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SITZUNGSBERICHTE
DICK KAIS ICH MC II l-.N
tunie oeR Msastiimv
PHILO SOI* I11SCH-HIST0R1SCHE (LASSE.
SIEBENUND VIERZIG STER RANI).
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL (JEROLO’S SOHN, BUCHHÄNIll.KIl »ER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN .
1864.
SITZUNGSBERICHTE
DEM
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DEM KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
SIEBENUND VIERZIG STER BAND.
Jahrgang 1864. — Heft I und II
WIEN.
AUS DER K. K. HOK- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION IIlil KAHL SKROLD'S SOHN. MJCHHÄNDLEK DISK KAIS. AKADEMIE
I)HH WISSENSCHAFTEN.
1864.
300122
INHAL T.
Sitzung vom 6. Juli 1864.
Grünhagen , König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
Ein Beitrag zur Geschichte des Kampfes mit dem Slaventhum im
deutschen Osten
Sitzung vom 13. Juli 1864.
' Zingerle, Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern
Sitzung vom 20. Juli 1864.
Sickelf Beiträge zur Diplomatik. III. Die Mundbriefe, Immunitäten und
Privilegien der ersten Karolinger bis zum Jahre 840
Marmor, Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im
J. 1548. Aus dem Archive der Stadt Konstanz
Brunner, Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger ...
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften .... ....
Sitzung vom 3. October 1864.
Pßzmaier, Die Theogonie der Japaner
v. Meiller, Über die Diöcesan - Grenzregulirung König Ludwig’s des
Baiern im J. 829 zwischen Salzburg und Passau
Seite
4
103
175
278
315
387
392
459
Sitzung vom 12. October t864.
Pßzmaier, Die ergänzte japanische Sage
Zingerle, Der maget kröne. Ein Legendenwerk aus dem 14. Jahrhundert
Sitzung vom 19. October 1864.
Sichel, Beiträge zur Diplomatik IV. Die Privilegien der ersten Karo
linger bis zum J. 840
zur älteren deutschen Sprache und Literatur.
Ägypten nach der Vorauer Hand-
Ver zeichniss der eingegangenen Druckschriften
Di einer, Beiträ
XX. Geschichte Joseph’s in
schrift
487
489
563
63 6
689
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHI LOS OP HI SC II-II IS TO RISCHE CLASSE.
XLVII. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1864.
JULI.
3
SITZUNG VOM 6. JULI 1864.
Es werden folgende an die Commission für Herausgabe öster
reichischer Weisthümer eingelangte Stücke vorgelegt:
1. Von dem löbl. nieder-österreichischen Landes
ausschuss, Mittheilungen von vier Grundbesitzern und von der
Stadtgemeinde Baden.
2. Von dem hoclnvürd. Herrn Abte Vincenz zu Rein, eine
im dortigen Stiftsarchiv befindliche (sub Nr. 85) Pantliaidings-Ord-
nung im Original, zur Benützung.
3. Von dem hochwürd. Herrn Pius Schmied er, Stiftsarchivar
in Lambach, Abschrift eines dort aufbewahrten Rechts- und Ehe-
liafts-Thaidings-Buches, renovirt Anno 1628.
4. Von der Direction der gräflich Henckel von Donners-
marck’schen Eisenwerke in Wolfsberg, die drei von ihr erbetenen
Documente: Urbarium der Herrschaft Weisenegg v. J. 1435; —
Gemeinde-Waideordnung v. J. 1696; — Wolfsberger Dechantei-
Urbarium v. J. 1674; — im Original, zur Benützung.
Herr Dr. J. Marmor, praktischer Arzt in Constanz, sendet
seinen Aufsatz zur Aufnahme in die Schriften der Classe ein: „Die
Übergabe der Stadt Constanz an das Haus Österreich“.
1*
4
Grünhaffen
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von
Breslau.
Ein Beitrag zur Geschichte des Kampfes mit demSlaventhum im
deutschen Osten.
Von Dr. C. Grünlingen.
Wenn Jemand eine der Bearbeitungen schlesischer Geschichte
aufmerksam durchliest, muss es ihn in Erstaunen setzen, wie wenig
er daran erinnert wird, dass es sich hier um ein slavisches Land
handelt, welches erst von den Deutschen erobert und deutschem
Wesen vollständig zugeeignet werden musste. Von der slavischen
Bevölkerung und einem Widerstande, den dieselbe zu leisten ver
mocht, ist fast nirgends die Rede, und es sieht aus, als habe sich die
Entwickelung Schlesiens ganz ohne Rücksicht auf sie vollzogen.
Aber diese Meinung ist durchaus irrig, die Gegensätze zwischen
deutschem und slaviscliem Wesen liegen überall unter der Oberfläche
und man kann wohl behaupten, dass hei den Deutschen in Schlesien
die Furcht vor einer slavischen Reaction sich nicht nur durch das
ganze Mittelalter erhalten, sondern auch geradezu bestimmend auf
die Entwickelung der Verhältnisse eingewirkt hat. Jeder Fortschritt
der provinziellen Geschichtsschreibung wird ohne Zweifel diese Mo
mente mehr und mehr an’s Licht bringen, und gerade derartige Nach
weisungen dürften geeignet sein, über die Grenzen der Provinz
hinaus ein allgemeines nationales Interesse zu erregen für Kämpfe,
bei denen es sich darum handelte, hier auf den Marken des Vater
landes eine Eroberung deutschen Fleisses und deutscher Intelligenz
tapfer zu vertheidigen und zu behaupten.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
5
Schon an anderer Stelle habe ich nachzuweisen gesucht, welche
entscheidende Rolle das nationale Moment bei dem bedeutsamsten
Ereignisse der mittelalterlichen schlesischen Geschichte, dem An
schlüsse Schlesiens an Böhmen im XIV. Jahrhundert, gespielt hat ")•
Zu derselben Zeit nun, wo dieses Ereigniss eintrat und nicht ohne
Zusammenhang mit ihm ward auch auf kirchlichem Gebiete ein
Kampf der Nationalitäten geführt, noch besonders bedeutsam da
durch, dass in ihm auch die päpstliche Curie entschieden und doch
nicht siegreich Partei ergreift.
Diesen im Einzelnen und in seinem ganzen Zusammenhänge
und bis zu dem Conflicte zwischen König Johann und Bischof Nanker,
in welchem er recht eigentlich gipfelt, darzustellen ist der Zweck
dieser Blätter.
Dieser Kampf gewährt zugleich das ungewohnte Schauspiel,
die deutsche Geistlichkeit im Dienste eines nationalen Principes
streiten zu sehen, und eine Combination, wie sie hier vorliegt, wo
das Domcapitel und der überwiegend grösste Theil des Diöcesan-
klerus im engen Anschluss an das deutsche Bürgerthum dem päpst
lichen Legaten und dem Bischöfe eine hartnäckige und siegreiche
Opposition machten, dürfte die vaterländische Geschichte schwerlich
noch einmal aufzuweisen vermögen. Dass eine solche Rolle gerade
dem schlesischen Klerus zugefallen ist, und dass jene Opposition
in so durchaus massvoller und besonnener Weise, und ohne je der
Kirche als solcher Gefahr zu bringen durchgeführt worden ist, muss
zugleich dazu beitragen, der etwas geringschätzigen Art, mit der in
neuester Zeit eine weniger eingehende Betrachtung über das Ver
balten des schlesischen Klerus im Mittelalter abgeurtheilt hat, ent
gegenzutreten.
Wenn die hier folgende Darstellung darauf Anspruch machen
kann, im Wesentlichen Neues zu bieten, so liegt das darin, dass die
neueste Zeit gerade für die Kenntniss der hier einschlagenden Ver
hältnisse reiches Material an’s Licht gebracht hat, vorzüglich in zwei
Werken, den von Theiner aus den Schätzen des vaticanischen Ar
chivs veröffentlichten Monum. vetera Poloniae et Lithuaniae tom. I
und dem Formelbuche Arnold’s von Protzan, welches Professor
*) Grünhagen: Breslau unter den Piasten als deutsches Gemeinwesen. Breslnu 1861*
S. 48 ff.
6
Grünhagen
Wattenbach im V. Bande des Cod. dipl. Silesiae herausgegeben
bat. Freilich war die Benützung namentlich dieser letzteren Quelle,
welche Urkunden aus der Zeit Bischof Heinrich’s von Breslau
(f 1319), der Sedisvacanz (— 1327) und der ersten Zeit Bischof
Nanker’s, und zwar nach der Art der Formelbücher ohne Namen und
Datirung enthält, eben um dieses Umstandes willen sehr schwierig,
und der Verfasser darf nicht hülfen, hei der Gruppirung und chro
nologischen Anordnung der einzelnen Stücke immer dem Irrthume
entgangen zu sein.
Daneben hat aber der Umstand, dass die hier geschilderten
Verhältnisse noch fast ganz unbekannt waren, es unerlässlich ge
macht, durch eine eingehende Einleitung denLeser in die Verwicke
lungen, welche hier dargestellt werden sollen, einzuführen.
König 1 Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
7
Das Bisthum Breslau zur Zeit des Anschlusses Schlesiens an Böhmen.
Die schlesische Kirche befand sich augenscheinlich heimBeginn
des XIV. Jahrhunderts in einer ühlen Lage. Die Anarchie, welche
hier herrschte, wo die zahlreichen kleinen Fürsten fast ununter
brochen gegeneinander in Fehde lagen, die fortwährenden Kriege
die Gemüther verwildern dessen und der Rohheit und Gewaltthat
Thür und Thor öffneten, empfand natürlich die Geistlichkeit in be
sonders hohem Masse. Die ganze Zeit zeichnete sich keineswegs
durch besondereHinneigung zur Religiosität aus, und die zahlreichen
kleinen schlesischen Dynasten, immer geldbedürftig, wie sie waren,
vermochten der Lockung, sich an dem Kirchengut zu bereichern,
um so weniger zu widerstehen, als dieses fast vertheidigungslos
war, da die geistlichen Waffen, Bann und Interdiet, in jener Zeit nur
zu schnell ihre Wirkung verloren hatten.
Der mächtigste dieser schlesischen Fürsten, Boleslaw Herzog
von Liegnitz und Brieg, der älteste Sohn Heinrich’s V., ging hier mit
dem übelsten Beispiele voran. Von brennendem Ehrgeize gepeinigt,
hatte er seit frühester Jugend sich auf Kriegszügen umher getrieben
und als Gemahl einer böhmischen Prinzessinn an den Thronfolge
streitigkeiten nach dem Ausgange der Przemysliden lebhaften An-
theil genommen, dann lange in enger Verbindung mit König Johann
gestanden, bis er plötzlich die Partei wechselnd in’s polnische Lager
überging, und mit König Wladislaw verbündet, entsetzliche Raub
züge nach Schlesien ausführte. Es möge zur Charakteristik der da
maligen Verhältnisse anzuführen gestattet sein, wie hei einem dieser
Züge, dem gegen Konrad von Oels und Glogau im Jahre 1322, das
Breslauer Capitel (in der Zeit der Sedisvacanz) die Verbündeten,
König Wladislaw und Herzog Boleslaw, anfleht, doch bei ihren Kriegs-
zügen die Ländereien der Kirche zu schonen, es hätten die Solda
ten an mehreren Orten auf schreckliche Weise gehaust, sogar die
Kirchen und Kirchhöfe geplündert und verwüstet 1 ). Darauf ant-
*) Arnold von Protzan’s Formelbuch ed. Wattenbach. Cod. dipl. Sil. V, 226.
8
Grünhagen
worteten die beiden Fürsten, das Capitel möge zwei Gesandte
schicken, welche wegen der ihnen früher angethanen Unbilden sich
verantworten sollten, eine Zumuthung, welche allerdings sehr nach
der Fabel von dem Schafe, welches dem Wolfe das Wasser getrübt
haben sollte, schmeckte, und am Ende wohl nur auf eine Geld
erpressung abgesehen war. Das Capitel lehnt die Forderung als un
ausführbar ab mit Hinweis auf das Schicksal ihres ersten Boten, der,
obwohl in schlechter Kleidung und zu Fuss kommend, doch sogleich
von den Soldaten ergriffen und seiner Kleider und Stiefeln beraubt
worden wäre. Zugleich erinnert man an die zahlreichen Gewalt-
thaten, welche Herzog Boleslaw schon der Kirche angethan, erklärt
sich bereif, vor dem Erzbischof von Gnesen zu Beeilt zu stehen und
erneuert die Bitte um Schonung *), sucht auch noch besonders einen
Günstling des Königs (wahrscheinlich Job. von Veroli, Bruder des
noch mehrfach zu erwähnenden päpstlichen Gesandten Andreas von
Veroli) zur Fürsprache zu bewegen 2 ).
Wie wenig aber Alles geholfen habe, sehen wir daraus, dass
das Capitel sich bald darauf genöthigt sieht, beim Erzbischof von
Gnesen über die Verwüstungen jenes Kriegszuges Klage zu führen
und bei dieser Gelegenheit unter Anderem anführt, wie das polnische
Heer damals durch Mord und Brand so gewirthschaftet habe, dass
allein im Kloster Trebnitz sechs Nonnen Hungers gestorben seien,
worauf dann auch wirklich HerzogBoleslaw zu einigen wenig bedeuten
den Entschädigungen an dieses Kloster sich versteht 8 ). Ähnliche Ver
hältnisse haben sich natürlich oft wiederholt, die kleineren Fürsten
waren nicht besser, und die schlesischen Zustände im Allgemeinen
dürften noch ungleich schlimmer gewesen sein, als wir aus den
spärlich vorhandenen Quellen erkennen können, so schlimm, dass
die Sehnsucht nach einem mächtigen Oberherrn, dessen Autorität
Ruhe und Frieden bringen konnte, zu einer unabweislichen Forde
rung auch für die Fürsten selbst wurde. Inzwischen aber hatte die
Kirche sehr gelitten, und im Jahre 1327 versichern die Breslauer
Domherren, dass der Breslauer, sowie überhaupt den meisten schle-
1) Formell). 227.
2 ) Ebendas. 228.
8 ) Ebendas. 241 u. Anm. 1 dazu.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von "Breslau.
9
sischen Kirchen nicht der zehnte Theil ihrer sonstigen Einkünfte
geblieben sei *).
Eigentümlich war das Verhältnis der Domgeistlichkeit zu der
Bürgerschaft der schlesischen Hauptstadt und ihrem Herzoge. Der
letztere, Heinrich VI. (1309—1338), war vielleicht der gutmütigste
und wohlwollendste der damaligen schlesischen Pürsten, Raub und
Grausamkeit waren von ihm nicht zu fürchten, dagegen war die mäch
tige und von trotzigem Selbstbewusstsein erfüllte Bürgerschaft Bres-
lau’s, welche in keinem Puncte, ausser in rein geistlichen Dingen,
dem Bischof sich untergeordnet wusste und nicht allzuviel kirch
lichen Sinn besass, schwerer zu behandeln, es hat hier an Reibungen
nicht gefehlt, und noch zur Zeit Bischof Heinrieh’s (1302—1318)
ist mehrfach, wenn gleich nicht immer mit besonderem Erfolge, die
Wirkung des Iuterdicts an den Breslauern erprobt worden. Doch
gewahren wir, wie namentlich in der Zeit der Sedisvacanz das
Capitel nur mit sichtlichem Widerstreben gegen die Breslauer ein
schreitet, und wenn es gleich, schon um der päpstlichen Legaten
willen, dies nicht vermeiden kann, doch die Wirkungen der geist
lichen Strafen abzuschwächen und auf jede Weise die Hand zur
Versöhnung zu bieten sucht 3 ). Dies hat unzweifelhaft seinen Grund
nicht so sehr in dem Bewusstsein, dass ihnen damals die Autorität
eines Bischofs nicht zur Seite stand, als vielmehr in der Furcht vor
einer ihnen durch den Zorn der erbitterten Bürgerschaft drohenden
Gefahr 3 ), ganz besonders aber in dem von der deutschen Majorität
des Capitels gehegten Wunsche, in der Stadt, oder richtiger gesagt
der herrschenden Aristokratie und dem Fürstenhause einen Rückhalt
zu haben, gegenüber der von Avignon begünstigten polnischen Mi
norität; Verhältnisse, auf welche wir noch näher einzugehen Veran
lassung haben werden. Es sind ja dieselben Patriciergeschlechter,
welche uns im Breslauer Domcapitel, eben so wie im Rathe der Stadt
und unter den Zeugen der herzoglichen Urkunden begegnen.
Ein höherer Grad von Spannung und Verwickelung kam in
diese Verhältnisse ganz besonders durch die Ansprüche der päpst
lichen Curie, welche, seit die Päpste in Avignon residirten, sich
*) Formelbuch 260.
2 ) Vergl. die zwei Schreiben Formelbuch 242 u. 213.
8 ) A.uf welche sie in dem letzteren der eben erwähnten Briefe direct hindeuten.
10
Griinhagen
gcldbedüi’ftiger als je zeigte. Schlesien, der Klerus nicht ausge
nommen, wurde in dreifacher Weise besteuert.
Von dem Klerus verlangte der Papst seit der Zeit Johann’s
XXII. von jeder vacanten Pfründe den Ertrag eines
Jahres (Annaten)i). Schon aus dem Jahre 1318 haben wir ein
Verzeichniss des Ertrages, welchen von dieser Steuer der damalige
päpstliche Einnehmer Gabriel, Archipresbyter de sto. Archangelo in
der Breslauer Diöcese erzielt hatte 3 ). Allerdings scheint es, als ob
nur in den seltensten Fällen die Zahlung der ganzen ursprünglichen
geforderten Summe erreicht worden sei, der Einsammler hat augen
scheinlich mit sich handeln, Milderungsgründe gelten und sieh
schliesslich in Folge einer compositio, wie es in der Urkunde heisst,
mit einem vereinbarten Pauschquantum abfinden lassen, welches
unter Umständen bis unter eine Mark hinabsteigt 3 ), doch ist die
Summe, welche hier so auf einmal nach Avignon oder eigentlich
durch Vermittelung von Kaufleuten nach Flandern an Italiener,
welche dort Comtore hielten, abgeliefert wurde, nicht unbedeu
tend 4 ). Sie beträgt nach meiner Rechnung aus ganz Schlesien:
aus dem Archidiakonat Breslau . 399‘/ a Mrk.,
„ „ „ Glogau • 35 „
,, „ „ Oppeln . 133 „
,, „ » Liegnitz 100
in Summa 567i/ a Mrk., d. h. in
1) Schreiben des Papstes vom 22. Juni 1325: redditus et proventus primi anni omnium
beneficiorum ecclesiasticorum, — que in regnis Polonie sicut in nonnullis aliis
partibus tune vacabant et usque ad triennium — — de fratrum nostrorum
consilio per nostras literas reservandas ducimus. (Theiner Monum. olonice I, 205.)
Christophe i. s. Gesch. des Papstthums im XIV. Jhrh. übersetzt von Ritter II. 12
macht darauf aufmerksam, dass nicht, wie mehrere Canonisten behauptet haben,
Johann der Erfinder der Annaten gewesen sei, dass sie vielmehr schon sein Vor
gänger Clemens erhoben und sich z. ß. 1305 für 3 Jahre alle ßeneficien Englands
Vorbehalten habe, dass aber auch dieser sie nicht erfunden, sondern nur zuerst zum
Vortheil des päpstlichen Stuhles verwendet habe.
2 ) Theiner S. 139. Hiernach wäre die Anführung bei Christophe u. a. 0. u. Walter
Kirchenrecht. Aufl. 13, S. 443 zu berichtigen.
3 ) Ausser bei einigen höher besteuerten Breslauer Domherren sind die Posten mei
stens unter 10 Mark, ganz ausserordentlich hoch wird die Schweidnitzer Kirche
besteuert, nämlich mit 65 Mark. Übrigens wird die Zahlung dieser Steuer noeh in
viel späterer Zeit nämlich im Jahre 1373, allerdings aus der Diöcese Leslau
erwähnt. Formelb. 127.
4) Eine sehr eingehende Darlegung dieser Geldgeschäfte in M. Neumann’s Geschichte
des Wechsels im Hansagebiete, Erlangen. 1863. Abschnitt II, S. 14—40.
König’ Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
ll
runder Summe nach jetzigem Gelde i), ohne dabei den Geldwerth über
haupt in Rechnung zu bringen, etwa S000 Thaler oder 7500 Floren.
Jene Steuer war nun, wie wir schon sahen, ursprünglich nur
als vorübergehend, als auf die Vacanzen von nur drei Jahren sich er
streckend bewilligt worden, doch wird sie ohne besondere Motivi-
rung ruhig weiter erhoben, und zWar 1325 eben so wie 1318 auf
weitere drei Jahre, und es scheint sogar 1325 eine Verschärfung des
Erhebungsmodus eingetreten zu sein, indem der Papst in diesem
Jahre seine Legaten mit neuen, sehr ausführlichen Instructionen
versieht, welche er auchsämmtiiehenPrälaten des Gnesener bischöf
lichen Sprengels mittheilt 3 ), worin er z. B. alle früheren aus
speciellen Statuten stammenden Verpflichtungen annullirt, so z. ß.
die sehr häufig zur Geltung gekommene Sitte, wonach der in ein
Amt neu Eintretende die Hälfte der Einkünfte des ersten Jahres an
die Fabrica ecclesiae, die Kirchbaucasse, abgeben musste, und wenn
1318 bei den verschiedenen compositiones von einer Ablieferung
des vollständigen Jahresertrages auch nur entfernt annähernd wohl
nirgends die Rede gewesen war, so nahm man jetzt die Sache
strenger, indem man die zu dem Behufe des (gleich zu erwähnen
den) sechsjährigen Zehntens von allen geistlichen Einkünften vor
genommene Abschätzung der Pfründen als Norm ansah, und wenn
man gleich dabei das Belassen eines Antheils für den Beneficiaten,
schon um ihn in den Stand zu setzen, die mit seiner Pfründe ver
bundenen Lasten zu tragen, als billig anerkannte, so beugte man doch
dabei einer allzu niedrigen Schätzung des Ertrages durch ein sehr
sinnreich erfundenes Mittel vor, indem man es ganz in das
Belieben der päpstlichen Einnehmer stellte, ob sie entweder die
angegebene Ertragssumme als Annate annehmen, oder aber es vor
ziehen wollten, gerade mit dieser den Beneficiaten abzufinden und,
was darüber einkäme, für den päpstlichen Stuhl einzuziehen, so
dass also z. B. Jemand, der seine hundert Mark tragende Pfründe
nur mit 30 angegeben, sich in die Gefahr begehen hätte, dass die
1) Ich bin in der Reduction der Bestimmung- Tagmann’s in seiner gründlichen Ab
handlung über das Münzwesen Schlesiens bis zum Anfänge des XIV. Jahrhunderts
(Zeitschrift des schles. Geschichtsvereines I. 86) gefolgt, welcher für den Werth
der polnischen Mark beim Beginne des XIV. Jahrhunderts 9 Thlr. 13 Sgr. angibt,
unter welchen Werth ich jedoch etwas heruntergehen zu müssen glaubte.
2 ) Theiner I, £20.
12 G r ii n li a g e n
Legaten ihm die 30 Mark gelassen und den Rest von 70 für sich
gewählt hätten.
Die Domkirchen, die regulirten Abteien (wenn gleich nicht in
allen ihren Gütern) und diejenigen Pfründen, welche noch nicht
6 Mark jährlich einbrächten, sollten frei sein.
Eine zweite Steuer war der sogenannte sechsjährige
Zehnte, welcher zum Besten des heiligen Landes die Zahlung von
10 Pct. aller geistlichen Einkünfte auf sechs Jahre in der ganzen Chri
stenheit beanspruchte. Diesen Zehnten halte schon das Concil von
Vienne 1311 Papst Clemens V bewilligt, und er war auch schon in
einigen Ländern eingesammelt worden, doch war er in Polen noch
mehr als IS Jahre nach dem Concilium, wie Papst Johann XXII.
sich ausdrückt, „certis ex causis“ suspendirt geblieben, und erst
1328 wurden die beiden päpstlichen Legaten in Polen, Andreas de
Verulis und Petrus deAlvernia, mit der Einsammlung dieses Zehntens
in dem ganzen Gnesener erzbischöflichen Sprengel officiell beauf
tragt i), die polnischen Prälaten zur Unterstützung derselben ange
wiesen 3 ), eben so ihnen freies Geleit in ganz Polen verschafft 3 ) und
zugleich das Recht gegeben, alle geistlichen Personen ohne Unter
schied zu ihrer Unterstützung requiriren zu können 4 ).
Die Legaten bestimmten zur bequemeren Einleitung der Ge
schäfte den Erzbischof von Gnesen auf den 19. Februar 1326
eine Synode aller polnischen Bischöfe nach Unejow zu berufen, wo
auch das damals unbesetzte Breslauer Bisthum durch Procuratoren
vertreten war, und wo nun über die Erhebungsart jenes Zehntens das
Nähere festgesetzt wurde. Die Periode von sechs Jahren, während
welcher der Zehnte erhoben werden sollte, begann mit dem 22.
Juni 1325, und die Zahlung sollte in halbjährigen Terminen erfolgen,
als deren erster die Octave des heiligen Martin (16. November)
1362 festgesetzt wurde.
Der auf diese Weise ausfallende Zehnte des ersten Jahres
jener sechsjährigen Reihe ward in der Weise wieder eingebracht, dass
bei jedem der übrigen Termine ausser dem fälligen halben Zehnten
des laufenden Jahres der Zehnte des Zehnten für das erste Jahr
1) Theiner I, 208.
2 ) Th. I, 209.
3) Th. I, 210.
4) Ebendaselbst.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
13
nachgezahlt würde i). Die Summe des von dem Breslauer Klerus
Eingenommenen ist uns nicht angegeben, aus dem Krakauer Spren
gel kamen 1326 als Ertrag des ersten Jahres 1197 Mark ein 2 ), und
im Jahre 1335 konnte der päpstliche Legat an Restantengeldern
aus der Breslauer Diöcese 1681 Mark abliefern oder, wenn wir
hiervon eine Schuld des Bischofs mit 680 abziehen, 961 Mark 3 ).
Die umfassendste dieser päpstlichen Steuern war der soge
nannte Peterspfennig. Diese Steuer, welche nur in einigen
Ländern, welche sich dem specieilen Schutze des heiligen Petrus
empfohlen hatten (England, Skandinavien, Polen, Portugal), entrichtet
ward, hatte ursprünglich überall den Charakter Yon freiwilligen
Gaben getragen 4 ), aber die Pä pste hatten mit der Zeit an den meisten
Orten s) daraus eine stehende Abgabe zu machen gewusst. Nachdem
sie dies geworden war, konnte für sie keine der Stellung des Papstes
entsprechendere Form gefunden werden, als die einer Kopfsteuer,
welche von jedem menschlichen Haupte jährlich einen Denar ver
langte. Es liegt augenscheinlich eine bewunderungswürdige Conse-
quenz in dem Gedanken, dass das Oberhaupt der Christenheit, vor
dem alle Gläubigen gleich erscheinen, sie auch ohne Berücksichti
gung aller gesellschaftlichen Unterschiede vollständig gleichmässig
besteuert. In der Tliat sehen wir auch den Papst, der das Wesen
seiner Würde am consequentesten zur Erscheinung zu bringen
wusste, Gregor VII. bei seinem (allerdings vergeblichen) Versuche
auch Frankreich zur Zahlung des Peterspfennig heranzuziehen, von
jenem Principe der allgemeinen Kopfsteuer ausgehen (ut unum
denarium annuatim solvant B. Petro e J und in England, so wie in
Skandinavien konnte der Papst die Heerdsteuer 7 ), unter deren Gestalt
A ) Theiner I, 228 und 262. Man zahlte also in fünf Jahren, d. h, in zehn Terminen a
11 6 10 5 10
2Ö + lÖÖ ^ 1ÖÖ zlIsammen 20 TÖ ' 1ÖÖ
1
, also in Summa
10
10
, d. h. die
Zehnten von sechs Jahren,
3 ) Ebendas. S. 262.
3 ) Das. S. 363 ff.
4 ) Wie Spittler überzeugend nachgewiesen hat: Von der ehemaligen Zinsbarkeit
der nordischen Reiche an den päpstlichen Stuhl. Sps. gesammelte Werke ed*
Wächter IX. S. 99—167.
5 ) In Dänemark z. B. war der ursprüngliche Charakter immer geblieben. Spittler
a. a. 0. 105 ff.
6 ) Epistolae üb. VIII. 23.
7 ) Dass Walther (Kirchenrecht, Auf!. 13, S. 445) mit dieser seiner Auffassung gegen
über dem ganz strict von einer Gebäudesteuer sprechenden Richter (Kirchen-
14
G r ü nhagen
hier der Peterspfennig auftritt, wesentlich als eine modificirte Kopf
steuer ansehen, als ein beschränkendes Zurückgehen vom Individuum
auf die Familie.
Aber so logisch das Princip war, so war doch die Durchfüh
rung sehr schwierig, und wir haben in der That vor dem 14. Jahr
hundert aus England und Skandinavien kein Zeugniss, dass jenes
Princip geltend gemacht worden wäre. Vielmehr ward der Peters
pfennig hier schon sehr früh zu einem jährlichen Tribut von
bestimmter Höhe, den die Fürsten nach Rom entrichteten, und dessen
Eintreibung ihnen ganz überlassen war; und in dieser Weise scheint
der Peterspfennig auch in Polen, wo er zugleich mit der Einführung
des Christenthums, also gegen Ende des 10. Jahrhunderts einge
bürgert wurde *), gezahlt worden zu sein. Schon um’s Jahr 1000 ent
schuldigt sich Boleslaus Chrobry, dass er den dem päpstlichen
Stuhl verheissenen Zins wegen der Einfälle der Deutschen nicht zu
zahlen im Stande sei a ), es erscheint also schon hier der Fürst als
Einsammler des Peterspfennigs und dieser selbst als ein jährlicher
Tribut; eben so wird in dem päpstlichen Zinsbuche des Cencius aus
dem Ende des 11. Jahrhunderts ein bestimmter jährlicher Tribut
angegeben, und noch im 14. berufen sich die schlesischen Fürsten
darauf, dass dies immer so gehalten worden sei s ).
Natürlich stand die Umlage dieses Tributes ausschliesslich in
der Hand des Fürsten, und dieser war sehr weit davon entfernt, jenen
recht Aufl. 13, S. 498.) Recht hat, und dass der in den englischen Quellen vielfach
erwähnte Ausdruck domus nur eben den Sitz einer Familie bedeute, erhellt deutlich
daraus, dass es mit Beziehung auf Norwegen, wo übrigens den englischen durchaus
ähnliche Einrichtungen bestanden, in dem ältesten päpstlichen Zinshuche von Albinus
(um das Jahr 1182) heisst: „singuli lares in Norvegia dant unam monctam ejusdem
terrae“, während acht Jahre später der römische Schatzmeister Cencius an derselben
Stelle statt lares datnus setzt. (Beide Anführungen bei Spittler : Von der ehema
ligen Zinsbarkeit der nordischen Reiche an den päpstlichen Stuhl. Sp. sämmtliche
Werke ed. Wächter IX. 138.)
1) Röpell: Gesell. Polens. S. 128, Anm. 45.
2 ) Thietmar von Merseburg VI. c. 56.
3 ) Muratori antiqu. Ital. V. 875. Wie gross übrigens die Summe des jährlichen aus
Polen nach Rom abgeführten Geldes gewesen, ist ungewiss. Das erwähnte Zinsbuch
sagt zwar a. a.O.: Wladislaw dux Poloniae debet singulis trienniis 4000 Marcas auri
ad pondus Poloniae (bei Muratori Antiqu. Ital. V. 875). Doch erklärt dies Hurter
(Innocenz III. Th. IV. 135) für einen Schreibfehler und will nur 4 Mark lesen; ob
nun Tomassin, ancienne et nouvelle discipline III. 275, welcher 100 Mark angibt, die
richtige Mitte getroffen, muss dahingestellt bleiben.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
15
demokratischen Modus der individuellen Besteuerung anzuwenden,
der gegenüber der grossen Menge des ländlichen Proletariats auch
kaum ausführbar gewesen wäre, sondern er besteuerte einfach das
Grundeigenthum. Als nun 1163 durch den Einfluss Kaisers Friedrich I.
Schlesien von Polen losgerissen eigene Fürsten erhielt, scheint es,
dass die römische Curie sich bemühte, mit den einzelnen Fürsten
besondere Verträge über einen von denselben zu entrichtenden jährli
chen Tribut abzuscliliessen etwa in der Form, wie uns ein solcher
aus dem Jahre 1217 zwischen Papst Honorius III. und dem Herzog
von Kalisch erhalten ist, in welchem sich der letztere verpflichtet
zum Zeichen dafür, dass er sich unter den Schutz des heil. Petrus
gestellt, alle drei Jahre 10 Mark Goldes zu zahlen 1 ).
Es liegt sehr nahe aus dem, was wir bisher über den Peters
pfennig gesagt haben, zu schliessen, dass jene von uns vorangestellte
Auffassung desselbeu als einer allgemeinen Kopfsteuer doch wohl
erst in der Zeit, wo man mit derselben nachweislich officiell hervor
trat, d. h. am Anfänge des 14. Jahrhunderts überhaupt entstanden
sei. Aber dem ist nicht so, und wenn man selbst jene angeführte
Stelle des Briefes Gregor’s VII. anders, als wir es gethan, zu deuten
versuchen wollte, so zeigt doch gerade in Bezug auf Polen eine
Stelle aus des posenschen Bischofs Boguphal Chronik, der um die
Mitte des 13. Jahrhunderts schrieb, dass in den Kreisen der polni
schen Geistlichkeit jenes Princip der Kopfsteuer noch in der Erin
nerung lebte. Es wird nämlich bei Erzählung der Sage von Kasimir,
dem Mönche, berichtet, derselbe habe seinen Austritt aus dem
Kloster um deswillen von dem Papste bewilligt erhalten, dass er in
seinem Reiche den Peterspfennig de quolibet capite zu zahlen
gelobt habe 2 ). Freilich zeigt diese Stelle eben nur, dass man in
jener Zeit von dem Peterspfennig als einer Kopfsteuer wusste, in
*) Ad judicium hujusmodi a nobis percepte protectionis censum 10 marcharum auri,
que de tertio in tertium annum te proinisisti Iiberaliter soluturum, etc.Theiner I, 2.
2 ) Boguphal bei Sommersberg II, 26. Doch darf hier nicht verschwiegen werden, dass
die Möglichkeit, die ganze Stelle sei bei Boguphal ein späterer Zusatz, nicht aus
geschlossen erscheint. Wir besitzen von seinem Werke weder das Original, noch
auch nur eine Abschrift, die noch aus dem 13: Jahrhundert stammte, der Abdruck
bei Sommersberg ist nach einem dem 15. Jahrhunderte angehörenden Codex veran
staltet. Es wäre interessant, wenigstens zu wissen, ob jene Stelle sich in den beiden
Petersburger Codices des B., welche für die ältesten angesehen werden und dem
16
Grünhagen
der Sache selbst ist die Erzählung von der Einführung des Peters
pfennigs durch Kasimir i) so wenig wahr, als dass dieser Fürst
überhaupt im Kloster gewesen sei.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts scheinen überhaupt die Zah
lungen sehr in Verfall gekommen zu sein, zwar mahnt 1248 der
päpstliche Legat Jakob von Lüttich (später Papst Urban IV.) auf der
Breslauer Synode dringend an ihn 3 ) und nicht minder 1233 Inno-
cenz IV. 3 ), doch die schlesischen Fürsten waren selbst ewig in
Geldnoth, lagen dabei fast unaufhörlich in Streit mit den Bischöfen,
und was das Schlimmste war, die in dieser Zeit sich mehr und mehr
hier ansiedelnden Deutschen, jenes Zinses in ihrer Heimat voll
ständig ungewohnt, weigerten sich beharrlich ihn zu zahlen 4 ). So
versuchte man es denn damals zuerst das bisher von den Fürsten
als Tribut erhobene Geld nun direct von denUnterthanen einzutreiben.
Schon 1248 in der erwähnten Breslauer Synode traten die Bischöfe
als Sammler auf, doch scheint die Sache damals noch nicht recht in
Fluss gekommen zu sein 5 ), energischer nahmsie aber dann Martin IV.
1284 auf, ernannte in der Person des Johann Moskata, Archidiakon
von Lenczyc (später Bischof von Krakau), einen Generalbevollmäch
tigten zur Einsammlung des Peterspfennigs in ganzPolen undPommern
und forderte zugleich die Bischöfe und die Landesfürsten auf, diesen
auf jede Weise in der Ausübung seines Amtes zu unterstützen; in
welcher Weise, nach welchem Principe nun die Päpste, nachdem
sie einmal die Sache selbst in die Hand genommen, jene Steuer ein-
14. Jahrhunderte angehören, vorßndet. Die gleichfalls dem 13. Jahrhundert ange
hörende Vita Stanislai (in der Ausgabe des Mart. Gallus von ßandtke c. X) erwähnt
wohl die Stiftung des Peterspfennigs durch den aus dem Kloster ausgetretenen
Kasimir, aber nicht den Modus der Eintreibung. Bei Vincenz (Kadlubek) von Krakau,
der dem B. häufig als Quelle gedient, ist nur eine kurze Anspielung auf Kasimir’s
Aufenthalt im Kloster zu finden.
1 ) Wir sahen schon oben, dass derselbe ein halbes Jahrhundert vor Kasimir erwähnt
wird.
2 ) Hube, antiquissimae constitutiones synodales prov. Gneznens . . Petersburg 1856.
S. 48.
3 ) Raynald z. d. J.; — Röpell, Gesell. Polens 128, Anm. 45.
4 ) Theotonici — licet terras et possessiones excolant, quarum ratione consuevit
solvi denarius b. Petri, censum ipsum solvere indebite contradicunt. Martin IV. an
die Herzoge von Oppeln 1285. Theiner I. 93.
5 ) 1285 klagt Martin IV.: denarius b. Petri elapsisjam annis quam pluribus non fuerit
ipsi ecclesie, sicut accepimus, persolutus. Theiner 1, 93.
Köllig Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
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getrieben haben, dies mit Sicherheit festzustellen, .ist schwierig;
zwar liegt uns die päpstliche Instruction an Johannes Moskata von
1285 vor, aber hier eben so wie vorher 1248 ist blos einfach von
der Verpflichtung, den Peterspfennig einzusammeln, wie von etwas
ganz Bekanntem die Rede. Dagegen macht es eine Stelle in der
Chronica Polonorum ‘), welche am Ende des 13. oder Anfang des
14. Jahrhunderts geschrieben wurde, wahrscheinlich, dass man die
in England übliche Form des Peterspfennigs als Hausstand-, oder
Familiensteuer, welche man, wie schon erwähnt, als eine modificirte
Kopfsteuer ansehen konnte, zum Princip erhöhen habe. An eine
consequente Durchführung desselben ist freilich nicht zu denken,
die Proletarierfamilien haben schwerlich herangezogen werden
können, sondern dieselbe mag vorzugsweise von den Grundbesitzern
erhoben worden sein, so dass sie factisch zu einer Reallast
wurde, wie sie auch ein Brief des Papstes Marlin IV. v. J. 1285
anzusehen scheint, in welchem derselbe sich über die Deutschen
beklagt, welche die Zahlung des Peterspfennigs verweigern „licet
terras et possessiones excolant, quarum ratione consuevit solvi
denarius b. Petri 11 .
Es kann nicht geleugnet werden, dass in diese jedenfalls
schwankenden Verhältnisse ein consequentes, logisches Princip hin
ein kam, als 1318 Papst Johann XXII. alles Ernstes darauf drang,
dass ihm der Peterspfennig wirklich als Kopfsteuer, de quolibet
humano capite ein Denar, gezahlt werden solle, ja dass sogar die
Steuer für die Zeit, wo ihre Zahlung ausgefallen wäre, nachgezahlt
werden sollte. Als ihm allgemeiner Widerspruch entgegentrat, wurde
Bischof Heinrich von Breslau noch in seinem letzten Lebensjahre
gezwungen, über die Widerspenstigen, darunter vor allen die Stadt
Breslau, das Interdict zu verhängen 3 ).
Johann hat nun zwar sich schwerlich darüber getäuscht, dass
eine wirkliche Ausführung dieser Forderung unmöglich sich bewerk-
A ) Bei Stenzei Scptt. rer. Sil. I. 10. Hier wird die schon erwähnte Sage von der Ein
führung des Peterspfennigs durch Kasimir den Mönch so dargestellt, dass Kasimir
damals geloht habe, seine Unterthanen sollten de singulis familiis unum demrium
cum impressione capitis St. Joannis vcl 2 mcnsuras avcnc Sto. Petro Rome pro lumine
geben. Es ist nun durchaus wahrscheinlich, dass hier blos für ein noch zur Zeit des
Chronisten geltendes Princip eine Begründung aus uralter Zeit gesucht werden
sollte.
3 ) Vergl. die Zusammenstellungen Wattenbach’s Cod. dipl. Sil. V. 77. Anm. 1.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLV11. Bd. I. Hft. 2
18
G r ü n h a g e n
slelligeu lasse; doch hatte er allen Grund zu hoffen, dass seine hohe
Forderung, die dabei doch logisch und mit einem Schein des Rechts
ausgestattet war, wenigstens die Folge haben würde, dass die
schlesischen Fürsten und Städte um Schlimmerem zu entgehen, nun
doch mit der Zahlung Ernst machten und sich zu annehmbaren Ab
findungen bereit finden Hessen. Mit besonderer Energie ward die
Sache dann 1325 in Angriff genommen, wo zwei päpstliche Sammler,
Andreas von Veroli und Peter von Auvergne, mit den ausgedehnte
sten Vollmachten und dabei mit den für ein solches Amt nothwen-
digen persönlichen Eigenschaften, Energie und Unerschrockenheit,
ausgestattet hier erschienen.
Wir werden auf die Entwickelung dieser Verhältnisse noch
zurückzukommen Veranlassung haben und bei dieser Gelegenheit
auch uns überzeugen, dass die mannigfaltigen Besteuerungsformen
des schlesischen Klerus durch den Papst keineswegs mit den hier
besprochenen erschöpft sind, doch zunächst müssen wir unsere
Betrachtung auf die merkwürdige Thatsache lenken, dass bei den
hier geschilderten Verhältnissen durchweg übereinstimmend das
Jahr 1325 einen Wendepunct bildet, wo dann der Papst auf allen
Puncten mit besonderer erhöhter Energie vorschreitet. Den Grund
hiefür haben wir augenscheinlich in der gerade damals entschiedener
genommenen allgemeinen politischen Stellung des Papstes und seiner
festen geschlossenen Bundesgenossenschaft mit Polen zu suchen.
Wir werden auch hier nicht umhin können, einen kurzen Blick auf
die frühere Zeit zu werfen.
Die im 13. Jahrhundert beginnende Germanisation Schlesiens
war ja eigentlich durch die Heranziehung deutscher Mönche in neu
gestiftete Klöster wesentlich begründet worden, es war also natürlich,
dass hier der Klerus selbst sehr schnell germanisirt wurde, die
Bischöfe, wenn gleich einige derselben Polen gewesen sein mögen ’)
i) Die Nachrichten über die Abkunft der verschiedenen Bischöfe stammen fast alle aus
Ülugosz Chron. episc. (ed. Lipf. 1847), und bei seiner unzuverlässigen und dabei
tendenziösen Art liege ich grossen Zweifel, ob man sie immer für wahr halten darf,
die ganze kleiue Schrift scheint darauf berechnet, seinem Gönner Bischof Rudolf,
einem Rheinländer, klar zu machen, dass die schlesische Kirche, welche durch
Bischöfe, die er fast ohne Ausnahme aus polnischen Adelsgeschlechtern stammen
lässt, erst zu Reichthum und Ansehen gekommen sei, den schnödesten Undank
begehen würde, wenn sie Massregeln, wie die durch den von ihm desshalb mit den
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
19
und wenn gleich auch sie wie in der Zehntenangelegenheit mit den
Deutschen in Contlicte geriethen, scheinen doch die Ansiedluug
vun Deutschen eher begünstigt als gehindert zu haben, und bewirkten
selbst auf den dein Bischof als Landesherrn unterthänigen Gütern
deutsche Ansiedlungen, wozu allerdings schon der klar zu Tage
liegende finanzielle Vortheil anlockte. Dass die nach deutschem Rechte
neu gegründeten Dörfer nur deutsche Pfarrer brauchen konnten,
verstand sich von selbst, aber auch in die höheren geistlichen
Stellen, die Pfründen der Domgeistlichkeit und der angesehe
nen Collegiatstifte, fanden die Mitglieder des schon im 13. Jahr
hundert um die Fürsten versammelten deutschen Adels, so wie
Patrieier aus den grösseren Städten schnell Eintritt, ohne das wir
eine Andeutung principiellen Widerstandes dagegen uachzuweisen
vermöchten.
Die meisten Slaven scheinen noch in den vorzugsweise aus den
unteren Volksclassen gebildeten Minoritenklöstern gewesen zu sein,
doch auch hier hatte sich schon im 13. Jahrhundert eine Reaction
vollzogen, indem damals von den zwölf schlesischen Minoritenklöstern
acht von der polnischen Provinz zur sächsischen übertraten *).
Dagegen sah man das Vordringen des deutschen Elementes,
welches ja im 13. Jahrhundert ausser Breslau auch schon andere
Theile des Gnesener Sprengels ergriffen hatte, wie das Krakauer und
Kühner Gebiet, in der rein polnischen Metropole selbst mit sehr
ungünstigen Augen an, und schon um die Mitte des 13. Jahr
hunderts finden wir auf einer von Gnesen aus veranstalteten Synode
die wichtige Bestimmung getroffen, dass in der ganzen polnischen
Diöcese als Leiter der höheren Schulen nur Männer angestellt
werden sollten, welche der polnischen Sprache so weit mächtig
wären, um die lateinischen Autoren in’s Polnische übersetzen lassen
zu können 3 ), und gegen Ende dieses Jahrhunderts wiederholte der
Erzbischof von Gnesen Jakob diese Bestimmung unter Hinzufügung
denkbar schwärzesten Farben geschilderten Bischof Konrad angeordnete Aus
schliessung von Polen von den geistlichen Würden einführte. Von Bischof Nanker,
den er, weil derselbe im polnischen Interesse thätig war, mit Absicht zum Schlesier
macht, werden wir das Unrichtige dieser Behauptung direct nachweisen können.
*) Stenzei. Bisthums-Urk. Einl. LXV.
2 ) Hube a. a. 0. S. 13. Die Synode incerti anni et loci wird von dem Herausgeber in
die Zeit zwischen 1344 und 1348 gesetzt.
2 •
20
Grünhagen
der noch viel weitergehenden Forderung, dass überhaupt Fremde
zu einem Kirchenamt, mit dem Seelsorge verbunden sei, nicht
zugelassen werden dürften i)- Ob und in wieweit sich hierbei auch
päpstlicher Einfluss geltend gemacht, vermögen wir nicht mehr
nachzuweisen, aber natürlich war es, dass von dem Augenblicke an,
wo es sich herausstellte, dass die in Polen eingewanderten Deutschen
der Zahlung des Peterspfennigs hartnäckigen Widerstand entgegen
setzten, die Päpste in ihnen Feinde erblicken mussten, und ganz
besonders bedenklich mussten die im 13. Jahrhundert mehrfach
wiederholten Versuche schlesischer Fürsten erscheinen, dieses
Land ganz dem deutschen Reiche einzuverleiben 3 ), mit deren
Durchführung der Peterspfennig von selbst weggefallen wäre. Und
wenn nun das Polenreich auf nationaler Grundlage neu gekräftigt
sich die Bekämpfung des deutschen Elements als Ziel setzte und
dann auch eine Wiedererwerbung Schlesiens in Aussicht nahm, so
konnte solchem Plane die Bundesgenossenschaft des päpstlichen
Stuhles nicht fehlen. Aber gegen das Ende des 13. Jahrhunderts
waren die wirklichen Machtverhältnisse solchen Bestrebungen durch
aus ungünstig, der Anfall Polens an Böhmen liess an Derartiges nicht
denken, und selbst als 1306 nach der Ermordung des letzten Prze-
mysliden, Wenzel’s III., die Herrschaft Polens in die Hände Wladislaw
Lokietek’s kam, welcher mehr als irgend ein anderer das Programm
der altpolnischen Partei zur Geltung brachte, war die Überzeugung
von der Gemeinsamkeit jener Interessen noch nicht so weit lebendig,
dass dem gegenüber die Reibungen zwischen geistlicher und welt
licher Gewalt, wie sie ganz besonders die Gewaltthätigkeit und
Habgier der Fürsten aller Orten hervorzurufen pflegten, zum
Schweigen gekommen wären. Konnte es doch kommen, dass Wla
dislaw zu derselben Zeit mit der deutschen Bürgerschaft in Krakau
und mit dem dortigen Bischöfe in lebhaften Streit gerieth und den
letzteren aus dem Lande jagte, obwohl diesem, dem uns schon
bekannten Johann Moskata, gerade sein, besonders bei der Einsamm
lung des Peterspfennigs an den Tag gelegter Eifer für die päpst
lichen Interessen erst den Bischofsstuhl in Krakau verschafft hatte.
*) De non recipiendis alienigenis in Provincia Polonie ad beneficia ecclesiarum curain
animarum habentiura, Hube, 200.
2 ) Vergl. hierüber Grünhagen ; Breslau unter den Piasten. S. Bi, B2.
König; Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
21
Er blieb wirklich bis an seinen Tod (1320) in Schlesien in der
Verbannung durch seinen Breslauer Amtsbruder wenigstens vor
Mangel geschützt 1 )-
Allmählich indess vermochten doch die wirklichen Interessen
zur Geltung zu kommen, namentlich seitdem 1316 ein Mann von
solcher Energie und solchem Scharfblick wie Johann XXII. den
päpstlichen Stuhl bestiegen hatte.
Zwar tritt auch dieser zunächst vorsichtig auf, weil er bei
seinem Streite mit König Ludwig von Baiern es mit dem Nebenbuhler
Wladislaw’s um die Krone Polens, König Johann, nicht gern ganz
verderben wollte, und noch 1319 in einem an die Geistlichkeit und
den Adel Polens gerichteten Schreiben hält er den Ständpunct eines
Schiedsrichters, der seinen Spruch noch nicht abgeben könne, auf
recht 3 ), allerdings in einer dem polnischen Fürsten, dem er seine
Zuneigung ausserdem in manchen anderen Angelegenheiten hinrei
chend gezeigt hatte, höchst wohlgesinnten Form. Es wird Niemand
zweifeln, dass, als dann Wladislaw den 20. Juni 1320 sich feierlich
zum König krönen liess, er dies im vollsten Einverständnisse mit dem
Papste that, und nachdem er diesem die bündigsten Versicherungen
in Betreff des Peterspfennigs, % der der Forderung Johann’s entspre
chend in ganz Polen kopfweise erhoben werden sollte, gegeben
halte 3 ). Zu derselben Zeit gab auch der Tod Johannes Moskata's
Gelegenheit, den bischöflichen Stuhl zu Krakau mit einem eifrigen
Polen, Namens Nanker, zu besetzen. Für Papst Johann verwickelten
sich damals die Verhältnisse so, dass ihm die Bundesgenossenschaft
mit dem mehr und mehr erstarkenden Slavenreiche wohl willkommen
sein konnte. Sein Gegner im Reiche, Kaiser Ludwig, des Gegen
königs Herr geworden, trotzte ihm kühn, und der Böhmenkönig war
auf dessen Seite getreten. 1324 sprach nun Johann über Ludwig
den Bann aus und das Interdict über seine Länder, und diesem mit
geistlichen Waffen geführten Kampfe sollte sich nach dem Willen
des Papstes noch ein weiterer Angriff zugesellen, den Wladislaw
*) Vergl. Cod, dipl. Sil. V. 220. Wagner Anna!. Scepus. III. 28 und die Urkunde von
132ö hei Fejer, Cod. dipl. Ungar. VIII. 2. 638, welche Quellen dem Fortsetzer der
polnischen Geschichte, Herrn Caro entgangen zu sein scheinen.
2 ) Theiner I, 146.
") Chron. aulae regiae hei Dobner Monum. V. 379 und die Lübecker Annalen Mon.
Germ. Scptt. XVI. 425.
22
0 r i'i n h a g e n
hier auf weiter Linie von Osten her ausführen sollte, auch hier nach
Kräften unterstützt durch den Einfluss des Papstes. Diesem Letz
teren wäre es freilich ganz besonders erwünscht gewesen, wenn
Wladislaw das Land, welches kurz vorher an den Sohn des ver
hassten Gegners gekommen war, die Mark Brandenburg durch einen
kräftig unternommenen Einfall bekriegt hätte, und als Wladislaw zu
diesem Zwecke (18. Juni 1326) ein Bündniss mit den Herzogen von
Pommern abschloss, ermunterte der Papst dieselben, ebenso wie den
Herzog von Glogau, zu energischem Auftreten <), rief auch direct die
Brandenburger gegen Markgraf Ludwig auf 2 ). 1326 drang wirk
lich ein polnisch-litthauisches Heer unter entsetzlichen Verwüstungen
in die Mark ein «).
Aber nicht minder nahmen die schlesischen Verhältnisse die
Aufmerksamkeit der Verbündeten in Anspruch. Hier hatten die vor
Allem durch die ruhelose Gewaltsamkeit des unverbesserlichen
BoleslaY von Liegnitz immer von Neuem angefacbten Fehden zwi
schen den zahlreichen kleinen Fürsten einen Zustand herbeigeführt,
der mehr und mehr unerträglich ward und schliesslich die Anlehnung
an einen grösseren Staat zur unabweislichen Nothwendigkeit machte.
Die Wage konnte nur zwischen Polen und Böhmen schwanken,
und dass die Entscheidung nicht für das Letztere fiel, lag ebenso im
Interesse Polens, welches dann die noch immer genährte Hoffnung
auf eine einstmalige Wiedererwerbung Schlesiens aufgeben konnte,
als in dem des Papstes, welcher in dem Anschluss Schlesiens an
Böhmen nicht nur die Vergrösserung einer ihm feindlich gesinnten
Macht, sondern auch einen Sieg des deutschen Elementes und damit
eine wesentliche Gefahr für den Peterspfennig sehen musste. Zu
wiederholten Malen (1323 und 1326) drangen die polnischen
Kriegsheere verwüstend in Schlesien ein, doch sie mochten grossen
Schrecken verbreiten und sogar den Breslauern eine bedeutende
Geldsumme abpressen 4 ), aber es hätte sehr schlimm kommen
müssen, hätten sie die Wirkung haben sollen, die Hauptstadt des
Landes und ihre deutsche Bürgerschaft zur Unterwerfung unter den
1) Theiner I, 218.
2 ) Raynalil 7.. J. 132S XV.
8 ) Caro, Geschichte Polens 117
•*) Cod. dipl. Sil. III 49.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
23
anerkannten Feind der Deutschen zu bewegen. Papst Johann seiner
seits Iiess es an wirksamer Unterstützung nicht fehlen, und wir
müssen eingestehen, dass er mit grosser Energie vorging. In allen
den zahlreichen officiellen Actenstücken wird Schlesien, wie es
kirchlich zur polnischen Kirchenprovinz gehörte, so auch politisch
als zum polnischen Reiche gehörig bezeichnet, und als zwischen
Wladislaw und seinem schlesischen Bundesgenossen Herzog Bole-
slaw eine Spannung eingetreten war, bemühte sich der Papst, auf
diesen letzteren einen mächtigen und, wie es scheint, nicht erfolg
losen Druck dadurch auszuüben, dass er zwei Executoren ernannte,
welche Boleslaw zur Herausgabe des Herzogthums Liegnitz an sei
nen Bruder Wladislaw (der in den Priesterstand getreten war)
anhalten sollten *).
Nicht minder waren auch die päpstlichen Gesandten, welche in
jener Zeit dauernd ihren Wohnsitz in Breslau aufschlugen, unzwei
felhaft eifrig für die polnischen Interessen thätig, ja der Papst thut
sogar eine Reihe von Schritten, welche als directe Feindseligkeiten
gegen das deutsche Element in Schlesien im Priester- wie im Laien
stande gerichtet, angesehen werden mussten.
Es war eine nicht zu verkennende Demonstration, als der päpst
liche Legat auf der von ihm am 19. Februar 1326 veranstalteten
Synode jenes schon erwähnte Edict des Erzbischofs Jakob, welches
die alienigenae. d. h. zunächst die Deutschen von der geistlichen
Seelsorge und Jeden, der nicht polnisch verstände, von der Leitung
einer Schule ausschloss, verschärfend erneuerte 2 ). In demselben
Sinne hatte es sich der Papst selbst von Anfang an angelegen sein
lassen, in die erledigten höheren Pfründen der Breslauer Diöcese
nur Polen zu bringen 3 ), wobei er etwaigen Wünschen des Königs
1) 1325, Aug. 13. Theiner I, 218. Diese Thatsache dürfte meiner, die damaligen poli
tischen Verhältnisse Schlesiens eingehender schildernden Darstellung- (Breslau unter
den Piasten, S. 56 und 58), sowie der Caro’s a. a. 0., S. 119 und 120, welcher der
ineinigen gefolgt zu sein scheint, hinzuzu fügen sein. Mit ihr in chronologischer
Hinsicht die Anführung der Urk. von 1325, Juni 18 bei Schöltgen und Kreyssig III. 31
in Einklang zu bringen, ist hier nicht der Ort.
2 ) Hube a. a. 0. 200. 1
Unter den Provisionen und Collationen, welche bei Theiner urkundlich verzeichnet
stehen (wo natürlich nur von den höheren kirchlichen Würden, den Canonicaten der
Doinkirche und den Prälaturen der Collegiatstifte die Rede ist) und deren ich von
1319—1326 10 auffinde, bemerkt man fast nur Polen, meistens aus den eigentlichen
24
G r ii n li n g e n
von Polen um so lieber entgegenkam, als dessen Interessen ja mit
den seinigen zusammenfielen, so dass das Breslauer Capitel es sich
allenfalls ausrechnen konnte, binnen welcher Zeit eine so fort
gesetzte Praxis ihr Collegium vollständig polonisirt haben würde.
Freilich wurden auch diese Gunstbezeugungen nicht umsonst
ertheilt 1 ); doch um die Auserwählten in einen recht zahlungs
fähigen Zustand zu setzen, wurden ihnen ausnahmsweise die uner
hörtesten Cumulationen von Benefizien gestattet-).
Sogar die vielfachen Ketzereien, deren Bekämpfung man sich
schon seit Anfang des Jahrhunderts hatte angelegen sein lassen, und
welche sogar 1315 in Schweidnitz und Breslau zu Autodafes Veran
lassung gegeben hatten 3 ), wurden jetzt vom Papste den Deutschen
und Böhmen in die Schuhe geschoben 4 ).
Wenn nun ausserdem die päpstlichen Gesandten in Breslau
ihren Wohnsitz aufschlugen und hier mit besonderer Härte
nicht nur den Peterspfennig in der ungewohnten Form der Kopf
steuer, sondern auch jene anderen oben geschilderten, zum Theil
unerhörten Steuern eintrieben, so konnten die Schlesier wohl mer
ken, dass der Zorn des heiligen Vaters besonders schwer auf ihnen
laste, und die Legaten werden es an Andeutungen nicht haben fehlen
lassen, durch welche Mittel man denselben besänftigen könne. Ein
besonderer Schlag ward aber noch gegen das Capitel und das
eigentliche Haupt desselben und der deutschen Partei des schlesi
schen Klerus, den Domherrn Nicolaus von Banz, geführt, indem die
Legaten 1325 iastruirt wurden, von demselben sowie seinem Col-
legen Heinrich von Drogus, in deren Händen vorzugsweise die
polnischen Diöcesen herübergenommen, hei zweien, wo der Name deutsch ist,
Gregor de Hehel und Henr. de Löwenberg lässt der Zusatz, die Collation sei „ex
considcratione regis Wladislai" erfolgt, über die Gesinnung keinen Zweifel.
*) Bis zu 50 Goldgulden ward in jener Zeit zu Avignon für einen solchen Gnadenbrief
gezahlt. Alvarez Pelag., de planctu eccles. II. 7 bei Christophe, Geschichte des
Papstthums II. 14, Anm. 2.
2 ) Um nur ein Beispiel von den vielen, welche Theiner darbietet, herauszugreifen, möge
angeführt werden, dass i. J. 1324 Bogufal von Covale die Scholasterie in Breslau
erhält non obstantibus statutis etc. und ohngeaehtet dessen, dass er schon Canoni-
cate und Pfründen in der Leslauer, Breslauer, Krakauer, Posener und Kruswitzer
Diöcese besitzt, dafür soll er aber die Pfarrkirche in Chlewik jetzt aufgeben. Thei
ner I, 185.
3 ) Wattenbach's Monum. Lnbensia S. 10.
4 ) Theiner I, 297.
König 1 Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
25
Administration des Bistlnims gelegen *)> nicht nur in der Zeit der
Sedisvaeanz seit Bischof Heinrich’s Tode (1319), sondern auch
schon früher in der Zeit, wo der letztere suspendirt gewesen war,
Rechenschaft zu verlangen für die in jenen Zeiten eingenommenen
bischöflichen Einkünfte, ja sogar deren Ablieferung an die päpstliche
Kammer durchzusetzen"), eine Forderung, welche nicht weniger
auf eine neue Gelderpressung, als auf die Discreditirung der beiden
hei der polnischen Partei besonders verhassten Männer hiuauslief.
Alle diese vom Papst angeordneten Mittel hatten nun zwar in
der Hauptsache, was die Festhaltung der Schlesier an Polen und die
Verhinderung des Anschlusses an Böhmen betraf, nicht mehr Erfolg
als die Kriegszüge König Wladislaw’s, aber den schlesischen Klerus
trafen sie nichts destoweniger sehr hart; man wird zugestehen
müssen, dass sich kaum jemals ein Domcapitel in so peinlicher
schwieriger Lage befunden hat, als das Breslauer solchen Verhält
nissen gegenüber, und die Geschichte darf demselben und besonders
dem Manne, der fast 30 Jahre hindurch dessen eigentlicher Leiter
gewesen ist, eben jenem Nicolaus von Banz wegen der ungemein
klugen und massvollen Art, wie er in so übler Lage sich durch
geholfen, die vollste Anerkennung nicht versagen.
Die Gegensätze zwischen polnisch und deutsch mit ihren
unvermeidlichen Consequenzen hatten schon zu Bischof Heinrich’s
Zeit sich auch im Schosse der Domgeistlichkeit geltend gemacht,
aber zu besonders lebhaftem Ausbruch kamen sie erst, als nach
dessen Tode 1319, Sept. 23., nachdem die deutsche Majorität den
bisherigen Cantor Veit zum Bischof gewählt und auch dessen Con-
secration von dem Erzbischof von Gnesen durchgesetzt hatte, die
polnische Minorität zu Gunsten ihres Candidaten, des Glogauer
Archidiakon Lutold, des päpstlichen Schutzes gewiss, die Wahl
anfocht und nun beide Candidaten nach Avignon citirt wurden, wo
dann die Sache, natürlich nicht ohne bedeutenden Geldaufwand, mit
Absicht lange hingezogen wurde, bis man endlich den schon hoch
bejahrten Veit eben so, wie dessen Gegner Lutold zur Resignation
1 ) ln ihren Händen scheinen vorzugsweise die Temporalien gelegen zu haben, als
Administratoren in spiritualibus erscheinen der Probst Heim*, v. Baruth und Arn. v.
Protzan.
2 ) Theiner f, 206.
26
Grünlingen
bewog und so freie Hand in Betreff der Besetzung erhielt!). Die
verwaiste Breslauer Kirche und das sie jetzt leitende Domcapitel
kam in eine um so schlimmere Lage, als gerade um die Zeit von
Bischof Heinrich’s Tode das schroffe Auftreten der päpstlichen
Legalen in Betreff des Peterspfennigs und dessen Erhebung nach
Köpfen einen lebhaften Conflict mit den schlesischen Fürsten und
der Stadt Breslau und in Folge dessen das Interdict hervorgerufen
hatte.
Nichts war natürlicher als dass, nachdem es klar geworden
war, die Gunst des heiligen Vaters sich wesentlich der polnischen
Partei des Klerus zuwende und eben so der Einfluss des mächtigen
polnischen Königs und des Metropoliten demselben zur Seite stehe,
auch die deutsche Majorität sich nach dem Rückhalte einer politi
schen Macht umsah, und ich zweifle keinen Augenblick, dass auch
in diesen Kreisen der Gedanke eines Anschlusses an Böhmen leb
haft in’s Auge gefasst, ja geradezu ersehnt wurde. Doch beim Tode
Bischofs Heinrich lag diese Möglichkeit noch fern, und man musste
sich mit möglichst engem Anschluss an die schlesischen Fürsten und
die Stadt Breslau begnügen. Freilich war dies misslich genug, da
ein grosser Tlieil der Fürsten in ihrer rohen Gewaltsamkeit die
Erhaltung eines guten Einvernehmens mit ihnen der Geistlichkeit
sehr erschwerte. Bei weitem die zuverlässigsten dieser natürlichen
Bundesgenossen waren die Breslauer mit ihrem guten Herzog
Heinrich VI., der selbst vollständig in den Händen des Breslauer
Patriciats war, welches das Herzogthum eben so gut wie die Stadt
beherrschte, und nicht minder treten Angehörige derselben Familien
auch in dem Domcapitel auf, so dass zu jenen politischen Rück
sichten sich auch noch verwandtschaftliche Bande gesellen, wie denn
der vielgenannte Domherr Nicolaus von Banz uns von einer wenig
späteren Quelle ausdrücklich als Minister des Herzogs bezeichnet
wird 2 ). Freilich war selbst in diesen Beziehungen zu den Bres
lauern die grösste Behutsamkeit und Vorsicht geboten; man musste
doch zwischen der herrschenden Aristokratie und der grossen Masse
*) Theiner 1, 292. Ganz Ähnliches scheint sich um dieselbe Zeit in Lehns zugetragen
zu haben, vgl. Wattenbach's Zusammenstellung der hierauf bezüglichen Anfüh
rungen. Anm. 1 zu p. 11G des Cod. dipl. Sil. V.
2 ) De consilio ducis. Chron. princ. Pol. Stenzei Scptt. rer. Sil. I. 129.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
27
der Bürgerschaft unterscheiden, welche letztere trotzig und selbst
bewusst für die Domgeistlichkeit wenig Sympathien hatte, und welche
sich begreiflicher Weise durch jene Rücksichten der Staatsklugkeit
nicht im Entferntesten von Reibungen und Provocationen mancherlei
Art zurückhalten liess. Doch einerseits vermochte gerade in den
zwanziger Jahren die Breslauer Aristokratie die Zügel etwas fester
anzuziehen i), andererseits liess es auch die Geistlichkeit nicht an
Bemühungen fehlen, um einem ernsthaften Conflicte mit der befreun
deten Stadt aus dem Wege zu gehen. Charakteristisch ist hiefür die
Praxis, welche die Administratoren in der Zeit von Bischof Heinrichs
Abwesenheit (1311) bezüglich eines über Breslau verhängten Inter-
dicts beobachteten, indem sie nämlich dasselbe allein auf diejenige
städtische Parochie, in welcher der Frevel begangen war, der
Ursache des Interdicts geworden, beschränkten a ).
Beim Tode Bischof Heinrich’s waren nun alle diese Verhältnisse
auf’s Schlimmste getrübt, die Fürsten und Städte Schlesiens in höch
ster Aufregung wegen der unerhörten Forderung des Peterspfennigs
als Kopfsteuer, fast ganz Schlesien im Interdict, das Capitel selbst
wegen der missliebigen Wahl beim Papste in Ungnade. Aber die
deutsche Majorität, den klugen Nicolaus von Banz an der Spitze,
verlor nicht den Muth und suchte vor Allem die gespannten Verhält
nisse in den Weg friedlicher Transactionen zu bringen. Während
die Protestalionen der Schlesier durch einen Gesandten in Avignon
vorgebracht wurden =), gelang es daneben doch, die Breslauer und
auch andere schlesische Fürsten, zunächst wenigstens zur Zahlung
einer bestimmten Summe zu vermögen 4 ).
Daneben aber wenden sich die Domherren an den Erzbischof
von Gnesen und beschwören denselben unter beweglicher Schilde
rung ihrer verzweiflungsvollen Lage, da nun einmal die schlesischen
Fürsten von der Zahlung des Peterspfennigs als Kopfsteuer nichts
hören wollten, und das Capitel selbst durch deren Zorn in die
! ) Vgl. Grünlingen, Breslau unter (len Piasten, S. 42 ff.
~) Das Capitel hatte dieses Verfahren hei dem päpstlichen Legaten Cardinal Gentilis
durchgesetzt und beruft*sich später darauf. Formell». 213 und 273.
3 ) Vgl. die Zusammenstellungen Waltenbach’s über die Verhandlungen in Avignon.
Formell». 77, Anm. 1.
4 ) 12 Mark zahlten die Breslauer. Cod. dipl. .Sil. III 43. Vgl. den demnächst anzu
führenden Brief a. d. Erzb. v. Gnesen.
28
Grünhagen
grösste Gefahr komme, sich für dies Jahr (1320) noch einmal die
Zahlung in der Form des Pauschquantums (selbst hiezu, klagt das
Capitel, hätten sie mit grösster Mühe gebracht werden können)
gefallen zu lassen, bis die Sache selbst von dem Papste entschieden
wäre ')• Als der Erzbischof theilnehmend antwortet, regen sie von
Neuem den Gedanken an, den Papst überhaupt durch eine bestimmte
Summe aus jeder Parochie oder jedem Fürstenthum zufrieden zu
stellen 3 ). Zwar hierauf scheint man nicht eingegangen zu sein,
doch gelingt es den unablässigen Anstrengungen des Capitels, von
den schlesischen Fürsten noch weitere Concessionen zu erlangen;
dieselben wollen den Peterspfennig vorläufig kopfweise zahlen, doch
unter Protest, dass dieses ihnen für ihr Recht nicht präjudicirlich
sein sollte, und erfreut berichtet das Capitel das nach Gnesen,
beschwört den Erzbischof, sich denVorhehalt gefallen zu lassen und
hebt nun das Iuterdict auf 3 ).
Korirad von Oels und Heinrich von Breslau, welche bei ihren
Heiraten päpstliche Dispense bedurften, scheinen unter den Ersten
gewesen zu sein, die sich dazu verstanden 4 ), Heinrich von Glogau
folgt, durch gleiche Gründe bestimmt, bald nach 5 ). Auf die lebhafte
Verwendung des Capitels hatte der Papst sehr bereitwillig und
freundlich den gewünschten Dispens ertheilt, auch einige CapHine
des Breslauer Herzogs mit Pfründen versorgt, wofür dieser noch
besonders dankt.
So schien die Eintracht leidlich wieder hergestellt, doch nicht
für lange Zeit; es folgten die verheerenden Raubzüge des Polen
königs und Herzog ßoleslaw’s und schwerlich ohne Zusammenhang
hiermit die ersten Verhandlungen der Breslauer mit Böhmen, dann
der vollständige Bruch des Papstes mit dem Kaiser, dessen Verbün
deter ja Johann von Böhmen war, und darauf die Sendung der
päpstlichen Gesandten nach Breslau mit den gemessensten Instruc
tionen und auf’s Höchste geschraubten Forderungen. Man könnte
*) Formell). 223.
2) Ebendas. S. 241 (III. 33).
3 ) Ebendas. S. 223. Dass das Iuterdict. 1321 schon aufgehoben war, erhellt, aus der
Anordnung auf S. 91.
4 ) Formelb. 209 und Theiner I, 175, 7ß.
5 ) Vom 23. Juni 1823 ist die betreffende Urkunde datirf. Böhme dipl. Beiträge
VI. 158.
Köliig Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 29
leicht zu dem Glauben kommen, es sei dies schroffere Auftreten
des Papstes auch wohl durch eine in diesen kriegerischen Zeiten
leicht erklärliche erneute Stockung in der Zahlung des Peterspfen
nigs bewirkt worden, um so mehr, da sich in der Instruction des
päpstlichen Gesandten von 1325 Andeutungen auf solche Versäum
nisse finden*); doch finden wir, dass die vor der Ankunft des päpst
lichen Gesandten zu Einsammlern in ganz Polen bestimmten Bischöfe
von Gnesen und Leslau aus allen den Jahren von 1322—23 nicht
unbedeutende Summen abführen ohne irgend eine Erwähnung, dass
in der Diöcese Breslau besonderer Widerstand geleistet worden
wäre 2 ), und speciell aus dem Jahre 1325 liefern dieselben aus der
Stadt und einem Theile der Diöcese an ihre Nachfolger 10‘/ 3 Mark
Gold und 31 s / 4 Mark Silber ab, eine Summe, welche der durch den
Legaten im folgenden Jahre dort gesammelten 1 Mark Gold 136
Silber ungefähr entspricht 3 ), ja noch mehr, in den Breslauer Rech-
nungsbüchern finden wir für das Jahr 1326 die ungeheure Summe
von 548‘/ 6 Mark für Zahlungen an die Curie ausgeworfen 4 ), d. h.
fast so viel als die gesammten herzoglichen Steuern in einem Jahre
betrugen (d. i. 560 Mark).
Auch der an die Administratoren gerichteten harten Forderung,
die bischöflichen Einnahmen aus der ganzen Zeit der Sedisvacanz
an die päpstlichen Gesandten abzuliefern, suchten diese gerecht zu
werden, doch, obwohl sie zu diesem Zwecke den im Lieguitzer
Gebiete liegenden bischöflichen Gütercomplex (procuratia Legni-
censis, sive territorium Legnlcense) der päpstlichen Kammer
verpfändeten und diese sehr bedeutende Summen hieraus gezogen
1) Theiner I, 211.
2) Ebendas. I, 281 ff.
s ) Theiner 274.
4 ) Pro auro pagato in Flandria 548 M. et 4 scot. Cod. dipl. Sil. III 52. Ich möchte
bestimmt glauben, dass das dieselbe oder wenigstens eine gleichartige Zahlung mit
der gewesen ist, welche die Breslauer 1330 zu Brügge an die Gesellschaft der
Bardi auf päpstliche Anweisung leisten (Theiner I, 330). Allerdings ist an dieser
Stelle nur von 480 Mk. Trogani ponderis die Rede, doch könnte der Mehrbetrag auf
Agio und Reisekosten der Gesandten sehr wohl aufgehen. Dies Geld betrifft zwar
nicht den Peterspfennig, sondern die bischöflichen Revenuen der Sedisvacanz, doch
ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass die Breslauer hier dem Capitel geholfen
haben, sei es in der Form eines (natürlich unverzinslichen) Darlehens, sei es als ein
directes Geschenk; da wir von einer Rückzahlung nichts lesen, möchte man an das
Letztere glauben.
30
G r ü n h a g e n
hat *)» so vermochten sie doch den Ansprüchen der Legaten nicht
durchaus zu genügen, und noch 1327 klagen sie dem Papste, dass,
wenn die Forderungen der Legalen strict erfüllt werden sollten, der
neue Bischof nichts oder allzuwenig vorlinden würde, um mit seiner
Dienerschaft leben zu können 3 ). Die päpstlichen Sammler hatten
übrigens zur Erhöhung der verlangten Summe noch ein besonderes
Mittel gefunden, welches ihnen allerdings ihre Instruction selbst an
die Hand gab. Diese letztere nämlich (1325, Juni 22) 8 ) verlangt
Rechenschaftsablegung, resp. Ablieferung der bischöflichen Einnahmen
nicht nur aus der Zeit der Sedisvacanz, sondern auch aus der der Sus
pension Bischof Ileinrich’s und fügt hinzu, derselbe sei nach dem Tode
Papst Clemens’ V. (1314) eigenmächtig nach Breslau zurückgekehrt.
Natürlich folgerten die Legaten hieraus, da dem Bischof Hein
rich die Verwaltung des Bisthums niemals legaliter zurückgegeben
worden sei, also seine Suspension bis an seinen Tod fortgedauert
habe, so müssten die Administratoren für die ganze Zeit von der
Suspension an (1309) bis jetzt bezüglich der Einnahmen haften.
Diese behaupteten dagegen, der Bischof sei ganz ausdrücklich von
Papst Clemens V. restiluirt worden, und sie hätten auf Grund dieser
Restitutions-Urkunde demselben damals Rechenschaft abgelegt und
wären jeder Verantwortung für die Zeit der Suspension ledig. Leider
fand sich jedoch (wovon wohl die Legaten Kunde haben mochten)
jene Restitutions-Urkunde nicht mehr vor, und das Capitel wendet
sich desshalb brieflich an einen Freund in Avignon, um durch dessen
Vermittelung eine neue Ausfertigung aus dem päpstlichen Register
zu erhalten 4 ). Ob es dieselbe erlangt hat, wissen wir nicht, wohl
aber, dass das Capitel im vollsten Rechte war, da die betreffende
Urkunde vom 12. October 1313 jetzt aus dem päpstlichen Archive
von Theiner mitgetheilt worden ist und dieselbe eine ganz unzwei
deutige Restitution Bischof Heinrich’s enthält 5 ). Auch mögen wir aus
der später selbst aus dem Munde des Capitels wiederholt vorkom-
1) So im Jahre 1326, 370 Mk. Theiner I, 286 ; 1335, 700Mk.ibid. 373; im lä. Jalirh. als
tenuta Legnicensis bezeichnet. Copialbuch der IVIansionare der Kreuzkirche in Breslau,
f. 102.
3 ) Formelb. 260.
3) Theiner I, 206.
a) Formelb. 256.
5 ) 1. 124, teque restituimus ad administrationem praefatam.
Köiiig Johann von Böhmen und Bischof Nankev von Breslau.
31
menden Anführung, dass die Forderung der Legaten auf fünf Jahre
der Sedisvacanz sich beziehe (1320—25) ‘), schliessen, dass hier
das Capitel durchgedrungen ist.
Und wenn andererseits dieses Verfahren glauben machen
könnte, es habe Grund zu dem Argwohne Vorgelegen, die Admini
stratoren und besonders Nicolaus von Banz (sein College Henr. de
Drogus tritt gegen, ihn vollständig in den Schatten) habe sich bei
der Verwaltung der bischöflichen Einkünfte seihst zu bereichern
gesucht, so scheint dies doch bei näherer Betrachtung wenig glaub
lich. Wenn er mit einem Canonicate an der Domkirche noch eine
Prälatur (Kantorie) am Kreuzstift verband, so war dies eine hier
durchaus herkömmliche Combination. Ob er reich war, mögen wir
dahingestellt sein lassen. Zwar schenkt er am Anfänge der Sedis-
vacanz der Domkirche ein Landgut a ), doch sehen wir ihn anderer
seits den Ansprüchen der Legaten gegenüber 1325 oder 1326 in
der Nothwendigkeit, von der Stadt Geld aufzunehmen 3 ), und vor
Allem spricht gegen jeden Argwohn die Wahrnehmung, dass er, wie
wir noch weiter zu erwähnen haben werden, auch während der
Regierung des Bischofs Nanker in einem ganz eminenten Grade das
Vertrauen und die Achtung seiner Collegen im Capitel sich zu be
wahren vermag.
Dagegen dürfen wir in Betreff der beiden päpstlichen Gesandten
nicht verschweigen, dass diese nicht nur durch ein schroffes und
provocirendes Auftreten bei ihrem ohnehin schon hinreichend miss
lichen Geschäfte die Gemüther gegen sich erbittert, sondern auch
allgemein Klagen über ungebührliche und übermässige Ansprüche
und Erpressungen hervorgerufen, ja sogar trotz ihrer sehr bedeuten
den Diäten (1 f/ a Goldgulden pro Tag) und der zahlreichen Präben-
den, welche sie cumulirten, noch auf unredlicheWeise ihren Vortheil
gesucht haben. Von solchen Vorwürfen ist auch Andreas von Veroli
(i. d. Campagna), sonst der bei weitem bessere von Beiden, nicht
freigeblieben. Nachdem ihm (1319) durch päpstliche Provision ein
4 ) Z. B. Formelb. 260 Und 26i.
2 ) Formelb. 170; er bessiss die Hälfte der Burg- Kaldenslein, Sommersberg III, 49. Vgl.
Stenzei Scptt. 129, Anm, 9.
3 ) Cod. dipl. Sil. III, 53.
32
G r ii n h a g e n
Cunonicat in Breslau verschafft worden <), verweigert er ebenso wie
ein anderer (natürlich ein Pole) in gleicher Weise Beschenkter die
Leistung gewisser beim wirklichen Eintritt in eine Dompräbende
üblicher Leistungen, obwohl sich Beider Procuratoren dazu ver
pflichtet hatten, und das Capitel sieht sich genöthigt, geistliche
Richter in Anspruch zu nehmen 3 ). Andererseits fällt es uns schwer,
zu glauben, dass Alles mit rechten Dingen zugegangen sei, wenn, wie
er selbst eingestellt, 13 Mk. Goldstaub, die er eingenommen, beim
Einschmelzen sich um ein volles Drittel vermindern 3 ). Auch beschul
digt das Capitel ganz direct beide Legaten, z. B. von den schlesi
schen Cistercienser-Klöstern mehr verlangt zu haben, als wozu sie
ein Recht hatten, wie dasselbe auch die auf die Vicare ausgedehnte
Besteuerung als unrechtmässig darstellt und sich desshalb an den
Papst wendet 4 ).
Nichts destoweniger fand das Breslauer Capitel Veranlassung,
es lebhaft zu bedauern, als derselbe gegen Ende 1326 Breslau ver-
liess und so das Feld seinem ungleich schlimmeren Collegen Peter
von Auvergne, einem Kleriker der Diöcese von Limoges, der zugleich
für rechtsverständig galt, frei überliess. Derselbe gehörte zu der
Classe von Beamten, denen ihre Vorgesetzten um ihrer Brauchbar
keit im Geschäft und Tüchtigkeit willen vieles Bedenkliche nachzu
sehen geneigt sind, und erst eine Reihe von Jahren später hat der
päpstliche Stuhl ihn wegen mannigfacher Erpressungen und wuche
rischer Handlungen selbst zur Verantwortung gezogen. Von Rechts
wegen aber hätten schon die skandalösen Auftritte, welche derselbe
im Jahre 1327 in Breslau veranlasste, seine sofortige Abberufung
zur Folge haben müssen. Damals nämlich habe er, wie das Capitel
in einem Briefe an Andreas von Veroli klagt, einen aus angesehener
Breslauer Patricier-Familie stammenden Canonicus der Kreuzkirche,
Johann Winer, zugleich Caplan des Herzogs, in einem Wortwechsel
vor vielen Zeugen mit der geballten Faust in’s Gesicht geschlagen,
wie aus drei darüber aufgenommenen notariellen Urkunden hervor
gehe und darauf, als man ihn zur Rede gestellt, noch die beschim
pfende Verleumdung ausgesprochen, jener Johann Winer habe ihn
1) Theiner I, iö4.
2 ) Formelb. 90.
3 ) Theiner I, 274, Anm.
4) Formelb. 261.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
33
des von ihm für den Papst gesammelten Geldes berauben wollen.
Eine furchtbare Aufregung in der Stadt sei die Folge gewesen und
endlich seien der Herzog, die Consuln und eine ungeheure Menschen
menge auf den Dom herausgekommen und hätten tumultuarisch
verlangt, dass das Capitel den Frevler excommunicire, dieses habe
nach vergeblichen Versuchen, die erzürnte Menge zu besänftigen,
endlich mit Mühe einen kleinen Aufschub erlangt. Aber dasselbe
fürchtet, wenn nicht der Legat schleunigst die Stadt verlasse, eine
Wiederkehr ähnlicher Scenen; selbst wenn wider Vermuthen ein
Vergleich mit Johann Winer zu Stande käme, sei Peter hier nicht
mehr sicher, sein unschickliches und beleidigendes Benehmen habe
ihn zu allgemein verhasst gemacht, Andreas möge selbst zurück
kehren und seinen Collegen nach Krakau, oder wohin es immer sei,
gehen lassen ')•
Die Befürchtungen des Capitels waren nicht ungegründet, und
wir werden noch von weiteren Angriffen gegen den Legaten zu
berichten haben, deren Einzelheiten uns zugleich belehren, dass der
Zorn der Menge sich nicht allein gegen Peter, sondern auch einige
Canoniker, nämlich die polnische Partei im Capitel, richtete a ). Das
vollständige Gegenstück hierzu bildet das Attentat, das um dieselbe
Zeit von polnischer Seite oder wenigstens von dem mit Polen ver
bündeten Herzog Boleslaus auf den Führer der deutschen Partei im
Capitel, Nicolaus von Banz, versucht ward. Derselbe ward nämlich,
als er gerade einer Capitelsitzung beiwohnte, dort festgenommen
und nach dem Schlosse Jeltsch in der Nähe von Olilau gebracht,
von wo ihn jedoch seine Freunde bald wieder befreiten 3 ).
Aber auch nach anderer Seite hin zeigten sich Symptome
schlimmer Zerrüttung. Wir sahen schon, wie das Capitel Veranlassung
nahm, die Cistercienser in Schlesien bei ihrem Ordensoberen von
dem Verdacht des Ungehorsams zu reinigen, im Jahre 1326 sehen
wir aber den Papst gegen die Äbte des Sandstiftes und von Hein-
') Formell). 257.
2 ) Theiner I, 309.
3 ) Chron. princ. Pol. Stenzei St. J, 129.
4 ) Es wäre leicht möglich, dass die um jene Zeit im Sandslifte dauernd herrschenden
Streitigkeiten, welche sogar zu den ärgerlichsten Scenen geführt haben, auch hier
wie hei dem Domcapitel sich auf einen Gegensatz zwischen polnisch und deutsch
zurückführen liessen.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLVII. ßd. I. Ilft.
3
34
Grün h a g' e n
richau einschreiten, weil diese sich weigern, die gegen Ludwig den
Baier erlassenen päpstlichen Urtheilssprüche zu publiciren, wobei
dem von Heinrichau noch besonders vorgeworfen wird, dass er bei
dieser Gelegenheit sehr unehrerbietige Reden über den Papst aus
gesprochen habe. Es waren das Dinge, welche den Papst sehr beun
ruhigen konnten; schon waren im Reiche überall die Minoriten auf
Seite des Kaisers getreten, wie wenn jetzt auch in den Reihen der
obigen Klostergeistlichkeit die Empörung einriss ? Der schlesische
deutsche Klerus konnte am ersten Veranlassung finden, das Signal
dazu zu geben, seit der heilige Vater so eng mit den Feinden der
Deutschen, den Polen, verbunden war.
Freilich gab es, um die Folgen dieser Alliance aufzuheben, noch
friedlichere Mittel, das wirksamste war das, welches der Führer der
deutschen Partei, Nicolaus von Banz, ergriff, indem er im Verein
mit den Breslauern den Herzog bestimmte i), sein Land der Krone
Böhmens zu unterwerfen, nachdem eine Anzahl oberschlesischer
Herzoge dies schon einige Wochen früher gethan. Am 6. April ward
der Vertrag abgeschlossen 2 ), dem gegenüber sich der Legat Peter
mit einer Verwahrung aller päpstlichen Rechte begnügen musste #).
Für die Deutschen in Schlesien, Geistliche wie Laien, war
dieser Anschluss die Rettung vor der aufs Neue drohenden Poloni
sirung; die Fortdauer des alten Diöcesanverbandes mit Gnesen war
nun nichts weiter als eine Anomalie, die auf die Länge unhaltbar
werden musste, und wenn die vollgiltige Lösung des Bandes wirklich
noch für eine Zeit verhindert werden konnte, so war doch eine
sehr bedeutende Lockerung desselben unvermeidlich. Zunächst frei
lich drohte der Zorn des Papstes, der seinen Wunsch auf das
Empfindlichste durchkreuzt sah, und von dem vorauszusetzen war,
dass er das Capitel und dessen Leiter dafür verantwortlich machen
würde, was der Minister Heinrich’s VI. gethan hatte, und eben so
gewiss war es, dass gesteigerte Ansprüche der Legaten neue Con-
flicte hervorrufen würden. In diese nach allen Seiten hoch gespannten
!) Nie. v. Banz, der als das erklärte Haupt des Capitels erscheint, wird zu gleicher
Zeit von unserer ältesten Quelle als de consilio ducis bezeichnet (Chron. prine.
Pol. 129).
2 ) Vgl. Grünlingen : Breslau unter den Piasten 59.
s ) Muratori antiqu. Ital. VI. 147.
König 1 Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
35
Verhältnisse trat nun der neue Bischof Nanker hinein, den jetzt der
Papst der mehr als sechs Jahre hindurch verwaisten Kirche zu geben
sich entschloss.
König Johann und Bischof Nanker.
Der neue Bischof von Breslau Nanker, Sohn des Jumiram, war
ein Pole, aus Krakau gebürtig J ). Sein religiöser Eifer verschaffte
ihm eine Stelle im Domcapitel zu Krakau, die früh erlangte Gunst
des Papstes erwirkte ihm 1319 das Decanat dieser Kirche 3 ), und
als dann das Jahr darauf der Bischof von Krakau starb, folgte ihm
Nanker auf dem bischöflichen Stuhle dieser Kirche 3 ). Wie sehr
auch seine Ernennung König Wladislaw willkommen gewesen sein
mochte, entging auch er nicht Reibungen mit dem eigenwilligen und
überall durchgreifenden Fürsten, und eine päpstliche Bulle des
Jahres 1323 nimmt ihn ausdrücklich gegen den König in Schutz 4 ).
Doch ist er noch 1325 bei der Verlobung des polnischen Thron
folgers Kasimir mit der Tochter des litthauischen Grossfürsten
thätig 5 ). Nach dieser Zeit jedoch scheinen sich seine Beziehungen
zu dem König wieder getrübt zu haben, und es hat sicher ein hef
tiger Auftritt zwischen Beiden stattgefunden, wenn wir gleich dahin
*) 1328, 21. Decb. schreibt König Johann XXII an ihn: „tu qui a pucritia tua nutritus
fuisti in eccl. Cracoviensi” Theiner I, 313 und um dieselbe Zeit (1313) das Breslauer
Capitel: „quia satis durum sibi (Nanlcero) noscitur partes illas el ecclcsiam, in
quibus traxit originem, relinquerc et ubi parentes ct consanguineos obtinet, descrerc
etcFormelb. 260. Diesen Zeugnissen gegenüber wird man nun wohl die Nachricht
des Dlugosz (Clir. episc. Wrat. ed. Lips. p. 22), dass Nanker ein Schlesier gewesen
sei, nicht mehr aufrecht erhalten wollen. Ich stehe vielmehr nicht an, diese Angabe
des polnischen Chronisten für eine tendenziöse Erfindung zu halten, das spätere
Auftreten Nanker’s gegen König Johann schien ihm von seinem polonisirenden
Standpunct aus noch wirkungsreicher, wenn der Bischof ein Schlesier, als wenn er
ein Pole war. Wie sein* gerade bei Dlugosz der nationale Eifer auf seine Geschichts
schreibung influirt, dafür liefert den besten Beweis die Darstellung des Anschlusses
Breslau’s an Böhmen (Chrom lib. IX. 902). Sie ist in einem Tone geschrieben , der
ganz dem gleichkommt, in dem Polen unserer Zeit von einer der Theilungen ihres
Landes sprechen. Der gute Heinrich YI. wird wegen dieses Abfalls von Polen (denn
Schlesien ist nach ihm eine provincia regni Polonorum) zu einem iniquus und
scelestus.
3 ) Theiner I, 148.
3 ) 1320, 10 Kal. Aprilis erscheint er zu Sandomir als electus in episc. Crac. Theiner 1,16o.
4 ) Angeführt bei Letowski Katalog biskupow Krakowsk. I 239.
5 ) Ibid. 238.
3*
36
Grünhagen
gestellt sein lassen mögen, ob wirklich bei dieser Gelegenheit, wie
Dlugosz berichtet, der Bischof von Wladislaw eine Ohrfeige erhal
ten hat J ).
Die damals auf’s Engste zwischen dem Papste und Wladislaw
geschlossene Freundschaft konnte wohl den Ersteren abhalten,
besondere und eclatante Genugthuung zu verlangen, doch musste
auch fifr einen so bewährten und treuen Anhänger, wie Nanker war,
der sich erst noch durch seinen bei der Publication der Bannsprüche
gegen Ludwig von Baiern gezeigten .Eifer eine besondere Anerken
nung von dem Papste verdient hatte (1325) 3 ), nachdem dessen
Stellung in Krakau nun so misslich geworden war, Etwas geschehen,
und so bot sich denn als das natürlichste Auskunftsmittel seine Ver
setzung nach Breslau dar, wo ja der Papst auch eines zuverlässigen
und standhaften Anhängers dringend bedurfte 3 ). So wird denn
durch ein vom 1. October 1326 ausgefertigtes päpstliches Schreiben
Nanker auf den bischöflichen Stuhl nach Breslau berufen 4 ).
Aber wenngleich die Verhältnisse und in gewisser Weise auch
der Charakter Nanker’s seine Wahl für Breslau empfohlen haben
mochten, so war es nichts destoweniger ein arger Missgriff des
sonst so klugen Papstes, auf diesen schwierigsten geistlichen Posten
gerade solchen Mann zu stellen. Nicht als ob er ein so starrer und
harter Charakter gewesen wäre, wie man ihn zuweilen dargestellt
hat; ich finde eher Züge von Gutmüthigkeit und Wohlwollen in ihm,
wenn er gleich von dem Vorwurfe der Heftigkeit nicht freizuspre-
1) Chron. lib. IX. s. 991. Auch I,eto\vski 239 erzählt das Dlugosz nach, indem er es
jedoch auf den früheren Streit um’s Jahr 1323 bezieht, dagegen scheint mir doch
die Zuziehung Nanker’s bei der Verlobungsfeierlichkeit 1325 zu sprechen, und mir
ist es wahrscheinlicher, dass dieser Conflict eine Veranlassung zu seiner Versetzung
nach Breslau gegeben hat.
2) Thein er I, 227.
3) Christophe a. a. 0. II. 13 macht darauf aufmerksam, wie gerade Papst Johann XXII.
die sonst ungewöhnliche Versetzung von Bischöfen an andere Orte sehr liebte, um
durch doppelte Vacanzen doppelte Annaten zu gewinnen.
4 ) Theiner I, 289, und ebendas, andere Urkunden im Zusammenhänge hiemit und mit
gleicher Zeitbestimmung. Die Urkunde Erzbischof Janislaw’s vom 26. April 1327,
durch welche dem Krakauer Bischof der Vorrang unter den polnischen Prälaten ein
geräumt wird und welche «Letowski als noch an Nanker adressirt anführt, dürfte
wohl in's Jahr 1326 zu setzen sein, wenn sie nicht vielleicht doch schon an
seinen Nachfolger gerichtet ist und so die directe Veranlassung zu dem noch zu
erwähnenden päpstlichen Schreiben vom 16. September 1327 (Theiner I, 305)
gegeben hat.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
37
eben ist, und an seiner aufrichtigen, allerdings häufig bis zur Bigot
terie gesteigerten Frömmigkeit ist eben so wenig zu zweifeln, wie
an seiner unbegrenzten Ergebenheit dem päpstlichen Stuhle gegen
über. Aber es steckt ein gutes Theil Beschränktheit in ihm , er
zeigt weder die Fähigkeit, die verwickelte Situation, in die er hinein
kam, ganz zu übersehen, noch die Energie, sie zu beherrschen, und
von der diplomatischen Gewandtheit, die sich bei manchen heiligen
Männern, z. B. Bernhard von Clairvaux, sehr wohl mit der Frömmig
keit vertragen hat, hatte er keine Spur.
