Pflicht als
etwas selbstverständliches bezeichnet wird.
Die Frage, ob ein Widerspruch zwischen dieser Stelle und
126 ff. stattfindet, ist zu verneinen. Die früher gebrauchten Aus
drücke dpojyog, sfstos'vat, p-iSivrag sind derart, dass sie nur be
sagen, man habe die Untersuchung nicht zu einem befriedigenden
Resultate führen können; namentlich die Worte 130 f. involvieren
die Voraussetzung, dass man nachforschte, aber durch die Sphinx
davon abgebracht wurde.
V. 572 f.
bäoitvv/ß st pr, <7oi £uvrj),.S-s, rdg ipäg
ovx äv nor’ sittsv Aatou ÖLatpSopag.
Die Conjectur Döderlein's rdoo' ipdg — diapd’opdg ist nicht
bloss überflüssig, sondern vernichtet auch den von Sophokles beab
sichtigten ergreifenden Doppelsinn (vgl. Schneidewin’s Be
merkung); schon Triklinios hat die Worte richtig erklärt. Ich füge
nur hinzu, dass Tag itxäg dtapSopäg gleichsteht der Construction
odz av dns rö ipi diauSäpui Acttov,während ipag (priidicativ)
öiafSopäg der Construction ovx av slnsv spi diapSeipai Aaiov ent
spricht.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 135
V. 581 ff.
KP. oüx ouv iooviAca o<päiv iydj ouoiv rpirog;
01. ivraCiSa. "jap oi) xat xay.dg (paivEi (piAog.
KP. oux, ei oiöoirig y’ dyg iycö aauTÜ iföyov.
Heimsoeth (a. a. 0. S. 80) conjiciert d>g syo) für d>g eyw, wo
bei zu constatieren ist, dass er gegen die Überlieferung einen posi
tiven Grund nicht anführt, sondern sich damit begnügt, zu sagen,
dass „weder die Ausführung von ug iyco mit dig iyu> i[AavTili Xoyov
ototop.1, welche die spraehrichtige wäre, noch die willkürliche d>g
t/w <7ot socoxa xat oojooj hier irgend Anwendung findet“. Allerdings
ist die erste Erklärung — die von Triklinios aufgestellte — sprach-
riehtig, sie ist aber auch dem Sinne nach ganz richtig und findet
hier eine gar passende Anwendung, so dass die Verkennung des Zu
sammenhanges nicht wenig auffallend erscheint. Kreon sagt: „Ich
würde dir nicht als ein schlechter Freund erscheinen, wenn du dir
der Gründe bewusst werden würdest, die mich vom Streben nach
der Tyrannis abhalten, gerade so wie ich mir derselben bewusst
bin“. Es ist hier nicht „der Schein eines Gegensatzes der Personen“,
sondern ein echter und sehr angemessener Gegensatz. Kreon findet
aus Gründen, die er dann entwickelt, seine gegenwärtige Lage
behaglich lind er mag nicht nach der Herrschaft streben; wenn
Oidipus diese Gründe kennen und würdigen würde, so müsste sein
Verdacht schwinden. Entgegengesetzt wird also die auf Gründen be
ruhende Genügsamkeit Kreon’s der Leidenschaftlichkeit des Oidipus,
der sich nicht Rechenschaft darüber gegeben hat, ob Kreon nicht
Grund habe, in seiner dermaligen Lage sich ganz zufrieden zu
fühlen.
V. 584 ff
oxsipai oe roüro np&rov, £t rtv’ av doxsig
äpy^siv i’Xia^ca £üv ipößoiai p-ällov ri
ärpEozov Evdovr’, ei rot y’ aü.3’ e^ei xpdzri.
Die Erklärung des Triklinios ist nicht der einzige verfehlte Ver
such; auch in neuerer Zeit sind irrige Erklärungen, aufgetaucht, wie
z. ß. die Erklärung von evoeiv in dem Sinne „tranquillum esse“, die
schon Eilendt mit Recht verwarf. Ein Irrthum ist es auch, wenn man
£üv foßoiai mit äoy^Ei'j verbindet; vielmehr ist es natürlich, dass
§£iv ’fößoiai, das einen scharfen Gegensatz zu ärptazov bildet, auch,
136
K v i c a 1 a
so wie ärpsarov, mit diöovroc verbunden werden muss. Evöstv aber
bat liier seine gewöhnliche Bedeutung, keine metaphorische. Als den
ersten Vortheil seiner Lage bezeichnet Kreon den ruhigen Schlaf,
während der Herrscher sich eines ruhigen und erquickenden Schlafes
nicht erfreut, sondern süösi Evv (pißoioi. D;is ärpeazov südsiv ist ge
wiss kein geringfügiger Vortheil. Wer aus Erfahrung das Gegen-
theil kennen gelernt hat, wer sich ferner erinnert, wie häufig von
alten und neuen Schriftstellern ein ruhiger, sorgenloser Schlaf als
eine wahre Wohltliat gepriesen wird, der wird es nicht sonderbar
finden, dass Kreon dies hervorhebt.
Die Worte |üv yößot? züdetv erinnern übrigens an Trach.
175 f. rjoitei; süoouoxv i>azrjoäv dpi fößcp, iptXat, zapßoü-
accv. Auch Klytaimnestra findet an. der Stelle, wo sie ihre kummer
volle Besorgniss recht entschieden bezeichnen will (El. 780 ff.),
keinen passenderen Ausdruck, als
<5<7t' oüzz vuxzög unvov oür’ iE f/fxepag
dpi ozeyällsiu wOv,
womit natürlich nicht eine völlige Schlaflosigkeit gemeint ist. Un
angemessen finde ich es, wenn man die Überlieferung lächerlich
machen will „quasi vero süöcnv posset quisquam regnare“ (F. W.
Schmidt, Anal. Soph. et Eurip. p. 43). Dieser Spott ist unwirksam;
denn die Überlieferung zwingt uns ja durchaus nicht zu der An
nahme, dass die Ausübung der Functionen eines Herrschers und das
Schlafen zu derselben Zeit stattfindet, sondern es ist die Rede
davon, dass, wer ein Herrscher ist (diese Bedeutung hat hier
natürlich öcpy_Biv, wie 591), eines sorgenlosen Schlafes sich nicht er
freut. Beispiele für eine solche Construction, wie sie hier vorliegt,
anzuführen wäre natürlich höchst überflüssig.
V. 587 ff.
iyw psv ouv ouz’ aüzdg ipsipcov sfuv
zupccvvog SLvai p.äXXov rj TÜpawa dpäv,
ou~’ äXXo? oozig (jUHppovsiv krziozxza.i.
Im zweiten Verse kann, sollte man meinen, niemand der glück
lichen Kürze des Ausdrucks und dem schön und scharf ausgespro
chenen Gegensätze (gerade durch die Anwendung desselben Wortes
-Opawo? tritt der Gegensatz sehr gut hervor) seine Anerkennung
versagen.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Uidipus). 1 3T
Und doch sagt Nauck im Anhang zur 4. Aufl.: „Dieser Vers
würde, wie mir scheint, besser fehlen“ und im Anh. zur S. Aufl.:
„Dieser Vers ist entweder unecht oder in der zweiten Hälfte fehler
haft.“ (!) Nauek’s Bedenken kann sich wol nur auf den adjectivi-
schen Gebrauch von rtjpccvvog beziehen, nicht auf opäv, ebenso wenig
auf die Verbindung des opäv mit dem Objectsaccusativ; denn äpäv
bezeichnet sehr gut das Herrschen de facto im Gegensätze zu dem
Titel. Das Bedenken gegen den adjectivischen Gebrauch von rOpav-
vog ist ja aber durch Ant. 1169 r(jpocvvov ayfip.cc erledigt; bekannt
ist auch Eur. Med. 1122 >5 r-jpccvvog xöpvj, Aisch. Prom. 263 zvpccvva.
axrjTCTpoc und dgl. Brunck hat ferner aO 7äp yipovza ßo-jleOetg (Soph.
fr. 862 Dind.) angeführt. Vgl. auch den sonstigen adjectivischen
Gebrauch von 7ipoiv, vsccvcccg, TxupSivog, ooöXog (im Latein servus)
11. dgl. Es ist z. B. nicht zu bezweifeln, dass gerade so, wie esTrach.
301 heisst öoü'aov Xayovacv ßiov, auch möglich war, öoüacc opäv,
cppovecv u. s. w. opp. iliöSepov tppoveiv.
V. 690 ff.
vvv p.iv 7dp ix aoO iravz’’ ävcv tpößoo cpipot •
ei 6’ aözog rjpyov, xoXXä xäv äxcov iopoiv.
nötig Sriz’ ip.oi zvpccvvig ftdiotv iyj.iv
äpyfig äXÖKOv xcd övvocazüccg itpu;
Heimsoeth (S. 78) führt unter anderen Stellen auch diese als
Beweis für seine Behauptung an, dass die Erklärung ä tout prix die
grösste Feindin der Kritik zu allen Zeiten sei. Dass diese Stelle
seiner Kritik nicht entgieng, ist nicht zu verwundern; denn bei ober
flächlicher Betrachtung scheint es allerdings, dass bei dem gegen
sätzlichen Verhältnis der Verse 590 und 591 dem ävev cpößou des
ersten Verses ein Ausdruck der Furcht im zweiten Verse entsprechen
soll; da nun im zweiten Verse kein solches Wort ausdrücklich ge
setzt ist, so muss nach Heimsoeth ein solches irgendwo unterge
bracht werden. Unter den vielen Ausdrücken, die eine Furcht oder
Besorgnis bezeichnen, findet sich auch öxvecv; öxvötv passt in das
Metrum und sieht dem überlieferten äxcov nicht ganz unähnlich: also
ist öxvöiv zu schreiben. Wer aber so verfährt, der sollte doch nicht
auf halbem Wege stehen bleiben, da durch diese Conjectur eine per-
feete Übereinstimmung zwischen den beiden Versen noch nicht er
zielt ist. Wenn es nun im zweiten Verse heisst xäv öxvöiv iopoov,
138
K v i c n 1 a
so vermisst man im ersten Verse ein Verbum des Thuns; tpipu und
Eopcov ist ein lahmer Gegensatz; also warum sollte man nicht zuver
sichtlich Vorschlägen vüv piv yäp iazi nmz ävsu <p6ßov nouXvl Um
eine Erklärung, wie die Corruptel der Überlieferung entstand, würde
ich nach Heimsoeth’s Anleitung gar nicht verlegen sein; di6 Annah me
einiger erklärender Glossen (vgl. z. B. Heimsoeth S. 231), die in
den Text eindrangen und dann selbst wieder durch Schreibfehler
verdrängt wurden, würde schon das ihrige thun. Doch genug davon!
Ich will hier nichts weiter von einem Verfahren sagen, mit dessen
Hilfe man in den Tragödien des Sophokles mehrere hunderte von
bisher ungeahnten Corruptelen entdecken und sofort auch für die
selben die nöthigen Conjecturen aufstellen könnte.
An unserer Stelle ist es Heimsoeth nicht gelungen, den echten
und vom Dichter in erster Linie beabsichtigten Gegensatz wahrzu
nehmen. Im Vers 390 liegt der Hauptnachdruck nicht auf äveu tpößov,
sondern auf dem durch vöv ix gov nä.vra. tpip co ausgesprochenen
Gedanken, welchem sehr richtig nolla xdv xxwv edpwv gegenüber
gesiellt wird. „Jetzt erlange ich, sagt Kreon, alles (was ich wünsche)
durch dich <); wenn ich selbst herrschen würde, so würde ich nicht
bloss nicht alles thun können, was ich wünschen würde, sondern ich
müsste auch vieles gegen meinen Willen thun.“ Diesen Gegensatz
halte ich für evident richtig. Freilich könnte man hiebei zu der Ver-
muthung sich versucht fühlen, dass cacov im vorausgehenden Verse
einen ausdrücklich ausgesprochenen Gegensatz haben sollte, etwa
a ßoi/lop-xi statt ävsu <p6ßov. Ich weise aber diese Vermuthung von
mir, weil in den Worten ix aovKdvza <pip«) natürlich der Begriff
des Erwünschten involviert liegt; Trebra kann in diesem Contexte nur
„alles, was ich wünsche“ bedeuten; cf. z. B. Phil. 298 f.
oixGvp.ivYi ydp ovv aziyri niipog pera
7rävr’ ixrtopi^ei Tr'Xrjv zo pv; vogeiv ip.i.
Auch ävsu tpoßov ist nicht zwecklos. Ich pflichte ganz der Er
klärung Schneidewip’s, nicht zu 590 (diese Bemerkung ist unrich
tig), sondern zu 591 bei: „Vieles würde ich als Landesherr mit
l) können wir hier am passendsten mit „impetro“ vergleichen. Nunc a te
omnia impetro, nicht etwa bloss Geschenke, sondern überhaupt das Geschehen
dessen, was ich wünsche. Auch i>80 ist Travr 1 £[jloO xop.t£srai = omnia a me
impetrat.
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 139
innerem Widerstreben thun müssen, aus Besorgniss, im Falle der
Weigerung Unzufriedenheit und Verschwörungen gegen mich zu
wecken.“ Diese Erklärung scheint Heimsoetli unnatürlich und eine
Erklärung ä tout prix zu sein; sie ist aber so natürlich, wie nur etwas
sein kann. Wenn ein Herrscher etwas äxojv thut, so denkt man dabei
doch wol zunächst an eine Besorgnis, die ihn dazu veranlasst. So
ist also auch ävsu <pößou nicht ohne Gegensatz, wenn derselbe auch
nicht ausdrücklich angegeben wird, weil dem Dichter die Betonung
eines anderen Gegensatzes mit Recht wichtiger erschien.
Im V. 393 bezieht sich dpyrig dlvnov ganz passend auf xav
äxutv edpwv; denn äxovra TcoXXd opäv ist natürlich eine linzi5.
V. S96 IT.
vöv rzäai y_aipo), vöv ps iräg dana^STca,
vöv oi aiSsv y_pf,llo'jTtg sxxa),oöGi pe.
to yccp tu-^sXv ccjrovg änav ivTtxOd-’ svi.
Die Erklärung von näoi -^aipoi mit nag p- ■/a.'ipnv liyst „alle
begriissen mich“ ist wol sprachlich unmöglich. Auch Heimsoetli
(S. 226) erklärt sich gegen dieselbe; aber dass hier ein Schreib
fehler für vöv näg (pilsT ps (so Heimsoetli) vorliegen soll, das
glaube, wer will.
Die Erklärung „mit allen stehe ich in freundlichem Einver
nehmen“ (Schneidewiu) beruht zwar auf einer sprachlich mög
lichen Erklärung „nunc omnibus delector“, und eine ähnliche Erklä
rung hat schon Triklinios aufgestellt: aber es ist unnatürlich, aus den
Worten „nunc omnibus delector“ jenen Sinn zu deducieren.
Ich halte die zweite Erklärung von Triklinios für annähernd
richtig: 77 rö xäai ^capto ctvri roö näai xpdypcu7tv vjSopca, xcd ovoe-
pccc tppovrig xat pipipva xepi ovozvbg iori pot, apßlslccv noiovaa riSo-
vrjv. Man muss auch hier bedenken, dass unter rtäoi „alles, w r as
mein Herz begehrt“ zu verstehen ist und dass y^aipeiv hier, wie an
anderen Stellen den Begriff des Besitzes voraussetzt, wie das deutsche
„sich erfreuen“.
So ist auch 1070
raörvjv d’ iöcrs nlovaitp ycdpeiv yivzi
der Begriff des Besitzens zu berücksichtigen, womit ich jedoch nicht
sagen will, dass im Griechischen die ursprüngliche Bedeutung so
140
R v { c a 1 a
zunickgetreten sei, wie bei dem deutschen „sich erfreuen“, das oft
„haben“ ist. Vgl. Phil. 715 og [xyjö' oivoyyTOu nüfAarog osyjrei
ypÖMM, wonach wir für das Präsens yiSeg^ou die Bedeutung „froh
gemessen“ annehmen können; vgl. auch den Gebrauch von -yatstv,
aydllEod-ou, welche Verba zuweilen, wenn sie auch ihre eigentliche
Bedeutung nicht aufgeben, doch daneben den Begriff „habere o. uti“
hervortreten lassen. Ferner kann man sich an den Gebrauch von
cpilog erinnern, welches Wort namentlich im Epos, in einzelnen
Fällen aber auch bei den Tragikern dem possessiven Pronomen
nahe kommt. Es ist nicht unstatthaft, folgende Proportion anzu
setzen
yilog : £[x6g = yxipio : eyw.
Nach dem Gesagten erkläre ich an unserer Stelle „nunc Omni
bus laetus fruor“.
Bei dieser Erklärung wird allerdings die Übereinstimmung mit
ileu folgenden Worten vüv nag äand^szai aufgehoben. Aber ist es
denn ein Axiom, dass Sophokles hier wirklich denselben Gedanken
zweimal aussprechen musste? 1 ) konnte er nicht mit den Worten vüv
nccGi yjxipoi dem Kreon eine Rückbeziehung auf V. 590 in den Mund
legen und daran vüv p.s rcäg äand^zzcu anknüpfen?
Für c-mccAoCigi haben viele Musgrave’s Conjectur audllovai ge
billigt. „Perineptum est Creontem ah homine privato quovis aliquid
vel gratiae vel beneficii impetraturo ex aedibus suis evocari, quod in
aula veterum Thebanorum haud dubie non minus impolitum hahitum
est quam in hodiernis principum aulis“ (?) Gut erwidert darauf
! ) Ich glaube vielmehr, dass F. W. Schmidt (Anal. Soph. et Eur. p. 83 Anm.) gerade
diese Tautologie mit Recht als ein Argument gegen die Erklärung „omnes ine
salutant“ geltend macht. Wenn aber derselbe Gelehrte die Erklärung Schneidewin’s
zu der seinigen macht, so kann ich ihm darin nicht folgen. „At idem bis Creon
diceret, multoque illud evidentius describit Creontis, qua gloriatur, felicitatem:
si quidem tantum abesse significat, ut timeat cives (V. 583), ut eorum ipse
delectetur consuetudine, illique vicissim ipsum studio prosequantur“. Aber diese
Erklärung setzt voraus folgende oder eine ähnliche Ausdrucksweise xa^el) 77a<7C
xajzs tzolc aorra^srat. Die citierten Stellen Xen. Hier. 6, 1 und 3 beweisen
nichts, da es hier heisst iyb »yap £ uvyjv vjXixtwrais v$&o'fJi£Vog vjfjop.svot^ ip.01
und roO /Joseoc sxei'vois ofxtXstv. Das ist deutlich, aber aus vOv k&ml yy.ipo)
einen solchen Sinn zu deducieren, wie Schneidewin gethan hat, ist ein geschraubter
Erklärungsversuch.
Beitrüge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (Köni^ Oidipus). 141
Pelliccioni: „At non ex aedibus hercle, sed ab interiore tantum regia
in aulam sive atrium, ubi bospites et amiei excipiebantur. Tmo anliqune
morum simplicitati non absonum fuisset Creontem vel ex aedibus
evocari, eoque magis quod, ut recte observat Meinekius, res dam
Oedipo erat agenda“. Und sehr beachtenswerth ist das Argument:
„Porro aixaüUtv semel in tragoedia, idque convicii causa, de
blanditiis caninis usurpatum invenimus ab Euripide Androm. 628;
de viro principe ac dignitate paene regia, non satis conveniens et a
magniloquentia tragica abhorrens videtur.“
V. 599 ff.
Tito? ör;r’ iyo) xsiv’ av Idßoip.', dtpsig rdos;
oöx av yivoiro vovg xax6g xa/.ws ypovtov.
äAA’ out’ ipaarog zfjaoB rf)g yvuy.r]g scpvv,
out’ av ptsr’ ällov dpöivTog av rAacvjv nori.
Auch diese Stelle hat Heimsoeth's Kritik (S. 79) nicht ver
schont; Sophokles soll geschrieben haben
oöx av yivoiS' ovrtag 6 vovg xaxco? (ppovüv.
äAA’ ovts Xrjtrrrjf rrj ade eng dpy_fjg eyvv.
Die richtige Erklärung von V. 600 ist: „Nicht könnte ein Sinn
(voög), der schön (richtig, vernünftig) erwägt (xaAcö? vpovOiv).
schlecht (xaxo? prädicativ) werden“ •) d. h„ wenn man auf Kreon's
Verhältnis es anwendet: „mein vovg ist xaAtög ypovcäv, er erwägt
vernünftig die Vortheile, deren ich mich in meiner gegenwärtigen
Lage erfreue, und er kann desshalb nicht xanog werden, d. h. die
Schlechtigkeit, die du mir zutraust, kann mir nicht in den Sinn
kommen“. Es ist eine Erwiderung auf 582. Oh aus dieser Erklärung
„etwas herauskommt,“ mag jeder Unbefangene entscheiden; ich für
meinen Theil bin überzeugt, dass die Übereinstimmung dieses Ver
ses mit der ganzen Auseinandersetzung Kreon’s eine solche ist, dass
sie gar nichts zu wünschen übrig lässt. Und diese Erklärung ist
nicht neu; schon der Scholiast gibt sie: 6 xaA£>? tppovCbv vovg ovx.
av xaxö? yivoiro. Dass der Scholiast xaxo? in ethischem Sinne
nahm, ist aus dem Scholion zu 599 klar. In neuester Zeit hat Pel
liccioni diese Erklärung wieder aulgestellt.
1 ) xaxog bezieht sich auf den Charakter, xaXwc «jjpovwv auf die Intelligenz.
142
K v i c a I a
Die Erklärung Sehneidewin’s „Schlechtigkeit, wie du sie mir
zutraust, würde thöricht und unvernünftig sein“ (darnach wird xccxdg
vovg einerseits und ov xalöig <ppovcnv anderseits verbunden) gibt
auch einen Sinn, der dem Zusammenhänge angemessen ist, aber die
obige Erklärung ist sprachlich natürlicher und dem Gedanken nach
noch angemessener.
Was die folgenden Verse betrifft, so ist es längst anerkannt,
dass Triade tüc •yvd&p.rjs sich auf die von Oidipus dem Kreon zuge-
muthete xocx'ccc bezieht, welche unmittelbar vorher mit xccxög bezeich
net wurde, welche Oidipus ihm 582 vorwarf und die den Gegen
stand der ganzen Apologie Kreon’s bildet. Nun muss man
sich sehr wundern, wie Heimsoeth behaupten kann „rrjaos rfjg yvw-
[x-og fände überhaupt hier keine deutliche Beziehung“. rvwp7 jbe-
deutet hier „Vorhaben“ (consilium), wenn auch Heimsoeth diese be
kannte Bedeutung läugnet 1 ). Schade dass Heimsoeth sich über Vers
664 nicht ausgesprochen hat (auf welche Stelle doch Brunck und
Schneidewin hinweisen), wo cppövwc7iv sc rdvd’ co sich auf Vers
658 f. bezieht:
cU VUV incCZCl), TOCXjS' OTCC'J djvjrji?, IfZOt
£rjrtöv olsSpov rj cpvyöv ix rrjaos yü?.
Im Vers 602 ist es allerdings möglich, öpäv zu ergänzen; aber
zweckmässiger dürfte es wol sein, aus dem vorangehenden Verse
ipocarog rrjgds TYig yvchp-vg cpüvocc „hoc consilium amplecti“ zu ent
nehmen.
V. 603 ff.
xcd rcjivd' sXsyyov, roüro [xiv IluScoö' cojv
nsuSov rdc xpvaSivr’ sc acctpcög riyyscla. aoc'
rovr a)J’, iccv ps rtö rspaaxcnu) Xaßyg
xocvy tc ßovAsüaccvra, p.vj p.’ ärcly xrccvyg
iprjcpcp, öcrcly oe, rf/ r ip.y xcd ay, ’Xocß&v.
Toör’ dcll’ ist entschieden die richtige Leseart, die sich hoffent
lich auch gegen Heimsoeth’s Conjectur (S. 231 f.) ccXkatg r’ idv be
haupten wird, und zwar um so mehr, da gerade in dem Falle, wenn
Heimsoeth's Textgestaltung überliefert wäre, die Nothwendigkeit
1) Sie ist eben so bekannt, wie es bekannt ist, dass auch die Verba •yi*yvw<7Xto, (ppovo)
zuweilen „beschlossen“ bedeuten; cf. cogito faeere.
Beiträge nur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 143
einer Conjectur vorhanden wäre. Statt des regelmässigen roüro plv
— roüro dl oder statt des bei Anwendung von aAAo? zu erwartenden
Ausdruckes roüro plv — roüro d’ aAAo ist roüro plv — roür' äx'Ao
gesetzt, gerade so wie z. B. neben dem regelmässigen npüroo pIv
— ineircx. (ecra) dl auch npürov plv — snsircc sich findet, oder
Soph. Ant. 367 (welches Beispiel besonders passt) nori plv xaxöv,
äAAor’ in’ iaSXöv k'pnst, obzwar die regelmässige Construction
wäre jrorl plv — nori dl oder nori pIv — ctXXors dl oder nori
plv |V(0T£ dl.
V. 622 ff.
KP. ri öfira ypytzig; fj ps yrjg l'fco ßoäzTv;
Ol. v5xt!7T« ■ $vr]oy.eiv, ov yiryetv a£ ßoöAopat.
KP. 6Vav TrpoodErig olöv ion rö (ßSovziv.
Ol. co? oi>-£ ü7T£t|wv oddl niGrsvooiv Xlyst?
KP. od (ppovoüvra. a' zv ßlsno). Ol. tö 70OV Ipöv.
KP. äAA’ l| ttjou o£t xdpöv. Ol. dAA’ lyu? xaxoj.
KP. £t ol £uvt'r)? p.rioiv; Ol. ccpxrlov 7’ op.ojg.
KP. ourot xaxtD? 7’ äpyoWog. Ol. co 7roAt? ttöAi?.
Ungeachtet der Einwendungen, welche M. Schmidt (Zeitschrift
f. d. öst. Gymn. XV, S. 20 ff.) macht, halte auch ich die Vermuthung
Haase’s, dass die Verse 624 und 625 umgestellt werden müssen, für
richtig. Die Bemerkung Schmidt's: „Dagegen gebe ich zu erwägen,
dass u7r£t£cov demselben Kreon gar nicht zustehen würde, dagegen
im Munde des Oidipus ohne allen Anstoss ist. Denn der Gebieter for
dert von seinen Unterthanen das vnzixsiv“ ist gewiss verfehlt. Der
Herrscher fordert allerdings von seinen Unterthanen Gehorsam und
Nachgiebigkeit: aber hat denn Kreon irgendwie ein ovy önsUsiv ge
zeigt? Kreon hat den Verdacht des Oidipus als einen grundlosen hin
gestellt, er hat sich lediglich vertheidigt. Ist dies ein ovy vnüxsivl
kann Oidipus, wenn wir auch eine noch so grosse Erregtheit bei ihm
voraussetzen, dies als ovy vnsixnv bezeichnen? oder hätte Kreon,
um seinerseits ein vnetxsiv zu bethätigen, den ihm gemachten Vor
wurf eines Complotts als berechtigt anerkennen und dem König auch
hierin nicht widersprechen sollen? Zu dieser absonderlichen Annahme
wäre man gezwungen, da man bei Kreon sonst gar nichts anderes
ausfindig machen kann, was als ovy imsixetv gedeutet werden
144
K v 1 c a I a
könnte. — Und wie nehmen sieh die Worte owv ian rd tpSovefv in
Kreon’s Munde aus? Schmidt sagt zwar: „Gibt es denn einen ge
sundem und gegenwärtig natürlicheren Gedanken, als dass Kreon,
den Oidipus bezichtigt, ihm aus Neid nach Thron und Leben zu
trachten, diesem zu bedenken gibt, dass, wenn er ihn (den Kreon)
auf blossen Argwohn hin 'incognita caussa’ tödte oder verbanne, er
selbst den ersten Beweis liefere, wie mächtig der Neid in ihm wirke,
da er ihm nicht einmal den bescheidenen Antheil von Macht, nicht
einmal den Schein der Macht gönne. Und lässt sich dies klarer und
schneidender ausdrücken, als durch die Worte; <L rav, npoSsi^sig,
oföv iari t6 fSovsTv?“ Aber wo haben wir irgend einen Anhaltspunkt
dafür, dass Oidipus in seinem Benehmen von dem ySovstv sich leiten
liess, dass er dem Kreon nicht einmal einen bescheidenen Antheil
von Macht gönnte? oder wo haben wir wenigstens irgend einen An
haltspunkt dafür, dass Kreon das Benehmen des Oidipus so gedeutet
hätte oder hätte deuten können? Vergeblich sucht man für diese An
nahme etwas, was einem Grunde auch nur ähnlich sehen würde.
Kreon wusste, dass Oidipus einen furchtbaren Verdacht gegen ihn
hegte und dass er in der Überzeugung, Kreon sei ein heimtückischer
Feind, ihn bestrafen zu müssen glaubte; von einem (p-3-ovefv ist
gar keine Rede und ein solcher Vorwurf wäre nach 582, 586, 588,
590 geradezu lächerlich; denn wenn auch Oidipus seine Drohung
verwirklicht und dem Kreon den „bescheidenen“ (? cf. 582, 586,
588, 590) Antheil von Macht geraubt hätte, so hätte dieser doch nur
über die Verblendung des Oidipus, nicht aber über ein y-3-ovstv
sich beklagen können.—Endlich, um nur noch eines gegen die Con-
jecturen, die für Schmidt nothwendig geworden sind, hervorzuheben,
so ist co räv für orav unmöglich. Allerdings wird <L räv auch bei
einem Vorwurfe gebraucht: aber auch in diesem Falle hat diese
Formel einen familiären Ton (etwa wie das epische cL ttsttov), den
Kreon gegenüber dem erbosten Könige unmöglich anschlagen
konnte.
Ich hin fest überzeugt, dass der V. 625 der Überlieferung (in
welchem gar nichts zu ändern ist) nur für Kreon passt. Nachdem er
sich abgemüht hat, dem Könige die Grundlosigkeit seines Verdachtes
ausführlich zu beweisen, hört er jetzt die harten Worte der höchsten
Erbitterung fjy.tar<x • Svrjmecv, oü (frjyelv as (3o6Xop.«i, und jetzt sieht
er klar ein, dass seine Hoffnung, dem Oidipus seinen Verdacht aus-
a
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Sophokles (König Oidipus). 145
Zureden, eine ganz vergebliche war und sagt chg ovy imticojv ovdi
tugteOgiov Isysig >). 0i>% önä£<j)\i sagt er, weil Oidipus seiner Bitte,
die z. ß. V. 608 ausgesprochen ward, nicht nachgehen will, ovde
mazEvouv, weil er ihm nicht Glauben schenken will. Cf. 646 und
6S0 f.
XO. TTlSoV SsAr/GXg (ppOvrjGag t\ ava£, Xt(T<70p.«[.
Ol. Tt <70t SeXeig ofiz’ sixä-9’io;
Ebenso scheint es mir unzweifelhaft, dass V. 624 der Über
lieferung nur dem Oidipus in den Mund gelegt werden kann, frei
lich mit einer — aber unbedeutenden —• Änderung. Die Stelle ist zu
lesen:
KP. Tt Sf/Ta. j(ßfäets; -n ps‘yvg i?6> ßttJteTv ) a 622
Ol. fjMGTX • Sirf]ffXEtV, Oll (pvyiiv ge ßovlopai. 623
KP. (hg ody_ ÖTzsiigcov ovoe maTsvawv Aeystg. 625
Ol. (hg tiv kpodsiigpg oliv egti rd tpSoveIv. 624
KP. ov yäp (ppovoOvrcc g ev ß’ksKio. 626
Die Worte thg äv npodsicpg xtA. schliessen sich als eine bittere
Erwiderung an Kreon’s Worte (hg — liysig an. Oidipus sagt: „leb
sage dies Qdyoi zu ergänzen aus Asyst?) d. h. ich spreche dein
Todesurtheil aus (623), damit du (indem du die verdiente Strafe
erleidest) ein warnendes Beispiel seiest, welche Folgen rd (pSovsTv
(cf. 382 ff.) nach sieh zieht“. Statt zu sagen „damit deine Strafe
ein warnendes Beispiel sei ofov egti rd tpSovstv“ sagt Oidipus chg äv
npodeii-yg gerade so wie es Aut. 1240 ff. heisst:
xetrott os vexpdg rcept vsxpih, rä vvp.(puä
Tekn 'Acc/jhv osfAaiog siv "Aidov dopoig,
osi^xg iv ävSp(hnoiGi tyjv äßovAtav
og(ü ixiytGTOv ävdpi npoGxsLzca xaxov.
Die Wiederholung des oj? (wenn es auch in dem zweiten Verse
in einer anderen Construction vorkommt) trägt zur Bitterkeit der
Erwiderung bei. In Betreff der Verbindung (hg äv mit dem Con-
junctiv vgl. die von Ellendt (Lex. Soph. II, p. 1007) angeführten
Stellen. IIppdstxvvvxi fasse ich so auf, dass npö hiebei nicht das zeit
liche Vorher, sondern „palam“ bedeutet, wie npoccyopEVEiv nicht
1 ) Als Aussagesatz lese ich diese Worte, nicht als Fragesatz. Cf. El. 1025 o)g ovyi
avvdpacoutra vovSereig 7a&=. Trach. 1232 ouo=v wv XE70J •S’pocic.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd., I. HIV 10
146
K v i c a 1 a
bloss „Vorhersagen“, sondern auch „öffentlich verkünden“ bedeutet;
cf. Tcpädrilog, npixpoävu (z. B. Ant. 1 ISO), im Latein pronunciare,
propalam u. dgl.*).
Im V. 626 könnte Meineke's Conjectur ovx dpa fpovovvra.
<t’ so ßlsxu rathsam erscheinen; aber auch die Überlieferung lässt
sich befriedigend erklären. Das Verbum ßÄs7rw ist nicht zu urgieren 3 );
der Hauptgedanke ist ov yäp su tppovsXg (d>g ßlsnui'). Der Zusammen
hang ist: Nach Kreon’s Worten chg ovy_ unst£cov ovds tuotsOgcov Xsysig
erwidert Oidipus As“yoj raöra, (hg av Kpodsi^-pg olöv iart r6 <p$ovüv,
worauf Kreon sagt Asystj raöra, dtört ovx so ypoveXg, ojg ßlin:w.
Über Heimsoeth’s Conjectur zu dieser Stelle braucht man kein
Wort zu verlieren; denn wenn man sprachliche Unmöglichkeiten
(odös TriffTV/ffwv!) zu Hilfe nimmt, so entfällt jede Polemik als
überflüssig.
V. 633 ff.
oiAinors.
oiffrS-’ ouv « yj/p^ig ;
X0P02.
oföcc.
oiAinors.
<ppoc& ör? 1 t£ (pfig;
XOPOS.
röv dvayn tpilov p.f;7ror’ iv ahicr.
fföv d'paveX Aoyap ff’ ärtp.ov ßaAsiv.
So schreibt diese Stelle Nauck, während der Laurentianus
yu)
ivayöt darbietet, ferner Aoyov „literis yoj a. m. antiqua superscrip-
tis“ und artpLOv ixßaAsiv.
Zur Feststellung des Sinnes der Verse 636, 637, so wie auch
theilweise zur Feststellung des Textes derselben trägt nicht wenig
die verdienstliche Erörterung von M. Schmidt (Ztschr. f. d. österr.
Gymn. XV, S. 22 ff.) bei. Mit Recht betont es Schmidt, dass ixßahXv
nicht aufgeopfert werden darf. „Die Hauptfrage ist: dürfen wir
*) Gerade die irrige Auffassung von rt p 0 mag die Corruptel orav veranlasst
haben.
2 ) Cf. Trach. 714, wo auch oidcc nicht urgiert werden darf; der Hauptgedanke ist
6 *yocp ß«Xwv aTpccxTog xeci 3sdv Xeiptava £7rvjp.7?v£ (&$ oföa).
Beiträge zur Kritik und Erklärung des 8ophokles (König Oidipus). 1 4: ^
ixßaAetv gegen ßahtv aufopfern? und weil iv dpocvsX Aoytp bei
Antiphon, iv at’rta ßaAslv öfter vorkommt, construieren: aöv äpaveX
loyop iv airia ßaAsXv, d. h. klage den schuldlosen Freund nicht auf
unsichern Verdachtsgrund hin an!? Ich glaube, diese Frage muss
verneint werden; oder, wie sollte dies Verlangen des Chors den
Oidipus zu der Versicherung bringen: ‘dieses dein Verlangen ist
mein Tod’. Überdies würde der Chor in V. 656, 657 nichts anderes
gesagt haben, als in V. 652, wenn auch mit anderen Worten. Der
Chor muss vielmehr an Oidipus das Verlangen gestellt haben, er
möge Kreon, der gewiss unschuldig sei, nicht auf blossen Argwohn
hin verstossen. Denn nur so passt V. 669 od’ ovv tVw (mag er denn
laufen, mag er frei ausgehen) und V. 658 ff. Zwischen Oidipus und
Kreon liegt nach des ersteren Ansicht die Sache so, dass der eine
oder der andere Platz machen müsse. Lasse er Kreon los, so koste
es ihm die Heimat oder das Leben. Darum erschien ihm oben Kreon’s
Tod sicherer, als bloss seine Verbannung. Folglich muss ixßaXeXv
gehalten werden als die mildere Strasse, von welcher der Chor den
Kreon losbitten will“ u. s. w.
Der zweite Punkt in Schmidt’s Erörterung, den ich ebenfalls
ganz und gar billige, ist die Verbindung der Worte aitiq äpaveX
Abywv, wobei sehr passend V. 681 verglichen wird; atrta ä<pavng
entspricht der oomoig äyvüg (681) und der yvd>p.ri äorjAo? (608);
Abyuv aber, das gerade so wie 681 hinzugefugt ist, ist im Gegen
sätze von spyw zu denken. Darauf hin und zugleich unter Berück
sichtigung der Scholien schreibe ich
tov ivayf) yt'Aov p'/idinor’ atrta
a iv ätptxvsX Xöyoiv ärip. 1 ixßalsXv 1).
Was zunächst die Construction des Accusativus cum infinitivo
betrifft (die auch die Herausgeber annehmen), so theile ich Schmidt's
Befürchtung, dass dieselbe gegen die Gräcität sein dürfte und dass
es vielmehr p.r,7zor£ ov ßalsXv heissen müsste, nicht. Dieser Acc.
c. inf. hängt von dem aus yjjr^eig zu entnehmenden ypytu ah ; so
wie der Accusativ der gewünschten Sache mit ypf^etv verbunden
wird, so kann auch ein Acc. c. inf. als Stellvertreter dieses Objects
erscheinen. Vgl. Her. 1, 41 vöv cov . . . cpvlaxov rccaöög as tov ip.ov
1 ) Wenn eine genaue Responsion nöthig wäre, so könnte man schreiben <7 3 siv
ctyavei xrX.
10*
148
K v i c a I a
yeveaSai. —MgosKC-' nehme ich mit Bergk aus den Scholien
auf; diese Form kommt in beiden Erklärungen des Scholiasten (denen
auch zwei verschiedene Lesearten, ixßaAeiv und ßalelv, zu Grunde
liegen) vor, und man kann nicht sagen, dass dem Scholiasten viel
leicht p.-gdsnoTs geläufiger war als p.r l nore, da die Scholien sonst den
Gebrauch von ixr/izors durchaus nicht meiden (cf. Sehol. zu Oed.
Col. ö39). Ferner ersehen wir aus den Scholien, dass in alter Zeit
die Präposition aöv nicht im Texte war, da sonst die Verbindung von
dfccvei mit airia eine absolute Unmöglichkeit gewesen wäre. Ich
glaube, dass eben CYN eine Corruptel von GEN d. i. a’ iv ist. —
"Atip.x ix[SscXctv = drip.ojg ixßaAstv; vgl. II. v, 116 öp.eig oöxevi
xxkd [XcSiiTc SoOpioog dXxrig Od. o. 10 oöxeri y.xAd döp.tov dno rfiX
u/MAriocu Eur. Hek. S7o oöx d n öcnacnv rrj izs.pi.aa' söxapdico. Hel.
282 Svydrrjp ävctvopog noXiä KCcpSeveusrai (Krüger II, §. 46, 6,
A. ö. 6, 8). Artp.’ wurde falsch ergänzt zu äripov ixßaAeXv, wie
sich dergleichen Beispiele in den Handschriften unzähligemal finden;
Erklärer, die auf das Metrum achteten, veränderten sodann dzijj.ov
sxßaAelv in äzip.ov ßaXelv.
Das überlieferte evayr, ist ganz richtig. Die Scholien kennen
nicht neben ivayr) auch dvxyrj, wie manche annehmen. Die Bemer
kung des Scholiasten rov psgosKoze Öko tpiXojv iv d<paveX odzia. yevo-
p.£VOV, d X X d xa.Sc/.pov övza, de6peSa p.rj Xoyoiv dripzov ixßaXeXv
zwingt nicht, ja sie berechtigt nicht einmal zu der Annahme, dass
xa.Sapöv eine Erklärung von dvayfi sei. Wie das lat. piaculum, so
hat auch dyog zwei Bedeutungen, die ältere „Sühne, Sühnmittel“
und die spätere „Verbrechen, das die Sühne nothwendig macht“. An
diese zweite Bedeutung lehnt sich die gewöhnliche Bedeutung von
ivciyog „fluchbeladen“ an; aber ivayrtg konnte auch eine Bedeutung
haben, die an die erste Bedeutung von dyog sich anlehnte, wie schon
der Scholiast erkannte. An unserer Stelle nennt der Chor Kreon
passend ivayri d. i. iv dyu ovza (vgl. evopxog), weil er durch die
Verwünschung 644 f.
per) vuv ovatpe/jv, dXX' apaXog, ei ae zi
dißpa.x’, dXoip.'/iv, cov inuiTia jxs §pdv
ein piaculum (piamentum) angewandt und sich der ihm beigemesse
nen Schuld entledigt hat; ivciyf) spielt dieselbe Rolle wie iv op. co
ixdyxv V. 664.
Müller. Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
149
Beiträge zur KenntnisS der Rom-Sprache.
Von Dr. Friedrich Müller,
Professor an der Wiener Universität.
Trotz der namentlich in neuester Zeit von mehreren Seiten ge
lieferten Beiträge zur Kenntniss der Romsprache dürfte der nach
folgende, welchen ich hiemit dem linguistischen Publicum vorlege,
schon desswegen nicht unerwünscht sein, weil er grössere Original
texte umfasst und daher, abgesehen von dem Vortheile, welchen diese
den Übersetzungen gegenüber darbieten, als authentische Quelle zur
Kenntniss des Charakters dieses merkwürdigen Völkchens dienen
kann. Ich glaube vorläufig sowohl eines sachlichen als auch sprach
lichen Commentars der einzelnen Stücke umsomehr mich enthalten
zu können, als sie leicht verständlich und von einer getreuen Inter
linearversion begleitet sind und mit allem dem, was wir über dieses
Vagabundenvolk wissen, vollkommen übereinstimmen. Dagegen habe
ich die Absicht, später in einer besonderen Arbeit, welche die lin
guistische Ausbeute umfassen und manches Neue zur Erklärung
grammatischer Formen 'und etymologischer Punkte beibringen wird,
auf Einiges, welches hier bemerkt werden sollte, zurückzukommen.
Die Mittheilung der Stücke, welche die vorliegende Sammlung
umfasst (fünf Mährchen, neun und zwanzig Lieder und ein Brief),
verdanke ich meinem ehemaligen Zuhörer, Herrn L. Fialowski, einem
in sprachwissenschaftlichen Dingen gut unterrichteten und mit der
Kenntniss mehrerer lebenden Sprachen (darunter auch des Magyari
schen) ausgerüsteten jungen Manne. Derselbe, wohl wissend, dass
die Acquisition von Originaltexten der Bomsprache die Wissenschaft
der Linguistik in hohem Grade fördern würde, suchte unter den
in Wien garnisonirenden ungarischen und kroatischen Regimentern
ISO
Müller
nach Exemplaren des Zigeunervolkes und war so glücklich, darunter
mehrere zu entdecken. Jedoch nicht alle waren gleich fähig, den
Fragen meines jungen Freundes Antwort zu stehen, da einige der
selben durch lange Abwesenheit von der Heimat die Sprache verlernt
hatten, andere wieder, obschon sie der Sprache noch mächtig waren,
von Märchen und Liedern nichts wussten.
Als der intelligenteste und gebildetste dieser Männer kann Sipos
Janos bezeichnet werden, Infanterist im Regimente Ramming, von
welchem die fünf Märchen und die Lieder 15—23 herrühren. Der
selbe sammt den übrigen, bis auf Vucetic, gehört den ungarischen
Zigeunern an, während der letztere, ein Kroate, den Dialekt der
serbisch-türkischen Zigeuner spricht.
Wie man sehen wird, ist der künstlerische Werth der Producte
der zigeunerischen Muse gleich oder vielleicht noch weniger als Null;
auch können sie zu nichts weniger als zur Erbauung keuscher und
unschuldiger Seelen dienen. Sie sind eben so nackt und unverschämt
wie der Zigeuner, der sie gedichtet hat. Eine rühmliche Ausnahme
macht der am Ende stehende Brief des zigeunerischen Musikanten
Rigo an seine Gattin; man wird viel Gemüth und Zärtlichkeit darin
entdecken.
Wenn die mitgetheilten Literaturstücke des in Ungarn lebenden
Romvölkchens die Sprachwissenschaft fördern sollten (und dies
glaube ich erwarten zu können, da sie nach einer einheitlichen Ortho
graphie niedergeschrieben und durchgehends mit Accenten versehen
sind), so muss dieses Verdienst vor allem meinem Freunde L. Fia-
lowski zugeschrieben werden, der mich durch seine Bemühungen in
den Stand gesetzt hat, diesen namhaften Beitrag dem linguistischen
Publicum anbieten zu können.
Beiträge zur Kenntniss der Rum-Sprache,
151
Paramisi.
Märchen.
I.
Kaj sä, kaj näne, bästäle somniäküne de via!
Irgendwo war, irgendwo nicht war, glücklicher, goldener Gott!
kaj sä, kaj näne jekh curo rum. sä ödoleste düj
irgendwo war, irgendwo nicht war ein armer Zigeuner. Waren ihm zwei
ähävöre. hat 6 äso curo sa, höd! näne le nista. es gel’o 6
Kindlein. Und er so arm war, dass nicht war ihm Nichts. Und gegangen er
wandern, und er hinein gegangen in einen Wald, und dort eine alte Frau
sa, es phänel k- odä i phuri römni: „Mä tu gäs, tu äöre
war, und sagt zu ihm die alte Frau: „Wohin du gehst, du armer
römea?“ „„6 tu phuri römni! me cak ödja gä, käj mä
Zigeuner?“ „„0 du alte Frau! ich nur dorthin gehe, wo ich
eure öhävorenge gänau välaso te älitinen. es äzutän tä
für arme Kindlein weiss etwas zu schaffen. Und darauf, wenn
me ödja ganähi te gän, liät mä tut mindenfelekep
ich dorthin wüsste zu gehn, dann ich dir auf verschiedene Weise
segitinähi. u J „üzävr tu eure römea! odöde gä uzi odä
helfen würde.““ „Warte du armer Zigeuner! Dorthin geh zu jenem
kdsteli, hält ödoj hi jekh bär es odä mözditin, lütt
Kastell, denn dort ist ein Stein und den bewege, dann
ät'i luve äla ödoj, höd' gonenqa lägelia kliere.
soviel Geld wird sein dort, dass mit Siicken tragen wirst nach Hause.
es äzutän tu äöre römea gä änd odä kästeli es ödoj
Und dann du armer Zigeuner geh in jenes Kastell und dort
hi i räni, es le ödolatar i ängrusti es odä thö
ist die Dame und nimm von ihr den Ring und jenen leg
upro to vä es äzutän trival Irin odä, hät äkkor ät'i
auf deine Hand und dann dreimal wende ihn, so dann soviel
le
152 Müller
järo tdj märo tut ola, höit fctä
Mehl und Brot dir sein wird, dass wohin
te thifven/“
zu tliun.“
„„Hä! devla, de via! äst üpre!
„„Ha! 0 Gott, 0 Gott! Erhebe dich!
6
Sei
ne gäneha
nicht wissen wirst
mdnge dso läco
mir so gut
höd man segitin üpre mhidenekoste!““ ödoleha o vom gel'o
dass mich hilf auf Alles.““ Damit der Zigeuner ging
and i kästeli. add k- odd plienel o rdj: „te tu dso
in das Kastell. Dies zu ihm sagt der Herr: „Wenn du so
läco ovesälii ki münde, es te tu mdnge jekhc neueste
gut wärest zu mir, und wenn du mir für einen Neukreuzer
bisutrin bälen dneha, es t- odd kraj%äri päle
24 Schweine bringen wirst, und wenn jenen Kreuzer zurück
dneha, hät m- dkkor dt’i love tut dä, lwd’ vdrden^a
bringen wirst, so ich dann soviel Geld dir gebe, dass mit Wagen
legeha ki to kher“. es o röm odd kerd’a vds odd
tragen wirst zu deinem Haus“. Und der Zigeuner das that, desswegen
höd’ o bare mözditind’a. es meg dkkor odd plienel o rdj:
weil den Stein wegschaffte. Und noch dann jenes sagt der Herr:
„te tu me römnia gäneha te kuren, hät dkkor dfi
„Wenn du mein Weil) können wirst beschlafen, so dann soviel
love tut dä, höd’ hät bisustäre v6rden%a ki to kher
Geld dir ich gebe, dass fürwahr mit 24 Wagen zu deinem Hause
legavahahät o coro röm gel'o ke räti k- odd kästeli
führen wirst.“ Und der arme Zigeuner ging gegen Nacht zu jenem Kastell
es ünde pe cltta and i könha, es dzutän gel'o and
und hinein sich schlich in die Küche, und dann ging in
o temetö, üpre lija jekhe mül'e es ödole leged’a üpre
den Friedhof auf nahm einen Todten, und den trug auf der
phiko es ödole mül’e and i blököri dlitind’a es papäle pe
Achsel und den Todten in das Fensterchen stellte, und zurück sich
citta dnd i könha. ekkor o rdj pliella pe römniake :
schlich in die Küche. Da der Herr sagte seinem Weibe:
„örik rötmni! kö hi and i blöki?“ De' i räni na
„Gib Acht Frau! wer ist in dem Fenster?“ Aber die Dame nicht
kdml'a te gdn, hät o rdj äri gel'o es dzalatt o coro
wollte zu gehn und der Herr hinaus ging und unterdessen der arme
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
153
rum aride pe citt'a and i söba es phe'nel: „Arak
Zigeuner hinein sich schlich in die Stube und sagt: „Lass
mi römni te pdslovav tele, fäd’ind’om.“ es o coro
mein Weib dass ich lege mich nieder, ich friere.“ Und der arme
vom papäle phe'nel ki räni: „de man minö, te sdj
Zigeuner wieder sagt zur Frau: „Gib mir Scham, dass ich kann
kürav stk, mir fad’indomes Idee la kürd’a, es dzalatt
— schnell, denn ich friere“. Und schön sie — und unterdessen
o rdj dnde dvl'a es o röm tele citl’a pe tel
der Herr hinein kam und der Zigeuner hinunter schlich sich unter
o vödro. ekkor o rdj tele pdslel'a es odd pliönel o
das Bett. Da der Herr nieder legte sich und das sagt der
rdj: „de man mim'. “ odd phdnel leske i römni:
Herr: „Gib mir weibl. Scham.“ Das sagt ihm die Frau:
„bdssam tro vädi, dkänek man kürd’al.“ ekkor ke'thäne la
„ — deine Seele, jetzt mich hast — “Da zusammen sie
käsfa o rdj: „bengo dnde tüte, me dkänek ödari
schimpfte der Herr: „Teufel in dich, ich jetzt dort draussen
sömahi.“ de i räni phe'nel k- odd: „dkänek man kürd’al,
war.“ Aber die Frau sagt zu ihm: „Jetzt mich hast —
me nd dä tut minö. “ ekkor hat o rdj aüka la mdrd'a,
ich nicht gebe dir — “ Da fürwahr der Herr so sie prügelte
höd’ i römni na gdnel so te kören. hat dzalatt o
dass die Frau nicht weiss was zu thun. Und unterdessen der
coro röm bdrvälo ül’o, de na (jdnd’a sö te kören
arme Zigeuner reich wurde, aber nicht wusste was zu thun
loveha, hat papäle dso coro sa, höd’ dver na gdnelahi
mitdemGelde, da wieder so arm war, dass anderes nicht wusste
te göndolinen, hdnem äri trddind'a pe römnia, tdj dstard’a
zu denken, sondern hinaus trieb seine Frau und ergriff
pe chdvören es öhind’a lengeri mön. es dzutän dnde fetind’a
seine Kinder und abschnitt deren Hals. Und darnach einheizte
i peta Bs dnde len thöd’a es dzutän äri len ke'dinda.
den Ofen, und hinein sie that, und darnach hinaus sie nahm.
lesteri römni kliere gil’a ke räti es phönd’a: „mro
Seine Frau nach Hause kam gegen Nacht und sagte: „Mein
röm! kdj hile mrö chdvöre?“ „„ö mri kedvesni römni!
Mann! wo sind meine Kinder?“ „„0 meine liehe Frau!
1 54 M iil I e r
mu phuc odd, ölen Möhactom kästet te ködert.““ „o
Nicht frage das, sie schickte ich Holz zu sammeln.““ „Der
kälo beug dnde tüte, nd pät’au m- odä, söske tu
schwarze Teufel in dich, nicht glaube ich das, warum du
finde fetindäl i pet’a?“ „„6 tu mri römni gdn, hö/X dnde
einheiztest den Ofen?“ „„0 du mein Weib wisse, dass in
münde büt gitva liile 6s ödöna godu dnde thod’om
mir viele Läuse sind und jenes Hemd hinein that ich
and i pet’a.““ „nö tu röm, me odd sdj te gdnau, kdj
in den Ofen.““ „No du Mann, ich das kann wissen, wo
liile e c'havöre?“ 0 röm dver na gdnd’a diul i lioli
sind die Kinder?“ Der Mann Anderes nicht wusste in dem Zorne
sö te keren, liänem üstard’a pe römna t- odoldkeri men
zu thun, sondern ergriff sein AVeib und deren Hals
chinda es t- ödola dnde tlidd’a and i peta. „no Idee
abschnitt und auch sie hinein that in den Ofen. „Nun guter
bdstäle devla! nö mä me dkänek cak körkoro som“
glücklicher Gott! Nun schon ich jetzt nur allein bin“
phenel o röm. jefar gel’o 6 üpre je'hke foroste. hat
sagt der Zigeuner. Einmal gegangen er auf eine Stadt. Und
jefar diulo vöseste üp o kastestero töte jo jekh phüri
einmal in einem AVald auf dem Baum- gipfel eine alte
gägi beslahi, es odi pliella k- o röm: „hohö! äv
Frau sass, und jene sagte zu dem Zigeuner: „Halt! komm
odöde!“ nö o röm ödoleha ödja gel’o es pliölla k- odd
her!“ Nun der Zigeuner hiemit hin ging und sagte zu ihm
i gägi: „nö, cöre römea! üzär, le add kdstöre
die Frau: „No, armer Zigeuner! warte, nimm dieses Bischen Holz
es Uga t-odd and o foro es bikne t-odd tdj o
und trage du es in die Stadt und verkaufe du es und das
läve lega pale mdnge!“ es o ööro röm leged’a odd
Geld bringe zurück mir!“ Und der arme Zigeuner nahm jenes
kdstöre find o foro es bikind’a le ddsupänö se’lingeren^a.
Bisehen Holz in die Stadt und verkaufte es um IS Gulden.
ödoleha o döro röm üpe pe lija tdj öitüa pe e
Hiemit der arme Zigeuner auf sich griff und schlich sich mit
Beitrüge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
155
loven^a. i phüri gägi uzürlahi le pale, de
dem Gelde (davon). Die alte Frau wartete ihn zurück, aber
nikiä ne dvl'ahi o coro röm.
nirgendsher nicht kam der arme Zigeuner.
0 coro röm dzalatt dnde gel’o and e bare foreste,
Der arme Zigeuner unterdessen hinein gegangen in den grossen Wald,
dnde gel’o and i ködma. hat ödja sa dri pingälindo, höd’
hinein gegangen in das Wirthshaus. Und dort war aussen gemalt, dass
te dsavo döktori talülkozinlähi, e kiräleskeri ränia ikeren te
wenn solcher Arzt sieh fände, die königliche Dame nehmen zu
sdstiären, odd dt’i love üstidela, höd’ na gdnela kiä
heilen, er soviel Geld nehmen wird, dass nicht wissen wird, wohin
le te thdven.
es zu thun.
No Idee bdstäle ddvla! ödoleha o ööro röm odd phenel
Nun guter glücklicher Gott! Damit der arme Zigeuner das sagt
e köcmarosiste: „bichav tu te pitinteri k-odi räkli, höd'
zum Wirthe: „Schicke du deinen Diener zu jenem Mädchen, dass
me le gdnau!“ hat o pitinteri gel'o k-odi kiräle'steri räkli
ich das kann!“ Und der Diener gegangen zu jener königlichenTochter
Ss ödoj mind’är jelentind’a, höd' hat ddaj, ddaj dsavo
und dort sogleich meldete, dass fürwahr hier, hier ein solcher
mänus hi, kö e räklia gdnela te sdstiären. ödoleha lija
Mensch ist, der die Tochter wissen wird zu heilen. Damit nahm
pe o pitinteri äs pale gel’o ki po gdzda. no plieud'a
sich der Diener und zurück gegangen zu seinem Herrn. Nun sagte
o pitinteri pe gdzduste, nek bichav ödja e cöre röme.
der Diener zu seinem Herrn, lass schicke hin den armen Zigeuner.
ödoleha o coro röm gel'o ödja k-odi rdni es phend’a o
Hiemit der arme Zigeuner gegangen hin zu jener Dame und sagte zum
raklidkero dddeske: „te’ tu te räklia mdnge deha , hat
Mädchen- Vater: „Wenn du deine Tochter mir geben wirst, so
me dkkor dri sdstiärav te räklia.“ „„no sommiäküne ddvla!
ich dann aus heile deine Tochter.“ „»Nun goldener Gott!
td tu me räklia äri sastiäreha, hat dkkor me räklia
Wenn du meine Tochter aus heilen wirst, so dann meine Tochter
tüke dä äs me thema tdj bdrvalipe tüke da!““ o
dir ich gebe und mein Land und Schätze dir ich gebe!““ Der
156
Müller
coro rum mikd'nr kezdind’a Id te mäklien hat mdkhl'a la es
arme Zigeuner sogleich anfing sie zu salben und salbte sie und
i räkli lipustela. äziitüu mind'är kerdo kEzfogäsi, kerdo
das Mädchen stand auf. Dann sogleich gemacht Verlobung, gemacht
söhajeripe tdj bijav mdskar 6n.
Trauung und Hochzeit zwischen ihnen.
Sdr oii kethäne givnahi, o coro röm o trdstüno
Wie sie zusammen lebten, der arme Zigeuner die eiserne
drum bichad'a vds pro ddd. auka givlahi o röm jekh duj bersa,
Bahn schickte um seinen Vater. So lebte der Zigeuner 1 2 Jahre,
hdnem 6 ne gdnd'a so te keren, lidt kezdind’a pisut te t’inen.
aber er nicht wusste was zu machen, da fing er an Blasebalgzu kaufen.
t’ind’a pe'ske dmona, trüste, ka/apäca, silaba, Angara, sd tincta
Kaufte sich Amboss, Eisen, Hammer, Zange, Kohle, alles kaufte
t-ödoleha kezdind’a bfiti te keren. hat ödoj änenahi teste
und damit anfing Arbeit zu machen. Und dort brachten ihm
t’irhaja len te pdtkolinen■ sdr odd kellahi büti, bichad’a pe
Stiefeln sie zu beschlagen. Wie jener machte Arbeit, schickte seine
römnia klin^on^a and o foro. odd phe'nel o coro röm pe
Frau mit Nägeln in die Stadt. Das sagt der arme Zigeuner seinem
rumniake: „dm mdnge järo vds ddäna klin^i.“ hdnem a eure
Weibe: „Bringe mir Mehl für diese Nägel.“ Aber die arme
räha kethäne koste, höd’ hat tu dösta bdrväli sdl,
Dame zusammen schimpften fdie Leute), dass fürwahr du genug reich bist,
dösta i-leto lii tut. udoleha i räni kezdind’a te röven tdj
genug Lebensrnittel sind dir. Damit das Weib anfing zu weinen und
kliere gel’a es ödoj pdnaskodind’a. hdnem o röm phend’a k-
nach Hause ging und dort sieh beklagte. Aber der Mann sagte' zu
odi: „ö tu di-lini ränie! dkänek add eleto si te
ihr: „0 du dumme Frau! jetzt dieses Leben ist nöthig dass Du
sökines.“ ,, „nö Idee bästüle devla! inkäbb cliin mi
gewöhnest.“ „„Nun guter glücklicher Gott! lieber schneide meinen
men, sdr me foreste klin%on%a gd. uu vds odd o ööro
Hals ab, als dass ich in die Stadt mit Nägeln gehe.““ Des wegen der arme
röm upre pe lija Es papäle gel’o vändöni, lija po pisut
Zigeuner auf sich nahm und wieder gegangen wandern, nahm seinen ßlase-
upro po phiko t-dmohi te sfiri, Es gEl'o 6 papdle
balg auf seine Schulter und Amboss und Hammer und gegangen er wieder
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
157
rumna te tön, odd mindtCir linde gel'o jekhe gdveste, hat ödoj
Weib zu nehmen. Er sogleich hinein gegangen in das Dorf, und dort
snd büt röme. sö dikhel o röm jefar, liöd’ dn
waren viele Zigeuner. Was sieht der Zigeuner einmal, dass sie
gdruvna käsen, ekkor än dnde le ästard’c Es phüöl'e Idstar:
eine Kuh schinden. Da sie hinein ihn nahmen und fragten von ihm:
„so tu dilaj rüdes?“ ,,„ö turnen romule, me cak odd rudern, hud’
„Was du hier suchtest ?“ „„0 ihr Männer, ich nur das suche, dass
me römnia kämmt dilaj te len.““ hat dclaj jekli güvli äka-
ich ein Weib will hier nehmen.““ Und hier ein Mädchen sich
dind’a leske, Es ddöna mind’är rumna lija Es ödja su-
traf ihm, und jene sogleich zum AVeibe er nahm und dort sie
häjerde. u röm mind’är lcezdind’a büti te kören, Es bichad’a
heiratheten. Der Mann sogleich anfing Arbeit zu machen, und schickte
pe rumna vdsläbenqa and o gdv: „nu mri ködvesni
sein Weib mit Eisenfüssen in das Dorf: „Nun mein liebes
römnori, lega tu dctUna and o gdv es an tu vds ddäna
Weibchen, trage du diese in das Dorf und bringe du für diese
peleiigeri, jure, märe te Ion, kdstore.“ udoleha i römni
Erdäpfel, Mehl, Brot und Salz, Holz (etwas).“ Hiemit die Frau
gel’i and o gdv Es kliere leged'a ocld eleto pe ru-
gegangen in das Dorf und nach Hause brachte jene Lebensmittel ihrem Ge-
meste cs k-odd phenel ldkero rum, hud! nu mi römni thäv
mahl, und zu ihr sagt ihr Gemahl, dass nun mein Weib koche
mdnge säke, te pelengcrengeri zümi, lidnem bare cüsköri
mir Lebzelten, und Erdäpfelsuppe, besonders grosse Nockerln
dndi zumi. hat o rum häja te pil'a, tdj äl'e leske
in der Suppe. Und der Zigeuner ass und trank und wurden ihm
dt’i rdlclöre, hud’ na gdnd’a hin le te thoven. te ne
soviel Kinder, dass nicht wusste wohin sie zu thun. Wenn nicht
mul’e t-dkänek given.
starben noch heute leben.
Sipos Janos.
158
Müller
II.
Kaj sd kaj näne and o eftavardisueftoto
Irgendwo war, irgendwo nicht war in dein 77ten
thdm jekhe gäveste jekh gägo, Es ödole sd trin räkl’a
Lande in einem Dorfe ein Ungar, und jenem waren 3 Töchter
<j.s r sdr phirnahi räkle ki lande hat dujen lü'e
und wie gingen Burschen zu ihnen, so zwei genommen haben
es jdkha ndlil'e. oj gondölkozinlahi sdkodij so
und eine nicht genommen haben. Sie dachte jeden Tag was
te kdzdinel, tdj je’far äri gel'i pe bare jepäte es
sie anfängt, und einmal hinaus gegangen auf ihre grosse Wiese und
odoj vlräge kddelahi, käna jekh räklo dndar bare veseste
dort Blumen pflückte, als ein Bursche aus grossem Walde
äri gel'o es ödja gel'o uz odi räkli es
heraus gekommen und hin gegangen zu jenem Mädchen und
phend’a: „so tu keres tu c’öri räkli?“ ,,„6 md phuc tu
gesagt hat: „Was du machst du armes Mädchen?“ „„0 nicht frage du
odd mdndar, käna mre 6ei ja se römeste gel’e,
das von mir, jetzt meine jung. Schwestern alle zum Manne gegangen sind,
cak man niko na kämet te len.““ „nb tu cöri räkli!
nur mich Niemand nicht will zu nehmen.““ „Nun du armes Mädchen!
te hi dsi läöi oveha Es ki mände äveha, hät me
wenn du so gut sein wirst, und zu mir kommen wirst, so ich
tut lä a , phella k-odi o räklo, „dv tu ki to düd. “
dich nehme“, gesagt hat zu jener der Bursche, „geh du zu deinem Vater.“
ödoleha i räkli gel’i k-odd läkero ddd rdkle-
Hiemit das Mädchen gegangen zu jenem ihren Vater weg von dem
star. hät o räklo phiieja rakldkere dddestar „td tu
Burschen. Und der Bursche gefragt hat von des Mädchens Vater „wenn du
te räkl’a mdnge deha, ükkor me te räkl’a lä.“ no
deine Tochter mir geben wirst, dann ich deine Tochter nehme.“ Nun
hät o rakl'dkero ddd ödja la djänlind’a es minder o
da des Mädchens Vater hin sie angeboten hat und sogleich der
gägo mola dnedä Bs on pil’e. odoj phdnd’a o
Ungar Wein gebracht hat und sie getrunken haben. Dort gesagt hat der
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
159
räklo: „ekkor, ekkor mdj dvu ki tüte“ es o ruklo phirlahi
Bursche: „Dann, dann schon ich komme zu dir“ und der Bursche ging
ki räkl'ate bütvar. hat i räkli mindig gondölkozinlahi;
zu dem Mädchen oft. Und das Mädchen immer dachte:
„so hi mo ruklo vds odd, liöcf 6 mindig pdl pdsrüt
„Was ist mein Bursche desswegen, weil er immer nach Mitternacht
dvl’ahi ki dmende? u vds odd i räkli igen büsülinlalii.
gekommen war zu uns?“ Deswegen das Mädchen sehr sich betrübte.
je für i räkli üpre göndolindd, sö te leeren, o ruklo
Einmal das Mädchen auf gedacht hat, was zu thun. Der Bursche
ul'o pap ule ke räti äs gel’o pdl pdsrüt kliere.
gekommen wieder gegen Nacht und gegangen nach Mitternacht nach Hause.
i räkli üpe 11 ja po kosno äs üzard’a nek o
Das Mädchen auf genommen hat ihr Umhängtuch und gewartet hat bis der
räklo gal dur. hat dzutän i räkli lököre gel’i pdl
Bursche geht weit. Und darnach das Mädchen langsam gegangen nach
o räklo, hält so dikhel oj, lwd’ o räklo dsave bare
dem Burschen, und was sieht sie, dass der Bursche ein so grosses
vüdar üpre vdzdind’a väseste äs dnde gäl'o dnd-i phii.
Thor auf gehoben hat im Wald und hinein gegangen in die Erde.
pal odd i räkli üpre mdsind’a üpre bare Icdstesfe. so
Darnach das Mädchen auf geklettert ist auf den grossen Baum. Was
dikhel i rukli, lwd’ ddsuduj ziväna äri uven an dar i
sieht das Mädchen, dass 12 Räuber heraus kommen aus der
pliü, äs i räkli üzard’a, nek gdn■ hat dzalatt i
Erde, und das Mädchen gewartet hat, bis sie gehen. So unterdessen das
räkli tele äl'i üpar o käst es dnde gel’i and - i
Mädchen hinab gekommen vom Baume und hinein gegangen in den
pin%a. sö dililiel Öj, vödri sa, hat papäle färc
Keller. Was sieht sie, Betten waren, und wieder auf die Seite
dikhel. hat ödoj sa je'kh vüdar, odd äri Icerd'a, dnde
sie sieht, und dort war eine Thür, jene hinaus gemacht hat, hinein
gel'i, hät ödoj sa je Ich tekova, hat ödoj sna püski,
gegangen, und dort war ein Hackstock, und dort waren Gewehre,
tdj cliüria, tdj gada, papäle färe dikhel, hät ödoj
und Messer, und Kleider, wieder auf die Seite schaut sie, und dort
sna mul’e testi. hät i räkli jöfar sö sünel, höd! e
waren todte Körper. Und das Mädchen einst was hört, dass die
160
Müller
iiväna dnen jekhe ränia es i räkli tele pe ditfa
Räuber bringen eine Dame und das Mädchen hinab sich schlich
tel o kädo■ 6 iiväni odä phe'nel: „cak thoven la iipre
unter den Bottich. Der Räuber das sagt: »Nur leget sie auf den
teköva es chinen läkeri men! es dkaj iipre ldkero vd
Hackstock und schneidet ab ihren Hals! Und dort auf ihrer Hand
hi je’kh ängrusti, chinen tdj lukero vd!“ sdr chinenahi
ist ein Ring, schneidet auch ihre Hand!“ Wie schnitten
ldkero vd, hat tele üst’eno uz o kädo, hat i räkli
ihre Hand, da hinab gesprungen zu dem Bottich, und das Mädchen
pale dstard’a ldkero vd, dnde le thdd'a and o pdrno
wieder genommen hat ihre Hand, hinein sie gethan hat in das 'veisse
kösno es dnde po breköro tlidd’a. ödoj üiarcta i
Umhängtuch und in ihren Busen gethan bat. Dort hat gewartet das
räkli, höd’ e iiväna nek gdn es pdl odü dri pe citt’a
Mädchen, dass die Räuber bis gehn, und darnach hinaus sich geschlichen
es khere näst’i. kliere na vdkerda pe dddeste
hat und nach Hause gelaufen ist. Zu Hause nicht gesagt bat ihrem Vater
nista. o rdklo jefar papule äl'o ki läte, hat Ö dddeste
nichts. Der Bursche einmal wieder gekommen zu ihr, und er dem Vater
phend’a, höd! ekkor ekkor gä ki täte kezfogäsi te keren.
gesagt hat, dass dann dann ich gehe zu dir, Verlobung zu machen.
i räkli odd gdnd’a es gel’i dnde jekhe gdveste,
Das Mädchen jenes gewusst hat und gegangen in ein Dorf
kdj snd but lükeste hat ddoj mind’är jelentinda e
wo waren viel Soldaten und dort sogleich Anzeige gemacht hat dem
hddnad’iske, höd’ hat eklcor ekkor dti dt’i hikesten älitinel
Lieutenant, dass fürwahr dann dann soviel soviel Soldaten er stelle
uze dmende. ödoleha i räkli kliere gel'i es ödoj
zu uns. Hiemit das Mädchen nach Hause gegangen und dort
na vdkerda pe dddeste nista.
nicht gesagt hat ihrem Vater nichts.
Hat dndo kher, kdj i räkli beslahi, mindenfele-
Und in dem Hause, wo das Mädchen wohnte, auf verschiedene
kep iipre kesilinde upr o kezfogäsi, luit dkaj även e
Weise auf gefertigt haben auf die Verlobung, und hin kamen die
iiväna es but vendegi, hat sdr kerenahi o közfogäsi, hat jefar
Räuber und viele Gäste, und wie machten die Verlobung, da einmal
Beiträge zur Kenntnis.? der Rom-Sprache.
161
odd phe'nel o räkfo: „nd mri räkli! mi. pirani, sdske
das sagt der Bursche: „Nun mein Mädchen! meine Geliebte, warum
näjel ki Amende? es odd plienel i räkli: „6 mo
nicht gekommen bist zu uns?“ Und jenes sagt das Mädchen: „0 mein
piräno nnstik gejom ke timende, vAs odd
Geliebter es ist nicht möglich dass ich gegangen bin zu euch, deswegen
hörtjefar säfom es süno diklijom, hdd! hat
weil einst ich geschlafen habe und Traum gesehen habe, dass fürwahr
gejom jeklie veseste. hat so dikhav jefar, dkaj
gegangen bin in einen AVald, und was sehe ich einmal, irgendwo
desuduj xiväna äri nie dndar jekli hev, es me odd
12 Räuber heraus gekommen sind aus einer Höhle, und ich das
üzard’om, hdd! ddöna nek gdn, es me dzutän dnde citt’om
abgewartet habe, dass jene bis gehen, und ich darnach hinein geschlichen
man and i liev. es tümen räjäle! md göndolinen odd,
habe mich in die Höhle. Und ihr Herren! nicht denket das,
hdd’ me ddoj t - ül’omahi, mer m-odd cdk süno diklijom.
dass ich dort auch gewesen war, denn ich das nur Traum gesehen
hat jefar dnde gejom jeklie kliereste hat ddoj sna
habe. Und einmal hinein gegangen bin in ein Haus und dort war
jekh vddro, papäle gdv dnde dvre kliereste, hat ddoj diklijom,
ein Bett, wieder ich gehe in ein anderes Haus, so dort gesehen
lidd’ tekova sa. hat ddoj sd mhd’om, dnen jeklie
habe, dass Hackstock war. Und dort was gehört habe, sie bringen eine
rann, dtzalatt tele man citt’om tel o kädo. odd
Dame. Unterdessen hinab mich geschlichen habe unter den Bottich. Das
phenel o zivahi, hdd’ hat c'hinen läkeri men, mer dmenge si
sagt der Räuber, dass fürwahrschneidet ihren Hals, weil uns ist nöthig
te gdm sik. es dzalatt hdd! papäle äri gel'e
dass wir gehen schnell. Und unterdessen dass wieder hinaus gegangen
e zivünu, hat me cliitt’om man dnglal es kliere
sind die Räuber, da ich geschlichen habe mich hervor und nach
näsfom. liänem md pdt’ena m-odd, hdd’ me ddoj
Hause gelaufen bin. Aber nicht glaubet mir das, dass ich dort
sdmahi, me' cdk and o suno diklijom je'lensego. u
war, ich nur in dem Traume gesehen habe eine Erscheinung.“
dkaj äri lija and o po brek odd vd es la äri
Dort heraus genommen hat aus ihrem Busen jene Hand und sie heraus
Sitzb. ü. phil.-hist. CI. LXI. Bö. I. Hft.
11
162
Mfilier
chind’a üpr o stöJo, es dzalatt e lükeste finde gel’e
gehauen hat auf den Tisch, und unterdessen die Soldaten herein gekommen
tdj sd dstarde. pdl odd i räkli tidsväli ül'i tdj
und alle gefangen genommen haben. Hernach das Mädchen krank wurde und
mül’i. dngl-o meribe odd phend'a i räkli, höd' man
gestorben ist. Vor dem Tode das gesagt hat das Mädchen, dass mich
temetinaven, es leged'e la dncl o temetö, hat ödoj üpre
begraben lasset, und gelegt haben sie in den Friedhof, und dort auf
pi siro jekli pinkezdi ruza nilind’a. o kiräli jefar
ihrem Grabe eine Pfingstrose aufgeblüht ist. Der König einst
ödole drömeste gdlahi jekhe verdaha, t - o dikhja
auf jenem Wege ging auf einem Wagen und er gesehen
ödöni räza, hat phend'a; „gd tu verdengero, chin
hat jene Rose, da gesagt hat: „Gehe du Kutscher schneide
la tele, me nd dikhjom söha dsave sükäri ruza.“ o
sie ab, ich nicht gesehen habe nie eine so schöne Rose.“ Der
köcisi tele gßl’o, de sdr kaml’ahi la tele te chineti,
Kutscher hinab gegangen, aber wie gewollt hat sie herab zu schneiden,
hat na gdnd’a. es o kiräli tele gel’o 6
da nicht gekonnt hat. Und der König herab gegangen er (selbst)
äs tele chind’a i ruza es dnde po städik thod’a la,
und abgeschnitten hat die Rose und in seinen Hut gethan hat sie,
minel buter dikhlahi o kiräli, dnnäl sükäreder ül’a. o
je mehr betrachtete der König, desto schöner geworden ist. Der
kiräli kliere gel'o, tdj thud’a po städik üpr o
König nach Hause. gegangen, und gethan hat seinen Hut auf den
klin^o. sdr tele pdslelo, hat ke räti dnen teste
Nagel. Wie nieder sich gelegt, da gegen Nacht bringen ihm
habe, hat ödoj sd ndstih häja, hdnem odd mükja
Speise. Da dort Alles nicht essen konnte, sondern jenes gelassen hat
üp o stölo. ekkor o kiräli tele pdslelo, hat i räza
auf dem Tische. Als der König nieder sich gelegt, da die Rose
find i rät räkVaha vätozind’a. ödoj i
in der Nacht (in ein) Mädchen sich verwandelt hat. Dort das
räkli besl’i ilzo stölo es odd habe häl’a.
Mädchen sich gesetzt zu dem Tische und jene Speise gegessen hat.
es o kirälistero pitinteri sä le'sinlahi. rät’aha wpusteno
Und der königliche Bediente Alles belauschte. Morgens aufgestanden
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache. '
163
o kiräli, hat i rüza dsi sukär sa, höd' na g&nlahi
der König, da die Rose so schön war, dass nicht konnte
diista te bämülinen la, vds odd liöd’ na thod’a dse sukära
genug zu angaffen sie, deswegen dass nicht gethan hat so schöne
and o studik■ o pitinteri mindig dsavlahi, hat o kiräli
auf den Hut. Der Bediente immer gelacht hat, da der König
phvlla: „sö tu dsas?“ „„(! mro kirälea! vds odd man
gesagt hat: „Was du lachest?“ „„0 mein König! deswegen ich
dsav, höd’ i rüza rätiaha sukär eder ül'i, sdr sna
lache, weil die Rose Morgens schöner geworden, als war
ic!““ „phen man, tö tu dsas?“ papäle phücl’a o
gestern!““ „Sage mir, was du lachst?“ wieder gefragt hat der
kiräli. „„me vds odd dsav, höd’ me gdnau, söske hili
König. „„Ich deswegen lache, weil ich weiss, warum ist
sukär eder i rüza.““ „te t - odd ganesähi, es mdnge
schöner die Rose.““ „Wenn du das wüsstest, und mir
phe'nesähi, hat m-dkkor tüke dfi djändeko ddlii höd’
sagen würdest, so ich dann dir so viel Geschenk geben würde, dass
dösto ülalii üpr o dgesno tro eleto. de te tu
genug sein würde auf das ganze dein Leben. Aber wenn du
mdnge nd pheneha, hat m-dkkor tut upro äkasti-
mir nicht sagen wirst, so ich dann dich aufhängen lasse!“
navav!“ „„no hat, mo kirälea, sö tu mdnge delia?““
„„Nun dann, mein König, was du mir geben wirst?““
„mo pHinterea! te tu odd mdnge plidneha, hält me tut
„Mein Bedienter! wenn du das mir sagen wirst, so ich dir
dkkor d(i djändeko da, höd’ meg te te dliavordskere
dann so viel Geschenk gebe, dass noch auch deiner Kinder
chdvöre dnde Idna/“ „„hat gdnes tu mo räja! sdr
Kinder davon nehmen werden!“ „„Nun weisst du mein Herr! wie
tu ic to habe mükjal üpr o stölo, hat i
du gestern deine Speise gelassen hast auf dem Tisch, da die
pinkezdi rüza tele sdlind’a to stddikestar es odi
Pfingstrose herab sich gelassen hat von deinem Hute und sie
vdtozind’a räkl’aha. pdl odd odi papdle vdto-
sich verwandelt hat in ein Mädchen. Darnach dieses wieder sich ver-
zind’a rüzaha.““ no ekkor o kiräli ki räti dnde
wandelt hat in eine Rose.““ Nun da der König gegen Nacht hinein
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164
M ü 1 t e r
legevcufa o habe es ne hdl'a dndal le nistet,
bringen lassen hat die Speise und nicht gegessen hat von ihr nichts,
cak tele pdslelo and o vodro. sdr d pdslolaln hat
nur nieder sich gelegt hat in das Bett. Wie er lag da
su dikhel, i pinkezdi niza räkl’aha vutozind’a es
was sieht er die Pfingstrose in ein Mädchen sich verwandelt hat und
tile sdlincfa es ödja gel’i Az o stdlo es
nieder sich gelassen hat und dort gegangen zu dem Tisch und
udoj kezdind’a o habe te hdn. dzalatt o rdj tele
dort angefangen hat die Speise zu essen. Unterdessen der Herr herab
gpl’o dndar o vüdro es odd phenel a räkVake: „nu tu
gegangen vom Bett und das er sagt dem Mädchen: „Nun du
sükär räkli! so tu ddaj keres?“ „„niro kedvesno räja!
schönes Mädchen! was du hier machst?“ „„Mein lieber Herr!
me cak odd habe hdv, mer bökhäli som. me cak dkänek
ich nur jene Speise esse, weil hungrig bin. Ich nur jetzt
säj te hdv, mdr diveha rüza som, hdnem te tu man
kann zu essen, weil bei Tag Rose bin, aber wenn du mich
chinelia jeklie suze pärne kdsneha te bälogne vdsteha,
pflücken wirst mit einem reinen weissen Tuch mit deiner linken Hand,
dkkor me suha pale na vgtozinä ruzaha, lidnem
dann ich nie zurück nicht verwandle mich in eine Rose, sondern
räkli acav! u “ no ödoleha o kirali kerd’a odd, sdr i
Mädchen bleibe!““ Nun hiemit der König that jenes, wiedas
räkli le siklard’a, es i räklia phucl’a: „?iö m.i
Mädchen ihn unterwiesen hat, und das Mädchen erfragte: „Nun meine
sükär gölubica, nd Icamesähi tu mi kddvesni rmnni t-
schöne Taube, nicht wolltest du mein geliebtes Weib zu
ffvel?“ „„so tu ddaj phenes lade hi, lidnem te tu
werden?“ „„Was du hier sprichst schön ist, aber wenn du
man nd kestetinelia and i khdngeri te gdn, hat dkkor
mich nicht zwingen wirst in die Kirche zu gehen, so dann
me te r omni aha de au!““ odd o kiräli fogadind’a, min-
ich dein Weib sein werde!““ Das der König gelobt hat, so-
dar kerdo kezfogäsi t- o bijav t- o sohajeribe.
gleich gemacht Verlobung und die Hochzeit und die Trauung.
sdr givnahi, givnahi lade, hat te dhdvöre sne len. o
Wie lebten, lebten schön, und auch gKinder waren ihnen. Der
Beiträge zur Kenntuiss der Rom-Sprache.
165
kiräli so dikhel, höd’ o büter kirül’a sd pümära römni-
König als sieht, dass die übrigen Könige alle mit ihrem Weibe
aha (jdnahi and i kliangeri es cdk md körköro gä, me
gingen in die Kirche und nur ich selbst gehe, ich
nästik te gdv and i kliangeri me römniahajdfar
nicht kann dass ich gehe in die Kirche mit meinem Weibe?““ Einmal
pe römniake odd phdnel o kiräli: „sdr h- odd mi kdmli
seinem Weibe das sagt der König: „Wie ist das mein geliebtes
römni, dlcänek o büter kiräl'a pümära romnialia plüren
Weib, jetzt die andern Könige mit ihrem Weibe gehen
and i kliangeri, cdk me körköro som? dkänek me nästik
in die Kirche, nur ich selbst bin? jetzt ich nicht kann
gdv and i kliangeri me sükära römniaha?“ ,,„mo
gehn in die Kirche mit meinem schönen Weibe?“ „„Mein
römöre! aüka m-odd tüke na phdnd’om, höd’ tu man
Männchen! so ich jenes dir nicht gesagt habe, dass du mich
na kdstetin, höd’ me an i kliangeri te gdv? lidnem dkänek
nicht zwinge, dass ich in die Kirche dass gehe? Aber jetzt
sdr tu kämes, me gdv, tüke del te mdnge ola
wie du willst, ich gehe, (der) dir Gott ist auch mir sein wird
del! dkänek mä gäi
Gott! Jetzt schon gehe ich!““ IN
dil’i es geVi, an i
zogen sich und gegangen in die
liät ödoj sne ddsüdüj ziväna.
da dort waren 12 Räuber.
kliangeri dösta, hät jdfar cak
Kirche genug, da einmal nur
k- odi vdkerd’a: „tu cöri
zu ihr gesprochen hat: „Du armes
ö üpr o kiirko üpre pür-
in am Sonntag schön ange-
khüngeri. sdr dnde gel i,
Kirche. Wie hinein gegangen
sdr öj mölinlalii du i
M r ie sie gebetet halte in der
äri gil’i. e'kkor o ziväni
hinaus gegangen. Da der Räuber
räkli! t- odd pliend’al, höd’
Mädchen! du jenes gesagt hast, dass
tu münde näjel? td tu näl’al ki mdncle, dkänek
du zu mir nicht gegangen? Wenn du nicht gegangen bist zu mir, jetzt
dösta mölinesahi, dkänek mä si te mdres!“ ödolelia o
genug betetest, jetzt schon nothwendig ist dass sterbest!“ Hicmit der
ziväüi cliind’a läkeri men es oj mul’i. te ne mal i,
Räuber geschnitten hat ihren Hals und sie gestorben. Wenn nicht ge-
t-dkänek givel.
storben, noch heute lebt.
Sipos Janos.
166
Müller
III.
0 ölasko röm.
Der wallachische Zigeuner.
iSnd je'far jekh ölasko röm, hat ödole ölasko
War einmal ein waliaehiseher Zigeuner, und jenem wallacliischen
röme snd düj chdja tdj jekh chdvöro. no hat ödöno
Zigeuner waren zwei Töchter und ein Söhnehen. Nun und jener
ölasko röm dsavo bdrvälo sa, höd’ snd le desupänc
wallachische Zigeuner so reich war, dass waren ihm t5
grdsta. no Idee hi, bdstüle de via! hat k- odd ölasko
Pferde. Nun gut ist, glücklicher Gott! Und zu jenem wallacliischen
römeske pliirnahi pröstike ungrike räkle. hat dnde kdml’a
Zigeuner gingen bäuerische ungarische Burschen. Und hinein liebte
jekh rdklo and i jekh römäni dhdj. üpe phücja
ein Bursche in das eine zigeunerische Mädchen. Auf gefragt hat
odd prostiko rdklo römäne chäjeskere dddestar höd’:
jener bäuerische Bursche vom Zigeuner- Tochter- Vater dass:
„te tu mdnge deha te räkja, me la Id. “ ,,„ö tu
„Wenn du mir geben wirst deine Tochter ich sie nehme.“ „„0 du
gäga! sdr me me chdja tdke te da, käna tu prosto sal,
Ungar! wie ich meine Tochter dir dass gebe, wenn du Bauer bist,
es mri tdj me papule röma snamodd plienel o
und meine und ich wieder Zigeuner wir sind!““ Das sagt der
prosto: „md tu ödolelia md göndolin, te me gdgo som,
Bauer: „Schon du damit nicht dich kümmere, dass ich Bauer bin,
me vds odd te räkja Id! “ no Idee lii, hat o röm
ich deswegen deine Tochter nehme!“ Nun gut ist, da der Zigeuner
öd ja djänlinda pe räkja ödole pröstike rdkleste. niind’är
dort angeboten hat seine Tochter jenem bäuerischen Burschen. Sogleich
kerdo kczfogäsi es ödoj söhäjerde■ hat ödoj sdr givnahi,
gemacht Verlobung und dort sie getraut wurden. Und dort wie lebten.
hat jefar i ölaski römni rust’i kliere geV-i,
da einmal die wallachische Zigeunerin ergrimmt nach Hause gegangen,
vds odd höd’ näne bäro kär pe röme. o coro
deswegen weil nicht war grosses männliches Glied ihrem Manne. Der arme
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
167
gägo, sdr ä/o kliere, hat üver na gdnd’a te ke'ren,
Bauer, wie gegangen nach Hause, so Anderes nicht gewusst hat zu thun,
hdnem gel'o t- odd vdndöhi. dindo gel’o jekhe föreste,
sondern gegangen auch er wandern. Hinein gegangen in ein Dorf,
hat udoj dnde gel’o and e jdklie khereste. ödoj phenel
und dort hinein gegangen in das eine Haus. Dort sagt
o gägo: „tu mri gägi de man sdlläsi!“ odd phenel'
der Ungar: „Du mein Weib gib mir Untersland!“ Jenes sagt
i cöri gägi: „ö sdr me tut si te dä sdlläsi, kämt
die arme Frau: „0 wie ich dir kann dass ich gebe Unterstand, da
me dsi cöri som, holt näne man ni phüs nista.“
ich solche arme bin, dass nicht ist mir nicht Stroh Nichts.“
odd phenel o gägo: „md göndolin tu t- ödoleha, hod!
Jenes sagt der Ungar: „Nicht kümmere dich du auch mit jenem, dass
tut näne nista, nästik me tele pdslovä t- üpre i ndngi
dir nicht ist Nichts, nicht kann ich nieder liege auch auf die nackte
phd?“ ödoleha o coro gägo pdslelo üpr i ndngi
Erde?“ Mit dem der arme Zigeuner sich nieder gelegt hat auf die nackte
phd. hat ödola phura gäga näne la röm. vds odd, ho cf
Erde. Und jener alten Frau nicht war ihr Gatte. Deswegen, weil
o coro gägo üpr i ndngi pliä fdcfincta, hät dzedatt,
der arme Ungar auf der nackten Erde gefroren hat, da unterdessen,
höcf i gägi sdt’i, dnde pe citt'a uz ocli gägi,
dass die Frau geschlafen hat, hinein sich schlich zu jener Frau,
vds odd, höcf tdl i gagdkeri pernlri täto sa. hdnem i
deswegen, weil unter der Frau Federdecke warm war. Aber die
gägi üpusfeni ocld phenel k- odd gägeske: „sö tu ddaj
Frau aufgewacht jenes sagt zu dem Ungar: „Was du hier
röcles?“ „„ö mri gägi! me tut te küren kämu no
suchest?“ „„0 meine Frau! ich dich zu bcsehlafen will!““ Nun
läce hi, hät odd phenel i döri gägi: „kdj hi to kär?“
schön ist, da jenes sagt die arme Frau: „Wo ist dein Glied?“
„„ö mri güngali gägi mä dngl trin be'rsa tele le ddndercfa,
„„0 meine hässliche Frau schon vor 3 Jahren herunter cs gebissen hat,
es vds odd näne man kär.““ ocld phenel i gägi: „d mro
und deswegen nicht ist mir Glied.““ Jenes sagt die Frau: „0 mein
güngale römea, mdj me dä tut dso djändeko, höcf te tu
hässlicher Mann, bald ich gebe dir ein solches Geschenk, dass wenn du
1(58
Müller
odd tipro to vü thövehu, bäro tut dvla kiir.“ no Idee
es auf deine Hand thun wirst, grosses dir sein wird Glied.“ Nun schon
hi, büstäle, somnidküne divla! ödja dina i gägi e eure
ist, glücklicher, goldener Gott! Dort hingegehen hat die Frau dem armen
römeste jekha dngrusta; ddolelia o coro rom odd üpro
Zigeuner einen King; damit der arme Zigeuner jenen auf
po vd thoöta Cs odd cak je'f'ar te’/cerindd, hat dso kur
seine Hand gethan hat und ihn nur einmal gedreht hat, da solches Glied
le äl’o, hod’ na gdnahi and i holav te ikeren le, Cs o
ihm geworden, dass nicht konnte in den Hosen zu halten es, und der
gugo pal odd tele pdslelo a g dg aha. e'kkor i gägi phe'nel
Bauer darnach nieder gelegt hat sich mit der Frau. Da die Frau sagt
k- odd gdgo, m- dkänek ände tüte dnde kümVom. hat o röm
zu jenem Bauer, ich jetzt in dich hinein geliebt habe. Und der Mann
e'kkor öak üpre phe'nel: „te tu man kämes me tut Id.“ ddoj
da nur auf spricht: „Wenn du mich liebst, ich dich nehme.“ Dort
m'tndar kerdo kCzfogäsi, du ddoj söhäjerde, hdneni o gdgo
sogleich gemacht Verlobung, sie dort getraut wurden, aber der Bauer
na kdmVa mindig t- äcel kliere, hat odd phenel o gdgo
nicht wollte immer zu bleiben zu Hause, da jenes sagt der Bauer
a gdgake: „me gä dnd o vCs te vddüsinenveseste tele
der Bäuerin: „Ich gehe in den Wald zu jagen.“ Im Walde nieder
pdslelo o coro röm tel o bäro käst Cs ddoj ke'z-
sich gelegt hat der arme Zigeuner unter einen grossen Baum und dort ange-
dind’a te sdven. lidt ddoj je'kh rdj hintöveha gdlahi Cs o
fangen hat zu schlafen. Und dort ein Herr mit der Kutsche kam und dem
edre röme üpro lestero vd sd i dngrusti. o coro rom ddoj
armen Zigeuner auf seiner Hand war der Ring. Der arme Zigeuner dort
igen igen sät’o. o rdj tele gCl’o sd dikliel tel o
sehr sehr geschlafen. Der Herr nieder gestiegen was sieht unter dem
bäro hast kd pdslol, kds dsavi sükCrr dngrusti si. o rdj
grossen Baume einer liegt, dem ein solcher schöner Ring ist. Der Herr
tele Uja i dngrusti e cöre romestero vdstar Cs üpr
herab genommen hat den Ring von des armen Zigeuners Hand und auf
o lestero thod’a. hat ddoj sdr tekerinlahi, dsavo bäro kdr
die seinige gethan hat. Und dort wie drehte ein solches grosses Glied
le ül’ahi, lidd’ o ve'rdo pherdo ul’o Cs hod! mCg üpar o
ihm geworden war, dass der Wagen voll wurde und dass noch über dem
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
169
vdrdo tele loginlahi upr i phü es o rüv pälal o vdrdo
Wagen herab hing auf die Erde und der Wolf nach dem Wagen
näst'o lestero pds ddnderda tele tdj häl'a tdj dsavo
gelaufen dessen Hälfte gebissen hat herunter, und gegessen hat und also
chdlo ul o ödolehu, höd! na gdned’a te näsen düreder.
satt geworden mit dem, dass nicht gekonnt hat zu laufen weiter.
0 coro rdj khere gel'o es tele sälindu üpar
Der arme Herr nach Hause gegangen und nieder gestiegen ist von
o vdrdo es po kur aüka 2,idelahi pdl peste sdr o selo.
dem Wagen und sein Glied so zog nach sich wie einen Strick.
hat i lesteri rönini mindär deräni phenel: „kdj tu lijal
Und die seinige Gattin sogleich erschrocken sagt: „Wo du genommen hast
to bäro kär, me le dirinä/“ „„ö mri kämli römni, me na
dein grosses Glied, ich es fürchte!“ „„0 meine geliebte Gattin, ich nicht
gdinä sdr h- odd!““ ke räti mä i räni na äcili khere, mir
tveiss, wie ist dieses!““ Abends schon die Dame nicht geblieben zu Hause, weil
odi deräni pe romestero kär. rät’aha i räni khere
sie gefürchtet ihres Mannes Glied. Morgens die Dame nach Hause
gel’i po röm meg süt’a es i angrusti sna upr o
gegangen ihr Gatte noch geschlafen hat und der Ring war auf dem
stulo, hat i ängrusti t- i räni tod’a upre po vd es Id
Tische, da den Ring auch die Dame getlian hat auf ihre Hand und ihn
tekerinlahi. hät t- udoli dsi bari mini äl’ahi sdr o
drehte, da auch ihr solche grosse Scham geworden war wie das
bäro sdpüno mfo. hat sa dugene nasväle ül’e, höd’ hat
grosse Laugen-Schaff. Und alle zwei zusammen krank wurden, dass —
na gdnenahi upre to ästen dndar o vddro. dzalatt o edro
nicht konnten auf zu stehen aus dem Bette. Unterdessen der arme
röm veseste üpusteno ödja gil'o k- odd kdsteli, hät ö
Zigeuner in dem Walde erwacht hin gegangen zu jenem Kastell, da er
cak zörale Icpind’a upr i phü. hät o mänuse phenenahi:
nur stark aufgetreten ist auf der Erde. Und die Menschen sagten:
„tu ärmandino röm! gd lököre, vas odd, höd! ddaj ndsväle
„Du verfluchter Zigeuner! Gehe langsam, deswegen, weil hier Kranke
hile!“ „„ki> h- ddaj ndsvälophuila o röm e
sind!“ „„Wer ist hier krank?““ gefragt hat der Zigeuner von den
mänusendar. hat o pitinteri odd phenel, hödf mro rdj hi
Menschen. Und der Bediente jenes sagt, dass mein Herr ist
m
170
M ü I 1 e r
ndsvälo, tüj mi räni. o cöro röm mindar odä plienel e
krank, auch meine Frau. Der arme Zigeuner sogleich jenes sagt dem
pitintereske: „m-odä gdnau te sdstären Mn!“ no odä pitinteri
Bedienten: „Ich jenes kann zu heilen sie!“ Nun jener Bediente
lösand’a, mindar ndst'a üpr o kasteldskero klidr es phdnd’a
gelacht hat, sogleich gelaufen ist auf des Kastells Zimmer und gesagt hat
pe räjeste: „räja! ddaj dsavo münus hi, ko tut gdnela
seinem Herrn: „Herr! hier solcher Mensch ist, welcher dich können wird
te sdstären!“ es minder e eure röme iipre äklijard’e. o
zu heilen!“ und sogleich den armen Zigeuner herauf gerufen haben. Der
röm odd phenel: „so tu radvnge deha, te me tut sdsfcl-
Zigeuner jenes sagt: „Was du mir geben wirst, wenn ich dich heilen
rava? hdnem mdnge diver na kam pe, sär odi dngrusti s
werde? Aber mir Anderes nicht nöthig ist, als jener Ring welcher
üpro to vd!“ Idee mitid’är ödja djänlind’a o rdj i dngrusti.
auf deiner Hand!“ Schön sogleich hin anbot der Herr den Ring.
nö o coro röm mindar Id gdruda es kezdindJa e
Nun der arme Zigeuner sogleich ihn eingesteckt bat und angefangen bat den
räja te mäkhen, es sär mdkhl'ahi, hat Mstero kär ldköre
Herrn zu salben, und wie salbte, so dessen Glied langsam
tele röhadincta, es o rdj nem sökära üpust’eno. o rdj
abgefauit ist, und der Herr nicht lange darauf aufgestanden. Der Herr
sästo ül'o es dizutän o röm a rdnia kdzdind’a te mäkhen.
gesund wurde und darnach der Zigeuner die Dame begonnen hat zu salben.
odoldkeri tdlüno per mdkhl'ahi Bs mindar t-odi sästil’i.
Ihren unteren Bauch salbte und sogleich auch jene gesund wurde
no Idee hi bdstäle somnidküne devla! o cöro röm sdve dujen
Nun schön ist, glücklicher goldener Gott! Der arme Zigeuner alle zwei
sdsfärd'a es o rdj le’ske djänlind’a i dngrusti es mBg
geheilt hat, und der Herr ihm angeboten hat den Ring und noch
Insu stare verdenke/ rakavatinad’a Ithe: „mro röm! in- add
mit 24 Wagen lies auffassen Geld: „Mein Zigeuner! ich dieses
djändeko tüke djänlinä!“ o cöro röm lösand’a ödoj böte
Geschenk dir anbiete!“ Der arme Zigeuner gelacht hat dort zu den vielen
lovenge. „No pdrikerav tut mro somnidküno devla! dkänek man
Geldern. „Nun danke ich dir mein goldener Gott! jetzt mir
but love hi, hdnem ndne man nista, kdj ddala love gdnä te
viel Geld ist, aber nicht ist mir Nichts, wo dieses Geld ich kann zu
Beitrüge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
171
thoven!“ o döro rum dver na gdned’a te göndolinen,
tlnin!“ Der arme Zigeuner Anderes niclii gewusst hat zu denken,
hdnem Ö uri len dina and i drenda. jekhe rüjeste
sondern er hinaus sie gegeben hat in den Paeiit. Einem Herrn
len dina: „tiö tu raja! tu upr ddäna love görulolato man
sie gegeben hat: „Nun du Herr! du auf dieses Geld Sorge mir
viselin!“ o rdm dak dt’i Idve peske lija, höd’so leske
trage!“ Der Zigeuner nur so viel Geld sich genommen hat, als was ihm
ddsta ul’ a-
genug geworden ist.
0 coro rdm gel o dnde jekhe bare fdreste. hat ödoj
Der arme Zigeuner gegangen in eine grosse Stadt. Und dort
odd phudl'ahi, höd’ kö biknela pe römnia. hat jekh igen
er gefragt hat, dass wer wird verkaufen sein Weih. Und ein sehr
coro gdgo odd phenel ödole römeste: „so tu man deha?“
armer Bauer jenes sagt jenem Zigeuner: „AVas du mir geben wirst?“
„„so tu mänges mdndar?““ phuöl'a o röm, „nö te tu
„„Was du verlangst von mir?““ gefragt hat der Zigeuner, „Nun wenn du
mdnge vds mi cöri gagi pdt’ineha desupänd ezeri, me la da!“
mir für mein armes Weib zahlen wirst 15,000, ich sie gebe!“
„„nö tu döro prdstoje! mdnge ti römni tetsind’a, vds odd me
„„Nun du armer Bauer! mir dein Weib gefallen hat, deswegen ich
töke ddala desupänd ezeri da!““ o röm mind’ärpdt’ind’a e
dir jene 15,000 gebe!““ Der Zigeuner sogleich zahlte dem
döre prdsteske e love es d minder kdthäne diimidindä ödola
armen Bauer das Geld und - er sogleich zusammen geküsst hat jene
prostika gägga: „no dkänek me mä trö som, tu pale mri
bäuerische Frau: „Nun jetzt ich schon dein bin, du hingegen meine
sal. hdnem me dkänek tut äugle tro röm lade kürä, es
bist. Aber ich jetzt dich vor deinem Gatten schön beschlafe, und
dzutän gdsaha dmange te vündölinen.“ sür gdnahi sdr tjunahi
hernach werden gehen uns zu wandern.“ Wie gingen wie gingen
sdgik gdnahi, hat dven jekhe bare pustüte, hat ödoj sdjekh
bis dahin gingen, da kamen zu einer grossen Pusta, und dort war eine
gänhöva. hat ödoj odd phenel o döro röm: „ö mri römnöri!
Hütte. Und dort jenes sagt der arme Zigeuner: „0 mein Weibchen!
amen ddaj sdj bdsaha!“ dnde gdl'o odd röm and odi
Wir hier kann wohnen werden!“ Hinein gegangen jener Zigeuner in jene
172
M ii Iler
günhova, hat phe'rdi sna järeha. „mri römni, dv dnde and
Hütte, da volle war mit Mehl. „Meine Gattin, komm herein in
adi gimhöoa!“
diese Hütte!“
dnde gel’i i cöri romni and adi güühöva: „6 mro
Hinein gegangen die arme Frau in diese Hütte: „0 mein
vom! ddäleste amen sdj lösänas!“ phe'nel 6j. o vom ödoj
Mann! Darüber wir können lachen!“ sagt sie. Der Zigeuner dort
ndnd’är äri kddind’a gönenra o järo. hat ödoj o röm
sogleich hinaus gefasst hat mit Säcken das Mehl. Und dort der Zigeuner
tele kerd’a po pisiit, tdj vigna es ödoj kezdind’a
nieder gemacht hat seinen Blasebalg, und Esse und dort angefangen hat
büti te keren. hat odd cöro röm sdr kerlahi büti
Arbeit zu machen. Dann jener arme Zigeuner wie gemacht hatte Arbeit
hat kerd’a ezeri klingt Bs gBl'o üpr e bare föreste, ödoj
da hat gemacht 1000 Nägel und gegangen in die grosse Stadt, dort
biknelalu pe klin^i, hat ödoj bikind’a cak pilnc sei. ödoleha
verkaufte seine Nägel, und dort verkauft hat nur aOO. Mit dem
o coro röm khere gcl’o.
der arme Zigeuner nach Hause gegangen.
0 röm dso cöro ul'o, vds odd höd’ na gdnd’a
Der Zigeuner so arm geworden, des« egen dass nicht gewusst hat
pe god’aha te tjiven. acer na gdnd’a te göndolinen,
mit seinem Verstände zu leben. Anderes nicht gewusst hat zu denken,
susteriha ul’o; ödoj 6 kezdind’a te stven. hat ödoj sfd’a
ein Schuster wurde; dort er angefangen Ifat zu nähen. Und dort genäht hat
0 jekhe pdpuca. lestero ddd ödja gBl'o kethäne le kdsta,
er einen Pantoffel. Sein Vater hin gegangen zusammen ihn geschimpft
vds odd, höd' söske tu ul'al sdsteriha? hdnem d
hat. desswegen, dass warum du geworden hist Schuster? Aber er
cdk pe ddide sBreste cälad’a. hat d mül’a, hdnem sdr
nur seinen Vater am Kopf geschlagen hat. Und er gestorben ist, aber wie
d mul a, hat phenel kö po chavo: „sdgezin man adäna köpäl
er gestorben ist, da er sagt zu seinem Sohne: „Nagle mir diesen Stock
säveha tu man sßreste cdlad'al, uze mi sira!“ o röm
mit dem du mich am Kopf geschlagen hast, zu meinem Grab!“ Der Zigeuner
tdmetmavada pe ddde, tdj odd köpäl Idged’a uz i sira
begraben lassen hat seinen Vater, und jenen Stock getragen hat zu dem Grab
Beiträge zur Kennfniss der Rom-Sprache.
173
Es tele dsind’a. hat odi ko pal kezdinda te viragzneu. odd
und hinab gegraben bat. Und jener Stock angefangen hat zu blühen. Jener
dhavo üpre pe cdngöri phiravlahi bisustär bersa es ändrtr o
Sohn auf seinen Knieen herum ging 24 Jahre, und aus dem
pdtako pani ände po muj dnclahi upar odi kipäl. es odi
Bache Wasser in seinem Munde trug auf jenen Stock. Und jener
kdpäl sdko keräti mlinlahi es mindig jekli pirdsni phäba ter-
Stock jeden Abend erblüht war und immer ein rother Apfel wuchs
minlahi sdko kdräti üpr odi kdpäl. hat odd öliavo so sEreste
jeden Abend auf jenem Stocke. Und jener Sohn der am Kopf
cdlad’a pe ddide sdgik leged’a o pani dnde po
geschlagen bat seinen Vater bis dann getragen hat das Wasser in seinem
muj, meg lidd’ o lestero pro phdd’ilo. Es odd käst
Munde, bis dass der seinige Fuss gebrochen ist. Und jener Baum
mindaddig hilind’a, lidd’ sdkodi ugo pherdo uVo, aüka sükäre
bis dann erblüht ist, dass jeder Ast voller geworden ist, so schöne
n- ' ül'e iiikaj.
nicht wurden nirgends.
Hat jefar o cdsäri odd. drömeste gdlahi, luit odd phdnel d
Und einmal der Kaiser auf jener Strasse ging, da das sagt er
and o kbrküro: „mro devlöro! me md> bat dikhjom, Es meg
in sieh: „Mein Gott! ich schon viel gesehen habe, und noch
dsave sdlcär phabi nd dikhjom sbha, sdr ddäna. hdnem dkänek
solche schöne Aepfel nicht gesehen habe nie, wie diese. Aber jetzt
tele sdkajthiü je'kha.“ sdr o ödsäri tele kdmlalii te sdkajtinen,
herab pflücke ich einen.“ Wie der Kaiser herab gewollt hat zu pflücken,
sdr phäba kdmlalii te dst&ren: „hoho!“ phdnel o röm,
wie den Apfel gewollt hat zu ergreifen: „Halt!“ sagte der Zigeuner,
md dstar t- aüka, hdnem cdlav odd käst, luit dkkor sd
nicht ergreife du so, sondern schüttle diesen Baum, und dann Alle
gdlambonqa vatozinen!“ sdr cdlad’a o cdsäri o käst,
in Tauben sich verwandeln!“ Wie geschüttelt hat der Kaiser den Baum,
hat dkkor sa pluiba gdlambonza vätozind’e tis dizutän
so dann alle Äpfel in Tauben sich verwandelt haben, und darnach
üpre repilinde Es o core cliavestero ddd üpust eno. „nd
auf geflogen sind und des armen Sohnes Vater aufgestanden. „Nun
mro chdvöro, gd tu k o vidrisko kirüli! sd Idee hi mä!“
mein Söhnchen, geh du zu dem Vidrer König! Alles gut ist schon!"
174
M ü I I e r
dnde
hinein
rinde
hinein
Akänek o coro röm sdr gdlahi k o vidrisko kiräli, hat
Jetzt der arme Zigeuner wie ging zu dem Vidrer König, da
rist'o jekhe bare föreste es ödoj sd jekh kiräli es o
gelangt in eine grosse Stadt und dort war ein König und er
gil'o, hdnem e’lsebe rinde kö^ogatind’a es phencta:
gegangen, aber vorher hinein gepocht hat und gefragt hat:
„türdja! de man graste, söhn me sdj gd k o vidrisko kiräli!“
„Du Herr! gib mir ein Pferd, mit dem ich kann gehen zum Vidrer König!“
„ „tü eure römea! sö hi man grdsta m- ödöna tuke nustik ddv,
„„Du armer Zigeuner! was sind mir Pferde ich jene dir nicht kann geben,
hdnem dkänek ciközind’a mro grd, ödoj hi lestero küro
aber jetzt ein Füllen geworfen hat mein Pferd, dort ist sein Füllen
npr o gdnejo. lega tu ödole, me le tüke da. “ o 66ro röm
auf dem Dünger. Nimm du jenes, ich es dir gebe.“ Der arme Zigeuner
Sri geto upr o gdnejo, hat ödoj sd sa kliül. ödoj
heraus gekommen auf den Düngerhaufen, und dort war Alles Dreck. Dort
lija e grasteskero küro pale mdskar pi men. tdj le
genommen hat des Pferdes Füllen zurück zwischen seinen Hals und es
äri legecfa upr i üt%a. hat 6 mind’är tele le thodta,
hinaus getragen hat auf die Gasse. Und er sogleich hinab es gethan hat,
hät o küro phenel: „hoho! mro Idee mdnus, add me tütar
da das Füllen spricht: „Ei! mein schöner Mann, dieses ich von dir
üiard’om ; mo gdzda, sdr me tdlia te gdv, te tu man legas.
erwartet habe; mein Gebieter, wie ich mit dir dass gehe, wenn du mich tragest.
bis tu ripre münde!“ sdr grinahi, h/it jefar ringle rist’e
Setze (dich) du auf mich!“ Wie gingen, da einmal hervor gelangt sind
jekhe cördösiste, hat odd phenel o cördösi: „hoho! cöre
zu einem Schweinhirten, und jenes sagt der Sehweinhirt: „Halt! armer
römea! kiä gds?“ „„me cak ödja gd k o vidrisko kiräli,
Zigeuner! Wohin gehst?“ „„Ich nur dorthin gehe zu dem Vidrer König,
hdnem igen igen bökhälo som! a “ „wo cöre römea! auka sdj
aber sehr sehr hungrig bin!““ „Nun armer Zigeuner! so kann
gds, ddaj hi jekh bdlo, add peko hi, es ddaj hi jekh dkö
gehst, hier ist ein Schwein, dieses gebraten ist, und hier ist ein Eimer
mol is aüka ödoleha tu sdj gdha, t- odi mol gduie-
Wein und so mit dem du kann gehen wirst, auch diesen Wein wirst du
ha te pijen, adi hi jekh dkö!“ o röm igen igen trüsiUa
können zu trinken, dies ist ein Eimer!“ Der Zigeuner sehr sehr gelechzt hat
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
175
hat lija jekli äko mol üpro po müj, tdj sä le
und genommen hat einen Eimer Wein auf seinen Mund, und Alles das
pija es te jekli e %ile bdle häja.
getrunken hat und auch ein ganzes Schwein gegessen hat.
Sar gdlahi, sdr gdlahi, hät angle rest’a jekhe guruvengere
Wie ging, wie ging, da vor gelangt ist zu einem Rinder-
pästoriste. „klä tu gas? eure römea!“ „„me cak ddja kämau
Hilten. „Wohin du gehst? armer Zigeuner!“ „„Ich nur hin will
te gän k-o vldrisko kiräli hänem igen igen bökhälo es trüsäro
zu gehen zu den Vidrer König aber sehr sehr hungrig und durstig
som!“ u „nö tu eure eure römea dulaj jekh peko güruv hi, ddaj
bin!““ „Nun du armer armer Zigeuner hier ein gebratener Ochs ist, hier
düj äko mol, akänek aüka md sdj gdha!“ o coro röm
zwei Eimer Wein, jetzt so schon kann gehen wirst!“ Der arme Zigeuner
häja e gürave tdj pija düj dko mol.
gegessen hat den Ochsen und getrunken hat zwei Eimer Wein.
„No Idee hi, bdstäle somnidküne devla! akänek md e pds
„Nun gut ist, glücklicher goldener Gott! jetzt schon die Hälfte
dröm phtrlom!“ o coro röm sar gdlahi, sar gdlahi, hat
Weg ich gegangen bin!“ Der arme Zigeuner wie ging, wie ging, da
angle rest'o jekhe jühäsiste, tdj vicind'a: „hoho! mro jü-
vor gelangt ist zu einem Schafhirten, und gerufen hat: „He! mein Schaf-
häsi, märe kam pe k o vidrisko kiräli te gän?“
hirt, in welcher Richtung nöthig ist zu dem Vidrer König zu gehn?“
„„nö mro römea! nüstik gas ddaj, mer vds odd höd’ ddaj hi
„„Nun mein Zigeuner! nicht kann gehst hier, weil deswegen dass hier ist
jekh köso, kö tut nd mükhel dureder te gän. hänem te tu ödole
ein Widder, der dich nicht lässt weiter zu gehn. Aber wenn du den
ki phu gdneha te den, hat dkkor sdj gdha ödja /““ o coro
zur Erde können wirst zu thun, da dann kann gehen wirst hin!““ Der arme
röm üzard'a cepore, nek gal o köso, äzutän le ki phu
Zigeuner gewartet hat Etwas, bis gehet der Widder, dann ihn zur Erde
dina. „nö tu zörale römea! tu sdl o selto räklo. enavarena
that. „Nun du starker Zigeuner! du bist der lOOte Bursche. 99
sud ddaj, te je’kho nd gdned'a k i phu te den; hänem akänek
waren hier, und Einer nicht gekonnt hat zur Erde zu thun; aber jetzt
md ndne man bizodalmo, ndne man re'mensego, akänek mit
schon nicht ist mir Vertrauen, nicht ist mir Hoft’nung, jetzt schon
176
M i'i I I r» r
le add bdri chüri cs defin man jilcstc!“ o vom mindar
nimm dieses grosse Messer und stich mich in’s Herz.“ Der Zigeuner sogleich
lija i bdri chüri, es jileste le defind’n.
nahm das grosse Messer, und in’s Herz ihn stach.
Sdr gdlalii, sdr gälahi o rum, hat jefar cak dnde rest'o
Wie ging, wie ging der Zigeuner, da einmal nur hinein gelangt
uzejekhe kbveste. hat bdoj sdr dt kdmlahi k o vidrisko klräli
zu einem Ding. Und dort wie hinüber gewollt hat zu dem Vidrer König
te gdn, hat dt gel’o. hdt bdoj and i vidrisko kiräliskeri
zu gehn, da hinüber gegangen. Und dort in dem Vidrer Knnigs-
bdr sna selövi. hdt e kiräliskeri rdkli äri dikhl'ahi
Garten waren Weintrauben. Und des Königs Tochter hinaus gesehen hat
dp i blöki: „b mro dddöro, dtdaj sdlto rdklo hi, ko
auf dem Fenster: „0 mein Väterchen, hier der lOOte Bursche ist, der
k- dmäro kher fbrejind’a es jekh na gdned’a dmäre
zu unserem Hause sich gewendet hat und einer nicht gekonnt hat unsere
selövi te hau, es add dikhes tu le, add len hdl! u „„6
Weintrauben zu essen, und dieser siehst du ihn, dieser sie isst!“ „„0
mri rdkli! nek hdl es dkänek hdl ütösor!““
meine Tochter! lass essen und jetzt er isst zuletzt!““
Ekkor o rum hdja i selövi tdj dnde kb^ogatind’a
Da der Zigeuner gegessen hat die Trauben und hinein gepocht hat
lc odd vidrisko kiräli. mindar dnde le besarcta dz o stblo.
zu jenem Vidrer-König. Sogleich hinein ihn sitzen liess zu dem Tisch.
„iw dkänek mro coro rbm, hat so pijaha dkänek,
„Nun jetzt mein armer Zigeuner, und was trinken wirst jetzt,
desupdne dkösne hör da mol, vdd 1 bisustär dikösne, vdid! trianda
lö Eimer-Fass Wein, oder 24 Eimer, oder 30
dkösne?“ „„mdnge sä hi jekh. “ “ „gas tele dkänek dnde
Eimer?“ »„Mir Alles ist eins.““ „Gehn wir hinab jetzt in den
pinqa te pijen!“ es tele gel’e; hat o coro rbm
Keller zu Irinken!“ Und hinab sie gingen; und der arme Zigeuner
lija u lege sieg bäreder hbrdö es sd äri pija.
nahm das aller aller grösste Fass und Alles austrank.