Für dieses Urtlieil liefert seine ganze Regierung zahlreiche
Belege, und es wird nicht leicht Jemand, der sein Verhalten als
Bischof von Breslau näher in's Auge fasst, für ihn eingenommen
werden. Während ihn das Vertrauen des Papstes an den wichtig
sten und schwierigsten Posten stellt, der einem polnischen Bischof
angewiesen werden konnte, entspricht er diesem Vertrauen nicht
eben sehr. Monate lang zögert er, nach Breslau überzusiedeln und
lässt die durchgreifendste Wendung der schlesischen Verhältnisse,
den Anschluss an Böhmen, sehr zu Ungunsten der polnischen Kirche
fast theilnahmslos geschehen. Und als er dann in diese aufgeregten
und verwickelten Verhältnisse hineinkommt, da hat er keine wichti
gere Sorge, als bei dem Papste auszuwirken, dass der erste Platz
unter den polnischen Bischöfen, welchen er als Bischof von Krakau
bisher nach altem Privilegium besessen, ausnahmsweise ihm auch bei
der Übersiedlung nach Breslau bleibe 1 )» oder dass er die Messe
nach der gewohnten Krakauer Art singen lassen dürfe a ), oder dass
er einzelnen Günstlingen Breslauer Canonicate, auch ohne dass die
selben dort residirten, verleihen dürfe 3 ). Er macht in Allem den
Eindruck eines keineswegs übelwollenden, aber kleinen Geistes, der
seiner Aufgabe nicht im Mindesten gewachsen ist, und eben desshalb
in peinlichen und fast ununterbrochenen Zwistigkeiten sich aufreibt.
Es hat schwerlich noch ein anderer Breslauer Bischof eine so
fast durchweg freudelose Regierung gehabt als Bischof Nanker.
Was das Breslauer Capitel betrifft, so möchte man es für Iro
nie halten, wenn Dlugosz versichert, dasselbe habe Nanker ausdriick-
l ) Tlieiner I, 305.
a ) 313.
! ) 304.
38
G r » n h a g e n
lieh vom Papste postulirt 1 ). Vielmehr wird man nicht zweifeln
können, dass demselben der ihm octroyirte Pole sehr wenig will
kommen gewesen; doch als ihm, so wie dem Klerus und Volk der
Stadt und Diöcese Breslau und den Vasallen der Kirche die getrof
fene Wahl officiell angezeigt wurde 3 ), war es weit entfernt, an
Protest oder irgend eine Art von Widerstand zu denken. Sein Plan
ging nur dahin, bei dieser Gelegenheit von der ihm auferlegten
Herausgabe der bischöflichen Einnahmen aus den fünf Jahren der
Sedisvacanz loszukommen, und es hoffte von dem Wohlwollen des
Papstes für seinen neuerwählten Günstling das zu erlangen, was es
für sich nie erwarten durfte. So knüpfen die Domherren denn an
die lebhaftesten und submissesten Dankbezeugungen wegen des vom
Papste mit der so lange verwaisten Kirche gezeigten Erbarmens
eine bewegliche Schilderung ihrer traurigen Lage, wo ihnen unter
der Ungunst der Zeiten nicht der zehnte Theil ihrer sonstigen Ein
künfte geblieben sei und daran die Hoffnung, der Papst werde dess-
lialb von jener Forderung abstehen, da sonst, wie ja auch die Lega
ten bestätigen könnten, der neue Bischof für sich und seine Diener
schaft nichts zum Leben vorfmden würde 3 ). Daneben bitten sie
auch Nanker, wenn er Gesandte nach Rom sende, die Sache dort
eifrig betreiben zu lassen, wenigstens eine Ermässigung jener For
derung müsse sich doch durchsehen lassen 4 ).
Die grossen Bedenken, welche das Capitel gegen Nanker’s
Persönlichkeit haben musste, dass er ein Fremder sei, der für die
neuen Verhältnisse weder ein Interesse noch ein Verständnis habe,
1 ) Chr. ep. Wrat. p. 165. Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass daran nicht zu
denken ist, so liegt derselbe in dem noch mehrfach zu erwähnenden Dankschreiben
an den Papst (Formelb. 259), welches seiner Überschrift: Capitnlum agit grates,
quod providit (sc. papa) ecclesiae durchaus entspricht. Bekanntlich gibt Dlugosz
von den ältesten Zeiten an die genauesten Nachrichten über den Wahlmodus bei
jedem einzelnen Bischöfe, und das vorliegende Beispiel zeigt deutlich, was von diesen
Angaben zu halten ist.
2 ) Theiner I, 290. Ich kann mich trotzdem eines Zweifels nicht erwehren, ob wirklich
mit dieser Notification an das Capitel Alles in Ordnung gewesen sei. Wenigstens
bleibt es auffallend, dass in der oben angeführten, so durchaus submiss und diplo
matisch-formell gehaltenen Dankepistel die Hinweisung auf ein directes päpstliches
Schreiben kurzweg durch die Worte „ut accepimus” ausgedrückt worden sein sollte.
3 ) Formelb. 259.
l ) Ebendas. 261.
König- Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
39
und dass er, nachdem er bis jetzt immer nur mit einem Fürsten
zu thun gehabt, es nun sehr schwer finden würde, mit so vielen,
unter einander uneinigen zu verhandeln, treten nur in einem an den
Erzbischof von Gnesen gerichteten Schreiben <) auf und auch da
sehr diplomatisch versteckt unter der Form des Mitgefühls für den
armen Neugewählten, der diese Schwierigkeiten kosten werde. Das
Schreiben bricht in dem Formelbuche, wo es uns erhalten ist, nach
der Einleitung einer dringend ausgesprochenen Bitte, mit einem etc.
ab, so dass diese letztere selbst uns vorenthalten ist, doch glaube
ich sie dahin ergänzen zu dürfen, der Erzbischof möge den neuen
Bischof zur Vorsicht und Behutsamkeit ermahnen.
Dieser Letztere scheint .von Anfang an eine gewisse Scheu
gehabt zu haben, sich in das Wirrsai der schlesischen Verhältnisse
hineinzustürzen; er konnte sich gar nicht entschliessen, nach Bres
lau überzusiedeln 3 ). Schon in jenem ersten erwähnten Briefe hatte
das Capitel ihn gebeten, nach Breslau zu kommen, und ein zweiter
Brief desselben erneuert diese Bitte in noch viel dringenderer Form
und versichert zugleich, um etwaige Besorgnisse des Bischofs vor
der aufgeregten Breslauer Bürgerschaft zu zerstreuen, dieselbe ver
einige ihre Bitten mit denen des Capitels und versichere diesen
1) Formelb. 260. Dass iler Erzbischof gemeint ist, sieht man aus dem mit anderen an
denselben gerichteten Schreiben übereinstimmenden Anfang und der Wendung am
Schlüsse.
2 ) Es existiren über die Ernennung Nanker’s zwei päpstliche Briefe, der eine, schon
erwähnte ausführliche am 1. October 1326 (Theiner I, 289), und ein zweiter, ganz
kurzer, vom 6. October (Ebd. 292). Den letzten hat Theiner überschrieben:
Nankero epist. Vrat. ut ad ecclesiam suatn Vrat. se conferat, und man könnte hieraus
schliessen, Theiner sehe in dem Briefe eine Ermahnung des Papstes an Nanker, nun
auch wirklich nach Breslau überzusiedeln, welche man etwa den gleich zu erwähnen
den Mahnungen des Capitels an die Seite stellen könnte. Doch steht von einer Mah
nung, sich nach Breslau zu begeben, streng genommen, Nichts in dem Briefe, die
Ermahnung beschränkt sich darauf: „quatinus ad ipsius, eccl. Vr. administrationem
salubrem sie tue solicitudinis studia dirigas et convcrtas", und es ist wenig glaublich
dass, wenn der Papst es für nothwendig befunden hätte, jenem ersten Briefe vom
1. October fünf Tage später einen zweiten durch einen besonderen Boten nachzusenden,
dieser so wenig besagend ausgefallen sein sollte. Ich bin überzeugt, dass beide
Briefe zu gleicher Zeit übergeben worden sind, und der zweite nur ein Handschrei
ben war, welches jenen ersten ofßciellen begleitete und einfach das Wohjwollen und
Vertrauen des Papstes gegen Nanker ausdrücken sollte. Die Differenz der Ausstel-
lungszeit erklärt sich leicht, wenn man erwägt, dass der erstere ja doch durch die
Kanzleien gehen musste.
40
Grünlingen
ihrer Ehrfurcht und ihres Gehorsams *). Wir wissen nicht, wann
dieser Brief geschrieben worden, doch ist es durchaus wahrschein
lich, dass der Bischof nicht vor Anfang des Sommers 1327 nach
Breslau gekommen, also fast ein halbes Jahr nach seiner Ernen
nung 2 ).
Inzwischen hatten sich die Verhältnisse nicht gerade günstig
gestaltet, nicht weniger die Huldigung der schlesischen Fürsten an
den König von Böhmen, als der Conflict, in den, wie schon erzählt,
der päpstliche Legat mit dem Herzog und der Bürgerschaft Breslau’s
gekommen war, mussten dem neuen Bischof höchst unwillkommen
sein. In der letzteren Sache musste er selbst sogleich seine Stel
lung nehmen. Doch er, der den Legaten in seinem Palaste zu Bres
lau einquartiert fand 3 ) und von diesem jedenfalls den ersten Bericht
über die Sache erhielt, konnte oder wollte demselben nicht durchaus
Unrecht geben. Indem er sich nun aber auf die Seite des Legaten
stellte, brach er zugleich vollständig mit dem Herzoge und der Bür
gerschaft Breslau’s, und als dann die Erbitterung gegen Peter sich,
wie es das Capitel schon früher gefürchtet hatte, gewaltsam Luft
machte, war es natürlich, dass auch der Bischof hierein verwickelt
wurde, und zwar umsomehr, als der Gegenstand der Verfolgung die
Wohnung des Letzteren theilte. Wie es heisst, hätten Breslauer
den Legaten bis in die Kirche, die man gewaltsam erbrochen, ver
folgt, Diener des Bischofs dabei erschlagen und von dessen Eigen-
1) Formelb. 262.
2 ) Bei den Verhandlungen bezüglich des Anschlusses Schlesiens an Böhmen und der
Huldigung (1327, April 6) wird seiner keine Erwähnung gethan, und auch zurZeit
jenes durch Peter von Auvergne veranlassten Scandals, sowie noch etwas später, als
das Capitel in Betreff dieses Vorfalles an Andreas von Veroli schrieb, war Nanker
unzweifelhaft noch nicht hier. In welche Zeit jedoch dies fällt, ist nicht leicht zu
bestimmen. Im November 1326 war Andreas noch hier, also dürfte jene Scene Ende
1326 oder Anfang 1327 zu setzen sein, ja man möchte glauben, dass der Brief Peter’s
vom Jahre 1327, 16. Mai (Theiner I, 281), in welchem derselbe seinem Collegen
Andreas anzeigt, dass er noch durch vermehrte Geschäfte in Breslau festgehalten
werde , vor jenen Conflict zu setzen sein, weil sich sonst wohl irgend eine Hindeu
tung auf denselben darin gefunden haben würde, ein Grund, den ich allerdings
nicht für zwingend ausgeben möchte.
Die erste in Breslau von Nanker ausgestellte Urkunde (für Kloster Kamenz),
datirt vom 3. September 1327 (Prov. Archiv. Kamenz 27), andererseits ist das
Schreiben Johann’s vom 16. September 1327 (Theiner I, 303) unzweifelhaft die
Antwort auf einen schon von Breslau aus datirten Brief Nanker’s.
3 ) Theiner I, 281.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
41
thum geraubt und zerstört 1 ), einige Domherren aus der Stadt ver
jagt, ja sogar dem Bischof und dem Legaten hei verschiedenen
Gelegenheiten und auf verschiedene Weise nach dem Leben ge
trachtet. Natürlich folgte das Interdict und lebhafte Beschwerde hei
dem Papste, denen auch noch andere über Gewaltthätigkeiten Her
zog Bolko’s von Münsterberg hinzugefügt werden mussten.
Der Bischof, der sich von Anfang an in Breslau nicht recht
sicher gefühlt hatte 2 ), flüchtete nun von hier nach seiner Stadt
Neisse, wohin ihm die aus der Stadt vertriebenen polnisch gesinn
ten Domherren folgten, und von hier aus wurde dann erst das Inter
dict ausgesprochen und dem übrigen Capitel, welches in Breslau
zurückgeblieben war, brieflich mitgetheilt 3 ). Der päpstliche Bei
stand liess nicht lange auf sich warten. Johann XXII. hatte jener
auch von Nanker an ihn gerichteten Bitte um Erlass der fünfjährigen
bischöflichen Revenüen aus der Zeit der Sedisvacanz nicht entspre
chen mögen, weil dies doch wesentlich auch dem missliebigen
Capitel zu Gute gekommen wäre, doch hatte er sich sogleich von
Anfang an es angelegen sein lassen, auf andere Weise dem neuen
Bischof Geldmittel zu verschaffen. So verfügt er unter dem 16. Sep
tember die Annullirung aller von Bischof Heinrich vorgenommenen
Verpfändungen bischöflicher Güter, auch wenn dieselben mit Zu
stimmung des Capitels geschehen seien 4 ), eine Massregel der
bedenklichsten Art, deren einzige Wirkung die sein konnte, dem
Capitel ein energisches Misstrauensvotum zu geben, wie denn
etwas später auch von einer wirklichen Einlösung die Rede ist und
zu dem Zwecke Nanker die Erlaubniss erhält, seinen Unterthanen
eine mässige Steuer aufzuerlegen 5 ).
A ) Vgl. die etwas dunkle Darstellung, die in wörtlicher Wiederholung in verschiedenen
Briefen wiederkehrt, Th. I, 308 und 309. Wenn auch Herzog Heinrich VI. unter den
Frevlern genannt wird, so soll doch wohl dadurch nur sein Einverstiindniss mit den
selben, nicht seine thätliche Theilnahme constatirt werden. Übrigens halte ich diese
Darstellung der Excesse für übertrieben, der Brief des Capitels in dem Formelb. 272,
der sich unzweifelhaft auf diese Angelegenheit bezieht, Hisst an so schlimme Dinge
nicht denken.
2 ) Ein Zeichen dafür dürfte auch das sein, dass er gegen die Sitte Capitelssitzungen
in seiner Hauscapelle abhielt. (Prov. Archiv. Urkunde vom 3. September 1327,
Kamenz 104.)
3 ) Vgl. den schon angeführten Brief. Formelb. 271.
4 ) Theiner I, 305.
5) Th. I, 313.
42
G r ü n h a g- e n
In Bezug auf Peter von Auvergne macht der Papst nicht die
mindeste Concession, sondern gibt vielmehr demselben ein erneutes
Zeichen des Vertrauens, indem er dessen Collegen Andreas nach
Avignon beruft 1 ) und inzwischen jenen allein zur Führung der
Geschäfte bevollmächtigt 2 ). Die Breslauer Excesse nahm man ziem
lich ernst, und wir haben Schreiben an den Erzbischof von Gnesen.
sowie die Könige von Polen, Böhmen und Ungern, in welchen die
selben um Schutz für den angegriffenen Bischof angesprochen wer
den 3 ), wie auch der Erzbischof von Gnesen, sowie die Bischöfe von
Posen und Olmütz zu Conservatoren für jenen bestellt werden 4 ).
Freilich grosse Wirkungen wurden durch das Alles nicht erzielt,
die Breslauer blieben, wie sehr auch das Capitel zur Versühnung
drängen mochte, doch bei der Forderung stehen, dass der Legat
Genugthuung leisten müsse, indem sie so lange, bis dies geschehen,
die Zahlung des Peterspfennigs suspendirten, im Übrigen wollten
sie gern die an jenem Auftritt Schuldigen bestrafen.
Das Capitel selbst hatte Nanker gegenüber schnell eine sehr
entschiedene und selbständige Stellung eingenommen; dasselbe zeigt
sich zunächst sehr unzufrieden mit dem Verfahren des Bischofs und
schreibt ihm dann nach Neisse verschiedene, wenig schmeichelhafte
Urtheile, allerdings nicht als die eigene Meinung, sondern als Reden
des Herzogs und Breslauer Bürger aus dessen Umgebung, welche
die Domherren auf dem Breslauer Rathhause bei einer Zusammen
kunft, zu der man sie eingeladen, gehört hätten. Als darauf der
Bischof ihnen zürnend vorwirft, während sie ihn der Nachlässigkeit
anklagten, lähmten sie doch seine Schritte und ermuthigten seine
Feinde, indem sie dieselben in allen Stücken entschuldigten, stellen
sie dies in einem zweiten Briefe zwar in Abrede, wollen aber doch
nicht verschweigen, dass sie mit dem Verfahren gegen die Breslauer
nicht einverstanden seien; denn wie sehr man auch über den Rech
ten der Kirche wachen müsste, so sei es doch nicht rathsam, gegen
den Herzog und die Bürgerschaft der Stadt, welche der Sitz des
Bischofs sei, so ohne Beobachtung aller Formen und übereilt mit
1) Th. I, 307.
2 ) Th. I, 308, 1. October 1328.
=) Th. I, 308 und 310.
2 ) Th. I, 315.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
43
dem Interdict vorzugehen. Da ferner Breslau bestimmt abgegrenzte
Parochien habe und sich die ermitteln lasse, in welche der Diener
des Bischofs mit den geraubten Sachen geschleppt worden sei, so
hätte man sich nach einem früher angenommenen und auch vom
Cardinal Gentilis gebilligten Principe darauf beschränken sollen,
über diese das Interdict zu verhängen; das Capitel spricht es dem
Bischöfe gegenüber geradezu aus, dass die Urkunden seiner Curie,
die doch für andere zum Muster dienen sollten, öfters eine keines
wegs nuistergiltige Form hätten, überhaupt werde es für ihn, um
wirklich segensreich zu wirken, dringend nothwendig sein, sich mit
den Rechten und Gewohnheiten dieses Landes vertraut zu machen 1 ).
Gegen Peter von Auvergne agitiren inzwischen die Domherren
in der Weise, dass sie in den verschiedenen schlesischen Kirch
spielen Materialien sammeln in Betreff der Bedrückungen und Erpres
sungen, welche sich der Legat hier erlaubt, um daraus eine allge
meine Appellationsschrift an den Papst herzustellen, und als ihnen
in Folge dessen der Bischof wegen eigenmächtiger Versammlungen
der Geistlichen und Eingriffe in seine Rechte Vorwürfe macht, legen
sie demselben den Zweck ihrer Thätigkeit ganz offen dar, ja sie
theilen sogar dem Bischof die Appellationsschrift mit, sie seien,
sagen sie, zum Frieden bereit und wollten gern die Vermittlung des
Bischofs annehmen, nur müsse der Legat für die angethane Unbill
die entsprechende Genugthuung leisten und sich in’s Künftige hüten -).
Doch mehr und mehr wurde auch der Bischof dem habsüchtigen
Legaten abgeneigt; im Sommer 1328, wo er nach Breslau zurück
gekehrt, eine Capitelssitzung abhält 3 ), der auch Nieolaus von Banz
beiwohnt, fühlt auch er sich durch dessen Forderungen beschwert
und legt gegen ihn heim Papste Appellation ein 4 ). Der letztere
instruirt denn auch wirklich Peter, den Bischof, so lange derselbe
ohnehin von den schlesischen Fürsten Verfolgungen zu erleiden
habe, bezüglich der von ihm zu entrichtenden Zehnten nachsichtiger
zu behandeln 5 ).
1) Formell). 271.
3 ) Ebenda 204.
«) Juni 27. Domarchiv Lib. nig\ f. 97.
4) Theiner I, 309.
r> ) Die Worte sind charakteristisch genug’: qualinus ipsum . . . tractes humanius, douec
hujusmodi pcrsecutione (lurante taliter fuerit pertractandus.
44
G r u n hagen
Inzwischen hatte der Erzbischof von Gnesen im Sommer 1328
eine Synode der polnischen Bischöfe nach Sieradz berufen, zu der
sich auch Nanker begab, eben um jener Breslauer Angelegenheit
willen. Hier lief ein Schreiben des Legaten Peter ein, welches
zwar Versicherungen seiner Bereitwilligkeit zur Versöhnung enthielt,
aber doch auf die ganze Versammlung einen höchst ungünstigen
Eindruck machte, wegen der masslosen und mit jenen Versicherun
gen übel contrastirenden Verunglimpfungen seiner Gegner. Die
Prälaten insgesammt drangen in Nanker, den Frieden zu vermitteln,
und dieser, nach Breslau zurückgekehrt (etwa Anfang 1329) fand
das Capitel durchaus zum Frieden geneigt, und auch der Rath von
Breslau sprach sich gegen den Bischof sehr versöhnlich aus; man
zeigte demselben die Kästen und Säcke, in denen das Geld für den
rückständigen Peterspfennig bereit läge, und dass die Ablieferung
nur desshalb sich verzögere, weil der Legat sich weigere, die noth-
wendige Rechnung ahzulegen ‘). Das Alles meldet Nanker dem
Legaten und mahnt dringend zum Frieden.
Des Bischofs Aufenthalt in Breslau in dieser Zeit (Anfang des
Jahres 1329) scheint wirklich eine Versöhnung mit dem Capitel
herbeigeführt zu haben 2 ), und während er kurz vorherder fort
währenden unerquicklichen Kämpfe müde, schon soweit gekommen
war, von dem Papste die Erlaubniss, nach Krakau zurückkehren zu
dürfen, sich zu erbitten, welche ihm auch wirklich gegeben ward 3 ),
ist davon später nicht weiter die Rede, und als er dann im Sommer
dieses Jahres nach Neisse übersiedelt, scheidet er im besten Ein
vernehmen mit seinen Domherren.
Doch der Einfluss Peter’s am päpstlichen Hofe war noch unge
brochen; der Bischof musste es bald empfinden, dass er durch seine
dem Legaten abgeneigte Haltung dessen Zorn erregt hatte. Es ward
ihm jetzt nachgerechnet, dass er noch von Krakau her eine Summe
von dem sechsjährigen Zehnten schuldig sei und dessen Eintreibung
1) Sie seien bereit zu zahlen, schreibt der Bischof an Peter (Formell). 275), „äummodo
e contrario vos vclifis faccre, que de racione in codem nef/ocio fuerint facienda“.
Der Ausdruck ratio ist nicht ganz klar. Wie man aus dem ganzen Briefe sieht und
aus der Zusammenkunft des Bischofs mit den Breslauern, mag also das Interdict
schon wieder aufgehoben worden sein.
2 ) So vermuthet auch Wattenbach. Fiinleitung zu «lern Formelb. VIII.
3) 1329. 11. Febr. Theiner I, 317.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 4b
in strengster Form dem Erzbischof von Gnesen aufgetragen i), nicht
minder ihm auch vorgeworfen, dass er den päpstlichen Legaten
Andreas von Veroli gewisser Einkünfte in der Breslauer Diöcese
beraubt habe, wobei man sogar so weit ging, ihn zur persönlichen
Rechenschaft nach Avignon zu fordern 3 ). Dass zu diesen Zeichen
der Missbilligung auch noch directe Aufforderungen zu grösserer
Energie und Standhaftigkeit gegenüber dem Breslauer Capitel und
den Breslauern gekommen sind, wird nicht zu bezweifeln sein, und
es bedurfte nicht viel, um Nanker umzustimmen.
Allerdings hatte der Legat erneute Ursache zur Klage erhalten,
indem ihn der gewaltthätige Bolko von Münsterberg bei Oppeln
überfallen und beraubt hatte, und andererseits waren auch in Bres
lau selbst Excesse und Gewalttätigkeiten gegen Geistliche vorge
kommen s ), wie denn z. B. wegen einer dem Breslauer Archidiakon
1) Th. I, 322.
3 ) Theiner 321! und 326.
3 ) Obwohl es natürlich fast unmöglich wird, den zahlreichen undatirten und aller nament
lichen Anführungen entbehrenden Stücken des Formelbuches mit vollster Sicherheit
ihre Stelle genau anzuweisen, so wird doch so viel klar, dass es sich um sehr
verschiedene und zu verschiedenen Zeiten vorgekommene Excesse handelt, über
die sich der Bischof beklagt, und ich stimme z. B. mit Wattenbach darin nicht über
ein, dass er auch den Brief auf S. 263 mit dem Angriffe auf Peter in Verbindung
bringen will, während ich dagegen wie Wattenbach den auf S. 271 im Zusammenhänge
mit jenem Vorfälle auffasse. Aber in der That ist auch an beiden Orten von verschie
denen Ereignissen die Rede. In dem zuletzt citirten Briefe wird von einem Diener
des Bischofs gesprochen, der beraubt und als Gefangener festgehalten würde. Dies
kann wohl bei dem Angriffe auf Peter und der damals erfolgten Erbrechung des
Bischofshofes geschehen sein, und wie man aus dem sonstigen Inhalt des Briefes sieht,
fühlt sich hier auch der Herzog und der Rath in gewisser Weise betheiligt und auf
geregt, wie dies wohl bei jenem Vorfälle der Fall gewesen ist. Und wenn hier
ferner das Capitel verlangt, dass das Interdict auf die Parochie beschränkt bleiben
solle, in der das Haus liege, in welches man die geraubten Sachen geschleppt,
und wo man den Diener gefangen halte, so muss doch dieser Ort bekannt gewesen
sein. Alles dies stimmt nicht mit den Anführungen des Briefes auf S. 263. Hier han
delt es sich, wie man deutlich ersieht, um einen noch viel unbedeutenderen Vorfall,
den das Capitel als einen „Casus fortuitus” wenngleich als „dolorosusbezeichnet.
Auch ist hier nicht wie dort von dem durch den Bischof verhängten Interdict die
Rede, sondern derselbe zeigt seinen Unwillen nur durch seine längere Abwesenheit
von Breslau, und während nach dem früheren Brief doch Herzog und Rath aufgeregt
gegen den Bischof sind und diesem also eine gewisse Schuld beimessen, ist hier
davon nicht die Rede, sondern der Rath erklärt sein grösstes Bedauern über diesen
Vorfall und seine volle Bereitwilligkeit, die Frevler zu strafen, wenn er sie nur
kennte, also daran, dass ein bischöflicher Diener in der Stadt notorisch gefangen
gehalten werde, ist hierbei nicht zu denken. Aber man erkennt auch ausserdem, dass
46
G r ii n li n g e n
Heinrich von Würben, der der polnischen Partei anhing, angetha-
nen Beleidigung eine Zeit lang das Interdict über die Stadt, ja
sogar über die ganze Diöcese verhängt ward >).
Freilich war für dies Alles kaum das Capitel verantwortlich zu
machen; was den Herzog Bolko betraf, so hatten dessen Gewalt-
thätigkeiten auch das Capitel schon vielfach schwer betroffen, und
das Formelbuch zeigt an vielen Orten, wie bitter man sich über ihn
beklagte, aber auch in den sonstigen Streitigkeiten wirkte das Capitel
durchaus versöhnlich, und seinem Einflüsse auf die Breslauer war es
vor Allem zuzuschreiben, wenn dieselben so schnell beigelegt wur
den. Auch der Conflict mit dem Archidiakon muss schnell gütlich
verglichen worden sein, wenigstens verlautet von dem Interdict
weiter gar nichts mehr, und der Bischof selbst sandte Heinrich von
Würben, um ihn vor ähnlichen Conflicten zu behüten, nach dem an
der polnischen Grenze gelegenen und der Breslauer Kirche gehöri
gen Schlosse Militsch und verwandte sich auch bei dem Capitel,
dass dieses ihm unter billigen Bedingungen den dortigen Grenzzoll
verpachtete a ). Dort werden wir von ihm noch zu erzählen haben.
Im Sommer 1329 war nun der Bischof im besten Einvernehmen
mit seinem Capitel von Breslau nach Neisse gegangen, war aber
dann, wie schon erwähnt wurde, wahrscheinlich durch ein seine
Nachgiebigkeit gegen die Domherren tadelndes Schreiben des Papstes
umgestimmt worden und hatte z. B. verlangt, das ganze Capitel,
oder wenigstens ein Theil desselben, solle sich zu ihm nach Neisse
es sich hier um einen Vorfall handelt, der einer späteren Zeit angehört als jener
erstere. Wie wir sahen, ist jener Angriff auf Peter von Auvergne in die erste Zeit von
Bischof Nanker’s Anwesenheit in Breslau zu setzen. Von diesem Zeitpuncte kann
jedoch in dem Briefe auf S. 263 nicht die Bede sein. Die Überschrift des Briefes
thut einer öfteren Absentirung des Bischofs von seiner Residenz Erwähnung,
und in dem Texte wird von dem Verhalten des Bischofs gesprochen, als er zuletzt
Breslau verlassen: er muss also schon mehrmals die Residenz gewechselt haben.
Endlich ist auch in jenem Briefe viel von dem Herzog die Rede, in diesem gar nicht,
sondern nur von dem Könige, dem Beherrscher dieser Stadt, wie wir denn auch in
der That den Herzog, wenn er gleich noch bis 1335 lebte, doch mehr und mehr in
den Hintergrund treten und den Oberlehensherrn allmählich ganz allein mit dem
Rath verhandeln und regieren sehen. Aus allen diesen Gründen möchte ich beide
Briefe ihrem Inhalte nach durchaus trennen und den auf S. 271 in’s Jahr 1327, den
auf S. 263 in’s Jahr 1329 setzen.
A ) Formelb. 293.
3 ) Formelb. 267. Allerdings erscheint er i. d. J. 1331 und 1332 wieder mehrfach als
Zeuge in Breslau.
König- Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
47
verfügen. Dieser Forderung erklären jedoch die Canoniker nicht
nachkommen zu können, es sei gegenwärtig die Zeit der Ernte, wo
es sich um Einsammlung der Fruchtzehnten handle, von denen sie
ja das ganze Jahr leben müssten; zu diesem Zwecke seien jetzt
überall ihre Diener auf den Feldern zerstreut, und wer von ihnen
Pferde habe, brauche sie jetzt, eine Reise sei in dieser Zeit für sie
ganz unmöglich , die meisten von ihnen hätten auch bei der Noth
der Zeit gar nicht die Mittel zu solcher Reise, manche hätten oft
nicht einmal ein Rrod im Hause, und endlich sei bei der entsetz
lichen Unsicherheit der Strassen solche Reise für sie, welche, als
ganz unkriegerisch, sich nicht zu schützen vermöchten, sein-
bedenklich J ).
Dieser Ungehorsam steigert den Zorn des Dischofs, und dass
dieser Conflict noch grössere Ausdehnung genommen, zeigt ein
zweiter Brief des Capitels aus dieser Zeit, wacher ein ganz beson
deres Interesse dadurch hat, dass in ihm zum ersten Male der
eigentliche Knotenpunct dieser Verhältnisse klar dargelegt wird.
Das Capitel schreibt hier an einen Ungenannten, der eben von einer
iin Interesse des Bischofs unternommenen Reise nach Avignon zurück
gekehrt ist, und beschwört denselben, seinen Einfluss bei dem Bischöfe
geltend zu machen, damit dieser nicht die Rathschläge der Übel
gesinnten befolge, welche nur daraufdächten, ihn mit seinem Capitel
zu entzweien und hierzu einen kleinen Streit mit den Breslauern
zum Vorwand nähmen, obwohl der Rath und die Ältesten die fried
fertigsten Gesinnungen hegten und Nanker wiederholt durch Ge
sandte und Briefe zur Rückkehr eingeladen hätten. Wenn der Bischof
sich entschlösse, fortan in Breslau seinen dauernden Aufenthalt zu
nehmen und in Eintracht mit seinen Brüdern im Capitel zu handeln,
so werde er durch deren Rath und Beistand, sowie durch den der
Bürgerschaft Breslau’s, der Hauptstadt der ganzen Diöcese, und vor
Allem durch den Schutz des Beherrschers der Stadt, des Königs
von Böhmen, es möglich machen, über seine Feinde zu siegen ;
wenn er aber fortfahre, immer auf der Seite der Gegenpartei zu
stehen, in Zwiespalt mit seinem Capitel und seinem Klerus, so drohe
der Kirche vollständiger Ruin 2 ).
Formelb. 265.
2) Formelb. 263.
48
Grünhagen
Es ist das erste Mal, dass in diesen Angelegenheiten der Name
des böhmischen Königs genannt wird, der, obwohl er, so lange der
Herzog Heinrich VI. lebte, zu den Breslauern eigentlich nur in dem
entfernteren Verhältnisse eines Oberlehnsherrn stand, doch ihnen
allmählich schon so nahe getreten war, dass vor ihm der eigentliche
Landesherr ganz zurückstand und wenig mehr in Betracht gezogen
wurde. Es drängt sich uns hier nothwendig die Frage auf: welche
Stellung hat er, seit ihn die Verträge von 1327 zum Oberherrn von
ganz Schlesien gemacht, zu den kirchlichen Angelegenheiten und
speciell zu dem Bischöfe von Breslau eingenommen.
Wer sein abenteuerlich und unstet herumstreichendes Lehen
ansieht, kann leicht zu dem Glauben kommen, der selbst ausPalacky's
Darstellung zuweilen hervorblickt, als seien ihm die Interessen
seiner Länder, Schlesiens wie Böhmens, immer eigentlich fremd
geblieben, als sei er jmmer nur hieher zurückgekehrt, um möglichst
viel Geld zu neuen Abenteuern und Kriegszügen zusammenzuraffen,
und als habe er am allerwenigsten für die eigenartigen Verhältnisse
eines städtischen Gemeinwesens ein Verständnis gewinnen können,
sondern solche nur wegen ihrer Steuerkraft im Ganzen begünstigt
und gewürdigt. Jedoch ein Blick auf Breslau bestätigt solche Vor
aussetzungen nicht im Mindesten, Johann hat in Wahrheit viel für
die Stadt gethan. In der That, diese gross angelegte und hoch
befähigte Natur besitzt die glückliche und nicht vielen verliehene
Gabe, sich auch in fremden Verhältnissen wunderbar schnell zu
orientiren. Er hat ein lebhaftes Interesse für diese Verhältnisse und
seine Regesten zeigen mannigfache Beispiele, wie er mitten aus den
Fehden, in denen er sich an der Grenze Frankreichs herumtummelte,
den Breslauern Verordnungen für den engeren Kreis ihrer Stadt
zusendet.
Für kirchliche Angelegenheiten hatte Johann allerdings der
ganzen Anlage seines Wesens nach ein geringeres Interesse, doch
hingen dieselben gerade hier so vielfach mit der Politik zusammen,
dass er auch in ihnen von vornherein eine Stellung nehmen musste.
Wie wir sahen, hatte bei der Lehnshuldigung der päpstliche Legat
Verwahrung eingelegt gegen alle Nachtheile, welche für den päpst
lichen Stuhl aus diesem Acte hervorgehen könnten, und ich zweifle
gar nicht, dass Johann beruhigende Versicherungen bezüglich des
Peterspfennigs gegeben, wenn gleich von einer kopfweisen Erhebung
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
49
fortan nicht mehr die Rede ist, sondern nur von einem nicht gerade
sehr hoch bemessenen Pauschquantum. Auch mit dem Papste selbst
blieben fort und fort Beziehungen bestehen, um so eher, als Johanns
enge Freundschaft mit dem Kaiser Ludwig schnell wieder erkaltete.
Mehrere Schreiben des Papstes auch in schlesischen Angelegenheiten
liegen vor, wegen der Gewaltthat Bolko's von Münsterberg gegen den
Legaten Peter wird auch der König von Böhmen zum Schutze des
Letzteren aufgefordert !), ja er scheint sogar mehrfach einen direc-
ten persönlichen Einfluss bei dem Papste, z. B. zu Gunsten des
deutschen Ordens ausgeübt zu haben a ), und auf seinen .Wunsch
wird 1329 Johann, der Sohn seines Breslauer Banquiers Gisco de
Reste mit einem Wischehrader Canonicat begabt s). Ja die Königinn
Witwe, die allerdings aus polnischem Blute stammte, konnte sogar
daran denken, wenn gleich zu spät, das Bisthum Breslau vom Papste
fiir ihren Bruder zu beanspruchen 4 ).
Die Breslauer hatten von Anfang an, seit Herzog Heinrich dem
Könige sein Fürstenthum übergeben, von seiner allerdings schwer
lich umsonst ertheilten Gunst allerlei Privilegien zu erlangen gewusst,
und soweit dieselben geistliche Angelegenheiten betreffen, zeigen
sie das Bestreben, die Angelegenheiten der Stadt von klerikalem
Einfluss möglichst zu emancipiren; so findet sich schon in dem
grossen Privilegium, welches der König noch hei seiner Anwesenheit
in Breslau der Stadt ausstellte (1327, April 7), die Bestimmung,
dass der Breslauer Klerus ohne genügenden Grund nicht den Gottes
dienst suspendiren, noch in irgend einer Rechtssache Breslauer
Bürger vor das geistliche Gericht ziehen sollte, bevor man die
Sache vor dem zuständigen weltlichen Forum zum Spruche gebracht
hätte 5 ).
1329 erschien dann nach einem siegreichen Feldzuge gegen
Polen, der sogar einen der polnischen Herzoge, Wenzel von Maso-
rien, zur Lehnshuldigung zwang, Johann wieder in Breslau und trat
auch hier mit grosser Energie auf, bestrafte mit kriegerischem
Ernste die schlesischen Dynasten, welche die Breslauer geschädigt
i) Theiner I, 320, 322.
3 ) Palacky: Gesch. von Böhmen, II, 2.171.
8 ) Theiner I, 325.
4 ) Theiner I, 313.
5 ) Breslauer Raths-Archiv. D. 12. Im Auszuge bei Klose Briefe von Breslau I, 101.
Sitzb. d, phil.-hist. CI. XLVII. Bd. I. Hft. 4
50
Grünliagen
liatten, und zwang die sämmtlichen Theilfürsten der Glogauer Linie,
die von Steinau, Sagan, Oels, Glogau und sogar den wilden Bole-
slaw von Liegnitz, zur Unterwerfung und Huldigung.
Unter dem Eindrücke dieser gewaltigen Erfolge hatte, wie wir
sehen, das Capitel dem Bischöfe die Nothwendigkeit einer Verstän
digung mit den Breslauern und deren mächtigen Beschützern drin
gend an’s Herz gelegt. Lange hat Nanker diesem Andrängen nicht
widerstanden, und es ist sehr möglich, dass Herzog Konrad von
Oels, der Schwiegersohn Heinrich’s VI. von Breslau, der von allen
schlesischen Fürsten am meisten päpstlich gesinnte, welcher in
jenem Jahre dem Könige gleichfalls gehuldigt, den Vermittler
gespielt, wenigstens hat Nanker im November 1329 an seinem
Hoflager zu Oels verweilt 1 ). Von da geht er nach Breslau, wo
wir ihn schon den 22. November antreffen 3 ).
Von der Art der nun neu geschlossenen Versöhnung wissen wir
nichts, als dass sie diesmal dauerhafter war als alle früheren, da
der Bischof von jetzt an seinen beständigen Aufenthalt in Breslau
nimmt und zugleich, um sich der Gunst des Königs zu empfehlen,
nach dem Ratlie der ihren Fürsten kennenden Breslauer den prak
tischen Weg einschlägt, ihm ein bedeutendes Geldgeschenk anzu
bieten, welches er zwar selbst als eine schwer drückende Pflicht
ansieht. Für diesen Zweck wird denn der gesammte schlesische
Klerus und nicht minder auch die dem Bischof als Landesherrn
unterthänigen Laien besteuert s). Auf diese Angelegenheit bezieht
sich auch ein äusserst charakteristisches Schreiben des Capitels an
die Neisser Rathsherren. Neisse, die Hauptstadt des dem Bischof
als Landesherrn untergebenen Territoriums, trieb einen verhältniss-
mässig bedeutenden Handel, so dass es sogar in Betreff des Nieder
lagsrechtes mit Breslau zu concurriren wagen konnte 4). Allerdings
war diese Concurrenz nicht besonders glücklich gewesen, und als
der Neisser Rath jetzt sah, wie die Breslauer von der Gunst des
4 ) Nach einer Urkunde vom 17. November Diplomat, magn. Priorat. Bobein. zu Prag.
*) So wird diese Urkunde, deren Original (Domarchiv F. 14) leider jetzt vermisst
wird, in einer auf dem Prov. Archiv, vorhandenen Abschrift, sowie in einer An
führung bei Stehr, Chronik von Kl. Oels, S. 53, citirt. Dagegen setzt sie das
jedoch nicht immer zuverlässige Repertor des Domarchivs erst i. d. J. 1330.
s ) Formelb. 203.
4 ) Griinhagen: Breslau u. d. Piasten. S. 99. Anm.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 51
•
Königs allerlei wichtige Handelsprivilegien erlangten, hatte er selbst
den Bischof angegangen, durch Geschenke König Johann auch den
bischöflichen Interessen günstiger zu stimmen. Nun aber gab es
gerade in Neisse in jener Zeit vielfache Reibungen zwischen der
städtischen und der landesherrlichen, d. h. hier bischöflichen Ge
walt, wie hier selbst die Bewidmung mit Magdeburger Recht nur
unter erheblichen Schwierigkeiten zu Stande gekommen ist Q, und
derartige Streitigkeiten führten denn auch dazu, dass die Neisser
mit einem Male die auf sie fallende Quote des Geschenkes an den
König zu zahlen sich weigerten.
Da legen sich denn die Domherren in's Mittel und ermahnen
den Rath auf das Eindringlichste, seinen Verpflichtungen nachzu
kommen, hinzufügend, dass, wenn sie gleich sonst der bedrängten
Lage der Neisser grosse Theilnahme geschenkt hätten 2 ), sie doch
in dieser Sache nicht würden umhin können, dem Bischöfe, wenn er
ernstlich gegen die Ungehox*samen vorginge, mit Rath und That zur
Seite zu stehen.
So begreiflich es nun ist, dass das Capitel in diesem Falle sich
für die Erfüllung der Forderung Nanker’s interessirt, so charak
teristisch ist auch andererseits die Form, in der dies geschieht, und
in weleher sich ein nicht geringes Selbstbewusstsein von der eige
nen Bedeutung neben dem Bischöfe und selbst diesem gegenüber
ausspricht. Dass in der That bei der Aussöhnung mit dem Bischöfe
das Capitel nicht der Theil gewesen, der die Kosten zu tragen hatte,
das zeigt sich deutlich nicht nur aus den noch zu erwähnenden
Berichten des päpstlichen Legaten Galhard, sondern auch noch in
manchen anderen Dingen, so z. B. in der Gestalt, welche das dem
Bischof 1332, Mai 23 überreichte und von uns vielfach benutzte
Formelbuch hat. Wir sahen schon, wie das Capitel Nanker bald
nach seinem Regierungsantritt den Vorwurf macht, dass man in sei
ner Kanzlei den Schreiben nicht eine mustergiltige Form zu geben
verstehe s), und in Folge dessen war auf den Wunsch des Capitels
*) Formelb. 191 und 193, Anm. 1.
2 ) „ . . . licet vestra turbacio alias nobis dolorosa cxistcrct ct molesta.” Formelb. 279.
3 ) Formelb. I, 272. „non minus tarnen voluimus et debemus dum nonnunquam in curia
vestre litteris, que formam aliis dare debent, reprchensiblc aliquid invenilur.'"
Ich möchte glauben, dass hier entweder statt tarnen tacere zu lesen ist, oder
dass dies letztere Wort hinter tarnen «inzuschieben ist.
4*
52
Grünhagen
einer der tliätigsten und intelligentesten Domherren, Arnold von
Protzan, an die Ausarbeitung eines Formelbuches gegangen, welches
dann mit der ausgesprochenen Absicht, die hier aufgenommenen
Urkunden als Muster für die späteren bischöflichen Erlasse gebrau
chen zu lassen, dem Bischof überreicht ward. Dieser konnte sich
darüber wegsetzen, dass ihm hier aus der Körperschaft, mit der er
so vielfach in gespanntem Verhältnisse gelebt hatte, ein Canon für
seine Erlasse octroyirt wurde; doch es war schon eine Demonstra
tion zu nennen, dass hierin Actenstücke aus der Zeit des in Avignon
wenig beliebten Bischofs Heinrich und aus der noch übler verrufenen
Zeit der Sedisvacanz ihm als mustergiltig geboten wurden, aber es
war in der That stark, dass in diesen Musterbriefen sich auch einige
fanden, in welchen das Capitel dem Bischöfe ziemlich bittere Wahr
heiten zu sagen sich veranlasst gesehen hatte, während natürlich die
entsprechenden Briefe Nanker’s fehlten; dass man dies that in
einem Buche, welches noch dazu den Beamten der bischöflichen
Kanzlei zum täglichen Gebrauch gegeben werden sollte und dies
mit solcher Unbefangenheit that, spricht wenig für den Respect,
welchen der dominus et pater spiritualis einzuflössen vermochte; es
ist dies dieselbe Beobachtung, welche schon zwischen den Zeilen
des Briefes steht, in dem Johann XXII. den Legaten Peter zu gelin
derer Behandlung des Bischofs ermahnt i), und welche dann aus den
Berichten Galhard’s sehr wenig verhüllt uns entgegentritt, dass
nämlich Bischof Nanker keine sehr bedeutende Rolle in diesen Verhält
nissen spielt, immer mehr passiv als handelnd, zwischen beiden Par
teien hin und her geschoben und von beiden Seiten Stösse aus
haltend.
Das wieder hergestellte gute Einvernehmen zwischen dem
Bischöfe, dem Könige und den schlesischen Fürsten, welches dann
in den Jahren 1331—1334 im Wesentlichen ungetrübt herrscht,
findet seinen Ausdruck auch in der Thatsache, dass am 13. December
1331 ßoleslaw von Brieg mit seinen Söhnen Wenzel und Ludwig
in Gegenwart Nanker’s, und zwar vor der Thüre der Domkirche
seine Lande König Johann zu Lehen aufträgt 2 ), und nicht minder
J) Theincr I, 309, 1328, October 1.
Ludcwig l-elicjuiae V, 608, Liinig Cod. dipl. 1, 1006, Sommersberg I, 898.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
53
darin, dass der König von Polen 1336 bei dem Papste Nanker’s
Versetzung an einen anderen Ort beantragt 1 ).
Den Interessen des Papstes und speciell der päpstlichen Kam
mer mögen diese Zeiten nicht besonders förderlich gewesen zein;
wir werden noch sehen, wie man gegen die ehemaligen Administra
toren Nicolaus von Banz und Heinrich de Drogus noch bedeutende
Ansprüche zu haben glaubte, andererseits trat auch gerade damals,
Anfang der dreissiger Jahre, eine erneute Stockung in der Zahlung
des Peterspfennigs ein.
Bezüglich dessen hatte unzweifelhaft König Johann bei Gele
genheit der Huldigung des Breslauer Herzogs dem anwesenden
päpstlichen Legaten beruhigende Versicherungen gegeben 2 ), und
in der That führen die Breslauer 1329 für das Vorjahr 82 Mark, als
aus ganz Schlesien zusammengekommen, an den Legaten nach Kra
kau ab 3 ). Für das folgende Jahr liegt uns dann sogar eine wahr
scheinlich bei der Anwesenheit König Joliann's im Jahre 1329 zu
Stande gekommene Vereinbarung vor, in welcher allerdings von
einer Zahlung nach Köpfen nicht mehr die Bede ist, aber doch für
die einzelnen Städte, resp. Territorien ein bestimmtes, jährlich zu
*) Theiner I, 610. Rainald ad h. a. Nähere Motive der immerhin auffallenden That-
sache sind nicht bekannt, und es ist auch möglich, dass hier noch eihe Intrigue
Peter’s von Auvergne nachgewirkt hat, der ja bald darauf von Nanker wie von
dem an derselben Stelle mit ihm zugleich genannten Bischof Johann von Krakau
bei dem Papste verklagt wird.
2 ) Wenn Stenzei (Bisthums-Urkunde 293, Anm. 1) aus einer Erwähnung der Urkunde
von 1343 schliesst, dass König Johann 1327 sich verpflichtet habe, in Schlesien
den Peterspfennig kopfweise erheben zu lassen, und dies dann in der Einleitung
LXXXVII als erwiesen hinstellt, so ist der hierbei obwaltende Irrthum schon
hieraus ersichtlich, dass nach jener urkundlichen Erwähnung Galhard de Carce-
ribus das Abkommen mit Johann getroffen hat, und dieser erst 1334 seine Lega
tion in Polen antritt.
3 ) Dass schon für das Jahr 1328 der Peterspfennig gezahlt wurde, zeigt die Notiz
bei Neumarkt Cod. dirl. sil. III. (S. 89) Om. de duobus annis, und dass anderer
seits die auf S. öö als nach Krakau gesendet bezeichnete Summe auf den Peters
pfennig zu beziehen ist, dafür sprechen verschiedene Umstände; einmal der, dass
der päpstliche Legat (wie noch zu erwähnen sein wird) in Krakau verweilte,
sowie dass Krakau auch für die Folgezeit das Centrum für die Einsammlung
jenes apostolischen Zehnten war, und nicht minder der, dass die Höhe der Summe
ganz wohl passt; denn obwohl dieselbe von der ursprünglich veranschlagten
nicht unbedeutend differirt, so finden wir dieselbe doch in den späteren Angaben
annähernd häufig wiederkehren, 1338 (S. 64) sogar ganz genau mit 82 Mk.
6 Skot.
54
Grünhag-en
entrichtendes Pauschquantum festgesetzt wurde*), Diese Veran
schlagung ergibt eine Gesammtsumme von 129 Mark Silber, wobei
unter Anderem die grossen Städte oder Territorien, nämlich Breslau,
Liegnitz, Löwenberg, Brieg, Schweidnitz mit je 1 Mark Goldes
(= IS 1 /, Mark Silber) vertreten sind.
Aber sei es, dass in dieser Zeit die, wie wir schon sahen, auf
päpstliche Anregung wieder hervorgetretene schroffe Haltung des
Bischofs und das über die Stadt verfügte Interdict die Breslauer
reizte, sei es, dass andere uns unbekannte Ursachen hier milgewirkt
haben, genug, im Jahre 1330, wo die Einnahme des Peterspfennigs
nach dem neuen Anschläge bis auf 118 Mark gestiegen war, führ
ten sie von der Summe nur 60 Mark ab und verrechneten das
Übrige für ihre Auslagen bei verschiedenen, in demselben Interesse
nach Avignon geschickten Gesandtschaften, wobei sie noch 16 Mark
zugesetzt zu haben versichern 2 ).
Und was das Schlimmste war, hiermit stockten überhaupt die
Zahlungen; die städtischen Rechnungsbücher aus jenen Jahren mel
den für’s Erste nichts mehr vom Peterspfennig, und ganz in Über
einstimmung damit zeigen die aus jenen Zeiten uns erhaltenen Rech
nungen über den Peterspfennig eine directe Lücke zwischen 1329
und 1333.
Der Bischof, alt und eingeschüchtert, wie er war, schwieg zu
dem Allen, und auch der sonst so rührige Peter von Auvergne, der
seit dem Überfalle, den ihm Bolko von Münsterberg bereitet, sich
nicht mehr nach Schlesien gewagt hatte, sass unthätig in Krakau.
Der Habsucht und Geldgier, die schon immer seine Hauptfehler
gewesen, verfiel er mehr und mehr, und zu ihrer Befriedigung
suchte er auch den Conflict mit Bolko von Münsterberg auszubeuten.
In zwei Briefen aus Krakau 1330, August 25 und 1331, Januar 30 2 )
bekennt er von dem Herzoge Genugthuung erhalten zu haben und
hebt Bann und Interdict auf, und aus dem später desshalb ange
strengten Processe wissen wir, dass er sich den Erlass von Bann und
i) Cod. dipl. Sil. III, 89.
A. a. 0. S. 90, dass der Posten der 60 Mit. nicht, wie es den Anschein hat, auf
die Besoldung- des Gesandten zu beziehen ist, zeigt die Notiz hei der folgenden
Gesandtschaft von 1330.
3 ) Theiner I, 378.
König- Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
55
Interdict hat direct für 150 Mark von dem Herzog abkaufen lassen 1 ).
Auch die Breslauer zahlen ihm in dieser Zeit 1329—30 die gewal
tige Summe von 861 5 / 4 Marks), ohne dass wir bestimmt sagen
könnten, wofür. Vielleicht war es doch in irgend einer Form eine
Abfindung des Legaten, was die folgenden Ereignisse nicht unwahr
scheinlich machen.
Für Peter, der sich der besonderen Gunst des Königs Wladi-
slaw erfreute, war auch Krakau ein besonders günstiger Boden; hier
war es ihm gelungen, zwei seiner Brüder in das Domeapitel zu brin
gen a ), und noch 1333 verschaffte ihm die Gunst des Königs zu
seinen zahlreichen Beneficien noch die reiche Pfründe von St. Flo
rian bei Krakau 4 ). Doch allmählich begann das Vertrauen des
Papstes in den Legaten, welches so lange unerschüttert geblieben
war, zu wanken, und besonders seit dem Tode seines Gönners Wla-
dislaw konnte Peter die Wendung der Dinge empfinden. Im Juli
1333 wird er selbst ernstlich ermahnt, die von ihm eingesammelten
Gelder an die Bevollmächtigten der mit dem päpstlichen Hofe in
Geschäftsverkehr stehenden flandrischen Kaufleute abzuführen und
sich selbst nach Avignon zu begehen 5 ), dann wird ihm Galhard de
Carceribus adjungirt und ihm eine erneute Aufforderung zur Rück
kehr zugesandt. Doch Peter war nicht gesinnt, die Macht, welche
<) Theiner I, 375.
2 ) 1» den Reehnung-sbiichern C. d. Sil. III, 55, heisst es: super pecuniam leg-ati 600 e
15 marc. (auri) puri constabant cum dampnis et expensis 860 M. et 1 fert. Hier
sind jedenfalls zwei verschiedene Posten zusammengefasst; die erst erwähnten
600 Mark sind augenscheinlich dieselben, über welche der Legat die Schuld
verschreibung der Breslauer bei sich trug, als er zu Oppeln beraubt wurde
(Theiner I, 378) , aber weder für diese Summe, noch für die 15 Mk. Gold weiss
ich eine hinreichende Erklärung: wäre es etwa eine bei der Huldigung an Böh
men durch den Legaten ausbedungene Summe, so würde doch wohl die Bezeich
nung in dem Ausgabe-Register etwas anders lauten. Das Nächstliegende wäre,
die Worte „pecunia legati” im eigentlichsten Sinne zu nehmen und an Geld des
Legaten zu denken, welches die Breslauer blos asservirt und nun restituirt hät
ten, und dazu lockt der Umstand an, dass nur hei den Rechnungen der Legaten
so Marken Goldes und Silbers vermischt vorzukommen pflegen. Aber man ent-
schliesst sich schwer, dies anzunehmen; es wäre doch eine heillose Wirthsehaft
gewesen, wenn eine solche grosse anvertraute Summe ausgegeben worden wäre,
ohne dass man auch nur wüsste, wo sie hingekommen und jetzt die Stadt sie auf
einmal hätte restituiren müssen.
3) Theiner I, 347.
4 ) Theiner I, 345—47.
5 ) Theiner 1, 340.
56
Grünhagen
er so wirksam im Dienste seiner Habsucht zu gebrauchen gewusst
hatte, leichten Kaufes aus den Händen zu geben; er liess die Wei
sungen des Papstes einfach unerfüllt, weigerte sich, seine Papiere,
z. B. Schuldverschreibungen der Zahlungspflichtigen an seinen Nach
folger auszuhändigen und ging sogar so weit, dem Bischof Nanker
direct zu verbieten, Reste von Annaten an Jemand Anderen als ihn
selbst zu zahlen *). Die Nachricht von dem in jene Zeit fallenden
Tode Johann’s XXII. mochte ihn um so mehr hoffen lassen, durch Geld
und Freunde in Avignon noch eine ihm günstige Wendung der Dinge
hervorzurufen. Doch er täuschte sich, der neue Legat Galhard war
nicht der Mann, sich so ohne weiteres bei Seite schieben zu lassen,
und seine energischen Vorstellungen bewirkten auch, dass der neue
Papst Benedict XII. das Verfahren gegen Peter wieder aufnabm und
nicht nur demselben die Befehle seines Vorgängers sehr energisch
und unter Androhung von Strafen auf’s Neue einschärfte, sondern
auch, was Peter am peinlichsten berühren musste, die Vollstreckung
dieser Befehle in die Hand Galhard’s legte 3 ). Aber es sollte noch
schlimmer kommen. Auch der alte Feind Peter’s, Bolko von Mün
sterberg, fasste jetzt neuen Muth und strengte eine Klage gegen den
Legaten an wegen Erpressung von ISO Mark durch Androhung des
Interdicts, und Galhard liess durch seine Bevollmächtigten den
Archidiakon und den Dekan von Oppeln in einem uns noch erhalte
nen und von Theiner (I, 37S) mitgetheilten Protokolle die Aussagen
der Belastungszeugen feststellen (1336) 3 ).
Nicht minder hatten damals die Klagen des Bischofs von Kra
kau, welcher schon seit Langem mit Peter in Streit war, sich Gehör
verschafft, und ein streng gehaltener päpstlicher Brief weist den
neuen Legaten an, Peter dazu anzuhalten, dass er das von dem
Bischof oder anderen Klerikern in eigennütziger Absicht erpresste
Geld schleunigst restituire (1335) 4 ). Auch unser Nanker trat nun
mit ähnlichen Klagen hervor, ihn hatte Peter in der Weise über-
vortheilt, dass er für die Mark Goldes, die er ihm zu 12 Mark Silber
anzunehmen versprochen, später 14 oder 15 Mark Silber von ihm
Theiner I, 383.
2) 362.
s ) Theiner i, 373.
4 ) Theiner \ 3 388,
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 57
verlangte, wobei denn gleichfalls Galhard seinen Collegen zur Er
setzung dieses durch das „crimen usurcirie pravitatis” erzielten
Gewinnes bewegen sollte »).
Auf so unrühmliche Weise tratnunder einstso gefürchtete Legat
vom Schauplätze ab, deutlich aller Welt zeigend, dass das Capitel
und die Schlesier überhaupt bei ihrer Abneigung gegen ihn nicht im
Unrechte waren. Wenige Jahre später (spätestens 1338) scheint er
in Brügge, wohin er sich um der Geldgeschäfte mit den flandrischen
Kaufleuten willen begeben hatte, gestorben zu sein s).
Dem neuen Legaten, Galhard de Carceribus, aus der Diöcese
von Cahors 3 ), waren unzweifelhaft die schlesischen Angelegen
heiten, welche Peter in der letzten Zeit ganz vernachlässigt hatte,
dringend an’s Herz gelegt worden, und mit seinem Auftreten beginnt
eine neue Phase des Kampfes, lebhafter als je und um so interessan
ter, als die eigentlichen Principien, welche dem Streite zu Grunde
liegen, nun weit unverhüllter als früher, uns entgegen treten.
Galhard scheintein persönlich weit achtungswertherer Charakter
gewesen zu sein, als sein Vorgänger, auch frei von dem schnöden
Eigennutze, der diesen befleckte, dabei von einer nicht geringen
Schärfe des Verstandes und der Beobachtung, wie seine uns erhal
tenen Berichte an den Papst zeigen, auch von grossem Eifer und
Hingebung für das ihm anvertraute Amt erfüllt, aber daneben
unbesonnen, heftig und zu wenig den Verhältnissen Rechnung
tragend.
Im Jahre 1334 war er zum Legaten ernannt worden, und gegen
Ende dieses Jahres erschien er nun zum ersten Male in Breslau 4 ).
*) Ebendas. 369. Allerdings schwankte damals der Curs des Goldes erheblich. Von
1329—1335 sank er von 15*/* auf 13. C. d. Sil. III. 89 und 90, Anm. 2.
2 ) Theiner S. 419 und 423.
") Caro in seiner Gesell. Polens nennt ihn Galhard von Chartres, wie ich glaube,
mit Unrecht. Chartres {lat. Carnotum) steckt sicher nicht in dem Beinamen de
Carceribus, sondern wahrscheinlich der Name eines südfranzösischen Ortes in der
Diöcese von Cahors, und Galhard wird seine Carriere vermuthlich zunächst dem
Umstande zu verdanken gehabt haben, dass er ein Landsmann des aus Cahors
gebürtigen Papstes Johann XXII. war.
4 ) Den Ausgangspunct für die hier und weiter unten im Texte gegebene chrono
logische Anordnung der Begebenheiten hat für mich die Notiz in Galhard’s Be
richte (Th. I, 892) gebildet, dass seine Vertreibung aus Breslau sede vacante
erfolgt sei. Allerdings war die Sedisvacanz nach dem Tode JohaniCs sehr kurz;
derselbe starb 1334, 4. December, und schon den 20. desselben Monats ward
S8
Grünhagen
Er erzielt hier mannigfache Erfolge; so brachte er als Reste von
dem früher erwähnten sechsjährigen Zehnten die bedeutende Summe
von 1681 Mark zusammen, wovon allerdings 680 auf den Bisclio
und den von demselben verpfändeten Liegnitzer Halt kamen 1 ).
Freilich genügte die auf diese Weise von dem schlesischen Klerus
eingetriebene Summe von 1000 Mark dem Legaten keineswegs und
er nennt die schlesische Geistlichkeit in seinem Berichte an den
Papst geradezu mit Bezug auf diese Angelegenheit, schlechte
Zahler a ).
Höchst merkwürdig scheinen sich die Verhältnisse in Bezug auf
den Peterspfennig gestaltet zu haben. Der päpstliche Legat behauptet
in den ersten zwei Jahren seiner Amtsführung (1335 und 1336) aus
der Breslauer Diöcese nur aus dem Archidiakonat Oppeln jedesmal
20 Mark erhalten zu haben 3 ), erst 1337 seien dazu noch der Bischof
mit seinem Neisser Territorium (exclusive der Stadt) und die Kirch
spiele von Gleiwitz und Wansen gekommen, welche dann allerdings
für die ersten zwei Jahre nachgezahlt hätten 4 ).
Von der übrigen Breslauer Diöcese und ganz besonders von
den Breslauern, wird beständig behauptet, sie weigerten sich hart
näckig, denPeterspfennig zu zahlen und desslialb ward Bann undlnter-
dict gegen sie in Bewegung gesetzt 5 ). Dies ist nun augenscheinlich
eine Unwahrheit; allerdings scheinen, wie schon erwähnt, von 1331 bis
1335 die Zahlungen gestockt zu haben, doch mit dem Jahre 1335
werden sie auf die Mahnung des Legaten wieder aufgenommen und
jährlich nach dem schon erwähnten Anschläge an die Breslauer (frei
lich mit mancherlei Restanten) entrichtet, welchesiedann directanden
Benedict gewählt und den 8. Januar consecrirt, auch dürfte man wohl jenen
Ausdruck so zu verstehen haben, dass nicht gerade die Zeit, wo der Papst
gestorben war, gemeint ist, sondern die, wo die Nachricht von seinem Tode nach
Breslau kam, also mehrere Wochen, resp. Monate später, da wohl anzunehmen
ist, dass gerade diese Nachricht die Breslauer zu ihrem Vorgehen ermuthigt habe.
1) Theiner I, 369—374.
2 ) Clerus solvit pessime. Th. 392,
3 ) Theiner I, 394 und 443 IT.
4 ) Ebendas. I, S. 443. Der Pfarrer von Wansen räumt ein, seit 13 Jahren keinen
Peterspfennig mehr gezahlt zu haben.
5 ) Berichte Galhard's 1338, Th. I, 417. „ . . . monuissem cives Wratislavienses et
omnes ulios dyoc. Wrat., qui in solucionc census b. P. ecclesic Rom. debiti lunyu tem
pore cessaverant ... et quia frequenter moniti prcdictum censum solvere recusave-
runt et recusant . . .
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau,
59
Papst abführen. Auch die Breslauer selbst zahlen schon 1335 ihre
Quote mit 1 Mark Goldes = 13 Mark Silber *) und wenn sie früher,
wie wir sahen, ihre Unkosten hei der Einsammlung und Ablieferung
zum grossen Tlieil aus den gesammelten päpstlichen Geldern bestrit
ten haben, so nehmen sie jetzt davon Abstand und verzeichnen nur
in ihren Rechnungsbüchern, dass sie bei Eintreibung und Ablieferung
der Gelder für den Peterspfennig aus dem Jahre 1335 (62 Mark)
und 1336 (46 Mark)») in Summe 60, resp. 62 Mark Unkosten gehabt
haben, obwohl sie keinen eigenen Boten gesandt, sondern das Geld
dem Magister Bertold, welcher dem Papst den Abschluss des Frie
dens zwischen Polen und Böhmen (November 1335) kund thun sollte,
mitgegeben haben 8 ). Möglich wäre nur, dass die Breslauer gegen
diese bedeutende Auslage ihre Quote am Peterspfennig pro 1336 und
1337 aufgerechnet hätten. 133S dagegen scheinen sie wieder
eine Gesandtschaft nach Avignon mit den Beiträgen pro 1337 und
1338 abgesendet zu haben, diesmal, soweit es ersichtlich ist, mit dem
geringeren Kostenaufwande von nur 25 3 / 4 Mark 4 ).
Davon also, dass die Breslauer und die Schlesier überhaupt in
dieser Zeit keinen Peferspfennig bezahlt hätten, kann nicht die Rede
sein, sondern die Breslauer, welche gleich von Anfang an mit dem
Legaten in Streit gerathen waren, haben sich nur geweigert, gerade
ihm denselben zu zahlen und es desshalb vorgezogen, denselben
direct nach Rom zu senden, während dagegen Galhard, der sich mit
Recht als den berechtigten Einsaminler des Peterspfennigs in der ge
summten polnischen Kirchenprovinz anschen konnte, jede nicht durch
seine Hand gehende Zahlung einfach als nicht geschehen betrachtete.
*) Dies und die folgenden Notizen sind aus einer Zusammenstellung- der Angaben der
städtischen Rechnungsbücher und der speciellen Rechnung über den Peterspfennig
C. d. Sil. III, 61 ff. und 90 ff. hervorgegangen.
2 ) A. a. 0. 90. Bei den Worten ista est seeunda contribucio etc. ist 1337 unzweifelhaft
ein blosser Schreibfehler für 1336. Die vier Zeilen dahinter folgenden Posten von
Nisa an waren im Original ganz mit Recht durchstrichen, da sie nur der Anfang der
nächsten Jahresrechnung sind, den der Abschreiber aus einem seihst wieder einge
sehenen Irrthum voraufgenommen hatte.
3 ) Theiner I, 387 (vgl. Theiner: Monum. Hungar. I, 610).
4 ) 1337 geht die von den anderen schlesischen Orten eingelieferte Summe gegen die
Ausgabe auf, es scheint also von den Breslauern seihst nichts dazu geliefert worden
zu sein. Dagegen stehen 1338 91 Mk. pro expensis den. St. Petri notirt, während
die Kinnahmen aus dem übrigen Schlesien nur 6t»y 4 Mk. betragen; 1339 geht dann
wieder Beides genau auf.
60
G r i'i n h a g e n
Galhard war augenscheinlich den Schlesiern vom ersten Augen
blicke an ein unwillkommener Gast, und dass auch der Klerus ihn,
von dem man nichts als neue Geldforderungen und Friedensstörungen
voraussah, nicht gerade gern sah, war natürlich genug, und wir
werden ausserdem auch noch annehmen dürfen, dass er gleich im
Anfänge nicht mit hinreichender Vorsicht aufgetreten ist, aber trotz
alledem muss es uns in Erstaunen setzen, mit welcher Einmüthigkeit
der ganze Klerus hier Opposition macht. Als er z. B. nach Breslau
kommt und die Stimmung der Bürgerschaft ihm drohend erscheint,
so dass er um das schon eingesammelte Geld, das er mit sich führt,
besorgt sich nach einem festen steinernen Hause umsieht, in dem er
wohnen könne, weigern sich die Klöster in Breslau, ihn aufzu
nehmen und selbst der Bischof, bei dem doch früher die Legaten
ihre Wohnung genommen hatten, muss einen Vorwand gefunden
haben, um ihn abzuweisen.
Es ist unverkennbar, dass dies gespannte Verhältnis, in welches
Galhard von vornherein zu der Breslauer Bürgerschaft und nicht
weniger zu der Geistlichkeit kam, zu nicht geringem Theil die Folge
von seines Vorgängers Handlungsweise war. Wir bemerkten schon,
wie Peter von Auvergne in den letzten vier Jahren seiner Amtsfüh
rung sich gar nicht mehr um Schlesien zu bekümmern schien, wir
nehmen nun wahr, dass diese Unthätigkeit weder aus Lässigkeit,
noch aus Furcht hervorging, sondern dass sie die Wirkung
gewisser Abkommen war, welche die Breslauer, die Bestechlich
keit des Legalen sehr wohl kennend, von diesem erlangt hatten, und
welche sehr geeignet sind, auf die eigentliche Bestimmung jener
oben erwähnten hohen Summe von 800 Mark, die wir 1329 in den
städtischen Rechnungsbüchern als super pecuniam legati bezeichnet
fanden, ein helleres Licht zu werfen.
Was zunächst den Peterspfennig betrifft, so fehlen hier directe
Angaben, doch wenn wir erwägen, dass der neue Anschlag, welcher
die Einsammlung und Abführung ganz in die Hände der Breslauer
legte, aus demselben Jahre stammt, wie die Absendung jener Summe
an den Legaten, und dass ferner die Mehrzahl der schlesischen Städte
(mit ihnen sogar der. wie wir noch sehen werden, entschieden
*) Auch die auswärtigen Äbte, welche hier Häuser besasse», z. B. Leubus und Kamenz.
Vgl. Galhard’s Bericht, Theiner 392.
König Johann von Böhmen nnd Bischof Nanker von Breslau.
61
klerikal gesinnte Herzog Konrad von Oels) sicherlich nicht so gedul
dig jedes Jahr ihre Quote nach Breslau gezahlt hätten, wenn nicht
ein Rechfstitel Vorgelegen, oder wenn der vom Papste bestellte Ein
nehmer energisch gegen diesen Modus protestirt hätte, werden wir
geneigt sein, auch hierbei ein Abkommen als vorhanden anzunehmen.
Genauer noch sind wir über die zweite Form jener päpstlichen
Besteuerung, jenen alten sechsjährigen Zehnten, unterrichtet, von
welchem noch immer bedeutende Reste einzuziehen waren. Hierbei
erfahren wir ganz direct, dass zwei Breslauer Domherren, Herrmann
von Beczaw, zugleich Dechant des Kreuzstiftes, und Heinrich von
Jäschgüttel durch Peter zur Einsammlung desselben bevollmächtigt
worden waren f ). Und eben so war bezüglich der Ansprüche, welche
die päpstliche Kammer an die Administratoren Nicolaus von Banz
und Heinrich von Drogus machte, in so weit ein Abkommen getroffen,
dass Nicolaus eine Generalquittung Peter’s vorweisen konnte a ).
Es musste nun nothwendig böses Blut machen, wenn Galhard
alle diese Verträge, die sein Vorgänger geschlossen, und welche die
Interessenten mit bedeutenden Opfern erkauft hatten, einfach für
ungiltig erklärte, und wenn dies wirklich das päpstliche Interesse
erheischte, so hätte wenigstens unter den hier obwaltenden eigen
tümlichen Verhältnissen nur mit grosser Vorsicht vorgegangen
werden sollen. Doch davon finden wir in Galhard’s Verhalten keine
Spur; in Bezug auf den Peterspfennig bemerkten wir schon, wie er
die Breslauer und ihre Genossen einfach als Nichtzahlende ansah,
und dem gemäss gegen sie verfuhr, obwohl doch in Anbetracht der
grossen Schwierigkeiten, welche die Einsammlung des Peterspfennigs
hier in Schlesien mehr und mehr gemacht hatte, der Anschlag von
1329, welcher dem päpstlichen Stuhle einen jährlichen Ertrag von
118 Mark verhiess, etwas nicht so ganz von der Hand zu Weisendes
war. Noch schlimmer verfuhr er in der Sache des sechsjährigen
Zehntens. Hier begnügte sich Galhard nicht damit, den beiden von
seinem Vorgänger bevollmächtigten Geistlichen die Sammlung sofort
abzunehmen, sondern er fuhr sie auch mit heftiger Rede an, nannte
sie Diebe und Räuber päpstlicher Gelder, so dass selbst der so gut
gesinnte Bischof Nanker sich bewogen sah, seine Geistlichen in
i) Formelb. 2.90 (ein nach der Überreichung- noch zugeschriebenes Stück).
a ) Theiner I, 393.
62 Griinhagen
Schutz zu nehmen und dem Legaten die Missbilligung seines Ver
haltens offen auszusprechen *).
Und eben so wenig nahm Galhard Anstand gegen das so
gefürchtete Haupt des schlesischen Klerus, Nicolaus von Banz, auf
das Heftigste vorzugehen. Jener Quittung des Legaten Peter ver
weigerte er jede Anerkennung a ) und machte kein Hehl daraus, dass
er von demselben mehr als 1000 Mark aus den Zeiten seiner Admi
nistration verlange, und in keinem Falle mit den 300 Mark, zu deren
Zahlung sich Nicolaus allenfalls hätte bereit finden lassen, zufrieden
sein würde. Ob es wahr ist, wie Galhard selbst behauptet, dass ihm
Nicolaus noch persönlich 100 Mark für die Anerkennung der Quit
tung Peter’s geboten, mögen wir dahingestellt sein lassen, wenn
jedoch Nicolaus von Banz wirklich der Tyrann war, wie ihn Gal
hard schildert, vor dem sich der Bischof und der ganze Klerus weit
mehr als vor dem Papste fürchtete, dann war es mehr als verwegen
einem solchen Gegner so voreilig den Krieg anzukündigen.
Zu diesem rücksichtslosen und unklugen Auftreten des Legaten
kain dann noch seine ganz unverholen zur Schau getragene Abnei
gung gegen die Deutschen überhaupt, die er als Feinde und Ver
ächter der päpstlichen Gewalt ansah 3 ). Ganz besonders dieser
Umstand war es nun, welcher ihm so von vornherein die schlesische
Geistlichkeit in so hohem Grade entfremdete, so dass trotz der
Furcht, welche der Gesandte des heiligen Vaters einflössen musste,
die Abte der schlesischen Klöster bei seinem Aufenthalte in Breslau,
wie wir sahen, ihre Häuser ihm verschlossen. Wenn das bei dem
Klerus möglich war, wird man sich nicht wundern dürfen, dass bei
der Bürgerschaft der Hass gegen den Legaten sehr gross war, und
als nun gerade in der Zeit seines Aufenthaltes in Breslau die Nach
richt von dem Tode Papst Johaun’s (f 1334, 24. December) hier
eintraf und damit die Hoffnung erwachte, dass das verhasste System,
als dessen Träger Galhard angesehen wurde, sein Ende erreicht
haben würde, hatte der Legat vielleicht nicht Unrecht, wenn er sich
in Breslau nicht mehr für sicher hielt und sehr froh war, als ihn der
1) Formelbuch 290.
2 ) „ (quitacio mag-. Petri de Alvernia) que mihi videtur suspecta, vana, frivola,
et inanis.“ Theiner I, 393.
3 J Wir werden noch weiter unten Äusserungen Galhard’s hierüber mitzutheiien Veran
lassung haben.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Bi'csiau. 63
gut päpstlich gesinnte Konrad von Oels auf allerlei Umwegen über
die polnische Grenze brachte *).
Nach Krakau zurückgekehrt, citirt Galhard die beiden Breslauer
Administratoren Nicolaus von Banz und Heinrich von Drogus hiehcr,
und als sie ihr Ausbleiben mit der Weite des Weges und der
Unsicherheit der Reise entschuldigen, entschloss er sich noch ein
mal nach Schlesien zu gehen und zwar nach Oppeln, wo er sich
den Herzog und die Bürgerschaft geneigter wusste und setzte
für jene beiden einen zweiten peremtorischen Termin an. Hier
scheint es allerdings, als ob es mit Heinrich von Drogus zu einem
Vergleich gekommen wäre, nach welchem derselbe den Legaten
durch die Zusage der Zahlung von 110 Mark abfand 3 ), doch Nico
laus von Banz, bei dem es sich allerdings um eine viel höhere
Summe handelte, erschien auch dort nicht und ward daher nun in
aller Form excommunicirt.
Dagegen erschien hier in Oppeln auch der uns als Verfasser
des Formelbuches bekannte Breslauer Domherr Arnold von Protzan,
um im Aufträge des Bischofs und Capitels mit Galhard weiter zu
verhandeln, und es ward hier unter Anderem festgesetzt, dass gegen
diejenigen Geistlichen, welche noch mit Zahlungen für den sechs
jährigen Zehnten im Rückstände waren und um einen niedrigeren
Steuersatz zu erlangen, die inzwischen erfolgte Verminderung ihrer
Einkünfte betheuert hatten, für den Fall, dass diese Versicherung
sich als falsch herausstelle, mit Strafen eventuell selbst mit gänz
licher Absetzung eingeschritten werden sollte 3 ).
Die Spannung in diesen Verhältnissen dauerte noch fort, als
König Johann, den inzwischen der am 2. November erfolgte Tod Herzog
Heinrich's VI. zum directen Herrn über Breslau gemacht, im Anfang
des Jahres 1337 auf seinem Feldzuge gegen dieLithauerhier durch
kam um dann nach Beendigung dieses Kampfes, und nachdem er
einen neuen Friedensvertrag mit Polen geschlossen (12. März)
4 ) Theiner I, 390. Es iat schwerlich ein Zufall, dass schon hei dem Anschläge für den
Peterspfennig v. J. 1329 dieser Konrad der einzige schlesische Fürst ist, der seihst
als codtrihuirend aufgeführt wird, während sonst überall nur die Städte genannt sind.
Es mochte eben sonst nicht räthlich erscheinen, den Fürsten die Einsammlung des
Geldes zu überlassen.
3 ) Theiner 1, 393 und 95.
3 ) Ebendaselbst 370.
64
Grünhagen
von Neuem einige Tage hier zu verweilen (etwa vom 2S. März an),
bei welcher Gelegenheit er dann auch in den kirchlichen Angele
genheiten zu vermitteln suchte. Natürlich bewies das Capitel das
eifrigste Entgegenkommen, und am 30. März urkundet nun der
König, dass er mit dem Bischöfe und dem Capitel eine völlige
Einigung geschlossen und das Bisthum in seinen Schutz genommen
habe, indem er dasselbe von allen Lasten und Steuern entbindet
und zugleich die schlesischen Fürsten zur Erhaltung des Friedens
mit der Geistlichkeit dringend ermahnt und erforderlichen Falls
seinen Hauptmann Heinrich von Haugwitz anweist, dem Bisthum
wirksamen Schutz zu gewähren i). Für diese Zeit hatte Johann auch
den Legaten hierher einladen lassen, doch diesem schien Breslau
trotz aller Geleitsbriefe ein zu gefährlicher Aufenthalt, und er nahm
das sicher unbegründete Gerücht, Nicolaus von Banz habe gedroht,
ihn mit dem Schwert oder mit Gift aus dem Wege zu räumen 3 ), zum
Vorwände seines Nichterscheinens s). Dass übrigens der König
selbst den Ansprüchen des Legaten wenig günstig gesinnt war,
vermögen wir aus der Theilnahme seiner schlesischen Haupfleute
an den weiteren Schritten der Breslauer zu erkennen. Diese näm
lich antworteten auf die Drohung Galhard’s mit dem Interdict wegen
ihrer Weigerung, den Peterspfennig an den Legaten abzuführen,
mit einem Edicte, welches jeden, der einen päpstlichen Boten auf
nähme, ohne dem Rathe und dem Landeshauptmann Anzeige zu
machen, mit Güterconflscation, ja sogar mit dem Tode bedrohte 4 ),
was nun Galhard auf’s Ausserste aufbrachte, so dass er sogleich das
Interdict über die Breslauer verhängen wollte und nur auf den
Wunsch König Kasimir’s von Polen, welcher, nachdem er mit Böhmen
wieder in Frieden war, die Dinge in Schlesien ungern auf die Spitze
1) Im Auszuge bei Stenzel Ss. res. Sil. I, 132, Anin, 4.
*) Dass der alle Mann, welchen wir seit so langer Zeit unter sehr schwierigen Ver
hältnissen so inassvoll und besonnen die Angelegenheiten des Capitels haben führen
sehen, nun sieh zu so brutalen Drohungen habe hinreissen lassen, ist wenig glaublich.
3) Die Darstellung in dem Schreiben des Erzbischofs von Gnesen (Th. I, 390) könnte
uns glauben lassen, der Legat sei jener Einladung gefolgt, doch zeigen dessen
eigene Worte in seinem Berichte (S. 392), dass er seit seiner ersten Anwesenheit in
Breslau, „seile vacante* bis zur Abfassung der Berichte (im Sommer 1337) nicht
mehr hierher gekommen ist, auch war Johann seit Galhard’s Amtsantritt nur eben
im Januar 1337 in Breslau.
4) So versichert wenigstens Galhard. Theiner I, 392.
König Johann vou Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
65
getrieben sah, noch bis zum Andreastage (30. November 1337)
eine letzte Frist setzte, bis wohin denn aber die Breslauer auch die
obenerwähnte Verordnung aufgehoben und seinen Boten freies
Geleit zugesichert haben sollten i). Als dann auch dieser Termin
vorbeiging ohne eine Einigung herbeizuführen, Hess er sich durch
nichts mehr abhalten, die Breslauer und die mit diesen gleich-
gesinnten Fürsten, d. h. alle mittel- und niederschlesischen (viel
leicht mit Ausnahme Konrad’s von Oels 3 ) mit Bann und Interdict zu
bestrafen.
Natürlich war unter solchen Umständen der gegen Nicolaus
von Banz geschleuderte Bannsträhl ganz wirkungslos geblieben,
derselbe amtirte nach wie vor, und weder das Capitel noch selbst
der Bischof wagte es ihm die Folgen der Excommunication fühlen
zu lassen. Auch hatte derselbe Mittel gefunden, jenen Urtheilsspruch
direct annulliren zu lassen. Er hätte nämlich gegen das über ihn
ausgesprochene Urtheil nach Avignon appellirt, dort allen seinen
Einfluss aufgeboten und sicher auch Geld nicht gespart und wirk
lich Gehör gefunden. Es hatte sich hier doch in Folge des Todes
Johannes XXII. ein gewisser Umschwung vollzogen. Der neue Papst
Benedict XII., der aus einem fast klösterlich eingezogenen Leben
unerwartet auf den päpstlichen Stuhl gerufen worden war, war
einerseits doch nicht so allseitig mit den Interessen der Curie ver
traut, andererseits begann er seine Begierung mit dem aufrichtigen
Bestreben, allerlei Missbräuche, die sich unter der Regierung seines
Vorgängers eingeschlichen hatten, abzustellen, so wie überhaupt
strenge Gerechtigkeit zu üben, und gerade die Erfahrungen, welche
er gleich im ersten Anfänge seiner Regierung mit Peter von Auvergne
gemacht hatte, mussten ihn mahnen, auch die Legaten sorgfältig zu
überwachen. So ging er denn auf Nicolaus 1 Appellation ein und
ernannte drei schlesische Äbte, nämlich die von Leubus, Kamenz
und St. Vincenz bei Breslau zu Schiedsrichtern in dieser Streitsache,
welche darauf den Legaten zum 31. August 1337 nach Breslau
*) Ebendaselbst. S. 303.
2 ) Sie werden bei einer späteren Gelegenheit (1342, Theiner I, 448) aufgezählt, und es
finden sich darunter Männer von ausgesprochenen kirchlichen Gesinnungen, wie
z. B. Ludwig von Brieg —ja damals 1343 wird sogar Konrad von Oels unter den
Rebellen genannt, der, wie wir schon sahen und noch sehen werden, sonst am
treuesten zu dem Legaten stand.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd. 1. Hffc. 5
66
G r ü n h a g e n
citirten, um dort über die Wahl eines passenden Ortes, an welchem
diese Streitsache weiter verhandelt werden könne, sich zu einigen.
Als die Citation in Krakau anlangte, war Galhard gerade nach
Ungern verreist, und sein Procurator, Johann von Brest, entwarf
sofort eine energische Protestation gegen das ganze Verfahren und
gegen die Vorladung an einen einerseits für den Vorgeladenen nicht
sicheren und daneben von dessen Aufenthaltsorte mehr als drei
Tagreisen entfernten Ort, und liess diese durch den Erzbischof von
Gnesen den Äbten übersenden *). Den Legaten brachte die Kunde
von dem gegen ihn eingeleiteten Processe in den grössten Zorn.
Er antwortete damit, dass er den Bischof unter Androhung geist
licher Strafen aufforderte, Nicolaus von Banz, der schon seit zwei
Jahren excommunicirt hartnäckig dem Banne trotze, nun wirklich als
gebannt zu proclamiren und die Geistlichen anzuhalten, allen Ver
kehr mit demselben abzubrechen. Hierin aber erblickten wieder die
Äbte eine unberechtigte Störung der ihnen übertragenen Jurisdiction
und Hessen desshalb wieder ihrerseits den Legaten in den Breslauer
Kirchen, sowie in der Krakauer Hauptkirche als excommunicirt ver
kündigen 3 ).
Die ganze Angelegenheit gab nun natürlich eine sehr schlimme
Präcedenz ab. Der erste, der das von Nicolaus gegebene Beispiel
nachahmte, war Herzog Boleslaw von Brieg, den Galhard, weil er
eine Schuld von 200 Mark trotz mehrfacher Mahnungen nicht
gezahlt, gebannt hatte. Auch auf seine Appellation ward der Decan
von Bauzen zum Schiedsrichter gewählt, und alsdann der Legat
nach dieser Stadt citirt, wiederum nicht erschien, ward er abermals
excommunicirt. Auf demselben Wege gingen jetzt auch die Bres
lauer sammt ihren Verbündeten vor und erlangten gleichfalls in der
Person des Abtes von Grüssau einen ihnen genehmen Richter,
welcher auch seinerseits Galhard auf den 17. October nach Schweid
nitz vorlud, ohne dass derselbe jedoch diese Citation mehr als die
beiden anderen respectirt hätte 3 ).
1) Theiner I, 388. .
2 ) Der Bericht Galhard’s Theiner I, 393 zeigt, dass noch vor dem ursprünglich ange-
raumlen Termine (31. August) das Auftreten Galhard’s gegen Nicolaus von Banz des
erstereii Excommunication durch die Abte bewirkt habe.
3 ) Theiner I, 417.
Köllig - Johann von Böhmen und Bischof Kanker von Breslau.
67
Natürlich litt unter diesen Verhältnissen, wo die von beiden
Seiten geschleuderten Bannstrahlen schliesslich jede Wirkung der
selben auflieben mussten, das Ansehen der kirchlichen Obrigkeit
nicht wenig, und ganz besonders musste Galhard seine Stellung
durch solche Vorgänge gefährdet sehen. So schreibt er denn schon
1337 einen Bericht an den Papst, der einerseits von seiner Erregung
ein deutliches Zeugniss ablegt, andererseits aber in höchst charak
teristischer Weise, wenn auch mit etwas grellen Farben seine üble
Lage schildert. Hierin sagt er nun mit klaren Worten , in allen
Theilen Polens, wo Deutsche herrschten, kämen alle Rechte der
päpstlichen Kammer ganz und gar in Verfall, so ginge es in Breslau
und eben so in den Diöcesen Lebus, Kamin und Kulm. In Bezug auf
Schlesien geht er dabei auch wieder von der, wie wir schon sahen,
in den päpstlichen Kreisen feslgehaltenen Meinung aus, dass
Schlesien unmittelbar aus der Hand des Königs von Polen in die
des Königs von Böhmen übergegangen sei, wobei also die Periode
der Selbstständigkeit von 1163—1327 ganz ignorirt wird, und
ebenso weicht er erheblich von der Wahrheit ab, wenn er die Zah
lung der päpstlichen Abgaben in der Zeit vor der böhmischen
Herrschaft als durchaus geordnet und ununterbrochen darstellt >),
während wir oben kennen gelernt haben, wie grosse Schwierig
keiten die Einsammler des Peterspfennigs auch früher gefunden
haben. Um dann die verderblichen Folgen des Eingehens auf die
Appellation der schlesischen Geistlichen zu zeigen, rechnet der
Legat dem Papste vor, wie dasselbe zunächst einen Ausfall von
300 Mark bewirken müsse. Soviel nämlich wäre Nicolaus von Banz
zu zahlen bereit gewesen, nachdem er aber deutsche Richter erlangt,
zahle er keinen Pfennig, eine Argumentation, die freilich nicht ganz
stichhaltig war, da man eben so gut sagen konnte, Galhard selbst
habe den Ausfall herbeigeführt, indem er statt das Anerbieten der
300 Mark anzunehmen, durch zu hoch gesteigerte Forderungen die
Appellation mit ihren Folgen erst provoeirt habe. Wenn man, so
fährt dann Galhard fort, auch wirklich eine nochmalige Untersuchung
der Sache hätte anordnen wollen, so hätte man sie doch lieber dem
i) Theiner I, 392. — „Et eensus I». Petri et decime et omnia jura Camere penitus erant
illesa.“
5*
68
Grünhagen
päpstlichen Kämmerer oder Schatzmeister übertragen sollen, als sie
so in des Klägers eigne Hände zu legen. Denn so sei es in Wahrheit
geschehen, die gesammte schlesische Geistlichkeit stände so voll
ständig unter dem Einflüsse Nicolaus von Banz, dass aus ihrer Mitte
Niemand gegen denselben zu entscheiden wage. Habe ihm ja doch
der Bischof selbst erklärt, er dürfe es nicht wagen, gegen Nicolaus
die Excommunication zu verkünden oder ihr auch nur persönlich
Folge zu geben.
Überhaupt klagt Galhard über den Bischof, derselbe sei alt und
abgelebt („quodammodo in decripiditate constitutus“J, und wenn
das Bisthum erledigt würde, müsse der Papst die Ernennung des
Nachfolgers sich Vorbehalten und einen Polen hierher bringen, denn
wenn man die Wahl dem Capitel überliesse oder dem Einflüsse des
Königs oder auch nur der Übermacht des deutschen Klerus, würden
alle Anrechte der päpstlichen Kammer vollständig in Verfall kommen,
wie es bisher überall geschehen sei, wo Deutsche die geistliche und
weltliche Gewalt hätten 4 )-
Diese Vorstellungen verfehlen nun zwar ihren Eindruck auf
den Papst nicht, und derselbe beeilt sich das Verfahren der Äbte
gegen Galhard zu annulliren und eine erneuerte Untersuchung der
Sache dem Petrus Gervasii, Canonicus von Viviers zu übertragen,
der die Parteien vor den päpstlichen Stuhl nach Avignon citiren soll 2 ).
Inzwischen war es doch, wie wir schon sahen, Herzog Boleslaw
ebensowohl als den Breslauern möglich geworden, in Avignon auf
ihre Appellation wider den Legaten die Bestellung deutscher Richter
zu erlangen, und Galhard sieht sich desshalb veranlasst unter dem
21. September einen Brief voll noch schlimmerer Klagen und Be
schwerden dem Papst zu senden s).
Ihm scheint das päpstliche Einschreiten gegen die über ihn
ausgesprochenen Urtheile nicht scharfund entschieden genug; noch
einmal setzt er das Verfahren der Äbte aus einander und berechnet,
wie viel diese Angelegenheiten der päpstlichen Kammer kosteten,
schon seien die 300 Mark von Nicolaus von Banz verscherzt, denn
um den dem Petrus Gervasii ertheilten Auftrag kümmere sich der-
1) Theinei- I, 391 — 397.
3) Ibid. 403. 1338, 28. Febr.
3) Ibid. 416.
König- Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
69
selbe nicht im Allermindesten*), nun gingen auf gleiche Weise
auch die 200 Mark des Brieger Herzogs verloren, und die Bres
lauer mit ihrem Anhang dächten, seitdem sie einen deutschen
Bichter erlangt, weniger als je an Bezahlung des Peterspfennigs.
Und immer neue schlimme Consequenzen sähe man sich entwickeln,
jener Heinrich von Drogus der ehemalige College von Nicolaus von
Banz in der Verwaltung des Bisthums, der sich früher zur Zahlung
von 110 Mark verpflichtet, habe jetzt gleichfalls den ersten Termin
Vorbeigehen lassen und nichts als leere Entschuldigungen über sein
Unvermögen vorgebracht 3 ), und wie man erzählte, habe er geäussert,
er warte blos darauf, dass man ihn excommunicire, um dann gleich
falls nach Avignon zu appelliren. Ja selbst die Krakauer Bürger,
nachdem sie von des Legaten Excommunication gehört und in dem
durch die Vorspiegelungen der Breslauer erregten Glauben, der
selbe sei in Ungnade von seinem Posten abberufen worden, wollten
jetzt die der päpstlichen Kammer gehörenden Geldsummen, welche
sie noch hinter sich hätten, nicht herausgeben. Und was das
Schlimmste sei, auch die Polen fingen an, schwierig zu werden und
äusserten mehrfach, sie wollten nicht allein Sclaven sein, während
die in ihrem Lande und von ihren Gütern lebenden Deutschen ganz
frei seien. Kurz es sei die höchste Zeit, hier energisch einzu
schreiten, wenn man nicht Alles verloren gehen sehen wolle.
Es lag unzweifelhaft etwas Wahres in diesen Klagen Galhard’s,
wenn gleich derselbe an der üblen Wendung der päpstlichen Ange
legenheiten die meiste Schuld trug. Wie wir schon wissen, hatte
der Legat um's Ende des Jahres 1337 s ) über die Breslauer und ihre
Verbündeten das Interdict verhängt. Diese aber waren weit entfernt,
nachzugeben und eben so wenig ihre Verbündeten, obwohl einer
derselben, Konrad von Oels, am 11. Februar 1338 (?) den Raths
herren desshalb Vorstellungen machte, und als die Breslauer darauf
hinwiesen, wie die Anordnungen bezüglich des Peterspfennigs, an
welchen sie festhielten, damals (1327) unter Zustimmung des Königs
zu Stande gekommen seien, und dieser ihren Widerstand gegen
die Zumuthungen der Legaten billige, erwiederte, in Sache des
!) „Non curat in una faba.“
3 ) „Allegans paupertatem et nescio quas trufas.“
3 ) 1337 d. 30. Nov. lief der letzte den Breslauern gestellte Termin ab, vgl. o.
70
Grünhagen
Peterspfennigs hätten die Schlesier immer allein unter dem Papste
gestanden, darin habe kein Kaiser oder König etwas zu sagen *).
Aber mehr als diese dreisten Worte, welche der Rath in seinem
Stadtbuche verzeichnete und für die dann der böhmische Haupt
mann durch allerlei kleine Quälereien den Herzog hüssen liess 3 ),
hat auch Konrad für die päpstlichen Interessen nicht gehabt. Viel
mehr nehmen wir wahr, dass, während die vielgeschmähten Bres
lauer mit ihren Verbündeten, auch jetzt noch unter dem Interdict
fortfahrenden Pelerspfennig zu zahlen und z. B. lür 1338 91 Mark
abführen, wobei Breslau mit über 23 Mark betheiligt ist 3 ) (der
Legat selbst brachte in diesem Jahre aus ganz Schlesien kaum
30 Mark zusammen), jener beredte Vertheidiger der päpstlichen
Rechte zwar seine Zahlungen bei den Breslauern einstellte 4 ), ohne
jedoch desswegen dem Legaten seine Contribution zu entrichten,
und noch 1343 führt ihn der Legat unter den stcuerverweigernden
Rebellen auf 5 ).
1) „Fer. 4. post Scolastice virg. dux Conr. de Ölsin. manifeste loeutus est in presentia
consultim Wrat., qnod duces Slesiae ab antiquo subjecti sunt sedi apostolice ex solu-
tione Denarii b. Petri ita quod nullo modo subjacere debeant imperatoribus aut regibus
quibuscunque“, so Fr. Faber in seinen handschriftlichen Origines Wratislavienses
(Original auf dem Rathsarchiv) aus dem verloren gegangenen Stadtbuche genannt
hirsuta hilla F. 3. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass Faber die Aufzeichnung der
hirsuta hilla nur verkürztreproducirte (überein ähnliches ExcerptF. 6 aus demselben
Stadlbuche vgl. Griinhagen : Breslau unter den Piasten. S. 116) und ein zweiter
unbekannter Epitomator, wie es scheint aus dem Anfänge des XVI. Jahrhunderts
(Rathsareh. Coli. Ölsner 990), gibt die Notiz zwar sonst im Wesentlichen in der
gleichen Weise an, fügt jedoch hinzu, Herzog Konrad habe jene Worte „vor dem
rate zu Breslau und etzlichin rittern“ gesagt, welchen Zusatz man wohl schwerlich
als einfach ersonnen annehmen wird. Für die sonst so naheliegende Vermuthung, es
habe an jenem Tage eine Versammlung der zu jenem Compromiss vereinigten Städte
neben welchen, wie wir sahen, Konrad als der einzige Fürst genannt wurde, statt
gefunden, finden sich unter diesen Umständen keine Anhaltspuncte.
Zweifelhaft bleibt aber immer noch, ob jene Ritter das Gefolge des Herzogs
bildeten, oder ob sie Vasallen des Breslauer Fürstenthums waren, die terrigenae,
welche auch bei der ßerathung über die Huldigung an Böhmen in Gemeinschaft mit
den Breslauer Consules als Berather des Herzogs erscheinen. (Stenzei Scptt. rer.
Sil. I, 130.)
2 ) Vgl. d. Urk. vom 16. Aug. 1338. Sommersberg II. Access. II, 136.
8 ) Cod. dipl. Sil. III, 91.
4) Schon 1337 hat er nicht mehr gezahlt.
5 ) Theiner I, 448. Dass er auch inzwischen dem Legaten nicht besonders befreundet
gewesen ist, vermögen wir daraus zu ersehen, dass er in einem Streite mit dem
Bischöfe, wobei ihm eine Reihe von Gewaltthaten vorgeworfen werden, gegen die
Kirche 1340, 26. Januar, auf Nicolaus von Banz als Schiedsrichter compromittirt.
König; Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
71
König Johann hatte, wie schon erwähnt, das Verhalten der
Breslauer gebilligt *), und das Interdict des Legaten, welches in
Breslau schwerlich auch nur proclamirt worden ist, blieb ganz
wirkungslos, nur der Bischof, auf den einerseits schon die (gleich
zu erwähnende) Militscher Angelegenheit Einfluss übte, während er
andererseits auch directe Weisungen des Papstes erhalten hatte,
wies die Zurnuthung, auch seinerseits das Interdict unbeachtet zu
lassen, ab und verliess sogar, um weiteren Verwickelungen auszu
weichen, Breslau 3 ). Im Capitel schieden sich wieder bei dieser
Gelegenheit die Nationalitäten auf's Schärfste, die Deutschen,
welche die grosse Majorität bildeten, blieben in Breslau zurück,
und nur die wenigen polnischen Domherren folgten dem Bischof nach
Neisse. Die Breslauer Bürger aber Hessen keinen Boten des Legaten
in die Stadt und hielten sogar zwei päpstliche Bevollmächtigte, die
hier durchpassiren wollten, an, beraubten sie ihrer Briefschafte n
und erbrachen dieselben.
In allen den bisher geschilderten Verwickelungen hatte sowohl
der Bischof als der König immer nur in zweiter Linie gestanden,
inzwischen aber entspann sich ein neuer Conflict, der sie beide
unmittelbar gegen einander in den Kampf brachte. Der Gegenstand
desselben war das Schloss Militsch.
1) Nunciaturbericht Galliard’s (Theinei* I, 417). Nie. cum coinplicibus suis seducentes
clerum et popuium civitatis Wratisl. cum litteris regis Boemie fecerunt interdictum
per me prolatuin violari. Auf diesen hier erwähnten Brief bezieht sich augen
scheinlich die viel besprochene Äusserung Herzog Konrad's. Dieselbe datirt
also wohl noch aus dem Jahre 1337.
2 ) Die Darstellung Galhard’s (a. a. 0.) ist in so weit unrichtig, als er den Nico
laus und die Breslauer den Bischof gleichsam aus Breslau vertreiben lässt.
Wenn Nanker durch sein Weggehen sich dem Einflüsse des Nicolaus von Banz
und der Canoniker, dem er jetzt mehrere Jahre lang vollständig nachgegeben
hatte, entzog, so lag dies schwerlich in deren Wünschen. Die bisherigen Dar
steller dieses Streites, z. B. Klose II, 127, Stenzei Ein!, z. d. ßisthumsurk.
LXXIl. Palacky II, 2, 241, wahrscheinlich verführt durch die Worte der vita
Caroli (Böhmer, Fontes I, 258) „Pater mens abstulit cidem (ep.) castrum Milecz
ipse vero ca de causa cxcommunicavit patrem meum. Pater autem meus expulit
cum nna cum clero de civitate“ lassen Nanker erst nach dem Conflict von 1339
die Stadt verlassen, doch sagt schon die Chronik princ. Pol. (Stenzei, Scptt. I, 134)
bei Erzählung des letzten Vorfalles ganz correct: in Nissam reversus est. Dass
übrigens auch Stenzei später auf diesen Umstand aufmerksam geworden ist, zeigt
seine Anführung in der schlesischen Gesell. S. 123. Nanker sei 1339 von Neisse
nach Breslau gekommen.
72
Grünhagen
Der Ort Militsch an der Hauptstrasse von Breslau nach der
Weichsel und der Ostsee gelegen begegnet uns schon in den ältesten
Aufzeichnungen, welche wir über Schlesien besitzen, so wird er
z. B. 1124 in der Reiseroute Bischofs Otto von Bamberg nach
Pommern genannt 1 )* 1136 erscheint er und zwar als Castell unter
den Besitzungen der Gnesener Kirche, doch mit dem Zusatze, dass
er in der Breslauer Diöcese liege 3 ); aber schon 1155 in der Bestä
tigungsurkunde des Bisthums Breslau durch Hadrian IV. wird das
castrum Milice als Besitzthum der Breslauer Kirche und zwar als
speciell dem Capitel überwiesen bezeichnet 3 ). Dass er dann 1163
bei der Trennung Schlesiens von Polen an das erstere gekommen,
und nicht wie Caro behauptet, auf polnischem Gebiete, wenn gleich
als Besitzthum der Breslauer Kirche gelegen habe 4 ), ersehen wir
deutlich aus der Urkunde der schlesischen Herzoge Boleslaus II.
und Heinrich III. vom 26. Juni 1249, in welcher dieselben bei einer
Erbtheilung untereinander auch über Militsch verfügen 5 ). Vielmehr
war die Burg, die ihre Lage an der Bartsch in Mitten ausgedehnter
Sümpfe sehr fest machte, jetzt als Grenzcastell von besonderer
Wichtigkeit, und eben so trug der hier erhobene Grenzzoll nicht
unbedeutende Summen ein.
Jene schon erwähnte Urkunde von 1249 zeigt uns nun zwei
für die weitere Entwickelung dieser Angelegenheit höchst bedeut
same Puncte.
1) Pertz Mon. Germ. XIV, 779 und 876, vgl. dazu auch den 8. Bericht des histo
rischen Vereines zu Bamberg. Beil. I, 32.
2 ) Raczynski cod. dipl. maj. Pol. 1. Hasselbach cod. dipl. Pom. I, 28.
3 ) „Castrum Milice ad usus fratrum supradictae ecclesiae deputatum cum pertinen-
tiis suis“ Zeitschrift des schles. Ge sch. Vereines II, 192.
4 ) Gesch. Polens. S. 199. Caro ist wahrscheinlich zu dieser Meinung gebracht
worden durch die Stelle des Nunciaturberichtes 1337, wo es heisst (Theiner I,
395): „castrum dictum Milicz, quod est episcopi et capituli eccles. pred. W-rat. et
in regno Polonie predicto iC . Doch wenn hier nicht, wie es der Legat regelmässig
thut, schlesisches Gebiet durch jene Bezeichnung: in regno Polonie bezeichnet
werden soll, muss ein Irrthum Galhard’s vorausgesetzt werden, der vielleicht
dadurch veranlasst ist, dass Militsch, wie gleich erwähnt werden wird, im
14. Jahrhundert eine Zeit lang- in polnischem Pfandbesitz war. Hätte Militsch in
Polen gelegen, so würde der König Kasimir bei der weiteren Entwickelung dieser
Sache unzweifelhaft ganz anders aufgetreten sein.
5 ) Tschoppe und Stenzei 315. In der Urkunde selbst ist von dem (Grenz) Graben
versus Poloniam die Rede.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
73
Es residiren in Militsch zwei Castellane, ein herzoglicher und
einer im Dienste des Capitels, von denen die Summe der Gewalt
allerdings bei dem letzteren ist, so dass man sieht, wie es dem
Herzoge nur darauf angekommen ist, sich in dem wichtigen Grenz
castell ein Mitbesatzungsrecht zu sichern.
Die hier dargelegte Verhandlung findet nur zwischen dem
Herzog und dem Capitel Statt, ohne dass des Bischofs hierin Erwäh
nung geschieht!). Die Burg mit allen ihren Pertinenzen erscheint
als ausschliesslicher Besitz d es, Capitels, undder Burggraf
wird sogar als castellanus canonicorum bezeichnet.
Eben so werden im Jahre 1271 von dem Bischof Thomas II.
selbst die Militscher Güter als die wesentlichsten Güter des Capitels
bezeichnet 3 ).
In der Zeit des Bischofs Heinrich, wo so viele Güter der Bres
lauer Kirche verpfändet wurden, traf auch Militsch dieses Schicksal,
es ward an den polnischen Palatin Albert für 75 Mark verpfändet.
Als jedoch in den letzten Jahren von Heinrich’s Regierung die
wiederholten Einfälle der Polen daran mahnten, jene wichtige
Grenzfestung nicht länger in den Händen eines Polen zu lassen,
drängte das Capitel auf die Wiedereinlösung, und Bischof Heinrich
bewirkte dieselbe noch in seinem letzten Lebensjahre 16. Februar
1319, indem er dazu das Geld von den Mansionarien der Cripta
der Kreuzkirche unter der Form eines Rentenkaufes auf sein Gut
Dornbusch aufnahm 3 ). Dass auch jetzt wieder das Capitel in den
ausschliesslichen Besitz von Mititsch eintrat, vermögen wir aus einer
1 ) ln die Zahl der Zeugen, als welche sämmtlich Personen aufgeführt werden, die
mit den örtlichen Verhältnissen durch ihre frühere oder jetzige Stellung bekannt
geworden sein konnten , beruft man auch Goszlaum procuratorem episcopi et
quondam in Milicz doniini Lupi judicem, und hier glaubt Stenzei in dem Worte
Lupi einen Schreibfehler zu erkennen, und conjicirt dafür epi d. h. episcopi; doch
ist dies nur eben eine Conjectur, die schon, weil sie dem sonstigen Wortlaut
der Urkunde direct widerspricht, unglaubwürdig erscheint. Die Verhandlung
erfolgt zwischen dem Herzog resp. dessen Castellan von der einen Seite und
dem Capitel und dessen Castellan auf der anderen.
2 ) Stenzei ßisth. Urkunden 44.
3 ) Die zwei Urkunden darüber finden sich in einem Copialbuche dieser Mansionarien
im Besitze der Kreuzkirche zu Breslau; zu bemerken ist noch, dass dieses Geld
der Bischof zu dem ungewöhnlich niedrigen Zinsfusse von 8 Percent erhielt,
während sonst 10 Percent für Rentenkäufe in jener Zeit das Gewöhnliche sind,
74
Grünhagen
Urkunde unseres Formelbuches i) zu ersehen, welche in den Anfang
der dreissiger Jahre fällt, und deren wir oben schon kurz gedachten.
Wie schon erwähnt, war der Breslauer Archidiakon Heinrich von
Würben, einer der wenigen polnisch oder streng päpstlichgesinnten
Domherren, hier in Breslau in ärgerliche Händel gerathen, und
sein Gönner der Bischof, um ihn auf gute Manier fortzubringen,
hatte hei dem Capitel sich dafür verwendet, dass dieses ihm den
Militscher Zoll verpachte. Doch zahlte derselbe seine Pacht unregel
mässig und riss auch andere Militscher Einkünfte des Capitels an
sich, deren Bestimmung war, zur Besoldung der Vicare und zu
öffentlichen Almosen verwendet zu werden. Auf die Beschwerden
des Capitels hatte er trotzig geantwortet und z. B. höhnischer Weise
von dem „pictor“ des Capitels gesprochen, der ihm fälschlich allerlei
Vergehen vorgeworfen habe, ausserdem auch die Competenz des
Capitels, über ihn als einen Gleichstehenden zu richten, bestritten
und schliesslich sieh durch den Bischof zu decken gesucht. Hier
erfährt er nun eine sehr energische Zurechtweisung. Nachdem ihm
das Unpassende seiner Ausdrucksweise gerügt worden, wird ihm
nachgewiesen, dass dem Capitel kraft alter Privilegien das Recht
zustehe, gegen ihn einzuschreiten, und dass auch das canonische
Recht Ausnahmsfälle eines gegen Gleichgestellte anzustrengenden
Verfahrens einräume, dass der Bischof mit der ganzen Sache nichts
zu thun habe 2 ), und er wird schliesslich zur Abstellung derBeschwer-
den ernstlich ermahnt.
Hierauf scheint der Frieden wiederhergestellt worden zu sein,
und Heinrich von Würben gebot noch im Schlosse zu Militsch, als
König Johann im Jahre 1337 auf seinem Feldzuge gegen die Lit-
thauer hier vorbeizog und bei seinem trotz aller wiederholten
Friedensschlüsse immer gespannten Verhältnisse zu Polen eine Be
setzung der wichtigen Grenzburg ernstlich in’s Auge fasste.
Dass der König zu Polen nicht durchaus freundlich stand, davon
lag die Hauptschuld an den Intriguen des päpstlichen Legaten. Die
beiderseitigen Herrscher Johann wie Kasimir waren beide sehr weit
i) S. 26G.
a ) „Domino enim Episcopo nihil locavimus sod vobis, qnanujuam ad afleotuosas pre-
ces ipsius longe leviori pecunia vobis dictum theolonium sit dimissum, quam que
ab aliis haberi poterat isto anno.“
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
75
davon entfernt, von nationalem Hasse gegen einander erfüllt zu sein.
In Johann’s weitaussehenden politischen Berechnungen spielte die
Nationalität kaum eine Rolle, und auch Kasimir war den Deutschen
keineswegs Feind, sondern begünstigte vielmehr ihre Ansiedlung in
seinem Gebiete. Dagegen hasste Galhard die Deulsehen auf s Äusserste,
zwischen den Gesinnungen von Polen und Deutschen gegenüber
dem päpstlichen Stuhl schreibt er an Benedict XII. 1 ) sei ein Unter
schied wie zwischen Licht und Finsterniss, jene beugten sich willig
der Herrschaft der Mutterkirche, diese wollten dieselbe sich selbst
unterthänig und dienstbar machen. Nach seiner Anschauung war die
Mission der Polen die Bekämpfung des auf ihre Kosten schon so
weit vorgeschrittenen deutschen Elementes, wo immer dasselbe
auftrat, in Preussen, Brandenburg, Schlesien. Und er stand nicht
allein mit dieser Gesinnung, in den Kreisen der polnischen Geist
lichkeit war sie vielfach verbreitet, und z. B. der Bischof von Krakau
theilte dieselbe vollständig, aber auch ein Theil des polnischen Adels
und gerade die Partei, welche einst am eifrigsten Wladislaw Lokie-
tek auf den Schild erhoben hatte, hegte ähnliche Ansichten. Von
besonderer Wichtigkeit war es nun, dass es dem Legaten gelang,
auch den Papst mehr und mehr zu seiner politischen Anschauungs
weise herüberzuziehen, während derselbe bei Beginn seiner Regie
rung eben so den Deutschen in Schlesien, wie dem deutschen Orden
gegenüber sich sehr freundlich gezeigt hatte.
Auf diese Weise war es Galhard gelungen, die Pläne Johann’s
auf das Empfindlichste zu durchkreuzen. Wohl hatte es der Letztere
vermocht, die Könige von Ungern und Polen mit ihm das Dreikönigs-
bündniss zu Wischehrad abschliessen zu lassen (Nov. 1335), die
uralte Fehde zwischen Polen und seinem treuen Verbündeten, dem
deutschen Orden, schweigen zu machen und ihm selbst freie Hand,
ja sogar Hilfe von seinen neuen Verbündeten zu dem Kampfe gegen
den Kaiser und Oesterreich zu gewähren. Aber die Früchte dieses
diplomatischen Erfolges wurden ihm doch sehr geschmälert durch
die mehr und mehr zu Tage kommende Unzuverlässigkeit seines
polnischen Verbündeten. Freilich wäre es für den jungen Kasimir
nicht leicht gewesen, streng an jenem Vertrage festzuhalten, nach-
1) Theinei- 1, 396.
76
Grünhagen
dem der Papst denselben verworfen und ein grosser Theil der Mag
naten, noch dazu aufgeregt durch den unermüdlich thätigen Legaten,
von dem Frieden mit dem Orden ebenso wenig etwas wissen wollte,
wie von dem Biindniss mit Böhmen.
König Johann täuschte sich trotz noch mehrfach erneuerter
Unterhandlungen schw erlich über die Unsicherheit dieses Friedens
mit Polen und wahrscheinlich ebensowenig über die Ursache dieser
Umstimmung, und es war sehr natürlich, dass bei seinem unstäten
Leben, welches ihn fast jedes Jahr von den östlichen Marken Deutsch
lands an dessen Westgrenzen fortführte, er selbst und mehr noch
wahrscheinlich die Breslauer die Besorgniss hegten, derselbe Ein
fluss, der Kasimir von dem Wischehrader Biindniss abgezogen habe,
könne denselben auch einst zu einem Unternehmen gegen Schlesien
treiben, dessen Trennung von Polen der päpstlichen Curie so wider
wärtig war, und jedenfalls müsste auch in seiner Abwesenheit das
Land für einen solchen Fall gesichert und zur Vertheidigung gerüstet
sein.
Selbst im inneren Lande hat Johann immer Werth darauf
gelegt, über die festen Schlösser ein gewisses Verfügungsrecht zu
haben, und es liegt uns z. B. eine Urkunde vor, in welcher er sich
von dem Herzog von Jauer ausdrücklich verbürgen lässt, dass dessen
Schlosshauptmann in Canth auch ihm Gehorsam zu leisten habe t).
In ungleich höherem Grade musste da Militsch seine Aufmerksamkeit
auf sich ziehen, das festeste Schloss an der polnischen Grenze,
welches eine der wichtigsten Handelsstrassen beherrschte. Und hier
gebot der Archidiacon Heinrich von Würben, eine wegen ihrer
polnischen Sympathien bei den Schlesiern verhasste Persönlichkeit.
Kam durch dessen Vermittlung das Schloss in polnische Hände, so
war das von da kaum 7 Meilen entfernte Breslau fortwährend bedroht
und dessen Handel mit Preussen auf das Empfindlichste gestört.
Der König war schnell entschlossen, die Burg in seine Gewalt
zu bringen; über die Einzelheiten der Verhandlungen sind wir leider
nur sehr unzureichend unterrichtet. Auf eine Erwerbung der
ganzen Herrschaft Militsch ist es schwerlich abgesehen, und von
allen den mit ihr verbundenen Gütern ist sicherlich eben so wenig
’) Urk. v. 28. März 1337. Annales devolucionis. Handsch. d. Raths-Archivs. S. 40
König- Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
77
die Rede gewesen, als von den Reveniien des Grenzzolles. Worauf
es dem König ankam, war eben nur das Resatzungsrecht <). Das
Schloss gehörte, wie wir schon sahen, allein dem Capitel, und an
dieses allein hat sich auch der König zunächst gewendet 2), und
wenn er nun von dem Rechte, in Militsch einen Burggrafen zu hal
ten, welches den Herzogen, als deren rechtmässigen Nachfolger er
sich ansah, unzweifelhaft zugestanden hatte, Gebrauch machte, so
war kaum etwas dagegen zu sagen. Dass das Capitel keinen Wi
derstand geleistet hat, könnten wir von vornherein aus der uns schon
bekannten Gesinnung der deutschen Majorität schliessen, und auch
die Erwähnung dieser Angelegenheit in dem Berichte Galhard’s s )
spricht dafür.
Hätte damals ein dem Capitel ergebener Mann den Befehl in
Militsch gehabt, so wäre unzweifelhaft die ganze Sache thatsächlieh
erledigt gewesen, so aber gebot dort der Archidiakon Heinrich von
Würben, von dessen Widerspänstigkeit gegen das Capitel wir schon
Proben gegeben haben. Ich bin fest überzeugt, dass, wenn uns die
Einzelheiten dieser Verhandlungen erhalten wären, wir darin lesen
würden, wie man zuerst versucht hat, den Archidiakon loszuwerden
oder ihm einen Deutschgesinnten zur Seite zu stellen, wie dies
aber an dem hartnäckigen Widerstande desselben gescheitert, und
wie dadurch eben der Conflict entstanden ist 4 ). Natürlich beeilten
sich die polnischen Mitglieder des Capitels auf die erste Nachricht
hin, ihrem Gönner dem päpsliehen Legaten nach Krakau Meldung
zu machen und bestimmten zugleich den Bischof Protest einzulegen,
doch auch der König gab sich Mühe die Zustimmung Nanker’s zu
erlangen, und aus jenen Tagen (1337, 30. März) datirt jenes schon
i) Auch nach der Darstellung des Legaten ist der Verkauf nur eine der verschiedenen
Modalitäten, durch welche das Schloss in die Hand des Königs kommen konnte. Dem
ganz entsprechend bleibt auch das Eigenthumsrecht nach Beendigung des Streites
trotz der Einnahme des Schlosses durch den König ohne weiteres der Breslauer
Kirche, welche dann später dasselbe ungehindert an Konrad von Oels verkauft, wäh
rend Johann’s Nachfolger sich nur das Besatzungsrecht vorbehält.
a ) Die noch zu erwähnende Urkunde vom 13. Juli 1337 erwähnt auch nur die Verhand
lung des Königs mit dem Capitel, ohne des Bischofs zu gedenken.
s ) Theiner 1, 395.
4) Bei der bekannten Gesinnung des Capitels und der Abhängigkeit des Bischofs von
dem Letzteren hätte man es sicher vermocht, die Sache in aller Stille abzumachen,
statt dem Legaten, der ja damals in Krakau verweilte, Gelegenheit zum Einspruch zu
geben, wäre nicht ein directer Widerstand durch den Archidiakon geleistet worden.
78
Grün li a g e n
swiMPJHRse
erwähnte grosse Privileg des Königs für die Breslauer Kirche i).
Ja wir sehen sogar, dass Galhard in seinem Bericht grosse Besorg-
niss davor zeigt, dass der König doch seinen Willen durchsetzen
könnte, und so weit liess sich Nanker doch einschüchtern, dass er
seinen Entschluss verzögerte und endlich Johann Breslau verlassen
musste ohne seinen Zweck erreicht zu haben, doch ermahnt Gal
hard dringend den Papst, schleunigst dem Bischof und Capitel auf
das Ernstiichste zu verbieten, das Schloss Militsch auf dem Wege
des Verkaufs oder in welch anderer Form es sei, in die Hände des
Königs von Böhmen kommen zu lassen 3 ). Die Gründe, die er dem
Papst hiefür angibt, sind im höchsten Grade charakteristisch. E<
w ürden dort, sagt er, sofort alle päpstlichen Einnahmen in Wegfall
kommen. Dies mochte vielleicht ein Motiv sein, welches in Avignon,
wo man die schlesischen Verhältnisse wenig kannte und für die
finanzielle Seite der Fragen immer sehr feinfühlend war, Eindruck
machen konnte, für uns aber, die wir aus des Legaten eigenen
Rechnungen wissen, dass an ihn von ganz Schlesien nur Oppeln und
später das Neisser Gebiet den Peterspfennig zahlte, dass also die böh
mische Besetzung in Bezug auf Militsch nicht wohl eine Verschlim
merung verursachen konnte, kann jene Motivirung nur lächerlich
erscheinen. Aber ungleich bedeutsamer ist der zweite und letzte
Grund und in Wahrheit der einzige, der Galhard leitet; es würde
nämlich, so schreibt er: jene Besetzung von Militsch, wel
ches auf jener Seite gleichsam der Schlüssel Polens
sei und den Fall der nahegelegenen Castelle zur Fol
ge haben müsse, zum grössten und unersetzlichen
Schaden des Königs von Polen gereichen 3 ). Glänzender
als durch diese Zeilen kann das Bestehen des Königs Johann auf
der Besetzung des Schlosses nicht gerechtfertigt werden, und eben so
erhellt hieraus deutlich, wie sehr berechtigt das Zusammenhal
ten aller Deutschen in Schlesien, Geistlichen wie Laien, in dem
Widerstande war gegen die Gesandten der Curie, welche ihre
1) Stenzei Ss. I, 132. Anin.
2 ) Theiner I, 395.
8 ) Et cum illo Castro, cum sit fortissimum et quasi clavis regni Polonie ab ilh parle,
omnia castra circum vicina acquiret in prejudiciuin ac dampnum maximum et
irrecuperabile devoti filii vestri dom. regis Polonie supradicti.
Köllig Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 79
kirchliche Gewalt dazu missbrauchte, um im Interesse des Landes-
feindes hier zu intriguiren.
Dem König entging es übrigens keineswegs, welcher Einfluss
ihm in dieser Sache so feindlich entgegentrat, und wenn es gleich
zweifelhaft bleibt, oh schon die erste Einladung an Galhard nach
Breslau zu kommen, die Militscher Angelegenheit betraf, so hatte
doch wenigstens die zweite Berufung Galhard’s nach Prag (vom
13. Juli 1337) ausgesprochener Massen einen Bezug auf diese An
gelegenheit <). Der Legat jedoch entsprach der zweiten eben so
wenig wie der ersten, und der Papst ging im vollsten Masse auf des
sen Ansichten ein. Unter dem 12. September 1337 sendet er eine
ernstliche Warnung an den Bischof und das Capitel, unter keinen Um
ständen eine Entfremdung des Schlosses Militsch ohne Wissen des
päpstlichen Stuhles geschehen zu lassen 2 ), ertheilt zugleich dem
König von Polen eine ausdrückliche Belobigung 8 ), und lässt die
geistlichen Behörden in der Sache mit Nicolaus von Banz und den
Breslauern auf das Entschiedenste Vorgehen 4 ).
Inzwischen war jedoch König Johann von Prag wieder in weite
Ferne fortgezogen und verweilte auch das ganze folgende Jahr in
Belgien und Frankreich. So mochte Galhard die Sache für abge-
tlian halten, und in seinem zweiten ausführlichen Berichte vom
21. September 1338 thut er ihrer keine Erwähnung und lässt auch
nicht vermuthen, dass das Weggehen Nanker’s aus Breslau in dem
selben Jahre damit in irgend einem Zusammenhänge gestanden hätte.
Aber die Sache war keineswegs zu Ende, vielmehr wurde sie
sogleich wieder aufgenommen, als König Johann im Juli 1339 wie
der nach Breslau kam. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Anre
gung dazu von dem Rathe selbst ausgegangen ist, ja man möchte
sogar glauben, dass der Plan, der dann zur Ausführung gekommen,
im Kopfe eines der Domherren entsprungen ist, bei denen man allein
eine so genaue Kenntniss der betreffenden Persönlichkeit voraus
setzen kann.
A ) Angef. bei Palacky: Italien. Reise. S. 85.
2 ) Theiner I, 397.
3 ) Ebendas. 398. Das Motiv dazu finden wir in dem gleichzeitigen Schreiben an
Galhard (ebendas, in den Worten „quem multuin commendasti per easdem litteras).“
4) Ebendas. 420, 424, 426.
80
G r u n h a g e n
Der unglückliche Verlauf, den die Unterhandlungen genom
men, mochte den König überzeugt haben, dass es viel klüger ge
wesen wäre, sich gleich von vornherein in den Besitz des Streit
objectes zu setzen. Jetzt sollte das Versäumte nachgeholt und das
Schloss in aller Eile besetzt werden. Der König sammelte auf Ko
sten der Breslauer *) ein kleines Heer und zog vor Militsch. Ob
wohl nun Heinrich von Würben auch jetzt noch die Übergabe ver
weigerte, so verstand er sich doch zu einer Unterredung, und die
Ritter, welche im Aufträge des Königs diese abhielten, setzten, die
Liebe des Archidiakon zum Wein kennend, bei dieser Gelegenheit
französischen Wein vor, und als dieser seine Wirkungen äusserte,
brachte man ihn, indem man zugleich auf geschickte Weise Zureden
und Drohungen anwandte, dazu, die Burg dem Könige zu öffnen 2 ).
Die Nachricht davon setzte den Bischof in die grösste Auf
regung, die polnischen Domherren, welche in Neisse seine Umge
bung bildeten, Hessen es sich natürlich angelegen sein, seinen Zorn
noch zu steigern, und Nanker fasste endlich den Entschluss, den
König persönlich zu mahnen s ). Nachdem er einmal zu diesem Ent
schlüsse sich aufgerafft hatte, entsprach es ganz seinem religiösen
Eifer, dass er denselben in der Weise glorreicher Kirchenstreiter,
etwa in dem Style des Bischofs Ambrosius vor Kaiser Theodosius, in
Scene zu setzen gedachte; er ging nach Breslau und forderte das
Von den 186 Mk., die in dem städtischen Rechnungsbuche d. J. (p. 66) als „sumptus
contra episcopum et clericos“ bezeichnet werden, ist gewiss der grössteTheil hiefür
verwendet worden.
2 ) Qhron. princ. Pol. hei Stenzel Scptt. Sil. I, 132.
3 ) Nach der Darstellung der Chr. princ. Pol. a. a 0. könnte es scheinen, als wären in
dieser Sache damals mehrfache weitläufige Verhandlungen gepflogen worden, aber
eine solche Annahme wird durch die Kürze der gegebenen Zeit ausgeschlossen. Der
König kam im Laufe desJuIi hier an und reiste Mitte August wieder ab, und in diesen
kurzen Zeitraum fällt die Sammlung des Heeres, die Belagerung, der spätere Auf
tritt mit Nanker und der Anfang der Massregeln gegen die Geistlichkeit, da kann
von mehrfachem Hin- und Herschreiben nicht die Rede gewesen sein. Auch deutet
die Mahnung des Bischofs bei seiner Zusammenkunft mit dem König „1°, II 0 , III 0 etpe-
remptorie“ auf ein abgekürztes Verfahren, bei dem von vorhergehender Mahnung abge
sehen worden sei. Ebenso ist es nicht glaublich, dass der Bischof, wie dieselbe Quelle
berichtet., schon damals, d. h. vor dem Auftritt mit dem Könige das Interdict über
das Breslauer Gebiet verhängt habe. Einmal konnte er das doch nicht thun, wenn
er selbst noch einmal persönlich zur Restituirung mahnen wollte, und dann spricht
auch die Fassung der noch anzuführenden grossen Bannurkunde Nanker’s dagegen.
König' Johami von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 81
Copitel auf, mit ihm in feierlichem Aufzuge vor den König zu treten
und von ihm die Rückgabe von Militsch zu verlangen.
Natürlich waren die Breslauer Domherren, welche ja mit dem
Verfahren des Königs ganz einverstanden gewesen, weit ent
fernt, auf einen solchen Plan einzugehen; nur vier polnisch ge
sinnte Domherren, der Scholasticus Apeczo (später Bischof von
Lebus), Otto von Donin, Cunczco von Schalkaw und Peter von
Bilkaw begleiteten den Bischof. Mit diesen ging nun Nanker in das
Jakobskloster (das heutige Appellationsgerichtsgebäude), wo der
König gerade in einer kleinen Stube neben dem Refector sich auf
hielt, um mit seinen Räthen und den Consuln Rath zu pflegen, und
klopfte stark an die Tliüre. Auf die Frage der Wächter, wer denn
so stürmisch bei dem König anzuklopfen wage, erwiederte er, er,
der Bischof verlange Einlass. Johann liess ihm sagen, er möge eine
Stunde warten, da er jetzt durch wichtige Geschäfte verhindert, ihm
nicht Audienz geben könne; doch Nanker fuhr fort zu klopfen, bis
man ihn endlich hineinliess. Nun trat er in feierlicher Amtstracht,
an goldener Kette das Kreuz (pectorale) auf der Brust tragend und ein
Crucilix in der Hand haltend, vor den König hin und las von einem
Zettel 1 ) die Worte ab: Herr König ich ermahne Euch zum ersten,
zweiten und dritten Male, unverzüglich das Schloss Militsch der
Breslauer Kirche zurückzustellen“. Johann erwiederte: „Das wird
nicht so schnell geschehen, wie Ihr denkt“; darauf wandte der Bi
schof sein Crucifix so um, dass das Bild des Gekreuzigten dem Kö
nige nicht mehr sichtbar ward a ) und sprach: „und ich excommu-
nicire euch für jetzt und immer im Namen des Vaters, des Sohnes
und des heiligen Geistes 3 ). Johann aber sprach, während die An-
!) Die ausdrückliche Erwähnung 1 des Zettels kann man kaum für einen dazu ersonnenen
Umstand halten, offenbar sollten die Worte als vorher aufgeschrieben feierlicher
und gewichtiger erscheinen.
2 ) „E converso lignum St. crucis manu gestans.“
3 ) Es scheint mit dieser Darstellung im Widerspruche zu stehen, wenn Nanker erst
später in der noch näher anzuführenden Excommunications-Urkunde gegen die
Breslauer vom 15. December 1,340 (Stenzei, Bisthums-Urk. 282) den König excoin-
munieirt, ohne der Angelegenheit mil Militsch auch nur mit einem Worte zu geden
ken. Doch kann dagegen geltend gemacht werden, dass jene Urkunde nur gegen
den Landeshauptmann und die Breslauer gerichtet ist, deren Vergehen auch im
Einzelnen dargelegt werden, und dass die Excommunicalion des Königs als des
intellectuellen Urhebers nur mehr beiläufig um der Vollständigkeit willen hinzu-
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLV11. ßd. I. Mt.
82
Grünhagen
\vpsend e " vor dem unerwarteten Auftritt verstummt waren: „Ach
bei der Seele Gottes, was ist das für ein Priester, der würde gern
ein Märtyrer werden, wenn nur Jemand Lust hätte, ihn dazu zu
machen“.
Hier auf dem Höhenpuncte des Conflictes zeigte es sich recht
deutlich, welch ein Missgriff es gewesen, als man auf den schwieri
gen Posten eines Breslauer Bischofs statt eines gut geschulten Di
plomaten einen schlichten Mann von Nanker’s Schlag gestellt hatte,
der eben nichts mitbrachte als ein grosses Mass religiösen Eifers.
Im entscheidenden Augenblicke bat er unzweifelhaft gethan, was in
seinen Kräften stand und hat nicht ohne Kühnheit den feierlichen
Apparat kirchlicher Waffen entfaltet, durch welche die Kirche im
Mittelalter viele Erfolge erzielt hatte, freilich zumeist gegen Natu
ren, die aus gröberem Stoffe gemacht waren, als König Johann, die
sem gegenüber versagten sie vollständig, er antwortete auf die feier
liche Excommunication nur durch ein mitleidiges Lächeln und jene cha
rakteristischen Worte, welche der ganzen Situation eigentlich voll
ständig die Spitze abbrachen. Und er war unzweifelhaft in seinem
Bechte, wenn er in einer Sache, wo er nur das Interesse des Lan
des gegenüber einem auswärtigen Feinde gewahrt hatte, sich nicht
in die Bolle eines Angreifers der Kirche hineindrängen lassen wollte.
Als der Bischof nach der ausgesprochenen Excommunication
das Zimmer verlassen wollte, sollen die Breslauer Consuln an ihn
herangetreten sein und ihn vorwurfsvoll gefragt haben, wesshalb er
denKönig so in’s Gesicht hinein exeommunieirt habe, statt ihn zuerst
mit sanften Worten anzureden. Der Bischof aber habe ihnen gesagt,
sie möchten lieber den König zur Bückgabe des Schlosses veran
lassen, denn sie wären auch dabei gewesen, als solcher Schaden der
Kirche zugefügt worden sei, und alssiesich damit entschuldigten, dass
sie keine Macht dazu gehabt hätten, habe er auch ihnen mit dem Bann
gedroht 1 )! und schliesslich noch schmähend behauptet, der König
gefügt wird. Dass Johann eben wegen der Besetzung von Militsch exeommunieirt
worden sei, bezeugt Johann’s Sohn Karl in seiner Autobiographie (Boehmer) Fontes I,
258, und die folgenden Ereignisse, auf welche sich jene Urkunde bezieht, setzen
auch eine starke Provocation von Seiten des Bischofs voraus,
i) In unserer Quelle steht sogar, er habe sie schon wirklich exeommunieirt, doch wi
derstreitet dies zu augenscheinlich der mehrfach erwähnten Bannurkunde. Auch
wäre dies doch ein zu tumultuarisches und ungeordnetes Verfahren gewesen, wenn
der Bischof so gleichsam gelegentlich die gerade an ihn herangetretenen von den
Köliig Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
83
Johann sei gar kein rechter König, sondern nur ein Königlein. Da
mit sei der Bischof fortgegangen, Johann aber habe sich später er
kundigen lassen, was der Bischof mit jener Schmähung gemeint
habe und dieser dann die Erklärung abgegeben, jene herabsetzende
Äusserung beziehe sich darauf, dass der König von Böhmen in sei
nem Lande keinen Erzbischof habe, und wenn er gekrönt werden
wolle, erst den Erzbischof von Mainz sich erbitten müsste.
Im Übrigen kehrte am dritten Tage nach jenem Auftritte Nan
ker nach Neisse zurück, wohin er bald auch die Domherren, welche
wohl zuerst in Breslau zurückgeblieben waren, zu einem General-
capitel berief (1. Sept. )i) und bald darauf verliess auch der König
Breslau 3 ).
Militsch war er weit entfernt herauszugeben, vielmehr halte
er strenge Massregeln zur Bestrafung des Bischofs angeordnet,
welche jetzt durch seinen Breslauer Landeshauptmann Cunad von
Ealkenhain und die Breslauer Consnln zur Vollführung kamen.
Diese nämlich legten durch ein Decret, welches sie im Namen
des Königs erliessen, am 10. September 1339 eine vollkommene
Sperre auf alle kirchlichen Einkünfte innerhalb der Gebiete von
Breslau und Neumarkt 3 ), zum Sequester wurde einer der Raths
herrn Hellinbold erwählt 4 ) und derselbe behielt diese Verwaltung,
auch als er im folgenden Jahre bei der Erneuerung des Rathes
aus demselben ausschied, und zwar wurden, wie es scheint, die
confiscirten Gelder sofort der Stadt überwiesen, zum Ersätze
Breslauer Consuln excommunicirt hätte. Auch hätte er nach dem Ausspruche der
Excommunication doch nicht, wie es hier erzählt wird, noch weiteres zu ihnen
sprechen können.
4 ) Hier werden unter den Zeugen auch die Häupter der deutschen Partei z. B. Ni
colaus v. Banz und Arnold v. Protzan aufgeführt. (Prov. Archiv. Neisser Lager-
biicher B. f. 32.)
2 ) Am 11. August ist der König noch hier (Urk. dies. Datums mit der unzweifelhaft
verschriebenen Jahreszahl 1338 in dem Breslauer Landbuche A. 50, angeführt
hei Jacohi Cod. epistol. reg. Job. S. 100), am 20. stellt er schon eine Urkunde
in Bautzen aus. Sommersberg 1, 836.
8 ) Für das Folgende ist die Bannurkunde vom 15. December 1340, Stenzei Bisth.
Urk. 282, in welcher zur Motivirung der Excommunication die Sünden der Bres
lauer aufgezählt werden. Es liegt auf der Hand, dass mehr als hier angeführt
wird, in der That nicht vorgekommen ist.
4 ) In der angeführten Urkunde wird er zuletzt genannt, doch in dem Raths-
Kataloge an 6. Stelle.
6
84
G r ü n h a g e n
der Unkosten, welche die Breslauer zur Eroberung von Militsch auf
gewendet 1 ). Doch war natürlich daran nicht zu denken, dass diese
Sperre irgendwie vollständig durchgeführt worden wäre. Dagegen
spricht schon der geringe Betrag der Summe, welche eingenommen
worden (vom 10. September 1339 — 14. März 1340 33*/ 4 Mark
und von da bis zum 9. März 1341 281, resp. 201 Mark) sowie auch
die Erwägung, dass das Capitel und der deutsche Klerus überhaupt
als treue Verbündete der Breslauer nicht allzuhart mitgetroffen
werden durften.
Von demselben Tage ab (10. September) ergriff man auch
Massregeln gegen das Inlerdict. Dieses hatte bekanntlich schon ge
gen Ende des Jahres 1337 der päpstliche Legat über Breslau ver
hängt, doch hatte, wie wir wissen, die Bürgerschaft sich über das
selbe hinweggesetzt. Wie es scheint, hatten nun die Pfarrer der
drei Stadtkirchen, zu St. Elisabeth, MariaMagdalena und zum heiligen
Geist, sowie die der Vorstadtkirchen St. Moriz und Nicolaus zwar
selbst den Gottesdienst eingestellt, aber sich nicht widersetzt, dass
der Rath durch unbeschäftigte Geistliche dort Messe lesen Hess.
Jetzt aber, nachdem man ernstlich mit der Geistlichkeit gebrochen,
verlangte man von jenen Pfarrern unter Androhung der Absetzung
die Wiederaufnahme aller gottesdienstlichen Functionen und enthob
sie, als sie sich weigerten, sämmtlich ihrer Stellen, übertrug auch die
selben anderen 2 ). In der Domkirche hatte der Bischof, seit der Legat
das Interdict ausgesprochen, allen Gottesdienst suspendirt, mit der
Peinlichkeit, die ihm eigen war, erbat er sich noch ausdrücklich
vom Papst die Erlaubnis, vor Tagesanbruch und hei dringenden Ge
schäften auch am Tage Gottesdienst halten zu dürfen 3). Als er von
!) Die Vergleichung- der beiden Stellen der Rechnungsbiicher v. J. 1340 (S. 66)
Item de Hellinboldo de bonis clericorum 281 Mk. et 11 scot inclusis 80 M. dom.
Friczonis und 1339 (S. 65) Nota Ilellinpoldus praesentavit hoc anno 33 M. 1 Fert,
machte es durchaus wahrscheinlich, dass auch der letztere Posten für dieselbe
Sache bestimmt war, und beide Summen werden in der allgemeinen Rechnung mit
eingerechnet.
2 ) Die erwähnte Urkunde nennt die Namen der Abgesetzten, wie der an deren
Stelle Eingelretenen $ bei den drei städtischen Hauptkirchen sind für jede Kirche
mehrere bestimmt. Noch aus dem Jahre 1341 werden zu ihrer Besoldung 100
Mk. ausgeworfen (Rechnungsbücher 68).
3 ) Theiner 1, 428. Allerdings erreichte ihn die päpstliche Erlaubniss erst, als er
nicht mehr in Breslau war.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
85
Breslau fortging, hatte er noch einigen Leuten, in die er besonderes
Vertrauen setzte, dem OfFicial und dem Subcustos Andreas 1 ) die
Ermächtigung ertheilt, zu Gunsten Einzelner gewisse Erleichterun
gen in Beziehung auf das Interdict eintreten zu lassen. Am 24. No
vember 1339 begab sich eine Deputation des Rathes von einem
Schlosser begleitet nach der Domkirche und bewirkte eine vollstän
dige Sperrung der Kirche, indem man durch Anlegung neuer
Schlösser den Zutritt zu derselben der Geistlichkeit versperrte.
Schliesslich werden dann auch noch Massregeln gegen einige Klo
stergeistliche angeführt, dass nämlich ein Kreuzherr von St. Ma
thias wegen einer aufreizenden Predigt und einige Canoniker des
Sandstiftes aus unbekannten Ursachen durch die Stadtdiener er
griffen und aus der Stadt verwiesen worden seien, und ihre Verban
nung sei dann öffentlich und unter grossem Zulaufe des Volkes ver
kündet worden am 28. April 1340 2 ). Ähnliches scheint auch im Vin-
cenzkloster geschehen zu sein 3 ).
Wegen aller dieser Gewaltsamkeiten spricht nun der Bischof
unter dem 15. December 1340 den Bann aus über den Landes
hauptmann Cunad von Falkenhain, über die Rathsherren der Jahre
1339 und 1340, über die von dem Rathe eingesetzten Prediger und
endlich über alle die städtischen Beamten, welche an jenen Hand
lungen Theil genommen.
Von dem Urtheilsspruche wird den schlesischen Archidiako-
nen von Breslau, Glogau, Liegnitz und Oppeln Mittheilung gemacht
und derselbe in der Jakobskirche zu Neisse verkündet, da es in
Breslau selbst Niemand aus Furcht vor dem Tode wagen könne 11 ).
Diesem Verfahren ging nun noch ein anderes parallel, welches
mit noch besserem Erfolge die Differenz auf das rein kirchliche
Gebiet hinüber spielte und die ungehorsamen Breslauer zugleich
1 ) Vergl. die erwähnte Urkunde S. 285. Dass er bis zu dem Subcustos hinabsteigen
musste, zeigt, wie sehr er mit dem Capitel zerfallen war.
2 ) Man könnte hierin eine Bestätigung der schon oben ausgesprochenen Vermu-
thung sehen, dass die lange Zeit im Schoosse dieses letzteren Klosters fortdau
ernden Streitigkeiten einen ähnlichen Grund hatten, wie bei dein Domcapitel, und
dass jetzt die deutschgesinnte Partei ihre päpstlich gesinnten Gegner unter dem
Beistände der Breslauer hinausgeworfen habe.
3 ) In dem Abdrucke bei Stenzei a. a. 0. 285 stehen hinter der Angabe des Faetums
die ganz unverständlichen Worte heresi nove. Statt deren ist, wie mich die Ein
sicht des Originals überzeugt hat, zu lesen hora none.
4 ) Stenzei, ßisthums-Urkunden 282—287.
86
G r ii n h a g e n
den Strafen der Ketzer unterwarf. Es war dies, wie es scheint, in
jener Zeit keineswegs ungewöhnlich, wenn Bann und Interdict nicht
recht verfangen wollte, mit der Anklage der Häresie vorzugehen,
das Formelbuch Arnold’s von Protzan *) zeigt uns ein Beispiel, wo
während der Sedisvacanz gegen eine Witwe mit ihren Söhnen,
welche ein Besitzthum der Kirche nicht herausgeben wollten, in
dieser Form eingeschritten wird. So berief denn auch der Bischof,
als er die Hartnäckigkeit der Breslauer erkannte, den vom Papst
zum Inquisitor gegen die Ketzer verordneten und in dieser Eigen
schaft schon vielfach bewährten Dominicaner Johann von Schwen
kinfeld 2 ) noch vor Ende des Jahres 1339 3 ) zu sich nach Neisse
und trug ihm auf, die Breslauer zur Änderung ihres Sinnes zu bewe
gen und wenn sie nicht nachgäben , sie unter die Anklage der
Ketzerei zu stellen.
In der That konnte es nicht schwer fallen, unter einer Bürger
schaft, die so vollständig mit den geistlichen Gewalten zerfallen
war, hinreichendes Material zu einer Anklage wegen Ketzerei zu
finden. Wie erzählt wird, hatte ja unter Anderem damals einer der
Breslauer Rathsherren, seines Standes ein Gerber, von einem auf
dem Markte errichteten Gerüste herab Reden an das Volk gehalten,
die den Papst sehr verunglimpften 4 ). Dass auch sonst Lehren, wie
die des Peter’s von Oliva 5 ), welcher gegen die Habsucht der Geist
lichkeit eiferte, hier leicht Eingang fanden, ist sehr erklärlich.
Schwenkinfeld, dem es weder an Muth noch an Beredsamkeit
fehlte, begab sich auch wirklich nach Breslau, und die Breslauer,
bei denen er in nicht geringem Ansehen.gestanden zu sein scheint,
Hessen es geschehen, dass er an einem Sonntage am Rathhause vor
einer grossen Volksmenge sprach und zu einer Versöhnung mit
dem Bischöfe und zum Gehorsam gegen die Kirche mahnte. Doch
1) s. 96.
2 ) Schweidnitz hatte er z. B. den Process gegen die Beghinen geführt. Formelbuch
S. 60, Anink. u. auch S. 294. 1330, 23. Novmb. empfiehlt ihn Bischof Nanker
als einen mit apostolischer Vollmacht versehenen Inquisitor (Prov. Archiv. Domi
nicaner 7. Breslau, Nr. 64).
°) Chronic, princ. Pol. p. 135. Stenzei hat hierzu irriger Weise (wie die gleich an.
zufuhrende Urkunde zeigt) d. J. 1341 gesetzt.
4 ) Bzovius ann. z. J. 1341 unter Berufung auf das Krakauer Archiv, merkwürdig ist
dabei besonders das Eine, dass Schwenkinfeld nicht gegen ihn eingeschritten is?.
5 ) Vgl. über ihn Heyne : Bisthum Breslau I. 733.
König: Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 87
als er so weit ging die Ratsherren vor sich zu citiren, erschienen
diese nicht, und er musste sich entschliessen, sie selbst auf dem
Rathhause aufzusuchen. Rei der liier folgenden Unterredung kam
es jedoch zu Äusserungen, welche dem Inquisitor, wie unsere
Quelle sagt, wenig gefielen, die ihm sogar geradezu ketzerisch er
schienen, was er auch den Consuln nicht verhehlte *). Auch hielt er
es für gerathen Rreslau zu verlassen und sich nach Neisse zu be
gehen, wo sich auch der ihm zum Collegen in dem Geschäfte der
Inquisition bestellte Scholasticus und Official Apetzko befand. An
diesem, der bei den Rreslauern als einer der vier Regleiter Nan-
ker’s hei der Exeomunicationsseene wenig in Gunst stand, rächten
sie sich dadurch, dass sie seine Eltern, sowie seine Schwiegertoch
ter hier festnahmen 2 ).
Einer jener Priester, durch welche die Breslauer dem Inter-
dicte zum Trotze hier Gottesdienst halten Hessen, ein früherer
Mönch aus Griissau 3 ), Martin, hatte in der Maria Magdalenen-Kirche
in einer seiner Predigten (1. Jänner 1340) 4 ) seine Berechtigung
1 ) Während die Chron. princ. Pol. a. a. 0. in ihrer Darstellung: augenscheinlich die
Dinge zu sehr /.usammenrücken lässt, gibt ein umfangreiches Document abge
druckt bei Heyne : Geschichte des Bisthums Breslau. I. 736, Anm. 1, die Einzelhei
ten der Sache genau an. Ein ausführlicher Auszug davon findet sich bei Klose II.
157 11‘. Derselbe bemerkt dazu sehr richtig, dass die Darstellung, als nur von
einer der streitenden Parteien ausgegangen, nicht für unparteiisch gelten kann.
Heyne setzt .die im Text erwähnten Vorgänge erst in den weiteren Verlauf des
Streites, Ende 1340, wo Schwenkinfeld nach der scheinbaren Unterwerfung der
Hathsherren nach Breslau kam. Doch wenn überhaupt auf den Bericht der Chron.
princ. Pol. Werth zu legen ist, so vermag ich in dieser Darstellung nur den Anfang
von Schwenkinfeld’s Thätigkeit in Breslau zu sehen.
~) Klose a. a. 0. hat sich für verpflichtet gehalten, den in der erwähnten Urkunde
mehrfach vorkommenden Ausdruck nurus durch Tante zu übersetzen. Heyne 744
erklärt den Ausdruck nurus als auf die Eltern des Officials sich beziehend,
also Schwägerinn des Officials, aber die Worte „patrem, matrem et nurum nostri
officialis“ lassen das nicht wohl zu; ich möchte es vorziehen anzunehmen, dass
Apetzko erst als Witwer in den Priesterstand getreten sei. — Dass übrigens der Bi
schof von jener Gewaltthat gegen die nahen Verwandten des Officials in seiner Ex-
communicationsurknnde keine Notiz nimmt, bleibt auffallend.
Die Worte der Urkunde Ilabitu seculari resumpto gibt Klose durch: „die welt
liche Kleidung angezogen“ wieder; was leicht misszuverslehen ist. Dass er über
haupt keine Weihen gehabt habe, wird nirgends gesagt, er wird also nach seinem
Austritt aus dem Orden eben nur statt eines Ordens- ein Weltpriester.
4 ) Dass diese Zeitbestimmung, nicht wie Klose (a. a. 0. 159) will, auf die Vertreibung
der eigentlichen Breslauer Pfarrer zu'beziehen sei, lehrt der Wortlaut der Nanker-
schen Urkunde.
88
Grünlingen
zu gottesdienstlichen Functionen und speciell zum Hören derBeichte
in der Weise motivirt, dass er die kirchliche Lehre von der Indiffe
renz der sittlichen Qualität des Beichtigers dahin erweiterte, dass
überhaupt das Wesentliche einzig und allein in der Person und
Gesinnung des Beichtenden selbst liege und dass es nicht im min
desten darauf ankomme, wem man die Beichte ablege, ja er soll gesagt
haben, dass man diese nicht nur einem Excommunicirten, sondern auch
einem Verschnittenen, einem Laien, einem Ketzer, einem unvernünfti-
genThiere, ja selbst dem Teufel ablegen könne. Natürlich war die Nach
rieht von dieser Predigt für Schwenkinfeld die willkommenste Gele
genheit zum Einschreiten. Er liess durch seinen Bevollmächtigten Jo
hann , den Abt von Leubus und den Presbyter Jescho (Johannes)
Salomonis den Landeshauptmann und die Consuln auffordern, jenen
Martin zu verhaften und ihn der Inquisition zu übergeben. Doch
diese weigerten sich und erklärten sogar, jene Verwandten des Offi-
cials, die man schon freizugeben entschlossen gewesen sei, nun als
Geiseln für die Sicherheit Martin’s noch länger festhalten zu wollen,
kerkerten ausserdem einen an den erwähnten Jeschko gesandten
Boten Schwenkinfeld’s ein und hielten denselben sogar durch fünf
Tage in dem gemeinen Gefängniss in der Gesellschaft von Verbre
chern gefangen, wesshalb sie denn allesammt der Inquisitor, auf
Grund augenscheinlicher Begünstigung von Ketzereien, als ipso
facto excommunicirt ansieht. Doch verharren sie in ihrer Verstockt
heit, und als einer der Consuln, Peter Glesil, im Laufe des Jah
res stirbt, wird derselbe unter Geläut der Glocken und mit allen
kirchlichen Feierlichkeiten auf dem Kirchhofe bei St. Elisabeth be
graben, ebenso wie dies im folgenden Jahre mit Peter von Patsch
kau geschieht. Als dann im März 1340 andere Consuln zur Regie
rung kamen, machen es diese nicht besser, und nachdem es inzwi
schen dem Inquisitor gelungen ist, jenen Martin in seine Gewalt zu
bekommen, confisciren sie verschiedenes Eigenthum des Official.s
und seiner Familie, sowie eines bei dem Processe helheiligten No
tars und machen in einer vor dem Official, sowie vor den Domherren
Nicolaus von Banz, Heinrich von Drogus und Nicolaus von Panne
witz abgegebenen Erklärung die Freilassung der noch festgehalte
nen Verwandten des Officials von der Entlassung Martin’s abhängig.
Es ist nun charakteristisch, dass hier jene bekannten Namen
des Nicolaus von Banz und Heinrich von Drogus wieder auftreten,
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
89
die Führer des Capitels und die alten Verbündeten der Breslauer,
und dass diese Letzteren sich eben an jene wenden. Dieselben nah
men auch jetzt wieder eine vermittelnde Stellung ein, und sie waren
es auch unzweifelhaft, welche den Gesandten der Breslauer Hoff
nung gemacht haben, die Inquisitoren würden Martin entlassen,
wenn sie zuerst die Verwandten des Oflficials freigäben ‘). Sie ent
lassen auch wirklich den Vater des Officials, doch Martin bleibt ge
fangen, und nun werden auch dieBathsherren wieder obstinat, halten
die confiscirten Güter zurück, und als ihnen dann die Inquisitoren wie
ihren Vorgängern erklären, wegen ihrer Begünstigung von Ketze
reien unterlägen sie ipso facto der Excommunication, appelliren sie
desswegen an den Papst. Diese Appellation ist nun augenscheinlich
den Inquisitoren sehr unwillkommen, es mochten die Erfahrungen
aus der ersten Zeit Benedict’s XII. daran erinnern, dass sich am
päpsllichen Hofe doch zuweilen unberechenbare Einflüsse geltend
machten, und die Inquisitoren mahnen wiederholt zu einer Ver
ständigung und verlangen das eidliche Gelöbniss, dass die Consuln
Genugthuung leisten, d. h. die Gefangenen losgeben, das von ihnen
Confiscirte herausgeben, sich einer Kirchenstrafe unterziehen und
endlich von ihrer Appellation nach Avignon abstehen wollten,
wenn sie das thäten, sollten sie absolvirt werden 3 ).
Diese Verhandlungen fanden im November und December
1340 Statt. Nun sprach aber, wie wir schon sahen, Bischof
Nanker den IS. December 1340 über den Landeshauptmann
und die Consuln in aller Form den Bann, so wie über das
Es ist hier unvermeidlich zwischen den Zeilen unserer Urkunde zu lesen. Wenn die
Breslauer nach der Unterredung 1 , in welcher sie die Freilassung’ ihrer Geiseln von
der Martin’s abhängig machen, plötzlich den Vater des Officials „sub hac spe“ los
geben, so muss ihnen doch bei jener Zusammenkunft Grund zu der Hoffnung gege
ben worden sein.
2 ) Die Darstellung unserer Urkunde ist ziemlich verworren. Die Inquisitoren sagen
von der beabsichtigten Appellation, „quedam crimina et excommunicationis senten-
ciam nobis mend acit er objecerunt“, und in der That ist in ihrer Darstellung
von einer Excommunications-Sentenz gegen die Consuln nirgends die Rede. Dage
gen sagen die Inquisitoren selbst, nachdem die Consuln den gleich zu erwähnen
den Eid geleistet haben: „diclos excommunicato8 absolvimus“. Dieser Widerstand
löst sich dahin auf, dass die Inquisitoren nur leugnen, einen directen Bannspruch
erlassen zu haben, indem sie die Anzeige, die Consuln seien ipso facto der Exeommu-
nicalion erlegen, nicht als solche rechnen. Dafür spricht nicht allein die Analogie
des Vorjahres, sondern auch ihre weitere Auslassung über diese Angelegenheit:
„(consulcsj excommun icationis sentencias ineidiss e li .
90
G r ü n h a g e n
ganze Fürstenthum das Interdict aus. Auf die Kunde hievon be
schlossen Hauptmann und Rath die Inquisitoren beim Wort zu neh
men, um so auf eine verhältnissmässig billige Weise vom Banne-
loszukommen. Sie erklären sich bereit die Bedingungen der Inqui
sition zu erfüllen und leisten das geforderte Gelöbniss und zwar,
wie die Inquisitoren behaupten, unter Verpfändung ihrer ganzen
Habe. Darauf begibt sich Johann von Schwenkinfeld unter siche
rem Geleit nach Breslau und überzeugt sich, dass die Gefangenen
wirklich freigegeben worden, während die Rückgabe des confiscir-
ten Eigenthumes (nämlich der Verwandten des Officials und des
Notars) in kürzester Zeit verheissen wird. Als es sich jedoch um
die Absolution handelt, erklärt er, diese nur in bedingter Form aus
sprechen zu können, denn nachdem sie einmal durch einen legiti
men kirchlichen Act (nämlich durch den Bischof) als excommuni-
cirt, für unfähig erklärt worden seien, ihre Ämter weiter zu führen,
könne er ihnen diese Qualification nicht eigenmächtig zurückgeben *).
Hiermit war natürlich den Ratsherren wenig geholfen, und dieselben
denken nun nicht mehr ernstlich an die weitere Erfüllung jener Ver
pflichtungen, sondern ziehen nur die Sache hin; und nachdem sie selbst
(9. März 1341) bei dem Rathswechsel zurückgetreten waren und an
dererseits der am 10. April erfolgte Tod Bischof Nanker’s auch in diese
Verhältnisse einen gewaltigen Umschwung brachte, beschränkten
sie sich darauf den Mahnungen der Inquisitoren durch Beschwerden
zu antworten und ihre Appellation an den päpstlichen Stuhl wieder
aufzunehmen, und den Inquisitoren blieb schliesslich, wenn sie ihre
Sache nicht ganz aufgeben wollten, nur übrig an die weltliche Ge
walt, d. h. an den König Johann zu appelliren.
Der König war seinem Wesen nach eine den kirchlichen In
teressen sehr abgewendete Natur, religiöse Beweggründe haben
kaum jemals sein Thun oder Lassen bestimmt, und wenn er zuwei
len die Freundschaft des Papstes suchte, so that er es um des Ein
flusses willen, den der Papst in den europäischen Angelegenheiten
geltend machen konnte. Ungleich stärker war religiöser und kirch
licher Sinn bei seinem Sohne Karl ausgebildet, der damals schon
Non restituendo cos ad officio publica, quibus legitime sunt priuati in sentencia
ecclesie heisst es an der einen Stelle der Urkunde, und an einer anderen werden
sie nur als „aliqualiter absoluti“ bezeichnet.
König- Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
91
neben seinem Vater eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Es
scheint, dass derselbe mit dem Verfahren seines Vaters in dem
Streit mit Nanker besonders in Betreff der strengen Massregeln,
welche derselbe gegen die Geistlichkeit ergriffen, wenig einverstan
den war und beide reisten bald nach jener Scene in Breslau, noch
vor Ende des Jahres 1339, nach Avignon, um dort eine Aussöhnung
mit dem Papste zu erzielen. König Johann hatte nämlich gegen das
Verfahren des Bischofs Appellation eingelegt und in dem hierauf be
züglichen Documente einen grossen Theil der in Breslau über die
Geistlichkeit verhängten Massregeln als von dem Rathe eigenmäch
tig vorgenommen desavouirt*). Zwar zerschlugen sich damals noch
die Verhandlungen, wahrscheinlich nicht sowohl wegen der Militscher
Angelegenheit, als wegen des Peterspfennigs, dessen Regulirung man
ebenfalls bei dieser Gelegenheit versuchte 2 ). Andererseits aber
waren die Verhältnisse ganz besonders dazu angethan, die streiten
den Parteien von der Nothwendigkeit einer Einigung zu überzeu
gen. Gerade um diese Zeit begann nämlich Margaretha Maultasch
von Tirol ihre Trennung von ihrem Gemahl Johann, dem Sohne des
Königs von Böhmen, zu betreiben, und indem Kaiser Ludwig auf
diesen Wunsch einging und Margaretha’s Hand für seinen Sohn
bestimmte, verfeindete er sich vollständig mit Johann, und die
gemeinsame Feindschaft gegen den Kaiser musste nothwendig
früher oder später Johann und den Papst wieder zusammenführen.
Daneben war auch der bei der Militscher Angelegenheit näher
betheiligte König von Polen keineswegs feindlich gegen Johann
aufgetreten. Wir finden nirgends eine Nachricht, dass er in
dieser Sache irgend etwas gethan habe, vielmehr war ihm
schon längst jene Art Bevormundung, die man von Avignon
aus über ihn ausübte, zuwider geworden, und bei Gelegenheit eines
russischen Feldzuges schreibt er in jener Zeit sehr unwillig
1 ) „Cum tarnen ipse rex in appellacionis quadam a dno. cpisc. Wrat. sno nomine inter-
posita lieget, erepta, quae sibi per dictos snperius ascribirnt, permisse.“ Angef. i.
d. erwähnt. Urkunde der Inquisitoren, hei Gelegenheit der Tliatsache, dass ein
gewisser Jakoh Wiener, der Familienbesitzthum des Officials occupirt, sich auf eine
Schenkung des Königs berufen hatte, wobei übrigens zu erwähnen ist, dass jener
Jakoh Wiener mehrfach als Gläubiger Johann’s und seines Sohnes Karl genannt wird.
Cod. dipl. Mor. V. 309.
2 ) Vita Caroli bei Böhmer: Fontes rer. Germ. 1, 258.
92
G r ü n h a g' e n
dem Papste über die Händel, in die ihn derselbe verflechte 1 ).
Die gespannte Stellung. welche ihm die päpstliche Politik gegen
über von Böhmen vorschreiben wollte , entsprach keineswegs seinen
persönlichen Neigungen, welche ihn vielmehr zu dem ritterlichen
König und seinem Sohne Karl mächtig hinüberzogen. Gerade im
Jahre 1341 schloss er mit dem Böhmenfürsten auf’s Neue enge
Freundschaft, welche er durch seine Vermählung mit einer Tochter
Johanns besiegeln wollte, als der Todesfall der Prineessinn dazwi
schen trat.
Eine neue Wendung musste die ganze Angelegenheit dadurch
erhalten, dass am 10. April 1341 Bischof Nanker zu Neisse starb.
Wie erzählt wird, hatte sein frommer Eifer, welcher ihn am Cliarfrei-
tage (6. April) zum Zeichen der Demulh und der Beue mit blossen
Füssen die heiligen Gräber in den Kirchen besuchen liess, seinen
schnellen Tod herbeigeführt. Seine Frömmigkeit und die unge
meine Strenge seines Lebens hatte ihm viele Herzen gewonnen, er
erschien vielen als ein Heiliger, und schon ein Chronist des 14. Jahr
hunderts berichtet, wie eine fromme Frau an seinem Todestage
einen lieblichen Gesang gehört habe, und wie ihr dann die Offen
barung geworden sei, dies bedeute, dass die Seele Nanker’s jetzt
durch Engel zum Himmel getragen werde a ). Doch fügt derselbe
Chronist auch den lobenden Prädicaten das der Simplicität zu,
welche Eigenschaft in der That im guten wie im üblen Sinne sein
Wesen charakterisirt und die geringen Erfolge seiner Regierung
hinreichend erklärt.
Nach seinem Tode organisirt sich die Administration wieder
sofort in dem Sinne, wie einst nach dem Tode Bischofs Heinrich, in
spiritualibus trat derselbe Heinrich von Baruth ein, der 1319 die
Geschäfte verwaltet hatte, nur an die Stelle seines damaligen
Collegen Arnold v. Protzän, der seit 1338 nicht mehr urkundlich
erwähnt wird, nahm man, um auch der Minorität ein Zugeständniss
zu machen, den schon mehrfach erwähnten Official Apeczko. Die
Temporalien blieben wieder vorzüglich in der Hand des alten Nico
laus von Banz, der trotz des grossen Hasses, den der päpstliche
Legat auf ihn geworfen, der eigentliche Leiter desCapitels geblieben
*) Caro, Gesch. Polens 231.
2 ) Chron. princ. Pol. 163.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
93
war, und noch in der letzten Zeit Nanker’s als Vertreter der
Breslauer Kirche mit dem Herzoge Johann von Steinau verhandelt
hatte '). An der Bereitwilligkeit des Capitels, die Streitsache mit
dem Könige fallen zu lassen, war nicht zu zweifeln. Zwar blieben
die Domherren noch in Neisse, zeigten aber ihre Gesinnung deutlich
genug, indem sie schon einige Wochen nach Nanker’s Tode (3. Mai)
eine neue Bischofswahl Vornahmen, gegen den ausdrücklichen Wil
len des Papstes, welcher die Besetzung von Breslau sich selbst
Vorbehalten hatte, und hierbei die Wahl auf eine Persönlichkeit lenk
ten, welche bei dem König Johann sehr beliebt war, nämlich auf den
jungen Canonicus Przeczlaw von Pogarelle, einen schlesischen Edel
mann, der damals gerade in Bologna studirte 2 ).
Auch nahmen die Administratoren, trotz des auf dem Könige
noch ruhenden Bannes, keinen Anstand, als König Johann den Streit
der Breslauer mit den Inquisitoren vor sein Forum zog, seiner
Ladung nach Prag in so weit Folge zu leisten, dass sie einige der
Capitularen in Begleitung des Johann von Schweukinfeld an den
König absandten, unter dem freien Geleit, für welches der gleich
falls vorgeladene Cunad von Falkenhain und die Breslauer Raths
herren bürgen mussten.
Die Veranlassung hierzu hatten eigentlich die Inquisitoren
seihst gegeben dadurch, dass sie am Schlüsse jenes mehrfach er
wähnten Schriftstückes (vom 27. Aug. 1341) den König Johann
und den Markgrafen Karl angerufen hatten, das gesammte Besitz
thum des Landeshauptmanns, sowie der Breslauer Consuln von
1340 zu cpnfisciren, da dieselben ihre sämmtliche Habe zum Pfände
ihrer Erfüllung der gegen die Inquisitoren eingegangenen Ver
pflichtungen eingesetzt hätten. Hierauf eben hatte der König sich
beeilt (schon im September) die streitenden Parteien nach Prag zu
laden. Ein unerwarteter Zwischenfall unterbrach hier den Austrag
des Zwistes, indem am 28. September der Inquisitor Johann von
Schwenkinfeld, in dem Clemenskloster zu Prag, wo er seinen Auf-
1) 1339, Decb. 2. Stenzei. Bisth. Urk. 278.
2 ) Chron. princ. Pol. 135. Einer der älteren Bischofskataloge aus dein Ende des
XIV. Jahrhunderts, Zeitschrift des schles. Vereines 1, ‘225 gibt an, er sei mit 30
Stimmen,, ge wähl t worden, das hiesse also fast einstimmig. Die päpstliche ßestä-
tigungsnrkunde hei Theiner I, 437 sagt van der Wahl, sie sei „per viam compro-
missi quamvis de facto concorditer“ erfolgt.
94 Grünhagen
enthalt genommen hatte, von unbekannter Hand ermordet ward. Der
König Jiess hierauf den Landeshauptmann und die Consuln gefäng
lich einziehen, gab sie jedoch bald wieder frei, da ihnen keine
Schuld an dem Morde nachgewiesen werden konnte. Später heisst
es, seien die eigentlichen Mörder in Liegnitz ergriffen und von
Herzog Boleslaw auf Bischof Przeczlaw’s Verlangen an diesen aus
geliefert worden und hätten dann in Ottmachau drei Breslauer Con
suln, Merkelin, Schertelzan und Hellinbold als ihre Anstifter be
zeichnet *), eine Nachricht, deren Glaubwürdigkeit schon mit Becht
bezweifelt worden ist 8 ).
Es ist merkwürdig, dass alle die Personen, welche diese
Händel hervorgerufen, vom Schauplatze abtreten, ehe dieselben zum
Austrage gekommen waren. Nanker und Schwenkinfeld waren todt,
und ihnen folgte 1342 am 23. April Papst Benedict der XII., der
Breslauer Rath hatte sich erneut, der Landeshauptmann Cunad von
Falkenhain schon 1341 sein Amt niedergelegt 3 ) und auch König
Johann überliess die Weiterführung dieser Verhandlungen voll
ständig seinem Sohne Karl, dem er auch unter dem 3. Februar 1342
eine hierauf bezügliche Vollmacht ausstellte 4 ), wie er denn über
haupt, nachdem er schon 1341 vollständig erblindet war, seit dem
Februar 1342 die Verwaltung Böhmens und Schlesiens vollständig
seinem Sohne übergab 6 ). So war denn der päpstliche Legat Ga
illard de Carceribus der Einzige, der diese Streitigkeiten von An
fang an durchgemacht hatte, und der mit unversöhnlichem Groll die
friedliche Wendung der Dinge ansah 6 ). Sicherlich ist es dann sein
!) Chron. princ. Pol. 137.
2 ) Klose II, 169 macht mit Recht darauf aufmerksam, dass ein Merkelinus unter
den Consuln jener Zeit gar nicht vorkommt, und eben so ist es in Betreff Helliu-
bold’s zu bemerken, dass dieser, wenn er gleich in der Nanker’schen Sache sehr
thätig war, doch unter den Consuln von 1340, mit welchen allein Schwenkin
feld zu thun hatte, sich nicht befindet, auch ist es kaum denkbar, dass bei der
bald darauf erfolgten Versöhnung der Breslauer mit dem Bischof, die Anstifter
des Mordes, wenn sie wirklich bekannt gewesen wären, ohne jede Strafe davon
gekommen sein sollten, wenigstens ewige Verbannung hätte sie doch treffen müs
sen, aber wir lesen gar nichts weiter davon.
3 ) 1343 tritt er allerdings wieder ein. Klose II, 2, 392.
4) Stenzei Bisth. Urk. 287.
5) Vita p. 264.
6 ) Seine Gesinnung spiegelt sich in seinem Bericht von 1343 und in der Stelle über
die Schlesier, Theiner I, 448, deutlich ab.
König Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
95
Einfluss gewesen i), der König Kasimir zum Zorn gereizt hatte,
darüber, dass man in Breslau nicht einen der Polen zum Bischof
gewählt hatte, und König und Legat bewirkten dann gemeinsam bei
dem Erzbischof von Gnesen, dass dieser sich weigerte, Przeczlaw
zu weihena). Aber Galhard musste erfahren, dass die Zeit, wo sein
politisches Programm: Kampf gegen das Deutschthum um jeden
Preis, auch in Avignon gegolten hatte, vorüber war, hei der fort
dauernd gespannten Stellung zum Kaiser durfte man sich nicht
auch die Luxemburger, deren Einfluss fortwährend im Steigen be
griffen war, zu Feinden machen, und am allerwenigsten hätte der
Nachfolger Benedict's Clemens VI., der frühere Erzieher des Mark
grafen Karl, eine Politik starrer Feindschaft gegen die Luxemburger
durchsetzen mögen.
Bischof Przeczlaw war, nachdem er die Nachricht von seiner
Wahl noch zu Bologna erhalten hatte, von da selbst nach Avignon
gegangen, und nachdem er sich mit dem Papste über die Forde
rungen, welche er (besonders bezüglich des Peterspfennigs) durch
zusetzen übernehmen sollte, geeinigt, auch die ihm bei seiner
Jugend noch fehlenden höheren Weihen erlangt hatte, erhielt er
die päpstliche Bestätigung, welche der Papst unter dem 28.
Januar 1342 dem Breslauer Capitel sowohl wie dem schlesischen
Klerus und dem Erzbischof von Gnesen anzeigte s ).
Um die Autorität des päpstlichen Stuhles, welche das Capitel
durch die Vornahme einer Wahl trotz der ausgesprochenen päpst
lichen Reservation verletzt hatte, wieder herzustellen, half man sich
dadurch, dass man annahm, das Capitel hätte vielleicht von jener
Reservation keine Kenntniss gehabt 4 ), und auch Przeczlaw
versicherte seine Unkenntniss. Im Februar oder März ward er
1 ) Es mag- daran erinnert werden, wie dringend er dem Papste an’s Herz gelegt
hatte, auf den Breslauer bischöflichen Stuhl nur einen Polen zuzulassen.
2 ) Chr. pr. Pol. a. a. 0. 163. Es ist wunderlich, wenn Caro (Geschichte Polens
I, 240) die Sache so dargestcllt, als ob Kasimir aus blosser Freundschaft gegen
Johann, der noch nicht mit dem Bischöfe von Breslau ausgesöhnt gewesen sei,
den Erzbischof von Gnesen zur Verweigerung der Weihe veranlasst habe, be
sonders da Caro hierzu einzig unsere Quelle citirt, welche das Motiv Kasimir’s
ganz richtig mit den Worten angibt: „— rex Kasimirus — impedivit ejus con-
firmationem , desiderans promoveri aliquem de suis natis de Cracovia, quoniatn
plures fuerunt tune Wratislauienscs canonici Cracovitc. u
3 ) Theiner 1, 437.
4 ) „Reservacionis et dccrcti hujusmodi forsan ignari *
msBmBaBKsswHmsssssäitst
96 Grünhagen
durch den Bischof Peter von Präneste zu Avignon geweiht, kehrte
dann nach Schlesien zurück J ) und begab sich zunächst nach Neisse,
wo ihn auch Markgraf Karl aufsuchte 3 ).
Die Verständigung ging sehr schnell von Statten 3 ). Zunächst
wurde der Frieden mit den Breslauern wieder hergestellt, und
diesen fiel die Bolle zu, die Genugthuung zu leisten, welche die
einst in Nanker verletzte Würde des kirchlichen Oberhauptes er
heischte. Aber es war auch hier eine sehr milde Form gewählt.
Im Adalbertskloster 4 ) erwartete Przeczlaw, nachdem er allgemein
freudig begrüsst seinen Einzug in Breslau gehalten, 1342 am
6. Mai 5 ) die Rathsherren und Geschwornen, welche vom Rathhause
1) Dass die Angabe der Chr. princ. Pol. 163 Przeczlaw sei am 5. Mai dem Jahres
tage seiner Wahl eonsecrirt worden, falsch ist, hat schon Stenzei in der Anmer
kung zu jener Stelle nachgewiesen, die päpstliche Urkunde vom 19. März
(Theiner I, 438) zeigt nun deutlich, dass die Consecration zwischen dem 28.
Januar und dem 19. März erfolgt sein müsse, wornach die Anführung hei Heyne
Bistlium Breslau I, 810 zu berichtigen wäre.
2 ) Chron. princ. Pol. 167.
3 ) Am 23. April war Karl noch in Kremsier in Mähren (Cod. dipl. Mo rav II, 407), und den
6. Mai findet schon die feierliche Aussöhnung des Bischofs mit den Breslauern Statt.
4) Es ist durchaus wahrscheinlich, dass, wie Heyne am angegebenen Orte 816 be
merkt, gerade das Kloster der Dominicaner in Erinnerung an den Dominicaner
Johann von Schwenkinfeld gewählt worden ist. Die Minoriten hatten in der
Zeit des Interdicts, dasselbe nicht achtend, ruhig ihren Gottesdienst gehalten, und
in ihrem Kloster zu St. Jakob hatte der Confliet begonnen, der jetzt im Domi
nicanerkloster beendet ward. Man sieht, es lebte auch hier jener Gegensatz, der
sich so bedeutungsvoll durch die letzten Jahrhunderte des Mittelalters zieht, bis
er dann, als sich Luther und der Dominicaner Cajetan gegenüber stehen, zu einem
weltbewegenden Conflicte herangewachsen ist.
5 ) Schon Stenzei hatte (Ss. I, 164, Anm. 1) erklärt, es müsse noch genau unter
sucht werden, ob nicht doch vielleicht jener Einzug des neuen Bischofs erst
1343 erfolgt sei, und Heyne a. a. 0. 814 Anm. 1 bestreitet nun bestimmt das
seit Klose angenommene Jahr 1342, indem er geltend macht: 1. dass, da Przecz
law den 6. Mai in Avignon eonsecrirt worden sei, er unmöglich den Tag darauf
seinen Einzug in Breslau habe halten können , 2. dass Balbin’s Nachricht im
Leben Erzbischof Arnest’s von Prag, wonach Przeczlaw noch 1343 die Hilfe
dieses letzteren gegen Johann in Anspruch genommen und dessen Excommuni-
cation veranlasst habe, dem Jahre 1342 entgegenstehe. Aber diese zwei Gründe
sind wenig stichhaltig. Was den ersten anbetrifft, so ist schon oben nachgewiesen
worden, dass die Consecration Przeczlaw’s nicht den o. Mai, sondern etwa im
Februar erfolgt ist, und ad 2. muss bemerkt werden, dass, wenn an dieser Nach
richt überhaupt etwas Wahres ist, sie nur auf einen neuen nach der Aussöhnung
erfolgten Confliet bezogen werden könnte. Das von Heyne angenommene Datum
6. Mai 1343 würde sie wenigstens eben so gut ausschliessen, wie das von uns
gegebene. Arnest wird den 11, Januar 1343 zum Bischof gewählt und muss
König- Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
97
aus hiehergezogen, und dann in Gegenwart des Markgrafen Karl»),
sowie einer Reihe schlesischer Herzoge, nachdem sie die Zeichen
ihres Amtes, Mantel, Barett und Gürtel abgelegt, ihr Bedauern über
das Vorgefallene ausspraclien und gelobten, dass Ähnliches nicht
wieder vorfallen sollte, worauf dann der Bischof Bann und Int erdict
aufhob. Die Ablegung der Amtstracht war nichts als die symbolische
Anerkennung der Excommunication, welche den Rath zur Führung
des Amtes unfähig gemacht hatte, eine solche Anerkennung musste
der Bischof verlangen, bevor er das Interdict aufhob. Weder diese
Ceremonie, noch die bei derselben Gelegenheit ausgesprochenen
Entschuldigungen werden den Breslauern als eine besonders em
pfindliche Demüthigung erschienen sein 3 ), wie wenig an eine solche
der Lage der Sache nach zu denken ist, zeigt besonders deutlich
gleich nach seiner Wahl nach Avignon gereist sein, von wo er erst um die
Mitte Mai zurückkehrte (Pelzei Karl IV. I, 114), es wäre also jenes von Baibin
berichtete Einschreiten gegen Johann sicherlich nicht in die Zeit vom 11. Januar
bis G. Mai zu setzen. Ausserdem sprechen für das Jahr 1342 zu deutlich die ver
schiedenen (im Text noch zu erwähnenden), eine vollzogene Aussöhnung deutlich
bekundenden Urkunden vom 1. Juli und 4. October und vor Allem die vom
23. Juli. Es ist doch unmöglich anzunehmen, dass, wie es in dieser letzten Ur
kunde heisst, die Prälaten und Domherren von Breslau wiederholt auf das Rath
haus gegangen wären und den Bischof und die schlesische Kirche hätten unter
die Protection der Stadt nehmen lassen, bevor die Aussöhnung erfolgt und Bann
und Interdict aufgehoben war. Auch Stenzei hat sich später für 1342 entschieden,
welches Jahr er in der 1853 erschienenen schlesischen Geschichte S. 128 angibt.
1) Wenn unser Chronist den Markgrafen neben den namentlich aufgeführten Her
zogen nicht besonders nennt, so unterlässt er es wohl nur, weil er schon dessen
Reise nach Neisse berichtet hat. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Karl mit
dem Bischöfe hierhergekommen ist, wo er vom 3. Januar urkundlich vorkommt.
2 ) Als solche wird diese Begebenheit allerdings gewöhnlich dargestellt. Die einzige
Quelle für dieselbe ist, wie schon erwähnt, die Chr. princ. Pol., und diese sagt
hierüber 1, 137 Folgendes: „et processerunt consules et jurati pedestres de
pretorio ad monastevium St. Adalberti, et ibi palliis et capuciis et cincturis de-
positis promiserunt, similia se veile numquam ammodo perpetrare u . Dieser Schil
derung das Mindeste zuzusetzen, haben wir um so weniger ein Recht, als der
Chronist ohnehin sichtlich auf Seite der Geistlichkeit steht und zu deren Gunsten
sicher nichts verschwiegen hat. Doch ist gerade bei dieser Gelegenheit der sonst
so kritisch besonnene Klose der gewesen, welcher für die neueren Geschichts
schreiber den Anstoss gegeben hat, jene Scene durch allerlei Zusätze mehr und
mehr in’s Jämmerliche zu ziehen. Er übersetzt nämlich (II, 134) „pedestres“ durch
»mit blossen Füssen“ und lässt „Consuln und Geschworne der Stadt ohne Mantel
und Gürtel mit blossen Füssen und unbedecktem Haupt vom Rathhause übern
Markt, die Albreehtsgasse hinunter bis in die Dominicanerkirche gehen“ in
directem Widerspruch mit der Quelle , weiche das „depositis etc. u erst hinter
ibi (d. h. in monasterio St. Adalberti) setzt.
Sitzb. der phil.-hist. CI. XLVII. Bd. I. Hft. 7
98 Grünhagen
die am 23. Juli 1342 über diese Aussöhnung durch das Capitel be
wirkte officielle Aufzeichnung. In dieser heisst es, die Prälaten und
Domherren seien mit den Rathsherren in dem Rathhause zusammen
gekommen und hätten über eine freundliche Beilegung der zu Nanker’s
Zeit entstandenen Streitigkeiten verhandelt, und die Consuln hätten
endlich freimüthig'und aufrichtig gelobt, den Bischof, das Capitel
und den gesummten Klerus in ihren und der Stadt Schulz zu neh
men, mit ihnen in Freundschaft zu leben und ihnen beizustehen
und dieses Gelöbniss alljährlich am Aschermittwoch bei der Erneue
rung des Raths zu wiederholen. Über das Ganze solle keine öffent
liche Urkunde aufgenommen werden, sondern was die Consuln mit^
Worten geloht hätten, das wollten sie -in der Tliat ausführen *).
Über etwaige an die Geistlichkeit gezahlte Entschädigungen sind
wir nicht unterrichtet, die städtischen Rechnungsbücher weisen in
Beziehung hierauf erst zum Jahre 134S die kleine Summe von 28
Mark „pro reparatione domorum canonicis“ auf 2 ).
Auch über Schloss Militsch scheint man sich schnell geeinigt
zu haben, indem es Karl einfach der Kirche zurückgab, sogar ohne
den Vorbehalt des Besatzungsrechtes in die darüber ausgestellte Ur
kunde 3 ) mit aufnehmen zu lassen. Vielleicht bestand sogar in dieser
rückhaltslosen Anerkennung des Eigenthumsrechtes der Breslauer
Kirche 4 ) die von dem Bischof verlangte Genugthuung.
Allerdings konnte dies Karl sehr leicht, nachdem der Bischof
schon den 1. Juli d. J. urkundlich erklärt hatte, dass alle Festungen
Auch das Niederwerfen der Consuln vor dem Bischof ist ein unerwiesener
Zusatz. Am Kläglichsten sieht der ganze Auftritt in der Schilderung Heyne’s a.
a. 0. S. 815 ff. aus, der denn auch zu seiner besseren Rechtfertigung neben der
Chr. princ. Pol. noch eine Stelle aus der Chronik des Matthias von Miechow
(eines Schriftstellers des XVI. Jahrhunderts) aufführt, ohne, wie es scheint, aus
der Wiederkehr derselben Worte inne zu werden, dass wir hier nur eine weitere
Ausführung des ersteren Berichts vor uns haben, die jedoch Matthias von Miechow
nicht selbst vorgenommen, sondern aus der polnischen Chronik des Dlugosz,
lib. IX, 1064 entlehnt hat, der jene Stelle schon ganz nach seiner Gewohnheit
verschönert und ergänzt hatte.
Liber niger (Copialbuch des Domcapitels) f. 26. Man wird gestehen müssen, dass
diese Fassung, nach welcher der Rath den Bischof und seine Geistlichkeit in
protectionem suam recipirt, nicht gerade darnach aussieht, als hätten sich die
Consuln für tief gedemüthigt gehalten.
2) Cod. dipl. Sil. III, 71.
3 ) 1342. 13. November Liber niger f. 45*36.
4 ) Es verdient bemerkt zu werden, dass bei Gelegenheit dieses Streites die Besitz
verhältnisse des Schlosses eine gewisse Änderung erfahren z.u haben scheinen.
König 1 Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau. 99
der Breslauer Kirche und des Neisser Gebietes zum Zwecke der
Landesvertheidigung dem Könige offen stehen sollten 1 ).
Überhaupt trat Przeczlaw in das allerengste Verhältnis zur
Krone Böhmen, erklärte dessen Fürsten als den rechtmässigen Nach
folger Herzog Heinrich’s VI. für seinen Hauptpatron im Herzogthume
Breslau, verpflichtete sich keinem Angreifer desselben Rath oder
Hilfe zu gewähren, ja machte sich sogar anheischig, die schlesischen
Vasallen Böhmens, deren Eide er bekräftigt, erforderlichen Falls
durch Kirchenstrafen zur Erfüllung ihrer Eide anzuhalten a ), woge
gen dann Karl an demselben Tage die Privilegien des Bisthums be
stätigte und den Besitz Sowie die Rechte des Bisthums überall zu
schützen versprach, mit Ausnahme der Herzogtümer Schweidnitz-
Jauer, deren Fürsten noch nicht böhmische Vasallen waren, und bei
denen er sich auf eine Abwehr directer Angriffe über ihre Grenzen
hinaus beschränken müsse s ). Dieses Privilegium wiederholt dann König
Johann unter dem 4. October desselben Jahres mit der charakteri
stischen Auslassung 4 ) des Wortes patronorum bei Erwähnung der
schlesischen Vasallenherzoge, indem der König augenscheinlich für
den alleinigen Patron des Bisthums gelten wollte.
Den Schlussstein des ganzen Werkes sollte dann die directe
kirchliche Verbindung Schlesiens mit Böhmen bilden. Freilich musste
um diese zu ermöglichen zunächst eine kirchliche Metropole, ein
Erzbisthum für Böhmen geschaffen werden, doch dieser Plan, der in
früheren Zeiten schon mehrfach angeregt worden war, wurde damals
in der That schon aufs Neue aufgenommen. Unser Chronist knüpft
Versuche dieser Art schon an jene wunderliche Schmähung Bischof
Nanker's von dem Königlein an, der sich zu seiner Krönung einen
Erzbischof borgen müsse 5 ), und in der That war der Streit mit
Früher erscheint dasselbe als ausschliessliches Eigenthum des Capitels, nach dem
Streite wird es urkundlich als gemeinschaftlich dem Bischof und dem Capitel
gehörig bezeichnet. Sommersberg I, 783.
*) Stenzei. Bisth.Urk. 349.
2 ) In der eben erwähnten Urkunde.
s ) Stenzei a. a. 0. 289.
4 ) Wie schon Stenzei a. a. 0. 292 bemerkt hat.
5 ) Chronic, princ. Pol. 134. ich wage nicht zu entscheiden, ob nicht gerade diese
Äusserung eine später entstandene sagenhafte Motivirung der Gründung des Prager
Erzbisthums ist.
100
‘ (i r ii u li a g e n
Nanker recht dazu angetlian, gerade in Beziehung auf die schlesi
schen Angelegenheiten die Nothwendigkeit eines eigenen böhmi
schen Metropolitanverbandes zu zeigen. Bald gestalteten sich auch
die allgemeinen Verhältnisse solchem Plane äusserst günstig. Der
Erzbischof von Mainz, von dessen Sprengel die neue Metropole ab
zuzweigen war, hatte sich durch beharrliches Festhalten an der
Partei des Kaisers in Avignon äusserst missliebig gemacht, während
Karl dauernd in dem allerbesten Vernehmen mit dem Papste stand.
So kam denn 1343 die Erhebung Prags zum Range eines Erzbis-
thums zu Stande, welche dann unter dem 30. April 1344 proclamirt
wurde. Bei den Verhandlungen darüber trat noch einmal die slaven-
freundliche Gesinnung des päpstlichen Hofes an’s Licht, indem der
Markgraf unter anderen Puncten auch den beschwören musste, dass
die Sprache der Böhmen eine slavische und von der deutschen
wirklich verschiedene sei*), welches allerdings merkwürdig mit den
Nunciaturbericliten des Legaten Galhard contrastirt, in welchem
immer die Begritfe deutsch und böhmisch als gleichbedeutend an
genommen werden.
Die Diöcesen Olmütz und Leutomischi wurden sofort dem
neuen Erzbisthum untergeordnet, doch als es sich darum handelte,
diesen auch das Bisthum Breslau hinzuzufügen, fanden sich grosse
Schwierigkeiten; zwar hatte auch hierin Karl schon die Einwilligung
des Papstes zu erlangen vermocht, und zwar wesentlich durch die
Concession, dass in Schlesien fortan der Peterspfennig wirklich als
Kopfsteuer erhoben werden sollte 2 ), aber einerseits stemmte sich
am päpstlichen Hofe selbst eine grosse Partei gegen eine Concession,
welche der traditionellen Politik so sehr widersprach und dabei zu
gleich dem alten Verbündeten Polen einen erheblichen Verlust
brachte, andererseits aber wollten auch die Breslauer und die Schle
sier überhaupt von einem Erhebungsmodus nichts wissen, dessen
Unausführbarkeit ihnen wohl einleuchten mochte 3 ). So ist denn die
beabsichtigte Verbindung mit Prag unterblieben, ohne dass jedoch
die mit Gnesen mehr als dem Namen nach aufrecht erhalten worden
‘J Palacky II, 2, 2S5.
2 ) Palacky a. a. 0. aus einer Urkunde des Vaticans. Vgl. Klose Neue literarische
Uiitürhalluug-en. II, 589.
3 J Vgl. den Brief Clemens VI. vom 2G. September 1343 (Stenzei, Bislh. Urk. 292)
und die Klagen Galhard’s v. J. 1343 hei Theiner I, 498.
König’ Johann von Böhmen und Bischof Nanker von Breslau.
101
wäre, vielmehr erhielt das Bisthum Breslau, indem es sich mehr und
mehr und in einer augenfälligen Weise von jeder Verbindung mit
der übrigen polnischen Kirchenprovinz fernhielt, schon damals fac-
tisch jene Ausnahmestellung, welche man ihm später auch gesetzlich
zugestanden hat. Wie sehr man übrigens hier mit dem Plane einer
Verbindung mit Prag einverstanden gewesen wäre, mögen wir daraus
erkennen, dass man in der Angelegenheit des Peterspfennigs die
Vermittelung Bischof Arnest's in Anspruch nahm 1 ), der dann auch
1343 hier als Gast verweilt und von der Stadt eine nicht unbedeu
tende Summe (ItiS Mrk.) für seine Bemühungen erhält 2 ).
In Bezug auf den Peterspfennig sind die Streitigkeiten damals
keineswegs zum Abschluss gekommen, doch entzieht sieh der Ver
lauf derselben den Grenzen dieser Darstellung. Die Schlesier haben
ihn noch Jahrhunderte lang, wenn auch nicht immer regelmässig
bezahlt, aber ich halte es für sehr zweifelhaft, ob die päpstliche
Forderung einer kopfweisen Entrichtung sich zu irgend einer Zeit
habe durchführen lassen 3 ).
Überblicken wir nun noch einmal den ganzen Verlauf der
Kämpfe, die wir hier zu schildern versucht haben, so werden wir
nicht umhin können einzugestehen, dass dieselben eine totale Nieder
lage der polonisireriden Politik enthalten, welche die päpstliche
Curie besonders seit Anfang des XIV. Jahrhunderts verfolgt hatte.
Jene Huldigung der schlesischen Fürsten an Böhmen, welche man
in Avignon so ungern gesehen hatte, war jetzt geradezu durch den
schlesischen Bischof bestätigt worden, ja derselbe hatte sich für eine
Aufrechthaltung dieses Lebensverhältnisses in gewisser Weise ver
bürgt. Er seihst war zu dem neuen Herrscherin ein engeres Verhält-
niss getreten, und die allgemeine Schutzherrschaft, welche der pol
nische König über alle die Bisthümer des Gnesener Sprengels in
Anspruch genommen hatte, war jetzt, was Breslau aubetraf, ganz
*) Stenzel ßisth. Urk. 292.
ß ~) Cod. dipl. Sil. III, G9.
3 ) Aus den Anführungen, welche Klose in den Neuen literarischen Unterhaltungen
II, S87 1F. und Stenzel Bisthums-Urkunden. Einl. LXXXVIII aus Muratori antiqu.
Ital. VI. gehen, vermag ich nur zu erkennen, dass der Papst den Peterspfennig
kopfweise zu erheben verlangt, aber immer nur in der Form eines Pausch
quantums erhalten hat. Wenn Stenzel a. a. 0. aus der Summe des in einem
Jahre gezahlten Peterspfennigs die Einwohnerzahl Breslau’s herauszurechnen ver
sucht, so erscheint mir das mehr als kühn.
102 Grün ha ge n , König Johann von Böhmen und Bisch of Nanker von Breslau.
auf den König von Böhmen übergegangen, das Breslauer Capitel
hätte die Wahl eines ihm genehmen Bischofs sogar gegen den
Willen des Papstes durchgesetzt, und Intriguen, wie sie z. B. bei
der Militscher Angelegenheit im polnischen Interesse eingeleitet
worden, waren nicht nur vollständig gescheitert, sondern die letzten
Verträge des neuen Bischofs mit dem Könige oder dessen Stellver
treter hatten Ähnliches für die Zukunft unmöglich gemacht. Ebenso
hatte der schlesische Klerus sich nicht abhalten lassen, mit der bei
dem päpstlichen Legaten so missliebigen Bürgerschaft Breslau’s enge
Freundschaft einzugehen und deren Schutz und Beistand zu suchen.