„hdt te tu buter pijes sar me, hat gas dkänek
„Also wenn du mehr trinkest als ich, so gehn wir jetzt
üpri somnidküni phürd te birközinen. bdja gel’o o ebro
auf die goldene Brücke zu ringen. Dorthin gegangen der arme
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
177
röm, dstnrd’a e vidriske kiräle es ki phü le dina, höd’ Ö
Zigeuner, packte den Vidrer-König und zur Erde ihn gab, dass er
mindär bdreha vätozind’a. o coro röm dnde gel'a
sogleich in Stein sich verwandelte. Der arme Zigeuner hinein ging
k- i räkli. „ nö tu dikänek mä mri sal, me pale trö
zur Tochter. „Nun du jetzt schon meine bist, ich dagegen dein
som, hartem te dddesteri zdr kdj hi?“ „„mre dddesteri
bin, aber deines Vaters Kraft wo ist?“ „„Meines Vaters
zdr tel i phürd hi! ödoj hi jekh sdpröva, %id äri jekh
Kraft unter der Brücke ist! Dort ist ein Besen, ziehe heraus eine
rdnik, es te tu ödolelia, te tu ödole rdnilieha cdlavaha
Gerte, und wenn du mit dieser, wenn du mit dieser Gerte schlagen
sd bdra, hat sd mänusenyi vätozinen. sdr o röm
wirst alle Steine, so Alle in Menschen sich verwandeln. Wie der Zigeuner
üpr odi somniäküni phürd kdmla te gan, hat ödoj dsavo
auf jene goldene Brücke gewollt hat zu gehen, da dort solcher
bäro käst sa, höd" bändll’a dz o dvro pärto. „nö tu römea
grosser Baum war, dass gebogen war zu dem andern Ufer. „Nun du Zigeuner!
tu mä but mänusen ikerd’al tdj mülkerd’al, hdnem gd tele
du schon viele Menschen gefasst hast und gelödtet hast, aber geh hin-
es tro dumeha älitin tut dz odd käst, hat ictenesno
unter und mit deinem Rücken stelle dich zu jenem Baum, dann gerade
dla!“ i räkli göndolind’a, höd’ o röm and i päni
sein wird!“ Das Mädchen gedacht hat, dass der Zigeuner in das Wasser
perela. jefar dak sö dikliel Öj, höd’ o röm o kdst
fallen wird. Einmal nur was sieht sic, dass der Zigeuner den Baum
üpr o po dümo legel te d’ikereha. hat i räkli näst’i
auf seinem Rücken trägt auch mit der Wurzel. Und das Mädchen gelaufen
dz o ves, tdj ödoj le üzard’a dz i hänik, vds odd höd’
in den Wald, und dort ihn abgewartet hat beim Brunnen, deswegen weil
öj göndolind’a le ddaj te dikastinen. „nö mro römea! aüka
sie gedacht hat ihn hier zu vertilgen. „Nun mein Zigeuner! So
tri övä, td tu adi hänik ödole kdstelia gdneha
deine werde ich sein, wenn du diesen Brunnen mit jenem Baume können wirst
ät te ästen!“ hält sdr o ät kdmlahi t ust'en, hält
hinüber zu springen!“ und wie er hinüber gewollt hat zu springen, da
i räkli dnde le dliingerd’a drul i hänik Bs körkori kliere
das Mädchen hinein ihn gestossen hat in den Brunnen und allein nach
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LX1. Bd., I. Hfl. 12
178
Müller
gäl'i. hdnem o röm ctndar i hdnik äri gel’o
Hause gegangen. Aber der Zigeuner aus dem Brunnen heraus gegangen
e kdsteha te i hdnik ästard’a äs ke räti\ jekhe
mit dem Baume und den Brunnen gepackt hat und Abends in ein
khereste dnde gäl’o, kdj jdkh kiräli beslahi, Ul i blöki
Haus hinein gegangen, wo ein König wohnte, unter das Fenster
ödola älitind’a. o kiräli rät’aha upusteno, so dikhel, höd!
jene gestellt hat. Der König Morgens aufgestanden, was sieht, dass
üpr odd käst somnidküne krüski terminen, phenel ke ränake:
auf jenem Baume goldene Birnen gedeihen, sagt zur Dame:
„sdr h-odd, höd’dmäri ut%a dsi sükär hi?“ o coro röm
„Wie ist dieses, dass unsere Gasse solche schöne ist ?“ Der arme Zigeuner
dnde gäl’o, sdr ködüsi k odd kiräli, vds odd höd’ odd kiräle
hinein gegangen, wie Bettler zu jenem König, deswegen, weil jenem König
snd büt poki: „fögadin man pökipästoriste!“ „,,nö
waren viele Truthühner: „Nimm auf mich als Truthahnhüter!“ „„Nun
cöre römea! so tu mdndar mdnges “ v m- dver tdtar
armer Zigeuner! was du von mir verlangst?““ „Ich Anderes von dir
nd mangav, 6ak mänge te hdn tdj gdda de mdnge!“ no
nicht verlange, nur mir zu essen und Gewand gib mir!“ Nun
odd o rdj leske delalii. o röm add rät mind’är mdskar
dies der Herr ihm gab. Der Zigeuner diese Nacht sogleich zwischen
poki sövelahi, tdj löst er o gdd sd kliul sna. o röm
Truthühnern schlief, und sein Gewand Alles Dreck war. Der Zi-
mindig dnde äl'o k ödi rani, hät oj jefar cak
geuner immer hinein gegangen zu jener Dame, und sie einmal nur
khdmni äl'i. hät jefar cak ikerädo ul'o o röm äs ödoj
schwanger geworden. Und einmal nur gefangen wurde der Zigeuner und dort
sa. d’ilisi, vds odd höd’ o röm mindig sövelahi k i römni.
war Sitzung, deswegen weil der Zigeuner immer schlief bei der Frau.
hdnem a ränate buter äl’e, hat i dilisi phend’a,
Aber zu der Dame mehrere gegangen sind, und die Sitzung gesagt
höd’ ödoleste te gal i räni, köske cidela jekli läli
hat, dass zu jenem dass gehet die Dame, welchem werfen wird einen rothen
pliäba. hät ödola ävri piräni t- ödja dklijärade äs
Apfel. Und jene anderen Geliebten auch hin berufen worden sind und
sd ekhethäne dlitmd’e. hät i räni i pliäba e römeste
Alle zusammen gestellt waren. Da die Dame den Apfel dem Zigeuner
Beiträge zur Kenntniss der Rom Sprache.
179
ödja tHdelahi, es o räje mindar „bravo/“ vidind’e; mindar
hin warf, und die Herren sogleich „Bravo!“ gerufen haben; sogleich
kdrdo kezfogäsi, te söhäjerde es tdj chdvöre Idn ul'e, es
gemacht Verlobung, und heiratheten und auch Kinder ihnen wurden, un'd
leide givnahi; td ne mul'e, t- dkänek given.
schön lebten; wenn nicht gestorben sind, noch heute leben.
Sipos Janos.
IY.
I sfenti rakli t-o lükesto.
Die heilige Maid und der Soldat,
Kaj sd, kaj nune jdkh coro gägo. ddole gdge
Irgendwo war, irgendwo nicht war ein armer Ungar. Jenem Ungar
sna igen igen mkär rdkli. hat Öj, odi rakli igen igen
war sehr sehr schöne Tochter. Und sie, diese Tochter sehr sehr
sdnte ileto peste ikrelahi. phirnalii k-odi rdkli igen igen
heiligen Lebenswandel sich ergriff. Gingen zu dieser Maid sehr sehr
bar vale räkle, es kdmnahi te la len; 6j päle ni ge
reiche Burschen, und wollten zu sie nehmen; sie aber nicht zu
klieste nd kdmlahi te gdn.
Einem nicht wollte zu gehn.
Hat jdfar gel'o o bdng o k i rdkli. hat dnde
Und einmal gegangen ist der Teufel selbst zum Mädchen. Und hinein
vidind’a o bdng and i blöki: n n6 tu sti/cdr rdkli! ki
gekreischt hat der Teufel in das Fenster: „Nun du schönes Mädchen! zu
munde dveha vdd’ nd?“ „„nd! uu odd phdnel i rdkli,
mir wirst kommen oder nicht?“ „„Nein!““ dies sagte das Mädchen,
nnmuleste phdnä le, dd dievenoste nd!““ hat odd phdnel
„„einem Todten sage ich es, aber einem Lebenden nicht!““ Und jenes sagt
o bdng: „Te n- dveha ki münde, hat mdrela odi
der Teufel: „Wenn nicht kommen wirst zu mir, so sterben wird diesen
rataha tro ddd!“ odd phdnel i sükär rdkli: „„te mdrela
Morgen dein Vater!“ Das sagt das schöne Mädchen: „„Wenn sterben
mo ddd, hatmdjd temetindvau le/““ ödoleha mül o
wird mein Vater - , so später begraben lassen werde ich ihn!““ Da gestorben
o rakjdkero ddd tdj dj temetinavad’a le.
des Mädchens Vaters und sie begraben liess ihn.
12 *
180
Müller
Aver dij o beng papäle gel’o k-i rdkli tdj odd
Anderen Tags der Teufel wieder gegangen zum Mädchen und das
phenel 6 a räkjake: „nd tu sükär rdkli, ki munde ävelia
sagt er dem Mädchen: „Nun du schönes Mädchen, zu mir wirst gehen
vdd’ nd?“ odd phenel leske i rdkli: „„müleste phdnä le,
oder nicht?“ Jenes sagt ihm das Mädchen: „„Zum Todlen sage ich es,
de e'levenoste nd! u “ o beng Idike odd phenel: „te n-
aber zum Lebendigen nicht!““ Der Teufel ihr jenes sagt: „Wenn 'nicht
aves k-i mdnde, hat merela rdt’aha ti ddj! “ „„te
kommst zu mir, so sterben wird morgen deine Mutter!“ „„Wenn
merela mi ddj, hat temetindvau la! u “ no
sterben wird meine Mutter, so begraben lasse ich sie!““ Nun
müVi i rakjdkeri ddj es dj la dver dij tdme-
gestorben des Mädchens Mutter und sie sie am anderen Tag begraben
tinavad’a. ke rdti gel’o papdle o beng k- i sükär rdkli:
liess. Abends gegangen wieder der Teufel zu dem schönen Mädchen:
„nd tu sükär rdkli, ki mdnde aveha vdd! na?“ „„md-
„Nun du schönes Mädchen, zu mir wirst kommen oder nicht?“ „„Zum
teste phdnä le, de e'levenoste nd! uu v te n-aves ki
Todten sage ich es, aber zum Lebenden nicht!““ „Wenn nicht kommst zu
mdnde, hat mdreha rdt’aha tu!“ „ r te merava, hat
mir, so sterben wirst morgen du!“ „„Wenn ich sterben werde, so
ti te n-dvä! uu
deine auch nicht werde!““
Hat i rdkli mind’ä geli k- o bdkteri
Da das Mädchen sogleich gegangen ist zu dem Wächter (Todtengräber)
es odd phdnel e bükteriste: „man dri md legan üpar a
und das sagt es dem Todtengräber: „Mich hinaus nicht traget über die
vudar, hdnem man dnde dsinen tdl o kisebo dnd i liev
Thüre, sondern mich hinein grabet unter der Schwelle in eine Grube
es ddthar man dri md jonlinen /“
und von dort mich heraus nicht nehmet!“
1 rdkli muVi, hat o bdkteri kerd’a i liBv
Die Maid gestorben, und der Todtengräber gemacht hat das Grab
tdl o kisebo es ddthar la dri nd jdmind’e. tdme-
unter der Schwelle und von dort sie heraus nicht genommen haben. Sie
tinavad'e la ddoj, hat üpre pi sira igen igen sükär
haben sie begraben lassen dort, und auf ihrem Grab sehr sehr schöne
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
181
gälambo beslahi. hat ödoj göl’o jekh lükesto, dstard’a o gdlambo
Taube sass. und dort gegangen ein Soldat, packte die Taube
es dndo po brek le tliod’a.
und in seinen Busen sie gethan hat.
0 lükesto sdr gdlahi, sdr gdlahi, h&t äugle röst'o jekhe
Der Soldat wie ging, wie ging, da vor gelangt zu einer
pliüre gagga. hat ödoj phüdl’ahi o lükesto: „möre
alten Bäuerin. Und dort gefragt hat der Soldat: „In welcher Richtung
käm pe särko tengeri te gdnodd phenel i phüri gftgi: „ „mro
nöthig ist gegen das Meer zu gehn.“ Jenes sagt die alte Frau: „„Mein
lükestea! cak gd Öre, mere sdr dikhelia si odd
Soldat! nur gehe in dieser Richtung, in welcher wie du siehst ist jener
bälogno dröm. hat ödoj mdjd üngle dlakheha jekhe phüre sösoje.
linke Weg. Und dort schon vor finden wirst einen alten Hasen.
pliüd tu ödoj e sösöjestar, höd’ mere gdl add dröm,
Frage du dort vom Hasen, dass in welcher Richtung geht diese Strasse
höd’ gdl dz o tengeri odd! nd? u
ob geht zu dein Meere oder nicht?“
No lüde somniäküne dövla! h&t o lükesto sdr gdlahi, sdr
Nun guter goldener Gott! und der Soldat wie ging, wie
gdlahi e bälogne drömeste, hat jefar cak dingte rest’o e sösoje.
ging auf der linken Strasse, da einmal nur vor gelangt zu einem Hasen
niiö sösoje! »länge jekh phüri gägi odd pliend’a, höd' m-ävav
„Nun Hase! mir eine alte Frau jenes gesagt hat, dass ich komme.
Öre, es höd’ tu mdjd mänge plidnelia, add dröm
in dieser Richtung, und dass du schon mir sagen wirst, diese Strasse
üz o tdngeri gdl vdd’ nd? u odd phenel o sösoj löste: „„dak tu
zum Meere führt oder nicht?“ Jenes sagt der Hase zu ihm: „„Nur du
gd didäle drömeha, mdjd tu äugle röseha jekh sliviko käst äs
geh mit diesem Weg, schon du vor finden wirst einen Pflaumenbaum und
up- odd, sliviko käst ola jekh sliva Ös lip- odi slivdkero
auf diesem Pflaumenbaum wird sein eine Pflaume und auf dieses Pflaumen-
kasteskero tetejo üz o mäskaripe ola jekh somnidküni dngrusti Ös
Baumes Wipfel in der Mitte wird sein ein goldener Ring und
tu mdjd odd töle le üpar odd sliviko käst es odi dngrusti tho
du bald jenen herab nimm von dem Pflaumenbaume und jenen Ring thue
tu üpre to bälogno vd Ös k&ua üz o tengeri röseha, hat
du auf deine linke Hand und wenn zum [Meere gelangen wirst, da
182
M ii Iler
dkkor irin odi dngrusti trival üpre to bdlogne vasteskero dngusto
dann drehe diesen Ring dreimal auf deiner linken Hand Finger
es mindär priku sdj gdha üpr odd tengeri. o lükesto
und sogleich hinüber kann gehen wirst über jenes Meer. Der Soldat
mindär rest'o üz o tengeri es ödoj irind’a pi dngrusti üpr o
sogleich gelangt zu dem Meere und dort gedreht hat seinen Ring auf
po bdlogne vasteskero dngusto, es mindär priku geVo üpr
seiner linken Hand Finger, und sogleich hindurch gegangen über
o tengeri.
das Meer.
Sdr gddahi o lükesto äugle lija dnde po brek e
Wie ging der Soldat hervor genommen hat aus seinem Rusen die
gdlambo. hat 6 sdr forgatinlahi, sdr forgatinlahi e gdlambo,
Taube. Und er wie (sie) herumdrehte, wie herumdrehte die Taube.
mindig le forgatinlahi,Jiät jefar öak ül’o o gdlambo jeklie
immer sie herumdrehte, da einmal nur geworden die Taube zu einem
sükär rdkTaha, ko teste phenel: „nö tu läce lükestea t dkänek
schönen Mädchen, welches ihm sagt: „Nun du guter Soldat! jetzt
dnde mi pöfisi jdkh pärno kdsno hi es te tu te läce vds-
in meiner Tasche ein weisses Tuch ist, und wenn du mit deiner rechten
teha chines man trival, hät mindär nä vätozinä ma
Hand schlägst mich dreimal, so sogleich nicht verwandle mich schon
gdlamboha, hdnem mindig igen igen sükär räkli doau /“
in eine Taube, sondern immer sehr sehr schönes Mädchen sein werde!“
o lükesto odd kerd’a hat i räkli leske phe'nel: „nö tu
Der Soldat jenes gemacht hat, und das Mädchen ihm sagt: „Nun du
core lükestea! so amen keraha, nunc amen nista!“ odd phenel
armer Soldat! was wir thun werden, nicht ist uns Nichts!“ Dieses sagt
o coro lükesto: „mdj dmen cak vdlasar givaha, hdnem
der arme Soldat: „Schon wir nur auf irgend eine Art leben werden, aber
sükäre dmen viselinas !“
schön uns wir auflführen sollen!“
Sdr gdnahi, sdr gdinahi üp e operen%ia, tag dureder gdnahi,
Wie gingen, wie gingen auf die Operencia, und weiter gingen,
hät dngle rCst'e jdkhc phüre kodusiste. hat odd phenel odd coro
da vor gelangt sind zu einem alten Rettler. Und dieses sagt jener arme
kodusi: „nö tu lükestea, kiä turnen gdn?“ odd phdnel o lükesto:
Bettler: „Nun du Soldat! wohin ihr gehet?“ Dieses sagt der Soldat:
Beiträge zur Kennlniss der Rom-Sprache.
183
„ho bucika! Amen Aak ddja gas, kdj Amen Amäro eletoro
„0 Veiterehen: Wir nur dorthin gehen, wo wir unseren Lehenserwerb
gdnaha te roden!“ odd phenel o coro kddusi: „„tümen mdj
wissen werden zu finden!“ Dieses sagt der alte Bettler: „„Euch bald wird
iila sä, cdk keren mdnge o Idcipe, gdn And odi hev odöde,
sein Alles, nur erweiset mir die Gefälligkeit, geht in jene Höhle dorthin,
es gdn Ainde k- o räsaj, ddoj phencn e räseste: Adaj
und geht hinein zu dem Geistlichen, dort saget dem Geistlichen: Hier
Asavo kddusi hi, es And odi ves Ainde bare kdistestejekh
ein solcher Bettler ist, und in jenem Walde in dem grossen Baume ein
märiöri hi, hat Ö ne'k drei äri prdsesiölia, es odi märiöria
Mariechen ist, und er — komme heraus mit Prozession, und jenes Mariechen
ne'k sentelin üpre Bs Azutän nek leget Id And adi khdngeri. “ “
— weihe auf und hernach — trage sie in diese Kirche.““
No lade somnidküne devla! o coro lükesto pe röni-
Nun schöner goldener Gott! Der arme Soldat mit seinem Weibe
niaha dtide gel’o And odi hev es phenel e räsajeste: „Adaj
hinein gegangen in jene Höhle und sagt dem Geistlichen: „Hier
Avavo mdnus, Asavo kddusi hi, ko mdnge phend’a, hdd’ nek
ein solcher Mensch, ein solcher Bettler ist, der mir gesagt hat, dass —
gd tu räsaje äri And odd ves es ddoj hi jekh bäro käst,
gehe du Geistlicher hinaus in jenen Wald und dort ist ein grosser Baum,
es And odd bäro käst hi jekh märiör i es sentelin la üpre es
und in jenem grossen Baume ist ein Mariechen und weihe sie auf und
An la And adi khdngeri ! u o räsaj mind’är äri gtU'o
bringe sie in diese Kirche!“ Der Geistliche soeleich hinaus gegangen
prdsesiöveha es ddoj a märiörja üpre sentelind’a, es Ande
mit der Prozession und dort das Mariechen auf geweiht hat, und hinein
la leged’a jekhe prdsesiöveha, tdj bäre müzikaha And i
sie getragen hat mit einer Prozession und mit grosser Musik in die
khdngeri. o kddusi pale ddoj äcilo And odd ves, es o
Kirche. Der Bettler hingegen dort geblieben ist in jenem Walde, und der
lükesto sdr geVo, hat o kddusi odd phenel e lükesteste:
Soldat wie gegangen, da der Beltler dieses sagt dem Soldaten:
„turnen, sdr gdna And adi ves, hät tümen resna jekhe
„Ihr, wie gehen werdet zu diesem Waid, da ihr kommen werdet in ein
bäre kdsteliste es ddoj And odd kAsteli ola jekh somnid-
grosses Kastell und dort in jenem Kastell wird sein ein goldener
184 Müller
küni phäba- hat turnen odd mdngen e räjestar. “ o coro lükesto
Apfel. Und ihr jenen verlanget vom Herren.“ Der arme Soldat
hat gil'o dnd odä vis, hat rest'o find i kästelt finde
da gegangen in jenen Wald, und gelangt in das Kaslell hinein
gel’o is udoj finde ko^ogatincta es odd phenda e rajeste:
gegangen und dort hinein gepocht hat und dieses sagle dem Herrn:
„ddaj dsnvo kodusi sa, es odd phenda, hott me nek ävav
„Hier solcher Bettler war, und er gesagt hat, dass ich — komme
adude es nek mdngav tütar odi phäba, es me nd gdnav raja!
hieher und — bitte von dir jenen Apfel, und ich nicht weiss Herr!
hä ft mdnge la deha vdd' nd?“ o rdj ne gdnd’a dver
ob mir ihn gehen wirst oder nicht ?“ Der Herr nicht gewusst hat An
te göndolinen, lidnem 6dja dina i phäba e kodusiste.
deres zu denken, sondern hin gegeben hat den Apfel dem Bettler.
es o coro lükesto i phäba üstidincta es üdolelia päle
Und der arme Soldat den Apfel empfangen hat und mit ihm zurück
gel'o k-e kodusiste. peste rest'o phe’nel o kodusi-: „no
gegangen zu dem Bettler. Zu sieh gekommen sagt der Bettler: „Nun
tu lükestea! phen man, dina o rdj i phäba vdd’ nd? u
du Soldat! Sag mir, gegeben hat der Herr den Apfel oder nicht?“
„„nd gündolinä me odoleha, höct dina mdnge la, mer igen
„„Nicht denke ich darüber, dass gegeben hat mir ihn, weil sehr
bökhäjovahi es i somnidküni phäba nd gdnav te hdn! au
hungrig geworden bin und den goldenen Apfel nicht kann zu essen!““
„ö tu dilino lükestea! tu odi phäba irin trival, hät dkkor
„0 du dummer Soldat! du jenen Apfel drehe dreimal, und dann
tut säkojako o/a üz o stülo, dkkor säkojako tämndinel,
dir Verschiedenes sein wird auf dem Tische, dann Verschiedenes entsteht,
te hdn tdj te pijen ola dösta. u o coro lükesto irind’a
zu essen und zu Irinken sein wird genug.“ Der arme Soldat gedreht hat
i phäba trival, hät mindar jekhe östoleha ul'a le te hdn,
den Apfel dreimal, und sogleich mit einem Tische wurde ihm zu essen,
te pijen', o haja es pija a räkfaha kethäne, es
zu trinken ; er gegessen und getrunken hat mit dem Mädchen zusammen, und
dzutän papäle goto te vdndölinen, meg hott vdlakuj peste
darnach wieder gegangen ist zu wandern. bis dass irgendwo sieh
läce thäne üstidindä.
schönen Platz genommen hat.
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
185
0 c'öro lülcesto dkänck md nü göndolkodind’a antra, mer
Der arme Soldat jetzt schon nicht nachgedacht hat nur soviel, weil
vds odd höd! dl! a le te hdn, tdj le' pijen ad, höd! 6 nd
deswegen dass wurde ihm zu essen und zu trinken soviel, dass er nicht
gdnlahi le o thäneste te tlwven. de dzutän pe römniaha
wusste sie auf den Ort zu thun. Und darnach mit seinem Weibe
givelahi, tdj dhdvöre len ül’e. Te ne mäl'e t-
lebte, aucli Kinder ihnen wurden. Wenn sie nicht gestorben sind noch
dkänek given.
heute leben.
Sipos Janos.
V.
Kaj sd, knj meine, bdstüle somnidküne di via! je'kh
Irgendwo war, irgendwo nicht war, glücklicher goldener Gott! eine
phiiri gdgi. ödola phure gdga snd düj rdklöre. is odi phnri gdgi
alte Biiuerin. Jener alten Bäuerin waren zwei Kinder. Und jene alte Bäuerin
pe rdklören trddind’a. no iipre fdhäskodind’e ödola düj rdklöre
ihre Kinder vertrieben hat. Nun empor geseufzt haben jene zwei Kinder
üpr o somnidküno dil: „kiä amen dkänek günaha te gdn?“
zu dem goldenen Gott: „Wohin wir jetzt können werden zu gehn?“
sdr gdnahi e eure rdklöre vdndöni, hat sür ganahi md tnandupänc
Wie gingen die armen Kinder wandern, und wie gingen schon 3o
bdrsa, hat aride giVe igen igen höre viseöte es ödöno
Jahre, da hinein gegangen sind in einen sehr sehr grossen Wald und jener
vis dso sirmo sa, Juki’ mig i öirikli na gdnd’a. ödoj te gdn
Wald so dicht war, dass auch der Vogel nicht konnte dort zu gehn
priku o vis. hat ödola düj rdklöre sdr phirnahi and odd vis,
durch den Wald. Und jene zwei Kinder wie gingen in jenen Wald,
hdt jifar cak dl’o dso iiöo kdsteli, höd'' o tdtejo na dikh-
da einmal nur geworden so hohes Kastell, dass die Spitze nicht sahen.
nalii. is ödoj sdr phirnahi, hdt jefar dsi tikni blököri tdma-
Und dort wie gingen, da einmal so kleines Fensterchen entstan-
dind’a, sdr i ängrusti. hdt ödola düj rdklöre sö dtkhen, höd’ and
den ist, wie ein Bing. Und jene zwei Kinder was sehen, dass in
odd kdsteli desudüj mdnusenge habe dri tdlunindo sa. odd phdnel
jenem Kastell für 12 Menschen Speise aus- gefasst war. Diese? sagt
186
Mfilier
o räkloro: „ma pheti! gds finde t<ij lids odd
der Bursche: „Meine Schwester! gehn wir hinein und essen wir jene
habe!“ hdt ddja dnde g&l'e tdj hdl’e odd habe
Speise!“ und hin hinein gegangen sind und gegessen haben jene Speise
dtlj rd/clöre, te pil’e mol, sdvo sa upr o stölo. vds
die zwei Kinder, und getrunken haben Wein, der war auf dem Tische. Infolge
odd ddola ddj rdklöre igen igen matil'e. hat ödoj i räkli
dessen jene zwei Kinder sehr sehr berauscht wurden. Und dort das Mädchen
tele thod’a po siro upr o stdlo taj süt’a. so dikhen
nieder gelegt hat ihr Haupt auf den Tisch und geschlafen hat. Was sehen
jefar ödole ddj rdklöre, hdd’ dösudüj zivätia även üz odd
einmal jene zwei Kinder, dass i2 Räuber kommen zu jenem
kdsieli. hat ödöne eure rdklöre sajekh häro, sdr dikhja o
Kastell. Und jenem armen Bürschiein war ein Schwert, wie gesehen hat der
rdklöro, hdd’ dkaj även, hat ö uz i bldki pe c'itt’a es
Bursche, dass hin kommen, da er zu dem Fenster sich geschlichen und
uri 9,idincta po häro. sdr dnde ävlalii e iivüna
heraus gezogen hat sein Schwert. Wie hinein kommen wollten die Räuber,
hat o rdklöro lengeri men chind’a es desujekhengeri men tele
da der Bursche deren Hals geschnitten hat und von Eilfen den Hals ab-
chind’a, luinem jekhesteri men cak sörtind’a. dkkor i rdklöri
geschnitten hat, aber des einen Hals nur geritzt hat. Dann das Mädchen
npusteni es o rdklöro dzalatt dnde cltkerd’a dnde
aufgestanden und der Bursche unterdessen hinein geworfen hat in den
hidasölo udole mülkerde teste, es i rdklöri kdmlahi tethäven,
Schweinstall jene getödteter Leiber. Und das Mädchen wollte gerne zu kochen,
vds odd hdd’ läkero phrdl odd phend’a: „thäv mdnge eikmöke,
desswegen weil ihr Bruder jenes gesagt hat: „Koche mir Nockerln,
mdj m- dkänek uri gdv te vddäsinen.“ sdr i rdklöri kdmlahi
dann ich jetzt hinaus gehe zu jagen.“ Wie das Mädchen wollte gerne
jdigöro te kören, hat nunc la käst, äs i rdklöri uri
Feuerchen zu machen, da nicht war ihr Holz, und das Mädchen hinaus
äli kdsta te änen. hat dnde dikhja and o hidasölo, hat
gekommen Holz zu bringen, und hinein sah in den Schweinstall, da
odoj sd dikhel mülkerde testi hile. hat jekh zivöni upre
dort was sieht sie, todte Körper waren es. Und ein Räuber auf
sölalind’a: „mi rdklöri! tö tu uze münde dsi läöi ovesahi
sprach : „Mein Mägdelein ! wenn du zu mir solche gute sein würdest
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
187
es ödoj dncl i könlia hi jekli mecesno cerpo es tu mdnge
und dort in der Küche ist ein Oellampen-Scherben und du mir (ihn)
anesähi, mi men te mdkhen, hat m- dkkor mhidar üpr-ustä.
bringen würdest, meinen Hals zu salben, da ich dann sogleich aufstehe.
es te tu odd kereha, hat dkkor te eee amen and o
Und wenn du das machen wirst, so dann deinen jungen Bruder wir in den
sereste ddlavaha!“ es ödoj sdr i räkli äri dned’a
Kopf sehlagen werden!“ Und dort wie das Mädchen heraus gebracht hat
o mecesno cerpo, hat mdkhja i räkli öclole zivänesteri
den Lampen-Scherben, da geschmiert hat das Miidchcn jenes Räubers
men, es pal odd e bütBrengeri men es mlnd’är äpr- ustene
Hals, und hernach der mehreren Hals und sogleich aufgestanden sind
sa. hdnem e de'suduj ziväna nd tröml'e te även äri drtdar
Alle. Aber die 12 Räuber nicht gewagt haben zu gehn hinaus aus
o liidasöla. ödoj kliere gel'o o coro rüklöro es nista
dem Sehweinstall. Dort nach Hause gekommen der arme Bursche und nichts
na göndolind’a, hdnem cak häja o cbedo, vas odd hält igen
nicht gedacht hat, sondern nur gegessen hat das Mahl, desswegen weil sehr
bökhäfo sei. sdr ö dnil o ves vddäsind’a es kdml’a vddällatja
hungrig war. Wie er in dem Wald gejagt hat und gewollt hat wilde Thiere
keria te den, hät dt'i vddällatja peste serzind’a, hört ul e
Schuss zu geben, da soviel wilde Thiere sich erworben hat, dass geworden sind
de'suduj, es o kliere gel'o dnde len citt’a dnil e jeklie
12, und er nach Hause gegangen hinein sie geworfen hat in einen
büre pinket e. dzalatt i räkli äri gel'i dz odd
grossen Keller. Unterdessen das Mädchen heraus gekommen zu jenem
hidasölo, liät oild plienel o ztväni a räklake: „gdnes so! tu
Sehweinstall, und das sagt der Räuber dem Mädchen: „Weist du was, du
plien ode rakleste, höcl’ mro ddil vds odd dsavo sästo hi, liöct
sag jenem Burschen, dass mein Vater desswegen so gesund ist, weil
mri ddj kerd’a täte ndndipe mre clddeste, es mro ddd
meine Mutter gemacht hat warmes Bad meinem Vater, und mein Vater
and odd udndijahi. 11 ödolelia o räklo kliere gel'o.
in jenem gebadet hatte.“ Hiemit der Bursche nach Hause gekommen.
hät ödoj i räkli jektovar o räkle dinu te hdn. sdr
Und dort das Mädchen zuerst dem Burschen gegeben hat zu essen. Wie
o räklo häl'ahi i rdklöri angle liözakodincta, hält mro
der Bursehe gegessen hatte das Mädchen vor gebracht hat, dass mein
188
Müller
ddd (isuoo sdsto so, holt sdkovar pul o habe dnde nändi-
Vater solcher gesunder war, weil jedesmal nach dem Essen hinein gebadet
juhi, hünem gdnes tu, me te tüke kerä mo ecöro! jekh ndndipe
hatte, daher weist du, ich auch dir mache mein Brüderchen ein Bad
es te tu päs dnde. i rdklöri kdna ke'rd'a ode ndndipe,
und auch du liege hinein. Das Mädchen wann gemacht hat jenes Bad,
hat dnde pdslelo o coro räklo, es ödoj i rakli mind’är
so hinein gelegt hat sich der arme Bursche, und dort das Mädchen sogleich
phdnd’a Ulst er e vdsta es phand’a te lästere pre. pdl odd i
gebunden hat seine Hände und gebunden hat auch seine Füsse. Darnach das
rakli dnde äkhjard’a ddole desudiij zivänen es ödola dnde
Mädchen hinein gerufen hat jene zwölf Räuber und jene hinein
die (klone rdkle dstard’e: „nö tu Inm^uteja! tu dsavo
gekommen jenen Burschen gepackt haben: „Nun du Hundsfott! du solcher
mdnus sdlahi hdd’ tu amen sd cikastind’al, dkänek amen tut
Mensch warst, dass du uns alle vertilgt hast, jetzt wir dich
eikastinaha/“ ödolenge phenel o ruklo: „„dkänek me md nd
vertilgen werden;“ Jenen sagt der Bursche: „„Jetzt ich schon nicht
hdjnav nista, mer si te me'rav, cdk muhen man
kümmere nichts, weil nothwendig ist dass ich sterbe, nur lasset mich
mri dddesteri d'ilori te sdj phüdav, o phüdibe ddaj hi and i
meines Vaters Liedlein dass kann ich blase, die Pfeife dort ist in der
mri tdrsüva nek sdj te phüdav meg jefar mri dddesteri
meinen Reisetasche, dass kann dass ich blase noch einmal meines Vaters
d’ilori!“ u odd phenel i lesteri phen: „md müken turnen odd
Liedlein!““ Jenes sagt die seine Schwester: „Nicht lasset ihr jenes
d’ildra te plvüden, mer dikkor mindar papale tümenge vego ola.“
Liedlein zu blasen, weil dann sogleich wieder euch Ende sein wird.“
hdnem jekh ziväni odd phenel: „cak müken le edre, nek sdj
Aber ein Räuber jenes sagte: „Nur lasset ihn Armen, dass kann
phtulel pi dddesteri d’il’i. “ sdr odja diha e c'dre rdklöre i
er blase seines Vaters Lied.“ Wie hin gab dem armen Bürschlein die
phüdibe and o vd, es sdr 6 kezdind’a pi dddesteri d’i/’i te
Pfeife in die Hund, und wie er begonnen hat seines Vaters Lied zu
phüden, hat dikkor ödola desudüj vadal/atja sd ari die dndar
blasen, da dann jene zwölf wilden Thiere alle heraus gekommen aus
odi ptn%a, Cs e ziväüa nd trömVahi nista te keren. hat odd
jenem Keller, und die Räuber nicht wagten nichts zu thun. Und dieses
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Spraehe.
189
phenel o örosläni e döre räkleste: „mro kümlo guzdöro! so
sagt der Löwe dem armen Burschen: „Mein geliebter Gebieter! Was
m- dkänck kdrav ddale de'sudiij zivähonqa?“ „„mro vddällati,
ich jetzt mache mit diesen zwölf Räubern? „„Mein wildes Thier,
tipinen len auka kethäne^ sdr o mdko.““ rnind'ör kezdind’e e
reisset sie so zusammen, wie der Mohn.““ Sogleich angefangen haben die
vddällatja e ztväha te tEpinen kethäne, sdko jekhe ästardd Es
wilden Thiere die Räuber zu reissen zusammen, jedes einen gepackt hat und
tEpind’a le auka kethäne, sdr o liürdo mäko. odd phenel o
gerissen hat sie so zusammen, wie der kleinkörnige Mohn. Jenes sagt der
rdklöro: „cdk mri hiresna plidnjn müken!“
Bursche: „Nur meine famose Schwester lasset!“
Pal odd o orosläni mind'är gEl’o uz odd räklöre Es
Darauf der Löwe sogleich gegangen zu jenem Burschen und
o sElo kethäne tepind’a üpr o lestero vd, tnj üpr o lestero
die Schnur zusammen gerissen hat auf der seinen Hand, und auf dem seinen
pro. ödoj sdr üpust’eno o coro rdklöro, hat ä mind’är dstard’a
Fuss. Dort wie aufgestanden der arme Bursche, da er sogleich gepackt
pe, plienja Es and e bare iresne hördöste dnde tlidd’a
hat seine Schwester und in das grosse leere P'ass hinein gethan hat
es t- ödole mulikere tdsti dnde citkerd’a und odd Ir emo
und auch jene todten Körper hinein geworfen hat in jenes leere
hördö, Es äzutän dnde segezind’a odd hördü: „n<i tu hiresni
Fass, und hernach hinein genagelt hat jenes Fass: „Nun du famose
ldbni! u phenelk- odi drd’avi phen o räklo, „tu dsi
Hure!" sagt zu jener schlechten Schwester der Bursche, „du also
erd’avi sdlahi ki münde, hdnem dkänek tuke ddala mulikere
schlechte warst für mich, aber jetzt dir diese todten
tdsti te hdn kam pe, mer kdrköri si te meres bökhäli!“
Körper zu essen nöthig ist, weil allein nöthig ist dass du sterbest hungrig!“
Odoleha o coro rdklöro gSl o. sdr gdlalii, sdr gdlahi,
Hiemit der arme Bursche gegangen. Wie ging, wie ging,
dnde rEst’o jekhe bare foreste. 6 vds o ditgo dröm Es
hinein gelangt in eine grosse Stadt. Er wegen des langen Weges und
o bdro tdtipe igen igen trüsäro ül'o ödoj dnde gel'ahi
der grossen Hitze sehr sehr durstig geworden dort hinein gegangen
jekhe thäne es ödoj jekhe phure gägatar päni mdng-
isf in einen Ort und dort von einer alten Ungarin Wasser verlangt
190
Müller
l’ulii. odd phenel i cöri phiiri gägi: „sdr me tut päni
hat. Dieses sagt die arme alte Ungarin: „Wie ich dir Wasser
ddv, kcina dikhes, höd’ dkänek müträ and o habe, mer
gebe, da du siehst, dass ich jetzt harne in die Speise, weil
cak aüka gdnau te thäven, vas odd höd’ o desudüj sär-
nur so kann ich zu kochen, deswegen weil die zwölf Drachen
käna a kiräliskere räkja te hdn kämen es vds i dvri
die königliche Tochter zu essen wollen und für ein anderes
räkli cdk dt'i päni den ödola särkäna, höd’ sdko cak
Mädchen nur soviel Wasser geben jene Drachen, dass jedes nur
jekhe püttoneha dnel le!“ dkkor o räk/o mincl’är phenel
mit einer Butte tragt es!“ Da der Bursche sogleich sagt
k-odl phiiri gägi: „hat gd tu k- odd kiräli es phen leske,
zu jener alten Ungarin: „Und geh du zu jenem König und sage ihm,
höd’ md ödola desudüj särkäna dilcastinavä, te o kiräli
dass ich jene 12 Drachen vertilgen werde, wenn der König
mdnge djänlinla pe räkja, hat dkkor dt'i päni ola,
mir bieten wird seine Tochter, und dann soviel Wasser sein wird,
höd’ dndar le ärvizo ola!“ vds odd i gägi lösand'a
dass davonUberschwemmung sein wird!“ Deswegen die Ungarin gelacht hat
es mindar gEl i k-o kiräli, dnde kö^ogatind'a es phend’a,
und sogleich gegangen zu dem König, hinein gepocht hat und gesagt hat,
höd’ „ddaj dsavo mänus hi, kö te räkja mentinla ödola
dass „hier solcher Mensch ist, welcher deine Tochter befreien wird von jenen
desudüj sürkäüon? 7 a, lidnem 6 odd phend’a, höd’ tü mo kirälea,
zwölf Drachen, aber er jenes gesagt hat, dass du mein König,
leske te räklia * deha. u o kiräli igen lösand’a es mindar
ihm deine Tochter geben sollst.“ Der König sehr gelacht hat und sogleich
Idske djänlind’a pe räkja■ ödoj gel'o o coro räklöro
ihm angeboten hat seine Tochter. Dort gegangen der arme Bursche
k-o kiräli, liät ipen ödadive kdmnahi e desudüj pärne
zu dem König, wie eben jenes Tages wollten die zwölf weissen
särkäna te hdn a räkja. es o räklöro odd phenel: „räja!
Drachen zu essen das Mädchen. Und der Bursche jenes sagt: „Herr !
tu ödoleha md göndolin nista, mäj me te räkja mentinä
du hiemit nicht denke nichts, schon ich deine Tochter befreie
ödole desudüj särkänon^a. dkkor mindar äri gel'o o
von jenen 12 Drachen. Da sogleich heraus gekommen der
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
191
räkloro üz odi hänik tdj i räkli odä phend’a: „me
Bursche zu jenem Brunnen und das Mädchen jenes gesagt hat: „Ich
dürinä /“ no üpre sulalindd o räklo: „bis tile tu üz
fürchte mich!“ Nun auf gesprochen hat der Bursche: „Sitze nieder du zu
odi hänik, me üzalatt thövä mo siro üpre te cänga;
jenem Brunnen, ich unterdessen lege mein Haupt auf deine Kniee;
kuna o desudiij pärne särküna murginen tel i phu, hat
wenn die zwölf weissen Drachen brummen unter der Erde, da
äkkor mär man üpre.“ o räklo süt'a
dann schlage mich auf (wecke mich auf).“ Der Bursche geschlafen hat
vds odä, höd’ äzalalt e desudiij vädällatja gänalii üz odi
deswegen, weil unterdessen die 12 wilden Thiere kamen zu jenem
hänik. jefar cak kezdind’a väreso tel i phu te mörginen
Brunnen. Einst nur angefangen hat Etwas unter der Erde zu brummen
es kann kdml'ahi pümüre sira äri te itinen, hält odä
und als gewollt hatte ihre Köpfe heraus zu stecken, da dieses
vicind’e: „de umenge and odola räkja/“ hänem o
gerufen haben: „Gib uns von jenem Mädchen (Etwas)!“ Aber der
räklo odä phend’a: „te tüke räkli käm pe, hät äv
Bursche das gesagt hat: „Wenn dir Mädchen nöthig ist, so komm
äri ändar odi hänik is lega dnde odöna räkja!“ sär e
heraus aus diesem Brunnen und trage hinein dieses Mädchen!“ Wie die
desudiij särküna äri kdml'ahi t-även, hat i hev äsi
12 Drachen heraus gewollt hatten zu kommen, da die Oeffnung so
tikni sa, ho fl cäk jekgene gänenahi t-även äri, aüka höcl’ säike
klein war, dass nur einzeln konnten zu kommen heraus, so dass jeden
je'kh vädällato mind’är üstidind’a is le sireste tipind’a.
ein wildes Thier sogleich gepackt hat und ihn am Kopf gerissen hat.
äkkor päni ät’i ul’o, höd’ bäre tuce sa. o kiräli
.Da Wasser soviel geworden, dass grosse Teiche waren. Der König
lösand’a is öcloj mind’är kerdo kizfogäsi.
gelacht hat und dort sogleich gemacht Verlobung.
Hänem odola räkja t- dver kdml'ahi te len. is
Aber jenes Mädchen auch Anderer gewollt hatte zu nehmen. Und
ödöno läkero pirüno äso hübe thävad’a is odä häva-
jener ihr Geliebter solche Speise kochen lassen hat und jene essen
dk, e räkleha, höcl’ 6 mül'o. ödoj sik tdme-
lassen hat durch den Burschen, dass er gestorben ist. Dort schnell begraben
192
Müller
tinavad'e odone räkle, äs vds odd e desudüj vddallatja rö-
lasscn haben jenen Burschen, und deswegen die 12 wilden Thiere
denahi pitmäre gdtzde äs cnk nd dlakhnahi le. e ehre
suchten ihren Gebieter und nur nicht fanden ihn. Die armen
vddällatja rövenahi dosta, tdj bichnvenahi je'khavre: „gds amen
wilden Thiere weinten genug, und schickten einander: „Gehen wir
te reden ämüre gdzde!“ sdr on sdkaj rödind’e le,
zu suchen unseren Gebieter!“ Wie sie überall gesucht haben ihn,
hat jefar ände äle and o te'metö. äs odoj sdgulind’e
da einmal hinein gekommen in den Friedhof. Und dort gerochen haben
sdko siro es älakhl’e lestero siro. äkkor mind’är äri le
jedes Grab und gefunden haben sein Grab. Da sogleich hinaus ihn
käpälind’e, luinem 6 c'ak mulo sa äs nd vdkerd’a
gegraben haben, aber er nur todt war und nicht gesprochen hat
nista. hat papäle bichavenahi je'khavre förastöne
nichts. Und wieder schickten sie einander um Zusammenwachsen be-
cäreste: „nu kiä amen dkänek gdtha te rüden?“
wirkendes Kraut: „Nun wohin wir jetztgehen werden zu suchen?“
hat o susoj, kds sdkovar vdrde at’ha hile, jefar dikhel jekhe
Da der Hase, dem immer offene Augen sind, einmal sieht eine
sage, hoct 6 gdlahi furastone
Schlange, dass sie ging mit das Zusammenwachsen bewirkendem
cäreha and o po muj. udja näst’o o sösoj phella k- odd
Kraut in ihrem Mund. Hin gelaufen der Hase gerufen hat zu jener
sap: „Hoho! üzär tu säp! kiä gds! de man
Schlange: „Halt! warte du Schlange! wohin gehst du? Gib mir
dndar odd förastäno dar!“ „„Hoho!““ odd
von jenem Zusammenwachsen bewirkenden Kraut!“ „„Ei!““ jenes
phenel o säp, „„sdr me tut däv, dkänek me mäsinav äs
sagt die Schlange, „„wie ich dir gebe, jetzt ich krieche und
tu gdtnes te näsen, tu sigeder gdnes te roden sar me!““ lidnem
du kannst zu laufen, du schneller kannst zu suchen als ich!““ Aber
odoj o sosoj nd uzard’a nista, nd mdngVa nista, höd!
dort der Hase nicht gewartet hat nichts, nicht gebeten hat nichts, dass
mäg te del le vdreso, hdnem 6 äri iistidind’a dndar
noch zu geben ihm Etwas, sondern er (selbst) heraus gerissen hat aus der
sape'stero müj o förästono cär tdj ödoleha
Schlange Mund das Zusammenwachsen bewirkende Kraut und mit jenem
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
193
Mzdind’a te näsen. odd vidind’a o säp: „hoho! cak
angefangen hat zu laufen. Jenes gejammert hat die Schlange: „Halt! nur
man ödpöre pale da! u nd o sösoj mSgis diso lado sa, höd’
mir wenig zurück gib!“ Nun der Hase dennoch so gut war, dass
dina le depöre pale. ödoleha o sösoj mind’är kez-
gegeben hat ihr ein wenig zurück. Mit jenem der Hase sogleich be-
dind’a te näsen and o temetö. ödoj makhl'e e vdd&llatja
gönnen hat zu laufen in den Friedhof. Dort gesalbt haben die wildenThiere
pumäre gdzde ödöne öäreha es lengero gdzda upre täma-
ihren Gebieter mit jenem Kraut und ihr Gebieter auf erstan-
dind’a. ödoleha gel'e minder e vddällatja tdj lengero gdzda k-
den ist. Hiemit gingen sogleich die wilden Thiere und ihr Gebieter zu
odd rdj. o rdklöro ödoj minder dnde biöhad’a jekha %e-
jenem Herrn. Der Bursche dort sogleich hinein geschickt hat einen Zettel
dula e örosläniste. hat dzalatt thod’enahi o bijav ödoj
durch den Löwen. Und unterdessen bereitet hatten die Hochzeit dort
and o kdsteli. o örosläni ödja geHo uz odd kdsteli es i 2,e-
in dem Kastell. Der Löwe hin gegangen zu jenem Kastell und den Zet-
dula ände leged’a and e klidr es ödoj i räkli mindar
tel hinein gebracht hat in das Zimmer und dort das Mädchen sogleich
pingard’a le es mindar äri sälind’a lizar o stölo es
erkannt hat ihn und sogleich heraus gestiegen ist vom Tische und
ände Itja e öroslänistar a 2,0dula tdj Id gend’a. mig
heraus genommen hat vom Löwen den Zettel und ihn gelesen hat. Noch
nd gend’a a 2,edula 2,ile, hat mä Mzdind’a te röven,
nicht gelesen hat den Zettel ganz, da schon angefangen hat zu weinen.
o rdj mindar üpuxt’eno, höd’ i menasoni söske rövel. i
Der Herr sogleich aufgestanden, dass die Braut warum weint. Die
mdnasoni phenel: „räjdle! sdr me nd rovähi käna man
Braut sagt: „Herren! wie ich nicht weinen soll wenn mich
nt ko nd gdned’a te mentinen, sdr odd rdklöro. eit dkänek
Niemand nicht gekonnt hat zu befreien, als jener Bursche. Und jetzt
mä te tetsinel tumenge, te nd, dkänek mä me phenav,
schon ob gefällt euch, ob nicht, jetzt schon ich sage,
höd’ vägo hi e bijaveste, mer vds odd höd’ me k-odd
dass Ende ist der Hochzeit, weil deswegen dass ich zu jenem
rdklöro gdv. “
Burschen gehe.“
Sitz!,. <1. phil.-hist. CI. LXI. Bd., I. Heft.
13
194
Müller
No Idee hi sä, bdstäle somnidküne devla! o rdklöro
Nun gut ist Alles, glücklicher goldener Gott! Der Bursche
mind’är dnde gil'o and o klier Bs te lästere vddällatja
sogleich hinein gegangen in das Zimmer und auch seine wilden Thiere
piräne e
Geliebten die
pale löste gel'e. es e
zurück zu ihm gegangen sind. Und des
vddällatja kdzdinde sßreste
wilden Thiere begonnen haben am Kopf
elseno piräno odd vdllind’a,
erster Geliebter jenes gestanden hat,
odd phend’a, te' me gdnav
dieses gesagt hat, wenn ich kann irgend eines Königs Tochter zu
Idn, hat dkkor mdnge igen läco 6la. u pdl odd o dlseno
nehmen, so dann mir sehr gut sein wird.“ Darauf der erste
rakj ältere elsene
Mädchens ersten
te chingeren Bs dzutän läkero
zu kneipen und darnach ihr
höd': „mdnge mro güllo ddd
dass: „Mir mein süsser Vater
vdlase kiräliskera räkja te
piräno kliere gBl'o es o dvro dcil'a and o kdstBli.
Geliebte nach Hause gegangen und der andere geblieben ist in dem Kastell.
odoj mind’är kerdo kBzfogäsi Bs 6n söhäjerde. dzutän on
Dort sogleich gemacht Verlobung und sie haben geheiratet. Darnach sie
givnahi Idee, td ne mul'e, t-dkänek given.
gelebt haben schön. Wenn nicht gestorben sind, noch beute leben.
Sipos Janos.
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
195
D’ i V a.
Lieder.
1.
Gal o puhi, zdvarinel
Geht das Wasser, trübt sich,
bisel gägi, busülinel,
Sitzt ein Weib, ist betrübt,
näne märo, näne mds
Nicht ist Brod, nicht ist Fleisch
na ne kötor bälovas.
Nicht ist Stück Speck.
2.
Odd tele o päni,
Dies unten das Wasser,
ödoj hi mri piräni
Dort ist meine Geliebte
te i käli te i pärni
Und die schwarze und die weisse
ödüni mdnge vdlöni
Jene mir gehörig (passend).
3.
Thädo [peko] öirikläno sero
Gekocht [gebraten] der Vogelkopf
bis tu öhäje üpr i . kuko.
Sitz’ du Mädchen auf den Blasebalg.
ndk man dikhav tu tri püpo
Lass mich sehen du deinen Nabel
dkkor man läöo hi vrfjo.
Dann mir gut ist Stimmung.
Birkas.
Rigo.
Rigo.
13
196
Müller
4.
Mri kedvesni piränöri
Meine liebe kleine Geliebte
kann me tut dikhdhi.
Wenn ich dich sehen könnte.
nd dinomähi tut väs o egesno vilägo
Nicht geben würde ich dich für die ganze Welt
mert igen tut kamähi
Weil sehr dich lieben würde.
Galambos
o.
Kana me ke tut saj gdhi
Wenn ich zu dir könnte gehen,
igen tut kamähi.
Sehr dich liebte ich.
[tistel'inav tut mri kedvesni piräni
Ich griisse dich meine liebe Geliebte
es mänge mindig dnd-i mri god’i sdl,
Und mir immer in meinem Geist bist.]
käna me tut dikhälii.
Wenn ich dich sehen könnte,
mind’ür Idee tut kamähi,
Alsogleich schön dich lieben würde.
GalamboL
6.
Ust'e lipri mri chdjöri
Stehe auf mein Mägdelein
„givd’ar mdnge momelüri!“
„Zünde mir an ein Kerzelein!“
[„„ndstik ilst’av, merj zibbadmd’a
[„„Kann nicht aufstehen, weil] eingeschlafen ist
mro vdstöro,
mein Händchen,
ndstik üsHav, mro öhavöro ! u “
Kann nicht aufstehn, mein Bürschchen !““
Rigo.
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
197
7.
Ond’al tele sudro päni
Dorther unten kühles Wasser,
ödoj hili mri piräni
Dort ist meine Geliebte
ödoj thövel pre' ddngöri
Dort wäscht sie auf Knieen
[ödoj] man uzärel mri dhdjöri.
[Dort] mich erwartet mein Mägdelein.
Rigo.
8.
Ond’al telal o päni,
Dorther von unten das Wasser,
söske häses mri piräni
Warum läufst meine Geliebte
mä zilav tut, tut ptnzärav,
Nicht schlage ich dich, dich kenne ich,
mi dhdjöri, me tut kämav.
Mein Mägdelein, ich dich liebe.
Rigo.
9.
0 ddvlöro, de man rndrctal
0 Gott, aber mich schlugst du
mi pvr&ha lijal mdndar,
Meine Geliebte nahmst von mir,
te tu lijal, de la pule.
Wenn du nahmst, gib sie zurück. r
ödola tu mange dinal,
Eine solche du mir gabst,
[Käs me soha nd ptnzärav.]
[Die ich nie nicht kenne.]
Sipos Ferenz.
198
Müller
io.
Üst'e üpe mri ddjori,
Steh’ auf mein Mütterchen,
zivcfar mdnge mömelöri
Zünd’ mir an ein Kerzelein,
ndstik tist’av mro j'dklöro,
Kann nicht aufstehn mein Bürschchen.
zibbadind’a mro proro.
Einschlief mein Füsschen.
Rigo.
11.
0 devlöro, de man märctal
0 Gott, aber mich hast du geschlagen,
me piräna ttjcd mdndar,
Meine Geliebte nahmst du von mir,
jekha kdl’a, dvra purna,
Eine schwarze, die andere weisse,
Tritodiko me piräna.
Die dritte meine Gelieblc.
12.
Onc(a täle k- o päni,
Dort unten bei dem Wasser,
hi mi terni piräni,
Ist meine junge Geliebte,
phdgerel la siläli
Es soll sie brechen das Fieber
söske hili meläli.
Warum ist sie hässlich.
13.
Te me tut mig jekfar sdj dikhähi,
Wenn ich dich noch einmal könnte sehen,
me väd’iske phdro nd olahi.
Meinem Herzen schwer nicht fallen würde.
Rigo.
Rigo.
Kula Antal.
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
199
14.
Gil’a räsaj bängöri te öorel,
Ging der Geistliche Erdäpfel zu stehlen,
pöbisterd’a gone te leget
Vergass Sack zu bringen.
1 o.
Öhdjöri! räklöri!
Magdeiein! Mägdelein!
tlw mdnge jdgöri
Leg mir ein Feucrlein!
ni buri, ni tikni
Weder kleines, noch grosses
cdik mi längäkeri.
Nur mein flammendes.
16.
Sind man piräno
War mir ein Geliebter
Jekb römätio chdvö
Ein ziegeunerischer Bursche,
iico si/ia sdr i räni
Hoch war er wie die Königin
lübihäro sdr i pani
Wollüstig wie das Wasser.
17.
Kula Antal.
Sipos Janos.
Sipos Janos.
0 devlöro, de man mdrd’al
0 Gott! aber mich hast du geschlagen
me piräna ttjal mdndar
Meine Liebste hast genommen von mir
te la lijal, de’ la pale,
Wenn du sie genommen hast, gib sie zurück,
mölinav tut! jdj siikäre!
Ich bitte dich! ach schön!
Sipos Janos.
200
Müller
18.
Mro dddöro mülo pdssol
Mein Väterchen todl liegt
momelöri leske thdbol!
Das Kerzchen ihm brennt!
ü.st'e üpre mro dddöro
Steh auf mein Väterchen
so kerava me körkoro?
Was werde ich machen allein?
Sipos Janos.
19.
Odd phdnel mro dddöro
Dieses sagt mein Väterchen
höd’ man häl'e e rüvöre
Dass mich gefressen haben die Wölfe
odd phenen e rdklore
Dieses sprechen die Burschen,
höd’ le häl'e e lübnöre!
Dass ihn gefressen haben die Hürlein!
Sipos Janos.
20.
Ust’e üpre mro dddöro
Stehe auf mein Väterchen
6 md mükh tu te chdjöria!
0 nicht verlasse du deine Tochter!
mir ödoj büt chäve hile
Denn dort viele Burschen sind
ödöna te chäja keren üpre.
Jene deine Tochter verführen.
Sipos Janos.
21.
0 devlöro! so me kerd’om
0 Gott! was ich gethan habe
trtn chdjöria üpre kerd’om
Drei Mädchen ich verführt habe.
jekh si üci, sdr o nädo,
Eine ist hoch, wie das Rohr,
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
201
jekli si pärni, sdr o järo,
Eine ist weiss, wie das Meid,
aver si mri ddjöri,
Die Andere ist mein Mütterchen.
mar ela man mro dddöro. ■
Schlagen wird mich mein Väterchen.
Sipos Janos.
22.
Tel o komaromdkeri hida
Unter der Komorner Brücke
dratinen trin räklia
Ernten drei Mädchen
jdj siiküre an dratinen
Ach schön sie ernten
de mCg sükäreder man kämen
Aber noch schöner mich lieben.
Sipos Janos.
23.
Odoj tele lölo hi o nibo
Dort unten rolh ist der Himmel
mro piräno mindig lii näsvd/o
Mein Geliebter immer ist krank
de ic and i koctna dnde gejom
Aber gestern in das Wirthshaus hinein ich gegangen bin
es udoj md mul te pijen mdngl'om.
Und dort ich Wein zu trinken verlangt habe
o hdngäsa and i koctna die
Die Tonkünstler in das Wirthshaus gekommen sind
Bs kezdind’e te %iden sükäre
Und angefangen haben zu ziehen schön
hat udoj me me plrätieha kheld’om
Und dort ich mit meinem Geliebten getanzt habe
hat jefar cak me däjöria dikhjom
Und auf einmal ich mein Mütterchen erblickt habe
es mro piranöro käna la dikhel
Und mein Geliebter als er sie sieht,
202
Mülle i
pöbisterd’a ndsvälo te dvel
Vergessen hat krank zu sein,
mir mri ddjöri niindar mätil’i.
Weil mein Mütterchen sogleich berauscht worden ist.
Sipos Janos.
24.
Ojde, öjko Jd/o
Ei, ei Julie
öj nevero möja hö!
0 untreue meine wart!
trädau Jänko, Jdlo
Ich vertreibe Janko, Julie
te vdzdel p- o prdho!
Dass hebt sich der Staub.
25.
Vucetic.
Sukar si nägak
Schön ist Stock,
na nägaku
Auf dem Stocke
mdj sükär si i sdstrüni zve'zda
Noch schön ist der eiserne Stern
upri bichau na kürvini lega.
Hinauf ich schicke (ihn) auf der Hure Schultern.
Vucetic.
26.
v
Sun tu zena mdjo
Höre du Gattin, Mutter.
6j nevira möja hö
0 untreue meine wart!
ho delo ddla
Was Gott geben wird
thdj luco ävela.
Auch gut sein wird.
Vucetic.
Beiträge zur Kenntnis» der Rom-Sprache.
203
27.
Böbotar si e röma
Von Bobo sind die Zigeuner
the mären le pe dröma
Und sie schlagen sie auf der Strasse
•pal o b&ua besena
Hinter dem Ofen werden sie sitzen
Unti khäta th' ävena.
Ihnen Thränen auch kommen werden.
28.
K6 Celela mo telipe
Wer tanzen wird meinen Tanz,
me ddua le mo pataue
Ich geben werde ihm meinen Schuh
mo pätav si räjkäno
Mein Schuh ist nobel.
a Uro si römäno.
Und deiner ist zigeunerisch.
Thear stna
Gestern waren
göspojina
der Hausfrau
efta pirja
Sieben Töpfe
kölompirja
Erdäpfel.
„höp! hip!
„Hop! hip!
del o jir!
Es fällt Schnee!
me sem nängo
Ich bin nackt
thäj pernängo!
Und baarfuss!“
Yucetic.
Vucetic.
Vucetic.
204
MOller
L i 1.
Brief.
Mri kedvesni Jül’iski!
Meine liebe Julie!
Me nd risfom söha dsavo ird’evo bers söka meg, dsar
Ich nicht traf nie solches schlechtes Jahr nie noch, wie
dkänik. kamähi te ävel, mir mä j dich düj her da igen ird'e-
jetzt. Ich wollte zu kommen, weil schon ein zwei Jahre sehr
vöne; kamulii te gal. nista amen nd rödas and o
schlecht; ich wollte zu gehen. Nichts wir nicht verdienen in dem
proderi, igen pluiro rödibe hi. läni igen gükläno bdrs hili.
Prater, sehr schwerer Erwerb ist. Heuer sehr schlechtes Jahr ist.
me göndolind'om kheri, höd’ and o beci igen bäro rödibe
Ich dachte zu Hause, dass in dem Wien sehr grosser Erwerb
hi, tdj te o mänus ävel khe're. gondolind’om te lezel
ist, und dass der Mensch kommet nach Hause. Ich dachte zu bringen
kliere bis bisupänc pe'ngöve; ddtar gejom äri tele
nach Hause 20 25 Gulden; von da bin ich gegangen hinaus hin-
Pestate.
unter nach Pest.
Me kämav te sunel jekfar, sdr hi kliere, aäka sdr
Ich will zu hören einmal, wie ist zu Hause, so wie
me snom, turnen nd snan. mämi so kerel, ödöni ndsväli
ich bin, ihr nicht seid. Grossmutter was macht, sie krank
siidhi, me pat'av, te 6 mär sästi hi. me kamähi te ävel
war, ich glaube, dass sie schon gesund ist. Ich wollte zu sein
kheri, mir aüka dur hi mdndar o kher und o md-
zu Hause, weil so weit ist von mir das Haus in dem
dura. Josko so kerel, 6 vdkerd’a te gal te sikjol, mer 6
Magyar. 1 ) Josef was macht, er sagte zu gehn zu lernen, weil er
') Nagy Mag-yar im Pressburger Comitat, die Heimath Rigo's.
Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
205
nd kämet hocf dkürso te dvel. nek sikjol Jösko, odä ola
nicht will dass was immer zu sein. Lass lernen Josef, dies wird
leske luco.
ihm gut.
Ndstik pisiiiav bfiter, me nd gdnav, sdr hi mro
Kann nicht schreiben mehr, ich nicht weiss, wie ist mein
sdro, mir dt'i näsav träjal, tdj nista rödibe hi.
Kopf, weil soviel laufe ich herum, und nichts Erwerb ist.
Me tistelinav sd turnen, me göndolinav te Övel kheri
Ich grüsse alle Euch, ich denke zu sein zu Hause
üpr-o mctdäräkro bucuva.
auf dem Magyarer Kirchtag.
dindo Bdci, aügustusi 6. 1868.
In Wien, August 0. 1868.
Rigil Junos.
Kritische Anmerkungen.
Lied 3. Hier ist offenbar pSko als Glosse zum vorhergehenden thudo
zu streichen.
Lied 4. Ist offenbar stark verderbt. Ich stelle die Strophe folgender-
massen her:
mri kedvesni pirdni
kuna me tut dikhähi
md tut nd dinomähi
märt igen tut kamähi.
Lied 5. Hier sind Zeile 3 und 4 eingeschoben. Die übriggebliebenen
vier Zeilen stelle icli folgendermassen her:
käna me' ke tut sdj gähi
* igen igen tut kamähi
kann md tut cak dikhähi
mindur Idee tut kamähi.
Lied 6. Die eingeschlossenen Worte in der dritten Zeile sind offen
bar aus der letzten Zeile herübergenominen und das mer
der Verbindung wegen eingeflickt.
i
206
Müller. Beiträge zur Kenntniss der Rom-Sprache.
Lied 7. ödoj im Beginn der vierten Zeile ist offenbar zu streichen.
Lied 8. Die erste Zeile dürfte folgendermassen zu lesen sein:
önd’al tßlal gal o päni
Lied 9. Hat um eine Zeile zu viel. Die dritte Zeile dürfte zu lesen sein:
de la pale, te tu lijal-
Die fünfte Zeile wurde wahrscheinlich hinzugefügt, um das
etwas unbestimmte odöla zu erklären.
Lied 10. Statt pröro ist wohl vdstoro zu lesen wie im Lied 6.
Lied 14. Nach gdne dürfte pe einzufügen sein. Das Lied ist ein
Bruchstück.
Lied 19. Statt höd’man häl'e o nt vor c ist zu lesen:
höd’matt häl'a o rüvöro.
Lied 20. Statt Vst'e üpre mro dadöro ist zu lesen:
Vst'e üpre mro dddöria (dreisilbig).
In der letzten Zeile dürfte statt te öliäja: me zu lesen sein.
Lied 21. Statt dver si mri ddjori ist zu lesen:
aver si mri ddjöri 6 !
Lied 22, Die zwei ersten Zeilen sind folgendermassen zu lesen:
tel o Jcomaromdkri hida
dratinen i trin räklia
Lied 23. Zeile 7 ist zu lesen:
hat ödoj me piruneha klidldöm
und Zeile 9:
es mro pirüno käna la dikhel.
Das Lied dürfte nur ein Bruchstück sein.
Lied 24. Die zweite Zeile ist wohl zu lesen:
nevera möja hö!
Lied 26. Die zweite und die vierte Zeile sind wohl zu lesen:
nevera möja hö!
• • • • • • 3
thüj läcö-vela
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
207
mZKICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(JÄNNER 1869.)
Academie Imperiale des Sciences, Beiles-Lettres & Arts de Lyon:
Memoires. Classe des Sciences, Tome XVI (1866—67); Classe
des Lettres, Tome XIII (1866—68). Paris & Lyon; gr. 8°.
— Imperiale des Sciences de St Petersbourg: Memoires. VII e Serie.
Tome XI, Nrs. 9—18. St. Petersbourg, 1867 —1868; 4°. —
Bulletin. Tome XII, Nrs. 2—S. St. Petersbourg, 1868; 4».
— Royale des Sciences, des Beiles-Lettres et des Beaux-Arts de
Belgique: Memoires couronnes. Collection in 8°. Tomes XIX
et XX. 1867 & 1868. — Bulletins. 36°Aunee, 2 me Serie,
T. XXIV. 1867; 8°. — Compte rendu des seances de la Com
mission Royale d’Histoire. 3 ms Serie, Tome IX e , 4 mo Bulletin,
Tome X°, 1 er Bulletin. 1867; 8°. — Annuaire. 1868. 8°.
Accademia delle Scienze dell’Istituto di Bologna: Memorie.
Serie II. Tomo VII., Fase. 4; Tomo VIII., Fase. 1. Bologna,
1868; 4».
— R., di Scienze, Lettere ed Arti in Modena : Memorie. Tomo VIII.
Modena, 1867; 4°. — Veratti, Bartolomeo, Sul tema „Se
nelle attuali condizioni d’Italia, giovi al maggiore interesse del-
l’istruzione e della civiltä, e al conseguimento dei voti nazio-
nali, la concentrazione deH’insegnamento in poche Uniyersitä.
(Memoria che ottene l’Accessit nel concorso accadem. dell’Anno
1868.) 8°. — Garelli, Cav. Vincenzo, Sul tema „Esaminare
se ed in quali luogbi principalmente dell’ Emilia potesse aver
luogo l'esperimento delle colonie agricole penitenziarie etc.
(Dissert. premiata nel concorso accadem. dell’anno 1866.) 8».
208
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
Accademia delle Scienze di Torino: Memorie. Serie II.
Tomo XXIV. Torino, 1868; 4». — Atti. Vo). III. Disp. T‘ —8*.
Torino, 1867 —1868; 8». — Dorna, Cav. Alessandro, Cata-
logo delle Leoneidi o stelle meteoriche del periodo di Novembre
osservate nel 1867 al regio osservatorio di Torino; 4°.
Adler, Moritz, Der Krieg, die Congressidee und die allgemeine
Wehrpflicht etc. Prag, 1868; 8°.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Preuss., zu Berlin: Monats
bericht. November 1868. Berlin; 8°.
Beule, Eloge de M. Hittorff. Paris, 1868; 4».
Christiania, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
den Jahren 1867 & 1868.
Claretta, Barone Gaudenzio, Storia della reggenza di Cristina di
Francia, Duchessa di Savoia. Parte 2 da e Documenti. Torino,
1869; 8».
Gedenkfeier für W. Griesinger am 13. December 1868 in
Wien. 8°.
Gel ehrt eil-Gesellschaft, serbische: Glasnik. XXIV. Band. Belgrad,
1868; 8°.
Gesellschaft der Wissenschaften, Oherlausitzische: Neues Lau-
sitzisches Magazin. XLV. Band, 1. Doppelheft. Görlitz, 1868; 8».
Göttingen, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
dem Jahre 1867/8. 4° & 8°.
Hameiitz. VIII. Jahrg. Nr. 43—30. Odessa, 1868; 4°.
Istituto, R., Lombardo di Scienze e Lettere: Memorie. Classe di
Scienze mathem. e naturali, Vol. X, Fase. 4—3. Classe di Let
tere e Scienze moraii e politiche, Vol. X, Fase. 3—6. Milano,
1867; 4°. — Rendiconti. Classe di Scienze mathem. e naturali
Vol. III, Fase. 9 — 10. 1866; Vol. IV, Fase. 1 — 10. 1867.
Classe di Lettere e Scienze moraii e politiche, Vol. III, Fase.
9-10. 1866; Vol. IV, Fase. 1 — 10. 1867. Serie II. Vol. 1,
Fase. 1—10. Milano, 1868; 8°. — Solenni adunanze. Vol. I,
Fase. 4. Milano, 1867; 8». — Palma, Luigi, Del principio di
nazionalitä nella moderna societä europea. (Opera premiata.)
Milano, 1867; 8°. — Vacani di Forteolivo, Barone Ca
millo, Della laguna di Venezia e dei fiumi nelle attigue pro-
vincie. Firenze, 1867; kl. 4°.
Verzeichn iss der eingegangenen Druckschriften. 209
Istitnto, R., Veneto, di Seienze, Lettere ed Arti: Atti. Tonio XIII,
Serie 3% Disp. 10". Venezia, 1867—68; 8°.
— R., tecnico di Palermo: Giornale di Seienze naturali ed econo-
miche. Anno 1868. Vol. IV, Fase. 1—3. Palermo; 4".
Leseverein, akademischer, in Graz: I. Jahresbericht. 1868.
Graz; 8°.
Longperier, Ad. de, Tresor de Tarse. — Monnaies de Charles VI
et de Charles VII, rois de France, frappees a Genes. —
Deniers de Charlemagne trouves pres de Sarzana. (Exlr. de la
Revue numismatique. N. S. t. XIII. 1868.) 8°.
Lüttich, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften 1866 —
1868. 8° & 4°.
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. XIV. Jahrgang. Jänner — Februar
1869. Wien; 4°.
— aus J. Perthes' geographischer Anstalt. Jahrgang 1868. XII. Heft
und Ergänzungsheft Nr. 23. Gotha; 4°.
Nevostruev, Capito, Rede des heil. Hippolyt über den Antichrist.
Moskau, 1868; kl. 4°. (Russisch).
Revue des cours scientifiques et Utteraires de la France et de
l'etranger. VI'Annee, Nr. 3, 4, 6 & 7. Paris & Bruxelles, 1868 —
1869; 4«.
Rostock, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1867/68. 8« & 4».
Societas Regia Scientiarum Upsalensis: Nova Acta. Seriei tertiae
Vol. VI, Fase. II. Upsaliae, 1868; 4°.
Soeiete des Sciences de Finlande: Öfversigt. IX, X. 1866 —
1868; 8°. — Bidrag tili kännedom af Finlands Natur och
Folk. XI. & XU. Hättet. Helsingfors, 1868; 8°.
— archeologique de Moscou: Memoires. Tome I, 2° Livraison.
Moscou, 1867; 4°. (Russisch.)
Society, The Royal, of London: Philos. Transactions for 1867,
Vol. 137, Part 2. London; 4°. — Proceedings. Vol. XVI,
Nrs. 95 — 100. London, 1867—68; 8°. — Catalogue of Scien
tific Papers. (1800—1863.) Vol. I. London, 1867; 4°. —- The
Royal Society. 30"' November 1867. 4°.
Sitzb. d. phil.-'iist. CI. LXI. Bd. I. Hft.
14
210 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
Society of Antiquaries of London: Archaeologia. Vol.XLI. London,
1867; 4». — Proceedings. II" Series, Vol. III, Nrs. 3—7. 1866
— 1867; Vol. IV, Nr. 1. 1868. London; 8".
— The Royal Asiatic: Memoirs of the North-China Branch. N. S.
Nr. IV. Shanghai, 1868; 8®.
— The Royal Asiatic of Great Britain & Ireland: Journal. N. S.
Vol. III, Part 2. London, 1868; 8®.
Spezi, Cav. Giuseppe, Sopra una lezione del Cav. Prof. Tominaso
Vallauri intorno al Gerrnanisrao nelie lettere latine. (Extr.
dal giorn. romano II Buonarroti, Quaderno XII. Dec. 1868.) 8®.
Upsala, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dein
Jahre 1867/68. 4» & 8».
Verein für Erdkunde zu Dresden: III. Jahresbericht. Dresden,
1866; 8®.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
LXI. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1869. — FEBRUAR.
'KAIS-AKADEtölT
.WISSENSCHAFTEN,
Commissionsbericht.
213
SITZUNG VOM 3. FEBRUAR 1869.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Dankschreiben des löblichen Landesausschusses des
Königreichs Böhmen für die dein böhmischen Landesarchiv initge-
theilten akademischen Druckschriften;
2. ein Ansuchen der Direction des Communal-Gymnasiums zu
Kotömyja in Galizien um Betheilung mit den Schriften der kais. Aka
demie;
3. ein Schreiben des w. M. Herrn Prof. Dr. Karl Schenkl in
Graz, worin derselbe anzeigt, dass er bei der feierlichen Sitzung der
kais. Akademie einen Vortrag zu halten gedenkt „über das Verhält-
niss der bildenden Kunst zum antiken Staate mit besonderer Hück-
sicht auf Athen.“
SITZUNG VOM 17. FEBRUAR 1869.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Ansuchen der Direction des k. k. Gymnasiums in Znaim
um Betheilung mit den Druckschriften der kais. Akademie;
2. eine Arbeit des Herrn A. Emmert in Trient: Urbar der
Clara von Völs“, mit dem Ansuchen des Einsenders um Aufnahme in
die Schriften der kais. Akademie;
3. eine Abhandlung des Herrn Dr. Fr. Stark in Wien: „Kel
tische Forschungen. I. Keltische Namen im Verbrüderungsbuche von
St. Peter in Salzburg. Zweiter Theil“, mit dem Ersuchen des Ver
fassers um Aufnahme in die Sitzungsberichte.
15
214
Coinmissionsbericht.
SITZUNG VOM 24. FEBRUAR 1869.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Ansuchen der Direction der k. k. Theresianischen
Ritterakademie in Wien um Mittheilung der Denkschriften der kais.
Akademie:
2. ein Ansuchen der Direction des k. k. Realgymnasiums zu
Brody um Mittheilung der Schriften der kais. Akademie.
Das w. M. Herr Dr. A. Pfizmaier legt eine für die Sitzungs
berichte bestimmte Abhandlung vor: „Zur Geschichte des Zwischen
reiches von Han.“
Das w. M. Herr Prof. Dr. H. Siegel legt den Bericht des Herrn
Joseph Strobl über die von diesem im Aufträge der Classe für die
Sammlung der Weisthümer im Viertel ob und unter dem Wiener
Wald unternommene Forschungsreise vor.
Stark. Keltische Forschungen.
215
Keltische Forschungen.
Von Dr. Franz Stark.
I.
Keltische Namen im Verbrüderungsbuche von St. Peter in
Salzburg.
II.
Aclone (pbr. S. Amaudi Elnon.) 20, 41 ssec. 9.
Diesem Namen stehen zur Seite die Namen:
Adoneus (ep.) a. 696. Pard. n. 437 1 ).
Adoiiias (abbas monast. S. Mariae deBochian) a. 1137. Chron.
brit. Morice 1 col. S, vielleicht auch
Aduid ssec. 8. Meichelb. n. 27o.
Über die Bedeutung des Wortes ad, adu, welches diesen Namen
zu Grunde liegt und auch in
Adas (ep. Bituricens.) c. a. 662. Pard. n. 347, Ado saec. 8.
Polypt. Irm. 100, 171 s),
Adumus a. 1211. Cod. Wangian. n. 94 p. 223 s) erscheint,
ist bei Adaba im ersten Theile dieser Forschungen nachzusehen.
*) Vgl. Adeneus saec. 11. Perard p. 208 mit geschwächtem o statt Adoneus.
2 ) Eine Schwester dieses Ado heisst Trisildis = Tri-sildis? Vgl. Sildatiani M
(anu) Arch. brit. XXVII, 152, dann wegen der Partikel tri- Zeuss p. 837. —
Trisildis kann übrigens auch aus Tris-ill-is entstanden sein. Vgl. Trisus in
TrisiAcum a. 1112. Cart. d’Autun P. 2 n. 5, irisch Treasach son of Beecan, a. 884.
The four masters, d. i. Trcs-dc-us.
3 ) Wenn nicht = A-dumus, A-tumus.
216
Stark
Die Ableitung in Adone, Adoneus, wenn nicht auf die ältere
Form Adoni (vgl. Zeuss p. 736) zurückzuführen, ist eine zweifache,
und zwar -on -e (oder -n- e, da o = u zum Stamme gehören kann),
wie in den kymrischen Namen:
Lourone, Louronui Lib. Landav. 169. 173 = Louroneus,
Lour-on-e-us, d. i. Lavaroneus (Zeuss Ed. 2 p. 32),
Math uah Mathonwy Mah. 3, 94 (Zeuss Ed. 2 p. 131), d. i.
Matto filius Mattonei (Glück p. 36 Anna. 3).
Die Ableitung e, kymrisch oi, oe, ui, wy, armorisch oe, ui (Zeuss
Ed. 2 p. 96—98) erscheint auch in den doppelt abgeleiteten armori-
schen Namen:
Benitoe, Nominoe n. 113, und allein in Bennoe n. 229, Cantlioe
n. 147, Wicantoe (d. i. Wi-cantoe) n. 36, Catoe n. 238, Ennoe
n. 132, Laloe n. 61, Bennoe n. 120 im Cart. de Redon saec. 9 »).
Aonilt (abbatissa) 40, 3.
Dieser Name, welchen auch eine Leibeigene, saec. 8. Beyer 1
n. 16 Aunildis geschrieben, führt, ist meiner Auffassung nach aus
dem mit -ilt abgeleiteten Wortstamme aun gebildet und verkürzt aus
Avanilt.
Die Namen Auvanildis und Avinildis erscheinen saec. 9. Polvpt.
Rem. 36, 31. 48, 33.
Diese Verkürzung des Wortes avan zu aun durch Unterdrückung
des inlautenden Vocales zeigt auch der Name
Awtidus a. 779. Brunetti, Cod. dipl. Toscan. 2 n. 11 p. 238,
27, welcher p. 233, 33 in der vollen Form Avondus au (tritt 3 ), ferner
der Frauenname
Aunda saec. 12. Cart. de ßeaulieu n. 30 p. 62 = Avanda,
Avunda 3 ).
Der in diesen Namen erscheinende Ausfall eines Vocals ist
übrigens nicht selten; er wird von Zeuss in mehreren altgallisehen
Namen vermuthet. Siehe dort Ed. 2 p. 32. 33. 129.
*) Vgl. Zeuss. p. 784.
2 ) Avondus auch I. c. i n. 39 p. 834, 22 a. 749.
3 ) Avundus a. 1034. Cart. S. Vict. Massil. n. 282.
Keltische Forschungen.
217
Ob auch die Namen Aunus (Aelius) Momms. Inscr. Helv.
n. 149, Aumis (fig.) Fröhner n. 233. 234, Aunios, Insel der ga'Iäi-
sclien Küste gegenüber, Pliu. 4, 20, Aonia Liberalis (conjux P. Ma-
cilii Veri; Inscr. Romse) Maff. Mus. Veron. p. 238, 3 in dieser Weise
aufzufassen sind, ist erst genauer zu untersuchen.
An die Namen Auvanildis, Avinildis schliessen sich mit un
verkürzter Form die Namen:
Auan (comes) a. 880. Ann. Fuld. Mon. Germ. 1, 393, 29,
armorisch Avamus ssec. 11. Cart. S. Georgii Redon. Morice 1 col. 369,
Avana f. a. 868. Cart. de ßeaulieu n. 31 p. 94; a. 910. Miraei
Opp. 1 p. 631 c. 23, Avan (uxor Hueli; soror Alani Cainard con-
sulis) ssec. 11. Cart. Kemperleg. Morice 1 col. 373,
Avono c. a. 1033. Cart. S. Vict. Massil. n. 270 *),
Avoin ssec. 8. Cod. Lauresh. n. 1494, Awinius deBeria ssec. 12.
Perard p. 90; ego Avini Chibidi a. 763. Brunetti, Cod. dipl. Toscan.
1 n. 64 p. 387,
Avena f. c. a. 993. HLgd. 2 n. 131 p. 132®).
Ävenellus (Robertus) ssec. 11. Cart. S. Flor. Morice 1 col. 477,
Avenel (Willelmus) ssec. 12. Cart. S. Petri Carnot. p. 613 c. 124,
Avonancius, Auvonancius ssec. 11. Cart. S. Vict. Massil.
n. 290, dann
kymrisch Euguen Lib. Landav. 196, auch Engem 213, Iguein
231, Yugein 229. 230, Yuein 226, Owein 214. 236, Auguinn 236
geschrieben,
armorisch Euuen, Enuon (festes) a. 840. Cart. de Redon.
n. 194 3 ) und owen im Auslaute der zusammengesetzten Namen:
Piihoioen, n. 6. 12, Guorliowen n. 10, Haelhowen n. 30, Judhowen
n. 76, Jarnhowen n. 129, Tuthowen n. 133, Mashoioen n. 189, Ron-
howen n. 233. Cart. de Redon ssec. 9 4 ).
J ) Vgl. C. Afonius Maximianus (Brixiae) Murat. 60, 9 = Avonius? Siehe Nerfinius
Fabretti p. 633, 288 = Nervinius; Safo (fluv. Campaniae) Tab. Peut. = Savo
Plin. 3, 5, 9.
2 ) Vgl. Aven (fig.) Fröhner n. 220, Sext. Avena Macrus, Orelli n. 4386, Avenianus
(M. Gavius Cornelius Agathemer) 1. c. und vielleicht irisch Aiffen Mart. Dungal.
Jun. 3 = Aven-us.
3 ) Evenus (abb. S. Melanii in Aremoriea) s®c. 11. Bol 1. Jan. 1. 333.
4 ) Vgl. auch kymrisch Cathouen ssec. 7. Lib. Landav. 189 = Cath-ouen.
218
Stark
Diesen kymrischen und armorischen Namen Euguen, Ewen
fasst Zeuss Ed. 2 p. 92 = Avinus und vermuthet für ihn die Bedeu
tung „virum impigrum, diligentem, vigilantem“ unter Hinweisung auf
das abgeleitete armorische Zeitwort euezhat (vigilare) Buh. 90,12;
euezaat bei Lhuyd 174, euesaat or laquat eues (to have care) neben
euez (attention) 1. c. 202.
Verwandt mit diesem Worte evez (— avid?, vgl. lat. avidus
und avidn, [ehtic, avidus] Gloss. Junii. Graff 1, 171), wahrscheinlich
auf die skr. Wurzel av (movere) zurückzuführen •), ist kymrisch
awyz an ardent desire; greediness mit den abgeleiteten Beiwörtern
awyzaug full of desire; eager, awyzus very desirous; eager; greedy,
eiiain to be moviug, dann etwa auch aiven f. genius, fancy, taste mit
den abgeleiteten Beiwörtern nwenawl poetical; harmonious, awenqar
having a genius or taste.
Behufs einer weiteren Untersuchung füge ich noch eine Reihe
von Personennamen an, von welchen einige etwa durch die eben ge
nannten Appellativa zu deuten oder wenigstens mit diesen auf eine
gemeinsame Wurzel zurückzuführen sind, andere aber vielleicht
anders erklärt werden müssen.
Avia (Tita Sauria) Steiner n. 1580, Avita Avia E. Hübner,
Monatsber. der Berliner k. Akad. 1861 Bd. 1 p. 400, Avia Aurelia,
Steiner n. 1890,
Ava, Auva (comitissa) a. 953. Marca hisp. n. 90,
Aua (abbas) a. 1019. Kemble 4 n. 729 p. 6,
Avienus ssec. 6. Ennodii Epist. 12, Amanus (pbr.) a. 889.
Marca hisp. n. 49 ä ),
Aviana a. 667. Pard. 2 n. 358 p. 143,
Avionius Justinianus, Momms. Insc. Neap. n. 5017 s),
Aviasius Servandus, Orelli n. 3325,
Avierna (comitissa Lautricens.) c. a. 989. HLgd. 2 n. 126,
Avicantus (deus) Orelli 2033, Avezandus et Donandus parentes
Placentii pbri, ssec. 10. Esp. sagr. Tom. 19 p. 386 4 ),
1 ) Vgl. skr. avana festinatio, avani cursus, fluvius, dann kymrisch avon, komisch
auan fluvius, ahd. awa fluvius. Siehe Glück, Renos, Moinos etc. p. 7 n. 22.
2 ) C. Avia{nus) Secundus (Mediol.) Orelli n. 1445.
*) Vgl. Aviones (pop. Germaniae) Tac. Germ. 40.
4 ) Vgl. Avico (capellanus) saec. 10. Thietm. chron. Mon. Germ. 5, 764. — Avicantus
kann als zweifach abgeleitet = Avi-c-ant-us aufgefasst werden. Vgl. auch Abiccl-
Keltische Forschungen. 219
Avil Fröhuer n. 241, Avi/ius Leselius, Fabretti p. 10, öl,
Avila saec. 9. Polypt. Rem. 57, 127,
Avelina .saec. 11. Perard p. 80: ssec. 11. Polypt. Inn. App.
p. 380,
Avelonia filia Avelani saec. 8. Polypt. Irin. 237, 90 '),
Avitus (Gallus civis et imper. Rom.) saec. 3. Idat., Acitus (T.
Flavins) Orelli n. 3773, Avitus (Ferrasius) Hefner, Röm. Bayern
p. 41, 23, Avitus, Aviteo f., Aviti off. Fröhner n. 243 — 246,
.1. Avitus Steiner n. 894, Avel Fröhner n. 223,
Avitus (ep. Vienn.) c. a. 500. Pard. n. 68; (ep. Avern.) sajc.7.
Boll. 21. Jan. 2 p. 280; a. 615. Pard. n. 230 p. 209; ssec. 9. Cart.
de Beaulieu n. 45; (pbr.) a. 775. Esp. sagr. Tom. 18 p. 306, Avidus
ssec. 9. Polypt. Rem. 68, 19; a. 1032. Cart. Savin. n. 636; Habitus
(ep. Urcetan.) a. 688. Conc. Tolet. 15 = Avitus,
Avita Avia, Moderati filia, E. Hübner, Monatsber. d. Berliner k.
Akad. 1861 Rd. 1 p. 400, Avita (Valentina) Steiner n. 460, Avita
a. 814. Polypt. Massil. N. 9 im Cart. S. Viel. 2, 653, Auitis (mancip.)
a. 955. Beyer 1 n. 99, Hauuit (uxor Raynardi domini Caseoli) c. a.
1140. Perard p. 231; Avitia Severa, de Boissieu p. 503, 11, Avitia
ssc. 11. Cart. S. Trinit. in Monte Rothomag. n. 46 im Cart. Sitb.
p. 446, Avicia a. 1066. Cart. S. Petri Carnot. p. 185 c. 59;
a. 1112. Cart. de Savigne. Morice 1 col. 523,
Avidiacca Colcbis, uxor Curtilii Marcelli, Orelli n. 3747 =
Avidi-acc-a,
Avitianus (Vitellins) Steiner n. 1295.
Avetonia Romana, Heiner, Röm. Bayern p. 180, 311, Avelonia
Yeneria, Heiner, Die röm. Denkm. Salzb. llenksch. d. Wiener kais.
Akad. 1 p. 36, 44,
Avidoria ssec. 9. Polypt. Rem. 52, 94 = Avid-ori-a,
Avis de Mean ssec. 11. Cart. Marmout. Morice 1 col. 436, Avesa
(villa) c. a. 499. Pard. 1 n. 65 p. 19 a ).
lus (testis) a. 800. Marca hisp. n. 52 = Avi-c-ell-us (siehe Zeuss p. 729) und rivo
de Arizona a. 888. i. c. n. 46.
Avalonia I. c. 264, 137; medietate de Avelanas ssec. 12. Ribeiro 1 n. 41, in villa
Avellan-cto sa?c. 10. Esp. sage. Toni. 19 p. 386.
2 ) Villa quae vocatur Avesias saje. 10. Cart. Savin. n. 139, in lerram Avesica saec.
11. Cart. S. Vict. Massil. n. 138. Vgl. auch Suavis (Bellius) Steiner n. 797 = Eil
avis. Wegen su- siehe Zeuss p. 832. 866.
220
Stark
Aus kymriseh eunt (gl. aequus) Gl. Oxou. 8 1 Zeuss p. 1080,
körn, eun (aequus, rectus, justus) = eunt aus avent (Zeuss p. 97)
sind dagegen gebildet die Namen:
Aventin (dea) Orelli n. 368—370, Aventin (auf einer Schale)
Hefner, Röm. Denkm. Salzb. Denksch. 1 p. öl, 89, Avencia (uxor
Basuli) a. 572. Pard. 1 n. 180 p. 139 t),
Aventins (ep. Asisinatium) Com. Marcell. Ed. Roncalli 2 p. 330,
Aventins a. 1069. Carl. S. Petri Carnot. p. 203 e. 78, Avent c. 1100.
Cart. Sarin, n. 863, Aventionis ecclesia a. 1145. Polvpt. !rm. App. 1
p. 112, Abentius (Astigitan. ep.) a. 633. Conc. Tolet. 4, Abientius
mit der Variante Habentius (ep. Ebor.) a. 646 — 656. Conc. Tolet. 8,
Avantus a. 1189 Lupi 2, 1365, Avantus (locellus) a. 615.
Pard. n. 230 p. 205,
Äuvendus a. 677. Pard. n. 357 p. 142,
Aventinus (Flavianus) Steiner n. 345, Aventini M(anu), Aven
tin in Fröliner n. 221. 222,
Aventiolus a. 573. Pard. n. 180 p. 140,
Aventicum (opp.) Momms. n. 309. 310. 331—333, Tac. Hist.
1, 68, Ammian. 15, 11, 12 3 ) und die Anfangs nur zur Vergleichung
genannten Namen Avondus, Avundus, Awndus, Aunda.
Anstadiu 72, 20.
Dieser Name, bei Förstemann 112 als zweifelhafte Form zu
alid. an st (gratia) gestellt, ist meiner Ansicht nach keltisch und ge
stattet eine zweifache Auffassung.
1 .Anstadia kann zusammengesetzt sein aus an- 3 ') und stadia —
statia 4 ), vokalisch abgeleitet von dem Hauptworte stet, armorisch
stat auctoritas Buh. 28, 23. Zeuss p. 906, kymriseh ystad, ystum
Status, Lhuyd 154, irisch st nid status; craft, wille (Lhuyd), giilisch
stätail (d. i. statil) proud.
*) Aveiitia (fluv. in Ital. sup.) Tah. Peut., jetzt Avanto, Nebenfluss der Trebia.
s ) Auavrtxov bei Ptol. 2, 8. Vgl. Avantici (Alpenvolk in Gail. Narbon) Plin. 3, 4.
3 ) Wegen an-, welches nicht blos eine negative, sondern auch eine verstärkende
Partikel ist (vgl. O’Donovan, Irish. Gramm. 271), siebe Thl. 1 dieser Forschungen,
Sitzungsber. 59, 164.
4) Eine Erweichung der ursprünglichen Tenuis zeigen auch im Polypt. Irin, die
Namen: Stadius 2, 4. Stadia 80, 24. 209, 9. Stadium (Nominativ) 213, 45 neben
Statia 151, 5.
Keltische Forschungen.
22t
Abgeleitet von diesem Worte stat sind auch die Namen:
Statins Albius Opianicus, Cicero pro Cluent. 4,9, Statins
Severus (cons. saec. 2) Arneth Röm. Mil. Dipl. p. 10, Statins (Lucius)
Steiner n. 501, Statins Murcus Caes. B. C. 3, 15,
Stat Hins Pragus, Orelli n. 114, Stalilia (Julia) Steiner n. 1907,
Statianus (Pomponius) Arneth. Röm. Mil. Dipl. p. 10,
Statulenus Juneus, Orelli n. 643,
Statutus (Togius), Statuta (Canonia) Steiner n. 274. 3273,
Statutianus Steiner n. 2516,
Statorius Auctus L. Jibertus, Orelli n. 3797, Statura (Aconius)
I. c. n. 3049,
Statari fil. (Maurellus) a. 749. Brunetti, Cod. dipl. Toscan. 1
n. 39 p. 534, 21,
kymrisch Stadud und Stadial, Töchter des Königs Ebrauc,
Galf’r. Monumet. 2, 8 = Statuta und Statialis •), dann
Staterius (res Albaniae) Galt'r. Monumet. 2, 17.
2. In dem Namen Anstadia kann aber auch ein Vocal ausge-
tallen und An-astadia, An-istadia die ursprüngliche Form sein.
Man vergleiche
Anast (plebs) a. 867. Cart. de Redon n. 202 = An-ast; An-
asteus (ahbas Savinian.) a. 883. Cart. Savin. 1 n. 2; (testis)
saec. 10. 1. c. n. 1 p. 4 = An-asteus,
Anastasius (ep. Tudens.) a. 633. Conc. Tolet. 4 ä ), in Conc.
Tolet. 6. a. 638 Anastasis geschrieben; Anastasius (mancip.) a. 883.
Cart. Sith. p. 128, Anastasia a. 814. Polypt. Massil. C. 2 im
Cart. S. Vict. 2. 634; saec. 9. Polypt. Rem. 48, 47. 57 —An-asta-
sivs, An-astasia, und verkürzt Anstasia, Anstasius saec. 8. Polypt.
Irm. 49, 94. 92, 115 neben
Astus Fabretti p. 77, 80, Asta (Caes. serva) Orelli n. 6260,
Alae I ae Astorum, Conderco (per lineam valli in Bri't.) Not. dign..
Asto tpraepos. Prutn ) a. 943. Beyer, Mittelrhein. Urkdb. 1 n. 181,
Asta (colonia in Hisp.) Masdeu, Hist. crit. Tom. 6 n. 502 s),
Astedia a. 591. Mab. AS. saec. 1 p. 351, 2, Asiat a. 1020.
Remling n. 24,
Vgl. Statal . . v. Sacken, Sitzungsber. il, 721 = Stataliu8 oder Statalia.
2 ) Der Zusammenklang mit dem gleichlautenden griechischen Namen ist ein zufälliger.
3 ) Vgl. auch Astapa (opp. Hisp. Baet.) App. Hisp. 33.
222
Stark
Astino (ACTICO) Gal!. Münze, Ackermaii, Ancient coins
p. 149 n. 1, Asticus a. 1093. Miraei Opp. Tom. 2 p. 1140 c. 23,
und, falls in Anstadia der unterdrückte Vocal i ist,
Istatilus (Viromarus Istatili f.) Rhein. Mus. N. F. XIII p. 291, a,
Histeius (centurio) Tac. Ann. 13, 9 = lsteius •),
Historia f. stec. 9. Polvpt. Rem. 104, 46, Istoria c. 1100.
Gart. Sarin, n. 839 p. 446, welcher Name auch in
Anstoria (mancip.) a. 853. Beyer 1 n. 83 = An-istoria vor
liegen kann, wenn nicht die Auffassung ^lw-sfoiv'« 2 ) vorgezogen wird.
Der Ausfall eines Vocals ist auch anzunehmen in den Namen:
Anstinus s®c. 9. Polvpt. Rem. 75, 56 = An-astinusAn
is tinus 4 ),
Ansterius (archiep.) a. 909. Perard p. 56, armorisch Anste-
rius (Vater des Guethenoc) ssec. 11. Gart. eccl. Corisopit. Morice
1 col. 376 = An - asterius r >) , An - esterius °), wenn nicht An
sterius 7 ).
Aliens (mon. Tricas.) 114, 10 ssec. 9.
Dieser Name ist kaum zu scheiden von
Atticus (Casurinus) de Boissieu p. 118, 2, Atticus (Valerius)
E. Hühner, Monatsber. d.k. Akad. d.W. in Berlin, 1861 Bd. 1 p. 38,
1 J Vgl. Castrum llisdini a. 1000. Polypt. Irin. App. 10 p. 333.
2 ) Vgl. Sturilio (abb.) a. 680. Pard. n. 391 p. 182, Sturii (eine Völkerschaft auf
einer durch die Mündungen des Rheins gebildeten Insel) Plin. 4, 15, 29, Stura
(zwei Nebenflüsse des Po), Plin. 3, 16. 20, Sturius (Fluss iu Britannien) itin.
Rieh. Cireencestr. Ackernian, Archeological Index. App. p. 172 und irisch Mae-
lissa Ua Stuir, scrihe and philosopher of Munster, a. 966. The four masters.
3 ) Vgl. Astinus in Astinianus fundus ssec. 8. Cod. dipl. eccl. Ravenn. 70, Astenus
a. 919. Lupi 2, 114.
4 J Vgl. das vorher erwähnte Castrum Hisdini.
5 ) Asterius a. 494. Pard 1 n. 53; a. 806. Lupi 1, 646, Asterius Loverius (Sohn des
Silvius) c. a. 1100. Cart. Savin. n. 847, Asteriolus (Theodoberti I. amicus) Greg.
Tur. 3, 33.
6) Ester (masc.) a. 960. Redei, Üocum. de S. Hilaire de Poitieux n. 28, Licinius
Estianu8 ssec. 3. v. Sacken. Arch. f. K. österr. Geschq. Bd. 9 p. 716, Quartinius
Estius Steiner n. 1835.
7 ) Vgl. Epo-ster-ov-id-us Orelli n. 660, 4. Stcranus (ep.) a. 693. Pard. n. 431
p. 229, Sterentius de Licorno a. 135^. Valentinelli, Regesten z. Gesell, d. Pa
triarchen von Aquileja. Notizblatt. Beilage z. Arch. f. K. österr. Geschq. Bd. V
.lahrg. 7 p. 132. Kann aber in Sterentius nicht ein prosthetisches s vorliegen und
dieser Name statt Terentius stehen?
Keltische Forschungen.
223
Atticus Caeiionis (fil.) 1. c. Bd. 2 p. 396, Atticus Cliandler, Marm.
Oxon. p. 13S, 48, Attici M(anu) Fröhuer n. 202, Atticius Maternus
Steiner n. 1012,
Attica (Camulia) Reines. Syntagm. p. 809 cl. 16 n. S6, Attica
Attici iilia, Aug. üb. (a. 58) Orelli n. 1494 und von den durch
weitere Ableitung gebildeten Namen:
Atticilla Cliandler, Marm. Oxon. p. 133, 48 «), Atticilla (Clau
dia) de Boissieu p. 412 nota 5 a ),
Atticianus Speratus, Wiltbeim, Luciliburg. PI. 8 n. 20.
Zur Deutung dieser Namen dient vielleicht irisch at (tumor, su-
perbia) Lhuyd 167. Da -ic im Kymrischen aus Hauptwörtern Bei
wörter bildet (vgl. bonhedic nobilis und bonlied genus Zeuss p. 861),
so kann aticus als Beiwort mit der Bedeutung valens, superbus auf-
gefasst werden. Man beachte auch irisch ataigli, von Lhuyd durch
gaisgeadh (valor) erklärt, und gäliseh aitheach (d.i. (die) gigantick.
Vocaüsche Ableitung von at zeigen die Namen:
Attio Lani fil. Steiner n. 343, Atio (Devognatia Ationis filia)
Knabl, Mitth. d. hist. Ver. f. Steierm. 6, 14,
Attius Fröhner n. 207—208, Ateius 1. c. n. 168—177,
Ateia Grut. 742, 3.
In diesen Bildungen sehe ich gleichfalls Beiwörter und ich ver
gleiche armorisch podnyus (molestus) abgeleitet von poan (mole-
stia) Lhuyd 93 mit yu d. i. iu.
Cenzo (pbr. mon.) 49, 26 ssec. 8.
Dieser Name, aus Cencius d. i. Centius entstanden reiht sich
an die Namen:
Cintus (Melus) Steiner n. 1862, Ciinti F. (Centi figlina) I. c.
n. 1452, Cintius Victor, Orelli n. 3771; Centius (Papae acolitus,
filius Octaviani, Hostiens. et Velletrens. ep., apost. sedis legati) a.
1202. Cart. Paris. 1 n. 127 p. 116,
Centullus Murat. 1281, 6; Centullus (pbr.) a. 890. Marca bisp,
n. 52; Centullus (comes Bearnens.) a. 1079. Greg. VII. Reg. 6, 20.
Jafle 2, 357,
Cintugnatu (auf einer Schiissel von Siegelerde) Bonner Jahrb.
43 p. 223,
*) Schwester des vorher erwähnten Atticus.
2 J de Boissieu liest Atticilla.
224
Stark
Cintugenus Momms. 352, 80,
Centumalus (Cn. Fulvius), Cons. a. U. C. 555. Flor. 2, 5,
Fercintus ssec. 9. Polypt. Rem. 3, 3 = Ver-cintus,
Atcenturius a. 1041. Gart. S. Viet. Massil. n. 1048 = At-
centu-rius *),
Kintwallon, Kintwant, Kintwocon ssec. 9. Cart. de Redon n.
2. 13. 50,
Centmit ssec. 6. Lib. Landav. 70, jetzt Centwyd 315; Cintunt
1. c, 154.
Zur Deutung dieser Namen dient kymrisch cyn (primus, prse-
cipuus, prsestans) = älterem cynn, eint, armorisch centa, irisch
ceann bei Lhuyd 128, zurückzuführen auf kymrisch cyn, armorisch
cen, cent (ante, prius). Vgl. Zeuss Ed. 2 p. 18. 68. 89. Glück p.
VIII. und 60, Lhuyd 43.
Zu den obigen Namen stelle ich noch Harichindus (abbas) a.
671. Pard. n. 366 p. 157, der meiner Ansicht nach statt Ari-cintus
steht 3 ).
Columba (abbas) 71, 2,
Patrick, Columba und Brigita 3 ) sind die drei Hauptpatrone
Irlands.
Colum d. i. Columba, Sohn des Felim, d. i. Feidhlim, Feidh-
ümid in den Ann. IV. mag., war der Apostel Schottlands und der
erste Abt zu Hy, wohin er im Jahre 565 kam und wo er 34 Jahre
verblieb.
Der erste Name dieses Abtes war Crimthann d. h. Fuchs. Colum
(Taube) wurde er benannt, weil er an Güte und Sanftmuth (ar
cheudra acus ar ailgine) der Taube gleich war. Vgl. Martyr. Dungal.
Jun. 9 p. 150—163.
Dieses Martyroiogium nennt neunzehn Heilige dieses Namens,
der Colum, Columm'*), Coluim, Columba geschrieben wird.
1 ) Wegen atatc- siehe Zeuss p. 836. 837. 872.
2 ) Wegen ari-, kymrisch, irisch er- siehe Zeuss p. 834. 836. 867.
3 ) Zu diesem im ersten Theile dieser Forschungen (Sitzungsber. ßd. 59 p. 196) be
sprochenen Namen habe ich nachzutragen, dass O’Donovan in den Annales of the
four masters, Vol i p. 171 nota u bei Saint Brighit bemerkt : „This name
is explained breoshaighith i. e. fieri Bart in Cormac’s Glossary and by
Keating*.
4 ) Colum, columrn statt columb. Zeuss p. 76. 733. 752.
Keltische Forschungen. 225
Mit dem Worte colum zusammengesetzt sind die irischen
Namen:
Gillacolum: Domhnall son of Gillacoluim O’Canannain, slain
a, 992. und
Maelcoluim Caenräigheacli a. 1013. Ann. IV. mag.
Oh der kymrisehe Name Columpbran ssec. 6. Lib. Landav. 138
durch „Taubenrahe“ zu übersetzen oder anders aufzulassen ist, mag
dahin gestellt bleiben.
Näher zu untersuchen sind die Namen:
Colum (Amblardi) c. a. 1073. Cart. Saviniac. n. 764 = Col-um
oder Co-lom-us?
Colamfridus saec. 8. Cod. Lauresh. n. 226, wahrscheinlich
= Co-lamfrid d. i. Co-lampridus*).
Durch columba können gedeutet werden die Namen:
Columbus a. 739. Pardessus n. 339 p. 372; (praepositus) a.
1158. Charmasse, Cartul. de l'eglise d’ Autun P. 2 n. 11,
Columba (virgo sacrata in Foro Julii; a. 524) Orelli n. 1160;
(colona) a. 766. Test. Tellonis ep. Cur. Mohr, Cod. dipl. Rhaetiae 1
n. 9 p. 13,
Columba Zaniz (fern.) a. 963. Ribeiro 3 n. 8,
Columba, Tochter des Boneildus 2 ) und der Nomina, a. 1029,
Esp. sagr. Tom. 36 App. n. 15,
Columbia (Sta) Codex Theodorici der Bened. Abtei Deutz. Bon
ner Jahrb. 41 p. 45, doch können sie auch = Co-lumbius, Co-lum-
bia aufgefasst werden.
Man beachte armorisch Lumpeu a. 833. Cart. de Redon n.
123, kymrisch Lumbiu (pbr.) saec. 6. Vita S. Cadoci c. 63.
Lives 93.
Nicht zu übersehen ist aber, dass das Wort Columba (Taube)
und auch die Namen Columbus, Columba wahrscheinlich von irisch
cöil (subtilis) Zeuss Ed. 2 p. 9, jetzt caol (tenuis, gracilis), kym-
*) Vgl. Lampridius Faustinus, Gruter 798, 9, dann „locus qui vocatur Lavipridic
a. 1026. S. Gildas des Bois. Morice 1 col. 363, Lempfrit saec. 8. Cod. Lauresh.
n. 967.
2 ) D. i. Bo-neildus? Vg-1. Naildis f. saec. 8. Polypt. Irm. 140, 47, vielleicht =
Navildis.
226
Stark
risch kyl (id.) Lhuyd 64, 162 durch -umb J ) abgeleitet ist und dass
letztere nicht nothwendig durch Taube zu deuten sind.
Columbanus 71, 12.
Nach der Vermutlning des Herrn v. Karajan ist hier jener Co-
lumbaniis gemeint, welcher Abt zu Luxeuil war und zu Bobbio am
21. Oct. 615 starb. Sie ist aber keineswegs sicher, da das Martyr.
Dungal. nicht weniger als 94 Heilige dieses Namens kennt, unter
denen mehrere Äbte und Bischöfe waren. Ich erinnere auch an Col-
män, d. i. Columbän, welcher mit Kilian zu Würzburg den .Märtyrer
tod litt (Thietm. ehron. 1, 3), aber auch an Colmdn abbas Lothra,
welcher in den An. Ult. (An. IV mag. Edit. O’Donovan. Vol. 1 p. 139
nota 8) unmittelbar nach Conctin (d. i. Conmael), mac Failbe, abbas
Jae, mit dem Todesjahr 709 eingetragen ist. Auch im Verbrüderungs
buche folgt Columbanus unmittelbar nach Conomail (Conomblo).
Dass Columbän, Colmdn Diminutiv von Columb, Cohan ist,
wurde schon im ersten Theil dieser Forschungen (I. c. p. 205
Anm. 1) erwähnt.
Dass der Name Colmanellus Boll. AS. Mart. 2, 560 eine zwei
fache Deminution des Namens Colum darstelle und = Columbanellus
sei, ist zweifelhaft; Zeuss (Ed. 2 p. 297) denkt daher auch an irisch
colmene (gl. nervus) Sg. ~) und die Deutung durch dieses Wort
ist auch wahrscheinlicher. Nebenher erlaube ich mir aber auch dar
auf aufmerksam zu machen, ob der Name Colmanellus nicht = Col
manellus zu fassen sei. Man beachte
Matiilius Cordus, de Boissieu p. 271, 24,
Mannei a. 868. Kemble 5 n. 1061 p. 120,
Mannelinus (pbr.) ssec. 8. Cod. Lauresh. n. 213, dann
Colgrinus a. 1051. Kemble 4 n. 795 p. 126,
Colworetan a. 833. Cart. de Redon. n. 5,
Colbrit (abbas S. llduti) Lib. Landav. 140.
Coranzan 54, 30. 80, 14 ssec. 8.
Coranzanis 82, 51. Coranzanus 85, 43 ssec. 8.
Die ursprüngliche Form dieses Namens, abgeleitet wie Dona-
zanus ssec. 8. Verbrüderungsb. v. St. Peter 82, 32, Maorinzun a.
!) Vgl. (len wahrscheinlich griechischen Namen Corumbus (lib.) Monoms, n. 1064.
2 ) Vgl* irisch colma = cruas (hardness, rigour) Lhuyd, calma (nervosus) I. c. 98.
Keltische Forschungen.
227
769. Urkdb. v. St. Gallen n. 55, Morinzanus a. 764. I. c. n. 41*),
scheint Corantianüs zu sein, eine jüngere Bildung von dem Worte
cor. Vgl. irisch cöre (pax) Wh. 2 d . 3\ 7 b . 13“ Zeuss Ed. 2 p. 23,
gälisch coir adj. just, honest, virtuous, kymrisch coraug (liberalis)
Lhuyd 215, aber auch irisch cur (power), curadh (champion)
Lhuyd.
Zur Vergleichung mögen dienen die Namen:
Correus (Bellovacus) Caesar B. G. 8, 16. 19, Corrius Antiquus,
Corria Paullina filia, Orelli n. 4522,
Corus (ex Letavia monacus) saic. 6. Vita S. Padarni.
Lives 189,
Coric a. 866. Cart. de Redon n. 259, ferner
Curia Lada Steiner n. 1409,
Curandius (sagittariorum tribunus) a. 371. Ammian. 29,
10, 24,
Curiela (Tochter des armorischen Königs Judhail) ssec. 8.
Exc. chron. Brioc. Morice 1 col. 17.
Nicht unwahrscheinlich ist es aber, dass Corunzanus ursprüng
lich Corunzanus lautete.
Wird diese Vermuthung nicht zurückgewiesen, so läge hier der
vielleicht altgallische Name Coruncauius vor:
Coruncunius (Julius), Vater des Jul. Diadumenus, Orelii
n. 4795,
Coruncanius Statius 1. c. n. 1378.
Dieser Name ist aber, wenn gallisch, nicht von cor abgeleitet,
sondern = Co-runcanius. Man beachte
Runcanius Asturius, Orelli n. 3088.
Wegen co-=con- vgl. Zeuss p. 15. 836, wegen z in Coran-
zanus statt c vergleiche die Namen:
Verzobius Orelli n. 3993 d. i. Ver-cobius 1. c. n. 2728,
Zufet (Rudolfus) a. 1146. Cartul. S. Vict. Massil. n. 990
p. 442 —Cufet (Rodulfus) a. 1066. 1. c. n. 698,
Zufardus (Petrus) und Cufardus (Petrus) ssec. 11. 1. c. n. 508
und 514,
1 } Vgl. Morenzeo a. 829. Neer. Fuld. Dronke e. 4., Maurentius (vir illuster)
a. 842. Ried n. 35, Maurentianua (mancip.) a. 573. Test. Aredii. Pard. 1 n.
180 p. 139.
SiUb. d. phil.-hist. CI. I.XI. Bd. II. Hft.
16
228
Stark
Zumbracus de Tinz, ssec. 13. Liber fund. monast. Zwetl.
p. 163 d. i. Cum-bracus, Com-bracus <).
Cristan 34, 4 ssec. 9; 100, 25 ssec. 8—9.
Cristianus (ep. Patav.) 120, 12 ssec. 11.
Christina (monialis) 40, 15; Cristina 42, 6;
Hristina 41, 23 ssec. 8—9.
In diesen Namen sehe ich keltische Bildungen lind ich stelle
sie zu
Crestus (M. Aurelius) Orelli n. 3296, Crestus (Ramnius) 1. c.
7044, CVesOis (Pasquius) Du Mege, Archeol. pyren. 3 p. 139, Cresti
O(fficina), Cresti M(anu) Fröhner n. 848. 849, Cristo f(ecit) 1. c.
n. 855, Cristeus; Christeus ssec. 9. Polypt. Irm. 111, 272. 260,
116. 270, 183,
Crestianus (Jucundus) Orelli n. 4426, Christianus (abbas)
a. 625. Pard. n. 238. p. 225, Cristianus (mancip.) a. 737. Trad.
Wizenb. n. 241; ssec. 8. Polypt. Irm. 115, 301,
armorisch Cristian a. 833. Cart. de Redon n. 7,
Christiana ssec. 8. Cod. Lauresh. n. 501,
Crestina (Annia) Inscr. Ravenn. Orelli n. 4396, Cristina
ssec. 8. Polypt. Irm. 9, 22. 92, 110. 234, 55; ssec. 9. Polypt. Rem.
36, 29. 41, 8. 69, 25, Chrestina a. 970. Cart. Savin. n. 317
p. 195,
Cristinus ssec. 9. Polypt. Rem. 83, 12, Kristin ssec. 10. Cre-
celius, Index bonor. 1 p. 5,
Cristantia (Frankfurter Bürgerin) a. 1223. Böhmer, Urkdb.
d. Stdt. Frankl', p. 40,
Cristitina (mancip.) a. 797. Kausl. n. 45 2),
Christidomis, Christiduna a. 814. Polypt. Massil. H. 46. 67
im Cart. S. Vict. 2, 645. 647 3),
Cristemia ssec. 9. Polypt. Rem. 45, 25. 55, 117 4 ),
*) Wegen com- siehe Zeuss p. 836.
3 ) Cristitina ist zunächst abgeleitet von crislit, crist-it, wenn nicht Cristitina.
s ) Auch dieser Name zeigt eine zweifache Ableitung: -id-un, wenn nicht = Cri-
stidomi8. Vgl. übrigens Restedunus ssec. 8. Polypt. Irm. 215, 9.
Die Ableitung -em (Zeuss p. 732) zeigen auch die Namen Polcmius (Asturicens.
ep.) a. 572. Conc. Bracar. 2., Polcmia a. 814. Polypt Massil. G. 10 in
Cart. S. Vict. 2, 640, Balsemia, Mauremia ssec. 9. Polypt. Rem. 49, 58. 54, 111.
Keltische Forschungen.
229
Cristiommus ssec. 9. Polypt. Rem. 5, 2 i),
Oristorius ssec. 8. Polypt. Irm. 8, I? 2 ),
Cristorgius ssec. 9. Polypt. Rem. 45, 26 — Crist-org-i-us s )?
Cristofia ssec. 9. Polypt. Rem. 105, 60=Crist-ov-i-a 4 ) ? und
-vielleicht mit weiterer Ableitung:
Cristofilus ssec. 8. Polypt. Irm. 90, 95 = Crist-ov-il-us,
Cristofolus 1. c. 63, 22; Cristofolo a. 888. Esp. sagr. Tom. 28
p. 248 n. 3 = Crist-ov-ol-us, Crist-ov-al-o,
Cristoforus ssec. 8. Polypt. Irm. 8, 17 = Crist-ov-or-us r >),
kymrisch Ygrestil (particula) Vita S. Cadoci c. 46. Lives 83 —
Y-crestil,
Cristiolus, Sohn des Howel Vychan, Lives 598, 7,
irisch Criostan (St.) Mart. Dungal. Jun. 12 6 ).
Diesen schliesst sich noch an der zusammengesetzte Name
Benecristus ssec. 8. Polypt. Irm. 188, 80=ßene-cristus, Pen-
cristus ? 7 )
Zur Deutung dieser Namen dient das irisch-gälische Beiwort
criosd (swift, quick, nimble, active, smart) Lhuyd d. i. crest, crist.
Vgl. griech. ^pyjaro? brauchbar, tüchtig, nützlich.
Komisch crest ars, crestor artifex im Voc. corn. nach Zeuss
p. 1106 und clicrest iners p. 866 scheinen verlesen zu sein statt
■cref't ars, digref iners, kymrisch digreft, bei Lhuyd 43, 70.
*) Vgl. auch Ilisomma, Gericommus saec. 9. Polypt. Rem. 48, 52. 85, 29.
2 ) Cristorius und Cristoforus sind Söhne des Cristoinus (d. i. Crist-ov-in-us?) und
der Nolgia (d. i. Noligia, Nol-ig-i-a). Vgl. den armorischen Namen Noli (testis)
a. 833. Cart. de Redon n. 8, dann Guilelmi Nul a. 1224. Cart. S. Vict. Massil. n.
924 p. 346.
8 ) Vgl. Viturgia (Frauenname) Vopisc. Proc. c. 12, Hisorgia saec. 9. Polypt. Rem. 50,
75, Doolorgus a. 875. HLgd. 1. n. 100.
4 ) Vgl. Licovius Sextus, Steiner n. 3128, Cohors Cornoviorum Not. dignit.
5 ) Vgl. Epo-ster-ov-id-us Orelli 660, 4, Volovicus Steiner n. 2767 = Vol-ov-ic-us,
Ollovicus (rex Nitiohrigum) Caes. B. G. 7, 31 = Oll-ov-ic-us, Allovera (liberta)
a. 533. Test. Remigii. Pard. 1. n. 180 p. 139 = All-ov-er-a, Menovera sasc. 9.
Polypt. Rem. 52, 95 = Men-ov-era. — Siehe den Zusatz am Schlüsse.
6 ) Christignus in Bernardi Vita S. Malachiae c. 9. — Die Form Giolla-Criost (Mart.
Dungal. p. 394), Gillachrist (1. c. p. 169) mit der von O 1 Donovan (Annals of the
kingdom oflreland by the four masters 1 p. 320 n. 2) gegebenen Erklärung: the
Servant or Vassal of Christ beruht auf einer späteren kirchlichen Umdeutung.
7 ) Vgl. armorisch JPenwas saec. 9. Cart. de Redon. n. 256.
16*
230
Stark
Donaxanus 82, 32 ssec. 8.
Die ursprüngliche Form dieses Namens zeigt
jDonatianus (Marcius) de Boissieu p. 236. Donatianus (eccle-
sia Burgensis S. Donatiani) a. 961. Mirai Opp. Tom. 1 p. 43.
Dieser Name ist abgeleitet mit -i-nn (Zeuß p. 735) von Do
natus, gleichfalls eine abgeleitete Form von dem Worte don.
Zur Erklärung desselben dient wahrscheinlich kymrisch dyn
(homo, vir) d. i. dun, armorisch den, altirisch duine d. i. dune,
etwa==älterem done (Zeuss Ed. 2. p. 92. 93).
Von diesem Hauptworte ist gebildet das kymrische Beiwort
dynaidh (virilis), gälisch dynaidh (humane, gentle, kind) Lhuyd 66.
Die letztere Bedeutung haben auch irisch dynna und kymrisch dynol.
Hier können von gallischen Namen herbeigezogen werden:
Donna (Publius) Steiner n. 1862, Donnus — Durnäcus, (gall.
Münze) Duchaiais n. 529,
Donnus Murat. 22, 6 *), Donnus a. 964. Pard. n. 432, daun
in den Inschriften bei Steiner Donius Suavis n. 504, Donnhts Vindex
n. 982, Donnius Atticus n. 3015,
Donaw (libertus) Orelli n. 7&2=Donclcus,
Donnauc f(ecit) Fröhner n. 1011 2 ),
Donatus (servus), Donatus (Claudius), Donatus (Lucius)
Steiner n. 1022. 2597. 2598, Donatus (Fig.) Fröhner n. 1007—
1008, Donatus (ep. Vesont.) a. 636. Pard. 2 n. 275 p. 41; saec. 8.
Polypt. Irm. 229, 12; a. 814. Polypt. Massil. A. 3 im Cart. S. Vict. 2,
633; (sacerdos) a. 843. Marca hisp. n. 17 s),
Donilla (Criconia) Steiner n. 1824,
Donusa (Julia), liberta, Orelli n. 4435 4 ), vielleicht auch
Doningus ssec. 8. Polypt. Irm. 217, 19 5 ), dann
*) Muratori bemerkt zu diesem Namen: „Donnus iste ille fortasse fuit qui Alpibus Cot-
tiis regio nomine olim est dominatus.“
3 ) Vgl. kvmr. dynaicg (abunding with virilitv) Owen d. i. dunauc oder dunac.
3 ) Vgl. Connmhach, son of Donat, a. 796 ; Donait, son of Tohence, Abbot of Corcach.
a. 759. The four masters. — Von den obigen Namen können die jüngeren auch
auf Dunatu8 (vgl. irisch dunad exercitus, arx und Mars Dünatis Orelli-Henzen
n_. 7416 7) zurückgeführt Averden.
Wegen der Ableitung -us siehe Zeuss p. 748 dann Illatusa Orelli n. 432 und den
irischen Männernamen Flaithiusa, son of Cinaedh, a. 801. The föur masters.
5 ) Ueber die Ableitung -ng siehe Zeuss p. 756, dann irisch Moling (St.) Mart. Dungal.
Jun. 17, Conaing a. 727. The four masters; Ivinga saec. 8. Polypt. Irm. 90, 97 u. v.a.
Keltische Forschungen.
231
die kymrischen Namen:
Dyne (dux) a. 816. Kemble 1 n. 209, Dynne a. 824. 1. c. n.
218, Hedun Dun Lives p. 265, 6,
DynawdWzwv, Lives p. 593, 15, Dunawd f. 1. e. 107=0«-
natus, Dundta ? ') und etwa
die irischen Namen:
Duineachaidh Ua Daire, lord of Ciarraighe Aei, a. 791 und
Duinseach, wife of Domhnall, son of Aeth, king of Ireland,
a. 653. The four masters.
Tubetisius (ep. vel abb.) 14, 9. Tubinsius (mon.) 16, 22.
Tubinso (mon.) 52, 16 saee. 8.
Diesem Namen steht zur Seite der irische Name Dubinsi,
welcher in den Annalen der vier Meister viermal erscheint:
Duibhinsi, scribe of Cluain-mic-Nois, a. 814; abbot of Inis-
Caindeagha, a. 879,
Duibhinnsi, bishop of Beannchair, a. 951 ; bell-ringer of
Cluain-mic-Nois, a. 1032.
Nach Förstemann p. 354 ist Tubinsius deutsch, und er versucht
diesen Namen durch altnord, dubba (schlagen) zu erklären.
Allem Anscheine nach ist der irische Name Dubhinsi eine Ablei
tung von dubh, welches niger (Zeuss Ed. 2 p. 14) aber auch mor
(d. i. mär) magnus bedeutet (Lhuyd).
ln den Annalen der vier Meister sind viele irische Personennamen
verzeichnet, welche als erstes Glied der Zusammensetzung das Wort
dubh, allem Anscheine nach zur Verstärkung dienend, zeigen, so:
die Frauennamen Dubchoblaigli a. 1008, Duibhleamhna a. 941,
die Männernamen Dubhartach a. 865, Dubhchalgach a. 764,
Dubcheann a. 889, Dubhchuilinn a. 896, Dubhdroma a. 754, Dubh-
duin a. 957, Dubhgliall a. 912, Dubhgualai a. 710, Dubhlachtna
a. 890, Dubmerchon a. 195, Dubhscuile a. 962, Dubhslaine a. 1024,
Dubshlanga a. 1003, Dubhslat a. 522, Dubhsleibhe a. 715, Dubh-
thoirtlirigh a. 876, Duibhghilla a. 89S, Duibhginn a. 951, Duibh-
innreacht a. 776, Duibhlitir a. 836.
Vgl. Zeuss p. 809. — Diese Namen sind zu scheiden von „Mars Dünatis Orelli-
Henzen n. 7416. Siehe Glück p. 139, Pietet, Revue archeol. 1867 p. 387
232
Stark
Ableitungen mit -ns zeigen die Namen:
Melensiu Posilla (Inscr. Nismes) Hist, de Languedoc 1 Preuves
p. 10 n. 53,
Crescens Jamillus Steiner n. 239, Crescens (Aedius Veneonius)
1. c. n. 1013 i).
Insequens Senilis Grut. 730, 11 d. i. In-sequens 2 ),
Manens (libertus) E. Hübner, Monatsberichte der k. Akad. in
Berlin. 1861. Bd. 1 p. 97 »),
Libens (Cornelius) !ib. Du Mege, Archeol. pyren. 3 p. 409;:
Libens (Q. Valerius) Q. f. Steiner n. 2079 4 ),
Eminens (T. Gavius) Orelli n. 3597 5 ),
Praesens (Bruttius) Cons. a. 246. Steiner n. 268 6 ), ferner
Cholensus ssec. 8. Cod. Lauresh. n. 1993,
Emens (testis) a. 1045. Cart. S. Yict. Massil. n. 247,
Liutins; Itins f. Verbrüderungsbuch v. St. Peter 33, 27-
40, 35,
Basins s®c. 11. Kemble n. 749,
irisch Fraechan son of Teninsan a. 555. The four masters.
Ob aber in Dubhinse eine gleiche Ableitung oder eine Composi-
tion, vielleicht Du-bhinnse 7 ) vorliegt, mögen Kundigere bestimmen.
O Vgl. Cresces (6g.) Steiner 2636 b. 3328, Crisconius (ep.) a. 804. Esp. sagr. Tom.
26 p. 444, Criscius a. 870. Gatolla p. 41 b, Crescentius Marcellus, Mitth. d. h.
V. f. Steierm. 9, 2.
2 ) Vgl. Sequcntia Faustina S-teiner n. 345, dann Sequana (fluv. Gail.) und Sequani
(pop. Gail.) Caes. ß. G. 1, 1. 9.
3 ) Vgl. Manius Caelius, Mania Martia, Steiner n. 1287. 1996, irisch Manus: Dermot.
O’Conor, son of Manus, son of Turlough More of Connaught, a. 1207. The four
masters, armorisch Manus a. 860. Cart. de Redon n. 213.
4 ) Vgl. Libo (mancip.) a. 724. Trad. Wizenb. n. 41, M. Libius Mucro, Grut. 877, l r
Libinus (comes) a. 360. Ammian 21, 3, 2, fällt im Kampfe gegen die Alamannen^
irisch Liban Muirghelt, daughter of Eochaidh a. 558. The four masters.
5 ) Vgl. Emanus (dux) Justin. 24, 7, Emon (fig.) Steiner n. 149, Emina saec. 8.
Polypt. Irm. 103, 197, kymrisch Eman saec. 7. Lib. Landav. 162, irisch Domhnall
son of Eimhin a. 1013. The four masters.
6 ) Vgl. Seppia C. f. Praesentia und C. Terentius Praesentinus ihr Sohn, Steiner n_
2716, Presianus (L. Mestrius) Murat. 5, 5 (Brixiae), Strenus Brisiae fil. 1. c. 48, 2 r
irisch Breas, son of Ealathan, monarch of Ireland, a. m. 3304. The four masters.
7 ) Vgl. gäl. binneas m. music, harmony, melody d. i. bindeas und den irischen Bei
namen Guiihbinn (Conall), son of Suibhne, a. 600. The four masters, und J)u-
tigirn (dimicat contra gentem Anglorum) bei Nennius.
Keltische Forschungen.
233
Fernucus (pbr. S. Petri Tricasin.) 114, 21 ssec. 8 — 9.
Dieser Name kann = Ver-nucus aufgefasst werden, und ich
verweise wegen des zweiten Compositionsgliedes auf die Namen
Noca, auch Nucia (ancilla) a. 533. Test. Remigii. Pard. 1 n.
118 p. 83 und n. 119 p. 87,
Nocatus, filius Retti, Wilde, Cataloghe of the Antiquities in the
Museum of the Royal Irish Academy (Dublin, 1857) p. 135.
Als zusammengesetzt mit der Verstärkungspartikel ver- (Zeuss
p. 829, 867, 868) ist auch zu betrachten der Name:
Verniviamis (mancip.) a. 533. Test. Remigii. Pard. 1 n. 119
p. 87 neben Nivo a. 662. Pard. n. 345; ssec. 9. Polypt. Rem. 19, 7.
33, 6, Nivius a. 1019. Cart. S. Vict. Massil. n. 75, Niva (abbatissa)
a. 1164. S. Sulpice. Morice 1 col. 653, Nivalis Fröhner n. 1713,
Nivalus ssec. 8. Polypt. Irm. 102, 184, Nivacio a. 685. Pard.
n. 404.
Wegen f statt v in fer- vergleiche Fercintus ssec. 9. Polypt.
Rem. 3, 3 = Ver-cintus, Fermilianus a. 540. Marini, Papiri diplom.
n. 115 p. 177 = Ver-milianus neben MiUanus Goldast 2, 141,
Melianas ssec. 8. Polypt. Irm. 156, 42, Adoyre Milian ssec. 11.
Kemble 4 n. 981, Meliana f. a. 1126. Mirsei Opp. 1 p. 379 c. 48.
Wahrscheinlich aber dürfte der Name Fernacus abgeleitet sein
mit -uc (Zeuss p. 772) von einem Worte vern, und ich möchte zu
seiner Deutung lieber an gälisch fearn (bonus) , als Hauptwort
clipeus, scutum (Lhuyd 44. 48. 147), denken, als an irisch fern,
jetzt fearn, mit der Bedeutung alnus, welches Wort wohl zur
Bildung von Ortsnamen verwendet erscheint. Vgl. Glück p. 35. 125.
Aul' eine Abstammung von vern weisen die Personennamen :
Vernus Serani fil. Du Mege, Archeol. pyren. 2 p. 15 7, Vernus
(Atilius) E. Hübner. Monatsber. d. k. Akad. in Berlin 1860 p. 440,
Vir ne ins: Cavius Virneii (filius) Orelli n. 3938,
Verna (Cal.) Steiner n. 2201,
der irische Beiname Feorna (Flann), lord of Corca-Modhruadh,
died a. 737. The four masters, dann
Fernacli (dux) Vita S. Brachani. Lives of the Cambro-British
Saints (Ed. Rees) 272 i),
1 J Dieser Femach erscheint im Gefolge des irischen Königs Aulach.
234
Stark
die kymrischen Namen:
Gwern 154, Gwertiabwy 72, Gwerngen 203, Gwernoneu 470
im Liber Landavensis,
Cinguernn Cod. Lichfeld. im Lib. Landav. 272,
die armorischen Namen:
Jaguern a. 860. Cart. Prumens. Morice 1 col. 316 <).
Cronguern in dem Ortsnamen Llancronguern saec. 6. Cart.
Landevenec. Morice 1 col. 363
Genin 64, 18.
Genia (canon. Runens.) erscheint auch saec. 12. Lib. confratr.
Seccov. Handschrift d. kais. Hofbibi. Nr. 511 fol. 36 b und reiht sich
an die Namen:
Genia Linea Grata, Steiner n. 327, Geni O(flficina) Steiner n.
207, Giniu f. (mancip.) a. SOL Scbannat n. 151,
Genialis (Sohn des Ittalus) Steiner n. 3085; (Vater des Surius)
I. c. n. 3189; (dux Theodeberti et Theuderici contra Wascones,
a. 610) Fredeg. 21 s),
Genabe f. a. 814. Polypt. Massil. G. 5 im Cart. S. Viel, 2, 640 4 ),
Genana (colona, uxor Antiani) s®c. 8. Polypt. Irm. 67, 55,
Genaria (jugalis Dominici) saec. 8. Cod. trad. Ravenn. (Ed.
J. B. Bernhart, Monachii 1810 4») p. 60, 5 5 ),
*) Vgl. auch Javirnus (Bertmundus) saec. Cart. S. Vict. Massil. n. 404 p. 405,
wahrscheinlich = Ja-virnus, wie Jafrait (Tetbaldus) a. 969. Redel, Docum. et
l’hist. de S. Hilaire de Poitieux n. 37 = Ja-frait neben Fraido (mancip.) a. 741.
Urkdh. v. St. Gallen n. 7, Frcido (mancip.) a. 776. Trad. Wizenb. n. 112, Freido
(mancip.) a. 821. Ried n. 21, dann Jailfus saec. 9. Polypt. Rem. 43, 7 = Ja-ilfus
neben Fruilphus (pater S. Audomari d. i. Au-domari) in Proludiis cartul. Sith. p.
6 = Fru-ilphus, falls diese Namen nicht ein prosthetisches j zeigen und = Aviv-
nus (vgl. Awarnus a. 867. 876. Perard p. 148. 153). Afrait (vgl. Afreide saec. 13.
Liber vitae eccl. Dunelm. p. 54, 1), Ailfus (vgl. Ailplius a. 636. Pard. n. 275) sind.
2 ) Vgl. Maelodhra son of Dima Cron a. 647, Crown, chief of Cianachta-Glinne-
Geimhin, a. 563 in den Annalen der vier Meister und den Personennamen Cron in
dem Ortsnamen Croniacum a. 562. Pard. n. 166.
*) Vgl. Severinus Vitealis Steiner n. 1136 (die Aenderung in Vitalis ist unnöthig),
Vidcal a. 828. Meichelb. n. 532, Comitialis (fig.) Steiner n. 2677.
4) Elisabc ihre Schwester. — Siehe Adaba Kelt. Forsch. 1.
5 ) Vgl. Porcaria de Boissieu p. 561, 19. 598, 66, Vclarius Steiner n. 1106, armorisch
Catarius a. 852. Cart. de Redon App. n 35, dann Zeuss p. 471.
Keltische Forschungen.
235
Genefus a. 820. Dronke n. 391 = Genevus d. i. Gen-ev-vs
vgl. armorisch Geneveus (Dolens, archiep.) a. 689. Pard. n. 411
p. 208, in den Exc. chron. Brioc. Morice 1 col. 17 Gueneveus d. i.
Weneveus geschrieben,
Geniga ssec. 12. Lib. confr. Seccov. 1. c. fol. 41 a ),
Genellus ssec. 8. Polypt. Irm. 218, 30 s),
Ginand a. 813. Scbannat n. 251, Genand (maricip.) a. 874.
1. c. n. 517 *), Genant (Willelmus) ssec. 13. Lib. vitae eccl. Dunelm.
p. 107, 1,
Ginantinus a. 722. Pard. 2 n. 522 p. 336.
Zur Erklärung dieser Namen dient wahrscheinlich gälisch gean,
gion (desiderium, favor, amor) Lhuyd, O’Brien d. i. gen, gin, welches
Wort sich auch findet in dem irsichen Namen:
Genann, juint monarcb ol' Ireland, a. mundi 3266. The
four masters Tom 1 p. 13, jetzt Geanann Tom 7 p. 188 d. i.
Genand.
Endlich möchte ich hier noch anreihen den mehrfach streitigen
Namen:
Genovefa (Sta) ssec. 6. Boll. 3. Jan. I p. 143; (Tochter des
Elegandus und der Gregoria) ssec. 8. Polypt. Irm. 21, 110, Genu-
vefa I. c. 224, 74.
J. Grimm deutete in der Gesell, d. deutschen Sprache 540
diesen Namen, als dessen richtige Form er Genofeifa ahnahm, als
deutschen Pflanzennamen, hat aber diese Erklärung später wahr
scheinlich aufgegehen, da in der akademischen Abhandlung „Uber
Frauennamen aus Blumen“ vom Jahre 1852 der Name Genovefa
nicht erwähnt wird.
Förstermann hält 1228 diesen Namen, wie Grimm, für einen
zusammengesetzten deutschen Namen und möchte veif durch goth
vaips Kranz erklären.
1 ) Vgl. Venivius Fröhner n. 2068, Winefia, Olefia ssec. 9. Polypt. Rem. 49, 62. 36,
119 d. i. Winevia, Olevia, und Zeuss p. 746.
-) Vgl. Terrigia bei Terra, Kelt. Forsch. 1, dann Torigia (liberta) a. 700. Pard. 2. n.
432 p. 238.
3 ) Vgl. Genelli, den Namen des kürzlich gestorbenen berühmten deutschen Malers,
dann den italienischen Familiennamen Zinelli — Ginelli.
*) Gernand bei Dronke n. 611.
236
Stark.
H. Leo hält den Namen für keltisch und deutet ihn durch das
von ihm gemachte dreifach zusammengesetzte gälische Wort gean-
o-uaibhe, welches „die Frau von der Höhle“ bedeuten soll.
Meiner Ansicht nach könnte der sicher keltische Name Geno-
vefa wahrscheinlicher als zweifach abgeleitet durch -ov-ef, vielleicht
= -ov-ev-, betrachtet werden.
Die Ableitung -ov-ix, d. i. -ov-ic-us, erscheint in Viricl-ov-ix
Caes. B. G. 3, 17, Oll-ov-ic-us 1. c. 7. 31,
die Ableitung -ov-id in Epo-ster-ov-id-us Orelli 660, 4, Gand-
ov-id-us ssec. 8. Polypt. Irm. 105, 209,
die Ableitung -ov-ild vielleicht in Os-ov-ild-is ssec. 8. Polypt.
Irm. 112, 286 neben Osuva ssec. 9. Polypt. Rem. 64, 3,
die Ableitung -ov-era in All-ov-er-a (liberta) a. 573. Pard.
n. 180 p. 139, Men-ov-era ssec. 9. Polypt. Rem. 52, 95,
die Ableitung -ov-i-on in Par-ov-i-on a. 533. Pard. n.l 18 p. 83,
die Ableitung -ov-act vielleicht in Ger-ov-agd-is ssec. 9. Polypt.
Rem. 42, 4.
Die Ableitung -ov-ef erscheint demnach nicht als so unwahr
scheinlich und kann vermuthet werden in dem Namen Genovefa, aber
auch in
Aurovefn (liberta) a. 700. Pard. n. 452 p. 258 *).
Baudofeifa (de Seno-Corbiäco villa) ssec. 6. Vita S. Germani
c. 4, 28. Roll. Mai 28, Tom 6, 784 *),
Edoveifa (mancip.) a. 533. Pard. n. 118 p. 82»),
Marcovefa ssec. 6. Greg. Tur. 4, 26 *),
Sunnoveifa (mancip.) a. 553. Test. Remigii. Pard. n. 118
p. 83 *),
*) Vgl. Aura (Abuccia) Orelli n. 4544, Auronius a. 690. Fard. n. 412 p. 210, Au
ranus a. 837. Perard p. 21, Auriana a. 814. Polypt. Massil. H. 1 im Cart
S. Vict. 2, 641.
3 ) Vgl. Boudilla (Saturninus) Steinern. 844, Boudus (fig.) Fröhner n. 436 —439, Bau-
donidia (mancip.) a. 573. Test. Aredii. Pard. n. 180 p. 139, Balchobaudes (tribunus
armaturaruin) Ammian. 27, 2, 6.
8 ) Vgl. Eduis Duchaiais n. 348, Edusius Clunatus Orelli n. 3371, Edatus (fig.) Stei
ner 2055, 10, Edullius 1. c. n. 833.
4 ) Siehe Marcheo und Wiuhornarch a. 854. Cart. de Redon n. 162 d. i. Vivo-
marcus.
5 ) Vgl. Sunnaius Frösner n. 2040, Sunnae filius (Albanus) E. Hübner, Monatsber. d.
k. Akad. in Berlin. 1861 Bd. 1 p. 111.
Keltische Forschungen.
237
Vinofeifa (mancip.) q. 333. Pard. n. 119 p. 87 J )-
Aber trotz dieser Wahrscheinlichkeit dürfte doch die Betrach
tung dieser Namen als Compositionen mit veifa statt gallischem veva,
viva (vgl. irisch fiu dighus, kymrisch gwiw Mab. Zeuss Ed. 2 p. 36,
aber auch gälisch feibh [= maith bonus] = vev) eine grössere Be
rechtigung für sich in Anspruch nehmen 3 ).
Dieses Wort viva sehe ich auch in dem Töpfernamen Sunoiva
Fröhner n. 2041 = Sunoviva, wie Joincissas Steiner n. 1383 =
Jovincissus 3 ), dann in
Viveius Trebianus, Orelli n. 3233,
Vioenia Venusta, Vevenia Helias, Gruf. 88, 3. 1087, 7, Sami-
anta Vivenia Hefner. Die röm. Denkm. Salzb. n. 42 Denkschr. 1, 33,
wenn nicht Viveni (filia),
Viviamis (Annius) Tac. Ann. 13, 28,
Vivasius Pompeianus (miles) Orelli n. 1412»),
Viival (tig-) Fröhner n. 2116, Vivilus (ep. Patav.) Gregor III.
Epist. a. 739 in Bonif. Epist. 46 (Ed. Würdtw.), derselbe Vivulus
a. 760. Schannat n. 17 s), und in den aus jüngerer Zeit stammenden
Namen:
Wiva (mancip.) a. 834. 1083. Lacombl. n. 46. 234,
Viva (ep.) a. 986. Marca hisp. n. 133. 141, Vivi (abbas)
a. 1002. Esp. sage. Tom. 36 App. n. 7, Vivus (vicecomes) a. 1078.
De Blasio, Series princip. n. 22 p. 41,
Vivanus (mon.) a. 936. Gart, de Varennes. Morice 1 col. 344,
Vivanes (ep. Barcellon.) a. 991. Conc. Urgellens., Wiuan in dem
armorischen Ortsnamen Ranwiuan a. 866. Cart. de Redon n. 63 =
Ran-wiuan 6 ),
J ) Vgl. Vinicius Steiner n. 507, Wineus (ep.) a. 406. Hist. Trevir. D’Achery Spicil.
2 p. 210 b, Wineo (mancip ) a. 849. Schannat n. 313.
2 ) Bei Lhuyd 54 kymrisch guiu dignus ; hei Owen gwev clair, fair, hywiw apt to be
excellent = hy-gwiw, gallisch su-vivus.
3 ) Vgl Zeuss Ed. 2 p. 47.
Vgl. Vivas (sacerdos) a. 1010. Marca hisp. n. 162. Gisbert Vivas (levita) a. 1031.
Cart. S. Vict. Massil. n. 1045 p. 513.
5 ) Vgl. Vivolus p. sspc. 8. Salzb. Verbviiderungsh. 32, 8, Wifil a. 800. Lacombl. n.
16, Wivila f. saec. 8. Cod. Lauresh. n. 2155, Vivili f. a. 1221 Ribeiro 3 n. 20.
6 ) Armor. ran, kymi 1 . rhan, irisch rann (a part, piece, share, portion) Lhuyd
109 = rand.
238
Stark
Vivianus a. 830. Cart. de Redon n. 229; a. 860. Reginonis
thron. Mon. Germ. 1, 570, 12 *); ssec. 11. Cart. S. Petri Carnot.
p. 545 c. 38; a. 1191. Cod. Wangian. n. 49; (filius Suhardi d. i.
Su-ardi) ssec. 12. de S. Aubert d'Angers. Morice 1 col. 475 z),
Viviana ssec. 8. Polypt. Irin. 176, 82,
Vivinus a. 875. Kausl. n. 153; a. 1211. Miraei Opp. 2 p. 984c. 77,
Vivengius a. 1300. Mohr. Cod. dipl. Rhaetiae 2 n. 93 p. 161,
Viventius (colon.) a. 766. Test. Tellonis. Mohr 1. c. 1 n. 9
p. 13; ssec. 12. Perard. p. 230,
Viventiolus (ep. Lugdun.) a. 523. Pard. n. 103 p. 70,
Vivalt (mon. S. Vict.) a. 1085. Cart. S. Vict. Massil. n. 1111,
Vivaldus a. 1210. Cod. Wangian. n. 245, wenn nicht Vi-valt=),
Vivarius (fines de Vivario) a. 938. Marca hisp. n. 74; Campus
Vivarii a. 1167. Cart. S. Vict. Massil. n. 1 108, villa Uineri a. 865.
Beyer 1 n. 104, wenn nicht Vi-varius 4 ),
Vivnredus (Oveeus Bivarediz) a. 984. Esp. sagr. Tom. 34
p. 473, wenn nicht Vi-varedus 5 ),
Vivelant (mancip.) a. 841. Schannat. n. 452, wenn nicht Vi-
ve-lant 6 ),
Wifirhi (testis) a. 807. Urkdb. v. St. Gallen n. 197, wenn
= Viv-irc-i’).
Als zweites Compositionsglied erscheint das Wort viv in dem
kymrischen Namen:
Wemciu ssec. 11. Kemble 4 n. 981 p. 316,
in den nrmorischen Namen:
Arthweo n. 148, Haerwiu n. 201, Jarnwiu n. 234, Tetliwiu,
Tetwiu n. 146. 195 im Cart. de Redon ssec. 9,
Menguio ssec. 11. Morice 1 col. 474.
*) Potens vir iuter Ligerirn et Sequanam.
3 ) Vivianus, Vibianus, Bibianus (ep. San ton.) Greg. Tur. Gl. conf. c. 58.
3 ) Vgl. armorisch Ri-uualt a. 833. Cart. de Redon n. 5.
4 ) Vgl. Jul. Silianus Farf/s Steiner n. 397, Variu Fröhner n. 2063. Varus (fluvius
Galliae, Le Var) Cses. B. C. 1. 86, kymr. Conyuare Lib. Landav. 133.
5 ) v gl- kymr. Guruaret saec. 11. Kemble 4. n. 981 p. 316, armor. Anowaret Ann.
Roton. im Cart. de Redon p. 439.
6 ) Vgl. filia Velandu Steiner n. 573.
7 ) Vgl. Aulircu, Aw/iVco-Eburovicom. Duchaiais n. 367. 368 neben Aulercus C®s. B.
G. 7, 57. Doch vielleicht ist neben Vercaius Steiner n. 2095 und Vircirus I. c.
n. 1450 Vi-virci anzunehmen.
Keltische Forschungen. 239
Der Name Genovefa aber wird dieser Auffassung zufolge „die
Liebenswürdige, die Begehrenswertbe“ zu deuten sein.
Genesius 11, 8.
Genesius, unter „Ordo sanctorum martyrum et confessorum“
eingetragen, ist derselbe, welchen Paulinus ep. Bitturensis (gest.
a. 430) bei Ruinart, Acta martyr. (Paris. 1689) p. 603 als „ notar
et martyr. Arelate in Gallia c. a. 303“ bezeichnet und auch Greg.
Tur. Glor. mart. 1, 23 hervorhebt.
Dieser Name erscheint oft in den Geschichtsquellen.
Genesius Steiner n. 1790; (vir speetahilis) Cassiod 1. 8 c. 29,
Ginesius (ep. Magalon.) a. 597. Conc. Tolet., Genesius und Ginesius
a. 662. Pard. 2 n. 343 p. 126; (Ebredun. metropol.) a. 677. 1. c.
n. 388 p. 179; saec. 8. Polypt. Irm. 169, 34. 231, 31. 233, 48.
241, 3 i); saec. 9. Polypt. Rem. 79, 3; (cancellar.) a. 802. Wenk 3
n. 18; a. 814. Polypt. Massil. G. 8 im Cart. S. Vict. 2. 640,
Genesia saec. 6. Mab. AS. saec. 1 p. 268, 12; saec. 8. Polypt.
Irm. 93, 116. 229, 14; saec. 9. Polypt. Rem. 31, 83; a. 814. Polypt.
Massil. G. 8 im Cart. S. Vict. 2, 640 3 ),
Genismus, Genisma saec. 8. Polypt. Irm. 67, 62; 229, 8. 238,
7 = Genis-ma, Genes-im-a.
Genesia erscheint auch in dem Frauennamen
Engenesia saec. 13. Cod. Wangian. n. 49 = En-genesia, zu
sammengesetzt wie
Encolpus (M. Antonius) Orelli n. 1173 = En-colpus neben
Colpontia (liberta) Momms. n. 1272,
Enmanno (testis) a. 829. Dronke n. 479 = En-manno neben
Manneius Quintus (medicus) Orelli n. 6232.
irisch Encretti a. 432. The four masters = En-cretti neben
Cretta saec. 9. Liber vitae eccl. Dunelm. p. 24, 3,
kymrisch Engistil saec. 8. Lib. Landav. 216 = En-gistil neben
Catguistil saec. 6. 1. c. 137.
Genesius ist wahrscheinlich ein Beiwort, gebildet durch -in von
einem Hauptworte genas, irisch geanas (castitas) Lhuyd, und be-
*) Sohn der Genisia und des Eugenias, d. i. Eu-genius, welcher Name auch
keltisch ist.
2 ) Uxor Joviniani mancipii.
240
S t w r k
deutet castus, purus, continens, wie das mit -ach d. i. -ac abgeleitete
Beiwort geanasaclu
Dieselbe Bedeutung hat das irische Beiwort macanta und der
wahrscheinlich daraus gebildete Name Maccentius, Maxentius (St.)
a. 873. Cart. de Bedon n. 236.
Jaac (pbr. mon. S. Petri Tricas.) 117, 14.
Jacco 2, 23 ssec. 8—9.
Bei Förstemann p. 809 gilt dieser Name für deutsch und wird
er durch ahd. jagon venari, persequi gedeutet, und dieses, wie klar
ersichtlich ist, ohne Rücksicht auf die allgemein geltenden Laut
gesetze.
Jaco, Jacco ist ein keltischer Name und schliesst sich an die
altgallischen Personennamen
Jachus (Siscennius), ein alter römischer Grammatiker in Gallia
Togata, Sueton. de ill. gramm. 3 fin., C. M. Jaccus (Murviedro) Mas-
deu, Hist. crit. Tom. 19 n. 1813,
Jaclia (Calpurnia) Orelli 6334, denen noch
’laxxcc (opp. Vascon. in Hisp. Tarrac.) Ptol. 2, 6, 67 heigefügl
werden kann, dann
an den kymrischen Namen :
Jaco Lives of the British Saints (Rees) 142; Jago (einer der
alten britannischen Könige) Galfr. Monumet. 2, 16; Cadfan mab Jago
mab Beli, Jolo p. 110, 3 und
an den armorischen Namen:
Jagu, Jacu ssc. 9. Cartul de Redon n. 9. 33.
Zum Verständnisse dieses Namens führt das kymrische Beiwort
iach, iaclius (sanus, salvus), iachysol (utilis) Lhuyd 144. 178,
komisch iach(firmus) in aniach (infirmus) Courson, Hist, des peuples
Bretons (Glossaire) 1, 427, im heutigen Armorischen iach (sanus),
dann das irische Hauptwort ic, icc (salus, sanitas) Wb. Zeuss Ed. 2
p. 21.
Jac bedeutet demnach der Gesunde, d. i. der Starke, Kräftige.
Beachtenswertli ist, dass in zwei Urkunden des Cartul. de Re
don n. 229. 230 aus den Jahren 830 und 831 neben Jaco die Form
Aicus erscheint; es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass
Aicardus (testis ex Herio monast.) c. a. 1060. Cart de Redon
n. 310 statt Jacardus steht.
Keltische Forschungen. 241
Es gibt aber noch mehrere Namen, welche durch consonantische
Ableitung von dem Worte iac gebildet sind, so:
Jacob saec. 8. Polypt. Jrm. 23 B; saec. 9. Salzb. Verhrüderungsb.
25, 9; Jagob saec. 8—9 1. c. 1, 15. 122, 23; saec. 12. 1. c. 126, 31;
(diac.) 786. Kausl. n. 32; (mon.) a. 791. Schannat n. 288 p. 464;
(pbr.) a. 816. Lupi 1, 659; (testis) a. 890. Ried n. 72,
Jacob (abbas) Vita S. Cadoci c. 60 Lives 91, Jacou saec. 8.
Cod. Lichfeld. Lib. Landav. 272 = Jac-oa d. i. Jac-ov <),
Jacobinns (abbas Prataliens.) a. 1409. D'Achery Spicil. 1 p. 838
a. = Jac-ob-m-us,
Jacominus a. 1189. Lupi 2, 1403 = Jac-om-in-us,
Jächant quid et Jacinctns saec. 10. Eberh. c. 5,118 in Dronke,
Trad. et. antiq. Fuld., kymrisch Jacann Lib. Landav. 166 = Jacant
Jacentus (Hispanus) a. 812. HLgd. 1 n. 16, Jaquintus (ep.
Gauriens.) a. 589. Conc. Tolet. 3, Jacintus (abbas) a. 957. Marca
hisp. n. 95; petra Jacintina Lib. Landav. 180 2 ),
Jacardus (Petrus) saec. 12. Cart. S. Vict. Massil. n. 1114,
Jaguelinus (miles) ex. saec. 11. Bourasse, Cart. de Cormery
n. 64 p. 95, Jakelmus (homo eccl. Fossat.) a. 1231. Cart. Paris, p.
452 n. 15, Jagelinas saec. 12. Cart. S. Petri Carnot. p. 477 c. 13,
Jceclinus a. 1283. Mohr. Cod. dipl. Rhaetiae 2 n. 19 p. 22,
Jaquelina a. 1179. Cart. S. Potri Carnot. p. 655 c. 47,
Jahheri, saec. 10. Dronke n. 679, Jachir a. 1309. Wenk 1
n. 386 p. 298, Jageri a. 812. Schannat n. 238 statt Jaceri,
Jachipaldus a. 962. Lupi 2, 270 = Jach-ip-ald-us s )?
Endlich gehören noch hieher die Namen:
Jaccetani (pop. Hisp. Tarrac.) Strabo 161 = Jaccet-ani,
Jactatus a. 680. Pard. n. 396 p. 187; (pbr.) saec. 7. Braulio-
nis Epist. 9. Esp. sagr. Tom. 30 p. 328; (avus Tellonis ep. Curiens.)
a. 766. Testim. Tellonis. Mohr, Cod. dipl. Rhaetiae 1 n. 9 p. 12;
(colonus) 1. c. p. 13 = Jacit-at-us 4 ), vielleicht auch
*) Wegen ou = ov, av siehe Zeuss Ed. 2 p. 107. Die Ableitung -ob in Jacob, wenn
auch in keltischen Namen häufig, kann hier auf -ov, av zurückzufiihren sein.
a ) ln der Vita S. Aedui, Lives 249 hat ein Pferd den Namen Jacinctus.
s ) Vgl. Fidipcllus (Bolosea Fidipelli filia) Hühner, Monatsber. der Berliner k. Akad.
1861 Bd. 1 p. 399 = Fid-ip-ell-i; Muscipula (Hubertus) a. 1070. Polypt. Irm.
App. 24 p. 361 = Musc-ip-ula.
*) Vgl. Adnamtus und Adnamatus, Adnamitus (d. i. Ad-namatus, -namitus) Orelli n.
422. 4983. 5060.
242
Stark
Jegidi neben Jecide Fröhncr n. 1181 — 1182 = Jacidi.
Für die Deutung dieser Namen sind zu beachten das armorische
Partieipium iachet (sanatus) Bub. 130, 2. Zeuss Ed. 2 p. 127, kym-
risch iachaiz (of a bealthy condition) Owen, irisch iicthe (salvatus)
Wb. 5 C . Zeuss Ed. 2 p. 21, dann das armorische Hauptwort iech.et
(sanitas) Bub. 46, 5; yechet (sanitas, salus), kymrisch iechyd (id.)
Lhuyd 144.
An iechyd — iacut schliesst sich der armorische Name
Jacutus a. 1144. Cart. de Redon n. 389, Jacutus (St.) a. 1157.
Chron. brit. Morice 1 col. 5, Jagud (testis) a. 795. Schannat
n. 106.
Ladinno 11, 18 >)•
Dieser Name, abgeleitet mit -bin (Zeuss p. 736) dürfte seine
Erklärung finden durch kymriseh lad (llad) favour; git't Owen, jetzt
llawdd (voluptas, deliciae) Zeuss p. 31, llaicz (als Hauptwort plea-
sure, delight; solace, als Beiwort pleasant, delectable; solacing). Vgl.
auch anlddh (libidinosus) Lhud 79 2 ).
Ihm schliessen sieb an die Namen:
Lada f. Steiner n. 1409, „Imple o Lada“ auf einem Thon
kruge. Bonner Jahrb. 42 p. 88, Lada, Roncalli, Vetustiora latin.
scriptor. chronica (Patav. 1787) p. 1592, 3, Ladi f. a. 1039. Fat-
teschi n. 95 und
Ladanus in dem Ortsnamen Ladanidcus saec. 10. Cart. Savi-
niac. n. 72,
kymrisch Lawden saec. 5 Lives 13 und Anilaud Wledic 1. c.
р. 268, 44, jetzt Amlawdd.
Da auch gallisch collaidh (libidinosus) d. i. con-ldd (con-ladi?)
begegnet, so werden hier auch anzureihen sein die irischen Namen:
Laidhgenn son of Baeth, Mart. Dungal. Jan. 12, und
Jolladhdn (ep. son of Eochaidh) Mart. Dungal. Jun. 10, wenn
= Jol-ladhdn 3 ) und veilleicht auch der Beiname Criselada (Martinus)
с. a. 1035. Cart S. Vict. Massil. n. 718, wenn nicht Criselada.
Anscheinend schliessen sich hier auch an die Namen:
1 ) Vgl. Ladini saec. 0. Hlud. et HIoth. capit. Mon. Germ. 3, 2o2, 38 u. 41.
2 ) Vgl. goth. led in unledi (Armuth), uuleds (arm) statt let. Auch Diefenbach (Vergl.
Wb. d. goth. Spr. 2, 130, 19) vermuthet diese Verwandtschaft.
3 ) Gäl. jol- praef. implying variety, many.
Keltische Forschungen.
243
Gormladli a. 1011. The four masters,
Condlaedh (archiep. Cilldarae) a. 519. Mart. Dungal. Mai 3,
da aber der %auenname Orlaith, auch Orlaidh geschrieben, von
O'Donovan (Miscellany of the Celtic Society, Dublin 1849, p. 14
nota 1), durch „golden princess“ übersetzt wird (vgl. irisch lath
juvenis, liero), so ist es schwer zu bestimmen, ob in jenen Namen
das Wort ladli oder lath anzunehmen ist. Man vergleiche auch
Aerlaidh a. 767. The four masters,
Jarlath son of Treana, a. 481. The four masters,
Jurlaitlie (ep. of the race of Conmac, son of Fergus) Mart.
Dungal. Dec. 26,
Gormlaith (Tochter des Flann) Mart. Dung. Juli. 14 bei St.
Corbmac,
Sealblciith (Tochter des Aedh) o. 889. The four masters 9.
Jenes irische Wort lath (a active youth, a soldier, a Champion)
Lhuyd = lat *)> das hier nicht ganz zurückzuweisen ist, vermuthe
ich in den Namen:
Latinus (Carminius) Knabl, Schriften d. h. V. f. Inneröstr. 1,
69. 75, L. Latinus Lucanus Orelli n. 3980, Latinus Fröhner n. 1304.
1305; ssec. 8. Verbrüderungsb. v. St. Peter 15, 17. 33, 4; a. 820.
Urkdb. v. St. Gallen n. 254, C. Latinius Reginas de Boissieu p. 405,
14, A. Latinius Catapanus (Aeduus) Murat. Nov. thes. 1020, 3,
Latina f. Muchar, Gesell. Steierm. 1, 433; saje. 9. Verbrüde
rungsb. v. St. Peter 78, 26; Latinia Fusca Steiner n. 1168,
Latmianus (T. Flavius) de Boissieu p. 3; Fröhner n. 1303,
Latilus (P.) sacerdos a. 1218. Cart. S. Vict. Massil. n. 1020,
und es erscheint vielleicht auch in dem Namen
Relatulus (fig.) Steiner n. 1484 = Re-latulus, vgl. Repo-
sianus (Verfasser eines Gedichtes : Concubitus Martis et Veneris) Bur
mann, Anthol. Lat. 5 p. 72 = Re-posianus neben Felix nomine
cognomento Rusiano a. 867. Esp. sagr. Tom. 18 p. 313 u. m. a„ dann
in den armorischen Namen Latmoct f., Lathoioarn ssec. 9. Cart.
de Redon n. 121. 135 und
in dem irischen Namen Lathmilich (dux hibernus) Lives 273.
Auch Lathomarius abbas a. 636. Pard. n. 275 ist vielleicht =
Lato-marus.
D Vgl. Zeuss Ed. 2 p. 70.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd. 11. Hit.
17
244
Stark
Bezüglich der zuerst genannten Namen, welche aus dem Worte
lad gebildet sind, mag noch bemerkt werden, dass dort das kymri-
sche Wort lad in ymlad (pugna) Mab. 1, 233 (Zeuss p. 870), das
vielleicht auf sanskr. lad (jaeere, conjicere, prosternere) Bopp. Gl.
297 zurückzuführen ist, kaum zu berücksichtigen sein wird.
Ob der Beiname Ladegarius (Raimundus) a. 1080. HLgd. 2,
n. 282 keltisch und durch kymrisch ym-ladligar (pugnax) Lhuyd
231 zu deuten ist *), lässt; sich mit Sicherheit nicht behaupten, doch
bezweifle ich, dass jener Name deutsch sei, da die Form lad, als alt
hochdeutsch aufgefasst, dem goth. leds = lets (vgl. mittelhoehd.
geläz Gnade) nicht entsprechen würde, und ein für Eigennamen ge
eignetes deutsches Wort lad bis jetzt nicht nachgewiesen ist.
Zu scheiden ist hier der gallische Volksname Latovici hei
Caesar B. G. 1, 3. 28. 29, der nach Glück p. 114. IIS „in locis
lutosis s. stagnosis hahitantes“ bedeutet. An der zweiten und dritten
Stelle haben (nach Schneider) mehrere Handschriften Latobrigi
(vgl. Latobrogii bei Orosius 6, 7). Diese Formen scheinen mir nicht
ganz verwerflich zu sein und es fragt sich, ob lato mit brigi 2 ) zu
sammengesetzt, auch durch gälisch lad (laeuna, stagnum) = lat ge
deutet werden kann.
Lasserdn 71, 4 saec. 8.
Lasserani im Verbrüderungsbuche ist Genitiv. Der Nominativ
dieses irischen Namens, den mehrere Heilige führen, ist Laisren,
Laisridn, eine Verkleinerung von Lahre.
Herr v. Karajan ist im Irrthume, wenn er Fol. XLIII. schreibt:
„Lasserani Lechlinensis abbas simul episcopus Hiberniae, ge
storben a. 639. Usser. Britann. ant. eccl. libb. (Edit. 2. London.
1687) fol. 486“. Laisren war Abt auf Jona und starb im Jahre 603
nach den Annal. Tigern. (Collect, p. 218).
Auch im Matyrol. Dungal. p. 248 ist Laisren 3 ) abb. Ja Colaim
cille, am 16. Sept. eingetragen.
Vgl. die armorisclien Namen Abgar a. 865 n. 258, Dihudgar, Preselgar a. 913.
n. 274 im Cart. de Redon. — Im Kymrischen werden aus Hauptwörtern
durch angefügtes -gar Beiwörter gebildet.
~) Vgl. Zeuss p. 101, 105. Glück p. 126. 127.
3 ) Lazarenus 1. c. p. 432.
Keltische Forschungen.
245
Nach den Annals of the kingdom of Ireland by the tour masters
p. 229 starb dieser Laisren, Sohn des Feradach, der dritte Abt im
Hy, im Jahre 601.
Das Martyr. Dungal. nennt als Heilige auch Laisre, son of
Colum, und Laisren, son of Nase. Oct. 25, Laisridn (Lazerianus
p. 432) Nov. 26 p. 348,
Lassar (Sta) Febr. 18, Mart. 23. 29, Apr. 18, Mai 7. 11. 14,
Jul. 23. 27, Aug. 20, Sept. 15. 30, Nov. 13 = Lasara p. 430 i).
Die Annalen der vier Meister nennen Lasarina O’Duigennan
(O’Duibhgennain) daugliter of Farrel, a. 1381.
Hier schliessen sich an mit z statt s 3 ):
Lazara f. seec. 9. Polypt. Rem.46,33, Lazaria a. 870. LupiT,842,
Lazarus (pbr.) a, 757. Urkdb, v. St. Gallen n. 20, Lazaro
(notarius) a. 856. Lupi 1, 782,
Lazarinus de Rozano a. 1181. Lupi 2, 1339.
Zur Erklärung dieser Namen dient irisch lasair (Genit. lass
rach) flamma, Stockes Ir. Gl. 128, Lhuyd 60 neben lasanta (igneus)
1. c. 67, lascla, lasta in solasda (conspicuus, lucidus) I. c. 50. 81,
abgeleitet von lasaim (briller), verglichen mit skr. las (briller) von
Pictet, L'affinite p. 9.
Es werden demnach hier noch anzureihen sein:
Laissi(Sta)Mart. Dungal. Jan. 22, Apr. 19, Nov. 9=Lasia p. 432,
Lasionius Firmus und Lassan(iusJ Steiner n. 601. 1328, und
vielleicht auch
Lasia (comitissa) a. 1363, Mittarelli, Ann. Camald. 1 col. 452
§•47 3),
Lasilinus (Tristanus) a. 1273. Dipl. misc. n. 113. Fontes rer.
Austr. 1, 129, wenn s (hier nicht ursprüngliches g oder c) vertritt 4 );
doch vergl. galisch lasail adj. fiery, inflammable d. i. lasil-
J ) Lasra, daughter of Gleagraiin, a. 448. The four masters.
2 ) Vgl. „de Toulozu“ a. 570. Pard. n. 177, Pozennus a. 896. Urkdb. v. St. Gallen
n. 705, Lauzonna a. 1025. Cart. Savin. n. 640, Anzegisus (filius S. Arnulphi) a.
650. Ann. Laub. Mon. Germ. 6, 11 = Ansegisilus in Ademari histor. 1. 2 c. 1.
1. c. 116, 4.
3 ) Vgl. „villa quo vocatur Lasa“ a. 1056. Cart. S. Vict. Massil. n. 1073.
Vgl. Ansilmundus (archipbr. Pisan.) a. 715. Brunetti, Cod. dipl. Toscan. 1 n. 9 p.
448, Inselprandus a. 874. Lupi 1, 862, Inselperga a. 985. 1. c. 2, 375; Prejestus
(St.) saec. 10. Cart. Savin. n. 88 statt Prejectus, Ludovisus (imperator) a. 820.
17*
246
Stark
Lid (ep. Mogunt.) 70, 18 ssec. 8.
Der Name dieses Bischofs, der aus England stammt, erscheint
in den Formen:
Lid a. 751. Zachariae Papae epist. in Bonif. epist. 87 (Ed.
Würdtwein),
Lulus a. 755. Ann. Laurish. min. Mon. Germ. 1, 116, Lulo a.
755. Schannat n. 3,
Lidlus a. 748. Pard. n. 596. Lollo a. 780. Wenk 3 n. 11.
Diesen Namen betrachte ich als keltisch und stelle zur Verglei
chung liieher:
Luglius et Luglianus (filis Dodani regis Hibernise) ssec. 7. Boll.
Oct. 23. Tom. 10 p. 117 •),
Lulla (testis) a. 703. 804. Kemble n. 52. 1024,
armorisch Lulu a. 861. Carl, de Redon n. 95,
Lolla (mancip.) f. a. 772. Kausl. n. 14,
Loldnus (ep. in Scotia) ssec. 11. Boll. Sept. 22. Tom. 6 p.
533 ^),
kymrisch Lulic, Liding (ssec. 7.) Lib. Landav 201. 203, Lul-
lyng (dux) a. 799. Kemble 5 n. 1020, Lullingc (pbr.) a. 803. 1. c.
n. 1024, auch Lulling in „villa Lullingesheida“ ssec. 9 Eberhard c.
6, 73 (Dronke, Trad. et. ant. Fuld.);
Lolitlian (Accusativ) mancip. f. a. 853. Cart. Sith. n. 11,
p. 94,
Lullede (dux) a. 854. Kemble 5 n. 1053, Lulloede 1. c.n. 1056,
Lolerius (Ebrardus) a. 1 145. Cart. S. Petri Carnot. p. 645 c.
30, wenn nicht = Lau-lerius, wie armorisch Lou-morin ssec. 9.
Cart. de Redon n. 100, neben Lirus Steiner n. 2511, armorisch Leri-
nus ssec. 11. St. George. Morice 1 col. 405, aber auch
Urkdb. v. St. Gallen n. 248, Guiderisus a. 780. Brunetti 1. c. 1 n. 14 p. 243
3 u. v. a.
*) Die Matter derselben heisst Relanis, die Schwester Lilia. Vgl. Lili filius (Vic-
torinus) Steiner n. 2574, Lillus fec. Fröhner n. 1336, kymrisch Lilli, Lilliau Lib.
Landav. 71. 135, Lilia (Than des Königs Eadvin) Chron. Sax. ad a. 626, Lilia f.
ssec. 8. Verbrüderungsbuch v. St. Peter 43, 15, Lilius a. 918. Fantuzzi, Mon.
Ravenn. 1, auch Lilus in Liliäcus a. 584. Pard. n. 191 u. m. a.
2 ) Vgl. auch „Mons qui dicitur Lulonici u saec. 10. Cod. trad. eccl. Ravenn. p. 62.
Keltische Forschungen.
247
Lollius (tig.) Steiner n. 1317, Lollins Palicanus, Picens, Sal-
lust. Hist. 4 ! )> Lollius Maseeus, Murat. 1184, 8, Lollius Crispus,
Steiner n. 649, T. Lollius Fronimus, Sichel, Cinq cachets inedits
d'oculistes rom. (Paris 1843) p. 13, Lollius Noricus, Heliier.
Denkschr. d. kais. Akad. d. W. Phiios.-hist. Cl. I, 2 n. 47,
Lollia Matidia, Orelli n. 3361, Lollia Acilia Compsa 3 ), Steiner
n. 1943, Lollia Pocea, Heiner 1. c. n. 36,
Lollianus Avitus, Orelli n. 7331.
Zur Deutung dieser Namen weiss icli nichts beizubringen, nur
will ich nicht unbemerkt lassen, dass die Namen Lollius, Lollia,
Lollianus wahrscheinlich auf Lallius, Lallia, Lallianus zurück
zuführen sind.
Ich stelle demnach für eine weitere Forschung noch liieher
die Namen:
Lallo f., Lallus f. Fröhner n. 1299—1300. Wiltheim Lulili-
burg. p. 245, Lalus (Viriasus) Orelli n. 7328, Lallus (servus)
a. 768. Urkdb. v. St. Gallen n. 51,
Lallius Atticinus, Wiltli. Lucilih. PI. 25 n. 90,
Lalla (Totia) Murat. 1184, 8, Lala a. 764. Neugart. n. 43,
Laiemus (Aug. circitor) Orelli n. 6310,
Lallianus Steiner n. 1970,
Lallingus a. 834. Neugart n. 259,
Lalcrine 3 ), Laloer ssec. 11. Polypt. Irm. 50 b ,
armorisch Laloe, Lalocant ssec. 9. Cart. de Redon n. 61 und
App. n. 27 *).
Magnus (diac.) 153, 16 ssec. 12.
Für eine richtige Würdigung dieses Namens stelle ich liieher:
Magnus (T. Claudius) Orelli n. 1455, Magnus (M. Caesius)
1. c. n. 3823, Magni filia (Marciana) Steiner n. 1879, Mag-
’) Dass dieser Volkstribun aus dem Samnitischen stammte ist in dieser Zeit (a. 71 n.
Chr.) für die Bestimmung des Volkes, dem er angehörte, nicht massgebend.
2 ) Ist Compsa gallisch und darf armorisch comps (loquela, sermo) Lhuyd 81. 149
verglichen werden? Compsa heisst eine Stadt der Hirpiner in Samnium. Plin. 3,
11. — Als gallisch kann Compsa = Con-pesa, Con-bisa aufgefasst werden.
Vgl. Incrinus a. 653. Pard. 2 n. 322 p. 100, Idgrinus (archipbr.) a. 938. Char-
masse, Cart. d’Autun P. 1 n. 31, armorisch Jarngrin saec. 9. Cart. de Re
don n. 143.
Lalus: „in vegaria Laliacense vico“ a. 830. Cart. de Redon n. 123. — Vgl. irisch
lala wisdom, vill, craft.
248
Stark
nius Rufus, E. Hübner, Monatsber. d. k. Akad. in Berlin. 1860
p. 616,
Magnus (ep. Opitergi) Martyr. Rom. Oct. 6; (ep. Mediolani)
1. c, Nov. 5; (Castellan. pbr.) a. 646. Conc. Tolet. 7,
Magnus a. 667.* Pard. n. 358; ssec. 8. Polypt. Irm. 233, 43;
a. 820. Urkdb. v. St. Gallen n. 256; a. 843. Meichelb. n. 629:
(pbr.) a. 920. Esp. sagr. Tom. 16 p. 430; c. a. 1020. Ried n. 142;
(libertus) ssec. 11. Kemble 4 n. 981 p. 313; (ep.) a. 1047. Schannat
n. 288 p. 480 >),
Magno a. 718. Pard. Add. n. 42; (abbas) a. 1134. Trouillat
n. 211,
Magna (Petronia) Du Mege, Archeol. pyren. 3 p. 170, Magna
814. Polypt. Massil. F. 11, H. 2. 44 im Cart. S. Vict. 2, 640. 642.
643; ssee. 9. Polypt. Rem. 63, 14,
Magnia Maximiola, Steiner n. 1874, Magnia Urbica (conjux
Carini) Orelli n. 5037 und
den irischen Namen:
Magiums, son of Aralt, a. 972 ; Maghnus, king of Lochlan and
the «Irlands, a. 1101. The four masters 2).
Zur Erklärung dieses Namens Magnus, Magna dient, wie ich
vermuthe, das bei Lhuyd 84 als veraltet bezeicbnete irische Beiwort
maighne (=mör d. i. mär 3 J, welches altem magni entspricht und
das ich nicht als ein entlehntes, sondern als ein der gallischen
Sprache eigenthümliches Wort betrachte. In der kymrischen Sprache
findet sich auch das Hauptwort maint (magnitudo) Lhuyd 84 *),
welches —maginti ist, nach Stocke’s (Irisch. Gl. 922) = älterem
maganti (vgl. sanskr. malmt statt maghdnt).
Ableitungen von magni scheinen zu sein:
Magnilla Ackner, Röm. Inschr. in Dacien n. 109 5 ),
’) auch Magnus in villa Magniäcus s»c. 10. Cart. Saviniac. n. 211, dann Pelrus
dictus le Magnan a. 1278. Cart. Paris. 1 n. 306 p. 209.
2 ) Ist Maelmoghna, son of Garbith, a. 894. The 4 masters = Maclmaghna ?
3 ) Siehe die Bedeutung bei Mairinus.
4 ) Im mittelir. meid (magnitudo) ist n unterdrückt.
5 ) I» jüngerer Form Magnildis a. 814. Polypt. Massil. F. 21. H. 41 im Cart. S. Vict.
2, 638. 644. — Vgl. auch Magnolenus (ep.) a. 526. Pard. 1 n. 108 p. 74, Mag-
nulinus a. 1083. Marini, Papiri dipl. p. 320 a; Magnarius (coiues Narbon.) a. 791.
HLgd. 1 n. 7.
249
Keltische Forschungen.
Magniniui Senecio, Cocliet, Norm, souter. 1 n. 113,
Magnicus (ep. Adtens.) a. 791. HLgd. 1 n. 6 p. 27,
Magnentius (imperator) Aurel. Vict. Caess. 41, 26 •)> Mag-
nentius (ep. Valer.) a. 610. Conc. Tolet. 2 ) und der entsprechende
irische Name:
Maighnenn (St. abbas) Martyr. Dungal. Dec. 18 p. 338 d. i.
Magnent-ius s ).
An kymrisch maint—maginti schliessen sich die Namen:
Megentira f. Auson. Parent. 23,
Magintillis (comitissa) seec. 12. Kindlinger, Sammlung merkw.
Urkunden p. 171,
Magentia saec. 9. Polypt. Rem. S3, 104 4 ).
Auf ein Wort magnit (vgl. magnit-udo) sind zurückzuführen
die Namen:
Mugnitus: Vermudus Magniti a. 984. Esp. sagr. Tom. 19
p. 367, wenn Magniti nicht Sohn des Magnus bedeutet,
Magneticus (ep. Trevir.) Martyr. Rom. Jul. 25, vielleicht auch
Magnetrudis f. a. 620. Pard. n. 363 = Magnet-rud-is, wie
armorisch Loieruth c. a. 834. Cart. de Redon. n. 116 d. i.
Loie-ruth 5 ), dann Lautrudis a. 814. Polypt. Massil. G. 9 im
Cart. S. Vict. 2, 640 = Laut - rudis s), Rectrudis, Plectrudis
saec. 8. Polypt. Irin. 12, 41. 54, 13 = Rect-rudis 7 ), Plect-
1 ) Nach Zonar 13, 6: ix rz&TpÖg *y£*ysv>jro Bpsrravot).
2 ) Wegen der Ableitung -ent-i siehe Zeuss p. 760, dann Decentius, Cluentius Steiner
n. 1226. 2818, dann Megentio Fragm. polypt. Sith. im Polypt. Irm. App. p. 402, 18.
welchem deutsch Meginzo a. 963. Günther n. 16 zur Seite steht.
3 ) Im Martyrologium p. 439 ist erklärend beigesetzt Magneandus.
4 ) Vielleicht ist auch Maihtrannus saec. 9. Polypt. Rem. 79, 3 = Magintramnus
zu fassen.
5 ) Vgl. armorisch Loe (Sohn des Königs Judhael) saec. 8. Exc. chron. Brioe. Morice
1 col. 17, Loicuile a. 846. Cart. de Redon n. 121 = Loie-uili, dann kymrisch Loi
(mancip.) saec. 11. Kemhle 4 n. 981 p. 316.
6 ) Ihre Tochter heisst Lauteria d. i. Laut-eri-a (siehe Zeuss p. 741). — Vgl. Lou-
tius Orelli n. 4994, Lauta (colona) a. 333. Test. Remigii. Pard. 1. n. 118 p. 81,
armorisch Loutoc ssee. 9. Cart. de Redon n. 116.
7 ) Vgl. Oculatius Rectus E. Hühner, Monatsber. der k. Akad. in Berlin, 1860 p. 437,
irisch Rectine (Sta virgo) Mart. Dungal. Oct. 27, armorisch Reithgualatr a. 909.
Cart. de Redon n. 278 d. i. gallisch Recto-valatrus.
250
Stark
ru-dis <). kymrisch Dremrndd (Rhun)apBrychan, Jolo ji. 121 2), irisch
Semroth son of Inboith, slain a. mundi 3579. The foul* masters s).
Bei Lhuyd 84 erscheint auch ein irisches Beiwort moclit
magnus 4 ), dem wir auch begegnen in den irischen Namen:
Mochtet, priest of S. Patrick, a. 448; bishop of Ard-Macha,
a. 889; son of Cearnachan, a. 922: bishop of Ui-Neill, a. 924. The
tour masters,
Mocteams qui et Mal-Moctams a. 940. Colgan. Acta SS. Hib. 1,
407 5).
Dieses Wort macht, welches Pictet (L’affinite etc. p. 66) mit
skr. viahat vergleicht, steht statt moghd d. i. mogit, ursprünglich
magit°), und lässt sich zunächst mit kymrisch comoeth, später
cymoeth, jetzt cyfoeth f. potestas. divitiae 7 ) = altem co-moc-tis
(vgl. Glück, Renos, Moinos und Mogontiäeon p. 25) und mit irisch
cumacht (potentia) Wb. Sg. Zeuss p. 848 ferner mit goth. malits
f. Sivaixig, iayyg, xpärog ahd. malit, mahti f. potestas, potentia, robur,
altn. makt. f. potestas; honor gloria vergleichen.
Jenen irischen aus macht gebildeten Namen schliessen sich dem
nach an die gallischen Namen:
Mogitus Muchar, Gesell. St. 1, 415,
Mogetilla Grut. 1099, 6.
Mogitviarns Sitzungsber. d. k.Akad. in Wien 11, 329 = Mogiti-
marus,
*) Vgl. komisch pleidrad (to fight) d. i. plectrad, pleidgar (partial) neben plegid
(a party) bei Lhuyd 219, kymrisch pleidgar (facetious, partial), pleidiwr (a Par
tisan) d. i. plectorius, bei Owen.
2 ) Vgl. kymrisch Drim sae'c. 10. Lib. Landav. 214, Drim (miles) saec. 11. Kemble 4
n. 735 p. 17.
3 ) Vgl. irisch Sima, filius Druist, Ann. Tigern, a. 725. Collect, de rebus Alban, p.
240; Simmo Steiner n. 1234.
4 ) Vgl. auch das verwandte irische Zeitwort machtaim, maehtnaim (miror) Lhuyd 91
dann Ailbrend, son of Maichteach, a. 881. The four masters = Magitacus ?
5 ) Derselbe Maelmochta, abbot of Cluain-Iraird, in den Ann. der vier Meister
a. 940.
6 ) Im jetzigen Kymrischen maith (amplus, largus, longus), welches Wort in dem kym-
rischen Namen Guer-maet, Gur-vaet Lib. Landav. 108. 145, d. i. Ver-maget,
erscheint. Glück, die kelt. Namen bei Cäsar p. 125.
7 ) Vgl. kymrisch cyvoethog (opimus, opulentus) Lhluyd 108, komisch chefuidog (om-
nipotens) Vocab. Zeuss Ed. 2 p. 157.
Keltische Forschungen. 251
Dinomogetimarus Mem. des antiq. de France Tom. 13, 18 =
Dino-mogeti-marus,
•Ämbimogidus Murat. 2049, 2 = Ambi-mogidus,
Mogetius Paulianus, v. Sacken, Sitzungsber. d. k. Akad. in
Wien 9, 716, Mogetius Gaetulicus, Fabretti p. 632, 273, dann
auch
Agmocdis f. saec. 9. Polypt. Rem. 68, 16 = Aci-mogida i),
ferner
Magetobriga (opp. Gail, belg.) Cses. B. G. 1, 31,
Magidius Grut. 983, 10 '-)■
Manatun 56, 40 saec. 9.
Dieser Name reiht sich an Manadun f. saec. 8. Cod. Lauresh.
n. 345. 1755, Manatuom (mancip.) a. 849. Meichelb. n. 669, kym-
risch Maneton (Ciofaut Rupmaneton d. i. map Maneton) Galfred.
Monumet. 9, 12, ferner an
Mannato a. 787. 806. Urkdb. v. St. Gallen n. 113. 190, Man-
neto Goldast 2, 104,
armorisch Manet a. 859. Cart. de Redon n. 30.
Zu beachten ist noch Manatia Victorina Steiner n. 805 und
vielleicht auch
Mavccdo? (tribunus militaris Constantii imp.) Zos. 2, 50.
Allem Anscheine nach liegen hier Ableitungen von einem Worte
man vora), aus welchem auch gebildet sind die Namen:
Manna (masc.) Roach Smith, Catalog. 44, irisch Manus (Der-
mot O’Conor son of Manus, son of Turlough More of Connaugbt) a.
1207. The four masters,
Manneia Murat. 1276, 8, Manneius Orelli n. 6232,
Mantiii filius (C. Tutius; Dansala) Steiner n. 341,
Manilius Cordus, de Boissieu p. 271, 24,
armorisch Manus a. 860. Cart. de Redon n. 213, Alauns filius
Primaei ssec. 11. Cart. Marmoul. Morice 1 col. 401,
*) v g l. Ac-frudis f. a. 816. Cart de Redon n. 227.
2 ) Vgl. Alagido a. 1000. Esp. sagr. Tom. 36 App. n. 6, Megitodus saec. 9. Ka-
roli M. eapit. Mon. Germ. 9. 30 = Megil-od-us, nicht JUcgi-todus, wie Förste
mann 886 meint.
3 ) Vielleicht darf an giiliseh manadh (a Chance, lack ; an incantation ; an omen or
sign; an allegation, plea) gedacht werden.
252
Stark
Mannou filius Eudun saec. 11. Cart. Kemperleg. Morice 1 col.
454, ferner
Mannianus saec. 9. Verbriiderungsb. v. St. Peter 79, 10,
Maniocus a. 878. Esp. sagr. Tom 16 p. 426,
Manuell o (mancip.) a. 964. Beyer n. 220,
Manuel a. 868. Kemble S n. 1061 p. 120,
Mannönus (testis) a. 959. Cart. Saviniac. p. 94 n. 131,
Manienius (famulus) saec. 11. Cart. S. Petri Carnot. p. 365
c. 150.
Endlich sei noch des Namens Woldmanat saec. 9. Dronke n.
42 gadacht, welcher im ersten Theile ein Wort volt (vielleicht
= volet, wenn nicht valet) zeigt, das in Fultgaudius saec. 8. Polypt.
Irm. 210, 18 = Vult-gäudius, wahrscheinlich auch in T. Voltedins
Mamilianus, Orelli n. 1455 u. a. erkennbar ist.
Marcheo (pbr. de Mosaburga) 110, 3, saec. 9.
Förstemann stellt pag. 913 diesen Namen zu ahd. marali
(equus), die Form Marcheo schliesst sich aber sicherer an gallisch
marca (equus), pgxpxa l’ausan. 10, 19 >), irisch marc, kymriscli,
komisch, armoriscli march = ahd. mark, marali Zeuss Ed. 2 p. 76.
83, Glück p. 52.
Hier reihe ich auch an:
Murcia (Mucronia) Orelli n. 4588; saec. 8. Polypt. Irm. 213,45,
Murcias a. 715. Pardessus n. 492: Märchens a. 906. 1. c.
n. 469,
Marcheo saec. 8. Meichelb. n. 39, Marchio a. 1095. Lupi 2, 787,
ferner
Marcus Jovincilli fil. Murat. n. 1553, Marcus (fig.) Fröhner n.
1475. 1476, Lucius Sanctius Marcus (Elvetius)Momms. loser. Helv.
n. 75, Marcus Rein, Die röm. Stationsorte p. 80,
Marco (Gemella Marconis fdia) Knabl, Mitth. d. hist. V. f.
Steierm. 1, 61, Marionis pratum a. 715. Pard. n. 469 p. 276, Marco
saec. 9. Ried n. 22, Marcus saec. 8. Kausl. n. 4. 21; saec. 9. Polypt.
Rem. 34, 10,
die irische Verkleinerung Marcdn a. 647; son of Tonnen a.
649. The four masters,
Vgl. auch den gallischen Pilanzennaraen ca/liomarcus (equi ung'ula) Marcell.
Burdig;al. c. 1(>.
Keltische Forschungen.
253
kyrarisch March uab Meirchawn, Mabinog. 2, 380; March filius
Pepiau, Lib. Landav. 225, Marcus (abbas) a. 803. Kemble 5 n. 1024,
armorisch Marcus filius Glehedre (d. i. Gleuhedre) ssec. 11.
Cart. de S. George de Rennes im Cart. de Redon, Eclairissement,
p. CCCLXVHI').
Sehr olt erscheint das Wort marc in zusammengesetzten Eigen
namen, und zwar als erstes und zweites Compositionsglied, so
in den kymrischen Namen :
Marchluid (ep. Landav. gest. a. 943) Lib. Landav. 230,
Merchbiu 191 (jetzt Marchfwy 538), Gurmarch 176. Loumarch
238, Moruarch (d. i. Mormarcli) 257, Cinuarcli 211, Gwyddvarch
Lives of de British Saints p. 595, 38, Cadfarch (d. i. gallisch Catu-
marcus, Schlachtross) Jolo 123, '
in den armorisehen Namen :
Marcoval (d. i. Marcomal) a. 850. n. 249, Marchwalion a.
829. n. 152, Marcliwocon a. 843. n. 111, Marchuili (d. i. March-
• mili) a. 878. n. 269, Marclioiarn a. 876. n. 260, Conmarc a. 833.
n. 6 im Cart. de Redon,
Marcheboe ssec. 12. Cart. S. Petri Carnot. p. 466 c. 72.
Marcellinno 65. 4 ssec. 8.
Diesem Namen, gleichfalls von marc (ecptus) abgeleitet, stehen
zur Seite die Namen
Marcellinus (T. Cornellius) Steiner n. 2771, Märcellinus (fig.)
Fröhner n. 1466—141$), Marcellinus (Metillius) Orelli n. 73,
Marcellina (Martia) ssec. 5. Steiner n. 609, Marcellina Solicia,
de Boissieu p. 491, 20, Marcellina (mancip.) a. 828. Meichelb.
n. 532, welche zunächst abgeleitet sind mit -in (Zeuss p. 734) von
dem Namen
Marcellus (Toutius) de Boissieu p. 1 97, Marcellus (fig.) Fröh
ner ii. 1464; ssec. 8. Polypt. Irm. 68, 27, neben welchem auch der
Frauenname Marcella (liberta) a. 573. Test. Aredii. Pard. 1 n. 180
p. 139; a. 814. Polypt. Massil. H. 21 im Cart. d. Vict. 2, 643,
erscheint.
1 ) Vgl. den gallischen Namen Eppius, Epius Steiner n. 11854. 3806, vocalisch ah-
geleitet von cp (equus). und von Pictet (Revue nreheol. N. S. 10, 312) cavalier
übersetzt.
254
Stark
Wegen der Ableitung -eil in Marcellus siehe Zeuss p. 728
dann
Muscella f. Fröhner n. 1656. Muscelli fil. Arneth, Röm. Mil.
Dipl. p. 34,
Novella de Boissieu p. 488, 14,
Auscella, Maximelia ssec. 8. Polypt Irm. 161,70. 236, 20,
Pascellus in Pascellarius (villa) a. 636. Pard. 2 n. 277 p. 43.
Marciana 59. ! 6.
Dieser gleichfalls von dem Worte marc abgeleitete Name schliesst
sich dem Stamme nach an
Marciana (Magni filia) Steiner n. 1879,
Marcianus (Constantius) Reines, n. 239, Marcianus (comes)
a. 361, Ammian. 21, 12, 22, Marcianus (M. Julius) Orelli n. 294,
Marcianus (servus) a. 739. Pard. n. 559 p. 372; (mancip.) a. 814.
Polypt. Massil. N. 11 im Cart. S. Vict. 2, 654, ferner an den
kymrischen Namen Meircliawn: March uab Meirchawn d. i.
Mercliiawn (Marcus filius Marciani) Mabin. 2, 380 (Zeuss Ed.
2 p. 83),
Merchiaun ssec. 10. Lib. Landav. 214, Merchion ssec. 6.
1. c. 115,
armorisch Merchion a. 863. Cart. de Rcdon n. 63.
Wegen der Ableitung -i-dn (Zeuss p. 735) in Marciana sind
zu vergleichen die Namen:
Attianus Steiner n. 271, Attiana (Olia) Orelli n. 4643,
Noviana Steiner n. 608,
Scitianus (Julius) E. Hübner, Monatsher. d. k. Akad. in Berlin,
1861 Bd. 1 p. 388, Pontianus 1. c. p. 389 >),
Aelianus (cives Remus) de Boissieu p. 557, 12,
Marianus, Apriana, Bassiana Steiner n. 934. 1183. 1208,
Macianus, Antianus, Cricianus ssec. 8. Polypt. Irm. 22, 3. 67,
55. 97, 153,
Brocianus (Wuilelmus) a. 1924. Cart. S. Vict. Massil. n. 225.
Von Marciana abgeleitet durch -ill (Zeuss p. 729) ist der
Name
f) Der so häufig; erscheinende Name Pontus, Pontius findet seine Deutung durch das
irische Beiwort pont (jiusterus, saevus, trux) Lhuyd 44. 143. 167.
Keltische Forschungen.
255
Marcianilla (Antonia) Orelli n. 6471, dem der Name
Cantianilla (ex Aquitania) Martyr. Rom. Mai 31, mit den glei
chen Ableitungen gebildet, verglichen werden kann.
Mnrta 41, 7 ssec. 8.
An diesen Namen reihen sich:
Martia (Terentia) Steiner n. 278; Martia (Artilia) de Bois-
sieu p. 200, 29, Marta ssec. 8. Polypt. Irm. 12,38,
Marius (Cn. Pompeius) Du Mege, Archeol. pyren. 3 p. 172 *).
Martins (Birrius) Steiner n. 830, Martins Fröhner n. 1301.
1302,
Martialis Donnotali (fil.) Inscr d'Alise. Beiträge z. vergl. Sprach-
wiss. 2, 100 n. 2, Martialis Du Mege. Archeol. pyren. 3 p. 190;
Fröhner n. 1482—1490, Martialis (Julius) Steinern. 1196, Mar
tialis (Gargilius) römischer Geschichtschreiber des 3. Jahrh. Lam-
prid. Alex. Sever. 37; Vopisc. Prob. 2 2 ),
Martiola (Severia) Steiner n. 2256, Martiola (Ruttonia) de
Boissieu p. 417, 18 s),
Martalia f. a. 918. Fantuzzi, Monum. Ravenn. 1 n. 185, 4,
Martanus (C. Vergilius) Orelli n. 4644,
Martinga ssec. 8. Polypt. Irm. 120, 8,
Martyrius Steiner n. 1814; Martorius (St.) a. 979. HLgd.
2 n. 115,
Martyria Hefner, Röm. Bayern n. 307, Martyria (conjux Bra-
carii) a. 572. Marini, Papiri diplom. n. 88 p. 135,
Marteres (diac.) a. 813. HLgd. 1 n. 13, Marthere (dux)
a. 969. Kemble 3 n. 555 p. 46 *).
Marthelmus ssec. 9. Polypt. Rem. 33, 8 aber ist wahrscheinlich
= Mar-thelm-us ’■>), und
*) Martos Familienname in Spanien.
2 ) Auch der Name des römischen Dichters Valerius Martialis ist hier zu beachten.
Martial war zu Bilbilis in Spanien geboren. Seine Eltern hiessen Fronto und Flacilla.
Einen Bruder Turanius nennt er in seinen Schriften. Pauly. RE.
3 ) Conjux Mattonii Restiluti, civis Triboci.
Vgl. auch Marturiolus (colonus) a. 792. Fateschi n. 38 und Gualdum, Beneventano-
rum princeps qui Martoranus vocalur, a. 834. Gattola p. 32 b.
5 ) Vgl. den irischen Frauennamen Fcdhclm, abbatissa, gest. a. 931. The four
masters = Te-dhelm? und Durantus Delmas sxc. 12. Cart. Savin. n. 926.
256
Stark
Mnrtildis a. 814. Polypt. Massil. N. 10 im Cart. S. Vict. 2,
654 = Mar-tildis (vgl. Delto, Arimin. ep. a. 877. Plancher, Hist,
de Bourgogne 1 n. 13), wenn nicht statt Mart-itt-is >).
Von irischen Namen sind hier zu nennen:
Martha daughter of Dubhan, abbes of Cill-dara, a. Ö73. The
four masters, Mart an (St.) Martyr. Dungal. Nov, 1 2 ), Maelmartdn
(abbas) a. 883. The four masters 3 ).
Das in diesen Namen erscheinende Wort mart ist entweder das
bei Lhuyd 84 verzeiehnete irische Wort mairte martius, warlike,
valeant, welches mit Mars, Martis zu vergleichen ist und auch in
dem zusammengesetzten irischen Hauptworte ruvairt (d. i. ru-mairt
= ru-marti?) vigor (Lhuyd 174) sich vorfindet, oder es ist in mart
ein alileitender Voeal (i) ausgefallen und dafür marit, abgeleitet von
mar magnus, illustris, insignis, nobilis (vgl. Glück p. 80), anzu
setzen. Diesem mart — marit entspricht das gälische Beiwort
mördha great, eminent, excellent, d. i. gallisch märita 4 ) und neben
dem kymrischen Hauptworte mouredh magnitudo, majestas Lhuyd 84.
jetzt rnawrez d. i. marit 5 ), das heutige Beiwort mawrczus magnificus,
grandis d. i. maritus.
Aus dem zuerst genannten Worte marti ist vielleicht gebildet
der Name Martinas, Martina, wenn nicht = Maritinus, Maritina
aufzufassen. Vergleiche
Martinas (Cossius) Steiner n. 299; Fröhner n. 1497—1300;
Ammian. 14, 3, 7; a. 473. Pard. 1 n. 49 p. 24; ssec. 8. Polypt.
Inn. 37, 34. 58, 53. 114, 297. 120, 8. 133, 7. 135, 19; a. 814.
Polypt. Massil. F. 9 im Cart. S. Vict. 2, 637; (mancip.) a. 853.
Beyer 1. n. 82,
*) Vgl Trudeldus, Variante zu Trudhelus saec. 10. Cart. Sarin, n. 59.
2 ) Of the race of Conall Eachluath, who is of the race of Corbmac Cas, son of
Oiiioll Olum.
Dieser Name erscheint dort noch siebenmal, und zwar in den Jahren 903. 951.
1038. 1045. 1055. 1170. 1077.
4) Dieses Wort mordha findet sich auch in dem irischen Namen Maelmordha, son
of Ailell, died a. 868, The four masters. Dieser Name ist dort noch einundzwanzig-
mal verzeichnet.
5 ) Vgl. auch kymrisch maurhaad honor Lhuyd 66, irisch morad (Iaudatio) Wb. 6a
Zeuss Ed. 2 p. 238, dann goth. meritha ocxo^ a ^* märida claritudo,
fama, rumor, vaticinium, auch merd, dann ags, masrdh magnitudo, gloria, altn.
mtrrd laus; poesis.
Keltische Forschungen.
257
Martina Steiner n. 1770; Martina (Cispia) Orelli n. 5005,
Martina ssec. 8. Polypt. Irm. 59, 58; ssec. 9. Polypt. Rem. 72, 37;
a. 814. Polypt. Massil. F. 9, M. 1. 3 im Carl. S. Vict. 2, 637. 651,
Martinia Lea (eonjux Potitii Romuli) de Boissieu p. 424, 24, und
davon abgeleitet:
Martinula (Tochter des Speratus) Steiner n. 33,
Martinianus Ammian. Exc. •§. 25. 29; (mancip.) a. 700. Pard.
n. 452 p. 257; ssec. 9, Polypt. Rem. 52, 88, dem der armorische
Name Martinan a. 865. Cart. de Redon n. 86 entsprechen dürfte.
Der Name Martin (Martin?) wird auch in den Annalen der vier
Meister öfter genannt, und ihn trägt unter anderen ein Onkel des
h. Patrick, dessen Vater Calpurnius hiess.
Im Gart. de Redon n. 32 ssec. 9 wird ein Mann Namens Martin
dem Kloster geschenkt.
Von selbst drängt sich hier der Name Martellus auf:
Martellus (Carolus) Majordomus a. 723. Pard. n. 530 p. 341 «),
und ich halte dafür, dass er geeigneter durch „insignis, illu-
stris“ als durch „Hammer“ übersetzt wird.
Endlich ist der hier gegebenen Erklärung gegenüber auch die
Frage berechtigt, oh denn in keinem Namen das Wort marit in die
ser unverkürzten Form nachweisbar ist, und sie kann füglich bejaht
werden, denn das Wort marit erscheint in dem armorischen
Namen:
*
Gingomaret (famulus monachorum) ssec. 11. Cart. S. Sergii.
Morice 1 col. 413, wenn nicht = Cin-comaret, sondern Gingo-maret
d. i. Cinco-märit (vgl. Ex-cinco-marus Grut. 911, 2, armorisch
Gingomarus cognomento Bloccus, c. a. 1060. Cart. Marmoutier.
Morice 1 col. 411), sicher in dem gallischen Namen:
Maritalus: Mocetius Maritali (fil.) Steiner n. 2874, welchen
Pictet (Revue archeol. 1867 p. 394) zwar = Mari-talus fasst und
mit „grand front“ übersetzt 2 ), ich aber = Marit-al-us nehme,
dann in
Maritumus Revue archeol. 1864 p. 2 d. i. Marit-um-us,
O Vgl. auch Gausfridus Martellus (comes Andegav.) a. 1046. Cart. S. Petri Carnot.
p. 162 c. 34, dann Sisibuto Mauratelliz a. 917. Esp. sagr. Tom. 34 p. 447 und
Moratelli, Familienname in Siidtyrol = Maratelli.
2 ) Über tal (frons) vgl. Glück p. 73.
258
Stark
Maretemus (servus) a. 631. Pardessus n. 253 = Maret-
em-us '),
Marideus a. 800. Brunelti, Cod. dipl. Toscan. 2 n. 52 p. 324,
16 = älterem Mariteus d. i. Marit-eu-s,
in den kymrischen Namen:
Morhed ssec. 7. Lib. Landav. 162 2 ),
Moridic ssee. 11. Lib. Landav. 263, jetzt Moreiddig 547 3 j,
dann, wie ich anzunehmen geneigt bin, in dem altgallischen Namen:
Moritascus (Gallus Seno) Caes. B. G. 5, 54, welchen Zeuss
p. 71 = Mori-tascus aufgefasst und mit Tasgetius Caes. 1. c. 5, 26
verglichen hat *), ich aber Mörit-asc-us d. i. Mdrit-nsc-us nehme 5 ),
und in
Desmaret (M.) a. 1559. Miraei Opp. 4 p. 672 c. 135 = Tes-
maret 6 ).
Ausgefallen, wie in dem irischen Namen Maelmördha, ist der
ableitende Yocal auch in dem kymrischen Namen:
Morduf ab Scryan, Jolo 106, 116 = Mordam, Morid-am, d. i.
Märit-am-us 7 ) dann in
Mordacli (Volricus dictus M.) a. 1327. Mohr, Cod. dipl. Rhae-
tiae 2 n. 214 p. 286 = Mord-ach 8 ),
! ) Vgl. Legilemus a. 750. Dipl, et ehartae Merov. n. 45 d. i. Legit-em-us; Legitim{i)
O(fficina) Fröhner n. 1.312, Lagitus ssec. 11. Cart. S. Vict. Massil. n. 317. —
Die Ableitung -em, ist übrigens vielleicht auf ursprünglich -am zurückzu
führen.
2 ) Vgl. auch Mor ab Morydd Jolo 105, 90, Durandus Marutus saec. 12. Cart. S. Petri
Carnot. p. 450 c. 54.
3 ) Vgl. kymrisch maurydhig (magnificus, superbus) Lhuyd 84. 158, mawrtig (mar-
tial) Owen.
4) Irisch tasg bedeutet nach Lhuyd 142 rumor, common fame. Mori-tasc-u-s könnte
demnach „der Seeberühmte, Seeheld“ übersetzt werden.
5 ) Wegen der Ableitung -asc siehe Zeuss p. 775, dann F. Arasca Finestres, Syll. p.
279, 78. — Wegen o statt a siehe Zeuss Ed. 2 p. 5.
6 ) Vgl. irisch teas (heath, warmth; tepor) Lhuyd, tes im Genitiv intesa (gl. caloris)
Sg. 5a Zeuss Ed. 2 p. 10, komisch tes (fervor) Voc. Zeuss p. 1113.
7 ) Mor da f ist Superlativ, gebildet aus dem Beiworte morda durch -af d. i. -am und
bedeutet superbissimus, magnificentissimus. Vgl. Zeuss Ed. 2 p. 298 fg. — Hier
mag auch in Betrachtung kommen der schon vorher genannte Name Maret-em-us
(servus) a. 631. Pard. n. 253, wahrscheinlich = älterem Mdrit-am-us.
8 ) Mordach = gallischem Mdrit-äc-us ist ein durch die Ableitung -de gebildetes
Beiwort. Siehe darüber Thl. 1 dieser Forschungen, Sitzungsber. Bd. 59 p. 213 n. 2
und das kymrische Beiwort maureähog (magnificus) Lhuyd 34 = mdritäc.
Keltische Forschungen.
259
Mordhant (Hubertus) a. 1130 — 1150. Cart. S. Petri Carnot.
p, 286 c. 22 = Mordli-ant >),
Mordrnmnus (abbas Corb.) saec. 8. Polypt. Irm. App. p. 339,
auch Maurdraiinus geschrieben p. 337, Morthramnus im Verbrü
derungsbuche v. St. Peter 21, 9 a ),
Mortbert Fragm. polypt. Sith im Polypt. Irm. App p. 400, 13
= Mort-bert 3 ),
Mortgilus saec. 8. Polypt. Irm. 64, 37 = Mort-gil-us 4 ).
Masso 99, 37.
Dieser Name = Maso 5 ) ist gebildet aus einem Worte mas,
masu. Es erscheint im Kymrischen das Beiwort masu (soft, gentle,
tender, nice, sweet, pleasant, delicious, mild) Lhuyd 93, Glück p. 5,
irisch mas = maiseacli (luculentus, nitidus, venustus) Lhuyd 33,
bei O'Brien excellent, handsome, das Hauptwort maise, maisse
(species, pulchritudo, nitor, ornamentum) Lhuyd 99. 152. 172,
1) Vgl. auch den irischen Namen Mortant (captain) a. 1552. The four masters, dann
den armorischen Namen Mordan (villa) 875. Gart, de Redon n. 262 d. i. Mordant
und Mordens (Willelmus) smc. 11. Cart. S. Petri Carnot. p. 239 c. 13 d. i.
wahrscheinlich = Mordentius, Mordant. Wegen armorischn in Mordan statt nt siehe
Zeuss Ed. 2 p. 161. — Über die Ableitung -anta, durch welche im Irischen
Beiwörter gebildet werden, vgl. Pictet, De l’affinite des langues celt. avec le sans-
crit p. 98. 99.
2 ) Mordramnus ist = Mordra-mn-us, mordra aber ist ein durch -dra von mor (mag-
nus) abgeleitotes Hauptwort. Diese Ableitnug -dra ist = skr. -tra oder = kym-
risch, komisch -der, irisch -thoir und mit skr. -tr = -tar zu vergleichen. Siehe
Pictet. L'affin, p. 102. — Über die Ableitung -mn — -man siehe Zeuss p.
734. 735.
3 ) Über bert siehe Thl. 1 dieser Forschungen, Sitzungsber. Bd. 59 p. 128 und
228 n. 2.
4 ) Ygl. die irischen Namen Ailghil (Aenghus son of A.), gesta. 847. The four ma
sters, Saithgil (Medhbh daughter of Garbhan, son of Brocan, son of Garbhan, son
of Dubhchertan of the Ui Saithgil of Ciarraighe Luachra, was the mother of S.
Lugaidh) Mart. Dungal. Oct. 6, die armorischen Armagilus (St.) Morice 1 col.
lj.69, wenn nicht Ar-magilus, Loengil a. 876. Cart. de Redon n. 237 dann gälisch
geal fair, white, brigth, d. i. irisch gil (gile whiteness, Lhuyd), so z. B. bean
chneis-geal, , woman /vzer-skinned, The Banquet of Dun na n-Gedh (Ed. O’Dono-
van, Dublin. 1842) p. 59. Siehe auch Pictet, L’affin. p. 44.
5 ) Über ss statt s vgl. Fröhner p. XXX.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd., II. Hft.
18
260
Stark
O'Brien, gälisch mens, und das Beiwort measail (respectable, estee-
med) d. i. masil.
Aus diesem Worte sind zahlreiche Namen gebildet, so:
Musu feei, Of. Maso(nis) Fröhner n. 1513. 1514, Masa fecit,
Fabric(a) Musi T. c. n. 1504. 1512, Maso stec. 8. Isidori epist. in
Bonif. epist. 146 (Ed. Würdtw.), Masius Januarius Steinern. 1360,
Masii Yetus et Firmus Grsevius, p. 4, 2,
Masso (L. Helvius) Autiquites de Viennes, de Chorier. Ed de
Cochard p. 544, Masso Steiner n. 3332; (colon.) a. 7 66. Test. Tel-
lonis, Mohr, Cod. d. Rhaet. 1 n. 19 p. 13; sasc. 9. Neer. Fuld. Dronke,
Trad. et antiq. c. 4; a. 1056, Fatteschi n. 98,
Massae filia (Saturnina) Knabl, Mitth. d. h. V. f. Steierm. 5,
172, Masa (mancip.) f. a. 800. Schannat n. 140, (mancip.) a. 774.
Trad. Wizenb. n. 61,
Masius (Justus) Steiner n. 1234, Masio (Montis-viridis ep.)
ssee. 11 Widr. mirac. S. Gerardi. Mon. Germ. 6, 508, Maseius
Steiner n. 1423,
Massio a. 773. Lupi 1, 511,
Masila (Q. Turranius) Orelli n. 6523 «), Mussilius (mon.)
ssee. 11. Gart. S. Yict. Massil. n. 40 p. 61,
Masellia Valeriana, Graevius p. 3, 6,
Masiliuus a. 1030. Perard p. 180, Maselinus (archidiac.)
a. 1079 Mirsei Opp. 1 p. 665 c. 44, Masslin de Rietburg a. 1109.
Kausler n. 267 3 ),
1 ) Vgl. Massila (Vater des Sueven Maldra, Masdra) saec. 5. Jsid. Suev. hist. 4.
3 ) Ich mache hier aufmerksam, ob dieser Name und mancher der folgenden nicht
als Compositionen mit ma- zu betrachten sind. Man beachte auch Masilianus saec.
8. Polypt. Irm. 297, 7 neben Jun. Siliuni Vari Steiner n. 397. Der Bruder des Ma
silianus heisst Masemboldus, seine Mutter Isembolda. Ich möchte diese beiden Na
men = Ma-sembolda, l-sembolda fassen und vergleiche Sembus Vriassi fil. Du
Mege, Archeol. pyren 2 p. 126 , Sembedonis filia (Secunda) Orelli n. 204,
nach Zeuss p. 753 abgeleitet mit -ed, Setnbo in dem Ortsnamen Sembingwanc a.
805. Neugart n. 155, Sempania (Ioc.) c. a. 998. Mohr, God. d. Rhaet. 1 n. 73,
Escmphonia f. saec. 11. Cart. S. Vict. Massil. n. 92 = Esemponia (vgl. auch
Simphonia Sta. Cod. Theodorici der Bened. Abtei Deutz. Lacombl. Archiv. 5, 298
= Sirnponia, Sembonia, d. i. Semb-onia). Wegen der Ableitung -old = -ald in
den Namen Ma-semb-old-us, I-setnb-old-a ist zu vergleichen Donald in den Collect,
de reb. Alban, p. 219 statt Domhnal a. 622. Ann. Tigern. 1. c. p. 218. Wegen mo-
vergleiche Maternus und die dort erwähnten Namen.
Keltische Forschungen.
261
Massim a. 776. Cod. Lauresh. n. 2774 i),
Masuonia (Oclatia) Steiner n. 1011, Masuinnus Intelligenzbl.
des baier. Rheinkr. 1828 n. 32. Beil. Fig. 5, Massunnius Grut.
793, 8 a),
Massonius Steiner n, 1011, Massona (Emeritens. ep.) ssec. 6.
Isid. Hist. Tom. 7 App. 5 p. 189, 19 3 ),
Masuco Momms. Inscr. conf. Helv. lat. n. 295, Masucia I. c.
n. 292,
Masurius Leuterus (a. 29) Orelli n. 695, Masoria f. a. 917.
Esp. sagr. Tom. 34 p. 447 “),
dann die irischen Namen:
Maise (Sta) Mart. Dungal. Aug. 21 3 ),
Masin: „Sta Cureach, daughter of Daei, son of Maisine, of the
race of Colla Menn.“ Mart. Dungal. Aug. 8 p. 213 6 ),
Tighearnmas, son of Follach, monarch of Ireland, a. m. 3580.
The four masters == Tighearn-mas,
Diumasach a. 751. 1. c. = Diu-masacli.
Der armorische Name Mashouuen ssec. 9. Cart. de Redon n. 189 7 )
ist wahrscheinlich = -Madhouuen. Vgl. Zeuss Ed. 1 p. 143. 144.
*) Vgl. Maxima Dievionis filia, conjux ßoji, Knabl Mitth. d. h. V. f. Steierm. 9, 37,
doch auch Maxentius (St.) neben Maccentius a. 875. Cart. de Redon n. 236. Vgl.
Zeuss p. 58. 147. 749. Becker, Beitr. z. vergl. Sprachf. 3, 211, Revue archeol. 1845
p. 221, Fröhner p. XXX.
2 ) Uber die Ableitungen dieser Namen siehe Glück p. 5. — Vgl. auch Macruos (rex
Semnonum) ssec. 1 Dio Cass. 67, 5 = Matru-og. — Den Namen Semnon: Xi^vcov
(rex Logionum.) Zos. 1, 67 fasse ich = Seminon. Vgl. auch Q. Caesius Semnus
Orelli n. 3006, Claudius Semnus Fabretti p. 71, 60 und Xtpisvot (pop. Brit.; Venta
ihre Stadt) Ptol. 2, 3, 21. Auch Orsminius Fabretti p. 636, 306 kann = Or-
siminius gedeutet werden.
3 ) Massana heisst die Gemalin des longobardischen Königs Cleph bei Paul. diac. 2, 31.
Vgl. auch Massanus in „locus qui vocatur Massenäcus“ saec. 10. Cart. Savi-
niac. n. 175.
4 ) Vgl. T. Claudius Surio de Boissieu p. 351. Suria (dea) Grut. 4. 1, Surus, Sparuci.
fil. dom. Tribocus, Orelli n. 3408.
5 ) „The irish Word maisse signifies „beauty“. Sta Speciosa occurs in the Martyrology
of Molanus at 18. March“. O’Donovan 1. c. 440 nota 1.
6 ) Massinus: „abbatia quae Massini nominatur“ a. 904. Urkdb. v. St. Gallen n. 734,
bei Lesa, am westlichen Ufer des Lago Maggiore.
7 ) Vgl. 1. c. Guorhouuen, Haelhouueu, Jarnhouuen, Tuthouuen, Ronhouuen saec. 9 n.
10. 50. 129. 135. 253.
18
262
Stark
Materni (pbr.) 74, 28 stec. 8,
Materninas 51, 10 smc. 8—9.
Diese Namen finden sieh schon in früher Zeit. Man sehe
Maternus (poeta) Tacit. de Orat. 2, Maternus et Bradua
(eons. a. 185) Hübner, Monatsber. d. k. Akad. in Berlin, 1861
Bd. 2 p. 956, Porcius L. f. Maternus 1. c. Bd. 1 p. 77, Carantinius
Maternus Steiner n. 256, Q. Florius Maternus, praef. coh. Tungro-
rum, Ackerman, Archaelog. Index to remains of antiquity etc. (Lon
don, 1847) p. 77, Julius Maternus miles, de Boissieu p. 355, 43,
Maternus (fig.) Frühner n. 1518—1521,
Materna, conjux Frontonis actoris, Wiltheim, Luciliburg.
p. 175, Secundia Materna Steiner n. 1200 t),
Maternian (fig.) Frühner n. 1522.
Ob dieser Name Maternus abgeleitet ist von mat 3 ) mit -ern 8 )
oder von mater, irisch mathair (Mutter) mit -n 4) wage ich nicht zu
bestimmen 5 ).
Aus dem Worte mat sind viele keltische Namen gebildet, so:
Matto fc. Frühner n, 1526, M. Valerius Matto Steiner n. 514,
Turbanius Matto Orelli n. 437, Matti fil. (Atturus) Steiner n. 799,
Matius Finitus 1. c. n. 3154,
Matto (Claudia) Steiner n. 2556,
Mateius oder Matheius Steiner n. 479, Matteia Archiv f. K.
üsterr. Gq. 6, 224,
Mattonius Restitutus, civis Tribocus, de Boissieu p. 417, 19,
die kymrischen Namen:
Math vab Mathonwy (d. i. Matto filius Mattoneii) Mabinog. 3,
94 (Zeuss Ed. 2 p. 151),
Matauc, Matüc, Matöc Lih. Landav. 73. 136. 194,
Matganoi Vita S. Cadoci c. 58. Lives 89,
1 ) Materna heisst auch ein Fluss in der Vita S. Tressani c. 7. Colgan. AS. Hib.
2, 2 72.
2 ) Vgl. kymriscb, armorisch mat, jetzt mad, als Hauptwort bonum, benelieium, als
Beiwort bonus, lionestus, irisch math, maith bonus. Zeuss Ed. 2 p. 34. 99, Glück
p. 2 Anm.
3 ) Vgl. Zeuss p. 737. 794.
4 ) Vgl. Zeuss p. 734.
°) Vgl. Ailill son of Cuganmathair, king of Munster, died a. 699. The four masters,
dann Valgas Materi (fil.) Steiner n. 1137, beiZeussEd. 2. p. 29 aber = Valgasmaierus.
Keltische Forschungen.
263
Matgueith ssec. 11. Lib. Landav. 268,
die armorisehen Namen:
Matic a. 869. n. 242, Matinn, Matin ssec. 9. n. 121. 199,
Matdc a. 867. n. 150 Cart. de Redon.
Mathias (comes Britanniae) ssec. 11. 1. c. n. 298,
Matfred a. 846. n. 53, Matganoc a. 848. n. 106, Matganoe
ssec. 9. n. 212, Matganet a. 8a8. n. 202, Matuidet, Matbidet a. 833.
n. 6. 123, Matuuidoe a. 866 n. 240, Matuedo a. 878. n. 270, Mat-
uueten a. 834. n. 12, Matuuoret ssec. 9. n. 77 1. c.,
Matmonoc (abb. Landevens.) ssec. 9. Cart. Landev. Morice 1
col. 228, dann
der irische Mannsname:
Mathghamain, welchen die Annalen der vier Meister zu den
Jahren 955. 957. 1012 — 1014. 1018. 1022. 1032 verzeichnen, und
der Frauenname
Maitligem, daughter of Aedhan, son of Gabhran, king of Alba
(the mother of S. Mo-laissi) Mart. Dungal. Apr. 18.
Behufs einer weiteren Untersuchung erlaube ich mir, doch nur
schüchtern, die Vermuthung auszusprechen, dass der Name Mater
nus, Materim vielleicht zusammengesetzt und = Ma-ternus,
-terna sei.
Dem Worte ternus begegnen wir in den Namen:
Ternius Ursulus, Bonner Jahrb. 41 p. 137 n. 2,
Terniscas (ep.) a. 677. Pard. n. 388 p. 179 *),
Ternod a. 821. Ried n. 23,
Ternöcc mart. Dungal. Jan. 30, Febr. 8, Jul. 2, Oct. 3,
Temanus (ep. Pictorum in Britannia) Boll. Jun. 12. II p. 533.
Nordhat 58, 33 ssec. 9.
Die ursprüngliche Form dieses mit -at abgeleiteten Namens ist
meiner Ansicht nach Nard-at.
Nardat bedeutet wahrscheinlich der Kenntnissvolle, Kluge,
Weise, denn das irische Zeitwort nardaim (scio) und das Haupt
wort nard (scientia) sind hier jedenfalls zu berücksichtigen.
Aus diesem Wort nard sind noch gebildet die Namen:
Nardu (Nardu poeta pudens hoc tegitur tumulo) Grut. 1118, 6,
*) Siehe Zeuss p. 775.
264
Stark
Nardunus a. 1004. Cart, Savin. n. 97.
Auch Joonart ssec. 11. Polypt. Irm. 50 b ist vielleicht = Joo-
tiart aufzufassen und hier anzureihen.
Man beachte die armorischen Namen:
Joumonoc (pbr.) saec. 9. Cart. de Redon n. 21. 77. 89 = Jou-
monoc *),
Jouuuoion, Joauoion a. 871. 1. c.n. 145. 146 = Jou-woion 2 ),
Jouvoret (colonus) saec. 9. Vita S. Convoionis. Morice 1 enl.
237 = Jou-voret 3 ).
Sicher aber gehört hieher der armorische Name
Enardus (Vater des Morwethen) a. 1084. Cart. de Redon
n. 335 = E-nardus.
Man vergleiche:
Elioarn saec. 12. Cart. Marmout. Morice 1 col. 524 = E-hoam*),
Edeyrn (St. ap. Gwr-theyrn) Jolo 106, 133 = E-deyrn 5 ),
Eliulod und Lyidod (ein kymrischer Mannsname) bei Lhuyd
218, dann
Edduncaldus (servus) a. 890. Marca hisp. n. 50 p. 823 =
E-duncaldus 6 ).
*) Vgl. die armorischen Namen Monochi saec. 9. Cart. de Redon n. 100, Matmonoc
(abhas Landevenec.) Morice 1. col. 228, Catmonoch a. 860. ßever 1 n. 60 und
den kymrischen Namen Convonoc saec. 6. Lib. Landav. 135, jet/t Cynfonog 386 =
Conmonoc saec. 11. Kemble 4 n. 981 p. 316.
2 ) Vgl. die armorischen Namen Wetenwoion n. 9, Worwoion n. 19. 163, Drewoion
n. 47, Clotwoion n. 49, Tanetwoion n. 50, Conwoion n. 99. 177, Hirdwoion n. 102,
Sulwoion n. 236, Hedrguoion (saec. 10) im Cart. de Redon saec. 9.
s ) Vgl. Boworet saec. 9. Cart. Redon. n. 265 d. i. Bo-woret.
-*) Siehe Bo-hoiarn hei Pup.o.
5 ) Vgl. die kymrischen Namen Kyndeyern Lives p. 266, 18, Elldeyrn (St.), Bruder des
Gwrtheyrn Jolo p. 107, 146, Aurdeyrn (St.), Bruder des Edeyrn 1. c. p. 109, 183,
die armorischen iSuitiern n. 50, Maeltiern n. 133, Haeltiern n. 163, Juntiern n.
221, Gurtiern n. 390 im Cart. de Redon saec. 8.
6 ) Vgl. Tunchin in Tunchinashaim a. 788. Schannat 84, Tungolt saec. 9. Dronke
Trad. et antiq. Fuld. p. 135 c. 51 = Tung-olt, vor allen aber Cilius Tongius, Pin-
tami fil. E. Hübner, Monatsber. der Berliner k. Akad. 1861 ßd. 2 p. 779, Tongo-
briga: Jovi vicani Tongobricese I. c. Bd. 1 p. 391, Tongilia Tertia, Fabretti p.
152, 216; Tongetamus E. Hübner I. c. Bd. 2 p. 779 = Tonget-am-us, dann auch
Tungide (locus) a. 860 Schannat n. 489 p. 198. — ln Edduncaldus und in Tunchin
ist der ursprüngliche Kehllaut g bereits in die folgende Lautstufe übergetreten. —
Zur Erklärung dieser Namen findet sich nur irisch tuinge, kymrisch tung, tungad
Keltische Forschungen.
265
Pupo 73, 6 saec. 8—9.
Dieser Name sehliesst sich allem Anscheine nach an:
Pupus (Catius) de Boissieu p. 403, Pupius (Lucius) Caes. B.
C. 1, 13, Puppius (Marcus) Orelli n. 642, Puupius (lihertus) Inser.
Cartagenae, Momms. n. 1477, Poppius Secundinus, Steiner n. 1860,
Poppius Velinus, Grut. 443, 9. 10. 11, Popo (mancip.) a. 864.
Ried n. 47,
Pupa (Cominia) Steiner n. 3323, Popa Wiltheim, Lucilibuig.
p. 23 n. 90, Pupo a. 372. Pardessus n. 178 p. 134 nota 2,
Popidius Q. f. Celsinus, Orelli n. 3743,
Pupillus (Cornelius) Orelli n. 1393,
Poppilius, natione Sequano, de Boissieu p. 407, 13, Popilius
Steiner n. 1971, Popili a. 837. Ried n. 31,
Popila (mancip.) a. 820. Meichelb. n. 209,
Pupilonius a. 372. Pard. n. 178 p. 134 nota 2 '),
Poppillianus Wiltheim, Lucilihurg. p. 23 n. 90
Popelina a. 1208. Cart. S. Petri Carnot. p. 673 c. 81,
Popnia Q. 1. Fausta, Momms. n. 1062 = Popinia,
Popiuus a. 1137. Cart. S. Petri Carnot. p. 383 c. 168, viel
leicht auch an
den armorischen Namen:
Pnpurt: Kenmarhuc qui et P. saec. 11. Cart. de Redon n. 287,
Popardus saec. 11. Cart. Marmoutiers. Morice 1 col. 420, falls er
nicht = Pu-part zu fassen ist s) wie
Povartionius Secundinus, Steiner n. 14 = Po-vartionius d. i.
wahrscheinlich Po-varati-oni-ns, welchem Namen in den beiden
ersten Theilen der armorische Name Bouuoret (testis) saec. 9. Cart.
de Redon n. 263 d. i. Bo-woret entspricht 4 ),
(juramentum). Verwandte Wörter hat Pictet (Les orig. Indo-Eur. 2, 424) zusam-
mengestellt, doch ist der ursprüngliche Begriff dieses Wortes tung erst noch festzu
stellen.
1 ) Sohn der vorhererwähnten Pupa.
2 ) Sohn der vorhererwähnten Popa.
8 ) Vgl- Partus, Mutii filius, natione Treverensis, Steiner n. 60o, irisch Sobhartan (ep.)
Mart. Dungal. Apr. 2 = So-bhartan.
X%}.Warato (Aquitanus, majordomus Theodorici) a. 687. Ann. Mettens. Mon. Germ.
1, 317, Warrat (mancip.) sajc. 8. 9. Schannat n. 88. 423, dann armorisch Chen-
worct, Linworet a. 860. 888. Cart. de Redon App. n. 48. 51, kymrisch Ludguoret y
266
Stark
Potogenia Murat. 1213, 2 = Po-togenia t),
Bopsin sffic. 9. Carl, de Redon n. 45 = Bo-posin: vgl. Bobo-
sinnus (der.) a. 787. Urkdb. v. St. Gallen n. 111 = Bo-bosinnus
neben Pusinnus (Inscr. Transilv.) Arch. f. K. österr. Gq. 33,
117 3 ),
Bohoiarn ssec. 11. Gart, de Redon n. 295 = Bo-hoiarn 3 ),
Botinart c. a. 1084. Cart. de Redon n. 325 = Bo-tinart 4 ),
und etwa auch der irische Name:
Poprigh a. 926. The four masters — Po-prigh 5 ).
Uber das hier erscheinende Präfix po- weiss ich Näheres nicht
anzugeben und es sei durch die Vorführung dieser Namen wenig
stens eine weitere Untersuchung angeregt.
Was aber das Wort pup in den vorher genannten Namen be
trifft, so weiss ich zu seiner Erklärung nur auf das irische Haupt
wort pupa, popa (a master, a teacher, one that hath the govern-
ment of others, an overseer) Lhuyd 83 zu verweisen, welches auch
in dem zusammengesetzten Worte sparnpupa (athleta, a Champion,
a chief wrestler) Lhuyd 44, O’Brien «) erscheint.
Conguoret Lib. Landav. 160. 161. — Die Ableitung- in Povartionius findet sich
auch in dem Namen Pusinnioni (filius ?) i. e. Volerius, Steiner n. 1233.
*) Vgl. Togius Hefner, Röm. Bayern n. 246, Togiacus Grut. 845, 5, Togitius Solimari
fil. Steiner n. 228, in welchen Namen das irisch, gälische toig jetzt toigh jucundus,
amoenus, dilectus (Glück Renos, Moinos etc. p. 2 n. 4) vorliegt, dann auch Proto-
cenia Ackner, Röm. Inschr. in Dacien = Pro-tocenia. In Pro-tocenia kann der
zweite Namenstheil, wenn nicht verlesen statt -togenia, zu Tocca (fig.) Fröhner
n. 986 — 991, Toccae fil. (C. Julius Rufus) Steiner n.2294, Toccinus (fig 1 .) Fröhner,
n. 997, Toki saec. 12 —13 Liber vitae eccl, Dunelm, p. 78, 3 gestellt werden. —
Prof. Becker (Beitr. z. .vergl. Sprachf. 3, 430) fasst den Namen Potogenia =
Poto-genia.
2 ) Wie in Bopsin ist ein Vokal unterdrückt in Vepsanus Arch. f. K. östr. Gq. 6,
228 = Vepisanus, Vepusanus und in Vipstanus Tac. Ann. 14, 1, wahrscheinlich
= Vipistanus.
3 ) Vgl. die armorischen Namen Hoiarn a. 848. n. 64, lhoiarn saec. 11. n. 315
im Cart. de Redon, Conhoiarn , Uuorhoiavn a. 833. 841 l. c. App. n.
2. 13.
4) Vgl. Tinardus saec. 11. Hist, abbat. Condomens. D’Achery Spicil. 2 p. 591 b und
Teadinardus a. 777. Brunetti, Cod. dipl. Toscan. 2 n. 10 p. 233, 24 = Tsa-tinar-
dus; Tinarius (praeco curiae Trident.) a. 1234. Cod. Wangian. p. 358.
5 ) Vgl. den armorischen Frauennamen Pro-pricia saec. 11. Cart. de Redon n. 316.
6 ) Irisch sparn, gälisch spairn f. bedeutet Zank, Streit.
Keltische Forschungen.
267
Remeio (mon. Auwens.) S9, 32 saec. 8.
Dieser Name, an den sich unmittelbar schliessen die Namen:
Remeio saec. 8. Meichelb. n. 200, Remeias (mancip.) n. 887.
Falke p. 118,
Remeia f. saec. 9. Polypt. Rem. 74, 5t,
ist vokalisch abgeleitet mit -ei (vgl. Zeuss p. 745) wie
Numeius (Helvetius) Caes. B. G. 1, 7,
Crepereius (Gallus) Tacit. Ann. 14, 8 <),
Cereius (Sextus) de Boissieu p. 393, 6,
Nereia (Epidia) Orelli n. 4625,
Meleia, Bricostidis filia. Steiner n. 2764,
Eleia, Areia, Maureia saec. 8. Polypt. lrm. 56,120. 107, 235.
259, 103,
Eleius, Evreia, Paveia, Mareia saec. 9. Polypt. Rem. 32, 4.
34, 18. 38, 52. 50, 70.
Neben Remeio sind aber noch zu beachten die Namen:
Remi (pop. Belg.) Caes. B. G. 2, 3. 5; 5, 54; 6, 4,
Remus: Sassius Remi fil. (Inscr. Trident.) Orelli n. 3378,
Remus et Argontia qui natione Galla germani fratres, Arringhi Ro
ma subterr. p. 439, Remo Duchaiais p. 219, 544, ferner
Remic f. Fröhner n. 1771,
Remigius (magister officiorum) a. 368. Ammian. 27, 9, 2;
(St. ep.. Rem.) saec. 5. Greg. tur. 2, 31; (colonus) c. a. 499. Pard.
1 n. 65 p. 39,
Remegius saec. 8. Polypt. Irin. 95, 138. 109, 251. 134, 15.
160, 63,
Remigiu (liberta) a. 533. Pard. 1 n. 118 p. 83, Remigiu saec.
8. Polypt. Irm. 222, 62; saec. 9. Polypt. Rem. 16, 16. 72, 41,
Remedius saec. 8. Polypt. Irm. 249, 28, Rimideo saec. 8. Mei
chelb. n. 89 = Remed-i-us,
Remedia saec. 9. Polypt. Rem. 51, 77. 82,
Rimidingus a. 885. Neugart n. 557 = Rimid-ing-us,
dann die irischen Namen:
Rim f. Mart. Dungal. Nov. 12 bei Cuimmin Foda,
*) Krepyer Familienname in Wien.
268
Stark
Rimidh, sou of Cearnach, slain a 781. The four masters; Fionan
mac Rimeadha Mart. Dung. Jan. 8, Maolbracha mac Rimedha a. 617.
The four masters,
Riomhtach (Sta) Mart. Dung. Mart. 6 d. i. Rimetdca, Rx-
met-äc-n.
Für die Deutung dieser Namen sind zu beachten irisch, gälisch
reim potentia, auctoritas, reime und rimiadh superbia, reimeacli
superbus i) kvmrisch rhwyv, rliwyf (d. i. rem) ambitio; dux, rex,
auch remus 3 ).
Sejanus 71,6 s®c. 8.
Sejani im Verbrüderungsbuch ist Genitiv. Dieser Abt, der
fünfte zu Hy, wird irn Mart. Dungal. Aug. 12 p. 216 Seigliin (d. i.
Seghi) geschrieben.
Die Annalen der vier Meister berichten zum Jahre 630: Seghene,
abbot of Ja- Coluim Cille, founded tlie church of Rechrainn.
Obitus Seghine Ab Jae bemerken die Ann. Tigern, zum Jahre
6S2 s).
Im Mart. Dungal erscheint der Name Seigliin öfter, so Jan. 21.
29, Mai 24, Aug. 24, Sept. 10, Nov. 12.
Zur Erklärung dieses Namens dient das irische Hauptwort
seigliion (heros), das sich an segli (urus), se'igli (falco), als Be
zeichnungen starker Thiere, anschliesst 4 ). Verwandt sind ags seeg,
altn. seggr (vir fortis, miles strenuus, illustris), welche alle auf die
Wurzel sah zurückzuführen sind, der auch gotli. sigis, ahd. sigi, sign
(victoria) entstammen $).
Aus dem Worte seg sind auch gebildet die gallischen Namen:
Segeius E. Hübner, Monatsber. d. k. Akad. in Berlin. 1861 Bd.
2 p. 836,
'■} Im heutigen Gälischen riomhadh m. finery, eleganee, eogtliness, riamhach. riomh-
ach adj. fine, costly, elegant; handsome; beaufiful; gaudy, conceited.
2 ) Vgl. Glück, die Namen bei Cäsar p. VIII.
s ) Segiemis bei Beda. Hist. eccl. 3, o.
*) scigh (accipiter; bellator) 0‘Brien. — Lhuyd erklärt seigh durch seabhac
(a hawe), seighene, als Verkleinerung, durch seabhean d. i. seabhaeän. Zu seabhac,
altirisch sebocc (falco) Zeuss Ed. 2 p. 76 stellen sich ags. hafoc, ahd. hapuh
jetzt Habicht.
5 ) Vgl. Aufrecht in Kuhn’s Zeitschr. 1, 355, Gluck p. 152, Pictet, Les origines Indo-
Euro p. 2, 197.
Keltische Forschungen.