Diese Ereignisse erscheinen recht eigentlich als Vollendung
dessen, was sich 1327 vollzogen hatte, nämlich des Anschlusses
Schlesiens an Böhmen, jetzt erst wurden auch die kirchlichen Ver
hältnisse in den Umschwung der Dinge hineingezogen, ihr Scbwer-
punet aus Polen nach Deutschland verlegt und das Bisthum Breslau
definitiv für unser Vaterland gewonnen, ein Besultat, welches wohl
über die Provinz hinaus ein allgemeines nationales Interesse bean
spruchen kann. Und wenn wir anerkennen müssen, dass diese Er
folge zuletzt durch die Energie und Geschicklichkeit eines so aus
gezeichneten Diplomaten, wie Markgraf Karl war, erzielt worden
sind, wird hoffentlich diese Darstellung gezeigt haben, wie wesent
lich dieselben vorbereitet waren durch den zähen und mit grösster
Besonnenheit geführten Vertheidigungskrieg, den Jahrzehnte hindurch
das Domcapitel und der deutsche Klerus Schlesiens, treu unterstützt
von der deutschen Bevölkerung und speciell der Bürgerschaft Bres
lau’s gegen eine Politik geführt haben, welche den deutschen Inter
essen die wesentlichsten Gefahren drohte.
SITZUNG VOM 13. JULI 1864.
Die Commission für Herausgabe österreichischer Weistluimer
erhält zugesandt:
Durch den löbl. Landesausschuss von Steiermark, die aus
dem Stiflsarchiv von Admont gesammelten Panthaidingen, im
Original, zur Benützung.
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
Von Ignaz V. Zingerle.
0. Vilmar ist der Ansicht „Lachmann habe das Richtige
gesehen“, wenn er annahm, dass das Nibelungenlied (und zwar in
der Gestalt, die uns die Handschrift A bietet) aus einzelnen Lie
dern entstanden ist. Er fährt dann in seiner Inauguraldissertation:
„Reste der Alliteration im Nibelungenliede. Marburg 1S5S“ fort 1 ):
„Über die ursprüngliche Form dieser Lieder kann kein Zweifel sein
— das Hildebrandslied zeigt sie uns sicher: sie war alliterirend.
Wenn es von Hildebrand ein alliterirendesLied gab, warum sollte es
nicht auch zu derselben Zeit Lieder in derselben Form gegeben
haben von seinem Herrn Dietrich, warum nicht auch von Sigfried,
von Hagen und Volker? Diese Lieder sind uns dem Inhalte nach in
dem Nibelungenliede, wie wir es jetzt haben, erhalten, so weit
sie nicht als einzelne Lieder stehen blieben, wie das Lied vom
') s. 2.
104
Z i n g e r 1 e
hürnen Sigfried, von Eeke u. a. Ist uns alter der Inhalt dieser allite-
rirenden Lieder erhalten, so liegt die Vermutlning nahe, dass auch
von der Form derselben uns Manches, wenn gleich nur trümmer
weise, verborgen unter der später hinzugekommenen Form des
Reimes überliefert ist. Wider eine solche Vermuthung kann als
Hauptgrund geltend gemacht werden die Länge der Zeit, welche
zwischen dem Aufhören der Alliteration und der Abfassungszeit des
Nibelungenliedes liegt. Wir haben allerdings nach dem Jahre SSO
kein Gedicht mehr in alliterirender Form, 3S0 Jahre also vor dem
Zustandekommen unseres Liedes. Aber während die Geistlichen sich
von der deutschen Dichtung und namentlich von der als heidnisch
verschmähten Alliteration ab wendeten, kann das Volk die alten
Lieder auch noch in der alten Form fortgesungen haben und die
Zaubersprüche, dieWaitz in einer Handschrift des 10. Jahrhunderts
fand, beweisen uns die Erhaltung der alten Form in ganz unverän
derter Weise. Tauchen doch in dem Hexenwesen des 16. Jahrhun
derts, 300 Jahre nach dem Nibelungenlied, Formeln auf, die ihrem
Ursprünge nach auf das 9. Jahrhundert zurückweisen. Allerdings
ist wohl nach 830 Neues auch vom Volke nicht mehr in der alten
Form gedichtet worden, aber das Alte wird um so treuer bewahrt
worden sein; denn Treue ist eine Haupteigenschaft echter unge
trübter Volkstradition. Wenn es noch in neuer Zeit möglich ist,
dass ein Märchen in Prosa auch den Worten nach ohne einen Zusatz
von Geschlecht zu Geschlecht sich erhält, wenn wir sehen, wie
rechte Märchenerzähler noch in unserer Zeit auf die getreue Über
lieferung der Worte ein grosses Gewicht legen, wie viel mehr Kraft
der Bewahrung müssen wir einer Zeit zuschreiben, in der das Volks
leben noch frischer war, als jetzt, in der das Gedächtniss noch nicht
durch vielerlei Erlerntes abgeschwächt, noch nicht durch das Ver
trauen auf Gedrucktes und Geschriebenes gestört, die Freude an
den alten Volkshelden noch ungeschmälert und ungetrübt war. Die
Erhaltung einer poetischen Form, wie der Alliteration, ist der Natur
der Sache nach weit leichter, als die Erhaltung einer prosaischen
Erzählung. Keine Form ist aber für die Bewahrung so geeignet, wie
gerade die Alliteration. Jede andere Form der Poesie, auch der
Reim, ist mehr oder weniger von aussen dem Inhalte angepasst, die
Alliteration aber ergibt sich durch den Inhalt von selbst, sie wird
durch die Hauptworte der Erzählung getragen, — erhielt sich die
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
105
Erzählung, so erhielt sich auch im Wesentlichen die Form und
Trümmer der Form, als diese selbst nicht mehr lebendig war.“
Von diesen Ansichten ausgehend, durchforschte Vilmar das
Nibelungenlied und fand darin zahlreiche Trümmer der alten allite-
rireriden Form. Da fand er als das Augenfälligste, dass die Namen
von Verwandten unter sich alliteriren *). „So alliterirt der Name des
Sohnes mit dem des Vaters bei Sigfried, dem Sohne Sigemund’s.“
Er glaubt noch auf einen ähnlichen Fall verweisen zu müssen, näm
lich auf Blödelin, der Botelunges Sohn ist. Aber was soll dies für
sein Thema beweisen, da Blödelin in unserem Liede nirgends als
solcher genannt wird?
Vilmar gibt nun eine Lese von alliterirenden Versen des Nibe
lungenliedes mit besonderer Rücksicht auf die Eigennamen, berück
sichtigt jedoch auch solche, die in der ersten Hälfte nur einen, und
in der andern zwei Liedstäbe haben 2 ). Wir theilen diese Lese mit:
sun den Sigemundes ich hie gesehen hän 215, 2
des antwurt im dö Sivrit, des Sigemundes sun 123, 4
des antworte Sifrit Sigmundes suon 33 2, 1
dö sprach zuo sim gesinde Sigmundes barn 637, 2
dö der wirt des landes Slvriden sach und oucli Sigemunden
732, 1 =).
Vilmar sagt nun, auf diese und etliche andere Verse gestützt,
in denen beide Namen neben einander Vorkommen: „Wir können
noch aus der gegenwärtigen Gestalt unseres Liedes erkennen, dass
Sigfrid’s und Sigemund's Name in den unserm Liede zu Grunde lie
genden Liedern alliterirend zusammengetroflen sind“ 4 ) und gibt nun
eine Reihe von alliterirenden Versen im Nibelungenliede zum Be
weise, dass die demselben zu Grunde liegenden Lieder in alliteri-
render Form abgefasst waren.
Wir müssen hier viele der in der Folge angeführten Beispiele,
die auf willkürlichen Umstellungen und Combinationen beruhen, um-
D S. 4.
2 ) Er bemerkt hiezu, dass in diesen» Falle die zweite Hälfte des Verses vorangestanden
haben müsse. S. 5.
3 ) Wobei sich V. eine Heraufziehung: aus dem zweiten Verse erlaubt, denn A bietet:
Dö der wirt des landes Sifriden sach,
und oueh Sigmunden.
4 ) S. 5.
106
Z i n g e r 1 e
gehen, und geben nur jene Belege, die als wirklich alliterirende
Verse im Texte vorliegen:
her Hagene von Tronje: was liän ich iu getan? 1901, 2
den kiienen Dancwarten, der ist ein sneller degen guot 177, 2
daz si din morgengäbe“ sprach Dancwart der degen 1864, 3
dö sluog er Bloedeline einen swinden swertes slac 1864, 1 >).
man mae si morgen mehelen einem andern man 1865, 1.
min sun Sivrit sol hie selbe künic sin 649, 4
Sivrit min sune, man solde iuch dicker sehen 698, 3
wie ir lierre heize, si sint vil hohe gemuot 378, 4
dd sprach der herre Sivrit: nu sult ir tougen spehen 379, 1
weihe ir nemen woldet, hetet irs gewalt 379, 3
ob ich gewalt des hete, si miieste werden min wip 380, 4 2 )
siner snelheite er mohte sagen danc 1987, 2
und sluog im siege swinde mit siner ellenthaften hant 1987, 4 s )
dd dalite Ilagene: „du muost des tddes wesen 198S, 1.
So weit gehen die von Vilmar beigebrachten, unantastbaren
Belege. Schon Fischer hat aber in seiner Schrift: „Nibelungenlied
oder Nibelungenlieder?“ S. 9 nachgewiesen, dass selbst in den von
Lachmann für neuere Zusätze erklärten Strophen viele alliterirende
Verse und dass sie endlich besonders häufig in C Vorkommen. Da
eine vollständige Sammlung derselben noch nicht gegeben ist,
stelle ich dieselbe nach Holtzmann’s Ausgabe zusammen und man wird
daraus ersehen, wie zahlreich derartige Verse sich hier finden.
mit kraft unmäzen küene die recken üzerkorn 5, 2
waz saget ir mir von manne, vil liebiu muoter min 14, 1
die rede lat belibcn, vil liebiu frouwc min 16, 1
wie liebe mit leide ze jungest Ionen kan 16, 3
des wir in disen stunden miiezen vil von im gedagen 21, 4
doch wolder wesen herre für allen gewalt 42, 3
!) Vilmar stellt es um:
einen swinden swertes slac sluog er Bloedeline. S. 32.
2 ) Vilmar stellt um ;
si müese werden min wip, ob ich gewalt des hete. S. 36.
3 ) Vilmar setzt:
und sluog im mit siner (ellenthafter) hant siege swinde. S. 36.
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
107
ez was ir aller werben wider in ein wint 47, 1
den wirt des bete wunder, von wannen koemen dar 80, 1.
oder waz ir werbet ze Worrnez an den Rin 106, 3
wie bete icli daz verdienet? sprach Günther der degen 112, 1
dd vrägete man der maere die imkunden man 142, 3
die unser widerwinnen suln uns willekomen sin 151, 4
ich sage iu, wer der waere der hie der warte pflae 184, 1
er bat sich leben läzen und böt im sinfu laut 190, 1
da sehet ir helme houwen von guoter helede hant 196, 3
man hörte da lute erhellen den beiden an der hant 205, 1
wie si leben wolden da zer Wirtschaft 271, 1
si het im holden willen harte schiere kunt getan 296, 4
er mohte sinen saelden immer sagen danc 303, 2
schirmen mit den Schilden unt schiezen manigen schaff 310, 3
und setzen iu des Sicherheit, swie iuch des selben dunket guot
313, 4
die unser widerwinnen wellent riten fruo 315, 2
den sinen widerwinnen wart daz kunt getan 318, 2
diu mir unt mime riche ze frouwen möge zemen 328, 2
ich wil durch dinen willen wägen cre unde lip 338, 4
wir miiezen michel sorgen bi hohem muote tragen 358, 2
er mühte wol erweinen vil waetlichiu wip 424, 2
min houbet wil ich wägen, irne werdet min wip 436, 4
so solde ich boten senden der lieben swester min 540, 3
gezieret gegen den gesten der Guntheres sal 571, 2.
Günther mit sinen gesten gie von den schiffen abe 592, 2
sun der Sigemundes mit guotlieliem site 699, 1
sime vater Sigemunde saget oucli den dienest min 743, 1
den minnecliclien meiden unt manigem küenem man 744, 3
iuwer muoter Uote diu hät iuch gemant 759, 2
so wellen wir iu räten, daz iu wirdet guot 767, 2
mit glanze verre glesten verwieret in daz golt 784, 3
der wirt sich gegen den gesten sere vlizen began 789, 4
er vrägete, waz ir waere? weinende er si vant 872, 1.
dä man in mac verhonwen, diu maere saget mir sin wip 883, 4-
dö liiez der kiinic künden den jägeren üzerkorn 952, 1.
diu dä verhonwen hete diu Sifrides hant 980, 2
die liute liefen alle, dä er erslagen lac 1000, l
108
Z i n g e r 1 e
<16 liet gerochen Hagene harte Prünhilde zorn 1025, 4.
und sol oucli Sigemunde disiu macrc sagen 1026, 3
ern möhte sinen lieben sun lebenden nimmer me gesehen 1028, 4
dö kom der kiinic Sigemunt, (lä er Kriemhilde vant 1035, 1
do wart man des wuofes in der stete gewar 1048, 3
und allez sin gesinde, daz sin von rehte pflac 1007, 3
lat mir nach mime leide daz kleine liep geschehen 1077, 1
si liuop sin schoene houbet mit ir wizen haut 1078, 2
daz man so grözer milte möre nie gesach 1141, 3
durch Sifrides sele, unt umh aller sele heil 1159, 2
ich hän erkant von kinde die edelen küniginne her 1170, 4
Gernot unde Giselher, die stolzen ritter guot 1238, 2
fünf hundert miner manne unt oucli der mäge min 1289, 1
so ir mich ermant der maere, daz ihs nimmer mich gescham
1289, 4
in wil behalten Hagene, daz sol man Kriemhilde sagen 129G, 4
Gernot unde Giselher, Gere unt Ortwin 1521, 1
nu sult ir snellen degene von dem sedele stän 1760, 3
er weste wol diu maere, ir reise was im leit 1763, 3
der heit was wol gewalisen, daz ist ahvär 1774, 1
nu sult ir mich der maere mere wizzen hin 1781, 1
swa so friunt friunde friuntlich gestät 1842, 2
daz wolde got, her Gernot, unt möhte daz ergän 2246, 1
er vragete war si wolden? wir wellen mit iu dar 2310, 1
si hiuwen uz den helmen den heize vliezenden hach 2347, 4.
Nicht seltener kommen Verse vor, deren erste Hälfte einen,
die aridere zwei Liedstäbe hat. Ich führe beispielshalber nur fol
gende an:
die si mit horten wolden würken uf ir wät 30, 1
ir ros diu waren schoene, ir gereite goldes rot 68, 1
daz muose sit beweinen vil manic waetllchez wip 201, 4
von in wart verhouwen vil manic wunde wit 204, 2
dar zuo der künic den gesten gäbe groczliche hot 256, 4
sich zierte minnecliche vil manic waetlicliiu meit 278, 4
ir heizet Sifriden, den Sigemundes sun 291, 1
wir gern staeter suone unt geben michel guot 313, 3
nu rata, (legen küenc, waz dich des dunke guot getan 315, 4
Die Alliteration hei mittelhochdeutschen Dichtern.
109
der künic mit si'nen mägen, vil manic edel man 321, 3
uz ir kemenäten Kriemhilt diu künigin 369, 3
ob icb gewalt des liaete, si müese werden min wip 401, 4
ez müezen e befinden mäge unt mine man 486, 2
daz ir mich habet gesendet, daz sult ir Prünliilde sagen 492, 4
lat wizzen iniue briieder, wie wir geworben hän 343, 3.
an daz gegensidele man Sifride sach 622, 2
dö kom ir ingesinde, die sümten sich des niht 632, 1
er wände vinden freude, dö vand er vinth'chen haz 639, 4
Sifrit der vil küene sol hie nu selbe voget sin 711, 4
gein disen sunewenden sol er mit sinen man 742, 3
des half mit grözen zühten Giselher unt Gern6t 798, 3.
do huop sieh in dem lande harte hoch ein spil 816, 1.
mit ungefüegem leide vil des Volkes ranc 1073, 2
dö sach man Gernölen unt Gisclheren gän 1107, 2
si sprachen: „weit ir immer gewinnen edel wip 1167, 2
wir suln ze liöve riten unt suln daz besehen 1771, 3
er bräkte in zuo dem sedele, da er selbe saz 1211, 1
si jach, daz si geminnen nimer mere wolde man 1276, 1
in einen palas witcn, der was vil wolgetän 1347, 2
der mir gaebe turne von rotem golde guot 1836, 2
so slahe ich eteslieliem so swaeren gigenslac 1863, 1
dö sluog er Bloedeline einen swinden swertes slac 1979, 1
der sluog er eteslieliem so swaeren swertes swane 2002, 2
dö sluogen die vil müeden manigen swinilen slac 2268, 1
Es begegnen uns, wie diese vielleicht unvollständige Lese
zeigt, Verse mit drei Liedstäbeu in unserem Gedichte oft. Wie
Hesse sich erst deren Anzahl vermehren, wenn man nach Vilmar’s
Vorgänge sich Änderungen einzelner Wörter oder das Heranziehen
einer folgenden Zeile erlauben würde! — Fischer bemerkt aber zu
dieser häufigen Erscheinung alliterirender Verse: „Aber was ist
damit bewiesen ? Manche der angeführten Stellen seliliessen aller
dings fast die Möglichkeit eines Zufalles aus, andere aber können
gar wohl zufällig entstanden sein, und nimmt man erst die Verse
mit zwei Stäben und die mit zwei verschiedenen einander durch
kreuzenden Stabpaareu hinzu, was doch — legt man einmal Gewicht
auf die Sache — kaum unterlassen werden dürfte: so gewinnt der
Z i n g e r I e
lto
Zuf.aU immer mehr Spielraum und es möchte schwer sein, eine feste
Grenze zu ziehen. Daher, so viel Einleuchtendes und — wir möch
ten sagen — Verführerisches Vilmar’s Ansicht hat, ist sie uns doch
zu unsicher, um als Mittel der Kritik gebraucht zu werden; begnü
gen wir uns mit der Überzeugung, die aus den angeführten Stellen
hoffentlich mit Sicherheit hervorgeht: dass die Spuren der Allitera
tion, insoferne sie überhaupt Beweiskraft haben, weder Lachman’s
Kritik noch die Handschrift A unterstützen, sondern in die Wag
schale der Handschrift C fallen.“ Wir können dieser Äusserung
unsern vollen Beifall gehen, müssen aber vorhinein bemerken, dass
wir diese angeblichen Trümmer der Alliteration durchaus für zu
fällige halten, welche nicht aus alten Liedern herüber genom
men sind. Einige sind höchstens in soweit nicht zufällig, als der
Dichter sie hie und da als Mittel rhytmischer Malerei absichtlich
gebrauchte. Um diese Ansicht zu rechtfertigen, greifen wir weiter
aus und ziehen auch die Alliterationen in anderen Dichtungen in den
Kreis unserer Betrachtung. Wir werden daraus ersehen, dass allite-
rirende Verse nicht nur im Nibelungenliede, sondern auch in ande
ren, namentlich solchen, die in Langzeilen verfasst sind, uns oft
begegnen. Ich beginne mit Gudrun, die auch in dieser Beziehung
dem Nibelungenliede am nächsten steht.
der wirt weinte sere, sin brust diu wart im naz 62, 1
do wolten si des waenen, ez waere ein wildez twerc 78, 2
do giengen in engegene die ritter stolz unt guot 11 5, 2
ze Hilden und ze Hagenen hin ze hove gan 258, 3
Iletele sprach zen beiden: nü gebe iu got von bimele sin geleite
282, 4
von keinen koufliuten in des kiineges landen 300, 3
Horant vorlite Hagenen. im begunde da ze bove leiden 403, 4
Hetele der herre vil berücken streit 522, 1
daz Wate arzät waere von einem wilden wibe 529, 3
den lebenden was gelungen, si beten dort verlän 545, 2
diu Hilden lieimreise mit Ilelelen gescliach 547, i
Hagenen kuste Hilde und neic dem künege lier 559, 1
er unde sin gesinde gesähen nimmer mer 559, 2
mit minem silber sende zwelf soumaere 595, 3
si kamen zuo dem künege ze hove so si aller beste künden 605, 4
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
lll
Hetelen unde Hilden . daz muote Hartmuoten harte sere G23, 4
Hetele unde Hilde; die vyolten hoeren Leide 639, 3
von Hüten wart so laere ze Alzabe daz laut 670, 2
sit man im brach die bürge und im die marke in allen enden braute
678, 4
nü wil min herre Herwic versuoeben iure triuwe, maget höre 684, 4
die Hetelen beide sach man mit herten siten 717, 2
von Hegelinge Hetele und herre Sivrit 722, 1
si sähen, sunder scheiden hie besezzen lac 731, 1
sun, gebet den gesten, so gäbe ich hie heime niinen beiden 743, 4
diu hure diu was zerbrochen, diu stat diu was verbrant 801, 1
zuo einem wilden werde, der was geheizen da zem Wülpensande
809, 4
Hüte diu vil here ir herze unde ir sin 810, 1
din bürge sint zchrochen, verbrennet ist din lant 816, 2
do liiez man Herwigen hin ze liove gän 821, 1
des heizet iuch min herre der künic Hetele vrägen 831, 3
westen wirs ze vinden, so müese in werden we 836, 2
ez was ein wert vil breiter und liiez der Wülpensant 848, 1
üf dem Wülpenwerde woltens Güdrun gerne wider bringen 883, 4
und die wilden wolve üf dem werde läzen niezen 911, 3
daz mich nilit mac gelüsten deheines recken minne 1 027, 3
ir sult mit siten guoten sin hi miner vrouwen 1044, 3
die si an vrowen sedele harte selten liez 1031, 2
diu si da leren solle, mit ir üf den sant 1037, 2
si engienge in engegene und gruozte si besonder 1103, 3
da leben die liute schone, so riclie si ir lant 1129, 1
ez hat min vrou Hilde vunf hundert brünne 1147, 3
daz dü so vil gevliuzest üf diseme vluote 1166 4
liaete üz Hegelingen Hilde diu riche 1187, 3
waeren warme winde, wir wüesclien ofte iu deste mere 1190, 4
und waschet wat die mine, daz daz lüter wazzer nider vlieze
1201, 4
al der weite wiinne die solte ich gewinnen 1246, 3
da mite ich wart gemahelet Güdrün ze minnen 1247, 3
nü sult ir sehen dize, daz min vriedel sande 1249, 3
du solt haben holden Herwigen dinen vriedel büren 1261, 4
ir Hartmuotes beide wir wellen ruowe hän 1328 2
112
Z i 11 g e r 1 e
dö sach si riche segele wagen üf dem se 1359, 1
wan ich den grimmen gesten der ere niht engan 1375, 2
houwet uz den helmen den heizen viures scln'n 1388, 2
daz im der wert erwagete und der wäg erdöz 1394, 2
dö wolt im niht entwichen der waetlielie man 14G8, 2
viel ir vür die vüeze.si klagete ir vater Ludewigen sere 1478, 4
waeren die niht entwichen, so waerens von den gesten gar
zerliouwen 1307, 4
do wart ir Wate der alte in der zit gewar 1310, 1
die vremeden zuo den vriunden müezen alle wesen hie die veigen
1320, 4
dö sieh erhouwen haeten die helde üz Tenelant 1532, 1
man liez der niht belihen, die man in daz lant 1610, 2
dan man da gap den gesten. daz wären ouch vroun Gudrünen raete
1616, 4
da mite er mine möge unde mich ze vriunden möge gewinnen
1629, 4
si gewunnen sunder ein süberlicliez her 1689, 2
daz si da nach selten gesähen einander mere 1690, 3.
Auch Verse mit zwei Liedstäben in der zweiten Hälfte kommen
nicht selten vor. Ich habe folgende verzeichnet:
nach sines vater töde volgte im beide vreude und michel wünne
7, 4
sit wart ez in vremede: ez wart von in gevüeret verre dannen 24, 4
der wirt liiez dö satelen im und sinen besten ingesinden 148, 4
nu kiese Wate selbe, weihe er mit welle heizen riten 252, 4
stuont nach höher minne . er machte manegen man 268, 3
si gab im abe ir liende: niht goldes was sö guotes 398, 3
dö sluoc Wate der alte, daz im erwäget der wert 515, 1
ze liove kömens alle, als lletele und vrou Hilde nach in sandc
563, 4
brühte er sine beide, wan si in da hiezen herre 564, 3
daz man gesaget haete von Hetelen und von Hilden 601, 3
der ouch diu leben haete von Hagenen minem herren 611, 3
sam si gewalticlichen der weite ze ende wolten 673, 3
si hat ir vater Hetelen zuo des künec Herwiges helfe riten 685, 4
daz man da die porten und vesten bürge brach 700, 2
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
113
e Hetele wider kaeme mit sinen beiden hin ze Hegelingen 736, 4
min lant ist verbrennet, min bürge gebrochen nider 823, 1
Hetele unde Ludewic die truogen hoch in hant 880, 1
daz volc sacli man allez sigen über sant 899, 2
vrowe, man sol wenden da zem Westerwalt 945, 2
dö sprach aber Ludewic: „lät iu niht wesen leit 958, 1
mit vlize liiez man kleiden die Hartmuotes helde 972, 3
ir unde ir gesinde solt du bote sagen 1081, 1
wol mit tüsent helden wol bereitet wart 1092, 2
und wolten die liute niht lenger läzen klagen 1117, 2
ir müget niht bewisen mich und mine man 1379, 2
daz si uz der schar wichen, daz man ir wunden wit 1426, 2
mit werfen und mit schiezen, Wate doch gewan 1496, 2
noch suochte Wate der alte die widerwarten sin 1518, 2
man hört vil schefte brechen, die da helde neigten in ir handen
1668, 4.
dö sprach Hilden tohter: „Herwic, herre min 1651, 1
dem si da kom ze handen, der was von hohem guote lange ein herre
1685, 4
gedingen mit den vinden in vride siner vrouwen 1687, 3.
Verse mit zwei verschiedenen Alliterationen, wie:
und mnost die kleider waschen in den küelen winden 1064, 3
man sacli den von Stürmen von dem sedele stan 1682
begegnen öfters.
Auch Alphart’s Tod bietet ganz regelrecht aliiterirende Verse,
zum Beispiel:
ich gaeb dir harte gerne min silber und ouch daz golt 19, 3
sie begonden zu im gahen, daz tet ine gröze not 153, 2
die mit uch üf der warte waren? mir tun uwer wonden we 182, 4
er kan lielme liauwen den helden dorch ir leben 198, 3
wen ich mit stormes stözen mit stride hie bestän 249, 5. 258, 1
du wilt mir als entwichen; ez ist ein uzerweiter degen 283, 4
dorch heim und dorch hüben hieb er den ritter gut 302, 1
Ekart hiez balde brengen ein begozzen bröt 309, 1
von wannen sie wären, oder wer sie bet üzgesant 339, 4
Silzh. (1. phil.-hist. CI. XLVII. DJ. I. Hft. 8
Z i n g* e r I e
H4
er gibt üch vil gerne sin silbei» und sin golt 421, 2.
Haelie unde Hilbrant, die zwcne helden gut 433, 1
Berchtram von dem Berge den slüg Hilbrant 442, 1
Alliterationen anderer Art sind in Alphart:
da saz'Ekhart und Hünbreht, Hartung und Helmnot 74, 1
da rumb so werden mich clagen alle werde wip 276, 2
friuntschaft unde süene sal im gar vorsaget sin 404, 4
da körte nach dem schalle Ekart der küene man 449, 4.
Auch andere Gedichte, in Langzeilen geschrieben, bieten Bei
spiele von alliterirenden Versen, z. ß.:
von rossen und von ringen namen die Cristen grözen roup. Ortnit
474, 2
du wilt des nilit erwinden, du wellest, lierre, daz. Ortnit 339, 1
der liute und ouch des landes leider nieman phlae. „ 392, 2
doch gab er also lange unz des guotes nilit beleip. „ 33, 1
ich weiz wol, wes si muptent, des werden si ouch gewert. Ortnit
469, 3
üf Kunstenobl ze Kriechen ein gewaltiger kunic saz. Wolfdietrich
1, 1
er liet in sinem herzen behalten manigen tac. Wolfdietrich 44, 3
äwe! wiltü niht wachen, wunderküene man. Wolfdietrich 383, 1
wer liez im sin künicrich? er mac niht küniges kneht. Wolfdietrich
63, 2
und klagte klegeliclien der küene wigant. Ilugdict 331, 4
6 wil ich keime lieber min houbet halten ganz. Rosengarten 248
dirrc brief ist boese, sprach von Berne der küene man. Roseng. 287
er geleite si mit eren durch Lamparten lant. Rosengarten 364
daz Ir durch rosen willen rltent an den Rin. „ 432
nu waer ich gegen gote vil gerne ein guoter man. Rosengarten 438
man von uns seit unt sunge; daz sagen ich dir vür war. Roseng. 332
so rehte wünnencliche der münich gewapent was. Rosengarten 367
ö daz ich in laster Ichete, vil lieber waer mir der tot. Roseng. 1349.
Man könnte jedoch bei diesen Gedichten, deren Stoffe der deut
schen Heldensage entlehnt sind, behaupten, derartige Verse seien
aus alten Liedern herüber genommen, wie dies Vilmar von den alli
terirenden Versen des Nibelungenliedes geltend.gemacht hat. Dieser
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
115
Einwand fällt aber geradezu fort bei Gedichten, die unbestreitbar
Erzeugnisse eines Kunstdiehters sind. Greifen wir nach dem jün
geren Titurel, dessen Strophe aus der Nibelungenstropbe heraus
gebildet worden ist, so finden wir alliterirende Verse in nicht gerin
ger Anzahl. Schon der Eingang bietet uns folgende:
noch edeler ist diu tugent, der edel ob aller edel hohe wedelt 9, 4
hie wil ich niht mer soumen der selben saclie künde 20, 1
heiliger geist, din güete mftez uns bewarn vor boeser geiste brennen
28, 4
vil sanft in wazzers wise und vellet under wilen sam die steine
35, 4 0
dar inne ein fiwer sich funket und muoz durch ander tugent wol
gevallen 3G, 4
und ligt aldä die lenge. sust wirt ez lieht kristallen klär gesteinet
37, 4
mit wazzer wirt becläret der mensch nach ander wise 44, 1
an witzen wirdeber ist er wol, wer im niht lät entslifen 45, 2
noch michel mer der werkle minner fliesent 52, 3.
Die erste Aventiure enthält:
waz Parcifal da birget, daz wirt zuo liebte bräht an vackel zünden
77, 4
immer selie sie hie wären und dort was sie got selbe werende 78, 4
vil kiusch in reiner wise, so daz sie üf wertlich eren wale 79, 2
der werden frulit zu werde was aller werden fruhte 80, 1
aller kinde ein kröne gewan der da zu kinde 91, 1.
wurde allez von wurz gesalfet, biz der stam an creften wirt so veste
96, 2
so wer ich dannoch der werende an lip, an lcunst, an witzen und an
veste 99, 2
daz wart in sit gewandelt g'ar wider reht durch miete 102, 1
daz vil der freuden wernde was mit wirde in manigen landen witen.
109, 2
ein keiser hiez Tyberie, des kunne was kunic der riebe 12S, 1
daz witiwen und weisen unrehtes gewaltes hüben ungeletzet 128, 4
mit wirde wider wegende was er ir die triuwe riebe 133, 1
Hahn: „wazzers wizze“.
8*
1 J 0 Z i ii g e v 1 i2
Es würde zu weit führen, wenn ich auch aus den ferneren
Aventiuren die alliterirenden Verse aushübe, nur einige zufällig
heraus gegriffene Verse mögen noch eine Stelle finden:
Vil liebez liep bclip alliie . vil liebez licp var danne 717, 1
daz er mit strit erstriten bet die strängen 1591, 2
an gesunt libes und lebenes lebten dester lenger lebeliche 1646, 4
halsperc und liersnier, beim und wäpen golzen 1649, 1
nilit zu bloede und nibt zu bald die beide 1692, 3
in wildes walt gevelle send icb dir wilden boten wildecliclie 1845, 2
die wolten des nibt wideren, sie teten waz er bieze 1898, 1
da liez er Leheline ledic nibt der verte 1908, 1
durch kraft und kunst zu kiesen dar zu eilen 1930, 3
gelucke wolt ez walden ze wünsche gar den frowen 1961, 1.
freude sint frowen und frowen freude die beide.
durch frowen freud genennet wart. er habe undanc, der frowen
freude leide 1983, 3.
Auch in Lohengrin begegnen uns derartige Findlinge:
wolt ir in minen wäc iht waten vüre baz 79
mit volget der vürstinne vroelieh an daz lant 789
so mancc mäge unde man 1604
tougenliche ir wize hende weinent want 2142
den heim er het ze houbet vaste gebunden 2193
sus quämen vriunt unt vint gevarn 2811
lip unde leben und gülte von ir lande 5060
dö der keiser wolt die keiserlichen krön 6545
dö viel er sine venje, die ein keiser vallen solde 6547
und der keiser ander kaiserlicher krön 6745
swie lieplich liep bi liebe lae 6821
lierre von Lüticb, liut unde lant 7211
e sie verlür lip unde leben unt sinne 7290
Allein nicht nur in Langzeilen, selbst in kurzen Reimzeilen be
gegnen uns drei alliterirende Wörter. Ich verweise zunächst auf die
Krone des Heinrich von Türlein, aus der ich folgende mir angezeich
net habe.
der val wart verre vester 1441
er singt von minne süezen sanc 3412
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
117
ze den siten sere geseret 6345
ouch was des wirtes gewete 6756
waz an sinem wirte was 6917
und häte ein liorn an der hant 6999
und in lange lieze leben 8932
wol gewäfent und bewart 9810
wan er was des wol gewis 10093
ein wile er da wider was 15460
von ir wate ein winster wint 15830
wie dick er zeinem zagen zalt 16296
die vliige do ze velde vlugen 18529
wan ein wunden wite 19494
des bet min kunst kleine kraft 22245
wibes güete vil gnotes git 22449
so wite; ich waen, vil ungewar 24043
daz west ich wol, solt ez wesen 24041
wan sie wol bewart wart 24005
lip, liute linde lant 25603.
Diese Verse mit drei zufälligen Alliterationen sind mir aufge-
stossen, ohne dass ich darnach Jagd hielt. Zweifelsohne Hessen sie
sich hei genauer Durchsicht des Gedichtes um's Drei- oder Vierfache
vermehren. In v. Langenstein’s Martina fielen mir folgende Allite
rationen auf:
die lengirn went des libis leben 23, 15
da minne minne minnet 89, 83
lieb und leit geliche 112, 32
einen fürsten fuoren für 140, 31
wan ez was wol ir wille 167, 76
daz die boume bluogent balde 193, 79
der sunder in sinem sinne 204, 1
ein heil ein heilic hantgifte 211, 82
ir lip erstarb, ir lop daz lebt 213, 86
sorgen und unsölden sat 215, 86
daz wunder were da gewesin 218, 9
zulit was ir zeltes zoun 221, 25
in diuer höhen hiinel hört 226, 66
Martina martir unde maget 229, 7
118
Z i ii g e r I c
diu frige friheit vorliten fri 267, 22
diu sele und siben selde 268, 1 i
der sele sehste selde dort 268, 71.
Zum Schlüsse gebe ich noch die alliterirenden Verse Ulrich’s
yon Lichtenstein. Sie sind:
die beten hoben habedanc 3,12
zc werben umb daz werde wip 6, 14
siieziu wort mit werken war 9, 21
diene unde werbe umb werdiu wip 21, 20
der sus, der so, nach ritters siten 42, 32
und sere senede sinne 45, 30
hoch in vreuden vliegent var 46, 12
der nahen bi bi liebe lieblich lit 104, 29
des. bitet si, der bot ich bin 113,4
ich bet vil hoher freuden liort IS6, 7
er giht, er müez im geben guot 167, 10
er sol des werden wol erwant 169, 10
von wanne ich waere oder wer 17S, IS
-vil wol ich dö gewäpent wart 182, IS
von manegem höchgemuoten man 198, 12
ez waer diu künegin worden wunt 224, 6
und wil er Yverben werdikeit 236, 32
vil wol erwirbet werdez wip 309, 12
erwirbet nimmer werdez wip 37S, 2
swer werdez wip erwerben wil 430, 30
zuo miner schar sieb schöne schart 499, 3
von manegem minne geraden man 493, 4
und waer man warden sin gewar S10, 28
swä liep bi herzenliebe lit S10, 31
also da liep bi liebe lit 511, 9
ich salbe mit vil süezer salben 584, 13
iwer lip hie lange lebe S91, 13
min heil si Ton der hoehsten hant 592, 27.
Diese Beispiele beweisen zur Genüge, dass Verse mit drei glei
chen Anklängen selbst in kurzen Zeilen nicht selten Vorkommen.
Wollte man nach Vilmar’s Verfahren in seiner Schrift Vorgehen, so
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
119
würde man besonders in Gottfried’s Tristan alliterirende Verse in
Menge vorfinden.
Für uns genügt es, nacligewiesen zu haben, dass auch bei an
erkannten Kunstdiclitern Verse mit Alliterationen Vorkommen und
diese sind naeli unserer Ansicht eben so wenig älteren Quellen ent
lehnt, wie es nach unserer Überzeugung jene im Nibelungenliede
sind. Doch wird man fragen, worin liegt der Grund der häufig
vorkommenden Alliterationen im Nibelungenliede? Und diese Frage
wollen wir nun zu beantworten suchen. Eine bedeutende Anzahl der
Alliterationen im Nibelungenliede beruht auf den Eigennamen.
Sigfrid ist Sigmund’s und Sigelinde’s Sohn, die drei Könige von
Burgund heissen Günther, Gernot und Giselher, wie uns schon die
lex Burgundionum (III.) die Namen der burgundischen Fürsten
alliterirend vorführt: Gibicam, Godomarem, Gisiaharum, Gunda-
harum und Gundobad i). Durch diese Eigennamen ist die Veran
lassung zu vielen alliterirenden Versen gegeben, ohne dass wir
desshalb an die Herübernahme solcher aus einem älteren Liede
denken dürfen. Die Namen sind aus älteren Quellen entlehnt, nicht
aber die sie enthaltenden Langzeilen, ln der ältesten Zeit scheint
man alliterirende Namen in derselben Familie geliebt zu haben,
oder sie sind wenigstens in der deutschen Heldensage gang und
gäbe. Ich verweise auf Heribrant, Hiltibraht, Hadubrant. Dietrich
ist Dietmar’s Sohn, Hilde Hagen’s Tochter, Blödlin ist Botelunge’s
Sohn. Dietleip’s Mutter ist Dietlinde, Wieland ist Wittig’s Vater.
Gatten führen gleich anklingende Namen wie Sigemund und Sige-
linde, Hagen und Hilde, ja Freunde und Freundinnen werden durch
den verwandten Anklang ihrer Namen verbunden und es geht noch
weit herab in’s Mittelalter der geheimnissvolle Zug zwei gleichanlau
tende Namen an einander zu reihen. Ich gebe hiefür die mir zu
Diensten stehenden Belege ohne auch nur auf annähernde Vollstän
digkeit derselben Anspruch zu machen.
Sigemunt unde Sigelint. Nibel. 28, 2
Sigemunt unt Sigelint. Nibel. 42, 1
Sigelinf. unt Sigemunt. Nibel. 7 IG, 1
*) Waitz, Kampf der Hunnen und Burgundern Forschungen zur deutschen Geschichte.
1. S. 8.
120
2 i n g e r 1 e
Günther unde Gernöt. Nibel. 3, 2. SC, 4. 226G, 2
Günthern unt Görnöten. Nibel. 1171, 1. Biterolf 12450
Giselher unt Gernöt. Nibel. 023, 2. 1130, 1. 1310, 1
Gernöt und Giselher. Nibel. 1238, 2
Giselher unt Gere. Nibel. 1212, 1
Hawart unde Hagene. Nibel. 2129, 1
Liudegast unt Liudeger. Nibel. 152, 2. 892, 1. Biterolf 7631.
8476. 10162. 11732. 1274 u. öfters.
Liudegast unde Liudeger. Nib. 888, 1
her Hagene und vrou Hilde. Gudrun 179, 3
unde Hagene bi Hilden. Gudrun 182, 2
Hetele unde Ilerwic. Gudrun 647, 1. 732, 4
Hartmuot unde Ilildeburc. Gudrun 1650, 4
Rienolt unde Randolt. Biterolf 7643
Wolfprant unt Wolfwin. Biterolf 7793
Wikhart unt Wikher. Biterolf 7797
Günther oder Gernöt. Biterolf 8686
her Günther und her Gernöt. Biterolf 13134
Wikher unt ouch Wiknant. Biterolf 9261
Hache unt Herdegen. Biterolf 10171
Wikher unt Wikliart. Biterolf 10377. Alphart 76, 1
Wolfwin unt Wolfprant. Biterolf 10378
Irenfrid und her Irine. Biterolf 10496
Scliirin unt Sytomer. Biterolf 1720
Randolt unde Rienolt. Biterolf 12042
Dietleip unt her Dietrich. Biterolf 12344
Heime unt ouch her Hildebrant. Biterolf 12922
Helfrich unde Helmschröt. Alphart 73, 4
Hartung unde Helmnöt. Alphart 74, 1
Wittich Wielandes harn. Alphart 283, 1
Hache unde Hilbrant. Alphart 433, 1
Witege und Witigisen. Dietricli’s Ahnen 8631
her Isolt und her Imiän. Dietrich’s Ahnen 8569
Madelolt unt Madelger. Dietrich’s Ahnen 8637
her Hiltebrant unt Ilelferich. Dietrich und Gesellen 709
Blödelin unt Boltzolde. Dietrich und Gesellen 1043
Wittich unde Wolfhart. Laurin 1087. 1167. 2359. 2716. 2777.
Dietleip unde Dietrich. Laurin 1103. 1211. 2533
Oie Alliteration hei mittelhochdeutschen Dichtern.
121
Gernot unt Gisellier. Klage 206
Gisellier und Gerndt. Klage 1226. 3772
Giselhern unt Gerndt. Klage 3545
llildeburc unt Ilerlint. Klage 2361
Irinc unt Irnfrit. Klage 2499
Gerndt unde Günther. Rosengarten 26
Dieterich und Dietleip der degen. Rosengarten 373.
Diese Beispiele mögen genügen. Allein nicht nur in Gedichten,
welche zur deutschen Heldensage gehören, finden sich derartige
Zusammenstellungen, sondern auch in jenen, welche fremde Stoffe
behandeln. Ich führe beispielshalber nur folgende Belege an :
Meliz und Meljadoc. Erec 2234. 2352.
Glangodoans und Gareles. Erec 1659
Galagaundris lind Gäldes. Erec 1661
Marke unt Melot beide. Tristan 375, 18
als tete Melot und Mariodo. Tristan 378, 39
Gerjes unde Gergis. Strickers Karl 1758
Lacbuz und Losidz. Meieranz 11703
Meieranz und Malloas. Meieranz 12468
Gahariet und Gäwän. Meieranz 2391. 12590. 12601
Garei unt Gaherjet. Parz 664, 30
Mälarz und Malatras. W. Willehalm 32, 13
Merabjax und Matreiz. W. Willehalm 32, 16.
Auch Orts-, Volks- und Flussnamen werden in allilerirender
Weise verbunden, z. B. :
ze Arabie und vor Arabi. Parz 15, 21
ze Arabie unt in Arabi. W. Willehalm 215, 28
Arabie und Arabi. W. Willehalm 262, 15
Adromahüt und Arabi. W. Willehalm 125, 12
von Thasme und von Tryant. W. Willehalm 263, 16
von Tribalot und Tenebri. Sentlinger 17332
von Klam unz hin ze Kluse. Ecke 207
uz Abakie und die von Alzabe. Gudrun 673, 2
Priuzen unde Polän. Kaiserohr. M. 14040
die Priuzen und die Polan, ßiterolf 8279
122
Z i u g: e r I e
beide der Liven und der Liten. Livland. Chr. 53(30
ir Letten unde ir Liven. Livland. Chr. 1519
die Letten unde Liven. Livliind. Chr. 1574. 1891
nach Letten unde nach Liven. Livliind. Chr. 1739
Letten, Liven und diu lant. Livland. Chr. 6512
Littonwin und Liflande. Jeroschin G, 51
you dem Rine unz an den Roten. Ivaiserchr. M. 15283.
vonme Roten zuo dem Rine. Nibel. 12G8, 2.
Wie gang und gäbe es war, alliterirende Eigennamen mit ein
ander zu verbinden, zeigt uns Neidhart, der in seinen Liedern fol
gende Beispiele bietet:
Anze und Adelber 35, 23
Engelbreht und Adelmär 42, 7
Engelwän und Uoze 54, 14
Engeldich und Adelvrit 55, 34
Erkenfrit und Uozeman 57, 36
Eberolt und Amelunc G4, 32
Uodelger und Undelhart 64, 33
umb Uozen unde umb Anzen 66, 35
Lutzen unde Lanzen 66, 37
Irenwart und Uoge 84, 20
Erphe und Adelwin 94, 7.
In den unechten Liedern desselben begegnen uns:
Else und Elle XXVII, 3
Walbrelit unde Wiltebrelit XXXIX, 5
Eppe und Engelhart XXXIX, 6
Uote und Otte XXXIX, 7.
Seifried Helbing koppelt fingirte Hundenamen, die alliteriren
zusammen:
wol liufWenk und Werre IV, 423
der ander Wän, der dritte Wank,
der vierde Fruot, der fünfte Frank IV, 457.
Ähnlich verfährt Hadamar von Labers :
Fronde, Will und Wunne,
Trost, Staele und Triuwe,
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
las
die blinde ich so erkenne 17,1
Trost und Triuwen 466, 5
für Hoff und Helfe 498, 5.
Ausser dieser Verbindung gleich anlautender Eigennamen finden
wir im Mittelalter eine Menge eingewurzelter alliterirender Formen,
die sich aus der alliterirenden Periode erhalten haben und zum
Theile heutzutage noch fortleben. J. Grimm hat eine reiche Lese
derselben in seinen deutschen Rechtsalterthümern (S. 6 — 13), je
doch mit vorzüglicher Rücksicht auf deutsche Gesetze und gericht
liche Urkunden mitgetheilt. Ich gehe hier ein Verzeichniss mit
besonderer Hinsicht auf die Gedichte des Mittelalters. Da in solchen
Alliterationen meist nur gleichartige Redetheile, nicht ungleichartige
gebunden werden, wie Grimm bemerkt 1 ), so will auch ich nach
seinem Beispiele die Aufführung der Belege einrichten.
Substantivische Alliteration (Grimm RA. 6—10).
Adel und alter. Walther W. 67,6
an adel und an eren. Dietrich und Gesellen 433
Alter uiule armuot. Parz. 5,16
Dem anger und den alben. Troj. Kr. 29660
Din art noch din alite. W. Titurel 49, 4
Viir den balsem und den bisem. Gold. Schm. 193
mit hisem unt mit balsems trör. Lohengrin 6064
Bart unde brä. Flore 3658
Swaz inder hat bein oder bluot. Lobgesang 72, 11 3 )
Mit gebende unt mit bougen. Servatius 124
Beide berge unde brücli. L. Alexander 4740
Under pette und under der pank. Wolfdietrich 122, 2 3 )
Swenn iwer bete und iur gebot. Eraclius 454
mit bete und mit geböte. Eraclius 4333
ez ist min bete und min gebot. Iwein 238
ir gebot unde ir bete. Iwein 3086
t) RA. S. 6.
1 Ich bezeichne damit den Lobgesang, der f.iiher irriger Weise Gottfried von Stress-
bürg - zugeschrieben wurde.
3 ) Vergl. Grimm P.A. S. G.
124
Z i n g e r l e
daz ist min bete und min gebot. Iwein 4781
weder ir bete noch ir gebot. Tristan 323, 3
mit bete beide und mit geböte. Silvester 4409 u. 3217
des künges bete und sin gebot. Troj. Kr. 19390
daz er mit bete, noch mit geböte, ßarlaam 214, 23
diz was sin bete und sin gebot. Barlaam 368, 22
ez ist min bet und min gebot. HGA. LIX, 44
nu ist min bet und min gebot. HGA. XLVI, 90
din pet noch diu gepot. Ortnit 406, 3
sin pet und sin gepot. Wolfdietrich 21, 3
die durch pet und durch sin biet. Lohengrin 6493
Von bihte und durch buozze, Milstäter IIS. 109, 34
zu der gehört peiht und puzze. Leben Christi 337 J )
Vor blickin und vor brahte. Martina 32, 88
Bluomen unde blat. Walther W. 77, 19
der jugent bluomen und ir biete« 1 . Gold. Schmiede 1867
bluomen unde boume. Wigalois 21, 18,
Mit pogen und mit polze. Milstäter HS. 46, 19
bogen unde bölzelin. Parz. 118, 4
Borten unde bouge. Nibel. 278, 3
Min gebot und minen ban. Troj. Kr. 16263
so mit geböte so mit bete. Tristan 13, 7
weder mit geböte noch mit bete. Tristan 138, 14
gebotes unde bet. Krone 27710
mit geböte und ouch mit bete. Schwanritter 617
sins herren gebot und sine bet. Reimchron. ed. Schütze
ir gebot und ir bete. Eneit 163, 11
dorch sin gebot und dorch sine bete. Eneit 333, 31
sin gebot und sine bete. Lohengrin 2303
Des riches brief und sin gebot. Helbling VIII, 1093
sin brieve und sine boten. Lohengrin 1622
Von bröte und von brunnen. Gregor 2740
Er habe brücke und den berg. Dietrich und Gesellen 691
Weder brunnen noch bach. Servatius 1376
ln puschen und in bruochen. Livl. Chr. 3373
*) H. Zeitschrift. V, '17.
Die Alliteration hei mittelhochdeutschen Dichtern.
125
Distel unde dorn. Anegenge 18, 83
der selbe distel mit der dorn. Tristen 450, 17
dorn und distel unde hagen. Tristan 454, 4
distel unde dorne. Martina 117, 86
die disteln und dornen. Dietrich u. Gesellen 238
dysteln und dürne. Keller Erz. 128, 38
durch dorne und durch gedrenge. Iwein 268. Wigalois 56, 38.
Din vater und din veter. Gold. Schmiede 1868
Uf velden und in vesten. Dietrich’s Ahnen 7189
man sach velt unde vurch. Rabenschlacht 761
Vihe und vögele. Milstäter HS. 8, 7
vihe und gefugele. Milstäter I1S. 29, 4
ez si vogel oder vihe. Silvester 4665
Finde unde friunde. Alphart 462, 4
unt von im vint unt vriunt zesamne geriten. Lohengrin 4305 .
vient und friunt gemeine. Walther W. 164 Anm.
vinden unde vründen. Livl. Clir. 8508
Visclie unde vogel. Lohengrin 5473
von visclien, vögeln, manegem wurm. Lohengrin 5164
vische noch fleisch. Parz. 452, 22
Sin fleisch und sine vische. L. Alexander 75
fleisch unde vische. L. Alexander 3882. Nibel. 935, 3. HGA. XXXI,
154
alse fleisch unde vische. Eneit 110,4
ir fleisch unde ir vische. Eneit 111, 23
ob fleisch unde vische. Martina 30, 111
mit fleische und mit vische. Martina 170, 26
er gab in fleisch und fisch. Oreudel 3492
man trüg im dar fleisch und fisch. Orendel 1550
ez waere vleisch oder visch. HGA. IV, 264
ez waer fleisch oder vische. Boner 20, 16
ez si daz vleisch oder der visch. Warnung 2460
Die vogel und die vische. Martina 117, 101
Mit volge und mit vräge. Lohengrin 2242
Vride ist uns und vröude gram. Krone 18996
frid und fruot ist uns bereit. Beneeke Beiträge 206
Friunt und vient im des jach. Parz. 339, 8
friunt und vind offenbare. Lichtenstein 394, 4
126
Z i u g e r I e
wel yriunt oder vigent sint. Boner 43, 12
sus quärnen vriunt mit vint gevarn. Lohengrin 281 1
friundinne linde vrouwe. Ortnit 477, 2. 538, 4
friundin nnde vrowen. Walther W. 140, 10
so si vriundin nnde vrouwe min. Walther W. 140, 21
Vröuden nnde vrouwen. Mai 179, 1
Vurch oder velt. Krone 15434
Von fürsten und von frien. Dietrich und Gesellen 308. 1011
die fürsten und die frigen. Ehendort 1001. 105 1
der fürsten unde der frien. Elisabeth. Diutisc. I, 349
ez wart nie vürst noch vogel haz gespiset. Lohengrin G60
Gelt und och gisel. Martina 122, 37
Beide ginimen unde golt. Troj. Kr. 19505
von gimmen und von golde. Krone 3143
• Mit giselen unde mit gehe. Rol. 55, 7
Sam ein glos und ein gluot. Dietr. Ahnen 8845
Ane golt und äne gimme. Kaiserchron. D. 464, 25
unde golt unde gimme. W. Lesebuch 190, 8
golt noch gimme. Ilelbling VII, 444.
uzzer golde unde uzzer gimme. Rol. 57, 23
Grases und grienes. Mystiker I, 271, 4
bed über grien und über gras. Troj. Kr. 35467 <)
gras und grieze. Keller Erz. 67, 34
Gülte und guotes. Tristan 383
gülte und allez golt. Troj. Kr. 21632
Guot und gelt. Dietrichs Ahnen 2647
der güete und der gnaden runs. Gold. Schmiede 534.
Ir halsperg unde ir helme. Troj. Kr. 33270
lialsperc und auch heim. Leben Christi 98 a )
halsberge unde helme. Rabcnschlacht 518
Har und hut. Herhort 9735
mit liar und auch mit heute. Dietr. Ausfahrt 862, 10
und zarte har unde hüt. Martina 230, 79
tot mit har und ouch mit hiute. j. Titurel 5997, 2
an bare und an der hüte. Eneit 350, 19
*) Vergl. HA. S. 7.
') 11. Zeitsclir. V, 20
itT^rsErz
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
127
liäres linde höben blöz. Hundes Not. 172 A )
Durch harnesch unt durch horn. Rosengarten 1941
Weder da heime noch ze hove. Maze 78 2 )
Turnuses helfe und sin here. Eneit 246, 31
Helle und himelriehe. Freidank 18, 12
Dorch heim und dorcli hüben. Alphart 302, 1
daz der heim und daz houbet. Rosengarten 1393
erkloup im heim unt houbet. Meieranz 6198
weder heim noch halsberc. Tristan 174, 39. Dietr. Ahnen 8963
heim unde halsberc. Tristan 167, 32
durch heim und durch halsberg. Rosengarten 1394
von lielme und von hersenier. Parz 212, 2S
ab nemen heim untz Iiersnier. Parz 219, 2
durch den heim und durch den flinsliuot. Str. Karl 10292
Hende und herze. Tristan 436, 33
liendc und liouhct. Martina 31, 31. Rabenschlacht 830
Die lienne mit dem banne. Helbling I, 663
vil heuen und lianen. Keller Erzähl. 306, 23 3 )
Mit herzen und mit lianden. Troj. Kr. 27043. 27833. 31161
mit herzen und mit lienden. Troj. Kr. 31701. Pantal 1796.
Schwanritter 997. Tristan 123, 24
herze unde hirne. Troj. Kr. 20744
herze unt houbet er neigte. Servatius 2602
Des himels und der helle. Parz. 1, 9.
den liimel und der helle grünt. Wartburgkrieg 73, 3
durli himel und durh helle nicler. Freidank 69, 19
Hinden unde hirzen vil. Dietrich u. Gesellen 367
diu liinde und der hirz Randolt. Reinhart 1103
liirz unde hinden. Milstäter HS. 46, 20
hirzen unde hinden. Wolfdietrich 24, 3. 64, 1
Hof noch lieimuot. Milstäter HS. 36, 19
üf sinen hof unt in sin hus. Parz. 132, 8
ze hove und ouch ze liuse. Lohengrin 1407 4 )
Nü holz nü beide. Erec 3106
J ) Reinhart S. 297.
a ) Germania VIII, 99.
! ) Verg-I. RA. S. 7.
4 ) Vergl. RA. S. 7.
*
128
Z i n «• e l' 1 e
über holz und über beule. Orendel 2357. 241 7
si rittent holz und beide. Orendel 3713
si giengen bolz und beide. Wolfd. 424, t
er gierig bolz und beide. Wolfd. 430, 1
da reit er bolz und beide. Wolfd. S4G, 3
Daz horn unt den bunt alsam. Tristan 418, 24
von gehürne und ouch von liunden. Tristan 433, 7
Zwo bösen und einen halsberc. Tristan 165, 28. Garei *)
die hosen und der balsberc. Garei a )
Mit boubetc und mit banden. Kaiserchr. M. 9181
an boubet und an liant. Dietrichs Ahnen 9453
beide sfn lioubt und sin bar. HGA. XLVIII, 217
wie stät sin boubet unt sin bar. Trisian 19, 35.
er spielt im boubet unde heim. Stricker s Karl 6122
boubet unde hals. Neidbart 96, 22
beide but unde bar. Herbort 7695
hüt unde bar. Kaiserchronik M. 14827
da hat sie hüt und har verlorn. Reinbart 914
daz fuort im abe hüt unde bar. Reinbart 696
beide sin hüt unt sin har. Reinbart 710
an hüte unde an häre. Eneit 108, 31
we ir hinten unde ir hären. Walther W. 20, 19.
ich lieze mir hüt unde bar. Eraclius 3438
daz dir hüt und liär ab ge. Helbing I, 1202 3 )
liiut unde horn. Lohengrin 5166
leb zerschlug dir kalb und kuo. Ring 36, 32
Kasten unde keller vol. Helbing IV, 60
Die keiser unde kunge groz. Martina 162, 13
keisers unde kunges an. Martina 191, 36
der keiser und der knelit. Helbing II, 939
Kint unde knabe. Lobgesang 57, 11
Ze kirchen unt ze klüsen. HGA. XIV, 1111.
In leisten urnle in kameren. Gudrun 1614, 3.
Da wolt sie kleinet unde kleider koufen. Lohengrin 1716
1) Germania III, 34 u. 3G.
2 ) Germania 111, 38.
3 ) Vergl. RA. S. 7. Dazu isl; nachzutragen: unde der rihter sol im hut unde här
al>e heizen slahen. Herthol<1 2G7, 18,
Die Alliteraiion bei mittelhochdeutschen Dichtern.
129
Knehte und die kint. Dietrich u. Gesellen 760
knehte unde koufman. Eneit 248, 7.
Von dem koch und von dem kellaere. Oswald 1787
über den koch und über den kellaere. Oswald 1897
koche unde ir knaben. Parz. 18, 23
Beide kocken unde kiele. Gudrun 843, 4
kocken unde kiel die waeren alle bereit. Lohengrin 5862
Mit chonen joch mit chinden. Milstäter HS. 127, 27
unsir chonen und unsiriu chint. Milstäter HS. 161, 28.
Kriuze unde kröne. MSH. I, 259“.
Si ist eröne unde cranz. Martina 165, 94
Vor kungen und vor keiser. Martina 50, 7
des hiut kein künec noch keiser sich verzihet. Lohengrin 7310
Sine kunst und sine kraft. Iwein 1687
ir strit hat kunst unde kraft. Parz. 25, 12
diu beidiu kunst unde kraft. Martina 286, 24
durch kraft unde kunst. J. Titurel 1930, 3
Lage und Iist üf iuch geleit. Tristan 415, 33
Owe lant unde liute. Troj. Kr. 13194
beidiu lant und liute. Mai 87, 16
lant und liute geirret sint. Freidank 72, 1
lant und liute wil ich ern. Helbing IV, 670
verderben lant unde liut. Helbling XV, 689
daz im lant und liute volgten mite. Meieranz 6456
der weder lant oder Ieute oder erbe nie gewan. Wolfd. 543, 2
purge, land und Ieute mag sy wol gehän. Hugdietrich 122, 3
purge, land und Ieute sult ir von mir hän. Hugdietrich 127, 3
purge, land und Ieute mag er wol gehän. Hugdietrich 202, 4
purge, lant und Ieute macht er in underfän. Wolfdietrich 261, 4
land unde Ieute mag er wol gehän. Wolfdietrich 897, 4.
und böt zwei lant unde ir lip. Parz. 60, 16
Beide laster unde leit. Iwein 1007
mir nähte laster unde leit. Iwein 693
und im tet laster unde leit. Kaiserchronik M. 18299
ine wil diz laster laster unt diz leit. Tristan 416, 23
sin laster und sin leit. Garei J )
0 Runkeisleiner Fresken. S. 7a.
Sitzb. d. phil.-hist. Ci. Xr.VIl. Bd. I. Hft.
9
130
Z i n g e r 1 e
sit er in laster linde leit. Partonopeus 25, 17
si rächen laster unde leit. Meieranz 8584
ob diz laster unt die liige. Tristan 285, 25
Beide leben unde lip. Troj. Kr. 443G5
beide üf leben und üf lip. Troj. Kr. 5071
mines lebens und llbes. Oswald 1050
daz leit uns leidet leben und lip. Mai 38, 27
ir werdez leben und ir lip. Konrads Alexius 109
ir leben unde ir lide- Pantaleon 95
Leber und lungelen. Milstäter HS. 0, 10
Leides unde linge. Tristan 128, 36
staetiu linge und werndiu leit. Trist. 129, 2
Den leim und den letten. Milstäter HS. 121, 1.
Lere unt geleite. Tristan 3, 29
Als umben lewen und umbez lamp. Eneit, 299, 40
An geliden und an geliune. Tristan 102, 35
Von sinem libe und von sinen landen. Gudrun 1438, 4
min lip und min lant. Parz. 45, 20
ir libes unde ir lande. Parz. 70, 11
ir lip unt ir lant. Parz. 204, 7
ir lip unde ir lant. Parz. 209, 22.
dar zuo lip und lant. Dietrich und Gesellen 1055
sinen lip und ouch sin leben. Rosengarten 1301
ir lip unde ir leben. Tristan 323, 11
ich swende an ir lip unde leben. Tristan 488, 37
ze libe noch ze lebene. Tristan 488, 39
umb ir lip und umb ir leben. Troj. Kr. 7715
mit libe und mit dem lebene. Troj. Kr. 8251
beide lip unde leben. Troj. Kr. 41158. 44446. 4300S IIGA. XII,
216
den lip Verliesen und daz leben. Troj. Kr. 43759
beide ir lip unde ir leben. Troj. Kr. 44347
min lip und min leben. Lichtenstein 136, 14
die wile ich lip und leben hän. Lichtenstein 17, 20. 143, 24.
437, 26
ir lip und ouch ir leben. Lichtenstein 631, 18 u. 30
lip unde leben. Lobgesang 81, 7
guot, lip unde leben. Dietrichs Ahnen 4002
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
131
ir li'p und ir leben. Dietrich’s Ahnen 81 IS
minem libe und ouch minem leben. Oswald 840
dinen lip und ouch daz leben di'n. Oswald 855
beidiu lip unde leben. Oswald 944
diz ist min lip und sin leben. Martina 31, 7
lip unde leben und gälte von ir lande. Lohengrin 5060
e sie verlür lip unde leben unt sinne. Lohengrin 7290
so müest ich bi uch wägen lip unde leben. Alphart 48, 2
des wil er gein uch wägen sin lip unde leben. Alphart 60, 2
wir woln bi uch wägen lip unde leben. Alphart 83, 3. 86, 4
wägt ich nit lip und leben. Alphart 492, 2
er sollent in sinem dienste wägen lip ur.de leben. Alphart 146, 4.
421, 4
ich wel dorch den von Berne wägen lip und leben. Alphart 315, 2
wir woln bi dem von Berne wägen lip unde leben. Alphart 320, 4
dorch des willen ich mich libes und lebens hat erwegen. Alphart
223, 3
sele, lip und leben. Kistener 300
des libes und des lebetagen. Pantaleon 925
lip unde lider. Pantaleon 402
an libe und an geliune. Troj. Kr. 33757.
Bediu liut unde lant. Nibel. 55, 4
liute unde lant- Nibel. 109, 3. 393, 2. Gudrun 1622, 2
von liute unt von lande. Tristan 319, 5. 331, 2
kiinec und liof, liut unde lant. Tristan 409, 38
liute und lande ist wol erkant. Tristan 415, 28
beide liut unde lant. Tristan 335, 22
wider liut und wider lant. Tristan 421, 27
man unde kint, liute unde lant. Troj. Kr. 22962
lip unde guot, liut unde lant. Troj. Kr. 24473
daz beide liute unde lant. Troj. Kr. 49591
an liuten und an landen. Troj. Kr. 19065
an liuten unde an lande. Troj. Kr. 19299
beidiu liute und ouch daz lant. Walther W. 15, 4
liute und lant. Walther W. 74, 17
dur liute noch dur lant. Singenberg 214, 8
ir diende lut unde lant. Eneit 26, 9
lute unde lant. Eneit 31, 4
132
Z i II g e r I e
beidiu löte unde laut. Eneit 116, 38
Hutes unde landes. Milstäter HS. 86, 14
und nement liut unde lant. Martina 30, 68
do bot im liut unde lant. Biterolf 13237
beidiu liut unde lant. Lanzelet 1246. Nibel. 24, 4. Sentlinger 172
B. 3
guot, liut unde lant. Schwanritter 347
ir lip, ir Hute unde ir lant. Wigalois 241, 13
er verderbet liut und lant. Wolfdietr. 41, 3.
er neiset liute unde lant. Helbling Y, 43
sie gap im liute unde lant. Kaiserclironik M. 17501.
er nam im liute unde lant. Kaiserchronik M. 13864
si gap mir liute unde lant. Parz. 90, 24
ich liez ir liute unde lant. Parz. 97, 4
lip, liute unde lant. Krone 25602
— liute unde lant
des hahent si sich getroestet. Gudrun 562, 1
bediu liute unde lant. Servatius 1017
beide lute unde lant. Pass. H. 39, 46
daz er mir äne schulde verwüstet lüde und lant. Alphart 84, 3
der lute und lant liette undertan. Kistener 74
ir lehen luten und lant. Kistener 119
lute und lant sol an dir stan. Kistener 633
ir liute und ir friez lant. Meieranz 8029
beide liute und ouch sin lant. Kosengarten 664
si sprächen lut unde lant. Rol. 14, 6
wir virlisin liut und lant. Rol. 14, 20
Üwer lob und ilwern lib. Eneit 343, 31
Sine lüge und sine läge. Tristan 358, 28.
Dem er lunggen unde leber. Martina 181, 42
Gelüste und gelange. Tristan 446, 13
so gelüste unde gelange. Tristan 447, 6
Beidiu mäge unde man. Nibel. 164, 4. Rabenschlacht 182
büdiu mäg und man. Rabenschlacht 182. 275
mit mägen und mit man. Rabenschlacht 276
mäge unde man. Nibel. 217, 1. Alphart 408, 4. Dietrich’s Ahnen
9780. Rabenschlacht 535
mit mägen unde man. Nibel. 263, 3
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
133
mäge unt mine man. Nibel. 274, 1. 486, 2
mäge unt manne. Nibel. 2081, 2
mägen unde man. Nibel. 2091, 1
diner mäge und manne. Gudrun 817, 2
mäc unde man. Gudrun 894, 1
ir mäge und ir man. Gudrun 1138, 2
ir mäge und mine man, Gudrun 1432, 1
sin mäge und sine man. Gudrun 1673, 1
ir beder mäge unde man. Klage 431
ir mäge und ouch ir man. Biterolf 7828
beide mäge unde man. Arm. Heinrich 1464
sine mäge und sine man. Eneit 130, 3
mine mäge und mine man. Eneit 130, 30
herslagent ir mäg unt man. Rosengarten 1766
do rieten mäge und man. Dietrichs Almen 8167
ez sprächen mäge und man. Dietrichs Almen 8339
beide friunt, mäc unde man. Troj. Kr. 43287
der küngin mäge und ir man. Meieranz 8306
beidiu näch mägen und näch man. Meieranz 8346
ir mäge unt ir werden man. Garei *)
vater, muoter, mäge, man. Tristan 100, 33
so manec mäge unde man. Lohengrin 1604
der keiser, die vürsten, mäge unt man alsam. Lohengrin 2323
daz sie besande mäge unt man. Lohengrin 1101
er sprach: „nu bit ich mäge unt man. Lohengrin 3281
Magt unde muoter. Walther W. 2, 11
diu maget und muoter was. Walther W. 2, 16
Ich din gemahel unde mäc. Martina 77, 104
Sine man, sine mäge. Parz. 33, 20
man und mäge sult ir manen. Parz. 203, 3
manne unde mage. Eneit 129, 13
sine man und sine mäge. Walther und Hildegund 16, 2 *)
man unde march. Biterolf 10391
Vil manegen maidem unde marc. Dietrich's Ahnen 3913
*) Germania VIII, 91
’) H. Zeitschr. II, 322.
134
Z i n g e r I e' <
Mein und auch den mort. Dietricli’s Ausfahrt 115, 7
vol meines unde mordes. Martina 91,91
gebrüwe mein unde mort. Martina 270, 28
mein unde mort. Colm. 22, 55. Troj. Kr. 12929. 12995.
Mettene noch messe. Kaiserchronik M. 106G9
mit mettin und mit misse. Kaiserchronik M. 16788
ze metten und ze messe gie. Konrads Alexius 652
Noch minne noch meine. Tristan 445, 15
ir minne unde ir meine. Tristan 484, 27
mine minne und mine meine. Tristan 488, 25
ein minne und ein gemeine. Lobgesang 37, 8
Da d mort unde mein. Martina 182, 93
mort unde mein er stalte. Pantaleon 80
Daz weder mos noch muor. Wernher driu liet 184
Münch unde man. Jlsan 27.
Wan muot unde minne. Tristan 422, 26
swenn hoher muot unt manlieit mit im zogte. Lohengrin 5430
Muoter unde maget. Kaiserchrooik M. 9568
muoter unde meit. Dietrichs Ahnen 9888
Mariä, muoter unde maget. Gold. Schmiede 139
himelisclie vrouwe, muoter unde magt. Lohengrin 7652
ir muoter unde ir mägen. Servatius 2449
ach vater muoter unde mäc. Lohgesang 94, 9
Bi der naht und in dem nehel. Ilelbling I, 183
Daz sich zertranten niet und nagel. Dietrich’s Ausfahrt 298, 6 2 )
Ouge noch ore. Parz, 117, 2
Werven pharre unde pliruont. Wälsch. Gast 6391
Het ir phcnninge oder pliant. Parz. 142, 29
ich müest hau pfonning oder pfant. Boner 35, 15
mit pfenning und mit pfände. Sentlinger 169, B. 3 8 )
Der purper und der pliät. Partonopeus 53, 12
pisse unde purpur. Rol. 91, 16
Rates unde rede vil. Krone 25122.
Ze rede und ouch ze relite körnen Engelhart 3657
1) Vergl. ISA. S. 7.
2 ) Vergl.: was niet oder nagel hat. Colm. II. 18, o.
3 ) Vergl.: umbe gaebe pfant oder Pfennige. Mülh. Stadtr« 30, 32.
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
135
.leht unt gerillte. Tristan 458, 9
Uiul druckt in, daz im rippe unt rücke erkrachet. Loliengrin 2203
Iuwer risen und iuwer recken. Rosengarten 1541
Man brähte den ritter und daz ros. Dietr. u. Gesellen 329
da vielen ritter unde ros. Troj. Kr. 39804
da si ritter und roch
möliten wol gewinnen doch. Wolf am Schachzabel 1629
da ritter und roch gewaltic stän. MSH. II, 15
Ros unde rinder. Milstäter HS. 3, 17
ros alder rint. Martina 133, 80
ir ros und ir gereite. Dietrich und Gesellen 307
von rossen und von ringen. Ortnit 474, 2
Rücke und rippe. I1GA. XXVII, 342
Mit rüege und mit rate. Tristan 379, 36
Ir rüder und och ir rahen. Eneit 22, 13
Ruo und reste. Rabenschlacht 178
Diz buoch ein sacli und ein sarc. Martina 211, 80
Herr, got geb iu saelde unt sin. Helbling I, 207
dar zuo saelde unde sin. Helbling III, 137
Mit salme und mit gesange. Servatius 1097
mit salmen unde mit gesange. Servatius 1989
mit salmen unt mit sagene. Rol. 122, 11
Üf samit unde üf side. Eneit 341, 9
Ane sarwät unde sahs. Milstäter HS. 138, 15
Unde scade unde scande. L. Alexander 1504
schade unde schände. Dietrieh’s Ahnen 8378
von schaden und von schänden. Krone 22596
dem schade wone oder schände bi. Krone 1031
daz ist schade und schände. Krone 1037
min schade und min schände. Eneit 77, 31
den schaden und die schände. Eneit 152, 26
sin schade und sin schände. Eneit 303, 1
der schade noch diu schände. Gudrnn 797, 4
nach schaden und nach schände. Gudrun 920, 2
üf schaden unde schände. Gudrun 1340, 4
dur schaden und dur schände. Eraclius 4389
den schaden unt die schände sin. Reinhart 530
ez ist uns schade und schände. HGA. XLIX, 994
ze schaden und ze schänden. Martina 159, 6
schade unde schände uns dö geschiht. Dietrich und Gesell. 466
schade, schände und ungemach. Dietrich und Gesell. 377, 2
ez ist schade und oucli schände. Biterolf 7346
des schaden zuo den schänden. Nibel 2152, 3
sus quämen sie ze schaden unt ze schänden. Lohengrin 7340
im tet schade unde schäm. Tristan 337, 32
äne schaden und äne schäm. Lichtenstein 53, 25
schaden unde schulde. Gudrun 158, 3
Des düht sie schände unde schäm. Krone 10368
beidiu schände unde schaden. Krone 6174
Scharsach unde schaer. Helbling III, 78.
Beidiu schepfer und gescliaft. Martina 265, 85.
Sin scherzen unde sin schal. Baldewin 8
Ir tragt geschickede unde schin Parz. 170, 21
Schilde unde scliefte. Gudrun 582, 4
Schirm und schilt. Dietrich und Gesellen 57
Die senf und salsen ezzent gern. Tanhauser’s Hofzucht 53
Sige und saelde. Neidhart 50, 12
got müez iu sig und saelde geben. Meieranz 8081
er gebe uns sige und sigenuft. Lohengrin 3698
Sigelät und sämit. Kindheit Jesu 1158
Al sine sinne und sine site. Tristan 25, 20
Von siten und von sinnen. Eneit 108, 33
Noch sloz noch sliizzel. Tristan 426, 40
Smäräde unde sardfn. Parz. 85, 3
Des wurden sper unde sporn. Krone 11873
Peide spieze unde sper. Wernher driu liet 3092
Stab unde stecken. Wolfdietrich 322, 1
Stal unde stein ez sneit. Laurin 462
Mit stecken und mit Stangen. Boner 20, 43
Stege unde sträzen. Alphart 341, 2
Beide stein unde stock. Krone 24736
über stein unde stoc. Krone 28365
Üf stige und üf sträzen. Babensehlacht 288
üf stigen und üf sträzen. Dietrich’s Ahnen 6008. Troj. Kr. 30811
die stige und die sträze. Dietrich’s Ahnen 3155
stige unde sträze. Nibel. 1634, 3
Die Alltteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
137
die stige und oucli die sträze. Wolfdiet. 83, 1. 50(5, 4
stic und sträze sint im genomen. Oswald 1733
Ir verbran stil unde stäl. Krone 19222
Die stocke und oucli die steine. Pantaleon 1550
an stocken unde an steinen. Pantaleon 1612
der stocke noch der steine. Dietrich und Gesellen 417, 3
durch stock und durch stein. Dietrich und Gesellen 97, 7
hin über stock und steine. Dietrich’s Ausfahrt 4, 6
durch den walt über stock und stein. Dietrich’s Ausfahrt 216, 7
über stock und über stein. Tristan 66, 8. Keller Erz 475, 6
er ere stock und steine. Keller Erz. 128, 38
Er gewan sin stole unt sinen stap. Servatius 2334
Die sträze und ouch die steige. Wolfd. 455, 2
sus wart in sträze unt stege durchpenget. Lohengrin 2886
an den sträzin und an stege. Martina 46, 62
beide sträze unde stic. Livl. Chr. 1449
Er was ein degen in stürmen und in striten. Rabenschlacht 234
in stürmen oder in striten. Baarlaam 244, 37. Dietrich und Gesellen
731
ze storme und ze strite. Eneit 40, 35
von sturmen noch von striten. L. Alex. 120
mit stürmen ode mit striten. Laurin 246
in stürmen und in striten. Laurin 269. Dietrich und Gesellen 82.
167. 210. 236. Dietrich’s Ahnen 9095. Laurin 444. 472.
Fährmann 23 3 )
der sturm und der starke strit. Dietr. Ahnen 6492
in sturmen oder in striten. Dietr. Ahnen 6711. 7584
mit sturm und mit strite. Dietr. Ahnen 8855
von sturmen und von striten. Dietr. Ahnen 9175. Rabenschlacht 465
in sturmen noch in striten. Dietr. Ahnen 9644
hern was in storm noch in strit. Eneit 206, 30
in stormen und in striten. Eneit 218, 17. 257, 21. Alphart 221, 4.
225, 4
in sturmen und in striten. Martina 162, 20. Rabenschlacht 249
swaz ich ze stürmen quam oder in striten. Lohengrin 523
*) Vergl. stfg unde weg- sint in benomen. Walther W. 9, 5.
2 ) Rosengarten ed. Grimm. S. 90.
Z i n g e r 1 e
138
in stürmen unde in striten. Gudrun 725, 3. 730, 4
in dem storme oder in dem stride. Alphart 33, 3
in stürmen und in streiten. Dietrich’s Ausfahrt 436, 8
umb stürmen und umb streiten. Dietrich’s Ausfahrt 32, 3
zu sturmen noch zu striten. Hugdietrich 21, 2
in sturm und in striten. Rahenschlacht 330
in sturmen und in storien. Dietrich und Gesellen 396, 10
ron stnrm und steigen wol behüt. Dietrich’s Ausfahrt 418, 2
Der suhte unde der sere. Kaiserchr. M. 12647
von suhten unde von sunden. Kaiserchr. M. 10578
Für sukni und für surkot. Parz. 145, 11
Tage unde teidinch. Milstäter HS. 138, 10
Du min tohtir unde tübe. Martina 77, 89
Nü was verslozzen tor und tür. Oswald 2473
Mit trabte und mit triure. Tristan 396, 35
ir triure unde ir trabte. Tristan 306, 4
in triure unde in trabte. Tristan 396, 39
Beidiu tür und ouch tor. Oswald 2503
tür unt tor wart üfgetan. Urstende 118, 92
. . . 1'
Mit turnei und mit tanze. Martina 58, 79
nicht ze turney noch ze tyosten. Loliengrin 1163
Mit gewäfen unde mit gewande. Eneit 174, 27
wäfen unde wät. Gudrun 252, 1
mit gewaefen und mit wenden. Stricker’s Karl 9637
In gewalt und in gewer. MSH. I, 208 a
beid in gewalte und in gewer. Schwanritter 335
ir gewalt und och ir wort. Martina
Durch walt und durch gewilde. IlGA. XVI, 766
Wän unde wünsch. Walther W. 139, 5
lieben wän und leiden wanc. Lichtenstein 421, 28
Wang unde wät. Tristan 107, 26
Durch wäpen und gewilde. Dietrich’s Ausfahrt 162, 6
wäpen unde wät. Biterolf 7375
Beide üf wazzer und üf wegen. Mai 203, 2
dem wazzer und dem winde. Troj. Kr. 24094
von wazzer und von winde. Troj. Kr. 24259
an wazzer unde an winden. Tristan 63, 14
gienc daz wazzer und der walt. Meieranz 5057
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
139
ich waene wazzer unde walt. Ilartmann’s Büchlein I, 1831
wazzere unde weide. Jeroschin 6, 28
wederz wazzer noch den win. Klage 3403
ze wazzir und ze wine. Martina 128, 29
wazzer unde weide. Mülh. Str. 37
Frömder sinne wege und wenke. Martina 267, 30
wec unt gewicke. Rol. 161, 1
Weide und wunne beide. Tristan 421, 1
hie ist weid und waldes vil. Biterolf 13305
Weisin unti widcwin. Anno 35, 9
Weizes unde wines. Milstäter HS. 52, 9
daz sie zeren weiz unde win. Helbling IV, 98
sparn ir weiz und ir win. Helbling IV, 736
win weiz unde körn. Helbling VI, 15
hie den weizen, dort den win. Sentlinger 173 II 3
Ze weide und ouch ze walde. Dietrich und Gesellen 739
in weiden unde in wüesten. Pantaleon 97
Ze werken und ze worden. Eneit 341, 3
beidiu werc unde wort. Krone 23081
guot wille ziert werk unde wort. Boner 45, 41
von herzen werc unde wort. Barlaam 81, 23
mit werken und mit Worten. Troj. Kr. 25063. 29681. 29833
mit werchen noch mit Worten. Milstäter HS. 80, 9
du kanst uns leisten werk und wort. Fuchs und Rabe *)
beidewise werc unde wort. Betevart 11.
mit werken und mit willen. Martina 269, 75
äne werc und äne wer. Troj. Kr. 34965
Weter unde wint. Eneit 29, 24
Sünder wich und äne wän. MSF 60, 3
In wilden und och üf weiden wit. Dietrich und Gesellen 401, 9
Mit willen und mit werken. Eneit 181, 21
beide ir wille unde ir wort. Tristan 133, 6
ir willen und och ir wort. Martina 261, 54
ein staeter wille und ein gewalt. Lobgesang 37, 9
Daz will und daz gewürme. Walther W. 9, 18
1 J Ueinliart S. 3Gi.
140
Z i n g (> r I u
wiltbraet imde win. Ilelbling I, 906
Der win und diu wäfen. Eneit 181, 30
Der wint und der wäc. Dietrich’s Ahnen 1402
wint und wäc begunde. Tristan 63, 22
Mit wirde und mit wärheit. W. Willehalm 4, 11
Habe ime wis unde wort. Walther W. 116, 4
mit guoter schrift, wis unde wort. Lichtenstein 321, 24
wislieit oder witze. Dietrich und Gesellen 31
Witewen unde weisen. Kaiserchronik M. 16282. Eneit 331, 37.
Servatius 2409
witewen unde weisen sol er sin gereht. Lohengrin 6339
witwen unt weisen er twanc. Servatius 3392
des witwe unde weise. Martina 181, 34
witwen unde weisen. Dietrich und Gesellen 348
manic witewe unde weise. Eraclius 4980
derst witewe unde weise. Lobgesang 32, 10
Sin witze und sin wärheit. Eraclius 1383
Wolle werc und äkamp. Ilelbling I, 639
An worden unde an werken. Eneit 330, 24
an Worten unde an werken niht. Walther W. 7, 2
mit Worten und mit werken oueli. Walther W. 20, 12
mit Worten ald mit werken. Walther W. 43, 9
Do was ir wort, ir werc so minnenclich. Singenberg' 240, 11
und wort und werk geliche sind. Boner 43, 103
an Worten unde an wisen. Tristan 120, 30
wort unde wise tihten. Troj. Kr. 81
wort und alle wise. Dietrich und Gesellen 384
Da was wüft unde we. Rol. 113, 6
Und wüesfe unde wilde. Tristan 421, 10
in die wüeste und in die wilde. Tristan 321, 13
Ein wunder unde ein wunne. Tristan 277, 10
Min wünne und ouch min gerender wän. MSF 60, 3
Ze wünsche unt ze wunder. Tristan 123, 28
Die würze und der walt. W. Willehalm 37, 3
Sünder zins und äne zol. Pass. H. 40, 38
wem er widerreiten solt zins oder zol. Lohengrin 7269
weit ir von mir zol oder zins. Troj. Kr. 34446.
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
141
Adjectivische Alliteration. (Grimm RA. S. 10.)
Bis nicht ze balde und bis ouch nicht ze bilde. Labers 72, S
Daz beste und daz boeste linder in. Eraclius 703
die besten noch die boesten. Klage 2432
und der beste der boeste. Iwein 14S
e was ich diu beste, nü hat, man mich zer boesten. Gudrun 1263, 3
diu beste noch diu boeste. Gudrun 1264, 1. — 1631, 2
die besten mit den boesten. Klage 3845
Den blanken und den brunen. Troj. Kr. 16550
Die bilden zuo den balden. Rabenschlacht 110
Oder bloede oder halt. Parz. 93, 16
niht zu bloede und nilit zu balt. j. Titurel 1692, 3
Mäze blue, mäze balt. Gute Frau 170
Diu boeste noch diu beste. Krone 5720
der boeste ist dir der beste. Iwein 144
der boesten unt der besten. Parz. 375, 7
Brün unde bla. 1IGA. VIII, 240
Ein swert brün unde breit. Eraclius 1193
brün unde rehte breit. Eraclius 3597
der zobel was brün unde breit. Eneit 147, 12
ir ouchbrän brün und niht breit. Eneit 146, 13
brün unde blanc. Troj. Kr. 34245
Die dicke und ie gedihte. Tristan 328, 16
Valwir ode velier. Milstäter HS. 59, 19
Vil fier unde fro. MSF 122, 15
Der jungelinc vrech und vrome. Troj. Kr. 13868
vrech unde vruot. Tristan 18, 3
der jungelinc vrech unde fruot. Troj. Kr. 17241
so vrechen noch so vrien lielt. Troj. Kr. 6709
sie wären frech vnd fri. Keller Frz. 478, 13
und also frech und also frisch. Engelhart 2408
Vremde und verre. Tristan 459, 7
vremde und also verre bist. Lichtenstein 142, 16
Vri unde vroelich. Tristan 396, 20
vri unde vruot. Tristan 329, 14
vrilich unde fro. Troj. Kr. 8939
Dem junkherren vrisch und vruot. HGA. XV, 315
142
Zing-erlc
er wolt wesen frisch und fruot.. LS. CCXLIII, 84
Vrö unde vrnot. Tristan 232, 19. — 338, 23
sie ist vroelich unde vrum. IIGA. LXV1II, 338
Beidiu früeje linde frö. Flore 3648
Gnöt und gar. ßoner 23, 34. — 81, 27
Grimme unde gröz. Eneit 325, 39
Gröz unde grä. Eneit 85, 2
Heiter unde hei. Neidhart XL1X, 32
Hoch und wol gehöret was. Parz. 182, 12
der hoehste und der herste. Barlaam 192, 22
der holiste und der herste. Martina 210, 42
die hdhsten und die börsten. J. Titurel 2367, 1
Ir liär war crispel unde krus. Troj. Kr. 19908
Den kiienen und den kecken. Rabenschlacht 629
die kiienen und die kecken. Rabensehlacht 641
Leit und liep im dran geschah. Parz. 103, 20
leit oder lieb. Pass. H. 334, 37
ist iz mir leit oder liep. Kaiserchr. M. 12997
die durch leide noch durch liebe. Kaiserchr. M. 8610
leit und liep siu in hertzen truog. Dietr. und Gesellen 195
so hörent leide und liebe mer. Kistener 1081
Ist ez iemen liep oder leit. Nibel. 110, 2
ja truog er in dem muote lieh äne leit. Nibel. 293, 2
beide lieb unde leit. Nibel. 670, 4
— die liep unde leit
gerne mit uns dulden. Gudrun 408, 2
— obe ein ritter tuot
mit liebe und ouch mit leide daz man uf ere prise Gudr. 636, 3
daz was ir beide liep unde leide. Gudrun 644, 4
— ez liep oder leit
siner muoter waere. Gudrun 1025, 1
mir ist innecliche liep unde leit. Gudrun 1208, 2
in was ir beider maerc liep unde leit. Gudrun 1251, 2
wie si mit dir getragen hat liep unde leit. Gudrun 1580, 2
minnert liep unde leit. Warnung 1421
waz im si liep oder leit. Warnung 672
ez si iu liep oder leit. Warnung 746
ein liebe und eine leide. Tristan 489, 7
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
143
nach liebe unt nach leide. Tristan 439, 25
von liebe und ouch von leide. Tristan 34, 16. Troj. Kr. 22869
lieb unde leit. Walther W. 6, 17
da bi liep und leit. Walther W. 122, 7
ich muoz lieben unde leiden
leiden trost von schulden geben. Singenberg 236, 6
mir ist liebe, mir ist leide. Seven 263, 17
liep oder leit. Oswald 1473
ez wer im liep oder leit. Orendel 1749
iz si iu liep odir leit. Kaiserchronik M. 10309
iz si dir liep odir leit. Kaiserchronik M. 9109
der liebe noch der leide. Stricker’s Karl 11944
die lieben und die leiden. Dietrieh’s Ahnen 8988
ir kurzez liep, ir langez leit. Barlaam 131, 19
ez si dir liep, ez si dir leit. Lichtenstein 310, 9
ez si dir lieb oder leit. Livl. Chr. 6378
von liebe und von leide. Parz. 3, 30
ez waere ir liep oder leit. Parz. 23, 27
ez waer im liep oder leit. Parz. 38, 30. Laurin 1030
ez si uns lieb oder leit. Eueit 117, 3
ez wäre im lieb oder leit. Eneit 334, 20
ez waere in liep oder leit. Alte Matter 91. Livl. Chr. 4182. Eracl.
2317. 3567
ob in lieb oder leit geschach. Biterolf 7946
den lieben noch den leiden. Mai 155, 27.
vor liebe und vor leide. Mai 182, 38
ir sehet lieb unde leit. Livl. Chr. 4689
dem keiser ez was lieb unde leit. Kaiserehr. M. 17559
ez was ir liep unde leit. Eraclius 1910
liep unde leide. Eraclius 3611
dem git si liep unde leit. Gute Frau 112
ze liebe und ze leide. Gute Frau 308.
daz er nach liebe hete leit. Gute Frau 1269
liebe unde leide. Gute Frau 1342
niemanne ze liebe noch ze leide. Reinhart 1626
iemen ze liebe ode ze leide. Reinhart 1644
\
ez si dem wilden heiden liep ode leit. Oswald 1475
ich müeste von ir, ez waer ir liep oder leit. Lohengrin 7089
144
Z i n g e r I e
sag 4 ich durch liep oder durch leit. Ilelbling II, 44
herre, durch liep noch durch leit. Helbling II, 1079
iz si im liep oder leit. Ilelbling IV, 288
ez si liep oder leit. Meieranz 6482
ez st iu liep oder leit. Meieranz 8326
von liebe und von leide. Kiistener 700
lieb unde lobehaft. Rol. S, 34
Lieht unde lüt. Lobgesang 62, 3. 82, 13
An losen und an lieben. Krone 10902
Zwtn helde manlich unde milf. Helhling XIII, 73
sit manlich und wol gemuot. Parz. 172, 7
Den meren und den minren. Martina 30, 7
daz märe zuo dem minder. Martina 128, 12
dem minnern und dem meren. Eneit 120. 21
minder unde merren. Martina 172, 102
die minren und die merren. Meieranz 9014. Dietr. u. Gesellen 932
die minren und ouch die merren. Dietrich u. Gesellen 992. 1030.
1096
den minnern und den merren. Dietrich u. Gesellen 1060
die minnern und die meren. Lohengrin 6736
minre oder mer. Nibel. 327, 2
dem minsten und dem meisten. Krone 23977
die minsten zuo den meisten. Martina 80, 80. 282, 14
daz minnest unt daz meiste. Eraclius 121
Was ninder mosec noch murc. W. Willehalm 23, 3
Ruch unde rot. Milstäter HS. 46, 9
Daz ist schad und schemelich. Biterolf 8332
Siechen joch gesunden. Milstäter HS. 132, 10
nu sieche, nu gesunde. Martina 136, 61. 239, 29
der sieche und der gesunde. Martina 263, 29
beide siechen und gesunden. Martina 244, 14
der sieche unt der gesunde. Parz. 17, 16
die siechen und die swachen. Pantaleon 2038
Sinnec unde saelec. Tristan 260, 14
der wart sinnic unt gesunt. Servatius 2290
sinnic unt gesunt er wart. Servatius 3174
Die starken und die staeten. Rabenschlacht 86
Gesunt oder siech. Milstäter HS. 133, 10. Martina 133, 99
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
145
gesunder unde siecher. Ortnit 479, 4
Er si eilt suoze oder sür. Martina 203, 13
dem ist sür und süeze kunt. MSII. I, 260"
daz süre nach dem süezen. MSH. I, 283“
ßediu erwelket unde weich. Warnung- 2418
Ir sit so wise und so gewaer. Helbling VIII, 7G
wise unde wärhaft. Eraelius 1613
waerestu witzec unde wls. Eraelius 4980
Geworlit und so wehe. Martina 44, 8.
Ich lasse hier gleich ein Verzeichniss jener adverbialen Allite
rationen folgen, welche, beinahe sprichwörtlich geworden, oft
wiederkehren und unter den Adjectiven nicht vorgeführt sind.
Dan unt dar. Lichtenstein 103, 18
Dem bette dar oder dan. Tristan 380, 33
der roup dar und dannen zert. Freidank 130, 1
heidiu dar unde dan. Rahenschlacht 449, 1
dar unde dannen. Eraelius 4281
dar unde dan. Parz. 21, IG
Iler und ouch hin. Pass. II. 309, 91
nu her nu hin. Martina 292, 43
daz sie her unt hin. Lohengrin 4984
und treip si her unde hin. Wolf an dem Wagen 1GG3
der sin spuon in her unde hin. Tristan 143, 12
do liefen her und hin. Laurin 2732
Hin unde her. Lichtenstein 90, 27. Pantaleon 1346
in den gazzen hin unt her. Lichtenstein 189, 23
da üf dem velde hin unt her. Lichtenstein 491, 10
der so hin und der ander her. Lichtenstein 302, 9
var beidiu hin und her. Martina 239, 76
der eine hin der ander her. Oswald 2410
Witich sluog hin unde her. Dietrich u. Gesellen 1039
sus war der strlt sich hin unt her. Lohengrin 4891
dirre hinne jener her. Eraelius 4762
den hin den her. Lohengrin 3183
mit schirmen vor im hin und her. Meieranz 6033
sine mohte hin noch har. Reinhart 1171
mit slalien hin und her. Laurin 2669
SiUb. <1. phil.-liist. CI. XLVII. Bd. I. Hft.
10
146
Z i n g- e r 1 e
vor ir orsen liin und her. Rabenscldaclit 242
hin unde her vast nmbe. Rabenschlaeht 431
hin unde her durch hejac. Livl. Chr. 4230
do si gesuochten hin unt her. Servatius 1889
wie siez wägen hin unt her. Helhling' IV, G88
Samet unde sunder. Tristan 409, 21
samt unde sunder. Tristan 330, 30
Einer sus einer so. Martina 277, 9
dirre ist sus und der ist so. Seven 2G3, 4
sust unde so. Lichtenstein 647, 14. G48, 23
sus unde so. Lichtenstein 90, 27. 484, 18. 313, 13. 517, 7-
533, 1. 382, 21. 434, 14. 442, 2G. 470, 15. 476, 23.
der sus, der so. Lichtenstein 117, 4
weder sus noch so. Lichtenstein 144, 19
sus unde so, hin unde her. Lichtenstein 177, 24.
nie die not sus noch so. Helhling I, 25
nu sus nu so. Lobgesang 26, 7.
sus und so mit manger hande Sachen. Neidhart 72, 22
Dort oben unt hie undcn. Dietrich u. Gesellen 123, 23
durfrühtic obe und under. Lobgesang 65, 14
unden unde ohne. Rol. 57, 18
Seid uzen unde och innen. Singenberg 211,1
geblüemet uz und inne. Lohgesang 84, 8
die waren uze und inne. Troj. Kr. 19604
innen hol und uzen hart. Lanzelet 7127
haidiu uzen unt innen. Rol. 156, 9
si wären uzen unt innen. Rol. 171, 17
Ir seht mich uf und abe tragen. Hilde 98
In was wol und nilit ze we. Parz. 203, 11
weder wol noch we. Walther 129, 6
ob im si wol oder we. Meieranz 1772
im was wol unde we. Eraclius 3610
wol und we si beidiu tuot. Lichtenstein 435, 11
oh der wol oder we si. Parz. 223, 20.
Pronominale Alliteration.
Ez waere dirre oder der. Eraclius 4315. Tristan 54, 40
wie dirre und der. Singenberg 211, 11
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
147
so spraeehe cliser linde der. Helbling VII, 894
ez bringet dirre unde der. Meieranz 4416
beide disem und dem. Garei *)
beidiu dizze unde daz. Milstäter HS. 144, 15
und redeten diz unde daz. Tristan 293, 30
Verbale Alliteration (Grimm RA. S. 11).