269
Segeia Gruter 1276, 8,
Seginus (dnx Allobrogum) Ga UV. Monumet. 3, 6 i),
Segomis (deus) de Wal n. 246, Segnmo (Mars) de Boissieu
p. 9, 8,
Segiarnus Maecianus, Orelli n. 784,
Segetius (Inscr. Christ.) Brunetti. Cod. dipl. Toscan. 2. p. 201
n. 28,
Segovesas (Neffe des Ambiatus) a. 7 ante Chr. Liv. S, 34 -),
Segovet (Genitiv Segovetis) Bermudez, Summario p. 174 s),
Segovax (rex Brit.) Cses. B. G 5. 22,
Segomnrus (L. Vetturins) L. lib. Rossi, Mem. Bresc. p. 232 n.
2, Segomaros (Vaison) Beitr. z. vergl. Spracht. 2 p. 100 n. 1;
(Mont-Afriqne bei Dijon) 1. c. 3 p. 164 n. 8, 4 ) dann der Volks
name
Segovellauni (in Gallia Narbon.) Plin. 3, 4, 8 und
die irischen Namen:
Segan, abb. a. 662, Seghonnan, son of Conaing, a. 887. The
tour masters,
Seghnat (virgin) Marr. Dungal. Dec. 18»),
Mosegha mac Coimsigh, Mart. Dungal. Dec. 9 = Mo-segha.
Bei Colgan AS. Ilib. 2 p. 9 wird in Nota 30 ad Scholiastem S-
Fieci ein pbr. Sagest ins genannte).
Aus dem Verbrüderungsbuche von St. Peter 91, 46 ssec. 9 kann
endlich hier noch angereiht werden der Name Sigunzo — älterem
Seguntius, abgeleitet wie der Name der keltiberischen Stadt Segon-
*) Vgl. Siginniu8 (St.) c. a. 1101. Cart. de Redon n. 338.
a ) Segovesus betrachte ich als doppelt abgeleitet = Seg-ov-es-us; vgl. Seguvii
(pop. Alp.) Inscr. arcus Segusini. Orelli n. 626, dann Eposterovidus Orelli n.
660. 4 = Epo~ster-ov-idus; Allovera (liberta ) a. 573. Pard. 1 n. 180 p. 139 =
All-ov-era; Olovico (var. Ollovico; rex Nitiobrigum) Cges. ß. G. 7, 31 = Ol-ov-
ic-o; Litavicus Caes. B. G. 7, 37 = Lit-ao-fc-us und Zeuss p. 799.
3 ) Prof. Becker setzt in den Beitr. z. vergl. Sprachf. 3, 433 Anm. 9 Segoves als
Nominativ an und vielleicht mit Recht, docli vgl. auch nomine Vernemetis Venant.
Fortun. (Zeuss p. 758), Sennovet-us a. 572. Pard. 1 n. 78 p. 135.
*) Vgl. auch Seyonius a. 667. Pard. n. 358 p. 145.
°) Vgl. Kelt. Forsch. 1. Sitzungsber. 59. 210.
(l ) Vgl. den Namen des Cheruskerfiirsten Segestes Tac. ann. 1, 55 und Segeste (Carnor.
oppid) Plin. 3, 19.
270
Stark
tia Liv. 34, 19, der britannischen Stadt Segontium Itin. Ant.,
deren Bewohner, die Segontiäci, hei Caesar B. G. 3, 21 er
wähnt werden.
Aus dem Worte seg waren aber noch ausserdem viele Orts
namen gebildet, so:
Segeda Augurina in Hispania Baetica, Plin. 3, 1, 3; SsynJa eine
Stadt der Arevaker in Hisp. Tarrac. Strabo 3 p. 162 <),
Segesama, eine Stadt der Turmodigi in Hisp. Tarrac. Flor. 4,
12. Oros. 6, 1; Segisamo (lnser.) Matlei Mus. Veron. 420, 5;
ltin. Ant. p. 394 2 ),
Segobodium, Stadt der Sequani in Gallia Belg. Tab. Peut.,
Seqobriaa, die Hauptstadt der Celtiberer in Hisp. Tarrac.
Plin. 3, 3, 4,
Segodunum (Seyöoouvov) 1) Hauptstadt der Buteni in Gail. Aqui-
tan., 2) eine Stadt des südlicheren Germanien. Ptol. 2, 7, 21. 2,
11, 29,
Segora, Ort der Pictones in Gail. Aquitan. Tab. Peut.,
Segosa, Stadt der Tarbelli in Gail. Aquitan. Itin. Ant.,
p. 456.
Segovia, 1) Stadt der Arevaci in Hisp. Tarrac. Plin 3, 3, 4,
Flor. 3. 23, Isyoußi'a Ptol. 2, 6, 56; 2) Ort Baetica's „ad Humen
Silicense“ Hirt. B. Alex. 57,
Segusio, Besidenz des Cottius, an der von Mediolanum über die
Cottischen Alpen nach Gallien führenden Strasse. Plin. 3, 17, 21,
Ammian. 15, 10, 3, Itin. Ant. p. 341, Tab. Peut.,
Segustero, Stadt der Vocontii in Gail. Narbon. Itin. Ant.
p. 342. 388, Tab. Peut.
Endlich sei noch erwähnt, dass mit der im Verbrüderungsbuche
erscheinenden Form Seianus, Sejanus anscheinend zusammenstimmt
der, wie ich annehme, altgallische Name:
Seianus (Aelius) Tacit. Ann. 1, 24, Sejanus a. 810. Urkdb. v.
St. Gallen n. 253. 260, welchem, abgeleitet mit -an von dem Namen
Seus, der kymrische Name Siaun Lih. Landav. 191, jetzt Siawn
453 zu entsprechen scheint.
1) Bei Appinn. Hisp. 6, 44: 'Zvf'rßri noXig i(Jri KeXrißy/puiv twv BeXXwv XeyopEVtov
jAS-ydeXy} ~c xat duvarrj.
z ) Die Einwohner dieser Stadt, Segisamonenses erwähnt Plin. 3, 3, 4.
Keltische Forschungen.
271
Seiani Sebossus (SEBODDUs) erscheint in einer zuVieil-Evreux
gefundenen fragmentarischen Inschrift, Mein, de la soc. des Antiq.
de France XIV (1838) p. XV *).
Seioni(us) Steiner n. 400 zeigt die Ableitung -on (Zeuss
p. 734) und kann mit kymrisch Caer Seon Jolo p. 109, 173 ver
glichen werden a ), falls nicht altes n hier durch o vertreten ist.
Man beachte auch die Namen:
Seins (Marcus) L. f. Cicero pro Planco 3, 12,
Sei (fil.) d. i. Morsinus, Grut. 809, 3, L. Seins Tubero (cons.
suf. a. u. 771), Orelli n. 1495, Seins Quadratus Tacit. Ann. 6,7, Seins
Fuscianus, Capit. M. Ant. 3, Seins Saturninus und sein Sohn Seius
Oceanus, Javolen. lib. 2, Epist., Digest. 36, 147, Q. Seius Postu
mes, Steiner n. 803, Seiius Quintus 1. c. n. 784, L. Seins Severus,
Chandler. Marm. Oxon. p. 136, 69,
GnaCa Sein Herennia Salustia Barbia Orbiana (conjux Alexandri
Severi. saec. 3.) Orelli n. 960,
kymrisch Seius: „De penitentia Seii pro interfectione duorum
nepotum“ saec. 7. Vita S. Cadoci c. 54. Lives 87,
armorisch Sei: in piebe qui dicitur Sei, a. 854. Cart. de Redon
n. 162. Auch den Namen
Seihildis, Mutter des Belimarus, saec. 9. Polypt. Rem. 51. 77
glaube ich nicht übergehen zu dürfen. Er ist abgeleitet wie Fuscil-
dis (Keltische Forsch. 4. Sitzungsber. 59, 235), welcher Name durch
gälisch fuasgailte (active) d. i. foscilti seine Erklärung findet.
Zur Deutung dieser Namen, in denen schwerlich i statt gi steht,
weiss ich Sicheres nicht beizubringen. Vielleicht liegen hier Ablei
tungen der irischen Präposition sia (far of, the utmost or remotest
from you) O’Brien vor, die etwa auch in dem Hauptworte siat (tumor,
swelling) neben at (id.) sich wieder findet.
Zslibdeni 71, 19 saec. 8.
Unter diesem Namen, der hier im Genitiv steht, und über des
sen Träger im Verbrüderungsbuche eine Erklärung nicht gegeben
wurde, ist gemeint
*) Diese Inschrift ist auch abgedruckt in den Beiträgen z. vergl. Sprachf. 3, 165, wo
aber p. 196 und 209 Prof. Becker Seianise und Bossu gelesen hat. — Wegen Se
bossus vergleiche man Statius Sebosus Plin. H. N. 6, 31. 9, 15.
2 ) Vgl. auch Sion (masc.) a. 878. lMarca hisp. n. 37.
272
S Id rk
Slebhene, mac Conghaile, abbot of Ja, nach dem Martyr. Dun
gal. Mart. 2, welches das Jahr 762 als sein Todesjahr ansetzt und
darin mit den Annalen der vier Meister übereinstimmt.
Die Ann. Ult. (Collectanea de rebus Albanicis p. 248) bemerken
zum Jahre 753: Sliebne (d. i. Sliebine), Ab Jea, in Hiberniam venit.
Slebene war demnach Nachfolger des Cillen Droctig, der im Jahre
752 starb i).
Slebinus wird in den AS. Boll. Mart. 2, 284 „Montanus“ über
setzt, und zwar mit Rücksicht auf irisch sliab rnons, sleibe montanus,
doch mag Slebinus zufolge des dem Worte sliab zu Grunde liegen
den Begriffes als „der Erhabene, Hervorragende, Ausgezeichnete“
zu deuten sein.
Der Name Sleibhine erscheint in irischen Quellen öfter. Ihn
führt ein Sohn des Condadh p. 17, ein Sohn des Feargna Cuil
p. 39 in the genealogy of Corca Laidlie. Miscellany of the Celtic
Society Ed. by J. O'Donovan, Dublin, 1849.
Die Annalen der vier Meister nennen einen Slevin de Exeter,
lord of Athleathan, a. 1316 und einen Donnslciblie O'Cinnfhaelaidh
a. 1094.
Allein die Form Zslibdeni im Drucke des Verbrüderungsbuches
erinnert an giilisch sldibteach a mountaineer, welches englische
Wort auch Bergfalke bedeutet, und an sleibteamail montanus bei
Lhuyd 93, vor allem aber an das irische Participium sliobtha sharp-
pointed, im Gälischen strocked, gently rubbed; licked; polished, ge
bildet von sliobham to polish.
Tonta 103, 14 sa;c. 8.
Förstemann möchte p. 1202 diesen Namen in Touta ändern,
doch dessen bedarf es nicht, um zu einem richtigen Verständniss
desselben zu gelangen.
Dieser Name stellt auch nicht ganz vereinsamt; an ihn schliessen
sich die Namen
Tontianus (Tettius) Orelli n. 6288,
Tontonus: „in Tontoni Curte“ sa;c. 8. Polypt. Irm. 257, 90.
und sodann mit dem ursprünglichen Vokal a:
Siehe Thl. 1 dieser Forschungen. Sitzungsber. 59, 206.
Keltische Forschungen. 273
Tantilius Grut. 9, 4; Tantillus (abbas) a. 1020. Marca hisp.
n. 191 col. 1030,
Tantalo: „in Tantalino villa“ a. 745. Pard. n. 586, Tantulo
ssec. 8. Cod. Lauresh. n. 3018,
Tanto a. 798. Dronke n. 153,
der armorische Name Tandhedr ssec. 11. Morice 1 col. 464 =
Tant-hedr •) und vielleicht auch der Name des britannischen Volkes
Serävriot bei Ptol. 2, 3. 2. 6 = Se-tantioi 2 ).
Zur Erklärung dieser Namen dient das kvmrische Beiwort taut
(acutus, violentus) Owen, dem sicli das irische Hauptwort tonn (vio-
lentia, instantia) Lliuyd = tont d. i. tunt anschliesst. Man ver
gleiche auch kymrisch tannu (to start, to give a sudden impulse),
tnnnawg (having sudden Starts or flights) Owen 3).
0 Wegen hcdr siehe TM. 1 dieser Forschungen. Sitzungsber. ßd. S‘J p. 163. — In
Tandhedr erscheint die Zusammensetzung zweier verwandten Begriffe, die in den
keltischen Sprachen oft bemerkbar ist, so in den kymrischen Beiwörtern mein-
duu (gracilis) Lhuyd 64, mnyn- dlus (Iepidus) 1. c. 78, hael-fluch (largus) 1. c. 76
und in dem gälischen Beiwort luath-lamach (clever, active, expert etc.).
2 ) Vgl. leropTtaXXdxra (Stadt der Arevacar in Hisp. Tarrac.) Ptol. 2, 6, 66 =
Se-tortiallacta , abgeleitet von irisch , gälisch toirt f. magnitudo , aestimatio,
valor = torti, dann SeteXgm; (Stadt der Jaccetani in Hisp. Tarrac.) Ptol. 2, 6,
70 = Se-telsis d. i. wahrscheinlich Se-telesis. Vgl. Tclesa Horatillavi fili(a)
Cochet, La Norm. sout. (Ed. 2) 1, 127, Telesinus (Luccius) cons. a. 66. Orelli n.
6767, Telesinus (Pontius) Momms. Osk. Studien p. 69.
3 ) Pictet vergleicht (L’affinile etc. p. 64) das verwandte Beiwort teann (severus, for-
tis, rnpidus) d. i. teilt mit skr. canda (violentus, terribilis), doch kymrisch tant
kann vielleicht von der Wurzel tan (skr tan extendere, tanjatus trepitus, sonitus,
tonitrus) ableitet sein. Vgl. Glück. Renos, Moinos etc. p. 2 n. 4.
274
Stark. Keltische Forschungen
Zusatz.
Die Namen Cristofia, Cristofilus, Cristofolus, Cristoforus p. 229
sind vielleicht = Cristofia, Cri-stofilus, Cri-stofolus, Cristoforus
d. i. Cristavia, Cristavilus, Cristavolus, Cri-staverus aufzufassen.
Vgl. agrum in Stava a. 766. Test. Tellonis ep. Cur. Mohr, Cod. dipl.
Rhset, 1 n. 9 p. 12, vallis Stava a. 950 Marca hisp. n. 87, Stafilius
(ep. Gerund.) a. 540. Conc. Barcinon. (Conc. Hisp. 3, 165), Stavilus
a. 795. Lupi 1, 606, Stavalus a. 937. Cart. de Beaulieu n. 174,
Estfivolusa. 945. Cart. Savin. p. 61 u. 74 = E-stavolus, vielleicht
auch armorisch Stouuillan a. 842. Cart. de Redon n. 136 = Sta-
villan, dann Crispedeus ssec. 8 Polypt. Irm 140, 46 = Crispedeus
neben Spedius Ackner, Röm.Inschr. in Dacien n. 108, Spedius Mater-
nianus, Finestres, Syll. p. 264 n. 49, villa Spedulia a. 898, Marca
hisp. n. 55, in Spedona c. a. 1075. Cart. Paris. 1 p. 192 n. 4.
Cribertus a. 878. Marca hisp. n. 36 col. 800 = Cri-bertus neben
armorisch Haelbert, Runbert, Fetbert, Risbert ssec. 9. Cart. de
Redon n. 35. 76. 124, und etwa auch den kymrischen Frauennamen
Creidylat mabin. 2, 211 = Crei-dylat d. i. splendida veste induta
(Zeuss p. 859. 863), wo er ei — cri ist (vgl. Zeuss Ed. 2 p. 104).
Verzeichniss
der dem Verbrüderungsbuche von St. Peter in Salzburg entnommenen keltischen Namen.
Seite
Adone 215
Aonilt 216
Anstadia 220
\ticus 222
Cenzo 223
Columba 224
Columbanus 226
Coronzan 226
Cristan, Cristianus, Cristina . . . 228
Donazanus 230
Tubinsius 231
Fernucus 233
Genia 234
Genesius 239
Jacc, Jacco 240
Ladinno 242
Seite
Lasseran 244
Lul 246
Magnus 247
Manatun 251
Marcheo 252
Marcellinno 253
Marciana 254
Marta 255
Masso 259
Materni 262
Nordhat 263
Pupo 265
Remeio 267
Seianus 268
Zslibdene 271
Tonta 272
Pfizmaier, Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
273
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
Von dem w. M. Dr. A. Pfizmaier.
In der vorliegenden Abhandlung wird eine Anzahl in dem Buche
der späteren Han enthaltener Nachrichten , welche den Zeitraum von
dem Aufstande der rothen Augenbrauen bis zu der Einsetzung
der späteren Han (18 bis 25 n. Chr.), so wie einen weiteren
nicht ganz begrenzten, bis zur Befestigung dieses Hauses sich er
streckenden Zeitraum umfassen, einer genauen Durchsicht unter
zogen und dargelegt, ln dieser Hinsicht sind besonders die sehr
weitläufigen Nachrichten von den in jenem Zeiträume handelnd auf
tretenden Männern reich an Aufklärungen und denkwürdigen Ein-
zelnheiten. Es wurde demnach bei der grossen Fülle des Stoffes
vorläufig auf die in dem genannten Geschichtswerke in erster Reihe
vorgeführten Männer: Lieu-hiuen, Lieu-fen-tse, Wang-tschang,
Lieu-yung, Li-hien, Tschang-pu, Peng-tschung und Lu-fang,
grösstentheils Thronbewerber, Rücksicht genommen.
Das von Fan-hoa verfasste Buch der späteren Han bringt, den
Vorgang des Sse-ke befolgend, am Ende der Capitel gewöhnlich
Betrachtungen, aus denen die jedesmalige Meinung der Zeitgenossen
in Bezug auf Ereignisse und Personen hervorgeht. Hier werde nur
bemerkt, dass neben sehr kühnen und thatkräftigen Männern merk
würdiger Weise in jener bewegten Zeit auch solche auftraten,
welche, aller Thatkraft har und einfach Geistesschwäche und Zag
haftigkeit an den Tag legend, dennoch, von den Umständen be
günstigt, eine Zeit lang an der Spitze der Ereignisse standen.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. ßd. II. Hft.
19
276
P f i z m a i e r
Lieu-hiuen.
^|jLieu-hiuen führte den Jünglingsnnmen Scliing-
lcung und war zu dem nachherigen Kaiser Kuang-wu ein älterer Bru
der des Seitengeschleehtes *). Sein jüngerer Bruder wurde durch
einen Menschen getödtet. Sching-kung sammelte Gäste und wollte
den Tod des Bruders rächen. Die Gäste machten sich einer Ueber-
tretung der Gesetze schuldigt). Sching-kung ging den Angestellten
der Gerichte aus dem Wege und hielt sich in Ping-lin auf. Die
Angestellten der Gerichte Hessen seinen Vater -p Tse-tsehang
binden. Sching-kung gab sich für todt aus und beauftragte Leute,
mit der Trauer um ihn nach seinem Heimatsorte zurückzukehren.
Die Angestellten der Gerichte Hessen jetzt Tse-tschang los. Sching-
kung entfloh hei dieser Gelegenheit und hielt sich verborgen.
Gegen das Ende der Zeiten Wang-mang's herrschte in den
südlichen Gegenden Hungersnoth. Die Menschen drangen scharen
weise in die Sümpfe der Wildniss, gruben die Entenwicken s) aus
und verzehrten sie. pH ^p Wang-khuang und ^p Wang-fung,
Eingeborne von Sin-schi, schlichteten die Streitigkeiten. Sie brachen
sich sofort Bahn und wurden grosse Anführer. Ihre Menge belief
sich auf einige hundert Menschen. ut Sij Ma_wu ’ h'i 3E Wang-
tschang, -pp tjfTsching-tan und Andere, die sich den Befehlen
i ) Die Neffen des Vaters heissen Väter des Seitengeschlechts. Die Söhne der Väter
des Seitengeschlechts nannten sich gegenseitig Brüder des Seitengeschlechts.
a ) Hierüber sagt das Buch der fortgesetzten Han: Sching-kung versammelte um die
Zeit Gäste. Er hatte in seinem Hause Wein und lud den Yeu-kiao (einen umher-
wandelnden Angestellten, der Bänke und Bäubereien in dem Districte hintanzu
halten hatte), zum Trinken ein. Als die Gäste betrunken waren, sangen sie und
sagten, an dem Hofe habe man die beiden Beruhiger der Hauptstadt gesotten.
Der Yeu-kiao sei zu spät gekommen und es werde mit ihm die Brühe gewürzt.
Der Yeu-kiao gerieth in grossen Zorn. Er liess die Leute binden und ihnen
mehrere hundert Peitschenhiebe geben.
3 ) Die Pflanze yä-thse (die Entenwicken) auch hiao-yä-thse (die päonienartige Enten
wicke) genannt, wächst auf niedrigen Feldern. Stengel und Blätter haben Ähnlich
keit mit denjenigen des Drachenbartes (lung-siü), sind aber dünner. Die Wurzel
gleicht einer Fingerspitze, ist schwarz von Farbe und essbar.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
277
durch die Flucht entzogen hatten, kamen jetzt herbei und schlossen
sich ihnen an. Sie überfielen in Gemeinschaft die zerstreuten Dörfer
und Niederlassungen und hatten ihr Versteck auf dem Berge Lö-lirii).
Ihre Zahl wuchs in wenigen Monaten auf sieben bis achttausend
Köpfe.
Im zweiten Jahre des Zeitraumes Ti-hoang (21 n. Chr.) liess
ij^jlMeu, Landpfleger von King-tsclieu, zwanzigtausend Flüchtlinge
ausrücken, mit denen er Jene überfiel. Wang-khuang und die übri
gen Anführer stellten sich an die Spitze der Ihrigen und schritten
ihrerseits zum Angriffe in Yün-tu s). Sie brachten dem Heere des
Landpflegers eine grosse Niederlage bei, tödteten mehrere tausend
Menschen und erbeuteten sämmtliche Lastwagen 3 ). Hierauf über
fielen und eroberten sie King-ling*). Sie wendeten sich sofort zu
einem raschen Angriff auf Yün-tu und Ngan-lö 5 ). Sie rauhten viele
Weiber und Mädchen und kehrten mit ihnen nach dem Lö-lin zurück.
Daselbst befanden sich zuletzt über fünfzigtausend Menschen, und
die Landstriche und Provinzen konnten nichts gegen sie aus-
richten.
Im dritten Jahre desselben Zeitraumes (22 n. Chr.) entstand
unter ihnen eine grosse Seuche, an der fast die Hälfte der Leute
starb. Die Anführer trennten sich jetzt von einander und zogen mit
den Ihrigen ab. Wang-tscbang und Tsching-tan traten in westlicher
! ) Nach dem Tsien-schu (dem Buche der früheren Han) hätte diese Stelle den Sinn,
dass sie das, was sich in den zerstreuten Dörfern vorfand, zusammenrafften und
in einer grossen Festung niederlegten. Der Berg Lö-lin (der hellgrüne Wald)
liegt im Nordosten des späteren Districtes Tang-yang in King-tscheu.
2 ) Yün-tu ist der Name eines Districtes, der zu der Provinz Kiang-hia gehörte. Die
alte Feste desselben befand sich im Nordwesten des spätem Districtes Mien
yang - in FÖ-tscheu.
3 ) Das Buch der fortgesetzten Han sagt: Der Landpfleger wollte sich in nördlicher
Richtung nach Sui wenden. Ma-wu und die übrigen Anführer verlegten ihm den
Weg und griffen ihn an. Sie zogen den Wagen des Landpflegers bei dem Vordach
heran und tödteten das Dreigespann Sie wagten es aber nicht, den Landpfleger
zu tödten.
4 ) Der Name eines Districtes. Derselbe gehörte zu der Provinz Kiang-hia. Die alte
Feste desselben befand sich im Süden des späteren Districtes Tschang-scheu in
Ying-tscheu.
5 ) Die Provinz Ngan-lö gehörte zu der Provinz Kiang-hia. Dieselbe ist der spätere
District Ngan-fscheu.
19 *
278
Pfizmaier
Richtung in die Provinz des Südens und nannten ihre Schaaren die
Streitmacht von Hia-kiang. Wang-khuang, Wang-fung, Ma-wu sowie
deren Genossen Tschü-wei, I^J tjj| Tschang-ngang und
Andere traten in nördlicher Richtung in Nan-yang und nannten ihre
Schaaren die Streitmacht von Sin-schi. Sich selbst gaben sie den
Namen von Heerführern.
Im siebenten Monate des Jahres rückten Wang-khuang und
Andere vor und überfielen Sui*). Sie hatten dieses noch nicht zur
Unterwerfung gebracht, als ^jf jfßjl Tschin-mo und Liao-
tsclien, Eingeborne von Ping-lin, wieder eine Menge von tausend
Menschen sammelten, der sie den Namen Streitmacht von Ping-lin
gaben und sich damit für den Aufstand erklärten. Sching-kung kam
aus diesem Anlasse herbei und schloss sich Tschin-mö und den Uebri-
gen an. Er wurde der Zugesellte für die Beruhigung und Ansamm
lung ihres Kriegsheeres. Um diese Zeit erhoben sich auch Kuang-wu
und dessen älterer Bruder ^|- /f{^| Pe-sching in Tschung-ling. Die
selben vereinigten ihre Streitkräfte mit den übrigen Abtheilungen und
rückten vorwärts.
Im vierten Jahre desselben Zeitraumes (23 n. Chr.), im ersten
Monate des Jahres schlugen sie den Grossen der vorderen Reihe,
Kien-feu und den mit der Würde eines Schö-tsehing (zu
dem Richtigen gehörenden) bekleideten jjj^ Liang-khieu-sse,
Heerführer Wang-mang’s, und enthaupteten sie. Man gab Sching-
kung den Namen des Heerführers Keng-sehi (des Heerführers des
abwechselnden Anfangs). Die Heeresmenge war zahlreich, es fehlte
ihr jedoch die Leitung und Einheit. Die Anführer hielten hierauf eine
Berathung und erhoben Keng-schi zum Himmelssohne.
Im zweiten Monate des Jahres, an dem Tage Sin-I (18) er
richtete man einen Altar in dem Sande an den Ufern des Flusses Yo.
Man stellte die Streitkräfte in Schlachtordnung und hielt eine grosse
Versammlung. Keng-schi bestieg den Kaiserthron, kehrte das An
gesicht nach Süden und ernannte die Diener seines Hofes. Er war
jedoch von Natur weich, schwach und verschämt. Er vergoss Schweiss,
erhob die Hände und war nicht fähig zu sprechen. Er verkündigte
Der District Sui gehörte zu der Provinz Nan-yang. Derselbe ist der spätere
District Sui-tscheu.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
279
hierauf allgemeine Vergebung für die Welt. Er gründete ein neues
erstes Jahr und nannte es das erste Jahr des Zeitraumes Keng-schi.
Indem er sämmtlichen Anführern Ämter verlieh und sie einsetzte,
ernannte er Liang, den Vater des Seitengeschlechtes, zu einem
der dreierlei Greise des Reiches. Wang-khuang wurde der das Reich
bestimmende oberste Fürst, Wang-fung der das Reich vollendende
oberste Fürst. Tschü-wei wurde der grosse Vorsteher der Pferde,
Pe-sching der grosse Vorsteher der Schaaren, Tschin-mo der grosse
Vorsteher der Räume. Die übrigen wurden Reicbsminister und Heer
führer.
Im fünften Monate des Jahres eroberte Pe-sching die feste Stadt
Yuen!). Im sechsten Monate des Jahres hielt Keng-schi seinen Ein
zug in die Feste von Y'uen und machte dieses zu seiner Hauptstadt.
Er betheilte alle Verwandte seines Hauses mit Lehen und ernannte
über hundert Anführer zu Lehensfürsten. Keng-schi hatte Scheu vor
dem Ansehen und dem Namen Pe-sching‘s und liess ihn hinrichten. Er
ernannte an dessen Stelle den das Amt eines Kuang-lo-hiün (Ver-
?|| Lieu-sse zum
dienst des glänzenden Gehaltes) bekleidenden
grossen Vorsteher der Schaaren.
iß-p ^|?|j Lieu-wang, der frühere Lehensfürst von Tschung-wu,
griff zu den Waffen und besetzte Jü-nan. Um diese Zeit waren der „die
Worte vorbringende“ (nä-yen) Heerführer fßfir Yen-veu und der
„dasStammhaus einrichtende“(thi-tsung)Heerführer Tschin-
meu, beide im Dienste Wang-mang’s, bereits in Kuen-yang geschla
gen worden. Dieselben zogen hin und stellten sich ihm zur Ver
fügung. Im achten Monate des Jahres warf sich Lieu-wang sofort zum
Himmelssohne auf. Er ernannte Yen-yeu zum grossen Vorsteher der
Pferde, Tschin-meu zum Reichsgehilfen.
Wang-mang beauftragte den grossen Meister (tai-sse) EI
Wang-khuang 2 ) und den Reichsanführer(kuo-tsiang) j=f Ngai-
tschang mit der Verteidigung von Lö-yang. Der „im Westen
schirmende“ (si-ping) grosse Heerführer /y|j J||| ^ Schin-tu-kien
*) Yuen war damals ein District der Provinz Nan-yang.
2 ) Der hier genannte Wang-khuang hat mit Wang-khuang, dem das Reich be
stimmenden obersten Fürsten, den Namen gemein.
280
P f i z in a i e r
und Li-sung, der dem „Geraden Vorgesetzte“ (sse-tsclii)
des Reichsgehilfen, überfielen den Grenzpass Wu. Die Provinzen der
drei Stützen zitterten. Um diese Zeit erklärten sich die gewaltigen und
hervorragenden Männer innerhalb der Meere offen für den Aufstand.
Sie tödteten ihre Landpfleger und Statthalter und nannten sich Heer
führer. Indem sie sich des Jahresnamens der Han bedienten, war
teten sie auf die höchsten Verkündungen und Befehle. Während der
Zeit eines vollen Monats hatten sie sich überall in der Welt erhoben.
In Tschang-ngan griffen sie zu den Waffen und überfielen den Palast
Wi-yang.
Im neunten Monate des Jahres schlug Kung-pin-
tsieu, ein Eingeborner von Tung-hai, auf der Erdstufe Tsien-tai i)
das Haupt Wang-mang's ab. Er nahm das Siegel mit dem breitem
Bande zu sich und schickte das Haupt nach Yuen. Keng-schi sass
eben gemächlich in der gelben Halle. Er nahm das Haupt, betrachtete
es und rief erfreut: Wenn Mang nicht so wäre, sollte er mit H5-
kuang 2 ) auf einer Stufe stehen. — Die begünstigte Gemahlin von
dem Geschlechte Han bemerkte lachend: Wenn er nicht so wäre,
wie hätte ihn der Kaiser in seine Gewalt bekommen? — Keng-schi
fand an diesen Wortre Gefallen und hängte das Haupt auf dem Markte
der Feste von Yueri auf.
In demselben Monate eroberte man Lo-yang und machte Wang-
kliuang und Ngai-tschang zu Gefangenen. Beide wurden zuletzt ent-
kauptet.
Im zehnten Monate des Jahres wurde der „die Macht empor
hebende“ (fen-wei) grosse Heerführer Lieu-sin ausgesandt.
Derselbe führte einen Schlag gegen Lieu-yang in Jü-nan und tödtete
ihn. Zugleich liess man Yen-yeu und Tschin-meu hinrichten. Keng-
schi zog jetzt nach Norden und machte Lö-yang zu seiner Hauptstadt.
Er ernannte Lieu-sse zum Reichsgehilfen. Schin-tu-kien und Li-sung
schickten ihm aus Tschang-ngan die Wagen, Sänften, Kleidungs
stücke und kaiserlichen Gegenstände. Sie entsandten ferner die dem
*_) Tsien-tai (die bewässerte Erdstufe) befand sich in dem Teiche Tai-yi und wurde
von dem Wasser bespült. Daher ihr Name.
1 ) Der Heerführer Hö-kuang hatte sich nach dem Tode des Kaisers Tschao aus dem
Hause der früheren Han (74 v. Chr.) an die Spitze der Geschäfte gestellt. Seine
Tochter wurde zur Kaiserin erhoben.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han. 28 1
gelben Thore der Mitte zugestellten Obrigkeiten und hiessen sie ihm
in der neuen Hauptstadt entgegenziehen.
Im zweiten Monate des zweiten Jahres seiner Einsetzung (24 u.
Chr.) zog Keng-schi att Lo-yang nach Westen *). Als er sich auf
den Weg gemacht hatte, führte Li-sung den Wagen. Die Pferde
wurden scheu, entliefen und stiessen gegen das mit eisernen Säu
len versehene Thor des nördlichen Palastes, Die drei Pferde blie
ben todt 3 ).
Zur Zeit als Wang-mang zu Grunde ging, war bloss der
Palast Wi-yang verbrannt worden, die übrigen Paläste und öffent-
lichen Gebäude blieben sämmtlich unversehrt. Mehrere tausend Pa
lastmädchen standen reihenweise in den Vorhallen der Rückseite.
Die Glocken, Trommeln, die Vorhänge und Zelte, die Sänften und
Handwagen, die Geräthschaften und Kleidungsstücke, die grossen
Vorrathskammern, die Rüstkammern des Krieges, die Versammlungs
häuser der Obrigkeiten, die Märkte und Strassen waren nicht anders
als sie früher gewesen. Keng-schi bewohnte nach seiner Ankunft
den Palast Tschang-Iö und stieg zu der Halle der Vorderseite em
por. Die Leibwächter und Angestellten standen nach Reihen geord
net in der Vorhalle. Keng-schi schämte sich und zeigte veränderte
Gesichtszüge. Er senkte das Haupt, zerzupfte den Teppich, und
getraute sich nicht sie anzublicken. Die Anführer, welche zu spät
kamen, fragte Keng-schi, wie viele Gefangene sie gemacht und wie
viel sie gerauht hätten. Die Leute seiner Umgebung und die auf
wartenden Obrigkeiten waren alte Angestellte des Palastes und des
unzugänglichen Inneren. Ein jeder erschrack und der Eine blickte
den'Anderen an.
Li-sung und (|}'j Tschao-meng, ein Eingeborner von Ke-
yang, setzten vor Keng-schi in einer Rede auseinander, dass man
sämmtliche verdienstvolle Diener zu Königen ernennen solle. Dagegen
machte Tsclüi-wei Einwendungen und meinte, nach den Bestim
mungen Kao-tsu’s (des Gründers des Hauses Han) dürfe der
jenige, der nicht zu dem Geschlechte Lieu gehöre, nicht König wer-
*) Nach Tschang-ngan, dein Wohnsitze der früheren Han.
2 ) Das Buch der fortgesetzten Han sagt: Es geschah ein Unglück durch Pferde. Um
diese Zeit hatte Keng-schi den Weg des Gesetzes verfehlt, und es war ein Zeichen,
282
P f i z in a i e r
den. Keng-schi belehnte daher zuerst die Mitglieder des Stamm
hauses. Lieu-tschi, der Heerführer des grossen Gewöhnlichen (tai-
tschang) wurde König von Ting-tao. Lieu-sse wurde König vonYuen.
Lieu-khing wurde König von Yen. Lieu-ki wurde König von Yuen-schi.
Der grosse Heerführer Lieu-kia wurde König von Han-tschung. Lieu-sin
wurde König von Jü-yin. Später ernannte er Wang-khuang zum
Könige von Pi-yang. Wang-fung wurde König von I-tsching. Tschü-
Avei wurde König von Kiao-tung. Der die Stelle eines Beruhigers
der Leibwache bekleidende grosse Heerführer Tschang-ngang wurde
König von Hoai-yang. Der die Stelle eines Beruhigers des Vorhofes
bekleidende grosse Heerführer Wang-tschang wurde König von Teng.
Der die Stelle eines Tsche-kin-ngu i) bekleidende grosse Heerführer
Liao-tschen Avurde König von Jang. Schin-tu-kien Avurde König von
Ping-shi. Der oberste Buchführer Hu-yin wurde König von Sui. Der
„den Himmel als Pfeiler stützende“ (tsclhi-tbien) grosse Heerführer
Li-thung wurde König von Si-ping. Li-yi, der Anführer der Leib-
Avache der Mitte von der fünffachen Macht (u-wei-tachung-lang-
tsiang), wurde König von Wu-yang. Der die Stelle eines Schui-heng
(Voi’gesetzten der GeAvässei-) bekleidende grosse Heerführer Tsching-
tan Avurde König von Siang-yi. Tschin-mö, der grosse Vorsteher der
Räume, Avurde König von Yin-ping. Sung-tiao, der gi’osse Heerführer
der raschen Reitel’, wurde König von Ying-yin. Yün-tsün wurde Kö-
Unter den hier genannten Männern Aveigerte sich bloss Tscliü-
Avei, indem er sagte: Ich bin nicht von dem Hause Lien, ich
getraue mich nicht, den Satzungen entgegen zu treten. — Er
verzichtete somit auf die Königswürde und nahm sie durchaus
nicht an.
Man versetzte jetzt Tschü-Avei im Amte und ernannte ihm zum
grossen Vorsteher der Pferde zur Linken. Lieu-ssi Avurde der grosse
Vorsteher der Pferde zur Vordex-seite. Man liess sie mit Li-yi, Li-
thung, Wang-tschang und Anderen die Länder im Osten des Grenz
passes beruhigen. Li-sung wurde Reichsgehilfe, Tschao-meng Avurde
M Der Tsclie-kin-ngu (der das Eisen ergreifende Vertheidiger) war ein hoher
Angestellter, der dreimal im Monate die Runde um den Palast machte und Vor
kehrungen gegen ungewöhnliche Ereignisse traf. Das in dem Namen vorkommende
ngu „ich“ steht für yü „vertheidigen“.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han. 283
der grosse Vorsteher der Pferde zur Rechten, und beide waren zu
gleich mit den inneren Angelegenheiten betraut.
Keng-schi nahm eine Tochter Tschao-meng's zu sich, die er
zu seiner Gemahlin machte. Er schenkte ihr seine Gunst und über
trug hierauf die Geschäfte der Lenkung an Tschao-meng. Er selbst
trank Tag und Nacht in der Gesellschaft von Weibern und hielt ver
trauliche Gespräche in der Vorhalle der Rückseite. Wenn die Mi
nister mit ihm über eine Angelegenheit sprechen wollten, war er
betrunken und nicht fähig, sie zu empfangen. Zu Zeiten, wenn er
nicht ausweichen konnte, hiess er einem in Inneren Aufwartenden in
einem Zelte sitzen und mit ihnen sprechen. Die Anführer erkannten
dann, dass dies nicht die Stimme Keng-schi’s sei. Sie wurden un
willig und sagten: Ob Zustandekommen oder Fehlschlagen sein wird,
kann man noch nicht wissen, und man lässt hastig sich selbst in einem
solchen Grade gehen.
Die Gemalin von dem Geschiechte Hän war für den Wein über
aus eingenommen. So oft sie bei dem Trinkgelage aufwartete und
einen gewöhnlichen Aufwartenden <) erblickte, der einen Gegenstand
meldete, gerieth sie in Zorn und rief: Der Kaiser trinkt eben in
unserer Gesellschaft. Musst du gerade diese Zeit wählen, um mit
einem Gegenstände zu kommen? — Hierbei erhob sie sich und zer
schlug die Schriften und Gutachten.
Tschao-meng nahm alle Macht für sich in Anspruch und
sorgte für sein eigenes Glück. Wenn unter den Leibwächtern und
Angestellten einige waren, die von der Zügellosigkeit Tschao-
meng’s sprachen, gerieth Keng-schi in Zorn, zog das Schwert
und hieb auf sie ein. Seitdem hatte Niemand mehr den Muth, zu
reden. Wenn. Tschao-meng gegen einen im Inneren Aufwartenden
einen geheimen Groll hegte, liess er ihn wegführen, den Gerichten
übergeben und enthaupten. Wenn ihn Keng-schi auch retten wollte
und mit Ritten dazwischen trat, wurde es nicht beachtet. Um diese
Zeit geboten Li-yi undTschü-wei eigenmächtig in Schan-tung. Wang-
khuang und Tschang-ngang bedrückten das Land der drei Stützen.
Diejenigen, die Ämter und Rangstufen erhielten, waren kleine
Kaufleute und Burschen. Einige waren Speisemeister und Köche.
Ein gewöhnlicher Aufwartender (tschang-sse) war ein besonderer Angestellter
an dem Hofe von Han.
284
P f i z m a i e r
Dieselben trugen häufig' Kleider von bunter Seide, goldgestickte
Beinkleider, Kleider mit grossen Ärmeln, kurze Kleider und schmäh
ten auf den Wegen 1 ). In Tschang-ngan sagte man von ihnen: An
dem Fusse des Herdes heisst man den Anführer der Leibwache der
Mitte Schafmagen braten, den Beruhiger der Hauptstadt für die Bei
ter heisst man Schafköpfe braten. Es sind die Lehensfürsten inner
halb des Grenzpasses.
Der die Stelle eines „Voranstehenden des Kriegsheeres“ (kiiin-
sö) bekleidende Heerführer j ; J^ Li-schö überreichte an dem
Hofe eine Schrift, worin er seinen Tadel mit folgenden Worten aus
sprach : In der gegenwärtigen Zeit werden Mörder und Bäuber eben erst
hingerichtet, die Verwandlungen der Könige werden noch nicht geübt.
Die hundert Obrigkeiten und die Inhaber der Vorsteherämter sollten
über ihre Aufträge wachen. Die drei Fürsten entsprechen nach oben
dem Sternbilde des Urbeginns a ), die neuen Reichsminister um
schnüren nach unten die Flüsse und das Meer s). Desswegen ist der
Mensch der Stellvertreter der Künstler des Himmels.
Dass du, vor dem ich unter den Stufen stehe, die Angelegenheit
bestimmt hast, ist zwar durch die Kraft von Hia-kiang und Fing-
*) Hier sagt (las Buch der fortgesetzten Han: Die Verständigen, welche dies um die
Zeit sahen, hielten es für ein Unglück, welches dadurch entsteht, dass die Kleider
nicht für den Leih passen. Sie enttlohen jetzt und traten in die Grenzprovinzen.
Sie gingen dabei dem Ungeheuerlichen der Kleidung aus dem Wege. Später
wurden Jene durch die rothen Augenbrauen getödtet.
2 ) Das Sternbild des Urbeginnes (tai-süj sind die drei Sterne des Urbeginnes (san-
tai-sing). Dieselben heissen auch der Ilimmelspfeiler (thien-tschii). Der obere
Stern des Urbeginnes, der Vorsteher des Lebens, ist der grosse Beruhiger. Der
mittlere Stern des Urbeginnes, der Vorsteher der Mitte, ist der Vorsteher der
Schaaren. Der untere Stern des Urbeginnes, der Vorsteher des Gehaltes (sse-lö),
ist der Vorsteher der Räume.
3 ) Das Buch der früheren Han sagt in diesem Sinne von dem Hause Thsin: Es umfasste
und erhob, was innerhalb der vier Weltgegenden, es schnürte in einem Sacke
zusammen die vier Meere. — Hinsichtlich des hier gebrauchten Bildes wird gesagt:
Die drei Fürsten in dem Himmel sind die drei Sterne des Urbeginnes, die neun
Reichsminister sind das iNössel des Nordens. Desswegen haben die drei Fürsten
Ähnlichkeit mit den fünf Berghöhen, die neun Reichsminister richten sich nach
den Flüssen und dem Meere. Die sieben und zwanzig Grossen des Reiches nehmen
zum Muster die Berge und Anhöhen, die ein und achtzig ursprünglichen Kriegs-
männer (yuen-sse) nehmen zum Muster die Thäler und Erdhügel. Sie sind im
Vereine die Gehilfen des Kaisers und stützen dadurch die Lenkung.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
285
lin geschehen, doch diese diente dir zum Gebrauch für den Augen
blick und du kannst sie nicht weiter verwenden. Da man Ruhe er
langt hat, soll man die Einrichtungen ordnen und verändern, neuer
dings Auszeichnung und Begabung herbeiziehen. Je nach der Taug
lichkeit verleiht mau Ehrenstufen und stützt dadurch das Reich der
Könige. Jetzt sind die Fürsten und Reichsminister, die Besitzer der
grossen Rangstufen, ohne Ausnahme aus den Aufstellungen der Streit
wagen. Der oberste Buchführer und die vorzüglichsten Obrigkeiten
sind aus den Genossenschaften von fünf Menschen der Taglöhner her-
vorgegangen. Sie sind geeignet für die Verrichtungen der Aeltesten
der Blockhäuser, der Fänger von Räubern *), und sie sollen behilflich
sein hei den Aufträgen der obersten Leitung. Bloss Name und Ge
schicklichkeit sind es, worauf höchstweise Menschen Werth legen.
Wenn also diejenigen, auf die man Werth legt und denen man Würden
verleibt, nicht die rechten Menschen sind und man von ihnen erwartet,
dass sie die zehntausend Theilungen absonderlich fördern, die Um
gestaltungen emporbringen, die Ordnung hersteilen, so ist dies so viel
wie um Bäume herumgehen und Fische suchen, zu Bergen empor
steigen und Perlen zusammenlesen 3 ). Innerhalb der Meere, wo man dies
vor Augen hat, erspäht und ermisst man hierdurch das Glück von Han.
Es ist nicht der Fall, dass ich von Hass und Neid erfüllt bin
und nach Beförderung trachte. Ich bedaure nur um dessen willen, vor
dem ich unter den Stufen stehe, dass dieses Beginnen das Bauholz
gänzlich verdirbt»), den goldgestickten Seidenstoff beschädigt*).
*) Nach den Gesetzen von Han stand in einer Entfernung- von je zehn Weglängen
ein Blockhaus. In dem Blockhaus befand sich ein Ältester. Dessen Zugesellte, die
Räuberfänger (pu-sü) befassten sich ausschliesslich mit dem Einfangen von
Räubern und Mördern.
2 ) Meng-tse sagt zu dem Könige Hoei von Liang: Da es solche Dinge sind, die man
sucht, solche Dinge, die man wünscht, geht man gleichsam um Bäume herum
und sucht Fische.
3 ) Meng-tse sagt zu dem Könige Siuen von Tsi: Wenn man ein grosses Haus
erbaut, muss man den Baumeister grosse Bäume suchen lassen. Wenn der Bau
meister grosse Bäume findet, so freut sich der König und glaubt, dass er seiner
Aufgabe gewachsen sein wird. Wenn die Handwerker sie zerhacken und ver
kleinern, so zürnt der König und glaubt, dass sie ihrer Aufgabe nicht ge
wachsen sind.
In den Überlieferungen von Tso sagt Tse-tschnn zu Tse-pi: Du besitzest einen
schönen goldgestickten Seidenstoff, du Iässest nicht die Menschen an ihm das
286
P f i z m a i e r
Dies ist es, was man endlich bedenken sollte. Ich tilge bloss den
Fehler, dass man nach dem Fortzuge sich geirrt und eitel gehandelt
hat, und denke an die Schönheit des Ansehnlichen Wen’s von dem
grossen Tscheu i).
Keng-schi gerieth über dieses Schreiben in Zorn. Er Hess Li-
scho binden und überantwortete ihn durch eine höchste Verkündung
den Gerichten. Seit dieser Zeit hatte man in dem Lande innerhalb
des Grenzpasses zu ihm kein Herz, in den vier Weltgegenden grollte
man und fiel ab. Von den Anführern, welche auf Eroberungen aus
gezogen waren, setzte ein jeder eigenmächtig Landpfleger und
Statthalter ein. Die Landstriche und Provinzen wurden unterein
ander gemengt und wussten nicht, wem sie sich anschliessen soll
ten. Im zwölften Monate des Jahres drangen die rothen Augenbrauen
von Westen in den Grenzpass.
Im ersten Monate des dritten Zeitraumes Keng-schi (25 n. Chr.)
setzte J^j Fang-wang, ein Eingeborner von Ping-ling, den
früheren Säugling Lieu-ying 2 ) zum Himmelssohne ein. Fang-wang
hatte gesehen, dass die Lenkung Keng-schi’s unordentlich war, und
daraus geschlossen, dass dieser zu Grunde gehen müsse. Er sagte zu
ivfc ^ Kiung-lin, einem Eingebornen von Ngan-ling, und Anderen:
Ying, der frühere Fürst von Ting-ngan, ist der Nachfolger des Kai
sers Ping. Obgleich Wang-mang sich die Würde angemasst und sie
ihm entrissen hat, ist er doch der Gebieter von Han gewesen. Jetzt
sagen Alle: Die wahren Menschen des Geschlechtes Lieu sollen
nochmals den Befehl des Himmels empfangen. — Wollten sie aber
Zuschneirien lernen. Die grosse Stadt einer grossen Obrigkeit ist dasjenige, was
der Leib zu seinem Schutzdach macht, du aber lassest einen Lernenden sie zu
schneiden. Ist sie nicht auch wichtiger, als ein schöner goldgestickter Seidenstoff?
Jemand ist noch nicht im Stande, das Messer zu halten, und man lässt ihn das
Opferfleisch schneiden. Er wird in der That vielen Schaden anrichten.
*) Das Ta-ya sagt: Ansehnlich die vielen Kriegsmänner! König Wen schafft durch
sie Ruhe.
2 ) Wang-mang hatte im ersten Jahre des Zeitraumes Kiü-tsche (6 n. Chr.) einen Ur
enkel des Kaisers Yuen von Han, den mit dem Namen Jii-tse (der Säugling) be
nannten Lieu-ying zum Nachfolger des Himmelssohnes eingesetzt, denselben aber
im ersten Jahre des Zeitraumes Schi-kien-kuö (9 n. Chr.) wieder abgesetzt und
zum Fürsten von Ting-ngan ernannt.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han. 287
in Gemeinschaft die grossen Verdienste feststellen, wie wird es sich
da verhalten?
Kiung-lin und Andere waren hiermit einverstanden. Sie suchten
und fanden Lieu-ying in Tschang-ngan, nahmen ihn mit sich und
setzten ihn, als sie nach Ling-king i) gelangt waren, ein. Sie hatten
einige tausend Anhänger gesammelt. Fang-wang wurde der Reichs
gehilfe. Kiung-lin wurde der grosse Vorsteher der Pferde. Keng-schi
entsandte Li-sung und j|j^ Su-meu, den „bei dem Unheil stra
fenden“ (tao-nan) Heerführer, nebst anderen. Dieselben führten
gegen Jene einen raschen Angriff aus, schlugen sie und Hessen
alle enthaupten.
Keng-schi erliess ferner an Su-meu den Befehl, sich den rothen
Augenbrauen in Hung-nung entgegenzustellen. Das Kriegsheer Su-
meu's wurde geschlagen und hatte einen Verlust von mehr als tau
send Todten.
Im dritten Monate des Jahres sandte er Li-sung aus. Dieser
vereinigte sich mit Tschü-wei und kämpfte mit den rothen Augen
brauen in dem Bezirke Mao 2 ). Li-sung und seine Gefährten erlitten
eine grosse Niederlage. Sie verliessen das Heer und entflohen.
Sie hatten einen Verlust von mehr als dreissigtausend Todten.
Um die Zeit wurden Wang-khuang undTschang-ngang, denen die
Vertheidigung von Ho-tung oblag, durch Teng-yü geschlagen und
kehrten fliehend nach Tschang-ngan zurück. Tschang-ngang ging mit
den Anführern zu Rathe und sagte: Die rothen Augenbrauen stehen
nahe zwischen Tsching und Hoa-yin. Am Morgen oder Abend können
sie eintreflfen. Wenn wir jetzt bloss Tschang-ngan innehaben, werden
wir vernichtet in nicht langer Zeit. Am besten ist, wir führen die
Streitmacht vorwärts und plündern das Innere der Feste, um uns zu
bereichern. Im Umwenden überfallen wir, was sich vorfindet, kehren
*) Ling-king ist der spätere Distriet King-tscheu.
2 ) Mao (die fischetödtende Pflanze) ist eine giftige Pflanze, von der das Gebiet
den Namen hat. Nach den Denkwürdigkeiten von Han befindet sich in der Provinz
Hung-nung der Bezirk Mao. Die Geschichte der östlichen Warte sagt: Siü-siuen,
Puan-tschung und Andere drangen in Hung-nung und gelangten an den Fuss des-
Berges Ku-tsung. Sie kämpften mit Su-meu, Heerführer Keng-schi’s. Tschung
erreichte im Norden den Bezirk Mao und gelangte im Umwenden nach Hu.
Hierzu wird bemerkt: Hu ist der Distriet Hu-tsching. Somit liegt dieses Mao
zwischen den heutigen Districten Kue-tscheu und Hu-tsching.
288
P f i z m a i e r
nach Nan-yang zurück und raffen die Streitkräfte des Königs von
Yuen und der Übrigen zusammen. Wenn die Sache nicht zu Stande
kommt, begehen wir uns wieder in die Seen und Teiche, wo wir als
Rauher auftreten.
Schin-tu - kien, Liao-tsehen und die Übrigen waren hiermit
einverstanden. Sie begaben sich in Gemeinschaft zu Keng-schi und
sprachen mit ihm. Keng-schi gerieth in Zorn und ertheilte keine Ant
wort. Niemand getraute sieh, ein Wort zu sagen. Als die rothen Au
genbrauen Lieu-fen-tse zum Kaiser einsetzten, erliess Keng-schi an
Wang-khuang, Tschin-mö, Tsching-tan und Tscliao-meng den Be
fehl, die Streitkräfte in Sing-fung anzuhäufen. Lo-sung lagerte dem
Aufträge gemäss mit einem Kriegsheer in Tseu ! ) und leistete dem
Feinde Widerstand.
Tschang-ngang, Liao-tsehen,
Hu-yin. Schin-tu-kien und
Andere trafen mit Wei-ngao, dem die Stelle eines kaiserlichen Yer-
merkers bekleidenden Grossen, eine geheime Verabredung, der ge
mäss sie an dem Tage des „begründeten Herbstes“, zur Zeit des
Luchs- und Speiseopfers 2 ) Keng-schi meuchlerisch überfallen woll
ten. Sie hatten zu diesem Zwecke früher einen Plan entworfen.
IIP HL Ö Lieu-neng-king, ein im Inneren Aufwartender, erhielt
von der Verschwörung Kenntniss und machte die Anzeige. Keng-schi
schützte eine Krankheit vor und verüess nicht das Haus. Er berief
Tschang-ngang und dessen Genossen zu sich. Als Tschao-ngang und
dessen Genossen eingetreten waren, wollte er sie insgesammt hin
richten lassen. Bloss Wei-ngao war nicht erschienen. Keng-schi war
*) In den Denkwürdigkeiten der fortgesetzten Han heisst es: ln Sin-fung befindet
sich das Blockhaus Hung-men und die Feste Tseu.
2 ) ln den Lauten und Bedeutungen des früheren Buches (des Buches der früheren
Han) wird gesagt: Tschü (Luchs) ist ein wildes Thier. An dem Tage des be
gründeten Herbstes opfert man wilde Thiere. An diesem Tage ziehen die Könige
auch auf die Herbstjagd aus und bringen das Opfer in dem Ahnentempel des
Stammhauses, ln den nördlichen Provinzen des Landstriches Ki bezeichnet man
das Festessen und Festtrinken des achten Monates des Jahres mit dem Namen
Liü (das Speiseopfer), ln Bezug auf diesen Namen sagt das Schuö-wen: ln Tsu
ist es Sitte, im zweiten Monate des Jahres dem Gotte des Trankes und der
Speise zu opfern. Das Kuang-yün sagt: Es ist das Opfer des Trankes und der
Speise. In dem Landstrich Ki bringt man es im achten Monate des Jahres. In Tsu
ist es Sitte, es im zweiten Monate des Jahres zu bringen.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
289
unschlüssig. Er hiess die vier Männer, Tschang-ngang und dessen
Genossen, einstweilen in der äusseren Hütte warten. Tsehang-ngang,
Liao-tschen und Hu-yin argwöhnten, dass sich etwas zutragen
werde und stürzten sogleich hinaus. Es blieb nur noch Schin-tu-kien,
den Keng-schi enthaupten liess.
Tschang-ngang führte hierauf in Gemeinschaft mit Liao-tschen
und Hu-yin die Kriegsmacht vorwärts und plünderte den östlichen
und westlichen Markt. Zur Abendzeit verbrannte er das Thor, drang
ein und begann den Kampf im Inneren des Palastes. Keng-schi erlitt
eine grosse Niederlage. Derselbe nahm am nächsten Morgen seine
Gattin und seine Kinder nebst hundert Reitern zur Begleitung der
Wagen mit sich und floh in östlicher Richtung zu Tsehao-meng nach
Sin-fung.
Keng-schi argwöhnte wieder, dass Wang-khuang, Tsehin-mö
und Tsching-tan mit Tschang-ngang und dessen Genossen gemein
schaftliche Sache machen würden. Er berief sie jetzt zu sich und
hiess sie eiutreten. Tschin-mö und Tsching-tan erschienen zuerst
und wurden sofort enthauptet. Wang-khuang hatte Furcht. Er
stellte sich an die Spitze seiner Kriegsmacht und zog nach Tsehang-
ugan, wo er sich mit Tschang-ngang und dessen Genossen ver
einigte.
Li-sung kehrte jetzt in Begleitung Keng-schi’s nach Tschang-
ngan zurück und richtete in Gemeinschaft mit Tschao-meng einen
Angriff gegen Wang-khuang und Tschang-ngang in dem Inneren der
Feste Man kämpfte unausgesetzt über einen Monat. Wang-khuang
und dessen Genossen wurden geschlagen und ergriffen die Flucht.
Keng-schi übersiedelte nach dem Palaste Tseliang-sin >).
Als die rothen Augenbrauen nach Kao-Iing gelangten, zogen
ihnen Wang-khuang und dessen Genossen entgegen und unterwarfen
sich ihnen. Man drang hierauf mit vereinten Streitkräften vorwärts.
Keng-schi vertheidigte sich in der Feste. Li-sung, der auf seinen Be
fehl ausrückte, wurde in dem Kampfe geschlagen und verlor über
zweitausend Mann an Todten.
Li-sung war von den rothen Augenbrauen zum Gefangenen ge
macht worden. Fan, der jüngere Bruder Li-sung's, war der
*) Der Palast Tsehang-sin befand sieh auf der Strecke von dem Thore LÖ bis zu
dem Thore des Ahnentempels der Tschen.
290
P f i z m a i e r
Hiao-wei des Festungsthores. Die rotlien Augenbrauen schickten an
diesen einen Abgesandten und Hessen ihm sagen: Wenn du das
Thor der Feste öffnest, schenken wir deinem älteren Bruder das Le
ben. — Fan öffnete sofort das Thor.
Im neunten Monate des Jahres drangen die rothen Augenbrauen
in die Feste. Keng-schi entfloh allein zu Pferde und gewann durch das
Thor der Küchenfeste >) das Freie. Die Frauen und Mädchen riefen
ihm fortwährend nach: Du, vor dem wir unter den Stufen stehen,
solltest absteigen und von der Feste Abschied nehmen. — Keng-
schi stieg sofort ab, verbeugte sieh, stieg wieder zu Pferde uud ver
schwand.
i , || Lieu-kung, ein Aufwartender im Inneren, batte sich,
weil die rothen Augenbrauen seinen jüngeren Bruder Lieu-fen-tse
zum Kaiser eingesetzt hatten, selbst in Bande gelegt, und eine höchste
Verkündung hatte ihm den Gerichten überantwortet. Als er jetzt die
Niederlage Keng-schi's erfuhr, ging er hinaus und begleitete ihn zu
Fusse. In Kao-ling angelangt, liess er ihn in dem Posthause Halt
machen. Yen-pen, der Beruhiget' der Hauptsadt für die
Stütze zur Beeilten, fürchtete, dass er, wenn er Keng-schi ausliesse,
von den rothen Augenbrauen hingerichtet werden würde. Derselbe
stand ausserhalb au der Spitze einer Streitmacht. Er nannte dieselbe
die zusammengezogene Schutzwache, in Wirklichkeit aber hielt er
ihn gefangen.
Die rothen Augenbrauen sandten ein Schreiben herab, worin sie
sagten: Wenn Sehing-kung sich unterwirft, betheilen wir ihn mit
dem Lehen eines Königs von Tsehang-scha. Wenn zwanzig Tage
vorüber sind, nehmen wir es nicht an. — Keng-schi sandte Lieu-
kung ab, durch den er seine Unterwerfung anbieten liess. Die
rothen Augenbrauen beauftragten einen ihrer Anführer, Namens
jjfj g1|| Sie-lÖ, sich zu ihm zu begeben und die Unterwerfung anzu
nehmen.
*) Das Thor der Feste LS (lü-tsching-men) wurde von Wang-mang das Thor Kien-tse
genannt. Innerhalb desselben befanden sich die Kiichenbediensteten von Tschang-
ngan. Man nannte es insgemein das Thor der Küchenfeste (tschü-tsching-
men). Gegenwärtig ist es das mittlere Thor der Nordseite der alten Feste yoii
Tschang-ngan.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von H;in.
291
Im zehnten Monate des Jahres folgte Keng-schi sofort Sie-lö,
erschien mit entblössten Schultern in dem Palaste Tsehang-lö und
überreichte Lieu-fen-tse das Siegel mit dem breiten Bande. Die
rothen Augenbrauen versetzten Keng-schi in den Anklagestand,
brachten ihn in eine Vorhalle und schickten sich an, ihn zu tödten.
Lieu-kung und Sie-lö baten für ihn, konnten aber nichts erreichen. Die
rothen Augenbrauen schleppten hierauf Keng-schi hinaus. Lieu-kung
eilte ihnen nach und rief: Ich hin wahrlich mit meinen Bemühungen
zu Ende. Ich bitte, früher sterben zu dürfen. — Mit diesen Worten
riss er das Schwert heraus und wollte sich den Hals abschneiden.
Puan-thsung und andere Häupter der rothen Augenbrauen
kamen hastig zu seiner Rettung herbei und geboten ihm Einhalt.
Man begnadigte jetzt Keng-schi und betheilte ihn mit dem Lehen
eines Fürsten von Wei-wei. Den erneuerten inständigen Bitten Lieu-
kung’s gelang es endlich, dass er in das Lehen eines Königs von
Tsehang-scha eingesetzt wurde.
Keng-schi hielt sich gewöhnlich an den Aufentshaltsort Sie-
lo’s, und auch Lieu-kung beschützte ihn. In den drei stützenden Pro
vinzen litt man durch die Grausamkeit der rothen Augenbrauen und
Alle bedauerten Keng-schi. Tschang-ngang jedoch und dessen Ge
nossen bedachten dieses und sagten zu Sie-lÖ: Unter den Aeltesten
der Lagerwälle sind jetzt Viele, die Sching-kung zur Anmassung der
Würde bewegen wollen. Wenn du ihn eines Tages ausser Acht küs
sest, so werden sie die Streitkräfte vereinigen und dich überfallen.
Dies sind die Wege der eigenen Vernichtung.
Sie-lö beauftragte jetzt die Krieger des Geleites, gemeinschaft
lich mit Keng-schi nächst den Vorwerken die Pferde zu hüten. Bei
dieser Gelegenheit gab er den Befehl, ihn zu erdrosseln. Lieu-kung
begab sich nächtlich an den Ort der That, hob den Leichnam auf
und verbarg ihn. Kuang-wu empfand bei der Nachricht von diessen
Ereignisse Schmerz. Durch eine höchste Verkündung erhielt Teng-
yü, der grosse Vorsteher der Schaaren, den Befehl, Keng-schi in Pa-
ling bestatten zu lassen.
Keng-schi hatte drei Söhne, deren Namen Khieu, Hin und Li.
Im Sommer des nächsten Jahres begaben sich diese Brüder mit ihrer
Mutter in östlicher Richtung nach Lö-yang. Der Kaiser setzte Khieu
in das Lehen eines Fürsten von Siang-yi ein und hiess ihn das Opfer
für Keng-schi darbringen. Hin wurde Lehensfürst von Kö-schö, Li
Sitv-.b. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd. II. Hft. 20
292
Pfizmaier
Lehensfürst von Scheu-kuang. Khieu wurde später in ein anderes
Lehen, dasjenige eines Fürsten von Hien-yang, eingesetzt. Nach dem
Tode Kliieu’s folgte ihm dessen Sohn Siün. Derselbe wurde wieder
in ein anderes Lehen, dasjenige eines Fürsten von Hoan-schi, ein
gesetzt. Nach dem Tode Siün's folgte ihm dessen Sohn Yao.
Lieu-fen-tse.
Lieu-fen-tse stammte aus Tschi i) inTai-schan und
war der Nachkomme des Königs King von Tsing-yang, dessen Name
Tschang 2 ). Sein Grossvater Hien erhielt zu den Zeiten des Kaisers
Yuen das Lehen eines Fürsten von Tscln. Ihm folgte sein Sohn Meng,
der Vater Lieu-len-tse's. Als Wang-mang sich die höchste Würde an-
masste, nahm er ihm das Reich weg und Meng wurde ein einfacher
Bewohner von Tschi.
Im ersten Jahre des Zeitraumes Thien-fung (14 n. Chr.) lebte
zu Hai-khio in Lang-ye ein Mann, Namens-jij; Liü-mu. Dessen
Sohn war ein Angestellter des Districtes. Derselbe machte sich eines
kleinen Verbrechens schuldig und wurde von dem Vorsteher zum
Tode verurtheilt s). Liü-mu hatte einen Groll gegen den Vorsteher.
Er sammelte im Geheimen Gäste und suchte sich zu rächen. In dem
Hause Liü-mu’s herrschte Überfluss, sein Besitzthum und seine Er
zeugnisse hatten den Werth von mehreren hundert Zehntausenden.
Er kochte jetzt eine grössere Menge ungemischten Weines und kaufte
Messer, Schwerter und Kleidungsstücke. Den Jünglingen, welche
zu ihm kamen, um Wein zu kaufen, gab er alles auf Borg. Wenn er
sah, dass Mangel war, entlieh er Kleider, ohne nach deren Anzahl
D Tschi ist. der Name eines Districtes. Nach der Erhebung des Hauses der späteren
Han wurde dieser District aufgehoben.
2 ) Tschang war der Enkel des Kaisers Kao und ursprünglich Lehensfürst von
Tschü-yii.
3 ) Hai-khio ist der Name eines Districtes. Die alte Feste desselben befand sich im
Osten des Districtes Khiü in MT-tscheu. Das Buch der fortgesetzten Han sagt:
Der Sohn Liü-mu’s hiess mit Namen Yö und bekleidete die Stelle eines \ r eu-kiao
(umherwandelnden Angestellten). Derselbe machte sich durch Übertretung eines
Verhrechens schuldig.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
293
zu fragen. Nach einigen Jahren waren seine Güter allmälig zu Ende ge
gangen und die Jünglinge wollten ihm dafür den Ersatz geben. Liü-mu
sagte unter Thränen: Indem ich euch mit Auszeichnung behandelte,
wollte ich nicht nach Nutzen trachten. Weil der Vorsteher des Di-
strictes gesetzlos ist und ungerechterweise meinen Sohn tödten liess,
wollte ich mich nur rächen. Möchtet ihr wohl meinen Sohn bedauern?
Die Jünglinge erkannten das Grossartige dieses Vorsatzes. Sie
hatten ausserdem Wohlthaten empfangen und machten die Zusage.
Die muthigsten Männer nannten sich rasende Tiger •). Sie schaar-
ten sich hierauf zusammen und wuchsen bis zu einer Menge von
nahezu hundert Menschen. Sie gingen jetzt mit Liü-mu in die See,
riefen die Menschen, welche sich durch die Flucht den Befehlen ent
zogen hatten, herbei und vereinigten sich mit ihnen, bis sie zuletzt
eine Menge von mehreren Tausenden waren. Liü-mu nannte sich den
Heerführer. Er führte die Streitmacht zurück, erstürmte Hai-khiö
und nahm den Vorsteher des Districtes fest. Die Angestellten schlugen
mit den Häuptern an den Boden und baten für den Vorsteher. Liü-
mu sagte: Mein Sohn machte sich eines kleinen Verbrechens schul
dig und hätte nicht sterben sollen. Er wurde aber durch den Vor
steher getödtet. Wer Menschen tödtet, soll sterben. Warum bittet
ihr noch für ihn? — Hierauf liess er ihn enthaupten, brachte das
Haupt auf dem Grabhügel seines Sohnes als Opfer und ging wieder
in das Meer.
Einige Jahre später-) griff Puan-thsuug , ein Eingeborner von
Lang-ye, in Khiü zu den Waffen. Mit einer Menge von hundert Men
schen drang er im Umwenden in Tai-schan und nannte sich einen
der dreierlei Greise. Um diese Zeit herrschte in den Landstrichen
Tsching-tscheu und Siü-tscheu grosse Hungersnoth und Räuber er
hoben sich gleich spitzigen Schwertern. Weil Puan-thsuug muthig
und kühn war, schlossen sich alle Räuber ihm an. In einem Jahre
waren siebis zu einer Menge von zehntausend Menschen angewachsen.
*) Die Geschichte' der östlichen Warte sagt: Siu-thse-tse und andere Gäste nannten
sich „Tigererfassende“ (yi-hu). Indem sie so stark sind , dass sie einen Tiger
erfassen können, wird ihr Muth bezeichnet. Dass jetzt in dem Ausdrucke das Wort
„rasend“ gesetzt wird, ist desswegen, weil das Zeichen Um. yl (erfassen) mit
meng (rasend) Ähnlichkeit hat.
3 ) Im fünften Jahre des Zeitraumes Thien-hoang (18 n. Chr.).
294
Pfizniaier
Pang-ngan, der Provinzgenosse Puan-thsung's, 'ff
Siü-siuen, Sie-lö und Yang-yin , Eingeborne von Tung-hai,
griffen ein jeder für sich zu den Waffen und brachten mehrere zehn
tausend Menschen zusammen. Sie führten diese wieder herbei und
schlossen sich an Puan-thsung. Hierauf kehrten sie in Gemeinschaft
zurück und überfielen Khiü. Als sie dieses nicht bezwingen-konnten,
wendeten sie sich um und plünderten das Land bis Ku-mu *). Dabei
richteten sie einen raschen Angriff gegen yj^ |J| Tien-hoang, den
im Dienste Wang-mang’s stehenden Lehensfürsten von Tan-thang 2 ),
und brachten ihm eine grosse Niederlage bei. Sie tödteten über zehn
tausend Menschen. Hierauf drangen sie nördlich in Tsing-tscheu, überall,
wohin sie kamen, Gefangene machend und plündernd. Auf dem Rück
wege gelangten sie nach Tai-schan, wo sie hielten und sich in Nan-
tsching s) sammelten.
Puang-thsung und dessen Genossen waren aus Noth Räuber
geworden und hatten ursprünglich nicht die Absicht, feste Städte zu
überfallen und das Land zu durchstreifen. Nachdem sie zu einer
grossen Menge angewachsen waren, kamen sie unter sich überein,
dass, wer einen Menschen tödtet, sterben solle. Wer einen Menschen
verletzt, solle ihm für die Wunde Ersatz leisten. Sie schlossen ihre
Verträge mündlich ab. Schriftstücke, Fahnen, Ahtheilungen und
Unterabtheilungen, Aufrufe und Erlässe waren ihnen unbekannt. Die
Geehrtesten unter ihnen nannte man die dreierlei Greise. Die diesen im
Range zunächst folgenden hiessen „den Geschäften Nachgehende“
(tsung-sse). Die Nächstfolgenden hiessen „Angestellte der Genossen“
(tsö-li). Dieselben Hessen sich „Dienermenschen“ (tschin-jin)
nennen.
Wang-mang entsandte)^-- Lien-tan, Fürsten von Ping-kiün,
und den die Stelle eines „grossen Meisters“ (tai-sse) bekleidenden
n: I Wang-khuang mit dem Aufträge, sie schnell anzugreifen.
Als Puan-thsung und dessen Genossen die Schlacht liefern wollten,
*) Ku-mu ist der Name eines Districtes. Die alte Feste desselben befindet sich in
dem späteren Mi-tscheu, im Nordosten des Districtes Khiü. Der District ist das
alte Reich des Geschlechtes Pö-ku.
2 ) Wang-mang gab dem Districte Yi in Pe-hai den neuen Namen Tan-thang.
3 ) Der District Nan-tsching gehört zu der Provinz Tung-hai. Daselbst liegt der
Berg Nan-tsching (die südliche Feste), von dem der District den Namen hat.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
295
fürchteten sie, dass ihre Heeresmenge mit den Streitkräften Wang-
mang's verwechselt werden könne. Alle färbten daher ihre Augen
brauen mit Mennig, um sich kenntlich zu machen. Sie erhielten
davon den Namen „rothe Augenbrauen“. Die rothen Augenbrauen
brachten hierauf dem Kriegsheere Lien-tan’s und Wang-khuang's
eine grosse Niederlage bei, tödteten über zehntausend Menschen und
verfolgten die Fliehenden bisWu-yeni). Lien-tan fiel in dem Kampfe,
Wang-khuang entfloh.
Puan-thsung und dessen Genossen führten zudem ihre Kriegs
macht, die mehr als zehn Myriaden Streiter zählte, wieder zurück
und belagerten Khiü durch mehrere Monate. Jemand sprach hierauf
mit Puan-thsung und sagte: Khiü ist das Reich des Vaters und der
Mutter. Wie kann man es überfallen? — Puan- thsung hob jetzt die
Belagerung auf und zog weiter.
Um diese Zeit starb Liu-mü an einer Krankheit. Seine Schaaren
zertheilten sich und traten bei den rothen Augenbrauen in die Ab
theilungen des „grünen Kalbes“ und des „kupfernen Pferdes“ 2 ).
Die rothen Augenbrauen plünderten hierauf Tung-hai und kämpften
mit dem im Dienste Wang-mang's stehenden Ta-yün von I-pings),
den sie schlugen und ihm einen Verlust von mehreren tausend
Todten beibrachten. Sie zogen dann weiter und durchstreiften Pei,
Jii-nan und Ying-tschuen in Tsu. Auf dem Rückwege drangen sie in
Tschin-lieu, überfielen und eroberten Lu-tsching und gelangten im
Umwenden bis Lö-yang.
Um diese Zeit ereignete es sich, dass Keng-schi die Stadt Lö-
yang zu seiner Hauptstadt machte. Derselbe schickte einen Gesandten
mit dem Aufträge aus, Puan-thsung zur Unterwerfung zu bewegen.
Als Puan-thsung und dessen Genossen hörten, dass das Haus Han
sich wieder erhoben habe, dessen sie sofort ihre Kriegsmacht Halt
maehen, stellten sich an die Spitze von ungefähr zwanzig Anführern
*) Wu-yen ist der Name eines Districtes. Die alte Feste desselben befindet sich im
Osten des spateren Districtes Siü-tschang in Yün-tscheu.
2 ) Die einzelnen Abtheilungen der rothen Augenbrauen benannten sich theils nach
Bergen, Flüssen und Ländern, theils nach der Stärke und Ansehnlichkeit ihres
Kriegsheeres.
3 ) Wang-mang veränderte den Namen der Provinz Tung-hai und nannte sie I-ping.
Er hezeichnete die Statthalter der Provinzen mit dem Namen Ta-yün (der grosse
Älteste).
296
P f i z in a i e r
und folgten dem Gesandten nach Lö-yang, wo sie sich unterwarfen.
Keng-schi ernannte sie zu Lehensfürsten.
Puan-thsung und dessen Genossen hatten Halt gemacht, noch ehe
sie Reiche und Städte besassen, und es geschah, dass ihre Menge all
mählich sich trennte und abfiel. Sie reisten daher fort, kehrten in
ihr Lager zurück und drangen an der Spitze der Kriegsmacht in
Ying-tsehuen. Daselbst theilten sie ihre Menge und bildeten zwei
Abtheilungen. Puan-thsung und Pang-ngan bildeten die eine Ab-
theilung. Siü-siuen, Sie-lo und Yang-yin bildeten die andere Abthei
lung. Puan-thsung und Pang-ngan überfielen und eroberten Tschang-
sche. Im Süden führten sie einen Schlag gegen Yuen und enthaup
teten den Befehlshaber des Distrietes. Unterdessen eroberten Siü-
siuen, Sie-lo und deren Genossen ihrerseits Yang-to und erschienen
vor Liang i). Sie griffen den Statthalter von Ho-nan plötzlich an und
tödteten ihn.
Obgleich die Menge der rothen Augenbrauen mehrere Siege er
fochten hatte, war sie herabgekommen und des Krieges satt. Alle
weinten traurig Tag und Nacht und sehnten sich nach Osten zurück.
Puan-thsung und dessen Genossen gingen zu Rathe und bedachten,
dass die Menge, einmal nach Osten gewendet, sich gewiss zerstreuen
würde. Sie hielten es für das Beste, sich nach Westen zu wenden
und Tsehang-ngan zu überfallen.
Im Winter des zweiten Jahres des Zeitraumes Keng-schi (24
n. Chr.) drangen Puan-thsung und Pang-ngan durch den Engpass
Wu 2 ), Siü-siuen und dessen Genossen durch den Engpass Lö-hoen 3).
also auf zwei verschiedenen Wegen, gleichzeitig in das Land inner
halb des Grenzpasses. Im ersten Monate des dritten Jahres des Zeit
raumes Keng-schi (25 n. Chr.) gelangten sie gemeinschaftlich nach
Hung-nung und kämpften ununterbrochen mit den Heerführern
Keng-schi’s, wobei sie durch ihre Übermacht siegten. Ihre Heeres
menge war hierauf vollständig versammelt. Man theilte sie jetzt und
1 ) Der District Liang in dem späteren Jü-tscheu.
2 ) Der Engpass Wu befindet sich im Osten des späteren Distrietes Schang-Iö in
Schang-tscheu.
3 ) Das Buch der früheren Han sagt: In dem Districte Lö-hoen befindet sich ein
Engpass. — Dieser Engpass liegt südwestlich von dem späteren Districte I-kiue
in Lö-tscheu.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
297
vereinigte je zehntausend Mann zu einem Lager. Es waren im Ganzen
dreissig Lager. Uber jedes Lager setzte man einen der dreierlei Greise
und einen „den Geschäften Nachgehenden“. Man bewerkstelligte die
Vorrückung bis Hoa-yin.
Bei dem Kriegsheere befand sich gewöhnlich ein betender
Zauberer, der trommelnd und tanzend dem Könige King von Tsching-
yang opferte und dadurch um Glück und Beistand bat •)• Der Zauberer
äusserte in wahnsinniger Rede, dass König King sehr zornig sei und
sage: Ihr sollet Obrigkeiten des Districtes sein 3 ). Warum seid ihr
Räuber? — Diejenigen, welche den Zauberer verlachten, wurden
sogleich krank, und in dem Kriegsheer entstand dadurch Schrecken
und Aufregung.
Um die Zeit war Yang, der jüngere Bruder Fang-wang’s,
von Rachegefühl beseelt, weil Keng-schi diesen seinen älteren Bruder
getödtet hatte s). Derselbe kam jetzt herbei und setzte vor Puan-
thsung und dessen Genossen Folgendes auseinander: Keng-schi ist
wüst und unordentlich. Lenkung und Befehlgeben werden nicht geübt.
Desswegen bewirkte er, dass ihr, 0 Heerführer, bis hierher gelangen
konntet. Jetzt haltet ihr, 0 Heerführer, in den Armen ein Menge von
hundertmal zehntausend Kriegern, ihr wendet euch im Westen zu der
Feste des Kaisers. Aber ihr habt keine rühmliche Benennung, dem
Namen nach seid ihr eine Bande von Räubern. Dieses kann nicht
lange währen. Am besten ist, ihr erhebet das Stammhaus, nehmet
unter die Arme Gerechtigkeit, Hinrichtung und StrafangrifT. Wenn
ihr auf dieser Grundlage eure Aufrufe und Befehle erlasset, wer
würde es wagen, sich nicht zu unterwerfen?
Puan-thsung und seine Genossen waren hiermit einverstanden,
und auch der Zauberer redete ihnen immer mehr zu. Als sie nach
Tsching 4 ) vorrückten, hielten sie eine Berathung und sagten: Jetzt
*) Weil dieser König- die Mitglieder des Geschlechtes Liü zurechtstellte und die
Landesgötter beruhigte, errichtete man ihm häufig in den Provinzen und Reichen
Altäre. Lieu-fen-tse hatte das Glück, sein Nachkomme zu sein, wesshalb man,
wie sogleich angedeutet werden wird, dem Könige in dem Kriegsheere geopfert
haben soll.
2 ) Durch die Obrigkeiten des Districtes wird auf einen Himmelssohn hingedeutet.
3 ) Fang-wang hatte Lieu-ying, den sogenannten Säugling, zum Himmelssohne ein
gesetzt und war sammt seinen Genossen durch die Heerführer Keng-schi’s ent
hauptet worden.
4 ) Tsching ist der spätere District Hoa-Lscheu.
298
P f i z m a i e r
stehen wir dicht vor Tschang-ngan, und die Götter und Geister
wollen es so. Wir müssen Jemanden von dem Geschlechte Lien auf
suchen, ihn in Gemeinschaft ehren und erheben. Im sechsten Monate
des Jahres setzten sie sofort Lieu-fen-tse zum Kaiser ein. Derselbe
nannte sich Kien-sehi (das gegründete Zeitalter) und bezeichnete
mit diesem Namen auch das erste Jahr eines neuen Zeitraumes.
Die rothen Augenbrauen hatten zur Zeit, als sie nach Tscln
gezogen waren, Lieu-fen-tse und dessen zwei ältere Brüder Kung
und j^ Meu geraubt. Dieselben hatten sich hei dem Kriegsheer be
funden. Lieu-kung hatte sich in seiner Jugend auf das Buch der
Schang verlegt und war in der grossen Gerechtigkeit bewandert.
Als Puan-thsung und dessen Genossen, denen er folgte, sich Keng-
schi unterwarfen, erhielt er das Lehen eines Fürsten von Tsclit.
Da er die richtschnurmässigen Bücher vollkommen verstand und
mehrmals über die Angelegenheiten gesprochen hatte, wurde er zu
einem Aufwartenden im Inneren ernannt. Er folgte Keng-schi und
lebte in Tschang-ngan. Lieu-fen-tse und Lieu-meu blieben bei dem
Kriegsheer zurück und gehörten zu dem Hiao der Rechten, dem An
gestellten der Genossen j|P|J Lieu-hiä-king, der dem
Futterschneiden und der Hut der Rinder vorgesetzt war und mit dem
Namen eines Angestellten der Rinder bezeichnet wurde.
Als Puan-thsung und dessen Genossen einen Kaiser einsetzen
wollten, suchten sie in dem Kriegsheer nach den Nachkommen des
Königs King. Unter siebzehn Menschen, welche sie fanden, waren
bloss Lieu-fen-tse, Lieu-meu und ?|>|J Lieu-hiao , der frühere
Lehensfürst von Si-ngan, sehr nahe Angehörige seines Geschlechtes.
Puan-thsung und dessen Genossen beriethen sich und sagten: Wie
wir gehört haben, nannte man in dem Alterthum den Himmelssohn,
wenn er Streitkräfte befehligte, den obersten Heerführer. — Sie machten
jetzt eine Tafel zu einer Beglaubigungsmarke und schrieben darauf
die Worte: der oberste Heerführer. Sie legten dieses mit noch zwei
leeren Tafeln in eine Urne.
Hierauf errichteten sie im Norden von Tsching einen Altar mit
einem freien Platze und opferten dem Könige King von Tsching-yang.
Die „dreierlei Greise“ und die „den Geschäften Nachgehenden“
waren vollzählig versammelt und standen in Reihen unter den Stufen.
Lieu-fen-tse und die beiden anderen standen in der Mitte. Man liess
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
299
sie nach dem Alter die Tafeln greifen. Lieu-fen-tse als der jüngste
griff zuletzt und erlangte die Beglaubigungsmarke. Alle Anführer
nannten sich jetzt Diener und warfen sich zu Boden.
Lieu-fen-tse war um diese Zeit fünfzehn Jahre alt. Er war bar
häuptig, indem ihm sein Haupthaar als Kopfbedeckung diente, bar-
fuss, in abgenützte Kleider gehüllt und von rother Erde beschmutzt.
Als er sah, dass die Menge vor ihm zu Boden fiel, wurde ihm bange,
und er wmllte laut weinen. Lieu-meu sagte zu ihm: Verbirg die Be
glaubigungsmarke gut.— Lieu-fen-tse zerbiss sie sofort und warf sie
weg. Nach der Rückkehr hielt er sich wieder an Lieu-biä-king. Dieser
verfertigte für ihn ein dunkelrothes einfaches Kleid, ein halbhäuptiges
hellrotbes Kopftuch ') und Schuhe mit geraden Streifen 2). Er liess
ihn einen an der Vorderseite hohen Wagen besteigen. Dieser Wagen
war mit grossen Pferden bespannt, hatte eine hellrothe Schwelle 3)
und dunkelrothe Vorhänge mit seidenen Fransen 4 ). Dabei liess er
Lieu-fen-tse noch immer den Hirten Gesellschaft leisten und in die
Ferne ziehen.
Obgleich Puan-thsung durch Muth und Kraft hervorragte und
von der Menge als Stammvater betrachtet wurde, verstand er weder
die Schrift noch die Rechenkunst. Siü-siuen, als ehemaliger Ange
stellter der Gerichte in dem Districte, war in dem Buche der Ver
wandlungen wohl bewandert. Indem man hierauf dieses Buch in Ge-
*) Mit dem Kopftuch bedeckt inan das zusammengewundene Haupthaar. Das Buch
der fortgesetzten Han sagt: Das Kopftuch der Jünglinge ist ohne Dach, wodurch
angedeutet wird, dass sie noch keine vollendeten Menschen sind. Ein halbhäuptiges
Kopftuch ist ein Kopftuch mit ausgehöhltem Scheiteltheile. Dasselbe ist oben ohne
Dach, daher der Name. Der von Sung-tschung-schü verfasste, „mannigfache Thau“
(fan-Iu) sagt: Wo man durch das Hellroth leitet, schätzt man an den Kopftüchern
die hellrothe Farbe. — Lieu-fen-tse hatte die Leitung von Han übernommen,
desswegen bedient er sich der hellrothen Farbe. In den alten Dingen des östlichen
Palastes wird gesagt: Der Nachfolger trug ein Kopftuch mit ausgehöhltem
Scheiteltheile. Dasselbe war nach dem Schnitte eines halbhäuptigen Kopftuches
verfertigt.
2 ) Die zur Zierde dienenden Streifen waren in gerader Richtung eingestochen.
3 ) Die Vorderschwelle des Wagens war mit rothgelbem Öl bestrichen.
4 ) Der auf dem Wagen ausgespannte Vorhang, der als Schirmdach dient. Derselbe
ist zur Zierde mit seidenen Fransen versehen. Das Buch der fortgesetzten Han
sagt: An dem bequemen Wagen der Könige, Fürsten und Lehensfürsten bringt
man einen Vorhang mit seidenen Fransen an.
300
Pfizmaier
meinscbaft aufschlug, wurde Siü-siuen Reichsgehilfe, Puan-thsung
der die Stelle eines kaiserlichen Vermerkers bekleidende Grosse,
Pang-ngan der grosse Vorsteher der Pferde zur Linken, Sie-lo der
grosse Vorsteher der Pferde zur Rechten. Die Anführer von Yang-
yin abwärts wurden Reichsminister.
Als das Kriegsheer nach Kao-ling gelangte, vereinigte man sich
mit Tschang-ngao und anderen abtrünnigen Heerführern Keng-schi’s,
überfiel sofort das Thor der östlichen Hauptstadt 1 ) und drang in die
Feste von Tschang-ngan. Keng-schi kam herbei und unterwarf sich.
Während Lieu-fen-tse den Palast Tschang-lö bewohnte, hatten die
Anführer täglich Zusammenkünfte, wobei sie lärmend und schreiend
ihre Verdienste erörterten und sich zankten. Sie rissen die Schwerter
heraus, hieben damit gegen die Pfeiler und konnten sich nicht
einigen. Wenn die drei Stützen, die Provinzen, die Districte oder
die Ältesten der Lager Abgesandte mit Tribut und Geschenken
schickten, entrissen ihnen die Kriegsmänner dieses sogleich mit Ge
walt. Auch nahmen sie öfters Angestellte u»d Volk gefangen oder
bedrückten sie. Die hundert Geschlechter bewachten die Wände, und
alles setzte sich aus dem Grunde wieder in Vertheidigungsstand.
Als der letzte Tag des Jahres gekommen war, veranstalteten
Puan-thsung und dessen Genossen Musik und hielten eine grosse
Zusammenkunft. Lieu-fen-tse sass mitten in der Vorhalle, die Leib
wächter des gelben Thores der Mitte befanden sich hinter ihm mit
Waffen in den Händen. Die Fürsten und Reichsminister sassen reihen
weise in dem oberen Theile der Vorhalle. Ehe noch der Wein herum
gereicht wurde, nahm Einer unter ihnen ein Messer und einen Pinsel 2)
hervor, schrieb eine Karte und wollte Glück wünschen s). Die Übrigen,
welche nicht schreiben konnten, standen auf, gingen zu ihm hin und
baten ihn, ihren Namen zu schreiben. Alle standen in einem Haufen
*) Der Grundriss der drei Stützen sagt: Das Thor Siuen-ping ist das erste Thor
von Norden an der östlichen Flanke der Feste von Tschang-ngan. Das vor
diesem befindliche Thor der Vorstadt heisst das Thor der östlichen Hauptstadt
(tung-tu-men).
2 ) Ehemals schrieb man die Aufsätze auf zusammengelegte Bambustafeln. Wenn
man etwas fehl schrieb, schabte man es mit einem Messer weg. In diesem Sinne
steht hier Messer und Pinsel.
3 ) Seit den Zeiten der Thsin und Han war es Sitte, an dem letzten Tage des Jahres
Glück zu wünschen.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han. 301
beisammen und hatten einander bald den Rücken bald das Angesicht
zugekehrt.
Yang- yin, der grosse Vorsteher des Ackerbaues, legte die Hand
an das Schwert und rief die schmähenden Worte: Ihr seid lauter alte
Taglöhner! An dem heutigen Tage begründet man die Gebräuche
zwischen Landesherrn und Diener, und ihr seid im Gegentheil durch
einander gemengt und unordentlich. Wenn Kinder spielen, haben sie
nicht einmal ein solches Betragen. Man sollte sich euch entgegen
stellen und euch tödten! — Es entstand Wortwechsel und Kampf.
Die Krieger stiegen hierauf einzeln in den Palast, hieben die Schran
ken durch und rauhten heim Hereindringen den Wein und das
Fleisch. Sie tödteten und verwundeten sich gegenseitig.
Als 5ppJ|^ g|f Tschü-ho-tsehi, der Beruhiger der Leibwache,
dieses hörte, führte er die Kriegsmacht vorwärts, drang ein und
tödtete, indem er sich entgegenstellte, über hundert Menschen, worauf
Ruhe eintrat. Lieu-fen-tse ward von Bangen und Furcht befallen. Er
jammerte und weinte Tag und Nacht, legte sich allein mit den Leib
wächtern des gelben Thores der Mitte nieder und stand mit ihnen zu
gleich auf. Er konnte bloss die Warten und die Söller besteigen
und erfuhr von den Aussendingen nichts.
Um diese Zeit befanden sich in den Vorhöfen der Seitenflügel
noch mehrere hundert bis tausend Palastmädchen. Dieselben waren
nach der Niederlage Keng-schi’s innerhalb der Thore der Vorhallen
eingeschlossen. Sie gruben die Wurzeln des in den Vorhöfen wach
senden Schilfrohres aus, fingen die Fische der Teiche und verzehrten
dieses als Speise. Diejenigen, welche starben, wurden von den Über
lebenden vergraben. In dem Palaste befand sich ein alter Tempel.
Ein Tonkünstler aus Kan-tsiuen t) schlug noch immer in ihrer Ge
sellschaft die Trommel, sang und tanzte. Seine Kleidung war dünn
und durchsichtig. Er besuchte Lieu-fen-tse, schlug das Haupt gegen
den Boden und erzählte von der Hungersnoth. Fen-tse gab den Leib
wächtern des gelben Thores der Mitte den Auftrag, ihnen Reis zu ver
abreichen. Man brachte dessen einige Nössel. Als später Fen-tse sich
entfernte, starben sie Hungers und kamen nicht mehr zum Vorschein.
1 ) In dem Palaste von Kan-tsiuen befand sich eine Opferstätte. Die Benennung- Ton-
kiinstler hat den Sinn, dass dieser Mann die Musik bei dem Opfer für den Himmel
zu besorgen hatte.
302
P f i z m a i e r
Lieu-kung sali das unordentliche Treiben der rotlien Augen
brauen und erkannte, dass ihr Verderben gewiss sei. Er fürchtete,
dass ihn und seine Brüder zugleich das Unglück treffen werde. Er
belehrte im Geheimen Lieu-fen-tse, wie er das Siegel mit dem breiten
Bande zurückzugeben habe und übte ihn in Worten der Weigerung
und Verzichtleistung.
Jm zweiten Jahre des Zeitraumes Kien-wu (26 n. Chr.), an dem
ersten Tage des ersten Monates des Jahres veranstalteten Puan-
thsung und dessen Genossen eine grosse Zusammenkunft. Lieu-kung
trat zuerst vor und sprach: Ihr, o Gebieter, habt in Gemeinschaft
meinen jüngeren Bruder zum Kaiser eingesetzt. Die Wohlthat, die
ihr mir dadurch erwiesen, ist in Wahrheit eine sehr grosse. Dass er
eingesetzt worden, ist bald ein Jahr und Unordnung und Wirrsal
werden täglich ärger. Dieses genügt in Wahrheit nicht, um etwas
zu Stande zu bringen. Ich furchte, dass ich sterben und der Sache
nicht förderlich sein werde. Es ist mein Wunsch, dass es mir ver
gönnt sei. mich zurückzuziehen und ein gemeiner Mensch zu werden.
Ob man nochmals Weisheit und Verstand suchen solle, habt nur ihr,
o Gebieter, in Betracht zu ziehen.
Puan-thsung und dessen Genossen entschuldigten sich und
sagten: Dies alles geschah durch unser Verschulden. — Als Lieu-
kung seine dringenden Bitten erneuerte, sagte Einer: Ist dieses etwa
eine Angelegenheit des Lehensfürsten von Tschi >). — Lieu-kung
empfand Furcht und Bangen. Er stand auf und entfernte sich.
Fen-tse stieg jetzt von dem Bette herab, löste das Siegel mit
dem breiten Bande und sprach, indem er das Haupt gegen den
Boden schlug: Gegenwärtig hat man Obrigkeiten der Districte ein
gesetzt, aber man treibt das Räuberhandwerk wie früher. Wenn die
Angestellten Tribut und Geschenke bringen, werden sie ohne weiteres
überfallen und beraubt. Die Kunde davon pflanzt sich fort nach den
vier Weltgegenden, und Niemand ist, der nicht von Groll erfüllt
wäre. Man wendet sich nicht mehr mit Vertrauen uns zu. Dies alles
entsteht dadurch, dass man nicht die rechten Menschen einsetzt. Ich
möchte bitten für meine Gebeine und aus dem Wege gehen den
*) Lieu-kung war früher Lehensfürst von Tschi gewesen. Der Sinn ist: Die Menge
des Heeres habe einen Himmelssohn eingesetzt, es sei nicht durch Lieu-kung so
veranstaltet worden.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Ilan.
303
Weisen und Höchstweisen, die gewiss mich tüdteri und dadurch die
Zurechtweisung verscldiessen wollen. Ich entziehe mich durchaus
nicht dem Tode, ich habe nur die Hoffnung, dass ihr, o Gebieter,
geneigt sein werdet, mich zu bedauern. — Dabei weinte und klagte
er mit lauter Stimme.
Puan-thsung und dessen Genossen sowie die übrigen Ver
sammelten, im Ganzen mehrere hundert Menschen, hatten ohne Aus
nahme Mitleid mit ihm. Sie verliessen ihre Teppiche, warfen die
Häupter zu Boden und sprachen: Wir Diener kehren auf keine Weise
den Rücken demjenigen, unter dessen Stufen wir stehen. Wir bitten
und werden von jetzt an es nicht wagen, wieder fahrlässig zu
sein. — Dabei erfassten sie Lieu-fen-tse mit den Armen und be
festigten an seinen Gürtel das Siegel mit dem breiten Bande. Lieu-
fen-tse klagte, schrie und wusste sich nicht zu helfen.
Als die Versammlung endete und man ausgetreten war, schloss
sich ein Jeder in seinem Lager ein. In den drei stützenden Provinzen pries
man einstimmig den Scharfsinn und die Erleuchtung des Himmels
sohnes. Die Geschlechter des Volkes kamen im Wetteifer zurück, die
Märkte und Strassen von Tschang-ngan waren nahe daran, sich zu
füllen. Man halte es auf zwanzig Tage gebracht, als die rothen
Augenbrauen, nach den Werthgegenständen begierig, wieder hervor
kamen und das Innere der Stadt in grossem Massstabe plünderten.
Sobald die Mundvorräthe zu Ende waren, rafften sie die Kostbar
keiten zusammen und luden sie auf Wagen. Sie legten hierauf aller
Orten Feuer und verbrannten die Paläste und Häuser.
Indem sie mit ihrer Kriegsmacht nach Westen zogen, opferten
sie im Vorübergehen in der Umgebung des Südens. Ihre Wagen,
Panzer, Angriffswaffen und Pferde waren sehr gewaltig und zahl
reich. Ihre Menge zählte vorgeblich hundertmal zehntausend Streiter.
Lieu-fen-tse fuhr in einem königlichen Wagen mit drei Pferden i)
und hatte ein Gefolge von mehreren hundert Reitern.
Die rothen Augenbrauen wendeten sich jetzt von den südlichen
Bergen, plünderten die Städte und kämpften mit Yen-
tsehün, einem Heerführer Keng-schi's, in Mei 3 ). Dieser Heerführer
*) Ein königlicher Wagen hat Räder mit hellrothen Streifen und ein grünes Dach.
Derselbe ist zur Rechten und Linken mit drei Pferden bespannt.
3 ) Ein Districf der rechten Provinz Fu-fung.
304
P f i z m a i e r
wurde geschlagen und getödtet. Sie drangen hierauf in das nördlich
von Ngan-ting gelegene Land bis Yang-tsching. In Puan-siü fiel
starker Schnee, von welchem Gruben und Thäler erfüllt waren.
Viele Kriegsmänner erfroren. Sie kehrten jetzt wieder zurück,
gruben die kaiserlichen Grabhügel auf und rauhten die daselbst
befindlichen Kostbarkeiten. Sie beschmutzten und beschimpften hier
auf den Leichnam der Kaiserin von dem Geschleckte Liü. In allen
Grabhügeln, welche die Räuber öffneten, befanden sich Edelstein
kästchen G» un d die Todten waren im Ganzen gleich Lebenden
gekleidet. Desswegen hatten die rothen Augenbrauen oft Gelegenheit,
Muthwillen zu treiben und sich zu verunreinigen.
Um diese Zeit befand sich Teng-yü, der grosse Vorsteher der
Schaaren, in Tschang-ngan. Er entsandte eine Kriegsmacht, durch
die er in Yö-1 2 ) einen Schlag gegen die rothen Augenbrauen führen
liess. Diese Kriegsmacht wurde aber seihst geschlagen, worauf
Teng-yü aus der Stadt zog und nach Yün-yang gelangte. Im neunten
Monate des Jahres drangen die rothen Augenbrauen wieder in
Tschang-ngan und hielten in dem Palaste der Zimmtbäume s).
Um dieselbe Zeit war J[E Yen-tsin, der Räuber von Han-
tsching, hervorgekommen. Seine Schaaren, die sich in dem Lande
innerhalb des Grenzpasses zerstreut hatten, sammelten sich in Tu-
ling. Pang-ngan stellte sich an die Spitze von zehnmal zehntausend
Menschen und griff sie an. Weil die auserlesenen Streitkräfte Pang-
ngan's fortgezogen waren und bloss Lieu-fen-tse mit den Abgezehrten
und Schwachen sich in der Feste befand, machte sich Teng-yü in
eigener Person auf den Weg und überfiel die Stadt. Es traf sich
jedoch, dass Sie-lö zu Hilfe kam, und man kämpfte nächtlich in der
Strasse des Strohes 4 ). Die Streitmacht Teng-yü’s wurde geschlagen
und ergriff die Flucht.
*) Die Erklärung des Verfahrens von Han sagt: Man verfertigte Tafeln aus Edelstein,
die einen Schuh lang und anderthalb Zoll breit waren. Aus denselben bildete man
Kästchen, die von den Lenden bis zu den Füssen reichten. Man umwickelte sie
mit Goldfäden und nannte dieses: Edelsteinkästchen verfertigen.
2 ) Der Dietrict Yö-I gehörte zu der rechten Provinz Fu-fung.
3 ) Die Geschichte von Tschang-ngan sagt: Der Palast der Zimmtbäume (kuei-kung)
befindet sich im Norden des Palastes Wi-yang. Derselbe heisst auch der nördliche
Palast (pe-kung).
Die Alterthümer der drei Stützen sagen: In der Feste von Tschang-ngan befindet
sich die Strasse des Strohes (kao-kiai).
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
305
Yen-tsin und Li-pao, ein Heerführer Keng-schi's,
vereinigten ihre Streitkräfte, deren Stärke jetzt mehrere zehntausend
Mann betrug, und kämpften mit Pang-ngan in Tu-ling. Yen-tsin und
dessen Genossen erlitten eine grosse Niederlage und hatten einen
Verlust von zehntausend Todten. Li-pao ergab sich hierauf an Pang-
ngan. Yen-tsin sammelte die zerstreuten Krieger und bewerkstelligte
die Flucht. Li-pao sandte insgeheim Leute an Yen-tsin und liess
ihm sagen : Mögest du mit dem Aufgebot aller Kraft zurückkehren und
kämpfen. Ich werde im Inneren den Abfall ins Werk setzen. Wenn
das Äussere und das Innere ihre Kraft vereinigen, können wir eine
grosse Niederlage beibringen.
Yen-tsin kehrte sofort zurück und hot die Schlacht an. Wäh
rend Pan-ngan und dessen Genossen das Lager leer stehen Hessen
und zum Angriff schritten, riss Li-pao hinter ihrem Rücken alle
Fahnen der rothen Augenbrauen heraus und pflanzte an deren Stelle
seine eigenen Fahnen. Pang-ngan und dessen Genossen kehrten
kampfesmüde zu dem Lager zurück. Als sie sahen, dass .alle Fahnen
weiss waren, wurden sie von grossem Schrecken befallen und warfen
sich in unordentlicher Flucht in die Flüsse und Thäler. Sie verloren
zehnmal zehntausend Mann an Todten. Pang-ngan entkam mit einigen
tausend Kriegern und kehrte nach Tschang-ngan zurück.
Um die Zeit herrschte in den drei stützenden Provinzen grosse
Hungersnoth und die Menschen verzehrten sich gegenseitig als
Speise. Die festen Städte und Vorstädte waren leer, und weisse Ge
beine bedeckten die Wildniss. Die Übriggebliebenen sammelten sich
an verschiedenen Orten und schützten sich durch Lager, deren jedes
sie in guten Vertheidigungsstand setzten und dabei von den Wällen
nicht herabstiegen. Die rothen Augenbrauen konnten wed # er Gefan
gene machen, noch plündern. Sie brachen daher im zwölften Monate
des Jahres auf und wandten sich nach Osten. Ihre Heeresmenge, die
noch immer aus zwanzigmal zehntausend Menschen bestand, zer
streute sich wieder längs der Wege.
Kuang-wu entsandte jetzt den „den Verrath zertrümmernden“
Heerführer jjÜ Heu-tsin und Andere mit dem Aufträge, in
Sin-ngan ihre Streitkräfte zusammenzuziehen. Der „die Macht be
gründende“ grosse Heerführer Keng-yen undAndere lager
ten in I-yang. Diese Streitkräfte rückten auf zwei verschiedenen
306
P f i z in a i e l*
Wegen aus und bedrohten die Rückzugslinie des Feindes. Der Be
fehl des Kaisers an diese Heerführer lautete: Wenn die Räuber nach
Osten entfliehen, so führet die Streitkräfte von I-yang herbei und
vereiniget euch in Sin-ngan. Wenn die Räuber nach Süden entfliehen,
so führet die Streitkräfte von Sin-ngan herbei und vereiniget euch
in I-yang.
Im ersten Monate des nächsten Jahres (27 n. Chr.) setzte
Teng-yü von dem Lande im Norden des Flusses über und richtete
einen Angriff gegen die rothen Augenbrauen in Hu i). Teng-yü
wurde, wieder geschlagen und entfloh. Die rothen Augenbrauen
drangen hierauf aus dem Grenzpasse und wendeten sich nach Süden.
Der „den Westen erobernde“ grosse Heerführer JS Fung-I
schlug sie auf dem Grunde des Berges Hiao 2).
Als der Kaiser dieses erfuhr, stellte er sich in eigener Person
an die Spitze des Heeres und zog nach I-yang, wo er den Fliehenden
mit seiner vollzähligen Streitmacht den Weg verlegte. Als die rothen
Augenbrauen plötzlich auf ein grosses Kriegsheer stiessen, zitterten
sie vor Schrecken und wussten nicht, was sie beginnen sollten. Sie
entsandten jetzt Lieu-kung und Hessen durch ihn ihre Unterwerfung
antragen. Derselbe sagte: Fen-tse unterwirft sich mit einer Menge
von hundertmal zehntausend Kriegern. Wie wirst du, vor dem wir
unter den Stufen stehen, uns behandeln? — Der Kaiser sprach: Ich
behandle euch so, dass euch das Leben geschenkt wird.
Puan-thsung nahm jetzt Lieu-fen-tse und den Reichsgehilfen
Siü-siuen nebst den unter diesem stehenden Männern, im Ganzen
dreissig an der Zahl, mit sich und kündigte mit enthlössten Schultern
seine Unterwerfung an. Er überreichte das an dem breiten Bande
befestigte Siegel, durch welches die fortgesetzte Herrschaft über das
Reich möglich geworden, das sieben Schuh messende kostbare
Schwert Keng-schi's und eine Rundtafel von weissem Edelstein. Man
brachte die Angriffswaffen und Panzer im Westen der Feste von
I-yang auf einen Haufen, der mit dem Berge der Bärenohren s)
Die alte Feste des Districtes Hu liegt im Südwesten des späteren Districtes Hu-
tsching in Kue-tscheu.
2 ) Der Grund des Berges Iliao (hiao-ti) ist die Bergtreppe des Hiao (hiao-fan). Der
Berg Hiao liegt im Nordwesten des späteren Districtes Yung-ning in Lö-tscheu.
3 ) Die alte Feste des Districtes I-yang ist die Feste des Reiches Han. Dieselbe liegt
im Osten des späteren Districtes Fö-tschang in Lö-tscheu. Die von Li-yuen ver-
Zur Geschichte des Zwischeureiches von Han.
307
gleiche Höhe hatte. Der Kaiser befahl den Küchen des Districtes, der
abgematteten und verhungerten Menge Speisen zu verabreichen.
Zehnmal zehntausend Menschen wurden dadurch vollkommen ge
sättigt.
Am nächsten Morgen veranstaltete der Kaiser eine grosse Auf
stellung der Krieger und Pferde in der Nähe des Flusses Lo. Er hiess
Fen-tse und dessen Diener eine Reihe bilden und die Aufstellungen
in Augenschein nehmen. Dabei sagte er zu Fen-tse: Weisst du, ob
du sterben sollst oder nicht? — Fen-tse antwortete: Wenn meine
Verbrechen den Tod verdienen, so ist es noch immer für mich ein
Glück, wenn der Kaiser nur mit mir Erbarmen hat und mich be
gnadigt. — Der Kaiser lächelte und sprach: Das Kind ist sehr ver
ständig. In unserem Stammhause gibt es keine Blödsinnigen.
Ferner sagte der Kaiser zu Puan-thsung und dessen Genossen:
Reut es euch nicht, dass ihr euch unterworfen habt? Ich, der Kaiser,
schicke euch jetzt in das Lager zurück, führe die Kriegsmacht vor
wärts, lasse die Trommeln ertönen und bringe es, indem ich euch
angreife, zur Entscheidung über Sieg und Niederlage. Ich will nicht,
dass ihr euch gezwungen unterwerfet.
Siü-siuen und die Übrigen schlugen die Häupter gegen den
Boden und sprachen: Als wir Diener aus dem Thore der östlichen
Hauptstadt in Tschang-ngan zogen, bestimmten Landesherr und
Diener in dem Rathe, dass man dem höchsten Befehle, der höchst
weisen Tugend sich zuwenden möge, dass die hundert Geschlechter
sich mit uns des Vollendeten freuen können, dass es unmöglich
sei, mit ihnen den Beginn zu erwägen. Nur desswegen meldeten
wir es nicht der Menge. Indem wir an dem heutigen Tage dazu ge
kommen sind, uns zu unterwerfen, ist es uns, als ob wir von dem
Rachen des Tigers uns entfernt hätten und zu der zärtlichen Mutter
zurückgekehrt wären. Wir sind in Wahrheit freudig, in Wahrheit
vergnügt. Wir haben keine Ursache, missmuthig zu sein.
Der Kaiser sprach: Ihr seid, was man nennt, der Klang des
Metalls in dem Eisen, die Tüchtigkeit in den Taglöhnern. — Er
sprach ferner: Ihr verübtet grosse Ungesetzlichkeiten. An den Orten,
fasste Erklärung - des Buches der Gewässer sagt: Im Norden des Flusses Lö liegt
der Berg der ßärenohren (hiung-ni-schan). Ein Paar Bergkegel, die sich auf ihm
schrofF erheben, haben die Gestalt von Bärenohren. Der Berg liegt im Westen von
i-yang.
Sitzk. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd. II. lieft«
21
308
P f i z in a i e r
wohin ihr kämet, vernichtetet ihr die Alten und Schwachen, liesset
Wasser auf die Landesgiitter, machtet Pfützen an den Brunnen und
Herden. Ihr hattet aber noch immer drei gute Eigenschaften. Indem
ihr Feste und Städte überfielet und zerstörtet, rings in der Welt
umherzoget, wurde hinsichtlich eurer früheren Gattinnen und Weiber
nichts verändert. Dieses ist die eine gute Eigenschaft. Ihr setztet
den Gebieter ein und wäret fällig, auf das Stammhaus Rücksicht zu
nehmen. Dieses ist die zweite gute Eigenschaft. Wenn die übrigen
Räuber einen Gebieter eingesetzt hatten und sie sich in Bedrängniss
befanden, so nahmen sie dessen Haupt und unterwarfen sich, indem
sie sich dieses zum Verdienst anrechneten. Ihr allein bewahrtet ihn
unversehrt und übergäbet ihn mir, dem Kaiser. Dieses ist die dritte
gute Eigenschaft. —Er wies sie hierauf an, mit Gattinen und Kindern
in Lö-yang zu wohnen und schenkte jedem Einzelnen ein Wohnhaus
und zweihundert Morgen Felder.
Im Sommer desselben Jahres verschworen sich Puan-thsung und
Pang-ngan zum Abfall. Sie wurden zur Hinrichtung verurtheilt und
starben. Yang-yin war zur Zeit, als er sich in Tschang-ngan befand,
dem Könige Liang von Tschao i) begegnet und hatte von diesem
Wohlthaten empfangen. Der Kaiser verlieh ihm jetzt die Würde eines
Lehensfürsten innerhalb des Grenzpasses. Er kehrte gemeinschaft
lich mit Siü-siuen in seinen Geburtsort zurück und starb in seinem
Hause. Lieu-kung machte sich zum Rächer Keng-schi's und tüdtete
Sie-lö. Er legte sich hierauf selbst in Bande und stellte sich den
Gerichten. Er wurde begnadigt und erlitt keine Strafe.
Der Kaiser hatte Mitleid mit Fen-tse. Er beschenkte ihn sehr
reichlich und ernannte ihn zum Leibwächter des Königs von Tschao.
Später verlor Fen-tse in Folge von Erkrankung die Klarheit seines
Geistes. Der Kaiser schenkte ihm jetzt das Land einer Obrigkeit der
gleichmässigen Hinwegführungen und liess ihn daselbst Marktbuden
errichten a ). Er gewährte ihm den lebenslänglichen Bezug der Ab
gaben.
1) Lieu-liang, der nachherige König Hiao von Tschao, war der Oheim des Kaisers
Kuang-wu.
2 ) Die Provinzen, Reiche und Länder der Lehensfürsten brachten die Erzeugnisse der
Gegend als Tribut. Bei dem Fortschaffen der Gegenstände hatten sie vieles Un
gemach, und die Kosten wurden ihnen nicht vergütet. Man setzte daher in den
Provinzen und Reichen Obrigkeiten des Hinwegführens ein, welche die Gegen-
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
309
Wang-tschang.
E3 iE Wang-tschang, der init Namen auch Lang ge-
genannt wird, war zu Han-tan in dem Reiche Tschao geboren.
Eigentlich ein Wahrsager und Menschenbeobachter, hatte er durch
seine Kunst Einsicht in den Laut' der Sterne. Er war immer der
Meinung, dass das Land im Norden des Flusses von der Luft des
Himmelssohnes erfüllt sei.
Der damals lebende )jy|^ Lin, ein Sohn des Königs Mo von
Tschao *), war ein Freund wunderbarer Berechnungen. Er trat in
dem zwischen Tschao und Wei gelegenen Lande als Schirmvogt
auf und verkehrte viel mit gewaltigen und verschmitzten Männern,
wobei auch Wang-lang ihm nahe kam und mit ihm auf gutem Fusse
stand.
Zur Zeit als Wang-mang sich die Würde des Himmelssohnes
anmassle, war in Tschang-ngan ein Mann, der sich für Uf?7 -p
Tse-yü, den Sohn des Kaisers Tsching, ausgab 2 ). Derselbe wurde
auf Befehl Wang-mang’s getödtet. Wang-lang hielt sich an dieses
Ereigniss und gab sich fälschlich für den wahren Tse-yü aus. Er
erzählte, seine Mutter, eine Sängerin des ehemaligen Kaisers Tsching,
sei von der Vorhalle herabgestiegen und habe sich plötzlich nieder
gelegt. Nach einer Weile habe sich ein gelber Dunst aus der Höhe
herabgesenkt und sei gegen Mittag zergangen. Sie sei hierauf
schwanger geworden und habe sich in das Gebäude der Gäste be
geben, wo ihr die Königin von dem Geschlechte Tschao a) Böses
zufügen wollte. Durch die Unterschiebung eines fremden Kindes sei
ihm das Leben erhalten worden*).
stände unaufhörlich umherführten und mit dem Namen „Obrigkeiten der Hinweg
führungen“ bezeichnet wurden. In den Marktbuden trieben diese Obrigkeiten mit
den Gegenständen des Tributs Handel.
*) Der ehemalige König Mo von Tschao war der Nachkomme des Kaisers King von
Han in gerader Linie und in siebenter Folge (der Sohn des Urenkels des Ur
enkels).
2 ) Die Geschichte Wang-mang’s sagt: Um die Zeit legte ein Mann Namens Wu-
tschung sich den Namen Lieu-tse-yü bei.
3 J Die Königin Tschao-fei-yen.
4 ) Die Geschichte der östlichen Warte sagt: Eine Sclavin des Palastes gebar genau
um dieselbe Zeit ein Kind, das man unterschob.
21°
310
P f i z m a i e r
Als der vorgebliche Tse-yü zwölf Jahre alt war, sollte es der
Leibwächter|j||f Li-man-king gewesen sein, der den Be
fehl des Himmels erkannte. In Begleitung dieses Mannes reiste er
nach Scho. Mit siebzehn Jahren gelangte er nach Tan-yang
Zwanzig Jahre alt, kehrte er nach Tschang-ngan zurück. Von dort
warf er sich nach Tschung-schan und kam nach Yen und Tschao,
wo er auf seine Zeit gewartet haben wollte.
Lin und dessen Genossen wurden immer mehr durch Zweifel
und Wahngebilde beunruhigt. Sie verkehrten jetzt mit
Li-yö, tjj^ Tschang-tsan und anderen grossen Gewaltigen des
Reiches Tschao und stellten bei ihren ßerathungen in Aussicht, ge
meinschaftlich Wang-lang einzusetzen. Als die Menschen einander
erzählten, dass die rothen Augenbrauen den Fluss überschreiten
würden, verbreiteten Lin und dessen Genossen bei diesem Anlasse das
Gerücht, dass die rothen Augenbrauen Lieu-tse-yü einzusetzen ge
dächten. Hierdurch wollten sie die Gesinnung der Menge erforschen,
und es gab unter den Geschlechtern des Volkes Viele, die ihnen
Glauben schenkten.
Im zwölften Monate des ersten Jahres des Zeitraumes Keng-schi
(23 n. Chr.) stellten sich Lin und dessen Genossen an die Spitze
von mehreren hundert Wagen und Reitern und zogen am frühen
Morgen in die Feste von Han-tan. Daselbst machten sie in dem Pa
laste der Könige 2 ) Halt und erhoben Wang-lang zum Himmelssohne.
Lin wurde der Reichsgehilfe. Li-yö wurde der grosse Vorsteher der
Pferde. Tschang-tsan wurde der grosse Heerführer. Man vertheilte
und entsandte hierauf die Anführer. Dieselben durchzogen und unter
warfen die Landstriche Yeu-tscheu und Ki-tscheu. Man überführte
die schuhlangen Tafeln nach den Landstrichen und Provinzen. Auf
diesen Tafeln stand Folgendes geschrieben:
„Die ausgefertigte höchste Verkündung an die stechenden Ver-
merker der Abtheilungen und die Statthalter der Provinzen lautet:
Ich, der Kaiser, bin Tse-yü, der Sohn des Kaisers Hiao-tsching.
Ich erlebte einst das Unglück durch das Geschlecht Tschao s). Dess-
*) Tan-yang- war ein Lehen von Tsu und befand sich im Osten des späteren Districtes
Tse-kuei in Kuei-tscheu.
7 ) Der Palast der alten Könige von Tschao.