Lieb armet unde altet. Tristan 328, 29
Mit paden und mit pinden. Hugdietrich 151, 4
Gebalsmet lüge, gebismet lüge. MSI1. II, 207 b
Beizen, birsen unde jagen. Gute Frau 189
Und ez bezzer unde büeze. Tristan 373, 26
bezzern unde büezen. Tristan 132, 36
Der birset unde beizet. Barlaam 255, 36
dis birsen und jens beizen. MSH. II, 388 a
birsen, beizen unde jagen. Lanzelet 290
sie birsent unde beizent. Martina 127, 15
Biten und gebieten. Arm. Heinr. 1459
der künic sine geste bat und in gebot. Giulrun 330, 1
si bat und oucli gebot. Giulrun 1607, 1
da bi sie bat und gebot. Krone 18017
dar zuo er bat unde gebot. Krone 27693
her Dietrich bat und gebot. Biterolf 9549
als er gebat und ouch gebot. Tristan 385, 1
der künic dö die sinen pat und ouch gepöt. Wolfdietrich 169, 3
Joseben er bat unde gebot. Milstäter HS. 99, 25
Ezel bat unt gebot. Klage 3968
sol gebieten und niht biten. Garei 3 )
er gebot unde bat. Milstäter HS. 53, 4
daz kint gebot unde bat. Kaiserchronik M. 17768
swaz sie gebute oder bete. Herbort 11247
als er gebot und bat. Herbort 11309
si gebuten unde bäten. Lanzelet 8824
als si gebot unde bat. Gregor 2008
ja gebot er unde bater. Arm. Heinr. 641
') Germania VIII, 94.
2 ) Germania VIII, 93.
10 *
148
Z i n g e r 1 e
diu gebot unde bat. Strickers Karl 10367
der keiser böt unde bat. Strickers Karl 11886
swaz er gebot oder bat. Parz. 39, 8
er gebot unde bat. Krone 24977
der wirt gebot unde bat. Krone 29444
der kiinic geböc unde bat. Troj. Kr. 42198
gebot und bat genöte. Tristan 444* 39
swaz her gebot unde bat. Eneit 157, 3
beidiu gebot unde bat. Eneit 189, 9
her gebot unde bat. Eneit 191, 34
swaz min vrowe gebot und wes si bat. Lichtenstein 396, 18
wand ez ane gebot unde bat. Elmendorf 11
geboten und gebannen. Troj. Kr. 16209
Brasteln unde brachen. Krone 27401
Heiz brechen und brennen. Rol. 32, 7
wir sul brechen unde brennen. Strickers Karl 1606 ')
Also bringet unde birt. Troj. Kr. 13044
Nu briuwen unde bringen, Troj. Kr. 26661
Ze yähen und ze veilen. Krone 3000
da von gevangen und gevalt. Krone 3322
vervahet noch vervangen. Barlaam 335, 14
gevangen und gevuoret. Biterolf 8970
Sie vastent unde virent. Milstäter IIS. 120, 14
mit vasten unde mit venien. Kaiserchr. M. 10099
Vehten oder vliehen. Kaiserchr. M. 13743
Nu veigen unde veilen. Troj. Kr. 18768
gevellet unde geveiget. Tristan 43, 31. Silvester 4630. Troj. Kr.
27006. 32674. Pantal. 1500
Erduldet unde erfrischet. Troj. Kr. 16226
Ich kan vliegen unde vliezen. MSH. I, 209“
er tuot uns vliegend unde vliezend undertän. Singenherg 218, 2
dar nach swaz fliege fliez unt trabe. Lobgesang 57, 12
Hinget oder fliuzet. W. Titurel 65, 4
Fliehen oder vallen. Rosengarten 1594
Ez flieze oder fliege. Parz. 293, 4
1) da7. er mit dem tiuvel iemer brennen unde linden inuoz. Rertliold 23, iS.
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern. 149
daz ie gefloz und ie geflouc. Troj. Kr. 19059
si fliuzet fliuget unde gät. Lobgesang 65, 9
waz fleusset unde fleuget. Dietricli's Ausfalirt 354, 8
Ez forschet unde fraget vil. Troj. Kr. 13868
Ich wil si vriden unt vristen. Strickers Karl 3907
Vurhten unde vlehen. Kaiserchr. M. 11356
Er liiez gelden unde geben. Kaiserchr. M. 16541
man gelte dann und gebe wider. Freidank 150, 12
gilt und gip wider. Liedersaal CCXXXI, 83
Begie oder begunde. Dietricli’s Ahnen 2647
Habe unde behalde. Eneit 152, 7
Beliiuten unde behären. Neidhart 32, 26
Kallende unde kosende. Tristan 483, 9
Yil wol erkande man unde erkös. Eneit 238, 40
Mit dem so kei'te er unde kam. Konrad’s Alexius 246
S ikuolet unde kältet. Tristan 328, 30
Daz läget unde lüzet. Troj. Kr. 24701
ln gelanget unde gelüste. Tristan 441, 37
Er lernde unde lerte. Eraclius 5036
Sach liuhten unde lachen. Troj. Kr. 26367
Der gelobet unt geleistet was. Eraclius 811
Meinent unde minnent. Lichtenstein 637, 31
wil meinen unde minnen. Troj. Kr. 27394
er meinte und minnte reiniu wip. Troj. Kr. 40813
Sie minnete unde meind in. Tristan 484, 37
si minnet unde meinet in. Troj. Kr. 17034
geminnet und gemeinet. Troj. Kr. 11345
minnen unde meinen. Lichtenstein 643, 6. 631, 25. Wernher
driu liet 4165
Ir plinehen und ir phnurren. Servatius 168
Geret und geraten. Krone 25128
Zuo riten unde randen. Partonopeus 48, 17
geriten unt gerant. Fährmann 11 ')
Sagen unde singen. Tristan 533, 5. Erec 2153
gesagen ode gesingen. Milstäter IIS. 131, 31
*) Rosengarten. S. 88.
150
Z i n g- e r 1 e
ach herz sage und singe. Keller Erzähl. 126, 27
mit sagen und mit singen. Ring 1, 19
si Seite unde sane. Martina 170, 9
seit und sunge. Rosengarten 332
si horten sagen und singen. Rol. 21, 12
Sie scliallent und selieltent reine frouwen. Walther W. 20, 18
Geschalten noch geschiffen. Troj. Kr, 24281
Ungeschält und ungeschaffen. Martina 199, 44
Schenken unt schaffen. Nibel. 417, 1
Schiezen unti schirmin. Anno 9, 5
Schirmen unde schiezen. Gudrun 3, 3
Zerschiten und zerschroten. Pantaleon 2121
Singen unde sagen. Nibel. 21, 3, Alphart 234, 4
beide singen unde sagen. Colm. 104, 33
waz man singet oder seit. Roner Anf. 8
swä manz hoeret singen oder sagen. Oswald 932. 2134
waz man singet oder saget. Dietr. u. Gesellen 390
siu kunnent singen unde sagen. Dietrich u. Gesellen 1031
da von wir hoeren beide singen unde sagen. Walther W. 77, 9
daz müezen ander liute singen unde sagen. Walther W. 137, 14
man hoeret singen unde sagen. Walther W. 162, 21
ich sol singen unde sagen. Walther W. 174, 3
Des ere singe ich unde sage. MSP. 130, 3
und swaz man singet oder seit. Pyramus 377
daz si ez singent unde sagent. Lichtenstein 647, 9
iur lop er singet unde saget. Lichtenstein 647, 19
man hört mich singen unde sagen. Lichtenstein 416, 22
der sol singen unde sagen. Lichtenstein 361, 22
ob ich gesungen und geseit. Lichtenstein 392, 9
dö liuop sich singen unde sagen. 1IGA. LI, 238
ein liöhez singen unde sagen. Wartburgkrieg S. I, 681
ich sunge ich sagete. Singenberg 242, 7
du hoerest singen unde sagen. Hartman B. I, 681
waz sol singen oder sagen. Singenberg 244, 3
swaz ich singe und ouch gesage. Singenberg 231, 22
swaz man dir singet oder seit. Lobgesang 26, 2
du bist gesungen und geseit. Lobgesang 70, 1
gesinget und geseit. Rosengarten 1
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
151
vil singen unde sagen. Rosengarten 1095
bei di n singen unde sagen. Laurin 1902
da von wolde ich singen unde sagen. Neidhart 32, 34
Beidiu geslagen und gesniten. W. Willehalm 31, 24
Dö sungelt und sane Parz 104, 3
Verswinet und verswindet. Troj. Kr. 8877
Unde tanzeten unde träten. L. Alexander 5900
tanzen, tjostieren Helbling XV, 56
Si träten unde drungen. Troj. Kr. 19566
Getriben unde getragen. Eueit 137, 33
swaz man triben und tragen. Livl. Chr. 4262
Er weinte unde wuofte. Milstäter IIS. 115, 15
beidiu weinen unde wuof. Milstäter IIS. 142, 30
starke weinen unde wuofen. Krone 9212
mit weinen und mit wuoften. Rol. 63, 25
Ungeworht und ungewebin. Martina 52, 94
si worbten unde wachten. Eneit 119, 7
Wüefen unde weinen. Servatius 943
daz liut begunde wuofen unt wainen. Rol. 245, 16
sie horten dä wuofen unt wainen. Rol. 250, 21
Ze wäre wünschen unde waenen. Walther W. 136, 5
Der was gewurkit noch gewebin. Martiua 22, 10
Wan zitern unt zanklaffen. Servatius 2446.
Aus dieser Lese und aus der reichen Sammlung von alliteri-
renden Redensarten in Grimm’s Reehtsalterthümern ersieht man, wie
allgemein gang und gäbe solche alliterirende Verbindungen waren.
Wir dürfen aber nicht glauben, dass der Gebrauch derselben im
Verlaufe des dreizehnten Jahrhunderts in Abnahme begriffen war,
nein, es nahm derselbe bei manchen höfischen Dichtern neuen Auf
schwung durch die ihnen beliebte Tautologie. Enthalten viele der
angeführten Alliterationen auch eine Wiederholung des Begriffes,
so begegnet uns zuerst bei Gottfried von Strassburg das Bestreben
den Begriff eines Wortes durch den gleichen oder engverwandten
eines zweiten zu verstärken, kurz zwei gleichbedeutende Wörter
neben einander zu stellen, wodurch nicht selten Alliterationen ent
stehen. Ich verweise beispielshalber nur auf folgende:
als ancliehe unde als ange. Tristan 447, 5
ze ancliehe unt ze ange. Tristan 459, 16
152
Z i n g o r 1 e
vil anch'clie und vil ange. Tristan HO, 34. 329, 11
er trahte ange und ange. Tristan 51, 24
ameirende unde amurende. Tristan 374, 36
si wurden ein und einvalt. Tristan 295; 2
bleichen unde blichen. Tristan 360, 4
vreislich unde vreissam. Tristan 340, 1
vroelicli unde vrö. Tristan 361, 9. 232, 18
den vluz unt die vlieze. Tristan 332, 39
vrö und sere vröudehaft. Tristan 16, 28
überlestet unde beladen. Tristan 423, 24
su lustic unt so lussam. Tristan 442, 13
schade unde schedelich. Tristan 442, 18
versigelet unde beslozzen. Tristan 447, 24
verwirret und verworren. Tristan 347, 37
zogen unde ziehen. Tristan 142, 1-0
ziehende unde zogende sit. Tristan 461, 28
trürec unde trüresam. Tristan 337, 31.
Bei Konrad von Würzburg, dem gewandtesten Schüler Gott-
fried’s, schiesst die Anwendung der Tautologie vollends in’s Kraut
und wird zur ausgeprägten Manier. Einige zufällig herausgegriffene
Beispiele mögen dies zeigen.
so muoz uns helfen unde fromen Troj. Kr. 18738
ich läze iuch schouwen unde sehen. Troj. Kr. 18776
nü strichen unde leeren. Troj. Kr. 18907
geziieket und genomen. Troj. Kr. 18957
zergenget und zerstoeret. Troj. Kr. 19016
sol man behüeten und bewarn. Troj. Kr. 19055
gestrichen und gekeret. Troj. Kr. 19465
dö vuorens unde kämen. Troj. Kr. 19486
da liuhten unde glesten. Troj. Kr. 19495
dur guften und dar schallen. Troj. Kr. 19499
liuhten unde erbrehen. Troj. Kr. 19504
diu dranc unde brach. Troj. Kr. 19618
geliutert und gereinet. Troj. Kr. 19624
man Seite ir unde tet ir kunt
ze maere und oucli ze tiute. Troj. Kr. 19644
lachen unde smieren. Troj. Kr. 20041
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
153
si riuchet unde draehet. Troj. Kr. 20192
schier und in kurzen stunden. Troj. Kr. 20305
nu strichen unde keren. Troj. Kr. 20543
da pflegen unde walten. Troj. Kr. 20545
wol bergen und vertuschen. Troj. Kr. 20608
noch verswigen noch verdagen. Troj. Kr. 21007
swie manger sprichet unde saget. Troj. Kr. 21740
itel unde wan. Troj. Kr. 22179
kos unde sach. Troj. Kr. 22293
gestrichen und geflozzen. Troj. Kr. 22533
genennet und geheizen. Troj. Kr. 30619. 33262
zertranten und zerspielten. Troj. Kr. 33231
daz wurbens unde schuofen. Troj. Kr. 33281
geheizen und genennet. Troj. Kr. 33459
gestriten und gevohten. Troj. Kr. 34089
noch beschouwet noch gesehen. Troj. Kr. 37601
so lamen noch so balzen. Troj. Kr. 38026
Auf jedem Blatte begegnen uns solche Tautologien. Dadurch
wird die Alliteration nicht wenig gefördert, um so mehr, da der
Dichter auch oft Wörter desselben Stammes an einander reiht. Ich
gebe hier einige Beispiele:
Verswinet und verswindet. Troj. Kr. 8876
so swindet unde slizet. Troj. Kr. 15698
gestrichet und gestrichen. Troj. Kr. 20298. 44024
ouch wenden unde wisen. Troj. Kr. 33064
gedrücket und gedrungen. Troj. Kr. 34041
grisgrammen unde grinen. Troj. Kr. 39933
vil werlich und niht ane wer. Troj. Kr. 43159
ligen und sult des lägen. Troj. Kr. 43748
werlös wirt und äne wer. Troj. Kr. 48500
da von si froelich unde frö. Troj. Kr. 49578
si kerten froelich unde vrö. Troj. Kr. 24660.
genzlichen und begarwe. Engelhart 2178
genaedic unde günstic mir. Engelhart 2291
zehant ein swert blöz unde bar. Engelhart 4569
sin swert geleit blöz unde bar. Engelhart 5095
wan dö daz swert blöz unde bar. Troj. Kr. 5564
154
Z i n g* e r 1 e
geriuschet und genieret. Troj. Kr. 22481
der in verslicket und verslant. Troj. Kr. 24193
entwichen unde entwenkcn. Troj. Kr. 23347
swachen unde swinen. Troj. Kr. 42789 -
da sweimen unde sweben. Troj. Kr. 24192
erwecket unde erwachet. Schwanritter 208
er wart erküelet unde kalt. Pantaleon 1342
zervallen und zerflecket. Pantaleon 1843
Einzelne Spuren solcher Häufungen begegnen uns auch ander
wärts , z. B.:
beidiu verkiesen und verklagen. Strickers Karl 10177
und zwinken unt zwieren. MSH. I, 201“
unt zokken unt zükken. MSH. I, 201“
vroeliclie unde in vröuden leben. Gerliart 2489
äne mäze und äne mez. Martina 237, 33
linck und lertz. Altschwert 217, 10
Einen bedeutenden Vorschuss gibt der Alliteration im Mittel
hochdeutschen die pleonastische Wiederholung des schon im Verbo
ausgedrücktenBegriffes durch das ganz gleiche Substantiv 1 ), welche
eine viel weitere Ausdehnung hat, als im Neuhochdeutschen. Ich
tlieile folgende Belege mit:
Ich wil die vart so varn. Lichtenstein 138, 3
disiu kiinegin
vert deswar ein schoene vart. Lichtenstein 209, 23
ich liän so dise vart gevarn. Lichtenstein 283, 23
so muoz er varn durch mich ein vart. Lichtenstein 370, 23
vert er die vart. Lichtenstein 376, 32
ir miiezt durch si noch varn ein vart. Lichtenstein 378, 9
die vart gefuor für war nie man. Lichtenstein 379, 13
daz ich die vart gern durch si var. Lichtenstein 380, 28
ich varn eine vart. Dietrich u. Gesellen 483
swer willeclichen dise vart
ist gevarn. Lohengrin 6631
4 ) Grimm, Gnim. IV, 645.
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
15
der keiser vuor die betevart. Kaiserehr. M. 17863
su der vert ein hervärt. Helbling I, 884
du muezest eine yart varn. Martina 164, 62
ich hän gevaren manege rart. Parz. 366, 9
Der kleider vielen manegen yal. Liehtenstein 279, 20
dd viel er ze der stunde
einen harte grözen yal. Hundes Not. 228 *)
Wie diu erde fruhte fruhte. Martina 273, 21
Ich hän hie funden einen riehen funt. Hugdietrich 165, 4
doch so yant er einen funt. Fuchs u. Wolf 1802 3 )
dö yant er liehen funt. Parz. 799, 16
Parziväl yant hohen funt. Parz. 748, 4
ich hän hie jaemerlichen funt
in ivrerm sclioze funden. Parz. 138, 28
jd viiulet man gewinnes funt. Troj. Kr. 18398
und des seligen funt,
den ich an iuch funden hab. LS. CLXXIII, 111
die sihen wisen fundent den fund. Diocletian 5124
Ire gehe si ime gäben. Diutisca III, 106
dä gebe wir got unsir gehe. Milstäter HS. 132, 10
ich wil die morgengäbe gehen. Lanzelet 1126
si gab den spileman also riebe gäbe. Nihel. 1531, 3
und gab in mine gäbe. Nihel. 2218, 4
vil groze gäbe lussam
gap er für die schulde. Servatius 2542
ir gäbe si den liuten git. Warnung 1846
Und giengen vor dem hüse
einen vrdlichen ganc- Kaiserchr. M. 11738
einis abindis ginc her einen ganc. Anno 46, 9.
Dü has mir eine grübe gegraben. Kaiserchr. M. 7531
Gawein im selp die gruobe gruop. Krone 12002
und hät ir dise gruobe gegraben. Krone 15280
in die selbin gruobin.
die der megde wän gegraben. Martina 56, 92
der dem andern grebt die gruoben. MSF. 22, 32
*) Reinhart. S. 299.
2 ) Reinhart. S. 357.
156
Z i n g e r 1 c
er liiez im in dem munster ein grap graben. Kaisercbr. M. 13837
da gruben grebcre sine man. L. Alexander 3392
daz man ir balde ein grap grabe. HGA. 32, 140
er gruob ein grab der frowen. Wolfd. 804, 2
als er daz grab gruop. Wolfd. 804, 3
Dir klenket manegen süezen klanc. Lobgesang 18, 12
der klanc lute erklanc. Lielitenstein 452, 13
Diu vil guote zweier liande lachen
lachet. Lichtenstein 321, 1.
Der mir manege läge
legt mit siner Trage. Hclbing I, 17
Lestet üf mich sölhen last. Parz. 219, 21
Waz er goltes gäbe unt leben lihet. Lobengrin 740
diu leben sult ir üben. Gudrun 1012, 3
diu lehen diu ein künic in lilien solde. Lobengrin 0303
der diu leben lihet. Lobengrin 0303
künigen yiirsten iriu leben er verlech. Lohengrin 0379
er lieb Dieteriche die leben. Kaisercbr. M. 14030
lieb du mir daz leben. Kaisercbr. 14024
er lech im sine leben. Kaisercbr. 10403
Liuget er, sie liegent alle mit im sine lüge. Walther W. 31, 17
Der milte miz ein mäze nach staete lere. j. Titurel 1875, 3
Ich wil iu raten einen rat. Lichtenstein 310, 21
da von rat ich einen rät. Lichtenstein 422, 20
ich wil hie räten einen rät. Lielitenstein 78, 27
guoten wiben räten einen rät. Lielitenstein 500, 8
darzuo vil manigen wisliclien rät
riet im diu küniginne rieb. Dietricb’s Almen 8000
E der bunt gesebizet einen sclieiz. Morolf 581.
Den schuz seböz mit eilen daz Sigelinde kint. Nibel. 471, 2
Ieli singe iu ze allen ziten also guotez sanc. Gudrun 377, 2
die vogel sungent manigen sang. Dietrich u. Gesellen 925
die junefrowen sungen cluogen sang. Dietrich u. Gesellen 942
die megte sungen süezen sanc. Dietrich u. Gesellen 987
si sungent wunnenclicb gesang. Dietrich u. Gesellen 1033
die sungent mit harpfen süezen sang. Dietrich u. Gesellen 1089
si sanc den süezesten sanc. Barlaam 140, 22
singe ich minen sanc. MSH. II, 239"
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
IST
si singent ein sanc. Karaj. 81,5.
sungen si vil manchen sanc. Bartseh md. Ged. 33, 1194
begnnde singen ein sanch lobesam. Exod. D. 163, 29
ein nüwez sanc si singen. Exod. D. 60, 13
die sungen hovische sänge. Laurin 1636
nnt sungen meisterlichen sanc. Laurin 1744
diu nahtegal diu singent üf der linden
ir siiezen sanc. Neidhart 7, 15
die singent wunniclichen
ir gesanc. Neidhart 19, 19
den kinden singe ich niuwen sanc. Neidhart 41, 39.
ich gesunge ir niuwen sanc. Neidhart 79, 31
sunge er sinen sanc. Neidhart 85, 2.
Der grave sluoe so manegen slac. Mai 122, 36
slacli siege manege. Milstäter HS. 139, 5
und sluoe siege. Tristan 561, 38
er sluoe im einen slac. Wolfdietrieh 235, 3
waz er im siege sluoe. Wolfdietrich 460, 3
er sluoe im üf sin houbet einen swinden slac. Wolfdietr. 375, 3
er sluog in daz gehürne ein geswinden slac. Wolfdietr. 697, 3
der sluog.im also manigen slac. Biterolf 11266
und sluoe da mit einen slac. Krone 6706.
einen örslac sie ir sluoe. Krone 17844
und sluog im einen solchen slac. Krone 27077
manegen slac sie sluogen. Krone 27101
groze siege sie slügen. Eneit 326, 6
dem hern Enee her slücli
einen slach wol ze lobene. Eneit 327, 8
so siegt si mir siege vil. Übles Weib 149
ich sluog slag nach slag. Übles Weib 366
si sluog ie den andern slag. Übles Weib 378
si sluog siege ungezalt. Übles Weib 420
sluog si mit dem scliite
üf mich siege äne zal. Übles Weib 623
slaliet ir mir einen slac. Strickers Karl 2607
da durch sluoe er mit einer haut
einen tiefen slac unz in den sant. Strickers Karl 2857
wart mir geslagen manig slag Dietrich u. Gesellen 6, 49
1158
Z i n g 1 e r 1 e
uf in sluogen wir manigen slag. Dietrich u. Gesellen TOS
er sluog im siege swaere. Rabenschlacht 414
si sluogen siege swinde. Rabenschlacht 430
sluog ez einen slak. Rabensclilaclit 439
alii! die slagent siege swinde. Rabenschlaclit 541
dd sluoc oucb im her Liudegast vil manigen grimmen slac. Nibel.
188, 1
— daz der lielt guot
ze strite nimmer mere geslüege keinen slac. Nibel. 2102, 3
unt sluog im siege swinde. Nibel. 2100, 4
do ne liez in Hagene slahen deheinen slac. Nibel. 2109, 3
er gesluoc in disen stürmen noch nie lobeliehen slac. Nibel.
2197, 4
er sluog im einen slac. Nibel. 2278, 2
und sluoc im einen baggen slac. Martina 33, 44
sluogen sie die siege dar. Dietrich’s Ahnen 8811
sie sluogen tiuvelliehe siege. Dietrich’s Almen 8973
da wurden solhe siege geslagen. Dietrich’s Ahnen 9160
dö wurden alrest siege geslagen. Dictrich’s Ahnen 9290
und sluog im einen herten slac. Dietrich’s Ahnen 9323
mangen ellentliaften slac
sluog er uf den jungen man. Meieranz S122
Meieranz der degen klär
sluoc dem truhsaezen ein slac. Meieranz 014(1
uiulcr wilen so sluoc er
dem kiinic einen solhen slac. Meieranz 6054
er sluoc im ungesmeichet
einen also starken slac. Meieranz 0194
sus sluoc er nach vindes siten
dem Übeln beiden einen slac. Meieranz 8370
und sluoc dem küenen Verangöz
einen slac. Meieranz 8389
er sluoc im aber einen slac. Meieranz 8392
Libers der unverzagte man
sluoc im mangen starken slac. Meieranz 10179
er sluoc üf ez vil manigen slac. Garei R. F 7“
er sluoc üf ez vil manigen slac. Garei R. F 8 b
er sluoc im manigen starken slac. Garei R. F 8 b
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
159
üf in do sluog' er manigen slag. Dietrich u. Gesellen 722
sluoc ez einen grozen slac. Garei R. F. 86
ez sluoc im aber einen slac. Garei R. F. 86
(16 sluoc der küene man
liinder sich einen slac. Laurin 2348
Der tüsent slöz vor (lieh slöze. Morolt 1389
Eins morgens was ein dünner sne,
iedoch sö dicke wol, gesnit. Parz. 246, 6
Spilt da erenhernde spil. Lichtenstein 315, 21
sus spilten si des todes spil. Wigalois 58, 28. 280, 7
spiln der minne freinlen spil. Lichtenstein 432, 16
und spilt mit ime daz seihe spil. Krone 18819
siu spilten mit im nides spil. Martina 33, 63
und unminneclich spilten
mit ir des todis m'tspil. Martina 186, 30
da under hatten siu gespilt
mit ernste des todis spil. Martina 233, 32
Ein sprüngel vür die tür sprinc. Helbling I, 1001
— ein sprüngel
sprane sie für die tür dar nach. Helbling I, 1003
höhe ez springet manegen sprunc. Lichtenstein 442, 4
vor vröuden sprang er einen Sprung. Tristan 338, 3
dö sprang er Sprünge wite. Dietrich und Gesellen 169
sin ors vil kleiner Sprunge sprane. Lichtenstein 208, 23
sprane da mangen geilen sprune. Neidhart 31, 38
manie oedeelieher sprunc
von in (16 gesprungen wart. Neidhart 64, 33
Do Gawein ime den stich gcstach. Krone 6409
her Ivei im einen stich stach. Krone 27141
Mit Schilden manie grözer stöz
wart gestözen dort unt hie. Lichtenstein 84, 26
da wart gestözen manie stöz. Lichtenstein 88, 23
Mengen strit hat gestriten. Martina 239, 106
du muost vorstriten manigen strit. Krone 13072
sö swachen strit ich nie gestreit. Parz. 683, 10
und betten einen strit gestriten. Biterolf 2708
die striten äne zageheit
einen herten strit mit swerten. Meieranz 9374
160
Z i n g e r 1 e
Man swenke in lihte engegene den vil swinden
widerswanc. Walther W. 62, 9
mangen ritterlichen swanc
swanc sin ellenhaftiu hant. Lichtenstein 93, 14
Matz diu swanc ein swüngel. Helbling I, 1 004
So swizze ich hluotigcn sweiz. HGA. 22, I 44
er switzit da den tötsweiz. Martina 231, 38
Diu tat die si täten. Strickers Karl 9298
vil hohe tat
het sin lip durch wip getan. Lichtenstein 262, 23
der ritters tat da tet. Lichtenstein 66, 6
Bluotigen touwe towent. Martina 189, 79
Dar nach er swaere trünke träne. Parz. 132, 3
sin minne träne da trenkit. Martina 48, 52
sin minnentranc si tranhte. Martina 24S, 40
daz selbe trinken trunken wir. Übles Weih 43
Da gegen treten einen trit. Georg 1060
so trat er fürbaz einen trit. Parz. 739, 26
ein Unger trit niht einen trit
üz sinem nngerischen sit. Helbling I, ISS
Und triuget er, sie triegent mit im sine trüge. Walther 31, 18
Scham ist ob siten ein güebet uop. Parz. 319, 11
Got verwet varwe vil der werlte. MSH. II, 69 b
Die muosten manegen wanc vor sinen siegen wenken. Gudr. S04, 2
Da ich gewan so hohen gewin. Lichtenstein 387, S
Der würket heldes werc. Antichrist 338
er würket wunderlichiu werk. Antichrist 420
diu werc die er worbte, Eracl. 44
got würket manec werc. Gudrun 1130, 1
vart wurchet iwer wercli. Milstäter HS. 132,23
diu selben werch worbten. Milstäter HS. 136, 28
sie widerwürkent siniu werc. Walther W. 30, IS
er worht des tages wol ritters werc. Lichtenstein 90, iS
wurken Wernhartes werc. MSF. 25, 28
vil guote werc sie worhte. Kaiserehr. M. 10670
vil guote werc er worhte. Kaiserchr. M. 13088
1) 11. Zeitschr. VI, 378.
Die Alliteration bei mitleihochdeutschen Dichtern.
161
sie worliten tiuflicliiu werk. Rabenschlacht 61 i
Da mit er gezerret hat den sehedelichen zar. Neidhart 81, 10
Ir habet ein zuc gezogen. Krone 1572.
Ausser diesen Pleonasmen in der accusativen Construction be
gegneten mir noch folgende ähnliche Verbindungen:
und lat der bete, der ich hite,
mich werden von iu gewerf. Krone 19S47
Dirre lierre, der in sin hus
kam und einer bete bat. Krone 27920
den fürsten bitcn einer bet. Dietrich u. Gesellen 776
ich wil iueh einer bete hiten. Lichtenstein 234, 11
belibens bete in niemen bat. Parz. 351, IS
der bet ich got von herzen bit. Lichtenstein 2S6, 28
einer andern bete er dö bat. Parz. 700, 25
vil wol phiegte er siner phlege. Servatius 1935
ze helle zöch er eines zuges
vil ungetoufter geiste. Troj. Kr. 12582
diu süezen doene doenent. MSH. II, 69 b
daz in diu huote behiiete den muot. Lichtenstein 408, 16
diu vlüge dö ze velde vlugen. Krone 18529
an dem da sehine siges schin. Krone 8915
da schinet boeses lönes schin. Krone 5262
so lac er an der läge. Krone 2642
an siner läge da her lach. Eneit 245, 31
min tröst alsö getroste. Gerliart 2379
den troum tiuten ze tiute. Troj. Kr. 41638
des loubes loubet manic walt, die bluomen bliiement velt. MSH.
ii, eg 11
Öfters wird der im Verbum ausgedi tickte Begriff durch das ganz
gleiche Adverbium verstärkt, z. B.:
Genadet mir genaediclich. Lichtenstein 40, 22
Daz si mir so giietlicli guetet. Lichtenstein 508, 16
So hurtiklich geliurtet. Lichtenstein 87, 10
Daz klaget er klegelich. Helbling V, 78
dem liiez si clagen ldägelich. Meieranz 4848
daz klagten si vil klägelich. Meieranz 6249
und klagten in vil klägeliche. Meieranz 6273
Sitzli. (1. [ihil.-liist. ei. Xl.Yll. ßa. 1. litt.
11
162
Z i n g e r 1 e
daz klagt diu minnecliche
von herzen klägeliche. Meieranz 7295
man hört in klägelichen klagen. Meieranz 8430
und klagte klegelichen. Hugdietrich 551, 4
Nu lache lacheliche. Neifen 31,7
Von den wart ritterlich geriten. Lichtenstein 182, 1
da wart geriten riterlich. Lichtenstein 188, 4
reit da ritterliche. Eneit 239, 17
Süeziu wort diu kunnen süezlich süezen. Lichtenstein 508, 8
kan si mir mit süezen Worten suoze süezen. Lichtenstein 534, 8
het wunderlich gewundert. Martina 158, 50.
Nicht selten wird dem Substantive ein Adjectiv desselben Be
griffes beigegeben und dadurch eine Alliteration erzeugt. «
in die brinnenden brende. Martina 231, 44
Si gaebe den schin vür blüende bluot in ouwen. Lohengrin 980
mit blüender blüete riche. MSH. II, 69 b
Sag ir, ich si ir dienstman
dienstlicher dienste undertän. Parz. 199, 12
Daz er als ein glüendiu gluot. Barlaam 376, 4
er gleste als ein glüendic gluot. Parz. 81, 22
der glaste als ein glüendiu gluot. Meieranz 631. 3259. 10490
als üz der vinster schint ein glüende gluot. Lohengrin 1229
da was sin munt röter dan ein glüende gluot. Lohengrin 2249
Also klegelicher klage. Lohengrin 7247
Nü sit doch ein inanlich man. Lichtenstein 366, 20
Sin meinclichez meinen. Lichtenstein 52, 30
Der prislich pris so was betaget. Troj. Kr. 43353
Die scliantliehen schände. Troj. Kr. 46706
Ir schöni Schönheit. Martina 102, 40
ob der schönen Schönheit. Martina 103, 1
Daz si mit staeter staetekeit. Troj. Kr. 46893
An werlicher wer. Troj. Kr. 42803
Daz wipliclie wip. Parz. 10, 17
Daz wunderliche wunder. Konrad’s Alex. 1195. Tristan 398, 27.
409, 22
ein wunderlicliez wunder. Tristan 17, 32
ze wunderlichem wunder. Tristan 134, 9
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
163
mit wunderlichem wunder. Martina 205, 18
wunderlichen wunder. Martina 52, 11. 81, 63. 111, 49
ein wunderlich wunder. Martina 56, 45
daz wunder also wunderlich. Martina 57, 50
In also werdem werde. Troj. Kr. 47532.
Überhaupt finden wir von den mittelhochdeutschen Dichtern
mit Vorliebe Adjectiva gewählt, die mit dem Substantiv alliteriren.
Das Weib wird sehr häufig das „werde“ genannt.
daz werde wip. Parz. 223, 11
gein werden wiben. Lichtenstein 366, 20. 381, 4
werdes wibes. Lichtenstein 428, 20
werder wi'be. Lichtenstein 428, 7. Troj. Kr. 30547
werdez wip. Lichtenstein 430, 30
werde wip. Alphart 276, 2.
Dagegen finden wir bei maget sehr oft das Adjectiv minneclich :
diu maget minnecliche. Meieranz 780
er het die minnecliehen magt. Meieranz 11015
nu het diu maget minneclich. Meieranz 11026
manic maget minneclich. Meieranz 11286
daz ich die maget minneclich. Meieranz 12316
der minnecliehen meide. Nibel. 2, 5.
ein minnecliche meit. Nibel. 133, 2
di minnencllche magt. Ludw. Kreuzfahrt 6018
maget minniklich. Laurin 64.
Bei Wald, Wolf, Wurm steht meist das Attribut wilde, z. B. :
Durch den walt wilde. Lanzelet 676
durch den ruhen wilden walt. Dietrich u. Gesellen 104
in disem wilden walde. Dietrich u. Gesellen 863. 894
in einem wilden walde. MSF. 73, 13
diz ist ein wilder walt. Meieranz 1631
reht als die wilden weide. Troj. Kr. 31626
von sinem wilden walde. Barlaam 317, 32
Als zwene wolve wilde. Troj. Kr. 27549
eins wilden wolves aeze ich e. Freidank 23, 9
als den wilden wolven. Eneit 195, 22
11*
1 ß4
Z i n g e r 1 e.
Wann er den wurm wilden. Wolfdietrieh 587, 1
er vor dem wilden wurme gie. Dietrich u. Gesellen 145
und tragent dem wilden wurme haz. Dietrich u. Gesellen 157
daz sach ich wilde würme nagen,
den frumte manig wilder wurm.
163
602.
V)
In ähnlicher Weise begegnet wilde bei wäc:
da vliuzet ein wilder wäc. Livland. Chronik 3959
uf dem wilden wäge. Schwanritter 208
ich var uf einem wilden wäge ein wile. W. Titurel 119, 1
bald üf des wilden wäges wege. Troj. Kr. 25774
mit bluote was der wilde wäc
geverwet und geroetet. Troj. Kr. 37594.
Das Adjectiv wit finden wir j^ern mit Substantiven verbunden,
die mit w anlauten :
in der werlt wite. Servatius 119
In der werkle witen. Eneit 354, 10. Martina 156, 95
in dirre weite witen. Martina 97, 98
in dem witen wähle. Dietrich u. Gesellen 932
ein wunden wit. Übles Weib 325
vil manic wunde wit. Nibel. 204, 2
wir houwent noch die wunden wit. Dietrich u. Gesellen 472
so hän ich ouch geslagen wunden wit. Dietrich u. Gesellen 867
si sluogen durch die ringe vil manege wunden wit. Gudrun 1419, 2
daz man ir wunden wit vrumte ze binden. Gudrun 1426, 2
und sluogen wunden wite. Servatius 2047
si stächen manige wunde wit. Laurin 2708.
Das ständige Attribut bei wunder ist wilde, wildeclich :
du bist ein wunder wilde. Gold. Schmiede 710
ez was ein wunder wildeclich. Gold. Schmiede 1128. 1266
reht als ein wunder wilde. Troj. Kr. 23076
vil manic wunder wilde. Troj. Kr. 30784
als ob ein wunder wilde. Troj. Kr. 37672
daz was ein wunder wilde. Konrad’s Alex. 732
ein wunder wilde. Martina 148, 31.
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
16 j
Bei „sanc“ und „singen“ findet man meist das Attributiv „süez“
süezez singen. MSF. 37, 33
seiten linde süezen sanc. Dietrich und Gesellen 30<S
din vil süezer sanc. Walther W. 57, 15
si sanc den süezesten sanc. Barlaam 140, 22
swer da gehörte ir süezen sanc. Troj. Kr. 17598
saelic si der vogelline süezer sanc. MS1I. I, 42 b
der ist süezer denne süezer sanc. W. Willehalm 31, 20
da hört man süezez singen. Laurin 1733
ir süezen sanc. Neidhart 7, 15
süezen sanc. Neidhart 22, 5
süezen sanges schal. Warnung 2022.
Dem „Gras“ wird meist das Adjectiv grüene beigesetzt, z. B.:
Da stuont al kurz grüene gras. Parz. 227, 10. 75, 18
kurz kleine grüene gras. Parz. 96, 14
al grüene gras. W. Willehalm 133, 2
üf daz grüene gras. Tristan 16, 29
daz grüene gras. Ortnit 380, 2. Lohengrin 5680
üf ein grüenez gras. Rosengarten 1720
und az daz grüene gras. Alphart 235, 2 .
gebettet üf daz grüene gras. Meieranz 11208
gcslagen üf daz grüene gras. Meieranz 11250. 11729.
Mit rose ist meist rot verbunden z. B.:
rosen rot. Rosengarten 1564. 1561. 1582. Laurin 208, 327. 536,
593, 616
röten rosen. Neidhart 64, 26
Bei Helm steht gerne das alliterirende „hart“:
Durch heim vlinsherten. Nibel. 2277, 3
üz herten helmen. Dietrich und Gesellen 52. — 98
roanic lierter heim. Lohengrin 2439
durch lierte lielme. Parz. 207, 16
herte helme. Rosengarten 1337
die liebten herten helme. Rabenschlacht 754. 781
üf den heim herten. Rol. 144, 26
166 Z in geile
manigen heim Iierten. Rol. 163, 13
uf ainen heim Iierten, Rol. 179, 15.
Ich lasse noch einige andere Beispiele, die dies beweisen,
folgen :
vil bluomen hlä. Lohengrin 5680
brüne bläwe bluomen. Neidhart 34, 10
ir brüne brä. MSII. I, 136
ir bräwen brün. Fragm. XXV16
die ouehbrän brün und nicht breit. Eneit 146, 13
ir brä brün, siebt unde smal. Wigal. 27, 11
liehtiu ougen, da bi brüne brä. MSH. II, 856
zwo brüne brä. MSH. II, 656 und II, 264«
neben plankem pleie. Ortnit 15, 2
und einen vrien fride hat. Troj. Kr. 19298
in dem starken sturme. Rabenschlacht 622
gegen disem sturm starken. Rabenschlacht 695
mit einem sturme starke. Rabenschlacht 786
starken strit. Rabenschlacht 663
mit starken striten. Rabenschlacht 715
in dem starken strite. Rabenschlacht 744
der sturm und der starke strit. Dietrich’s Ahnen 6492
die stritent starke stürme. Walther W. 9, 19
in starken stürmen. Gudrun 875, 3. Dietrich und Gesellen 96
eins starken stormes. Eneit 194, 4
ein starke stangen stähelin. Meieranz 4930
mit starken stehlein stangen. Dietrich’s Ansfahrt 11, 3
starken steine. Dietrich und Gesellen 622
starken streich. Dietrich und Gesellen. 868
und stiezen starke stecken drin. Parz. 205, 21
den swinden widerswanc. Walther W. 30, 7
ir drüzzel derst so draete. Walther W. 53, 24
der heit gehiure. Meieranz 11020. Laurin 2377
wunnecliche wät. Neidhart 10, 30
üz wünneclicher waete. Engelhart 5
in wünneclicher wise. Troj Kr. 17583
wand er im holdez herze truoc. Parz. 397, 22
daz volc im holdez herze truoc. Parz. 307, 10
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
167
dem sult ir holdez herze tragen. Meieranz 12633
holdez herze tragen. Neidhart 39, 2
da von si mir also holdez herze trüege. Neidhart 61, 37
sin blankez bein. Parz. 127, 4
mit baestinen buosten. Parz. 137, 10
ir minneclicher munt. Parz. 151, 19
minneklichiu maere. MSH. I, 202 a
der knappe kiusche. Parz 159, 17
mit langen starken lanzen. Parz 183, 13
mit wunderlicher wer. Parz. 226, 19
werlichen willen. Parz. 38, 3
vil manic veigez fuoder. Troj. Kr. 31587
der milte marcman. Rosengarten 679. 691. 855. 1008
den milten marcman. Rosengarten 920
der wise wigant. Laurin 1208
geiler getelinge. Neidhart 40, 32
ein geiler getelinc. Neidhart 81, 21
losez lunzen. Neidhart 68, 8
phellerine pliosen. Neidhart 74, 16.
Selbst bei sprichwörtlichen Vergleichungen, die uns bei mittel
hochdeutschen Dichtern so häufig begegnen, treffen wir oft den
gleichen Anklang, z. B.:
Er was ir liep als der lip. Eraclius 406
alsö lieb im waere der lip. Eraclius 791
ir sit mir liep als der lip. Eraclius 3775
diu im liep was als der lip. Eraclius 3888
lieber dan sin selbes lip. Gute Frau 2102
diu was im liep als der lip. Reinhart 840. HGA. XLVII, 2
lieb und lieber dann sin lip. Tristan 415, 12
diu ist mir lieber danne der lip. Parz. 94, 6
ir werdet im liep, sam sin lip. HGA. XXXII, 162 *
du bist mir liep alsö der lip. HGA. XLV, 2
deu was im lieb sam der leip. HGA. B. II, 595, 8
daz sie im lieb was, sam der leip. HGA. B. II, 631, 61
lieber dan sin selbes lip. Parz. 54, 22
diu im liep was so der lip. Warnung 2356
die habt liep so den lip. Warnung 2452
168
Z i h g- e r 1 e
wan er was mir liep so der lip. Warnung - 3058
Und da vor grüene als ein gras. Lanzelet 3268
er was grüene als ein gras. Lanzelet 3942
von samit grüene als ein gras. Lanzelet 4155
geworlit grüene als ein gras. Lanzelet 4417
rehte grüene als ein gras. Lanzelet 4811
verre grüener danne ein gras. Lanzelet 4866
ein samit grüene alsam ein gras. Wigalois 15, 21
der eine grüene als ein gras. Wigalois 24, 10
relite grüene alsam ein gras. Wigalois 24, 31. Meieranz 3392
ein timit grüene alsam ein gras. Wigalois 103, 2
sin büch was grüene alsam ein gras. Wigalois 131, 34
was si grüene alsam ein gras. Wigalois 169, 12
grüene als ein gras. Wigalois 182, 3
der was grüene alsam ein gras. Gerliart 3587
grüene alsam ein gras. Nibel. 413, 3
grüener denn ein gras. Parz. 234. 4
luter grüene als ein gras. W. Willehalm 351, 16
der sarc was grüne als ein gras. L. Alexander 3408
ein samit grüne als ein gras. Eneit 60, 12
ein prasem grüne als ein gras. Eneit 80, 4
cindal grüne als ein gras. Eneit 200, 24
ein smarac grüene als ein gras. Meieranz 657
ein samit grüener dann ein gras. Meieranz 3379
sin schilt was grüener dann ein gras. Meieranz 3383
der houm was ouch grüen als ein gras. Meieranz 3401
ein samit grün als ein gras. Meieranz 5919
daz ein was grüen alsam ein gras. Meieranz 9791
diu wären grüen alsam ein gras Meieranz 10003
rot und grüen alsam ein gras Meieranz 10096
der was grün als das gras, Keller Erz 3, 23
von samit grüyn alsam ein gras. Lichtenstein 171, 18
des varw was grüen alsam ein gras. Lichtenstein 248, 26
und smarak grüen recht als ein gras. Dietrich’s Ausfahrt 786
mit samant grüen recht als ein gras. Dietrich’s Ausfahrt 790
grüener als ein grüene gras. Eraclius 3585
er quam nü grüener dan ein gras. Lolicngrin 2461
rücke grüener als ein gras. Parz. 234, 4
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
169
Rot als die rubine. MSII. I, 113a
Winden als ain wid. Maget Krone 159a
er want sich dicke alsam ein wit. Parz. 25, 23
als ein wit ich mich winde. MSII. III, 468 qa
daz er sich want als ein wurm. Pass. H. 72, 8
Wolfhart brummet als ein her. Dietrich und Gesellen 900
der wurm laut prummet als ein per. Dietrich’s Ausfahrt 626, 4
vor zorn er prummet als ein per. Dietrich’s Ausfahrt 747, 1
als ein grimmer her er bram. Ilerbort 2990
in sime huse si her frolich
nicht also ein bere her brimme. Ritterspiegel 1990
an der schuol brummende als ein her. IIGA. II, 199
Da glast si als ein Spiegelglas. Wigalois 182, 8
die hure glaste als ein glas. Wigalois 206, 15
des tages gldst er als ein glas. Wigalois 26, 21
diu müre glast alsam ein glas. Wigalois 120, 10
der glaste als ein gliiendiu gluot. Meieranz 631. 3295. 10490
er gleste als ein glüendic gluot. Parz. 81, 22
Auch hei den Eigennamen bemerken wir öfters Attribute und
Appositionen, aus denen die Alliteration uns entgegenklingt, z. B.:
Ililte diu vil here. Gudrun 810, 1
llildeburc diu here. Gudrun 1066, 1
Uote diu vil edele. Gudrun 42, 4
Wate der vil wise. Gudrun 570, 2
AVate der wise. Gudrun 1131, 2. 1146, 1
Giselher der licre. Klage 444
der here Hector. Eneit 191, 20
Sifrit der snelle. Nibel. 481, 1
den snellen Sifriden. Nibel. 985, 4.
Uäwart der heit starke. Klage 379
Hiltebrant der heit g-uot. Klage 742
Wolfhart der wigant. Klage 1797
Hildbrant dem helede maere. Klage 2244
her Dieterich der degen. Rosengarten 249
Dietleip der degen. Rosengarten 575
Dietleib ein degen guot. Rosengarten 699
Morunc der junge man. Gudrun 211, 1
170 Zingerle
Hagene der herre. Gudrun 318, 1
Hetele der herre. Gudrun 349, 3. 522, 1
Ortwfn der junge, der heit üz Ortlant. Gudrun 716, 1
dz Ortlande der degen Ortwin. Gudrun 920, 1
üz Ormanie Ortrün. Gudrun 1039, 1
Ortrün Yon Ormanielant. Gudrun 1478, 1
Hetele von Hegelinge lant. Gudrun 314, 1
üz Hegelinge Hetele. Gudrun 317, 3
Hetelen von den Hegelingen. Gudrun 426, 3
Walther von dem Wasgenstein. Rosengarten 32. 235. 409.
Wide von Waschonie. Strickers Karl 1747
Walther der wigant. Strickers Karl 1756.
Mit Ilsan alliterirt der Name des Klosters: Ilsinberg, Isenburg.
(Rosengarten S. XVII.)
Überdies begegnen uns im Mittelhochdeutschen viele alliteri-
rende Redensarten, die uns abhanden gekommen sind, einst aber
der Erzeugung alliterirender Verse sehr förderlich waren. Ich ver
weise nur auf einige derselben :
Schermen springen scliiezen den schaft. Eraclius 2666
diese scliuzzen den schaft. Mai 4, 15
mit den sclieften scliiezen. Gudrun 813, 4
si schuzzen starke schefte. Gudrun 1398, 2
und scliiezen wol den schaft. Hugdietricli 265, 3
und die schefte sehiezen. Lanzelet 287
oder schuzzen den schaft. Nibel. 130, 4
si sehöz mit snellen degenen umbe minne den schaft. Nibel. 329, 4
dick schuzzen si den schaft. Biterolf 3382
ir genuoc sehuzzen den schaft. Biterolf 5946
jene schuzzen den schaft. Krone 693
dar zuo scliiezen den schaft. Tristan 54, 35
genuoge schuzzen den schaft U. Tristan 510, 39
den schaft scliiezen und springen. Graf Rudolf (6) 7'’
Schermen under Schilden. Gudrun 253, 3
schirmen mit den Schilden. Nibel. 310, 3
und schermen mit den Schilden. Rol. 21, 25
Da suln wir helme houwen. Rosengarten 332
da seht ir helme houwen. Nibel. 196, 3
Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
171
ir lielme garwe zeliouwen. Rol. 208, 8
Der was ein heit zen handen. Nibel. 1620, 2. 1643, 4
ein reliter heit zen handen. Nibel. 1653, 3
einen heit ze sinen handen. Nibel. 1831, 3
er was ein lielt zen handen. Nibel. 2021, 4
ein tiurer heit ze sinen handen. Gudrun 20, 4
er was ein lielt ze sinen handen. Gudrun 185, 4
er ist ein maerer lielt ze sinen handen. Gudrun 348, 4
selbe ist er ein lielt ze sinen handen. Gudrun 475, 4
beide zen handen. Parz. 48, 30
der ist ein lielt zuo der liande. Biterolf 5080
was ein lielt ze siner haut. Wigalois 193, 30
ain lielt zu dinen handen. Rol. 131, 10
er ist ein lielt zu sinen hanten. Rol. 106, 12
Vergl.
vil guote recken zuo ir handen. Gudrun 506, 4
er wart ein degen maere ze sinen handen. Gudrun 574, 4
daz waren recken zuo ir liant. Dietricli’s Ahnen 9277
So hüben wir unsich hinnen. Rol. 234, 5.
daz wir uns heben hinnen. Nibel. N. 1099, 2.
Nehmen wir die früher erwähnten sprichwörtlichen alliteriren-
den Verbindungen und Redensarten in Betracht, so darf es uns
nicht wundern, dass sehr viele regelrecht alliterirende Verse sich
von selbst ergaben, ohne dass der Dichter solche beabsichtigte.
Allein auch solche begegnen uns nicht selten, die uns das volle
Streben des Dichters zeigen, durch Alliterationen den Vers zu
schmücken. In einer Zeit, wo man für Kling und Klang so empfäng
lich und eingenommen war, dass man an Kleidern selbst Glöcklein
trug, mussten die Leser an derartigen klingenden Spielereien in
Versen besonderes Behagen finden. Wolfram enthält sich des ge
suchten Geklingels, Walther gebraucht die Alliteration, um seinen
Versen besondere Kraft zu geben, z. B.:
so starke staete widerstrebe. W. 1, 20
ez wuohs ze Worte und wart ein man. W. 4, 14
die stritent starke stürme. W. 9, 19
sam des boesen boeser barn 19, 11
so swinge ich im den swinden widerswanc 30, 7
172
Z i i) g e r I e
sie widerwürkent siniu werc. W. 30, IS
ich weiz der wibe willen wol. W. 183, 2.
Gleiches gilt von Singenberg, seinem Schüler, wenn er singt:
der werden wirde wirdet mich 221, 11.
Als rythrnische Malerei fasse ich die alliterirenden Verse:
da lac lip unde lip. Tristan 437, 17
do liep bi liebe lieplich lac. Mai 93, 34
der nahen bi bi liebe lieplich lit. Lichtenstein 104, 29
wa liep bi herzenliebe liget. Wittich 1798
swie lieplich liep bi liebe lac. Lohengrin 6821
die naht si lieplich lägen
liepliclier lieb si pflägen. Meieranz 12333
ein swinder wint Yon ir swerten waete. Rabenschlacht 676
sam ez ein bläsbalk blaete. Rabenschlacht 748
die sluogen üf ein ander siege swaere. Rabenschlaeht 707.
Allein schon frühe, wohl durch Tristan angeregt, wird die Alli
teration gehäuft und artet in Spielerei aus. Bei Lichtenstein finden
wir schon derartige Verse, z. B.:
Guotiu wip, ir helfet wünschen daz ich werde der vil lieben werden
also wert. 400, 20
würde ich immer von ir mines Wunsches so ze wünsche und also
wünnecliche gewert 400, 22
Si vil minneclichiu guote, guot von reliter güete, guot für ellia
guoten wip 401, 3.
Ein auffallendes Beispiel hievon geben auch folgende Verse
Neidhart’s:
Lieben wän
hat min lip nach liebe.
deist wol getan.
liep vor allem liebe ich mir ze liebe hän
liep erkorn.
liep ze liebe hat gesworn
mit eiden.
diu liebe ist ungescheiden 13, 3.
Die Alliteration hei mittelhochdeutschen Dichtern.
l?3
Und Neif’en's Stelle:
Wie kan iemer iemen sanfter werden,
dan der liep durch rehte liebe minnet
linde im liep in liebe fröide meret?
der hat himelriche hie üf erden,
ob er sich gein liebe wol versinnet
unde in liep in liebe liebe leret.
Minne kan sich liep dur liebe lieben,
daz tnot si nilit wan eilt minne lieben,
rehtiu liebe ist valscher liebe grau 14, 17.
Bei Konrad von Wiirzburg finden wir Verse wie:
als in daz warf sich wirret wevel. Troj. Kr. 25639
den clagten si mit clagender clage. Troj. Kr. 44109
mit lieplichem gewinne
Ion von lieplicher minne. Troj. Kr. 43705
wan si wänden äne wan. Troj. Kr. 48137
wisüclie nach wiser art. Troj. Kr. 48887
nieman des wilden waldes worst. Troj. Kr. 118,
an denen uns der gesuchte Gleichklang missfallen muss. Am auffal
lendsten tritt die gehäufte Alliteration manchmal im jüngeren Titurel
hervor, z. B.:
Vil liebez liep beleip alhie, vil liebez liep var danne. 717, 1
an gesunt libes und lebenes lebten dester lenger lebeliche. 1640, 4
in wildes walt gevelle send ich dir wilden boten wildecliche
und wilden brief mit der botscliefte. 1845, 2
freude sint frowen und froweu freude die beide.
durch frowen freud genennet wart, er habe undanc der frowen
freude leide. 1953, 3.
Derartige Verse erinnern beinahe an die alliterirenden Sprech
übungen für Kinder, deren eine wir im „Windbeutel“ (Keller’s
Erzählung) finden:
ein flig die prewt ein praw von pir. 492, 26.
Wir schliessen hiemit unsere Untersuchung. Das Ergebniss
derselben ist, dass die Alliteration, nachdem der alte alliterirende
Vers durch Otfried's Vorgeben beseitigt war, in so zahlreichen
174 Z i n g e r 1 e , Die Alliteration bei mittelhochdeutschen Dichtern.
Wortverbindungen und Redensarten fortlebte, dass unwillkürlich
Verse mit drei Liedstäben sich bildeten. War auch die alliterirende
Versform als solche längst verschwunden, so griff die freie Allitera
tion seit dem Ende des 12. Jahrhunderts desto mächtiger um sich
und wurde von den Dichtern auch absichtlich theils zur rhytmischen
Malerei, theils als blendende Spielerei benützt. Fassen wir die alli-
terirenden Verse des Nibelungenliedes in's Auge, so müssen wir die
meisten derselben als rein zufällige bezeichnen, wenige mögen vom
Dichter beabsichtigt worden sein, um ihnen mehr Fülle, Kraft und
Wohlklang zu geben. Nie und nimmer kann sich aber die Annahme
Vilmar’s, dass die alliterirenden Verse Trümmer der alten Lieder
sind, bei solchem Sachverhalte geltend machen lassen.
S i c k e 1, Beiträge zur Diplomatik.
175
SITZUNG VOM 20. JULI 1864.
Beiträge zur Diplomatik. III.
Die Mundbriefe, Immunitäten und Privilegien der ersten Karolinger
bis zum Jahre 840.
Von Dr. Th. Sickel.
VORWORT.
Die Abhandlung, die ich hiermit der kais. Akademie vorlege, ist
eine durch eine grössere Arbeit veranlasste Vorarbeit, und ich muss
einige Worte über jene vorausschicken, um die Aufgabe, die ich mir
für diese gestellt habe, zu bezeichnen.
Ich bin mit Herausgabe von Regesten der Urkunden der Karo
linger, zunächst für die Periode bis 840, beschäftigt. Es ist hier
nicht der Ort ausführlich darzulegen, inwiefern Böhmer's seiner Zeit
mit Recht Epoche machendes Werk gleichen Inhalts den Anforderun
gen der heutigen Wissenschaft nicht mehr entspricht, und es ist hier
nicht der Ort alle die Puncte aufzuzählen, in denen sich mein Rege
stenwerk von jenem vor dreissig Jahren erschienenen unterscheiden
soll: nur was gelegentlich der grösseren Arbeit mich veranlasst hat,
die folgenden Untersuchungen anzustellen und zu veröffentlichen,
habe ich hier zu erwähnen. Ich finde, dass die Auszüge aus den
Karolingerurkunden bei Böhmer in den meisten Fällen nicht
erschöpfend genug, in manchen Fällen geradezu unrichtig sind; ich
finde ferner, dass Böhmer verhältnissmässig wenig für kritische
Sichtung der betreffenden Urkunden gethan hat. Sich von diesen
Mängeln zu überzeugen, braucht man nur die Karolingerregesten
Böhmer's mit seinen späteren, in jeder Hinsicht einen grossen Fort
schritt bekundenden Regestenbänden zu vergleichen, und um diesen
176
S i c k e 1
m
wusmPmm
Mängeln abzuhelfen, genügt es nach dem Muster der späteren Werke
Böhmer’s auch die Karolingerregesten umzuarbeiten. Das ist eine
der Aufgaben, welche ich mir für jene grössere Arbeit gestellt habe,
und einen Beitrag zu ihrer Lösung soll diese Abhandlung bilden.
Ein gules Regest zu machen ist nicht so leicht und ist beson
ders schwer bei den älteren Ui künden, bei denen in der Regel nicht
der historische, sondern der Rechtsinhalt das Wichtigere ist und
auch im Urkundenauszuge seinen entsprechenden Ausdruck finden
muss. Den Rechtsinhalt festzustellen ist aber eben so gut die Auf
gabe des Rechtshistorikers als des Diplomatikers, denn das Ver-
ständniss der Diplome setzt genaue Kenntniss der in ihnen berührten
Rechtsverhältnisse, Institute, Gewohnheiten und ihrer sieten Entwicke
lung voraus. Es ist, wenn man an diese Aufgabe gebt und überhaupt,
wenn man sich in der Hermeneutik der Urkunden versucht, ganz
gleichgiltig wie die am Anfang dieses Jahrhunderts so oft erörterte
und doch nicht zum Austrag gekommene Frage über den Umfang
der Diplomatik als Wissenschaft und über ihr Verhältniss zu anderen
Wissenschaften entschieden wird; in der Praxis stellt sich eben
heraus, dass der Diplomatiker um Urkunden zu verstehen und sie
auch ihrem Inhalte nach zu beurtheilen, die verschiedensten Dis-
ciplinen, am häufigsten aber die Rechtsgeschichte zu Rathe ziehen
muss. Ich komme darauf zurück, nachdem ich dargelegt haben
werde, welchen nicht ganz neuen Weg ich eingeschlagen habe, um
für die Regesten den Rechtsinhalt der mich beschäftigenden Urkun
den festzusteilen.
Schon der erste Herausgeber älterer Formeln Bignon hat auf
das Verhältniss zwischen Formeln und Urkunden hingewiesen und
gezeigt, wie sie sich gegenseitig erläutern und ergänzen. Zahlreiche
Arbeiten (unter diesen ist mir nur die so seltene von Seidensticker
unbekannt geblieben) haben seitdem das Verhältniss näher dargelegt.
Indem man nun mit Recht den Formeln als Zeugnissen allgemeiner
Giltigkeit den Vorzug gegeben, hat man sich auch mit Vorliebe der
Erklärung derselben, eventuell mit Zuhilfenahme von Urkunden, zu
gewandt. Seltener und stets nur in Bezug auf einzelne Stücke ist
es geschehen, dass man umgekehrt für die Auslegung und Beur-
theilung der Urkunden die Formeln herbeigezogen hat, und wenn
auch einzelne Diplomatiker, wie in England Madox, bei uns Schöne-
rnann eine derartige Methode empfohlen haben, so ist sie doch noch
Beiträge zur Diplomatik.
ITT
nie in grösserem Massstabe, noch nie in einer die Urkundenwissen
schaft wahrhaft fördernden Weise in Anwendung gebracht worden.
Allerdings war auch in den meisten Fällen die erste Vorbedingung
für solche Bearbeitung des urkundlichen Materials noch nicht gege
ben. Soll nämlich die Vergleichung der Urkunden mit den Formeln
zu einigermassen sicherem Ergebnisse führen, so muss sie sich bis
auf die einzelnen Worte, ja für Zeiten, in denen die allgemeine
Urkundensprache des Mittelalters durch Barbarismen und Solöcismen
zu einer eigenthümlichen gestempelt wird, bis auf die Wortformen
erstrecken. Dazu gehört aber, dass der Urkundenvorrath in mög
lichstgetreuen, so weit Originale erhalten sind, in ihnen entsprechen
den, sonst doch wenigstens in die je älteste Überlieferung wieder
gebenden Texten vorliege. Unsere Drucke von Karolingerdiplomen
genügen dafür im Allgemeinen noch nicht. Und nur nachdem mir es
gelungen war, mir für die grosse Mehrzahl der Diplome dieser Zeit
correcte Texte zu verschaffen, habe ich es unternehmen können,
jene vergleichende Bearbeitung sämmtlicher Königsurkunden von
751 — 840 in Angriff zu nehmen.
Zunächst fand sich nun dabei, dass sich von den einst in der Kanz
lei gebrauchten Formeln nur der kleinere Theil bis auf unsere Zeit
erhalten hat; insoweit also die Formeln in unseren Sammlungen
fehlen, galt es wenigstens annähernd aus den mehr oder minder
übereinstimmenden Urkunden die ihnen zu Grunde liegenden, von
den Notaren benützten Schemata festzustellen, um sie dann eben so
wie die Marculf’schen oder die von Carpentier veröffentlichten For
meln für die Interpretation und Kritik der betreffenden Urkunden zu
verwerthen. Zugleich musste auch constatirt werden, bis zu welchem
Grade einerseits bei den einzelnen Urkundenarten, andererseits in
den verschiedenen Zeitabschnitten der gewählten Periode die Über
einstimmung zwischen den Kanzleiformeln und den nach ihnen
geschriebenen Ausfertigungen gegangen ist. Was sich bei diesem
Vorgänge zunächst ergab, ist Folgendes. Stellte sich z. B. heraus,
dass eine Urkunde ihrem ganzen Wortlaute nach einer zu derselben
Zeit nachweisbaren Formel über dasselbe Rechtsverhältniss und
eben so den gleichzeitigen und gleichartigen Diplomen gleich abge
fasst ist, so konnte sofort, was ihnen im Inhalt und Ausdruck gemein
sam ist, als damalige Norm für das betreffende Verhältniss betrachtet
werden ; fand sich dagegen bpi sonstiger Gleichheit in einem der
Sitzb. d. phil.—hist. CI. XLI1. Bd. I. Hft. f3
178
S i c k e 1
Diplome noch ein Zusatz, so musste dieser offenbar auf Rechnung
des speciellen Falles gesetzt werden. Oder hielt ich die zu bestimm
ter Zeit neben einander in Gebrauch gewesenen Formeln wesentlich
gleichen Inhalts , aber differirender Fassung und eben so auch die
ihnen entsprechenden Urkunden zusammen, so liess sich mit Sicher
heit erkennen, welches etwa sachliche, welches den Inhalt nicht
berührende, sondern nur stylistische Unterschiede waren. Verglich
ich endlich mit einander denselben Gegenstand behandelnde For
meln und Diplome aus verschiedenen Zeiten, so Hessen sich mit
Leichtigkeit die Phasen unterscheiden, welche in steter Fortbildung
begriffen das Rechtsleben und die Rechtssprache durchlaufen haben.
Jedenfalls war das der sicherste Weg sowohl den den allge
meinen Verhältnissen entsprechenden, als den dem speciellen Falle
ungehörigen Rechtsinhalt der einzelnen Urkunden festzustellen:
jener liess sich dann auch im Regest unter eine allgemeine Formel
oder, insofern auch noch die Fassung Berücksichtigung verdiente,
unter gleichartige Formeln bringen, dieser liess sich besonders
bezeichnen. Und damit war zugleich ein sicherer Massstab zur
Beurtheilung derjenigen Urkunden gewonnen, über deren Echtheit
in Folge der schlechten Überlieferung nur auf Grund des Inhalts
entschieden werden kann. Derartiger Urkunden gibt es namentlich
aus der älteren Zeit sehr viele. Wollte man diese, weil sie den von
der Wissenschaft erkannten Regeln über die formellen, von der Diplo
matik allerdings stets in erster Linie in Betracht zu ziehenden Merk
malen nicht entsprechen, wollte man sie blos ihrer Form wegen als
verdächtig, als nicht brauchbare Zeugnisse verwerfen, so würde man
wahrlich aller historischen Wissenschaft einen schlechten Dienst
erweisen. Es gilt vielmehr auch in solchen Fällen noch einen
Massstab, mit dem sich der materielle Inhalt der Urkunden messen
lässt, festzustellen und zu constatiren, was zu einer gegebenen Zeit,
unter den obwaltenden Umständen u. s. w. Rechtens war, also auch
in einem speciellen Falle, trotz der formellen Mangelhaftigkeit des
Zeugnisses als möglich angenommen werden kann.
Es ist den Regesten, die ich veröffentlichen will, Vorbehalten,
die Summe der Ergebnisse dieser Arbeit darzustellen. Aber wenn es
auch überflüssig ist, die derartige Vergleichung und Beurtheilung
von mehr als tausend Urkunden in voller Ausführlichkeit darzulegen,
so scheint es mir doch nothweridig an einzelnen Beispielen das von
Beiträge zur Diplomatik.
179
mir eingeschlageiie Verfahren zu zeigen. Und dazu empfahl sich
solche Kategorien von Urkunden der Karolingerzeit auszuwählen,
welche ihrem Inhalte nach die wichtigsten sind; ich habe also aus
dem gesammten Urkundenvorrath die herausgegriflfen, welche von
Mundium, Immunität und Klosterprivilegien, d. h. von Verhältnissen
handeln, welche einen wesentlichen Theil der damaligen Verfassung
ausmachen.
So sollen diese und sich unmittelbar anschliessende weitere
Beiträge zur Diplomatik von den Mundbriefen, Immunitäten und
Privilegien der Karolinger vorzüglich bis 840 handeln. Es sollen
hier weniger die Merkmale formeller Art dieser Urkunden in
Betracht gezogen werden, als der materielle Inhalt derselben
und dessen stilistische Fassung. In erster Linie soll das durch
Vergleichung der säinmtlichen Urkunden desselben Inhaltes unter
einander und mit den auf uns gekommenen Formeln geschehen,
um so festzustellen, was in diesen Diplomen von sachlicher und
was nur von stilistischer Bedeutung ist, ferner was in der einen
und andern Hinsicht das Allgemeine und das Besondere ist. Das
zu unterscheiden genügte doch aber eine blosse Vergleichung des
Wortlautes nicht; mit ihr Hand in Hand musste eine sachliche Er
klärung der Worte und Begriffe gehen , Erörterungen über die in
den Urkunden berührten und von ihnen bezeugten Verhältnisse,
also Erörterungen nicht mehr diplomatischer, sondern rechts
historischer Art. Natürlich habe ich dafür vor Allem die betreffenden
rechtsgeschichtlichen Arbeiten zu Rathe gezogen. Aberauehdie besten
derselben haben mich vielfach in Stich gelassen: hier und da hei den
wichtigsten in den Diplomen berührten Fragen, häufiger noch bei unter
geordneten. Nicht die Rechtshistoriker trifft derVorwurf dass dem so
ist, sondern vielmehr die Diplomatiker, welche jenen noch viel vorzu
arbeiten haben, um sie in den Stand zu setzen, mit grösserer Sicher
heit die echten von den unechten Zeugnissen zu unterscheiden, und
das gut verbürgte urkundliche Material erschöpfend zu verwerthen.
Insoweit ich nun über einzelne Puncte meinen Zwecken entspre
chende Aufschlüsse nicht fand, habe ich mich selbst auf Untersu
chungen über dieselben einlassen müssen. Oft konnte ich dabei nicht
mehr thun als die Fragen zu formuliren, und was noch der Erklä
rung harrt, zu bezeichnen. Über andere Puncte dagegen glaube ich
zu gewissem Abschlüsse gekommen zu sein. Jedenfalls beruhen diese
12*
180
S i c k e 1
meine in das Gebiet der Rechtsgeschichte hinüberreichenden Erör
terungen auf einer, ich darf es sagen, umfassenden Kenntniss und
eingehenden Prüfung des gesammten Urkundenvorrathes von den
ältesten Zeiten bis zum Ausgang des IX. Jahrhunderts, und das wird
ihnen selbst dann Werth verleihen, wenn sich nicht alle von mir
gezogenen Folgerungen bewähren sollten. Denn dessen bin ich mir
wohl bewusst, dass es eine einseitige Betrachtung ist, wenn man an
gewissen Urkundenarten, wie sie den Ausgangspunct und eigentlichen
Gegenstand dieser Untersuchungen bilden, festhaltend, nur einzelne
eben in ihnen berührte Verhältnisse erörtert, und dass sie einer
Ergänzung und Berichtigung durch Arbeiten bedarf, welche diese
Verhältnisse auf Grund aller Arten von Zeugnissen und im Zusam
menhänge mit der gesammten Verfassung in Betracht ziehen.
Die erste Abhandlung nun beschäftigt sich vorzüglich mit den
Schutzbriefen und dem Mundium, ferner mit den Immunitäten im
Allgemeinen und mit der Verbindung von Mundium und Immunität.
Die folgende wird dann handeln von den Privilegien und deren Zu
sammenhang mit den beiden anderen Urkundenarten, weiter von
den Vorbedingungen und den Einzelbestimmungen der Immunität;
nachdem so der Rechtsinhalt und die Fassung der betreffenden
Kategorien festgestellt ist, werde ich zum Schluss von den ihrem
Inhalte nach unechten Diplomen handeln.
Für die Formeln bediene ich mich der neuesten Ausgabe von
Roziere: Recueil general des formules, 2 vol. Paris 1859, und citire
nach deren Nummern. Leider ist die Einleitung zu diesem Werke
noch nicht erschienen, welche schon benutzen zu können, nach dem
was mir der Verfasser von derselben mitgetheilt hat, für mich sehr
wichtig gewesen wäre. Da aber Roziere’s Buch wohl nicht sehr ver
breitet ist, gebe ich bei allen von mir ausführlich besprochenen For
meln auch das Citat nach den älteren Ausgaben an.
Die Merovingerurkunden führe ich durchgängig nachPardessus
Diplomata ad res Gallo-Francicas spectantia, 2 vol. Paris 1843 an,
obwohl ich vielfach correcterer Drucke oder Abschriften mich bedient
habe. Sowohl bei diesen als den Urkunden der Karolinger füge ich,
sobald ich sie in dieser oder der folgenden Abhandlung eingehender
bespreche, die für diese Arbeit oft wichtige Angabe hinzu, ob das
betreffende Stück in Original erhalten ist oder in Copien, und in
letzterem Falle, welcher Art die Copien sind; in den meisten Fällen
Beiträge zur Diplomatik. 181
beruht diese Angabe auf eigener Prüfung der auf uns gekommenen
Schriftstücke.
Was endlich die Karolingerdiplome, welche den Hauptgegen
stand dieser Untersuchungen bilden, anbetrifft, so habe ich fast
sämmtliche noch erhaltene Originale selbst abgeschrieben oder mir
zuverlässige Abschriften von ihnen verschafft, eben so eine grosse
Anzahl von Copien; ich verfüge daher über ein Material, wie es so
vollständig und so correct in den Ausgaben noch nicht vorliegt.
Dass ich nicht auch die inPertz’Händen befindlichen und noch etwas
reichhaltigeren Abschriften habe benützen können, bedaure ich. Die
Karolingerurkunden, wenn ich auf ein Stück nur im Allgemeinen
hinweisen will, bezeichne ich nach den ihnen in Böhmer's Regesten
gegebenen Nummern; wird aber eine derselben näher erörtert, so
führe ich an der betreffenden Stelle denjenigen Druck derselben an,
den ich für den besten halte; bei wiederholter Anführung dagegen
citire ich auch diese Stücke der Kürze wegen nach Böhmer’s Num
mern. Im Übrigen habe ich dem Leser das Nachschlagen der Ur
kunden dadurch nach Kräften zu ersparen gesucht, dass ich die in
Betracht kommenden Stellen, so weit es nöthig war, wörtlich ange
führt habe. Ich selbst habe zu oft die Erfahrung gemacht, dass sich
einUrtheil über derartige Untersuchungen ohne Einblick in die Beleg
stellen gar nicht bilden lässt und dass es für den, der nicht alle
Urkundensammlungen zu eigener Verfügung hat, sehr schwer und
oft geradezu unmöglich ist, alle die Belege nachzusehen. Durch die
häufigen wörtlichen Anführungen hoffe ich also jeden Leser in den
Stand zu setzen, meinen Erörterungen Schritt für Schritt nachzu
gehen und sie der strengen Prüfung zu unterziehen, welche mir
selbst um der Sache willen erwünscht ist.
182
S i e k e 1
Die Formeln für die Mundbriefc im VIII. Jahrhundert.
Wer nur einigerniassen mit der Entwickelung der Urkunden
sprache im VII., VIII., IX. Jahrhundert vertraut ist, wird auf den
ersten Blick unter den zwölf auf Mundium bezüglichen Formeln die
uns bekannt sind, einige als der Zeit vor 800 angehörig unterschei
den, nämlich Roz. 9, 10, 11. Halten wir zunächst an diesem durch
die Sprache gegebenen Merkmale fest, um die Mundiumsformeln bis
zum Ausgang des VIII. Jahrhunderts näher zu betrachten.
In Roziere 9 der Sammlung Marculf’s (1,24) entnommen, begeg
net uns eine bis in's VII. Jahrhundert zurückreichende Formel: auf
diese Zeit weisen mehrere in ihr enthaltene Bestimmungen hin. Es
ist besonders zu betonen, dass die Zusicherung des Mundiums durch
den König erfolgt: sub sermonem tuicionis 1 ) nostrae visi fuimus
recepisse — ut sub nostro sermone quietus resedeat, die Ausübung
aber dem Hausmaier überlassen wird: sub mundeburde vel defen-
sione inlustris viro illo maioris domus nostri — inlustris vir ille
causas ipsius in palacio nostro sequere deberet. Auch die Über
schrift: carta de mundeburde regis et principis passt am füglichsten
für die Zeit, in der der König noch der Repräsentant des König
thums war, die ausübende Macht aber bereits in den Händen des
als princeps bezeichnten Maiordomus lag.
Dem würde allerdings Roziere 10 = Lindenbrog 38 nicht
entsprechen, falls diese Formel, welche zwar dieselbe Überschrift
trägt, aber nur vom König und mit keinem Worte von dem Haus-
maier spricht, in der uns vorliegenden Fassung, wie von vielen und
so auch von dem neuesten Herausgeber angenommen wird, in die
Zeit vor Pippin gesetzt werden müsste. Als Grund dafür führt
Roziere an, dass es im Eingang nur heisst: ille rex vir inluster,wäh
rend seit Pippin die Worte dei gratia in den Titel aufgenommen
seien. Dem entgegen haben andere wie Rolli (BeneficiaUvesen 103
n. 225 und Fcudalität 267) um der Schlussformel willen: manu
propria subter firmavimus et de anulo nostro sigilavimus die Formel
!) Ich citire nicht immer den von Roziere nach der ältesten Überlieferung- aufge-
stellten Text, sondern setze hier, wo es sich um das klare Versländniss des Wort
lautes handelt, eventuell auch von dem Herausgeber nur in den Anmerkungen mitge-
theilte Lesarten in die Citate ein.
Beiträge zur Diplomatik.
183
als karolingisch bezeichnet. Ich stimme der letzteren Ansicht bei,
glaube aber dass sie noch bestimmter formulirt werden kann und
besser begründet werden muss. Zunächst ist Roziere durch eine
bis heute auch unter den Diplomatikern gang und gäbe und doch
unhaltbare Behauptung irre geführt worden; es ist nämlich unrich
tig, dass schon Pippin den Titel dei.gratia rex angenommen habe.
In der neueren Zeit hat man wohl schon zugegeben, dass sich
dafür nur zwei entscheidende Belege beibringen lassen. Um so
inehr hätte man sich gegenüber der beträchtlichen Zahl von Urkun
den, welche diesen Titel nicht enthalten, vor Deutungen hüten
müssen, wie: „diese Formel entspricht der religiösen Weihe die
das neue Regentenhaus zu seiner Kräftigung benöthigte und in der
engeren Verbindung mit der Kirche erhielt und bekundete.“
Wie steht es nun mit den zwei Belegen? Man citirt erstens die
Encyclica in Pertz LL. 1, 32. Sie ist aber nur in Abschriften auf
uns gekommen, und so wenig man sich gegenüber dem Zeugniss
von den Originalurkunden B. 7. 11. 14. 15. 22. 27 mit dem Titel
P. rex Francorum vir inluster auf gratia dei z. B. in der Copie B. 24
berufen mag, so wenig sollte man die Abschrift jenes Rundschrei
bens anführen. Zweitens begegnet jene Formel in Pippin’s Schen
kung an S. Denis vom Sept. 768 in Bouquet 5, 707, Nr. 16 (Fac-
similc in Nouveau traite pl. 92) nach einem Schriftstück im Pariser
Archiv, dessen Originalität bis heutigen Tages allerdings von allen,
auch noch von Tardif (Monuments historiques Nr. 62) angenommen
worden ist. Muss es nicht aber, namentlich denen die schon Pippin
eine Tendenz beilegen wollen, als deren Ausdruck die betreffenden
Worte allerdings zu betrachten sind, autfallen, dass diese Worte in
den drei von Pippin am Tage vor seinem Tode ertheilten Diplomen
B. 25, 26, 27 nicht Vorkommen?
Und wollte man auch, wie in der That vorgeschlagen ist, die
obige nur nach dem Monate datirte Schenkung als den letzten Act
des Königs am 23. oder 24. Sept. ausgestellt betrachten, so würde
noch immer das vereinzelte Vorkommen dieses Titels um so mehr
Bedenken erregen müssen, als die’oben genannten drei Urkunden
mit anderem Titel auch vom 23. Sept., also jener gleichzeitig sind.
Alle auf dies Diplom gestützten Behauptungen fallen aber damit,
dass dasselbe zwar seinem Inhalte nach unbedenklich ist, aber nur
als eine um 800 angefertigte, die Form der Authentica nachahmen-
184
S i c k e 1
de Copie auf uns gekommen ist. Man lese nur mit der nöthigen
Aufmerksamkeit den Text bei Bouquet, der bis auf drei Fehler in
den Namen Sprache und Schreibweise des Apographum getreu
wiedergibt, um sich zu überzeugen, dass die grammaticalisehen und
orthographischenFormenweit correcter sind,als in allenaus der Kanz
lei Pippin's hervorgegangenen Diplomen und etwa auf die Zeit um 800
hinweisen. Dazu kommt dass, was ich an diesem Orte allerdings nicht
ausführen kann, die äusseren Merkmale des Schriftstückes ebenfalls
denen der Pippin’schen Originalausfertigungen nicht entsprechen. Die
Formel gratia dei rex lässt sich also durch kein einziges Autographum
belegen und ist überhaupt dem Protokoll des Königs Pippin fremd.
Damit fällt auch die Begründung von Roziere’s Behauptung,
dass Roziere 10 in dieser Gestalt vor Pippin entstanden sein
müsse. Doch mag hier gleich, was auch für andere Formeln in
Retracht kommt, bemerkt werden, dass die Formeln eigentlich die
Eingangs- und Schlussformeln der Diplome gar nicht zu berück
sichtigen haben, denn sie sollen die Fassung der Urkunden zunächst
ohne das unter den verschiedenen Fürsten sich modificirende
Protokoll darstellen, und so sind denn auch die meisten Formeln,
z. B. Roziere 16, 20 u. a. aus Marculf, Roziere 17, 18, 19 u. a.
aus der Zeit Ludwig des Frommen ohne Protokoll auf uns gekommen.
Wenn einzelne Formelsammler davon abweichen, so behandeln doch
auch sie die Theile des Protokolls in der Regel als Nebensache, so
dass man sich auf den Wortlaut, in dem sie diese für die Formel
überlieferung unwesentlichen Theile wiedergeben, nicht unbe
dingt verlassen darf. Als Beweis dafür kann Roziere 10. selbst
gelten. Der hier gebrauchte Titel ist in jedem Falle incorrect, wir
mögen die Formel für merovingisch oder für karolingisch halten.
Denn vermissen wir in Vergleich mit den Diplomen der Söhne
Pippin’s, welche zuerst dei gratia anwenden, diese Worte, so vermissen
wir ebenso in Vergleich mit den Urkunden derMerovinger und Pippin’s
den durch sämmtliche Originale bezeugten Zusatz Francorum.
Betrachten wir nach diesem Vorbehalte die übrigen hier noch
erhaltenen Theile des Protokolls, so müssen wir mit Roth aner
kennen, dass die ganzen Schlussformeln karolingisch sind und
annähernd so unter Pippin , Carlomann und Karl vor 800 Vor
kommen. Aber wir können noch über das Resultat, dass demnach
die uns vorliegende Aufzeichnung von Roz. 10 erst unter dem
Beiträge zur Diplomatik.
185
neuen Königsgeschlechte stattgefunden haben kann, hinausgehen und
die Frage aufweifen, wann die eigentliche Formel zuerst entstanden
sein mag. Unter die letzten Merovinger können wir sie, da der
Hausmaier nicht gedacht wird, nicht füglich setzen. Gegen die
Entstehung unter den neuen Königen sprechen aber auch einige
Ausdrücke, die wir gleich näher in Betracht ziehen werden, und
dann vor Allem die Thatsache, dass die wesentlich gleiche Fassung
uns schon in dem Schutzbriefe des Hausmaier’s Pippin für Honau a.
748 Pard. Nr. 599 begegnet. Wir können also diese Formel bis in
die Kanzlei der noch nicht königlichen Arnulfiger zurück verfolgen:
dort entstanden istsie dann auch nach derErhebung dieses Geschlechtes
beibehalten worden. Dazu bedurfte es nur der die eigentliche Formel
nicht berührenden Änderung des Protokolls, und indem wir nun die
gleiche Formel mit königlichem Protokoll schon 752 im Schutzbrief
für Anisola B. I angewandt finden, ist zugleich die Eutstehungszeit
der in Roz. 10 vorliegenden speciellen Gestalt nachgewiesen.
Es lassen sich noch einzelne Ausdrücke zur Bestätigung dieser
Ansicht anführen. Über pares et amicos nostros in Roz. 10 und 11
ist schon oft gehandelt, so dass ich nicht noch einmal alle für
die Bedeutung dieser Worte zeugenden Stellen anzuführen brau
che '). Man ist darüber einig, dass par die volle Gleichstellung
oder doch dieselbe in Bezug auf das eben in Betracht kommende
Verhältniss bedeutet. So wird es auch in königlichen Urkunden
gebraucht, wie Pard. Nr. 496 a. 716: quomodo misse ipsius baselice
. . cum paris suos ad vos vinerint, wie im Diplom Ludwig d. F. in
Bouquet 5, 486 a. 816 von Spaniern, qui.. se aut comitibus aut vassis
nostris aut paribus suis se commendaverunt; aber der König nennt nie
seine Untergebenen so und pares regis können nur andere Könige sein,
*) Waitz, Vei l'. Geschichte 2, 221; 3, 448; 4, 198. —Roth Benef. 162. — Eine, so weit
ich micherinnere, noch nicht berücksichtigte Stelle findet sich in Roz. 43 : „mihi
decrevit volnntas ut me in vestrum mundoburdum . . . commendare . , . deberem . . .
et . . . ingenuili online tibi servicinm . . . inpendere debeam . . . unde convenit ut
si unus ex nobis de bas convenentiis se emutare voluerit, solidos tantos pari suo
conponat. Es wird also qui se in alterius potestate commendat, wie es in der
Überschrift der Formel lautet, noch par seines Mundherrn genannt. Es geschieht
das aber nur insofern, als beide in Wirklichkeit noch gleichgestellt sind, nämlich
als convenientes, die gleichlautende Urkunden über das zwischen ihnen begründete
Verhältniss austauschen und sich zu gleicher Busszahlung verpflichten. Par pari suo
componat heisst es sehr oft in jeder Art von Verträgen, indem damit nur
das gleiche Recht der Paciscenten, nicht das sonstige Verhältniss der Betreffen”
den zu einander bezeichnet wird.
186
S i c k e 1
wie im conventus apud Marsnam in LL. 1, 408: ut nemo suo pari
regnum . . discupiat. Ja, auch in keinerUrkunde der Hausmaier lässt
sich nachweisen, dass sie ihre Untergebenen mit pares angeredet.
Etwas anders steht es mit amici. Die von Waitz angeführten
Stellen derScriptores und zwei vereinzelte aus Privaturkunden (darun
ter das schlecht überlieferte testamentum Heddonis) sind für den
Sprachgebrauch in königlichen Diplomen nicht massgebend. Aber
wenn das Wort sich auch in dieseii nicht nachweisen lässt, so findet
es sich allerdings ausser in den genannten Formeln und in den ihnen
nachgebildeten Pard. Nr. 532 und 599 noch in Roz. 31 (App. ad
Marc. 45), während pares nur in Roz. 10, 11 und nicht in den
Nachbildungen vorkommt. Der Wortlaut des indiculum regale bei Roz.
31 macht aber auch den Eindruck, dass es, obgleich jetzt mit einem
denJahren768 — 774 entsprechenden Titel versehen, einer früheren
Zeit,etwa der der Arnulfinger seine Entstehung zu verdanken habe.
Für alle drei Formeln glaube ich daher dasselbe Verhältniss anneh
men zu können. Dieursprünglichen Redacteure derselben und eben so
die späteren Abschreiber mögen es mit Ausdrücken wie pares, amici
minder genau genommen haben, als die eigentlichen Notare; schon
die Notare der Arnulfinger, als sie nach den betreffenden Formeln
Pard. Nr. 532 und 599 zu schreiben hatten, Hessen das der Stellung
ihres Fürsten nicht entsprechende pares fort und Chrodingus, als
er den Schutzbrief des Königs für Anisola auszustellen hatte, auch
das Wort amici.
Noch eine Remerkung zu Roz. 10, 11, welche auch die gleich-
massige Entstehung dieser Formeln und die Umbildung ihres Proto
kolls betrifft. Die Erhebung Pippin’s zum König begründet natürlich
einen wesentlichen Unterschied zwischen den Urkunden des Haus
maiers- und des Königsgeschlechtes. Jene haben in der Anlage, den
Formeln und äusseren Formen noch vieles gemein mit den Urkunden
anderer Grossen, der Ethiconen im Eisass u. a.; diese schliessen sich
den Merovingerdiplomen an. Aber erstens führt die königliche Kanz
lei Pippin’s doch auch einige Neuerungen in die Künigsurkunden ein,
darunter solchedie den für die Hausmaierurkunden aufgestellten Nor
men entsprechen; zweitens begegnen in den erstenDiplomen nach751
noch hier und da Reminiscenzen und Ausdrücke aus den früheren Stü
cken, welche gegen die für königliche Acte geltenden Regeln ver-
stossen. Als Beispiel für jenes führe ich die Art an, wie die zur
Beiträge zur Diplomatik.
187
Bekräftigung dienende Unterschrift nebst Siegel angekündigt wird.
In allen unverderbten Merovingerdiplomen heisst es ungefähr wie in
dem jüngsten Originale derselben Pard. Nr. 504, a. 717: manus nö-
strisubscripcionebns subter eam decrivemus roborare, was vereinzelt
wohl auch noch in Diplomen Pippin’s wie B. 12 für Nantua, Carlo-
mann’s wie B. 32 für Argenteuil, Karl’s wie B. 40 für Corbie, B. 42
für Sitbiu u. s. w. vorkommt, namentlich in solchen Fällen, in denen
wie zumeist nachweisbar, ältere Merovingerurkunden wörtlich abge
schrieben sind. Die eigentliche Karolingerformel dagegen lautet etwa:
manu nostra subter eam decrevimus affirmare et de anulo nostro sigil-
lare, und sie begegnet schon früher dreimal, nämlich Pard. Nr.
532, 598, 599 in solchen Schriftstücken der Hausmaier, in denen sie
gleich den Königen urkunden und in denen überhaupt solche Ankün
digung gebräuchlich ist, was bei anderen Acten, wie bei placita nicht
der Fall ist. Diese Neuerung ist also arnulfingisch und wird aus
Ilausmaierurkunden in die Karolingerdiplome hinüber genommen. So
blieben diese Worte in den unter den Arnulfingern aufgesetzten
Formeln Roz. 10, 11, 31 auch noch, als diese mit königlichem Pro
tokoll versehen wurden, stehen. Der zweiten Art ist der Gebrauch
oder Niehtgebrauch des pluralis maiestatis in Arnulfinger-, dann in
Karolingerurkunden. Da die älteren von jenen nur in Copien über
liefert sind und gerade hier Abschreiber die kleine Veränderung vor-
zunehmen leicht veranlasst sein konnten, wird man nie sicher das
erste Vorkommen des Plurals feststellen können. Es genüge also zu
bemerken, dass die eben genannten Schriftstücke Pard. Nr. 532,
598 nur die Mehrzahl, Nr. 599 abwechselnd Plural und Singular ge
brauchen und dass in den ersten Originalen des Maiordomus Pippin
Pard. Nr. 604, 608 nur der Plural vorkommt. Der Singular verstösst
nun offenbar gegen die für Königsurkunden geltenden Regeln, begegnet
aber doch noch einige Male in Originalen, wie in den gleichlauten
den von Carlomann (in Bibi, de l’Ecol IV, 2, 348) und Karl B. 68,
94, in Urkunde Karl’s in Wirt. Urkb. Nr. 23 und sogar, wo es aller
dings als Versehen, nicht als Reminiscenz zu betrachten ist, in
Ludwig d. F. B. 435 ')•
Dabin gehört ein zweites. Diplome beginnen, ausser dass eine
damals monogrammatische Invocation vorgesetzt wird, mit Namen und
x ) Von abschriftlich überlieferten Diplomen mit Singular neben Plural lülire ich
beispielweise li. 6ö an.
188
S i c k e 1
Titel des Ausstellers. Der Eingang der meisten Hausmaierurkunden
entspricht dagegen dem der Privaturkunden: bald geht ein Prolog voran,
oder die ersten Worte lauten : ego in dei nomine etc., oder wo es sich
um dem Inhalte nach den königlichen gleichkommende Acte handelt,
geht die Anrede demNamen voran. Letzteres ist der Fall in P. Nr. 532,
598, 599, in denen der erste Satz dann mit bene cupiens vester, wie
auch in Nr. 598 zu lesen ist, schliesst. Diese Anordnung behalten
nun auch Roz. 11 und der genau nachgebildete Schutzbrief B. 1
bei; Roz. 10 und 31 aber ändern sie bei der Einführung des könig
lichen Protokolls. Ganz gleich verhält es sich rpit bene cupiens vester,
Worte, die ganz dem durch amicus bezeichnten Verhältnisse ent
sprechen (s. Roz. 427. 428). In Roz. 10 sind sie stehen geblieben,
in Roz. 11 mögen sie ursprünglich auch gestanden haben, da sie sich
in B. 1 noch finden; in späteren Diplomen begegnen sie nie mehr.
Das alles bestätigt die obige Ansicht, dass diese Formeln zuerst
unter den Arnulfingern aufgesetzt, dann nach 751 um königlichen
Diplomen zu entsprechen, mehr oder minder verändert sind.
Nachdemjn alledem auch schon Roziere 11 (Lindenbrog Nr.
177) berücksichtigt ist, habe ich nur noch zu bemerken, dass diese
Formel für Schutzbriefe an einzelne dienen soll, während Roz. 10
die Formel für Schutzbriefe der Klöster ist.
Mundbriefe vor 800.
Von Merovingerfürsten liegen uns nur folgende Schutzbriefe
für Anisola vor: Childebert I. Pard. Nr. 144 a. 546, Chilperich I.
P. Nr. 168 a. 562, Theoderich III. P. Nr. 372 a. 674. Der ersten Ur
kunde dürfen wir nicht recht trauen '), denn sie ist entschieden
stark überarbeitet und zwar, wie die Fassung des Datums und die
Worte de sigillo nostro subter sigillare verrathen, erst gegen Ausgang
des IN. Jahrhunderts. Der Überarheiter kann also auch ihm nicht
bedeutsame Stellen ausgelassen, ihm wichtig oder richtig erschei
nende Zusätze gemacht haben; darum kann das so überlieferte Stück
nicht als Norm für Schutzbriefe des VI. Jahrhunderts betrachtet
werden. Entschieden besser steht es mit Pard. Nr. 168. Nur in zwei
Puncten weicht diese Urkunde von dem Schema ab, wie wir es
durch die weitere Vergleichung kennen lernen werden, in der Enväh-
*) Noch weniger Pard. Nr. 111 a. 528, die nur von des Urkundenwesens ganz Unkun
digen noch angeführt werden kann.
Beiträge zur Diplomatik.
189
nung der inferendae und der emunitas. In letzterer Hinsicht sei
gleich hier bemerkt, wie es mit der eventuellen Vereinigung von
emunitas und defensio später, d. h. unter Pippin und seinen Söhnen
steht. Selbst wenn ein Kloster beide Vergünstigungen erhält, wird
nie in dem eigentlichen Schutzbrief der Ertlieilung der Immunität
gedacht, während in den Immunitätsurkunden häufig, aber auch
nicht immer angeführt wird, dass das betreffende Stift zugleich in
Königsschufz steht. Falls wir diesen Usus auch schon für die voraus
gehende Zeit annehmen dürfen, fällt emunitas in P. Nr. 144 und 168
auf und muss um so mehr Bedenken erregen, da wir aus Pard. Nr. 428
ersehen, dass zuerst König Guntram am Ausgang des VI. Jahrhun
derts Anisola Immunität ertheilte. Entweder beruht also dieses Wort
in den zwei ersten vor Guntram ausgestellten Schutzbriefen auf
Interpolation oder aber es hat noch nicht die Bedeutung der spätem
Immunität, es ist vielleicht nur auf den Erlass der besonderen dort
landesüblichen Abgabe der inferendae 1 ) zu beziehen. Aus dem
Schutzbriefe von 674, in welchem, nachdem dem Kloster eine ganze
Reihe von Immunitätsdiplomen gegeben war, das Wort emunitas
sieb auf diese beziehen kann, hebe ich hervor, dass hier zum ersten
Male, also um dieselbe Zeit, in der Marculf seine Formel gleichen
Inhalts geschrieben haben mag, die Ausübung des Schutzes dem
Maiordomus übertragen wird. — Die Schutzbriefe der Arnulfinger
sind, so weit es hier nöthig ist, schon oben besprochen worden.
Ehe ich nun zu den Mundbriefen der karolingischen Könige
übergehe, muss ich eine allgemeine Bemerkung vorausschicken. Die
Kanzlei hat nämlich vielfach in eine Urkunde Bestimmungen ver
einigt, welche in anderen Fällen in mehreren getrennten Urkunden
erlassen werden. Am häufigsten finden wir so Immunitätsertheilung
und Verfügung über Wahl der Abte oder andere Privilegienbestim
mungen zusammengefasst. Fälle anderer Vereinigung, die unter
Ludwig d. F. besonders häufig werden, sind: Immunität und Zoll
befreiung, wie für Trier a. 772 bei Beyer oder B. 288, Immunität und
Apennis B. 224, Immunität Schenkung und Wahl B. 477, Immunität
und Tauschlicenz B. 364, Immunitätund Restitution B. 417, Tausch-
licenz, Schenkung und Wahl B. 363, Schutzertheilung und Wahl
*) Waitz V. G. 2, 503. — Inferendae lassen sich aber auch in der Gegend von Ans
bach nachweisen.
190
S i c k el
iin Cod. Lauresh. 1, Nr. 4, Schutzertheilung und Schenkung B. 151
u. s. w. Nur in gewissen Fallen werden nun die einzelnen Ver
fügungen stilistisch auseinander gehalten, so dass man innerhalb
derselben Urkunde das sonstige Schema für die eine und das für die
andere Verfügung unterscheiden kann. Die Regel ist vielmehr die
verschiedenen Bestimmungen auch in der Fassung zu vereinigen:
entweder gibt es für diese Urkunden mehrfachen Inhalts wieder
bestimmte Formeln oder aber der jeweilige Schreiber versucht die
stilistische Zusammenfassung, in welchem Falle die traditionelle
Redaction des einen oder andern Theils zumeist wesentlich verändert
und besonders verkürzt erscheint. Indem ich nun hier von dem Inhalt und
der Fassung derSchutzbriefe, Immunitäten undPrivilegieu allein handeln
will, nehme ich im Allgemeinen keine Notiz von dem etwaigen wei
teren Inhalte der Diplome, sondern nur in den Fällen, dass entweder
der uns beschäftigende Inhalt durch die anderweitigen Bestimmungen
erläutert werden kann, oder dass die Zusätze die traditionelle
Fassung des Haupttheils wesentlich alterirt haben.
Solche Vereinigung finden wir gleich in dem ältesten Mundbrief
des K. Pippin B. 1, Bouquet 5. 798: von dem Abt von Anisola
wird Schutz und auch das Wahlrecht erbeten. Recht bezeichnend für
die Unbeholfenheit des Schreibers ist nun, dass er wohl diese zweite
Bitte in sein Elaborat aufnimmt, dass er aber, indem er die Urkunde
als Schutzertheiiung, die den Hauptgegenstand bildet, nach einer For
mel aufsetzt, am Schlüsse mit keinem Worte sagt, dass auch das Wahl
recht bewilligt wurde. Hier also musste, weil es sich noch um ein
zweites handelte, die Formel für Mundbriefe etwas verändert wer
den; sehen wir aber davon ab, so haben wir, wie schon gesagt, in B. 1
eine Nachbildung von Roz. 10. Indem das Stück ferner für dasselbe
Anisola ausgestellt ist, dessen drei merovingische Schutzbriefe
wir zuvor kennen lernten, indem diese nach gleichem Schema abge
fasst sind, jenes aber nach einem andern, so können wir gleich hier
constaliren, dass die Kanzlei des K. Pippin sich auch neuer, d. h. in
der Kanzlei der Vorgänger noch nicht nachweisbarer Formeln bedient.
Daneben blieben jedoch die alten in Gebrauch oder ihnen ent
sprechende ältere Urkunden wurden bei weiteren Bestätigungen als
Vorlagen benutzt.Das zeigtgleich die nächste Urkunde für Anisola
B. 17 Bouquet 5.704 als Schutzhrief betrachtet, da von der Immu
nität in derselben erst später zu handeln. Für diesen Theil sind wie-
Beiträge zur Diplomatik.
791
der die alten Mundbriefe des Klosters benutzt, vielleicht weil es sicli
um eine analoge Bestimmung handelte, denn wie in Pard. Nr. 372 die
Ausübung des Mundburds dem Hausmaier, so wird sie hier dem
königlichen Prinzen Karl übertragen. Dem entspricht die fast voll
ständige stilistische Übereinstimmung beider Stücke. Allerdings
beginnt die Arenga von B. 17 mit besonderen Worten: iuvante do-
mino qui nos in solio regni instituit. Derartige Hinweise auf die spe-
ciellen Verhältnisse des urkundenden Fürsten begegnen auch schon
in Merovingerdiplomen, wie Chlothar III. P.Nr. 343 a. 662: dum et
nobis dominus in solio parentum nostrorum fecit sedere—Theoderich
III. P.Nr. 410 a. 690: dum et nobis divina pietas ad legitema etate fecit
pervenire et in solium parentum nostrorum succidire u. a. Fälle. Unter
K. Pippin werden wir bei den Immunitäten noch einen analogen, dann
auch unter den Nachfolgern wiederkehrenden Prolog kennen lernen.
Auch die Anfangsworte iuvante etc. treffen wir unter Karl noch an in
B. 6S, 98, 126, d. h.in zwei auf älteren Vorlagen und speciell Pippi-
nischen Urkunden beruhenden Diplomen, aber auch in einer Bestäti
gung für Benevent, wo solche Vorlage nicht denkbar ist. Solche
Worte nun sind, weil eben nur auf die Person bezüglich, ganz ver
schiedenen sonst überlieferten Arengen vorgesetzt, und so folgt nun
auf sie auch in B. 17 der Prolog der älteren Schutzbriefe für Ani-
sola. Denen ist endlich ausser anderen Sätzen auch noch die alte An
kündigungsformel wörtlich entnommen.
Eine freiere Bearbeitung liegt in dem nächsten Schutzbriefe
Karl d. G. für den Presbyter Arnold (Original; in Wartmann Urkun
denbuch der Abtei S. Gallen Nr. 6S) von 772 vor; nur die Arenga
ist Roz. 9, der letzte Theil: et si aliquas causas etc. Roz. 10 ent
lehnt. Und eine ganz selbstständige Stilisirung bietet die Urkunde
für Lorsch (Cod. Laur. Nr. 4.) dar, in welcher Mundium ertheilt
wird und mehrfache Bestimmungen aus Privilegien enthalten sind;
eben so der Mundbrief des Bischofs Constantius von Chur und
des rhätischen Volkes (Original; Mohr cod. dipl. 1 Nr. .10), der
auch dem Inhalte nach wesentlich abweicht, indem darin auch dem
Volke wie bisher nach eigenem Recht und eigener Gewohnheit leben
zu dürfen zugesichert wird, indem ferner der Bischof oder eigent
lich der rector Raetiarum und die Nachfolger nur für ihre Pers o-
nen, nicht wie es sonst heisst, mit allem Hab und Gut in besonde
ren Schutz aufgenommen werden; dem entspricht, dass als einer
192
S i c k e I
der späteren Bischöfe Victor II. bei Kaiser Ludwig Abhilfe suchte
wider die Beraubung seiner Kirche durch den Grafen Roderich, er
sich nicht auf diesen Schutzbrief, sondern auf die allgemeine, allen
Kirchen zustehende defensio (Mohr Nr. IS) beruft. — Aber die alten
Formeln sind noch nicht ausser Gebrauch gekommen: als com-
ponirt aus Sätzen von Roz. 9 und 10 ergibt sich wieder der Mund
brief für den Abt Anianus und dessen Klöster B. 151, Bouquet
S, 755 von 7941).
Das ist die kurze Reihe echter und unzweifelhafter Urkunden
über Schutzverleihung von der Merovingerzeit an bis auf Karl. Oh
noch einige andere Stücke hieher bezogen werden dürfen und wess-
halb einige als unecht zurückzuweisen sind, das wird sich leichter
feststellen lassen, wenn wir auch den Inhalt der unzweifelhaften
Diplome näher in’s Auge gefasst haben werden.
Für den besonderen Schutz der in diesen Briefen ertheilt
wird, ist am häufigsten das Wort mundeburdium gebraucht (nur
in Roz. 11 fehlt es), aber ganz gleichbedeutend sind defensio,
tuitio, sermo, sermo tuitionis und das nur in Roz. 11 vorkommende
commendatio 2 ). Der Schutz bezweckt, dass die Betheiligten mit all’
ihrem Zubehör an Personen und Sachen unter dem mundeburdium
quieti (quieto ordine, ahsque inquietudine) vivere et residere (esse,
consistere) sollen; der abweichende Wortlaut in dem verdächtigen
Pard. Nr. 144: liceat ipso et sucessores eius . . omnes res . . sub
omne emunitate vel tuitionis nostre sermone valeant tenere atque
possidere, ist besonders anstössig. Zur Erreichung des Zweckes
1) Betreffs des Protokolls all dieser Schutzbriefe muss ich eine frühere Angabe in
Beiträgen zur Dipl. 1 (W. Sitzungsberichte XXXVI) p. 358 berichtigen. Die könig
liche Unterschrift ist in ihnen doch Regel. Dafür spricht u. a. das Original für Chur
das, wenn auch im untern Theil fast zerstört, doch noch Spuren der Unter
schrift trägt, auch die Lorscher Urkunde in der, was ich früher übersehen hatte,
das Monogramm angekündigt ist. Die königliche Signatur fehlt nur in dem Ori
ginaldiplom für Arnold und in dem Schutzbrief für Anianus.
2 ) Über Commendation s. S. 271. — In einer Urkunde von 866 in Foppens 1,649
heisst es : sub tuitione atque quem trito sermone mundeburdo vocant. Vereinzelt
finden sich auch noch als gleichbedeutend protectio, wie in Roz. 419 und in
Diplom L. d. F. bei Grandidier 2,208; auxilium in Dronke Nr. 157; tutela in
ungedruckter Urkunde L. d. F. von 826 für Sens oder in Karl d. K. bei Bouquet
8, 552; gegen Ende des Jahrhunderts begegnet auch patrocinium in Urk. L. III bei
Lacomblet 1, 32, Zwentebold’s in Schaten 1^ 235 u. s. w. Auch munburire wird
statt defensare gebraucht in Roz. 419 und dringt selbst-in die in Privaturkunden
üblichen Formeln ein, wie in Wartmann Nr. 248 von 820 : et si eum mundiarc
non poterit. fundat in dublum.
Beiträge zur Diplomatik.
193
wird ausser dem Schutz im Allgemeinen noch das specielle Vor
recht ertheilt, dass, wenn in Rechtsstreitigkeiten der Schützlinge
ihnen ungünstige Urtheile gefällt werden, deren Vollziehung sus-
pendirt bleiben soll und die Sachen selbst noch einmal in dem
Königsgericht verhandelt und da zu definitivem Austrag gebracht
werden sollen. Diese letztere Bestimmung bedarf noch am meisten
der Aufklärung. Ich habe in der Masse von Urkunden bis in das
IX. Jahrhundert hinein, die ich durchforscht habe, sehr wenige
Notizen gefunden, welche hier allenfalls beigezogen werden kön
nen, und da diese meist der Zeit Ludwig d. F. angehören, werde
ich sie erst bei Besprechung seiner Mundbriefe zusammenstellen.
Neue Immunitiitsverleihungen bis 814.
Indem wir in erster Linie die Fassung der Urkunden in Betracht
ziehen wollen, haben wir hier zunächst zwischen neuen Immunitäts
verleihungen und Bestätigungen zu unterscheiden, indem es für
jede dieser Arten besondere Formeln gibt. Unter neuen Immunitäts
verleihungen haben wir aber nicht allein die Diplome zu verstehen,
in denen thatsächlich zum ersten Male Immunität ertheilt wird, son
dern auch die, denen schon früher Immunitäten vorausgegangen
sind, welche aber entweder der älteren Verleihung nicht geden
ken oder doch nicht als Bestätigungen derselben stilisirt sind. Es
kommt nämlich vor, dass über ein schon durch frühere Diplome
geregeltes Verhältnis geurkundet wird, ohne die betreffende ältere
Urkunde zu erwähnen oder ohne die Erneuerung‘) ausdrücklich als
solche zu bezeichnen und demgemäss zu redigiren, ja es kommt
dies in der Weise vor, dass das Diplom des Nachfolgers dem gar
nicht erwähnten des Vorgängers mehr oder minder wörtlich nach
geschrieben wird 3 ). Ziemlich selten ist dies Verhältnis bei
Diplomen Karl d. G., insofern sie Verfügungen seines Vaters erneuern,
begegnet aber gerade bei den Immunitäten zweimal: B. 47 für
das alte Michaelskloster an der Masoupe beruft sich allerdings auf die
*) Erneuerung gebrauche ich, weil auch in (1er Urkundensprache des IX. Jahrhunderts
zuweilen zwischen confirmatio und renovatio unterschieden wird: Kar. C. ß.
1726 erneuert, da die früheren Diplome verbrannt sind und desshalb nicht vor
gelegt werden können, den Canonikern von S. Bavo die Giitertheilung zu ihren
Gunsten: ut autem liaec nostrae renovationis et confirmationis auctoritas etc.
“) So Lud. II. ß. 660 wörtliche Nachbildung des nicht genannten Diploms Karl
d. Gr. B. 118.
Sitzb. d. phil.-hist. Ci. XLVII. Bd. I. Hft. 13
194
S i c k e 1
Thatsache einer schon von Pippin ertheilten Bewilligung, ist aber
doch ganz als neue Verleihung stilisirt, und unter den Urkunden für
Prüm ist B. 80 offenbare Nachbildung des uns erhaltenen, aber in
der Urkunde Karl’s gar nicht erwähnten Diploms Pippin’s B. 20.
Dagegen ist dieses Ignoriren früherer Beurkundung Regel und war
vielleicht geradezu absichtlich, so oft Karl d. G. in die Lage kommt,
von seinem älteren Bruder Carlomann getroffene Verfügungen zu
erneuern. Unter dreizehn mir bekannten Diplomen des letzteren
sind acht ihrem Inhalte nach von Karl d. G. confirmirt, aber in
‘keiner dieser Bestätigungen wird auch nur der Name Carlomann’s
genannt. Es handelt sich freilich um lauter solche Fälle, in denen
Urkunden Pippin’s und seiner beiden Söhne noch vorliegen oder doch
nachweisbar sind, und da gedenkt Karl d.G., einen Fall ausgenommen,
stets des Diplomes seines Vaters, nimmt aber in keinem Falle Notiz
von der dazwischen liegenden Urkunde seines Bruders: vergleiche
B. 7, 28 und Tardif Monuments historiquesNo. 77 für S. Denis; B. 26,
94 und Bibi, de l’Ecol. serie 4, 2, 348 für dasselbe; B. 13, 33, 91
fürHonau; ungedruckte Immunitäten Pippin’s und seiner zwei Söhne
für Epternach; und (hier sind die betreffenden Pippin'sehen Stücke
nicht erhalten) B. 30, 67, dann B.37,62 für S. Denis; B.34,190 für
Ebersheim; B.36, 92. für Novalese»). Da kann man doch kaum anneh
men, dass wirklich immer nur die Diplome Pippin’s und nicht auch die
des älteren Bruders der Kanzlei zur Bestätigung vorgelegt seien.
Indem ich nun die der Fassung nach neuen Immunitätsverlei
hungen besprechen will, schliesse ich auch hier bei der Prüfung der
einzelnen Stücke vor der Hand Alles aus, was ohne mit der Immuni
tät in innerem Zusammenhänge zu stehen, durch zufällige Vereini
gung verschiedenartiger Bestimmungen in die eine oder andere
dieser Urkunden eingefügt ist, wie Verfügungen über die Wahl der
Bischöfe und Äbte u. dgl. Auch über das Mass der in den Immu
nitäten enthaltenen Einzelbestimmungen werde ich erst im weiteren
Verlaufe handeln können; hier soll zunächst der Gesammtbegriff der
Immunität in den Diplomen mit besonderer Rücksicht auf die Fas
sung, in der sie verliehen wird, ins Auge gefasst werden.
i) Überhaupt finde ich Carlomann nur in einer Urkunde seines Bruders genannt, in
Beyer mittelrhein. Urkundenbuch Nr. 36: Carlomann hatte eine Schenkung an
Epternach gemacht, darüber aber keine Cartula concessionis ausgestellt, dess-
halb erneuert Karl die Schenkung, und gibt Urkunde darüber.
Beitrüge zur Diplomatik.
15)5
Gerade hei dieser Frage fällt es schwer in’s Gewicht, dass uns
aus der Merovingerzeit eine nur ganz kleine Anzahl von Urkunden
so überliefert ist, dass wir sie als frei von Verdacht wesentlicher
Überarbeitung oder Interpolation als Normen gelten lassen und ihren
Wortlaut als zuverlässigen Ausgangspunct für diplomatische Unter
suchungen annehmen können. Nicht als wenn ich alle anderen Mero-
vingerdiplome in der Weise verwerfen zu müssen glaubte, dass ich
dem Historiker, Rechtshistoriker oder Diplomatiker die Berechtigung
absprechen würde sie ihrem theilweisen Inhalte nach noch zu be
nutzen. Aber wenn äussere oder innere Merkmale gegründeten Ver
dacht gegen die uns jetzt vorliegende Gestalt von Urkunden liervor-
rufen und bisher die Regeln noch nicht genügend festgestellt sind,
nach denen wir aus den einzelnen Stücken die Zuthat späterer Zeiten
auszuscheiden vermögen von dem was als ursprünglicher Inhalt und als
ursprüngliche Fassung gelten kann, so ist zunächst strengste Sichtung
geboten. Ich beschränke mich daher in erster Linie auf die Benützung
folgender neuen Immunitätsverleihungen aus der Merovingerzeit:
1. Diploma Chlotharii I pro monasterio Reomaensi a. 539. —
Pard.Nr. 136, von Perard angeblich ex archetypo veröffentlicht, von
Henschen und Papebroch ohne stichhaltigen Grund angegriffen, nach In
halt uud Formular unverdächtig, aber sprachlich von dem Schreiber des
vermeintlichen Originals oder von dem ersten Herausgeber emendirt.
2. Diploma Childerici II pro ecclesia Spirensi c. a. 665. —
Paid. addit. Nr. 4 aus dem 1281 geschriebenen Cod. minor im
Karlsruher Archiv; schliesst sich auch in der Sprache noch ziemlich
genau den Originalen der Zeit an; Schluss fehlt.
3. Diploma ChildericiII. pro mon. Dervensi a. 673. — Pard.
Nr. 367 ex chartulario Dervensi, nach Inhalt und Formular, so weit
es erhalten ist, unverdächtig und nur sprachlich überarbeitet •)•
i) Ich gebe hier überall die Überlieferung an, weil sie bei den Fragen, die ich
behandeln will, vielfach in Betracht kommt. Das gilt gleich von dieser Urkunde.
Das Cartulaire de Montierender im Archiv de la Ilaute-Marne hat ßrequigny, wie
ein der Handschrift jetzt beigebundener Brief desselben lehrt, selbst in Händen
gehabt und collationirt. Es wird dadurch wahrscheinlich, dass das Copialbuch
wirklich in der Arenga die von ßrequigny verzeichnete Lesart enthält: opem
suae defensionis impendat. Dennoch halte ich devotionis bei den altern
Herausgebern für das richtige Wort, das auch dem sonst in diesem Zusammen
hänge häufigen devola mente entspricht. Übrigens würde auch das andere Wort
in der rhetorischen Arenga keineswegs auf eine Schutzverleihung, von der
der Text der Urkunde nicht redet, zu schliessen erlauben.
13
196
S i c k e 1
4. Diploma Childeberti III. pro mon. Fossatensi c. a. 700.—
Bordier in Bibi, de 1’EcoI. 3 e serie, 1, 89 ex autographo mutilo
(Arcbives de 1’Empire L. 483, No. 1; conf. Bordier Ies archives de Ia
France 198) *).
5. Charta Pippinipro ecclesia S. Vincentii Matisconensis a.
743. — Pard. No. 868 ex apographo in collectione Boheriana,
spracblich emendirt s ).
Knüpfen wir sofort an die letzte der genannten Urkunden an,
welche zugleich die erste Immunitätsverleihung eines Arnulfingers
ist. Für das Stück als Immunität ist, was im Eingang von der Vernich
tung eines früheren Diploms gleichen Inhalts erzählt wird, zufällige
Zuthat, und nur insofern hat diese Notiz für uns Werth, als sie die
Unmöglichkeit die ältere Urkunde vorzulegen und somit auch die
i) Das älteste Original neuer Immunitätsverleihung. Da sich das Datum nur annä
hernd bestimmen lässt, ist möglicher Weise die in demselben Archiv befindliche
K.3,Nr. 10 signirte Immunitätsbestätigung vom Jahre 696 als Original von auf Immu
nität bezüglichen Diplomen älter. — Statt der von Bordier versuchten Emendation
der Stelle : ubi et ubi insigna deo propicio nostra etc. schlage ich vor und glaube
dass so im Origiual steht: ubi et ubi in rigna (regna) deo propicio nostra quoquo
tempore ex munere [regum seu pro collata] populi etc., wofür sich u. a. die
in der Fassung vielfach verwandten Diplome Karl d. Gr. für Vieux-Moutier
Bouquet 5, 722) und für Lorsch (Cod. Lauresli. 1, 13) anführen lassen. Nach
träglich bemerke ich, dass auch Tardif Nr. 41 die von mir vorgeschlagene
Lesung hat. — Noch will ich gleich hier hinzufügen, dass insofern ich in der
Folge Stellen aus noch im Original vorhandenen Merovingerurkunden anführe,
meine Citate vielleicht hie und da von den Pardessus’schen Texten in Kleinig
keiten abweichen, indem ich mich früher für diese Stücke des correcteren Ab
druckes von Teulet dipl. et chartae Merovingicae aetatis in arch. Franciae con-
servata, Paris 1848 bedient habe, und indem mir jetzt der ebenfalls bessere
Abdruck voa Tardif vorliegt. Da aber jene Ausgabe in Deutschland sehr selten,
diese wohl noch nicht verbreitet ist, bezdiclme ich die Urkunden nicht nach diesen
Editionen, sondern durchgängig nach Pardessus.
Die Urkunde fand sich eingetragen im Liber incatenatus s. Vincentii, der 1367 ver
brannt ist. Aus ihm stammen die ältesten Drucke und auch die ßouhier’sche
Copie auf der Pariser Bibliothek; sie alle beginnen: Pippinus maior domus maximus
regni nostri etc. Le Cointe zuerst strich, um zu verbessern, maximus weg, und
ihm folgte Pardessus, ohne nur die alte Lesart zu erwähnen. Bordier nun
(du recueil des chartes Merovingiennes, Paris 1830), der mit liecht solche Ver-
besserungswulh geisselt, stellt dies Wort wieder her, zieht es zu Pippinus und
legt diesem Prädicat grosse Bedeutung zu. So hat es wohl auch der Schreiber des
Lib. incat. verstanden. Da man nun seine Überlieferung als die älteste zu Grunde
legen muss, muss auch dieses Wort wieder aufgenommen werden, aber so:
Pippinus maior domus. Maximus r. n. augere credimus monimentum; statt
niaximuin in Roz. 16, dem die Urkunde nachgeschrieben ist.
Beiträge zur Diplomatik.
197
Stilisirung als neue Verleihung erklärt. Und dafür nun, für: et tale
insuper bis zum Schluss wird einfach, bis auf, wie wir später sehen
werden, ganz unwesentliche Wortveränderungen, die Marculfinisehe
Formel Roz. 16 angewandt. Ihrem Hauptinhalte sind wir wohl schon
in älteren Urkunden begegnet, wie ja auch Marculf in dieser Hinsicht
nichts Neues schaffen konnte, noch wollte. Aber seine specielle
Fassung des Recbtsinhaites sehen wir zuerst von den Schreibern des
Hausmaiers wiederholt, von dem sie sofort in den Gebrauch der
neuen königlichen Kanzlei übergeht.
Denn gleich die Urkunde für Honau B. 13 (Grandidier 2, 88
ex chartul. s. XVI), welche die Reihe der neuen Immunitätsverleihun
gen durch den König Pippin und durch seine Nachfolger eröffnet,
so wie deren Erneuerungen durch Carlomann B. 33 und Karl B. 91
(Grand. 2, 101. 129); ferner die Urkunden Karl’s für Novalese
B. 53 (ex orig, in Mon. hist, patriae. 1, 21) und für Fuld B. 60
(Dronke cod. No. 46 ex cod. Eberhardi) schliessen sich in ihrem
ganzen Wortlaute möglichst getreu an Roz. 16 an. Suchen wir, zu
nächst noch von allen Einzelbestimmungen absehend, festzustellen,
was als charakteristisch all diesen Urkunden gemein ist, so sind die
Worte hervorzuheben: hoc ipsi . . . sub integrae emunitatis nomine
valeant dominare, ferner dass das Wort defensio oder irgend ein
gleichbedeutendes Wort in all diesen Diplomen nicht vorkommt.
Beides haben sie gemein mit den zuvor als 3, 4, 5 aufgeführten,
auch mit vielen anderen schlecht überlieferten, aber doch in diesem
Puncte intact gebliebenen Immunitäten der Merovingerzeit. Das
veranlasst mich in erster Linie diejenigen vor 814 verliehenen neuen
Immunitäten zusammenzustellen, welche einerseits nichts von defen
sio enthalten, andererseits den obigen Satz oder wenigstens analoge
Sätze aufweisen. ä
Die jüngste mit Roz. 16 übereinstimmende Urkunde aus dieser
Gruppe ist B. 91 für Honau von 778; indem sie aber wohl eher den
älteren Immunitäten für dasselbe Kloster nachgeschrieben ist, als
der Marculfinischen Formel, erscheint B. 60 für Fuld von 774 als
das letzte Beispiel einer direct aus dieser Formel abgeleiteten
Fassung. Nun treffen wir aber schon zwei Jahre früher andere Redac-
tionen an in B. 44 für S. Etienne d’Angers (Bouquet 5,719 ex
apogr.), B. 46 für Lorsch (Cod. dipl. Laur. 1,13 ex chartul.),
B- 47 (Bouquet 5, 722 ex chronico) für S. Mihiel de Masroupe
198
S i c k e I
oder Vieuxmoutier. Dass wir es dabei noch mit demselben Rechts-
inhalte zu thun haben wie in Roz. 16, wird sich am schlagendsten
ergeben, wenn wir später auf die Einzelbestimmungen der Immunität
eingehen, hiermag eszunächst wieder genügen festzustellen, dass der
zuvor als charakteristisch bezeichnete Satz auch in B. 46,47 wieder-
kelirt und dass, wenn B. 44 statt dessen den König sagen lässt: sub
emunitatis nomine concedere debemus, dies sachlich keinen Unter
schied begründet. Wir haben also nur die Verschiedenheit der
Fassung, oder da darin die drei Urkunden auch unter sich ditferiren,
der Fassungen in Betracht zu ziehen.
Zuvörderst ist zu erwähnen, dass es nicht möglich ist, diese
abweichenden Stilisirungen auf bestimmte Personen als Redacteure
zurückzuführen. DadieDiplome nicht in Original erhalten,lassen sich
die Schreiber nicht feststellen. Dann während wir wohl in der späteren
Zeit Ludwig d. F. bei einzelnen Diplomen in der Lage sind, mit
Bestimmtheit zwischen Dictanten und Schreibern zu unterscheiden,
fehlen uns alle Anhaltspuncte dafür aus dieser Zeit. In Bezug auf
die mit Abfassung und Ausfertigung derUrkunden betrauten Personen
können wir uns somit nur an die in den Subscriptionen genannten Per
sonen halten. Da zeigt sich dann aber, dass die Verschiedenheit der
Fassungen nichts mit der Verschiedenheit der recognoscirenden
Kanzleibeamten zu thun hat. Denn die Unterschrift des Hitherius
findet sich eben so in dem ganz nach Marculf stilisirten B. 53 für
Novalese, als in dem zwei Jahr zuvor ausgefertigten und nach anderem
Schema geschriebenen B. 44 für S.Etienne d'Angers. Und eben so
recognoscii t Rado advicem Hitherii die verschieden lautenden B. 46
für Lorsch und B. 60 für Fuld. Das beweist am schlagendsten, dass,
so selavisch man sich einerseits an Muster wie Roz. 16 hielt, doch
andererseits zu derselben Zeit und unter denselben Kanzleibeamten
auch mehr oder minder abweichende Fassungen bei gleichem Inhalt
in Anwendung kamen.
Es frägt sich des weiteren: sind dies ganz neue Redactionen
oder Umarbeitungen oder einfach Copien anderer nur in unseren
Sammlungen nicht erhaltener Formeln? Gehen wir von B. 44 und 47
aus, so finden wir die Arengen derselben fast übereinstimmend und
erinnern uns dieselben Eingangsworte auch schon in den Merovin-
gerdiplomen Pard. Nr. 487 und 522 gelesen zu haben. Freilich
kann eingewendet werden, diese Urkunden Dagobert’s III. undTheode-
Beiträge zur Diplomatik.
199
rich’s IV stammen aus den Acta epise, Cenomannensium, erregen
mehrfache Bedenken und sind vielleicht was die Arenga betrifft,
nach Diplomen aus den ersten Jahren Karl d. G. geschmiedet. Aber
auch der Eingang der oben angeführten Immunität Childebert’s III. für
S. Maur des Fosses, so weit er noch aus dem verstümmelten Original
entziffert werden konnte, enthält dieselben Worte, beweist also
erstens, dass den Le Mans’schen Fälschungen so gut wie für das
Protokoll, so auch für diesen rhetorischen Theil gute Muster zu
Grunde lagen, zweitens dass auch die Arengen von B. 44 und 47 auf
Überlieferung beruhen. Und nun begegnen in B. 46 und 47 auch
noch im Context ganze Sätze, die sich schon in der Immunität für S.
Maur des Fosses finden. Von ganz neuer Redaction kann also damals
nicht die Rede sein, sondern wir erkennen hier Formeln, welche
die karolingische Kanzlei neben der Marculf’s aus der Vorzeit über
kommen hat. Dass diese Formeln aber nicht mehr wörtlich copirt,
sondern mehr oder minder umgearbeitet wurden, dafür zeugen schon
die Differenzen zwischen den drei uns vorliegenden Urkunden. Diese
Stücke machen den Eindruck, dass die Schreiber dieser Periode schon
Anstoss nehmen ander allerbarbarischsten Latinitätdes VII. Jahrhun
derts, bis zu dem wir diese Formeln zurückverfolgen können, dass
sie desshalb sie stilistisch umzumodeln und zu verbessern suchen,
aber noch nicht gebildet und der lateinischen Sprache nicht mächtig
genug sind, um neue Fassungen aus einem Guss, um Formeln die sich
allgemeiner Anerkennung erfreuen könnten, zustande zu bringen *).
Besonders verrathen sich solches Streben und Unvermögen in B. 47
in der Wiederholung derselben Sache, für die der Schreiber den
deutlichen Ausdruck finden möchte und doch mit dem ersten Male
nicht gefunden zu haben glaubt. Das sind stilistische Kennzeichen,
welche oft in den Diplomen aus den ersten Decennien Karl d. G.,
namentlich in denen, in welchen sich die Verfasser minder genau an die
überlieferten Formeln halten wollen, wiederkehren und mit denen,
so weit wir das an den wenigen Originalurkunden verfolgen können,
auch grammaticalische Merkmale Hand in Hand gehen.
Eine jedenfalls in der Fassung wesentlich andere Gruppe von
Immunitätsverleihungen ohne defensio beginnt 781 mit B. 106
) Ganz ungeschickt ist die Fassung der Speierer Urkunde in Remling I. 4, die wir
später näher zu besprechen haben, ausgefallen.
200
S i c k e 1
(Ughelli It. sacra 2, 244 es authentico) für Reggio ()■ In den Aren-
gen schliessen sich allerdings auch diese Diplome an frühere an.
So beginnt B. 126 (Ughelli 8, 37 ex auth.) für Benevent mit:
domino iuvante qui nos in solium regni nostri instituit, si petitio-
nibus sacerdotum.., ganz gleich der Urkunde Pippin’s B. 17 für
Anisola oder mit einer Arenga, deren ursprünglichen Wortlaut wir
selbst in die Merovingerzeit zurück verfolgen können. Und alle
anderen Stücke dieser Gruppe heben wie Roz. 16 an mit: maximum
regni nostri augere credimus munimentum, nur erscheint diese
Arenga in den weiteren Worten modernisirt und in verschiedener
Weise gemodelt. Es ist überhaupt diese Arenga zwar nicht, wie
wir schon sahen, in allen Immunitäten angewandt, aber nur den
Urkunden dieses Inhalts Vorbehalten. In fränkischen Diplomen ande
ren Inhalts begegnet sie nie, und wenn sie in zwei bei Böhmer ver-
zeichneten Urkunden für Italien vorkommt, die wie sie uns vorlie
gen, nicht von Immunität handeln, so ist dies ein Verdachtsgrund
mehr gegen diese auch sonst anstössigen Stücke. Sie findet sich
nämlich in der Schenkung für Monte Casino B. 128, die offen
bar auf Grund der Immunität für dasselbe Kloster B. 129 ge
schmiedet ist, wie denn auch andere dort entstandene Fälschungen,
welche Tosti 1, 93, 93, 98 abdruckt, die Arenga und manches
andere B. 129 entlehnen. Des weiteren begegnen wir ihr in einer
Besitzbestätigung für Ceneda B. 149, die schon dadurch verdäch
tigt wird, dass die zwei von ihr vorliegenden Abschriften gleichen
Text und gleiches Datum enthalten und doch auf zwei verschiedene
Namen lauten: die eine bei Ughelli 5, 173 auf den Bischof Valen-
tinus, die andere bei Verei 1, 1 auf dessen Vorgänger Dulcissimus.
Ein grosser Theil dieses Diploms von : nos qui dignam eins petitio-
nem considerantes, bis: impressione sigilli nostri insigniri iussi-
mus, einschliesslich also auch der in Diplomen Karl des Grossen
anstössigen Strafandrohung, scheint mir aus der Urkunde Otto's III.
von 997 für Ceneda abgeschrieben zu sein. Die erste Hälfte
dagegen kann sehr wohl einer echten Urkunde KaiTs entnom
men sein, die der Arenga nach von Immunität, von der in der
jetzigen Fassung nicht die Rede ist, gehandelt zu haben scheint.
Also weder B. 128 noch B. 149 stossen den Satz um, dass die
*) B. 10!» und 107 für Beggio sind unecht.
Beiträge zur Diplomatik. 201
Arenga maximum regni nostri etc. in ihren verschiedenen Abarten
den Immunitätsurkunden Vorbehalten gewesen ist.
Erst- in der weiteren Fassung tritt das Besondere dieser
Gruppe von Immunitäten hervor, innerhalb welcher sich auch wie
der die einzelnen Stücke mehr oder minder nahe stehen, so dass man
sie je nach dem Grade der Übereinstimmung im Wortlaut etwa so
ordnen kann. Dem Diplome für Reggio ganz gleich ist ein ohne
Datum überliefertes für das Nonnenkloster S. Salvatore di
Brescia in Margarini bullarium 2, 19, und fast gleich ein von
Ughelli 5, 1093 mitgetheiltes für den Patriarchen von Grado,
das nach der besten mir bekannten Abschrift am 13. August 803 in
Salz ausgestellt ist.
Allen diesen verwandt, aber unter sich noch mehr verwandt
sind B. 118 für Modena (Orig, im Capitelarchiv, am besten in
Tiraboschi 1, 9 Nr. 7), B. 126 für Benevent, B. 127 (Muratori
SS. 1, 2, 366 ex chron.) für S. Vincenzo di Volturno, B. 129
(Gattola 1, 14 ex registro Petri) für M. Casino, B. 146 für
Aquileja (jüngere und fehlerhafte Copie in der Marcusbibliothek :
Rubeis Monum. 381), endlich B. 137 (Cartul. de S. Victor 1, 8 ex
chartul. saec. XII) für S. Victor de Marseille.
Auch hier schweben den Verfassern allerdings alte Formeln vor,
aus denen hier und da noch ganze Sätze übergenommen werden,
aber die Umarbeitung geht so weit und ist andererseits in den eben
genannten Urkunden eine so gleichmässige, dass wir berechtigt sind,
eine neue Redaction und eine allgemeine Anwendung derselben anzu
nehmen. Wenn wir zunächst auch wieder von den Einzelbestimmun
gen über Immunitätsrechte absehen und nur nach den Puncten
fragen, die wir bei den zuvor besprochenen Formeln als charak
teristisch bezeichnen konnten, so ist festzustellen, dass auch in der
neuen Redaction weder defensio, noch ein synonymes Wort vor
kommt. Aber statt des bisher hervorgehobenen : sub emunitatis
nomine possidere vel dominare heisst es nun regelmässig : sub emu
nitatis nomine quieti vivere ac residere, d. h. von quieti an Worte
die wir früher als in den Schutzbriefen immer wiederkehrend fan
den. Dass das dennoch eine nur bedeutungslose Abänderung ist,
wird sich aus dem Späteren ergeben; hier bemerke ich zunächst
nur, dass diese Phrase doch auch schon früher in Verleihungen und
Bestätigungen von Immunität ohne defensio begegnet, wie in Pard.
202
S i c k e I
addit. Nr. 4 für Speier, in Merovingerdiplomen für S. Denis und
häufiger unter Karl d. G. in B. 92. US u. a.
Ehe ich das Neue im Inhalt dieser Urkunden, das dann aueh
eine neue Redaction zur Folge gehabt hat, näher bezeichne, mache
ich darauf aufmerksam, dass sie alle, mit Ausnahme der Urkunde
für S. Victor de Marseille, für Kirchen und Stifter in Italien ausge
stellt sind; wir haben es also möglicher Weise mit einer speciell
für Italien bestimmten Redaction zu thun. Dort gab es bekanntlich
vor der karolingischen Eroberung keine derartige Immunität, es
lagen also auch keine dortigen Formeln vor. Andererseits nahmen
aber die fränkischen Formeln auf die besonderen italienischen Ver
hältnisse keine Rücksicht, mussten also denselben vielleicht in dem
einen und anderen Puncte angepasst werden. Handelte es sich da
nur um einzelne Worte, so konnten sie allerdings ohne Mühe in die
fränkischen Formeln eingeschaltet werden. So dass unter den Be
amten deren Einflussnahme auf immune Besitzungen ausgeschlossen
werden sollte, in Italien auch die gastaldi aufgezählt oder dass
unter den Besitzungen der Kirchen die in Italien häufiger vorkom
menden xenodochia oder ecclesiae baptismales mitgenannt werden
mussten. Nach einer von Waitz 4, 147 gemachten Andeutung
könnte man hier auch den Zusatz : necpie novas consuetudines impo-
nendum als den italischen Immunitäten eigenthümlich anzuführen
geneigt sein. Aber er findet sich nur in den drei innerhalb einer
Woche geschriebenen B. 126, 127, 129 (B. 130 ist identisch mit
B. 126), fehlt dagegen in den übrigen: er ist also unwesentlich
und die dreimalige Wiederholung erklärt sich zur Genüge aus der
Gleichzeitigkeit der ihn enthaltenden Diplome. Es ist etwas Anderes
was die italienischen Immunitäten Karl d. G. unter sich gemein und
vor den fränkischen voraus haben und was dann leicht zur Umarbei
tung der ganzen Formel führen konnte und geführt hat: ausser in
der Urkunde für Modena B. 118 werden nämlich in diesen Stücken
zugleich entweder die Einzelbesitzungen besonders aufgezählt oder
es wird der gesammte Besitzstand ausdrücklich bestätigt.
Allerdings wird auch in den fränkischen Immunitäten eine solche
Bestätigung indirect ausgesprochen,wenn es z. B. heisst: liceat omnes
facultates quieto ordine possidere, oder wenn etwa die Immunität als
giltig für res tarn de donatione regum reginarumque quam et reli-
quorum deum timentium hominum possessae bezeichnet wird. Zwi-
Beiträge zur Diplomatik.
203
sehen dieser indirecten Art der Bestätigung und der in den italieni
schen Immunitäten begegnenden glaube ich aber desshalb noch unter
scheiden zu müssen, weil es sich im Allgemeinen mit der Besitzbe
stätigung in den neu erworbenen Ländern anders verhält, als mit
der im Frankenreiche. Es ist noch von Niemand genügend erklärt,
welche Bedeutung überhaupt die verschiedenen königlichen Confir-
mationen gehabt haben, in welchen Fällen sie erforderlich gewesen
sind u. s. w. und es ist hier nicht der Ort näher auf diese Fragen
einzugehen. Nur das muss ich hier constatiren dass, auch abgesehen
von den Immunitäten, aus der Zeit Karl d. G. für die eine Art
von Confirmationsurkunden J ), nämlich für die, in denen durch nicht
verloren gegangene Diplome der Vorgänger schon gesicherte Be
sitzungen von Kirchen und Klöstern in ihrer Gesammtheit oder durch
Aufzählungen der einzelnen noch einmal ausdrücklich bestätigt
werden, kein einziges Beispiel aus den fränkischen Gebieten vorliegt,
während sie in den erst eroberten Ländern ziemlich häufig begegnen.
Von echten Diplomen der Art für Italien kann ich anführen: B. 103
für Nonantola, B. 120 für Arezzo, B. 174 für Farfa, B. 17S für Como,
ferner für S. Vincenzo di Volturno in Muratori SS. I, 2, 366, und
von verderbten Diplomen handeln gleichfalls mehrere von solcher
Confirmation. Dazu kommen aus Baiern B. 142 für Kremsmünster,
Kleimayrn Nr. 9 für Salzburg u. a. a ). Wahrscheinlich sind nach der
Erwerbung dieser Länder die auf den Besitz bezüglichen Urkunden
der früheren Fürsten nicht als vollgiltige Rechtstitel betrachtet
*) Den Unterschied deutlicher zu machen, füge ich bei, welche Arten von Bestä
tigungsurkunden aus dein Frankenreiche Vorkommen. Confirmationen für Ein-
zelgiiter, die ausgestellt werden, entweder weil die Erwerbung ihrem besonderen
Charakter nach erst durch die Zustimmung des Königs perfect wurde, oder
weil der betreffende Besitz streitig war. Bestätigungen für den Gesammtbesitz
wurden ertheilt, weil die früheren Urkunden abhanden gekommen waren (apennes,
pancartae). Endlich erhielten nach den Formeln Roz. 151, 152, auch ohne dass
sich einer der eben genannten Gründe nach weisen liesse, Einzelpersonen , aber
nicht Kirchen, Bestätigungen für den Gesammtbesitz. Für fränkische Kirchen
kommen Confirmationen des Gesammtbesitzes, ohne dass die alten Besitztitel
verloren gegangen, erst in der zweiten Iliilfte des IX. Jahrhunderts vor und {heissen
dann gleichfalls pancartae; cf. B. 1868 und 1006.
2 ) Aus zwei Diplomen Ludwig des Deutschen für Salzburg B. 737 Bestätigung aller
Besitzungen und B. 738 Immunität erfahren wir, dass sowohl Karl als Ludwig d. F.
dem Erzstift je zwei Urkunden gleichen Inhaltes ausstellten ; aber von Karl ist nur
die Confirmation, von seinem Sohne nur die Impiunität B. 261) auf uns gekommen.
204
S i c k e I
worden. In einer Urkunde 3 ) wird das deutlich ausgesprochen: der
Abt von Sesto legt Karl verschiedene Urkunden des Königs Adelchis
vor, theils Schenkungen von fiscalischen Gütern, theils Tausch
bestätigungen betreffend; nos vero hanc causam diligenter discu-
tientes unacum fidelibus ac proceribus nostris ita invenimus, quod
legibus ipsius (Adelchisi) donatio ac confirmatio stare non poterat,
worauf Karl die betreffenden Güter von Neuem schenkt und bestätigt.
Diese in Italien erforderliche besondere Art der Bestätigung
begründet nun, wie gesagt, denHauptunterschied zwischen den italie
nischen und fränkischen Immunitäten. Die letzteren, soweit sie echt
sind (B. 49 für S. Germain des Pres und B. ISS für Lc Maos sind
unecht), mögen es Verleihungen oder Bestätigungen sein, enthalten
nichts von derartiger Confirmation; in jenen ist die zugleich ertheiite
Bestätigung des Gesammtbesitzes Regel und wenn sie allein in der
Immunität für Modena fehlt, kann neben dieser, so gut wie es bei
Salzburg der Fall war, eine besondere Bestätigungsurkunde ertheilt
worden sein. In der ältesten dieser Immunitäten B. 106 für Reggio
bittet der Bischof: ut Omnibus rebus quas ... possidere dinoscitur,
sub immunitatis nomine per nostram auctoritatem ad praedictum
sanctum Iocum concederevel confirmare deberemus; am aus
führlichsten und deutlichsten ist dasselbe Gesuch in B. 126 für
Benevent ausgesprochen. In der Regel wird dann nur eine Bestä
tigung im Allgemeinen mit der Immunität zugleich ertheilt: so in den
Diplomen für Reggio, S. Salvatore, Grado, Benevent oder es werden
auch einzelne Besitzungen besonders namhaft gemacht, wie in den
Urkunden für S. Vincenzo, Aquileja und M. Casino. In jedem Falle
trat eine Erweiterung des Inhaltes ein, die auch eine eigentliche
Umarbeitung der alten Immunitätsformeln erklärlich macht, eine
Umarbeitung, die nach den uns vorliegenden Immunitäten in die
Zeit fällt, da Rado der Kanzlei Vorstand. Zunächst veranlasst durch
und berechnet auf die für Italien bestimmten Diplomen mag sie dann
auch auf die Abfassung der Immunitäten in den fränkischen Landen
eiugcwirkt haben. Wenigstens begegnet uns nun dieselbe Redaction
auch in dem Diplome für die Marseiller Kirche, nur dass hier wieder
Hier wurden also je zwei Urkunden für das ausgestellt, was in den italienischen Im
munitäten in ein Diplom vereinigt wurde.
*) Noch ungedrucktes Diplom vom 11. Juni 781 ; erwähnt in Liruti noticie del Friuli
3, 70 und 5, 302.
Beiträge zur Diplomatik. 205
die Besitzbestätigung ausfällt, so dass die Urkunde ziemlich so wie
B. 118 für Modena lautet.
Überblicken wir nochmals dieganzeReiheder hier besprochenen
Urkunden, so bilden sie alle, abgesehen von der den für Italien aus
gestellten eigentümlichen Bestätigung, eine Classe von Immunitäten
ohne Schutzertheilung. Ob die Diplome für Klöster oder Kirchen,
macht dabei keinen Unterschied. Allerdings ist aus der Zeit Karl des
Grossen keine einzige neue Verleihung solcher Immunität für eine
fränkische Kirche auf uns gekommen; aber einerseits lautet die
Formel Roz. 16, von der wir ausgingen, speciell für eine bischöf
liche Kirche, andererseits werden wir später bei den Immunitäts-
bestätigungen die bestimmten Belege dafür erhalten, dass ebenso gut
Kirchen wie Klöster zu dieser Zeit die betreffenden und gleichen
Rechte genossen. Wenn wir ferner die immunen Stifter für sich
betrachten, so zeigt sich, dass die Verschiedenheit ihrer innern
Einrichtung je nach den damals bestehenden Ordensregeln (professio)
keinen Unterschied in Bezug auf die Immunität begründet. InHonau
begegnen wir Schotten, in Lorsch Benedictinern, S. Julia di Brescia
ist Frauenkloster: sie alle erhalten dieselbe Immunität. Ich füge
gleich hinzu, dass sich bei einer zweiten Gruppe, die wir kennen
lernen werden, so wie bei den Immunitätsbestätigungen dasselbe
Resultat ergibt: gleiche Immunität haben Prüm, dessen Mönche
ursprünglich der Congregation von Meaux angehören, und die Bene-
dietiner von Aniane; gleiche Immunität erhalten bestätigt, die Nonnen
von Argenteuil, die Benedictiner von S. Martin de Tours, die nach
Columban’s Regel lebenden Mönche in Grandval und in S. Maur des
Fosses und die die Regel von Agaunum befolgenden Brüder in
S. Marcel lez Chalons. Es sind andere Verhältnisse, welche damals
hei Klöstern einen sachlichen Unterschied zwischen den Immunitäts
urkunden begründen.
Immunität und Mundium in Erkunden vor 814.
In dem ersten der oben angeführten Merovingerdiplome heisst
es: abbatem . . . sub nostra nostrorumque regum successorum
emunitate et defensione recipimus. Von dieser Verbindung
von Immunität und Defension in einer Urkunde soll dieser Abschnitt
zunächst handeln.
206
S i c k e I
Wesshalb dem Kloster Reome beides zugleich ertheilt wird, ist
in der Urkunde deutlich gesagt: quoniam sicut . . . genitor noster
Clodoveus monasterium domni patroni nostri Joannis ex dono
ipsius sub sua emunitate recepit tenuit et honoravit suisque
posterius regibus per praeceptum haereditarium reli-
quit, ita et nos . . . folgen die obigen Worte. Reome ist also
zur Zeit der Ausstellung dieser Immunität ein dem König gehöriges
oder schlechtweg ein königliches Q Kloster und um dieser speciellen
Qualität willen 3 ) wird ihm zugleich defensio zugesichert. Königlich
sind aber Klöster entweder durch Stiftung oder durch Tradition, in
beiden Fällen werden sie wie jeder andere Besitz vererbt, wenn
nicht eine Veräusserung an dritte oder zu Gunsten des Klosters
selbst, das alsdann unabhängig wird, stattfindet, womit zugleich
auch das aus dem Besitz folgende besondere Mundium des Königs
erlischt.
Es wird schwer, vielleicht unmöglich sein, genügende Beweise
dafür aus der Merovingerzeit beizubringen. Über die ältere Geschichte
der meisten Klöster sind wir nicht genügend unterrichtet, auch
neuere Forschungen haben über sie nicht viel mehr Licht verbreitet
als schon Mabillon inseinen Annalen gethan hatte, und speciell die
Verhältnisse, auf die es hier ankommt, lassen sich nur annähernd
feststellen. Schon die ursprüngliche, durch die Bedingungen der
Stiftung gegebene Qualität nachzuweisen, hält sehr schwer, denn
in der Regel concurriren bei der Stiftung, wie wir gleich bei Epter-
nach des Nähern sehen werden, verschiedene Personen und so lässt
sich z. B. daraus, dass die Fürsten Mitgründer eines Klosters sind,
noch nicht mit Bestimmtheit auf den Charakter desselben schliessen-
Dann aber treten im Laufe der Jahrhunderte, indem mit den Klöstern
1) Allerdings sind schon in dieser Zeit alle königlichen Klöster immun, aber noch
nicht umgekehrt, wie in der Regel gesagt worden ist, alle immunen Klöster
königlich: für das VIII. Jahrhundert müssen beide Prädicate streng unterschieden
werden.
2 ) Professio, das ich zuvor gebrauchte, und qualitas finden sich in diesem Sinne in
officiellen Actenstücken , wie in der Instruction für die Missi von 828 in L. L. I,
329: similiter de omnibus monasteriis inquirant uniuseuiusque qualitatem et pro-
fessionem. Die Qualität bezieht sich auf das Stiftungs- oder Besilzverhältniss, oh
ein Kloster königlich oder bischöflich ist, oder einem andern Kloster unter
worfen ist, oder Privaten gehört; die Profession bezieht sich auf die Ordens
regel.
Beiträge zur Diplomatik.
207
wie mit jedem andern Besitztum und nicht immer dem Recht
gemäss geschaltet und gewaltet ist, zahlreiche auch die Qualität
berührende Veränderungen ein, die im Einzelnen und für die ver
schiedenen Zeiten zu verfolgen, die Dürftigkeit unserer Quellen
nicht gestattet; im günstigsten Falle können wir die Veränderungen
constatiren, aber weder den Zeitpunct noch die bestimmenden
Umstände. So wissen wir aus Fredegar und aus Urkunden, dass das
Marcelluskloster bei Chillons eine Stiftung des Königs Guntram war,
unter Karl dem Grossen aber sehen wir den Bischof in Besitz des
selben. Und S. Denis und Corbie sind jedenfalls von den Mero-
vingerkönigen dotirt und doch haben sie schon lange ehe das
Geschlecht erlischt, nicht mehr die Qualität königlicher Klöster.
Dergleichen genügt nicht, um den Zusammenhang zwischen Besitz
und Mundium darzuthun; wir müssen uns desshalb gleich der Karo
lingerzeit zuwenden, aus der sich einzelne Fälle sicher constatiren
lassen.
Da begegnen uns zunächst Prüm und Ep t er nach als im eigent
lichsten Sinne des Wortes Familienstiftungen der Arnultinger, die
dann seit der Thronbesteigung Pippin’s durch Stiftung königliche
Klöster sind und diesen Charakter auch unter Pippin's Söhnen
bewahren. Ich will hier nicht im einzelnen die bekannten Anfänge
von Prüm erzählen •); es genügt die bezeichnendste Stelle aus dem
Diplom Pippin’s B. 20 (Beyer Nr. 17 aus dem Liber aureus Pru-
miensis) anzuführen: ad monasterium qui dicitur Prumia quem
n o s .. . a novo construximus opere.-talem beneficium . .
visi fuimus ibidem indulsisse, ut in villas ... nullus iudex publicus
absque iussione nostra vel heredum nostrorum.. . non
presumat ingredere, sed ... sub emunitatis nomine sub tui-
cione vel defensione nostra seu heredum nostrorum
debeant quieti in dei nomine residere. Durch die hier im Druck
ausgezeichneten Worte sind zugleich die Abweichungen dieser
Urkunde von der Formel Roz. 16 bezeichnet, die also mutatis mutan-
dis auch in diesem Falle in Anwendung gekommen ist, sowohl unter
Pippin als unter Karl dem Grossen. Denn auch von dem letzteren
*) Das Wesentliche ist zusammengestellt in Rettberg' i, 499 und ergibt sich aus den
in Beyer befindlichen Urkunden, unter denen besonders Nr. 16 = ß. 19 zu
beachten ist.
208
S i c k e 1
liegt derartige immuuitas cum defiensione für Prüm ß. 80 (Beyer
Nr. 28 aus dem Liber aureus Prumiensis) in wesentlich gleicher
Fassung und nicht als Bestätigung redigirt vor; die Erweiterung
derselben hinsichtlich der speciellen Rechte, durch die sie sich von
der Pippin’s unterscheidet, haben wir erst später in Betracht zu
ziehen.
FürEpternach haben wir nur Immunitätsbestätigungen von Pippin,
Carlomann und Karl, die was die Fassung anbetrifft, erst im nächsten
Abschnitte zu besprechen sind. Hier sei nur gleich erwähnt, dass
alle drei Urkunden Immunität mit Mundium ertheilen, hier sei gleich
festgestellt, dass das mit der Entstehungsgeschichte von Epternach
zusammenhängt. Die erste Anlage dieses Klosters ging allerdings
von Irmina, einer Tochter Dagobert’s II. aus, die ihren Antheil an
Epternach durch mehrfache Urkunden (Pard. Nr. 448 — 4S0, 4S9)
dem Willibrord übertrug. Wenige Jahre später schenkten aber
auch Pippin und Plectrude (Pard. Nr. 467, 468), welche in Besitz
der anderen Hälfte von Epternach gekommen waren,jdiese der Stiftung
des Willibrord und nahmen zugleich mit dessen Zustimmung den
gesummten Besitz des Klosters in ihre und ihrer Erben dominatio
et defensio J ). Und alle folgenden Urkunden bis zur Thronbestei
gung Pippin’s wiederholen nun mehr oder minder ausführlich, dass
Epternach in diesem Verhältniss zu dem Gesclilechte der Arnulfinger
steht. Und wird es dann auch, notorisch wie es ist und vielleicht
4 ) Zu P. Nr. 467 bemerke ich, dass in dem um 1200 geschriebenen Liber aureus
Eptern. (auf der Gothaer Bibliothek) stets das richtige Wort dominatio steht, nur
abgekürzt diiatio, woraus das den Sinn entstellende donatio in den Drucken hervor
gegangen ist. Der Widerspruch zwischen den Urkunden ist nicht so arg, als
Reitberg 1, 478 meint. Abgesehen davon, dass wir auch der Unbeholfenheit der
Schreiber im Ausdruck Rechnung tragen müssen, welche wo mehrere Stifter concur-
riren, bald den einen, bald den andern als Erbauer nennen, können die Worte der
Pippin’schen Urkunde: in re proprietatis nostre edificatum sehr wohl den Sinn
haben, dass auch schon vor der Hauptschenkung einzelne Güter von dem dann
an Pippin gekommenen Antheil von Epternach dem Willibrord übertragen waren.
Auch weist ja noch das testamentum Willibrordi in Nr. 468 (cf. auch
Nr. 540) darauf hin, dass nicht aller Besitz der Stiftung aus Pippin’s Eigen
stammt, so dass also .gewissennassen eine gegenseitige Schenkung stattfand: von
Pippin an das Kloster unter Vorbehalt von dominium und defensio und eine Tra
dition von Willibrord an Pippin, um auch für den sonstigen Besitz Defension zu
erhalten. — Aus dem Charakter der Familienstiftung erklärt sich dann auch, was
Waitz V. G. 3, 47, N. 1 übersehen hat, wesshalb und in welchem Sinne Willibrord
in Pard. Nr. 540, Karl Martell seinen Senior nennt.
Beiträge zur Diplomatik.
209
(lesshalb von den Zeitgenossen nicht mehr besonderer Erwähnung
werth gehalten, in den drei Immunitätsurkunden Pippin’s und seiner
Söhne gar nicht mehr berührt — sie reden nur von dem monaste-
rium quod Willibrordus suo opere edificavit, so geschieht es doch
offenbar um dieses Verhältnisses willen, dass diese Fürsten das
Kloster stellen sub sermone tuicionis nostre vel emunitatibus . . . ut
liceat eis pro nostra preceptione vel nostra emunitate quietos vivere
vel residere.
Wie nunReome unter Chlodwig durch Tradition an ihn königlich
wurde, so hat auch unter den ersten Karolingern eine Anzahl von
Klöstern durch Schenkung an die Könige diese Qualität erhalten und
alle diese erscheinen so gut wie die durch Stiftung königlichen in
besonderem Mundium. Bestimmt nachweisen lässt sich das aus den
Diplomen für Uersfeld und für A niane. Für das hessische Kloster
besitzen wir von Karl d. G. B. 63 ein Privilegium (als solches später
zu betrachten) cum emunitate et defensione(Original in Kassel; nicht
ganz fehlerfrei in Wenck 3, Urk. Nr. 4), in dem erzählt wird, dass:
domnus et apostolicus Lullo Mogontiac episcopus . . cenubium ..
in loco .. Haireulfisfelt .. aedificasset in sua proprietate .. et illo
monasterio unacum rebus suis ad se pertinentibns in manibus nostris
tradidit, qualiter sub nostram tudicionem filiorumque nostris et gene-
logia nostra adesse debuisset, worauf der König u. a. das Kloster
sub nostra defensione nimmt. Ich bemerke gleich, dass dieses Ver-
hältniss nicht in jeder Urkunde des tradirten Stiftes wieder erwähnt
wird: es folgen sieben Diplome für Heesfeld ohne alle Bezugnahme
auf die seit 775 beurkundete Qualität, bis erst 782 wieder in einer
königlichen Schenkung der Tradition gedacht und Hersfeld von Karl
als monasterium nostrum bezeichnet wird.
Für Aniane besitzen wir ein Diplom von 787 (Chartul. Ania-
nense in Montpellier; Bouquet 5, 761 Nr. 79) , das allerdings stark
überarbeitet und auch interpolirt ist, dessen ursprünglicher Inhalt
sich aber mit Hilfe späterer Urkunden für dasselbe Kloster und mit
Hilfe analoger Urkunden und Formeln derselben Zeit noch fest
stellen lässt. So lassen sich folgende das Verhältniss klar bezeich
nende Sätze als echt ansehen: Benedictus abba ex monasterio quod
ipse novo opere in re (so ist statt iure zu lesen) proprietatis . . aedi-
ticavit.. ad nostram accessit clementiain ut. . monasterium . . in ma
nibus nostris. . visus est delegasse et ipsum sanctum locum
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLV1I. Bd. I. Hft. ^
210
S i c k e 1
sub nostra defensione atque dominatione ad regendum nobis visus est
tradidisse; und nach Ertheilung der Immunitätsrechte: sed hoc ipse
abbas vel successores sui. . sub iutegrae emunitatis nomine . . vale-
ant dominare. Die delegatio hat also dominatio zur Folge (oder potestas
wieessonst heisst; die dominatio regis scldiesst aber nicht aus, dass
auch von Abt und Mönchen gesagt wird: res monasterii valeant domi
nare), die dominatio hat defensio zur Folge. Somit steht das erst durch
Schenkung königlich gewordene Kloster dem durch Gründung könig
lichen Prüm in dieser Hinsicht gleich. Es ist auch dieselbe Immunität
die dem einen und andern ertheilt wird. Aber dieFassung der Urkunde
für Aniane ist entschieden moderner. Wie wir bei den Immunitäten
ohne defensio sahen, dass etwa seit der Zeit, da Rado der Kanzlei
Vorstand, der Rechtsinhalt der alten Formel Roz. 16. in neue Worte
gekleidet wurde, so begegnen uns auch hier und in der gleich zu
betrachtenden, etwas kürzer gefassten Urkunde für Charroux jüngere
und ziemlich freie Umarbeitungen, die aber in der Arenga und ande
rem noch den Anschluss an die früheren Redactionen verrathen.
Das Diplom für Charroux (Bouquet 5, 762, Nr. 80) scheint
nun den eben aufgestellten Satz von der Folge der Delegation wie
der umzustossen. Hier heisst es nämlich: Rotgerius comes.. ad
nostram accessit clementiam et mouasterium proprietatis quod ipse
novo opere . . construxit . . in manibus nostris .. visus est delegare,
und weiter nach Ertheilung der Immunitätsrechte: sed hoc ipse
abbas vel successores sui . . sub integrae emunitatis nomine valeant
dorniiiare; weder dominatio regis noch defensio werden erwähnt,
und nur zum Schluss wird Charroux vom König monasterium nostrum
genannt. Nun lässt sich aber ein besonderer Grund naehweisen,
wesshalb Karl das Kloster zur Zeit der Tradition noch nicht in sein
besonderes Mundium nahm. Es ist uns nämlich eine Aufzeichnung er
halten, die Mabillon J ) als testamentum Rogerii comitis et Eufrasiae
uxoris eins pro fundatione monasterii Carrofensis mitgetheilt hat.
In ihr heisst es: placuit nobis (dem Stifter und seiner Frau), quam-
diu viventes fuerimus, praefatum locom sub nostra tuitione locan-
i) An». 2, 7i 1. An der Form dieses Stückes ist kein Anstand zu nehmen, sie ist
der der späteren notitiae gleich zu achten, weiche auch vielfach mehrere der Zeit
nach nicht zusarnmenfallende Acte vereinigen, sogar durch Erzählung verbinden
und dann doch wie eigentliche Urkunden mit Datum und Zeugenuntcrschrifteu
versehen werden. Mabillon setzt dieses Stück zu 787, besser ist wohl 785.
Beiträge zur Diplomatik.
2t t
dum, quia quanto magis per cum laboravimus, tanto magis eum
defensare atquetueri oportet; itaque post obitum amborum (am meae
coniugis quam meum tutela atque defensione potestateque regia prae-
cipimus defensandum. Also wegen Vorbehaltes von Seiten des Stif
ters bis zu dessen Tode nimmt Karl das ihm delegirte Kloster nicht
sofort in seinen Schutz *).
Auch Onolzbach wurde nach einem Diplom Karl d. G. von
7S6 (Schütz corp. hist. Brand. 1) von dem Erbauer, dem Bischof
Guntbert, dem Könige per testamentum donationis tradirt und
erhielt darauf integra emunitas in einer Fassung, welche im Ein
gang an die Eplernacher Urkunden, im weiteren mehrfach an die
Urkunde für Aniane anklingt; auch hier finden sich weder dominatio
regis noch defensio, sondern nur die Bezeichnung monasterium
s. Mariae et nostrum. Da gar keine weiteren Urkunden für dieses
Kloster, noch auch nur Erzählungen über dasselbe auf uns gekom
men sind, müssen wir es ganz dabin gestellt sein lassen, ob-hier
ähnliche Gründe wie bei Charroux die Nichterwähnung des könig
lichen Mundiums in der Immunität erklären oder ob die Zusicherung
desselben vielleicht unterblieben ist, weil selbstverständlich dem
monasterium regis Defension zukam.
Hier mag endlich noch ein Stück angeführt werden, das sich
zwar auf ein nicht königliches Kloster bezieht, aber doch auch Auf
klärung über die Stellung der königlichen Klöster gibt: ich meine
das Diplom K. Ludwig’s von Aquitanien für Noaille von 808
(Bibi, de l'Ecole 1° serie, 2, 78 ex orig, mutilo et ex copia saec. XI,
und Redet documents S). Noaille war ursprünglich eine nur zu
S. Hilaire de Poitiers gehörige Zelle, welche als die Mehrzahl der
Brüder von S. Hilaire die minder strenge Regel der Kanoniker
annahm, von den Mönchen die der Benedictinerregei treu bleiben
wollten, besetzt wurde. Schon 793 verlieh K. Ludwig dieser Zelle,
die jedoch vom Mutterkloster abhängig bleiben sollte, Immunität
u. s. w. Später Hess er es sieb angelegen sein, durch die Urkunde
von 808 die Verhältnisse der Benedictiner-Congregation in Noaille
gegenüber den Canonikern und deren Abt zu regeln. Das coenobio-
Auch hei Übertragungen von Klöstern an Bischöfe, wie sie besonders in Italien
häufig sind, kommt es vor, dass der Stifter oder frühere Besitzer sich zunächst
defensio vorbehält; so in Bertini inem. di Lucca Nr. 92.
H
212
Sicke!
Jum in Noviliaco sollte de ratione s. Hilarii, s. Hilario subieetum
bleiben und der König verwahrt sich ausdrücklich dagegen, dasselbe
von dem Hauptkloster trennen zu wollen. Indem er aber andererseits
die Benedictiner sicher stellen will, nos illud (Noviliacum) quasi ex
nostro et per nos in nostra defensione et gubernatione habere volu-
mus, non ab illa casa dei separando, sed illuc semper respiciendo
et a nobis gubernando. Hier wird also ausdrücklich gesagt, dass bei
monasteria ex rebus regis construeta dem König defensio und guber-
natio zustehen, und das wird noch durch die weitere Bestimmung
bekräftigt, dass, damit nicht durch die vom König ausgeübte defensio
wie sie sonst den königlichen Stiftungen zukommt, das Eigen
thumsrecht von S. Hilaire an Noaille zweifelhaft gemacht werde,
der König zur Anerkennung dieses Rechtes einen Jahreszins ent
richten will.
Es gibt endlich ausser den Klöstern, die sei es durch Stiftung,
sei es durch Tradition königlich sind, eine dritte Classe, welchen
damals Defension zuerkannt wird und in deren Immunitäten daher
auch davon die Rede sein kann: ich meine die dem Könige commen-
dirten oder die mit besonderem Schutzbrief betheiligten Klöster,
die ich früher aufgezählt habe und unter denen nun Anisola und
Ilona u uns als auch mit Immunität ausgestattet bekannt sind. Für
jenes hat es neben einander eine Reihe von Mundbriefen und eine
Reihe von Immunitäten gegeben: die älteste der von den letzteren
auf uns gekommenen von Chlodwig III. Pard. Nr. 428 beruft sich auf
die erste Verleihung durch König Guntram und auf die Confirmatio-
nen von Chlotar II., Dagobert I., Chlodwig II., Chlothar III., Theo-
derich III.; die jüngere von Dagobert III. Pard. Nr. 482 erwähnt
noch eine dazwischenliegende von Childebert III. Die zwei uns vor
liegenden Immunitäten nehmen nun gar keinen Bezug auf das
Schutzverhältniss, und wenn auch die daneben hergehende Reihe
von Mundbriefen auf die Immunität hinweist, so geht doch aus
diesen Umständen hervor, dass dem zweifachen Verhältnisse, in dem
das Kloster erscheint, nicht nothwendiger Weise in ein und der
selben Urkunde Ausdruck gegeben zu werden brauchte. Andererseits
konnte das aber auch geschehen, wie das Diplom Pippin’s B. 17
(s. S. 190) beweist.
Bei Hon au ist beides wiederum getrennt. Die Immunitäten
dieses Klosters konnte ich früher (S. 197) unter den immunitates
Beiträge zur Diplomatik.
213
sine defensione aufführen. Zugleich sind uns aber Schutzbriefe für
Honau erhalten. Einen des Hausmaiers Pippin von 748 für Duban
der se unacum omni re monasterii sui commendavit, lernten wir
auch schon kennen; dazu kommt die Privilegienbestätigung des
Königs Pippin (Grandidier 2, preuves Nr. 54) nach der die Mönche
von Honau valeant in nostro sermone . . permanere*).
Haben nun auch die letztgenannten Klöster mit den königlichen
die Defension gemein, so wird doch noch ein Unterschied zwischen
ihnen zu machen sein. Diese haben auf Grund ihrer Qualität das
besondere Mundium, stehen in einem dauernden dinglichen Verhält
nisse zu dem Könige, werden, wenn auch nicht immer, monasteria
regis genannt; für die durch Stiftung königlichen ist ein besonderer
Mundbrief gar nicht bekannt, für die durch Tradition königlich
gewordenen nur je ein Diplom, in dem über die Tradition und die
daraus folgende Defension geurkundet wird. Bei den eommendirten
Klöstern dagegen beruht das ganze Verhältnis auf dem Schutz
briefe , es ist nur ein vorübergehendes und persönliches, das unter
den Karolingern wahrscheinlich mit dem Tode des Commendirten
und dem des Empfängers der Commendation erlosch und zwischen
den Nachfolgern erneuert werden musste 2 ); diese Klöster finde ich
auch nie von den Königen als monasteria nostra s ) bezeichnet.
*) Sicherlich hat die Zahl der Traditionen und Commendationen von Klöstern an die
Könige in demselben Masse zugenommen , als ihre Gewalt erstarkt ist und die
Macht der kleinen Schutzherrn in den Hintergrund gedrängt hat. Traditionen
an Karl werden später oft erwähnt. Eine Commendation von Tegernsee an Pippin
wird in dem Diplome Otto's II. von 979 berichtet.
2 ) Die mehrfach genannte Urkunde Pippin’s B. 17 für Anisola ist solche Erneuerung
des Schutzbriefes für den neuen Abt, wobei freilich einer neuen Commenda
tion nicht gedacht wird (s. S. 271).
8 ) In einer zwar fehlerhaften , aber in der Form ganz den Mandaten entsprechen
den Urkunde Karl d. G. für Honau (Mabillon ann. 2, 699 Nr. 17) werden aller
dings die Güter dieses, wie wir sahen, commendirten Klosters in Bezug auf das
ius inquisitionis den königlichen gleichgestellt, aber nicht weil sie dem Könige
eigen, sondern auf Grund einer allgemeinen Bestimmung oder einer schon
früher zu Gunsten der Schotten erlassenen Verfügung: (mandamus) omnibus
iudicibus il 1 ins terre, ut illi querant omnes res ecclesie cum ratione secundum
legem Francorum , quia res peregrinorum proprie sint regis ... si quis eorum
hoc non fecerit, recognoscat se regis praeceptum non obaudire, quia reges
Francorum libertatem dederunt omnibus peregrinis Scotorum, ut nullus rapiat
aliquid de rebus eorum. — Das Kloster des Abtes Anianus, der sich rnit dem
selben dem Könige commendirte , heisst doch in dem darauf ertheilten Schutz
briefe B. 151 noch monasterium suum.
214
Sicke
Aber wie nahe sieh auch wieder beide Verhältnisse berühren,
zeigt das Beispiel von Lorsch, das dem Könige zugleich tradirt
und commendirt wird. Ich habe dessen auch hierher gehörige
Urkunden bis jetzt desshalb nicht erwähnt, weil die Zeitbestimmung
derselben und somit auch die Aufeinanderfolge der Verleihungen
zweifelhaft ist. Nur die Immunität für Lorsch B. 46 vom Mai 772
führte ich schon unter den einunitates sine defensione an-. Dazu
kommen noch folgende Urkunden in Betracht. Codex Lauresh. 1
Nr. 3 sine anno: das Kloster wird dem Abt Gundeland durch
iudicium evindicaturn zugesprochen, eine Urkunde, die wir unbedingt
vor die Immunität setzen müssen. C. Laur. Nr. 6 vom Jänner 773:
Karl schenkt monasterio nostro die Villa Heppenheim; auch in Nr. 7
nennt der König Lorsch sein Kloster; wenn die Bezeichnung später
nicht wiederkehrt, so lässt sich daraus eben so wenig wie bei Hers-
feld, Aniane, Charroux u. s. w. auf eine Änderung des Verhältnisses
schliessen. Jedenfalls ist also Lorsch schon im Anfang 773 könig
lich, folglich werden wir noch früher das undatirte Diplom C. Laur.
Nr. 4 zu setzen haben, laut welchem Abt Gundeland in manu nostra
tradidit etiam et se cum omnem congregalionem suam in munde-
burdem et defensionem noslram plenius commeridavil, und nun unter
anderm den Schulz zugesichert erhält. So haben wir auch hier
nebeneinander Immunität ohne Erw ähnung von defensio und Schufz-
und Privilegienbrief ohne immunitas. Es fragt sich nur noch, ob
wir die Mundiumverleihung vor oder nach der Immunität setzen
wollen. Ich entscheide mich für letzteres, weil es sich hier nicht
blos um Commendation, sondern auch um Delegation handelt und
weil in den vier zuvor aufgeführten Fällen, in denen durch Tradition
königlich gewordene Klöster immun erklärt werden, der Tradition
ausdrücklich Erwähnung geschieht, sie also auch in B. 46 erwartet
werden müsste, wenn damals Lorsch schon königlich geworden wäre.
Schliesslich ist nun auch noch ein Diplom Pippin's für Na ntua
B. 12 (Guicheuon hist, de ßresse, preuves 213 ex chartul. Nanlua-
censi) hier zu besprechen. Dass dasselbe nach Roz. 16 abgefasst
ist, leuchtet auf den eisten Blick ein. Wir sahen aber, dass diese
Formel sowohl für emunitas allein, als auch mit kleinen Abänderun
gen, wie in dem Diplom für Prüm, für emunitas cum defensione
angewandt wurde, können also aus der Übereinstimmung der Urkunde
mit Roz. 16 noch keinen Schluss auf die Qualität von Nantua machen.
Beiträge zur Diplomatik.
215
Und sonst haben wir aus dem VIII. Jahrhundert von dieser Stiftung
gar keine Kunde, als was uns in diesem augenscheinlich sehr
verderbten Stücke berichtet wird , ). Da fragt es sich zunächst, ob
wir den Satz: sed hoc ipse abbas aut monachi agant sub domina-
tione nostra als der ursprünglichen Redaction angehörig betrachten
oder ihn den Formeln und Urkunden entsprechend, die an dieser
Stelle zumeist enthalten: agant sub emunitatis nomine, emendiren
sollen. Ich entscheide mich für das erstere, weil in einer der spätem
Urkunden für Nantua dasselbe mit klaren Worten als königlich be
zeichnet wird. In einem Diplome Lothar's, wahrscheinlich vom
25. Juni 852 3 ), in dem das Kloster der Lyoner Kirche geschenkt
wird, wird nämlich auf die Zeit zurückgewiesen: quandoid sub nostrae
proprietatis inerat dominio. Lassen wir aber die obigen überlieferten
Worte stehen, so vermissen wir in der ganzen Urkunde die Worte
emunitas und defensio. Dennoch kann, da die Einzelbestimmungen
der Immunität folgen und da das ganze Stück nach einer Immuni
tätsformel abgefasst ist, nicht zweifelhaft sein, dass wir es hier mit
einer Immunitätsurkunde zu tliun haben. Was aber den zweiten
Punct anbetrifft, so verhält es sich dann mit diesem Diplome wie
mit dem für Onolzbach: die Qualität kann nicht zweifelhaft sein,
und doch wird die ihr entsprechende Defension nicht erwähnt.
Fanden wir nun aber, dass in den Immunitäten für entschieden
im Königsschutze stehende Klöster, wie für das durch Tradition
königlich gewordene Onolzbach oder wie für das mit Mundbrief aus-
gestattete Donau der Defension nicht gedacht wird, so ist allerdings
*) Unzweifelhaft ist zu lesen für studentes: statuentes, obgleich sich jenes
auch in ß. 60 ex codice Eberliardi (Fulda) findet; für potestas quoquo honore ;
p. q, tempore; für fiscus non de freda: noster; für per manus nostra
authoritate: a gentium eorum. — Bei der Vereinigung von Nantua mit
Clugny kamen die Chartularien in das Archiv des letzteren Klosters und sind nun
hoffentlich von Auguste Bernard , dem Herausgeber des Cartulaire de Savigny, der
das Urkundenhuch für Clugny schon zum Druck bereit liegen hat, mit berück
sichtigt.
a ) Von späteren Diplomen für Nantua sind drei in Bouquet 8, 372. 388. 391 abge-
druckt. Das eivte, ein Wahlprivilegium, ist entschieden später überarbeitet. Das
selbe gilt von dem zweiten, in welchem Nantua an den Erzbischof Remigius von
Lyon geschenkt wird , in blühendem Stil geschrieben, wie er in Urkunden dieser
Zeit nicht vorkommt. Für die echte Schenkungsurkunde halte ich die dritte ohne
Schlussformeln, die uns wahrscheinlich in dem zweiten, aus dem dritten entstan
denen Diplome erhalten sind. Nur diese dritte Urkunde glaube ich hier und im Fol
genden benützen zu dürfen.
216
S i c k e 1
zuzugeben, dass doch vielleicht noch das eine und andere Kloster,
von dem wir nur emunitas sine defensione kennen, in Königsschutz
gestanden hat. Dadurch werden aber die Hauptergebnisse nicht um-
gestossen werden, zu denen wir gelangt sind, und die ich hier noch
mals zusammenfasse. Wir haben in dieser Zeit Immunität und Mun-
dium streng auseinander zu halten und dürfen weder Immunität als
Ausfluss des Mundiums oder als mit ihm regelmässig verbunden be
trachten, noch umgekehrt J ). Immunität sahen wir bisher jeder Art
von geistlichen Instituten, Kirchen und Klöstern und den letzteren
ohne Unterschied der Qualität und Profession zuerkannt; in wiefern
dennoch bei Klöstern auch die Immunitätsverleihung an Bedingungen
geknüpft war, kann erst in der Folge dargelegt werden. In Bezug
auf das Mundium fanden wir aber schon, dass es in allen uns aus der
Zeit vor 814 bekannten Fällen durch besondere Umstände motivirt
ist, durch ein Abhängigkeitsverhältniss wie es entweder aus dem
Eigenthumsrechte hervorgeht, oder freiwillig und zeitweise einge
gangen wird; dem entspricht es, dass, worauf ich zurückkommen
werde, damals keine bischöfliche Kirche, kein selbstständiges oder
im Eigenthume eines anderen befindliche Kloster in des Königs
Mundium steht. Daher können auch Immunität und Mundium nur
eventuell, nämlich in zwei Fällen vereinigt erscheinen: erstens bei
durch Stiftung oder Tradition königlichen Klöstern, welche auf
Grund dieser Qualität wie alles königliche Gut Immunität 3 ) und zu
gleich Defension haben; zweitens stehen die dem Könige commen-
dirten Stifter in dessen Schutze und können dazu wie andere Klöster
Immunität erhalten: in letzterem Falle können Immunität und Mun
dium entweder gleichzeitig in einer oder in zwei getrennten Ur
kunden oder auch das eine nach dem Anderen ertlieilt werden.
Immunitätsbcstiitigungeu bis 814.
Schon in dem letzten Abschnitte habe ich, insoweit es die dort
besprochene Frage betreffen konnte, Confirmationen von Immunitäten
angeführt, nämlich die kleine Zahl derer, welche zugleich emunitas
J ) Die entgegengesetzte Ansicht, wie sie z. ß. Maurer Fronhöfe 1, 303 seq. aus-
spricht, beruht einerseits darauf, dass die Zeiten nicht gebührend unterschieden
werden, zweitens auf der arglosen Benutzung von falschen Urkunden.
*) Waitz V. G. 4, 245.
Beiträge zur Diplomatik.
217
und defensio enthalten. Indem also dieser wichtige Punct schon
Berücksichtigung gefunden hat , soll hier nur noch von der
stilistischen Fassung dieser Kategorie von Urkunden und von dem
Verhältnisse zu den Formeln die Rede sein. Auch da schicke ich
die Liste der betreffenden Merovingerdiplome voraus, welche als
gut überliefert betrachtet werden können.
1. Diploma pro mönasterio Dervensi a. 683. — Pard. Nr. 403
ex chartul. Derv.; nach Inhalt und Protokoll, so weit letzteres erhal
ten ist, unverdächtig und nur sprachlich überarbeitet; ist Bestäti
gung der zuvor angeführten Immunität von 673 und stimmt mit die
ser im Wortlaut des zweiten Theiles überein.
2—4. Drei gleichlautende Immunitätsbestätigungen fürSithiu
von Chlodwig III. a. 691 Pard. Nr. 417, Chilperich II. a. 716 Pard.
Nr. 307, Theoderich IV. a. 721 Pard. Nr. 315 aus dem chartul.
Folquini, mit sprachlichen Correcturen.
5. und 6, Zwei gleichlautende Confirmationen für Anisola von
Chlodwig III. a. 692. Pard. Nr. 428 und Dagobert III. a. 712 Pard.
Nr. 482 aus dem chartul. Anis., mit sprachlichen Correcturen.
7. Childebert’s III. Immunitätsbestätigung für T u ss o n v a 1 a. 696.
Pard. Nr. 436, besser in Tardif Nr. 37 aus dem Original im Pariser
Archiv.
8. Von demselbenfür das Klosters. S erg ii Andegavensis a. 703
Pard. Nr. 463 aus jüngeren Abschriften und sprachlich überarbeitet.
9. Chilperich's II. Confirmation für S. Denis a. 716 Pard. Nr.
493 und besser Tardif Nr. 46 aus dem Original in Paris.
Alle diese Urkunden stimmen im Hauptinhalt unter sich und
mit der Marculfischen confirmatio de emunitate (Roziere 20) über
ein. Das Wort defensio kommt in ihnen nicht vor, auch nicht in den
Bestätigungen für das in Königsschutz stehende Anisola. In Pard.
Nr. 436 und 463 sucht man auch das Wort emunitas vergeblich,
aber indem alle betreffenden Einzelbestimmungen gegeben werden,
vertritt offenbar das wiederholt gebrauchte praeceptio den bestimm
teren Ausdruck preceplio emunitatis. In der Fassung sind nur die
ein und demselben Kloster ertheilten Diplome einander gleich, die
Texte aller anderen weichen von einander und von Roz. 20 ab; den
noch steht diese Formel z. ß. der Bestätigung für S. Denis näher,
als Marculf’s Formel für neue Immunität irgend einer Merovinger-
urkunde dieses Inhaltes.
218
S i c k e 1
Die Kanzlei der ersten Karolinger copirt nun aucli hier in den
meisten Fällen die ihr vorgelegten älteren Urkunden, in mehreren
Fällen können wir das bestimmt naehweisen, in anderen wird, wer
mit der Ausdrucksweise und Sprache der verschiedenen Zeiten ver
traut ist, erkennen, dass die Fassung der betreffenden Confirmation
bis in die Zeit der Ausstellung der bestätigten Urkunde zurückreicht.
Daher denn dieselbe Mannigfaltigkeit der Textirung wie in der
Merovingerperiode: sie ist unter den Karolingern bei den Bestäti
gungen entschieden grösser als bei den neuen Immunitätsver
leihungen, denn ausser den vielfältigen Nachbildungen begegnen uns
auch noch neue Redaclionen, sei es ganz selbstständige, sei es auf
Grundlage gewisser Formeln. Im letzteren Falle bedient sich die
Kanzlei Pippin’s ebenfalls wieder mit Vorliebe der Sammlung Mar-
culfs, also für diese Urkundenart Roz. 20, welche auch wir um so
mehr als Norm betrachten können, da der Hauptinhalt derselben
auch in den in der Fassung abweichenden Stücken wiederkehrt.
Aus ihr und den entsprechenden Urkunden ist da vorzüglich hervor
zuheben, dass sie emunitas, häufig mit dem Zusatz omnis oder inte-
gra, aber ohne defensio erlheilen, dass die früheren Verleihungen
nicht allein vorgelegt werden, sondern ausdrücklich bemerkt wird,
dass das Vorrecht der. Immunität bis auf die Gegenwart in Kraft,
geblieben ist (et ipse beneticius . . sicut a supradictis principibus
fuit indultum, moderno tempore asserit esse conservatum), und dass
in dem Theil, welcher die wiederholte Zusicherung der Rechte aus
spricht, wesentlich dieselben Bestimmungen enthalten sind, wie in
den durch Roz. IG repräsentirten neuen Verleihungen. Ja dieser
zweite Theil der Diplome wird in der Regel nicht nach Roz. 20,
sondern geradezu nach Roz. 16 stilisirt; daher begegnen hier auch
häufig die in jener Formel fehlenden Wendungen: sub integra
einunitale possidere, dominare, quietus atque securus residere u. s. w.
Indem damit der allgemeine Inhalt und das gemeinsame Gepräge
dieser Art yoii Urkunden charakterisirt ist, brauche ich bei der nun
folgenden Liste der Confirmationen bis 814 nur diejenigen Abwei
chungen hervorzuheben, welche wesentliche sind oder eventuell
als solche erscheinen könnten.
Pippin für die Utrechter Kirche, aus dem CoJ. Cottonianus
saec. XI bei Heda 35 in sehr fehlerhaftem Abdruck, der sich aber
Beiträge zur Diplomatik. 219
leicht aus der von Anfang bis zu Ende Hochgebildeten Formel Roz.
20 verbessern lässt.
Derselbe für Murbach,aus mir unbekanntem Codex in Schöpf-
lin Als. dipl. 1. Nr. 30. fehlerhaft, die erste Hälfte ziemlich gleich
Roz. 20, die zweite in kürzerer, häufig wiederkehrender Fassung,
welche den Schlussformeln nach unter Pippin entstanden sein muss.
Die Urkunde wird zweimal von Karl d. G. B. 4S und 69 wörtlich
wiederholt: die noch im Departementalarch'iv zu Colmar erhaltenen
Originale lassen besonders in den Schreibfehlern die ganz mechani
sche Art des Abschreibens erkennen 1 ).
Für S. Denis liegt eine Reihe von Immunitätsbestätigungen vor,
welche mit Pippin B. 26 (apographum saec. IX und nicht, wie auch
noch Tardif Nr. 61 angibt, Original) beginnt. Die Anfangsworte:
incipientia regni nostri affectu de nostra erectione integre auxiliante
domino vigilavi et pro ipsa bona opera auctum cum consilium pon-
tefecum vel seniorum opfimatum nostrorum emunitate pro nosfro
confirmandum regnum et mercide vel ad inepiscendain vitam aeter-
nam renovare deberimus, quod ita et focimus — bieten wieder ein
Beispiel dar, dass die Arenga zuweilen den besonderen Umständen,
unter denen die Urkunde ausgestellt wird, entsprechend verfasst
wird. Zunächst haben wir wie in dem früher besprochenen Prolog:
iuvante domino u. s. w. einen speciellen Hinweis auf die Erhebung
Pippin’s, ausführlicher werden dann hier die daraus entspringenden
Pflichten hervorgehoben. Dieselben Worte leiten nun nicht allein
die an gleichem Tage ertheilte Privilegienbeslätigung Pippin’s B. 2S,
da jedoch mit einer die Verehrung des h. Dionysius und die Ver
dienste der Mönche von S. Denis berührenden Erweiterung, ein,
sondern ohne Rücksicht darauf, oh die speciellen Umstände noch
dieselben sind, auch die Urkunden Carlomann’s von 769 (Bibi, de
l’Eeole, 4 serie 2, 348 ans Original) und Karl d. G. B. 68, und 94
*) Gerade an dem Tage, da ich dies schreibe, kommt mir ein lehrreicher Fall von
mechanischem Nachschreiben einer Formel oder eines Concepts vor, den ich hier
zu erwähnen Gelegenheit nehme. Es handelt sich um die im Wiener Staatsarchiv
befindliche Originalurkunde ArnulFs B. 112ö (Hund melrop. 2, 10. f >), in welcher
zweimal, nämlich vor dem Namen des Fürsprechers des Grafen Liutpold und vor
dem Namen des beschenkten königlichen Jägers Gundpercht die Majuskel N steht,
offenbar weil im Concepl oder der"Formel, nach welcher der ziemlich gedanken
lose Schreiber die Originalausfertigung schrieb, statt des Namens das damals in den
Formeln schon häu fige N stand.
220
Siekel
(Bouquet 8, 721 und 740 aus Original). Dieser Satz nun, jedenfalls
zuerst 768 und wahrscheinlich von dem die Urkunde Pippin’s reeog-
noscirenden Hitherius verfasst, gibt uns den sichern Massstab für
die stilistischen Leistungen der damaligen königlichen Schreiber.
Al).er nur auf diese Eingangsworte beschränkt sich ihre eigene
Arbeit, denn von oportet climentiae principali an beginnt eine schon
in Marculf (Roz. 875) befindliche Arenga. In diesem Falle jedoch
hat der Schreiber von B. 26 nicht nach der Formel, sondern bis zu
dem Schlussworte des Contextes nach der oben angeführten Urkunde
Pard. Nr. 495 (oder eventuell nach einer dazwischen liegenden,
uns nicht erhaltenen Urkunde) sein Diplom geschrieben. Wir können
den Wortlaut also mindestens bis in den Anfang des Jahrhunderts
zurückverfolgen, müssen aber die Möglichkeit einer noch älteren Ent
stehung zugehen, indem die nur verderbt und interpolirt auf uns
gekommene Immunität Dagoberts I. für S. Denis a. 637 Pard. Nr. 281
die wesentlich gleiche Redaction erkennen lässt.
Die schon citirten drei Diplome der Söhne Pippin’s wiederholen
nun auf das getreueste den Wortlaut von B. 26 und diese Zusammen
gehörigkeit der vier oder was die Eingangsworte anbetrifft, der fünf
Urkunden wird nun auch bei der Beurtheilung gewisser Bestimmun
gen und Ausdrücke in denselben beachtet werden müssen. Ich habe
schon den Eingang der Arenga, diesen aller Regeln der Latinität
spottenden und sich jeder sichern Interpretation entziehenden Satz
als unter besonderen Umständen, im Augenblick da Pippin am Ende
seiner Laufbahn stand, abgefasst bezeichnet; in ihm findet sich nun
der bedeutsame Hinweis: cum consilium ponteficium vel senio-
rum optimatum nostrorum, wie es in dem ältesten Originale dieser
Diplome heisst. Die Seltenheit der Erwähnung des Beiraths in älte
ren Karoliugerurkunden ist schon oft, so auch von Waitz 3, 498
betont; man kann aber das derartige Vorkommen (von der analogen
Art der Mitunterzeichnung der Diplome durch die Grossen wird
später zu handeln sein) geradezu auf diesen einen, wenn auch
noch in vier Nachbildungen wiederkehrenden Fall beschränken.
Denn alle sonst dafür angeführten Urkunden sind stark überarbeitet
und sehr verderbt, nämlich Ludwig d. F. B. 249 und dessen Urkunde
für Ellwangen in Wirtemberg. Urkundenbuch 1, Nr. 71 (nicht wie
dort behauptet wird, nach Original, sondern das betreffende Stück
im Stuttgarter Archiv ist eine Abschrift des ausgehenden IX. Jahr-
Beiträge zur Diplomatik.
221
hunderts). ln die vier Immunitäten für S. Denis ist aber die ganze
Arenga mit diesem Hinweis nur übergegangen aus der Privilegien-
bestätigung B. 25, welche auch am Schluss nochmals enthält: per
consensum pontificum optimatum illustrium virorum nostrorum pro-
cerum, und in der, wie wir später in dem Abschnitte über die Privi
legien sehen werden, die Erwähnung der Zustimmung durch den
Inhalt dieser Art von Urkunden bedingt ist und erklärt wird.
Zweitens geben diese Urkunden Anlass über das Vorkommen
von leudes in Karolingerzeit zu sprechen (s. Waitz 2, 226, Nr. 2
und Roth Benef. 306). Dies Wort kann damals nur noch die von
Roth nachgewiesene Bedeutung von fideles gehabt haben, muss
aber überhaupt ein veraltetes, nicht mehr übliches Wort gewesen
sein. Ich habe es nur in neun für S. Denis ausgestellten Diplomen
und in einem für Trier gefunden. Zunächst ist es in die vier hier
besprochenen Immunitäten aus Pard. Nr. 495 übergangen; so auch
in das wörtlich nach Pard. Nr. 527 geschriebene Privilegium
B. 25. Es begegnet ferner in B. 7 und dessen getreuer Nach
bildung B. 28 von Carlomann; jenes enthält eine gerichtliche Ent
scheidung über Zollstreitigkeiten und Bestätigung eines zu Dagobert’s
Zeiten dem Kloster zugewiesenen Marktzollertrages, wobei eben so
wie in dem dieselbe Angelegenheit betreffenden Pard. Nr. 477 eine
Anzahl älterer, nicht auf uns gekommener Merovingerdiplome vor
gelegt wird: offenbar ist aus einem derselben der die Bestätigung
enthaltende Theil, in dem auch die leudes genannt werden, copirt.
Und zwar nicht auf frühere Urkunden, aber auf entschieden ältere
Formeln weist auch der Wortlaut der zwei letzten dies Wort enthal
tenden Diplome für S. Denis hin, der Confirmation Pippin’s für Ful-
rad B. 27 und einer Schenkung Karl d. G. au denselben von 774 im
Wirtemb. Urk. Nr. 23. Über leudes in der Trierer Immunitätsbestä
tigung wird noch besonders zu sprechen sein: auch da so gut wie
in den Diplomen für S. Denis erscheint leudes als ein in seiner Be
deutung kaum noch verstandenes, nur noch in Folge mechanischen
Nachschreibens auf tauchendes Wort.