3 ) lm ersten Jahre des Zeitraumes Yung-schi (16 v. Chr.) wurde die Tsie-yü von
dem Geschlechte Tschao zur Königin ernannt. Ihre Schwester Hö-te erhielt das
Amt der Tschao-I.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
311
wegen und weil Wang-mang widerrechtlich sich anmasste und
tödtete, hatte ich das Vertrauen, dass diejenigen, welche den Befehl
erkannten i)> schützen würden meinen, des Kaisers Leib. Ich machte
meine Gestalt los 2 ) an den Ufern des Flusses. Ich tilgte meine Fuss-
spuren in Tschao und Wei. Wang-mang stahl die Rangstufe und
versündigte sich an dem Himmel. l)er Befehl des Himmels kam zu
Hilfe Han. Deswegen hiess er TI-I, den Statthalter der östlichen
Landschaft, und Lieu-sin, Lehensfürsten von Yen-hiang, in die Arme
schliessen die Angriffswaffen, Eroberungen machen und strafen s).
Sie zogen aus und traten ein in Hu und Han. Der ganze Himmel, die
gesammte Erde wussten, dass ich, der Kaiser, verborgen mich unter
den Menschen befinde. Die Mitglieder des Geschlechtes Lieu von der
südlichen Berghöhe 4 ) waren meine Vorläufer. Ich, der Kaiser, blickte
empor und beobachtete den Schmuck des Himmels. Da erhob ich
mich um diese Zeit. In diesem Monate, an dem Tage Jin-schin ge
langte ich zu der Würde in dem Palaste von Tschao. Die ausgeruhte
Luft steigt wallend empor, zur entsprechenden Zeit erhält man den
Regen. Ich habe nämlich gehört: die Lenkung des Reiches übernimmt
der Sohn von dem Vater. Dies bleibt in dem Alterthum und in der
Gegenwart unverändert. Lieu-sehing-kung kannte mich, den Kaiser,
nicht, desswegen griff er vorläufig nach dem Namen des Kaisers.
Alle, welche gerechte Waffen erhoben, leisteten dadurch Hilfe mir,
dem Kaiser. Ich will für sie Land zerreissen und Glück angedeihen
lassen ihren Söhnen und Enkeln. Es erging bereits eine höchste Ver
kündung, dass Sching-kung und der Statthalter von dem Geschlechte
*) Die Geschichte der östlichen Warte sagt: Unter denjenigen, welche den Befehl
(das Schicksal) erkannten, verstand er den aufwartenden Leibwächter Han-kung
und Andere.
2 ) Seine Gestalt losmachen, ist so viel als sich retten.
3 ) Im zweiten Jahre des Zeitraumes Kiü-tsche (7 n. Chr.) griff ^ TT-I,
Statthalter von Tung-kiiin, zu den Waffen, um Wang-mang zu strafen. Zugleich
setzte er Lieu-sin, Lehensfürsten von Yen-hiang, zum Himmelssohne ein. Durch die
ausgesandte Streitmacht Wang-mang’s wurde Ti-I geschlagen und fand den Tod.
Lieu-sin entkam durch die Flucht.
*) Sching-kung und Kuang-wu waren ursprünglich von Tschung-ling nach Norden
gezogen. Das alte Tschung-ling lag in der Nähe des Berges Heng-schan. Dess
wegen heissen sie hier die Mitglieder des Geschlechtes Lieu von der südlichen
Berghöhe.
312
P f i z m a i e r
Ti *) schleunigst mit den verdienstvollen Dienern sich begeben mögen
an meinen Haltplatz. Ich vermuthe, dass die stechenden Yermerker
und die Angestellten der zweitausend Scheffel durch Sching-kung
eingesetzt sind. Sie haben noch nicht gesehen, dass ich, der Kaiser,
nicht angebracht bin. Einige verstehen es nicht, sich zu entfernen
und hinzuzutreten. Die Starken verlassen sich auf ihre Kraft. Die
Schwachen sind voll Bangen und Bestürzung. Jetzt sind unter den
Menschen des Volkes die Verwundeten und Verletzten mehr als die
Hälfte. Mich, den Kaiser, schmerzt dieses sehr. Desswegen schicke ich
Abgesandte und heisse sie nach unten verbreiten die Schrift der
höchsten Verkündung.“
Weil die Geschlechter des Volkes sich nach Han sehnten und
Viele sagten, dass Ti-I nicht gestorben sei, nannte Wang-lang
fälschlich diesen Mann und erfüllte dadurch die Hoffnungen der
Menschen. Alles Land nördlich von dem Beiche Tschao und westlich
von Liao fiel ihm jetzt zu.
Im ersten Monate des nächsten Jahres (24 n. Chr.) durchstreifte
der nachmalige Kaiser Kuang-wu, da das Beginnen Wang-lang's
eben erst einen vollständigen Erfolg hatte, im Norden das Gebiet
vonKi 2 ). Wang-lang liess die schuhlangen Tafeln ausführen und
suchte Kuang-wu mit einem Lehen von zehnmal zehntausend Thüreu
des Volkes zu bestechen, während
ehemaligen Königs von Kuang-yang, in Ki zu den Waffen griff und
sich mit Wang-lang verständigte. In der Feste herrschte Verwirrung
und Schrecken. Als es hiess, dass ein Abgesandter aus Han-tan eben
ankomme, zogen alle Angestellten, von denjenigen der zwei
tausend Scheffel abwärts, ihm entgegen. Kuang-wu fuhr jetzt eilig
nach Nan-yuen. Weder am frühen Morgen noch in der Nacht ge
traute er sich, Festen und Städte zu betreten. Er hielt zur Seite der
Wege, wo er die Mahlzeiten einnahm. Auf diese Weise gelangte er
nach Jao-yang s).
*) Der oben genannte TT-I.
2 ) Der District Ki gehörte zu der Provinz Tschö. Derselbe ist der spätere District
Yeu-tscheu.
3 ) Der Name eines Districtes. Derselbe gehörte zu dem Reiche Ngan-ping und lag
im Norden des Flusses Jao. Die alte Feste lag im Nordosten des Districtes Jao-
yang in dem späteren Ying-tscheu.
«
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han. 313
Die Zugetheilten der Ämter hatten Mange) an Lebensmitteln.
Kuang-wu nannte sich einen Abgesandten aus Han-tan und trat in
ein Posthaus. Während die Angestellten der Post Lebensmittel dar
reichten, riss sein hungerndes Gefolge alles wetteifernd an sich. Die
Angestellten der Post schöpften Argwohn und glaubten, dass hier ein
Betrug obwalte. Sie Hessen mehrere zehnmal die Trommel rühren
und sagten arglistiger Weise, dass ein Heerführer aus Han-tan an
komme. Die Zugetheilten der Ämter erblassten. Kuang-wu bestieg
den Wagen und wollte davonjagen. Sofort fürchtete er jedoch, dass
er nicht entkommen werde. Er ging daher langsam zu seinem Sitze
zurück und sprach: Ich lasse den Heerführer aus Han-tan bitten,
dass er eintrete. — Nach längerer Zeit fuhr er auf seinem Wagen
fort. Die Menschen in dem Posthause riefen den Thorwächtern von
ferne zu, dass sie ihn einschliessen mögen. Der Älteste des Thores
erwiederte: Wie kann man wissen, wessen die Welt ist? Und sollen
wir da einen Höherstehenden einschliessen?
Kuang-wu konnte demnach in südlicher Richtung ausziehen.
Indem er seinen Weg am frühen Morgen und in der Nacht verfolgte,
stiess er auf Reif und Schnee. Von der Kälte, die jetzt eintrat, sprang
Allen das Gesicht auf. Als er zu dem Flusse Hu-to <) gelangte, waren
daselbst keine Schiffe. Da dieser Fluss eben zufror, konnte man hin
überziehen, wobei mehrere Wagen noch vor dem vollständigen
Übergange versanken 2). Er rückte hierauf vorwärts und gelangte
zu der Gegend westlich von der Feste des unteren Pö s ). In seiner
Hast und Ungewissheit wusste er nicht, wohin er sich wenden solle.
Da stand ein weissgekleideter Greis an der Seite des Weges, deutete
mit dem Finger und sprach: Trachte mit dem Aufgebot aller Kraft
1 ) Der Fluss Hu-to zieht durch Ting-tscheu. Die Stelle, an welcher Kuang-wu über
diesen Fluss setzte, befindet sich im Südosten des Districtes Schin-schi.
2 ) Das Buch der fortgesetzten Han sagt: Um die Zeit war das Eis glatt und die
Pferde stürzten zn Boden. Jeder Mann füllte jetzt einen Sack mit Sand und
streute diesen über das Eis. Somit bewerkstelligte man den Übergang.
3 ) Der District des unteren Pö gehörte zu dem Reiche Sin-tu. Derselbe lag an dem
unteren Laufe des Flusses Pö und hiess desshalb das untere Pö. Die alte Feste
des Districtes liegt im Süden des Districtes Hia-po in dem späteren Ki-tscheu.
\) Der Greis war, wie angegeben wird, ein göttlicher Mensch. Gegenwärtig ist im
Westen des Districtes Hia-pö noch die Halle eines Tempels vorhanden.
■
a
314
P f i z m a i e r
nach der Provinz Sin-tu •). Sie dient zur Beobachtung von Tschang-
ngan und ist von hier achtzig Weglängen entfernt. Kuang-wu eilte
sofort nach Sin-tu, wo der Statthalter Jin-kuang die Thore
öffnete und ihm entgegenzog.
Indem er jetzt die Streitkräfte der benachbarten Districte aus
rücken liess, erlangte er viertausend Krieger. Mit dieser Macht
richtete er zuerst einen Angriff gegen die Districte Tang-yang und
Sehe 2 ), die sich ihm unterwarfen. Nachdem sein Heer allmählich zu
einer Stärke von mehreren zehntausend Kriegern angewachsen,
unternahm er einen Angriff auf Pe-jin, das er nicht zur Unterwerfung
bringen konnte. Seine Räthe waren der Meinung, dass man Pe-jin
am besten bewache, wenn man Kiü-lö zurechtstelle. Kuang-wu führte
jetzt seine Streitmacht nach Nordwesten und belagerte Kiü-lö, das
von Jr)=l Wang-jao, dem Statthalter Wang-lang's, vertheidigt
wurde. Ein durch mehrere Decaden fortgesetzter Angriff hatte keinen
Erfolg, Keng-schün sprach über den Gegenstand und
sagte: Wenn wir Wang-jao lange Zeit bewachen, wird die Menge
der Kriegsmänner ermatten und untüchtig sein. Man muss, sobald
man zu Grösse gelangt und die Streitmacht auserlesen und tüchtig
ist, vorrücken und Han-tan angreifen. Wenn Wang-lang bestraft ist,
wird Wang-jao ohne Kampf sich unterwerfen.
Kuang-wu war hiermit einverstanden. Er liess den Heerführer
jfpjjl ^J^Teng-muan zur Beobachtung Kiii-lö's zurück und führte
das Kriegsheer gegen Han-tan, wo er vor dem nördlichen Thore der
Vorstädte lagerte. Wang-lang zog mehrmals aus der Stadt und be
stand Kämpfe, in denen er nichts ausrichtete. Er beauftragte jetzt
seinen berathenden Grossen ^tpTu-wei, das Abschnittsrohr zu
ergreifen und wegen der Übergabe zu unterhandeln. Tu-wei be
diente sich zierlicher Worte und sagte, dass Wang-lang wirklich der
Leibeserbe des Kaisers Tsehing sei. Kuang-wu entgegnete: Gesetzt,
Kaiser Tsehing würde wieder lebendig, so könnte die Welt durch
ihn nicht gewonnen werden. Um wieviel weniger vermöchte dies ein
falscher Tse-yü!
*) Die Provinz Sin-tu ist das spätere Ki-tscheu.
2 ) Tang-yang- und Sehe gehörten zu der Provinz Kiü-lö. Tang-yang liegt im Norden
des Flusses Tang und ist der spätere District Ki-tscheu. Die alte Feste desselben
liegt südwestlich von den späteren Districten Ki-tscheu und Lö-tsching.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
315
Tu-wei bat für Wang-lang um ein Lehen von zehntausend
Thiiren des Volkes. Kuang-wu sprach: Ich dächte, wenn ihr den
Leib unversehrt erhaltet, so könnt ihr es thun. — Tu-wei erwie-
derte: Ist Han-tan auch eine elende Stadt, wenn wir unsere Kraft
vereinen und uns mit Ausdauer vertheidigen, verbringen wir noch
Tage und Monde. Niemals werden Landesherr und Diener ein
ander vorangehen und bloss den Leib unversehrt erhalten. — Er
nahm die Bedingungen nicht an und entfernte sich.
Man setzte demnach die Angriffe durch zwanzig Tage mit gros
sem Eifer fort. 3t ^ Li-ll, der kleine Zugesellte Wang-lang’s, be
ging Verrath. Er öffnete das Thor und Iiess die Streitmacht von Han
ein. Man eroberte Han-tan. Wang-lang ergriff nächtlich die Flucht
und starb auf dem Wege. Die Verfolger schlugen ihm das Haupt ab.
Lieu-yung.
^j^^ljLieu-yung stammte ausSui-yang in der Provinz Liang und
war der Nachkomme des Königs Hiao von Liang in gerader Linie
und in achter Folge <)• Dieser König vererbte das Reich bis auf
3t L i, den Vater Lieu-yung’s. In dem Zeiträume Yuen-schi (1 bis 5
n. Chr.) verkehrte König Li mit dem Hause der zu dem Geschlechte
Wei gehörenden Mutter des Kaisers Ping und ward desshalb auf Be
fehl Wang-mang’s hingerichtet.
Als Keng-schi zur Würde des Himmelssohnes gelangte, begab
sich Lieu-kung zuerst nach Lu-yang und wurde mit Rücksicht auf
seinen Vater wieder in das Lehen eines Königs von Liang eingesetzt.
Er machte Sui-yang zu seiner Hauptstadt.
Als Lieu-yung von der Unordnung der Lenkung Keng-schi’s
hörte, hielt er sich an sein Reich und griff zu den Waffen. Er er
nannte seinen jüngeren Bruder Fang zu dem das Reich stützen
den grossen Heerführer, den jüngeren Bruder Fang's zu dem das
Amt eines kaiserlichen Vermerkers bekleidenden Grossen und verlieh
diesem zugleich das Lehen eines Königs von Lu. Hierauf rief er die
*) Der sogenannte Enkel des achten Geschlechtsalters, d. i. der Enkel des Urenkels
des Urenkels,
316
Pfizmaier
gewaltigen und hervorragenden Männer der Provinzen herbei.
jj^Tscheu-kien, ein Eingehorner von Pei, und Andere traten
gemeinschaftlich in die verschlossene Abtheilung und wurden An
führer und Häuptlinge. Indem man Thsi-yin, Schan-yang, Pei, Tsu,
Hoai-yang und Jü-nan überfiel und unterwarf, gelangte man in
den Besitz von acht und zwanzig festen Städten. Ausserdem schickte
Lieu-kung einen Abgesandten an ijtS Kiao-kiang aus Schang-
yang, einen Häuptling der Räuber von Si-fang J ), und ernannte ihn
zu dem „in der Quere wandelnden“ (hung-hang) Heerführer.
Um diese Zeit griff-j|g- Tung-hien , ein Eingehorner von
Tung-hai, zu den Watfen und setzte sich in seiner Provinz fest,
während ^ 'S Tschang-pu ebenfalls das Gebiet von Tsi zurecht
stellte. Lieu-yung schickte einen Abgesandten und ernannte Tung-
hien zu einem „Han mit den Flügeln deckenden“ grossen Heerführer,
Tschang-pu zu einem „Han stüzenden“ grossen Heerführer. Er
vereinigte seine Kriegsmacht mit derjenigen der genannten Anführer
und hielt dann die Gegenden des Ostens ausschliesslich besetzt. Als
Keng-schi geschlagen wurde, legte sich Lieu-yung die Benennung
des Himmelssohnes bei.
Im Sommer des zweiten Jahres des Zeitraumes Kien-wu (26 n.
Chr ) entsandte Kuang-wu den die Stelle eines grossen Heerführers
des Tigerzahnes bekleidenden Kai-yen und Andere zum An
griffe gegen Lieu-yung. Vordem war Su-meu, ein Eingehorner von
Tschin-Iieu, der „bei dem Unheil strafende“ Heerführer Keng-schi’s
gewesen und hatte in Gemeinschaft mit Tschü-wei und Anderen die
Hauptstadt Lö-yang vertheidigt. Nachdem Tschü-wei sich an Han er
geben, wandte auch Su-meu sich dem höchsten Befehle zu. Kuang-
wu beauftragte daher Su-meu, zugleich mit Kai-yen den Überfall
gegen Lieu-kung auszuführen. Bei dem Kriegsheere konnten sich
diese zwei Männer nicht mit einander vertragen. Su-meu fiel hierauf
ab. tödtete den Statthalter von Hoai-yang und plünderte mehrere
Districte, die in seinen Besitz gelangten. Er setzte sich in Kuang-Iö
fest und erklärte sich zu einem Unterthan Lieu-kung’s. Dieser er
nannte Su-meu zum grossen Vorsteher der Pferde und zum Könige
von Hoai-yang.
*) Si-fang ist der Name eines Districtes. Die alte Feste desselben liegt im Norden
des späteren Districtes Tan-fu in Sung-tscheu.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
317
Kai-yen schritt jetzt zur Belagerung von Sui-yarig, das er
nach einigen Monaten eroberte. Lieu-kung floh mit den .Angehörigen
seines Hauses nach Yü 1 ). Die Einwohner von Yü fielen von ihm ab
und tüdteten seine Mutter sammt seiner Gattin und seinen Kindern.
Lieu-kung floh mit etlichen zehn Menschen, die unter seinen Fahnen
dienten, nach Tsiao. Su-meu, Kiao-kiang und Tscheu-kien, die ihre
Kriegsheere vereinigt hatten und Lieu-kung zu Hilfe gezogen waren,
wurden durch Kai-yen geschlagen. Su-meu floh nach Kuang-lö zu
rück. Kiao-kiang und Tscheu-kien flohen mit Lieu-kung nach Hu-
ling und suchten sich daselbst zu schützen.
Im Frühlinge des dritten Jahres des Zeitraumes Kien-wu (27 u.
Chr.) schickte Lieu-kung einen Abgesandten und ernannte Tschang-
pu zum Könige von Tsi, Tung-hien zum Könige von Hai-si. Kuang-wu
entsandte jetzt den grossen Vorsteher der Pferde J^L U-han
nebst Anderen und liess durch sie Su-meu in Kuang-lö belagern.
Tscheu-kien kam Su-meu an der Spitze einer Heeresmenge zu Hilfe,
allein er sowohl als Su-meu wurden in dem Kampfe geschlagen. Sie
verliessen die Feste und kehrten nach Hu-linar zurück. Unterdessen
O
empörten sich die Bewohner von Sui-yang sammt ihrer Feste und
holten Lieu-yung herbei. U-han vereinigte sein' Kriegsheer mit der
Macht Kai-yen’s und Anderer und schritt zur Belagerung von Sui-
yang. Als in der Feste die Lebensmittel ausgingen, floh Lieu-yung
mit Su-meu und Tscheu-kien nach Tso 2 ). Die feindlichen Anführer
verfolgten sie in Eile, worauf-^p Khing-ngu, einer der Anführer
Lieu-kung's, diesem das Haupt abschlug und sich an Han ergab.
Khing-ngu wurde später zum Lehensfürsten ernannt. Su-meu und
Tscheu-kien flohen nach Tschui-hoeis) und erhoben Yü, den
Sohn Lieu-yung's, zum Könige von Liang. Kiao-kiang kehrte nach
Si-fang zurück, wo er sich zu schützen suchte.
Im Herbste des vierten Jahres des Zeitraumes Kien-wu (28 n.
Chr.) entsandte Kuang-wu den „die Gefangenen (d. i. die Hiung-
t) Der DistrictYii gehörte z.u dem Reiche Liang. Die alte Feste dieses Districtes liegt
in dem späteren Districte Yii-tsehing in Sung-lscheu.
3 ) Ein District des späteren Pö-tscheu.
3 ) Der Name einer Niederlassung. Dieselbe befand sich im Nordwesten des späteren
Districtes Schan-sang in Pö-tscheu. Sie heisst auch Li-tsching (die Feste der
Artigkeit).
318
P f i z m a i e r
nu’s) festnehmenden“ (pu-lu) Heerführer Ma-wu und den
die Stelle eines Beruhigers der Hauptstadt für die Beiter bekleidenden
Wang-pa, welche Lieu-yü und Tscheu-kien in Tschui-hoei
belagerten. Su-meu kam den Belagerten an der Spitze der Streitmacht
der fünf Hiao zu Hilfe. Lieu-yü und Tscheu-kien liessm ebenfalls ihre
Streitmacht ausrücken und kämpften mit Ma-wu und dessen Genos
sen, wobei sie nichts ausrichteten. Unterdessen bewerkstelligte
||||Sung, der Bruderssohn Tscbeu-kien’s den Abfall. Er verschloss
die Thore der Feste und stellte sich den Zurückkehrenden entgegen.
Tscheu-kien, Su-meu, Lieu-yü und die Übrigen entflohen. Tscheu-
kien starb auf dem Wege. Su-meu floh nach Hia-pei und vereinigte
sich mit Tung-hien. Lieu-yü floh zu Kiao-kiang.
Im fünften Jahre des Zeitraumes Kien-wu (29 n. Chr.) entsandte
Kuang-wu den, die Stelle eines grossen Heerführers der raschen
Reiter bekleidenden^^ ^j;^Tu-meu und liess durch ihn Kiao-kiang
in Si-fang angreifen. Kiao-kiang floh mit Lieu-wu zu Tung-hien. Um
diese Zeit bewerkstelligte der „den Frieden mit den nördlichen
Fremdländern herstellende“ (ping-ti) Heerführer)^ jj|j| Pang-meng
seinen Abfall von Han. Dieser Heerführer drang sofort gegen Kai-
yen, schlug ihn und vereinigte sich, die Kriegsmacht vorwärts
führend, mit Tung-hien. Er legte sich den Namen eines Königs von
Tung-ping bei und lagerte im Norden des Bezirkes Tao i).
Pang-meng, einEingebornervonSchan-yang, hatte sich ursprün
glich den Befehlen durch die Flucht entzogen und befand sich unter den
Kriegern von Hia-kiang. Bei der Erhebung Keng-schi's wurde er zum
Landpfleger von Ki-tscheu ernannt. Als solcher gesellte er sich an der
Spitze einer Kriegsmacht zu dem die Stelle eines Gebietenden des ober
sten Buchführers bekleidenden^^ gl|jSie-kung und sollte mit diesem
gemeinschaftlich Wang-lang vernichten. Nach der Niederlage Sie-
kung's ergab sich Pang-meng an Han. Kuang-wu, zur Würde des Him
melssohnes gelangt, ernannte ihm zu einem Aufwartenden im Inneren.
Pang-meng war ein bescheidener und gefälliger Mann, dem
vieles Zutrauen und Liebe geschenkt ward. Der Kaiser sagte einst
von ihm: Derjenige, dem man die sechs Schuhe messenden Waisen
*) Die alte Feste des Bezirkes Tao lag im Nordwesten des späteren Districtes Kung-
khieu in Yuen-tselteu.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
319
anvertrauen, den höchsten Befehl auf einer Strecke von hundert
Weglängen überantworten kann, ist Pang-meng. — Er ernannte ihn
zu dem „den Frieden mit den nördlichen Fremdländern herstellen
den“ Heerführer, in welcher Eigenschaft er gemeinschaftlich mit
Eai-yen einen raschen Angriff gegen Tung-hien richtete. Um die
Zeit wurde die Schrift der höchsten Verkündung bloss an Kai-yen
erlassen, gelangte aber nicht an Pang-meng. Dieser glaubte, dass
Kai-yen ihn verläumdet habe. Er schöpfte Argwohn und und fiel so
gleich ab.
Als der Kaiser dies erfuhr, gerieth er in grossen Zorn und
stellte sich in eigener Person an die Spitze der Macht, die zur Be
strafung Pang-meng’s bestimmt war. ln der Schrift, die er an
sämmtliche Anführer erliess, sagte er: Ich nannte Pang-meng immer
einen Diener der Landesgötter. Ist es euch Heerführern möglich, nicht
über dieses Wort zu lachen ? Der alte Räuber soll mit seinem Ge
schlecht ausgerottet werden. Jeder von euch schärfe die Waffen,
stelle die Pferde und vereinige sich in Sui-vang.
Als Tung-hien erfuhr, dass der Kaiser in eigener Person zur Be
strafung Pang-meng’s ausgezogen, verliess er Hia-pei und kehrte
nach Lan-ling zurückJ). Er entsandte Su-meu und Kiao-kiang, damit
sie Pang-meng Hilfe leisten. Diese Männer brachten dreissigtausend
Krieger zusammen und betrieben mit Eifer die Belagerung der Feste
von Tao.
Der Kaiser war um diese Zeit in Mung 2 ) eingetroffen. Als er
den Stand der Dinge erfuhr, liess er seine Lastwagen zurück und
eilte mit dreitausend leichten Reitern und einigen Zehntausenden
von Fussgängern dem Hauptheere zu. In Jin-tsching 3 ), sechzig Weg-
längeu von dem Bezirke Tao entfernt, machte er Halt. Am Morgen
und am Tage nähten ihm die Anführer mit Bitten, dass man vor
rücken möge, und auch die Räuber führten ihre Streitmacht vorwärts
<) Pen-hieu, ein Anführer Tung-hien's, hatte sich im siebenten Monate des vorher-
gegangenen Jahres mit der Feste von Lan-ling an Han ergeben. Tung-hien hatte
diese Feste belagert und sie im achten Monate des Jahres wieder erobert. Der
Dirtrict Lan-ling gehörte zu der Provinz Tung-hai. Die alte Feste desselben lag
im Osten des späteren Districtes Sching in I-tscheu.
2 ) Der District Mung gehörte zu dem Reiche Liang. Die alte Feste dieses Districtes
lag im Norden des späteren Sung-tscheu.
3 ) Jin-tsching (die Feste von Jin) war ein Reich in Yuen-tseheu.
320
P T i v. m a i e r
und forderten ihn zum Kampfe. Der Kaiser gab kein Gehör, sondern
liess die Kriegsmänner ausruhen und Kräfte sammeln, wodurch er
dem feindlichen Vorgehen die Spitze abbrach. Als man in der be
lagerten Stadt die Ankunft des Kaisers erfuhr, waren die Gemüther
Aller von noch grösserer Zuversicht erfüllt. Um diese Zeit standen
U-han und andere Heerführer in der Provinz des Ostens. Man liess sie
durch Eilboten herbeirufen.
Pang-meng und dessen Genossen zogen jetzt ihre gesammte
Streitmacht zusammen und stürmten die Feste durch zwanzig Tage.
Das Heer ermattete und man konnte die Feste nicht bezwingen. Als
U-han mit den Heerführern ankam, stellte er sich an die Spitze des
gesammten Kriegsheeres und rückte gegen die Feste von Tao vor,
wobei der Kaiser in eigener Person angriff und kämpfte. Der Feind
erlitt eine grosse Niederlage. Pang-meng, Su-meu und Kiao-kiang
verliessen nächtlich ihre Lastwagen und ergriffen die Flucht. Tung-
liien sammelte in Gemeinschaft mit Lieu-yü die gesammte Streitmacht,
deren Stärke mehrere zehntausend Krieger betrug, und lagerte in
Tschang-liü 1 ). Er selbst befehligte die auserlesenen Krieger, mit denen
er in Sin-yanga) Widerstand leistete.
Der Kaiser entsandte zuerst U-han. Dieser Heerführer griff den
Feind an und schlug ihn. Tung-hien floh nach Tschang-liü zurück,
wo U-han, der indessen vorgerückt war. ihn bewachte. Tung-hien,
von Furcht erfasst, lockte die übrigen Räuber der fünf Hiao (Abtbei
lungen), im Ganzen einige tausend Fussgänger und Reiter, an sich
und lagerte in Kien-yang s), dreissig Weglängen von Tschang-liü
entfernt. Der Kaiser gelangte nach Pi 4 ) und stand von dem Orte,
wo sich Tung-hien aufhielt, hundert Weglängen entfernt.
Die Heerführer stellten die Ritte, dass man vorrücken möge,
jedoch der Kaiser gab ihnen kein Gehör. Er wusste, dass die fünf
Hiao Mangel an Lebensmitteln litten und dass sie sich zurückziehen
1 ) Der District Tschang-liü gehörte zu der Provinz Tung-hai. Die alte Feste des
selben lag im Südosten des späteren Distrietes Teng in Siü-lscheu.
2 ) Der District Sin-yang gehörte zu der Provinz Tung-hai.
8 ) Der District Kien-yang gehörte zu der Provinz Tung-hai. Die alte Feste dieses
Distrietes lag im Norden des späteren Distrietes Sching in I-tscheu.
Der Name eines Distrietes, der zu dem Reiche Lu gehörte. Die alte Feste dieses
Distrietes lag in dem späteren Districte Teng iu Siü-tscheu. Der Name Pi lautet
auch Po.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
321
würden. Er erliess den Befehl, dass ein Jeder die Lagerwälle fest
hauen und die Erschöpfung des Feindes abwarten solle. Nach kurzer
Zeit waren die Mundvorräthe der fünf Hiao zu Ende gegangen und
der Feind zog wirklich ab. Der Kaiser überblickte jetzt in eigener
Person die vier Seiten des Heeres und griff Tung-hien unvermuthet
an. Nach drei Tagen hatte er ihm wieder eine grosse Niederlage
beigebracht. Die ganze Heeresmenge der Feinde floh und zerstreute
sich. Zu ihrer Verfolgung ward U-han ausgeschickt, worauf Kiao-
kiang mit seiner Heeresmenge sich ergab. Su-meu floh zu Tschang-
pu. Tung-hien und Pang-meng entflohen gleichfalls und traten in das
Gebirge von Tsing ‘).
Nach einigen Tagen erfuhren die Angestellten und Kriegsmän
ner des geschlagenen Heeres, dass Tung-hien noch am Leben sei.
Sie sammelten sich wieder an verschiedenen Orten und brachten
einige hundert Reiter zusammen, mit denen sie Tung-hien abholten
und sich in die Feste von Tau 3 ) begaben. U-han und die Übrigen
Heerführer eroberten Tan durch nochmaligen Überfall. Tung-hien
ergriff mit Pang-meng die Flucht und besetzte Kiüs)- Während Lieu-
yü nicht wusste, wohin er sich wenden
Kao-
hu, ein Kriegsmann seines Heeres, ihm das Haupt ab und ergab sich
an Han. In dem Gebiete von Liang wurde der Friede vollständig
hergestellt. U-han drang indessen vor und belagerte Kiü.
Im folgenden Jahre (30 n. Chr.) gingen die Getreidevor-
räthe in Kiü zu Ende. Tung-hien und Pang-meng räumten all
mählich die Feste und nahmen Kung-yii 4 ) durch Überfall weg.
l) Tsing ist der Name eines Districtes. Die alte Feste desselben lag im Nordosten
des späteren Districtes Scliing in I-tscheu. Das Gebirge von Tsing ist ein Gebirge
des genannten Districtes.
a ) Tan war ein District der Provinz Tung-hai.
3 ) Ein District der Provinz Tung-hai. Im Westen des späteren Districtes Kiü-schan
in Hai-tscheu liegt die alte Feste von Kiü.
4 ) Der spätere District Tung-hai in Hai-tscheu. Im Nordosten dieses Districtes lag
die Feste Ki. Die Geschichte der Wege des Landes sagt: In dem Meere daselbst,
einhundert neunzig Schritte von dem Ufer entfernt, befindet sich eine Steintafel
des Kaisers des Anfangs aus dem Hause Thsin. Dieselbe ist eine Klafter acht Schuh
hoch, fünf Schuh breit, acht Schuh drei Zoll dick. Sie enthält eine Zeile mit
dreizehn Schriftzeichen. Zur Fluthzeit steigt das Wasser über sie drei Klafter.
Zur Ebbezeit werden drei Schuh von ihr sichtbar.
322
P f i zma i er
I Tschin-tsiuen, Statthalter von Lang-ye, griff die Feste an.
Tung-hien und Pang-meng flohen in die Sümpfe. Als U-lian nach der
Eroberung der Feste von Kiü vorgerückt war, hatte er die Gattinnen
und die Kinder der Belagerten sämmtlich zu Gefangenen gemacht.
Tung-hien verabschiedete sich jetzt weinend von seinen Anführern
und sprach: Meine Gattin und meine Kinder sind bereits gefangen.
Wie traurig! Ich habe euch lange Zeit belästigt. — Er entfernte
sich nächtlich mit etlichen zehn Reitern und gedachte, auf Seiten
wegen sich den Feinden zuzuwenden und sich zu ergeben.
Han-tschen, ein Hiao-wei U-han's, verfolgte ihn indessen und schlug
ihm in Fang-yü das Haupt ab. Kien-Iing, ein Eingeborner
von Fang-yü, schlug seinerseits Pang-meng das Haupt ab. Die Häup
ter der Getödteten wurden von einem Standorte zum anderen bis
nach Lü-yang geschickt. Hierauf wurde Han-tschen zu einem Lehens
fürsten der Reihe, Kien-Iing zu einem Lehensfürsten innerhalb des
Grenzpasses ernannt.
Tschang-pu.
ikm Tschang-pu führte den Jünglingsnamen Wen-
kung und stammte aus Pü-khi in Lang-ye. Als die Streitmacht von
Han aufstand, sammelte Tschang-pu ebenfalls eine Menge von einigen
tausend Kriegern. Mit dieser Macht überfiel er im Umwenden die
angrenzenden Districte und eroberte einige feste Städte. Er machte
sich selbst zu einem Heerführer „der fünffachen Macht“ und setzte
sich hierauf in seiner Provinz fest.
Keng-sehi entsandte den aus der Provinz W'ei stammenden
-p Wang-hung, den er das Amt eines Statthalters von Lang-
ye bekleiden hiess. Tschang-pu stellte sich dem Statthalter ent
gegen, so dass dieser nicht weiter ziehen konnte. Wang-hung er
klärte sich gegen die Angestellten und das Volk durch Schrifttafeln
und brachte es dahin, dass sechs Districte, unter ihnen Kung-yü,
sich unterwarfen. Er sammelte einige tausend Krieger und kämpfte
mit Tschang-pu, ohne indessen den Sieg zu erringen.
Um die Zeit war Lieu-yung, König von Liang, nach den durch
Keng-schi eingesetzten Männern begierig. Die Kriegsmacht Tschang-
pu’s war stark. Lieu-yung ernannte daher, von der ihm verliehenen
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
323
Vollmacht Gebrauch machend, Tschang-pu zu einem „Han stützen
den“ grossen Heerführer und Lehensfürsten von Tschung-tsie. Er
stellte die beiden Landstriche Tsing-tscheu und Siü-tscheu unter
seine Obhut und hiess ihn dasjenige, das dem höchsten Befehle
nicht gehorchen würde, erobern. Tschang-pu, nach der Würde
und den Ehrentiteln begierig, nahm die Auszeichnung an. Er
ordnete jetzt seine Streitkräfte in Khie 4 ). Sein jüngerer Bruder
j^Hung wurde Heerführer der Leibwache. fi^Lan, der jüngere Bru
der Hung’s, wurde „grosser Heerführer von Hinen-wn“ a ). Jb!;
Scheu, der jüngere Bruder Lan’s, wurde Statthalter von Kao-mi. Die
von ihm ausgesandten Heerführer durchstreiften Tai-sehan, Tung-
lai, Tsching-yang, Kiao-tung, Pe-hai, Thsi-nan, Tsi und brachten
diese Provinzen zur Unterwerfung.
Tschang-pu vergrösserte sich durch Länder, die er sich zueig
nete, und seine Kriegsmacht wuchs mit jedem Tage. Wang-hung
besorgte, dass diese Heeresmenge sich ausbreiten werde. Er begab
sich daher zu Tschang-pu und wollte ihn bei der Zusammenkunft,
die er mit ihm hatte, auf die Seite der Gerechtigkeit leiten. Tschang-
pu veranstaltete eine grosse Aufstellung der Kriegsmacht, führte
Wang-hung hinzu und rief zornig: Was habe ich verbrochen, dass
es dir vordem beliebt hat, mich zu überfallen? Dieses ist zu arg! —
Wang-hung legte die Hand an das Schwert und antwortete: Der
Statthalter empfing den Befehl von dem Hofe, jedoch Wen-kung
umschloss die Angriffswellen und stellte sich mir entgegen. Ich
habe bloss einen Räuber überfallen. Wie lässt sich sagen, dass dies
zu arg ist?
Tschang-pu verstummte. Nach längerer Zeit verliess er die
Matte und brachte kniend Entschuldigungen vor. Er Hess hierauf
Musik aufführen, Wein darreichen und behandelte Wang-pu wie
einen höheren Gast. Er hiess ihn mit den Geschäften der Provinzen
eingehend sich befassen.
Im dritten Jahre des Zeitraumes Kien-wu (27 n. Chr.) wurde
H /j^Fö-lung, der Grosse des glänzenden Gehaltes, von Kuang-wu
mit dem Aufträge ausgesandt, in den Händen eine Beglaubigungsmarke
1 ) Der District Khie lag im Süden des späteren Districtes Scheu-kuang in
Tsing-tscheu.
~) Hiuen-wu ist der Gott der Gegend des Nordens.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. ßd. II. Hft.
22
324
Pfizmaier
zu halten und Tschang-pu nebst anderen Räubern die Landstriche
Tsing-tscheu und Siü-tscheu zur Unterwerfung zu bewegen. Er
überbracbte Tschang-pu dessen Ernennung zum Statthalter von
Tung-lai. AlsLieu-yung die Ankunft Fo-lung’s in Khie erfuhr, schickte
er einen Eilboten und erhob Tschang-pu zum Könige von Tsi.
Tschang-pu tödtete sofort Fö-lung und empfing den höchsten Befehl
von Lieu-yung. Um diese Zeit hatte der Kaiser im Norden die Sorge
wegen der Empörung Peng-tschung’s, Statthalters von Yü-yäng, im
Süden war er mit Liang und Tsu beschäftigt. Aus diesem Grunde
konnte Tschang-pu ausschliesslich in dem Lande Tsi seine Streit
macht sammeln und in zwölf Provinzen sich festsetzen.
Nach dem Tode Lieu-yung’s wollte Tschang-pu nebst Anderen
Yü, den Sohn Lieu-yung’s, zum Himmelssohne erheben, sich selbst
zu dem „das Reich Han bestimmenden“ Fürsten erklären und die
Obrigkeiten einsetzen. Dagegen machte ihm Wang-hung Vorstellun
gen, indem er sagte: Weil der König von Liang dem eigenen Herr
scherhause huldigte, mochte das Land im Osten der Berge einiger-
massen sich ihm zuwenden. Wenn wir jetzt seinen Sohn ehren und
ihn einsetzen, werden wir die Herzen der Menge mit Argwohn er
füllen. Auch sind die Menschen von Tsi sehr trügerisch. Es ist
angemessen, dass wir sie vorläufig täuschen. — Tschang-pu stand
demnach von seinem Vorhaben ab.
Im fünften Jahre des Zeitraumes Kien-wu (29 n. Chr.) erfuhr
Tschang-pu, dass der Kaiser ihn angreifen wolle. Er ernannte seinen
Heerführer Jj|?!j»Fei-yi zum Könige von Thsi-nan und liiess ihn
am Fusse des Berges Li seine Streitkräfte zusammenziehen. Im
Winter desselben Jahres zertrümmerte der „die Macht begründende
grosse Heerführer“ Keng-yen die Streitkräfte Fei-yi‘s, schlug diesem
das Haupt ah und eroberte bei weiterem Vorrücken Lin-thse.
Tschang-pu bedachte, dass bei der geringen Anzahl und der Ent
fernung der Streitkräfte Keng-yen’s ein belagerndes Heer ihnen in
einem einzigen Angrifte den Platz wegnehmen könne. Er stellte sich
daher an die Spitze seiner gesammten Heeresmacht und überfiel
Keng-yen in Lin-thse. Die Streitmacht Tschang-pu’s erlitt eine
grosse Niederlage, und er selbst floh nach Khie zurück.
Als hierauf der Kaiser in eigener Person sich nach Khie begab,
zog sich Tschang-pu auch von dort zurück und beschränkte sich auf
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
325
die Verteidigung von Ping-scheu «). Su-meu kam ihm mit zehn
tausend Kriegern zu Hilfe. Dieser Heerführer stellte Tschang-pu zur
Rede und sagte: Die Krieger von Nan-yang waren auserlesen, Yen-
tsin war in Kämpfen bewandert, aber Keng-yen schlug ihn in die
Flucht. Auf welche Weise könntest du, o grosser König, hinziehen
und sein Lager überfallen? Nachdem du mich gerufen, magst du
da nicht warten? — Tschang-pu antwortete: 0 Schande! Hierüber
lässt sich nichts sagen.
Der Kaiser schickte jetzt einen Abgesandten und liess Tschang-
pu und Su-meu sagen, dass er denjenigen von ihnen, der dem anderen
das Haupt abschlagen und sich ergeben möchte, zum Lehensfürsten
der Reihe ernennen würde. Tschang-pu schlug hierauf Su-meu das
Haupt ab, liess durch einen Abgesandten dieses Haupt darreichen
und ergab sich. Von den drei jüngeren Brüdern Tschang-pu's legte
sich ein Jeder an dem Orte, wo er sich befand, selbst in Bande und
stellte sich den Gerichten. Der Kaiser begnadigte sie und ernannte
Tschang-pu zum Lehensfürsten von Ngan-khieu. Derselbe wohnte
später mit den Angehörigen seines Hauses in LÖ-yang. Wang-hung
reiste ebenfalls nach Khio und ergab sich.
Im Sommer des achten Jahres des Zeitraumes Kien-wu (32
n. Chr.) nahm Tschang-pu seine Gattin und seine Kinder und floh
nach Lin-boai. Daselbst wollte er mit seinen jüngeren Brüdern Hung
und Lau seine alte Heeresmenge herbeirufen und auf Schilfen in
das Meer geben. Tscbin-tsiün, Statthalter von Läng-ye, setzte ihm
nach, machte auf ihn einen Angriff und schlug ihm das Haupt ab.
Der oben genannte Wang-hung war der Sohn Wang-tan's,
Lehensfürsten von Ping-O, der seinerseits ein Oheim Wang-mang’s.
Wang-hung war zu den Zeiten des Kaisers Ngan ein beständiger
Aufwartender der Mitte. Damals bekleidete der begünstigte Diener
Tung-hien das Amt eines grossen Vorstehers der Pferde und stand
in Folge der Gunst und der Liebe, die ihm der Kaiser zuwandte, im
höchsten Ansehen. Wang-hung machte oft Vorstellungen und trat
dem kaiserlichen Willen entgegen. Als Kaiser Ngai dem Tode nahe
war, übergab er Tung-hien das Siegel mit dem breiten Bande und
sagte: Gib es nicht auf Gerathewohl hin.
r ) Der spätere District Pe-hai in Tsing-tscheu.
22
326
Pfizmaier
Um die Zeit war in dem Reiche keine Nachfolge und kein Ge
bieter, des Inneren und des Äusseren bemächtigte sicli Furcht und
Bangen. .Wang-hung brachte der Kaiserin die Meldung und bat um
die Erlaubniss, Tung-hien das Siegel entreissen zu dürfen. Sofort
umgürtete er sich mit dem Schwerte und begab sich zu dem rück
wärtigen inneren Thore von Siuen-te ’). Daselbst erhob er die Hand
und schrie Tung-hien mit den Worten an: Der Wagen des Palastes
ist am Abend ausgefahren, die Nachfolge in dem Reiche ist noch
nicht festgesetzt. Du bist der Gnade in sehr grossem Masse theil-
haftig geworden, du solltest auf Händen und Füssen kriechend
schreien und weinen. Was gibt es, dass du so lange das Siegel mit
dem breiten Bande festhältst? Wartest du dabei, bis das Unglück
herangekommen ist? — Tung-hien erkannte, dass Wang-hung auf
den Tod gefasst sei und wagte es nicht, Einwendungen zu machen.
Er übergab ihm knieend das Siegel mit dem breiten Bande. Wang-
hung sprengte davon und überreichte es der Kaiserin. In der Vor
halle des Hofes pries man ihn wegen seiner Thatkraft.
Als Wang-mang sich die höchste Würde anmasste, fasste er
allmählig einen Widerwillen gegen Wang-hung. Er liess ihn jetzt
als Statthalter der Provinz des Ostens austreten. Wang-hung fürchtete
die Hinrichtung und hatte immer die Handflächen zusammengebunden.
Nach der Niederlage Wang-mang’s und der Erhebung der Streit
macht von Han bewahrte Wang-hung allein die Provinz des Ostens
mit dreissigmal zehntausend Thüren des Volkes unversehrt und ging
zu Keng-sclii, dem er sich unterwarf.
Li-hien.
-JNj- Li-hien stammte aus Hiü-tschang in Ying-tschuen und
war zu den Zeiten Wang-mang’s der „zugehörende Befehlshaber“ 2 )
von Lu-kiang. In den letzten Jahren Wang-mang’s erhoben sich
jij>J qp Wang-tscheu-kung und andere Räuber von Hia-kiang.
1 ) Die Abbildung der drei Stützen sagt: In dem Palaste Wi-yang befindet sich die
Vorhalle Siuen-te.
3 ) Wang-mang setzte in jeder Provinz einen zugehörenden Befehlshaber (schö-ling)
ein. Das Amt desselben entsprach demjenigen eines Beruhigers der Hauptstadt
(tu-wei).
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
3*27
Die Schaareu derselben, zu einer Menge von zehnmal zehntaasend
Menschen angewachsen, überfielen und plünderten Provinzen und
Districte. Wang-mang ernannte Li-hien zu einem Heerführer der
Seite und „unausgesetzt Vorangehenden“ (lien-sui) von Lu-kiang.
Li-hien griff die Schaareu Wang-tscheu-kung’s an und zersprengte
sie in raschem Angriffe. Nach der Niederlage Wang-mang's setzte
er sich in seiner Provinz fest und beschränkte sich auf die Ver
teidigung.
Im ersten Jahre des Zeitraumes Keng-schi (23 n. Chr.) erklärte
sich Li-hien zum Könige von Hoai-nan. Im dritten Jahre des Zeit
raumes Kien-wu (27 n. Chr.) bewerkstelligte er sofort seine Er
hebung zum Himmelssohne. Als solcher setzte er die Fürsten, Reichs
minister und Obrigkeiten ein. Er stützte sich auf neun feste Städte
und besass eine Menge von zehnmal zehntausend Kriegern.
Im Herbste des vierten Jahres des Zeitraumes Kien-wu (28
n. Chr.) gelangte Kuang-wu nach Scheu-tschün, von wo er den
„den Kriegsmuth ausbreitenden“ (yang-wu) Heerführer
Ma-tsching nebst Anderen aussandte. Dieselben griffen Li-hien rasch
an und belagerten ihn in Schü •). Im ersten Monate des sechsten
Jahres des Zeitraumes Kien-wu (30 n. Chr.) wurde die Feste er
obert und Li-hien ergriff die Flucht. rfj Fl ' [ ’ ein Kriegsmann
seines Heeres, setzte ihm nach, schlug ihm das Haupt ab und ergab
sich. Die Gattin und die Kinder Li-hien’s wurden schuldig befunden
und hingerichtet. Pl-I erhielt das Lehen eines Fürsten von Yü-pu.
Später brachten die übrig gebliebenen Genossen Li-hien's,
unter ihnen -j— yi=2 Tschün-yü-lin, noch eine Heeresmenge
von einigen tausend Menschen zusammen, mit denen sie auf den
Bergen von Tsien 2 ) lagerten. Von dort überfielen und tödteten sie
den Befehlshaber von Ngan-fung s). Jgj^ Ngeu-vang-hl,
der Landpfleger von Yang-tscheu, sandte gegen sie eine Streitmacht
aus, war aber nicht im Stande, diesen Feind zu bewältigen. Der
Kaiser hielt Rath und wollte die Empörer strafen. -£jH- ßiffl Tschin-
*) Der District Schü in Lu-kiang-.
2 ) Der District Tsien gehörte zu der Provinz Lu-kiang. Die alte Feste desselben
ist das spätere Scheu-tseheu.
3 ) Ngan-fung ist der Name eines Districtes der Provinz Lu-kiang.
328
P f i z m a i e r
tschung, ein Eingeborner von Lu-kiang, war ein „den Geschäften
Nachgehender“. Er meldete sich bei Ngeu-yang-lu und bat, dass es
ihm gestattet sein möge, sich gegen Tschün-yü-lin zu erklären und
ihn zur Unterwerfung zu bewegen. Er begab sich sodann auf einem
einzelnen, mit weissen Pferden bespannten Wagen zu Tschün-yü-lin,
sprach mit ihm und bewog ihn zur Unterwerfung. /j~ Kung-
seng, ein Eingeborner der Berge von Tsien, baute aus diesem An
lasse einen Tempel, und man bezeichnete Tschin-tschung mit dem
Namen: der den Geschäften Nachgehende von dem Geschlechte
Tschin mit den weissen Pferden.
Peng'-tschung.
GÖ Ihing-ischiing' führte den Jünglingsnamen yr \i\
Pe-thung und stammte aus Yuen in Nan-yang. Sein Vater Hung
war zu den Zeiten des Kaisers Ngai Statthalter von Yü-yang. Der
selbe hatte ein merkwürdiges Aussehen und war ein starker Trinker
und Esser. Er hatte Ansehen in den Grenzgegenden. Als Wang-mang
nach dem Antritte seiner Führerschaft diejenigen, die sich ihm nicht
anschlossen, hinrichten liess, verlor Peng-hung zugleich mit Ho-wu
und Pao-siuen das Leben.
Peng-tschung war in seiner Jugend ein Angestellter der Provinz.
In dem Zeiträume Ti-hoang (20 bis 23 n. Chr.) verrichtete er die
Geschäfte des grossen Vorstehers der Räume J ). Er zog im Gefolge
(Set Wang-yi’s nach Osten, um dem Kriegsheer von Han die
Spitze zu bieten. Als er nach Lö-yang gelangte, erfuhr er, dass sein
leiblicher jüngerer Bruder sich unter den Kriegern von Han befinde.
Er fürchtete die Hinrichtung und entfloh sofort mit seinem Bezirks
genossen U-lian. In Yü-yang angekommen, stellte er sich unter den
Schutz der Angestellten aus den Zeiten seines Vaters.
Als Keng-schi eingesetzt wurde, hiess er den „Anmelden
den 2 )“ |ijp Han-hung mit einer Beglaubigungsmarke in den
Zu den Zeiten Wang-mang’s wurden die Ämter der neun Reichsminister getheilt
und den drei Fürsten untergeordnet. Für jeden einzelnen Reichsminister wurden
drei „eigene Männer“ (yuen-sse) eingesetzt.
2 ) Rer Anmeldende fngo-tsche) hatte die Gäste des Hofes anzumelden.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
329
Landstrichen des Nordens i) umherziehen. Derselbe war im Be
sitze einer Vollmacht und konnte die Obrigkeiten, von den mit zwei
tausend Scheffeln Angestellten abwärts, eigenmächtig ernennen. Als
Han-hung jetzt nach Ki gelangte, war er, da sowohl Peng-tschung
als U-han alte Bekannte aus seinem Bezirke und seiner Gasse waren,
sehr erfreut, diese zu sehen. Er ernannte Peng-tschung sofort zum
Heerführer der Seite, wobei er ihn die Geschäfte eines Statthalters
von Yü-yang führen hiess, U-han zum Befehlshaber von Ngan-lo 2 ).
Als Kuang-wu, das Land im Norden des Flusses niederhaltend, in
Ki eintraf, lud er Peng-tschung schriftlich zu sich. Dieser hielt Rinder
und Wein bereit und war im Begriffe, die mit seinem Namen beschrie
bene Tafel zu überreichen. Um die Zeit hatte Wang-lang eben durch
Lüge seine Einsetzung zum Himmelssohne bewerkstelligt. Derselbe
liess die hölzernen Schrifttafeln von einem Orte zum anderen in Yen
und Tschao weitergehen und entsandte Heerführer, die, in Yü-yang
und Schang-ko umherziehend, diese Provinzen zur schleunigen Aus
schickung ihrer Streitkräfte aufforderten. Unter der Menge der Land
striche des Nordens waren Viele von Zweifel und Irrthum befangen
und wollten der Aufforderung Folge leisten. U-han sprach mit Peng-
tschung und bewog ihn, sich Kuang-wu anzuschliessen. Auch
Keng-hoang, Statthalter von Schang-ko, hiess den „ver
dienstvollen Richter“ Keu-siün sich zu Peng-tschung be
geben und mit diesem die Vereinbarung treffen, in Gemeinschaft mit
ihm sich unter den Schutz Kuang-wu’s zu stellen.
Peng-tschung schickte jetzt dreitausend Fussgänger und Reiter
aus und machte U-han zum wandelnden ältesten Vermerker. Nach
dem diese Macht ‘pj* Yen-siuen, den Beruhigen der Hauptstadt,
Kai-yen, den „Erhalter des Kriegsheeres“, ferner Wang-
liang, den Befehlshaber von Hu-nu 3 ), getroffen, vereinigte sie sich
mit dem Kriegsheere von Schang-ko und zog südwärts. Sie traf
Kuang-wu in Kuang-O 4 ). Kuang-wu, im Besitze der Vollmacht, er-
*) Die Landstriche Yeu-tscheu und Ping-tscheu.
2 ) Der District Ngan-lö gehörte zu der Provinz Yü-yang. Die alte Feste desselben
lag im Nordwesten des späteren Districtes Lu in Yeu-tscheu.
s ) Der District Hu-nu gehörte zu der Provinz Yü-yang.
Der District Kuang-0 gehörte zu der Provinz Kiii-lö. Die alte Feste desselben
liegt im Nordwesten des späteren Districtes Siang-tsching in Tschao-tscheu
330
P f i z m a i e r
nannte Peng-tschung zum Lehensfürsten von Kien-tschung und ver
lieh ihm den Titel eines grossen Heerführers. Bei der Belagerung
von Han-tan, die hierauf unternommen wurde, führte Peng-tschung
dem Heere die Mundvorräthe zu, die in Folge dessen zu keiner Zeit
ausgingen.
Nach dem Tode Wang-lang’s verfolgte Kuang-wu die Abtheilung
des „kupfernen Pferdes“ und kam nach Ki. Peng-tschung überreichte
die mit seinem Namen beschriebene Tafel. Er that sich viel auf seine
Verdienste zu Gute, und seine Wünsche und Erwartungen gingen
sehr hoch. Als Kuang-wu mit ihm zusammentraf, konnte er ihn nicht
befriedigen. Jener war desshalb im Herzen ungehalten. Kuang-wu
wusste dieses und befragte darüber Tscbü-feu, Statthalter
von Yeu-tscheu. Dieser antwortete: Zur Zeit als U-han im Norden
die Kriegsmacht hervorsandte, hinterliessest du, o grosser König,
Peng-tschung das Schwert, das du getragen hattest. Du verliessest
dich ferner auf ihn und machtest ihn zum Vorsteher der nördlichen
Wege. Peng-tschung sagte, bei seiner Ankunft hättest du ihm an der
kleinen inneren Thiire entgegen gehen, seine Hand ergreifen, im
Umgang freundlich sein und dich zu ihm setzen sollen. Weil dies
aber nicht der Fall war, wurde er seiner Hoffnungen verlustig. Ich
sage bei diesem Anlässe: Zur Zeit, als Wang-mang der Tsai beug >)
war, trat Kren-fung 2) am Morgen und am Abend bei ihm ein, um
sich mit ihm zu berathen. Die Zeitgenossen nannten ihn in ihren
Gesprächen: Kien-tschang-pe s), den mitternächtlichen Gast. Später,
als Wang-mang sich die Würde angemasst hatte, war Kien-fung im
Herzen ungehalten und wurde zuletzt hingerichtet. — Kuang-wu
lachte laut und meinte, so weit werde es nicht kommen.
Als Kuang-wu zur'Würde des Himmelssohnes gelangte, wurden
sowohl U-hang als Wang-liang, die einst im Aufträge Peng-tschung’s
geschickt worden waren, zu einem der drei Fürsten ernannt, Peng-
tschung allein erhielt keine weitere Auszeichnung. Dieser wurde jetzt
noch unzufriedener, da er seine Absicht nicht erreicht hatte. Er rief
aus: Meine Verdienste sind von der Art, dass ich König werden sollte.
*) Im vierten Jahre des Zeitraumes Yuen-schi (4 n. Chr.) legte sich Wang-n??.ng
den Titel eines Tsai-heng (ersten Dieners und Wagebalkens) bei.
2 ) Kien-fung war damals der grosse Vorsteher der Räume.
3 ) Tschang-pe ist der Jünglingsname Kien-fung’s.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han. 331
Da er nur auf euch Bedacht nimmt, hat da derjenige, vor dem ich
unter den Stufen stehe, mich vergessen?
Um die Zeit befanden sich die Landstriche des Nordens in
einem Zustande der Zerstörung und Auflösung, Yü-yang hingegen
erholte sich und blieb unversehrt. Daselbst waren noch die alten
Obrigkeiten für Salz und Eisen. Peng-tschung verführte diese Gegen
stände und erhandelte dafür Getreide. Er sammelte seltene Kostbar
keiten, und sein Reichthum und seine Macht nahmen zu.
Tschü-feu konnte sich mit Peng-tschung nicht vertragen. Er
hatte diesen öfters verläumdet und an ihm festgehalten. Im Frühlinge
des zweiten Jahres des Zeitraumes Kien-wu (26 n. Chr.) erging
eine höchste Verkündung, durch welche Peng-tschung vorgeladen
wurde. Dieser glaubte, dass Tschü-feu ihn verrathen habe. Er
machte eine Eingabe und verlangte, mit Tschü-feu zugleich vorge
laden zu werden. Ausserdem richtete er an U-lmn, Kai-yen und
andere Männer Schreiben, in welchen er das Unrecht Tschü-feu’s
vollständig darlegte und mit Nachdruck hegehrte, dass dieser ge
meinschaftlich mit ihm vorgeladen werde. Der Kaiser erlaubte dieses
nicht. Peng-tschung misstraute immer mehr, und seine Gattin, von
Gemüthsart hartnäckig und unbeugsam, redete ihm eindringlich zu,
der Vorladung keine Folge zu gehen. Peng-tschung berieth sich noch
mit den ihn nahe stehenden und sein Vertrauen geniessenden An
gestellten. Diese Männer waren von Hass gegen Tschü-feu erfüllt,
und unter ihnen war keiner, der ihn zur Reise ermahnt hätte.
Der Kaiser schickte j|j|j Tse - heu - lan-king,
einen Neffen Peng-tschung's, um diesen die Sache vortragen zu
lassen. Peng-tschung behielt bei diesem Anlasse Tse-heu-lan-king
zurück, Hess sogleich die Streitmacht ausrücken und empörte sich.
Nachdem er die Anführer und Häuptlinge ernannt und ihnen ihren
Platz angewiesen hatte, stellte er sich an die Spitze von zweimal
zehntausend Kriegern und überfiel Tschü-feu in Ki. Er theilte hierauf
seine Streitmacht und durchstreifte Kuang-yang, Schang-kö und
Yeu-pe-ping. Weil er ferner in Gemeinschaft mit Keng-hoang sich
grosse Verdienste erworben, die Gnaden und Belohnungen jedoch
bei ihnen beiden gering waren, schickte er mehrmals Abgesandte
und versuchte es, Keng-hoang auf seine Seite zu ziehen. Dieser ging
auf die Vorschläge nicht ein und liess die Abgesandten ohne Um
stände enthaupten.
332
P f i z in a i e r
Im Herbste schickte der Kaiser den „im Umherziehen rasch
angreifenden“ Heerführer J^j| Teng-lung zum Entsätze von Ki.
Teng-lung lagerte im Süden von Lu *). Tschü-feu lagerte in Yung-
nu 2 ). Man schickte einen Angestellten mit einem Berichte an den
Hof. Als der Kaiser die hölzerne Schrifttafel las, wurde er zornig
und sagte zu dem abgesandten Angestellten : Die Lager sind von
einander hundert Weglängen entfernt. Wie können sie da mit ihrer
Kraft sich gegenseitig erreichen? Wenn du zurückgekehrt sein wirst,
ist das Kriegsheer des Nordens gewiss geschlagen.
Peng-tschung rückte in derThat mit seiner vollständigen Kriegs
macht in die Nähe des Flusses und stellte sich Teng-lung entgegen.
Ausserdem entsandte er noch dreitausend leichte Reiter, die diesem
Heerführer in den Rücken fielen. Er brachte dem Kriegsheere Teng-
lung's eine grosse Niederlage bei. Tschü-feu stand ferne und konnte
nicht sogleich zu Hilfe kommen. Er trat daher den Rückzug an.
Im Frühlinge des nächsten Jahres (27 n. Chr.) eroberte Peng-
tschung sogleich mehrere Districte von Yeu-pe-ping und Schang-kö.
Er schickte einen Gesandten mit schönen Mädchen und bunten
Seidenstoffen als Geschenk für die Hiung-nu’s und schloss mit diesen
Bündniss und Freundschaft. Der Schen-yü entsandte sieben bis acht
tausend Reiter des linken Heerführers des Südens mit dem Aufträge,
als umherziehende Streitmacht ab- und zuzugehen und Peng-tschung
Hilfe zu leisten. Dieser schloss ferner im Süden Bündnisse mit
Tschang-pu und den hervorragenden und gewaltigen Männern von
Fu-ping, Hoe und So«), die ihm Geiseln stellten und zum Anschlüsse
gezwungen wurden. Hierauf eroberte er die Feste Ki durch Überfall
und bewerkstelligte seine Einsetzung zum Könige von Yen.
Die Gattin Peng-tschung's hatte öfters böse Träume und sah
viele wunderbare Veränderungen 4 ). Die Wahrsager und die Be
obachter der Luft sagten, dass Streitkräfte sich aus der Mitte erheben
*) Ein District der Provinz Yü-yang.
2 ) Ein District der Provinz Yü-yang.
3 ) Fu-ping, Hoe und So waren Districte der Provinz Pe-ti.
Die Geschichte der östlichen Warle sagt: Es träumte ihr, dass sie nackt und ein
Kopftuch auf dem Haupte über die Stadtmauer stieg, wobei ein Mann mit ge
schorenem Haupthaar (d. i. ein Sträfling) sie schob. Sie hörte ferner in der
Halle Peng-tschung's unter dem Ofen das Geschrei von Fröschen. Als man den
Boden aufgrub und sie suchte, fand man nichts.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
333
würden. Der Verdacht Peng-tschung’s fiel auf Tse-heu-lan-king, der
bei Han Geisel gewesen und zurückgekehrt war. Er traute ihm
daher nicht. Er liess ihn eine Streitmacht befehligen und ausserhalb
des Palastes seinen Aufenthalt nehmen. Er hatte keinen Verwandten
im Inneren des Palastes.
Im Frühlinge des fünften Jahres des Zeitraumes Kien-wu (29
n. Chr.) fastete Peng-tschung und befand sich allein in einem Seiten
zimmer. Drei Sclaven, -jp Tse-mi an der Spitze, benützten
den Augenblick, wo er sich niedergelegt hatte und eingeschlafen
war, um ihn auf das Bett zu binden. Sie sagten den ausserhalb be
findlichen Angestellten, der grosse König faste und heisse die An
gestellten sich zur Ruhe begeben. Indem sie sich fälschlich auf einen
Befehl Peng-tschung's beriefen, ertheilten sie die Weisung, die
Sclaven und Sclavinnen aufzugreifen, zu binden und einen Jeden an
einem besonderen Orte unterzubringen. Auf den vorgeblichen Befehl
Peng-tschung’s riefen sie auch dessen Gattin. Die Gattin trat ein
und erschrack heftig i). Peng-tschung rief schnell: Besorge eilends
für die Heerführer das Bündel 3 ).
Während jetzt zwei Sclaven mit der Gattin in das Innere traten
und die Kostbarkeiten Wegnahmen, Hessen sie einen Sclaven zur
Bewachung Peng-tschung’s zurück. Dieser sagte zu dem ihn be
wachenden Sclaven: Du bist als kleines Kind innig von mir geliebt
worden. Du wurdest jetzt blos durch Tse-mi gedrängt und einge
schüchtert. Wenn du meine Bande lösest, werde ich dir meine
Tochter Niü-tschü zur Gattin geben und schenke dir alle Güter in
dem Hause. — Der kleine Sclave war gesonnen, ihn loszubinden.
Als er aber vor die Tliiire blickte, sah er Tse-mi, der jene Worte
gehört hatte. Er getraute sich daher nicht, die Fesseln seines Ge
bieters zu lösen.
Die Sclaven rafften hierauf das Gold, die Edelsteine, die Klei
dungsstücke und endlich sechs Pferdedecken, die Peng-tschung ein
gewickelt hatte, zusammen und Hessen durch dessen Gattin zwei
*) Die Geschichte der östlichen Warte sagt: Die Gattin trat ein und rief erschrocken:
Die Sclaven haben sich empört! — Die Sclaven drückten jetzt das Haupt seiner
Gattin zusammen und schlugen sie auf die Wangen.
2 ) Indem Peng-tschung die Sclaven mit dem Namen „Heerführer“ benennt, will er,
dass sie ihm verzeihen.
334
Pfizmaier
seidene Säcke nähen. Als die Nacht angebrochen war, machten sie
die Hand Peng-tschung’s frei und liiessen ihn ein Schriftstück auf
setzen, worin dem Heerführer an dem Festungsthore gemeldet wurde,
dass man jetzt Tse-mi mit Anderen aussende. Wenn diese Männer
zu dem Posten Tse-heu-lan-king's gelangt sein würden, möge man
schnell das Thor öffnen, sie hinaus lassen und nicht aufhalten. Sobald
die Schrift fertig war, schlugen sie Peng-tschung und dessen Gattin
das Haupt ab, steckten die Häupter in die Säcke, nahmen sofort das
Schriftstück und jagten in schnellem Laufe aus der Festung. Sie
begaben sich mit ihrer Beute zu der kaiserlichen Thorwarte, wo sie
zu Lehensfürsten von Pü-I *) ernannt wurden.
Als am nächsten Morgen die kleinen inneren Thüren und das
Thor nicht geöffnet wurden, stiegen die Obrigkeiten über die Mauer
und erblickten beim Eintreten den Leichnam Peng-tschung’s. Es
befiel sie Schrecken und Entsetzen. 3^ Han-li, der oberste
Buchführer Peng-tschung's, und andere setzten dessen Sohn At~
Wu zum Könige ein. Tse-heu-lan-king wurde Heerführer. ^|J jjjip
Han-li, der „Meister des Reiches“, schlug Wu das Haupt ab, begab
sich zu dem „gegen die Gefangenen (d. i. dieHiung-nu’s)Eroberungs-
Tsi-tsün und
AJA
unterwarf sich. Das Geschlecht Peng-tschung’s wurde ausgerottet.
zöge machenden“ (tsching-lu) Heerführer
Lu-fang.
Lu-fang führte den Jünglingsnamen Kiün-
khi und stammte aus San-schui in Ngan-ting. Daselbst wohnte er in
dem Tliale der Linken 2 ). Zu den Zeiten Wang-mang's gedachte man
in der Welt allgemein der Wohlthaten Han’s. Lu-lang nannte sich
in Folge dessen fälschlich /|jf| ^|J Lieu-wen-pe, den Urenkel
des Kaisers Wu. Er sagte, dass seine Urgrossmutter, die ältere
*) Pü-i-heu, wörtlich : Lehensfürst der Ungerechtigkeit.
2 ) In dem Districte San-schui (dem Districte der drei Flüsse) gah es ein Thal der
Linken und ein Thal der Rechten. Die alte Feste des Districtes lag im Süden des
späteren Districtes Ngan-ting in King-tscheu.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
335
Schwester des Königs Hoen-ye, LÖ-li’s») der Hiung-nu’s, die Gemahn
des Kaisers Wu gewesen und drei Söhne geboren habe. Bei den auf
Veranlassung Kuang-tsehung’s ausgebrochenen Unruhen sei der zur
Nachfolge bestimmte Sohn hingerichtet worden. Die Kaiserin, in
Anklagestand versetzt, habe den Tod gefunden. Der mittlere Sohn
||P Thse-king habe seinen Aufenthaltsort verlassen und sei
nach Tschang-ling gelangt. Der jüngste Sohn m 0 Hoei-king
sei nach dem Thale der Linken geflohen. Der Heerführer von dem
Geschlechte Ho habe Thse-king eingesetzt und sei Hoei-king ent
gegengezogen. Hoei-king sei nicht herausgetreten und habe desshalb
in dem Thale der Linken gewohnt. Derselbe habe einen Sohn Namens
fP T& Sün-king gehabt. Der Sohn Sün-king’s sei Wen-pe. Mit
diesen Worten belog und täuschte er fortwährend die Leute in
Ngan-ting.
Gegen das Ende der Herrschaft Wang-mang’s griff er mit den
zu San-schui gehörenden Reichen Kiang und IIu 2 ) zu den Waffen.
Als Keng-schi nach Tschang-ngan gelangte, liess er Lu-fang vor
laden und ernannte ihn zu einem Beruhiger der Hauptstadt für die
Reiter. Als solcher sollte er Ngan-ting und die westlich von dieser
Provinz gelegenen Länder niederhalten und beruhigen.
Nach der Niederlage Keng-schi's gingen die hervorragenden
und gewaltigen Männer von San-schui mit einander zu Rathe und
meinten, weil Lu-fang zu den Söhnen und Enkeln des Geschlechtes
Lieu gehöre, solle man durch ihn das Stammhaus der Han stützen
lassen. Sie erhoben ihn daher in Gemeinschaft zum obersten Heer
führer und zum Könige von Si-pirigs). Man schickte einen Gesandten,
um mit dem westlichen Kiang und den Hiung-nu's Bündnisse der
Freundschaft abzuschliessen.
Der Schen-yü sprach: Die Hiung-nu's haben ursprünglich mit
Han die Vereinbarung getroffen, dass sie zu ihm ein Volk von Brüdern
*) Lö-li wurde der jüngere Bruder des Königs der Hiung-nu's genannt.
2 ) Diese zu San-schui gehörenden Völkerschaften waren einige tausend aus den
fremdländischen Reichen Kiang und Hu zu Han übergegangene Menschen, die in
den Gebirgen wohnten und Ackerbau und Viehzucht trieben. Sie gehörten vor
mals zu der Provinz Ngan-ting, später zu der Provinz Pe-ti.
3 ) Man wollte, dass er den Frieden in den westlichen Gegenden herstelle. Desswegen
nannte man ihn Si-ping-wang (den König des Friedens des Westens).
336
P f i z m a i e r
seien i). Später kam über die Hiung-nu's der Verfall, Hu-han-ye
Schen-yü stellte sich unter den Schutz von Han. Han entsandte
eine Kriegsmacht, beschützte uns, und wir nannten uns die Ge
schlechtsalter hindurch Diener 2 ). Jetzt ist über Han ebenfalls die
Zerreissung gekommen. Das Geschlecht Lieu kommt und stellt sich
unter unseren Schutz. Wir sollen es ebenfalls einsetzen und bewirken,
dass es uns Ehre erweist und huldigt. — Er entsandte jetzt den
König Keu-lin an der Spitze einiger tausend Reiter, damit er Lu-fang
abhole. Dieser trat mit seinem älteren Bruder r^T Kin und seinem
• p r 5 j
jüngeren Bruder tr Tsching in das Land der Hiung-nu's. Der
Schen-yü erhob hierauf Lu-fang zum Kaiser von Han. Dessen jüngeren
Bruder Lieu-tsching ernannte er zum Anführer der Leibwächter der
Mitte und liess ihn an der Spitze der Reiter von Hu nach Ngan-ting
zurückkehren.
In früherer Zeit hatten Li-hing und Sui-yö,
Eingeborne von U-yuen, fQ Tien-sö, ein Eingehorner von
Sö-läng, ferner Jp Schi- wei und Min-kan, Eingeborne
der Provinz Tai, jeder für sich zu den Waffen gegriffen und sich den
Namen von Heerführern beigelegt. Im vierten Jahre des Zeitraumes
Kien-wu (28 n. Chr.) entsandte der Schen-yü den König Wu-leu-
tsie-khiü mit dem Aufträge, in die Versperrungen von U-yuen 3 ) zu
dringen. Dieser König schloss mit Li-hing und dessen Genossen ein
Bündniss der Freundschaft und that Li-hing kund, dass er durch
ihn Lu-fang bewegen lassen möchte, in das Land von Han zurück
zukehren und daselbst als Kaiser zu herrschen.
Im fünften Jahre des Zeitraumes Kien-wu (29 n. Ohr.) führten
Li-hing und Min-kan ihre Streitkräfte zu der Vorhalle des Schen-yü,
hoiten Lu-fang ah und hielten mit ihm ihren Einzug in die Ver
sperrungen. Lu-fang hatte seine Hauptstadt in dem Districte Kieu-
U Zu den Zeiten des Kaisers Kao schloss man mit Me-tö Schen-yii einen Vertrag,
dem gemäss die Hiung-nu's und Han ein Volk von Brüdern sein sollten.
2 ) Hu-han-ye Schen-yü ergab sich an Han und erschien an dem Hofe. Kaiser Siuen
nahm ihn in seinen Schutz, worauf die Ruhe im Inneren des Reiches der Hiung-
nu's hergestelit ward.
3 ) Diese Versperrungen gehörten zu der Provinz U-yuen, daher ihr Name.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
337
yuen <). Er plünderte die fünf Provinzen U-yuen, Sö-fang, Yiin-tschung,
Ting-siang und Yen-men. Er setzte in ihnen Statthalter und Befehls
haber ein. Indem er die Verbindung mit der bewaffneten Macht von
Hu unterhielt, belästigte er die nördlichen Grenzgebiete durch seine
Einfälle. Im sechsten Jahre des Zeitraumes Kien-wu (30 n. Chr.)
richtete jpg g Ku-lan, ein Heerführer Lu-fang’s, einen raschen
Angriff gegen flijl Lieu-hing, Statthalter der Provinz Tai, und
tödtete ihn.
Lu-fang liess später in Rücksicht auf die Führung der Geschäfte
den in seinen Diensten stehenden Li-hing, Statthalter von U-yuen,
sammt dessen Brüdern hinrichten, worauf Tien-yö, Statthalter von
Sö-Iang, und Kiao-hu, Statthalter von Yiin-tschung, beide
ebenfalls in Diensten Lu-fang's, aus Furcht sich gegen diesen em
pörten und mit ihren gesammten Provinzen zu Han übergingen.
Kuang-wu hiess diese Männer ihre Ämter wie früher verwalten.
Später machten der grosse Vorsteher der Pferde U-han und der
grosse Heerführer der raschen Reiter Tu-meu wiederholt Angriffe
gegen Lu-fang, richteten aber nichts aus.
Im zwölften Jahre des Zeitraumes Kien-wu (36 n. Chr.) überfiel
Lu-fang in Gemeinschaft mit Ku-lan die Provinzen Yen-men, die ihm
durch längere Zeit widerstand. Sui-vö, Heerführer in Diensten Lu-
fang's, war in Kieu-yuen, mit dessen Vertheidigung er betraut war,
zurückgeblieben. Derselbe wollte Lu-fang einschüchtern und ihn zur
Ergebung an Han bewegen. Lu-fang erkannte, dass, wie man sich
ausdrückt, die Flügel und Schwingen sich nach aussen anschliessen,
das Herz und der Rückgrat nach innen sich lostrennen. Er begab
sich sofort, die Lastwagen zurücklassend, mit ungefähr zehn Reitern
auf die Flucht und trat in das Land der Hiung-nu's. Seine gesammte
Heeresmenge stellte sich unter den Schutz Sui-yÖ's. Dieser folgte
dem Gesandten yj,^ Tscbing-siün und verfügte sich zu der
kaiserlichen Thorwarte. Der Kaiser ernannte Sui-yö zum Statthalter
von U-yuen und Lehensfürsten von Tsiuen-hu 2 ). -g§- Hien, der jün-
gere Bruder Sui-yö’s, wurde Lehensfürst von Wu-tsin.
*) Die alte Feste des Districtes Kieu-yuen Ing in dem späteren Districte Yin-schan
in Sching-tscheu.
2 ) Tsiuen-hu-heu, der in das Land Ilu wie in einen Stein einschneidende Lehens-
338
Pfizmaier.
Im sechzehnten Jahre des Zeitraumes Kien-wu (40 n. Chr.) kam
Lu-fang wieder über die Grenze und nahm seinen Aufenthalt in Kao-
lieu i). Er schickte in Gemeinschaft mit Min-kan und dessen älterem
Bruder tt Lin einen Gesandten, durch den er seine Unterwerfung
anbot. Der Kaiser ernannte jetzt Lu-fang zum Könige von Tai, Min-
kan zum Reichsgehilfen von Tai, Miu-lin zum grossen Zugestellten
von Tai. Er beschenkte Lu-fang mit zweimal zehntausend Stück
bunten Seidenstoffen und beauftragte ihn dabei, die Hiung-nu’s in
Freundschaft sich sammeln zu lassen.
Lu-fang richtete an den Kaiser das folgende Entschuldigungs
schreiben: Ich, der Diener Fang, verliess mich auf die Abstammung
von dem früheren Kaiser und befand mich weggeworfen in den an
grenzenden Gegenden. Über die Landesgötter kam Zerstörung und
Zerreissung durch Wang-mang. Es war dies der Kummer der Söhne
und Enkel, und es ziemte sich, in Gemeinschaft Strafe zu verhängen.
Desswegen schloss ich mich im Westen sofort an die Fremdländer
von Kiang, im Norden trug ich im Busen dieHiung-nu's. Der Schen-yü
vergass nicht der alten Wohlthaten, er erhob mich durch seine Macht
und leistete mir Hilfe. Um die Zeit erstanden allgemein Schaaren in
Waffen und waren hie und da vorhanden. Ich wagte es nicht, etwas
zu begehren oder anzustreben. Ich wartete auf die Zeit, wo ich
würde anbieten können das zu Stande gebrachte Stammhaus, erheben
und einsetzen die Landesgötter. Desswegen habe ich mir lange Zeit
angemasst Namen und Rang, es sind jetzt über zehn Jahre. Dieses
Verbrechen verdient zehntausendfachen Tod. Du, vor dem ich unter
den Stufen stehe, gingest in deiner höchstweisen Tugend, in deiner
hohen Erleuchtung selbst voran sämmtlichen weisen Männern, was
innerhalb der Meere, unterwarf sich als Gast, die Güte erstreckte
sich auf die verschiedenen Gewohnheiten. Der Annäherung der
Lunge 2 ) willen verziehest du mir meine Verbrechen und behandeltest
mich mit Menschlichkeit und Gnade. Du ernanntest mich zum Könige
fürst. In ähnlichem Sinne gab es auch einen Lehensfürsten von Tsiuen-kiang, d. i-
einen in das Land Kiang wie in einen Stein einschneidenden Lehensfürsten.
Der Name eines Districtes. Die alte Feste desselben befand sich in dem späteren
Districte Ting-siang in Yiin-tscheu.
2 ) Die Annäherung der Lunge ist eine Annäherung wie zwischen Leber und Lunge
d. i. eine nahe Verwandtschaft.
Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
339
von Tai, liessest mich in Bereitschaft halten das nördliche Gehege.
Ich kann durch nichts die Vollziehung melden und den schweren
Vorwürfen den Weg verschliessen. Es ist meine Hoffnung und mein
aufrichtiger Wunsch, die Hiung-nu’s in Freundschaft sich sammeln
zu lassen. Ich wage es nicht, von der noch übrigen Kraft Gebrauch
zu machen und den Kücken zu kehren dem Darlehen der Gnade. Ich
reiche ehrerbietig das Edelsteinsiegel des Himmelssohnes, ich blicke
sehnsüchtig zu der Thorwarte und Vorhalle, damit eine höchste Ver
kündung mich die Vollziehung melden und an dem Hofe erscheinen
heisse.
Im ersten Monate des folgenden Jahres (41 n. Chr.) begab sich
Lu-fang zur Winterszeit an den Hof. Er war im Süden bis Tschang-
ping <) gekommen, als eine höchste Verkündung ihn von dem Vor
haben abstehen und wieder im nächsten Jahre an dem Hofe erscheinen
hiess. Lu-fang, von der Reise zurückgekehrt, empfand Sorge und
Furcht. Er neigte sich jetzt wieder zu Ungehorsam und fiel hierauf
ab. Zwischen ihm einerseits und Min-kan und Min-lin andererseits
fanden einen Monat hindurch Angriffe statt. Die Hiung-nu’s ent
sandten einige hundert Reiter und Hessen Lu-fang sammt dessen
Gattin und Kindern abholen und über die Versperrungen führen. Lu-
fang starb an einer Krankheit, nachdem er sich zehn Jahre in dem
Lande der Hiung-nu’s aufgehalten.
Die zu der Provinz Ting-ngan gehörende Völkerschaft von Hu
hatte in Gemeinschaft mit Lu-fang PKinderungszüge unternommen.
Nach der Niederlage Lu-fang’s kehrten die Menschen von Hu in ihre
Bezirke und Strassen zurück, wo sie sich sammelten und von Seite
der Obrigkeiten des Districtes durch Forderung von Dienstleistungen
gequält wurden. Unter ihnen befand sich ein gewisser fö 4'
Schao-pe, ein abgehärteter und tapferer Mann aus dem Lande Pö-
ma. Im einundzwanzigsten Jahre des Zeitraumes Kien-wu (45 n. Chr.)
stellte sich derselbe an die Spitze seiner Stammgenossen und empörte
sich. Er verband sich mit den Hiung-nu's und lagerte mit seinen zu
sammengezogenen Streitkräfteu auf dem Tsing-schan 3 ). Der Kaiser
*) Die alte Feste des Districtes Tschang-ping liegt im Südosten des Districtes
Tschang-ping in Yeu-tscheu.
2 ) Der Tsing-schan (der grüne Berg) liegt in dem späteren Khing-tscheu. Die Gegend
wird von dem Flusse des Tsing-schan bewässert.
Sitzb. <1. phil.-hist. CI. LXI. Bd. II. Hft.
23
340
Pfizmaier. Zur Geschichte des Zwischenreiches von Han.
entsandte den eine Streitmacht befehligenden ältesten Vermerker
§)? IM Tschin-hin, der an der Spitze von dreitausend Reitern
jene Völkerschaft rasch angriff. Schao-pe ergab sich und wurde zur
Übersiedlung nach dem Districte Ki >) bestimmt.
l) Der District Ki gehörte zu der Provinz Thien-schui. Derselbe ist der spätere
District Fung-kiang in Tsin-tscheu.
Strobl. Reiseber. üb. d. in Niederösterr. angest. VVeisthümer - Forsch. 341
Reisebericht über die in Niederösterreich (Viertel
ob und unter dem Wienerwalde) angestellten
W eisthümer-F orschungen.
Von Joseph Strobl.
Während die anderen deutschen Provinzen Österreichs noch
grösstentheils unausgebeutet waren, hatten bereits in Niederöster
reich Kaltenb aecks, v. Meillers und Zahns Bemühungen ein
reiches Materiale von Weisthümern angesammelt. Besonders des
Letzteren Verdienst ist es, im Archiv für Kunde österreichischer Ge
schichtsquellen (Bd. XXV, S. 7. ff.) eine übersichtliche Zusammen
stellung des Vorhandenen <) gegeben zu haben.
Von vorne herein also musste eine Durchforschung Nieder
österreichs zu dem Zwecke blos auf Ergänzung und Vervollständi
gung ausgehen. Ein Ubelstand, besonders bei den von Kaltenbaeck
mitgetheilten, war der fast gänzliche Mangel einer Quellenangabe,
woher er die Stücke genommen. Die meisten derselben sind aller
dings in den Besitz der k. k. Hofbibliothek in Wien übergegangen,
viele andere sind mir aber bis jetzt noch unentdeckt.
Mein Ausflug erstreckte sich auf Bruck a. d. Leitha, Petro
nell, Deutsch-Altenburg, St. Pölten, Pottenbrunn, Her-
zogenburg, Treismauer, Göttweich, Wiener-Neustadt,
Katzelsdorf, Urschend orf, Neunkirchen.
Alles, was mir am Wege lag zu durchsuchen war einerseits
aus Rücksicht für die daran zu wendende Zeit, ferners bei dem Um-
1 ) Das daselbst S. 78 abgedruckte Bruchstück eines Weisthumes von Gumpolds
kirchen ergänzt in willkommener Weise das für die Akademie copierte Original,
dessen erstes durch einen Zufall getrenntes Blatt eben jenes ist.
23 *
342
Strobl
stände, dass ich alles Brauchbare gleich an Ort und Stelle copiereir
musste, nicht möglich. Manche Archive , wie das Stadtarchiv zu
Bruck a. d. Leitha, das mir durch die Freundlichkeit des Herrn
Bürgermeister Brenner zugänglich wurde, ferner das zu Wiener-
Neustadt i), wo ich ausser dem Herrn Bürgermeister S c h w e n d e n-
wein noch meinen Freund Prof. A. Merz dankend zu erwähnen
habe, verlangten eine tagelange Durchsuchung, bis ich die Gewiss
heit hatte, nichts zu finden. Reicher sind natürlich die Klosterarchive,,
und ich habe nur zu bedauern, ihre Durchforschung mir nicht zur
Hauptaufgabe gemacht zu haben. In Wien selbst ist noch das
Schottenkloster Gegenstand meines Suchens gewesen und wurde
mir von Seite des hochw. Herrn Prälaten Othmar Helferstorf er
bereitwilligst versprochen, einer k. Akademie Kunde zu geben von
den daselbst vorhandenen Weisthümern, wie auch Prof. Ben. Kluge
am Neukloster zu Wiener-Neustadt dem Unternehmen auch für die
Zukunft seine fruchtbare Hilfe zusagte. Ich schliesse hieran eine
alphabetische Zusammenstellung der Orte, welche mir Weisthümer
ergeben haben, nebst einer genauen Beschreibung der Letzteren-
Göttwcich.
Hofstätten. Vgl. Kaltenb. 2, 19.
Davon besitzt das Göttw. Archiv fünf Abschriften.
A. Perg. XVI. Jh. 6 Blätter in 4°. (Sign. Lit. B, loco
25, Nr. 1.)
B. vidimierte Abschrift desselben, Papier a. 1627. 12 Bll.
in 4°. (Sign. Lit. B. I. 25. Nr. 5.)
C. Papier, 17. Jh. 14 Bll. in 4». (Sign. Lit. B. I. 25. Nr. 1.)
D. Papier, 17/18. Jh. 10 Bll. in 4°. Abschrift von B. (Sign.
Lit. B. ad XXV, 5, Serin. C. Loc. I, Nr. 19.)
E. Papier, 17. Jh. 10Bll. in4«. Lit. B. 1. 25, Nr. 1. VonKalten b-
1. c. abgedruckt. (Par. 47. Sp. 21 L steht blos in E.)
In B steht am Schlüsse des Weisthumes:
i ) Das Archiv zu Wr. Neustadt ist geordnet und erleichtert hier ein Catalog das-
Suchen; nicht das gleiche gilt von dem nicht unwichtigen und ziemlich reichen
Archive zu Bruck a. d. L. In Wiener-Neustadt und den umliegenden Katzelsdorf,
Urschendorf war mir ein treuer und sicherer Führer Herr Katzelmayer.
Reisebericht üb. d. in Niederösterr. angest. Weisthümer-Forschungen. 343
Ich David Gregorius Cornerus, der h. schrift und philosophiae
doctor sacri caesarei palatii comes etc. hab diess obbeschriebene
pantaidungsbücbl über Hofstetten mit dem uralten gerechten ori
ginal auf Götweig von wort zu wort conferieret und in substantiali-
bus allerdings gleichlautend befunden, denn obwohl etlich wenig
wordt wegen der sehr alten schrift und Wörter nicht wol zu lesen,
auch in eilendem abschreiben an zweien orten versetzt worden, ist
docli in re ipsa kein einzige praejudicirliche änderung beschehen.
Urkundt dessen hab ich obbenentes panthaidungsbücbl authoritate
caesarea autbentisirt und dieses vidimus untermeiner aigner handt-
schrift, auch palatinats insigl von mir gegeben.
Actum Gottweig 27. July des 1627 Jahres.
David Gregorius Cornerus
qui supra.
Furth. Vgl. Kaltenb. 2, 23.
A. Papier, 16. Jh. Fol. Bl. 1—6 Pantäding von Furth, Bl. 7—12
Pantäding von Tränndorf. Hie an dem gegen wertigen buech
sind vermerkt undgescbriebn die Recht der berschaft
st. Altmannstiftung unser fr auen Go tts h aus etc.
Trotz dieser Abweichung war A die Vorlage, nach der Kalten-
baeck druckte.
B. Papier, 17. Jh. 7 beschriebene Bll. in Folio.
C. Papier, 17. Jh. 8 beschr. Bll. in Folio, beides Abschriften
von A; B ist unterschrieben von einem gewissen 'W. Girisch,
grundtschreiber.’ Woher Kaltenb ae ck die Bemerkung 'Um 1520’
hat, sehe ich nicht.
Triindorf. Vgl. Kaltenb. 2, 30.
A. Pantäting auf Tränndorf. (roth) (siehe Furth A. Fol. 8—13).
('Und Zeuning’ ist Zusatz Kaltenbaecks, wahrscheinlich gefolgert
aus $. 56, 5 p. 37 b ).
Stätzendorf.
A. Pergbiechel zu Stätzndorff. Zum Pfarrhof Gäntzbach gehörig,
a. 1616. Papier, 10 Bll. in 4°. Fol. 1—6 unser Weisthum enthaltend,
die anderen 4 Bll. leer.
B. Papier, 14 Bll. in 4°. Fol. 1—7 unser Weisthum, die an
deren leer.
344
Strobl
2a. Vermerkht daß bergrecht, gelegen an dem Schauerperg zu
Stätzendorf, mit aller seiner zuegehörung, sprächen, freihaiten, an-
lagen und mit aller seiner gerechtigkhait, wie dem von alter her-
khommen ist.
In B liegt ein Zettel mit folgender für die Geschichte unseres
Weisthumes nicht unwichtiger Notiz:
Wegen dieses pergrecht wird hiemit bericht. Der richter zu
Rodtersdorf und sein nachbar Handlhueber sagen, der Schauersperg
ligt gegen dem Walperstorferschen hochgericht, seindt mehr als der
halbe theil weingerten oedt: die gewähren werden alzeit zu Carlstet-
ten in schloß ersuecht. Das pergrecht treget zu der Zeit bei 11. E.
so zu Stätzendorf jährlich wirdt eingenommen. Kliain pergmaister
ist verhandten, auch kliain panthäding in langen jahren gehalden
worden. Sovil si gehord hadden, sei diß perckhrecht von Carlstetten
auß vor langen jahren ainem pfarrer im Zägbach (?) verehrt worden,
dorthin es ihres Wissens dato noch gehören thue. Der richter zu
Rodterstorf hat selbst ainen Weingarten am Schauerperg, dermals er
nutz und gewähr in Carlstetten genommen, aber das pergrecht thet
er jehrlich zu Stätzendorf richten.
Actum den 2. 7bris 1649.
Ucrzogenburg.
Strnitzesdorf. Vgl. Kaltenb. 2, 89.
A. Pergament, IS. Jahrh. 6 Blätter in 4«. Die Restimmungen
nicht abgesetzt, sondern mit rothem ü~ bezeichnet. Ohne Titel.
(§. S9. 1 6. Jh.)
B. Papier, 17. Jahrh, 24 Bll. in 4«. Strätzesdorfer Pan-
puech.
St. Georgen a. d. Treisen. Vgl. Kaltenb. 2, 102 ff.
A. Pergament, 8 Blätter in schmalem 4» a. 1471, ohne Zweifel
von demselben Schreiber wie Straizesdorf A. Es ist in aussen roth-
gefärbtes Pergament gebunden. Auf l a ein sorgfältig ausgeführtes
Bild: St. Georg, den Drachen tödtend in der Mitte, im Hintergrund
ein Schloss mit Thürmen und Mauern, rechts unter Bäumen knieend
eine weibliche Gestalt mit goldner Krone und aufgelöstem blondem
Haare.
Reisebericht üb. d. in Niederösterr. engest. Weisthiimer-Forsehungen. 34-0
Unten knieen zwei Geistliche im faltigen weissen Gewände; der
eine das Haupt mit der Tonsur entblösst, um die Schultern einen
schwarzen Kragen, der andere eine rothe Mütze auf dem Kopfe. A
ohne Titel.
B. Papier, 6 Bll. in Folio, flüchtige, breitspurige Schrift des
19. Jahrh., wörtliche, ja Buchstaben getreue Abschrift von A.
Die von Kaltenbaeck erwähnte Abschrift vom Jahre 1565
fehlt mir.
Grafenwörth. Papier 17. Jahrh. 22 Bll. in Folio.
Freibuch über Gravenwörth.
Anfang: Item hie ist vermörckht, das ich Ott von Meussaue,
oberister marchalch in Oesterreich zu einer bössern gedächtnus an
sant Güllgentag des jar als man geschriben hat der zall nach ain
tausend vierhundert und drei und dreussig jar, Erhardten Khälbers-
hardter, meinem purggraven zu Horn die vösten und herrschaft Gra-
fenwördth mitsambt dem landtgericht und oberigkhait daselbst zu
khauflfen und übergeben, nämblich damit das urbarpuech und grundt-
puech, wie dann solliches mit der herrschaft nachhenanten mainung
und nachdem es hiemit nicht alles beschriben und begriffen; jedoch
hat ain jeder markhtrichter zue Gravenwört anstat der herrschaft all
fräflich Verhandlung und iibelthat, wie, wo oder wellent in dem
gegenwärtigen landtgericht und zierkhel bei dem denselben leuthen
und inwonern erhebt auch mit warlicher that und werkhen erfunden
oder in sollichem erfragt von landtgericht wegen darnach ohn ab-
schlag zu prüfen, richten und wandien, wie dan solliches treulich und
ungevehrlich bei andern wenigem landgerichten erfragt und gericht-
miissig ist.
Schluss: Den23aug. 1700 ist bei der vor gehabten eommission
in beisein der kaiserl. hn. räth, hu. grafen von Perger, hn. von Qua-
rient, hn. von Lebenthurn, hn. Schmidtlin, und hn. Penzinger regie-
rungs secretarii nit allein dises pan- oder freibüch] annulliert, son
dern auch dem hn. Grafen von Enkhavor . . . (?) die freiheit und
vogtgericht widersprochen worden.
Ilerzogenburg.
jJ.pannbuech des löblichenFormbacherischen c 1 os-
ter marck zu Herzogburg betreffend. Papier, 1610. 11 Bll.
in Folio.
346
Strobl
Anfang: Aus goftes vürsechung wür Sebastianus abbte unser
lieben frauen gottshaus und closter Formbach etc. am Ihnne im und-
tern landtBayrn entbieten allen und ieden bemelten gotshaus etc. bür
gern und underthanen zu Herzogburg grueß und gnadt.
Es gebt aus dieser Bestätigung hervor, das die 'lieben und ge
treuen’ Bewohner des Markts Herzogenburg bereits dreimal bei der
niederösterr. Regierung klagend gegen das Kloster Farnbach aufge
treten waren, stets aber, das letzte mal nach dem 'endt abschiedt’
des Jahres 1609, zurückgewieseu worden waren.
Und obwoll nach erlangter victori und behaubtung dieses schwä
ren rechtsprocess wir ein hoche straff fürzunehmen genuegsamb
verursacht, so haben doch aus güete und sanftmuet unserer von ju-
gend auf beschaffenen gemüeths und angenatirten barmherzigkeit die
sonsten wohl verursachte straff gleichwohl aber darumben nicht ein
gestellt, das ihr nit straffbahr, sondern damit ihr mehr und mehr
unser vätterliches herz erkennet, bei nebens auch in künftig von der
gleichen fridhessigen intent euch zu weitern ganz unfürtraglichen
und consequenter unralhsamben anführen im werk selbst verhietet.
Wann dann höchst ernannte hochlöbl. n. ö. reg. auf des markhs
habendes banbuecld, welches ihr damahlen in allen schrüftlichen ein-
bringen für ein vermaindlich bestanthaftes privilegium praetendirt,
gar nichts erkent, sondern nur für ein kraftlos zusamben geclaubte
invention, darein weder der landsfürst noch wür als völlige obrigkeit
consentirt, dieselbe ratificirt oder darüber gefertigt:
Dero wegen ist in unser gegenwardt zu Herzogburg in nahmen
der ganzen bürgerschaft alda durch euren advocaten und beistandt
David Saurer wegen Stellung eines ordentlichen standhaft und von
uns und unsern gotshaus gefertigten banbuechs zu der bürgerschaft
nachrichtung underth. gebetten, wie dann auch anieco unser Verwal
ter Carl Falkhenstainer euretwegen solches zu vollziehen in gelior-
samb anlangen thuet.
Demnach wollen wir in diß begehren hiemit gdst. eingewilligt
haben, euch mit allen ernst hevelhende, das es in dem bantäding
nachfolgender gestalt facto ipso gehalten werde.
Seid still und vermerkhet
was die päntäding für recht in sich
haltet etc.
Reisebericht üb. d. in Niederösterr. angest. Weisthümer-Forschungen. 347
Schluss: Formbach den ain und zwanzigsten decembris anno
tausend sechs hundert und zehen jahre, unserer regierung im fünf
zehnten jahre.
L. S.
Sebastianus abbte
des closters Formbach bekenne
wie obgemeldt.
L. S.
F. Quirinus Prior
und ein XX eonvent
daselbst.
B. Papier, 22 Bll. in Folio vom Jahre 1753. Panthattung.
Aus gütlicher fürsehung wir Celestinus, abbte unser lieben trauen
stift und closters Vahrenbach am Ihn landes Bairn, entbietten etc.
Enthält eine Reformirung des durch abt Sebastianus sub. 21. Dec.
1600 'verfassten panbuechs’ 'weillen einige (puncta) derselben der
damaligen landgerichtsordnung scbnurgerad entgegenstehen’.
Folgt die Bestätigung Abts Sebastianus in die Bestimmungen.
Am Schluss: Datum 18.Mai 1753 unserer Regierung im ö.Jbre.
Pottenbrunn (Gemeindelade).
Wenige Bestimmungen in einem Protocolle des 18. Jh., welche
den Hirten betreffen und aus einem verlorenen Weisthume herzu
rühren scheinen.
Treismaner (Marktarchiv).
A. Papier, in Pergament eingeschlagen, 11 Bll. in Folio 16. Jh.
Bestätigung von Wolfdietrich Erzbischöfen von Saltzburg über die
von Leonhard, ebenfalls Erzbischöfen von Salzburg am pfinztag nach
sand Ambrosii tag nach Christi, unsers lieben herren geburde tausend
und fünfhundert und im achtzehnten jare.
Die Bestätigung Wolfdietrich ist vom 11. Juni (erchtag vor dem
heil, fronleichnam) 1591.
Vermerkht daspanthädung und rechtspuech der herrschaftTräs-
maur, wie das von alter erkhent und gehalten wirdet. (Mit Siegel.)
B. Papier, in Pergament eingeschlagen (auf dessen Reversseite
der erste Bestätigungsbrief beginnt), 14 Bll. in Folio, vom Jahre 1614.
Bestätigungen vom Erzbischof Marz Sittich vom 12. Mai 1614 und
Wolfdietrich und Leonhart. Max bestätigt die Bestimmungen 'außer
deren articuln, so das landt und halsgericht berüeren, welche wir der
zeit, weil sie von uns bemeltes landt und halsgericht selbst in ver-
348 Strobl. Reisebericht üb. d.in Niederösterr. angest. Weisthümer-Forsch.
waltung haben für ungültig auch uns und unsern nachkhommen aus-
truckhlich Vorbehalten.’ (Mit Siegel.)
C. Papier, 14 Bll. in Polio. Bestätigungen von Erzbischof Paris
vom 22. October 1621. (Mit Siegel.)
D. Pergament, 6 Bll. in Folio. Bestätigt von Guidobaldus Erz
bischof von Salzburg (ohne die anderen) vom letzten August 1657.
F. Papier, 12 beschriebene Bll. Bestätigt von Erzbischof Leo
pold (nebst den Bestätigungen von Maximilianus, Gandolphus Guido
baldus) vom 7. Juli 1732.
Schliesslich erübrigt mir noch die angenehme Pflicht, allen jenen
zu danken, welche mich in meinen Forschungen gefördert haben.
Die k. k. Statthalterei und der n. ö. Landesausschuss haben mich
über Ansuchen der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien mit
wirksamen Empfehlungsschreiben ausgerüstet und die letztere hat
mich mit Reisemitteln unterstützt. Die Vorstände der Klöster, der
hochw. Herr Prälat von Herzogenburg Norbert Fräst, von Gött-
weich Abt Engelbert Sch w erdfege r, sowie die Herren Michael
Faigl und Albert Zeillinger in Herzogenburg, der Herr Kloster
archivar in Göttweich, Herr A. Fröhlich, Bezirksvorsteher in Her
zogenburg und die Herren Bürgermeister und Gemeindevorstände
in St. Pölten, Wr.-Neustadt, Pottenbrunn, Treismauer u. s. f. haben
durch ihre Bereitwilligkeit meinen grossen Dank verdient, den ich
ihnen hier auch öffentlich ausspreche.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
349
VERZEICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(FEBRUAR 1869.)
Aeademie Imperiale des Sciences de St. Petersbourg: Memoires.
Tome XIII, Part 2; Tome XIV, Part 1. St. Petersbourg, 1868; 8»
(Russisch). — Bericht über die 10. Zuerkennung des Uvarov’-
schen Preises. St. Petersburg, 1868; 8°. (Russisch.)
Akademie der Wissenschaften, König]. Preuss., zu Berlin: Monats
bericht. December 1868. Berlin; 8».
— der Wissenschaften und Künste, südslavische: Arbeiten.
V. Band. Agram, 1868; 8°.
American Journal of Science and Arts. Vol. XLV, Nr. 136;
Vol. XLVI, Nrs. 137 & 138 (1868); Vol. XLVII, Nr. 139
(1869). New Haven, 1868 & 1869; 8».
Bavaria. Landes- und Volkskunde des Königreiches Bayern. V. Band,
III. Abtheilung, 3. Theil. München, 1868; 8».
Gesellschaft, Deutsche Morgenländische: Abhandlungen für die
Kunde des Morgenlandes. V. Band, Nr. 2. Leipzig, 1868; 8°.
— Zeitschrift. XXII. Band, 4, Heft. Leipzig, 1868; 8».
Holtz, I. H., Historisch-juristische Beiträge zur Geschichte der
Stadt Winterthur etc. Winterthur, 1868; 4».
Keiblinger, lg. Franz, Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk.
II. Band, 12. —14. (Schluss-) Heft. (Mit Unterstützung der
kais. Akademie der Wiss. in Wien.) Wien, 1868: 8o.
Mittheilungen aus J. Perthes’ geographischer Anstalt. Jahrgang
1869 , I. Heft. Gotha; 4».
Museum Carolino-Augusteum zu Salzburg: Jahres-Bericht für
1868. Salzburg; Lex. 8».
3i>0 Verzeichniss der eingegungelieu Druckschriften.
Revue des cours seientifiques et litteraires de Ia France et de
l'etranger. VI e Annee, Nrs. 5, 8 — 12. Paris & Bruxelles, 1869; 4°.
Santiago de Chile, Universidad: Anales. 1852—1866; 8°. —
Documentos parlamentarios. Tomo I—IX. (1831 —1861.) Sant
iago de Chile, 1838 — 1862; 8°. — Anuario estadlstico de la
Repüblica de Chile. Entrega I™ — VII“. 1860— 1865; 4°. —
Estadfstica comercial de la Repüblica de Chile. 1864—1866;
4°. — Memorias del Ministero del interior. 1862- 1867; 8°.
— Memorias del Ministero*de hacienda. 1862—1867; 8°. —
Memorias del Ministero de marina. 1866 — 1867; 8«. —
Cuenta jeneral de los entrados i gastos fiseales de la Repüblica
de Chile. Santiago, 1867; 4°. — Censo jeneral de la Repüblica
de Chile, levado el 19 de Abril 1865; 4°. — Barros Arana,
Diego, Compendio de historia de America. Partes 1 & II. Sant
iago, 1865; 8°. — Idem, Vida i viajes de Hernando de Ma-
gellanes. Santiago de Chile, 1864; 8». — Domeyko, Ignacio,
Elementos de mineralojia. (2 äa Edicion.) Santiago, 1860; 8°.—
Idem, Segundo Apendice a la 2" edicion de la mineralojia.
Santiago, 1867; 8°. — Meiggs, Enrique, Resena historica
del ferrocarril entre Santiago i Valparaiso. Santiago, 1863;
8». — Lloyd, Don Guillermo, Informe sobre la via que
ha de preferirse para una Ifnea ferrea, desde Talgahuana a
Concepcion i Chillan. Santiago, 1864; 8°. — Del Barrio,
Don Paulino, Noticia sobre el terreno carbonifero de Coronel
i Lota, etc. Santiago, 1857; kl. 4°. — Erräzuriz. Federico,
Chile bajo el imperio de la constitucion de 1828. Santiago,
1861; 8°. — Courcelle Seneuil. J. H., Examen com-
parativo de la tarifa i lejislacion aduanera de Chile con las
de Francia, Gran Bretana i Estados-Unidos. Santiago, 1856;
8". — Larroque, Don Luis, Informe sobre los depositos
de Guano de Mejillones. Santiago, 1863; 8°. — Val der-
rama, Adolfo, Bosquejo historico de la poesla Chilena. Sant
iago, 1868; 8°. — Villarino, Joaquin, Estudios sobre
la colonizacion i emigracion europea a Chile. Santiago,
1867; 8°. — Concha i Toro, Melcbor, Chile durante
los afios de 1824 a 1828. Santiago, 1862; 8°. — Remond
de Corbineau, Don Augusto, Paleontolojia de Chile; 8°.
Philippi, Rodulfo Amando, Elementos de historia natural
Verzeichntes der eingegangenen Druckschriften.
351
Santiago. 1867; 8». — De la Fuente, P. G., Oratoria
sagrada. Tomo I. Santiago. 1866; 8°. — Amunätegui,
Miguel Luis, Descubrimiento i conquista de Chile. Santiago,
1862; 8 U . Doc umentos relativos al proyecto de un ferro-
carril entre Santiago i Valparaiso. Santiago, 1852; 8°. —
ln form es relativos al ferrocarril de Santiago a Valparaiso.
Santiago, 1861; 8°. — Lei de presupuestos de los gastos
jenerales de la administracion publica de Chile para el aiio
de 1868. Santiago, 1867; kl. 4°. — Apuntes hidrogräficos
sobre la costa di Chile etc. Santiago, 1866; 8°. — Historia
jeneral de la Repüblica de Chile desde su independencia hasta
nuestros dias. Santiago, 1866; gr. 8».
Scientific Opinion, Nr. 14, 16, Vo). I. London, 1869; 4».
Society, The Asiatic, of Bengal: Journal. Part I, Nrs. 1—3. 1868;
Part II, Nrs. 3—4. 1868 & Extra Number. Calcutta, 1868; 8°.
— Proeeedings Nrs. VI—XI. Juni — November, 1868. Cal
cutta; 8°.
Varnhagen, Don Francisco Ad. de, La verdadera Guanahani
de Colon. Santiago, 1864; 8°.
Verein, historischer, zu Darmstadt: Archiv für hessische Geschichte
und Alterthumskunde. XII. Bandes I. Heft. Darmstadt, 1868; 8°.
— Verzeichniss der Druckwerke und Handschriften des Vereins.
1868; 8».
— historischer, für Niedersachsen; Zeitschrift. Jahrgang 1867.
Hannover, 1868; 8®.—30. Nachricht. Hannover, 1868; 8°. —
Urkundenbuch. Heft VI. Hannover, 1863; 8°.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
LXI. BAND. III. HEFT.
JAHRGANG 1869. — MÄRZ.
Commissionsbericht.
355
SITZUNG VOM 10. MÄRZ 1869.
Der Secretär legt vor:
1. Eine Zuschrift des k. k. Ministeriums des Äussern vom
23. Februar 1. J., wodurch mitgetheilt wird, dass der von dem
wirkt. Mitgliede Herrn Prof. Dr. Karl Schenk 1 in Gräz erbetene
Codex Parisinus Cyropaedia 1640 der kais. Bibliothek in Paris
nicht versendet werden kann;
2. ein Dankschreiben der Direction des k. k. Gymnasiums zu
Znaim und des k. k. Realgymnasiums zu Brody für die den genann
ten Anstalten zugewendeten akademischen Schriften;
3. ein Ansuchen des Verwaltungsrathes des Museum Francisco-
Carolinum in Linz um Bewilligung einer Subvention zur Durchfüh
rung der Ausgrabung römischer Mauerwerke zu Windischgarsten.
SITZUNG VOM IT. MÄRZ 1869.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Dankschreiben des k. k. Oberlandesgerichtsrathes Herrn
Mich. F. v. Jabornegg-Altenfels in Klagenfurt für die dem
selben behufs der Herausgabe seines Werkes: „Kärnten’s römische
Alterthümer“ bewilligte Subvention;
2. ein Dankschreiben des Herrn Heinrich Gradl in Eger für
die ihm zur Herausgabe seiner Abhandlung: „Über die zwei Spruch
dichter Spervogel“ gewährte Unterstützung;
3. eine Abhandlung des Herrn Prof. Gottfried Edmund Friess
in Seitenstätten: „Die Häretiker und ihre Inquisition während des
Mittelalters“, mit dem Ersuchen des Verfassers um Aufnahme in die
Schriften der Akademie.
24”
356
Commissionsbericht.
SITZUNG VOM 31. MÄRZ 1869.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Ansuchen des Unter-Realgymnasiums zu Chrudim um
Betheilung mit den Schriften der Akademie;
2. seine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung: Über
die Negation in den slavischen Sprachen“.
Vahlen. Laurentii Yallae opuscula tria. II.
357
LAURENTII VALLAE OPUSCULA TRIA.
Von dem w. M. J. Vahlen.
II.
VIERTER EXCURS.
Valla’s Übersetzungen: Aesopus. Thucydides. Herodotus. Ilias. — Franeiscus
Aretinus.
Von Valla's Ubersetzangen ! ) ist die älteste datirte, von welcher
wir wissen, die von drei und dreissig Fabeln des Aesopus. Mir liegt
der durch zahllose Fehler der störendsten Art entstellte Druck vom
Jahre 1499 vor: Fabule per latinissimum virum Laurentium /
Abstemium nuper composite. / Fabulae ex graeco in latinum per
Laurentium / Vallam virum clarissimum versae. — Impressum
Venetiis per Ioannem de Cereto de Tri/dino. Anno domini
M. CCCC. XCIX■ die I. Iunii. Die der Übersetzung vorangehende
Dedicationsepistel trägt in dem genannten Drucke die Aufschrift:
Laurentii Valensis in . XXX. Fabula/rum Esopiae Graeco in latinum
sermonem ad Clarissi/mum virum Renaldum Fonaledae praefutio
und am Schlüsse das Datum : Ex urbe Caieta. Kal. Maii.
MCCCC XXXVIII. Andere Drucke habe ich nicht einsehen können.
Poggiali Memorie di Lorenzo Valla p. 136 führt eine aus derselben
Oflicin stammende neben Valla's Übersetzung gleichfalls die Fabeln
Die in Pauly’s Real-Eneyclopädie VI S32 unter Nemesius erwälinte latei
nische Übersetzung der Schrift Kspi yjoew; iv5pw“cov von Laurentius
Valla rührt nicht von diesem sondern von Georgius Valla her, wie auch
der Titel der Edition (über welche Poggiali Memorie per la storia letteraria
di Piacenza Vol. I. Piacenza 1789 p. 1S9 zu vergleichen) besagt: Nemesii
— philosophi clarissimi de natura hominis über utilissimus Georgio Valla
Placentino interprete. Lugduni apad Sebastianum Grgphium 1SS8. 4.
358
V a h I e n
des Laurentius Abstemius enthaltende Edition mit dem Datum
anno Domini MCCCCXCV, die vero 111. Augusti an. Dagegen
sei eine Handschrift der bibliotheca Riccardiana in Florenz n. 717
membr. fol. 91. 8°. saec. XV. erwähnt, welche ausser anderen
Fabeln von verschiedenen Autoren fol. 76 b — fol. 91 Valla's Über
setzung von 33 Fabeln des Aesopus enthält, deren Ordnung und
Aufschriften mit dem Druck vielfach nicht übereinstimmen, sowie
sie auch durchweg einen correcteren Text darbietet. Die Aufschrift
der Dedication lautet in derselben: Laurentius Vallensis insigni viro
Amaldo Fenollede salutem, und das Datum: e.v urbe Caietu uice-
simo quarto Mail M. CCCC. XXXX. Worauf das in Jahreszahl und
Tag abweichende Datum in dem Drucke beruht, weiss ich nicht zu
sagen: doch wird man hierin der Handschrift lieber folgen und dem
nach Valla's Übersetzung nicht, wie bisher, in das Jahr 1438,
sondern in das Jahr 1440 setzen, in welchem sich derselbe demnach
noch auf Cajeta befand. Auch gibt die Handschrift den in dem Druck
entstellten 2 ) Namen des Mannes, dem die Übersetzung gewidmet
ist, richtig. Denn gemeint ist der nämliche Arnaldus Fenolleda, den
Valla Antid. IV 360 als princeps secretariorum am Hofe König
Alphons’ bezeichnet und neben dem oft von ihm erwähnten Secretär
Iohannes Olzina als einen seiner Hauptgönner nennt. Beide Secretäre
neben einander führt auch furita Annales Tom. III fol. 294 r. b.
zum Jahre 1445 an (vgl. ebend. fol. 297 v. a). In seiner Eigenschaft
als secretarius und notarius publicus finde ich Fenolleda in ein paar
Urkunden unterzeichnet, einer in der Espada sagrada Tom. XLVII
p. 317 abgedruckten, die am 29.August 1438 in castris apud sanctum
Germanuni ausgestellt ist: signum meiArnuldi Fonolleda secreta-
rii illustrissimi domini Regis predicti, eiusque auctoritate notarii
publici — Fuit duplicatum — Dominus Re.v mandavit michi
Arnaldo Fonolleda. und einer andern hei Summonte llistoria di
Neapoli Tom. III p. 98 mitgetheilten vom 23. März 1450: Rex man
davit mihi Arnaldo Fenolleda (so); wo er p. 221 Arnaldo di Fono-
glieta Protonotario genannt ist. Auch Bartholomäus Facius thut
2 ) Noch schlimmer entstellt ist der Name bei Tiraboschi Sloria della Lettera-
lura italiana Tom. VI P. II. p. 1062 A. ln Gac.ta Irovossi il Valla l’anno
1438, come si raccoglie da una lettera di esso ad Arnaldo Sevolla
seritta da quella Ciltä, che leggesi in alcune edhioni delle. favole di Esopo.
Lnurentii Vallae opuscula tria. II.
359
seiner ehrenvolle Erwähnung in den Res gestae Alphonsi IX p. 140 B:
quod cum Alphonsus, bcneficiorum eins in sc memor, facere con-
stituisset, extemplo Arnaldum Fenoledam, virum constantem ac
gravem, omnium consiliorum et arcanorum eins participem, Nea-
polim misit, qui cum pecuniae summam ex aerario depromptnm,
cuius custodiam ei mandaverat, ad eum deferret (im J. 1446
oder 1447). Und nach Facius’ Tode hat sein Freund und Lands
mann Iacobus Curulus oder Curlus 3 ) die von jenem mit Hülfe des
Nicolaus Sagundinus — denn Facius war kein starker Grieche —
verfasste aber unvollendet hinterlassene Übersetzung des Arrianus
de rebus gestis Alexandri demselben Fenolleda zugeeignet 4 ).
Wir erkennen also in Arnaldus Fenolleda wiederum einen
jener vornehmen Spanier am Hofe des Königs Alphons, mit denen
Valla in Verkehr und freundschaftlicher Beziehung stand. Die Über
setzung, die Valla ihm widmete, war, wie er in der Widmung sagt,
eine Arbeit von zwei Tagen, gemacht nach einem griechischen
Exemplar des Aesopus, das er e praeda navali sich verschafft hatte.
Sehr viel später als diese kleine Übersetzung fallen die umfang
reichen Übertragungen der beiden Geschichtschreiber der Griechen,
des Thucydides und Herodotus. Für die Vollendung der ersteren
gibt die Vaticanische Handschrift 1801 das Datum: 13. Juli 1452.
Diese schön geschriebene und mit Miniaturen reich geschmückte
Handschrift, die auf 184 Folioblättern, in zwei Columnen, die
acht Bücher des lateinischen Thucydides umfasst, beginnt:
8 ) Diesen Genuesen Iacobus Curlus nennt Valla in den Recrimin. in Facium
p. 600 als einen Genossen des Facius in Neapel, und nach dem von Melius
in dem Anhang zu Facius’ Schrift de viris illustribus p. i03 abgedruckten
Briefe des Facius an Poggius zu schliessen, scheint derselbe als Kalligraph
in Neapel verwendet worden zu sein, ln derselben Schrift S. 16 in der
Vita des Antonius Cassai'inus ist Iacobo Cnrto in Curlo zu ändern.