Von der ersten Confirmation Karl d. G. B. 68 verdient noch
bemerkt zu werden, dass sich bis auf den heutigen Tag zwei
Oiiginalausfertigungen (im Pariser Archiv K. 6, Nr. 5) erhalten
222
S i c k e 1
haben, für deren von Kopp *) bestrittene Authenticität Ich nach
sorgsamster Prüfung der Stücke bürgen kann. Mehrfache Ausfer
tigungen derselben Urkunde lassen sich auch sonst schon in dieser
Zeit nachweisen »), wie es denn bei gewissen Erlässen, z. B. bei Zoll
befreiungen und den sogenannten tractoriae in der Natur der Sache
lag, sie in mehr als einem Exemplar auszustellen. B. 68 ist in Bouquet
nach Original A abgedruckt, in diesem lassen sich, wie das oft vor-
kommt, zweierlei. Hände erkennen: der recognoscirende Wigbaldus
schrieb die ersten sechs Zeilen, die Subscriptionen und das Datum,
dazwischen setzt eine andere Hand ein. Original B dagegen ist ganz
von der Hand des Wigbaldus geschrieben. Beide dilferiren zunächst
in der dem König beigelegten Titulatur: in A steht, inB fehlt ac patri-
cius Romanorum, der schlagendste Beweis für das sich auch aus den
übrigen Diplomen dieser Zeit ergebende Resultat, dass in den
Jahren 774 und 775 noch keine feste Norm für diesen Theil des
Protokolls festgestellt war; es geschah dies erst seit der Zeit, da
Iiado die Leitung der Kanzlei übernahm. Die sonstigen Differenzen
berühren nirgends den sachlichen Inhalt, sondern beschränken sich
auf ein mehr oder minder einiger Worte, auf Vertauschung syno
nymer Ausdrücke, auf wechselnde Sprachformen, d. h. sie veran
schaulichen sehr gut den Vorgang beim Copiren, wie er ganz gleich
sich bei den Formeln nachgebildeten Urkunden erkennen lässt: die
Schreiber haben, um eine neue Urkunde oder auch ein Duplicat zu
schreiben, eine Formel oder andere Urkunde vor sich liegen, geben,
falls nicht Änderungen beabsichtigt werden, den Inhalt und Satz-
1 ) Es existirt in diesem Archiv ein im XVIII. Jahrhundert angelegtes Urkundenver-
zeichniss, welches Koj>p seiner Zeit zur Verfügung gestellt wurde und an dessen
Rand er seine kritischen Bemerkungen schrieb, von denen nur ein Theil in seiner
Palaeographia crilica mitgetheilt ist. Es sind nicht motivirte, sondern nur kurz
ausgesprochene Urtheile von zuweilen sehr naivem Ausdruck, wie er z. B. ein
iudicium evindicatum B. 199 , welches von einem pfalzgräflichen Notar und nach
den für Gerichtsurkunden bestehenden besonder!» , von Kopp verkannten Regeln
abgefasst und geschrieben ist, mit den Worten abfertigt: s’il n’est pas faux, je
le suis, Kopp. So finden von 15 Stücken Karl d. G., die das Verzeichniss aufzählt,
nur B. 94, 97. 110. 125 vor seinen Augen Gnade. Ich kann Kopp, der, wie ich
schon in Beiträgen z. D. 2, 115 gezeigt habe , ganz einseitige Regeln für die
äusseren Merkmale aufgestellt hat, auch in der Beurtheilung der Pariser Urkunden
nicht beistimmen und werde seiner Zeit mein abweichendes Urtheil ausführlich
begründen, hier muss ich mich begnügen, Kopp’s Urtheil über die zwei B. 68 ent
haltenden Ausfertigungen als nicht stichhältig zurückzuweisen.
2) Pard. Nr. 433. — B. 238. 270. 427 u. a.
Beiträge zur Diplomatik.
223
bau ganz genau wieder, im Allgemeinen auch die Worte und deren
Formen, erlauben sich aber auch an den letzteren zu ändern. Wo
also vom Copiren oder Nachbilden die Rede ist, hat man auch in
dieser Zeit an das litteras plus vel minus, wie man sich später aus-
driickt, und daran zu denken, dass dieser Vorbehalt auch noch wei
tere Ausdehung auf. Änderung einzelner Worte und Satztheile
zulässt, — Ein sachlicher Zusatz zu der Vorlage Pard. Nr. 495 in
B. 68 findet sich nur in den Worten, welche die Immunität für
S. Denis auch auf dessen neue Erwerbungen in Italien quae dicitur
Langobardia vel Valletellina ausdehnen (eben so wie an dem glei
chen Tage dem Kloster eine neue ebenfalls auf Italien ausgedehnte
Zollbefreiung ausgestellt wurde), wird dann aber in der späteren
Erneuerung B. 94 wieder ausgelassen. Es drängt sich die Frage
auf, wesshalb hier von demselben Könige demselben Abte Fulrad in
dem kurzen Zeiträume von vier Jahren zwei inhaltlich ganz gleiche
Immunitäsdiplome ausgestellt wurden, deren zweites des ersteren
garnichtgedenkt, sondern nur als Bestätigung derUrkunden derVor-
gänger erscheint. Es kommt das auch noch hei Novalese vor, dessen
Abt FrodoenusB. 53 als neue Immunitätsverleihung und inB. 92 eine
Bestätigung der von Pippin und angeblich von früheren Königen
ertheilten Immunität erhält. Wenn später, als Lothar Mitregent
seines Vaters geworden ist, Äbte die schon von Ludwig d. F. solche
Urkunden erwirkt hatten, sich dieselben nochmals unter den
Namen von Ludwig und Lothar ausstellen lassen, so Adalard von
Corbie B. 379, nachdem er schon im Jänner 815 eine noch unge
druckte Immunität erhalten hatte, oder Tancrad von Prüm B. 243
und 380, so erklärt sich diese Vorsicht zur Genüge aus dem
Wechsel der politischen Lage. Für die Fälle aus der Zeit KarFs
dagegen wüsste ich keinen andern Grund anzugehen, als den, dass
bei der geringen Rechtssicherheit auch die Königsurkunden keinen
absoluten Schutz gewährten und eine Immunität jüngeren Dalums
wenigstens das Gebot des Königs von Neuem einschärfte.
Weitere Immunitätsbestätigungen sind: Pippin B. 24 für S.
Hilaire de Poitiers, am correetesten in Redet documents de S. Mil.
1, aus der früher fälschlich für Original gehaltenen Abschrift saec.
IX im Arch. du depart. de Vienne. Die Arenga entspricht älteren
Formeln, wie sie in Pard. Nr. 309, 336, 359 und mit Umstellung der
Aufangsworte in Pard. Nr. 482 vorliegen; vielleicht stützt sich die
224
S i c k e I
Fassung der ganzen Urkunde, die als bedeutende Abkürzung von
Roz. 20 bezeichnet werden kann, auf ältere Redactionen.
Von Corbie einer königlichen Stiftung, damals aber nicht mehr
als königliches Kloster bezeichnet, kennen wir die älteren Immuni
täten nicht, daher ist die Entstehungszeit der gleichlautenden Con-
firmationen Pippin’s (noch ungedruckt und schlecht überliefert im
Cartulaire noir de Corbie s. XIV auf der Pariser Bibliothek, lässt
sich aber mit Sicherheit aus der folgenden ergänzen und verbessern)
und Karl d. G. B. 40 (aus demselben Chartular, in Bouquet 5, 715)
nicht sicher festzustellen, die Ankündigung der Unterschrift lässt aber
ältere Vorlage vermuthen.
Für die königliche Stiftung (s. S. 34) Epternach kenne ich
drei gleichlautende Immunitätsbestätigungen Pippin’s und seiner
Söhne (im Liber aureus Epternac., noch ungedruckt; der einzige
Unterschied zwischen den Urkunden ist der, dass in die letzte die
karolingische Ankündigungsformel eingesetzt ist), die sich in der
Fassung auf's engste an die gleichfalls Mundium und Immunität ent
haltenden Diplome für Anisola, Pard. Nr. 168, 372 und B. 17 an-
schliessen, jedoch so, dass die specielle Mundiumverleihung mit ihren
Einzelbestimmungen in den letzteren in den Urkunden des schon an
und für sich königlichen Epternach wegfällt.
Immunitätsbestätigung Carlomann’s für Gran fei den, noch am
besten ') abgedruckt nach einem Vidimus im Basler Archiv in Trouillat
mon. de 1’hist, de Bäle 1, Nr. 41; alle früheren und späteren Diplome
fehlen. Die Arenga erinnert an Pard. Nr. 408 u. a.; die einzelnen
Sätze finden sich in Roz. 16, 20, 23; die Ankündigungsformel ist
karolingisch.
Derselbe für das Nonnenkloster Argenteuil B. 32, in Bouquet
5, 718, Nr. 9 aus dem erst seit 1820 abhanden gekommenen Original.
Ähnliche Arenga häufig in Merovingerurkunden, sehr knappe Fas
sung des Inhaltes von Roz. 20, Ankündigungsformel lässt auf ältere
Vorlage schliessen.
Das Diplom Karld. G. für Sithiu B. 42, am besten bei Mabillon
de re dipl. 610 aus Chartularium Folquini, ist vom ersten bis letzten
i) Der Angabe Schöpflin’s, die Urkunde aus Original abzudrucken, ist nicht zu trauen.
— Forel regeste Nr. 44 versieht das Stück mit Datirungszeile, die er aber offenbar
aus Versehen dem in Bouquet vorausgehenden Diplom für Münster im Georgenthal
entnommen hat.
Beitrage zur Diplomatik.
225
Wort nach den Immunitäten Chilperich’s II. a. 718 Pard. Nr. 507 und
Theoderich's IV. a. 721. Pard. Nr. 515 geschrieben, die wieder die
Arenga ausgenommen, gleich der Chlodwig’s III. a. 691. Pard.
Nr. 417 sind.
Die Immunitätsbestätigung für die nach Columbanerregel leben
den Mönche von S. Maur des Fosses von 771 (fast gleichzeitige
Abschrift im Pariser Archiv und nicht, wie Tardif Nr. 69 angibt,
Original) beruft sich auf nicht erhaltene Conürmation Pippin’s,
schliesst sich in einzelnen Wendungen der früher genannten ersten
Verleihung von Childebert III. an und weist auf eine den Immu
nitäten für Corbie nahe stehende Redaction der Merovinger-
zeit hin.
Die betreffenden Urkunden für Metz und Trier müssen wegen
ihrer schon von Waitz hervorgehobenen Übereinstimmung in Zu
sammenhang betrachtet werden; sie unterscheiden sich sowohl
durch weiter gehenden Inhalt, als durch besondere Fassung von allen
anderen Immunitäten dieser Zeit, namentlich auch von den wenigen
für fränkische Kirchen, für Utrecht und Speier, die auf uns gekom
men sind. Beide sind nur handschriftlich und incorrect überliefert:
die für Trier in einer vom Erzbischof Balduin im XIV. Jahrhundert
angelegten Sammlung und aus ihr in Beyer 1, Nr. 24 abgedruckt,
die für Metz B. 65 in jetzt nicht mehr nachweisbarer Copie, nach
Tabouillot und Meurisse in Bouquet 5, 727 veröffentlicht. Würde nur
eine dieser Urkunden vorliegen, so wäre es sehr schwer über die
Echtheit zu urtheilen. Ich habe mich auch des Gedankens nicht
erwehren können, dass wir es hier vielleicht mit einer von dem einen
Ort auf den andern übertragenen Fälschung zu thun haben könnten,
finde aber einerseits in der Geschichte des Erzbislhums und des
ihm untergebenen Bisthums keinen Anhaltspunct für solche Annahme,
andererseits lehrt die Vergleichung der späteren und zum Theil
sicherer beglaubigten Immunitäten für beide Kirchen, dass ihnen von
Alters her weiter gehende Rechte eingeräumt waren. Unter diesen
Umständen stützen und erklären sich beide Urkunden gegenseitig. Ich
gehe bei der Einzelbetrachtung von dem Diplome für Trier aus. In ihm
wird unmittelbar nach dem Titel und vor der Arenga eine Inscriptio
eingeschaltet. Das geschieht in gewissen königlichen Acten, in
Briefen, Mandaten u. s. w. auch in späterer Zeit; in eigentlichen Urkun
den dagegen findet es sich vornehmlich nur im VIII. Jahrhundert,
Sitzb. d. j)hi 1.-hist. CI. XLVII. Bd. I. Hft. I •:
226
S i c k e 1
also auch unter Pippin und Karl, und dein entsprechend auch in
einigen in dieser Zeit entstandenen Formeln. Der Prolog der Trierer
Urkunde kehrt vollständig in dem von B. 63 wieder, nur sind dem
letzteren die Worte: iuvante domino qui nos in solium regni instituit
vorgesetzt, die wir eben so wie den analogen Satz: incipientia
regni etc. als vielen Urkunden Pippin's eigenthiimlich kennen
lernten. Das sonst beiden Arengen Gemeinsame lässt sich schon
in Pard. Nr. 338 und 377 u. a. nachweisen. Die weitere Fas
sung ist bis auf zwei Stellen identisch. B. 63 hat nämlich noch
den Zusatz: illud addi placuit scribendum — ad ipsam casam profi-
ciantin augmentis. Eingehender können wir die darin ausgesprochene
Bestimmung erst später besprechen; nur vorläufig sei hier bemerkt,
dass sie obschon ganz vereinzelt desshalb weniger Verdacht erre
gen kann, weil sie eine Beschränkung der aus der Immunität etwa abzu
leitenden Gerechtsame enthält. Zweitens nachdem in beiden Diplomen
die Unterschrift in auf Merovingische Vorlage hinweisenden Worten
angekündigt ist, fügt die Trierer Urkunde nach deerevimus in dei
nomine roborare noch hinzu: et a pontifice vel a leudis nostris
subter iussimus adfirmare, ut semper haec praeceptio nostris et
futuris deo auxiliante temporibus stabilis et conservata in omnibus
esse permaneat. Eine positive Entscheidung, ob dieser Zusatz als
ursprünglich oder als auf Interpolation beruhend anzusehen ist,
halte ich für unmöglich. Mitunterzeichnung der Königsurkunden ist
nämlich eben so ungewöhnlich als die zuvor besprochene und etwa
dasselbe bedeutende Erwähnung des Beirathes, und bei Stücken
wie Pard. Nr. 282, 362 u. a., die auch sonst Kennzeichen der
Überarbeitung tragen, werden wir sie unbedingt auf Bechnung der
letzteren setzen. Nur ein einziges unanfechtbares Beispiel liegt aus
Merovingerzeif im Originaldiplom Chlodwig’s II. Pard. Nr. 322
vor, in einer concessio ad privilegium, wo sich die Unterschriften
eben so wie der consensus poritificum etc. aus dem besondern Inhalt
erklären lassen. Dem entsprechend wird sich die Mitunterzeich
nung auch in zwei Pippin'schen Diplomen analogen Inhalts B. 3
und 19*) vertheidigen lassen. Aber weder unter der ersten, noch
1) B. 19 ist nur im Liber aureus Prumiensis erhalten. — B. 3 habe ich in einer frühe
ren Arbeit als Original bezeichnet, aber wiederholte Untersuchung des Stückes hat
mich belehrt, dass es nur eine ziemlich gleichzeitige, Abschrift ist; ich komme auf
Beiträge zur Diplomatik.
227
der zweiten Dynastie lässt sich eine von den Grossen mit unter
schriebene Immunität sonst nachweisen; die Trierer Urkunde steht
somit als ganz vereinzelte Ausnahme von der Regel da. Dafür aber,
dass wir hier die Mitunterzeichnung als Ausnahme zulassen, spricht
nun das dahei gebrauchte Wort leudes, das wie wir bereits sahen
schon um das Jahr 772, in dem die Urkunde ertheilt ist, den
Schreibern nicht mehr geläufig war, vollends die spätere Entstehung
des Zusatzes unwahrscheinlich macht und daher wohl als aus den
hier vorgelegten praeceptiones regum praedecessorum herüber-
genommen betrachtet werden muss. Es kommt dazu, dass wir in
den beiden Immunitäten für Trier und Metz noch andere, sonst
eben so wenig gebräuchliche Formeln finden, es also in mehrfacher
Hinsicht mit von dem Usus der Kanzlei abweichender Redaction zu
thun haben. Der Art ist besonders noch der Satz hervorzuheben,
der in dem correcteren B. 65 lautet: ut quicumque hoc de iudi-
cibus nostris aut quislibet refragare aut irrumpere vel immutare
voluerit, iram trinae maiestatis vel omnium sanctorum . . . incurrat.
Darüber, dass solche iuterminatio iudicii divini nur in einer Art von
Diplomen dieser Zeit, nämlich in den sich mehr oder minder Roz.
575 anschliessenden concessiones ad privilegia vorzukommen pflegt,
sind alle Diplomatiker einig. Dass dennoch unter Umständen von
der Regel abgewichen worden ist, bezeugt das Original einer eben
falls besonders stilisirten Urkunde Ludwig d. F. B. 435; wir können
also auch die Immunitäten für Metz und Trier um dieses besonderen
Zusatzes willen nicht verwerfen. Zum Schluss sei bemerkt, dass
die Datirungszeile des Trierer Diploms, indem die Abschrift zu
emendiren ist in: datum quod fecit kal. apr., gleichfalls auf Vorlage
mindestens aus der Zeit Pippin's hinweist, indem diese Ausdrucks
weise spätestens noch unter diesem Könige in neustilisirten Urkun
den vorkommt.
Eine Eigenthümlichkeit der Immunitätsbestätigung für das
Beuedictinerkloster Novalese B. 92, aus dem dem XI. Jahrhundert
angehörigen Chronicon Novalicense am besten in Monum. h. Germ.
diese Urkunde in dem Abschnitt über die Privilegien zurück. — Dass die älteste uns
bekannte Urkunde des Königs Ludwig von Aquitanien B. 202 von Personen seiner
Umgebung unterzeichnet ist, erklärt sich wohl aus der damaligen Stellung des
jungen Königs.
15 *
228
S i c k e 1
7, 121 gedruckt, wurde schon früher bemerkt. Es ist dies eins der
wenigen Stücke dieses Inhalts, dessen Redaction als selbstständig
und der Zeit der Ausstellung angehörig bezeichnet werden kann.
Aber auch hier schliesst die neue Stilisirung die Mitbenützung von
älteren Fassungen nicht aus: so erinnert gleich der Prolog an den
von Roz. 16, und der weitere Wortlaut enthält kaum einen Satztheil,
der sich nicht auch in Roz. 20 nach weisen Hesse; nur ist diese
Formel in ähnlicher Weise wie in den Diplomen für S. Hilaire de
Poitiers und für Argenteuil abgekürzt.
Es folgt eine Immunität für die nach der Regel von Agaunum
lebenden Kleriker oder für das damals bischöfliche Kloster S. Mar
cel lez ChälonsR. 98, welche bisher nur nach einer erweiterten
Abschrift, so auch in Bouquet 5, 742, Nr. 46 gedruckt ist. In dem
auf der Pariser Bibliothek befindlichen Originale fehlt nämlich der
Passus: et si anteactis temporibus — ab impiis hominibus lacerari,
in welchem dem Verletzer der Immunität eine Busse von 600 solidi
angedroht wird und von dem bei den folgenden Stücken eingehender
zu handeln [ist. Die ursprüngliche Fassung schliesst sich nach dem
Vorsatze: iuvante domino etc. wesentlich an Roz. 20 an, welche
Formel nur hie und da abgekürzt wird und beruht in Allem auf
Vorlage von Pippin oder von früheren Königen.
Für S. Martin de Tours, damals noch Benedictinerkloster,
kennen wir zwei durchaus gleichlautende Immunitätsbestätigungen,
die eine für den Abt Hitherius B. 116 in Bouquet 6, 747, Nr. S6,
die andere für seinen Nachfolger Alcuin, Bouquet S, 763, Nr. 81
ausgestellt. Beide Urkunden, so wie die Immunität Ludwig d. F.
B. 303 sind um mehrfacher Eigenthümlicbkeiten willen, dann auch
wegen ihres Zusammenhanges mit der Carpentier’schen Immunitäts
formel Roz. 24 von der grössten Wichtigkeit für die Diplomatik;
aber leider sind weder Originale noch Abschriften dieser Stücke
auf uns gekommen und auch die Drucke stützen sich nicht auf
Aufographei), sondern auf sprachlich emendirte Copien. Dennoch
halte ich die Fassung der Immunitäten Karl’s, in denen der Inhalt
i) Ich weiss, dass Mabillon an zwei Stellen (annales 2, 440 und de re diploirt.
suppl.47) von zu seiner Zeit noch erhaltenem Original von B. -303 spricht, habe
aber triftige Gründe, die hier aus einander zu setzen zu lang wäre, zu der An
nahme, dass Mabillon durch unrichtige Mittheilungen irre geführt worden ist.
Beiträge zur Diplomatik.
229
von Roz. 20 nebst einigen auch sonst vorkommenden Zusätzen
wiederholt ist, für hinlänglich verbürgt durch eine Reihe folgender
Immunitäten.
Das Verhältniss zwischen diesen Urkunden ist nun offenbar
folgendes: auf R. 115 beruht die Redaction von R. 303; nur
sind einerseils die für die Zeit Ludwig’s nothwendigen Verände
rungen im Ausdruck vorgenommen, andererseits ist R. 303 eine
ziemlich freie und geschickt stilisirte Umarbeitung der Vorlage. Auf
vorkarolingische Zeit weist dieselbe ihrem gesammten Wortlaute
nach nicht hin, und in wie weit sie sich der nicht erhaltenen Immu
nität Pippin’s ansehliesst, lässt sich aus dem emendirten Texte nicht
mehr erkennen. Nur in einzelnen Wendungen und der rhetorischen
Einleitung — diese kehrt wörtlich in einer constitutio für S. Martin
(Bouquet 5, 737, Nr. 36) wieder und ähnelt der in Carlomann
B. 32 , ferner den Merovingerdiplomen Pard. Nr. 403, 446, 499
n. s. w. — gleicht sie Urkunden und Formeln der Vorzeit. Als
aussergewöhnlich in diesen Diplomen ist nun hier hervorzuheben,
dass in ihnen eine Geldbusse von 600 Goldsolidi auf die Verletzung
der Immunität festgesetzt wird: et si aliquis fuerit comes, dome-
sticus seu grafio . . . qui . . . nostram praeceptionem inrum-
pere . . . praesumserit, 600 solidorum auri . . . numerum se
cognoscat ad ipsam casam s. Martini . . . multandum, ita ut abba
vel monachi . . . duas partes recipiant, tertia vero pars in fiscum
nostri sacelli veniat, ut non delectet . , . anteriorum regum emuni-
tates vel nostram ab impiis hominibus lacerari — und nach einem
Zwischensätze, dessen Inhalt wieder mit anderen Urkunden überein-
stimmt, die eben so ungewöhnliche Bestimmung: et si anteactis tem-
poribus per aliquam negligentiam vel tepiditatem abbatum aut prae-
sumtionem iudicum de ipsa emunitate quicquam minuatum irruptum
convulsumque aut confractum fuit, omnimodis bis nostris auctori-
tatibus et beneficiis restauretur. Beide Sätze, in einen verschmolzen,
weist nun auch der Abdruck von B. 98 für S. Marcel lez Chälons
auf, sie fehlen aber, wie schon gesagt, in dem Original. Das muss auch
Zweifel an der Ursprünglichkeit dieser Bestimmungen in den Immu
nitäten für Tours hervorrufen, um so mehr da dieselben durch kein
bisher bekannt gewordenes Original bezeugt werden. Aber trotz
der übereinstimmenden Worte ist doch ein Unterschied zwischen
den beiden Fällen. In der Urkunde für Tours ist die Reihenfolge
230
S i c k e 1
der Bestimmungen und Sätze eine andere. Ferner kehren die unge
wöhnlichen Bestimmungen in den späteren Immunitäten für S. Martin
wieder, und dass sie dort anders, weit moderner stilisirt sind, macht
es unwahrscheinlich, dass sie erst aus den jüngeren Urkunden in
die Abschriften der früheren übertragen seien. Und wie wir kurz
zuvor bei den Diplomen für Metz und Trier die den Regeln der
königlichen Kanzlei nicht minder zuwiderlaufende interminatio iudicii
divirii dennoch als Ausnahme gelten lassen mussten, so komme ich
auch in Bezug auf die Androhung von Geldstrafen nach wiederholter
Prüfung aller Fälle zu dem Resultate, dass die Anwendung der
betreffenden Formel allerdings erst in der italienischen Kanzlei zur
Regel geworden ist*), dass dieselbe aber auch schon für die Zeit
Karl des Grossen als Ausnahme zugelassen werden muss.
Das Diplom endlich für die Spei rer Kirche von 782 in Rem-
ling 1, Nr. 6 aus dem ältesten Copialbuch 3 ) von Speier (s. XIII) im
Karlsruher Archiv weist auf Immunitäten Pippin’s und der Vorgänger
hin, von denen uns nur die erste Verleihung Childerich’s II. in Pard
addit. Nr. 4 erhalten ist. Hier ist nun unverkennbar, dass der Notar
theils Formeln seiner Zeit, theils die älteren Speierer Urkunden als
Vorlagen benützte: eben aus der doppelten Vorlage erklärt sich dann
auch die unbeholfene Wiederholung der einen Wendung (Fraido . .
innotuit etc.). Als Arenga haben wir nämlich eine Umarbeitung der
in Roz. 16 befindlichen, wie eine ähnliche Umarbeitung in der um
dieselbe Zeit geschriebenen Immunität für Modena B. 118 begegnet;
am Schlüsse haben wir die Karolingische Ankündigungsformel. Da
gegen stimmt Einzelnes im Eingang und der eigentlich disponirende
Theil (nec freda nec stopha etc.) wörtlich mit jener Merovinger-
urkunde überein.
Es ist vielleicht nur Zufall, ist aber doch für unsere weitere Unter
suchung festzustellen, dass wir von dem Kaiser Karl keine einzige
1 ) S. Beiträge zur Diplomatik II. 137, wo also namentlich zu berichtigen, dass die Formel
Carpentier 13 = Roz. 24 = B. 303 die Androhung der Geldstrafe enthält. —
Fälle von emendatio oder compositio emunitatis finden sich in zwei placila missorum
a. 802 in Meichelbeck 2, Nr. 115, 116.
2 ) Ein Schreiber des XIII. Jahrhunderts konnte leicht aus dem ihm nicht mehr geläufi
gen nec non patricius Romanorum, wie es 782 im Titel heissen muss, machen impe-
rator Romanoruin, was also in der Copie nicht anstössig zu sein hraucht. Dann aber
ist der Vorschlag von Rettberg 1, 642, Nr. 18 die Urkunde zu 809 oder 810 zu
setzen vollends zurückzu weis en.
Beiträge zur Diplomatik.
231
Immunitätsbestätigung besitzen; die letzte von Karl als König ist die
für den Abt Alcuin von S. Martin, die zwischen 796 und 800 gesetzt
werden muss. Die jüngste neue Immunitätsverleihung war die für den
Patriarchen Grado von 803. So liegen eilf Jahre zwischen dieser
letzten Immunität Karl des Grossen und der ersten, die sein Sohn
als Alleinherrscher ausgestellt hat.
Vergleich mit den Immunitiitsdiplomen Ludwig des Frommen.
Wenn es in erster Linie das Verständniss und die Beurtheilung
der Urkunden erleichtert, die innerhalb eines kurzen Zeitraumes
über denselben Gegenstand ausgestellten zu vergleichen, so erge
ben sich andererseits nicht minder wichtige Aufschlüsse, wenn man
die ein und demselben Stifte nach einander ertheilten Diplome glei
chen Inhalts zusammen in Betracht zieht. Ich habe mich bisher
darauf beschränkt, die zweite Art der Vergleichung bis zum Ende
Karl d. G. durchzuführen; in diesem Capitel soll nun in der Haupt
sache das Verhältnis der von den ersten Karolingern verliehenen
Immunitäten zu denen Ludwig d. F. festgestellt werden.
Leider aber sind wir nur in wenigen Fällen so glücklich unun
terbrochene Reihen derartiger Urkunden zu besitzen. Eine grosse
Anzahl von Immunitäten Ludwig's beruft sich auf Verleihungen der
früheren Könige, welche uns nicht erhalten sind. Auf der andern
Seite fehlen uns die Bestätigungen Ludwig’s für die Mehrzahl der
Immunitäten seiner Vorgänger. Letzteres gilt von folgenden Kir
chen und Klöstern, deren Urkunden wir zuvor betrachtet haben:
Aquileja, Argenteuil, Benevent, S. Etienne d’Angers, Grado, Gran-
felden, S. Hilaire de Poitiers, Honau, S. Marcel lez Chälons, Monte
Casino, Murbach, Nantua, Novalese, Onolzbach, Reggio, Utrecht,
S. Victor de Marseille, S. Vincenzo di Volturno. Von S. Maur des
Fosses besitzen wir zwar neben älteren Immunitäten auch eine von
Kaiser Ludwig, aber inzwischen war das Kloster eingegangen und
die Urkunde Ludwig’s i) kann nicht auf die früheren Bezug nehmen.
So hat sich die Vergleichung, die ich hier anstellen will, auf folgende
Reihen zu beschränken.
1 ) Daher bezeichnet auch eine ziemlich gleichzeitige Hand diese Originalurkunde
auf der Rückseite als praeceptum primum de Fossato,
232
S i c k e 1
S. Denis. Auf die letzte Immunität ohne Defension Karl’s
B. 94 folgt schon 814 die Ludwig’s B. 233 = Bouquet 6, 46S
Nr. 15 nach fälschlich für Original ausgegebener gleichzeitiger
Abschrift im Pariser Archiv. Hier heisst es: obtulit obtutibus nostris
Hildoinus . . . immunitatem . . Caroli . . in qua erat insertum quod
non solum idem genitor noster, verum etiam et praedecessores eius
. . sub suo nomine et defensione . . (monasterium) consistere fece-
rant et immunitatum auctoritatibus actenus ab inquietudine iudicia-
riae potestatis eundem munitum atque defensum fuisset monasterium.
Uber die Einzelbestimmungen gehe ich auch hier noch hinweg und
hebe nur die für das wesentliche Verhältniss bedeutsamen Schlag
wörter hervor. Ludwig lässt praecepturn erga ipsum monasterium
immunitatis atque tuitionis gratia . . fieri, so dass Abt und Mönche
sollen sub tuitionis atque immunitatis nostre defensione . . . quieto
ordine possidere. Die ganze Urkunde ist nach Roz. 21 abgefasst
und weicht nur insofern ab, als die Formel auf Immunität für eine
bischöfliche Kirche lautet, die Urkunde aber für ein Kloster geschrie
ben ist. Hieraus ergibt sich also, dass Ludwig immunitas et defensio
ertheilt und auch von dem Diplom des Vorgängers sagt, dass es Bei
des enthalten habe. Ganz dasselbe Verhältniss findet bei den folgen
den Urkunden Statt, die in den hier hervorgehobenen Stellen mit
der für S. Denis stimmen, und bei denen ich die Schlagwörter nur
noch angebe, um auf den Wechsel in synonymen Ausdrücken auf
merksam zu machen,
S. Mihiel de Marsoupe: Karl B. 47, Ludwig B. 276 (Bou
quet 6, 490, Nr. 49 ex chronico). Unter Karl soll das Kloster sub
plenissima defensione et immunitatis tuitione gestanden haben, soll
fortan sub immunitatis nostre defensione quieto ordine possidere.
Neue Redaction aus Roz, 17, 21, 22 componirt, wörtlich wiederholt
von Karl d. K. B. 1588.
Corbie: Karl B. 40, Ludwig vom 29. Jänner 815 in Chartul.
Corb. saec. XII auf der Pariser Bibliothek, wie zuvor.
S. Salvatore di Brescia: Karl inMargarini 2, Nr. 22, Lud
wig ibid. Nr. 40, nachdem Judith das Kloster zu Benefiz erhalten
hatte. Ausdrücke wie zuvor; stilisirt nach Roz. 17.
Sithiu: Karl B. 42, Ludwig B. 400 (aus Chartul. Folquini
am besten in Guerard cart. d. S. Bertin 77, Nr. 60) in aus Roz. 21
und 22 zusammengesetzter Fassung, so weit die Urkunde nicht von
Beiträge zur Diplomatik.
233
Bestimmungen anderer Art handelt, Schlagwörter wie zuvor; be
zeichnend sind folgende Stellen: in B. 42 heisst es: sub emunitatis
nomine . . . cum omnes fredos vel bannos concessos . . debeat
possidere, was in B. 400 copirt lautet: sicut in praecepto . . geni-
toris nostri continetur, cum omnes fredos vel bannos sibi concessos
sub immunitatis nostre defensione quieto ordine possidere. Eine
spätere Bestätigung Ludwig’s von 83S (Guerard 82, Nr. 2) sagt
wieder von B. 400, dass das Kloster früher gestellt sei: sub nostra
defensione et mundeburdo atque immunitatis tuitione.
S. Martin de Tours: Karl B. 115 und Bouquet 5, Nr. 56,
Ludwig B. 303 = Roz. 24. Das Kloster stand unter Karl nach dem
Ausdruck in dem Diplome Ludwig’s sub immunitatis suae defensione,
soll fortan stehen sub immunitatis atque protectionis nostrae defensione.
Trier: Karl in Bejmr Nr. 24, Ludwig B. 284, ibid. Nr. 50,
stilisirt nach Roz. 21 und 22 mit Aufnahme einiger specielle Bestim
mungen enthaltenden Sätze aus dem Diplome Karl’s. Unter diesem
habe die Kirche gestanden sub suo nomine et defensione, sub immu
nitatis nomine et tuitionis defensione; Ludwig ertheilt immunitatis
atque tuitionis gratia Bestätigung, so dass die Bischöfe fortan sub
tuitionis atque immunitatis nostrae defensione quieto ordine possi
dere sollen.
Beispielshalber füge ich noch Utrecht hinzu. Die Corfirma-
tionen Lothar’s sind nämlich zumeist sachlich und stilistisch denen
seines Vaters gleich, wir können also auch sie, wo die Urkunden des
letzteren verloren gegangen sind, für das Verhältnis der vor und
nach 814 liegenden Diplome zu Rathe ziehen. Für Utrecht habe
ich früher eine Immunität Pippin’s angeführt; indem Lothar B. 590
die Immunitäten der Vorgänger confirmirt, sagt er, dass diese die
Kirche sub tuitione et defensione consistere fecissent et eorum immu-
nitatum auctoritatibus hactenus ab inquietudine iudiciariae potestatis
eadem munita atque defensa fuisset ecclesia; auch fortan soll sie sub
tuicionis atque immunitatis nostrae defensione quieto ordine possidere.
In ganz gleicher Weise wird nun auch der Inhalt derjenigen
Urkunden Karl’s bezeichnet, die wir früher als emunitates cum
defensione kennen lernten, und den betreffenden Klöstern wird von
Ludwig die Immunität in denselben Worten ertheilt, wie den Kirchen
oder wie den unter Karl nicht in besonderem Schutze stehenden
Klöstern. Das lässt sich an folgenden Urkundenreihen darthun:
234
S i c k e l
Prüm: Karl B. 80 gleich dem frühem Diplom Pippin’s;
Ludwig B. 243 (aus Lib. aur. Prum. in Beyer Nr. 48) erzählt, dass
das Kloster von Pippin erbaut, lässt das Kloster mit Berufung auf
Karl’s Urkunde früher sein sub plenissima tuicione et immunitatis
defensione; von Neuem ita concessimus et confirmavimus. Der
Fassung nach eine sehr freie Umarbeitung der älteren Diplome mit
theilweiser Benützung von Roz. 21. — Die spätere Urkunde Lud-
wig’s und Lothar’s B. 380 (Beyer Nr. 57) erzählt gleichfalls, dass
das Kloster von Pippin in rebus proprietatis erbaut, dass es unter
den Vorgängern, deren Immunitäten vorgelegt werden, sub sua tui-
tione heredumque suorum gestanden, und nimmt endlich sub nostra
tuitione atque immunitatis defensione. Während B. 243 nur einen
Theil der besonderen Bestimmungen von ß. 80 reprodueirt, wie
derholt sie B. 380 vollständig; dadurch i^t auch die eigenthümliche
Stilisirung bedingt.
Epternach: im Lib. aureus drei gleichlautende Urkunden
Pippin's und seiner Söhne (s. S. 224), dann Ludwig’s. ln letzterer
wird erzählt, dass das Kloster von Willibrord gestiftet, das frühere
Schutzverhältniss wird nicht ausdrücklich erwähnt, unter Karl soll
Epternach sub plenissima defensione et immunitatis tuitione gewesen
sein. Die Fassung hält die Mitte zwischen Roz. 21 und 22 und hat
viele Sätze mit anderen Immunitäten dieser Zeit, wie mit B. 318 für
S. Bavo in Gent gemein.
Für Aniane, das wir als Karl tradirt kennen lernten, schicke
ich voraus, dass das Kloster, für das wir fünfzehn Urkunden Ludwig’s
(alle im Chartul. Anian. saec. XII im Departemental-Archiv zu Mont
pellier) besitzen, nicht regelmässig in diesen als dem Kaiser gehörig
bezeichnet wird. Nur B. 209, 245, 250 erwähnen die Delegation an
den Vorgänger; aber dass das besondere Verhältniss fortbestand,
wird noch 835 in B. 455 mit den Worten gesagt: quia constat idem
monasterium nostrum proprium esse. Es darf also, wenn in Diplomen
für andere nachweislich in gleichem Verhältnisse stehende Stiftungen
dies gar nicht oderauch nur von Zeit zu Zeit bemerkt wird, aus
dem Schweigen der Urkunden nicht auf eine inzwischen eingetretene
Änderung geschlossen werden. — Auf Karl B. 144 folgt nun zu
nächst Ludwig B. 209 (Bouquet 6, 455, Nr. 2), wonach jener sub
immunitatis defensione suscepit und Ludwig gewährte denuo sub
nostra defensione recipere et similia ei concedere atque confirmare.
Beiträge zur Diplomatik.
238
Die Fassung steht Roz. 19 am nächsten. — In dem späteren Diplom
B. 477 (Bouquet Nr. 221), das ganz aus verschiedenen früheren
Urkunden des Kaisers für Aniane zusammengesetzt ist, wird unter
anderem auch die Immunitätsbestimmung mit den Worten von B. 209
wiederholt. Dieselbe Redaction nur etwas verkürzt, findet sich wie
der in Karl d. K. B. 1639.
Lorsch: Karl B. 46, Ludwig B. 247 (Cod. Laur. 1, Nr. 17).
Jener soll das Stift semper sub plenissima tuitione et immunitatis
defensione gehabt haben, Ludwig nimmt es sub immunitatis defen-
sione. Die Fassung ist componirt aus Roz. 17, 19, 21. Wörtlich wie
derholt unter Ludwig d. D. in B. 76S.
Anisola erhielt von Pippin dem es cornmendirt war, in B. 17
Schutz und Immunität. Die Bestätigung Karl’s ist verloren, hat aber
sachlich wohl der Urkunde seines Vaters entsprochen. Von ihr heisst
es in Ludwig’s Diplom B. 219 (Bouquet 6, 460, Nr. 7), dass die
Vorgänger das Kloster semper sub plenissima defensione et immu
nitatis defensione habuissent, worauf von Neuem immunitatis defensio
ertheilt wird.
CharrouxKarl cornmendirt erhielt (S. 210) ausnahmsweise nur
Immunität; dennoch sagt Ludwig in B. 244 (Bouquet 6, 474, Nr. 26),
dass Karl das Stift sub sua defensione (so ist statt devolione zu lesen,
wofür sich auch die wörtliche Confirmation Karl d. K. in Bouquet 8,
646 anführen lässt) et immunitatis tuitione gehabt habe, und stellt
Charroux sub immunitatis nostrae defensione. Die Fassung stimmt
ganz mit der der Lorscher Urkunde B. 247 überein.
Nehmen wir dazu noch die Ausdrücke in den der Zeit Ludwig’s
angehörenden Formeln für Confirmationen, in Carpentier 4, 10,
13 == Roz. 21, 22, 24. In Roz. 21 heisst es von den Urkunden Karl’s
oder der Vorgänger: auctoritas immunitatis; sub suo munimine et
defensione consistere fecissent et earum immunitatum auctoritatibus
hactenus ... munita atque defensa fuisset ecclesia. In Roz. 22: aucto-
l'itates antecessorum; sub plenissima semper defensione et immuni
tatis tuitione habuissent. In Roz. 24: immunitates priscorum regum;
sub immunitatis suae defensione consistere (fecisset) *).
*) Roziere reiht hier als Nr. 23 auch noch Append. ad Marculfum Nr. 44 ein,
welche allerdings auch von Imnuinilätsbestätigung' handelt, aber in Verbindung
mit Privilegien: derartige Urkunden werde ich erst in der folgenden Abhandlung
besprechen.
236 Sicke!
Es gellt also durch alle diese Urkunden und Formeln hindurch,
dass die betreffenden Diplome der Vorgänger als Immunität und
Defension enthaltend bezeichnet werden, ohne alle Berücksichtigung
des früher von mir nachgewiesenen Unterschiedes, und dass nun
auch von Ludwig stets Beides zugleich zugesichert wird. Beides gilt
auch von all denConßrmationen dieses Kaisers, die sich auf uns nicht
erhaltene Urkunden der Vorgänger f) berufen, nämlich von den Con-
firmationen für Kern pten B. 212, Worms B. 222, LangresB.224,
Orl eans B. 226, La Grasse B. 230, Nismes B. 232, Mäcon
(uugedruckt) vom 29. November 814, Marmoutiers B. 233,
Vienne B. 242, Montierender B. 246, Blandigny B. 231,
Au tun B. 237, Fontanelle B. 239, S. Salvator zu BergB. 263,
Malasti B. 264, Beiehenau B. 265, Bonmoütier B. 267,
Salzburg B. 269, Cambray B. 274, Angers B. 288, S. Sal-
vatore di Montamiata B. 291, Limoges B. 298, Sollemnes
B. 300, Fleury B. 309, S. Bavo B. 318, S. Julien d’Auxerre
in Quantin 1. Nr. 13, S. Hilaire de Car casso nne 2 ) in Bouquet 6,
Nr. 64, S. Cristina di Olonna B. 331, Bordeaux in Bouquet
6, Nr. 148, Sens (ungedruckt) vom 9. Mai 826, G r e g o r m ü n s t e r
B. 383, S. Colombe de Sens B. 440, S. Marie du Mans B. 468,
Hohenburg B. 471.
Dass unter Ludwig stets Immunität und Defension zugleich
ertheilt werden, bestätigen endlich alle neuen Verleihungen. Gehen
wir zunächst von den Ausdrücken der Formeln aus. Der Kaiser nimmt
nach Carpentier Nr. 8 = Roz. 17 sub nostra proteetione et immu-
nitatis defensione, nach Carp. Nr. 9 = Roz. 18 sub nostra defen-
sione et immunitatis tuitione, nach Carp. Nr. 18 = Roz. 19 sub
nostra tuitione et immunitatis proteetione, sub nostra defensione et
i) In der Regel auf Immunitäten Karl’s; aber es kommt auch wie bei Macon vor,
dass nur eine Urkunde Pippin’s vorgelegt wird, so dass wahrscheinlich von Karl
keine Bestätigung ertheilt war.
a ) Ludwig ertheilt hier defensionem et immunitatis tuitionem, während es von der
vorgelegten Urkunde Karl’s ausnahmsweise heisst; sub suo suscepit mundeburdio
et defensione, ohne Erwähnung von immunitas. Wir haben aber dabei nicht an
einen Übergang von Schutz in Immunität zu denken, oder wie Waitz V. G. 4,
246, Nr. 3 sich ausdrückt, an in dem Schutz enthaltene Immunität, sondern
defensio steht hier, wie ich gleich an anderen Beispielen nachweisen werde,
für immunitas. Mit der von Waitz da noch cilirten Urkunde für S. Denis ver
hält es sich anders, indem neben sub suo nomine et defensione ausdrücklich von
immunitas Caroli die Rede ist.
Beiträge zur Diplomatik.
237
immunitatis protectione. Dem entsprechen folgende Wendungen in
den Urkunden: am häufigsten ist sub nostra defensione et immuni
tatis tuitione, so in B. 236 für Narbonne, B. 254 für Viviers,
B. 2S5 für S. Maixent, B. 262 für Psalmody, B. 275 für Fuld
(der früheren Immunität Karl’s wird hier nicht gedacht), B. 279 für
das neu gegründete S. Maur des Fosses, B. 307 für S. Gallen,
B. 340 für Fischbeck, B. 449 für Gerunda, Bouquet 6, Nr. 123
für Glonn es. Varianten die sich zum Theil auch schon in den eben
genannten Diplomen neben dem gewöhnlichsten Ausdrucke finden,
sind: sub nostra tuitione et immunitatis defensione in B. 346 für
Pa derborn, B. 418 für Chur, B. 464 für Elna (hier auch noch
sub nostro iuvamine); sub mundeburdio defensione atque immuni
tatis tuitione in B. 350 für Banioles; sub nostra tuitione et defen
sione, sub immunitatis nostre defensione in B. 364 für Neucorbie,
sub immunitatis nostre defensione, sub nostra plenissima defensione
et tuitione in B. 299 für Cruas; sub nostra speciali defensione et
immunitatis tuitione in B. 319 für Conches undB. 383 für Verna-
soubre; sub nostro mundeburdio et defensione, immune a publicis
functionibus in B. 444 für Kempten, und ohne immunitas und
dergleichen, nur sub nostra defensione et tuitione inB. 333 für Kloster
Arles, B. 360 für S. Grata und Bouquet 6, Nr. 154 für S. Andre
de Sau *). Dass alle diese Ausdrücke synonym sind, zeigt schon der
Vorläufig weise ich auf die früher besprochene Urkunde Pippin’s für Nant.ua hin,
die auch das Wort immunitas nicht gebraucht und doch Immunität ertheilt. So
auch B. 417 in dem weder defensio noch immunitas Vorkommen, und das doch
in der Bestätigung Lothar’s B. 557 genannt wird : tuitionis defensionisque immunitas,
mundeburdiuin et immunitatis tuitio. — WaitzV.G. 4,246, Nr.4führt von Urkunden,
welche Schutz und Immunität verleihen, ohne das letztere Wort zu gebrauchen, ausser
der oben genannten für Arles noch zwei andere an. Aber in der für Noailles hat
er übersehen, dass erstens die Einzelbestimmungen der Immunität alle aufgeführt
werden, und dass zweitens am Schlüsse noch gesagt wird: sicut per emunitates
anteriorum regum declaratur: dagegen kann meiner Meinung nach dies zu 793 gehörige
Stück nicht als Schutzbrief aufgeführt werden, denn das betreffende Wort tuitio
begegnet hier nur in der rhetorischen Einleitung und ersetzt da das sonst in derArenga
und in dieser speciellen Verbindung häufig vorkommende Wort auxilium. Eben so
wenig passt das zweite Citat von Waitz, der Hinweis auf Bouquet 6, 492 oder
auf B. 280 für S. Maur des Fosses, denn indem in dieser Urkunde keine Bestim
mung über Immunität getroffen wird, ist auch kein Anlass, das Wort zu gebrauchen,
das aber nur in erzählender Weise angeführt wird: sub nostro suscepimus mun
deburdio atque defensione, erklärt sich einfach daraus, dass an demselben Tage
dein Kloster nach vorhergegangener Commendation die Immunität B. 279 ausge
stellt war, worauf mit diesen Worten hingewiesen werden soll.
S i c k e 1
238
Umstand, dass mehrere derselben in einer Urkunde Vorkommen,
noch mehr die später des näheren darzulegende Übereinstimmung
all dieser Diplome in den Einzelbestimmungen der Immunität.
Dieser beträchtlichen Anzahl gegenüber steht eine einzige
Urkunde Ludwig’s B. 211 (Bouquet 6, Nr. 4) für Donzerre, in
welcher Immunität erlheilt wird und der Defension nicht gedacht
wird. Und hier erklärt sich das Fehlen des Wortes hinlänglich aus
der eigenthümliehen, durch den besonderen Inhalt bedingtenFassung.
Es sind nämlich vorzüglich zwei Stellen der Urkunden, an denen
die Wendungen sub uostra defensione und dergleichen eingeschaltet
zu werden pflegen: im Eingang, wo die dem Kaiser vorgetragene
Bitte angegeben wird und dann häufig am Schluss der Diplome, wo
nach Anführung der Einzelbestimmungen über Immunität in der
Regel zugesetzt wird: sed liceat (illis) sub tuitionis atque immuni-
tatis defensione quieto ordine possidere. Dieser Zusatz wird aber
auch häufig unterdrückt, namentlich wenn am Schlüsse noch andere
Bestimmungen wie über Wahlrecht u. dgl. angefügt werden sollen,
so in B. 222 für Worms, B. 242 für Vienne, B. 243 für Prüm
B. 244 für Charroux, B. 340 für Fischbeck, B. 346 für Paderborn
und vielen anderen Diplomen. Auch in den Formeln Roz. 17, 18
unterbleibt die Wiederholung dieser Worte am Schlüsse der Ur
kunden. Somit ist auch in der Immunität für Donzerre das Fehlen
derselben an dieser Stelle nicht auffällig. In der ersten Hälfte des
Stückes herrscht aber die Erzählung vor: dass das Kloster auf fisca-
lischem Grunde erbaut oder restaurirt vom Kaiser Karl dem Abte
Norfidius geschenkt wurde, und werden nun an dieselbe gleich die
Bestätigung der Schenkung durch den neuen Kaiser und an diese
wieder die Einzelbestimmungen der Immunität angefügt; auf diese
Weise wird der Bitte um die Immunität nicht gedacht und fällt damit
auch die hier sonst übliche Angabe fort, dass der Kaiser das Stift
sub nostra defensione et immunitatis tuitione nimmt. Wo am Ein
gang der Urkunden, wie z. B. 417 für Pfävers zunächst andere
Verfügungen, als die über Immunität getroffen werden, wird die
sonst für Immunitätsdiplome übliche Fassung vielfach beeinträchtigt
und erklärt sich einfach daraus die Unterdrückung gewisser Wen
dungen.
Diese einzige scheinbare Ausnahme ist somit am wenigsten
geeignet die allgemeine Regel umzustossen, dass in den Immunitäten
Beiträge zur Diplomatik
239
Ludwigs zugleich immunitas und defensio ertheilt wird. Auch in
dieser Zeit sind, wie wir noch sehen werden, gewisse Klöster von
dem Genüsse der Immunität ausgeschlossen,, aber allen geistlichen
Stiftungen, welche Immunität erhalten, wird zu gleicher Zeit ohne
Rücksicht auf die Qualität oder Profession *) defensio zugesichert.
Es genügt das zu belegen auf die obige Liste der Urkunden Ludwig's
hinzuweisen 3 ). In diesem Puncte unterscheiden sich also die Immuni
täten dieses Kaisers und seiner Nachfolger wesentlich von denen
der Vorgänger, bei denen wir fanden, dass den bischöflichen Kirchen
stets emunitas sine defensione verliehen wurde und dass bei den
Klöstern zwar nicht die Profession, aber die Qualität einen Unter
schied begründete. Aber nicht allein das fällt auf, dass die Urkunden
Ludwig’s in dem was sie für ihre Zeit bestimmen, solchen Unterschied
nicht mehr machen; sie erkennen ihn auch, indem sie von den Vor
lagen sprechen, nicht mehr an und bezeichnen diese regelmässig als
mitSchutz verbundene Immunitäten. Offenbaren sich nun darin neue
Grundsätze in Bezug auf diese Verhältnisse, welche zugleich auf
die Vergangenheit übertragen und als auch den früheren Urkunden
zu Grunde liegend aufgefasst werden, oder haben wir es hier nur
mit einem neuen Sprachgebrauclie zu thun, der den früher auch in
den Urkunden zum Ausdruck gekommenen Unterschied nicht mehr
berücksichtigt, oder wirken hier beides, neue Grundsätze und neuer
Sprachgebrauch zusammen?
*•) Ich stelle hier noch einige Beispiele von Immunität für Klöster verschiedener
Qualität zusammen: S. Marie du Mans, bischöflich in Bouquet 6, Nr. 213; Belle
Celle zum Kloster Aniane gehörig ibid. Nr. 73; S. Julien d’Auxerre, in beneficio
comitis in Quautin Nr. 15; S. Salvatore di Brescia, in beneficio imperatricis in
Margarini, 2, Nr. 40. — Wenn gewisse Klöster, indem sie bischöflich werden,
die eigenen Immunitätsurkunden verlieren, wie Monestier S. Chafre oder Manlieu
in Bouquet 7, 669, 670, so verlieren desshalb doch nicht die Klosterbesitzun-
gen den immunen Charakter, sondern es geht nur der Genuss der nutzbaren
Immunitätsrechte von den Klosterbrüdern auf den neuen Herren, den Bischof,
über.
2 ) Allerdings befindet sich darunter keine einzige Immunität für Bisthümer in Italien.
Aber die Urkunden der späteren Karolinger bezeugen, dass auch Ludwig der
Fromme solche Urkunden für sie ausgestellt hat; so die Diplome für Aquileja,
B. 633 und 870, für Arezzo B. 680, für Bergamo ß. 966, für Como B. 1468,
für Cremona B. 674 u. a.
Dass überhaupt Yerhältnissmässig weniger Urkunden dieses Kaisers für Italien vorlie
gen, alsfür die fränkischenReichstheile, ist die natürliche Folge-der hervorragenden
Stellung, welche Lothar von Anfang an eingeräumt war und durch die Entwicke-*
240
Sicke
Die verschiedene Bedeutung des Wortes defensio.
Wir haben früher gesehen, dass unter Karl d. G. die Immuni
tätsurkunde für die Familienstiftung Prüm nach derselben Formel
Roz. 16 redigirt worden war, welche auch für Urkunden, die nur
Immunität und nicht Schutz enthielten, in Anwendung kam: schon
daraus können wir schliessen, dass, abgesehen von der Defension,
die Immunität für sich bei Stiftungen jedweder Qualität dieselbe
war. Wir werden dann weiter bei der Betrachtung der Einzelrechte
der Immunität finden, dass in Bezug auf sie auch kein Unterschied
zu erkennen ist, weder zwischen den Immunitäten der ersten Karo
linger mit und denen ohne Schutz, noch zwischen diesen und den
stets mit defensio verbundenen Ludwig d. F. Daher heisst es auch
in den Urkunden des letzteren so häufig: sicut in emunitatibus
antecessorem nostrorum. Auch die Geselzesstellen, welche von Immu
nitäten handeln, kennen nur eine Art derselben und setzen auf die
Verletzung derselben stets die gleiche Busse von 600 solidi 1 ). Die
Differenz in den Immunitätsurkunden, die wir kennen gelernt haben,
bezieht sich also nicht auf die Immunität, sondern lediglich auf die
Verbindung von Schutz mit ihr, und wir haben der Bedeutung der
defensio nachzugehen, um die weitere Bestätigung für die früher für
lung der politischen Verhältnisse gesichert wurde. Lothar konnte vom Anbeginn
seiner Regierung an in Italien jede Art von Urkunden, so auch Immunitäten aus
stellen, ein Recht, welches sein Bruder Ludwig in Ostfrancien erst seit 833 aus-
geübt hat. Dennoch hat Kaiser Ludwig auch für Italien eine weit grössere Anzahl von
Diplomen ertheilt, als auf uns gekommen ist. So ergibt sich aus dem doppelten Ur
kundenverzeichnisse für Farfa, aus dem Regestum chartarum in Muratori antiq. 5.
687 und aus dem Chron. Farf. in Pertz. SS. 11, 558 (beide von demselben Ver
fasser, dem um 1100 lebenden Mönche Gregorius, und beide, so weit eine Controle
möglich ist, in den betreffenden Angaben zuverlässig), dass das Kloster ausser den
drei uns erhaltenen Stücken noch neun Diplome vom Kaiser Ludwig bekommen
hatte. Eben so lassen sich für Nonantola aus einem 1279 angefertigten Privilegien
register in Tiraboschi Nonant. 2, 1 für dieses Kloster sieben seitdem verloren ge
gangene Urkunden Ludwig’s nachweisen. Unter diesen Stücken finden sich denn auch
Immunitäten, und andere Immunitäten Ludwig’s für italische Klöster sind, eben so
wie für ßisthümer, aus späteren Confirmationen bekannt, so für Bobbio aus ß. 579,
für ßruguetto aus B« 926, für Novalese aus B. 594 u. s. w. Also ist es nur unglück
licher Zufall, dass uns auch für italische Klöster nicht mehr als drei von Ludwig
ausgestellte Immunitäten, nämlich für S. Salvatore di Montamiata, für S. Julia di
Brescia und für S. Cristina di Olonna vorliegen.
!) Waitz V. G. 4, 256. — Sickel Beiträge z. D. 2, 136.
Beiträge zur Diplomatik.
241
die Urkunden vor 814 gegebene Erklärung und eine analoge Er
klärung des Unterschiedes zwischen den betreffenden Diplomen
vor und nach 814 zu erhalten.
Defensio, tuitio u. s. w. sind jedenfalls Worte von sehr allge
meiner Bedeutung und werden sie speciell auch zur Bezeichnung des
Königsschutzes gebraucht, so werden sie auch da wieder zur Be
zeichnung jeder Art oder jedes Grades von Königsschutz angewandt.
Solcher Arten hat man von jeher wenigstens zwei unterschieden:
den aus dem einstigen Volksfrieden entstandenen, dem ganzen
Volke zukommenden Königsfrieden und einen besonderen Künigs-
frieden für geistliche Anstalten, für gewisse Classen von Hilfsbe
dürftigen oder für einzelne Personen auf Grund besonderer Ver
leihung 1 )- Both Benef. 124 will dann für die ältere Zeit von dem
letzteren Verhältniss auch noch das der trustis dominica unterschie
den wissen. Maurer (Fronhöfe 1, 111, 265 u. a. 0.) endlich weist
auf eine weitere Art von Schutz hin, auf den welchen der König als
Grundherr über seine grundhörigen Leute ausübt. Fassen wir hier
zunächst den Schutz, der allen Kirchen zukommt, näher in’s Auge. Die
fränkischen Könige erscheinen von jeher als Defensoren der Kirche,
sie seihst oder an ihrer statt die Beamten üben diesen Schirm aus a ).
Das neue Geschlecht der Karolinger zeichnet sich, wenn auch
daneben Eingriffe in die Rechte und Besitztümer der Kirche Vor
kommen, in noch höherem Grade durch den der Kirche gewährten
Schutz aus: Päpste nennen schon Pippin sowohl in Bezug auf die
römische, als auf die fränkische Kirche s. ecelesiae defensorem.
Nur wenn einige Male in Gesetzen und Briefen Karl d. G. defensor
dei ecelesiae auch in seinem Titel erscheint, ist dies nicht als offi-
cielle Titulatur zu nehmen, sondern entweder als Zutliat späterer
Abschreiber oder höchtens, wie schon in dem Briefe an Elipandus
in Bouquet 5, 623, als ein aussergewöhnlicher, durch den besonde
ren Inhalt des Schreibens herbeigeführter Zusatz. In der ältesten
Aufzeichnung 3 ) über die acht Fälle des Königshannes stellt denn
auch der König als allgemeiner Schutzherr der Kirche die dishono-
ratio s. ecelesiae auf gleiche Stufe mit dem Frevel an Witwen,
*) Waitz V, G. 2, 142; 4, 20.
2 ) LL. i. 17. §.3; adiuvante gravione qui defensor ecelesiae es(.
3 ) Wie schon Waitz mit Recht LL. I, 34 bezeichnet Der Ansätze, a. 772 hei Pertz ist
eingestandenermassen nur ein willkürlicher.
Sitzb. d. phil.-hiat. Gl. XLY1I. ßd. I. Hft.
10
242
S i c k e I
Waisen u. s. w. Und als im Jahre 797 die Falle des Bannes auch für
Sachsen giltig erklärt wurden, wurde ebenfalls vorangestellt: ut
ecclesiae . . . iustam et quietam pacem habeant. Seit dieser Zeit
begegnen wir immer häufiger in den Gesetzen den auf den Schutz
der Kirche hinzielenden Bestimmungen, von denen ich die für
unsere Frage bezeichnendsten hier anführe. LL. 1, 83 a. 801:
similiter et pro contemtu singulorum capitulorum quae per nostrae
regiae auctoritatis bannum promulgavimus, id est qui pacem eccle-
siarum dei . , . inrumperit, 60 solidorum multam exsolvat 1 ). LL. 1,
91 a. 802, §. 5 und IS: ut sanctis ecclesiis dei . . . aliquit iniuriae
quis facere praesumat, quia ipse d. imperator .. . eorum et protector
et defensor esse constitutus est; omnis eclesiae adque basilicae
in eclesiastica defensione et potestatem permaneat. LL. 1, 122 c.
a. 803: de banno d. imperatoris et regis quem per semetipsum con-
suetus est bannire, i. e. de mundoburde ecclesiarum . . ut hi qui
ista irrumperint, bannum dominicum omnimodis componant. Aus
Ludwig d. F. Zeit LL. 1, 243, §.2: ut tria specialiter capitula . . .
conserventur, id est ut defensio et exaltatio et honor s. dei ecclesiae
et servorum illius congruus maneat, und aus der Zeit des ostfrän
kischen Königs LL. 1, 472, §. 4 a. 860: volumus ut ecclesie et
casae dei et episcopi et dei homines clerici et monachi et nonnae
talem mundeburdem et honorem habeant sicuti tempore antecessorum
nostrorum habuerunt.
Ist es nun dieser von allen Königen in gleicher Weise einge
schärfte und allgemeine Kirchenfrieden, welcher in der Zeit bis 814
sei es durch besondere Mundbriefe oder gelegentlich der Immuni
tätsverleihungen einzelnen Klöstern oder einzelnen Geistlichen zuge
sichert wird? Was die Gesetze zuGunsten derer die im allgemeinen
Kirchenfrieden stehen verordnen, wie dass ihre Angelegenheiten den
Grafen oder Missi besonders anempfohlen werden, dass ihre Streit
sachen im Gericht allen anderen Vorgehen u. s. w., bleibt weit hinter
der einen wesentlichen Bestimmung der Mundbriefe zurück, hinter
dem Recht streitige und im Gaugericht zu Ungunsten der Schützlinge
entschiedene Sachen noch vor das Königsgericht bringen zu dür
fen. Und von einer etwaigen Unterscheidung zwischen allgemeinem
1) Conf. LL. 1, 126, §. 1 ; 168, §. 18; 188, §. 2.
Beiträge zur Diplomatik.
243
Königsschutz für Kirchen und einem besonderen kann uns nicht
abhalten, dass in den verschiedenen Fällen dieselben Ausdrücke
gebraucht werden. Denn das gilt ja auch von dem allgemeinen und
dem besonderen Königsfrieden; wie sich für diesen u. a. auch
sermo findet, so heisst es ja eben so in der L. Salica 56 : extra sermo-
nem poliere, was sich nur auf den allgemeinen Königsfrieden
beziehen kann J). Und nun nöthigen einige Legesstellen geradezu,
unter mundium für geistliche Anstalten je nach dem Zusammenhänge
eine besondere Art von Kirchenschutz zu verstehen. LL. 1,42, §. 3.
c. a. 782 heisst es: monasteria .. . tarn quae in mundio palatii esse no-
scuntur vel etiam in mundio episcopali seu et de reliquis hominibus
esse inveniuntur, distringat unusquisque in cuius mundio sunt, ut
regulariter vivant. Alle diese Klöster gemessen doch des allgemei
nen Königsschutzes für Kirchen, den wir auch mundeburde genannt
sahen, und doch werden unter ihnen wieder von den unter könig
lichem Mundium befindlichen die unter Mundium von Bischöfen oder
anderen stehenden unterschieden. Für jene enthält dann LL. 1, 237
§. 5 a. 823 die besondere Verfügung: de ecclesiis monasteria et
senodochia quae ad mundio palatii pertinet aut pertinere debent, ut
unusquisque iustitiam doinnorum nostrorum regum et eorum rectum
consentiat. Für gleich bedeutend damit halte ich die specialis defen-
sio von der Lothar in der constitutio Romana a. 824 in LL. 1,
239 spricht 2 ). Allerdings sind alle diese Stellen langobardischen
Capitularien entnommen und sie zeugen also zunächst nur dafür, dass
in Italien diese Unterscheidung gemacht wurde. Dass sie aber auch
für das fränkische Reich Geltung gehabt habe, folgt daraus, dass
sich aus der Betrachtung der Qualität der einzelnen fränkischen
Klöster genau dieselbe Eintheilung derselben ergab 3 ).
*) Ob die von Waitz V. G. 4, 200, Nr. 3 und 220, Nr. 5 angeführten Stellen auch nur
auf allgemeinen Schutz zu beziehen, ist mir zweifelhaft.
2 ) Der römischen Kirche wird meines Wissens immer nur defensio zugesprochen :
divisio a. 806 in LL. 1, 142, §. 15; wiederholt 830 in LL. 1, 358, §. 11; conventio
Mettensis in LL. 1, 508. — Stephan III. aber bedient sich einigemal in seinen Brie
fen an Pippin Wendungen , die sonst auf besondere Schutzverhiiltnisse scliliessen
lassen; so in Cenni cod. Carol. t, 76. 79: omnes causas prineipis apostolorum in
veslris manibus commendavimus; in veslro gremio eommendavimus u. s. w. — Vgl.
Marca de concordia sacerdotii el iinperii üb. 1. cap. 12.
3 ) Mundium palatii freilich ist ein damals nur in Italien nachweisbarer Ausdruck.
Da mir aber aus fränkischen Quellen kein technischer Ausdruck zur Bezeichnung
10*
244
S i c k e 1
Was nun dieses besondere Mundium für Kirchen bedeutet,
lässt sieb am einfachsten mit den Worten einer alten Glosse aus-
driicken: mundio id est dominio i). Ganz im Allgemeinen ist Mun
dium ein Ausfluss der dominatio; beide finden sich daher auch bei
kirchlichem Besitz oftnebeneinander genannt. So heisst es s ) inIJronke
cod. dipl. Fuld. Nr. 1S7 a. 800, indem die Äbtissinn Emhilda das
von ihr erbaute Kloster Milize an Fulda tradirt: ut monasterium
istud seu congregatio loci istius sub vestro dominio vestroque auxilio
et defensione seu mundeburde omni tempore secura consistat. Und
derselbe mit dem Eigenthumsrecht zusammenhängende Schutz ist es
auch, den die Arnulfinger, ehe das Geschlecht königlich wird, ihren
Stiftungen wie Epternach Suestern und Prüm zusichern.
Haben wir aber, zunächst für die Zeit vor 814, zwei Arten
von Königsschutz für geistliche Anstalten zu unterscheiden, einen
allgemeinen und einen besonderen, so kann es keinem Zweifel mehr
unterliegen, welche Bedeutung die in einer verhältnissmässig nur
geringen Anzahl von Diplomen und speciell Immunitäten der Karo
linger vor 814 erwähnte Defension hat.
Es handelt sich in diesen Urkunden um das Mundium, welches
in erster Linie aus der dominatio folgt, und nicht um den allgemei
nen Kirchenfrieden, der allerdings allen geistlichen Anstalten
zukommt, in den Urkunden aber nicht ausdrücklich zugesicherl wird.
Bischöfliche Kirchen, den Bischöfen oder anderen Personen gehörige
oder unabhängige Klöster, kurz Anstalten, die nicht in dominatione
regis sind 3 ), erhalten daher damals keine Mundbriefe und auch
regelmässig nur Immunität ohne Defension; Immunität mit Defension
dagegen wird an durch Stiftung oder Tradition königliche oder dem
Könige commendirte Klöster verliehen.
des besonderen Mundimns für Klöster bekannt ist, gebrauche ich mundium
palatii auch bei fränkischen Klöstern.
Glossa Matritensis in B. di Vesme edicta 233.
2 ) ich übergehe die zahlreichen Beispiele, die sich aus Urkunden des IX. Jahrhunderts
an führen Hessen, und von denen einige bei Waitz V. G. 4,203 verzeichnet sind, weil
es sich hier zunächst um Verhältnisse und Ausdrücke aus der Zeit Karl d. G.
handelt.
3 ) Wenn Reims zeitweise von Karl in dominicatu gehalten wurde (Bouquet 6, 510), so
war das entschieden widerrechtlich; s. Waitz 4, 134, Nr. 1.
Beiträge zur Diplomatik.
245
Wie nun aber seit Errichtung des Kaiserthums das religiöse
Element, die Fürsorge für die Kirche und die mit ihr in Zusammen
hang stehenden Institute in allen Regierungshandlungen stärker denn
zuvor hervortritt, wie dem Kaiser Karl die Förderung der kirch
lichen Interessen mehr am Herzen liegt als dem Könige Karl, wie
endlich sein Sohn fast ausschliesslich durch sie in Anspruch genom
men wird, so wird nun auch viel häufiger und mit weit grösserem
Nachdruck der allen Kirchen zukommende Frieden betont. Es ist
alter Grundsatz, dass der König Schirmherr der Kirche ist, aber er
wird in den älteren Leges nur selten erwähnt. Unter dem Kaiser
Karl dagegen tritt fast kein Reichstag zusammen, auf welchem nicht
auch der allgemeine Kirchenfrieden eingeschärft wird und den Send
boten dem entsprechende Instructionen ertheilt werden: in diese Zeit
gehören fast alle zuvor angeführten Gesetzesstellen über diese Art
von defensio. Dazu würde es nun wohl passen, wenn seitdem auch in
den Kirchen und Klöstern ertheilten Immunitäten regelmässig von
diesem Schutz die Rede wäre. Aber unter Kaiser Karl geschieht
das noch nicht, wenigstens enthält die einzige Immunitätsurkunde,
die wir aus der kaiserlichen Zeit besitzen, noch nichts von defensio.
Die Neuerung scheint erst bei dem Regierungsantritt Ludwig’s statt
gefunden zu haben. Ich habe es schon bei einzelnen Diplomen des
letztem erwähnt, dass sie nach neuen Formeln geschrieben sind und
werde auch später noch des weitern zeigen, dass die alten Formeln
von seiner Kanzlei nicht mehr angewandt worden sind, sondern für
alle Urkundenarten neue Redactionen aufgestellt sind. Gelegentlich
dieser Umarbeitung der Formeln hat nun die schärfere Retonung des
allgemeinen Kirchenfriedens auch in den Urkunden zuerst ihren
Ausdruck gefunden, und von nun an wird keiner Stiftung Immunität
verliehen, ohne dass ihr nicht auch der allen zukommende Schutz
ausdrücklich zugesicherf wird. Dafür werden von der Kanzlei
Ludwig’s dieselben Worte defensio, tuitio u. s. w. gebraucht, die in
den Urkunden der Vorgänger nur zur Bezeichnung eines besonderen
Schutzverhältnisses angewandt wurden. Aber nur die ausdrückliche
Zusicherung des allgemeinen Kirchenfriedens ist etwas Neues, nicht
der Frieden selbst, und insofern kann, wo in den Diplomen nur im
Allgemeinen auf die Verhältnisse unter den früheren Königen liinge-
wiesen wird, mit vollem Fug gesagt werden, dass auch unter
246
S i c k e 1
ihnen schon die betreffenden Kirchen unter Immunität und Schutz
gestanden haben.
Wenn aber die Schreiber Ludwig’s noch einen Schritt weiter
gehen und von den zu ihrer Zeit vorgelegten Urkunden der Vor
gänger, welche uns erhalten sind und die wir als emunitates sine
defensione erkennen, behaupten, dass durch sie immunitas und
defensio gewährt worden sei, so genügt dafür auch die oben gege
bene Erklärung nicht: defensio muss da noch in einem andern Sinne
aufgefasst worden sein.
Der Gebrauch dieses und der synoymen Worte zur Bezeichnung
für specielle Verhältnisse schliesst ja, wie ich schon erwähnte, die
Anwendung derselben in allgemeinster Bedeutung, zur Bezeichnung
jedweder Art von Schutz, Hilfe, Förderung nicht aus. So wird in den
Briefen des Bischofs Frotharius vonToulan den damaligen Erzcapellan
Hilduin (Bouquet 6, 389, 392 u.s.w.) der letztere defensor genannt,
wird seiner Fürsprache hei dem Kaiser als tuitio gedacht. Noch häu
figer wird dem Könige defensio im weitesten Sinne beigelegt. Gehen
wir von der allgemeinsten Bedeutung der königlichen Urkunden aus,
so zeigt sich, dass jedwedes Rechtsverhältniss durch sie eine grössere
Sicherung erhielt. Stand z. B. ein Rechtsverhältniss bereits unter
dem Schutze der Gesetze, welche auf Verletzung desselben eine
bestimmte Busse festsetzten, so wurde dieser Schutz verstärkt und
die Busse entsprechend erhöht, sobald der König eine urkundliche
Bestätigung für das betreffende Verhältniss ertheilte J ). Nach der
Höhe der Busse zu urtheilen, wurde die Nichtachtung königlicher
Diplome der Nichtachtung jeder unter Königsbann erlassenen iussio
regis gleichgestellt. Und für diese Sicherung durch königliches
Präcept wurden nun seit Ludwig’s Zeit häufig tuitio, defensio,
mundeburdium gebraucht. Besitzbestätigungen dieses Kaisers für
S. Zeno di Verona, für den Bischof von Modena, für die Mönche
von S. Amand (B. 261, 343, 348) erfolgen, damit die Betreffenden
ihre Güter in Zukunft sub imperatoris tuitione, sub regali atque im-
periali tuitione besitzen. Hier könnte das noch als Anwendung des
allgemeinen Kircheufriedens auf die speciellen Fälle gedacht wer
den; aber auch in einer Urkunde für einen Laien, den Grafen Hart
mann (Bouquet 6, 477, Nr. 29) kommt es vor, dass ihm eine zuvor
D Lex Ripunr. fit, GO, 2 und 3. Vergleiche nuuli I.L. 1, 37, §. 13.
Beiträge zur Diplomatik.
247
streitig gemachte Precarie zugesichert wird per nostrum mundebur-
dum et licentiam. Und in etwas späteren Urkunden, wie in der
Karl d. K. für Montierender B. 164S erscheinen Ausdrücke, wie
regalituitionedecernere geradezu als gleichbedeutend mit demin jeder
Art von Diplomen wiederkehrenden auctoritate regia confirmare »)•
Erwägen wir nun, dass die Nichtachtung dieser Art von könig
licher defensio oder die Verletzung jedweden königlichen Präcepts
mit 60 solidi gebüsst werden soll, die Verletzung der Immunitäts
urkunden aber mit der zehnfachen Summe, so kann mit noch viel
grösserem Rechte gesagt werden, dass auch die Immunitäten Schutz
gewähren. Und diese Seite der Immunität wird nun schon unter
Ludwig d. F. sehr häufig hervorgehoben. In einer ungedruckten
Urkunde desselben für Sens von 826 heisst es z. B.: immunitas
nostra quam tuitionis causa precepimus fieri. Oder die Mönche von
Aniane klagen in B. 344: quod homines . . . monasterii . . . non
possunt habere defensionem per praeceptum immunitatis s ). Und
*) Analoge Fälle späterer Art sind Ludwig II. für Reggio B. 645, Karl d. K. für
S. Lomer Ic Moutier in Bouquet 8, 564, Nr. 161, Karl d. D. für S. Apre B. 989,
Carlomann für Hillo in Muratori ant. 1, 929, Arnulf f. S. Emmeram B. 1079 u. s. w.
— Die Analogie des Schutzes, wie er durch eigentliche Mundbriefe ertheilt wird
und des in jedem königlichen Präcept enthaltenen Schutzes spricht sich auch darin
aus, dass das Verbot zu inquietare, calumniam generare u. s. w. sich eben so wie
in Mundbriefen auch in den Schenkungen, Bestätigungen u. s. w. findet. Eben so
verhält es sich mit den Wendungen: quieti vivere, residere, consistere. Sie finden
sich regelmässig in den eigentlichen Mundbriefen , also bei Zusicherung beson
deren Schutzes. Dann dringen sie aber auch in die Immunitäten ein, wo es sich
nur um den allgemeinen Kirchenfrieden oder den Immunitätsschutz handelt
(siehe S. 201) und häufiger noch in die Immunitäten Ludwig’s, wie für Narbonne, Vi-
viers, Arles, Corbie , Glonne u. a. Endlich werden dieselben Ausdrücke aber auch
gebraucht, wo es sich um den Schutz allgemeinster Art, um den Königsfrieden
handelt; ut populi bene viventes sub tuo regimine gaudentes deheant consistere
quieti: so lautet schon die carta de ducato etc. in Marculf 1, 8 = Roz. 7.
2 ) So auch in Urkunde für S. Germain d'Auxerre ß. 1879: proclamaverunt quoque
sibi nihil iuvaminis conferre immunitates et auctoritates ab antecessoribus nostris
iis collatas. — Auch in nichtköniglichen Urkunden wird die Immunität als Defen-
sion aufgefasst und bezeichnet. So heisst es von Karl d. G. Immunität (sine defen-
sione) für Corbie B. 40 in einem bischöflichen Privileg von 846 (Miraeus-Foppens
1, 338): Karolus idem monasterium ... in sua familiaritate ac defensione ab
exordio regni sui suscepit. — Und nachdem Karl d. K. ß. 1622 Cormeiy füi
die cella Villalupae Immunität ertheilt und sich dabei des Ausdrucks bedient hat:
memoratum locellum nostrae immunitatis defensione confirmare, nennt der
Erzbischof Herardus (Bourasse Nr. 21 a. 859) das königliche Diplom praecep-
tum tuitionis et defensionis.
248
S i c k e l
in der Formel Roz. 21, nach der unzählige Diplome Lüdwig’s stili-
sirt sind, heisst es: earum (antecessorum) immunitatum auctoritati-
bus hactenus ab inquietudine iudiciariae potestatis eadem munita
atque defensa (fuit) ecclesia, und in anderen Formeln und Urkunden
ist von immunitatis defensio, tuitio die Rede. Kurz zu dem RegrilT
des allgemeinen Kirchenfriedens, welcher seit Ludwig in den Im
munitäten besonders zugesichert wird, kommt der Begriff des durch
die Immunität gewährten Schutzes, und beides zugleich wird durch
defensio ausgedrückt. Und in diesem Sinne lässt sich nun auch von
einer Defension der Vorgänger und von Defension enthaltenden Ur
kunden derselben sprechen.
Ja es kommt vereinzelt schon unter Ludwig, häufiger unter
seinen Nachfolgern vor, dass defensio geradezu für emunitas (in
einzelnen Fällen auch umgekehrt immunitas für defensio im enge
ren Sinne) und praeceptum tuitionis statt praeceptum immunitatis
gesetzt wird, bis endlich in den folgenden Jahrhunderten in deutscher
Urkundensprache Munthat oderMundat als gewöhnliche Bezeichnung
der Immunitäten erscheint *)• Ich verweise auf die schon zuvor
(S. 237) als Immunitäten angeführten Diplome Ludwig d. F. für
Kloster Arles, S. Grata und S. Andre de Sau, welche die Einzel-
bestimmungen der Immunität enthalten, das ganze Verhältniss aber
nicht mit immunitas, sondern nur mit defensio bezeichnen. Alle
Zweifel ob wir es da wirklich mit Immunitätsurkunden zu thun
haben, werden durch die späteren Confirmationen behoben. So ist
Karl d. Kahle B 1565 für Arles in seinem zweiten Theile ganz
B. 333 nachgeschrieben und gebraucht da auch das Wort immuni
tas nicht, aber in der erzählenden Einleitung heisst es von B. 333,
dass Ludwig das Kloster sub sua immunitate atque defensione ge
nommen habe. Und B. 13(10 für Grata sagt von Ludwig, dass er in
B. 360 per immunitatis suae praeceptum sub sua defensione et protec-
tione suscepit, und wenn in demselben Stücke Karl d. K. geruht
sub nostra tuitione atque defensione recipere, so ist auch damit
wieder Immunität gemeint. Man vergleiche endlich mit der zu dritt-
genannten Urkunde Ludwig's die Ausdrücke in den Bestätigungen
Bouquet 8, Nr. 102 und B. 1752. Kurz in mundiburdium suscipere
1 ) Zeuss trad. Wiss. 273.
Beiträge zur Diplomatik-
249
wird besonders seit der Mitte des IX. Jahrhunderts gleichbedeutend
mit iminunitalem concedere. Dem entsprechend ist auch eine Immu
nität Karl d. G. für S. Hilaire de Carcassonne anzunehmen, wenn Lud
wig in seiner Immunität *) für dies Kloster bestätigt: auctoritatem
. . genitoris nostri Karoli . . in qua continebatur insertum, quod idem
genitor nosfer ipsum monasterium . . sub suo suscepisset munde-
burdo vel defensione, indem auch hier die letzten Worte schon für
immunitas gebraucht werden. Und dafür, dass die Söhne Ludwig’s
Urkunden desselben, die sich selbst immunitates nennen, nur als
auctoritates tuitionis, defensionis anführen, lassen sich zahlreiche
Beispiele aus allen Theilreichen beibringen: aus Aquitanien die Diplome
für Solignac B. 300 und B. 2085, aus Westfrancien die für S. Maur
des Fossds B. 279 und B. 1533 oder für La Grasse B. 230 (das
zunächst in B. 1554 wörtlich bestätigt wird) und B. 1767, aus
Ostfrancien die für Paderborn B. 346 und Erhard 1, Nr. 18 und
B. 1023.
Es ergibt sich aus alle dem , dass defensio in den Urkunden
und speciell in den Immunitäten Ludwig’s und seiner Söhne eine
andere und allgemeinere Bedeutung hat, als in den Diplomen der
Vorgänger, in denen der allgemeine Kirchenfrieden nicht ausdrück
lich zugesichert wird und Defension, wo es gebraucht wird, auf ein
besonderes Schutzverhältniss hinweist. Ob das letztere nun auch
unter Ludwig und seinen Nachfolgern noch vorkommt und in wel
chen Worten der Urkundensprache es seinen Ausdruck findet, ist
eine Frage, auf die ich später zurückkommen werde.
*) Bouquet 6, 500, Nr. 64. — Wenn Waitz 4, 246, Nr. 3 diese Urkunde dafür
anführt, dass Immunität in dem Schutz mit enthalten sei, so setzt er offenbar einen
Schlitzbrief Karl’s voraus , indem er mundeburdum in der Bedeutung nimmt,
welche es in einer Urkunde Karl d. G. haben würde. Ist nun letzteres unrich
tig-, so schliesst die richtige Deutung des Wortes allerdings noch nicht aus, dass
das Kloster vielleicht doch auch im besonderen Mundium Karl’s gestanden habe,
aber es kann nicht aus dieser Stelle gefolgert werden, und es liegt auch sonst
keine dies besagende Urkunde oder Nachricht über S. Hilaire de Carcassonne vor.
Die Deutung, die ich oben gebe, wird überdies noch durch die Urkunde Pippin's
von Aquitanien in Bouquet 6, 668. Nr. 9 bestätigt, welche der Ludwig’s wört
lich nachgeschrieben ist, und in der nun auch wieder von der unzweifelhaften
Immunität Ludwig’s dieselben Ausdrücke gebraucht werden, wie von dem Ludwig
vorgelegten Diplome KaiTs.
250
S i c k e 1
Formeln und Crkundcn für Immunität unter Ludwig d. F. in
stilistischer Hinsicht.
Wir sahen früher, dass die Schreiber Karl d. G. allmählich die
von den Vorgängern überkommenen Formeln Roz. 16 und 20 als
veraltet bei Seite legten und sich in neuen verhältnissmässig
besseren Fassungen versuchten. Diese ersten Versuche wurden in
jeder Hinsicht weit von denen der Schreiber Ludwig's übertroffen,
die schon aus den unter Karl gegründeten Schulen hervorgegangen
ihren Gedanken einen gewandteren und vor Allem correcteren Aus
druck zu geben wussten. Sie machten weder von den Marculfschen
Formeln *), noch von <len ' m Ausgang des VIII. Jahrhunderts auf
gestellten neuen Formeln Gebrauch, noch auch in der Regel von der
Fassung der ihnen behufs der Bestätigung vorgelegten älteren
Urkunden; dass das letztere noch geschah, ist uns nur aus dem
einen die Diplome für S. Martin de Tours betretfenden Falle
bekannt, sonst wurden höchstens stellenweise, wie hei den Trierer
Urkunden, wenn die Vorlagen dem Inhalte nach das sonst gewöhn
liche Mass überschritten, die besonderen Bestimmungen der älteren
Urkunden mehr oder minder wörtlich in die neuen Redactionen auf
genommen. Nur in Bezug auf die allgemeine Disposition und den
Gedankengang im Ganzen und Grossen, dann hinsichtlich der Bestim
mungen, deren Inbegriff eine Immunität ausmachte, wurde an der
Überlieferung festgehalten. Jeder einzelne Satz oder Theil der
Diplome aber ist in entsprechender Weise umgebildet, und bleiben
i) Ich kenne nicht einmal eine Ludwig: d. F. beigelegte Fälschung-, für die noch
ältere Immunitätsformeln benützt wären. Dagegen liegt eine solche, die Karl d. K.
zugeschrieben wird, in B. 1713 = Bouquet 8, 386, Nr. 181 für das Kloster
Vabres an der Dordogne vor. Die bisherigen Herausgeber haben nur an dem
Titel Anstoss genommen, der Karl d. G. zukommt, und haben ihn durch den des
gleichnamigen Enkels ersetzt, unter dem nachweislich das Kloster erst gestiftet
ist. Aber gleich die Arenga: maximum regni nostri in hoc augere credimus
munimenlum verriith eine sich an Roz. 16 anschliessende Fassung, wie sie nach
Karl d. Gr. nicht mehr vorkommt, und£bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die
ganze Urkunde bis zum Schlüsse der für Aniane B. 144 wörtlich gleich ist und
offenbar nach einem mit dem für Aniane identischen Diplome gefälscht ist. Für
diese Immunitälsformel sind dann die Unterschriften aus einer echten Urkunde
Karl d. K. für Vabres B. 1766 entnommen, welche von der erdichteten Delegation
des Klosters zu des Königs Randen nichts weiss.
Beitrüge zur Diplomatik.
251
auch die Redacteure der neuen Formeln, was Gewandtheit und
Correctheit des Stiles betrifft, noch hinter den besseren Schriftstellern
ihrer Zeit zurück, so sind ihre Elaborate doch allgemein verständlich
und frei von den ärgsten Verstössen gegen Formenlehre und Syn-
taxis. Man begegnet zwar in den Formeln auch noch Wendungen
wie: propter amorem dei eiusque sibi famulantium, postulavit nobis,
delectat clericis, circa monasterium praeceptum fieri und dergleichen
und ähnlichen Fehlern in den Urkunden; aber das sind doch Kleinig
keiten gegen die falschen Formen und Constructionen der früheren
Diplome.
Die Urkunden dieser Zeit sind im Allgemeinen freiere Nachbil
dungen der Formeln als zuvor. Zwar kommt noch vor, dass z. B. die
confirmationes commutationum stets wörtlich einer der zwei dafür
aufgestellten Formeln Roz. 317 und 318 (= Carpentier, Nr. 24
und Revue historique du droit fran^ais et etranger, tom. 4 a. 1858)
wörtlich nachgeschrieben sind, die Mehrzahl der Diplome aber macht
den Eindruck, dass die Schreiber allerdings die herkömmlichen
Fassungen ihrem Gedächtnisse genau eingeprägt haben, aber nur
selten an einer derselben bei der Conception der Urkunden conse-
quent festhalten, sondern aus einer in die andere übergehen. Die
Fälle der wirklichen Übereinstimmung zwischen Formeln und
Urkunden oder der Urkunden unter sieb sind daher seltener und
namentlich werden die Arengen der Formeln fast regelmässig unter
einander vertauscht. Von den uns erhaltenen Formeln gehören nun
hieher für neue Immunitätsverleihungen Roz, 17, 18, 19 (= Carp.
8, 9, 18) und für Bestätigungen Roz. 21, 24 und die nur den Ein
gang darbietende Formel Roz. 22 (Carp. 4, 13, 10); sie finden
sich alle in der von Carpentier edirten, in Tironischen Noten
geschriebenen Sammlung (aller Wahrscheinlichkeit nach stammt die
jetzt auf der Pariser Bibliothek befindliche Handschrift aus S. Martin
de Tours), die aber erst gegen das Ende der Regierung Ludwig d.
F. oder bald nach seinem Tode zum Abschluss gekommen sein kann.
Nur für drei dieser Formeln liegen vollständig gleichlautende
Urkunden vor. Die Übereinstimmung zwischen Roz. 21 und B. 226
für Orleans aus dem ersten Regierungsjahre des Kaisers ist schon
oft hervorgehoben worden; bis auf sehr geringfügige Abänderungen
kehrt dieselbe Redaction noch wieder in den Immunitäten für
Limoges B. 298, für Fleury ß. 309, für Corbie B. 379, für
2 t}2 S i c k e 1
Bordeaux in Bouquet 6, Nr. 148, bis auf abweichende Arenga in
B. 237 für Autun, B. 263 für Berg und andere, mit etwas
weiter gehendem Unterschiede in B. 230 für La Grasse, B. 233
für S. Denis u. s. f. bis in die letzten Jahre Ludwig’s wie in B.
440 für S. Colombe de Sens. Schon früher erwähnte ich, dass
Roz. 24 wörtlich gleich ist der Immunität für S. Martin de Tours
B. 303, und dass ausnahmsweise diese Fassung als eine LTmarbeitnng
einer früheren Redaction, nämlich der Immunitäten Karl d. G. für
dasselbe Kloster erscheint. Die Umarbeitung hat aber schon kurz
vor der Ausfertigung des Diplomes für das Martinskloster stattgefun-
den und liegt bereits, bis auf die Auslassung eines eben nur den
Immunitäten dieses Stiftes eigenthümlichen Passus, in dein Diplome
für Solignac B. 300 vor: von der zweifachen Arenga in Roz. 24
gehört die erste der Immunität für Solignac an. Endlich entsprechen
Roz. 17 ganz B. 346 für Paderborn und zum grossen Theil B. 418
für Chur.
Man braucht nun nur die Jahre der Ausfertigung dieser Immu
nitäten (und ein gleiches ergibt sich aus der Vergleichung der Diplome
anderen Inhalts mit den entsprechenden Formeln) in Betracht zu
ziehen, um sich zu überzeugen, dass diese Urkunden nicht nach den
Formeln der Carpentier’schen Sammlung geschrieben sind, sondern
dass umgekehrt die Sammlung gebildet ist durch Zusammenstellung
von als Muster betrachteten Urkunden. Und die Kanzlei Ludwig's hat
sich offenbar auch noch anderer Formeln bedient, wie sich aus der
wörtlichen Übereinstimmung mehrerer gewöhnlich der Zeit nach
einander nahestehender Diplome ergibt. So lauten abgesehen von den
Arengen die Urkunden für Anisola B. 219 und für Worms B. 222,
die für Charroux B. 244und für Lorseh B. 247, die für Montie-
render B. 246,für Blandigny B. 231 und für Fontane 11 e B. 239
ziemlich gleich. Theilweise Übereinstimmung ist zumeist die Folge
von der Zusammenstellung der einzelnen Theile aus verschiedenen
Formeln, wie z. B. der erste Theil der eben genannten B. 244 und
247 sich an Roz. 21, der zweite an Roz. 19 anschliesst, wie B. 274
für Cambray und B. 276 für S. Mihiel de Massoupe die Mitte
halten zwischen Roz. 21 und 22. Besonders zu erwähnen ist noch,
dass die Formeln für neue Immunitätsverleihungen und die für Be
stätigungen nicht mehr streng auseinander gehalten werden und jene
auch für Cunfirmationen, diese auch für erste Verleihungen ange-
Beiträge zur Diplomatik.
253
wandt werden. Und selbst wo der vorherrschend erzählende Theil
oder die Vereinigung der Immunität mit anderweitigen Bestimmungen
eine mehr selbstständige Redaction bedingen, werden doch in der
Regel ganze Perioden und namentlich der die Einzelrechte der
immunen Stifter enthaltende Passus einer der Formeln entlehnt. In
Bezug auf die Arengen, in deren Anwendung, wie gesagt, die grösste
Abwechslung stattfindet, sei noch bemerkt, dass sich die in den
Formeln enthaltenen alle schon in den ersten Jahren der Regierung
Ludwig’s nachweisen lassen, also in dieser Zeit schon die allgemeine
Umarbeitung der Formeln, die aber auch in den Einleitungen doch
nur die traditionellen Gedanken aussprechen, erfolgt sein muss.
Ferner zeigt sich auch bei den Prologen der Immunitätsurkunden
ein grösserer Reichthum an Fassungen, als in den Immunitätsformeln,
indem die Arengen der Diplome auch Formeln andern Inhalts entlehnt
wurden, wie z. B. die von Roz. 1S7 (Carpentier 21, securitas) sich
in B. 237 für Au tun, B. 440 für S. Colombede Sens und vielen
anderen Immunitäten findet, oder indem auch in den Formelsamm
lungen gar nicht nachweisbare Einleitungen wiederholt gebraucht
werden, wie in der Gruppe B. 220 für Hornbach, B. 242 für
Vienne, B. 263 für Berg, B. 340 für Fischbeck oder in der
Gruppe B.420 fürS. Martin de Tours und B. 444 für Kempten
u. s. w.
Es folgt aus der grösseren Freiheit und Mannigfaltigkeit der
Stilisirung der Urkunden Ludwig d. F., dass das Verhältniss der
selben zu den Formeln nicht in dem Grade, wie es bei den Diplomen
der Vorgänger der Fall ist, für die Kritik massgebend sein kann,
oder dass man wenigstens nicht mehr den speciellen Wortlaut einer
oder der andern Urkunde, sondern nur das allgemeine stilistische
Gepräge derselben als Massstab anlegen darf. Dass das Kanzleiper
sonal verhältnissmässig selbstständiger in dieser Hinsicht ist und eine
grössere Productivität entwickelt, das lässt übrigens sehr bald wieder
nach. Unter den Söhnen Ludwig d. F. halten sich die Schreiber der
Diplome wieder mehr an die unter diesem Kaiser entstandenen
Redactionen und wiederholen sie in der Regel in den folgenden
Bestätigungen, so dass sich -in der Vergleichung der Diplome Lud
wig’s mit den entsprechenden Confirmationen der Nachfolger in
Fällen des Verderbnisses, der Interpolation, der mangelhaften Über
lieferung ein neues Mittel für Kritik und Textesherstellung darbietet.
254
S i c k e 1
Wir werden später sehen, dass eine derartige Vergleichung auch noch
den weiteren Vortheil gewährt, erkennen zu lassen, welche Varianten
der Fassung, namentlich insofern sie die Aufzählung der Einzelrechte
der Immunität betreffen, nur stilistische, welche andererseits sachlich
bedeutungsvolle sind, und ich füge desshalb gleich hier zu den schon
oben (S. 232) berührten Beispielen von Nachbildung der Urkunden
Ludwig’s in denen der Nachfolger noch einige weitere hinzu , be
merke jedoch nochmals, dass die Übereinstimmung nicht überall die
gleiche sein kann, namentlich nicht in den gewöhnlich erzählenden
Einleitungen. Von Immunitäten Lothar’s ist die für Viviers B. 604 =
B. 254, die für Prüm B. 568 = B. 380; von Immunitäten Pippin’s
sind die für Solignac B. 2085 und 2093 = B. 300; unter denen
Ludwig d. D. ist die für Paderbor nin Erhard 1, Nr. 18 = B. 346;
unter denen Karl d. K. ist B. 1554 für La Grasse = B. 230,
B. 1651 für Malasti — B. 264, B. 1558 für Montierender =
B. 276, B. 1615 für Limoges = B. 298, B. 1559 für Verna-
soubre = B. 383.
Formeln für Mundbricfc und lundbricfe aus der Zeit L d. V.
Die auf uns gekommenen Formeln dieses Inhalts lauten: Roz. 12
(Carpentier 35) für Bewohner einer Stadt Italiens, Roz. 13 (Carp. 36)
für Italiener, Roz. 14 (Carp. 37) für die Witwe Teofridis, Roz. 15
(Carp. 51) für Bewohner von Parma, Roz. 27, 28, 29 (Carp. 32,
33, 34) für Juden, Roz. 30 (Carp. 31) für Handelsleute; keine ein
zige Formel vertritt also eigentliche Schutzbriefe für Geistliche oder
für kirchliche Stiftungen. Es üherhebt mich dies und der weitere
Umstand, dass keine diesen Formeln entsprechende Urkunde auf uns
gekommen ist, der Mühe in dieser Arbeit, welche in erster Reihe
von dem Verhältniss zwischen Formeln und Diplomen und dann vor
züglich von den Urkunden für Kirchen und Klöster handeln soll, alle
Einzelheiten dieser Mundbriefformeln zu besprechen. Ich hebe nur
einzelne für die weitere Untersuchung wichtige Puncte aus ihnen
hervor.
In den Formeln für Juden werden mehrere auf deren specielles
Recht bezügliche Bestimmungen getroffen, und es muss sich über
haupt ein besonderes Judenschutzrecht, das nicht die mit ihrer
Religion zusammenhängenden Verhältnisse allein betroffen hat,
herausgebildet haben, denn auch Nichtjudeu werden in Roz. 12
Beiträge zur Diplomatik.
285
unter einen Schutz gestellt: sicut ipsi Judaei, oder in Roz. 30 wird
ihnen zugesichert: liceat eis sicut Judaeis partibus palatii noslri
fideliter deservire. Und zwar muss diese specielle Art von Mundium
nach Roz. 30 schon vor 828 gegolten haben i). Insofern also diese
Formeln von besonderen Verhältnissen handeln, dürfen wir sowohl
die nur für Juden gütigen, als auch die anderen besonderen Be
stimmungen in denselben, wie den Erlass von Abgaben, nicht ohne
weiteres als Ausfluss des allgemeinen Mundiums betrachten und können
um so mehr hier von ihnen absehen.