4 ) Die Widmung steht in dem Druck vom J. 1508: Arrianus de rebus gestis
Alexandri Regis quem lalinitate donavit Bartholomeus Facius. — Opera
et impensa Hieronymi de Suncino Arrhianus impressus est Pisauri Ioanne
Sfortia regnante. Anno M.D.VIII. Die IX. Iunii. Voraus geht eine Wid
mung des lateinischen Arrian von Facius an König Alphons. Hinter der
Übersetzung (der Druck hat keine Paginierung) folgt Curlus’ Brief an
Fenolleda mit der Aufschrift: Iacobus Curulus Genuensis Arnaldo Fenole-
dae Equiti Ilispano V. CI. atque ornatissimo S. P. D. Vgl. Mehus zu Facius
de viris illustribus p. XXXXIV fg. Zeno Dies. Voss. I. p. 62 fg. und p. 340.
360
V a h 1 e n
fol. 1 Laurentii Vallensis e greco in lati/num translatio
Thucydiilis ad sanc/tissimum dominum nrm dum Ni/coiaum papam
Quintuni prooemi/um feliciter incipit / Quod Eueas apud / Vir-
gilium fol. 2 probabis agnoscas (Schluss derDedication)
und schliesst fol. 184 Octavus et idem ultimus / thucydidis Uber
finit. / deo gratias. / Iussu pont. max. Nicolai / pape quinti. ego
ioannes / Lamperti de rodeberg / posteaquam translatum est / hoc
opus primus transscrip/si M° CCCC" L1I° pontifi/catus prefati dni /
nri. anno VI°. mensis iulii / die XIII. Rome /
Darauf folgt von Yalla’s eigener Hand :
Hunc Thucydidis codicem, qualis nullus ut / opinor unquam
apud ipsos grecos vel scriptus vel / ornatus est magnificentius, idem
ego Lauren/tius, iussu scissimi dni nostri dni Nicolai di/vina pro-
videntia pape Quinti, recognovi cum / ipso Ioanne, qui eum tarn
egregie scripsit. / Ideoque hec meo chirographo subscripsi, ut
esset / hic Codex mee translationis archetypus, unde J cetera
possent exemplaria emendari.
Eine andere Vaticanische Handschrift dieser Übersetzung
1799 (erwähnt bei Georgius Vita Nicolai p. 18S) hat nur einen
Theil dieser Subscriptio: Octavus et idem ultimus Thucydidis
Uber finit. Millesimo CCCCLII. Domini Nicolai Papae Quinti anno
sexto.
Das Autographon Valla's liegt mir in einem durch Reifferscheid s
Güte vermittelten Facsimile vor, und es zeigt wenigstens, dass Valla
nicht übertrieben, als er in den Recrimin. in Factum p. 477 von
seiner Handschrift sagte: nam vere possuni in hoc gloriari, si
in minimis gloriari fas est, cum plurimi in figuris elementorum
ducendis me antecellunt, vix tarnen aliquem planius, apertius,
distinctius describere. An Handschriften der Thucydidesübersetzung
mangelt es auch in anderen Bibliotheken nicht; nach jener einen,
die Valla seihst als das Archetypon bezeichnet, verlohnte es sich
vielleicht, den Text derselben einmal zu revidieren, um auf dieser
Grundlage die wiederholt mit zweifelhaftem Erfolg geführte Unter
suchung wieder aufzunehmen, in wie weit Valla's Übersetzung für die
Beurtheilung des griechischen Textes von Werth sei. Denn schon in
dem ersten undatierten Drucke der Übersetzung, welchen Barth.
Parthenius Benacensis, wie man annimmt, im Jahre 1482 besorgte,
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
361
noch bevor der griechische Text des Thucydides gedruckt war, ist
die Übersetzung Valla’s, wie der Herausgeber selbst angibt, mehrfach
nach einer griechischen Handschrift geändert worden, und auf dieser
Edition beruhen alle folgenden, von denen namentlich die von
H. Stephanus 1564 besorgte Valla’s Übersetzung in einer mit viel
Freiheit gemachten Redaction darbietet. Hierüber enthält einiges
brauchbare die Breslauer Doctordissertation De Tliucydidis inter-
pretatione a Laurentio Valla lat ine facta dkquikitionis specimen
von Eng. Jul. Golisch (Olsnae 1842) p. 16 fg. s)
Die nächste, zugleich die letzte Arbeit Valla's war die Über
setzung des Herodotus. Es scheint, dass er dieselbe unmittelbar
nach Vollendung des Thucydides in Angriff nahm. In dem Eingang
des Antidotum in Pdggium IV p. 326 erbittet er sich vom Pa bst
Nicolaus die Erlaubniss, die ihm aufgetragene Übersetzung ein
wenig hei Seite legen zu dürfen, um den Übersetzer von den bös
artigen Anklagen des Poggius zureinigen: quare me tibi excuso,
summe pontifex, quod opus, quod mihi e graeco transferendum
delegasti, intermitto, dum me ab atrocissima protego insectatione.
Namque ipsum opus, quod tuum est, cum tuis auspiciis trans-
feratur, perdit suam dignitatem, uuctoritutem, gloriam, dum eins
reprehenditur interpres. Und vorher p. 325 schrieb er, dass er
auf Poggius’ zweite Invective bisher zu antworten unterlassen,
multis districtus occupationibus cum aliarum rerum tum vero
translationum°) a summo pontifice mihi iniunctarum. An dem
Antidotum IV schrieb Valla, wie im ersten Excurs gezeigt worden, im
März 1453, der Thucydides aber, dessen Vollendung in diesem
Antidotum selbst p. 335 angeführt wird, lag schon im Juli 1452 in
5 ) Eine ältere Übersetzung des Thucydides hat Valla nicht gekannt oder bei
seiner Arbeit benutzt. Ob es eine solche, wie von mehreren griechischen
Schriftstellern, so auch vom Thucydides gab, ist wenigstens aus der ver
worrenen Erzählung des Aeneas Sylvius in einem Briefe an Hinderbach
n. iSli der Baseler Ausgabe p. 652 über einen von ihm in England ge
sehenen Thucydides nicht zu schliessen.
6) Aus Poggio’s Ausdruck in einem nach seinem Weggang von Rom ge*
schriebenen Briefe bei Mai Spicilegium Roman. IX p. 633: scd reservo
hanc provinciarn (näml. mit Valla über die Latinität zu streiten) in id
tempus, cum in manus mcas venerint eins tr aductio n es, quarum par-
ticulam legi Romae satis insulsnm ist kein sicherer Schluss zu ziehen.
V a h I e n
362
reinlicher Abschrift vor. Hat also Valla genau geredet, so war es
nicht der Thucydides, dessen Unterbrechung er zu entschuldigen
hatte, sondern eine andere Übersetzung, und in diesem Falle wird
man nur an die des Herodotus denken. Da der Pahst, wie bekannt
und Valla in der Widmung des Thucydides sagt, wo möglich alle
griechischen Schriftsteller der lateinischen Litteratur anzueignen
trachtete (non minus tibi gloriosum est, Romane pontifex, libros i
graecos, qui reliqui sunt, transferendos curare, quam aut Asiptm
aut Macedoniam aut ceteram Graeciam Homano adiicere imperio),
so lag nichts näher, als von demjenigen, der ihm einen lateinischen
Thucydides dargeboten, auch einen lateinischen Herodotus zu be
gehren, und zudem war, wenn es dessen noch bedurfte, die
von Valla am Schluss der Dedication ausgeführte Parallele beider
Geschichtschreiber wohl geeignet, dem Pahst den Wunsch recht in
die Seele zu legen, nun da er den strengen und knappen Thucydides
lateinisch lesen konnte, auch den milden und behaglich breiten
Herodotus in demselben Idiom zu besitzen. Doch scheint Valla diese
nicht frei gewählte Arbeit nicht mit besonderem Eifer gefördert zu
haben. Der Thucydides, der ihm im Anfang des Jahres 1450 auf
getragen worden, war im Juli 1452 abgeschlossen: der, wie wir
annehmen, bald darauf in Angriff genommene Herodotus war beim
Tode des Pabstes 24. März 1455 noch unvollendet. Der Abt Io.
An. Vigerinus in dem kleinen Elogium Valla’s am Schluss einer
nachher zu nennenden Herodothandschrift sagt von ihm: ita gratus
Nicolao, ut etiam eo mortuo voluerit Herodotum eins nomini in-
scribere. Doch ist diese Absicht unerfüllt geblieben, wie in dem
nämlichen Elogium kurz vorher erzählt wird: deinde rogatusHerodoti
translationem sumpsit, quam edere non potuit, Nicolao prius,
ipso deinde sub Calisto eins nominis papa tertio functo vita. Quae
res causa extitit, quod über absque prohoemio ex Laurentii
archetypis descriptus in lucem prodiit.
7 ) Dies geht aus dev Bemerkung in der Dedication hervor: decepit me tarnen
una, qua ni/ebar, spes, Bessarion Cardin alle Nicenus . . . isenim, qui
praecipue me et potidsset adiurare et vohpsset, statim post mandatam
hanc mihiprovinciam abs te Bononiam legatus est missus. Bessarion aber
war am 26. Februar 1450 zum Legatus von Bononia und dem Exarchatus
Ravennas ernannt worden und am 4. März dahin abgegangen. Siehe die
Documente darüber bei Georgius Vita Nicolai p. 78.
||
I
I
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
363
Die älteste Nachricht üherValla's Herodot, der in seinen eigenen
Schriften ausdrücklich nicht genannt wird, ist hei Bartholomäus
Facius erhalten, der um 1456 8 ) sein mageres Büchlein de viris
illustribus schrieb. Seit dem gehässigen Streit zwischen ihm und
Valla waren zehn Jahre dahin gegangen, vielleicht auch bei einem
gelegentlichen Besuche Valla's in Neapel am Hofe Alplions' eine per
sönliche Wiederannäherung eingetreten. Facius hat es wenigstens
über sich vermocht, unter seinen illustres viri auch Valla einen Platz
einzuräumen«), und obwohl er hei ihm das Loh karger abmisst, als
bei anderen, so erkennt man doch den Respect, den er vor Valla's
überlegener Tüchtigkeit hegte. Er nennt nur die Hauptwerke (p. 23)
Laurentius Valla Romanus artem rhetoricam diu tum Neapoli tum
Romae professus est: multa legit, multa etiani litteris mandavit.
Scripsit de elegantia latinae linguae, quem librum Elegantiarum
inscripsit; de summo bono, quod in voluptate constituit; in dia-
s ) loh nehme dieses Jahr als das der Abfassung dieses Büchleins an auf
Grund der von Mehus in der Vorrede zu seiner Ausgabe desselben ge
führten Untersuchung, deren Hauptargument darin besteht, dass Facius
den Aeneas Sylvins unter den Viri Illustres nur als episcopus Senensis,
was derselbe 1430 geworden, nicht als Cardinal aufführt, zu welcher
Würde Aeneas 17. December 1456 erhoben worden. Dennoch steht der
Annahme ein Umstand entgegen, den weder Mehus noch sonst Jemand be
achtet zu haben scheint. In dem Elogium des Guarinus Veronensis p. 18
steht: Eins (Guarini) quoque praestantiae singulare testimonium est epi-
gramma hoc nobile Antonii Panormitae, editum ab illo quam vita punctum
audivisset: ’Quantum Ronmlidae sanctum videre Catonem —■ — Tantum
laeta suum vidit Verona Guarinum.’ Guarinus aber starb 4. December 1460,
und dieses sein Todesjahr — über sein Lebensalter gehen die Angaben
auseinander — wird durch so verlässliche Zeugnisse verbürgt, dass kaum
ein Bedenken dagegen aufkommen kann. Man vgl. Zeno Diss. Voss. I p. 223,
Borsetti Historia Ferrar. gynm. I p. 37. Wenn also hier nicht in anderer
Weise der Widerspruch zu lösen ist, wird man annehmen müssen, dass
erst später nach Facius’ Tode (1437) jenes Epigramm des Panormita in
Facius’ Buch aufgcnoinmen worden; und in der That ist es auch das ein
zige metrische Elogium, das sieh in demselben findet.
«) Anders Panormita, der in jenem Streit zwar im Hintergrund stand, aber
doch der eigentliche Anstifter war. In der Schrift Diel, et fact. Alphorni
lib. II c. 61. p. 38 zählt er unter den am Hofe Alphons’ lebenden oder dem
König nahestehenden Gelehrten den Bartholomaeus Facius, Georgius
Trapezunlius, Leon. Aretinus, Poggius auf; Valla’s geschieht weder hier
noch irgend sonst in dem Buche Erwähnung.
V a h I e n
31)4
lecticci quoque nonnullu, quae logicae repastinationem appellamt;
contra donationem Comtantini ecclesiae Romanae factam librum
edidit. Linguae praeterea graccae doctus Thucydidem gravissi-
mum apud Graecos liistoriarum scriptorem in latinum con-
vertit, quem Nicolao Pontifici Maximo dedicavit. Herodotum
deinde historiographum elegantissimum latinum a se
factum Alphonso Regi detulit, a quo multa pecunia
m u n er atu s es t.
Eine nur wenige Jahre spätere Nachricht danken wir dem
Iovianus Pontanus, der in einem 1460 geschriebenen Briete über
Valla's Herodotübersetzung näheres mittheilt. Ich setze den Brief
Vollständig hierher, weil man meines Wissens den für Valla's Über
setzung nicht uninteressanten Schluss daraus nicht gezogen hat, zu
dem er zu berechtigen scheint (Pontani Opera. Venctiis 1519.
Tom. III fol. 298 v).
Iovianus Pontanus Petro Salvatori Vallae et loanni Ferrario S.
Etsi verecundia mea vix dignum esse arbitror, ut alieno la-
bori me um nometi inscribam, tarnen Petro Salvatori Vallae
et loanni Ferrario aliquid a Ioviano postulantibus difficile dictu
esset non concedere. Efflagitastis enim, nt qnoniam Halicarnassei
Herodoti historiis mirum in modum delectaremini, quas nuper
Laurentius Vallensis in latinum conv ertisset, sed
mortc praeventus incepto operi ultimam nequiverit
maiium imponere, id brevi saltem testarer epistola,
ne tantus labor a quo susceptus fuerit, id posteris
esset incognitum. Feci itaque non invitus, ut rogatu vestro
eruditissimi hominis famae consulerem, quem et vivum amavi et
mortuum etiam lacrimis sum prosecutus. Huius autem suscepti
operis ratio haec fuit, quod cum Ule Neapolim se aliquando con-
tulisset salutandi regis Älphonsi gratia, cui multos ante annos
esset cognitus, et de rebus Persarüm ac Graecorum multus inter
ros sermo esset exortus, rogatus est a studiosissimo principe, ut
Ilerodotum, quem ea diligentissime complexum esse sciret, sibi
latinum redderet. Quod cum Ule regi de se bene merito ac honesta
praesertim petenti non denegasset, ne operam sudm, ut erat
pollicitus, omnino praestaret, immatura mors effecit. Quo mortuo
re.v librou eos, ut erant, Roma sibi deferendos curavit et in biblio-
theca sua diligenter asservari iussit.
Laurentii Vallae opuscula tria. 11.
365
De luic uutem tota conversione quod meiim sit iudicium
novistis. Midiem enim unumqtiemque sua quam aliena ad nos
afferre. Equidem et Ciceronem existimu si viveret gravato ul
animo esse laturum, si quis Oratorem suum graece loqui faceret,
et Demosthenem stomachaturum, si quae ipse attice scripsisset,
alia quispiam lingua eloqui vellet. Quod autem ad Herodotum
ipsum attinet, saue ul est, ut cxistimem tanti viri Ingenium non
purum omttes admirari debere, qui res tarn varias ac tanta dili
gentia conquisitas ea suavitate artificioque explicaverit, ut nihil
omnino sit, quod eins laudibtis recte detrahi possit, nisi forte ul
aliquis calumniari velit, quod nonnulla apucl eum ita legantur, ut
ficta quam facta potius esse videantur. Quae culpa non magis
scriptoris quam temporum illorum est existimanda, quam ego vel
potissimam reor esse causam, cur novem ille Musarum nominibus
libros suos inscripserit, quasi ipsa operis inscriptione apud
posteros id testatum relinqüere cuperet. Num et temporibus non
omnino repugnari potest et Musis aliquanto etiam liberius, ut
scitis, loqui concessum est. Sed de hoc licet alii quoque suum
afferaut iudicium, nihil enim obsisto.
Satisfeci, ut opinor, cupiditati vestrae: quodsi brevior
fortusse sum, quam erat vestrum utriusque aviditas, id occupa-
tionibus meis attribuutis. Ad haec et Laurentii nostri et Herodoti
ipsius laudes maiores multo sunt, quam ut eas breuis epistola
complectatur. Reliquum est, ut vos ad legendas historias ad-
horter, ex quibus, si animi quaeratur voluptas, non est unde maior
per dpi possit, si vitae commoditas, haud ferme invenietur, ubi
plura melioraque exempla reperiantur. Valete. Neapoli, Calendis
Ianuariis MCCCCLX *°).
10 ) Zeno JJiss. Voss. II p. 174 sagt von Pontanus (nach Vossius): Comincio ad
aver nome fra'letlerati nel 1400 und erwähnt dabei als eine der ersten
Sachen, die von ihm publiciert worden, obigen Brief. Doch muss Pontanus
schon einige Jahre früher durch andere selbständige iitterarische Arbeiten
sich bekannt gemacht haben, wenn man daraus einen Schluss ziehen darf,
dass Facius, der ihn De viris illuslribus p. 6 unter den Dichtern aufführt,
von ihm sagt: litterarum latinarum doctissimus soluta oratione sed magis
cannine commendalur, und seine Epigramme nach dem Muster des Catullus
und das grosse in Hexametern geschriebene Werk Astrologin nennt. Auch
muss er, der allerdings beträchtlich jünger als — nicht blos Panormita
sondern auch Facius und Valla war, schon früher am neapolitanische»
366
V a h 1 e n
Welchen Sinn haben die Eingangsworte des Briefes, ins
besondere ut alieno labori meum nomen inscribam, wenn es sich
Hofe gelebt haben, wo er auch Valla’s persönliche Bekanntschaft machte,
wie sowohl aus obigem Brief als aus folgender Stelle de sermone lib. I
(Tom. II fol. 193 v.) hervorgeht, wo Yalla als Exempel der contentiosi so
beurtheilt wird: Laurentius Vallensis in grammaticis, rheloricis dialecticis-
que ita et scripsit et disputare est solitus, ut minime videretur veile praeci-
pere, nee appareret tarn contendere illuin de veritate proprietateque aut
docere veile quam maledieere obiectareque vetustis scriptoribus atque obloqui.
Itaque Ciceronein vellieabat, Arislotelem carpebat, Virgilio subsannabat,
quippe qui propalam sit asseverare ausus, sive Pindarus quisp'tam ander is
nomine suo fuerit, sive alio (de hoc enim ambigitur) qui Homericae libros
omnis Iliados non multos admodum in versus contraclos latine convertit,
qui propalam sit, inquam, asseverare ausus, Pindarum eum Virgilio anle-
ferendum. Est autem carminis illius principium : ’Iram pande mihi Pelidae
diva superbi Tristia qui miseris iniecit fitnera Grais. ’ Tali igitur iudicio
hominem ingenioque tarn sive relroverso sive praepostero, quippe qui
maximis quibusque ringeret auctoribus, uni lantum Epieuro assurgeret,
quam ob communem utilitatem contendere aut cognitionem dieas atque
ultercari, qui nee aliud velit, cur et, studeat, quam ut detrahat, quibus
minime par est, ac maledical: quando qui cum Laarentio familiarius
vixerunt, affirmant illum eo nequaquam consilio in grammaticis seripsisse
ac dialectieis, quo doceret disciplinasque ab ignoralione vindicaret atque
a sorde, verum ut malediceret obloquendoque detraherel de fama atque
auctoritate rerum scriptoribus, tum illis qui exemplo sunt ad scribendum
aliis propler antiquitatem maiestatemque dicendi ac praecipiendi, tum
illis ipsis qui tune viverent, qui ne dubitaverit ipse quidem dicere pro-
fiterique palam, habere se quoque in Christum spicula. Sed nobis pro-
positum minime est detrahendi homini maxime studioso, quem senem
adolescens ipse noverim, cumque e Roma se Neapolim cou-
tuiisset ad Alphonsum reg em et inv iserim eliam reverenter
pro illius meaque aetate et plures post congressiones
maxime familiäres ita ab eo discesserim, ut ex eo de me nisi
pleno atque amico or e loculus fuerit nu mquam. Nimmt man hie
zu noch das Urtheil Pontanus’ in derselben Schrift VI fol. 247 v. Contra
vero Laurentius Vallensis multae vir doctrinae ingeniique inprimis acuti
popularibus in congressibus ac lilteratorum circulis oslentandae dis-
ciplinae iudicatus est fuisse studiosior, ne dicam parum modestus, ut
iis in circulis multo appareret diligentior, quam in libris ipsis, quos
scriptvs reliquit; cumque non pauca in dialectieis adinvenisset, adversus
horum temporum artis eins magistros eo sese efferebat, palam ut dicerel,
not tarn esse logicam praeter Laurentianam, so erkennt man wohl, dass
Pontanus, der von Valla persönlich nur liebes erfahren, bei allem Bespect
Laurentii Y'allae opuscula tri«. II.
367
lediglich um eine private, an zwei Freunde gerichtete Auskunft
über die Autorschaft der Herodotübersetzung handelte, zumal diese
nicht sowohl für sich Belehrung als ein auch der Nachwelt
bleibendes Zeugniss über den Urheber jener Übersetzung von
Pontanus begehrten? Ich denke, jene Worte und der ganze Zu
sammenhang des Briefes linden ihre befriedigende Erklärung nur
unter der Voraussetzung, dass bei einer auf Veranlassung jener
beiden Freunde zu veranstaltenden Herausgabe der ohne Aufschrift
und Widmung in der Bibliothek des Königs sich befindenden Herodot
übersetzung Valla's dieser Brief Pontanus' an Stelle einer prnefcitio
vnrgesetzt werden sollte. Dann wird die nähere Mittheilung über die
Übersetzung und deren Verfasser sowie das Urtheil über den Schrift
steller selbst begreiflich, und der Brief, als Vorrede genommen,
ist ganz in der Art wie andere Gelehrte, z. B. Valla selbst beim
Thucydides, Vorreden zu ihren Übersetzungen verfassten, und tritt
in noch einleuchtendere Parallele zu dem Briefe, mit welchem
lacobus Curlus die von seinem Freunde Facius hiuterlassene Arrian-
übersetzung dem Fenolleda zueignete.
Was nun Pontanus über Valla's Herodot mittheill, stimmt nicht
genau mit Facius' Angaben: dennoch konnten beide nach den Ver
hältnissen der Zeit und ihren Beziehungen zu Valla und dem nea
politanischen Hofe über den wahren Sachverhalt wohl unterrichtet
sein, und wir sind berechtigt, ihre Nachrichten, wenn möglich, zu
vereinigen. Dies aber gelingt unschwer.
Wir nehmen an, dass Valla die Herodotübersetzung auf den
Wunsch des Pabstes Nicolaus unternommen. Da sie aber beim Tode
des Pabstes unvollendet war, wendete er sich, um die umfangreiche
Arbeit nicht ohne die Aussicht auf einen entsprechenden Lohn zu
Ende zu führen, an seinen einstmaligen Gönner, König Alphous,
mit dem er auch nach seiner Übersiedelung nach Rom in steter Ver-
vor seiner Gelehrsamkeit und seinem Scharfsinn, doch im Grunde an den
in der neapolitanischen Akademie, an deren Spitze erst Panorinita, später
Pontanus selbst stand, sich forterbenden Traditionen über Valla haftete,
zu denen auch die von Valla Antidot. IV p. 340 abgewiesenen spicula in
Christum gehörten. So mochte es dem Pontanus denn auch ein nicht ganz
willkommener Auftrag sein, durch jenen Brief sich zum Herausgeber des
von Valla hinterlassenen Herodotus zu machen, dem er sieh jedoch den
Freunden zu Liebe nicht entzog.
368
V a h I e n
bindung geblieben war (vgl. Antidotum IV p. 954), und der mit
Pabst Nicolaus das erlauchte Maeeenatenpaar der Zeit bildete. Valla
verfuhr dabei, wie andere Humanisten z. B. Candidus Decembrius
gethan, und wie es die litterarischen Verhältnisse riethen, für die
ein Maecenatenthum Lebensbedingung war. Auf einem Besuche in
Neapel also etwa um das Jahr 1455 nahm Valla den fertigen Theil der
Übersetzung mit, um sie dem Könige zu offerieren und empfing
dafür das von Facius erwähnte Geschenk. Da der König, wie
Pontauus bemerkt, besonders begierig war, res Persarum ac
Graecorum nach Herodot’s Erzählung zu lesen (wonach also ver-
muthlich noch die ganze zweite Hälfte des Herodotus zu übersetzen
blieb'), so übernahm es Valla im Auftrag des Königs auch diesen
Theil zu übertragen und alsdann die ganze Übersetzung dem Könige
zu widmen. Zur Herausgabe aber kam es in Folge von Valla’s Tode
nicht mehr, und der König liess sein Archetypon von Rom kommen,
um es so wie es war in seiner Bibliothek aufzustellen. Dass an der
Übersetzung selbst noch ein Theil gefehlt habe, sagt Pontanus
nicht, auch enthalten die Handschriften den lateinischen Herodotus
vollständig, sondern er sagt nur, dass Valla an das inceptum opus
die letzte Hand nicht gelegt habe: die Übersetzung war demnach,
anders als bei dem Thucydides, noch nicht von Valla selbst revidiert
und von dem Abschreiber in ein reinliches Exemplar übertragen,
so dass Vigerinus’Ausdruck in dem angeführten Elogium Uber absque
prohoemio ex Laurentii archetypis descriptus in lucem
prodiit das Sachverhältniss genau zu bezeichnen scheint.
Nun findet sich unter den Vaticanischen Handschriften des
Valla’schen Herodotus eine (auch von Georgius “) Vita Nicolai
p. 185 angeführte) n. 1796 mernbr. f'ol. 365 saec- XV mit reichen
Verzierungen, welche die Aufschrift trägt:
**) Voigt Enea Silvio ÜI S. 609 A. redet nach Georgius a. a. 0. von 'Valla’s
Übersetzung des ersten Buches des Herodot im cod. Vatic. 1796’, aber
Georgius sagt nicht, dass die Handschrift nur das erste Buch enthielte,
und es wäre nicht richtig. Wenn derselbe a. a. 0. meint, nach der Wid
mung, wofür er es ansieht, des Herodotus (sowie der des oben erwähnten
Buches von Facius) an Pabst Pius II 'könnten wir annehmen, dass die von
den Autoren zurüekgclassenen Werke von ihren Erben dem neuen Pabste
dargebraeht worden 1 , so ist das eine leere Vermuthung, an dergleichen die
beiden verdienstlichen Werke Voigt’s ebenso reich sind, wie an Irrthümern
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
369
fol. 1 Herodoti Uber primus qui / inscribitur thaliu (sic)
divo Aene/ae Pio II. pont. max. optimoq; / per Laurentium
Vullam Ro/manum oratorem perfectum e / graeco in latinum versus
incipit: / Herodoti Hulicurnas/sei historine explicatio haec — —
und die Subscriptio: fol. 364 b quam campestre colentes aliis
servire / Deo gratias. Finit caliope et lib. ultim! //
fol. 363 Finit Herodotus divo Aeneae / Pio secundo Senensi
pont. max. / optimoque e graeco in latinum / per Laurentium
Valla rheto/rem translatus: quem nemo / pontificum neque rebus
gestis td / bello quam pace: neque gloria: iustitia: prudentia:
eloquentia: / et consilio supergressus est, ut / sitae et aliorum
scripturae testantur / plurimae. Deo laus, lege felijciter: ~//
Diese Notiz hat ehemals grosse Verwirrung io der Frage über
die Lebensdauer Valla's angerichtet. Es muss als unzweifelhaft
gelten, dass Valla, der noch vor König Alphons starb, den Ponti-
ficat Pius' II. nicht erlebt hat. Auch zeigen Auf- und Unterschrift
des Codex deutlich, dass die Abschrift von Valla selbst nicht her
rühren kann; sowie dass die Handschrift nicht unter Pius’ Pontificat
geschrieben und also nicht einmal als eine für diesen gemachte neue
Abschrift von Valla's Übersetzung anzusehen ist, sondern nach Pius
Pontificat, so dass die Angabe, dass die Übersetzung von Valla fin
den divus Aeneas Pius gemacht sei, aller Wahrscheinlichkeit nach
auf einem Irrthum des Schreibers beruht und einer Verwechselung
dieses Pabstes mit Nicolaus V., dem, wie Vigerinus anführt, Valla
auch nach seinem Tode den Herodotus zu inscribiren beabsichtigte.
Eine ähnliche Verwechslung war es auch, wonach des Bartholomäus
Facius Buch de excellentia ac praestantia hominis, das vor 1433
geschrieben ist, in den Drucken (doch wohl nach Handschriften)
ad Pium Pap am secundum gerichtet erscheint, während dasselbe
naeh Ausweis einer Vaticanischen Handschrift 3362 dem Pabst
Nicolaus V. zugeeignet war (vgl. Georgius Vita Nicolai p. 199 und
Mehus zu Facius de viris illustribus p. XXX u. XXXVII).
Noch eine zweite, gleichfalls reich verzierte Vaticanische
Handschrift des Herodotus von Valla n. 1797 membr. fol. 290
im Kleinen, wie z. B. wenn es bezüglich des Herodot von Valla Wiederbe
lebung S. 357 heisst: 'Auch Herodotus war ihm (vom Pabst Nicolaus)
zugetheilt, doch hat er ihn erst später in Neapel vollendet.'
-Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd., III. Hft. 25
370
V a h 1 e n
saec. XV sei erwähnt, die auf der Rückseite des Vorsetzblattes die
Notiz enthält: Ilerodotus / Iulii II pont. max. / bibliothecae f
secretae / dicatus. Sie umfasst den ganzen Herodotus: fol. 1
Laurcntii Vallen/sis conversio / e graeco in latinum / Ilerodoti
Halicar/nassei Clio. / incipit. / Herodoti Halicarnassei / etc.
fol. 290 imperare aliis quam campestre colentes aliis ser-
vire:~/ Finit Herodotus / Deo laus /.
Am Schluss derselben Handschrift folgt das schon mehrfach
angeführte von Io. An. Vigerinus abbas Unterzeichnete kleine
Elogium Valla's, das, wie ich vermuthe, ursprünglich zu demselben
Zwecke aufgezeichnet worden, wie Pontanus’ Brief, um über den
Verfasser der ohne Prooemium und Dedication aus Valla’s archetypis
abgeschriebenen Übersetzung authentische Auskunft zu geben.
Handschriften von Valla’s Herodotübersetzung sind nicht selten,
von den im Vatican befindlichen scheint keine weitere ein besonderes
Interesse darzubieten.
ln eine erheblich frühere Zeit als die beiden zuletzt be
sprochenen Übersetzungen fällt Valla's Übertragung der Ilias. Er
erwähnt sie seihst unter seinen neuesten Erzeugnissen in dem schon
früher angeführten Brief an Aurispa 12 ), der das Datum pridie
Kal. Ianuarias Neapoli trägt und vermuthlich an das Ende des
Jahres 1444 gehört, sowie in dem anderen wenige Wochen später
XII. Kal. Februarii, 1445 wie ich annehme, Neapoli an den
Cardinal Gherardo Landriani geschriebenen 13 ), so dass man »n-
nehmen darf, dass diese Arbeit in den Jahren 1442—1444 ent
standen sei. Auf sie zurückzukommen nöthigte ihn der von Facius
in seiner 1445 geschriebenen Invective gegen ihn geschleuderte
Verdacht, er habe sich hei seiner Übersetzung stillschweigend einer
12 ) Epistolae principum p. 338—361. Nachdem Valla von den E/eganliae und
den eben vollendeten Adnotationes in Anlonium Raudensem gesprochen,
fährt er p. 360 fort feram ad te praeterea sedecim Iliados libros a meprosa
oralione traductos, quas nisi iudicio tuo subiiciam in manus aliorum
tradere non atideo, praeterea libros octo de eollatione novi te.stamenti etc.
1 3 } Epistolae principum p. 352 — 354 si istuc veniam, feram XVI. libros
Homeri prosa translatos, itemque octo libros super novum tcstamcntum y
praeterea elegantias meas cum compendiariis glossis ipso opere paene uti-
lioribus, von welchen letzteren er auch in dem Briefe an Aurispa
redet.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
371
älteren in Florenz vorhandenen bedient und (Vemde Arbeit für eigene
ausgegeben. Wir kennen Facius' Anschuldigung aus Valla's Ile-
criminationes in Faciitm IV p. 622: quod idem de Homeri tra-
latione effecisti; cum enim opus illud latinum factum scisses
Flor ent iae esse, ubi iam supra centesimum annum est, et in
Nicolai bibliotlieca visuni, paucis quibusdam permutatis, per-
mutatisne dicam an perversis, tuum efficere voluisti: sed tibi
parum est creditum, praesertim cum sint, qui int eilig ant, quam
minimum litterarum graecarum teneas. Hierauf repliciert Valla:
Idem hoc quod super ins stultitiae genas: quam credibile est
sperare tale furtum iri celatum ? Ego vero nuper audivi Mediolani
esse tralationem Ilomeri ad verbum eamque barbaram, Florentiae
quoque esse videor audivisse, sed upud Nicolaum fuisse modo
primum ex te audio. Si quis tarnen probare potest, me aut hatte
aut illam aut aliam ullam vidisse, non recuso, quin pro te men-
dacissimus videar. Sed o meri, non Homeri cultor, fac me scisse
illam Florentiae esse, fac in bibliotlieca Nicolai vidisse, licet tu
non dicas a me visa.m sed scisse vis am, num protinus in Campania
habui, acceptamne commodato cum huc veni, an per litteras im-
petratam: quorum neutrum factum esse credibile est. Ut sese
refellit omne mendacium. Saltem dixisses, me illinc transcripsisse,
quod licet plus quam temerarius es, dicere non es ausus: illud
tarnen am/es, pauca quaedam a me immutata. Qui scis, ebrie,
me imrnutasse, qui utrumque non contidisti, nec illam ad verbum
tralationem inspexisti, et ais: sed tibi parum est creditum. Qui-
nam sunt qui mihi non credunt, cur non ii furta mea palam
faciunt? etc.
Man sollte glauben, dass diese energische Zurückweisung der
Verleumdung, die als das, was sie ist, schon in der Art wie sie
vorgebracht worden, sich kund gibt, genügt hätte, Valla von
jeglichem Verdacht des Betrugs zu reinigen, der ja damals unschwer
sich hätte constatieren lassen. Dennoch schreibt G. Voigt, immer
geneigt, das schlechtere von den Menschen für wahr zu halten,
Wiederbelebung S. 358 A: 'Es wäre immerhin interessant zu wis
sen, ob er wirklich, wie Fazio ihm vorwarf, die Übersetzung Pilato’s
ausgebeutet hat. Letztere ist leider nur handschriftlich vor
handen.’ Gemeint nämlich ist unter jener barbara tralatio ad verbum
die einzige aus älterer Zeit vorhandene, welche auf Petrarcha’s und
25*
372
V a h I e n
Boccaccio's Betreiben der Calabrese Leo oder Leontius Pilatus
(Thessalus oder Thess'dlotiicensis oder schlechtweg Graecus zu
benannt) angefertigt batte: über deren Handschriften Mehus Am-
brosii Traversarii Epistolac p. CCLXXIH fg. Auskunft gibt, unter
denen zwar eine von Nicolaus Niccoli’s Hand geschriebene, aber
keine in Mailand befindliche angeführt wird. Der Anfang derselben,
den Mehus mittheilt,
Ir am cane dea Pdidae Achillis
Corruptibilem, quae innumerabiles Graecis dolores posuit,
Mullas aatem robustns animas Inferno antea misit
Heroum: ipsorum autem cadavera ordinavit canibus
Avibusque omnibus: Iovis autem perficiebatur consilium,
Ex quo iam primitus separatem litigaverunt
Atridesque rex virorum et divus Achilles,
ist allerdings nicht geeignet zu einer Vergleichung mit Valla, der
gerade im Eingang 14 ) sich eine besondere Freiheit gestattet hat,
die im weiteren Verlauf der Übersetzung zweckmässiger eingeschränkt
wird. Und das längere Stück, welches Gio. Batista Baldelli in der
Vita di Giovanni Boccacci (Firenze 1806) p. 264 fg. und danach
Bernays in einem Bonner Universitätsprogramm (18hl) aus Leontius’
Übersetzung hat abdrucken lassen, ist aus dem einundzwanzigsten
Buch der Ilias (y 74—96) genommen, bis wohin eben Valla's
eigene Übersetzung nicht reicht. Docli hätte vielleicht schon die
Vergleichung von Stellen ausgereicht, welche Petrarcha, der den
Homer nur nach Leontius' Übersetzung citierl, in seinen Schriften
anführt (vgl. Mehus a. a. 0.), aus denen ich eine heraushebe:
Ilias ß 204: ow. äyxSdv nolvxoipav'cn xrX., was Petrarcha de
ignorantia sui ipsius et midtorum (Opera. Venetiis 1307) S. 7 so
anführt: scio enim unitatem principatus posuisse, quam iam ante
posuerat Homerus: sic enim ait, quantum nobis in latinum soluta
n J Valla’s Iliasübersetzung beginnt: scriplurus ego quantum exercititms
Gratis cladcm excitaverit Achillis furens indignatio, ita nt passim aves
feraeque cadaveribns heroum ac principum pascerentur, te Calliope vosrjue
aliae sorores, sacer musarum chorus, quarum hoc munus esl proprium
et quae vatibus praesidetis, invoco oroque nt haec me edoccatis, quae
mox docere ipse alios possim. Printern quaenam origo indignationis ac
materia fuit.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
373
oratione translatus est: 'non bonum multitudo numinum 15 ):
unus dominus sit, unus Imperator ; ista autem pluralitas prin-
cipatuum non bona, unus ergo princeps: was Valla so über
setzt: neque probandus est plurium principatus, unus sit rex,
unus princeps atque is demum, quem Jupiter etc. Doch wozu be
darf es nur der Vergleichungen? Man erwäge, dass Valla's Über
setzung beinahe um ein Jahrhundert jünger ist als die des Leontius
Pilatus, und wie immer es mit Valla’s griechischen Kenntnissen bestellt
sein mochte, sicherlich hatte er an dem Fortschritt, den griechische
Sprachkenntniss seit Petrarcha und Boccaccio in Italien gemacht
hatte, auch seinerseits Antheil genommen und wusste den Homer,
mit dem er schon in seinen frühesten Schriften, gewiss nicht durch
Pilatus’ Vermittlung, sich bekannt zeigt, auch ohne jene Brücke zu
lesen. Dazu kommt der durchgreifende Unterschied beider Über
setzungen. Leontius Pilatus lieferte eine Art Interlinearübersetzung
hei der, selbst mit Beibehaltung der Verszeilen, jedem griechischen
Wort ein lateinisches entsprach, ungefähr in der Weise, wie die
noch um ein Jahrhundert älteren lateinischen Übersetzungen des
Aristoteles und anderer Griechen. Valla's Arbeit ist keine Über
setzung in unserem Sinn, ihm schwebte der antike Begriff der
interpretatio, auf den er sich gelegentlich bezieht, vor, als er in
unheengendem Anschluss an das griechische Original aus der
epischen Dichtung eine stilistisch ansprechende lateinische Prosa
erzählung zu machen versuchte. Wer hiernach von der Möglichkeit
reden kann, dass Valla die Übersetzung des Pilatus 'ausgebeutet’
habe, muss wohl weder von der einen noch von der andern eine
Vorstellung haben. Auch sollte man nicht vergessen, wie eilig
man in Valla’s Zeit, zumal wenn, wie in dem vorliegenden Falle,
leidenschaftliche Feindseligkeit angefacht war, mit Verdächtigungen
ähnlicher Art hei der Hand war. Wir werden es hei Bruni’s
Demosthenesübersetzungen wieder beobachten, und Paulus lovius
in den Elogia doctorum virorum XVIII p. 45 schreibt von Nicolaus
Perottus’ Polybius: non defuere tarnen ex aemulis, qui eius auctoris
CPolybii) traductionem antiquissimam fuisse furtoque surreptam
15 ) Der Übersetzer schrieb wohl mullidominium — xol-jxoipavcvj, woraus
multitudo numinum leicht entstand, während sonst unbegreiflich bliebe,
wie der Übersetzer auf numinum gerathen sei.
374
V a h 1 e n
existimarint. Und ganz von gleicher Art war der oben (II. Exc.
Anm. 14) berührte, von demselben Facius aufgetischte Verdacht, dass
Valla in dem Dialog de voluptate ein Werk seines Oheims sich
angeeignet habe.
Mehr als die in den angeführten Briefen genannten sechzehn
Bücher der Ilias hat Valla nicht übersetzt, was allein schon zu dem
Schlüsse berechtigt, dass er die im Anfang der vierziger Jahre ge
machte Übertragung in späterer Zeit nicht wieder aufgenommen
hat, wofür der Grund in anderen litterarischen Arbeiten Valla’s eher
zu suchen sein wird, als etwa in einer ungünstigen Beurtheilung
Aurispa's, von dessen Entscheidung er in dem erwähnten Briefe die
Herausgabe abhängig gemacht hatte. Hiernach hat die Annahme
keine Wahrscheinlichkeit, dass Valla mit seiner Iliasübersetzung
sich habe dem Pabst Nicolaus verbindlich erzeigen wollen. Allerdings
ist bekannt, dass der Pabst den lebhaften Wunsch hegte, neben
anderen Übertragungen griechischer Autoren einen lateinischen
Homer im Versmass des Originals zu besitzen. Manetti im Leben des
Pabstes (Muratori Scriptores rer. Ital. T. III P. II p. 927) redet un
bestimmt von zwei angesehenen Gelehrten, welche diesem Wunsche
des Pabstes zu begegnen sich bemühten: Iliados quoque celebratum
Homeri poema latinis — difficile saue et dirduum opus — versibus
a duobus praestantibus viris eodem tempore traducebatur, quod
loliannis lioccaccii Florentini poetae iempöribus a Leontio quodam
Thessalonicensi, illius in Graecis litteris praeceptore, soluta
oratio ne—multo facilius ad traducendum quam carmine—factum
fuisse novirnus. Den einen derselben erkennen wir in Carolus
(Marsuppini) Aretinus, der in jungen Jahren die Batrachomyo-
machie »«) in lateinischen Hexametern übertragen und unter Nicolaus
le ) Fai-ius nennt diese handschriftlich mehrfach vorkommende und auch ge
druckte Übersetzung, und zwar nur sie, in dem Huch de viris illustribus
p. 12 (Mehus): rannen etiam adamavit. Homeri Myobatrachomachiam
traduxa versa hexamc.tro. Auch Aeneas Sylvins erwähnt sie in dem (nach
Voigt’s Angabe II 324) in den Jahren 1444—14K0 geschriebenen Buche
de viris claris (PU II Oraliones. Lucae 1739. P. 111 p. 172 und in dem voll
ständigen Abdruck in den Schriften des Stuttgarter litterarischen Vereins
vom J. 1843): carmeri elrgaas facit (Carolus Aretinus) nee minor est
in oratione soluta ; huins primi versus, quos viderim, fuerunt ex Homero
traducti, qui bellum murinin et ranarum referunt, sed vir graudior factus
maturiora conscribit.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
375
Pontificat zu der Zeit, als er Staatskanzler von Florenz war, auf des
Pabstes Wunsch eine Iliasübersetzung in heroischem Mass begonnen
batte. Das erste Buch, das er vorlegte, hatte des Pabstes Beifall,
der ihn unter dem 24. October 1452 dringend einlud, nach Rom
überzusiedeln , um sich der Vollendung der Übertragung in unge
störter Müsse hinzugeben, und in einem gleichzeitigen Schreiben
an die florentinische Republik sich wendete, um für den Staats
kanzler einen Urlaub zu diesem Zwecke zu erwirken 17 ). Doch ward
die wohlgemeinte Absicht des Pabstes durch Aretinus’ schon am
24. April 1453 erfolgten Tod durchkreuzt. Diese Übersetzung des
ersten Buches der Ilias lag Angelus Politianus vor, als er in jungen
Jahren (nach 1469) das zweite übertrug und mit einer Widmung an
Laurentius Medices sandte, in welcher er v. 18 fg. ls ) auf jene ältere
I7 ) Die beiden von Poggius geschriebenen Briefe des Pabstes theilt Mai im
Spicilegiuni Romanum I 574 A. init. In dein ersten heisst es : legimus summa
cum voluptate animi unum librum Homert, quem latinum versibus ef-
fecisti. Und in dein andern: cum desideremus propter linguac latiuae
augumentum et doctorum virorum ulililatem, ul Homerus gravis poeta
latinus efficiatur, ad id autem dilectus filius Carolus aretinus vesler can-
cellarius ac secretarius noster sil aptissimus inter omnc.s et ium opus
illud inceperit nostro rogatu transferre admodum eleganter
et docte, scribimus ei ut velit ad Urbem venire etc.
Js ) Nuper et inlatum (in Latium ?) dicini carmen Homeri
Vertere tenlavi fidibusque aptare latinis.
Sed quia Romuleo cantavit pectine primum
Smyrnaei vatis sublimi carmine librum
Carolus Aonii celeberrimus incola fontis,
Proximus, en, nostro qui contigit ore sonandus,
Te petit ac pavido scandit tua limina passu.
Ich entnehme die Verse dem 1867 zu Florenz erschienenen Buche Prose
volgari inedite e poesie latine e grec/te edite e inedite di Angelo Ambrogini
Poliziano. Ruccolte e illustrate da Isidoro del Lungo, worin von S. 431 ab die
Iliasiibersetzung Politian’s von neuem gedruckt ist. Sie war schon früher
aus Vaticunischen Handschriften in Mai’s Spicilegium Romanum vol. II
(1839) gedruckt und hieraus ein paar grössere Proben in der schon ge
nannten Universilätsschrift von ßernays (Bonn 1831) S. 6—23. Keiner
dieser beiden Drucke scheint dem neuesten Biographen Politian's (Angelus
Politianus. Ein Culturbild aus der Renaissance von Ur. Jacob Mähly.
Leipzig 1864J bekannt gewesen zu sein, der S. 97 den durch Politian
^selbst verschuldeten Verlust des übersetzten Homer beklagt, ohne mit
•einem Wort an jene Publicationen zu erinnern.
376
V a h 1 e n
Übertragung des ersten von Carolus Aretinus Bezug nimmt, und
falls dieser erste Versuch seines Gönners Beifall finde, auch die
übrigen Bücher der Iliade, deren Inhalt er poetisch ausführt, nach-
folgen zu lassen verspricht; doch hat er nur noch (nach 1472 mit
einer neuen Widmung an Laurentius Medices) das dritte, dann das
vierte und fünfte vollendet.
Ob sich von Aretinus’ Übersetzung noch etwas erhalten, ist mir
unbekannt, und auch das ist nicht auszumachen, ob seine Arbeit mit
dem ersten Buch abgebrochen. Hieronymus Aliottus scheint mehr
als eins gekannt zu haben, wenn er in dem Dialog Gratulatio ad
Pium II pro felici ac secundo ex Mantuana peregrinatione reditu
«. D. 1460 (Aliotti Epistolae et opuscula. Arretii 1769 vol. II
p. 330) mit unbestimmtem Ausdruck schreibt: Carolus Aretinus, vir
sui temporis inter onuies doctissimus, latinum facere Homerum est
adgressus et praegustationem quandam ingenii sui nobis reliquit,
l ihr um unum aut item alt er um transferens elegant i quidem
carmine ac terso, immaturo interea funere raptus et intcrceptus est..
Und Vespasiano redet geradezu von zwei Büchern, welche Carolus
Aretinus übersetzt habe (Spicil. Rom. I 573): tradusse la batra-
comiomacliia di Omero in versi, che fu assai stimata; tradusse
dua libri deII’ Iliade. Die Möglichkeit ist nicht zu bestreiten,
dass, wenn auch Politianus nur ein Buch kannte, ausser jenem dem
Pabst Nicolaus als Probe eingesendeten ersten bei Aretinus" Tode
noch ein zweites vielleicht unvollendetes sich vorgefunden habe 19 ).
I0 ) Gleichzeitig mit Politian, wenn nicht schon früher, hatte zu Rom Proben
einer metrischen Iliasübersetzung geliefert der in jungen Jahren vor 1473
gestorbene Nicolaus de Valle, der unter dem Pontificat Pius’ II (1438 —
1464) in verschiedenen Productionen sich versucht und damit um des
Pabstes Gunst sich beworben hatte. Voigt hat ihn in dem Abschnitt über
Pius II als Maecen der Humanisten (Enea Silvio III Kap. 10) der Er
wähnung nicht werth gehalten; aber Marini Archiatri po/ilificii I 122 A.
gibt Nachrichten über ihn und führt aus einer Vaticanischen Handschrift
eine Elegie desselben intorno alla promozione de' CardinaU fatta da Pio II
und eine Invective in Distichen gegen einen die griechische Litteratur
herunterziehenden Paedagogus nebst einer Widmung an Franciscus
Patricias an (über letzteres vgl. Labheus nova bibliothecci p. 67). Ein umfang
reiches Gedicht Roma Constantinopoli Sorori Carissirnae Rcsponsum per
Nicolaum de Valle ist in einem der Rossettischen Sammlung in Triest
angehörigen Codex (n. XII): Epaeneticorum ad Pium II libri quattuor
Luurentii Vallae opuscula tria. II.
377
Den andern der von Manetti erwähnten praestantes viri, welche
dem Pabst Nicolaus einen metrischen Home'rus latinus darzubringen
sich bemühten, meint man in dem von Aeneas Sylvius genannten
Horalius Romanus zu erkennen. In der nach Voigt's Angabe (Enea
Silvio II 333) nach 1458 geschriebenen Historia de Europa c. 58
(S. 459 der Baseler Ausgabe von 1571) hei Erwähnung der durch
Nicolaus veranlassten Übersetzungen schreibt er: in Homeri vero
poemate quod heroico carmine latinum fieri magnopere cupiebat,
Cum plur im i morem ei gerere conarentur, uiius tantum invenius
est, qui acri eins iudicio satis faceret, Horalius Romanus,
qui scribatum apostolicum ca de re consecutus, magnis pollici-
tationibus illectus, Iliadem aggressus nonnullos e.v ea libros latinos
fecit, dignos, quos nostra miraretür, prisca non improbasset
aetas. Der Ausdruck plurimi ist nicht zu pressen, denn es liesse
sich leicht zeigen, dass cs damals sehr viele überhaupt nicht gab,
welche homerische Verse in lateinische zu übertragen den Versuch
aufgenommen. Demselben Pabst hatte er seine metrische Übersetzung von
Hesiodus v Ep7« xa’t v;p.spai gewidmet. — Die Iliasübersetzung beginnt,
wohl nicht ohne Rücksicht auf einen Vorgänger, mit dem 3. Buch, ent
hält dann das 4. S. 14. 18. einen Theil des 19. und die Bücher von 20—24.
Tlieodorus Gaza, der dieselbe nach des Verfassers Tode herausgab,
rühmt sie in der Widmung an Nicolaus’ Vater Laelius de Valle ungemein,
doch kann sie mit Politianus den Vergleich nicht aushalten. In dieselbe
Zeit gehört auch die Probe einer metrischen Homerübersetzung, welche
der ungarische Dichter Ianus Pannonius von einer Scene aus dem G. Buch
der Ilias (v. 119—236) Diomedis et Glauci congressus geliefert hat, die
in Pannonius’ Werke I p. 231 (Traiecti ad Rlierium 1784) aufgenommen
ist. In der praefatio dazu an seinen Freund Galeottus Martins Narniensis
(Pannonii Op. II p. 74) schreibt er: cum incidissent in manus mens Homerici
cuiusdum interpretis aliquot libri, tertius puta quartus et quintus, nolui
quidquam de illo temere iudicare, nisi prius et meas ipse vires in eadem
ut ita dixerimpalaestra experirer. Welches die dem Pannonius vorliegende
Übersetzung war, ist nicht auszumachen; dass es die des Nicolaus de
Valle gewesen, welcher von der ersten Hälfte eben jene 3 Bücher übersetzt
hatte, ist nach den Zeitverhältnissen möglich, da Pannonius, der 1458
aus Italien heimgekehrt war, wohin er 1465 von neuem als Gesandter des-
Königs Mathias an Pabst Paul II ging, ausgesprochonermassen jene
Verse in späteren Jahren in seiner ungarischen Heimath gemacht hatte,
als er vom Vcrseinachen, das er in Guarino’s Schule in Verona eifrig
getrieben hatte, schon lange entwöhnt war.
378
V a h 1 e n
gewagt hätten. Auffallend aber ist, dass Aeneas Sylvius des ihm
persönlich bekannten, auch unter den clari oiri von ihm ge
nannten Carolus Aretinus keine Erwähnung thut. Von dem Horatius
Romanus aber, dessen Homerübersetzung Aeneas so sehr rühmt, ist
wenig bekannt. Vossius Hist. Latin. 111 S. 584 nennt von ihm ein
dem Pabst Nicolaus gewidmetes Gedicht Porcaria in 2 Büchern
(vgl. oben Exc. I) und zwei Elegien, eine mit der Aufschrift Venus
tturea und eine andere an Franciscus Sforza, den Herzog von Mailand,
die er in einem Codex Am. Buchellii J. C. Ultraiectini gefunden.
Ich füge noch hinzu, dass in dem (A. 19) erwähnten Triestiner Codex
der Epaenetica ad Pium II mehre an diesen Pabst gerichtete Ge
dichte des Oratius enthalten sind, die ein miissiges Talent der Yer-
siöcation verrathen, aber zeigen, dass auch er in den Kreis der
diesen Pabst ansingenden Poeten gehörte, der überhaupt viel grösser
war, als Voigt"s Darstellung a. a. 0. vermuthen lässt. Die persönliche
Beziehung des Dichters zu dem Pabst wird w ohl nicht ohne Einfluss
auf die Beurtheilung seiner Homerübersetzung geblieben sein. Von
dieser finde ich nur noch eine Spur in einem ungedruckten Gedicht
des Poreelius an Pabst Pius II de poetis et oratoribus sui temporis,
das die mehr erwähnte Triester Handschrift 20 ) enthält, und worin
unter anderen Dichtern der Zeit Oratius mit den Worten ge
priesen wird:
Eue ades Orati, veterem qui vertis Homerum,
Pegaseos latices cui mea musa dedit.
Die meisten Lilterarhistoriker, welche diese Bemühungen des
Pabstes Nicolaus um einen metrischen Homer besprechen, haben nur
das obige Zeugniss aus des Aeneas Sylvius Europa vorgebracht
und die vereinzelte Nachricht, die sie durch ein zweites Zeugniss
nicht zu unterstützen wussten, mit einem seltsamen Irrthum be
reichert, der, von Georgius in der Vita Nicolai p. 193 veranlasst, von
Zeno Diss. Voss. 1 p. 211, Tiraböschi Storia della lett. Ital. VI 833,
und zuletzt auch von Voigt Wiederbelebung p. 3ö9 wiederholt wird.
a0 3 Die Handschrift ist erwähnt in der 1802 zu Triest erschienenen Schrift
In oiwre e memoria dei Ire vescove di Triette (S. 20 fg. n. XI lj, auf
welche mich mein College Prof. Siekel aufmerksam gemacht hat. Die
Abschrift des Gedichtes des Poreelius sowie der in demselben Codex
enthaltenen des Oratius Romanus hat Herr Otto Koren, ein wackeres
Mitglied des hiesigen philologischen Seminars, für mich besorgt.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
379
Nachdem nämlich Georgius a. a. 0. die erwähnte Notiz über Horatius
Romanus Homerübersetzung aus Aeneas Sylvius’ Europa angeführt,
fügt er hinzu, dass in der Vaticanischen Handschrift 2736 von einem
Theile des ersten Buches der Ilias eine metrische Übersetzung sich
finde, die mit den Worten beginne:
Ir am pande mihi Pelidae diva superbi
Tristia qui miseris iniecit funera Grans
und schliesse: Tu quoque fave cursu vatis iam Phoebe peracto, und
dass dieser Übersetzung eine im elegischen Mass geschriebene
Widmung an Pabst Nicolaus vorausgeschickt sei, deren Verfasser
sich indessen nicht nenne. Hiernach berichten denn Zeno und
Tiraboschi ohne den mindesten Scrupel, dass in jener Vaticanischen
Handschrift die Übersetzung der Ilias (oder eines Theiles derselben)
von dem genannten Horatius Romanus enthalten sei, und Voigt, der
dieselbe Fabel wieder vorbringt, meint doch 'mit mehr Wahr
scheinlichkeit’ die Vermuthung aussprechen zu dürfen, dass der Ver
fasser 'jenes vaticanischen Fragments’ kein anderer als 'Carlo
d’Arezzo’ sei. Und doch hätten ihn wenigstens die von Georgius
mitgetheilten Anfangs- und Schlussverse der vermeintlichen Über
setzung aufmerksam machen können, dass es sich hier gar nicht um
eine im XV. Jahrhundert gemachte Iliasübersetzung, sondern um den
bekannten metrischen Auszug der Ilias von dem sogenannten Pindarus
Thebanus handelt, den Kenner in das erste Jahrhundert n. Chr.
setzen. Dazu kommt, dass die von Georgius im Anhang seines
Buches p. 210 abgedruckte Widmung an Pabst Nicolaus das wahre
Sachverhältniss mit nur irgend wünschbarer Deutlichkeit bezeichnet.
Ad Nicolaum V.
Rex regum patrumque pater, Nicolae. sacrorum,
Magna urbes ~ <) magnis efficienda viris.
At bene iussisti minimo mihi tempnris huius,
Vatis nt inspicerem carmina Maeonii.
5 Sed quid Maeonii? Cornu tonal iste latino,
Dam Phryges ac Graecos cogit in arma daces.
~ l ) Soll wohl urgues heissen. An mehren Stellen ist in dem Abdruck des
Georgius die Interpunction ganz verkehrt und den Sinn verderbend ange
bracht, wie namentlich v. 5 und v. 13, wo der Herausgeber an den
Lucrctius Carus nicht gedacht zu haben scheint.
380
V a li l e n
Iussisti nubilas Mine nie abstergere mendas,
Longa dies rebus guas genuisse solet,
Ne qua in nominibus scribendis menda lateret,
10 Essent in sensum quaeque red acta suum.
En ego qua lieuit (aequo enim potui omniaj librum
Excolui: excultum, si placet, accipias.
Non venit, ut docto quondam a Cicerone politus
Carus, naturus qui cecinit varias.
15 Non ut Aristarcho purus sub iudice totus,
Non ut Quintilio si data scripta forent:
Qualiscumque tarnen, doctas demulserit aures,
Consilia et regum si fern bella leges.
Verum, dive pater, de magni rebus Hotneri
20 Argumentum istum vix habuissc gutem.
Dixi istum, quoniam varia est sententiu qui sit,
Nec versu hoc quiequam certius esse ferunt:
Pindarus hunc parvum trans Pontum vexit Homerum,
Sed non Dircaeus Pindarus iste f'uit.
Es ist einleuchtend, dass der Ungenannte, der sich selbst
minimus huius temporis nennt, im Auftrag des Pabstes Nicolaus
eine kritische Recognition jenes dem Pindarus zugeschriebenen Aus
zuges der Ilias besorgt hatte, von der er bescheiden genug denkt,
um sie nicht mit Cicero’s Revision des Lucretius Carus de rerum
natura oder mit Aristarchus' und Quinctilius’ Dichterkritiken zu ver
gleichen. Und so wenig diesem Kritiker das Verhältniss der latei
nischen Ilias zu der Homerischen klar zu sein scheint, so ist er
über den Verfasser wenigstens so weit im Reinen, dass er ihn nicht
für den alten Thebanischen Dichter hält. Unter des Pabstes Bemühun
gen also um den Homer wird man auch diese durch ihn veranlasste
Revision des Pindarus Thebanus zu verzeichnen haben, sei es dass in
dem Pabste, der die griechische Ilias nicht las, durch die Epitome
der Wunsch nach einer Übersetzung erst recht lebendig wurde,
oder dass er, weil eine lesbare Übersetzung nicht zu erlangen war,
mit dem Auszug sich behalf und diesen wenigstens in correcter und
lesbarer Abschrift zu haben wünschte. Dass man damals aus diesem
Pindarus Thebanus viel Wesen machte, erkennt man auch daraus,
dass nach einer in den Kreisen der neapolitanischen Academie
gehenden Tradition, welche Iovianus Pontanus aufbewahrt hat (vgl.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
381
oben Amn. 10), Laurentius Valla den Virgilius, den er nach Poggius’
übertriebenem Ausdruck als einen purum consicleratum poetam zu
tradieren pflegte, selbst diesem Epitomator der Ilias nach stellte, wobei
indessen möglicherweise der Nachdruck mehr auf den auch im
Epitomator steckenden griechischen Dichter als auf jenen selbst
gelegt war und sicherlich die Opposition gegen die den damaligen
Humanisten gemeinsame masslose Überschätzung des Virgilius das
Urtheil bestimmte.
Dass nun mit dieser kritischen Revision der alten Epitome der
Ilias der Übersetzer Oratius Romanus in irgend welchem Zusammen
hang gestanden, ist wenigstens in Georgias’ Worten mit keiner Silbe
angedeutet.
Dass endlich, da die Versuche des Carolus Aretinus und Oratius
Romanus unvollendet blieben, der Pabst sich kurz vor seinem Tode
noch an den Franciscus Philelphus um eine metrische Übertragung
des Homer gewendet habe, ist ebenso glaublich, wie dass dieser,
als er in späteren Jahren von den ihm gemachten Anerbietungen
erzählte, gewaltig übertrieben habe (in der in Briefform gekleideten
Invective gegen Leodrisius Crivellus d. d. 1. Aug. 1463. Francisci
Philelphi epistolae. Venetiis 1302. fol. 181 v).
Mit diesen Wünschen und Bemühungen des Pabstes Nicolaus
um eine den Dichter Homer wiederspiegelnde lateinische Über
tragung batten andere früher gemachte Übersetzungen des Homer
nichts zu tliun. Voigt schreibt zwar (Wiederbelebung p. 3S8):
'Jedermann wusste, dass die höchste Gunst des Pabstes hier (durch
eine Homeriiberselzung) zu verdienen sei, und es wurden ihm Ver
suche eingereicht, die aber seinem scharfen Urtheile nicht genügen
wollten. Wahrscheinlich gehörte dazu Valla’s Über
setzung der Ilias. Decembrius übersetzte die zwölf ersten Bücher
derselben, aber beide wagten es nicht, den Homerischen Vers nach
zubilden. Guarino wurde aufgefordert, wir hören indess nicht, dass
er die schwierige Arbeit unternommen.’ Aber, um vom letzten an
zufangen, dass Guarinus um eine Homerübersetzung angegangen
worden, weiss Voigt allein. Denn Vespasiano, auf den er sich beruft,
sagt es nicht (Mai Spieil. Rom. Tom. I 49 in der Vita Nicolai),
sondern indem er die unter und durch Nicolaus angeregten schrift
stellerischen Arbeiten aufzählt, schreibt er: L’ Iliade d' Omero.
Strabone de situ orbis fece tradurre a Guerrino, so dass deutlich
382
V a h 1 e n
ist, die Ilias wird ohne Autor genannt und Guarinus' Namen nur
mit dem Strabo in Verbindung gesetzt. Dass dem wirklich so ist,
kann überdies ein Einblick in Manetti’s Leben Nieolaus’ (Muratori
Script, rer. ital. III P. 2 p. 927) zeigen, dessen Aufreihung der durch
Nicolaus veranlassten Übersetzungen Vespasiano vor Augen hatte.
Von Petrus Candidus Decembrius ist allerdings bekannt, dass
er einige Bücher der Ilias hi lateinischer Prosa übertragen hatte.
Faeius de viris illustribns p. 24 (Melius) sagt, er habe 5 Bücher
der Ilias übersetzt (e.v graeco in latinnm vertit — Homeri vitam,
e.v eiusdem poetae Wade libros quinque). Doch erfahren wir ge
naueres von Candidus selbst, der in einem 14o 1 an König Alpbons
gerichteten Briefe schreibt (in los. Ant. Saxii Historia litterario-
typogrupliica Mediolanensis vor Philipp! Argelati Bibliothecu scrip-
torum Mediolanensium Tom. I col. CCXCUI): Annus ni faller
undecimus elapsus est, e.v qua sex Iliadis libros ad cla-
rissimum Castellae regem, Iohannem nomine, pluribus et litteris
et nuntiis ab eodem exoratus in latinnm certi — — Diodorum
Homero sociabo. Ebenda col. CCCIII D wird aus einem Codex biblio-
thecae clericorum regularium S. Antonii Mediolani angeführt:
Homeri vita, quam pro.vime innuimns (vgl. CCXCV A) e graecis
et latinis litteris fideliter interpretata et composita a P. Candido
hie Integra legitur cum praecia epistola ad gloriosissimum prin-
eipem Iohannem Castellae et Legionis regem, qnae iota in eiusdem
laudibus versa tu r. Adnexa est Inferpretatio Iliados Homeri soluta
oratione perscripta, ita ut singulis carminibas latina rersio respon-
deat, sed quatuor tantum primos libros et decimum
Codex iste complectitur.
Bei Argelati in der Bibliothecu Tom. II P. 2 p. 2102 wird in
dem Verzeichniss der Schriften des Decembrius unter n. XII folgen
des aufgeführt:
Homeri Ilias libri VI in latinnm versi. Hoc habetur ex
epistola Decembrii num. CLXXXV Alphonso Aragonum regiscripta
an. Hol. tibi asserit se haue versionem Castellae regi Iohanni
nuncupasse. Sed bibliotheca clericorum regularium vulgo Teatino-
rum Collegii S. Antonii Imins urbis codicem servat Versionis
Iliadis Decembrii nostri libros XII continentem, in
quo post episfolam nuncupatoriam ad supradictum Iohannem Ca
stellae regem sequitur 'Homeri vita e graecis et latinis litteris
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
383
fideliter Interpret ata et composita per Petrum Candidum'; deinde
'/. Troianae liistoriae argumentum, quam Homerus poetn potis-
simurn imitatus est. II. Verlas Troianae liistoriae argumentum.
III. Quae in Homeri principiis dubitationes afferri videantur . Du-
bitationes vero sunt immero VI. Subsequitur auctoris ratio, cur
soluta oratione e graecis carminibus in latinum relata sit Homeri
interpretatio. Iliädis vero in latinum versae, ul supra, soluta ora
tione totidem lineis respondent singuli versus graeci
Diese Übersetzung des Decembrius muss, wenn ich anders Sassi’s
und Argelati’s nicht klare Worte richtig auffasse, einen von Valla’s
Übersetzung verschiedenen Charakter gehabt haben und darauf be
rechnet gewesen sein, durch möglichst genaue Entsprechung der
einzelnen Verse dem Verständniss des griechischen Originals zu Hülfe
zu kommen. Nichts aber deutet darauf hin, dass diese gar nicht auf
Anregung des Pahstes Nicolaus und lange vor seinem Ponlificat
(schon im Jahre 1440) entstandene und einem andern Fürsten ge
widmete Übersetzung von Decembrius später, etwa als er in Rom als
apostolischer Secretär lebte, dem Pabste offeriert worden sei, zumal
ja am Tage lag, dass sie den Zwecken des Pabstes in keiner Weise
entsprechen konnte.
Dass endlich Valla’s Übersetzung der Ilias zu den Nicolaus 'ein
gereichten Versuchen’ gehört habe, ist eine gänzlich unbegründete
Annahme, die von älteren Litterarhistorikern u. A. Zeno Diss. Firn.
1211 ausspricht und von neuern ausser Voigt a. a. 0. auch Clausen
2ä ) Ich habe diese Mittheilungen von Sassi und Argelati wörtlich angeführt,
weil sie mit einander nicht recht übereinstinimen; denn es scheint doch
ein und dieselbe Handschrift zu sein, von welcher beide reden, und in
welcher der eine ä Bücher (1—4 und 10) und der andere 12 Bücher der
Übersetzung gefunden haben will, während Decembrius seihst in dem
erwähnten Briefe nur von 6 Büchern redet. Ohne Untersuchung der Hand
schrift wird sich kaum etwuis bestimmtes sagen lassen, und die umständ
liche Breite jener beiden Gelehrten ist mehr geeignet, Verwirrung als Auf
klärung zu schaffen. — Unter den älteren Homerischen Übersetzungsver
suchen in Prosa hätte auch Leonardo Bruni genannt w'erden können, der
die drei Reden des Ulixes, Achilles, Phoenix im IX Buch der Ilias als Proben
der drei genera dieendi in lateinische Prosa übertragen hat (abgedruckt in
Baluzii Miscellanea. Kd. Mansi. Tom. III S. 151, handschriftlich erwähnt
bei Bandini Codd. Lat. Laur. vol. tt Plul. XXXVIII eod. XXV. 3 Anonymi
oratio Ulyssis ex Hnmero soluta oratione).
Laurentius Valla S. 224 sich angeeignet hat, welcher letztere in der
seinem Buche angehängten chronologischen Tafel die Homerüber-
setzung mit den gleichfalls da nicht hin gehörigen Adnotationes in
nomm testamentum unter 'Rom 14-4-7—1457' hinter der Thucy-
didesiibersetzung eingereiht hat.
DassValla's Übersetzung von sechzehn Büchern der Ilias im Anfang
der vierziger Jahre des XV. Jahrhunderts in Campanien, als er im
Dienste des Königs Alphons stand, verfasst worden, ward früher be
merkt, und dass sie von ihm selbst niemals vollendet worden, sowie
anderes nicht uninteressante über die Schicksale derselben, erfahren
wir aus noch erhaltenen Handschriften der Übersetzung. Diese That-
sachen im Zusammenhang mit jenem Datum der Entstehung werden
darüber keinen Zweifel lassen, dass Yalla's Homer mit den Bestre
bungen des Pahstes Nicolaus in keinerlei Berührung stand.
Die Vaticanische Bibliothek besitzt zwei Handschriften von
Yalla’s Homer, beide vollständige Übersetzungen der Ilias enthaltend,
von denen ich kurze Notiz durch Beifferscheid, genaue Beschreibung
durch Herrn Dr. Hugo Hinck erhalten habe.
1. Codex Urbinas 349, Pergamenthandschrift in Grossfolio,
313 beschriebene Blätter enthaltend, von einer Hand geschrieben.
Auf der Kehrseite des ersten Blattes (die rechte ist leer) steht in
einem Kranze mit Uncialen geschrieben:
• In ■ hoc ■ codic/e - cöntinetur ■ / ilias - Ilömer ■ poetaRj • /
excellentissimi ■ / per ■ Laurentium • / Vallensem ■ in lati/nam ■
linguam - sohl/ta ■ oratione ■ / traducta.
Auf fol. 2r steht mit reich verziertem Bande die Überschrift in
goldenen Uncialbuchstahen: Homeri poetarum - ex/cellentissimi ■
ilias ■ per •/Laurentium ■ Vallensem / traducta. Sodann mit schön
gezierter Initiale: Scripturus ego quantam exercitibusGraiis cladem
■excitaverit Achillis furens indignatio etc. Bei den einzelnen Büchern
findet sich zum Theil falsche Zählung: VIII. VIII. X. XI. XIII. XIIII.
XV. XVI. XVII. XVIII. Nirgends aber, auch nicht beim Schluss des
XVI. Buches, eine Andeutung, dass die Übersetzung nicht vollständig
Valla's alleinige Arbeit sei. Der Schluss lautet fol. 313 v. ita belli-
coso Hectori sepulclirum constructum est. Finis.
En graiis tavtum quondam celebratus Homerus
Nunc quoque et Ausonio grammate notus erit.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
385
Primus lionos Vallae (nam is traduxitj, at alter
Bernardus posthac lustinianus erit.
Nam hie occiduas orator missus ad oras
E 23 ) Gallis Latias retulit ipse domos;
Quamque prius pulvis, quam blatta " i ) ac tinia pressit
Ilias in lucem cultior ecce redit.
Ego/Federicus / vetera/nus / transcrip/si / MCCCCLXXX Kt /
nouemb.
Wenn es mit dem untergesetzten Datum seine Richtigkeit hat,
so ist die Handschrift jünger als der erste Druck der Valla’-
schen Ilias, der das Datum trägt Brixiae VIII Kal. Decembr.
M. CCCC- LXXIIII. Henricus / Coloniensis et Statius Galliens feli-
citer impressere 25 ). In diesem Druck stehen vor dem Datum unmit
telbar hinter dem Schluss der Übersetzung ita bellicoso Hectori
sepulchrum constructum est. / Et sic est finis. Laus Deo. / gleich
falls die oben aus der Handschrift mitgetheilten Verse, und zwar
v. 3 und S heidemal nanq; statt nam; ferner E Gallis statt Et;
dagegen auch dort blattre ac tinea. Der Druck ist ohne Titel. Die
zweite Seite beginnt mit der Dedication Clarissimo viro Bernardo
s3 ) et cod.
24 ) blacfre cod.
2ä ) Diese Edition gilt für die princeps. Doch soll es noch eine andere geben,
anni, loci et typographi notationibus destitnta, die ich nicht gesehen habe,
von der aber der Cardinal Quirinus in der Epistola ad clariss. Saxium
(in Argelati Bibi, script. Mediol. Tom. II P. 2) p. 8 versichert, dass sie
gleichfalls Brixiae und zwar nicht lange nach jener ersten gedruckt sei,
indem er für diese ältesten Brescianer Drucke auf das mir nicht zugäng
liche Werk de Brixiana literatura verweist. Noch eine dritte, von
welcher, wie von der ersten, die Wiener Hofbibliothek ein Exemplar be
sitzt, ist gleichfalls ohne Titel und beginnt S. 2 mit der Dedication:
Bernardinus Laurinus Brixianus lllustri ac excellenti Domino Nicolao
corigiensi Moeceuati suo observandissimo S. P. D. — fol. 3. Homeri poetarum
supremi Ilias per Laurentium Vallen. in latinum sermonem traducta
foeliciter incipit. Scripturus ego qnantum cet. Schluss: Ita bellicoso Hectori
■sepulchrum constructum est. Et sic est finis. Laus Deo. Accuratissime ac
■solerti cura Impraesum ac emendatum hoc opus per veuerabilem d. pres-
byterum Baptistam Farfengum. Impensa vero d. Francisci Laurini ciui
(sic) Brixiani. Anno a natali xpiano M. CCCC. LXXXXVII. Die vero
sexto mensis septenibris. Die späteren Drucke, deren es noch eine be
trächtliche Anzahl gibt, haben kein Interesse mehr.
:Sitzb. d. phil.-bist. CI. LXI. Bd. III. Hft.
26
386
V a h 1 e n
lustinia.no, equiti aurato ac oratori eloquentissimo Iustinianus:
Luzagus Salutem, in welcher das in den angeführten Versen ge
rühmte Verdienst des ßernardus Iustinianus um Valla's Iliasüber
setzung ausführlicher bezeichnet wird. Nach allerlei für uns gleich
gültigen Lobeserhebungen des Bernardns Iustinianus und seines
Vaters Leonardus heisst es: Ego Homeri Hindern, latinam ui iam
pridem noras per Laurentium Vallensem factam itn nt vides in-
primcndam propagandainque, nt mecum snepe egeras, curavi, hoc
sane iam diu praestaturm, si cui ul operis obeundum Brixiae ido-
neum nnctus fuissem artificem et si quiide (sic) fideliora exem
plarin comperissem — ■— Accedit ad hoc quod Ilias ipsa, quae nt
ignota antea in pulvere et tenebris numquam fortasse aliter lucem
visura tinearum esui relinqueretur, per te Italicae claritati cele-
branda exhibetur. Quam cum in Galliis legationis munere fun-
gerere npud gentes eas tarn neglectam incultamque miseratus,
iussu et impensa tua transcriptam in Italiam, unde nescio quo fato
ablata fuerat, rettulisti Accipias igitur, immo recipias (tua
enim antea fuerat) Homeri Iliada et si quando otium, quod raris-
sime datur, nactus fneris leges. — Vale 26 ). Die Übersetzung
selbst beginnt fol. 3 Homeri poetarum supremi Ilias per Lauren
tium Vallens, in latinum sermonem traducta feliciter incipit. Scrip
tum s ego cet. In der Widmung ist von Valla’s Übersetzung nur als
einer vollständigen die Rede und nirgends eine Andeutung gegeben,
dass seine unvollendete Übersetzung von einem andern fortgesetzt
und abgeschlossen sei. Die Gesandtschaft nach Frankreich, bei wel
cher Bernardns Iustinianus Valla’s Ilias in einer französischen Biblio
thek fand und abschreiben liess, gehört in das Jahr 1461, am
6. Januar war er in Tours, wo damals der Hof König Ludwig’s XI.
weilte, und am 27. Januar in Paris, wo er vor der Universität Reden
hielt. Von König Ludwig wurde er bei dieser Gelegenheit (daher der
Titel eques auratus in der Aufschrift der Dedication) in den Ritter
stand erhoben (Ap. Zeno Biss. Voss. II 1S6). Am 17. December
1474 war er Procuratore von San Marco geworden (Zeno a. a. 0.
138), was er also wohl noch nicht war, als ihm Luzagus die ge
druckte Ilias widmete. Aus diesen Bemerkungen ergibt sich zweier-
Über handschriftliches Vorkommen dieser Widmung wird weiter unten
die Rede sein.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
387
lei, einmal, dass Valla's von ihm selbst nur bis zum XVI. Buch ge
förderte Übersetzung der Ilias vor dem Jahre 1460 ihren Ergänzer
gefunden batte, und zweitens, dass sie damals in Italien schon so
wenig bekannt war, dass es als ein besonderes Verdienst erscheinen
konnte, ein Exemplar der vollständigen Ilias aus Frankreich zurück
gebracht zu haben.
Die zweite Handschrift ist cod. Vaticnnus 3297 37 ), eine Perga
menthandschrift von 217 Folioblättern, ganz von einer Hand geschrie
ben. Die Aufschriften und Anfänge der einzelnen Bücher sind schön ver
ziert und abwechselnd mit blauen oder goldenen Uncialen ausgeführt.
Sie enthält dieselbe Übersetzung, wie die vorige Handschrift, mit glei
chem Anfang und Schluss. Fol. 1 r Iliados ■ Homeri ■ Über ■ / pri-
mus ■ incipit ■ felibiter ■ / Scripturus / ego ■ quätam / exercitib/us
Gratis cet. Am Schluss des XVI. Buches Iliados. Lib. XVI explicit.
XVII incipit fei■ ohne Andeutung, dass hier ein anderer Übersetzer
eintrete. Am Ende der Handschrift aber fol. 217 r steht von derselben
Hand, welche den Codex geschrieben, in abwechselnd blauen und
goldenen Uncialen folgende Subscriptio: Hane ■ Homeri ■ Hindern ■
partim • / d ■ Laurentio ■ Valla ■ partim ■ d ■ / Francisco ■ Arretino •
tradu/ctam ■ exemplari ■ deprauatis/simo ■ transcripsit ■ P Hippo/
lytus -Lunensis ■ iussu ■ impen/sisque ■ illustris ■ Bernardini ■ / Ca-
rafae ■ in equestri ■ ordine ■ Hie/rosolymitano ■ antistitis ■ reue/
reudissimi ■ ac bene merentis ■ / qui ■ et ■ per ■ omnes ■ virtutü • nu/
meros ■ et ■ per ■ omnem ■ emine/tioris ■ doctrinae cultü ■ quojtidie ■
surgit.
Hier also ein positives Zeugniss, dass Valla's von ihm seihst
unvollendet gelassene Übersetzung von anderer Hand ergänzt und
abgeschlossen worden. Mit Hülfe der eigenen Angabe Valla’s in den
früher (Anm. 12 und 13) angezogenen Briefen deuten wir das partim-
partim dieser Unterschrift dahin, dass zu den von Valla herrührenden
16 Büchern die übrigen 8 von dem in der Subscriptio genannten
Franciscus Arretinus hinzugefügt worden. Für diese durch Valla
selbst vorgezeichnete Sonderung des Antheils beider Übersetzer
gewinnen wir eine weitere sehr erwünschte Bestätigung aus einer
in dem cod. Barberinus VIII 114 chart. saec. XV erhaltenen Vor-
37 ) Diese Handschrift wird erwähnt bei Mazzuehelli ScriUori d' Italia Vol. I
P. 1 p. 68 ff. unter Franc. Accolti d’ Arezzo n. 14.
26
388
V a h I e n
rede zu einer Odysseeübersetzung, deren Verfasser nicht genannt
ist. Kunde von dieser Handschrift und sorgfältige Abschrift der Vor
rede danke ich Herrn Dr. Aug. Wilmanns. Ich tlieile die praefatio,
die für unsere weitere Erörterung nach mehreren Seilen von Wichtig
keit ist, mit einigen stillschweigend gemachten kleinen Berichtigun
gen vollständig mit.
Jus.ni et nuspicio tuo, Pie secunde pontifex maxime, et Iliados
Homeri traductionis, quam Laurentius Vallensis praeceptor tneus
vir nostra memoria elegantissimus imperfectam reliquerat, pro
virium mearum facultate octo Ultimos libros superiore anno et
nunc eiusdem Odysseam unius anni laborem converti. Quod opus
utinam et sanctitas tua et alii qui id legerint, quam timide, quam
verecunde ac paene invitus aggressus sim, int eilig er ent. Non enim
adeo temeritatis arguerer, quod super vires meas onus subierim,
quippe quem multa id mihi suscipiendum dissuadebunt: primum
namque ingenii mei imbecillitas, quod haud me tatet, quam sit exi-
guum, deinde poetae oninium sine controversia amplissimi magni-
tudo, tum quod licet prosa quam versu facilior sit traductio, est
tarnen perquam difficile ita versum solvere, nt in eo aliquant pos-
simus servare orationis dignitatem. Post et illud succurrebat, me
in praeclari atque eloquentis viri comparationem deventurum.
Nam si nemo pictor invcntus est, qui ab Apelle inchoatam Veneris
effigiem absolvere auderet, quanto magis mihi verendum erat,
tanti viri iraductionem opus sane quam pictura difficilius et dura-
bilius digne et aliqua cum laude contexere. Omnia enim, quae in
comparationem veniunt, planius si quid vitii si quid virtutis habe-
ant, prae se ferunt. Postremo quod me maxime perterreret, erat
sublime et divinum Ingenium tuum, perspicax iudicium, incredi-
bilis sapientia, cuius acumen, praestantia, magnitudo tanta est,
ut ne miuimum quidem erratum latere possit. Nam et cum
omnes in sanctitate tua virtutes ita eluceant, ut in qua cui prae-
stet, vix possit diiudicari, est tarnen in te divina quaedam sapien-
tiae coninncta eloquentia, ut in libris tuis, quem de Pericle veteres
comici dicunt, lepor inhabitet et in auditoruni mentibus quasi acu-
leos quosdam relinquas. IJaec tarnen omnia et frigida mihi visu
sunt et inania cogitanti sanctitatis tuae ooluntatem, cui ego et
vitam et si quid vita carius est et debeo et quoad mihi vita su-
pererit debere profitebor. Tu enim, beatissime pater, adversam
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
389
fortunam meam, exilium, inopinm, liberalissime sublevasti. Tu eo
me munere lionestasii, ut non soliun necessitati ut prius sed et cul-
tui et decori satisfaciam, neque tantum ut vivam, sed ut bene
et lioneste. Tu mira clementia et vere Pio (pro Cod.^ digna pie-
tate efjfecisti, ut ipse in miseram pur entern et sororem ar andern
atque innuptam pius videar et quem rei familiaris inopia tegebat
meum in eas animum iam possim ostendere. Nam licet, ubi effi-
ciendi facultas non datur, ipse animus atque voluntus satis sit,
nunc tarnen dignoscitur, neque ita esse facile persuadere possimus,
tibi plerique non modo animum sed rem ipsam in deteriorem par-
tem accipiunt■ Neque ego horum tantum . . sanctitatis tuae munus
atque officium pluris facio sed tui etiam in me iudicii testimonio,
quod in minoribus quoque ac solis etiam verbis consequi pulcerri-
mum est. Non enim tarn quaeretur, an tuam hanc in me liberali-
tatem promerear quam, quoniam ea usa est clementia tua, pro-
meritus existimabor.
Sed ne modum praefationis excedam, Homericum hunc Uli-
xem tuo ut dixi iussu pro ingenioli mei viribus prosu oratione
interpretatum, si non omnino latinum at saltem qui a latinis satis
intelligi possit, solita tua clementia accipias, beatissime pater Pie.
In quo si quid offenderit, non Homero, quo nemo clarior, nemo
constanti omnium supra duo milia annorum in hunc usque diem . .
atque consensu laudatior habitus est, sed partim difficultuti, par
tim imbecillitati meae tribuatur. Quo et aliquanto me excusatiorem
arbitror, quod per tot saecula, qui aliqua cum elegantia tradu-
xerit quique poetam cloquentissimum non paene infantem reddi-
derit, puto adhuc inventum neminem, aut si inventus est non
extat. Sed ne, dum audaciae me excusare contendo, maius, hoc est
maledicae (maledicere Cod.^ et petulantis linguae crimen subeam,
his omissis ad Homerum nostrum veniamus.
Mit fol. 3r. beginnt die Übersetzung der Odyssee Die mihi
musa virum perquam exercitum, qui post sacram urbem Ilium
dirutam longis erroribus et civitates multas vidit et hominum
mores cognovit cet. Auf der Rückseite des letzten Blattes stehen die
bekannten Epitaphia Hectoris et Achillis (vgl. Meyer’s Anthol. 241
n. 1614).
Defensor patriae iueenum fortissimus Hector
Qui murus miseris civibus alter erat cet.
Und: Pelides ego mm Tketidis notissima proles
Cid virtus clarum nomen habere dedit cet.
Man folgt nur einer einfachen Überlegung, wenn man annimmt,
dass der ungenannte Verfasser dieser Widmung identisch sei mit
jenem Franciscus Aretinus, der nach der Subscriptio der Vaticani-
schen Handschrift Valla’s Iliasübersetzung ergänzt und abgeschlos
sen hatte. Der Vorrede selbst entnehmen wir sodann die weitere That-
sache, dass von dem nämlichen, der die fehlenden 8 Bücher der Ilias
übersetzt, auch die vollständige Odyssee übertragen worden. Diese
Combination wird zur Gewissheit durch den Nachweis, dass die
nämliche Odysseeübersetzung, welche der cod. Barberinus enthält,
anderwärts unter Franciscus Aretinus Namen erhalten ist.
Im Catal. codd. msptorum bibl. reg. Paris. Tom. IV 435 wird
unter n. 8177folgende Handschrift verzeichnet: cod. chart., quo con-
tinentur Homeri Odysseae libri viginti quattuor: interprete Leo
nardo Aretino. Is cod. saec. XV videtur exuratus 2S ). Nähere Aus-
2S ) Dieselbe Handschrift meint Mazzuehelli, der Scrittori d’ Italia Vol. I P. i
in dem Artikel über Franc. Accolti d’ Arezzo n. XV S. 76 anführt, che il
Labte (Bibi. nov. Msst. p. 333) rifirisce una traduzione in versi latini
dell’ Odissea d' Omero fatta di Carlo Aretino. Und ebenso in dem Artikel
über Carlo Aretino (Vol. I P. 2 p. 1005) erwähnt er auf Grund desselben
Zeugnisses von Labbe eine lateinische Übersetzung der Odyssee von Caro
lus Aretinus (dass sie in Versen sei, wird hier nicht bemerkt) und bringt
damit unter Verweisung auf das Giornale de’letterati in Firenze vol. II
p. III 212 die oben (Anin. 17) erwähnte Einladung des Pabstes Nieolaus V
an Carolus Aretinus nach Rom überzusiedeln in Verbindung. Auch in J. A.
Fabricius Bibi. Gracca (ed. Harles Hamburg. 1790) Tom. I p. 428 wird
unter den versiones metricae latinae des Homer neben anderem dort nicht
hingehörigem eine vepsio latina Odysseae auctore Carola Aretino er
wähnt, von der es heisst msstam memorat Labbeus pag. 333 Bibi. nov.
Msst. mit dem neuerlichen Zusatz: fest cod. 8177 bibl. reg. Paris, teste
Catal. IVp. 433], Ich weiss nicht, woher dieser Irrthum entstanden ist.
Denn in Philippi Lab bei Nova bibliotheca Mss. librorum sive specimen
antiquarum lectionum latinarum et graecarum Parisiis 1033 (ich setze
den Titel vollständig hierher, damit dieses Buch nicht mit einem anderen
desselben Philippus Labbeus mit dem fast gleichlautenden Titel Nova
bibliotheca mss. librorum Paris. 1037 2 voll. fol. verwechselt werde)
finde ich p. 335 verzeichnet: n. XXXV Ilomeri Odyssea versio Latina
Aretini. In seq. Cornmentaria latina in Thalmud. Und dass Labbeus
nicht den Carolus, sondern den Leonardus Aretinus meinte, geht aus
dem Index hervor, wo diese Handschrift unter Leonardus Aretinus vor-
Laurentii Yallae opuscula tria. II.
391
kunft über dieselbe habe ich durch Vermittelung meines Collegen
Prof. Hoffmann von Herrn Dr. Zotenberg in Paris erhalten. Es ist eine
Papierbandschrift des XV. Jahrh. in kleinem Format, 197 Blätter
umfassend. Homeri odissea per leonardum aretinum Uber primus
incipit lege feil . . .
Die mihi musa virum perquam exercitum, qui post sacram
urbem iiium dirutam longis erroribus et civitates multcis vidit et
hominum mentes cognovit cet. Schluss: Ita iure iurando utrosque
Iovis filia Minerva fade voceque Mentori similis astrinxit.
[von jüngerer Hand:
Ingenio permultis erras nisi pectore volvas
Dulichii errores inqeniumque ducis
F. E.\
Homeri Odyssea per leonardtim Aretinum Uber XXIIII et
nltimus foeliciter finit, riAog.
Auf fol. 19 v. dagegen steht: Homeri Odissea per francis-
•cum aretinum über tertius finit eiusdem quartus foeliciter in
cipit. Hier hat sich also eine Spur des richtigen erhalten, die um so
unverdächtiger erscheinen muss, je vereinzelter sie auftritt. Es war
wohl nur der Austausch eines minder bekannten Aretinus gegen einen
so viel berühmteren und insbesondere durch Übersetzungen vieler
griechischen Autoren namhaften Aretinus, welcher die Zuweisung
dieser Odysseeübersetzung in der Auf- und Unterschrift an den
Leonardus Aretinus veranlasst hat, von dem der Versuch ein paar
Reden aus der Ilias in lateinische Prosa zu übertragen Anm. 22 er
wähnt ist, von dem aber eine Odysseeübersetzung meines Wissens
nirgendwo bezeugt wird.
Eine zweite Handschrift der nämlichen Odysseeübersetzung
wird in L. Joachim. Fell er i catal. codd. msstorum bibliothe-
cae Paulinae in academia Lipsiensi (Lips. 1686) p. 290, 10
zeichnet ist. Dass aber diese von Labbeus angeführte Handschrift mit der
oben nach dem Catal. bibl. rag. Paris. 8177 angegebenen identisch ist,
unterliegt keinem Zweifel. Auch finde icli in dem Catalog der Pariser
Bililiothek eine andere Odysseeübei Setzung eines Aretinus nicht erwähnt.
So scheint denn, als ob an der in den Handschriften selbst vorliegenden
Verwirrung unter den Aretini noch nicht genug wäre, Fahrlässigkeit der
Gelehrten sie noch weiter getrieben zu haben.
erwähnt 2“), über welche ich nähere Nachricht Ritschl’s Güte ver
danke. Es ist eine Papierhandschrift n. 1276 in Kleinfolio, 174 be
schriebene Blätter enthaltend und alle 24 Bücher der Odyssee um
fassend. Das zweite Blatt (das erste ist leer) beginnt: Francisci
Aretini. Viri clarissimi atqne praestantis/simi Odyssea^ Homeri
traductio incipit / Die mihi niusa virum per qite exercitum: qui /
post sacram Vrbem Ilium dirutam cet. Schluss: Ita iure iurando
utrosq; Iovis / Filia Minerva facie et voce Mentori si/milis a st rin/
xit.J rilog / Dann nach zwei leeren Zeilen roth:
Odyssearum Homeri traductio finit: Noue / primi libri a
Laurentio Valla editi: / Ceteri vero a Francisso Aretino perfiecti. /
Tuns Siluerius /. Am Ende des 9. Buches findet sich keine den hier
bezeugten Wechsel der Übersetzer angehende Notiz. Dem Holz
bande, in welchem die Handschrift sich befindet, war ursprünglich
angebunden Ilias c. Laar. Vallae. Brixiae 1497. Die Angabe, dass
die ersten neun Bücher dieser Odysseeübersetzung von Valla und
nur die übrigen von Franciscus Aretinus herrührten, kann auf Glau
ben keinen Anspruch haben gegenüber dem positiven Zeugniss, das
in der aus dem cod. Barberinus mitgetheilten Widmung an Pius II
vorliegt, die wir, wie ich denke mit vollem Recht, dem Franciscus
Aretinus zugewiesen haben. Möglich, dass jene Notiz lediglich auf
einer irrthümlichen und in den Zahlangaben ungenauen Übertragung
der von der Ilias geltenden Thatsache gemeinschaftlicher Bearbei
tung auf die Odyssee ihre Entstehung verdankt.
In einer vierten Handschrift endlich ist die nämliche Odyssee
sogar dem Laur. Valla selbst zugetheilt. Es ist cod. DU. 10 der
bi bl. Casanatensis in Rom, über den mir Hinck folgendes mittheilt.
In der im übrigen von einer Hand geschriebenen Handschrift steht
fol. 1 r von einer jüngern in dem von der älteren vermuthlich zum
Zweck eines mit Verzierung auszuführenden Titels leergelassenen
Zwischenraum die Aufschrift: Homeri Odyssea a Laurentio Valla
traducta (doch ist Odyssea aus dem noch deutlich erkennbaren
2°) Angeführt wird die Handschrift bei Mazzuchelli Scrillori (V Italia Vol. I
P. 1 p. 76 in dem Artikel über Francesco Accolti d'Arezzo n. XV und
in dem Giornale de Lelterati d’ Italia Tom. XI (Venezia 1712) p. 333 =
Apost. Zeno Dissertat. Vossian. I p. 165 in dem Artikel über Benedetto-
Accolti d' Arezzo.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
393
Ilias corrigiert). Die Übersetzung selbst beginnt: Die mihi musa
virum per quem exercitum, qui post sacram urbem Ilion dirutam
longis erroribus cet. und schliefst fol. 150r. Ita iure iurando utros-
que louis filia Minerva facie et voce Mentori similis ustrinxit.
Die folgende Seite leer. Fol. 151 r. Clarissimo viro Bernartlo
Iustiniano equiti aarato ac orntori eloquentissimo Iustinianus
Luzagus salutem, woran sieh die oben (s. Anm. 26) nach der editio
princeps theilweise mitgetheilte Dedicationsepistel anscbliesst so ). Die
Handschrift, die mit dieser Epistel abbricht, ist augenscheinlich un
vollständig, man hatte offenbar die Absicht, wie in dem Leipziger
Exemplar, die beiden zusammengehörigen Übersetzungen der Ilias
und Odyssee mit einander zu verbinden, und man begreift hiernach
um so mehr, wie Laurentius Valla's Namen in die Aufschrift der
Odyssee kam, zumal Odyssea erst nachträglich, um die Aufschrift
wenigstens der nachfolgenden Übersetzung anzupassen, aus Ilias
corrigiert worden s i).
Nach der bisherigen Darlegung nehmen wir als festes Resultat,
dass Laurentius Valla, der seine Iliasübersetzung nur bis zum Ende
des XVI. Buches geführt hatte, an seinem Schüler Franciscus Are-
tinus einen Fortsetzer fand, welcher sowohl die fehlenden 8 Bücher
der Ilias als auch eine vollständige Odysseeübersetzung als Gegen
stück zu jener hinzufügte. Da, wie früher bemerkt, Bernardus Iusti
nianus schon im Jahre 1461 ein vollständiges Exemplar dieser Ilias—
3o ) Diesen Inhalt der Handschrift verzeichnet auf dem Vorsvlzhlatt eine ganz
junge Hand, die sogar den Fahricius citiert: Odyssea Homert a Laurentio
Valla laline retldita u. s. w.
8i) Carlo de’ Rosmini in der Vita di Francesco Filelfo (Milano 180SJ Toin. II
p. 93 erwähnt eine von ihm in der Ambrosiana gesehene gedruckte Odyssee
übersetzung von Franc. Philelphus. Homeri Poetarum Clarissimi Odyssea
de erroribus Ulixis, per Franciscum Filelphum e Graeco traducta. Argu
menta etiam singulis XXIIH Odysseae libris addita sunt. MCCCCCXVI
Venetiisper Bernardinum Venetum de Vilalibus in foglio. E preceduta dalla
Vita di Omero tradotta dal Guarino, alla quäl viene appresso l’ Epitome
dell’ Iliade d’ Omero tradotta da Pindaro Ausanio. Dieses Exemplar muss
äusserst rar sein. Ich habe es weder in Wien noch in anderen deutschen
Bibliotheken (München, Göttingen, Heidelberg, Berlin) gefunden. Rosinini
weist die önw'ahrseheinlichkeit nach, dass Franc. Philelphus Verfasser
dieser Übersetzung sei, er denkt an den Sohn Mario Filelfo. Eine Unter
suchung derselben wäre äusserst wünschenswert!).
i
394
V a h 1 e 11
Übersetzung in Frankreich fand, Aretinus aber im Auftrag des Pabstes
Pius II, der 1458 den apostolischen Stuhl bestiegen, jene zweifache
Ergänzung der Homerübersetzung vorgenommen, so ergibt sieb,
dass diese beiden Arbeiten des Aretinus in die Jahre 1458—1460
zu setzen sind.
Einen Unterschied in der Übersetzung der 16 ersten und der 8
folgenden Bücher der Ilias habe ich nicht wahrgenommen. Francis-
■cus Aretinus bat sich genau an Valla's Muster angeschlossen, und
beide ihr Bestreben dahin gerichtet, in freiem Anschluss an den grie
chischen Dichter lesbare Prosaerzählungen vom Troischen Krieg,
wie von den Abenteuern des Odysseus zu liefern. Eine ältere Odyssee
übersetzung bat Franciscus Aretinus, wie man der Widmung ent
nimmt, nicht gekannt oder nicht benutzt, so wenig als Valla bei der
Ilias die Florentinisehe des Leo Pilatus; doch hatte letzterer, wie
bekannt, in gleicher Art wie die Ilias auch die Odyssee übertragen.
Handschriften dieser Übersetzung verzeichnen Melius Ambrosii Tra-
versarii Epistolae p. CCLXXIII und ßandini im Catal. codd. Laar. lat.
Vol. II pl. XXXIV cod. XL V. Beide theilen Anfang und Schluss mit:
Virurn pande mihi Musa multimodum, qui valde niultum
Erravit, postquam sacram civitatem depraedatus fuit,
Multorum liominum vidit urbes et intellectum novit cet.
Schluss: Pallas Atliena filia Iovis Egiochii
Mentori assimilata atque quidem corpore atque voce.
Eine andere ältere Odysseeübersetzung wird dem Griechen
Emanuel Chrysoloras zugeschrieben von Zeno Diss. Foss. I 212,
Tiraboschi Storia d. lett. ital. VI 833 und auch noch von Voigt
Wiederbelebung S. 358. Zeno schreibt a. a. 0.: uccennero solamente,
che V Odissea fu tradotta da Emanuello Crisolora; e la sua tra-
duzione, la quäle in un Codice antico peoorino sta nella libreria di
San Giovanni in Verdara di Padova. principiando, Virum mihi
p a n d e m usa m uItimod um, dovette necessariamente esser fatta
avanti il pontificato di Niccolö V. Schon die hier mitgetlieilten
Anfangsworte der Übersetzung lassen vermuthen, dass sie mit der des
Leontius Pilatus identisch war. Dazu kommt, dass die von Zeno
angezogene Handschrift augenscheinlich dieselbe ist mit dem Codex,
von welchem Humphred Hodius De Graecis iflustribus (Londini
1742) p. 10 bei Pilato's Homerübersetzung redet: Odyssea ser-
vatur etiamnum Patavii in bibliotlieca S. Ioannis in Viridario,
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
395
in quo exemplari male tribuitur Emanueli Chrysolorae. Homeri
Odyssea ex tr anslatione Manuell s Chrysolorae vel
potius alicuius indocti, alt Petrus Montaynana in notula
sita manu adscripta, qui librum donnvit circa annum 1478,
Pilati esse haud dubito. Es war also nichts als eine flüchtig hin-
geworl'ene Vermuthung des einstmaligen Besitzers der Handschrift,
der Chrysoloras bis in die neueste Zeit den unverdienten Platz unter
den Homerübersetzern verdankte.
Franciscus Aretinus' Übersetzung der Odyssee, die als die erste
lesbare zu bezeichnen ist, muss früh verschollen sein: wenigstens war
sie dem Raphael Volaterranus (1451—1522) unbekannt, als er eine
neue prosaische Übersetzung der Odyssee versuchte, für die er sich
aut'Valla's Prosaübersetzung der Ilias als analoges Exempel berief. In
der Dedication an Paulus Maphaeus Volaterranus seinen Schwieger
sohn (in dem Druck apud sanctam Ubiorum Agrippinam per He-
ronern Alopecium Anno M. D. XXIIll) schreibt er: prosam elegi
orationem, Valium ante me imitatus, qui Iliada sic vertit, ut opus
integrum in hoc genere nostris traderetur 32 ), simidque quod non
satis venuste hie auctor aliter convertatur nec priorum aliquis
tentaverit — interposui et carmina quaedam diversis in locis
ut illustrioribus simulque ut a nostris suppilata manifestarem ■—
Hane itaque tibi legendam mitto simid cum tribus Iliados
libris quos dudum iunior carmine qualicunque con-
verti a veteribus Ulis magnopere laudatos, prim um . . secun-
dum . . nonum. Die Übersetzung der Odyssee, der kurze Ar
gumente zu den einzelnen Büchern vorausgeschickt sind, beginnt
gleich mit Versen, zum Theil dem Horatius entlehnt: Die mihi musa
virum captae post tempora Troiae Qui mores hominum multorum
vidit et urbes cet. und schliesst: Foedera deinceps cum utrisque
Pallas Mentori corpore voceque assimilata composuit.
Nachdem wir Franciscus Aretinus' Homerübersetzungen aus
halber Vergessenheit wieder ans Licht gezogen und ihnen unter den
vorangegangenen und nachgefolgten gleichartigen Arbeiten ihren
32 ) Kr wollte also zu Valla’s Ilias ein Seitenstiiek in der Odyssee liefern, damit
so der ganze Homer in zwei gleichartigen Übersetzungen vorliege — genau
das, was Franciscus Aretinus schon vor ihm geleistet hatte.
i
Platz angewiesen, dürfen wir ihm den Dienst nicht versagen, uns
noch einen Augenblick länger mit ihm zu befassen, um uns seiner
manchem Zweifel ausgesetzten Persönlichkeit noch besser zu ver
gewissern.
Der oft angezogenen Vorrede zur Odyssee, die dem Franciscus
Aretinus zuzuschreiben die in ihr seihst gemachten, mit anderweitig
documentirten Thatsachen übereinstimmenden, Angaben uns be
rechtigen, entnehmen wir über die Person des Übersetzers, dass er
ein Schüler des Laurentius Valla war, dass er dem Pabst Pius II, in
dessen Auftrag er beide Übersetzungen, die eine vollendete, die
andere anfertigte, nach Verbannung und Missgeschick eine ge
sicherte Lebensstellung verdankte, die nicht bloss dem eigenen Be-
dürfniss genügte, sondern ihm auch die ersehnte Möglichkeit schaffte,
an seiner Mutter und einer älteren unverheirateten Schwester Pietät
zu üben.
Bartholomäus Facius hat einen Franciscus Aretinus unter seine
Viri illustres aufgenommen (p. 15 Melius), von dem er folgendes
anführt: Franciscus Arretinus utriusque linguae peritia simul et
dicendi laude in hoc ordine numeratur. Plialaridis Tyranni epi-
stolas, quas ille graece scriptas reliqnit, latinas effecit. Ex Chry-
sostomo Homelias super loannem Apostolum, ex Origine Philo-
calia, ul est flosculos quosdam traduxit. A Poetarum studio non
ubhorrens epigrammatum librum edulit. Diesen Franciscus Are
tinus mit dem unseren zu identificieren kann der Umstand wenigstens
nicht hindern, dass bei Facius der Homerübersetzungen keine Er
wähnunggeschieht, da Facius' Buch, wie wir annelimen (s. Anm. 8)
1456, jene aber unter Pius' Pontificat (also nach 1458) verfasst
sind. Überdies können wir Facius’ Verzeichniss noch durch einige
andere Übersetzungen des Franciscus Aretinus ergänzen. Wir reihen
die von Facius erwähnten und die noch hinzukommenden an der
Hand der vom Verfasser selbst gegebenen Winke in der Beihen-
folge auf, in der sie entstanden sind.
1) Die Übersetzung der Briefe des Phalarisos), welche Fran
ciscus Aretinus dem Malatesta Novellus gewidmet hatte. Malatesta
ss ) Von dieser handschriftlich oft vorkommenden Übersetzung benutze ich
den Druck Tarvisii M.CCCC.LXXl, der ohne Titel mit der Dedieation
beginnt: IHcsus/ Francisci Arhetini in / Plialaridis Tyranni Agri/gentini
Epislulas Prohe/mium. Dann folgen von fol. 4—59 die Briefe des Bhalaris;
Laurentii Vallae opuscula Iria. II-
397
Novelio de'Malatestis, Fürst von Cesena, Bruder Ghismondo Pan-
dolto's (1418 —1465) war, wie schon der Oheim Carlo Malatesta,
mit dem Leonardo Bruni (Epist. Ed. Melius I p. 80 ff. u. II p. Bl)
in Verbindung stand, humanistischen Bestrebungen nicht abgeneigt.
Von ihm stammte die Büchersammlung in Cesena, über welche
Tiraboschi Storia della lett. ital. VI 154 einiges referiert s4 ), der
sich wundert so gar keinen humanistischen Lobeserhebungen dieses
Fürsten zu begegnen. Doch hatte Philelphus, der 1459 (Pliilelphi
epistolae fol. 105 r.) auf einer Reise nach Rom ihm in Cesena
seine Aufwartung machte, schon in früheren Jahren ihm seine
Übersetzungen von Lebensbeschreibungen und anderen Schriften
Plutarch’s zugesendet 35 ). Auch Poggio stand mit ihm in Briefwechsel
(Mai Spicil. Rom. X p. 271 lg.). Cand. Decembrius spricht in einem
Brief (Bandini Catal. codd. Laur. lat. II 705) an König Johann von
Castilien den Wunsch aus, ein von ihm verfasstes Buch auch Mala-
testa’s Bibliothek einverleiht zu sehen. Und Iohannes Marchanova
fol. 59 v. eine Dedieation von vier weiteren Briefen des Phalaris an König
Alphons nebst der Übersetzung dieser Briefe des Phalaris selbst; und zum
Schluss ein Brief des Franeiscus Aretinus an den Clur. atq. Praestan.
Iuriscbn. Franeiscus Pelatus Patavinus Regius Consiliarius, mit welchem
er diesem seine Übersetzung zusendet. MCCCCLXXI. / Tarvisii / Finit.
Noch eine zweite Edition sine loco et anno beginnt ohne Titel und Auf
schrift mit dem Text der Dedieation an Malatesta, worauf dann in der
selben Ordnung die Briefe des Phalaris, die neue Dedieation an König
Alphons und die vier neuen Briefe des Phalaris folgen. Schluss: Phalaridis
Tyranni Agrigentini Epistolae ad illustrem principem Malateslam per
Franciscum Aretinum translatae felicilcr expliciunt. Dann noch tabulae
der Aufschriften und Anfänge der Dedicalionen und der Briefe des Phalaris.
3t ) Genaueres über Gründung und Bestand der Bibliothek gibt der Catalogus
codicum mssptorum Malatestianae Caesenatis bibliotheeae. Auctore los.
Maria Mucciolo (Caescnae 1780 II Tomi fol.) T. I p. 13 —15. Vgl.
auch Blume Iler italicum II 1 (iß.
35 ) Vgl. Pliilelphi Epistolae fol. 81 r. vom 19. Dec. 1453, worin Philelphus
auf eine Anfrage des Fürsten über die lateinisch übersetzten Biographien
Plutarch’s Auskunft gibt, und miltheilt, dass die des t.ycurg und Numa
von ihm übertragen seien; fol. 82 v. vom 27. Februar 1454: et Galbae et
Othonis Caesarum vitas ex Plutarcho ad latinos traduxi litoque nomini de-
dicavi. Vgl. fol. 85 r. vom 13. Mai 1454. Und fol. 88 r. vom 5. Novemb.
1454: habcs etiam cum bis vitis (Galbae et Othonis) Laconica Plutarchi
apophtegmata . . non diu post ad tc dabo liistoriam Cyri iunioris, quam
Xenophon Socraticus libris ipnngue (sic) camplcxus est.
398
V a h 1 e n
hatte ihm seine Inschriftensammlung zugeeignet (Zeno Diss. Voss.
I 143 fg. Muccioli Catal. I 26).
Franciscus Aretinus wendete sich also mit seiner Übersetzung
des Phalaris an einen Fürsten, von dem er annehmen durfte, dass
ihm mit solchen humanistischen Aufmerksamkeiten gedient sei. In
der Widmung, mit welcher er die schon früher versprochene Über
setzung dem Fürsten zusendet, unterlässt er nicht das Haus der
Malatesta, soweit es der Raum einer Vorrede gestattet, gebührend
zu preisen und behält sich eingehenderes für eine andere Gelegenheit
vor. Zugleich beklagt er, dass das griechische Exemplar, nach wel
chem er diese lang vernachlässigten Briefe übersetzt habe, an vielen
Stellen fehlerhaft geschrieben sei und dass er nur weniges davon zu
verbessern vermocht habe: quoll si quando mihi emendatius exem-
plar dabitur, particulis Ulis correctis, ad praestantiam tuam mit-
tam. Doch muss der Fürst den Erwartungen des Franciscus Aretinus
nicht entsprochen haben. Denn von vier weiteren Briefen des Phalaris,
die er in einem anderen griechischen Exemplar gefunden, widmet
er eine lateinische Übersetzung dem König Alphons von Neapel,
indem er bedauert, diesem nicht auch die früher übersetzten zuge
eignet zu haben: atque utinam non (nunc?) primum omnes editas
immortali nomini tuo inscriberem, seil quod factum est, accusari
potius quam emendari licet, neque optionis ulla utilitas est, quum
res in integrum restitui nequit. Verum si serenitati tune Studium
meum placere intellexero, quidquid dcinceps aggrediar, felicissimo
nomini tuo libens cledicabo. Diese Übersetzung, wohl die erste mit
dem Nachtrag (epistulas Phalaridis quas paulo ante e graeco in
latinum traduxeram schreibt er allgemein), sandte er mit dem in
den angeführten Drucken enthaltenen Briefe dem Juristen Franciscus
Pelatus (oder Pellatus oder Pellotus) aus Padua, über dessen Person
näheres weder aus dem Briefe zu entnehmen, noch sonst sicli mir
dargeboten hat, ausser dass die Bezeichnung Regius Consiliarius
nach Neapel weist. Da Facius diese Übersetzung nennt, so ist sie vor
1456 entstanden, womit sehr wohl stimmt, dass der Nachtrag dem
König Alphons, der 1458 starb, gewidmet ist.
2) Die Übersetzung der Briefe des Cynikers Diogenes, mit
einer zweifachen Widmung an Pabst Pius II, einer poetischen in
elegischem Versmass, die zu den schlechtesten ihrer Art nicht ge
hört (wir erinnern uns, dass Facius ein epigrummatum Uber von
Laurentii Vallne opnscula tria. II.
399'
Franfciscus Aretinus anführte) und einer prosaischen s«), In der
ersten, welche die Aufschrift trägt Ftancisci Arretini El cg in ad
Piam II Pontificem maximum wendet der Dichter sich an die Muse-
Thalia, die, nachdem sie seit Nicolaus' glücklichen Zeiten habe
verstummen müssen, jetzt von neuem in den Vatican sich wagen
und von dem Zögling der Musen Pius Aeneas sich eines freundlichen
Empfangs versehen dürfe, er trägt ihr auf, dem Pabst die Über
setzung der Briefe des Diogenes zu überreichen: si te nesciat ipsa
refer: / Hunc tibi Franciscus Tusca de gente libellum / Uns
Cynici supplex mittit epistolulas.
In der prosaischen Widmung erklärt sicli der Verfasser dem-
Pabste zu Dank verpflichtet: er widme ihm die kleine Arbeit, quod
pro tuis erga me et studioiös omnes immortalibus meritis omne
meum Studium quantulumcurique, laborem, vigilias, iure optimo
sibi vendicat clementia tua. In dieser Vorrede wird auf die Über
tragung des Phalaris ausdrücklich Bezug genommen. Über Diogenes
Lehen und Charakter, die hinlänglich bekannt seien, eingehender zu
handeln, sei nicht erforderlich, wie beim Phalaris, den er eben zuerst
36 ) Voigt Enea Silvio III 613 scheint diese Übersetzung nur handschriftlich
zu kennen. Handschriften nennt Mazzuchelli Scrittori diItalia Vol. I P. i
in dem Abschnitt über Fr. Accolti d’Arezzo S. 74, und es Messen sich
noch andere aus verschiedenen Bibliotheken anführen. — Es existirt ein
Florentiner Druck von 1487, den ich nicht gesehen habe. Ich benutze die
Edition von 1492. Diogenis Epistolae / Bruti / Yppocratis mcdici —
Florentiae / facta est harum epistola/rum impressio Per Antonium / Fran-
cisci Venetum. Anno Domini / M. CCCC LXXXXll. X Kalen, lulias. Die
Übersetzungen der Briefe des Brutus und Hippokrates sind von dem
päbstlifchen Secretär Kinuchius, den Valla mehrfach erwähnt und seinen
Lehrer im Griechischen nennt. Sie sind beide dem Pabst Nicolaus V ge
widmet, die letztere, welche auf Veranlassung des päbstlichen Arztes-
Philippus Mediolanensis (vgl. Marini Archiatri pontificii I 149) entstanden,
ist zugleich in einem ebendort abgedruckten Briefe Domino A. TT. sancti
Chrysoguni presbite.ro Cardinali uerde gesendet. Den Fehler Zierde, der
auch in dem älteren Druck und in einer Florentiner Handschrift sich tindet,.
verbessert Marini a. a. 0. in Cardinali Ilerdensi. Der Umstand, dass diese
Übersetzungen des Rinuchius mit des Franciscus Aretinus’ Diogenes in
diesem wie dem altern Druck verbunden sind, scheint veranlasst zu haben,
dass auch die Übersetzung der Briefe des Brutus dem Franciscus Aretinus
irrthümlich zugeschrieben worden, worüber Mazzuchelli a. a. 0. p. 76
n. XVI.
400
V a h 1 e n
aus der Vergessenheit der Mitwelt habe wieder in Erinnerung
bringen wollen. Der Diogenes also folgte auf den Phalaris, und dass
ihn Facius nicht mehr gekannt, macht die Widmung an Pabst Pius II
erklärlich. Letzterem versichert der Übersetzer zum Schluss seiner
Widmung: si Studium meum non ingratum intellexero, alia et
fortasse maiora tuo praestantissimo iudicio confirmatus uggrediar.
3) Hier reihen wir die Homerübersetzungen ein, die Voll
endung der Ilias und die vollständige Odysseeübersetzung, von
denen die erste, wie bemerkt, in den Jahren 14o8—-1460, die
zweite ein Jahr später als die erste entstanden ist. Es ist der Be
achtung werth und dient unseren Combinationen nicht wenig zur
Unterstützung, dass die Odyssee nicht bloss ebenfalls wie der
Diogenes dem Pabst Pius gewidmet ist, sondern dass sich in der
Widmung der ersteren ein Fortschritt in den Beziehungen des Ver
fassers zu dem Pahste bemerkbar macht. Der Diogenes war eine
freie Widmung, die Homerübersetzung ist im Auftrag des Pabstes
gemacht; in jener bekennt sich der Übersetzer im allgemeinen dem
Pabst zu Dank verpflichtet, in dieser ist die Dankesbezeugung un
gleich nachdrücklicher, und wir erfahren speciell, wie sehr der Ver
fasser dem Wohlwollen des Pabstes verpflichtet war. Dieses Zu
sammenstimmen der Umstände wird zu einem neuen Argument für
die auch an sich schon hinreichend gesicherte Annahme, dass der
ungenannte Verfasser jener Widmung der Odyssee mit dem Über
setzer des Diogenes und des Phalaris identisch sei. Zugleich er
kennt man schon hieraus, wie übereilt das Urtheil Voigt's (Enea
Silvio III S. 613) war, der, nachdem er unter den 'von auswärts’
(wir werden sehen, dass Franciscus Aretinus in Rom lebte) an Pius
sich wendenden Humanisten den 'Francesco d'Arezzo’ mit seiner
Übersetzung des Diogenes erwähnt hat, bemerkt 'wir linden weder,
dass Pius vom Buche noch dass er vom Übersetzer Notiz nahm’;
und doch hatte Voigt selbst erst auf S. 533 den 'Francesco d’Arezzo’
in dem von Pius neu eingerichteten Collegium der Abbreviatoren
aufgeführt, worauf wir später zurückkommen.
4) Die Übersetzung von Luciani oratio de calurnnia S7 ) (d. i.
jrept roö [de padtco? ncareOeiv SiaßoXrj n. 78 bei ßekker II p. 421),
3 7 ) Mazzuchelli a. a. 0. scheint diese Übersetzung nur handschriftlich zu
kennen, und handschriftlich findet sie sich sowohl sonst als in dem Wiener
Codex 3236, hier ohne des Verfassers Namen. Mir liegt ein Druck sine
Laurentii Vallae opuscula tria. 11.
401
dieselbe Schrift, welche auch Guarinus ins Lateinische übertragen
hatte (Rosmini Vita e disciplina di Guarino Veronese Vol. II S. 16S).
Aretinus hat seine Übersetzung dem Iohannes Comes Vigorniae ge
widmet zu der Zeit als er damit beschäftigt war, die schon früher von
ihm übersetzten Homilien des Chrysostomus zum Iohannesevangelium
für Cosmus Medices zu revidieren. Ich theile aus der Widmung so
viel mit, als für unsere weitere Erörterung nützlich oder nothwendig
ist. Hane Luciani de calumnia orationem, princeps illustris, non
ideo in praesentia clarissimo nomini tuo inscribendam duxi,
ut ea pollicitatione absolutum me aut existimem aut velim, sed
cum ante annum et dimidium Chrysostomum super Ioliannis evan-
gelio iam a me traductum praestantissimo viro Cosmo Medice me
emendaturum pollicitus fuerim et ea gratia in hunc usque diem
aliquid tibi, quod maxime cupiebam, inscribere distulerim, cum
huc brevi discessurus veneris sine aliquo pro temporis [et] brevi-
tate meae in te observantiae monumento discedere praestantiam
tuam minime patiar. Quod etsi minimim sit, pro benignitate
tarnen sua non rem sed exhibentis animi vim respecturam non
dubito. Verum si deus meae annuerit voluntati aliquid fortasse
dignius in tuum nomen a me traductum humanitatem tuam in
Britanniam usque prosequetur, superabit montes, transmittet oce-
anum et in ultimo terrarum et secundum Maronem nostrum in
penitus toto divisis orbe Britannis te requiret, tibi vel maximis
in rebus occupatissimo deditissimi tui Francisci memoriam sug-
geret.
Der in der Widmung angeredete Iohannes comes Vicorniae
(oder Wygorniae, Vigorniae) ist John Tiptoft Earl of Worcester,
der unter Heinrich VI und Eduard IV von England eine Rolle ge
spielt und bei der Restauration des ersteren im J. 1470 ein kiäg-
anno vor mit der Unterschrift: Hoc opus exiguum diligens sculpsit Fride/
ricus Nurri:berge Creussner arte fabrili sua. Die Edition enthalt 1) die
Briefe des Diogenes mit der prosaischen Widmung an Pabst Pius II (die
metrische fehlt), 2) einen Brief an den schon genannten Ictus Franciscus
Pellatus, über den im Text näheres, 3J die Widmung des Lucian Illustri
principi Iohanni Comiti Vicor/nie Franciscus Aretinus salutem dicit,
und endlich die Übersetzung der Lucianischen Schrift selbstLauciani(sic)
oratio de calumnia e graeco in latinum a Francisco Aretino traducta incipit
feliciter.
Sitzb. A. phil.-hist. CI. LXI. Bd. III. Hft.
27
402
V a h 1 e n
liches Ende nahm. Im J. 1457 war er an der Spitze einer Gesandt
schaft beauftragt, die Obedienzerklärung König Heinrichs VI dem
Pabst Calixtus III nach dessen schon 14SS erfolgten Thronbe
steigung darzubringen ss). Ob er die Botschaft ausgerichtet, weiss
ich nicht. Im J. 14S9 war er zu gleichem Zweck mit einer Gesandt
schaft an den neuen Pabst Pius II abgesandt, doch scheint er dies
mal dem königlichen Auftrag sich entzogen zu haben sä).
Gleichwohl muss der Graf eben um dieses Jahr auf italienischem
Boden gewesen sein. Ludovicus Carbo, ein Schüler Guarinus', redet
von ihm in der oratio funebris, welche er auf seinen im December
1460 gestorbenen Meister gehalten oder geschrieben 4 «). Guarinum
38) Das königl. Vollmaclitsclireiben (Rex . . carissimo consanguineo suo
lohanni Comiti Wygorniae ac dileclis et fidelibus suis Roberto Flemmyng
Capellano nostro etc. vom 5. Aug. 1457 bei Thom. Rymer Foedcra, con-
stitutiones etc. inter reges Angliae et alius imperatores etc. (Fd. III cur.
Georg. Holmes. Hagae Comitum 1741) Tom. V P. II p. 77.
39 ) Thom. Rymer theilt a. a. 0. p. 84 die vom 16 Mai 1459 datirte königliche
Vollmacht mit, fügt aber sofort ein zweites Schreiben des Königs hinzu,
in welchem mit Übergehung des Comes Wygorniae dem Robert Flemmyng
und den anderen CLerikern allein der im übrigen gleichlautende Auftrag
ertheilt wird. Und aus Pius’ II Commentarii (Francofurti 1614) lib. III
p. 88 entnehmen wir des Pabstes Missvergnügen darüber, dass aus Eng
land nur Gesandten untergeordneten Ranges gekommen sind: Henricus eins
nominis sextus . . . iassus legationem mittere ad conventum Mantuanum
nomine regio et rebus quae ibi traclandae forent non indignam episcopos
et proceres regni praeclaros designamt oratores; sed nemo illorum iter
ingressus est, conlempserunt omnes regis iussionem. Ille duos presbyteros
modici nominis ad Pium transmisit, qui et obedientiam offerrenl et cur
legati maiores non venissent, causas redderent.
40 ) Über Ludovicus Carbo aus Ferrara gibt Carlo de’Rosmini Vitae disciplina
di Guarino Veronese e de'suoi discepoli vol. III p. 147 ff. nähere Nach
richten; derselbe hat auch die meines Wissens nicht gedruckte oratio
funebris auf Guarinus handschriftlich benutzt und III p. 155 u. 161 A. 36
die den comes Vigorniae betreffende Stelle erwähnt und theihveise mitge-
theilt. Doch 6nde ich diese vollständiger angeführt in Ioannes Baleus
Scriptorum illustrium maioris Brytanniae catalogus (Basileae apud
Oporinum 1667 fol.), wo n. XLVI der centuria octava p. 620 über den
Iohannes Tipitotus Vuigorniae comes Nachrichten zusammengestellt, auch
einige schriftstellerische Arbeiten desselben, Übersetzungen Ciceronischer
und anderer Schriften ins Englische, Reden ad Patavienses, ad Pium II,
ad purpuratos patres u. A. erwähnt werden. In dem Appendix zu diesem
Abschnitt ist, was Ludovicus Carbo Ferrariensis in oratione funcbri über
Laurenlii Vallae opuscula tria. II.
403
Veronensem audire desideravit illustrissimus princeps Ioannes
■Anglicus immo Anglicus 41 ), Wigorniae comes, ipse quoque ex
antiquissima regum Angliae proscipia ductus, qui paternam sapien-
tiam imitatus, anno aetatis suae quinto et vicesimo, quod ante eum
accidit nulli, maximus Angliae Thesaurarius creari meruit. . . Qui
cum mare Brytannicum prudentia sua et rei militaris peritia paca-
tum rcddidisset 43 ), Hierosolymis peragratis, Musarum dulcedine
captus, trienniuni iam in ltalia commoratus est, qui etiam nunc stu-
diorum causa degit Patavii Venetoruni kumanitate detentus. Qui
litterarum avidissimus ut ita dixerim omnes Italiae bibliothecas
spoliavit, ut pulcherrimis bibliorum monumentis Angliam exornet.
Quem ego mitissimum Dominum meum appeüare possim et debeo.
Vellet etiam, nescio qua bona de ingenio meo opinione captus, me
■in Angliam ducere, cui certe lubens parebo, si nunc in me fuerint
Ferrarienses ingrati. Gegen Ende des Jahres 1460 war demnach der
comes Vigorniae noch, und zwar bereits seit 3 Jahren, in Italien, ging
aber jetzt mit dem Gedanken an seine Rückkehr um. In dieser Zeit,
in welche auch die anderen von Baleus erwähnten Reden lallen, muss
er vor Pius, wenn auch nicht als Gesandter des Königs, jene Rede
gehalten haben, von welcher sein Landsmann und Studiengenosse
Ioannes Free 43 ) in der Widmung des Synesius de calvitie in über
den Grafen ausgeführt hat, abgedruckt. Obwohl ich näheres über diese
oratio funebris nicht weiss, so ist doch die natürliche Annahme, dass sie
nicht gar lange nach Guarinus’ Tode geschrieben worden; über letzteren
füge ich zu dem oben Anm. 8 erwähnten noch das Zeugniss Pius’ II hinzu,
der (Commentarii p. 57) im Jahr 1459 den hochbejahrten Guarinus in
Ferrara noch gesehen und eine Rede von ihm angehört hatte und in den
selben Commentarii p. 125 schreibt: Ad quartum calendas Ianuarias anni
MCCCCLX ab inearnatione Verbi Pio Pontifici obilus nunciatus est clari
viri Guarini Veronensis.
41 ) Soll wohl angelicus heissen, was wenigstens verständlich, wenn auch ein
frostiger Wortwitz ist.
42 ) Als Thesaurarius Angliae wird der Iohannes Comes Wygorniae in einer
Urkunde v. J. 1454 bei Rymer a. a. 0. p. 54 und in einer anderen vom
J. 1462 ebend. p. 112 erwähnt. Doch hat er in der Zwischenzeit dies Amt
nidht verwaltet. Auf das andere Factum, das Carbo erwähnt, beziehe ich
die Notiz bei Lingard (Hist, of England. IV Ed. Lond. 1837) vol. V
p. 147, dass am 16. April 1454 The custody ofsea was intrusted for seren
years to five noblemen, unter denen der Earl of Worcesler genannt wird.
43 ) Über Iohannes Free, der mit dem Comes Vigorniae in dem Collegium
Balliolense der Universität Oxford erzogen worden, gibt Wood Ilistoria et
27»
404
V ft h 1 e n
schwänglichen Ausdrücken redet 44 ): nam quid aequius quam litte-
rarum et doctrinae monumenta Uli deferre, qui de litteratis homini-
bus optime meruit et a quo omnis liberalis digna homini nobili
praecepta doctrina est. Te solum enim omnium principum, verbis
aut ein utar, quibus usus est ad tePius II Pont. Rom. lacrymans prae
gaudio cum te audiret orantem, te solum, inquam, omnium princi
pum haec nostra conspexit aetas, quem virtute et eloquentia prae-
stantissimum ipsis Romanorum et Graecorum imperatoribus com-
parare possimus (folgen noch andere Überschwänglichkeiten). Quae
quoniam ita sunt, DU patrii, quorum sub munere nostra Britannia
est, te tantum ac talem virum admonuerunt ut pacem quam bellum
malles, ut terras, quas ipsi deserebant, relinqueres nec te virum
integerrimum et ab omni factionis scelere immunem cum impiis
antiquitates universitatis Oxoniensis (Oxonii 1674) Tom. II p. 76 fg. Nach
richten. Carbo nennt ihn in der oratio funebris unter Guarinus’ Schülern,
und ihn, sowie den schon erwähnten Robert Fleminyng und den John Gun-
thorp hat Rosmini Vita di Guarino Tom. III p. 117—121 unter Guarinus’
Schülern aus England aufgeführt. Keinen derselben kennt Voigt in dem
magern Abschnitt, in welchem er von den Beziehungen des italienischen
Humanismus zu England redet (Wiederbeleb. S. 373 fg). Dagegen erwähnt
er den William Gray, dem Vespasiano (Mai Spicileg. Rom. I p. 280) eine
kleine Vita gewidmet, als Schüler Guarinus’, den Rosmini übergangen hat.
An diesen ein Rrief Poggio’s im Spicil. Rom. X p. 296 fg.
44 ) Diese Stelle aus der Widmung des Synesius entnehme ich Wood a. a. 0.
p. 73 IT. ln den Drucken dieser Übersetzung, die ich gesehen habe (Basi-
leae 1313, 1321, Lutetiae Paris. 1324, sie enthalten ausserdem Seueca’s
Ludus und Des. Erasmus Encomium moriae), ist zwar der Übersetzung eine
Widmung mit der Aufschrift Ioannes Phrea Anglus N. S. P. ü. vorausge-
geschickt, aber mit dem Namen des Adressaten ist die obige den Comes
Vigorniae angehende Stelle (hinter optime meruit) weggefallen. Beatus
Rhenanus, der Herausgeber, sagt in der Epistel an Martinus Ergerinus
Selestadiensium parochus, dass sein Lehrer Cuno die Übersetzung aus
einem lückenhaften und verderbten Exemplar aus Italien mitgebracht. Für
den Abschreiber hatte wohl der Comes Vigorniae und die ihn angehenden
Lobeserhebungen kein Interesse. Über den Übersetzer schreibt Beatus
Rhenanus: Ls enim Ioannes Phrea quod non sine publico Britanniae, quam
nunc Angliam vocant, honore dixerim, utramque linguam egregie per-
calluit, bonas litteras summa cum laude non paucos annos idque in Italia
professus. Es hatte aber Free neben humanistischen auch medicinische
Studien in Italien getrieben.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
405
et factiosis hominibus miscendo commaculares. Free starb gegen
Ende 1464. Die Übersetzung, die er in der Widmung als eine
Erstlingsarbeit bezeichnet, hat er augenscheinlich in Italien gemacht
und die Widmung aufgesetzt, als auch der comes Vicorniae den
italienischen Boden noch nicht verlassen hatte.
Hierzu kommt endlich noch aus wenig späterer Zeit die etwas
verworrene und formlose Erzählung Vespasiano’s im Leben des Duca
di Worcestri ts ) (Mai Spicil. Rom. I 524 ff.), wonach der Graf,
um den Parteiwirren Englands auszuweichen, nach Venedig und von
dort nach Jerusalem gegangen sei, nach seiner Rückkehr aber in
Venedig und Padua — Ferrara nennt Vespasiano nicht — sich
längere Zeit aufgehalten habe; von Padua aber, wo er den Studien
oblag, da die Wirren in England zu Ende gegangen — wir nehmen
an im Anfang des J. 1461, nachdem König Eduard den Thron be
stiegen — nach seiner Heimath zurückbeschieden worden; vor seiner
Abreise habe er noch Florenz, wo er einer Vorlesung des Iohannes Ar-
gyropulos beiwohnte — dieser war von 1456—-1471 in Florenz als
Lehrer der Rhetorik thätig — und Rom besucht, wo er den Pabst
und viele Cardinäle und Prälaten gesehen, und, wie wir hinzusetzen,
vermuthlich die erwähnten Reden gehalten hat; nach seiner Rück
kehr nach England habe er hohe Ämter bekleidet, beim Sturz Eduards
aber sein Leben eingebüsst.
Es war, wie ich denke, jener letzte Besuch in Rom vor seiner
Abreise nach England, Anfang des Jahres 1461, bei welcher Ge
legenheit Franciscus Aretinus dem Grafen, dessen Bekanntschaft er
schon früher gemacht zu haben scheint, jene kleine Übersetzung des
Lucianus widmete, die als Vorläufer gelten sollte einer grösseren
Arbeit, die er dem Grafen nach England zu schicken verspricht.
45 ) Den Namen Worcestri hat Mai gewiss richtig aus der handschriftlichen
Verderbniss Sestri hergcstelit. Wenn dagegen hei Vespasiano iin Leben
des Lionardo d' Arezzo (Spicil. I S68) vom Duca di Worcestri die Rede
ist, so beruht dies auf einem Irrthum desselben Mai, der in der praef.
p. XXVII anmerkt, dass die Vaticanisehe Handschrift Consestri biete, woraus
Gloucestri herzustellen war. Denn gemeint ist der schon 1447 gestorbene
Humphred Duke of Gloucestre, mit dem Leonardo Bruni in Briefwechsel
stand, dessen Name in Florentiner Handschriften, von denen Mehus
Ambros. Travers. Epist. p. XX und XCYII1 redet, Ulcestri oder Dulcestri
geschrieben ist.
406
V a h 1 e n
Diese Übersetzung des Lucian hat Franciscus Aretinus mit dem
in dem angeführten Druck mitgetheilten Briefe dem nämlichen
Gönner, dem er auf seinen Wunsch auch die Phalarisbriefe mitge-
theilt hatte, dem Juristen Franciscus Pelatus zugesendet, in der
Voraussetzung, dass das, was Lucianus über die calumnia sage,
denen nicht unnützlich zu wissen sei, qui in principum aulis et in
causis agendis iudiciisque versantur.
5) Die Übersetzung von Johannis Clirysostomi homiliae super
evangelio Iohannis 4G ). ln der Widmung dieser Übersetzung an Cos-
mus Medices rühmt der Verfasser die grossen Männer der Gegenwart,
von Pabst Martin V anhehend, Nicolaus V, cuhts tempora etsi bre-
vissima quantnlacunque tarnen in hac nostra inferiori Italia
Augnsti paci contulerim; Pius II, qui ut commissae sibi ecclesiae
et christianae religioni consideret invalido et imbecillo corpore
nullum recusavit Laborem — eine Äusserung, die nicht Pius’ Tod
voraussetzt, der einige Wochen nach Cosmus starb, sondern schon
für den Beginn von Pius' Pontificat eine Wahrheit war; Alphons
von Aragonien, der als schon dahingeschieden bezeichnet wird —
er war aber am 27. Juni 14S8 gestorben; Franciscus Sforza, und
endlich Cosmus Medices selbst, dessen Elogium: cives te tui in
patriam summo omnium consensu ab exilio reportarunt, ubi tot
annos in tranquillissima pace, in omnium admiratione, filiis
p aternam imaginem virtutemque r ev er ent i b u s indolis
eximiae, tot propinquis, tot umicis munitus summa cum laude con-
senuisti wenigstens den Schluss erlaubt, dass, als es geschrieben
ward, Cosmus’ jüngerer Sohn Iohannes, dessen Anfang November
1463 erfolgter Tod dem alten Cosmus eine tiefe Wunde schlug
46 ) Ich benutze den sehr seltenen Druck (von dem wie von den meisten hier
erwähnten Incunabeldrucken die an solchen Raritäten reiche Wiener Hof
bibliothek ein Exemplar besitzt), der zwar keinen Titel aber folgende
Subscriptio bat: Omelie LXXXVII Beati Iohannis Chrisostomi super evan/
gelio Iohannis Home in S. Eusehii monasterio soripte / et diligenter cor-
recte: Anno dni M.CCCC.LXX. / die Lunae XXIX Mensis Octobris: poti
S. in xpo pris ac dni nostri dni Pauli divina providentia Pape secundi J
Anno eius septimo. Expliciunt. Deo laus. Ein anderer um einige Jahre
späterer Druck führt den Titel: Homelie Chrysostomi super Iohannem.
und die Subscriptio: Ilomelie LXXXVII Beati Iohan/nis Chrysostomi super
evangelio / Iohannis. Colonia/e apud sanetum Idu/rentium impressac et
diligenter corre/ctae Anno dni M.CCCC.LXXXVI/ feliciter finiuntur.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
407
(Fabroni Cosrni vita p. 162), noch unter den lebenden gewesen. Über
die Übersetzung selbst erfahren wir, dass der Verfasser sie in noch
unausgefeilter Form R. patri Iohanni episcopo Atrabatensi 47 ) ge
geben habe, durch den sie zu Cosmus’ Kenntniss gelangt sei. Der
genannte Bischof Iohannes cog noment o Goffridus, dem wir schon
oben Exc. I in einer Stelle Vatla’s begegneten, hatte 1433 von Pabst
Nicolaus V das ßisthum Arras erlangt, und war, nachdem er die
Aufhebung der pragmatischen Sanction bei Ludwig XI von Frank
reich erwirkt hatte, zum Dank für diesen der Kirche geleisteten
Dienst, am 18. December 1461 von Pabst Pius II zum Cardinal er
hoben worden, hatte aber im December 1462 das Bisthum Arras
mit dem Bisthum Alby vertauscht 48 ). Nun liegt zwar der Anlass, um
deswillen Franciscus Aretinus den Johannes episcopus Atrabatensis
erwähnt, der Zeit um einige Jahre voraus, in welcher die Wid
mung selbst geschrieben wurde. Dennoch darf man annehmen, wenn
der Bischof bereits zum Cardinal ernannt gewesen, dass des Ver
fassers bescheidene und rücksichtsvolle Art dies nicht unerwähnt
gelassen hätte. Daraus folgern wir, dass die Widmung an Cosmus
sicherlich vor Ende des Jahres 1461, aber auch nach dem, was sich
aus der Zueignung der Lucianübersetzung an den Comes Vicorniae
47 ) In beiden Drucken steht Attabatensi, doch ist das nur ein Druckfehler für
Atrabatensi, wie auch Bandini, der Catal. cod. Laur. lat. IV 442 diese
Widmung aus der dort beschriebenen Handschrift vollständig mittheilt,
druckt. Atrabatensis, wie z. ß. Philelphus schreibt, und Atrebatensis sind
gleich geläufige Formen.
48 ) Vgl. Gallia christiana Tom. I p. 32 fg. unter den episcopi Albienses und
ibid. Tom. III p. 345 n. XLII. Cardeila Memorie storiche de' Cardinali
Tom. III p. 150 fg. Voigt Enea Silvio III 192 fg. u. 536 fg. Philelphus
schreibt an den Cardinal d. d. X. Kal. Apriles 1462 (loanni Cardinali
Atrabatensi) und erwähnt ihn in zwei gleichzeitig (non. Martiis und X Kal.
April. 1462) geschriebenen Briefen an den Cardinal Prospero Colonna und
den von Pavia (Philelphi epistolae fol. 124J. An der ersten Stelle nennt er
ihnEluetius (Ioanne eluetio, cardinale atrabatensi). Seine Heimath war aber
'Luxovium in Vosago saltu oppidum in Burgundiae comitatu.’ Sein Car-
dinalstitel war SS. Silveslri et Martini in Montibus. Da dieser Bischof in
jenen Jahren vielfach zwischen Rom und Frankreich verkehrte, so könnte
man in ihm auch den Vermittler sehen, durch welchen die von Franciscus
Aretinus vollendete Iliasübersetzung des Laurentius Valla nach Frankreich
gekommen, da derselbe mit Valla sowohl als mit Aretinus in Verbindung
stand. Doch ist dies nicht gewiss und verschlägt in der Sache nichts.
408
V a h 1 e n
ergeben, nicht vor dem Jahre 1461 geschrieben worden. Doch die
Stelle des Vorworts, in welcher des Bischofs von Areas Erwähnung
geschieht, gewährt über die Übersetzung und ihren Verfasser noch
anderweitigen Aufschluss. Haec et alia plura, fährt Franciscus nach
den Lobeserhebungen Cosmus' fort, cum de praestantia tua iam
diu acciperem, accusabam saue fortunam meam, cui talem virum
videre et colere non licebat: quod ergo unum in primis desiderabam,
vntis meis humanitate incredibili audisti (auditis?), iussisti
Florentiam venire, veni, te visitavi, ut filium accepisti, spem
bonam dedisti. Sed cum inter loquendum abs te acciperem, quanto-
pere in Johannis Chrysostomi commentario super lohannis evan-
gelio, quem nuper midi et inemendato stilo traductum R. patri
Iolianni episcopo Atrabatensi dederam, delectarere, incredibilem
cepi voluptatem, aliqua ex parte tune in me benignitati satis-
f'aeturum ratus. Itaque cum primum Rom am redirem, me ei
ultimam manum imponere et clarissimo nömini tuo inscribere
pollicitus sum. Primam igitur eius partem, cuius graecum exemplar
penes me est, pro ingenioli mei viribus emendavi, quam dum
reliquum et inveniam et absolvam, visum est interea ad prae-
stantiam tuam mittere, ut me pollicitationis meae memorem in-
telligas: opus enim permagnum est et tempore indiget. Es ist
klar, dass diese Übersetzung des Chrysostomus von ihrem ersten
rohen Entwurf bis zu der Widmung an Cosmus durch etliche Jahre
sich hindurchgezogen hat. Aretinus hatte sie unvollständig und in
noch unausgefeilter Form dem Bischof von Arras gegeben, durch
den sie zu Cosmus’ Kenntniss kam; dieser Hess den ihm bis dahin
persönlich unbekannten Franciscus Aretinus von Rom nach Florenz
kommen, von wo derselbe mit dem Cosmus gegebenen Versprechen
nach Rom zurückkehrt, seine Übersetzung durchzubessern und als
dann dem Cosmus zu widmen; und mit dieser Ausbesserung des
umfassenden Werkes war Franciscus schon anderthalb Jahr be
schäftigt, als er als kleine Nebenarbeit dem Comes Vicorniae
die Übersetzung der Lucianischen Schrift de calumnia zueignete
(s. Anm. 37). Endlich ist er wenigstens mit einem Theile der um
fangreichen Homilienübersetzung, für welchen ihm das griechische
Original zu Gebote stand, so weit gediehen, um mit dieser Widmung
an Cosmus sein Versprechen einzulösen. Erwägt man diese aus dem
Vorwort geschöpften Umstände, so wird erklärlich, dass Facius in
Lauientii Vallae opuscula tria. II.
409
seinem, wie wir annehmen, 1456 geschriebenen Buch de viris
illustribus Aretinus' Chrysostomusübersetzung nennen konnte, die
Widmung an Cosmus aber, wie wir gezeigt, erst 1461 geschrieben
worden. Dass Aretinus nicht von einer fremden Übersetzung redet,
die er nur verbessere, sondern von einer eigenen früheren Arbeit,
an die er jetzt die letzte Hand anlegen wolle (ultimam maiium im-
ponere), dürfte schon nach den mitgetheilten Worten der Vorrede
unbezweifelt sein, selbst wenn er nicht in der Widmung an den
comes Vicorniae ausdrücklich sagte, dass er den schon früher von
ihm übersetzten Chrysostomus für Cosmus auszubessern beschäftigt
sei. Und dass ihm jetzt bei der Überarbeitung nur ein Theil des grie
chischen Originals 49 ) zu Gebote steht, kann niemand Wunder nehmen,
der die litterärischeu Verhältnisse der Zeit richtig erwogen hat. Den
noch hat man, nicht zufrieden dem Franciscus Aretinus, wie sich bald
zeigen wird, eine Sonderexistenz abzusprechen, auch seinen Antheil an
der Chrysostomusübersetzung zu schmälern nicht unterlassen. Eine
alte Übersetzung, welche der als Übersetzer kirchlicher und pro
faner Autoren der Griechen mehrfach genannte Burgundio 'iudex et
civis Pisanus’ im XII Jahrhundert angefertigt so), eine Übersetzung,
49 ) Doch muss Aretinus die Übersetzung; vervollständigt haben, da ja die
87 Homilien, welche die Drucke enthalten, das Ganze sind.
50 ) Aus Burgundio’s Chrysostomus citirt Poggius in dem Dialog de avaritia
(Puggii opera. Argenl. I!it3) fol. 12 r. eine Stelle und lässt dann einen
seiner Mitunterredner sich so darüber aussprechen: multa huius sanctissimi
viri scripta legi magno cum ornatu verborum et sententiarum gravitate.
Quae autem retuli Burgrauido (sic) quidam Pisanus vir haud sane eloquens
ducentis ante et LX ferme annis (Poggio schrieb den Dialog 142!)) fecit
latina: quae licet nulla cum elegantia sermonis fuerint translata, tanta est
tarnen dignilas rerum et verborum pondus, ul etiam in obscura eloquentia
illius aurei oris splendorem sentiant. Sed existimo aliquem ex veslris —
multi enirn tarn sunt graecis litteris instructi — ha ec illius dicta uberiori
stilo ac politiori ad nos traducturum. Der Prologus Burgundionis Iudicis zu
seiner Übersetzung der Homilien des Chrysostomus über das Iohannes-
cvangelium ist ahgedruekt in Martene & Durand Veterum scriptorum et
monumentorum amplissima collectio Tom. I 828 fg. Ebendort p. 827 auch
Burgundionis epistola nuncupatoria in translatum ab eo in latinum sermonem
S. Gregorii Nysseni librum de natura hominis, und p. 817 Burgundionis
Iudicis prologus super opus beati Inhaimis Chrysostomi super Mattharum,
an Pahst Eugenius III, in dessen Aultrag die Übersetzung gemacht und
llöl vollendet ist (auch bei Bandini Catal. codd. Laur. lat. IV 448 fg.).
410
V a h 1 e n
wie ich mir vorstelle, von der Art der mittelalterlichen Aristoteles
übersetzungen, sollte Aretinus nur ausgebessert haben. I. A. Fabricius,
der in der Bibliotheca Graeca VIII 555 über jenen Burgundio und
seine Chrvsostomusübersetzungen Nachweisungen gibt, verzeichnet
ebenda 568 die Vertreter jener Ansicht, sowie auch die der ent
gegengesetzten Meinung (vgl. Bandini Catal. codd. Laur. lat.
IV 445), deren beiderseitige Gründe zu prüfen ich gestützt auf
Aretinus' eigenes Zeugniss für unnothwendig gehalten habe. Beide
Übersetzungen, die alte, von der er keinen Verfasser nennt, wie
die neue des Aretinus lagen dem Drucker der editio princeps vor,
der, wie er in der Vorrede ausführt, nach Prüfung beider sich für
den Abdruck der letzteren entschied: Francisco enirn huic nostro
(Aretino), cuias translationem lioc praesens continet volumen,
meliorem partem dedit (Spiritus), ut clare patet omnibus utrius-
que dicta confer ent ibus. Burgundio’s Übersetzung der nämlichen
87 oder (mit Einrechnung von Chrysostomus’ Prologus) 88 Homilien
zum Iohannesevangelium befinden sich nach Fabricius’Angabe a. a. 0.
p. 566 handschriftlich in der Erlanger Bibliothek und so wäre für
den, der Aretinus’ Worten nicht traut, die Vergleichung beider Über
setzungen möglich.
Endlich ergibt sich aus der mitgetheilten Stelle der Widmung
an Cosmus, dass Franciscus Aretinus in den Jahren, in denen er an
der Chrysostomusübersetzung arbeitete, in Bom seinen Wohnsitz
hatte: von dort liess ihn Cosmus nach Florenz kommen und dorthin
kehrte er von Florenz zurück; hier war es demnach auch, wo er dem
Comes Vicorniae seine Lucianübersetzung überreichte si). Nun finden
wir unter Pius’ Pontificat in dem Collegium der päbstlichen Abbrevia-
toren neben anderen Humanisten, Bartholomaeus Platina, Leodrisius
Cribellus, Baptista Poggius, einen Franciscus Aretinus, den wir
kein Bedenken tragen für den unsrigen zu halten. Io. Ciampini (De
Burgundio's Übersetzung des Chrysostomus zum Iohannes füllt später, nach
Eugenius’ III Tode.
5I ) Zu beachten ist auch, dass Aretinus in der Widmung an Cosmus von dem
unter Nicolaus V in hac nostra inferiori Italia eingetretenen Frieden
redet, was wenigstens so viel zeigt, dass der Schreiber, der aus Arezzo
stammte, im nördlichen Italien nicht gelebt hat. Möglich auch, dass, da
Aretinus in der Vorrede zur Odyssee L. Valla seinen Lehrer nennt, er
diesen in Hom gehört hatte.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
411
abbreviatorum de parco maiori . . . antiquo statu. Romae 1691),
hat Cap. IV und V die Bullen altdrucken lassen, mit welchen Pius die
Abbreviatorenkammer reformirte; aus der letzten anno incarnationis
dominicae M. CCCCLXIV tertio Kal. Iunii, welche p. 28 die Namen
von 65 Abbreviatoren, unter ihnen des Franciscus Aretinus, ver
zeichnet, geht unzweideutig hervor, dass dies nicht jetzt erfolgte
Ernennungen waren, sondern dass mit diesen bereits im Amt be
währten Abbreviatoren der gegenwärtige Status des Collegiums, das
fortan nur aus 70 5a ) bestehen sollte, endgültig festgestellt worden:
quos, heisst es nach der Aufzählung, tamquam fideles Nobis et suffi-
cientes et idoneos necnon ad exercitium officii Abbreviatoriae
aptos ex certa nostra scientia nuper eligimus et in pictacium
Abbreviatorum describi et ad honores, onera et emolumenta per
dictas alias nostras literas (d. i. die Bulle von MCCCCLXIII. XVII
Kal. I)ec ) eis deputata admitti fecimus, in ipso Abbreviatoriae
officio .... perpetuo constituimus, confirmamus et approbamus.
Überdies lässt sich von mehren der hier genannten Abbreviatoren,
z. B. dem Leodrisius Cribellus, der schon 1458 Seeretär bei Pius war
(Marini Archiatri pontificii II 158), urkundlich naclnveisen, dass sie
schon viel früher die Abbreviatur oder ähnliche Posten an der Curie
inne hatten. Dies von Franciscus Aretinus anzunehmen, legt der
Umstand nahe, dass derselbe in der um 1460 geschriebenen Wid
mung der Odyssee dem Pahste Pius eine gesicherte und ehrenvolle
Lebensstellung zu verdanken bekennt.
Pius’ Nachfolger Paul II hob bekanntlich die von seinem Vor
gänger getroffenen Neuerungen in der Abbreviatur wieder auf, wo
durch manche der von Pius begünstigten Abbreviatoren um Amt und
Brot kamen. Ob Franciscus Aretinus dazu gehörte, finde ich nirgends
bezeugt, doch ergibt sich aus einer bisher übersehenen Notiz soviel
mit Sicherheit, dass derselbe, der 1464, dem letzten Jahre von Pius’
Pontificat, der päbstlichen Abbreviatorenkammer noch angehörte,
nach dem Ableben des Pahstes Rom verlassen und in Neapel ein Asyl
gefunden hatte. Vespasiano im Leben des Federico Duca di Urbino
52 ) Diese Zahl ist in der Bulle selbst angegeben (explelnm iam esse per-
ceperimus scptuagenarium ipsorum Abbreviatorum numerum a Nobis in-
stitutum). Hinter der Aufzählung der Namen, die mit et abbricht, hat
Ciampini eine Lücke angezeigt, in der also 5 Namen fehlen.
412
V a h 1 e u
(Mai Spicileg. Rom. I 127) zählt in dem, wie es scheint, auf speciel-
ler Sachkenntniss beruhenden Verzeichniss der von dem Herzog in
der Urbinatischen Bibliothek vereinigten Schriften u. a. auf tutte
l’opere di messer Francesco d’Arezzo tradutte, che istesse col re
Ferrando. Es ist der Beachtung werth, dass Vespasiano, der in diesem
die modernen humanistischen Schriftsteller behandelnden Abschnitt
zwischen opere composte und opere tradutte streng zu sondern
pflegt, von Franciscus Aretinus nur Werke letzterer Art anzuführen
hat, was allein Beweises genug ist, dass ein anderer als der unsrige
nicht gemeint sei; und den, man möchte glauben, einer Unterschei
dung halber gemachten Zusatz che istesse col re Ferrando deuten
wir dahin, dass Franciscus Aretinus nach dem Tode seines Gönners
Pius — er starb 14. August 1464 — in Neapel am Hofe König
Ferdinands, der 1458 seinem Vater Alphons auf dem Throne von
Neapel gefolgt war, eine neue Stellung gefunden; eine Vermittelung
hierfür könnte, wenn es dessen bedürfte, der von Franciscus Aretinus
in den erwähnten Briefen als Freund und Gönner bezeichnete Jurist
Franeiscus Pelatus darbieten, den der Titel eines Regius Consiliarius
in Neapel zu suchen rieth. Doch wie es sich damit verhalten möge,
so viel steht nach dem bisherigen fest, dass Franciscus Aretinus
während Pius’ Pontificat (1458—1464) durch eine Reihe von Jahren
in Rom seinen festen Wohnsitz hatte, ein Amt an der Curie be
kleidete, und nach Pius' Tode nach Neapel zog. Und hiermit haben
wir einen festen Anhalt gewonnen zur Entscheidung einer vielfach
hin und her geführten Controverse.
In der bisherigen Darlegung trat uns Franeiscus Aretinus als
ein aus Valla’s Schule hervorgegangener, in Rom unter befriedigen
den, wenn auch nicht, glänzenden Verhältnissen lebender Gelehrter
entgegen, dessen Thätigkeit neben dichterischen Versuchen aus
schliesslich auf lateinische Übertragungen griechischer Profan- und
Kirchenschriftsteller ss) beschränkt war. Die Widmungen und Briefe
53 ) Über die bei Facius erwähnte Übersetzung von Origenis Philocalia, die
demnach schon 14ä6 vorhanden war, ist mir sonst keine Notiz begegnet.
Ausser des Chrysostomus Homilien zum Evangelium des Iohannes werden
von Franciscus Aretinus noch andere Übertragungen aus Chrysostomus
erwähnt: t) 29 Homilien zum ersten Korintherbrief, bei Fabricius Bibi.
Graec. VIII 556 u. Mazzuehelli Scrittori d' Italia vol I p. 1 p. 68; 2) eine
Laurentii Vallae opuscula tria. Ff.
413
desselben, die selbst in manchen stilistischen Wendungen einander
ähnlich sehen, tragen alle in gleicher Art einen bei Humanisten jener
Zeit nicht eben gewöhnlichen Charakter anspruchloser Bescheiden
heit. Diese Vorstellung aber wird wesentlich geändert, wenn wir ge-
nöthigt sind, diesen Franciscus Aretinus zu identiticiren mit dem
berühmten Juristen Franciscus Aretinus aus der Familie der Accolti.
Übersetzungder Schrift de edueatione filiorum, die hei Fabricius und Mazzu-
chelli nicht, dagegen bei Gab. Mar. Scarmalius, dem Herausgeber von
Aliotti Epistolae et opuscula, Tom. I p.190 zugleich mit den Homilien zum
Korintherbrief erwähnt wird. Die beiden letzteren Übersetzungen nebst
noch einigen vermuthungsweise dem Franciscus Aretinus zugeschriebenen
Chrysostomusübersefzungen finden sich in dem von Bandini Catal. bibl.
Leopold. II 726 beschriebenen Codex XLI: S. Ioannis Chrysostomi in
Epistolam primam D. Paulli Apostoli ad tJorinlhios Homiliae XXIX
Francisco D. Mariotti Arretino interprete. Zum Schluss subicitur in rtibrico,
Traducta de graeco in latinum per eximium virum Franciscum Mariotti
Arretinum in anno MCCCCL VII. Deo gratias. Nach einer Reihe von Chry-
sostomusübersetzungen des Ambrosius Traversari folgt in derselben Hand
schrift n. XII: Eiusdem (ChrysostomiJ de filiorum edueatione oratio, inter
prete Francisco Arretino cum praefatione, quae ita inscribitur: 'Ad Re-
verendissimum Patrem Dominum Archidiaconum Valentinum et sanclissimi
Domini nostri Dalarium in Chrysostomi de filiorum edueatione oralionem
Praefatio Francüci Mariotti de Arretio, qui infrascripta traduxit ex
Graeco in latinum: Incredibitis tua erga me humanitas, Reverendissime
pater, adeo me sibi obnoxium, adeo devotum reddidit quam si tibi
viro sludiosissimo atgue optimo probari sensero, alias audenti (sic) adgre-
diar. Oratio inc.: Hortor vos et oro, dilectissimi, ut plurimum in commu-
nibus filiis diligenliae adhibeamus sed propter ipsum deum omnia per-
peti oportet, quoniam eum decet gloria et magnificentia nunc et in saec.
saec. amen. Die noch unter n. XIII. XIV. XV. XVI. XVII folgenden Chryso-
stomusübersetzungen, deren Verfasser nicht genannt ist, werden, wie
Bandini anmerkt, in dem der Handschrift Vorgesetzten indiculus gleichfalls
dem Dom. Franciscus Domini Mariotti de Arretio zugeschrieben, von denen
n. XIV Oratio de peccato et confessione: Ad reverendissimum Patrem
D. Cosrnam Archidiaconum Terraconensem sanctissimi D. N. Datarium
inscrihirt ist, doch fehlt die Widmung selbst. Ich habe von diesen Über
setzungen oben keinen Gebrauch gemacht, da mir mehr als diese hand
schriftliche Notiz nicht bekannt ist. Die erste mit dem Datum 1457 würde
sich in unsere Liste leicht einreihen, und aus der Widmung von n. XII
sich vielleicht weiteres gewinnen lassen, doch besorge ich nicht, dass
unsere Ergebnisse dadurch wesentlich modificirt werden. Über die Be
zeichnung Mariotti filius siehe oben.
414
V a h 1 e n
TiraboschiiSfona delln lett. ital. VI p. S42 fg. nennt frühere Gelehrte,
welche diese Identität, an welcher er selbst festhält 54 ), mit Gründen zu
erhärten suchten gegen andere, welche eine Sonderung der Personen
für wahrscheinlich hielten. Die Argumente, mit welchen man für und
wider gestritten,.sind zum Theil gar seltsam; betonen die Chorizonten
den sehr verschiedenen Stil in den juristischen Werken des Accoltus,
so verweisen die Unitarier auf die humanistische Bildung desselben,
die ihn auch zum Übersetzer griechischer Autoren befähigt habe.
Was die juristischen Schriften des Franciscus Accoltus anlangt,
so ist, wofern man von Rechtsgutacbten wie die Consilia seu
Responsa oder von juristischen Commentaren wie die in primam et
secundam Infortiati partem nicht humanistische Schönrednerei er
wartet, gegen die Latinität dieses allerdings fachmännischen und
technologischen Stiles wenig einzuwenden. Des Juristen humanistische
Bildung aber lässt sich unschwer und besser als bisher geschehen
ist erweisen. Zu geschweigen von allgemeinen Lobeserhebungen,
denen man allenthalben begegnet 55 ), finden wir den Franciscus
Accoltus mit mehreren der berühmtesten Humanisten in Verbindung
und an ihren Bestrebungen unmittelbaren Antheil nehmen. Beweis
dessen unter anderem ein um 1447 geschriebener Brief Poggios an
ihn (insigni viro Franc. Aret. IureconsulloJ, worin ihm dieser
Dank sagt für die freundliche Aufnahme seiner Xenophoniibersetzung
und eine andere demnächst zu senden verspricht, sowie ihm An
weisung gibt, den von Poggio zuerst wieder ans Licht gezogenen
Ammianus Marcellinus aus Cosinus’ Bibliothek zu erlangen (Mai
Spicileg. Rom. X p. 310 fg.), und derselbe Poggio hatte ihm seinen
Dialog contra liypocrisim zugeeignet, sowie er Franciscus’ Bruder
Benedictus Accoltus in einem andern (Disceptationes convivales)
54 ) Ebenso Banilini, der in den Catalogen der Laurentiana und Leopoldina
die übrigen Übersetzungen dem Accoltus zutheilt und nur die des Ckry-
sostomus einem andern Franciscus Aretinus zuerkennt. Vgl. Catal. cod.
Laur. lat. II p. 415.
i5 ) Z. B. bei Paulus Cortesius De hominibus doctis dialogus (Florentiae 1734)
p. 53: Sed de Francisco Arretino nliquid dicamus: qui fuit unus doctissi-
morum Iiirisconsultissimus omnium. Nihil est enim litteris mandatum, nihil
in artibus disciplinisque Omnibus Iraditum, quod ab hoc hominc non sit
aut cognilum aut investigatum. Memoria autem tanta erat et verborum et
rerum, ut omnia quae unquam legeral meminisset.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
415
zum Mitunterredner gemacht hatte. Philelphus, der den Franciscus
Accoltus seinen Schüler nennt, unterhielt in den Jahren 1467-—1470,
in denen derselbe als Lehrer der Jurisprudenz in Siena in hohem
Ansehen stand, einen fast ununterbrochenen Briefwechsel mit ihm ss),
aus dem man durchweg die humanistischen Neigungen und Interessen
des Accoltus erkennt. Dazu nehme man noch Accoltus' eigene Briefe,
z. B. die 1472 u. 73 von Siena an Hieronymus Aliottus geschriebenen
(//. Aliotti Ep. et opusc. T. II p. 394 n. XXXIII u. XXXIV), und die
Rede, mit welcher er 1464 als Gesandter des Herzogs Sforza von
Mailand den Pabst Paul II hei seiner Thronbesteigung beglück
wünschte (Baluzii Miscellanea ed. Mansi Tom. III p. 166 f.), ein
oratorisches Erzeugniss ganz im humanistischen Geschmacke, mit
Citaten aus Griechen und Römern reich gespickt.
Doch mit alledem ist nichts erwiesen als die Möglichkeit, dass
auch dieser Rechtsgelehrte, wie andere gethan, sich einmal in einer
Übersetzung aus dem Griechischen, dessen er mächtig war, versucht
habe. Was gegen die Identität desselben mit dem Verfasser der auf
geführten Übersetzungen ein Bedenken anregen muss, ist der gegen
die in dieser Zeit nichts bedeutende Übereinstimmung der Namen
schwerer ins Gewicht fällende Umstand, dass, wo von dem Juristen
Franciscus Aretinus die Rede ist, nicht leicht eine ausdrückliche Be
zeichnung seines Berufes vermisst wird, bei dem Übersetzer dagegen
56 ) Francisei Philelphi epistolae fol. 194 v. 195 r. 196 r. 197 r. 198 r. 204 r.
205 v. 220 r. 221 v. Sie tragen meistens die Aufschrift F. A. equiti aurato
ac iureeonsulto. Vgl. auch den von Rosmini Vita di Filelfo II S. 368 mit-
getheiken Brief vom Sept. 1473 (Fr. Ar. equiti aurato atque iuris con-
sulto etphilosophoj, sowie was Philelphus in der Invective gegen Leodrisius
Cribellus (vom t. Aug. 1465J über Fr. Aretinus schreibt (fol. 179 v.):
at laudas Franciscum Arretintim, et iure quidem, sed ut arbitror, dor-
mitans. Egisti enim praeter ingenium et consuetudinem tuam. At meretur
Franciscus Arretinus, cum sit tum iureconsultorum omnium praestan-
tissimus tum nullius praeclarae disciplinae ignarus: tarnen laudari a te
flagitiorum omnium scelerumque sentina dedecorosum est. Iubes ab illo
ut dipcam. Recte mones; nam non ab islo solum, sed etiam abs te ipso, si
quid boni afferre posses, non invitus discerem. Sed cur quem tantoperc
laudas, non item imitaris? Ille praedicat apud omnes discipulum se meum
extitisse, mihique tribuit tanlas laudes, quantis veilem me non carere. At
est te, inquis, omni doctrina praestanlior. Non eo infitias. Neque fero
graviter me a multis etiam discipulis meis superari etc.
416
V a h 1 e n
nicht nur nichts auf juristische Beschäftigung hinweist, sondern
der zweite der angeführten Briefe desselben an den lurisconsultus
Franciscus Pelatus eher das Gegentheil vermuthen lässt, und
Facius, der zwar den Accoltus unter den Iurisconsulti nicht beson
ders aufführt, in dem Artikel über Franciscus Aretinus von juristischer
Thätigkeit schweigt und nur die wenigen Übersetzungen namhaft
macht. Entscheidend aber für die Trennung beider Personen ist
allein die aus den Widmungen der Übersetzungen gezogene That-
saclie, dass der Verfasser derselben während Pius' Regierung in
Rom ansässig war und ein curiales Amt bekleidete. Denn damit ist
schlechterdings unvereinbar, was über Franciscus Accoltus’ Lebens
stellung und Aufenthalt aus verlässlichen Quellen geschöpft wird.
Von 1450 an, um nicht weiter zurückzugreifen, lässt sich in fast
lückenloser Reihe bis über die siebziger Jahre hinaus durch un
zweifelhafte Zeugnisse und Urkunden erweisen, welche Stellungen
Aceolti eingenommen und an welchen Universitäten insbesondere er
als Lehrer der Jurisprudenz thätig gewesen. Wir wissen durch die
von Tiraboschi a. a. 0. 536 fg. angeführten Actenstücke, dass Accolti
schon etliche Jahre vor 1450 den Lehrstuhl des Civilrechtes in
Ferrara einnahm, den er um 1455 mit dem in Siena vertauschte,
aber durch ein Decret des Herzogs Borso von Este vom 19. August
1456 zurückberufen, seit dem October 1457 abermals in Ferrara
lehrte, wo er durch des Herzogs Decret vom 5. Juni 1459 für zwei
folgende Jahre in seinem Amte bestätigt worden: und einer (von
Tiraboschi nicht benutzten) Stelle aus Ludovicus Carbo’s Leichenrede
auf Guarinus (Rosmini Vita di Guarino II p. 199) entnehmen wir,
dass derselbe (Carbo nennt ihn Franciscus Aretinus fons litterarum)
Ende 1460 bei der Leichenfeier für Guarinus in Ferrara noch anwesend
war. Seit er Ferrara abermals verlassen, war Accolti nach dem von
Mansi (zu Fabricius Bibi. med. et inf. latin. II 193. VI 344) her-
vorgezogenen Zeugniss des Canonisten Felinus Sandeus, eines wenig
jüngern Zeitgenossen, der selbst eine Zeit lang in Ferrara gelehrt hat,
durch fünf Jahre (von 1461—1466) sub imperio ducis Mediolani
secretomm ipsius fidelissimum scrinium, welche Stellung er nach
dem Tode des Herzogs Sforza aufgab, um einem Rufe nach Siena
zu folgen, wohin er am 3. October 1466 übersiedelte. Von Mai
land aus war es, dass er gegen Ende 1464 als Gesandter seines
Herzogs zur Beglückwünschung Pabst Paul II nach Rom ging. Mehr
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
417
bedarf es nicht, um die Scheidung der Personen mit endgültiger
Gewissheit festzustellen, und nur zu verwundern ist es, dass Tira-
boschi, dem das Zeugniss über Accolti’s Mailänder Aufenthalt nicht
unbekannt .war, dennoch von dem Gedanken an die Identität der Per
sonen sich nicht hat losmachen können 57 ).
57 ) Das Zeugniss aus der Widmung der Chrysostomusübersetzung, welches
des Verfassers Aufenthalt in Rom verbürgt, ist Tiraboschi nicht entgangen,
und er sucht sich mit einer Auskunft zu helfen, dass Accolti als er Ferrara
1461 verlassen, bevor er nach Mailand gegangen, einige Zeit in Rom
sich aufgehalten habe. Ich will nicht betonen, wie schlecht alles in
jener Widmung über des Verfassers Verhältniss zu Cosmus Gesagte auf
den Juristen Accolti passt, Tiraboschi’s ersonnene Auskunft zerfällt in
nichts durch Franciscus Aretinus’ nachgewiesene Stellung in der päbst-
lichen Abbreviatur vor 1464 und noch in diesem Jahre und seine spätere
Übersiedelung nach Neapel. Ebenso wenig würde es fruchten, die
Chrysostomusübersetzung von den übrigen zu trennen und einem von dem
Juristen verschiedenen Franciscus Aretinus zuzuweisen (wie Bandini
wollte), um für den Juristen wenigstens die übrigen Übersetzungen zu
sichern, wie denn in der Zutheilung der Übersetzungen an den einen und
den andern Aretinus verschiedene verschieden geurtbeilt haben. Allein die
oben aufgeführten Übersetzungen werden durch die in den Widmungen
und Briefen enthaltenen gegenseitigen Beziehungen unzweifelhaft als die
Erzeugnisse eines und desselben Verfassers erwiesen. Mazzuchelli Scrittori
(V Italia Tom. I P. 1 p. 68 ff. hat, von der Identität des Übersetzers und
des Juristen ausgehend, beider Schriften, die jurislischen wie die Über
setzungen, in einer Reihe unter Accolti’s Namen aufgeführt. Wie es sich
mit den dort unter n. 10 genannten poesie volgari (vgl. Lami Catal. Riccard.
p. 198) und den unter n. 12 erwähnten Epistolae Fr. Aretini(vgl. Montfaucon
Bibi. bibl. msst. Vol. 1 p. 514) verhält, ist ohne specielle Untersuchung
der Handschriften nicht zu entscheiden. Von der unter n. 13 angeführten
Schrift De vita etmoribus sancti et sapientis viri Antoninipontificis Floren-
tini aber, deren Verfasser Philelphus in einem Briefe an Baldus Martinellus
v. 2. Mai 1461 Franciscus Aretinus nennt [Philelpki Epistolae fol. 115 v.),
darf als gewiss angenommen werden, dass sie weder den Juristen noch
den Übersetzer Aretinus zum Verfasser hat, sondern den Franciscus
Castilionensis (vgl. Bandini Catal. codd. Laur. lat. III p. 413), über welchen
Zeno üiss. Voss. I 362 ff. Nachrichten gibt, der wiederum zwei Francisci
Castilionenses, den einen da Castiglione di Cercina nel Fiorentino, den
Verfasser jener Vita, und einen anderen gleiclrzeifigen da Castiglione
Aretino unterscheidet. Vgl. Scarmalius zu Hieran. Ahotli Ep. et Op. Tom. I
p. 219. Vespasiano im Spicil. Rom. I 244. Wie es nun kommt, dass
Philelphus jenen ihm augenscheinlich persönlich bekannten Verfasser
Franciscus Aretinus nennt, weiss ich nicht; doch wird man auch hieran
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. Fid., III. Hft. 28
418
V a h I e n
Uns hindert auch nichts von der aus Handschriften 58 ) gezogenen
Notiz Gebrauch zu machen, dass der Übersetzer Franciscus Aretinus
Mariotti filius gewesen sei, wiewohl ich anderseits die positive Zu
verlässigkeit der Angabe nicht zu verbürgen wage, ebenso wenig
wie ich angeben kann, worauf die von mehreren wiederholte Angabe
beruht, dass des Übersetzers Franciscus Aretinus Familienname
Grifolini gewesen sei. Wenn aber von unserem Übersetzer gelten 1
soll, was Atilio Alessi 50 ) in den vor lübO geschriebenen Istorie dell'
antichitu d'Arezzo (bei Lami Catul. cod. msst. bibl. Riccard. p. 17)
erzählt: finalmente Francesco Grifolini, in Greco e in Latino
dotissimo, infelicissimo giovane, il quäle nella cittä di Napoli
cascando da cavallo morl di subito, essendo giä stato esaminato e
in dispute pübliche provato, allora quando tradusse l’ Epistole di
Biogene in Latino a Papa Pio II Pontefice Massimo, so ist nicht
zu übersehen, dass Paulus Cortesius in dem vor Ende des XV. Jahr-
wahrnehmen, wie wenig die blosse Übereinstimmung der Namen in dieser
Zeit für die Identität der Personen zu bedeuten bat. Noch wird bei
Mazzuchelli in demselben Register n. 4 erwähnt: Auctoris incerli libellus
de Thermis Puteolorum et vicinis in ltalia a Francisco de Accoltis Aretino
repertus publicatus et Pio pontifici Maximo dedicatus. Neapoli 1473.
Dieser Druck, sowie die anderen von Mazzuchelli angeführten Drucke sind
mir unzugänglich. Die in Graevius’ Flies. Antiq. Italiae Tom. IX P. IV auf-
genommene Widmung (Ad Pium Pontificem Max. Franciscus Aretinus)
aber, die in Form und Gedanken viel seltsames enthält, gestattet keinen
Schluss über den Verfasser, so dass ich diese Frage, die ich hier nur
anzudeuten mich begnügen muss, anderen zu verfolgen überlasse.
58 ) Searmali Hier. Aliolti Ep. et Op. I 190 bemerkt, dass in Vaticanischen
Handschriften der Chrysostomusübersetzung sich die Bezeichnung Fran-
cisci Arretini Mariotti filii finde. Von Bandini werden ausser der oben Anm. 53
erwähnten Handschrift zwei andere in dem Calal. bibl. Leopold. I p. 19
und II p.725 angeführt, welche den Chrysostomus zum lobannesevangelium
conversus a Domino Francisco Domini Mariotti Arretino enthalten, und
in dem Calal. codd. Laur. lat. IV col. 442 eine Handschrift derselben
Übersetzung, auf deren erstem Blatt der Vermerk steht: iste liber est
Conventus S. Crucis de Flor. Ord. Minor, continens Commentarium Ioannis
Chrysostomi super Evangelium Iohannis Evangelistae ex Graeco in Latinum
traductum a Domino Francisco Domini Mariotti Aretino. Vgl. Tiraboschi
a. a. 0. 543.
5# ) Über diesen Marcus Attilius Alexius aus Arezzo, der 1470 geboren und
über 1543 hinaus gelebt hat, vgl. Baluzii Miscell. ed. MansiTom. IV p. 493 If.
und 510. Mehus Ambros, l'rav. Epist. CCCXC11I.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
419
liunderts verfassten Dialog de hominibus doctis jenen tödtlichen Un
fall von Franciscus Lippus Aretinus berichtet, dem sein Rival Andreas
Contrarius einen solchen Untergang gewünscht und vorhergesagt
habe. Und so mag denn, nachdem wir uns der Person des Übersetzers
Franciscus Aretinus hinlänglich versichert und seine Übersetzer
arbeiten von ihm nicht zugehörigen Schriften verlässlich abgesondert
haben, die Frage über die Familie und die ferneren Schicksale des
selben auf sich beruhen.
* *
»
So weit hatte ich meine Untersuchung geführt, als mich der
Wunsch, die offen gelassene Frage über den vollständigen Namen
des Franciscus Aretinus womöglich ins reine zu bringen, zu An
fragen in Rom und Florenz veranlasste, deren sehr bereitwillige und
dankenswerthe Beantwortung von Dr. Hinck und Dr. Rud. Schöll für
den fraglichen Punkt zwar wenig, dagegen nach einer andern Seite
eine äusserst erwünschte Ergänzung und Restätigung des bisherigen
ergeben hat.
In dem Cod. MctgUabecchianus XXV 626 (früher Strozzianus
n. 293) fand sich von Franciscus Aretinus eine bisher nicht bekannte
Übersetzung der Heroica des Philostratus, die der Zeit nach an die
früher aufgereihten sich anscldiesst, und deren Widmung, die ich
nach SchöU’s sorgfältiger Abschrift folgen lasse, weiteren Aufschluss
gewährt. Fol. 28 r:
Francisci Aretini praefalio in Philostrati Heroica ad Illustrem
Principem Alfonsum Calabriae ducem.
Cum a Serenissimo Siciliae Rege Ferdinando genitore tuo,
I/lustrissime Calabriae dux et saeculi nostri et aetatis tuae gloria,
iunior Alphonse, ex urbe Roma in praeceptorem tuum advocarer,
audito immortalium laudum tuarum praeconio, non modo con-
dicionem non recusavi, sed relicta tantae urbis maiestate, dul-
cissimis consuetudinibus, parente, sorore, ceteris, quae me facile
poterant retinere, vix eum me diem videre mihi vis ui sum, quo te
intuerer, apud te essem, te fruerer. Unus mihi omnium instar
fuisti. Veni igitur et quidem praecupidus: vicit renunciatas mihi
laudes tuas et opinionem meam praesentia tua: longe plura in te
inveni quam audierim, quam speraverim, ut nisi ipse tibi, quod
absit, omnino defueris, non modo memoriae nostrae, sed superiores
28*
420
V a h 1 e n
inmdiu principes omni virtutum genere te facile superaturum
non dubitem. lta omnia de te pollicentur primum maiores tui et
in primis, cuius nomen refers, avus tuns, omnium, quos multne
iam aetates videre, principum sine controversia clarissimus, inde
egregia indoles ista et digna principe species, quas frustrari
esset turpissimum; tum humanitas et clementin incredibilis, quae
primo statim aspectu ad se amandum, colendum, observandum
omnium animos invitat, allicit, trahit; postea minim ingenium
(ingenii?) in cognoscendo, respondendo, diiudicando acumen;
postremo alii mores, de quibus etsi di ff idle sit tarn cito iudicare,
et plerumque in iis decipiamur, adeo tarnen in te elucent, ut non
modo, quibus nunc praeditus es, sed qui una cum netate ac maiori
rerum experientia accedent, iam ipsa luce clarius cernantur.
Quamobrem ingentes Serenissimo parenti tuo gratias habeo, qui
me dignum, qui te instituerem, duxerit: quid enim iucundius, quid
optabilius, quam optimi et clementissimi principis, non dico prae-
ceptorem, sed familiärem appellari. 0 utinam eae in me virtutes,
id ingenium esset, ut liabitae de me opinioni satis facerem. Sed
annitar pro viribus, ut saltem, in quo doctrina defecerit, et ßdes
suppleat et voluntas. Et licet praeceptoris munus tantum mihi
demandatum sit, meus tarnen in te animus, mea observantia haud
satis sibi facere videtur, nisi otium, negotium, tempus, Studium,
omnes denique lucubrationes meas in benignitatis ac clementiae
tuae laudes, si is sum, qui laudare possim, conferam. Nam qui id
duntaxat, quod iure debet, munus obit, etsi suum implere officium
nec reprehendi posse videatur, non tarnen eum prae se fert et
animum et affectum, quem verus amator atque Observator solet-
Verus enim amor non metitur officia, facit quod potest et supra
vires etiam contendit et nititur. Quare quicquid mihi officii fiotii?)
tribuis, id omne in excellentiam tuam conferre statui. Cum igitur
anno superiore Heroica Philostrati in Latinum Romae prima et
rudi scriptione convertissem, nunc supremam manum imponere et
immortali nomini tuo inscribendum duxi. Et saue videbis satis
dignum,plenum antiquitatis, plenum rerum reconditarum dialogum,
cognosces qui qualesque Graecorum proceres Troiam obsederint,
qui contra Troiani decennale bellum produxerint. Cumque iocun-
dum sit inprimis et gratum veram rerum gestarum cognitionem
habere, quid Homerus suis in poematis vere dixerit, quidve
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
421
finxerit, mtelliges. Hoc, princeps illustrissime, opusculum, si tibi,
ut pro benignitate tua arbitror, grutum sensero, in qao non rem
sed dantis animum consideres velim, alia deinceps tuo nomine et
fortasse digniora aggrediar.
Fol. 30 Jesus ya' Pliilostrati Heroica.
Personae. Vinitor. Phoenix.
Vi. Ionne es hospes? an linde?
Fol. 69 atqae utinam Neptune nondum navigem prius quam
sermonem hunc audiero.
Finis. Landes Deo Semper.
Diese Widmung erinnert, wie in manchem einzelnen, so in der
Schlusswendung an früher mitgetheilte Vorreden. Auch der Mutter
und Schwester begegnen wir wieder, deren in der Widmung der
Odyssee an Pius gedacht war. Ferner bietet das hei der Übersetzung
des Philostratus eingeschlagene Verfahren eine willkommene Analogie
zu der Chrysostomusübersetzung dar: wie Aretinus letztere in dem
ersten, rohen Entwurf aus Händen gegeben und erst später in ver
besserter Gestalt mit der Widmung anCosmus gesendet, so hat er jetzt,
um seinem Zögling Alphons mit einer Widmung aufzuwarten, an
die schon vor einem Jahre in Rom gemachte Übersetzung die letzte
Feile angelegt. Und endlich gewinnen wir für die oben angeführte
allgemeine Bemerkung Vespasiano's ehe istette col re Ferrando die
nähere Bezeichnung der Stellung, welche Franciscus Aretinus am
Hofe Ferdinands von Neapel einnahm. Es ist augenscheinlich die
erste Widmung, welche er dem Herzog von Calabrien, Ferdinands
Sohn, darbringt, und er ist noch nicht lange mit dem Unterrichte
dieses Fürsten betraut. Da wir Aretinus bis gegen Ende des Jahres
1464 in Rom fanden, wo er den ersten Entwurf der Übersetzung
noch gemacht hat, so nehmen wir an, dass die Widmung, die ein
Jahr später fällt, 1466 aufgesetzt wordene»). Man sieht, wie die bis-
<*°) Erwähnen will ich hier noch eine Stelle aus Iovianus Pontanus de ser-
mone lib. VI. Tom. II f. 248 r. Franciscus Aretinus generc nobilis doctrina
eximius aetate provectior, cui Romana non parum debet lingua, inter ipsos
quos habebat doctrinae sectatores ita se gerere est solitus, ut post traditam
institutionem minores semper inter illos partes quam quae suae essent susci-
peret. Man hat das Zeiigniss ohne weiteres von Fr. Accolti verstanden, aber
der Jurist ist wenigstens nicht ausdrücklich bezeichnet, und was hier von
422
V a h I e n
her zusammengestellten Nachrichten über den Übersetzer sich auf
das beste Zusammenschlüssen und die behauptete Identität desselben
mit dem Juristen Franeiscus Accolti Aretinus immer entschiedener
abweisen. Was aber die Bezeichnung des ersteren als Mariotti filius
und den Familiennamen Grifolini anlangt, so hat sich hierfür aus
römischen Handschriften nichts, aus florentinischen nichts wesent
liches zur Ergänzung des oben aus Bandini mitgetheilten ergeben.
Erwähnt sei nur — denn eine Verzeichnung der überhaupt von diesen
Übersetzungen vorkommenden Handschriften liegt ausser meinem
Zwecke — dass in dem oben Anm. 58 angeführten von Bandini
Bibi. Leopold. II 725 beschriebenen Codex auf der Rückseite des
ersten Blattes von gleichzeitiger Hand, ausser der Notiz, dass die
Handschrift ein Geschenk von Cosmus Medices ist, der Inhalt so
angegeben wird: Iohannis Chrysostomi sanctissimi et beatissimi
viri infrascriptn opera in hoc volumine continentur. Super evan-
gelio beati iohannis evangeliste ex greco in latinü traducto per
Franciscum dni mariocti de aretto dm. LXXX. — In einem (Jod.
Magliabecchianus VI 7, chart. saec. XV, welcher die Übersetzung
des Chrysostomus zum Iohannesevangelium enthält, ist auf dem Per
gamentblatt zu Anfang von gleichzeitiger Hand folgende Notiz ge
geben: Iste liber est conventus sei Marci de florentia ordinis pre-
dicatorum: quem donavit dco conventui Vir clar. Costnas Ihis de
medicis civis nobtflorentinus, und ferner: Sei Iohannis chrysostomi
sr evangeliu sei Iohis euanglste homelie LXXXVI11 traducte p
franciscum aretinu circa annum dni 1439 et est hec originalis
traductio quam Cosmo emendatam misit dcus franeiscus: cum
derBescheidenheit des Franeiscus gesagt wird, passt zu der Vorstellung, die
man von dem Rechtslehrer aus freilich nicht ganz verlässlichen Anecdoten
(Tiraboschi VI 541) gewinnt, nicht wohl, um so besser aber zu der An-
spruchlosigkeit, welche sich in allen Vorreden des Übersetzers kund gab.
Und da Puntanus, der in ähnlicher Stellung am neapolitanischen Hofe
lebte, den Übersetzer nothwendig persönlich kennen musste, so steht
dahin, ob nicht vielmehr dieser gemeint sei, der, nachdem er Alphons’
Erziehung vollendet, in späteren Jahren in anderer Weise als Lehrer
thätig sein konnte. Denn die Bezeichnung geilere nobilis kann nicht ent
gegen stehen, da wir über die äusseren Lebensschicksale desselben näheres
nicht wissen, als dass er in der Vorrede zur Odyssee des exilium gedenkt,
in dem er lebe. Doch ist Pontanus’ Zeugniss nach keiner Seile beweisend.
I
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
423
paulo an eiusdem traductio inefndata avolasset e manib. suis ut
in fine sue pfationis aperit. Das hier angegebene Jahr ist offenbar
wie das übrige aus der Widmung - erschlossen, und wird uns nicht
nöthigen, unsere oben begründete Zeitbestimmung zu modificiren.
Originalis traductio aber wird die Übersetzung gleichfalls nach der
Vorrede, aber wohl mit Rücksicht auf ßurgundio’s Übersetzung ge
nannt. Der Familienname Grifolini aber gewinnt einen nur schwachen
Anhalt lediglich an dem cod. Riccurdianus 128 membr. saec. XV-, in
welchem auf dem Eingangsblatt von beträchtlich späterer Hand ge
merkt ist: Franciscus Arretinus qui elucubravit elegiam ad Pium
Secundum traduxitque epistolas Diogenis et Phalaridis est Fran
ciscus Grifolinus Arretinus; und ebenso wird er auf der Rückseite
desselben Blattes in dem Verzeichniss der einzelnen im Codex ent
haltenen Stücke, nicht aber in den Auf- und Unterschriften dieser
selbst genannt, in denen, wie durchweg in den Handschriften, bloss
Franciscus Aretinus steht. Am Schlüsse der Diogenesbriefe heisst
es: Diogenis pliilosofi epistolae per Franciscum Aretinum poetam
et oratorein clarissimum e greco in latinum traductae etc.
Noch sei endlich zu dem oben über den Aceoltus ausge
führten eines Briefes erwähnt (aus cod. Riccard. 834), in welchem
Franciscus de Accholtis de aretio Iurisconsultus ac Romanus eques
Ducalis consiliarius an Nicodemus Tranchedinus schreibt, und dessen
Datum Mediolani die XVI Iunii 1465 den auch sonst bezeugten
Mailänder Aufenthalt desselben für das genannte Jahr des weiteren
bestätigt.
FÜNFTER EXCURS.
Demosthenesübersetzungen von Leonardo Bruni, Georgius Trapezuntius,
Ianus Pannonius, Laurentius Valla.
Die Angaben über Leonardo Bruni’s Demosthenesübersetzungen
sind, auch in dem meines Wissens vollständigsten Verzeichniss der
Schriften Bruni's bei Melius (Leonardi Bruni Epistolarum libri VIII.
Florentiae 1741 p. L—LXXXVIIf) mangelhaft und ungenau 1 ).
Einige Nachrichten gewähren Bruni's Briefe, die jedoch, da sie
meistens undatirt sind, für chronologische Bestimmungen wenig
Anhalt darbieten. Ep. II 4 an Nicolaus (Niccoli) llomae X Kal. Ian.
(vol. I p. 35 fg.): Mitto unarn ex Demosthenis Philippicis, quam
proximis diebus interpretatus sum. Tu vide, an ea interpretatio
hominis, qui longa potarit oblivia, videatur. Aliam vero orationem
famosam, scilicet illam pro Ctesiphonte, quam habeo in
manibus, si haec non displicuerit tibi, alias mittam. Nunc istam
habe degustationis loco. Welche von den Philippischen gemeint
war, entnimmt man dem folgenden Briefe II 5 an denselben Nicolaus
llomae IIKal. Ianuarias (vol. I p. 37 fg): Orationem Demosthenis,
quam proximis diebus, cum per vacationem Romanae sedis ipse
quoque ab occupationibus vacarem, ex Gi'aeco interpretatus eram,
puto te iam legisse et praeterea tua diligentia omnem eius vim
studiosissime annotasse. Sed tune cum illam ad te darem, oblitus
sum aliquid praefari ac praemittere, quo tibi eius cognitio clarior
ac dilucidior esset. Itaque nequaquam mirarer, si te et de Dio-
pythe (sic) et Cheroneso et de totiusrei Serie dubietas quaedam
liaberet. Bruni setzt dann das Argument der Rede kurz auseinander
und schliesst: ea de causa coticio habetur et ad popidum de ea re
publice refertur. Dicuntur graves in Diopythem sententiae et ab
iis maxime qui Philippo favebant. Demosthenes vero Diopythem
l ) Vgl. jedoch Mansi zu Fabricius Bibi. med. et inf. lat. I p. 294 und
Mazzuchelli Scrittori d’ Italia Tom. II. P. IV p. 2216. Vespasiano (Mai
Spicil. Rom. I 571 fg.) hat in seiner Liste von Bruni’s Übersetzungen
keine des Demosthenes erwähnt.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
425
defendit et ad bellum adversus Philippum cohortatur, quod quibus
rationibus faciat, legeudo discitur. Es war demnach die Rede über
die Angelegenheiten im Chersones, welche auch imip AlotztiSovg
überschrieben wird. Die Sedisvacanz, während welcher Bruni die
Übersetzung machte, ist die am Ende des Jahres 1406 von Inno-
centius VII Tode bis zur Wahl Gregorius XII eingetretene. Gleich
zeitig mit dieser war er bereits mit der Übersetzung der Rede für
Ktesiphon beschäftigt, wie überdies aus einem in dieselbe Zeit ge
hörigen Briefe an Nicolaus (X 19 vol. II p. 188 fg.) hervorgeht:
iactura enim ipsorum (sc. librorum) facta est in illa fluctuatione
ac prope naufragio curiae Romanae. Itaque ad te itur, quod etiam
suo nomine marulavit Luscus ut peterem. Or ationem De
mo sthenis pro Ctesiphonte latinam facere incepi. Res est
summe luculenta et Ravennati nostro valde ut opinor placebit,
cum refertissima sit oratoriis ornamentis.
An denselben Nicolaus schreibt Bruni Senis V. idus Septembris
MCCCCVII (Ep. II 10 vol. I p. 43 fg.): Antequam Viterbio pro-
ficiscerer, dedi ad te or ationem D emo sthenis pro Ct esip hont e.
Lator fuit Petrus Bardeila, qui Romae negotiatur. Eam orationem
arbitrabar, te iam legisse ac expectabum litteras ingentis laetitiae.
Über Bruni’s Aufenthalt in Siena vgl. Melius Vita L. B. p. XXXV.
In einem undatirten, aber, wie es scheint, erheblich späteren
Briefe an Nicolaus (Ep. III 19 vol. I p. 96 fg.) heisst es: per lios
igitur dies cum otio abundarem, orationem Aeschinis in Cte-
siphontem latinam feci. Utinam adesses, ut una Warn legeremus,
et utilitas quidem duplex proveniret. Nam cum per se ipsam est
luculenta, multisque rhetoricis ornamentis picta, tum oratio illa
D emo sthenis quam olim converti, quia huic respondet,
multo erit illustrior ex huius cognitione 3 ).
a ) Für die Art und Weise, wie Bruni bei seinen Übersetzungen verfuhr, ist
nicht uninteressant, was er in demselben Briefe schreibt. Für äpä, dessen
Sjnn er versteht, fehlt ihm ein treffendes lateinisches Wort; Niceoli soll
daher nachsehen bei Livius, ubi foedera per feliales solemnibus verbis per-
agit. Doch fällt ihm schliesslich noch ein, dass execratio die passende Über
setzung sei. Ebenso soll Niceoli für eine Übersetzung von evso/oj, das er
erläutert, sapientiores id est libros zu Ratlie ziehen. Zu vergleichen damit
ist auch, was er Ep. IV 13 (vol. I p. 133) schreibt: Fines bonorum a te
426
V a h I e n
Ep. III 20 (vol. I p. 97) schreibt er wiederum au Nicolaus:
Cicero cum has orationes, quas ego latinas f'eci, convertisset, addidit
prooemium, quod perditis orationibus extare nunc etiam eredo, et
si non erro, videor meminisse. Hoc ego velim diligenter quaesitum
ad me mittas, nt quantum valeam, me summo viro propinquum
aff er am. Placebit tibi Ae schinis oratio. Est enim etc., worauf
er eine Probe aus der Übersetzung mittheilt, und schliesst: Tu vide
hanc degustationem et cum Nicola nostro examina. Vale
Arretii Kal. Septembris.
Die letzten beiden Briefe geboren derZeit nach nabe an einander.
Wenn ich Melius’ (Vita Bruni p. XL fg.) Angaben richtig verstehe,
so war es Bruni's Aufenthalt in seiner Heimath Arretium im Herbst
des Jahres 1412, während dessen er Aeschines Rede gegen Ktesiphon
übersetzte, und ein Zeitraum von 5 Jahren, die zwischen, dieser
und der entsprechenden Demosthenischen liegen, würde ausreichen,
das olim in dem ersten der beiden Briefe zu rechtfertigen.
Unbestimmt und allgemeiner sind die Angaben in dem Briefe IV19
(vol. I p. 133 fg.) Florentiae II idus Februarii an Pileus archi-
episcopus Genuensis, der einige Schriften Bruni’s zu kaufen
wünscht: sunt autem Etkicorum libri, quos nuper traduxi, et
Commentaria primi belliPunici, cum quibusdam orationibus
Demosthenis et Oeconomicorum libro, und in einem anderen
(X 26 vol. II p. 231), in welchem Bruni seine Übersetzung der
Ethik zu verfechten sich genöthigt sieht: Tarn multa etiam ex
Platone, Demosthene, Plutarcho, Xenophonte in latinum tra-
duximus, ut iam in ea arte veterani simus, non tirones.
Einen ähnlichen Anlass bot ihm der spanische Jurist Alphonsus
(de S. Maria sive de Carthagena), der die alte barbarische Über
setzung der Ethik der neuen von Bruni gemachten vorzog, und ob
wohl er vom Griechischen nichts zu verstehen einräumte, dennoch
diese neue Übersetzung nicht ohne Misstrauen betrachtete. Derselbe
hielt sich nämlich auch berechtigt, den Verdacht hinzuwerfen, Bruni
habe Cicero’s Übersetzung der Reden des Aeschines und Demosthenes
in Sachen Ktesiphon’s als die seinige ausgegeben: wogegen Bruni
Ep. VII 4 (vol. II 83. vgl. X 24 vol. II 199) replicirt: illud etiam
Hxpecto. Nam Arislotelis Ethica, quae traducere coeperam, nuper absotvi.
Ea cum e.vpolire nunc cupiam, Cicerone ac Finibus illis opus est.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
427
in eo puerile, ne dicam leve, quocl Demosthenis Aeschinis-
que oratio 11 es Mas famosissimas in causa Ctesiphontis ne
a Cicerone furatus sim suspicari vuletur. Inquit enim, se legisse,
a Cicerone iam f'uisse translatas ac nescire se, si Mas viderim. —
— Extat solummodo praefatiuncula quaedam Ciceronis, quam
Ulis orationibus ascripsit, quae est in manibus omnium: orationes
tarnen ipsas ab adulescente s ) Cicerone latinas factas nec ego nee
quisquam aetatis nostrae unquam conspexit. Sed ne suspicetur
Alphonsus, Mud sciat, nos non modo Mas, sed alias in super
satis multas Demosthenis orationes, quas Cicero nun-
quam attigit, e graeco traduxisse, ut satis g ran de volumen
earum a nobis traductarum existat, quas a Cicerone furatum
nemo suspicari me potest.
Bruni hat, wie wir sehen, seine Demosthenesiibersetzungen
den Freunden einzeln, so wie sie vollendet wurden, mitgetheilt. Die
Rede des Demosthenes für Ktesiphon hat er aber später in einer be-
sondern Edition dem Bartholomäus Capra zugeeignet. Die Widmung
nebst einem Bruchstück der Rede selbst enthält der Wiener Miscellan-
codex n. 3121 fol. 1S2 r 4 ).
Ad reverenduni patrem dominum B. episcopum Cremonensem
Leonardi Aretini in translationem orationis famosissimae De
mosthenis prohocmium incipit:
Cum eloquentiae studiosissimus sis et oratomm nostrorum
scripta diligentissime legas et avidissime perscruteris, soles fre
quenter a me velut ex peregrinatione aliqua redeunte de Graecorum
elegantia et praecipue de Demosthenis nostri vi atque copia di-
cendi accuratissime quaerere. De quo cum tibi, ut veritas exigit,
magnifice respondeam ac nonnurnquam ex voluminibus orationum
suarum, prout memoria suppetit, quaedam oratorie dicta enarrem,
tu usquc adeo illius viri ingenium admirari videris, ut facile
appareat ardor animi tui, quo erga summum oratorem incenderis.
Ega igitur, qui vel propter multa ac magna tua erga me beneficia
vel propter iusignem liumanitatem tuam vel propter coniunctionem
3 ) Das wusste Valla besser: siehe dessen Widmung.
4 ) Melius a. a. 0. LXXIX führt die Handschrift nach Lambecius an und er
wähnt auch die Widmung, doch ob sie in einem der von ihm genannten
Drucke, die ich nicht gesehen, vorhanden sei, sagt er nicht.
428
V a h 1 e n
studiorum nostrorum vel prÖfter collegii nostri vinculum
vel propter liaec omnia nostra, qitod verius est, simul eollecta tibi
deditissimas sum, nitllo modo mihi faciendum putavi, ut te hoc pio
honestoque desiderio tabescere sinam. ltaque hanc tibipulclierrimam
luculenlissimamque Demostlienis orationem fdeliter interpretatus
sum, eamque tuo nomine latinam effeci. Quam ut diligenter legas
notesque eins vim atque ornamenta, non equidem te admoneo, tu
enim id per te sollertissime facies, sed illud rogo atque obsecro, ut
ipsam legens amicitiae nostrae memoriam conserves. Ac ut tibi
notiora sint omnia ad eins cognitionem liaec praenotabis-
Adversus Pliilippum Macedoniae regem Graeciae dominatum
sibi vindicantem restiterunt Athenienses et pro sua atque communi
Graecorum libertate complures annos pugnaverunt. Demum tarnen
et ipsi superati sunt et reliqua omnis Graecia in Pliilippi pote-
statem concessit. Subactis itaque Atlienis, potentia quidem De-
mosthenis, quod ipse inprimis auctor fuerat resistendi PhiUppo,
cessavit, gratia tarnen ac benevolentia eiusdem apud cives suos
non cessavit, sed in quantumcunque subacta civitate et in reliquiis
ipsius reipublicae quaecunque agenda erant, ea ferme omnia per
Demosthenem gerebantur. Creatus ergo ad reparanda moenia
curator magnam eius operis partem ex suo patrimonio perfecit.
Ob quam liberalitatem motus Ctesiphon ad populum tulit, ut
Demosthenes ob praestantem animum et egregiam voluntalem,
per quam et beneficia olim reipublicae multa contulerat et con-
ferre paratus erat, virtutis gratia corona aurea donaretur cele-
brareturque eius coronatio in tlieatro. Hunc Demostlienis honorem
indigne ferens Aeschines Ctesipliontem accusavit, quod is contra
leges liuiusmodi honorem decrevisset, primo quia nulla essent
Demostlienis merita in rem publicam sed contra pernicies et
clades, cum auctor et causa fuerit malorum omnium , quae per
id tempus Athenienses pertulerunt, deinde quia leges eum, qui
publice quid administrasset, coronari vetarentprius quam rationem
administratorum reddiderit: fuisse autem Demosthenem publico
murorum operi praefectum nec rationem ad illam diem reddidisse :
tertio quia in tlieatro coronationem celebrari leges prohibcrent-
liaec erant accusationis capita. Demosthenes Ctesipliontem de-
fendit, vera de se scripsisse probat, criminibus respondet la-
cessentemque accusatorcm pro maledictis ulciscitur. In his tota
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
429
cotisistit oratio, quam si trite et accurate leges, nihil ornatius,
nihil elegantius, nihil copiosius te unquam legisse aut audisse
confiteberis. Vale.
Fol. 132 v. beginnt die Übersetzung: magni oratoris De-
mosthenis Atheniensis oratio famosissima in Aeschinem liabita
incipit: Primum quidem viri Athenienses deos atque deas und
bricht ab mit den Worten: non quia arbitraretur vobis fidem de-
esse sed quia.
Der in der Aufschrift der Vorrede mit B bezeichnete Bischof
von Cremona ist Bartholomäus Capra, dessen in den Briefen Bruni’s
einigemal Erwähnung geschieht. Ep. II 10 (vol. I p. 44) Bartho-
lomaeus Cremonensis mirifice . . studiis liumanitatis deditus est.
Ep. III 13 (vol. I p. 88) Bartholomaeus Cremonensis mihi hodie
affirmavit, se Ciceronis epistolas ex vetustissima littera reperisse.
Und besonders Ep. V 3 (vol. II p. 28) secretariatus . . officium cum
episcopali dignitate concurrit nec eam dedecere videtur. Fuerunt
iam pridem profecto et alii permulti sed nostra aetate Franciscus
Arretinus episcopus et Bartholomaeus Cremonensis et postquam
episcopi facti sunt in officio secretariatus perseverarunt. Auf
diese Gemeinsamkeit im apostolischen Secretariat bezieht sich
Bruni’s Ausdruck in der Widmung propter collegii nostri vinculum.
Capra hatte (nach Ughelli Italia sacra V 832) im Jahre 1403 den
Bischofsitz von Cremona erhalten, von wo er 1412 oder 1414 5 ) in
das Erzbisthum Mailand überging. In dieses Intervall und zwar dem
ersteren Jahre näher als dem zweiten fällt Bruni’s Widmung dieser
Übersetzung, welche, wie bemerkt, in Ep. II 10 (vol. I p. 43 fg.) d. d.
V idus Septembris MCCCCVII als unlängst vollendet bezeichnet wor-
5 ) Die Angaben über letzteres Datum variiren. Nach Ughelli Italia saera
IV 365 kam Capra 1414 als Erzbischof nach Mailand. los. Ant. Saxius
Archiepiscoporum Mediolanensium series historico-chronologica Tom. III
p. 849 schreibt, dass Bartholomäus von 1405—1412 das Bisthum Cremona
inne gehabt, von dem er in dem letztem Jahre entfernt worden, und erst
1414 VII id. febr. sei er Erzbischof von Mailand geworden. Morigia
Nobiltä di Milano p. 103 schreibt B. Capra sei von 1406—1412 Bischof
von Cremona gewesen, während derselbe p. 87 ihn bereits 1411 Besitz
von dem Erzbisthum Mailand nehmen lässt. Vgl. noch Philippi Bonamieii
De claris pontif. epistolarum scriptoribus (Ed. alt. Born. 1770) p. 135 fg.
und Mehus Anm. zu Bruni’s Ep. vol. I p. 44.
430
V a h 1 e n
den, was durch die (nach Melius p. LXXIX und Bandini) in einer
Florentiner und einer nachher zu nennenden Wiener Handschrift er
haltene Subscriptio: L. A. harte Dem. orationem ex graeco in
latinum convertit, quam VII Kal. Mali Romae absolvit, zu welcher
das Datum des Briefes die vermisste Jahreszahl gewährt, noch genauer
bestimmt wird. Aeschines Rede gegen Ktesiphon, welcher die De-
mosthenische um einige Jahre vorausging (s. ob. Ep. III19), hatte Bruni,
als er die Widmung schrieb, noch nicht zu übersetzen angefangen.
Die Rede vom Kranze hat Bruni später wieder aufgenommen
in eine Sammlung, in welcher er die früher einzeln bekannt ge
machten Übersetzungen Demoslhenischer Reden nebst einigen neu
entstandenen vereinigte. Über diese Sammelausgabe, von welcher
weder Melius noch andere zu wissen scheinen, gibt Auskunft die
Wiener Handschrift 3188. Sie enthält fol. 4 v.—7 v. Leonardi
Arretini praefatio in orationes Demosthenis ad Nicolatm Medicem,
in welcher Bruni nach allgemeinen Bemerkungen über die Aufgabe
der Beredsamkeit sowie über Demosthenes als ihr nachahmungs
würdigstes Muster schreibt: Hutic (Demosthenem) igitur, o Nicola,
si commodo tuo considueris, numquam tu quidem pones e manibus.
Quod ut facere queas, orationibus quibusdam eius a me hactenus
in latinum versis alias insuper adiunxi et in hoc volumine per-
scriptas ad te mittere constitui. Quorum una est iudicialis in
causa Ctesiphontis, una mixta pro Diopythe, quatuor delibera-
tiones; Aeschinis quoque accusationem et Philippi regis epistolam
adnexui, quae ad dilucidationem illarum pertinere videbantur.
Et quia graecam hisloriam non perinde tibi notam existimavi,
argumenta singularum orationum praescripsi, quo nihil in earum
cognitione desiderare posses.
Der Nicolaus Medices, an welchen diese Widmungsepistel ge
richtet ist, wird wohl der nämliche sein mit dem Ep. III 20 (vol.I 97)
am Schluss erwähnten Nicola. An denselben ist von Bruni's Briefen
Ep. I 13 (vol. I p. 22) gerichtet, zu welchem Mehus anmerkt ’Viro
CI., quem praeceptor domi assiduus erudierut Aretinus. Ita de eo
Blondus in Italia illustrata.’ Ob es derselbe ist mit dem bei Mehus
Ambros. Travers. Epistolae p. LXIII fg. erwähnten Nicolaus D.
Vierii filius de Medicis kann ich nicht sagen.
Die Argumenta zu den in diesem Volumen vereinigten Reden,
dergleichen Bruni den einzeln bekannt gemachten nicht beigefügt
Laurentii Vallae opuscula tria. 11.
43J
hatte (Ep. II 5), stehen am Anfang der Handschrift fol. 1 r. —
fol. 4 r. in folgender Ordnung. (Leonardi) Arretini argumentum
in orationes Demosthenis et Aescliinis: Adversus Philippum
Macedoniae regem — nihil copiosius te unquam legisse aut
audisse confiteberis■ Es ist, wie man sieht, die zweite Hälfte der oben
aus cod. 3121 vollständig mitgetheilten Widmung. — Argumentum in
primam Philippicarum Demosthenis — in secundam orationem —
in tertiam — in orationem de pace servanda — in orationem pro
Diopythe — in orationem Aescliinis contra Ctesipliontem — in
orationem Demosthenis pro Ctesiplionte. Dann erst schliesst sich
fol. 4 v. — 7 v. die Widmung an Nicolaus Medices an und darauf
folgen die Übersetzungen der Reden:
(I) fol. 7 v. Demosthenis oratoris disertissimi oratio prima
contra Philippum 6 ). Leonardas traduxit. Prae multis, o viri
Athenienses, pecuniis susciperetis — -— fol. 11 v. qui gerunt
rem publicam iudicutis. Utile vero foret omnium gratia.
Die erste Olynthische, bei Melius nicht erwähnt.
(II) fol. 11 v. D. oratio secunda in Philippum. In multis, o viri
Athenienses, ut mihi quidem videtur, intueri licet deorum
benivolentiam — — fol. 16 r. non eum qui dixerit modo
sed et vos ipsos postea laudabitis multo melius rebus omnibus
sese liabentibus.
Die zweite Olynthische, bei Melius nicht erwähnt.
(III) fol. 16 r. D. oratio de pace servanda. Video, Athenienses,
praesens quidem tempus difficultatem plurimam et turba-
tionem habere — — fol. 19 r. nunc adversus omnes simul
pro in Delphis umbra bellum suscipere.
Die Rede (5) vom Frieden, hei Mehus nicht erwähnt.
(IV) fol. 19 r. D. oratio tertia in Philippum. Nequaquam eadem
mihi videor intelligere fol. 23 v. vos autem sequimini,
quod et rei publicae et vobis omnibus profuturum sit.
6 ) Von derselben Rede hatte auch Bessarion eine lateinische Übersetzung
gemacht, welche Bandini Catal. codd. Laur. lat. Flut. LIVcod. IIn. 21
{Dem. oratio prima contra Philippum) anfülirt: von weicher Übersetzung
es auch einen Pariser Druck von 1470 geben soll, den ich nicht ge
sehen habe.
432
V a li 1 e n
Die dritte Olynthische, welche Mehus p. LXXIX aus Floren
tiner Handschriften anführt’).
(V) fol. 23 v. Oratio pro Diopyte 8 ). Par quidem fuerat, viri
Athenienses, eos omnes, qui apud vos sententiam dicunt, nec
inimicitia nec gratia commoveri — — fol. 32 r. non vieles
rationem, qaae absque eo quod opportuna facietis servare
rem publicum possit.
Die Rede (8) über die Angelegenheiten im Chersones,
von welcher Bruni Ep. II 5 (vol. I p. 37 fg.). Bei Mehus !. c.
(VI) fol. 32 y. ohne Aufschrift: Quanti conatus parentur, viri
Athenienses, ad hoc iudicium oppugnandum — — fol. 66
r. vos autem ex dictis et ■omissis iuste pro republica de-
cernatis. Finis. Explicit oratio Eschinis. Incipit oratio
Demosthenis.
Aeschines’ Rede gegen Ktesiphon, von Mehus p. LXXVII1
nach Florentiner Handschriften angeführt, die zusammen mit
der Demosthenischen auch in Drucken vorhanden sein soll.
(VII) fol. 66 r. ohne Aufschrift: Primuni quidem, viri Athenienses,
deos atque deas — — fol. 98 r. liberationem impendentis
metus et salutem indubiam praestate. / Finis. / Leonardas
arretinus hanc Demosthenis orationem ex graeco in latinum
convertit, quam VII. Kal. Mail Romae absolvit feliciter.
Demosthenes’ Rede für Ktesiphon. Dieselbe Subscriptio
enthält der von Mehus p. LXXIX angeführte cod. Laar. plut.
LIII cod. XVII. Vgl. Ep. II 10 (vol. I 43). .
’) Von speciellen Anführungen der einzeln in Handschriften vorkommenden
Übersetzungen Bruni’s sehe ich ab, wiewohl auch nach dieser Seite Mehus’
Angaben sieh vielfach ergänzen dessen.
s ) Dieselbe Rede hat später Nicolaus Sagundinus Calcidensis übersetzt, unter
dessen Schriften Facius de viris illustribus p. 21 (Mehus) orationes
nonnullas Demosthenis latinas fecit erwähnt. Dass darunter die über die
Angelegenheiten im Chersones sich befand, entnehme ich aus Apostolo
Zeno, der Diss. Voss. T. I n. LI diesen Sagundino eingehender behandelt
und p. 344 unter seinen Werken aufzählt: 14. Demosthenis oratio de
Cherroneso, e graeco in latinum versa. Princ.: Aequum foret, viri Athe
nienses , omnes [qui] apud nos (sic) sententiam dicunt, nec odio nec in
gratiam verba facere, sed quod cuique Optimum videtur, id etiarn prae
se ferre etc.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
433
■
(VIII) fol. 98 v. Aeschines Atrometi senatui populoque Atheni-
ensi salutem. Ego me ad rempublicam contuli XXXIII
aetatis mene anno etc.
Ep. XII der dem Aeschines zugeschriebenen Briefe.
Nach der Widmung an Nicolaus Mediees sollte man als Zugabe
zu den 7 Reden nicht diese Epistel sondern die des Philippus er
warten. Auch ist beachtenswerth, dass die Abfolge der Reden an
einer Stelle mit der Reihenfolge der Argumente nicht übereinstimmt,
sowie dass für Demosthenes und Aeschines Reden in causa Ctesi-
pliontis ein doppeltes Argumentum gegeben ist, zuerst ganz im Ein
gang der Handschrift das aus der Widmung an Capra entlehnte,
dann an rechter Stelle noch einmal ein besonderes für jede der beiden
Reden. So dass man erkennt, die Handschrift gibt nicht genau die
von Bruni seihst in der Widmung an Nicolaus Mediees charakterisirte
Sammlung.
Zwei gleichartige Florentiner Handschriften verzeichnet Bandini
Catal. codd. Laur. lat., erstens Tom. III col. 192 (pl. LXXXII.
cod. VIII) eine 14o7 geschriebene, die ausser Bruni’s Übersetzungen
Platonischer Dialoge zum Hauptinhalt hat: Demosthenis et Aescliinis
orationes quaedam interprete Leonardo Arretino, praeviis sin
gulär um argumentis etpraefatione ad Nicolam Medicem. Sie ent
hält die 7 Reden, mit einer Ausnahme in derselben Ordnung, wie
die Wiener Handschrift: diel. II. III. in Philippum (Olynthische),
de pace, pro Diopytlie, Aescliinis Demosthenis orr. in causa
Ctesipliontis, und zum Schluss die nämliche Epistola Aescliinis
Atromiti; und eine zweite Tom. III col. 643 (pl. LXXXXcod. LX1)
ebenfalls praeviis argumentis et cum praefatione ad Nicolam
Medicem, und zwar, da hier die oratio de pace der tertia in Phi
lippum vorhergeht, genau in der Anordnung der Wiener Hand
schrift; hinter Demosthenes’ Rede de corona, die ohne Aufschrift
ist, folgt die aus dem Wiener Codex mitgetheilte Subscriptio und
Datierung der Übersetzung, und zum Schluss Aeschines Brief.
Über eine vierte Handschrift gleicher Art gibt Ebert Auskunft
Geschichte und Beschreibung der Bibliothek zu Dresden S. 2S6
n. 76; sie enthält ausser Platonischen Übersetzungen Bruni's De
mosthenis orationes VII et Aescliinis contra Ctesiphontem lat.
interprete L. Aretino, und zwar fol. 1 r. Praefatio ad Iul. (sic)
Mediceum. fol. 3 v. Argumenta orationum. Von fol. 7 r. ab die
Sitzb. a. phil.-hist. CI. LXI. Bd„ III. Hft. 29
ft
434
V a h 1 e n
Übersetzungen in dieser Ordnung: I u. II in Philippum, de pace,
III in Philippum, pro Dyophinte (sie), Aeschinis t)> Demosthenis
in causa Ctesiphontis. Endlich Aeschinis oratio (s. potius epi-
stola XII) und Pliilippi epistola ad Atlienienses. Hier also be
gegnen wir aucli dem von Bruni in der Widmung aufgeführten, in
den übrigen Handschriften vermissten Briefe Philipp's, doch zugleich
mit Aeschines' Epistel, die Bruni in der Widmung wenigstens nicht
erwähnt hatte.
In dieser Sammelausgabe von Bruni's Demosthenesiibersetzungen
dürfen wir nun wohl das satis gründe Volumen von ihm übertragener
Demosthenischer Reden erkennen, dessen in Ep. VII 4 (vol. II 83)
gedacht wird. Und wenn Manetti in der oratio funebris für Leonardo
Bruni (bei Mehus L. Bruni Epistolae p. CI) unter Bruni's Über
setzungen aufzählt: has Plutarclii vitas M. Antonii. . . Demosthenis
fibrös singidos, eiusque orationum libros septem 9 ), so wird man
schwerlich irren, wenn man darunter, 7 Bücher gleich 7 Reden ge
nommen, mit Übergehung der epistola Pliilippi eben jene in die von
Bruni selbst veranstaltete Sammlung aufgenommenen sieben Reden
verstellt. An dieselbe Sammlung ist wohl auch bei Facius de viris
illustribus p. 10 (Mehus) gedacht, wo es von Bruni heisst: Ex De-
mosthene orationes duas pro Corona, et alias octo in latinum
transtulit, so dass die letztem acht, die epistola Phi/ippi als oratio
gezählt, die dem Nicola Medices gewidmete Sammlung bezeichnen,
neben welcher Facius noch eine der dem Bartholomäus Capra ge
widmeten ähnliche Sonderausgabe der beiden Reden des Aeschines
und Demosthenes in causa Ctesiphontis kannte.
Es werden zwar in Handschriften noch andere Übersetzungen
einzelner Reden des Demosthenes dem Bruni zugeschrieben, doch
ist die Zuverlässigkeit dieser Angaben nicht zu verbürgen.
9 ) Vgl. auch in derselben oratio funebris p. CIII fg., wo Manetti von Cicero
sagt, dass er ausser anderen Übersetzungen duas quoque illas nobilissimas
duorum illorum eloquentissimorum oratoruni Demosthenis et Aeschinis ora
tiones inter seque contrarias e graeco in latinum convertit, und dann weiter
hin schreibt: At vero Leonardus noster vir eloquentissimus non modo duas
illas nobilissimas orationes a M. Tullio antea conversas et iampridem
incuria maiorum nostrorum amissas ac deperdilas, sed eliam, nt cetera
leviora omittamus, pleraque Demosthenis, Xenophontis quaedam... traduxit
Poggio hat in der ebenfalls bei Mehus abgedruckten oratio funebris für
L. Bruni seine Demosthenesübersetzungen ganz übergangen.
Lnurentii Vallae opuscula tria. II.
435
Demosthenes Rede für Ktesiphon hat ausser und nach Bruni
im XV. Jahrhundert noch einen Übersetzer gefunden an Georgius
Trapezuntius. Facius de viris illustribus p. 21 (Melius) zählt unter
den Schriften desselben auf: (in latinum vertit) orationem De-
mosthenis pro corona, und dieselbe nennt Vespasiano im Leben
des Georgio Trabisonda (Mai Spicii. Rom. I p. 636): oratio De-
mostlienis contra Ctesiphontem (sic). Handschriftlich kannte sie
Apostolo Zeno, der in dem sehr vollständigen Verzeichnis der
Schriften des Georgius (Diss. Voss. Tom. 11 p. 15) n. 20 De-
mostlienis oratio contra Ctesiphontem (sic) ad Alplionsum regem
anführt mit dem Zusatz: sta nel codice DCCXCVI cartaceo in
foglio della libreria del Senator Iacopo Soranzo alla pag. 81.
Mehr freilich weiss ich über diese Arbeit des Georgius, die mit
Valla’s Übersetzung zu vergleichen nicht ohne Interesse wäre, nicht
zu sagen.
Indem wir uns jetzt zu Laurentius Valla’s Übersetzung der
oratio pro corona wenden, ist vor allem einer Wiener Handschrift
Erwähnung zu thun, welche leicht einen Zweifel an Valla’s Autor
schaft jener Übersetzung anregen könnte.
Die Handschrift 3186 (Philol. 193) enthält eine am Anfang
verstümmelte lateinische Übersetzung der Rede vom Kranz. Sie
beginnt mit den Worten: ille histrio, qui primus de Philippi
pace ad vos retulit, iam quidem mercede conductus — — und
schliesst fol. 76 sin aatem insanabiles sunt, eos quidem seperatim
a ceteris terra marique agitatos absumite, nobis caeteris quam
primum imminenti periculo liberatis certam salutem date. / Finis.
Darunter mit einer Hand, wie es scheint des XVI. Jahrhunderts die
Notiz: Della translacion di Iano / vescopo uro pannonio / MCDLXI.
Diese Subscriptio ist mit einer Bemerkung zu verbinden, welche
Pannonius’ Landsmann und Herausgeber seiner Werke Ioannes
Sambucus in der Vorrede zur Edition der letzteren (Viennae 1U69J
p. 3 macht: Bruti et Galbae in Plutarcho vitae latinae huic
(Pannonio) omnino interpreti sunt tribuendae, quod ipsum de
libro, Veronae a me viso et a Guarino emendato testis oculatus
confirmo: qui pro Ctesiphonte huius ipsius quoque versionem
pene absolutem luibeo. Und mit Bezug hierauf schreibt der unge
nannte Herausgeber (Sam. Comes Teleki wie Budik Lat. Dichter
1 106 angibt) von lani Pannonii Opuscula (Traiecti ad Rlienum
29*
436
V a h 1 e n
1784) P. 2 p. 211 quas Sambucus Veronae sibi visas testatur,
seque possidere orationem Demosthenis pro Ctesiphonte paene
absolutam ab eodem Pannonio interprete translatam, quae haud
dubie eadem cst, quae liodieque licet manca et matila in Augusta
Vindobonensi biblioiheca superest numero CXCIII. (Vgl. ebend.
p. 119 und 130.) Gemeint ist unsere Handschrift, obwohl jener
Herausgeber von einer Subscriptio nichts anmerkt. Hält man letztere
mit Sambucus’ Zeugniss zusammen, so wird man leicht geneigt
sein, ihn für den Urheber der Unterschrift zu halten, die den Ungar
wenigstens in vescopo nro verräth und selbst die italienische
Fassung wäre für Sambucus nicht verwunderlich, das unterge
setzte Jahr aber MCDLXI geht nicht den Schreiber sondern den
episcopus Pannonius an, der 1438 aus Italien heimgekehrt, 1439
von Pius II zum Bischof von Fünfkirchen ernannt worden war. Doch
wird die Vermuthung nicht unterstützt durch Autographa des Sam-
bucus, die ich auf der K. Hofbibliothek einzusehen Gelegenheit hatte,
sowie auch sonst über Herkunft der Handschrift nichts zuverlässiges
zu eruiren war. Gleichwohl wird man einen Zusammenhang zwischen
der Subscriptio und Sambucus’ Zeugniss nicht ohne weiteres von
der Hand weisen dürfen.
Diese Handschrift nun enthält nicht etwa eine neue Übersetzung
der Demosthenischen Rede, sondern ist nur eine andere Abschrift
der in dem Codex Urbinas dem Laurentius Valla zugeschriebenen
Übersetzung. Wird man an des letztem Autorschaft zweifeln? Ich
denke nicht, sondern bin der Meinung, dass jene Unterschrift
sammt Sambucus’ Angabe für nichts anzusehen sei als eine Ver
muthung.
Ianus Pannonius hatte eine Rede des Demosthenes ins Lateinische
übersetzt; es ist die heute für unecht geltende (11) Rede über den
Brief des Philippus, die er, wie es in dem vorangeschickten Argu
mentum heisst, desshalb zur Übertragung ausgewählt hatte, qiiia
oppido convenire visa est praesentibus Christianorum rebus contra
Turcam (ahgedr. im 2. Bande der Edition Traiectil784 p. 46 fg.).
Diese Thatsache in Verbindung mit Daten über die Provenienz der
Handschrift, die, wenn auch heute unbekannt, Sambueus seiner Zeit
leicht haben konnte, war es vermuthlich, was ihn veranlasste, diese
Übersetzung, welche mit den ersten Blättern auch den Namen des
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
437
Verfassers eingebüsst hatte i°), dem in Guarino’s Schule gebildeten
Pannonius zuzuschreiben. Doch welche Gründe Sambucus haben
mochte, nichts kann die späte Subseriptio oder Sambucus’ Angabe
bedeuten gegen das gewichtige Zeugniss der Urbinatischen Hand
schrift 337. In ihr sind auf der Rückseite des ersten Blattes in schön
gemalten Kreisen mit grosser prächtiger Schrift die Werke des
Laurentius Valla verzeichnet, welche der Codex enthält. In hoc
codice continentur opera Laurentii Vallensis viri doctissimi atque
acutissimi, quae in circum pictis circulis sunt adnotata. Es sind
aber folgende: 1) Traductio Demostlienis fol. 1—52, worauf zwei
unbeschriebene und unnumerierte Blätter folgen. — 2) In Antonium
Raudensem Laurentii Vallensis opusculum fol. 53—117 r. —
3) Epistola ad Alphonsum fol. 117 v.—126 v. —- 4) Confutatio
in Benedictum Morandum Bononiensem fol. 126 v. —145 v. —
5) Apologia ad Eugenium P. P. m fol. 145 r.—158 r. •— 6) De
falsa condonatione fol. 158 v.—159 v. Von letzterem Werk sind
nur zwei Blätter erhalten und auch auf diesen ist der Versuch ge
macht, die Schrift auszulöschen. Die Übersetzung des Demosthenes
selbst trägt die Aufschrift: Laurentii Vallensis prefatio in / traduc-
tionem Demostlienis pro / Ctesiph. ad ill m pncipe D. F. V. C.
Es müssten schwer wiegende Gründe sein, welche eine so gut
bezeugte Autorschaft zweifelhaft machen sollten. Und nun betrachte
man die Widmung seihst, aus der man Valla’s selbstbewusste Art
fast aus jedem Worte herauszulesen meint. Eine blosse Übersetzung
ist ihm nicht schwierig genug, zu wenig verdienstlich, als dass, wer
nach dem höchsten in der Wissenschaft strebe, sich lange mit der
gleichen befassen sollte: er habe es vorgezogen, bisher lieber auf
anderem Gebiete eine alle Geisteskräfte, nicht bloss die Gewandtheit
in Stil und Sprache in Anspruch nehmende schriftstellerische Thätig-
keit zu üben: eine Äusserung, die, wie sie auf Valla in vollstem Masse
Anwendung findet, von kaum einem der zeitgenössischen Gelehrten
mit gleichem Fug gelten konnte, auf Pannonius aber bezogen, beinahe
lächerlich wird. Diese Übersetzung aber gewinne an Reiz für ihn,
weil es gelte, mit drei der grössten Redner zu wetteifern, mit Cicero und
10 ) Der etwas seltsame Ausdruck des Sambucus paene absolu/am hat doch
wohl keinen andern Sinn, als dass auch er die Handschrift in dem gegen
wärtigen Zustand mit fehlendem Anfang vor sich hatte.
438
V a h I e n
Leonardo Bruni, den lateinischen Interpreten, und mit dem griechi
schen Redner selbst: denn warum sollte nicht der einzig auf Sprache
und Ausdruck sehende Übersetzer einiges besser treffen können, als
der Redner selbst, der alle Aufgaben der Beredsamkeit zugleich zu
erfüllen hat. Und wenn Valla, der von Übersetzungen, mit denen
allein andere ihren Ruhm zu begründen strebten, so gross nicht
denkt, dennoch die Nützlichkeit derselben einräumend schreibt:
licet ex translatione velut ex peregrina quadam mercatura verum
optimarum magna nobis comparetur utilitas, tarnen quicl in ea est,
quod ita admiremur nt aliqui faciunt, in qua nulla inventio, mdla
dispositio — nullum denique ingenii documentum appareat, so liefert
er selbst zu diesen Gedanken anderwärts die schlagenden Parallelen.
Im Antidotum in Poggium IV 326, wo er vom Pabst Nicolaus die
Erlaubniss sich erbittet, statt der ihm aufgetragenen Übersetzungen
vorerst die Polemik gegen Poggio darbringen zu dürfen, schreibt er:
nam licet in libris, qaos ex nobis ipsis compönimus, illa graeci
auctoris abest utilitas, quae ex transferendo compargtur, quanti
tarnen simus et quantuni in dicendo valeamus, multo magis ita
cognoscitur: illic enim cutis quaedam ut sic dicam et candor
orationis noster dumtaxat est, hie etiam sanguis, color, pulchri-
tudo, vires, velocitas et ceterae bene componendi tamquam corporis
dotes. Ebenso kehrt der in der Widmung gebrauchte Vergleich der
Übertragung mit einer mercatura in der Vorrede der Thucydides-
übersetzung an Pabst Nicolaus wieder. Nam quid utilius, quid
über ins, quid etiam magis necessarium librorum interpretatione:
ut haec mihi mercatura quaedam optimarum artium esse videatur:
magnae rei eam comparo, cum mercaturae comparo: quid enim
illa in rebus humanis conducibilius, quae omnia ad victum, ad
cultum, ad praesidium, ad ornamentum, ad delicias denique vitae
pertinentia comportat etc. Denn dass hier den Umständen gemäss —
Pabst Nieolaus hielt grosse Stücke auf Übersetzungen — die Parallele
ein wenig anders gewendet ist, spricht nur um so entschiedener
dafür, dass dieser Gedanke hier und dort demselben Kopfe ent
sprungen ist.
Wo so äussere und innere Gründe zusammenstimmen, kann ein
Zweifel an Valla's Autorschaft dieser Übersetzung kaum einen Augen
blick Platz greifen. Wir wenden uns daher der andern Frage zu,
wann Valla die Übersetzung gemacht und, da die Vorgesetzte Wid-
Laurentii Vallae opuscula t.ria. II.
439
mung sie als herausgegeben kennzeichnet, veröffentlicht habe. Er
wähnt wird sic in seinen übrigen Schriften nirgends. Dass sie aber
zu den frühesten Arbeiten Valla's nicht gehörte, verbürgt die Be
merkung in der Widmung: antehac in alio potins stilo Ingenium
meum consumpsi, die, wenn auch schon die eine und andere Über
setzung vorangegangen war, eine grössere Anzahl anderer Schriften
voraussetzt. Und wenn es in derselben Widmung heisst: neque vero
facultas liaec periclitandi ingenii datur tiisi in orationibus prae-
cipueque Demostlienis, ad quas Indus iocusque cst omnis alia tra-
ductio: üleoque non hoc cuiuscunque est, sed eius demum qui
multum sit in oratorio genere versatus, si quidem Cicero ipse
Xenophontem ac Platonem adolescens, Aeschinem vero ac De-
mosthenem senex transtulit, so schliessen wir, dass Valla’s De
mosthenesübersetzung in seine reiferen Jahre fällt und dass ihr
wenigstens sein vornehmstes oratorisches Werk, die Schrift de
donatione Constantini (1440) vorausliegt. In den Ende 1444 und
Anfang 1443 geschriebenen Briefen (s. obenExcurslVAnm. 12 u. 13),
in denen er seine schriftstellerischen Arbeiten aus den letzt vorange
gangenen Jahren nennt, die Homerübersetzung, die Collatio novi testa
menti, die Raudensia und eine Überarbeitung derElegantiae, wird der
Demostbenesübersetzung nicht gedacht, und man möchte glauben, dass
Valla sie überhaupt bei Bruni’s Lebzeiten, der 1444 starb, entweder
nicht unternommen oder nicht bekannt gemacht habe. So sind wir bis
auf die gegen Ende des Jahres 1443 geschriebenen Recriminationes
in Facium herabgekommen. In ihnen beruft sich Valla p. 623 für seine
von dem Gegner heruntergedrückte Kenntniss des Griechischen auf
seine Übersetzungen: nam neque ignoro graecas litteras neque
illarum tarn partim peritus sum: quod probant cum aliae trans-
lationes meae tum duo ") libri de collatione novi testamenti. Der
11 ) Beiläufig- sei bemerkt, (lass Valla hier von zwei Büchern de collatione novi
testamenti redet, während er in den oben angeführten Briefen an Aurispa
und Landriani beidemal ausdrücklich octo libros ankündigt. In Erasmus’
erstem Druck, wie er in die Baseler Ausgabe (von 1540) aufgenommen,
findet sich gar keine Bucheintheilung, und vcrmuthlich war eine solche
in der von Erasmus benutzten Handschrift nicht vorhanden, in der
auch das von Valla selbst im Antidot, in Pogg. I 270 und einem unge
druckten Briefe erwähnte prooemium fehlte, das wir heute vermissen.
Iacobus Revius hat in seiner Ausgabe (ich kenne nur die zweite Amstelo-
440
V a h 1 e n
Ausdruck aline translationes wird durch die vorher p. 622 genannte
Übersetzung der Ilias, sowie die in das Jahr 1440 fallende kleine
Übersetzung Aesopischer Fabeln hinreichend erklärt und erzwingt
nicht die Annahme, dass die Demosthenesübersetzung eingeschlossen
sei. Auch dürfte man, wenn letztere dem Facius Vorgelegen, nach
der ganzen Art dieser Anklagen mit Sicherheit darauf rechnen, dass
Valla's Versuch, etwas, das Bruni, wie er selbst einräumt, gut ge
macht, noch besser machen zu wollen, dem Hohn und Vorwurf seines
Gegners nicht entgangen wäre. Man vergleiche nur, was Facius
Recrim. p. 623 gegen Valla geltend macht: audivi te saepe
dicentem, qunm eorum (Guarini et Leonardi) auctoritatem afferrem,
1 quem tu mihi Guarinum, quem Leonardum commemoras, num
ütrumvis eorum mihi praeferri indignor ac moleste fero, et ego
quoque litteras graecas ac latinas scio et cum utroquc saepe de
gravissimis rebus disputavi atque contendi, qua in re illi mihi non-
numquam cessere.’
Doch ist bei der Zufälligkeit, mit welcher damals Schriften ver
breitet wurden, mit Sicherheit nur soviel aus jener Nichterwähnung
zu schliessen, dass Facius 12 ) Valla's Übersetzung des Demosthenes
dami 1638') gestützt auf das Zeugniss in den Recrim. Valla’s Werk ia
zwei Bücher, das erste die vier Evangelien, das zweite die übrigen
Schriften enthaltend, zertheilt (vgl. f. 213): die Zeugnisse aus den an
geführten Briefen sind ihm unbekannt geblieben. Nun wäre es ja denkbar,
dass Valla in dem nicht allzugrossen Intervall zwischen jenen Briefen
und den Recrim. eine neue Redaction des Werkes in 2 Büchern vorge
nommen; aber wahrscheinlicher ist doch, dass duo in den Recrim. aus
octo verderbt sei. Damit würde auch besser sich vertragen, was Valla im
Antidot, a. a. 0. schreibt: qua de re feci mentionem, non in opusculo,
ut tu ais, sed in pluribus libris de collatione novi testamenli, womit Revius
in anderer Weise fertig zu werden sucht. Endlich ist die Eintheilung in
8 Bücher zum Theil noch aus den zusammenfassenden Unterschriften der
Baseler Ausgabe, wenn anders diese nicht bloss vom Herausgeber her
rühren, noch zu erkennen: vier Bücher waren den vier Evangelien, das
fünfte der Apostelgeschichte, das sechste den Briefen Pauli, die nach
der Unterschrift ein Ganzes ausmachten, das siebente den gleichfalls in
der Unterschrift zusammengefassten sogenannten katholischen Briefen,
das achte endlich der Apocalypse gewidmet.
12 ) Dass Facius sie in dem L. Valla gewidmeten Artikel der Viri illustres
nicht erwähnt, hat keine Bedeutung, da dort überhaupt nur die wich
tigsten Werke Valla’s angeführt werden und von Übersetzungen z. B.
Laurentii Vallae opuscula tria. II.
441
nicht kannte, wie sie auch Poggio hei seinen Invectiven gegen Valla
unbekannt war, von dessen gleichartigen Incriminationen gegen
Valla's Uberhebung man sonst einer Anklage auch dieses Forfait er
warten dürfte.
In den Recriminaiiones wird Demosthenes’ Rede gegen Aeschines
mehrfach erwähnt. Von seiner eigenen Lage, in welche ihn Facius’
Angriff versetzt, nimmt Valla zweimal Anlass, sich auf Demosthenes’
Beispiel zu berufen, dem Aeschines’Anklage das Selbstlob abgenöthigt:
p. 625 tun perversitas tuique similium imponit mihi me ut
Aeschines et ceteri invidi Demostheni se laudandi necessitatem
und p. 629 cogis, improbe calumniator, me de ipso praedicare, ut
Aeschines Demosthenem, nulla alioqui de laudibus suis verba factu-
rum. Und p. 600 nimmt er Bezug auf die astutia Demosthenis in
causa Ctesiphontis, deren er sieb bei dem verschieden accentuirten
piaSuTog und pLaScnrcg (§ 52 des Originals) bedient habe, worin
Valla der bekannten Scholiastenerklärung folgt. Doch konnte Valla
das erste selbst dem Quintilian (XI 1, 22) entnehmen, den er, wie
er Recrim. p.477 sagt, fast wörtlich auswendig wusste (Quintilianum,
quem prope ad verbum teneo), und überdies finden wir ihn mit
Demosthenes Reden schon in einer seiner frühesten Schriften, dem
Dialog de voluptate bekannt, sei es, dass er ihn im Original oder in den
damals schon verbreiteten Übersetzungen Bruni’s las, oder sonsther
seine Angaben entlehnte. Kurz jene wiederholten Anführungen dieser
Rede in den Recriminationes können nicht erweisen, dass Valla ge
rade um diese Zeit mit der Übertragung derselben beschäftigt gewesen
sei, und da Valla in diesem Jahre nachweisbar von mehreren anderen
schriftstellerischen Arbeiten neben und ausser den Recriminationes in
Anspruch genommen war, so wird man aus diesem und einem nach
her zu erwähnenden Grunde geneigter sein, die Übersetzung des
Demosthenes noch ein oder das andere Jahr tiefer hinabzurücken.
Eine Grenze bis wohin ergibt die Thucydidesübersetzung, die 1450
begonnen, ihn durch beinahe drei Jahre beschäftigt hielt. Hätte Valla
mit den Schwierigkeiten diesen Geschichtschreiber zu übertragen,
über welche er in der Widmung an Pabst Nicolaus klagt, schon vor
her gerungen, so wäre wohl sein Urtheil über die Aufgabe des Über
auch die des Homer sowie die Schritt de eollatione N. 7’., die Facius beide
kannte, übergangen sind.
442
v a h I e n
setzers erheblich modifieirt worden. Dieser liegt demnach die Widmung
zum Demosthenes unzweifelhaft voraus. Denn seit jenem Jahre sind es
fast ausschliesslich die Übertragungen der beiden Geschichtswerke der
Griechen, die Valla bis an sein Lebensende beschäftigten IS ), und
seinem unermüdlichen Forschertrieb eine für die Interessen der Curie
wünschenswerthe Fessel anlegten.
Näheres ist vielleicht zu gewinnen, wenn es gelingt, den in der
Aufschrift der Widmung nur mit den Anfangsbuchstaben bezeicbneten
Namen des Fürsten zu enträthseln, dem die Übersetzung zugeeignet
ist. leb nehme an, dass nur ein italienischer Fürst gemeint sein
könne, und unter dieser Voraussetzung bietet sich die Vermuthung
dar, dass Federigo Conte d’Urbino zu verstehen sei, und demnach die
Anfangsbuchstaben so zu ergänzen seien: ad illustrem principem
D(orninum) F(redericum) V(rbini) C(omitem).
Eine Widmung an diesen Fürsten kann niemanden Wunder neh
men und sie ist nicht vereinzelt. Federigo di Montefeltro hatte in der
Schule des Vittorino da Feltre l4 ) zu Mantua humanistische Bildung
eingesogen, und sowie er seinem Lehrer stets ein dankbares Andenken
bewahrt hat, so hat er auch bei allen kriegerischen Unternehmungen,
in die er sein Lebelang verwickelt war, humanistische Neigungen
und Interessen unterhalten und gepflegt. Genügenden Beweis dafür
gibt schon allein die von ihm mit grossem Aufwand angelegte und
stets bereicherte Büchersammlung von Urbino, in welcher nicht bloss
was von alten Autoren aufzutreiben war, sondern auch die Erzeug
nisse der modern-humanistischen Schriftstellerei vereinigt waren,
unter ihnen auch, wie Vespasiano (Mai Spicil. Rom. I 127) sagt,
tutte l'opere di Lorenzo Valla tradutte e comp oste, und sowohl
andere heute erhaltene Handschriften von Werken Valla’s, als auch
12 ) Dass Valla in Rom vorzugsweise mit griechischen Studien beschäftigt war,
geht auch aus Iov. Pontanus’ Bemerkung üe Principe [Opera I f. 9t v.)
hervor: Laurentius Valla, cum ab eo qxiaesisset Nicolaus V. P. M., cur
senex iam et in lalinis litteris consummatus, tanto Studio tjraecas disceret,
ut duplicem, inquit, abs te Pontifex mercedem accipiam.
14 ) Rosmini in dem Leben Vittorino’s (Idea dell' ottimo precettore nella vita
e disciplina di Vittorino da Feltre e de’suoi. discepoli. Milano 184SJ hat
ihn unter dessen Schüler eingereiht S. 220—227. Dort finden sieh auch
über Federigo besonders handelnde Schriften verzeichnet, deren es eine
erhebliche Anzahl gibt. Vgl. auch Voigt Enea Silvio III 145.
Lanrentii Vallae opuscula tria. II.
443
eben jene, welche uns die Demosthenesübersetzung aufbewahrt hat,
stammen aus der Urbinatischen Bibliothek, die bekanntlich durch
Pabst Alexander VII dem Vatican einverleibt worden.
An Widmungen zeitgenössischer Gelehrten und an humanisti
schen Lobeserhebungen hat es dem Fürsten nicht gefehlt. Von
Iovianus Pontanus, Nicolaus Perottus, Marsilius Ficinus, Christopborus
Landinus, Alamannus Rinuccinus, Martinus Phileticus und anderen
werden dem Fürsten dargebrachte Widmungen von Übersetzungen
und anderen Werken erwähnt 's). Doch lag diesen Zueignungen, die
alle in die sechziger und siebziger Jahre des XV. Jahrhunderts ge
hören, Valla’s Widmung des Demosthenes, wenn anders unsere Ver-
muthung über den Namen des Adressaten nicht trügerisch ist, erheb
lich voraus. Die Aufschrift, sowie die Anrede praestantissime prin-
ceps ac aetatis nostrae gloria, zeigen, dass Federigo als regierender
Fürst von Urbino anzusehen ist; er hatte aber die Regierung nach
dem Tode seines Bruders, des Herzogs Oddantonio, im Jahre 1444
angetreten und führte sie, als illegitimer Nachfolger, unter dem Titel
eines Grafen von Urbino, den Herzogstitel erlangte er erst 1474 von
Pabst Sixtus IV. Vor jenem Jahre kann demnach Valla’s Widmung
nicht geschrieben sein; dass sie aber auch in den nächstfolgenden
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht entstanden, dafür spricht, abge
sehen von den früher angeführten Gründen, der Umstand, dass in
diesen der Graf von Urbino, mit Sforza verbündet, gegen König
Alphons von Neapel im Kriege lag, in dessen Dienste und an dessen
Hofe Valla damals noch lehte. Erst als Valla 1447 Neapel verlassen
und in Rom durch des neuen Pabstes Nicolaus V Munificenz eine
* 5 ) Vgl. Bandini in dem Index zum Catal. codd. Laur. lat. unter Fredericus'
Namen, Rosmini a. a. 0. 223, Zeno Diss. Voss. II 202, Baldi Vita e fatli di
Federigo di Montefeltro duca di Urbino (Roma 1824) vol. III p. 239 fg.
Über Martinus Phileticus, der ihm eine metrische Übersetzung einer Auswahl
Theokritischer Idyllien gewidmet halte, hat Marini Archiatriponlificii II 208
Nachrichten zusammengestellt; von ihm ist in der Wiener Handschr. 3236
fol. 22 v. eine Übersetzung aus Isokrates erhalten: Isocrates de regno gu-
bernando (an Nikokles) Martiniphilenci/ tralatione ->• ad federicu J. In der
Handschrift steht allerdings philencus, wie in den Katalog aufgenommen
worden, doch ist es so geschrieben, dass wer den Namen kennt, auch das
richtige Phileticus daraus lesen kann. Ob bei federicu auch hier an den
Grafen von Urbino zu denken sei, weiss ich nicht.
444
V ah len, Laurentii Vallae opuscula tria. II.
Stellung an der Curie wieder gewonnen, war wenigstens kein äusseres
Hinderniss vorhanden, das ihn hätte abhalten können, dem Fürsten
von Urbino durch eine Widmung sich zu empfehlen, zumal der
selbe mit Pahst Nicolaus, der den von Eugen über ihn ver
hängten Bann im ersten Jahre seines Pontificats 1447 wieder auf
gehoben (Georgius Vita Nicolai p. 38), im besten Einvernehmen
stand. Alle bisherigen Erwägungen zusammengefasst, glauben wir
demnach, dass Valla's Übersetzung des Demosthenes in die ersten
Jahre seines römischen Aufenthaltes (1447—1449), bevor er an die
Thucydidesübersetzung angeschmiedet war, mit Wahrscheinlichkeit
zu setzen sei.
Boiler. Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
445
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem
Anlaute in den einsilbigen Sprachen.
Von dem w. M. Prof. Dr. A. Boiler.
Untersucht man die einsilbigen Sprachen im Zusammenhänge,
so zeigt sich, dass sie trotz einer kaum übersehbaren Lautentwick
lung in absteigender, zur Synkrasie führender Richtung, dennoch An
haltspunkte in genügender Anzahl bieten, ihren primitiven Sprach-
stoff, freilich erst nach mühsamer Feststellung ungeahnter Gesetze,
herzustellen. Das Ergebniss ist in der Thatsache enthalten, dass sich
die einsilbigen Sprachen lexikalisch so genau, wenn, wegen Ab
wesenheit von Lehnworten nicht genauer, als die irgend eine
Stammes decken. Um diese Thatsache zu erweisen, müssen zuerst
einige Vorfragen, wie über das Verhältnis der Präfixe, über den Ur
sprung und den Werth der Betonung und ähnliche gelöst sein.
In vorliegendem Aufsatze habe ich versucht, die vocalisch und mit
Gutturalen anlautenden Präfixe ihrem Ursprünge und der etymologi
schen Verwendung nach zu bestimmen.
Der Mangel ausreichender Hilfsmittel mag es entschuldigen,
wenn der Gegenstand nicht systematisch genug behandelt werden
konnte, und im Einzelnen noch manches zweifelhaft bleibt. Der
Hauptzweck, diesen Präfixen ihren grammatischen Platz angewiesen
zu haben, ist meines Erachtens erreicht.
Die benützten Vorarbeiten beschränken sich auf die im Journal
of the. R. Asiatic Society of Bengal von Hodgson entweder seihst
verfassten oder durch seine Vermittlung zu Stande gekommenen
Wörterverzeichnisse und grammatischen Notizen über die Sprachen
der zahlreichen Volksstämme, welche in Hinterindien und Tibet so
wie in den nach Indien mündenden Flussthälern des Himalaya sess-
446
Boiler
haft sind. AusseMem wurde für das Karen F. Mason's Synopsis of
a Grammar of Ihe Karen language, für das Kassia die Abhandlung
über die Kassia-Sprache von Gabelentz benützt, und für das Anami-
tische, Barmanische und Chinesische, von welchem, wegen der voll
ständigeren Betonung die Dialekte vonKvan-toh und Ho-kyen vorzugs
weise sich eigneten, die entsprechenden Lexika: A. Judson, a Dictio
nary, Burmese and English; Taberd, Lexicon anainitieo-latinum et
latino-anamitieum; S. Wells Williams, Tonic Dictionary of the Chi
nese language in the Canton Dialect; W. H. Medhurst, a Dictionary
of the Ho-kyen Dialect of the Chinese language zu Grunde gelegt.
In der Transcription habe ich C. R. Lepsius Standard Alphabet
mit einigen Abweichungen im Thai in Anwendung gebracht. Die Ab
weichungen beschränken sich darauf, dass ich die aspirirten Mediae,
welche sich ohnehin von den primitiven harten Aspiraten durch die
Betonung unterscheiden, mit letzteren, wie im Chinesischen zusam
menfallen liess. Die Verdoppelung wurde durch einen Querstrich
über dem Consonanten angedeutet.
Bei der Bezeichnung der Betonung hielt ich mich an die gene
tische Entwickelung.
Den steigenden Ton, hervorgerufen durch vortretendes s=h
bezeichne ich durch ' vor und über dem Worte; den unteren Ton,
bedingt durch ein nachschlagendes s=h stellt das Zeichen - vor
dem Stamme dar; den fallenden Ton, der einen hinter langen Vocalen
oder nasalen Auslauten weggefallenen Stummlaut vertritt, bezeich
net ein hinter dem Worte, oberhalb, angebrachter schiefer Strich';
den rückkehrenden Ton endlich, der durch auslautende, wenn auch
in der Aussprache abgebrochene Stummlaute bedingt wird, durch
einen hinten und unterhalb angebrachten schiefen Strich ...
- vor dem Worte zeigt die Combination s -)- V + s;
~ hinter dem Worte die Combination s -j- V-j- unarticulirte
Muta.
i hinter dem Worte endlich die Combination s -f- V + articü—
lirte, oder doch zu articuliren versuchte Muta. Thai und Karen
bezeichnen s -f- Müta Anlaut des Stammes durch Verhärtung, Bar
manisch durch Aspiration des letzteren.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute ete.
447
a~.
Unter dieser Bezeichnung fasse ich zwei, ihrem Ursprünge
nach wesentlich verschiedene Präfixe zusammen, von denen das eine
nominalen das andere verbalen Werth besitzt. Beide erscheinen
in jenen Sprachen, welche die Etymologie derselben erkenen lassen,
unter der Form an (en). Der auslautende Nasal fällt in den meisten
Sprachen, namentlich in dem nominalen Präfixe fort, oder ist doch
auf gewisse Anlaute des Stammes, mit dem das Präfix in Verbindung
tritt, beschränkt. Doch kann auch der umgekehrte Fall eintreten,
dass der Nasal sich behauptet, während der vocalische Anlaut spur
los verschwindet oder sich blos als „Stimmlaut“ 1 ) geltend macht. Der
Vocal kann die ganze Stufenleiter, von der hellsten bis zur dunkel
sten Aussprache durchlaufen, wobei entweder der Anlaut des Stam
mes oder dessen Vocal bestimmend wirken, so dass der Wechsel in
nerhalb derselben Sprache eintritt, oder, ohne erkennbaren äusseren
Einfluss, eine bestimmte Lautung constant erscheint, und als selbst
ständige, spraehgemässe Weiterbildung der ursprünglichen Aus
sprache zu betrachten ist.
A. Nominales a".
Diese Form des Präfixes ist die verbreitetste, indem sie nicht
nur den meisten einsilbigen Sprachen, die chinesische und anami-
tische ausgenommen, gemeinsam zukommt, sondern auch weit über
die Grenzen des Stammes hinausreicht. Ihre etymologische Bedeutung
tritt deutlich im Thai hervor, wo an »Ding, Wesen“ die allge
meinste Numeralpartikel bildet, die überall da zur Anwendung
kommt, wo die übrigen speciellen ausgeschlossen sind.:
io an 'nun, „Tisch (e), ein Ding, — ein Tisch“, tibetisch s-teg-s
[aus togs statt tvags, mit reflectiertem i des chin. (H. K.
iolt. id.) dei dam ni khi'än „Feld(er) wie viel(e) Ding(e) hast du
bestellt? wie viele Felder hast du bestellt?“
-di an-ni „Ort(e) dieses Ding — dieser Ort“.
*) H. J. Jaeschke, Über die Phonetik der tibetischen Sprache in den Monatsberichten
der k. preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, März 1867, p. 165.
448
Boiler
In Folge dieser allgemeinen Bedeutung findet das nominale a~
die mannigfachste Anwendung. Es wird gebraucht:
1. Als Numeralpartikel vor Zahlwörtern:
Thai: an nurl „ein Ding, eins“
Mithau Naga: a. t. ta 1
a. ni 2
a■ zam 3
a. U 4
Doplda: a. ken 1
a. ni 2
a. am 3
Miri: a. ko 1
a. ni ko 2
a. um ko 3
Khari Naga: *«. khet 1
a. n ne 2
a. sam 3
a. e/a
a. rok
a. natli
a. 6et
a. ku
a. p. li
a. no
a. k.p. le 6
a. pi ko 4
a. no ko 5
a. ken ko 6
Manipur a. ma
a. ni
o
6
7
8
9
4
5
a. hom 3
2. Als Bezeichnung für den Gegenstand der Hinweisung vor
Fürwörtern, und zwar:
a) zunächst von den hinweisenden:
1. Kliamti an näi. Thai an-ni, Karen (Sgau) arne, Sokpa a. ni.
2. Karen (Sgau) a.-i, barmanisch i „dieser, diese, dieses“, Caiilo
nya, anamitisch nei (sieh!) „dieser, e, es“.
3. Namsangiya Naga a. te, Garo a. than. Kliamti, Thai tan'
„ein anderer, eine andere, ein anderes“ Kassia ta, Caiilo tha, cliin. tlia
„er, sie, es“, Manipur a. si, barmanisch sü, „er, sie“ s. u.
4. Sinpho n. dai, tibetisch d. di, barmanisch tlio (geschrieben
thui) „dieser, e, es“, die barmanische Form auch „jener, e, es“.
o. Lepca a. re, Namsangiya Naga «. rd „dieser, e, es“, barma
nisch rä „Gegenstand“, Kliamti an na , Mon e. nan, barmanisch
a. ni (geschrieben a. nafi), Karen (Sgau) a L ne (Pgho) a L no „jener,
e, es“. Manipur a. du, Gyami, Murmi tlie, Magar tlii— barmanisch
tho „jener, e, es.“
6. vor den persönlichen:
Garo a. na Kacari, Bodo, Limbu, Runchenbun a-n Mon a■ %can,
Dumi an-nu, Limbu auch i-na, Caurasya un. gu, Khalin auch Dumi
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
449
u. n, neben den praefixlosen Formen Bhotia, Serpa, Murmi, Gyami,
Gurun, Magar, Horpa, Gyarun, Cepan, Namsangiya Naga, Kassia, bar
manisch na, anamitisch (entlehnt) na', Sinpho, Tensa Naga ria-i <),
tibetisch (Umgangssprache) Aya, Karen -ya, Manak.jAnami Naga d,
Takpa Ae, ne, Mikir ne, Naugon Naga Ai, Khari-Naga ni, Newar ji,
Caiilo ji-A, Kusunda ei, chinesisch (K. T.) 1 no Abor, Miri, Dophla
no, Lepca, Sunwar, Bahin, Thulun, Hayu gu, chin. (H. K.) -go
(vulgo -gma), Mi Simi ha, Tharu ha-n 2 ), Thaksya gli. yaA 2 ),
Mithan Naga, Laos, Thai kü s), San kü-n, Ahorn, Khamti kau.
Ebenso in der zweiten, ursprünglich nominalen Form dieses
Pronomens: Kiranti än-ka, Runchenbun an. ka, an. ka, Walin
an. ka, in. ka, Chintan a. ka neben den praefixlosen Bezeichnungen,
Dhimal, Yakha ka, Kami, Kumi ka-i 4 ), vom Stamme Thai Icha
(„Sklave, ich“) tibetisch kho.
c) vor den beziehenden:
Limbu a. ti „welcher, was“, barmanisch a. ti — Thai an dei
ist interrogativ s. u. Kulun, Sampan a-sa, Balali a. sa, a. sa lo
„welcher“.
d) vor den fragenden und unbestimmten.
Khamti an nau „welcher? was“? anamitisch -nau „wer? was?“
Fragepartikel. Barmanisch a. ti Garo a. to — Thai an dei = Arun
Naga in. dai, Limbu thi, Kiranti di, de, Karen (Sgau) -tu = (Pgho)
cho, Horpa«. ein., tibetisch ei „was,etwas“.Thai ä rei „wer? was?“
barmanisch a-rd „Ding, Gegenstand“, (d. liinw. F.), Caurasya a. cu,
barmanisch a. s« 5 ), Kulun a. se neben den einfachen Rodon
sa, Gyami sya, Garo sa (Rob.), Sunwar sa. ka 6 ), Abor se ko,
Dunmali sa. g, Bhotia, Serpa, Newar, Gyarun, Thoeu, Horpa,
Takpa, Gyarun, Manak su, Dumi, Thulun, Bahin, sya (seu?J, Anami
Im Tibetischen ha. 'nid „ich selbst“.
2 ) h ist Rest des verkürzten yah = Thai eh = tibetisch rah. Khamti kau eh „ich
selbst“.
3 ) k statt g in Folge der Assimilirung (s -\- g — s -\- k — k k = k.) Vgl. die Be
tonung in ha , - 110.
Ob diese Formen, so wie Thadau ke. i, Khyen k. yi, Mijhu Mi Simi hieher oder
zur obigen Form gehören, lässt sich ohne vollständigere Einsicht in die Sprache
nicht entscheiden.
5 ) Das einfache sü „Person vertritt das Pronomen der dritten Person: „er, sie“.
6 ) ka = karen -ga = anamitisch -nvoi „Person“.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd. III. Hft. 30
480
Roller
Naga so po >) gha cliines. (Kv. T)-sm» (H. K.)-sui, T cui, und in
Verbindung mit einem bestimmteren Ausdrucke des Indefinitums,
Naugon Naga si rau, Magar sü ra, Kacari se re (Hodgson), sii-r
(Rob.), Bodo cu-r, Teiisa Naga si ne, Lambichon se oii, Ruiiclien-
bun sa-n. Barmanisch a. blie „was? welches?“ Karen (Pgho) bei'
„was? wie?“
3. Vor Verbalstämmen. Hier dient es zur Bildung der Nomina,
indem die Aussage — der Zustand oder die Thätigkeit — auf den
durch an bezeichneten Gegenstand bezogen werden. Die abgelei
teten Formen entsprechen den Parlicipien der altaischen semiti
schen und indogermanischen Sprachen und bezeichnen:
aj den Agens. So bildet das Khamti das Participium seiner Tem
pora durch Vorsetzung von an vor den mit dem Zeitexponenten
versehenen Verbalstamm: an hin „essend, wer isst“ von
hin „essen“. Gleichen Werth zeigt auch Thai an r lua „das
Übergebliebene“ von 'lua „übrig bleiben“ = Anam. lüa — ti
betisch lus. pa. Ebenso unbestimmt ist Karen (Pgho) a. thu L
a. -tiiau — (Sgau) a. thu,_ a. -tau „reich“, (Pgho)
a. 6m, a. thi" — (Sgau) a. hu,_ a. ti „die Verwandten“ von
bu,_ „nahe sein“; (Pgho) a. pe L a. po' = (Sgau) a. pri
a. pro,_ „etwas Kleines, Kleinigkeiten“ (Pgho) pe' po = (Sgau)
pri pro x „klein sein“; oder bermanisch a. sari „lebendig,
beweglich“ von sari „lebendig sein“, a. se „todt, unbeweglich“
von se „sterben“ ; a. yan „zahm“ von yan „zahm sein“ a. Ihun
(gesclir. a. Ihvan) „überaus“ von Ihun „übertreffen“, a phvg
„passend, angemessen“ von phvg „passen“.
6. Das Object i. e. das Subject des passiv gefassten Verbalbegrif
fes. Barmanisch a-si „der, die, das Bekannte“ von si „kennen“.
Hierauf beruht der ausgedehnte Gebrauch, den mehrere Spra
chen (Lepca, Manipur, Mikir, Namangiya Naga, Beteli, Thadau etc.)
von an (a) vor Adjectiven und Adverbien machen. Um die prädi-
cative Auffassung, die dieser Anwendung zu Grunde liegt, hervor
zuheben, tritt im Thai zwischen das Nomen und das nachgesetzte
Adjectiv gern das Verbum substantivum pen: me'-näm. pen an (n)
yai~ L hvan, „ein grosser, breiter Strom“ (ein Strom, seiend gross
(und) breit); bhanan an (jjj sua sae „ein getreues und wahres
po =■ tib. pho = Thai phva „der Gatte, der Mann“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
451
Zeugniss“ (ein Zeugniss, (seiend) eine getreue (und) wahre Sache)
phi an khaf „unwiderruflich“ (khaf' = Anam. qmjet = chin.
(II. K.) kvat. „entscheiden“^ pen an yin „mehr (magis), neben
dem substantivischen Gebrauche: an di „etwas Gutes“.
Belege aus anderen Sprachen :
gut (Lepca) a. ryum, (Nams. N.) a. san, (Manipur) a. pha ba,
(Thadau) a. phai, (Beteli) a. tliut.
schlecht (Lepca) a. zyen, (Nams. N.) a. ci.
kalt (Lepca) a. hyum, (Nams. N.) a. ki, (Manipur) a. yin ba,
(Thadau) a. dup, (Beteli) a. dai.
heiss (Lepca) a. rlium, (Nams. N.) a. tliam, (Manipur) a. sa ba,
(Thadau) a. sa, (Beteli) a. lum, (Mikir) a. vei.
reif (Lepca) a. myen, (Nams. N.) a. cum, (Manipur) a. mun ba,
(Thadau) a. ta.
roh (Lepca) a. zeir (Nams. N.) a. hin, (Manipur) a. suh ba,
(Thadau) a. sei e.
süss (Lepca) a. klyam, (Nams. N.) a. tu, (Manipur) a. thumba,
(Thadau) a. tu ye, (Beteli) a. thai.
sauer (Nams. N.) a. si, (Manipur) a. sin ba, (Thadau) a. thu.
bitter (Lepca) a. krim, (Nams. N.) a. kha, (Manipur)
kha ba, (Thadau) a. klm.
gerade (Nams. N.) a. tin, (Thadau) a. Jan pet, (Beteli)
a. ililun thai.
krumm (Nams. N.) a. kvarl.
gross (Lepca) a. tin, (Nams. N.) a. doh, (Mikir) a. ka. the.
klein (Lepca) a. cim, (Nams. N.) a. rin, (Thadau) a. lin,
(Beteli) a. lyen. bak.
lang (Lepca) a. rlien, (Nams. N.) a. Io, (Manipur) a. san ba,
(Beteli) a. sa e, (Mikir) a. ki. din, (Abor) an. dlug.
kurz (Lepca) a. tan, (Nams. N.) a. tun.
viel (Beteli) an. tum, (Barm.) a.-myä, (Mikir) a. kdoh.
wenig (Beteli) an. rhoi, (Mikir) a. ne, (Barm.) a.-ni, a. tu
„sehr wenig“.
dick (Thadau) a. sa e, (Beteli) a. lein ul, (Mikir) a. r that.
dünn (Thadau) a. phe, (Beteli) a. ein ul. (Mikir) a. roh.
schwer (Manipur) a. rum ba, (Thadau) a. gye, (Beteli) a. rik,
(Mikir) a. rdiyoh.
30-
452
Boiler
leicht (Manipur) a. yan ba, (Beteli) a. Jan vel, (Milde) a.
rjan tail.
hart (Manipur) a. kun ba, (Thadau) a. ta e, (Beteli) a. khir.
weich (Manipur) a. tliot ba, (Thadau) a. nem e, (Beteli) a. rnem.
tief (Nams. N.) a. lu — a. Io, s. lang, (Mikir) a. rnug.
alt (Mikir) a. ba rim, (Thadau) a. lui, (Beteli) a. Ihui, (Mikir)
a. ki. sar.
neu (Manipur) a. nou ba, (Thadau) a. tha, (Beteli) a. thar,
(Mikir) a. ka mi, (Barm.) a. sit, (Mikir) a. ki ni.
weiss (Lepca) a. dum, (Nams. N.) a. pu, (Manipur) a. nou ba,
(Thadau), a. bun, (Beteli) a. tili, (Heuma) a. gno, (Mikir) a. ko lak.
schwarz (Lepca) a. nok, (Nams. N.) a. nah, (Manipur) a. mu
ba, (Thadau), a. mm, (Beteli) a. vom, (Heuma) a. von, (Mikir)
a. hak.
grün (Nams. N.) a. hin, (Beteli) a. rhin, (Heuma) a. me,
(Thai) an.jlian, Anam. san.
roth (Lepca) a. heiir, (Nams. N.) a. cak, (Manipur) a. nan ba,
(Thadau) a. sun, (Beteli) a. sin, (Heuma) a. se.
blau (Manipur) a. sun, ba, (Beteli) a. dum, (Mikir) a. ki lu.
schön (Lepca) a. ryum, (Nams. N.) a. san. a, (Manipur)
a. phu ja ba, (Thadau) a. pha mun e, (Beteli) a. timt re, (Karen
Pgho) a.-ge a.-ava — (Sgau) a.-ge a. vd.
breit (Thadau) a. vai, (Beteli) a. khun, (Mikir) a. ran tlie.
cj Im Barmanischen das Nomen in allen Fällen, wo das Stamm
wort verbale Geltung hat. Die Bedeutung ist concret, indem das
Merkmal, die Länge, die Schönheit nur in so weit in Betracht kommt,
als es an dem Gegenstände (a) haftet.
a. pvan „die Blume“, pvaii „sich öffnen“.
a. pairi „der Th eil“, paifi „theilen“.
a. cu „die Sammlung“, cu „sammeln“.
a, klm „die Stütze“, klm „stützen“.
a. kvaii „der Bing“, kvan „kreisförmig machen“.
a. krvaii „Überbleibsel“, krvan „übrig bleiben“.
a. nit „der Bodensatz“, nit „sich zu Boden setzen“.
a.-van „der Umfang“, -van „rund sein“.
a. cd „die Speise“, ca „essen“.
a. khorl „die Höhle“, klion, „hohl sein“.
a.-ci „worauf man reitet, fährt“, -ei „reiten, fahren“.
Die Präfixe mit vocalisehem und gutturalem Anlaute etc.
453
a. lan „das Licht“, lan „leuchten, hell sein“.
a. na" „der Wohlgeruch“ (odores), na' „riechen“.
a. sa~ „der Laut“, sa~ „lauten, tönen“.
a. pra „die blaue Farbe“ cliin. (HK), pyan „azurblau“.
a. min t „der Befehl“, min „befehlen“.
a. lä „die Ankunft“, Id „ankommen“.
a. kliyan „die Abkürzung“, kliyan „zusammenziehen“.
a. ce „der Dienst“, ce „senden“, cliin. (H.K.) chäi.
a.-mhd „der Irrthum“, mhä „irren“.
a. mhan „die Wahrheit“, mlian „wahr sein“.
a. man „der Hass“, man „hassen“.
a. lau „Wiederholung“, lau „wiederholen“.
a. Ihi' (geschr. a. llian") „die Wendung, das Mal“, llii' „wenden“.
a.-me „die Frage“, -me „fragen“.
a. khran „der Akt, die Handlung“, kliran „machen, tliun“.
a. prü „die Tliat“, prü „thun“.
a. we „die Entfernung“, we „fern sein“.
a. eip „der Schlaf“, eip „schlafen“.
a.-ü „der Anfang“, -u „anfangen“.
a. lyä „die Länge“, lyä „lang sein“.
a. si (gesell, rhin) id., si „lang sein“.
4. Endlich steht a vor primitiven Substantiven, theils als artikel
artige Numeralpartikel, theils, bei partitiven und relativen Begriffen,
als allgemeinste Bezeichnung des Ganzen oder des Gegenstandes, auf
den die Beziehung statlfindet. Die Hand ist die meinige, deinige, die
des A, B, C oder auch des X (a); ein Oben, Unten, Innen, eine
Nähe, Ferne gibt es nur bezüglich eines Gegenstandes. Auf diesem
Wege kam a zu der Verwendung als Pronomen der dritten Person
und als Exponent des Genitivverhältnisses, wie insbesondere im Karen,
Thadau etc. Es bezeichnet daher Thadau a. mei sowohl „den
Schweif“ als „Ding“ überhaupt und als dem X („sein“) angehörig
speciell. Eben so ist die Adjectivform a pha.e sowohl „etwas Gutes“
überhaupt, als „er, sie es (ist) gut“. Karen wird „ein Vogelnest“
übersetzt durch (Pgho) L thau a svi' la-don = (Sgau) tliaa a. svi
ia do = „dem Vogel sein Nest, ein Behältniss“ (Numeralpartikel).
Wie im Barmanischen scheint auch im Khari Naga und Mikir,
mit Ausschluss der anderen Numeralpartikeln a allen Nominalbegriffen
zuzukommen. Es finden sich a. nirl „der Himmel“, a. son a „der
454
Boiler
Tag“, a. yali „die Nacht“, a. li „die Erde“, «. pih „der Berg“,
a. yin „das Eisen“, a. ki „das Haus“, a. yim „das Dort'“, a. mi „der
Mensch“, «. pan „der Büffel“, a. uk „das Ferkel“, a klm „der
Tiger“, a. hu „die Schlange“ ausser den oben gegebenen Bezeich
nungen für Name, Stein, Wasser. Im Mikir sind aufgeführt: a. rnam
„Gott“, a. rni „Sonne“, a. ner lo „Tag“, a iinue „Nacht“, a. rwe
„Regen“ a. rieh „der Mensch“, a. rlo. sso „das Weib“, a. pih. har
„der Gatte“, a. pi. so „die Gattin“, a. so. pe „der Sohn, die
Tochter“, a. ni „väterliche Tante“, a. nu „mütterliche Tante“, a.
mek „das Auge“, a. n — i. no „das Ohr“, a. nglio „der Mund“,
a. de „die Zunge“, a. co „der Zahn“, an. phun „der Hals“,
a. nun „der Rücken“, a. nuk „das Horn“, a. rweh „die Feder“, a.
reu „die Haut“ (barmanisch re), a. wi „das Blut“, a. von „der
Baum“, «. tor „das Nest“, a. rju „die Asche“, «. son „der Zorn“,
«. rlen kithi „die Antwort“, und mit i statt «: i. loh „Berg“, i. nam
„Jungei“, i. hon „Rauch“, i. nur „der Elephant“, i. nun „der
Rücken“, i. pok „der Bauch“, i. pliah „die Schulter“, i. nih „der
Brustkorb“, i. vdm „der Mittelleib“, i. no „die Ohren“, i. mum „der
Bart“,i. pak „die Federn“, nebst den unten angeführten Ausdrücken
für „Mutter und Zahn“.
In den anderen Sprachen wechselt a als Numeralpartikel mit
den specielleren Gattungszeichen, und zwar, je nach der Auffassung
der Sprache, für denselben Begriff mit verschiedenen. Vor Verwandt
schaftsnamen, wo es allgemeinste Verwendung findet, bleibt a' selbst
verständlich mit allen Nuancen der Aussprache constant.
Name (Abor) «. min, (N. Tankul) o. min, (S. Tankul) «. rmin,
(Luhuppa) «. mi, (Karen, Pgho) a.-mi', (Sgau) «. mi, Ta-yin (Mi
Simi) «. muh, (Camphun) a. man, (Maram) a. zyan, (Khari Naga)
a. eil.
Stein (Dophla) a. luh, (Khari Naga) a. Ion, (Mikir) «. rloh,
(Aka) e. luh, (Abor) e. lin, neben (Ta- yin Mi Simi) m. (p) la,
(Sinpho) n. loh (n statt m), Marin kh. luh, (Camphun, Luhuppa)
ha. loh-, (Jili) ta. loh, (Klioibu) thwl. luh, (Kapwi, Tankul) luh.
Wasser (Khari Naga) a. tsu, (Abor) a. si, (Dophla) e. si, (Aka)
i. ssi, (Manipur) i. sin, (Maram) a. dui, neben (Ta- yin Mi Simi)
ma. ci, (Jili) m. ein, Sinpho) n. tsin, (Luhuppa) ta. ru, (Camphun)
tha. ri, (Koren) ta. dui, (C. Tankul) tun. du, (Karen, Pgho) tln =
(Sgau) thi, (Garo) ci, (Barmanisch) re (spr. ye).
Die Präfixe mit vocalischem* und gutturalem Anlaute etc.
455
Haut (Camphun) a. hui, (Luhuppa) a. hu, (C. Tankul) o. hoi,
(N. Tankul) a. hu, (S. Tankul) a. ’rhun, neben (Manipur) ma. vul,
(Garo) bi. gil, (Sonpu) ka. gi, (Maram) tu. ghi.
Bein (Abor) a. loh, (Barmanisch) a.-ro, (Luhuppa, S. Tankul)
a. ru, (N. Tankul) n. ru kau, (C. Tankul) u. ru, neben (Sonpu) ka.
rau, Marin kh. ru, (Kapwi) ma. ru, (Maram) wa. hu (li statt »■),
(Sinpho) n. ran, (Koren) pa. ra, (Khoibu) thu. ru, (Manipur) sa.
ru, (Aka) sa. la, (Camphun) so. ru.
Hand (Abor) e. lag, (barmanisch) a. lall, (N. Tankul) a. khüi,
(Camphun) a. pan neben (Jili) ta. pan, (Koren) ca. ben, (Murmi)
van, (Luhuppa) pah.
Fuss (Camphun) a. phai, (N. Tankul) a. kho, (Abor) a. le,
neben (Ta- yin Mi 5imi) m. gruh, (Mijhu MiSimi) m (p) la, (Koren)
ca. pi (Maram) phai.
Zahn (Koren) a. hu, (Maram) a. glia, (N. Tankul) a. ha, (C.
Tankul) ö. ha, (Camphun) a. va, (Khoibu, Maram) ha, (Anam) -ha.
Ei (Namsangiva N.) a. ti, (Khari Naga) an. sü, (N. Tankul)
a. tu, (S. Tankul) a. rtu, (Mikir) o. ti, (Sinpho) u. di, (Dumi) u.tti,
(Lambichon) i. thin, (Cintan) u. tliin, (Dunmali) um. tih, (Kulun)
um. di, (Runcbenbun) u. dih, (Bahin) di, (Walin) dim, (Denwar,
Kuswar) dim ba, (Nacheren, Thulun) di i, (Rodon) da i.
Vater (Kumi) am. po, (Limbu) am. ba, (Lambichon) im. pa,
(Lohoroh) am. pa, um. pa, (Rodon. Kulun, Sonpah, Dunmali) um
pa, (Murmi, Takpa, Maiiak, Canlo, Maram, Luhuppa, Kapwi, N. Tan
kul, Milhan Naga) a. pa, (Lhopa) a. ppa, (Aka) a. bba, (Garo,
Kacari) a. pha, (Serpa, Sak) a. ba, (Bahin, Caurasya) a. po, (Lepca,
Guruh, Dophla, Thaksya) a. bo, (Arun Naga) a peo, (Barmanisch)
a. phe, (Horpa, Sonpa, Teüsa Naga, Anami Naga) a. pu, (Newar)
a bu; (Manipur, Yakha) i. pa, (Camphun) i bo, (Dumi) i. pya. p,
u. pya. p; (Naugoh Naga, Hayu, Nacheren, Cintan) u. pa, (Balali,
C. Tankul) o. pa, (Thulun, Khalin) u. pa. p; (Ruhchenbuh) o pa,
eu. pa, wa. pa, (Heuma) eil. pa; (Khamti, Ahorn, Laos, Thai) bho',
(Anam) bo~, (Mikir, Mru, Khyen, San) po, (Tun) lhu, (Karen, Pgho)
pha, (Sgau) pa', (chin.) pa', (Thadau, Beteli, S. Tankul) pa,
(Kiranti, Pahri) ba, (Magar, ba. i, (Sunwar) ba. v. e, (Sinpho, Jili,
Namsamgiya Naga) va.
Mutter (Denwar) am. ba i, (Sanpan, Nacheren, Kulun, Lohoron,
Dunmali) am. ma, (Walin, Pakhya, Thaksya) a. ma, (Barmanisch)
456
BoNer
a. me, (Cepan, Bhramu) a. ma i, (Caurasya, Bahin) a. mo, (Arun
Naga) a. pui, (Mikir) i. pei, (Yakha, Lambichon, Manipur) i. ma,
(Rodon, Cintaü, Balali) u. ma, (Runchenbuii) o. ma, (Thulun, Khelin)
u. ma. m, (Hayu) u. me, (Dumi) u. mya. m, (Mikir) a. yo, (Heunia)
u. nu, (Thai) me', (Karen, Pgho) mo - (Sgau)j)no\ (cliin.) ma'.
Belege für den Gebrauch bei relativen Begriffen, welche, wie
die Präpositionen anderer Sprachen, örtliche Verhältnisse bezeichnen,
oben (Barmanisch, Mikir) a. thak, (Anam) HliyoA.
unten (Barmanisch) a. kye, (chin. H. K.) -ltay.
vor (Barmanisch) a. se'.
hinten (Barmanisch) a. nok, (Mikir) a. nun, (Manipur) nun
ul, „der Rücken“, (Thadau) a. nun keil, „die hintere (Rücken-)
Extremität“ und mit l statt n (Anam.) hin „der Rücken“.
an der obern Seite (Barmanisch) a. na, (Thai) ~nua, (Khamti)
neu „auf“.
aussen (Barmanisch) a. pau, (Bhramu) am. bu.
innen (Barmanisch) a. thei, a. tvaii, (Mon) a. dho „zwischen“
(Anam.) truii (Thai) cuii.
an der Seite (Barmanisch) a. nd.
Im Tibetischen ist eine Scheidung des Präfixes eingetreten;
dort wo es constant ausgesprochen wird, bezeichnet die Sprache das
selbe durch die mit dem Spiritus lenis artikulierte ’a Form (*l),
wo es hingegen stumm geworden, durch das von Jaeschke beschrie
bene hauchlose a (n,). Dass hierbei kein logisches Moment aus
schliesslich entscheidend war, zeigen Fälle, wie d. di dieser, e, es
a. tlio. ba, schön, gut. Thai an di.
Die mit gehauchtem ’a versehenen Bildungen sind nach Schmidt:
a. pha „der Vater“.
a. ma „die Mutter“.
a. bo „der Herr, der ältere Bruder“.
a. jo „der ältere Bruder, der Herr“.
a. che, a. ce „die ältere Schwester“.
a. khu „Vatersbruder“.
a. dzan „der Mutter Bruder“.
a. bau „Schwester des Vaters oder der Mutter“.
a. ne „Vatersschwester“.
«. stu „die Muhme“.
a. plii „die Grossmutter“.
Die Präfixe mit vocaliscliem und gutturalem Anlaute etc.
457
a. phyim „das Mütterchen“.
a. pra „die Zeiselmaiis“.
a. rog. „der Gefährte, Freund“ = grogs. po.
a. li klmg tu „die Schwalbe“.
a. clogs „der Tisch“.
a. phrag. tu b. s. tu. ba „in den Busen stecken“.
et. eug „der Fussknöchel“.
et. lorl „ein Kreis, Bing“.
a. tun „eine Schnalle“.
a. mm, Name einer Apfelfrucht.
a- byug, eine gewisse Arznei.
a. snm. eine dicke Brühe.
a. tho „gut, schön“,
a. bo tsa „erträglich, mittelmässig“.
a. khetb „gemein, schlecht“.
a. re „ein wenig“.
a. li re “sehr wenig“.
B. Das verbale a\
Um die Etymologie und Bedeutung dieser Präfixform zu ermit
teln, muss man vom Anamitischen oder Karen ausgehen, wo an
(Karen Pgho) 1 a~ (Karen Sgau) L au „essen, Speise zu sich nehmen“
und in übertragener Bedeutung „auf sich nehmen, leiden“ bezeichnen
und selbstständig gebraucht werden. Der mit an construierte Aus
druck bezieht, wie das Medium der indogermanischen Sprachen, den
Zustand oder den Erfolg einer Handlung auf den Träger oder Agens.
an bildet daher den Gegensatz zu dem causalen s (//, steigenden
Ton). Die Anwendung wird aus folgender Zusammenstellung er
sichtlich :
a) Anainitlscli.
an „Speise zu sich nehmen“.
an L vurl „heimlich essen“, SvuA, „heimlich“.
an tham „begierig“ tham id.
dn-httn „Backwerk, den Nachtisch verzehren“ -kein „merenda“.
an mot „die Überbleibsel verzehren“.
än-men „ein Mahl halten“ -men „sich erfreuen“.
458
Boiler
an via' „den Geburtstag feiern“.
an toi toi „den Geburtstag eines Sohnes nach dem ersten Jahre
feiern“.
an kygi „Hochzeit halten“, kygi „heirathen“.
an gyo~ „Mahl am Jahrestage des Verscheidens eines Ver
wandten“.
an tet „das Neujahr feiern“.
an tyen „Geld zum Verbrauche“.
an chay „fasten“, chay — trai „fasten“.
an djo' „Speise durch Schmeicheleien erpressen“,djo~ „schmei
cheln“.
an cuk „in Erwartung von Speise heimlich verweilen“, cuk
„warten“.
an may „betteln“, may.
an sin, id. sin „bitten, begehren“.
an nun „bereuen“.
än-lgi „gehorchen“, -Igi „das Wort, die Rede“.
än-the „sich verschwören“, tlie = -tlie „schwören“.
än-lgi „Wucher treiben“, loi, „Vortheil, Gewinn“.
an lok,_ „im Sold stehen“, lok x „der Sold“.
än-phen „seinen Antheil erhalten“, phen „theilen, der Theil“.
an thu phen „einen Theil als Zoll nehmen“.
an kyok „eine Belohnung erhalten“, kygk,_ „versprechen“.
an 'djai, id. 'djai „der Gürtel“.
an L trom „stehlen“, -trom „heimlich“.
an kygp „rauben“, kygp id.
an käp t „entwenden“, käp „unter der Achsel tragen“.
an bgt % „einen Theil abziehen“, bgt, „vermindern“.
an c'et. gan „sich fremdes Eigenthum auf jegliche Weise
zueignen“.
an Hen „betrügen“.
an -len mat x „fremdes Gut nehmen“.
an gyan „schlau betrügen“, gyan „ungerecht“.
an hoi-Io „bestechen“ hoi Hg. id.
an hyep, „unterdrücken“, hyep, „zusammenpressen“.
än-bon „begierig sammeln“, -hon „ad assem emungere“.
an L g „verweilen“, L o „sich befinden in, bei“ etc.
an ra „hervortreten, sich zeigen“, ra id.
.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc. 459
an lan ra „weiter kriechen, sich ausbreiten“, lan „kriechen“.
an noi' „sprechen, sich unterreden“, noi' „sprechen“.
an rep,_ „Mitlauter“, rep, „Übereinstimmung“.
an L be, id.
an yeri „ein Schwalbennest sammeln“, yen „hirundo salanga“.
an on „Wachs und Honig sammeln“, on „die Biene“.
än-vyon „einen Garten miethen“, -vyon „der Garten“.
an thuyen „der Eigenthümer des Schilfes“, -thuyen „das Schiff“.
bJ Haren-
Pgho L a~ = Sgau L au „essen, leben von“.
„ ~a~ ku — Sgau -au lcu „genug zu essen haben“,
chin. (Kv. T.) kau „genug“.
„ ’~a~ sa. mi"-a~ sa. la,_ — Sgau L au ta. cau L au ta cau
„von anderer Arbeit leben“.
„ L a~-mo = Sgau ka-mo „kauen“, tibetisch mur id.
„ L a~ eili „saugen“, barm, cut id.
„ L a~ 'yo „ängstlich, furchtsam sein“, Thai ’yon „sieb
fürchten“.
„ a~ gu x = L am vu l „sich kräftig bemühen“, barm -kro.
„ ’-a~-bo~ L a~!a „murren, sich beklagen“.
„ l a~lei „im Scherze unzüchtige Reden führen“.
„ -a~-kau „einen Schimpfnamen erhalten oder geben“.
„ "«'7a,= Sgau ka. la „tadeln, schelten“, anamitisch
Hi, chin. (Kv. T.) li~ id.
I Hi u : '[ ’-a~ lo } ”P reisen “’ chin ‘ ( Kv - T 0 U id -
„ L a~ -ke~ „bitten, begehren“.
„ L ii“ ya' „bitten, ersuchen“.
„ ca l = Sgau k au ca,_
„ ~a~ ca~
„ ff hu = Sgau khlu ]
„ l a' ghu = Sgau ghu
„ k a ghu gha, )
„ L a~ lu tlu „baden“.
„ -a~ phlu „den Kopf waschen oder reinigen“.
„ L a~ lo± „Jemandes Worte auffangen“.
„fragen, ausforschen“.
„suchen“.
460
Boiler
Pgh o L a~ -vei~ „sich umhertreiben“.
„ ~a~ li' — Sgau ka. li, „einladen, bezaubern, winken“.
„ ~a~ ga, „entgegen gehen“.
„ L a~ tha" „dazwischen stellen“.
„ L a~ ln' „zum Trocknen ausbreiten“, anamitisch luon „an
der Luft trocknen“
„ L a~ L kei' „zerkochen“.
„ -a~ vo" „im Dampfe kochen“.
„ L a~ phau" „Reis kochen“, barm, -phon, chin. plien
„kochen“.
„ L a~' L gho „beim Sengen oder Rösten zum Theil ver
brennen“.
„ L a~ lau „betrügen“, Thai lo', anam. -len, tibetisch
s. lu. ha id.
„ -a gu, „entreissen“.
„ L a~ L gu= - a~-vu „stehlen“, barm, -kho, tibetisch
r. ku. ha id.
„ l a~ thu~ „auslösen“.
„ -a -lei „verwechseln“, Thai lek id.
„ L a~ ca „verkaufen“.
„ L a~ na' „borgen“, barm, nhd id.
„ L a~ lau „entlehnen“.
„ L a~ sa' „erben“.
„ ~-a na „theilen, austheilen“.
„ kha „Handel treiben, theuer oder selten sein“;
Thai -kha „Handel treiben“ kha' anam. gya', chin. (H. K.)
kay' „Preis“.
„Wasser schöpfen“.
„ L a~ du' j
„ ’-a~ kwe' „angeln“, Kassia kwai „die Angel“.
„ -a~ ve „mit einem sackförmigen Handnetze fischen“.
„ L a~ ka „schief klaffende Einschnitte machen“.
„ ~a' gu „Zuflucht suchen, beschützen“.
„ L a~ vo", ~a~ -ta „beschützen, vertheidigen“.
phau' = Sgau -pgo id.
„ L a chu ) „zur Reinigung in einem Mörser stossen“,
„ L a~ chu' ho l ( chin. cun id.
~u~ ghu „Wäsche reinigen; menstruieren“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
461
Pgho L a' cho L -bei „die Scliotten der Baumwollenstaude
sammeln“.
„ ~a -lei" a. sa,_ „Jemandes Stelle einnehmen und seinen
Charakter annehmen“ Thai Ken „den Charakter einer
Person mimisch darstellen“.
„ L a~ -ma „thun, machen“, anam. -myen id.
„ L a~ mg" „schicken, zu thun veranlassen“.
„ -a gau~ — Sgau -au -gau „zerstören, vernichten“,
anamitisch ’-livai id.
In den übrigen Sprachen, welche sich dieser Darstellung des
Mediums bedienen, ist ah zum Präfixe herabgesunken und hat dabei
Betonung und Nasal eingebüsst. Doch hat letzterer sich in manchen
Verbindungen behauptet, wo sein Dasein erst durch die Beziehung
auf die Grundform seine Erklärung findet, so dass von lautlicher
Seite gegen die Indentität nichts eingewendet werden kann. Den
Übergang vermitteln die hinterindischen und subhimalajischen Spra
chen, in denen a (neben an) in medialer Bedeutung gebraucht wird.
Die wenigen Verba, welche in Hodgson’s Wörtersammlung — dem
einzigen mir zugänglichen Hülfsmittel für diese Sprachen — enthalten
sind, reichen hin, diesen Übergang zu erweisen, wenn sie auch
über den Umfang des Gebrauches keinen Aufschluss geben können.
Es finden sich angeführt:
Sokpa e. the, Thotsu a. de, Gyami tliye, Gyarun ta. zo „essen“.
Thotsu a. tlii, Horpa wa. thi l ) „trinken“.
Kumi an. tha, Kami tlia „wachen“.
Thotsu a. nun, Nougon Naga an-nan-u, Tensa Naga an. nu
„schlafen“.
Kumi am-nwi, Kyen a. nwi, (Kami ma. nwf) Sokpa en-na
„lachen“.
Kumi a-ivu, Khyen a. kap „weinen“.
Kumi a-whi „laufen“.
Thotsu a. dzon, Horpa an. zun, Gyami tso, chinesisch (H. K.
L tso) „sich niedersetzen“.
Mithan Naga a. dzon „aufstehen“.
„ „ a. thak „hören“.
„ „ a. van „verstehen“.
*) Vergleiche wegen der Aussprache wa Jaeschke.
462
Boiler
Hält man nun mit Thotsu a. tlii tibetisch a. thun „trinken“,
mit Karen '-am tsu, tibetisch ä. dzivs. pa „saugen“, mit Karen
l am gu, anamitisch an cliay „fasten“ mit tibetisch d. dzi. va, „sich
enthalten“, tibetisch d. gru. va „sich bemühen“, mit Karen '-am tsa'
tibetisch d. tsorl „verkaufen“, mit Karen 1 am gau tibetisch«, gern, pa
„verwüsten“, mit Karen L am thum tibetisch d. dam. pa „auswählen“,
die sich lautlich und begrifflich decken, zusammen, und stellt ferner
anamitisch an noi', dem tibetischen ä. do. va „sprechen“, Karen
1 arh-mo, dem tibetischen d tshems „kauen“, Karen L am phaum dem
tibetischen d. tsod. pa „kochen, färben“, Karen -am-ma dem tibe
tischen d- tslio. va „machen, bereiten“ gegenüber, so kann über den
Ursprung des tibetischen Präfixes d (m) kein Zweifel sein, da
auch der im Hintergründe liegende Vocal bekanntlich unter Umstän
den in der Aussprache hervortritt. Dem häufigeren Gebrauche dieses
Präfixes im Tibetischen neben der beschränkteren Anwendung des
selbstständigen Elementes, im Anamitischen und Karen, liegt jenes
feinere Sprachgefühl zu Grunde, das im Sanskrit im freien, noch
nicht lexicalisch umgränzten Gebrauche sich kund gibt. Auf der
anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass das Anamitische
sich der chinesischen Ausdrucksweise anschloss, das Karen aber
eine eigene Medialform sich schuf.
Wo der mit d (m) componirte Stamm einen Zustand bezeich
net, findet er sich zur Bezeichnung des Gegensatzes häufig auch mit
dem causalen s verbunden. Tritt d (m) vor einen, bereits mit cau-
salem s versehenen Stamm, so fällt dieses fort, und die anlautende
Media wird aspirirt. Aus der grossen Anzahl von Belegen folgende:
d. gratis, pa „gesättigt sein“.
d gam. pa „an den Mund nehmen, kosten“, chin. (H. Kd)-liam id.
d. dzari. ba „verschlingen“.
d. gitl. pa ~ s. gilt, pa „gähnen, sich strecken“, anamitisch
hoi', chinesisch (H. K.) hvei'. id.
di. khu. ba „sich widersetzen“, chinesisch (H. K.) kwet,,
anamitisch khvet„ „widerspänstig“, Thai 'khät „sich widersetzen“.
d. god. pa „bereuen; Reue“.
d. gras, pa „beneiden, hassen“, chinesisch (H. K.) -ke id.
d. klion. pa „grollen, Groll“, chinesisch (H. K.) '-luven, -hin =
id. Thai -khen (geschr. gen) „aufgebracht sein, hassen“.
d. kliro. ba „zürnen, Zorn“, chinesisch (H. K.) '-liwei „erzürnt“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
463
d. khul. ba „sich ängstigen“, anamitisch -hvan id.
d. khron. pa „wünschen, Wunsch“, chinesisch (H. K.) -gwan,
anamitisch nvon id.
d dzim. pa „erröthen, sicli schämen“.
d. tshel. ba „vertrauen“.
d. gav. pa „vorsichtig sein“.
d. khen. la „gefüllt sein“ (causal-reflexiv).
di- gas. pa „sich spalten“, chinesisch (H. K.) '-luvei „spalten“.
d. gel. ba „baden“.
d■ kliel. ba „aufladen“; vgl. s. gal „Bürde“. Thai khon
(geschr. goii) „etwas auf der Schulter tragen“.
di. gern, pa „verwüsten“.
a. go. ba „befleckt sein“, s. go. va „beflecken“.
„aufgehalten sein“ b. s. gag. pa. „hindern,
aufhalten“.
d. gor. ba „sich aufhalten, zögern“ b. s. gor. ba „zurückhalten“.
d gnl. ba „sich bewegen, beben“, s. gul. ba „in Bewegung
setzen, beben machen“.
d. gum. pa „sterben, zu Grunde gehen“.
dt. gyag. pa „aufgewendet werden“, s. gyag. pa „verwenden;
Aufwand“.
d. gye. ba „sich trennen, auseinandergehen“.
ausbreiten, (Objectiv) zerstreuen“.
d. ged. pa j ”
d. khyed. pa „ausgebreitet, vertheilt sein“ (Causal-reflexiv)
Thai khäydi „erweitern, ausbreiten“, anamitisch klioat, = chinesisch
(H. K.) „ausgebreitet“.
u. gyel. ba „sich umwenden, Umfallen“, s. gyel. va „über den
Haufen werfen“.
d. gyer. ba „verlassen, wegwerfen“, chinesisch (K. T.) lii' id.
d. gyu. ba „verschwinden“, anamitisch hoai' id.
d. gyur. ba „sich verändern, werden; Änderung“, s. gur. va
„verändern; Veränderung“, chinesisch (H. K.) hwa „hervorbringen“
(durch Wechsel).
464
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ä. grag. pa „schallen“, s. grag. pa „Ruhm“.
d. grau, ba „zählen“'.
d. grerl. ba „aufrecht stehen“, s. grerl va „aufrichten“, chine
sisch (H. K.) 'berl „aufrecht“.
dt. grel. ba ) „lösen, erklären“, chinesisch (H. K.) 'kae,
d. grol. ba ( anamitisch gyai, Thai ke' „lösen“.
d. grig. pa „übereinstimmen“, s. grig. pa „übereinstimmend
machen“.
ä. gril. ba „rollen, sich klumpen“, s. gril. va „zusammen
rollen“. (causal). (di) khril. ba „zusammengerollt sein“ (causal-
reflexiv).
di. gro. ba „gehen, wandeln; lebendes Wesen“, anamitisch
khu, chinesisch (K. T.) hu „gehen, Weggehen“.
d. grod. pa ) „gehen, wandern“, d gron „Gast, Reisender“
d. gron. pa ( b. s. grod. pa „hingehen“.
d. grogs pa „Umgang, Freundschaft; Umganghaben, Freund
schaft pflegen“; Thai kho „Freund“.
di- gruv. pa „bereitet sein“ s. gruv. pa „fertig machen“, ana
mitisch ’gn' chinesisch (K. T.) ku „bereitet, fertig gemacht“.
spinnen“, anamitisch con quei „Spindel“.
a. kev. pa „überdecken“, chinesisch khap, (K. T.) hop, id„
Thai klirob t (geschr. grop) id.
d. khor. ba „kreisen“, s. kor. va „Umkreis, Kranz“, anamitisch
-hoi, chinesisch (H. K.) -livei „zurückkehren“.
d. klium. pa „einschrumpfen“ (causal-reflexiv), barmanisch
kyom „zusammengezogensein“, kliyom „zusammenziehen“ (causal)
Thai khlum (geschr. glüm") „zusammengezogen“.
di. khums.pa „einüben“, barmanisch khyomh, chinesisch (K. T.)
kwan „gewohnt sein an“.
d. khyag. pa „gefrieren“.
d. khyi. ba j
d. khyil. ba > „wirbeln“, chinesisch (H. K.) -hvei. id.
di. khyir. ba )
d. khyil ba „sich versammeln“, chinesisch (H. K.) -livei id.
d. khyud. pa „umarmen“, anamitisch hot. id. chinesisch kwd,,
(H. K.) knt, id.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc. 46S
d. khyer. ba „tragen, bringen, wegführen“; barmanisch lthei'
„bringen“ chinesisch (H. K.) -ho, L lio id.
d. khyur. ba „tragen, bringen“.
d. kliyol. ba „erreichen“, chinesisch ’khai, ’kai id.
d. khyor. ba „verhehlen, schwindeln; sich verziehen“.
d. khyom. pa „aufgeregt sein, sich bewegen“, chinesisch (K. T.)
’kom „aufregen“ (causal).
d. kliyar. ba „getrennt oder geschieden sein“.
d. khru. ba „sich baden, waschen“, barmanisch khyoh id.
d. tshog. pa „entzwei gehen“.
d. tseg. pa „spalten“.
d+tshaii. ba „tragen, halten“.
d.tshal. ba „schwanken, irren; Unschlüssigkeit“ chinesisch
(H. K.) tshwan „schwankend“.
di. tshe. ba „sterben“.
d. tslien. ba „zunehmen“, chinesisch tsän, anamitisch teil,
d. tshempa „nähen“, chinesisch (H. K.) ’tsem „Nadel“.
di. tshig. pa )
d. tshigs. pa [ » bin(,en > testbinden“.
dt. tshe. ba „versprechen“.
d. dziil. ba „wägen, messen; Gewicht, Mass“, chinesisch tshwan
„wägen; Gewicht, Wage“.
d. dzig. pa „zerstören; Zerstörung; die Welt“.
d, dznn. pa „hineinsetzen, bewirken“; Thai tsun „eingehen“.
d. tshin. ba „binden, verbinden“.
d. tshiv. ba „besteigen, fahren“.
d. tslio. ba „leben, nähren“, chinesisch (H. K.) -tshe, ~stl
„füttern, nähren“.
d. tsliag. pa „einhauen“.
d. tshogs. pa „sich versammeln; Versammlung“.
d. tshom. pa „Zweifel, Misstrauen“, chinesisch (K. T.)
tshim’ „zweifelhaft, falsch“.
d. tshim. pa „nachgeben“.
„ „umwinden“.
di, dzo. ba „ausziehen, melken“.
d. dzog. pa „legen, ordnen, machen, veranlassen“.
„ „ „ „zerschneiden, zerhauen“.
d. dzoms. pa „überwinden“.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXJ. Bd. III. Hft.
3t
466
Boiler
d. dzoms. pa „zerstören, plündern“.
d. diu. ba „ankleben“.
d. tshan. ba „vollkommen, vollständig sein“.
a. tsliav, di. tshuv, „Eile“, barmanisch tsho id.
a. tsav. pa „erstatten“, barmanisch tshap id.
d. tsov. pa „Stellvertreter sein“.
d. tsham. pa „verspotten“, chinesisch tsham. id.
d. tshar. ba „beendigt sein, erwachsen sein“.
d. tshal. ba „thun, wünschen, verlangen“.
— ma „Frühstück, Mittagsmahl“.
d. dzag. pa „hinansteigen“.
du dzen. ba „hervorragen“. . o
d. dzed. pa „treffen, begegnen“.
— „halten, empfangen“.
di. dzer. ba „sprechen“.
di. dzer. ba „einen Tag bestimmen“.
d. dzitl. ba „zanken“, anamitisch trän, id.
d. dzin. pa „fassen, ergreifen, halten“.
d. dzog. pa „aufhäufen“.
d. dzam. pa „Zusammenkommen, sich begegnen“, chinesisch
tsham „begegnen“.
d. dzol. ba „fehlen, verwirrt sein; Fehler, Verwirrung“.
d. tshir. ba „drücken“.
d. dzans. pa „verthan, verbraucht sein“.
a. dzad. pa „erschöpft sein“, chinesisch (K. T.) tsun „er
schöpfen“ (Causal).
d. dzam. pa „ganz, vollzählig sein“, chinesisch (H. K.) tshyem
„gründen, pflanzen, setzen“.
„das Ganze, Alles“.
di. tshugs. pa „sich festsetzen, wurzeln, einstecken“.
d. dzug. pa
di. dzugs. pa
d. dzad. pa „hinlegen, zuwenden, hineinthun“.
d. dzam. pa „blinzeln, lächeln“.
a. dzur. ba „abweichen, ausweichen“.
d. da(in) ba „vorübergehen“.
d. dar. ba „zittern“.
d. den. ba
d. don. ba
„gehen“, chinesisch (H. K.) 'theng „Weg,
reisen“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
467
d. dogs. pa „testbinden“, chinesich (H. K.)tek, „binden“.
d. ded. pa „folgen“, chinesisch (H. K.) thari, tliiri, id.
d devs. ba „werfen“, barmanisch tlioh (thuih), chinesisch(K. T.)
-thou id.
di. dort, pa ) „ausgelassen werden, sich zeigen“, Namsangiya
d. tlion. pa ( Naga ma. dun.
di. dug. pa „sitzen, da sein“.
d. dud. pa „sich verbeugen, Verbeugung“, chinesich (K. T.)
tun- id.
chinesich (K. T.) -tshun „sam
meln, Zusammenkommen“.
du dur. ba „traben“, chinesisch (H. K.) -te id.
n. degs. pa „aufheben, wägen“, chinesisch (H. K.) tok, id.
A. dam. pa „einig sein, Einigkeit“, b. s. dum. se „einig machen“.
«. dor. ba „verwerfen, verfluchen“.
fl. dral. ba „auseinander gehen, reissen, ausweichen“.
«. dren. pa „ziehen, einladen“.
A. drog. pa „erschrecken (intr.).
«. druv. pa „zusammenheften“, anamitisch thyep, id.
A. thav. pa „streiten“.
a. theri. ba „lahm sein, Lähmung“.
d. thim. pa „durchdringen“, s. tim. pa „benetzen“.
A. thuv. pa „zerschneiden“.
«. thevs. pa „ergreifen, auffassen“.
«. thogs. pa „fassen, halten“.
«. thog. pa „pflücken“.
fl. tliom. pa „zweifeln, ungewiss sein“.
sich trennen, in Stücke gehen“.
«. tliam. pa „umfassen, einschliessen“.
«. thems pa „verschliessen“.
«. tho. fl. tshams. pa „reizen“.
a. then. pa „ziehen“.
fl. tliud. pa „binden, knüpfen“.
«. thivs. pa „überdecken, verdunkeln“,
fl. tlieg. pa „in Tropfen fallen“.
auflesen, aufsammeln“.
31
468
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d. thegs. pa „abreisen“.
d. bag. pa ) „beflecken, anstecken“ (intransitiv), s. bags. pa
ä. bags. pa ( „beflecken“ (causal).
d. vog- pa „verunreinigt werden“, s. vog. pa „verunreinigen“.
d. bad. pa „Eifer“.
d. bab. pa „herabkommen, herabfallen“,
d. bar. ba „brennen“,
d. bar. ba ]
di. vur. ba > „sich öffnen, aufgehen“.
d. bu. va )
di. bug. pa \
d. bugs. pa „durchstechen, durchbohren“.
d. big. pa )
d. pliig. pa)
d. mul. pa ' „ablegen“.
d. pliad. pa)
d. buns. ba „sich bemühen; Bemühung“.
d. bud. pa „wehen“, s. bud pa „anblasen“.
di. bun. pa „jucken“.
di. bub. pa „Umfallen“ (intransitiv), „niederfallen“, s. vuv. pa,
„umwerfen“.
d. bur ba „erhöht sein, Erhöhung“.
„darbringen, Darbringung“.
d. bei. ba „sich unterreden, Unterredung“.
d. bod. pa „nennen“.
d. bogs. pa „übergeben, schenken“.
d. bor. ba. „hinlegen, weglassen“.
d. byaii. ba „gereinigt'sein“, s. svyaü pa. „reinigen“.
d. byi. ba „ausgewischt werden“.
di. phyi. ba „auswischen“ (causal-reflexiv).
d. byar. ba „ankleben, anstecken“, s. vyar. va „anstecken“
(causal).
d.'byin. ba „untersinken“, s. vyin. va „versinken“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
469
a. byin. pa „ausreissen, entfernen“.
d. vyid. pa „gleiten, schlüpfen“.
«. vyid. pa „vorübergellen, verschwinden“.
«. byug. pa „beschmieren“.
ff. byan. pa „entstehen, Ursprung“.
ff. byam. pa „überfliessen“.
ff. bye. ba „sich öffnen, sich theilen“.
rt. byed. pa „öffnen, zertheilen“ (ohjectiv).
«. vyog. pa (aus d. b. dlog. pa) „lecken“.
a. byon. ba „vollendet sein“.
«. byor „Reichthum, erworbenes Gut“.
«. bxyol. ba „meiden“.
ff. brad. pa „reiben, kratzen“.
«. brav, pa „erhaschen“,
ff. bri. ba „schreiben“.
«. bri „weniger werden“.
«. pliri. ba „vermindern“,
ff. brim. pa „vertheilen“,
ff. hm. ma „Geschwulst“.
«. brav, pa „überfliessen“.
ff. bre. ba „ausstrecken“.
d brel ba „vereinigt sein, Zusammenhang“.
«. irren. pa) r .
„ , \ „Leitseil, Riemen“.
«. brad. pa
«. phag. pa „sich heben“.
ff. pham. pa „verlieren, Verlust“.
«. phar. va „sich erheben, aufspringen“,
zittern“.
«. phen. pa „schiessen, werfen“,
ff. phrag. pa „beneiden, Neid“,
ff. phrad. pa „begegnen, antreflfen“.
«. phra „Schmuck“, s. pras. pa „mit Schmuck geschmückt“.
470
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re. phrin „Nachricht“, s. prin. va „senden“.
d. phro „Ende, Endtheil“, chinesisch pyao' id.
re. phro. ba „sich verbreiten“, s. pro. va „verbreiten“.
ä. phrog. pa „rauben“.
d. plirod. pa „bezahlt, abgeliefert sein“.
d. phrug. pa = s. prug. pa „kratzen, sich kratzen“,
re. pliyoäs „Stolz“.
re. phon. ba „irdene Kanne“. Anamitisch -pha.
«. phye. ba „kriechen“.
«. pliyo. ba „auf der Oberfläche schwimmen“.
d. phyos. ma „der Kaufpreis für die Braut“,
re. phyon. ma „Hure“.
di. phrig. pa „schlagen, zappeln“.
„begehren, versessen sein“.
Präfixe mit gutturalem Anlaute.
Als solche fungieren mehr weniger allgemein alle explosiven
und fricativen Laute derClasse, doch erscheinen k und g weitaus am
häufigsten. Der Vocal, ursprünglich re und o (u) bewahrt zum Theile
die Spuren seines Ursprunges, doch neigt er, bei vollständiger Ver
schmelzung des Präfixes mit dem Stamme, indem die Stimme über
ihn wegeilt, zur Verdunklung (e), um endlich ganz unterzugehen.
Auch bei diesen Präfixen zeigt sich die Erscheinung, dass begriff
lich wie lautlich ganz verschiedene Elemente, nachdem sie den Halt
selbstständiger Existenz eingebüsst, äusserlich in einer Form auf
gegangen sind. Um ihren Ursprung, so wie den Werth, den sie durch
ihre Präfigierung einer Stammform verleihen, zu bestimmen, muss
man sie bis in jene Sprachen verfolgen, in denen sie ihre Indivi
dualität zu schützen vermochten. Auch hier werden wir auf das
Anamitische geführt, in welchem folgende drei, in den übrigen
Sprachen Hinterindiens und Tibets, welche sich der Präfixe bedienen,
zu solchen herabgesunkene Grundformen sich in lebendigem Ge
brauche finden.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
471
a) Anamitisch kai’.
Die anamitische Numeralpartikel kai drückt wie das semitische
und altägyptische Femininsuffix, das receptive Verhältniss aus und
dient daher zur Bezeichnung sowohl des weiblichen als des sächlichen
Geschlechtes. Sie wird gebraucht:
1. Zur Bezeichnung des weiblichen Individuums gegenüber dem
männlichen oder dem Gattungsbegriffe:
-bo kai' „die Kuh“, -bo „der Ochs, das Bind“.
cyen kai' „das weibliche Schaf, die Schafmutter“, cyen „das
Schaf“ (als Gattung).
2. Als generelle Numeralpartikel = 'kyen „Ding“ für alle mit
der Hand verfertigten Dinge, denen eine specielle mangelt. Es wird
zum Theile wie im Chinesischen nachgesetzt:
mot L kai' „eins“ (ein Ding).
mey' kai' „wie viel“.
-dan kai' „die Landstrasse“.
thuri kai' „grosser Korb“.
-den kai' „die Fackel“.
Begelmässig aber nimmt es seine Stelle vor dem determinierten
Worte:
kai'-ney „dieses“.
kai' ey „jenes“.
kai' hio „jenes dort“.
kai' -ban „der Tisch“.
kai' -hom „eine Kiste“
kai' kay „der Pflug“.
kai' bua „die Egge“.
kai büa kau „der Bechen“.
kai kho/i „das Schloss“ (zum Verschliessen).
kai'-voi „der Schlichthobel“, -voi „grob hobeln“.
kai theu „hölzerne Schaufel“.
kai con „eiserne Hebestange“.
kai kvon „der Haspel“.
kai wot_ „das Weberschiff“, wot t „eindringen“.
kai trarl „Speiche“.
kai'-cori „ein bewegliches Bad“, -cofi „schnell“.
472
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ka
ka
ka
ka
ka
ka
ka
ka
ka
ka
ka
ka
kai
kai
kai
ka
km
kai
ka
kai
kai
’trai „eine Art Kahn“, ’trai „niederwerfen“.
-ceo „das Ruder“.
'tyeu „Sarg für Kinder“, ’tyeu „klein, jung“.
-san „Sieb“.
'kva „eine Art Kapsel“, kva „die Frucht“.
-son „eine Art Schöpfgefäss aus Rohr“.
cyet „eine Art Rohrkasten“.
gyep'- „eine Art Netz“.
’kon „grosses Cymbal“. Thai -ghoii id. (Gonggong).
phan
van
nya „Fächer“.
din ba „Dreizack“.
mak i „eine Art Messer“.
no „ein Längenmass“.
na „das Haus“.
tva „die Franse“.
klivin „die Locke“.
-vem „eine Art Muschel“.
sao „das Gestirn“.
.Sense“.
dok~ Krebsgeschwür, giftig, grausam“.
3. Nicht selten auch vor anderen Substantiven, besonders im
verächtlichen Sinne und schwülstigen Stile.
kai -nyoi „der Mensch“, -i'iyoi „die Person“, Karen -ga.
kai -loi „die Rede“, -loi id. Thai lau , Karen -lau, barm.
lliyauk „sprechen“.
kai' they toi „mein Stand“.
Im Thai wird kai' zu ka, das bisweilen, durch Attraction der
Aspiration im Anlaute des Stammes, dem Zeichen des steigenden
Tones -kh, und, unter Aufnahme eines unorganischen r, kr ge
schrieben wird. Dieses wird unter gleichen Verhältnissen wie im
Anamitischen gebraucht.
kä-nan „so, so ist es“.
kä-ni „hier, auf diese Weise“.
kä. non „dort, auf der andern Seite“.
kä. rei „was, warum“.
kä. can „der Teller“.
kä. dei „die Leiter“, cliin. (Kv. T.) thäi id.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
473
kä. svai „das Weberschiff“, chin. (H. K.) so, anam. tlioi.
kä. bei „die Feile“.
kä. trei „die Sclieere“
kä. -thu „Säule der Scheidewand“, anam. Hru „kleine Säule“.
kä. tholc „die Tasche, der Sack“.
kä- don~ „der Mastbaum“, barm, tan id.
kä. chien „langes Ruder“, chin. (H. K.) 'ceo", 'can id.
kä. doti' „Handschwinge“, chin. (H. K.) ceo' 1 , yan, „Schwinge“.
kä. trerl id.
kä. chm „die Schelle“.
kä. 'sun „Bogen, um Kügelchen zu schiessen“.
kä. 'tliori „der Spucknapf“.
kä. tliäk / ,j er gp 0rn « anam. kai djic.
kä. thak j
kä. Io' „calathus“, tibetisch li. les. ma „Geflochtenes“.
kä. lum „Korb zum Aufbewahren von Esswaaren“.
kä. tliörl „Korb“, anam. thun , barm. -ton.
kä. thai „Korb zum Aufbewahren des Reises“.
kä. mük~ „Kistchen“.
kä- clian „Kiste um Reis zu waschen“.
kä. 'can „irdener Krug“.
kä- phen „Matte aus Rambus“, anam. -bon id.
kä. bon „Prügel“, tibetisch ban id.
kä. bän „Schwertgriff“.
ka. dum. „der Knopf“, tibetisch y. dum „das Stück“.
ka. nat „ein Mass“.
ka. sien „ein Muster“.
ka. bien „das Verzeichniss“, chin. (H. K.) -pho. id.
ka. dom „die Hütte“.
ka. phan „die Brücke“.
ka. bien „der Speisevorrath“.
ka. ce „die Schminke“.
ka. mäu „der Russ“.
kä. bän „Bleiweiss“.
kä. 'mpn „der Rauch, Dunst“.
kä. ein, kä. cun , .......
„Kleinigkeiten“.
kä. cük~, kä eik
kä yua „Kehricht
474
Boiler
kä ya, ka yna »Kehricht“.
kä yacokT „der Bettler“.
kä cor „der Dieb“.
ka ’phom „ich“ (ein Niederer), ’phom „das Haar“.
Am weitesten verbreitet ist der Gebrauch von ka — kai' im
Kassia, wo dasselbe als Charakteristik des Feminins — das auch
hier zugleich das Neutrum vertritt — mit seinem Gegensätze, dem
männlichen u = Thai ’phva — tibetisch plio „der Gatte“ die
Rolle eines selbstständigen Artikels übernimmt und als solcher vor
allen Substantiven erscheint, die nicht an sich dem Masculinum zu
fallen, oder in Folge sprachthümlicher Auffassung dahin bezogen
werden.
ka. kan „die Tochter, das Mädchen“, u. kun „der Sohn, der
Knabe“.
ka. neh „diese, dieses“.
ka. ta „jene, jenes“.
ka. juh „dieselbe, dasselbe“.
ka. ba (rel.) „welche, welches“.
ka. noli (interr.) „welche, was“.
ka. nah „was immer“.
ka. s. ni „die Sonne, der Tag“.
ka. miet „die Nacht“. Thai mut i „die Finsterniss“.
ka. ken. den „die Erde“.
ka. din „das Feuer“.
ka. ba dum „die Finsterniss“.
ka. san „der Korb“.
ka. lürl „das Boot“.
ka. k. nam „der Pfeil“.
ka. sum „der Speer“.
ka. tiri „das Haus“.
ka.jain „das Kleid“.
ka. dün „der Balken, Baumstamm“.
ka. k. li „das Haupt“.
ka s. kor „das Ohr“.
ka. kg. mat „das Auge“.
ka. kg. poh „der Bauch“.
ka. k. ti „die Hand“.
ka. kg.jat „der Fuss“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
475
ka sun „das Bein“.
ka. ren „das Horn“.
ka. s. nep „die Haut“.
ka. s. nam „das Blut“.
ka. bor „die Kraft“.
ka. jin kha die Geburt“.
Auf gleiche Weise findet sich das artikelartige ka in mehreren
einsilbigen Sprachen, namentlich im Khyen, Mon, Kami und Kumi, zur
Bezeichnung lebloser Dinge verwendet, und im Garo wird ge = ka
ausdrücklich als Numeralpartikel unbelebter Wesen aufgeführt:
Himmel (Kumi) ka ni, (Khari N.) a. nin, chin. nin.
Luft (Kumi) ga. li, (Khyen) k. li.
Die Sonne, der Tag (Khyen) ka. nhi, (Kami, Mon) ka. ni, (Jili)
ka tsan, (Soiipa) ka Ihan, (Ta yin M.) ki hin, (Luhuppa) na sun,
(Karen, Sgau) ka-ni-i = (Pgho) ka-ni-yo „heute“.
Die Nacht (Mon) kha tan, (Luhuppa) na ya, (Abor) ka mo;
(Anam.) -mo.
Das Gestirn (Ta yin M.) ka. din, (Mon) ka si, (Anam) kai' sao,
s. oben.
Die Erde (Koren) ka. di, (Camphuii, Luhuppa) na, lai, (Marin)
k. lai.
Der Regen (Ta yin M.) ka. ra.
Das Feuer (Mon) ka mol.
Das Jahr (Ta yin. M.) ka nun.
Das Kleid (Ta yin, M.) kajem, (Kassia) ka jain, s. o.
Das Bein (Khyen) ka yok (aus roh), (Soiipa) ka rau, (Jili)
kharn. ran.
Das Ohr (Sak, Mon) ka na, (Kami) ka no, (Kliyeii) a. ka. na,
(Kumi) a. ga. na *).
Der Fuss (Khyen) ka ko.
Das Blut (Khyen) ka tlii.
Das Horn (Mon) ka. ren, (Soiipa) ka cai, (Luhuppa) na ci,
(N. Tankul) a. ka tsu.
Die Müdigkeit (Khyeii) ka no.
0 Ich habe diese Bildungen vor der Hand hiehergestellt; vielleicht gehören sie, wie
im Kassia etc., unter kon. Eine Entscheidung auf Grund des vorliegenden Materials
der Hodgson’schen Wörtersammlung, ist nicht möglich.
476
Boiler
In anderen Sprachen des Stammes, wie im Karen, Barmanischen,
ist ft« — kai' lexikalisch mehr weniger beschränkt und wird über
haupt nur in Fällen gebraucht, wo im Anamitischen kai eintreten
würde.
Griffel zum Schreiben (Karen, Sgau) ka. ne, barm. ka. nit.
Einzäunung (Karen, Sgau) ka ro, (Pgho) ka vorn .
Bogen (Karen, Sgau) L kha li, (Pgho) L kli. li.
Bohrer (Karen, Sgau) ka. pu, ka. pä.
Brot (Karen, Sgau) ft/t. li, (Sonpa) h. li, (barm.) Ilie.
Schiff (Karen, Sgau) ka. bau, (Pgho) ka. bam.
Spinnrad (Karen, Sgau) L ka. ha.
Haken des Elephantentreibers (Karen, Sgau) ka. rei, (Pgho)
ka. reim.
Ausserdem findet sich dieser Werth des gutturalen Präfixes
noch in der Stellung vor den Zahlwörtern.
Eins (Garo) go. sa, (Karen, Pgho) ka. du, (Mijh. M,) ft. mo.
Zwei (Garo) ftt. ni, (Ta. yin. M.) ka. yirl, (Mijh. M.) ka. nin.
Drei (Garo) ftt. tham, (Ta. yin. M.) ka. con, (Mijh. M.) ka. can.
Vier (Ta. yin. M.) ka. p. rei, (Mijh. M.) kam. bum.
Fünf (Mijh. M.) ft«, lei.
Sechs (Mijh. M.) ka. tham.
Eben so im Sgau Karen -ka. ya 100, ka. tho. 1000, ka. Ia~
10,000, ka lau 100,000.
Auch das stumme tibetische g ('1) und die Nebenformen ft ('l)
und li (^) sind in analogen Bildungen hieher zu beziehen, da die
Identität derselben mit ka, kai' in die Augen fällt, wenn man folgende
sich deckende Derivate zusammenstellt. Anamitisch kai sau „das
Gestirn“ ist tibetisch g. za. id., dem anamitischen kai dok~ „Unheil,
Gift“ entspricht tibetisch g. dug. pa id., Kassia diin „Baumstamm“
kehrt im tibetischen g. dun id. wieder und mit Kumi kani „Himmel“
stimmt tibetisch g. nam id. Ebenso decken sich ka. und g in den
Zahlformen von 1 bis 3; Karen go. sa — tibetisch g. cig 1, Garo ka. ni,
Mijh. M. ka nin — tibetisch g. nis 2, Garo ki tham, Ta yin. M. ka.
con, Mijh. M. ka. can — tibetisch g. sum 3.
Analog muss auch das Präfix in folgenden und ähnlichen Bil
dungen hieher gehören:
g. dos „die Fessel“.
• „ „der Mast“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
477
g. zoh „der Meissei“.
g. zu „der Bogen“.
h. lom „die Schuhe“.
li. lun i
, , >„die Masse“ etc.
IC. 1071 (
Anamitisch ko'.
Das anamitische ko' = Abor und Miri ka (-chm, -toka) Mijhu
Mi Simi kam hat die Bedeutung „haben, besitzen, da sein“ (il y a).
Wie das chinesische (Kv. T.) -yeu, anamitisch hvu gesclirieben
und somit zu Hayn gos. tse, tibetisch m. na „haben, besitzen, sein“
stimmend, bildet ko' den positiven Gegensatz zur Negation: ko' phuk\
(phuk phvok „Glück“) „beglückt“, vo phuk\ „unglücklich“. Ehen
so Bhramu Jeu. syon = Thai ka.'san (vgl. Namsangiya Naga a. sein)
= tibetisch g. son „schön“, ma. syon „hässlich“, ka. tsho „fett,
dick“, ma. tsho „mager, dünn“, ga. clo „gut“, ma. do „schlecht“,
Gyarun ka. kasto „gerade“, ma. kasto „krumm“, Arun Naga
kan-dzei-cla „gerade“, i.-dzei-da „krumm“.
Seiner doppelten Bedeutung gemäss wird ko' gebraucht:
1. Vor Substantiven, um den Besitzer des bezeichneten Gegen
standes auszudrücken. Wo die Bildungen prädicativ gebraucht wer
den, treten sie an die Stelle des Verbum finitum, in welchem Falle
die verbale Natur des ko' deutlich hervortritt.
ko' -su „beschäftigt“, chinesisch (Kv. T.) '-yeu ssi~ id.
ko' ~toi „sündhaft“, ~toi „Fehler, Sünde“.
ko'-tai „geschickt“, -tai „natürliche Anlage“.
ko'-ne „kunstfertig“, -he „Kunst, Kunstfertigkeit“.
ko' net k „bescheiden“, net^ „Bescheidenheit“.
ko' tits. „beschämt“, tit,_ „die Scham“.
ko' ic „nützlich“, its\ „Nutzen“.
ko' hai~ „dankbar“, hat" „Gerechtigkeit, Treue“.
ko' pliep „gesittet, bevollmächtigt“, phep „Gesetz, Erlaub
nis “.
ko i suk t „mächtig, im Stande“, suc'- „Macht“.
lco x gia' „werthvoll“, gia „Preis“.
ko' i', ko' oi' „aufmerksam“, i' „Wille, Absicht, Aufmerksam
keit“.
ko'-loh san~ „bereit“, -loh „dieSeele, der Geist“, sän~ „bereit“.
478
Boiler
ko' lok,_ ) . lok L „Sold, Glück“.
ko' phuk j ” g uc ' 1C1 " p huk „das Glück“.
ko' djaii) — chinesisch (Kv. T.) -min „Name, Ruhm“,
ko' tyeil'} „berühmt“ tyen „Laut, Stimme, Ruhm“
ko' L von ) -voll „hoffen, Hoffnung“.
ko'-bun „kothig“, -bun „Koth“.
ko' mei „bewölkt“, mei „die Wolke“.
ko' ccp „hartnäckig“, tsep „die Feindschaft bewahren“.
ko' epp, „gespalten, tipp „der Spalt“.
ko' thai ) , „
> „schwanger“, „-bun „Bauch“.
ko -bun (
ko' rf „eingewurzelt“, re „die Wurzel“.
\°. I .überstürzt“ ? FISgeK
ko ajok ( l „geneigt“.
ko'se „zahllos“, se „der Wagen“.
ko' bon tson „vierfüssig“, bon „vier“, tson „Fuss“.
ko' bon' 'tvoi „vierjährig“, 'tvpi „das Lebensalter“.
ko' bon' gok_ vvon „viereckig“,^-, „Ecke“, vvon „vierseitig“.
ko' nyeu tok ) , , nyeu „viel“, tok „das Haar“.
ko tok -djai -djai „lang“.
ko' myu tri' „schlau“, myu tri' „Gewandtheit“, mm „List“,
tri' „ingenium“.
ko' tri' khon „klug“, tri klion „Klugheit“, khpn „klug“.
2. Vor allen Redetheilen ohne Unterschied, um die Thatsäch-
lichkeit ihrer Aussage hervorzuheben.
ko' He „es ist Sitte“, He „Gewohnheit, Sitte“.
ko'-curl „es gibt ein Ziel, eine Art und Weise“, -tsun „Ziel,
Weise“.
ko'tu-ndn „es gibt eine Gränze“, -tu-fian „stufenweise“, -tu
„aus“, -rlän „Gränze“.
ko' khi „es gibt eine Zeit, einst“, leid „die Zeit“.
ko' 'ke „es gibt einige“, sunt qui.
ko' den „es gibt (einen Ort) wo, wohin, woher“, est, ubi, etc.
Am geläufigsten ist dieser Gebrauch vor Verbalstämmen, um
der Aussage Nachdruck zu geben, daher besonders in der be
jahenden Antwort: ko' byet ( „ist (in der That) wissend, fühlend“,
by?t, „wissen, fühlen“, no' ko' byet, tsän „ist er (wirklich) wissend,
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
479
fühlend?“ ( no' „jener“, tsäft, Fragepartikel), ko' (se. byet) (er)
„ist es“.
Anmerkung. Der Werth „da sein, vorhanden sein“ ergibt sich
aus Verbindungen wie da-ko' „es ist schon“, hvak ko t „es ist viel
leicht“, cun ko' „auch sein“, neu ko' „wenn ist“, Hsärl ko' „es ist
nicht“.
In den (ihrigen Sprachen ist ko' zum unselbstständigen Präfixe
herabgesunken, das im Gebrauche sowohl des Gutturals wie des
Vocales schwankt und im Tibetischen nur mehr als conventionelles
diakritisches Schriftzeichen fortgeführt wird. Aus demselben Grunde
ist auch der äussere Unterschied zwischen diesem und den aus kai'
und kon entwickelten Präfixen verschwunden.
Im Thai ist ko' zu kä geworden, dessen Guttural durch Rück
wirkung zu Ich aspiriert werden kann •), häutig auch ein anorganisches
r (kr) zu sich nimmt, während der gleichfalls dem Wechsel unter
worfene Vocal mitunter nasaliert (kam — kä) erscheint. Der Gebrauch
beschränkt sich auf Nominal- und Verbalstämme, welche folgende
bald attributive, bald prädicative Bildungen liefern:
kä 'seh „wohlklingend“.
kä. 'sen „verwandt“.
(krä) kä. can~ „hell“.
(krä) kä. L dari „hart“.
kä. l be „eben“.
kä.-choi „schön“.
kä. prok~ „beschmutzt“.
kä. mva „verdunkelt“.
kä. diet ]
kä. to „weit, erwachsen“, to id.
kä. null „gewiss“.
kä. nun „ähnlich“.
kä. -chän „dicht, drängen“,
(krä) kä. ’san „angenehm, sich ergötzen“.
*) Die Schreibung mit g (kfi) ist nur Missbrauch.
480
Boiler
hä. thom' „zerfallen“.
kä. hurl „wiederhallen“.
hä. heil „aufschwellen“.
hä. L phlan „wanken, hinken“.
hä. plilok'
hä. plilok' hä. phleh'
hä. plilok~ hä. plilia
hä. -phlon kä. ’-phleä
hä. heb' „heiser“.
hä. lud „dürsten“.
hä. ai „husten, um ein Zeichen zu geben“.
| „ sich sträuben“ (Haare).
hä. yy „jucken, das Jucken“
kliä. yo „begierig, Begierde“ j V~ »j l,c ^ en > verlangen nach“.
hä. L yon „Ekel empfinden, Ekel“.
(kä) hä. men „beständig blinzeln“.
kä. chum' hä. chvai „fest, kräftig“.
kam. 'lieft „kühn, muthig“.
hä. 'hem „ein Schelm, Verläumder“.
(krä) hä. 'sän „verlangen nach, sich sehnen“, chin. (H, K.)
L swan id.
(krä) kä ni~ „geitzig“.
hä. 'lie „heiter, froh“.
hä. -ko „in der Hoffnung getäuscht“.
krä. lun „erstaunt, betäubt“.
hä. so' kä. sa' „thöricht, dumm“.
kä. sof l
(g) khäm sof -wehklagen; Trauer“.
kän(?). 'seA „Thränen vergiessen“.
khä. '-yun khä yaf „scheuen, sich fürchten“.
kä. nolf „vor Furcht zittern“.
■
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc. 481
kä. lib~ „hurtig“.
kä. lib kä loi' „behend“.
kä. bat' „im Augenblick“, bäf „der Augenblick“.
kä. Ion ka. lan „hastig“, Ion „eilig“, lan „feurig“.
Cg) khä. men „auf der Erde liegen“.
kä.-than \
kä. dok kä.-thän ( , .
„erschüttert werden, zittern“.
kä.-tlion
kä. dvarf ]
kä. 1 däu „unanständige Bewegungen“.
kä. des' kä. yeo~ „sich hin und herbewegen“.
hin und her schwingen“.
ka. dik~ „zappeln, zucken“.
kä. thok „schwingen, worfeln“.
kä. dof „springen, Sprung“.
kä. thon „aufspringen“.
ka. plivem' „Bewegung des Wassers, Bespritzung“.
kä. chon „geschüttelt werden (Bäume)“.
(krä) kä. den „in Stücke zerspringen“.
kä. thub „klopfen“.
kä. thun „erschüttern, durchbohren“.
kha. ~yven „den Wohnsitz verändern“, yiien „wandern, be
suchen“.
kä. co „begegnen“, tso. id.
kä. tliek, „auf etwas stossen, anstossen“.
kä. thän „bis zu“.
kä. cen „den Weg verfehlen“.
kä. ’sien „kaum“.
kä. com „plötzlich anfallen, einfallen in“. Anam. com-, com. id.
kä. sof „sich unbesonnen in fremde Angelegenheiten ein
mengen“. Anam. svot t „eingehen“.
kä. (jj) sen „schief eindringen (Begen)“.
kä. 'men „gespannt, fest zusammensclmüren“.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. LXI. Bd. III. Ilft. 32
482
Boiler
Jchä. "men „gespannt, fest zusammenschnüren".
kä. (iit i „festschnüren“, bif „drehen“.
kä. bief „verengen, zusammenpressen“. Anam. buk, id.
kä. cai 1
kä. cäf
kam■ cäf \ „streuen, zerstreuen, vertreiben“.
kä. cät kä. cai \
ka. cäk~ J
kä. pök~ . . pok' — chin. (Kv. H.) fä, (H. K.) liok._ id.
kä. bän ) .
käm bän ( » ver " u ^ enc ‘ lln - (''• K.) -pin „ein Schirm“.
kä. lik kä. loti )
^ > „scherzen“, barm. ka. ln „scherzen“.
kä. Io' „betrügen, lallen“, Karen ka. Io' ka. le' id.
kä. Ion' „lügen“.
kä. träm „ertragen, sich bemühen, arbeiten“, träm „ertragen,
dulden“.
(kra) kä. cläm „arbeiten“.
kä. -di
ka. L di ka. diem
kä. df „mittelst eines Hebels heben“.
kä. dük~ „beladen (ein Schiff etc.)“.
kä. ken „Soldaten werben“. Anam. Icen id.
kä. koi „auf das Trockene ziehen“.
kä. lum „die Erde um die Bäume aufhäufen“.
kä. muef
khä. muef
käm. räf „verweisen“, räb~ „gebessert“.
kä. "som „vereinigen, verbinden“. Anam. sem id.
kä. trälf „in Fesseln schlagen“.
kä. tük~ „pflücken“.
kä. yo „entreissen“.
kä. ven „auskundschaften“.
khä. yon „hervorstehen“.
In den übrigen Sprachen, welche dieses Präfix kennen, ist es
meist Bildungselement des Adjectivs. Doch finden sich unter den
zwei Dutzend Verben, welche in Hodgson’s Vocabularien enthalten
sind, hinreichende Belege, um für das Kami, Kumi, Khyen und
„kitzeln“.
„umwinden“.
I
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
483
Gyarun auch einen allgemeineren Gebrauch als Verbalpräfix voraus
setzen zu dürfen. Im Barmanischen sind beide Verwendungen nach
weisbar, die wenigen Bildungen aber nur mehr lexicalisch. Der
adjectivische Gebrauch wird aus folgender Zusammenstellung nach
Ilodgson's und Bobinsons Vocabularien ersichtlich:
rund (Gyar.) ka. larlar, (Kac.) gi-diri lu lu.
viereckig (Kac.) go-ron biri, (Ar. N.) lca. kem dai da.
alt (vom Alter) (Kac.) gu. rasa, (Ar. N.) ga. ci pau da, (Garo)
ge. tcam.
jung (An. N.) ka. sa.
alt (Kac.) gu. Jam, (An. N.) ka. so.
neu (Kac.) gu. dain, (An. N.) ka. sa, (Ar. N.) ka. ci. ba. da,
(Garo) ge. tat, (Kac.) ga. dan, (Mik.) a. ka. mi, (Anam.) ien,
(Thai) mei~.
reif (Gyar.) ka. sman, (Kac.) go. mon (Bodo) ga. man, (Mik.)
Ice. men, (Ar. N.) ka. me. va. da, (Brahmu) ki min, (Mijh. M.)
ka. sum (Anam.) com.
roh (Kac.) gu. thuü, (Bodo) ga. tliari.
süss (Gyar.) kam. Aar, (Bodo) ga. doi.
sauer (Gyar.) ka. ccur, (Bodo) ga. pha, ga. kho'i.
bitter (Gyar.) ku. ccek, (Bodo) ga. khä, (Mon.) ka. tan.
Am ausgedehntesten ist der Gebrauch des Präfixes ka im Karen,
namentlich im Sgau-Dialekte, wo es, neben der beschränkteren Ver-
werthung zur Bildung von Adjectiven, vorzugsweise und allgemein
vor Verbalstämmen aultritt und diesen die Beziehung auf die Zukunft
verleiht. Wo ka im Sgau-Dialekte neben Pgho mo „wollen“ als
Charakteristik des Futurums fungiert, lallt es mit dem in gleicher
Weise verwendeten Verbum „haben“ in den romanischen Sprachen
zusammen: ya. kn.-ma „ich werde thun“ — „ich habe zu thun“,
je ferai, io färb.
ka. doi „mit den Fingern kratzen“, doi „Finger“.
ka. Id „schwärzlich“, lä „blau“.
ka. -na „hören (spitzen)“, -na „spitzig“.
ka. no,_ „zittern“, vgl. Thai kd. nök~ id.
ka. o „hohl, hohl sein“, o „Höhlung, hohl“.
ka. si L „das Wissen, Wissenschaft“.
ka ya „allseitig“, ?/«' „überall“.
ka-yau „lang, entfernt“, (Kham.) -yau „lang“.
32*
484
Boiler
Anamitisch kon.
Das anamitische kon — Kassia kan — Mikir ko bezeichnet das
Kind ohne Unterschied des Geschlechtes, den Sohn und die Tochter,
jedoch vorherrschend den ersteren, weil zur Charakterisierung des
weiblichen Individuums das Femininzeichen gai', bei Thieren kai
hinzutritt.
kon kai' „Kinder, Söhne und Töchter“.
kon ropt,_ „leibliches Kind“.
kon mag „Adoptivkind“.
kon tivoi „Ziehkind“.
kon ~gaii „unterschobenes Kind“.
kon-noi „nicht entarteter Sohn“.
kon-deu-lorl „der erstgeborne Sohn“.
kon ut, „das jüngste Kind“.
kon ran „abortirtes Kind“.
Tritt die Beziehung auf die Abstammung in den Hintergrund,
dann bezeichnet kon „das geborne Wesen“ überhaupt und wird
dadurch zum Gattungszeichen (Numeralpartikel). Als solche er
scheint kon:
1. Vor den Bezeichnungen menschlicher Wesen überhaupt und
ihrer Unterscheidung nach Alter, Verwandtschaft und Stand ins
besondere:
kon-ngpoi ta „der Mensch, die Menschen“.
kon kia, „genereller Name für Mädchen“.
kon gai' „das Mädchen, die Tochter“.
kon ’-me-ncy „jenes Weib“.
kon ’-me-nuyet„die Mutter der Nuyet“.
kon tho „das neugeborne Kind“.
kon ’-djai „das neugeborne Kind“, ’-djai „thöricht“.
kon trai „der Jüngling“.
kon cau „Enkel, Nachkommenschaft“.
kon 'ge „Stiefsohn“.
kon dyau „Schwiegertochter“.
kon bvon „der Kaufmann“.
kon hat „der Schauspieler“.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
485
, . £ der Kundschafter“.
kon-moi
kon bai~ „alter Schlaukopf“.
Icon toi „Untergebener, Diener“.
kon-doi „die Magd“.
kon -moi „die Sclavin“.
kon mni' „die Beischläferin“.
2. Vor den Namen überhaupt und im Besonderen:
Jcou thu' „das vierfüssige Thier“.
kon duk,_ „das männliche Thier“.
kon-bo „der Ochs“, koti-bo kai' „die Kuh“.
kon ne' „ein junger Stier“.
kon treu „der Büffel“.
kon thu -bo -run „der Auerochs“.
kon-nüu „das Pferd“, Ta. yin M. grue.
kon-lua „der Esel“.
kon la „das Maulthier“.
kon mac,_, „dasselbe von einer Eselin“.
kon eyen „das Schaf“.
kon dje „die Ziege“.
kon lieo „das Schwein“.
kon co' „der Hund“.
kon-meo „die Katze“.
kon vet,_ „das Raubthier“.
kon su 'tu „der Löwe“.
kon ne, „ein löwenähnliches Thier“.
kon voi „der Elephant“.
kon tey, kon te „das Nashorn“.
kon -hum „der Tiger“.
kon geu „der Bär“.
kon nai „der Hirsch“.
kon ceo, „eine Art Hirsch“.
kon -ka ton, „eine Art Antilope“.
kon co' soi „der Wolf“.
kon -key, „eine Art Fuchs“.
kon 'tho „der Hase“.
kon thet, „der Biber“.
kon rai „die Fischotter“.
486
Boiler
kon sok K „das Wiesel, das Eichhörnchen“.
hon ha cliu „der Maulwurf“.
hon evoL „die Maus“.
hon -hu, „ein fabelhaftes Thier“.
hon cim „der Vogel“.
hon tron „Männchen desselben“.
hon nun „Weibchen desselben“.
hon -ga „das Huhn“ (Hahn, Henne).
hon non „die Gans“
hon vyet,_ „die Ente“.
hon le le „die wilde Ente“.
hon nmjh „der Schwan“.
hon hon „der Pfau“.
hon ’se „der Sperling“.
hon-bo keil „die Taube“.
hon ha „der Fisch“.
hon ran „die Schlange“.
hon-ron „der Drache“.
kon-kon „der Flusskrebs“.
hon ba ba, „eine Art Schildkröte“.
hon-mon „Bremse“.
hon dje' „Grille“.
hon -kan -kan, „eine Art Heuschrecke“.
kon hyen „die Ameise“.
.kon-rvoi „die Fliege“.
3. Vor den Namen einiger jungen Pflanzen:
kon thvok, „junge Tabakpflanzen“.
kon 'kai „junge Schösslinge der Senfpflanze zum Versetzen“.
kon kai 'ro „von Kohl“.
4. Vor Bezeichnungen von Dingen, welche man belebt denkt,
oder welche die Gestalt von Fischen oder Insecten haben :
hon mdir „das Auge“.
hon nyoi „die Pupille“.
kon moi, Figur aus Spreu, welche durch Zauberspruch belebt
werden soll.
hon ha', Stück Holz zur Verbindung zweier Bretter.
■
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
487
kon Ion „die Feder“.
kon vnk, „Waffen zum Angriff“.
kon dno „das Messer“.
kon kvay „die Spindel“.
kon '~bo „Mauerstütze“.
kon ’se, ein hölzerner Nagel zwischen Säule und Gehälke.
kon den „das Siegel“.
kon-ko „der Brettstein“.
kon küi „zum Spinnen vorbereitete Baumwolle, Strohfackel“.
kon tyep, „der Kiel“.
kon trän „ein Umlauf des Mondes“.
kon gyap „eine Dekade im chinesischen Cyclus“.
kon nyok „Ebbe oder Flutli“.
kon Han „das Glück“.
kon ca „eine Auslegung“.
In den übrigen Sprachen hat kon mit dem Verluste seiner Selbst
ständigkeit auch seine formale Individualität eingebüsst und ist
unterschiedslos in dem Präfix ka und dessen Umbildungen aufge
gangen. Nur hie und da hat sich noch eine Spur seiner Herkunft
erhalten.
Aus dem Thai finden sich angeführt:
kä. taC „der Hase“ = Anam. kon ’tho.
kä. rok, „das Eichhörnchen“. Anam. kon sok.
kä. colf „der Sperling“, vgl. Anam. kon ’se id.
Hieher gehören auch die Bezeichnungen des Körpers und seiner
Tlieile mit Rücksicht auf ihre Gestalt und Lebensfunctionen.
kä. lolc~ „der Schädel“, chin. (H. K.) -Io id.
ka. 'mom \
kä. nton > „die Schädeldecke, das Gehirn“, chin. myen id.
khä. mon)
kä. L don
käm. ~don
der Hals, die Halsgrube“.
i
488
Boiler
kn. bürl-thon „Wölbung des Bauches“, tibetisch borl „Run
dung“.
ka■ blio „der Magen“, Karen kapliu, tibetisch pho. ba.
kä. tnk~ „das Gebein“, chin. (H. K.) -torl = -tari id.
Die Analogie mit dem anamitischen Gebrauche führt darauf,
auch folgende Formen hieher zu stellen:
kä. cori ) _.
, „ t Bmsenarten.
ka. ent, j
kä. thien „Knoblauch, chin. svan id.
kä. tlion „Beweis, Thatbestand“.
kä. drvaü (svaii) „Verordnungen“.
kä. bven „Gewohnheit, Art und Weise“.
In derselben Ausdehnung wie im Anamitischen und Thai wird
ka im Kassia (7c, ke, kgnj, Mon, Mijhu, Misimi und Karen gebraucht.
Mensch (Mon) ka. ru, (Kliyen) k. lau, (Kami) ka. mi, (Kumi)
hi. mi, (Karen) ka. hau, (Mijh. M.) k. tcon.
Vater (Kassia) ke. pa, (Mijh. M.) ke pal
Mutter (Kassia) kg. mi.
Gatte (Mijh. M.) ke. rowai.
Weib (Kassia) kgn. tei, (Mijh. M.) k. mai, (Kusunda) gi. mi.
Kind (Kassia) ken. na.
Sohn, Knabe (Mijh. M.) ke. sa, (Kusunda) gi. ta. se.
Nachkommenschaft (Karen, Sgau) ka.-co.
Krüppel (Kassia) ken. riaii.
Der Herr (Kassia) ken. rad, (Karen, Sgau) ka. ca', (Pgho)
ka. chä.
Der Hote (Karen) ka. hr.
Ein Dämon (Kassia) k. suid, (Karen, Sgau) ka. lo L .
Ein Geist, eine Gottheit (Karen, Sgau) ka. -la.
Der Elephant (Karen, Pglio) ka. eham = (Pgau) ka. idio, (Kami,
Kumi, Khoibu) ka. sdi, (Newar, Gepan), ka. si, (Mon) iia-sait,
(C. Tankul) sa. ka. tai.
Das Pferd (Siiipho) gu. mrad, (Mijh. M.) kom. heil, (Kassia)
u. ka. lai. (Karen) ka. L se.
Kuh (Mon) ka. rau.
Ziege (Mijh. M.) kam. pai, (Mon) kha. pa, (Koren) ka. mi,
(Maram) kha. mi.
Hund (Mon) ka. la.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc.
489
Tiger (Jili) ka. sa, (Karen, Sgau) kn. cu, (Pgho) ka. cu.
Affe (Kami) ka. lai, (Camphun) kha. yo, (Luhuppa, N. und
C. Tankul) na. yori (na statt na), (Marain, Kapwi) ka. zyotl.
Ratte (Ta yin M.) ka. ci, (Kassia) k. nai.
Biene (Karen, Sgau) ka. nei.
Hummel (Karen, Sgau) ka. du.
Der Leib (Kassia) kaca'.
Haupt (Kassia) k. li.
Auge (Kassia) kg. mat.
Nase (Kassiaj ka. mut.
Der Rücken (Karen, Sgau) Ich. lau, (Mijh. M.) g. lok, (An.) lutl.
Bauch (Kassia) kg. poh.
Hand (Kassia) k. ti, (Anam.) iay, (Kusunda) gi. pan.
Fuss (Kassia) kg. jfat.
Die Milz (Karen, Sgau) ka. man.
Die Hoden (Karen, Sgau) ka. le .
Die Galle (Kassia) kg tan.
Die Erde (Kassia) kgn den, (Sonpu) kon, di, (Ar. N.) gu. dei,
(An. N.) ka. thi, (Doplila) ke de.
Der Pfeil (Kassia) k. nam, vgl. Thai luk ’son „Sohn des
Bogens“.
Das Brot (Kassia) kg. pu.
Das Wort (Kassia) k. tin, (Karen, Sgau) ka tau, (Thai) ’thoi.
Der Name (Kassia) ke. rten, (Kusunda) gi. ji.
Aus dem Barmanischen wird ka -to „Moschusratte“ hier einzu
reihen sein.
Analog wird man auch im Tibetischen das Präfix g (k, hj in
folgenden Fällen liieher zu beziehen haben:
g. cen „der ältere Bruder“.
g. cun „der jüngere Bruder“.
g. tso „der Herr, das Oberhaupt“.
g. len. pa „der Narr“.
g. dol. pa „der Henker“.
li. la „eine Gottheit“. Karen ka.-la.
g. don „ein Dämon“.
g. lan „das Rind, der Elephant“ J ).
Stellt man zwischen g und l das in dieser Stellung wegfallende s, das im slavischen
CJlOHT» sich erhalten hat, her, so schliesst sich g. s. lan an die hinterindischen
490
Boiler
g. seb „der Hengst“.
g. zig „der Leopard“.
g. yi „der Luchs“.
tson ) jjj e j ner Antilope“.
g. tso j
g. la „das Moschusthier“.
k. lu „die Wasserschlange, Drache“.
g. Ing „ein grosser Adler“, vgl. Arun Naga kit. le id.
g. na „der Hals, der Nacken“.
g. Io „die Seite des Körpers“.
g. Io „die Lunge“.
k. lad „das Gehirn“.
K. lu „das Glied“.
K. lums „der Mutterleib“.
g. dun „das Gebein“.
g. tso „der Hanf“, chin. chu.
Von den Formen, welche in Gabelentz’ Glossar zur Kassia-
Grammatik die Präfixe k, ke. ken zeigen, gehören hieher, und zwar:
a) mit nominaler Geltung:
k. sier „Gold“, tibetisch g. ser, barm, se id.
kel luid „weit“, Karen (Sgan) ka. lei' „ausgebreitet“.
ken. diat „wenig“, Thai kä. diel. id.
bj mit verbaler Geltung:
ken. mau „sich erinnern“, chin. (Kv. T.) mg', id.
ke. r. pad „beten, flehen“, barm, pan id.
kel. Ion „fallen“, Karen ka. -lau, Ta yin. M. ga, lya na.
kg diah „zerbrechen“, tibetisch g. sag. pa „spalten“.
kel la „sich verwandeln“, Karen (Sgau) ka. lei, „verwechseln“.
ke. dan „satt werden“, tibetisch n. grau (spr. dari).
Im Tibetischen entspricht das stumme Präfix 4 ) g (*J bisweilen
k ( 7 1) und h (3} in der Mehrheit der Bildungen, welche dasselbe
präfjgiert zeigen, dem anamitischen ko' und dessen verschiedenen
Abschleifungen in den übrigen Sprachen. Es wird auch hier in beiden
Formen, welche gleichfalls, wenigstens im Anamitischen und Chinesischen, den
. steigenden Ton zeigen.
Nach Jaeschke im Dialekte von Kham noch als 7 gesprochen.
Die Präfixe mit vocalischem und gutturalem Anlaute etc. 491
Richtungen gebraucht und hat mit dem Karen (Sgau) auch noch die
Verwendung zur Bezeichnung des Futurums gemein.
Die Indentität ergibt sich für den nominalen Gebrauch aus der
Vergleichung von anamitisch ko. tyeri = Thai kn.'seu „tönend,
wohlklingend“ mit tibetisch tj. sen id., von Thai ka can „hell“ mit
tibetisch g. tsan id, von Gyarun ka. nak „schwarz“, mit tibetisch
g. nag id. Andererseits zeigt die Zusammenstellung von Thai ka. tük~
„pflücken“, mit tibetisch g. tog pa id. von barmanisch ka. -tsä
„spielen“, mit tibetisch g. zas. pa = cliin. (H. K.) 'sva, ‘sa id. von
Kami ka. nu „sich niedersetzen“, mit tibetisch g. nas. pa „sich auf
halten“ = barm. ne, „sitzen, sich aufhalten“, von Thai ka. cdi,
„zerstreuen, verbreiten“, mit tibetisch g. cor. ba id., von Thai
ka. yp „jucken“, mit tibetisch g. ya ba id., von Thai (ka cleo~')
ka yeo „sich hin und her bewegen“, mit tibetisch g. yab. pa, dass
sich die Präfixe auch in verbaler Verwendung decken.
Aus den Adjectivbiidungen hebe ich das substantivisch ge
brauchte g. ser „Gold, das Gelbe“ von ser. po „gelb“ hervor, weil
seine Vergleichung mit Kassia ka. k. sier, das zur Bezeichnung des
Concretums noch das entsprechende ka=kai' „Ding“ vorausschickt,
über den Werth des Präfixes g in Fällen Aufschluss gibt, wo man
dasselbe wegen der conereten Bedeutung der Bildung sonst unbedingt
unter die nominalen Präfixe kai und kon stellen würde. Doch reichen
die vorliegenden Behelfe nicht aus, um in allen Fällen über die
Natur des Präfixes mit Sicherheit zu entscheiden.
Auf dem Unterschiede der Bedeutung, die das Derivat erhält,
je nachdem g vor Nominal- oder Verbalstämme tritt, und auf dem
prädicativen Gebrauche der gebildeten Adjectiva, wobei die ur
sprünglich verbale Bedeutung des Präfixes fortwirkt, beruht das con-
stante oder mit anderen Präfixen (ja, b) abwechselnde Auftreten des
selben hei der Bezeichnung der Tempora.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
493
VERZEICHNIS
DER EJNGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(MÄRZ 186!).)
Accademia delle Scienze delUIstituto di Bologna: Memorie.
Serie II., Tomo VIII., Fase. 2. Bologna, 1869; 4°.
Akademie der Wissenschaften, königl. bayer.. zu München:
Sitzungsberichte. 1868. II., Heft 3 & 4. München; 8°.
Arnetb, Alfred Ritter von: Joseph II. und Katharina von Russland.
Ihr Briefwechsel. Wien, 1869; 8°.
Ateneo Veneto: Atti. Serie II., Vol. V., Punt. 2°—3 a . Venezia,
1868; 8».
Camesina, Albert, u. Carl Weiss: Wiens ältester Plan aus den
Jahren 1438—1433. Wien, 1869 ; 4».
Central-Commission, k. k. statistische: Mittheilungen. XV. Jahr
gang, 2. Heft. Wien, 1869; kl. 4».—Tafeln zur Statistik.
1860—1863. 2. Heft. Wien, 1868; 4°. — Ausweise über den
auswärtigen Handel der österr.-ungar. Monarchie im Sonnen
jahre 1867. XXVIII. Jahrgang. Wien, 1869; 4».
Cibrario, Conte Luigi: Origine e progressi delle istituzioni della
Monarchia die Savoia sino alla costituzione del Regno d'Italia.
(2 äa . edizione.) Firenze, 1869; gr. 8°.
Fenicia Salvatore, Libro decimoquarto della politica. Bari, 1868; 8°.
Gel ehrten-Gesellschaft, k. k. zu Krakau: Rocznik. Tom XIV.
Krakow, 1868; 8°.
Gesellschaft, Antiquarische, in Zürich: Mittheilungen XXXIII.
Geschichte der Burgfeste zu Kyburg. Zürich, 1869; 4°. —
Denkmäler des Hauses Habsburg in der Schweiz. Das Kloster
Königsfelden. Lieferung 3—4. Zürich, 1867; 4°.
494
Verzeichniss der eing-egangenen Druckschriften.
Hamelitz. VIII. Jahrgang. 1868. Nr. Sl; IX. Jahrgang. 1869.
Nr. 1—9. Odessa; 4°.
Hunter, W. W., A comparative Dictionary of the Languages of
India and High Asia. London, 1868; 4».
Jena, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
verflossenen Halbjahre. 4° & 8°.
Institunt, Koningkl., voor de taal-, land- en volkenkunde van
Nederlandseh Indie: Bijdragen. Derde Volgreeks. III. Deel, 3°—
4°. Stuk. 's Gravenhage, 1869; 8°.
Istituto, R., Veneto di Scienze, Lettere ed Arti: Atti, Tomo
XIV°, Disp. 2 a —3“. Venezia, 1868—1869; 8«.
Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden: Hande
lingen en Mededeelingen. 1868. — Bijlage tot de Handelingen
van 1868. Leiden; 8».
Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale. XIV. Jahrgang. März —
April 1869. Wien; 4°.
— aus ,1. Perthes' geographischer Anstalt. Jahrgang 1869,
2. Heft. Gotha; 4°.
Nationalmus eum, germanisches: 14. Jahres-Bericht. Nürn
berg, 1868; 4°. — Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit.
N. F. XV. Jahrgang. Nr. 1—12. Nürnberg, 1868; 4°.
Palacky, Franz, Uber die Beziehungen und das Verhältniss der
Waldenser zu den ehemaligen Secten in Böhmen. (Deutsch &
böhmisch.) Prag, 186 9; 8°.
Reise der österr. Fregatte Novara um die Erde etc. Arithro-
pologischer Theil. Dritte Abtheilung: Ethnographie. Bearbeitet
von Dr. Friedrich Müller. Wien, 1868; 4°.
Revue des cours scientifiques et litteraires de la France et de
l'etranger. VP Annee, Nrs. 13—17. Paris & Bruxelles, 1869; 4°.
Verein, historischer Kreis-, im Regierungsbezirke von Schwaben
und Neuburg: 33. Jahres-Bericht. Augsburg, 1868; 8°.
— sieberibürgischer, für romanische Literatur und Cultur des
romanischen Volkes: Transilvania. Anulu II, Nr. 2—5. Kron
stadt, 1869; 4°.
— für Kunst und Altertlnim in Ulm und Oberschwaben: Ver
handlungen. N. R. I. Heft. Ulm, 1869; 4°.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
495
Verein fürmeklenhurgische Geschichte und Alterthumskunde: Jahr
bücher und Jahresbericht. XXXIII. Jahrgang. Schwerin, 1868 ; 8°.
— für Geschichte der Deutschen in Böhmen: Mittheilungen.
VII. Jahrgang, Nr. 3=4. Prag & Leipzig, 1868 & 1869; 8°.
— Statuten des Vereins. 8°. — Schlesinger, Ludwig,
Geschichte Böhmens. Prag & Leipzig, 1869; 8».
Vivenot, Alfred Ritter v., Thugut, Clerfayt und Wurmser. Wien,
1869; 8«.