Das Schutzverhältniss im Allgemeinen wird nun auch in diesen
Formeln bezeichnet mit tuitio, defensio, mundeburdium; sermo da
gegen kommt hier nicht mehr vor und scheint schon eben so veraltet
wie milium 3 ). In Roz. 12 und 15 wird der Verletzer dieser Schutz
briefe mit Strafe bedroht, nicht einfach mit Entrichtung des bannum
dominicum, sondern was gleichfalls auf besondere Verhältnisse hin
weist: noverit se . . . secundum facti sui meritum poenas perso-
luturum; in den Briefen für Juden dagegen wird ein specielles Wer
geid festgesetzt, das wie das von anderen königlichen Schulzhörigen
an die Pfalz zu zahlen ist 3 ).
Ausser dem Schutz im Allgemeinen wird nun auch in der Mehr
zahl dieser Formeln, ausgenommen sind nur Roz. 14 und 27, noch
das besondere Vorrecht zugesichert, dass die in Mundium stehenden
Personen ihre Streitsachen eventuell vor den König oder vor dessen
Missi bringen dürfen. Der beireffende Satz findet sich ausserdem
noch in einer securitas betitelten Formel aus der Zeit Ludwig's
(Roz. 157 = Carpentier 21), welche einem Kloster die sämmtlichen
Besitzungen bestätigt. Dabei ist noch zu bemerken, dass es inRoz. 12
*) Die Zeitbestimmung durch Incarnationsjahr in dieser Formel halte ich für unbe
denklich. Sie ist allerdings in der eigentlichen Datirungszeile der Diplome von
der königlichen Kanzlei derZeit nie gebraucht: conf. Beiträge 1, 343, wo jedoch
zu berichtigen ist, dass B. 119 für Metz nicht Original ist, wie ich mich seitdem
durch Einsicht des betreffenden Schriftstückes überzeugt habe. Aber in dem
Context officieller Actenstiicke lässt sich diese Art der Zeitbestimmung doch einige
Male nachweisen , so in dem erzählenden Theile eines Diploms Karl d. G. für
Farfa B. 174, in der divisio imperii a. 817 in LL. 1. 198, in der relatio de
exauctoratione Hludowici a. 833 in LL. 2, 336, in dem Diplom Karl d. K. für
Nevers B. 1618 bei dem Datum einer inserirten bischöflichen Urkunde u. s. w.
54 ) Es findet sich jedoch noch in dem gleich zu besprechenden Mundbrief für
Altaich.
3 ) S. Bogge, Gerichtswesen, 10.
25<i
S i c k e 1
und fast eben so in Roz. IS heisst: nullus ex vobis . . . eumdetn . . .
de illicitis oceasionibus contra legem et iustitiam inquietare aut
infestareautullam ei propterhocquod adnos venitcalumniam ingerere
presumat, und in Roz. 13: nemo eis ad nos veniendi facultatem con-
tradicere presumat — Bestimmungen, die sich in den älteren Mund
briefen noch nicht fanden und offenbar damit Zusammenhängen, dass
seil 800 häufiger als zuvor in den Gesetzen eingeschärft wird, dass
das Königsgericht nicht ohne besonderen Grund angegangen wer
den soll i).
Aus dem Umstande, dass die von Carpentier veröffentlichte
Sammlung, welche für fast alle denkbaren Fälle Ulkundenformeln
darbietet, keinen Schutzbrief für Klöster aufweist, lässt sich schon
scliliessen, dass dergleichen Diplome damals gar nicht mehr oder
nur selten ausgestellt wurden. Und dem entspricht es, dass wir von
Ludwig d. F. nur einen einzigen einem Kloster erlheilten Mundbrief
kennen, nämlich B. 339 (aus dem Original in München in Mon.
Boic. 11, 103) für Altaich. Allerdings ist das betreffende Schrift
stück von Kopp in Pal. critica 1, 431 als unecht verworfen, aber
hier wie in anderen Fällen sind seine Bedenken nicht stichhältig. Ich
halte die Urkunde für Original, wenn ich auch zugeben muss, dass
der Beweis dafür, insofern er aus den äusseren Merkmalen zu liefern
ist, hier nicht so schlagend wie in anderen Fällen hergestellt werden
kann. Sigibertus nämlich, der diese Urkunde advicem Fredegisi
abbatis unterschreibt, lässt sich sonst in keinem der mir bekannten
Diplome Ludwig’s nachweisen. Dasselbe gilt aber auch von Joseph, der
unter Helisachar ein in Karlsruhe befindliches Stück (Wirt. Urk. Nr. 74)
ausfertigt. Andere Kanzleischreiber, die sich auch nur etwa zweimal
genannt finden, sind Adalulfus, Faramundus, Daniel. Sollen wir nun
alle Diplome verwerfen, welche mit nur selten oder auch nur einmal
vorkommenden Namen von Notaren versehen sind? Ich halte das für
nicht gerechtfertigt. Aber in diesen Fällen ist allerdings ein sonst
für die Authenticität der Diplome entscheidender Beweis nicht mög
lich, der Beweis dass die damals noch regelmässig von dem recog-
noscirenden Beamten eigenhändig vollzogene Unterschrift mit der
Unterschrift gleichen Namens in anderen Diplomen übereinstimmt.
In solchen Fällen können wir nur die Frage aufwerfen, ob die Sub-
») Waitz V. G. 4, 302 u. f.
"ü
Beiträge zur Diplomatik. 257
scription den Charakter der Schrift der Zeit an sich trägt, und das
ist sowohl hei Sigihert als bei Joseph, als bei Faramund, von denen
auch nur je ein Autograph auf uns gekommen ist, der Fall. Die Ori
ginalität des Altaicher Diploms wird auch noch dadurch gestützt,
dass die Prüfung der Schrift des Contextes (es sind nämlich nur die
Unterschriftszeile und die Datirung von Sigihert's Hand, alles Vor
hergehende von einer andern) als Schreiber desselben den damals in
der Kanzlei mehrfach vorkommenden Gundulfus, von dem mir mehrere
Originale bekannt sind, erkennen lässt. Der Einwand endlich, der
aus dem Inhalt des Stückes entnommen werden könnte, insofern es
eben der einzige Mundbrief Ludwig d. F. für ein Kloster ist, der
Einwand wird dadurch beseitigt, dass aus der nächstfolgenden Zeit
doch wenigstens noch ein und das andere Beispiel von derartigen
Urkunden beigebracht werden kann.
Wenn nun auch in anderer Fassung als die Formeln und als die
älteren Schutzbriefe, stimmt der für Altaieh mit jenen doch in allen
wesentlichen Puncten überein. Der Abt ad nostram veniens presen-
tiam indicavit nobis quod per defensionern . . . genitoris nostri
Caroli . . . usque in presens res et homines meinorati monasterii
quieti absque cuiuslibet iniusta interpellatione resedissent, petiilque
ut nos eum . . . similiter sub sermone tuitionis nostre susci-
peremus; . . idcirco preeipimus ut nullus vestrum aut iuniorum
vestrorum neque . . abbalem neque homines suos per quaslibet
iniustas occasiones vexare aut calumniam quamlibet ingerere pre-
sumat . . sed liceat illi . . . quiete et absque perturbatione resi-
dere ... et si talis causa (etc. wie in den Formeln) exorta fuerit. ..
liceat illi et suis potestatem habere ad nos veniendi ut in
nostra presentia causa . . iijstum et legitimum terminum aecipiat. —
Es mag gleich hier bemerkt werden, wie sich zu dieser Urkunde
eine Altaieh später ausgestellte verhält, nämlich die Ludwig d. D.
B. 781 vom Jahre 857. Diesem König wurden vorgelegt auctoritas
emunitatis Caroli et Thassilonis litterae super eadem re; nach jener
habe Karl das Kloster gehabt suh suo nomine et defensione; der
König ertheilt dann hoc emunitatis nostre prcceptum gratia tuitionis
et defensionis in einer der Zeit ganz entsprechenden Fassung, aus
der als über die gewöhnlichen Bestimmungen hinausgehend, nur die
hier im Druck ausgezeichneten Worte hervorzuheben sind: liceat
(abbati) . . . res predicti monasterii . . sub tuitionis atque emu-
Sitzb. d. phil.-hiat. CI. XLVII. ßd. I. Hft. \y
258
S i c k e 1
nitatis defensione remota totius iudiciariae potestatis inquietudine
et vulgari appellatione quieto ordine ae tranquilla securitate
possidere. Altaich erhält also vom ostfränkischen Könige die schon
von Karl dem Grossen ertheilte Immunität bestätigt, die so wie schon
zur Zeit Ludwig d. F. als defensio bezeichnet wird. B. 781 steht
aber nicht in Beziehung zu dem auch gar nicht genannten Schutz
briefe des Vorgängers und nur die zuletzt hervorgehobenen Worte
mögen mit dem auf den Rechtsgang bezüglichen Bestimmungen des
Schutzbriefes in Zusammenhang stehen.
Dass aber auch noch andere Klöster unter Ludwig d. F. in
gleichem, d. b. besonderem Schutzverhältnisse gestanden haben,
lässt sich nachweisen. Inwiefern sich das aus Immunitätsurkunden
ergibt, behalte ich mir vor später zu zeigen. Hier führeich zunächst
nur ein Document, etwa vom Jahre 822 an, welches das vom Kaiser
renovirte Nonnenkloster S. Croix de Poitiers betrifft und in Baluze
capit. 1, 629 abgedruckt ist 1 )- In demselben findet sich allerdings
kein Wort von mundeburdium, defensio u. dgl., aber es werden in
ihm Bestimmungen getroffen, deren Analogie mit den in Mundbriefen
enthaltenen unverkennbar ist; ich meine folgende: ut res monasterii
quas (sanctimoniales) modo hahent, non prius ab ullo auferantur
quam aut ante d. Pippinum (diesem Könige von Aquitanien wird die
Instruction ertheilt) aut ante comitem palatii illius praefata ratio
reddatur; de celeris vero quaestionibus quas aut alii ab ipsis aut
ipsae quaerunt ab aliis secundum eonsuetudinem ante cuinitem vel
vicarios eius iustitiam reddant et accipiant, tantum ut iuste fiant;
item si quando necesse fuerit, per iussionem d. Pippini regis Ram-
nulfum specialiter inissum habeant, quando vero necesse non fuerit,
advocatus earurn per se iustitiam faciat et accipiat. — Dem entspricht
es, dass in einem Diplom Pippin’s von 825 (Bouquet 6, 663, Nr. 2),
in welchem dem Kloster der Ertrag von Markt- und anderen Zöllen
überwiesen wird, hinzugefügt wird: et si aliquis in aliquo contra-
dixerit et aliquod impedirnentum facere nisus fuerit, tune volumus
') Mabbillon zuerst veröffentlichte dieses Stück aus einer Handschrift des betreffen
den Klosters. Hertz nahm von demselben keine Notiz, führte es auch nicht unter
den spuria an. Auch in dem Verzeichniss, welches Stobbe Rechtsquellen 1. 231
von den in Baluze gedruckten, von Pertz ausgelassenen Stücken gibt, ist es nicht
vermerkt. Ich sehe gar keinen Grund, die Echtheit dieser Instruction in Zweifel
zu ziehen.
Beiträge zur Diplomatik. 259
atque praecipimus ut ante nos in rationes veniat et ibi finitam acci-
piat seutentiaui.
Wir werden ferner sehen, dass auch das rhätische Volk unter
Ludwig den Schutz bestätigt erliielt, den ihm früher Karl d. G.
zugesichert hatte. Und endlich lässt sich aus den Worten einer Ur
kunde für Aniane B, 455: (euius monasterii advocatum) ad hoc in
nostram perceperamus commendationem, ut liberius predicti mona
sterii utilitates atque necessitates proeurare valeret, indem nach Boz.
(s. später S. 274).' commendationem habere, dem mundeburdum
habere gleicbkomint, entnehmen, dass auch dieser Advocat einen
Schutzbrief erhielt oder wenigstens, dass er in das sonst durch
Schutzbriefe bezeugte Verhältniss getreten war.
fflundbriefc der Nachfolger Ludwig d. F.
Das sind immerhin nur wenigeBelege für Mundbriefe Ludwig’s
und es wird daher nöthig auch die gleichartigen Urkunden der
Nachfolger noch zu Rathe zu ziehen, so weit ich dieselben, auch
ohne specielle Untersuchung über die Diplome dieser Fürsten, als
echt betrachten kann. Die eigentlichen Schutzbriefe sind auch in
der Folgezeit selten. Aber hie und da begegnet noch in Urkunden
andern Inhalts jene Bestimmung über den Zug an das Königsgericht,
welche wir als fast allen Mundbriefen eigentümlich kennen lernten,
und so mögen denn auch Beispiele dieser Art hier Erwähnung
finden.
1. Urkunde Lothar’s für den Bischof V er endarius von Chur
und den populus Curiensis in Mohr 1, 41, Nr. 26, mit Berufung auf
die gleiche Urkunde Karl d. G. aus der manche Wendungen hier
wörtlich wiederkehren, und auf eine gleiche, nicht erhaltene Ludwig
d. F. i). Die bezeichnendsten Ausdrücke sind: praedecessores . . .
inemoratuin populum sub plenissima tuitione mundeburdo atque de-
*) An Ludwig’s Immunität für Chur ß. 418 kann hier nicht gedacht werden. Denn
erstens ist in dem Diplom Lothar’s von Immunität gar nicht die Rede und schliesst
sich dieses in seiner Fassung auch keineswegs an die Immunitätsurkunde des
unmittelbaren Vorgängers an , was, wenn dieselbe Vorgelegen hätte, natürlicher
gewesen wäre, als dass der Schreiber das ältere Diplom nachgebildet hätte. Ferner
wenn die Iminunitätsurkunde Ludwig’s im Inhalt dem Mundbriefe Karl’s gleich geachtet
worden wäre, würde der letztere in dem Diplom des Nachfolgers als zu bestäti
gende Vorlage erwähnt sein, während sich die Immunitätsurkunde als ganz neue
Verleihung gibt.
17*
260
S i ekel
fensione constitutum semper habuissent; petierunt . . ut . . eos sub
nostra plenissima tuitione et defensione afque mundeburdo consti-
tueremus; decernimus ut tarn ipse Verendarius venerabilis episcopus
quam et successores sui . . atque oinnis populus Curiensis, quamdiu
nobis in omnibus fidem exhibuerint, sub nostra plenissima tuitione
mundeburdo atque defensione semper resideant et nullus eis leges aut
consuetudines inponat, quam que . . . actenus . . noscuntur habuisse.
Wie zur Zeit Karl’s haben wir hier nicht einen Schutzbrief für die
bischöfliche Kirche von Chur, sondern für die Bischöfe als reetores
populiundfür das ihnen unterstehende Volk; wie damals ist der Haupt
gegenstand des Mundbriefes die Zusicherung unter eigenem Rechte
leben zu dürfen, ähnlich wie in der Urkunde für die in der septi-
manischen Mark lebenden Spanier, und hängt es damit zusammen,
dass hier die Bestimmung: et si aliquae causae etc. wegfällt.
2. Lothar für den Erzbischof Agilmarron Vienne a. 843
in Bouquet 8, 378, Nr. 18. Dass auch diese Urkunde dem Agilmar
nur für seine Person und für seine Eigengüter ertheilt ist, nicht
für das Bisthum Vienne, geht aus den gewählten Ausdrücken unver
kennbar hervor : omnes res quas de paterna vel materna ei evenerunt
hereditate vel eas quas ipse . . iuste et legaliter adquisisse dinoscitur
. . . (quas) cuicunque voluerit derelinquat u. s. w. Man vergleiche
zum Überfluss die an gleichem Tage Agilmar für die Güter seiner
Kirche ausgestellte Bestätigung, um sich zu überzeugen, dass letztere
von dem Eigen des Bischofs scharf unterschieden werden. Was ist
nun aber der eigentliche Inhalt des zuerst genannten Diploms? Es
heisst darin: per praeceptum nostrae immunitatis illi (omnes res)
sanciremus habendas; hoc nostrae immunitatis ei praeceptum fieri
decrevimus; liceat ei. .[sub nostrae immunitatis tuitione ac mundebur-
dio quiete vivere; quieunque contra hoc nostrae immunitatis praecep-
tum ire . . . tentaverit, sciat se eamdem immunitatem componere.
Nach alle dem würden wir es mit einer Immunitätsurkunde zu thun
haben, in der nur die Einzelbestimmungen der Immunität ausgefallen
wären; statt deren haben wir lauter solche Bestimmungen, welche
den Schutzbriefen eigenthiirnlieh sind: Schutz der Person und der
gesummten Habe und dazu in moderner Fassung die Verfügung: si
vero aliquae querimoniae adversus homines suos liberos et servos
urtae fuerint quae absque gravi iniquoque dispendio nequeunt diffiniri,
iubemus ut ante nostram usque suspendentur praesentiam, quatenus
Beiträge zur Diplomntik.
261
ibi iuxta legis ordinem ßnitivam accipiantsententiam. Ich weiss diesen
Widerspruch nicht anders zu erklären, als dass, wie in dieser Zeit
defensio häufig für immunitas gebraucht wird, auch letzteres ausnahms
weise für jenes gesetzt wird und dass andererseits nun allerdings die
beiden ursprünglich ganz verschiedenen Verhältnisse der speciellen
Defension ohne Immunität und der Immunität ohne specielle Defension,
in Folge der entschieden immer häufiger und allgemeiner werdenden
Immunitätsverleihungen, ineinander überzugehen anfangen. Für Letz
teres spricht namentlich noch ein Diplom, das Lothars Sohn Karl 856
demselben Agilmar für seine Person und seine Eigengüter ausstellte
(Bouquet 8, 675) und in dem es ebenfalls heisst: (res suae pro-
prietatis) in nostra maneant tuitione atque immunitatis defensione;
dann aber auch: statuimus etiam ubicumque libera persona super eius
proprium mauere decreverit, ut inibi sub eius ordinatione quiete degat,
nullam iniquam contrarietatem sibi ab administratoribus inferri for-
midans, eine Bestimmung welche den Verhältnissen der Insassen von
immunen Besitzungen entspricht, also auch auf Immunität für die
Eigengüter des Agilmar schliessen lässt.
3. Ausserdem findet sich noch in einer Urkunde Lothar's der
Rechtszug an das Königsgericht zugesichert. Nachdem die An
sprüche des Grafen Malfrid auf das Kloster S. Eugendi (später
S. Claude) zurückgewieseu und dem Kloster perpetua libertatis
gratia (Bouquet 8, 393, Nr. 39 a. 854) in einer an Schutzbriefe
erinnernden Fassung zuerkannt war, heisst es auch: et si tales
causae adversus huius congregationis monachos vel suos fuerint (zu
lesen ist: ortae fuerint oder surrexerint), quae in pago absque suo
iniquo dispendio recte definitae non fuerint, usque ante nos (auch
hier ist wohl ausgefallen: suspensae sint, ut ibidem) per legem atque
iustitiam finitivam accipiant sententiam <).
4. Die gleiche Bestimmung findet sich auch in zwei noch in
die Zeit Ludwig’s zurückreichenden Immunitäten Pippin’s von Aqui
tanien. In der einen vom J. 836 für das Kloster S. Julien de
*) Die Urkunde Lothar’s von 824 für die bischöfliche Kirche von Como (B. 507,
am besten in Tatti ann. sacr. di Como 1, 949), welche die Besitzungen des Bis
thums sub defensione et mundio palatii stellt und auch den Rechtsweg an den
König vorschreibt, ist, wie fast alle älteren Diplome, für Como sehr verdächtig
und mindestens stark interpolirt. Unter diesen Umständen sind auch die auf das
besondere Mundium bezüglichen Stellen um so mehr zu beanstanden, da, wie
gesagt, sonst keine einzige bischöfliche Kirche in besonderem Königsschutz steht.
262
S i c k e I
Brioude (Bouquet 6,674, Nr. 15), das wenige Jahre früher als
dem Kaiser Ludwig unmittelbar unterworfen bezeichnet wird, wird
demselben vom Könige defensio sub nostra praegorativa zugesichert
und erscheint ferner, ähnlich wie bei Aniane, der vom Kloster ge
wählte Advocat in besonderem Schutzverhältniss: ipsumque advo-
catum nemo praesumat temerario ausu distringere vel in tortum
mittere, sed nostro coram comite palatii ecclesiam praelibati marty-
ris . . . absque alicuius inquietudine vel morarum dilatione liceat
inquirere; die zunächst folgenden Worte glaube ich wie in der
nächsten Immunität für dasselbe Stift und wie in vielen anderen
Diplomen Karl d. K. lesen zu müssen: etiam dictis clericis sub prae
textu nostrae dominationis etc.
5. Und in der Immunität Pippin's für La Grasse (B. 2083,
Original in der Pariser Bibliothek, am besten in Mahul cart. de Carcas-
sonne 2, 212), welches wie alle septimanischen Klöster besondere
Vorrechte genoss und nach einem Diplom Karl d. K. gleichfalls sub
praetextu dominationis nostrae stand, wird dessgleichen am Schluss
zugefügt: si adversus . . abbatem . . vel etiam monachis . . eorum-
que rebus vel familia aliquae causae surrectae vel ortae fuerint aut
etiam ullus sit qui de eorum rebus abstrahere vel minuare conetur,
nullatenus praesumat nec eos distringere neque de eorum rebus
aliquid minuare, quousque in praesentiam nostram vel comitis palatii
nostri sint suspcnsae vel reservatae, quatenus inibi cuncta ad eos
pertinentia secundum aequitatis ordinem diffiniantur.
6. In der Immunität Karl d. K. für S. Julien de Brioude
(B. 1785, BouquetS,645, Nr. 251) kehrt der oben citirteSatz wieder.
7. Dasselbe besagt mit anderen Worten der Schluss der Immu
nität für S. Sulpice de Bourges (B. 1660, BouquetS, 542,
Nr. 135), welches von den früheren Königen erbaut war und auch
855 noch sub praetextu maiestatis nostrae erscheint: concessimus
praeterea (d. h. nachdem die Verleihung der gewöhnlichen Immu
nitätsrechte bereits ausgesprochen war) . . ut si quis aliquam laesio-
nem inferre praesumpserit, liceat illis cum tiducia regiam proclamare
auctoritatem et palatium petere suamque querimoniam regiis auribus
impune patefacere ').
t) Vielleicht kann auch die Urkunde für S, Loiner in Bouquet 8, 488, Nr. 7 noch
hierher bezogen worden, iit welcher fiir den Fall des Verlustes gewisser Besitz-
Beiträge zur Diplomatik.
203
8. Von Kaiser Ludwig II. ist ein Beispiel anzuführen, das durch
die etwas ausführlichere Bestimmung über das einzuhaltende Ver
fahren besonders lehrreich ist. Es betrifft Earfa, von dem ich
vermuthe, dass es schon unter Karl d. G. emunitas cum defensione
erhalten hat, worüber sich aber erst entscheiden lässt, wenn die
Urkunden des Klosters in ihrem ganzen Wortlaute vorliegen. Die
Chronik in Murafori SS. 2, 2, 400 enthält nämlich folgenden offen
bar wörtlichen Auszug aus einer Urkunde Ludwig’s: si autem aliqua
querimonia adversus huius monasterii rectores insurrexerit de iam
dictis rebus . . . quae ibi legaliter non eis visum fuerit posse esse
definita, nostramque reclamaverint praesentiam, comes noster et
missi nostri discurrentes seu ministri reipublicae faciant ambas par
tes in nostram praesentiam guadiare.
9. Ein Schutzbrief ohne diese Formel ist ferner von Ludwig
commendato suo Ermealdo ausgestellt (Margarini 2, 28 a. 856),
den er sammt dessen Besitzungen nimmt in tuitionis mundiburdio, in
nostra imperiali tutelai).
10. Aus Italien ist endlich noch ein eigentlicher Schutzbrief,
dem Kleriker Leo von Karl d. D. 880 ertheilt (Muratori ant. i,
919) bekannt. Der König gewährt um was er gebeten wird, ut res
sibi iure debitas . . sub nostro recipiamus mundeburdo, und
befiehlt, ut si aliqua querimonia ex bis Omnibus adversum se horta
fuerit quae sibi damnosa apparuerit, ut liceat sibi suoque advocatori
ad placitum (wohl zu lesen: ad palatium) waidare.
11. Ebenso ist die Urkunde Ludwig d. D. für Kloster Metten
von 837 in Mon. Boica 11, 420 ein eigentlicher Mundbrief und
schliesst sich auch 3 ) in dem zweiten Theile, was die Fassung an-
betritft, ziemlich den älteren Diplomen der Art, am meisten dem Karl
d. G. für den Abt Anianus an. In Folge der unverkennbaren Nach
bildung findet sich denn in der Schlussformel auch noch einmal das
veraltete Wort mitio, aber wie es scheint, dem Schreiber nicht mehr
bekannt und daher von ihm in etwas verändert, denn im Originale
lautet diese Stelle: et si aliquas causas adversus eum aut mitico suo
titel dem Kloster bewilligt wird: habest locum iisqoe ad nos, nt a nostra sere-
nilate dirimatur diversarum partium causa,
i) Den von Roth Keudalität 270 citirten Schutzbrief für Grippo in Muratori ant. 1, 935
halte ich für verdächtig.
a ) S. Beiträge z. D. I. 358.
264
S i c k e 1
surrexerint aut ortas fuerint quas ibidem in patria absque grave ini-
quo dispendio difinire nequiverit, usque in presentia nostra sint
suspensas vel reservatas, qualiter ibidem secundum legem et iusti-
ciam tinitivam accipiant sententiam.
Die Mettener Urkunde nun ist das einzige Beispiel eines eigent
lichen Mundbriefes der alten Art für ein Kloster; das bestätigt was
schon früher gesagt wurde, dass seit Ludwig d. P. diese Art von
Diplomen an Klöster nur selten ertheilt zu sein scheint. Besonderes
Mundium für Klöster kommt dagegen noch häufiger vor, wenn wir
die Bestimmung über den Rechtszug als Ausfluss desselben
betrachten dürfen. Und bei drei Stiftern nun, denen wir diese
Begünstigung zugesprochen sahen , wird wieder ausdrücklich
erwähnt, dass sie in dominatione regis standen, so dass also auch
hier der specielle Schutz in Verbindung mit der besonderen Qualität
erscheint. Auch wird dieses Verhältniss in den betreffenden
Urkunden regelmässig als ein besonderes bezeichnet, als verschie
den von der allgemeinen, allen Klöstern zustehenden und seit Lud
wig auch in allen Immunitäten zugesicherten Defension. Und dass
zwei Arten oder Grade von Mundium unterschieden werden müssen,
folgt des weiteren daraus, dass wir, wenn auch nicht direct aus
Diplomen Ludwig d. F., nachweisen können, dass ein Stift unter
Umständen, nämlich in Folge von Vergabung an dritte Personen,
das besondere Mundium des Königs verlor und doch der allgemeinen
Defension theilhafrig blieb.
Ein Beispiel aus dem Ausgang des Jahrhunderts bietet eine
Urkunde K. Arnulfs von 895 (B. 1117, Mon.Boic. 28, 109) dar, in
der es heisst: ad sedem Frigisiensis aecclesiae . . quoddam monas-
terium Mosaburch nuncupatum . . proprietario iure concessimus, eo
nempe tenore ut supradicto monasterio propriis privilegiis liceat
uti; clericis etiam . . sub mundiburdio et defensione praefatae
sedis . . ipso episcopo in omni usu et utilitate suis arbitrio et dispo-
sitione fruendum aeternaliter decrevimus. Entschieden wird hier
durch das Mundium des Bischofs das besondere des Königs ausge
schlossen, aber das Kloster behält seine eigenen Privilegien, d. h.
nach dem Sprachgebrauch der Zeit seine Immunität, mit welcher
regelmässig die allgemeine Defension verbunden ist. Noch deut
licher wird das von Karl d. K. 847 in einem Diplom für Glanfeuil
(B. 1574, Bouquet 8, 490, Nr. 70) ausgesprochen: Ebroinus vene-
Beiträge zur Diplomatik.
265
rabilis episcopus . . . innotnit serenitati nostrae se quoddam monas-
teriolum . . a domino et genitore nostro in ins proprietatis sibi con-
cessum in statum et religionem monastici ordinis funditus restru-
xisse; . . sciant omnes hae eadem nostra auetoritate praeceptum
d. et genitoris uostri, per quod idetn monasterium . . . Ebroino
in ius proprietatis tradidit, pleniter contirmatum, videlicet ut
quamdiu vixerit .... sui sit iuris atque dominationis, post
eius vero ab hac vifa transitum . . . Gauslenus per hanc nostram
auctoritatem pleniter liäbeat illud concessum; . . . illo siquidem
bominem exuto plerumque dictum monasterium . . sicut alia regni
uostri regularia monasteria sub nostrae tuitionis munimine
seu defensione consislat; . . ipsum monasterium . . . praesentialiter
sub nostrae immunitatis defensione pleniter recipientes praecipimus
ac iubemus ut nullus (folgen die gewöhnlichen Immunitätsbestim-
mungen) . . sed sub plenissima emunitatis nostrae tuitione eonsi-
stant. Also erst nach dem Tode des jetzigen und des folgenden
Besitzers soll Glanfeuil wie andere reguläre Klöster sub regis tuitione
et defensione (besonderes Mundium) stehen, weil das ius alterius das
ius regis und dessen Mundium ausschliesst. Aber nicht ausgeschlossen
wird dhrch das gegenwärtige ßesitzverliältniss der Genuss der Im
munität und des mit ihr verbundenen allgemeinen Kirchenfriedens.
Und indem nun diese Urkunde sieb bei der Ordnung aller Verhält
nisse des Klosters auf ein schon von Ludwig d. F. ausgestelltes
Diplom beruft, können wir, was sich aus der Urkunde des Sohnes
ergibt, auch auf die Zeit des Vaters beziehen.
Die Wirkungen des durch die Schutzbricfe crtliciltcn Mundiums.
Sehen wir von den Bestimmungen ab, die zufällig mit in die
Mundbriefe aufgenommen sind und wie in denen für Juden oder
Kaufleute deren specielle Verhältnisse betreffen, so ist es zunächst
der besondere Königsscliutz im Allgemeinen, welcher dem Empfänger
zugesichert wird. Er wirkt dreifaches Wergeid *), "> e jeder aus
irgend einem Grunde ertheilte besondere Königsschutz: das ist alles,
was wir von den Folgen sicher wissen. Sonst wird nur ganz im All
gemeinen hervorgehoben, dass der Schutz der höchsten Gewalt eben
*) Hoth Benefieialwesen, 124, Feudalität 220.
26ß
Sicke]
der wirksamste ist, wie es einmal Klöster betreffend in LL. 1, 403
§. 16 a. 850 heisst: hi qui monasteria et senodoehia sub defensione
saeri palatii posuerunt, ideo fecisse probantur quod a nullo melius
quam a summis potestatibus protegenda crediderunt.
Allerdings wurden auch des Königs Schutzbriete nicht immer
geachtet; unter den Formeln findet sich Roz. 419 ein Bittgesuch
an Karl d. G., in dem der Schreiber klagt: egn alium defensorem
prosentialiter manifestare non potui, quam vestra regalis clementiae
cartam mundburalem ostendi, et mihi nihil profuit.
Eine weitere Wirkung der Mundinmertheilung ist, dass dem
Schützlinge seine Rechtssachen vor den König zu bringen gestattet
wird i)- Ich halte dies für das wesentlichste Vorrecht das durch die
Schutzbriefe zugesichert wurde, insofern es im praktischen Leben
die wirksamste Seite des Schutzes darbieten musste und den einzel
nen aus der Masse der Untertbancn heraus in ein besonderes Ver-
hältniss zum König brachte. Ich habe desshalb zuvor alle mir dafür
bekannten Belege zusammengestellt. Aber zu einer klaren Vorstel
lung des Verhältnisses, zur Erkenntniss dessen, was dasselbe von
analogen Verhältnissen unterscheidet, bin ich noch nicht gekommen.
Die Mehrzahl der Rechtshistoriker hat von dieser Seite des Mun-
diums gar keine Notiz genommen, und wenn unter den neueren Waitz
4, 228 sagt: alle die in den königlichen Schutz aufgenommen
genossen gewisse Vorzüge in gerichtlichen Verhältnissen —
oder Roth Feudalität 268: als weitere Folge ist in den meisten
Schutzbriefen ausgesprochen, dass Rechtssachen erforderlichen
Falls vor dem Königsgerich! verhandelt werden sollen, so ist von
beiden das besondere Vcrhältniss constatirt, aber auch von ihnen
kein Versuch gemacht worden zu erklären, wann es erforderlichen
Falls eintrat und welche gewisse Vorzüge es darbot. Ich muss mich
unter diesen Umständen darauf beschränken anzudeuten, auf welche
Gesichtspuncte es meiner Meinung nach bei Erörterung dieser Frage
ankommt, und auf einige Stellen hinzuweisen, welche dabei Beach
tung verdienen.
i) Wie überhaupt wohl keine ganz scharfe Grenze zwischen allgemeiner und beson
derer Defension sich ziehen lassen wird, so wird allerdings Ähnliches auch für
den Fall der Verletzung der pax ecclesiae in LL. 1, 188, §. 2 a. 813 bestimmt:
in presentia nostra hoc venial, si fieri potest: sin autem, missi nostri investigent
illud quornodo gestern sit.
Beiträge zur Diplomatik.
267
Dass das Verfahren im Königsgericht sich nicht von dem im
Gauding unterschied, ist eine ausgemachte Sache; in dieser Hin
sicht kann also der Gerichtsstand vor dem Könige, wie ihn die
Schutzhriefe anordnen, keinen Vortheil darbieten. Es kann sicli
auch nicht um jenen Vorzug handeln, dessen fiscalische Güter in
Bezug auf das Beweisverfahren gemessen '), und dessen auf Grund
besonderer Verleihung auch Kirchen- und Klostergüter seit Ludwig
d. F. theilhaftig werden, denn dieses ius inquisi 1 ionis tritt ebenso
wohl hei Verhandlungen im Gau als in denen hei Hofe in Kraft.
Zwar verdient es Beachtung, dass das ius inquisitionis (eine einge
hende Untersuchung über-dasselbe wäre gleichfalls sehr wünschens-
werfh) auch als Ausfluss besonderen Mundiums erscheint, zunächst
daher auf in solchem stehende Klöster wie Kempten , Solignac,
Casaurea u. a. übertragen wird 2 ). Aber wenn wir auch das eine und
das andere mit dem besonderen Mundium zusammenhängende Vor
recht ein und demselben Stifte, wie z. B. Aniune (Bouquet 6, 600)
zugestanden linden, so ist doch von dem ius inquisitionis in den
eigentlichen Schutzbriefen nicht die Rede, sondern in diesen handelt
es sich nur um den eventuellen Rechtszug an das Hofgericht.
Über die allgemeine Competenz des Königsgerichtes besteht
kein Zweifel 3 ). Überblicken wir aber die Gesetzesstellen, welche
Rechtssachen vor den König oder dessen Stellvertreter zu bringen
verordnen oder gestatten: wegen wiederholter Rechtsverweigerung
durch den Grafen, veil die Grafen oder Missi das Recht nicht
finden können, weil über gewisse schwere Verbrechen zu urtheilen
dem Könige Vorbehalten ist, weil das Urtheil von den Parteien
gescholten wird, endlich wichtige Rechtsangelegenheiten der Gros-
i) Watt», V. G. 4, 3ö(i.
3 ) Besonders zu Beachten ist Kai l d. K. Urkunde für das Marienkloster in der Pfalz
zu Cmnplegnc, in Bouquet S. 639, Nr. 272. — Bei Nantua findet sieh (Bouquet
8, 391, Nr. 30) (lass dominium, mundium und ins inquisitionis zugleich vom König
auf den Erzbischof von Lyon übertragen werden.
3} vVaitz 4, 401. Nur darf die von ihm in Note % angeführte Formel nicht als
Beweis herbeigezogen werden, denn auch die Grafen halten ad universorum cansas
audiendas Gericht (Boz. 4S8, 469, 477 u. s. w., auch Wartmann Nr. 187)
und selbst der Vicar des Grafen (Roz. 4G0 bis). Und wie häufig an dasselbe
gegangen wurde, dafür zeugen die Mandate (Roz. 387 ff.), welche durchgängig
Vollmacht ertheilen : ut in vicem meam omnes cansas mcas tarn in pngo , quam
et in palatio prosequere facias, ferner die wiederholten Verordnungen gegen die
dem Könige lästigen clamatores in UL. t. 138, IG2, 352 u. a. 0.
268
S i c k e I
sen, so finden wir nirgends den Fall vorgesehen, auf welchen die
Schutzbriefe hinweisen. Wie auch bei anderen Fragen müssen wir
wohl das Schweigen der Gesetze dahin deuten, dass es sich um
von Alters her feststehende, keiner Regelung und auch keiner Er
wähnung mehr bedürfende Verhältnisse und Normen handelt. Und
nun lässt sich die Begünstigung, die in den Mundbriefen ertheilt
wird, nur etwa mit den zwei zuletzt genannten Fällen vergleichen.
Die Schutzleute des Königs können in gerichtlichen Dingen dessel
ben Vorrechts gemessen, dessen die Grossen theilhaftig sind und
aus dem sich später der privilegirte Gerichtsstand der letzteren
entwickelt; aber den Schutzleuten wird er zu ihren Gunsten zuge
standen, den Grossen ursprünglich um die Ausübung der Justiz im
Gaugericht zu erleichtern. Ferner haben die Mundleute nach dem
Wortlaut der meisten Formeln und Urkunden (vergleiche nament
lich die S. Croix de Poitiers betreffende Instruction; nach anderen
Diplomen dagegen wie nach denen für Solignac und Farfa und nach
Roz. IST würde jeder Streitfall gleich vor den König gebracht
sein) sich zunächst an die ordentlichen Gerichte zu wenden und erst,
wie es in Roz. 10 heisst: causas quas in pago absque suo iniquo
dispendio recto difinitas non fuerint, eas usque ante nos omnimodis
Gant suspensas vel reservatas et postea ante nos per legem aut
iusticiam finitivam accipiant sententiam '). Indem doch auch hier die
Berufung auf einem Schelten des Urtheils beruhen muss, möchte
sich also vielleicht das in den Schutzbriefen einzelnen ertheilte
Recht an den König zu gehen von dem allgemeinen Recht der Be
rufung dadurch unterscheiden, dass die Mundleute der Formalitäten
überhoben, die sonst bei der Appellation vorgeschrieben 3 ), und
dass sie ein unumschränktes Recht der Berufung erhalten. Dafür
spräche auch der besondere Zusatz in den Formeln aus Ludwig’s
Zeit: et nemo eis ad nos veniendi facultatem contradicere praesumat.
Von mit oder in des Königs Namen ausgestellten Gerichts
urkunden ist wenig Aufschluss zu erwarten, denn der Gang der Ver
handlung, von dem sie Kunde geben, wird, wie gesagt, dadurch nicht
modificirt, dass eine der Parteien etwa in besonderem Mundinm
*) Auf die finitiva sententia beziehe ich LL. 1, 237, §. ö.
2 ) S. namentlich LL. 1, 40, §. 2—4, und vergleiche remota vulgari appellationein der
S. 84 angeführten Urkunde für Altaich.
Beiträge zur Diplomatik.
269
steht und höchstens können wir aus der Erzählung entnehmen, dass
es sich um solche Partei handelt. Aber ein derartiger unzweifel
hafter Fall ist mir in allen Urkunden bis 900 nicht vorgekommen.
Am ehesten könnte noch das placitum Chlodovei III. a. 693 in Pard.
Nr. 431 hierher bezogen werden, indem da vor dem König die Sache
des unmündigen Ingramnus verhandelt wird: ordenante inluslri viro
Nordebercthoquicausas ipsius orfanolo per nostro verbo et praecep-
tio videtur habere receptas. Von solcher Vertretung königlicher
Schutzleute werde ich gleich zu sprechen haben, muss aber schon
hier bemerken, dass der König auch, ohne sein Mundium zu erlheilen,
die Vertretung anordnen kann. So liegt in Pard. Nr. 336 vom
J. 666 ein Mandat vor, in dem Chlothar III. dem Gengulfus befiehlt:
ut . . . omnes causas ipsius monasterii (s. Petri Fontis Besuae, das
die Eltern des jetzigen Abts erbaut) ad prosequendum, ad reintegran-
dum deberet recipere; die Urkunde enthält nicht allein gar keine
Andeutung, dass das Kloster in des Königs Mundium gestanden,
sondern die Schlussworte: quam diu eorum pariter fuerit voluntas
bezeichnen ein vorbeigehendes Verhältniss und schliessen daher den
Gedanken an Mundium aus. In gleicherweise sind Roz. 392 und 417
zu beurtheilen. Also kann aus der Erwähnung solcher Vertretung in
einigen königlichen Placita noch nicht geschlossen werden, dass die
vertretene Partei in besonderem Schutze stehe und desshalb ihre
Sache vor dem Könige verhandelt werde.
Es scheintmir wichtiger auf gewisse im Gau aufgesetzte Gerichts
urkunden, auf sogenannte Brevia zu achten, in denen nach gefälltem
Urtheil die eine Partei Berufung einlegt und darüber Protokoll auf
genommen wird. Nur handelt es sich auch da wieder Fälle auf
zufinden, in welchen die Berufung an den König von ausdrücklichem
Hinweis auf das Mundium begleitet wird. Bei dem Placitum z. B. das
Roth Feudalilät 269 aus Muratori ant. 1, 439 anführt, bleibt es ganz
unentschieden, ob es sich hier um ein durch Schutzbrief verliehenes
Vorrecht handelt oder um eine Appellation, wie sie in LL. 1, 98, §. 21
für jedermann vorgesehen wird. So stellt es auch mit einer andern
Urkunde aus Italien von 829 (Muratori SS. 2, 2, 373—376), in der
der Papst Gregor IV., nachdem die Missi und Richter in einem Streit
zwischen ihm und Kloster Farfa zu Gunsten des letzteren entschie
den hatten, das Urtheil schilt: ipse domnus apostolicus dixit, nostro
270
S i c k e 1
(missorum) iudicio se minime credere, usque dum in praesentia d.
imperatoris nobiscum insimul veniret 1 ).
Übrigens hatte die Berufung an den König noch keineswegs die
Verhandlung im Königsgericht zur Folge, sondern in den meisten
Fällen nur die, dass der König die Rechtsfrage durch seine Missi irri
Gau selbst entscheiden liess a ).
So wurden denn auch mit der Ausübung des Königsschutzes,
mochte es sich um den Schutz im Allgemeinen oder um dessen spe-
cielle Anwendung in streitigen Angelegenheiten handeln, zunächst
andere beauftragt, die dann ex auctoritate regis dessen Mundium aus-
übten 3 ).Imzweiten Schutzbrief Pippin’s für Auisola wurde die Ausübung
des Schutzes des Königs Sohne Karl überlassen und sollten Rechts
sachen eben so gut vor ihm als vor dem König zum Austrag gebracht
werden; in letzterer Beziehung heisst es von Karl: qui causas
monasterii habet receplas. In den Mundbriefen Karts dagegen ist von
solcher Vertretung niemals die Rede. Auch nicht in dem einen und
andern Mundbriefe der Nachfolger. Sonst kommt unter diesen aber
auch vor, dass z. B. für S. CYoix de Poitiers die Ausübung des Muu-
diums sowohl dem Könige Pippin als dem Pfalzgrafen, als eventuell
auch einem missus specialis und für La Grasse und S. Julien de Bri-
oude dem Pfalzgrafen allein übertragen wird, oder dass nach Roz. 13
und 419 die Verhandlung vor den Königsboten, nach dem Schutz
brief für Kaufleute Roz. 30 die Verhandlung vor dem missus nego-
tiatoribus praepositus stattfinden soll.
Ich wiederhole dass ich in diesem Abschnitte nur die mir bei
umfassender Prüfung der Urkunden der Karolingerzeit bekannt
gewordenen Belege zusammenstellen und auf die Puncte hinweisen
wollte, die meiner Meinung nach bei einer weiteren Untersuchung
über diese Verhältnisse in’s Auge zu fassen sein werden: es genügt
mir, wenn ich Kundigeren das Material an die Hand gegeben und
sie dadurch angeregt habe, diese Fragen weiter zu verfolgen.
A ) Auch Baiuze capit. praef. §. 27 fasst dies als einfache Appellation auf.
a ) Z. B. Meiehelbeck 2, Nr. 181.
5) Waitz V, C. 3, 398; 4, 403.
Beitrüge zur Diplomatik.
271
Die Commendation iu den Schuldbriefen.
Das ist bekanntlich ein sehr streitiger Punct, wie sich das durch
die Mundbriefe documentirte Verhältniss zu dem der Vasallität ver
hält und inwiefern sich aus der bei beiden Verhältnissen vorkom-
menden Commendation auf Analogie oder Gleichheit derselben
sehliesseu lässt, und namentlich haben Wailz und Roth ') diametral
entgegengesetzte Ansichten über diesen Punct aufgestellt und ver
fochten. Ich will hier nicht auf die ganze Frage, die jedenfalls nur
im Zusammenhang mit anderen Verhältnissen und deren Entwickelung
erörtert werden kann, eingehen; aber insofern ich es versucht habe
den Rechtsinhalt der Urkunden dieser Zeit festzustellen, habeich
mir auch klar machen müssen, wie es mit der Commendation bei
Ertheilung von Schutzbriefen steht und ich muss die Resultate um so
mehr mittheilen, als sie in etwas von denen, die Roth gewonnen hat,
abweichen. Der Grund der Differenz ist der, dass ich die uns vorlie
genden Fälle anders gruppire und namentlich die verschiedene
Redeutung von defensio in den Urkunden berücksichtige.
Betrachten wir in erster Linie, wie Roth, die Schutzbriefe für
Stifter, so liegen aus Merovingerzeit vor die Formel Roz. 9 und die
dreiUrkunden für Anisola Pard. Nr. 144, 1(18, 372: in ihnen ist von
Commendation nicht die Rede.—Aus derZeit Pippiu’s als Hausmaier’s,
dann des Königs Pippin und Karl d. G. kennen wir Roz. 10 und die
Diplome für Honau Pard. Nr. 599, für Anisola B. 1 und 17, für
Lorsch im Cod. Lauresh. Nr. 4 und für die Klöster des Abtes Aniauus
B. 151: hier wird die Commendation überall erwähnt, ausser iu der
zweiten dem neuen Abte Nactarius ausgestellten Urkunde für Anisola.
Macht es nun immerhin dieser eine Fall unter sechsen unmöglich,
von einer ausnahmslosen Regel zu sprechen, so ist doch auch nicht
zu übersehen, dass diese einzige Ausnahme in besonderem Lichte
erscheint. Man kann vielleicht geltend machen, dass ja das Kloster
bereits dem Könige commendirt war und dass etwa desshalb,
obschon das Schutzverhältniss seinem Wesen nach ein persönliches
war, dem neuen Abt erlassen sein mag, iu Person vor dem Könige
zu erscheinen und unter Wiederholung der Commendation die Er
neuerung des Mundbriefes zu erbitten. Missa petitione iu B. 17
*) Waitz Vasallität, und V. G. 4. 199 11‘. — Kolli Feudalität ‘268 1F.
mmmmm
272 S i c k e 1
scheint dabei um so mehr zu beachten, da es in der sonst als Vor
lage benutzten Merovingerurkunde Pard. Nr. 372 an dieser Stelle
heisst *): supplex clementiae regni noslri expetiit. — Dass ich den
Schulzbrief für den Bischof Constantius von Chur hier nicht mit
aufzälile, erklärt sich aus dem besonderen Inhalte dieses Stückes, wie
ich ihn schon früher betont habe: an eine Commendation des ganzen
rhätischen Volkes, dem sein Volksrecht in einer in der Form den
Schutzbriefen analogen Urkunde bestätigt wird, kann doch nicht
gedacht werden. Eben so berücksichtige ich die von Roth 270 ange
führte Urkunde für Aniane B. 144 in Bouquet 5, 731 nicht, in wel
cher Kai'l d. G. Immunität und Defension ertheiit; denn wenn auch
in dem Lorscher Diplom Tradition und Commendation zugleich er-
erwähnt werden, so wird offenbar durch Delegation ein noch
engeres Verhältniss als durch Commendation allein begründet und
erklärt sich daraus, dass es bei dem Könige tradirten Klöstern wie
Aniane, Charroux und Onolzbach der Commendation nicht mehr
bedarf, um den besonderen Königsschutz zu erhalten. Dagegen sind
hier nun noch einige Notizen aus späteren Urkunden zu beachten. In
drei nach Inhalt und Fassung zusammengehörigen, also nur einen
Fall ausmachenden Immunitäten für Montolieu von Ludwig d. F. von
813, Pippin von 828 und Karl d. K. von 834 (Bouquet 6, 483, 668.
8, 334) wird erzählt, dass der Erbauer des Klosters Olomundus in
manu eiusdem domni (Karl d. G.) se commendavit. Diesem Fall ge
genüber steht der Mundbrief Ludwig d. D. für Metten B. 733,
in dem gelegentlich der Vorlage einer gleichen Urkunde Karl d. G.
eine unter diesem stattgefundene Commendation nicht berichtet
wird, was sich aber einerseits aus der kurzen Angabe des Inhalts
der vorgewiesenen Urkunde, andererseits daraus erklärt, dass wie der
Commendation an den ostfränkischen König nicht mehr gedacht wird,
auch die Erwähnung früherer Commendation nicht nothwendig er
scheinen mochte. Kurz, indem sich die von Roth angeführten Aus
nahmen aus dieser Zeit auf die beiden von Anisola und Metten redu-
A ) Wir können ß. 17 eben nur mit den uns erhaltenen älteren Diplomen vergleichen.
Aber wahrscheinlich hat Anisola eine ununterbrochene Reihe von königlichen Mund
briefen erwirkt, so dass zwischen der jüngsten uns bekannten vom Jahre 637 und den
Pippiu’schen Urkunden von 752 und 760 noch andere liegen, ß. 17 steht, abgesehen
von der eingeschalteten Immunität, eigentlich Pard. Nr. 168 näher als Pard.
Nr. 372 und hat unter anderm mit jenem missa petitione gemein.
Beiträge zur Diplomatik.
273
ciren, es mit diesen aber auch besondere Bewandtniss hat, ergibt
sich für die Zeit Pippin's und seines Sohnes als Regel, dass der Schutz-
ertheilung an Klöster Commendation vorausgegangen ist.
Anders stellt sich das Verhältniss in den Urkunden nach 814
heraus. In dem einzigen Mundbriefe Ludwig d. F. B. 339 für Altaich
(von Roth wohl nicht berücksichtigt, weil bisher als verdächtig
bezeichnet) findet sich nichts von Commendation. Dafür aber, dass
sie noch vorkam, zeugen die Urkunden für S. Maur des Fosses und
für Banioles B. 279 und 3S0. In jener (Bouquet 6, 491) heisst es
von dem Restaurator des Klosters Bego: veniens ante praesentiam
nostram commendavit nohis idem monasterium cum abbate una cum
monachis, und wird darauf nicht ein eigentlicher Schutzbrief, son
dern in der unter Ludwig üblichen Weise defensionis et immunitatis
tuitio bewilligt 4 ). Nach dem zweiten Document (ßaluze cap. 2,
1424) trägt Graf Rapo dem Kaiser vor, dass Abt Bonitus ein Klo
ster auf von dem früheren Grafen bewilligtem Boden erbaut und
eingerichtet hat, dass jetzt dort als neuer Abt Mercoralis einge- <
setzt, quem in nostra praesentia adducens in manibus nostris eum
commendavit, worauf gleichfalls Immunität mit Defension ertheilt
wird. Alle anderen von Roth 269—270 aus Ludwig d. F. Zeit citir-
ten Urkunden entscheiden weder dafür noch dagegen, dass unter
diesem Kaiser Commendation der Ertheilung von Schutz vorausge
gangen sei. Denn das Diplom Ludwig’s für Montolieu handelt, wie
wir schon sahen, von dem Vorgänge unter Karl d. G., und wenn
endlich Roth von zwölf mit Immunität verbundenen Schutzbriefen
spricht, in denen der Commendation nicht gedacht wird, so könn
ten eben so sämmtliche Immunitäten Ludwig’s und seiner Nachfolger
angeführt werden, die alle das Wort defensio, aber freilich in
anderer Bedeutung enthalten, in der Bedeutung von allgemeinem
Kirchenschutz, um den es sich bei dieser Frage nicht handelt.
Was die Schutzbriefe für einzelne Personen anbetrifft, so lässt
Roth’s Zusammenstellung an Vollständigkeit und Richtigkeit nichts
l ) Die Thatsache der Commendation an Ludwig; wird auch in der Bestätigung; Karl d.K.
(Bouquet 8, 430) wieder erwähnt. — Dagegen wird in dem gleichzeitig mit der
Immunität von Ludwig ausgestellten Zollbrief (Bouquet 6, 472) und in dessen Con-
firmation (Bouquet 8, 469) nur der Aufnahme in den Schutz und nicht der Commen-
dalion gedacht; solche Fälle lassen sich nicht gegen das Vorkommen der Commen
dation anführen.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd. 1. Hft.
18
274
S i c k e 1
zu wünschen übrig. Aber aucli hier kann noch der Versuch gemacht
werden, die Zeiten zu unterscheiden. Aus Merovingerzeit liegt nur
Pard. Nr. 532 vom Jahre 724 für Bonifacius vor: ohne Commen-
dation wie damals in derartigen Urkunden für Klöster. — Der zwei
ten Periode gehören nur an das Diplom für den Presbyter Arnald
ohne Commendation und die Formel Roz. 11. Wenn nun in dieser
Formel weder das Wort defensio, noch dessen Synonyma Vorkom
men, sondern das ganze Verhältniss lediglich so bezeichnet wird :
ille ad nos venit et nostra comrnendatione expetivit abire, commen-
dationem habere also geradezu mundeburdium habere ersetzt, so
muss doch ein sehr inniger Zusammenhang zwischen der Commen
dation und Schutzertheilung bestanden haben. Ich möchte gerade
aus dieser Stelle schliessen, dass Commendation wenigstens in der
Zeit der ersten Karolinger in der Regel der Zusicherung des Mun-
diums vorausgegangen ist, und dass sie vielleicht nur als selbstver
ständlich in der Urkunde für Arnald nicht erwähnt worden ist. Die
Worte in nostram percipere commendationem werden auch noch in
einer Urkunde Ludwig d. F. B 455 ») zur Bezeichnung des Schutz-
Verhältnisses gebraucht, und demnach wäre es in gleicher Weise
zu beurtheilen, dass unter den Formeln aus dieser Zeit nur eine
noch der Commendation gedenkt. Sonst kommt meines Wissens in
den Urkunden bis 840 die Commendation nur noch vor in denen
Karl d. G. und Ludwig d. F. für Johannes B. 133 und 239 (Bouquet
5, 778; 6, 472): Joannes in manibus nostris se commendavit; beide
Male wird ihm bestätigt was er per aprisionem besass. Von Schutz
ertheilung und was in der Regel damit zusammenhängt ist nicht die
Rede, nur beginnt B. 133 mit: rectum est (ut) regalis potestas illis
tuitionem impertiat quorum necessitas co nprobetur, d. b. mit der
Arenga der Formel für Schutzbriefe Roz. 9, die wir ja auch in meh
reren Mundhriefen fanden und die wieder an die der carta de regi-
bus antrustionem (Roz. 8 — Marculf 1, 18) anklingt. Ich halte den
noch B. 133 nicht für einen Scliulzhrief und noch weniger 239
ohne derartigen Prolog, aber doch weist die Wiederkehr der Aus
drücke und Phrasen auf analoge und in einander übergehende Ver-
*) Bouquet 6, 600, wo ich die Lücke so ausfülle; de ndvocatione monasterii cuius
advocatum ad hoc iu nostratn perceperamus (jedenfalls so statt praeceperamus)
ut. . . valeret.
Beiträge zur Diplomatik.
27«
hältnisse hin: die Bestätigui g der Besitzungen des Johannes durch
den König gewährt in ähnlicher Weise Sicherung, wie es ein
förmlicher Mundbrief thun würde, sie wird in derselben Weise
f durch Commendation motivirt, wie in mehreren Fällen ausgespro
chener Weise die Schutzertheilung.
Das besondere Mundium in den Immunitiitsnrkundcn Ludwig d. F.
Haben wir sonach gefunden, dass auch unter Kaiser Ludwig
noch gewisse Klöster in besonderem Mundium stehen, dass aber
defensio, mit welchem Worte dies Verhältnis in den Immunitäten
der Vorgänger bezeichnet wurde, in den Immunitäten nach 814
i den allgemeinen Kirchenschutz bedeutet, so fragt es sich, ob nicht
seitdem aridere den speciellen Schutz bekundende Ausdrücke in den
Immunitäten auftauchen. Ich stelle zu dem Behuf nochmals aus den
meist schon besprochenen Urkunden die Fälle zusammen, in denen
das Wort defensio mit einem Zusatze erscheint, dem möglicher
Weise die besondere Bedeutung beigelegt werden könnte.
So reden viele Immunitäten von plenissima defensio, so auch
die für Prüm, Lorsch, Anisola, La Grasse u. s. w., d. h. für Stifter
von denen ich nachgewiesen habe, dass ihnen besonderer Schutz
zukam. Aber dieser Ausdruck begegnet auch in Diplomen für damals
noch unabhängige Klöster wie Corbie, Montierender, Blandigny,
Fontanelle, eben so häufig in Immunitäten für Bisthümer wie Worms,
Langres, Nimes, Vienne u. a. und kann also nicht als bezeichnend
für Immunität mit besonderem Mundium betrachtet werden.
In der zweiten Immunität Ludwig’s für Prüm B. 380 vom Jahre
826 wird erzählt, dass Pippin das Kloster sub sua tuicione here-
dumque suorum regum stellte, was in der That den Urkunden
Pippin’s und Karl d. G. entspricht. Und auch Hermoutier, das wir
gleich Prüm als königlich kennen lernten, soll nach dem Diplom
Ludwig’s B. 402 sein: sub nostra successorumque nostrorum
g plenissima defensione et immunitate et tuitioiie. Bei anderen ent
schieden königlichen Stiftern findet sich aber, dass der Schutz auch
von den Erben gewährt werden solle, nicht ausdrücklich gesagt.
Der Theorie nach verstand es sich ja von selbst, dass alle
Verleihungen irgend welcher Art auch für die Nachfolger verbind
lich waren. Und es ist als blosse Zufälligkeit oder als nur stili-
18*
276
S i c k e 1
stisehe Wendung zu betrachten, wenn in den Urkunden die Nach
folger gebeten oder beschworen werden die betreffenden Verfügun
gen aufrecht zu erhalten, wenn sie etwa schon in der Publications-
formel angeredet werden, wie in den Diplomen Ludwig’s in Bou
quet 6, 482, 486, 504, 547 u. s. w., oder wenn es in dem Context
heisst: abhinc in futurum a nobis et nostris suceessoribus observanda
mandavimus (ib. 530), oder am Schluss: ut nullus filiorum aut succe-
sorum aut fidelium nostrorum praesumat (ib. 629). So verhält es sich
wohl auch mit dem Schutz, welcher Folge der dominatio war.
Daher fehlt auch wieder der Hinweis auf die Erben in der ersten
Immunität Ludwig’s für Prüm B. 243, obgleich unzweifelhaft Prüm
ununterbrochen unter dem besonderen Schutze des Herrscher
geschlechtes gestanden hat. Und so spricht auch die Contirmation
Karl d. K. für Hermoutier (Bouquet 8, 647) nur von defensio
schlechtweg. Nehmen wir auf der andern Seite dazu, dass sub
nostra successorumque nostrorum defensione quieto oi'dine tenere
auch einmal in der Besitzbestätigung für eine bischöfliche Kirche
(für Modena in Tiraboschi 1 Nr. 16) begegnet, so können wir auch
diese Ausdrücke nicht als speciell auf besonderes Mundium bezüg
lich ansehen.
Anders steht es mit den Ausdrücken sub speciali defensione, sub
mundio palatii. Ich erinnere daran, dass die letztere Bezeichnung,
wo sie in Gesetzen für Italien vorkommt, auf besonderes Mundium
bezogen werden muss (S. 69); in echten Diplomen vor 840 habe
ich sie allerdings nie gefunden. Defensio specialis aber begeg
net unter Ludwig d. F. dreimal und stets so, dass die Bedeutung
nicht zweifelhaft sein kann. In der Immunität für das dem Kaiser
tradirte Vernasoubre B. 383 (Bouquet 6, 549) heisst es: nostros
successores rogamus ut hoc monasterium suh sua speciali tuitione
retineant et neque ad episcopum neque ad aliud monasterium ullo um-
quam tempore ah illis subiiciatur aut in beneficium cuiuslibet tribua-
tur, sed solummodo in iure et tuitione illorum persistat, was Karl d. K.
dann in B. 1559 wiederholt. Und in dem Diplom für Conches (Bou
quet 6, 517) wird Immunität nur in kürzester Weise verliehen, aber
ausführlicher erzählt, wie das Kloster in nostra propria speciali de
fensione atque tuitione, suh speciali nostra et filiorum et successorum
tuitione, sub imperiali et regali defensione kam. Eben so begegnet
specialis defensio in dem Diplom für Hermoutier B. 401. Und indem
Beiträge zur Diplomatik.
277
dieser Ausdruck sich bei keinem Kloster anderer Qualität noch bei
irgend einer bischöflichen Kirche angewandt findet, halte ich ihn
für die eigentlich technische Bezeichnung für besonderes Mundium
in dieser Zeit.
Ob sie aber in den Urkunden und speciell in den Immunitäten
für Stifter, denen sie zukam, gebraucht wurde, das hing etwa da
von ab, ob besondere Umstände die Betonung des Schutzverhält
nisses empfahlen, oder in manchen Fällen vielleicht auch nur von
dem Belieben der Schreiber. Auch den Gebrauch anderer Bezeich
nungen oder Erwähnungen mussten wir als von Zufälligkeiten bedingt
ansehen: bald wird ein dem König eigenes Kloster nostrum oder
proprium genannt, bald nicht; bald wurde bei solchen der domina-
tio regis ausdrücklich gedacht, bald nicht. Und was besonders die
Hervorhebung des speciellen Mundiums in Immunitäten betrifft, so
fanden wir ja auch in der früheren Zeit bei Anisola, Honau u. a.
neben einander Mundbriefe als Zeugnisse für dies Mundium und Im
munitäten die dessen nicht gedachten, und überhaupt die Immunitäten
nach Formeln stilisirt, die für alle geistlichen Anstalten berechnet,
an sich von eventuellem Mundium nicht handelten, aber doch die
Einschaltung der Ausdrücke für Defension ermöglichten. So sind
auch die Formeln, deren sich die Kanzlei Ludwig’s bedient,
beschaffen: sie reden zwar von der defensio in der allgemeinen
Bedeutung, aber nicht von dem speciellen Schutzverhältnisse, und
nach denen sind auch meistentheils die Immunitäten für unzweifel
haft in besonderem Mundium stehende Klöster wie Charroux, Malasti
Aniane geschrieben. Also kann aus dem Nichterwähnen der defensio
specialis in den Immunitäten Ludwig’s noch nicht auf die Qualität
der betreffenden Klöster geschlossen werden. Im Gegentheil: es
gibt von diesem Kaiser nur sehr wenige Urkunden, die mit Beeilt
und im strengen Sinne des Wortes als vereinigte Schutz- und Im
munitätsdiplome bezeichnet werden dürfen, während die Anzahl
der im besonderen Mundium des Königs stehenden Stiftungen in
steter Zunahme begriffen gewesen ist.
Die Übergabe der Stadt Konstanz aus Haus Österreich
im J. iS48.
Aus dem Archive der Stadt Konstanz J ).
Bearbeitet vom prakt. Arzte J. ffl armer,
Die Reformation hatte in Konstanz schon sehr frühzeitig einen
grossen Anklang gefunden, und bald zu Zerwürfnissen mit dem
Bischöfe und dem Domcapitel geführt. Ein an sich wenig bedeu
tender Umstand veranlasste den Wegzug des grössten Theiles der
katholischen Geistlichkeit. Der Rath hatte nämlich am Sonntag nach
Jakobi (29. Juli) 1526 in den Zünften verkünden lassen, dass er
für gut befunden habe, etliche Stadtgräben ausräumen und austragen
zu lassen. Er verordnete desshalb, dass der Knecht des Stadtbau
meisters yon Haus zu Haus gehe und Jedem ansage, wann er an’s
Werk gehen solle. Wen es nun zur Arbeit treffe, der solle solche
entweder selbst thun, oder durch einen tauglichen Knecht tliun
lassen, oder dem Knechte des Baumeisters fünf Kreuzer geben,
damit er für einen tauglichen Knecht sorge.
Da der Beauftragte auch in die Häuser der katholischen Geist
lichen ging und sie dazu aufforderte, so beschwerte sich dieselbe,
weil sie in der Meinung stand, solche Dienste nicht leisten zu
müssen. Nachdem die darüber gepflogenen Unterhandlungen zu
*) Christoph Schulthai ss, der als Mitglied des Rathes und Steuerherr überall mit
wirkend war, hat im 3. und 6. Bande seiner äusserst werthvollen Collectaneen zur
Geschichte der Stadt Constanz die Reformationsgeschichle derselben in ziemlicher
Ausführlichkeit queltenmässig gegeben. Ich hin bei meiner Arbeit seinem Werke
grösstentheils und meistens wörtlich gefolgt, habe mich aber hiebei der allgemeinen
verständlicher» neuern Rechtschreibung bedient.
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1548. 279
keinem für sie günstigen Erfolg geführt hatten, zogen der Bischof
und das Domcapitel um Bartholomä im August aus der Stadt fort,
und zwar ersterer nach Meersburg, letzteres nach Überlingen.
Von diesem Zeitpuncte an vermehrten sich die Zerwürfnisse
zwischen beiden streitenden Theilen und machten eine gütliche
Ausgleichung immer mehr und mehr zu einer Unmöglichkeit. Da
die Stadt wegen ihres Festhaltens an der neuen Lehre vielfachen
Widerwärtigkeiten und Gefährlichkeiten ausgesetzt war, so errich
tete sie zu ihrem Schutz und Schirme am 25. December 1527 einen
Burgrechtsvertrag mit Zürich und am 24. Jänner 1528 mit Bern.
Die immerwährenden Aufhetzereien und Drohungen von Seite
der ausgezogenen katholischen Geistlichkeit gegen die Stadt Kon
stanz veranlasste dieselbe, viel Geld für Wehren zu erbauen, um
sich gegen etwaige feindliche Angriffe zu rüsten. Nebenbei musste
sie noch schwere Reichsanschläge zahlen und sonst grosse Kosten
aufwenden. Zu diesem Allem reichten aber die Steuern, Wacht-
gelder, Zölle, Umgeld und alles Einkommen der Stadt nicht aus,
wesshalb der kleine Rath den Heimlichen befahl, Geld aufzutreiben
und zu diesem Behufe die Kelche, Kleinodien und was in den Kir
chen ist, je nach Nothdurft der Stadt anzugreifen. Die Heimlichen
fingen desshalb in der Osterwoche 1528 damit an, und brachten
nach und nach alles Werthvolle in den Kirchen und Klöstern zusam
men. Das Spital that dies selbst. Der Chronist Schulthaiss, wel
cher sich genau nach Allem erkundigte, sagt, dass aus allem Silber,
welches die Stadt insgesammt aus den Gotteshäusern erhalten bat,
ihr nicht mehr als 12.590 fl. 2. geworden sei. Das Gold wurde
gemünzet und ergab 8434 fl. und nicht mehr. „ Hätten wir den
Pfaffen das Ihrige gelassen, so hätte uns Gott das Unserige gelas
sen ,“ setzt Schulthaiss zu.
Im Jahre 1530 trat die Stadt Konstanz dem Schmalkaldischen
Bunde bei und hielt treulich zu demselben. Vergeblich versuchte
Kaiser Karl sie in einem Schreiben vom 14. Juni 1546 aus Regens
burg, unter Zusicherung von vieler Gnad und Huld, zum Austritte
aus solchem zu bewegen. Die Stadt gab keine Antwort auf dasselbe.
Der unglückliche Ausgang des Kampfes der protestantischen
Stände gegen den Kaiser, und die allmähliche Aussöhnung mit dem
selben, nöthigte auch Konstanz zu gleichem Schritte. Der Rath
schrieb am 15. Juni 1547 an Hans Jakob von Landau zu Wal,
280
M a r m o r
k. k. Ratl), Landvogt zu Nellenburg, dass er nur dosslialb mit der
Aussöhnung gezögert liabe, weil er im Glauben stand, dass ihm
früher vom Kaiser harte Bedingungen gestellt worden wären, wo
durch die Sache sich nur verschlimmert hätte.
Den Anfang der gütlichen Ausgleichung mit dem Kaiser begann
der Rath mit dem Könige Ferdinand. Nach vielem Hin- und Her
schreiben antwortete der Letztere von Prag aus am 19. Juli 1S47:
„er könne dem Kaiser nicht vorgreifen ; die Stadt werde aber nach
stattgefundener Ausgleichung mit demselben wohl wissen, sich auch
mit dem König Ferdinand zu vertragen“.
Wiederum wandte sich der Rath in einem Schreiben vom
24. September an den kaiserlichen Kanzler Nikolaus von Granvella >),
worin er ihn ersuchte, wegen der Aussöhnung der Stadt bei dem
Kaiser ein gutes Wort einzulegen, oder aber, wenn dies nicht mög
lich sein sollte, dem Rathe zu schreiben, damit er diese Sache vor
die Gemeinde bringen könne.
Bevor aber noch etwas darin geschehen war, zeigte der Laud-
vogt Hans Jakob von Landau zu Nellenburg am 16. October dem
Rathe an, dass er von der königlichen Regierung zu Innsbruck den
Auftrag erhalten habe, die Zehnten und Gülten der Schmalkaldischen
Bundesverwandten mit Beschlag zu belegen. Er habe bisher mit
der Ausführung gesäumt, weil er eine Aussöhnung der Stadt mit
dem Kaiser erwartet habe. Da aber solche bis jetzt noch nicht er
folgt sei, so müsse er seinen Auftrag vollziehen und es so einrich
ten, dass die Güter nicht verändert werden und bis zur Vertagung
der Sache im Arreste bleiben.
Bald darauf, am 18. October, berichteten die Verordneten von
Sipplingen und Iledingen, Gerichts-Angehörige des grossen Spitals
zu Konstanz, dass sie dem Herrn von Landau im Namen des Kaisers
geschworen hätten, und am 20. October zeigte der Ammann von
Nikolaus Perrenot Herr von Granvella, zu Omans hei Besangon geboren,
des Kaisers Kanzler, wird im Catalogus familiae totius aulae Caesareae et Principum
etc. in Comiliis Augustanis Anno 1547 et 1548 praesentium per Nicol. Mameranum
collectus, Coloniae 1550, pag. 17, dessen erster Staatsrath und Siegelbewahrer
genannt, ward mit den wichtigsten Geschäften betraut und starb 1550. Berühmter
ist sein Sohn Anton, mit 25 Jahren Bischof von Arras, 15G0 Cardinal, 1561 Erz
bischof von Mecheln, ein Staatsmann von umfassenden Kenntnissen, geschäftskundig,
gewandt, war 1548 nach Mameran kais. Staatsrath und Präses des kais. Ralhes, 1575
Präsident des höchsten Piathes zu Madrid, wo er 1586 starb. Vgl. Mameran I. cit.
Die Übergabe (1er Stadt Konstanz an's Haus Österreich im J. 1S48. 2 S 1
Lon den Paradiesern (eine zu Konstanz gehörige Vorstadt) an,
dass ihnen ihre Güter auf dem rechten Rheinufer verlegt seien. Zu
gleich wurde denen in der Reichenau, Allenspach und Wollma
tingen von den bischöflichen Amtleuten im Aufträge verlesen, die
Güter der Stadt und Bürgerschaft von Konstanz mit Beschlag zu
belegen.
Am folgenden Tage erschien der Kanzler aus der Reichenau vor
dem Rath und mit dem gleichen Aufträge. Die Stadt ersuchte ihn,
damit bescheiden zu verfahren, weil sie eine Aussöhnung hoffe. Er
versprach diesem Wunsche nach Kräften zu entsprechen. Gleiches
zeigten dem Rathe die Gesandten des Landcommenthurs in der
Mainau an, worauf sie die nämliche Antwort erhielten.
Da das Ungewitter sich immer näher gegen die unglückliche
Stadt heranzog, so verabsäumte dieselbe nicht, Alles aufzubieten,
was dasselbe etwa abzuwenden vermöchte. Der Rath liess desshalb
am Sonntag den 22. October allen Zünften einen Bericht verlesen,
worin er Alles in der Aussöhnhngssache Geschehene denselben mit
theilte. Weil man nicht immer die Gemeinde zusammenberufen
könne, verlangte er, dass dem kleinen und grossen Rathe die Voll
macht gegeben werde, eine ehrliche und der Stadt nützliche Aus
söhnung mit dem Kaiser zu erzielen, in so weit er eine solche mit
Gott und gutem Gewissen verantworten könne. Komme ihm aber
etwas Zweifelhaftes vor, so wolle er ohne Wissen der Gemeinde
nichts vor- noch annehmen.
Nachdem dieser Vortrag zweimal verlesen worden war, wurde
die Bürgerschaft aufgefordert, frei und ohne Scheu ihre Meinung
darüber zu sagen. Sie nahm den Antrag an, wofür ihr der Bürger
meister dankte und ihr sagte, es werde sie mit Gottes Gnaden
nicht gereuen.
Dabei ermahnte der Rath noch die Bürgerschaft zu friedlichem
Verhallen gegen ihre Nachbarn, und forderte sie zugleich auf,
jetzt oder künftig, in soferne ihnen ein Bedenken wegen der Aus
söhnung einfalle (da oftmals den Geringfügigen viel oder mehr
einfalle als den Vornehmsten), dieses dem kleinen oder grossen
Rathe vorzubringen, damit dieser die Sache dann weiter in die Hand
nehmen könne.
Wenige Tage nachher schrieb der Rath an den Landvogt von
Landau: dass die gemeine Bürgerschaft dem gesammten Rathe
282
Marmor
befohlen habe, eine ehrliche und nützliche Aussöhnung mit dem
Kaiser zu erwirken, so dass sie solche mit ihrem Gewissen verant
worten könnten.
Auf dieses hin habe sich der Rath entschlossen, er wolle sich
dem Kaiser zu Gehorsam und Gnade stellen, und ihm auch in
religiöser Beziehung vertrauen, und desshalb von seinem früheren
Gesuche hiewegen Umgang nehmen, da es verlaute, dass der Kaiser
nicht der Meinung sei, Jemanden mit Gewalt und dem Schwerte
von seiner Religion abzubringen, wie die ausgegangenen Schriften
bewiesen. Eben so seien sie von einigen Herren auch in weltlichen
Ringen getröstet worden. Würde ihnen vom Kaiser etwas
Beschwerliches auferlegt, so wollten sie ihr Anliegen demselben
berichten und hoffen, dass er sie als milder Kaiser und König erhöre,
und nicht allzu sehr beschwere.
Dazu entschloss sich der gesammte Rath und überschickte am
28. October das Ergebniss der Berathung an den Kaiser und an Herrn
von Granvella.
Unterdessen nahmen die Amtleute zu Stockach die von Sipplingen
und am folgenden Tag die von Bedingen in Huldigung, und vermassen
sich auch, die von Goldbach f ) zu verwalten. Doch wurde das
in diesem Herbste Gewachsene in’s Spital zu Konstanz geführt.
Während diese Unterhandlungen mit dem Kaiser gepflogen
wurden, erhielt der Rath am 8. November von dem Freiherrn von
Sax zu Bürglen 2 ), ein Schreiben, worin er verlangte, dass man
eine Rathsbotschaft an ihn abschicke. Man entsprach diesem
Gesuche und wählte zu derselben den Bürgermeister Thomas Blarer.
Als dieser daselbst ankam, traf er einen ansehnlichen Mann, welcher
sich ihm als ein Freiherr von Schwarzenberg vorstellte. Derselbe
gab den Rath, die Stadt solle sich in keine beschwerliche Aussöh-
1) In S i p p I i n gen und G o I db a c hamÜberlinger- oder ßodmanersee, so wie im etwa
eine halbe Stunde vom See entfernten Medingen, alle drei Orte im jetzigen badi
schen Bezirksamte Überlingen, hatte das grosse Spital Konstanz viele Besitzungen.
2 ) Bürglen, ein ehemaliges Städtchen mit Schloss der Freiherren (früher Grafen
nach Stumpf) gleichen Namens, an dem rechten Ufer der Thur, im jetzigen Canton
Thurgau, Kreis Bürglen und Amtsbezirk Weinfelden. Ulrich der Jüngere von Ho he n-
sax Herr zu Bürgeln, welches 1446 an dieses uralte Geschlecht gekommen war, und
zu Forsleek, dem Stammsitze unweit Sargans, war 1514 mit Helen a, einer Tochter
des gelehrten Johann Freiherrn von Schwarzenberg (-{- 1528), verehelicht.
Sollte ihr Bruder F r i c d r i c h (f 1551) in dieser Sache thätig gewesen sein?
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s ITaus Österreich im J. 1548. 283
innig mit dem Kaiser einlassen, da er von einem Herrn den Auftrag
habe, den Rath zu warnen, weil er der Stadt, wenn es verlangt würde,
mit Leuten und Gütern beholfen sein wollte. Es ward viel mit ihm
verhandelt; doch wollte der Rath sich keineswegs mit ihm ein
lassen, weil die Aussöhnung mit dem Kaiser beschlossen war.
Unterm 25. November schickte der Rath ein Schreiben an
Herrn von Landau ab, das als Antwort auf dessen Schreiben vom
22. November anzusehen war, welch’ letzteres die Nachricht
vom Doctor Jörg Gienger 1 ) wegen der Aussöhnung enthielt.
Mit Entschiedenheit lehnte der Rath die gemachten Anschuldigungen
von Ungehorsam gegen den Kaiser ab, und ersuchte den Ritter von
Landau, das Seinige mit beitragen zu wollen, dass den Konstanzer
Gesandten vom Kaiser ein Geleitsbrief nach Augsburg ausgestellt
werde, um dort die Sache selbst persönlich besser betreiben zu
können.
Während sich die Aussöhnung noch immer verzögerte, wurde
die Stadt in stets steigende materielle Noth gebracht; denn vom
5. bis 7. December erschienen Botschafter von Überlingen, von dem
Grafen von Montfort, von dem Grafen Friedrich von Fürstenberg
und vom Abte von Salmansweiler vor dem Rathe mit dem ausgespro-
A ) Georg- Gienger aus Ulm, der älteste von eilf Söhnen Damian Gienger's, den der
römische König- Ferdinand 1. im Jahre 1544 in den Rittersland erhoben hat, studirte
durch Kaiser Maximilian’s I. Vorsorge am Archigymnasiuin zu Wien, ward Doctor
der Rechte, trat in die Dienste des Hochstiftes Konstanz und ward Kanzler, als
welcher er 1530 im Gefolge des Fürstbischofs und Reiehsvicekanzlers Balthasar
Merklin (-j- 1532) auf dem Reichstage zu Augsburg erscheint. Wegen seiner aus
gezeichneten Eigenschaften berief ihn der vorgenannte König und Erzherzog Ferdi
nand von da zur oberösterreichischen Regierung nach Innsbruck als geheimen
II o f s e c r e t ä r, zumal er auch des Französischen wohl kundig war; Gienger war im
Jahre 1548 mit dem Titel eines Landvogtes von Ober- und Niederschwaben auf dem
Reichstage nicht in des Kaisers, sondern, wie es bei Mameran S. 50 heisst, in des
Hauses Österreichs Namen, und wahrscheinlich von dem Rathe von Konstanz, dem er
als vormaliger bischöflicher Kanzler wohl bekannt war, um Rath und Mithilfe zur
Aussöhnung angegangen. Später war er Vicekanzler, auch Burgvogt zu Enns
und Mauthausen, die er zu lebenslänglichem Genüsse pfandweise inne hatte. Er galt
als eine der vier Säulen der Wiener Universität bei ihrer am 17. Jänner 1553 erfolg
ten Reformirung. Den Rest seiner Tage verlebte er in dem von ihm neu erbauten
Schlosse Ennseck, wo er am 14. Jänner 1577 starb und in der Pfarrkirche zu Enns seine
Ruhestätte fand. S. Bergmann’s Medaillen auf ausgezeichnete Männer des österrei
chischen Kaiserstaates, ßd. I, 189—196, wo Tab. XII, Nr. 57, die auf ihn und seine
Gemahlinn Magdalena von 11s ung (-J- 23. Mai 1561) geprägte goldene M e d ai I I e
von zwölf Ducalen, welche das k. k. Münzcabinet in Wien besitzt, abgebildet ist.
I
vmnrmi
284 Marmor
ebenen Bedauern, im kaiserlichen Aufträge die Gülten, Güter und
Habe der Konstanzen Bürger und Einwohner mit Beschlag belegen
zu müssen. Der Rath stellte nur das Ersuchen an sie, mit Beschei
denheit in der Vollstreckung zu verfahren, da er baldige Aussöhnung
mit dem Kaiser erwarte.
Um sich der Gemeinde gegenüber zu rechtfertigen, verlasen
die Verordneten des Rathes am Donnerstag den 8. December in allen
Zünften eine Schrift, worin derselbe über über alle bisher zur
Aussöhnung getbanenen Schritte und deren Erfolglosigkeit Nach
richt gab, und die Gemeinde zu friedlichem und religiösem Lebens
wandel ermahnte.
Von der Zeit der kaiserlichen Mandate an hatten die Konstan-
zer keinen Wandel mehr mit der andern (rechten) Seeseite, und
es wurde ihnen auch von daher nichts mehr zugeführt. Das Uber-
linger Kornschiff landete zu Kreuzlingen i), wurde dort entladen,
und, was nach Konstanz gehörte, durch die Trögel (Träger) in die
Stadt geführt, wogegen die Überlinger auch Schmalz und Käse zu
Kreuzlingen kauften. Das Radolfzeller Getreideschiff landete zu
Gottlieben 2 ) , und es wurde damit gehalten, wie mit dem Über
linger. Das Vieh wurde zu Kreuzlingen und zu Mühlheim an der
Thur ge- und verkauft. Die Metzger von dem rechten Rhein- und
Seeufer fuhren bei Gottlieben über den Rhein, weil Niemand aus
dem Reiche nach Konstanz wandeln durfte, und die Konstanzer nicht
hinüber. Es wurde alles verlegt, was Letztere ausserhalb der
Eidgenossenschaft hatten. Dieser Zustand dauerte bis zum Anschluss
der Stadt an’s Haus Österreich im folgenden Jahre.
Durch die stets grösser werdende Veröffentlichung der kaiser
lichen Verbote kam Konstanz immer mehr und mehr in Notli, und
musste selbst von seinen frühem Einungs- und Bundesverwandten
Unangenehmes ertragen. Als so die Stadt von Niemanden weder Trost
noch Hilfe erhielt, und aller menschlichen Rettung beraubt war,
entschloss sich der Rath abermals an Kaiser Karl V. zu schreiben.
Dies geschah am 24. Jänner 1548. Der Hauptinhalt des Schreibens
!) Kreuzlingen, eine Abtei regulirter Chorherren, iin jetzigen Cnnton Thurgau, im
16. Jahrhunderte nur einige hundert Schritte südlich von Konstanz entfernt.
2 ) Gottlieben, ein bischöfliches Schloss und Dorf am Rhein, eine halbe Stunde
westlich von Konstanz.
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. Iö48. 285
ist: „dass der Kaiser den angelegten Beschlag auf die Güter etc.
der Stadt bis zur geschehenen Aussöhnung aufheben oder bis dahin
aufschieben möchte, damit die Bürgerschaft hierin einen geneigten
Willen ersehe. Er möge ja nicht glauben, dass die Stadt ihm
nicht getreu sei, weil die Aussöhnung noch nicht stattgefunden
habe u. s. w.
Unvermuthet erhielt Konstanz einen Fürsprecher, auf welchen
sie bisher nicht gerechnet hatte. Der König Heinrich II. von Frank
reich schickte nämlich seine Gesandten zu etlichen Orten der Eid
genossenschaft, und sprach selbst mit den gerade an seinem Hofe an
wesenden Gesandten der Orte Schwyz, Unterwalden und Solothurn.
Er stellte ihnen vor, dass sie selbst wissen, wie nützlich, hoch und
ansehnlich die Stadt Konstanz in ihrem jetzigen Wesen der Eid
genossenschaft sei, und wie unangenehm es derselben sein müsste,
wenn durch die Besetzung von Konstanz der Krieg vor die Thore
der Schweiz gebracht würde. Hätte die Stadt Aussicht auf Hilfe
von Seite der Eidgenossenschaft, so würde sie um desto leichter
Widerstand leisten können.
Eben so hatte Zürich durch seine Gesandten auf dem Tage zu
Baden im Jahre 1546 sehr eifrig für Unterstützung der Stadt Kon
stanz gesprochen und gezeigt, dass man im Schweizerkriege vom
Jahre 1499, wenn Konstanz zur Schweiz gehalten hätte, wohl
10.000 Mann weniger hätte hinaussehicken" dürfen, und dass für
die Schweiz ein ungemein grosser Nachtheil und eine Gefahr für
deren Sicherheit hervorgehen müsste, wenn Konstanz ganz in des
Kaisers Gewalt käme.
Auf dieses Ansuchen entschloss sich der Mehrlheil der Eid
genossen, als Luzern, Uri, Unterwalden, Schwyz, Zug, Glarus,
Freiburg, Solothurn und Appenzell, einen Tag zu Baden zu
beschicken. Am 9. August 1546 wurde verabschiedet: dass die
Eidgenossen Willens seien, sich in diesem Kriege ganz parteilos zu
halten; denn wollten sie sich für Konstanz erklären, so würden sie
mit dem Kaiser in Krieg gerathen, weil er glauben könnte, sie
wollten sich mit seinen Feinden verbinden. Aus diesem Grunde
wollen sie sich nicht um Konstanz annehmen, obgleich sie begehren,
gute Freunde und Nachbarn der Stadt zu bleiben.
Nachdem Konstanz um eine Hoffnung auf Unterstützung
ärmer geworden war, erlebte sie hingegen wieder einen für sie
286
M a r m o r
empfindlichen Nachtheil. Gegen Ausgang des Monats März 1548
legte der zu Meersburg residirende Bischof Johannes V. *) den
Konstanzer Rebleuten des Spitals in Haltnau a ) das Bauen der
Rehen nieder, wodurch also dieses Jahr hindurch der Weinberg
unbebaut blieb. Durch dieses Verbot widerfuhr dem Spitale ein
grosser Schaden, da die ungefähr 30 Jaucherte dieses Weinberges
erst nach mehreren Jahren wieder zu recht gebracht werden
konnten.
Der Landvogt von Landau überschickt der Stadt Konstanz ein
Schreiben des kaiserlichen Vicekanzlers Johannes von Naves s )
vom 3. Februar, worin letzterer sagt: „die Konstanzer stehen in
keiner besonderen Ungnade beim Kaiser, und sollen desshalb nur
zu ihm kommen; denn sie werden nicht zu hoch beschwert
werden.“
Da die Stadt viel Vertrauen auf den Landvogt von Nellenburg
setzte, so entwickelte der Rath in einem frühem Schreiben an den
selben vom 19. Februar 1547, die Gründe, warum es ihm schwerer
als anderen Städten falle, um Aussöhnung beim Kaiser anzuhalten.
Weil in keiner andern Eingabe mit solcher Ausführlichkeit und
Treuherzigkeit diese Gründe gegeben sind, so will ich dieselben
gedrängt zusammenstellen, da sie überdies ein ehrenhaftes Zeugniss
von der edeln Gesinnung der hartbedrängten Stadt zu geben im
Stande sind. Sie lauten:
1. Der Rath könne nicht sagen, er sei verführt worden; denn
er habe geglaubt, der Kaiser wolle die protestantische Religion aus
rotten und desshalb habe er es für seine Pflicht gehalten, den Reli
gionsverwandten gegen ihn beizustehen.
1) Johann V. von Weza aus dein Herzogtum Jülieh, Erzbischof von Lund , von wo ihn
die Reformation vertrieben hatte, ward 1537 Bischof zu Konstanz, starb während
dieser Verhandlungen zu Augsburg jähen Todes am 13. Juni und ruht auf der Reichenau.
Ain 2. Juli ward vom Domcapitel in Ratolfzell der Domherr und Generalviear
Christoph Metzler von Andelberg, Sohn des Stadlamannes Lazarus M. zu Feldkirch
in Vorarlberg, Doctor der Theologie und beider Rechte zu Bologna, zu dessen Nach
folger gewählt, der nach diesen Stürmen am 11. Mai 1551 seinen feierlichen Einzug
in Konstanz hielt und am 11. September 1561 zu Meersburg starb, wo er ruht.
2 ) Haltnau, ein noch dein Konstanzer Spitale zugehöriges Religut, am rechten See-
ufer zwischen Meersburg und Hagnau gelegen.
8 ) Der von Mameran S. 17 viel belobte Reichsvicekanzler Johann Navius aus Luxem
burg, starb zu Ulm, wohin er von Augsburg gekommen war, am Fieber den 20. Fe
bruar 1548.
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Maus Österreich im J. 1548. 287
2. Der Rath könne Sachsen und Hessen nicht als Ungehorsame
und Rebellen anerkennen, weil er nicht wisse, dass die Fürsten ja
gegen den Kaiser ungehorsam gewesen seien in profanen Sachen,
welche den Glauben nicht berühren.
3. Der Rath könne eben so wenig einsehen, wie er nach gött
lichen und menschlichen Rechten unrecht gehandelt habe, indem er
mit seinen Mitreligionsvenvandten Bündnisse eingegangen, und
solche kraft derselben unterstützt habe, obgleich er bekennen müsse,
dass er vor dieser Empörung öfters unrecht gehandelt und gesün
digt und desshalb Gottes Strafe wohl verdient habe.
4. Es wäre für den Rath nicht so schwer, dem Churfürsten von
Sachsen und dem Landgrafen von Hessen keine Hilfe mehr zu leisten,
als es ihm schwer ankommen müsste, gegen frühere Verbündete als
Feinde aufzulreten und sie thatsächlich zu beschädigen.
5. Wenn der Rath schon jetzt in religiösen Dingen als für sich
massgebend anerkennen wollte, was der Kaiser, als zu einer andern
Religion gehörig, zu Recht erkennen würde, so bewilligte und an
erkennte der Rath auch damit möglicherweise Etwas was er in seinem
Herzen und Gewissen für Unrecht hielte, und würde dies geloben.
Es wäre aber gerade dies eine der grössten Sünden, mit welcher
Gottes Zorn von Neuem gereizt würde.
6. Nicht eine der kleinsten Beschwerden für ihn sei, dass man
in den ausgesöhnten Städten gestatten müsse, dass der andere Got
tesdienst in Häusern und etlichen Kirchen aufgerichtet und gehal
ten werde.
7. JederEhrliebende soll selbst entscheiden, ob es ihm gezieme
und nicht als Unbeständigkeit gedeutet werden könne, wenn er ein
eingegangenes und geschriebenes Bündniss breche. Die Stadt Kon
stanz könne aber nicht ohne den Willen Anderer ein solches auf
sagen, wie eine solche Handlung dem Kaiser im gegebenen Falle
auch nicht behagen würde. Wie wohl das eingegangene Bündniss
mit dem Sonntag Invocavit (19. Februar 1548) aufhöre, so könne
dasselbe doch nur mit Bewilligung beider Theile abgesagt werden.
Wollte der Rath nun solche Zusage brechen, so würde er dem Kai
ser gewiss Ursache geben, ihm desto weniger zu vertrauen, und
der Rath würde so die billige Strafe seiner Ringfertigkeit selbst
auf sieb laden.
288
M a r m o r
8. Man solle aber nicht glauben, der Rath wolle sich nicht
aussöhnen; er wünsche nur hierin ehrlich und elirbarlich zu han
deln, desshalh habe er auch schon vor dieser Zeit nicht unterlassen,
dem Cliurfürsten von Sachsen, dem Landgrafen von Hessen und der
Stadt Strassburg zu schreiben und sie um Bewilligung dazu anzu
gehen. Letztere habe ihm dies bewilliget, und von den beiden Für
sten hoffe er die gleiche Bewilligung zu erhalten.
9. Der Rath hoffe, in Anbetracht der Arrnuth der Stadt und der
vielfältigen getreuen Dienste, welche sie dem Reiche und dem Hause
Österreich geleistet habe, eine Milderung oder gänzliche Erlassung
der angesetzten Strafgelder zu erhalten.
10. Da schier in alle ausgesöhnten Städte fremdes Kriegsvolk
gelegt werde, das sich unchristlich, ungehorsam, verderblich,
schmählich, grausam etc. aufführe, und der Rath sich alle Mühe
gegeben, Ehrbarkeit und gute Zucht in der Stadt zuweg zu bringen,
und das Böse, je länger je mehr auszureuten, so müsste eine derar
tige Besatzung der Stadt dem Rathe sehr unwillkommen sein, weil
Gottes Zorn solcher Handlung bald nachfolgen müsste.
11. Zuletzt sei es dem Rathe nicht genehm, dass die Ver
sicherung der Religion und der daran hängenden Sachen, erst durch
ein Concil, eine Nationalversammlung, oder einen Reichstag gesche
hen soll, da ein Reichstag, heute oder morgen gehalten werden kann
und die gegebene Versicherung desshalh nur eine übernächtige und
gar nicht beständige sei.
Die Vertröstungen aller anderen Punkte, nur mündlich, nicht
schriftlich gegeben, wirken nicht günstig, besonders auf den gemei
nen Mann, der sich nicht auf blosse Worte verlässt, da er nicht ver
gessen hat, dass in Betreff der Abtei Reichenau J ) der Stadt Kon
stanz mehr als einmal selbst schriftliche Versicherungen gegeben
worden sind, die nicht gehalten Wurden 2 ).
Am 28. März 1848 überschickte der Landvogt von Nellenburg
ein Schreiben des Doctors Johann Gienger an den Rath zu Konstanz,
worin der Doctor bemerkt: „Aus der langsamen Handlung und der
spätem Entschliessung des Kaisers merke er, dass derselbe vermeine,
*) Die ßenedictiner-Abtei Reichenau im Untersee, zwei Stunden westlich von Konstanz,
wurde 1Ü39 dein Bislhuine Konstanz einverleibt.
Scbnitbaiss Bd. V, S. 29—3t.
Die Übergabe der Stadt Konstanz au’s Haus Österreich im J. 1S48. 289
die Stadt habe sich mit den schweizerischen Eidgenossen, dem Kö
nige von Frankreich und einigen Städten mit Reden, Schreiben und
Handeln vertieft, die Aussöhnung mit besonderer Gefährde vollzogen,
und den Kaiser zu höchster Ungnade bewegt. Desshalb sei es höchst
nothwendig, so bald als möglich Gesandte mit genügsamer Gewalt
und guter Information abzuschicken, um diese Beschuldigungen zu
widerlegen und die Aussöhnung zu bewirken etc.“
Diesem Schreiben war noch ein kaiserlicher Geleitbrief für
,die Konstanzer Abgeordneten beigelegt, der folgendermassen lautet:
Salmes conductus ad deputat. Civitatis Constant. *)
Wir Karl V. etc. bekennen, als Bürgermeister und Rath der
Stadt Konstanz ihre Gesandten zu uns verordnen und abzufertigen
haben, Uns um Huld und Gnade unterthäniglich anzusuchen, von
wegen jüngst geübter Kriegshandlung, darin sie sich neben andern
Unserer Ungehorsamen eingelassen und darin verharrt haben, und
Unsern Bescliaid darauf zu gewerten, und Wir denselben ihren
Gesandten zu und von Uns, bis wieder in ihre Gewahrsam zu kom
men, Unser frei Sicherheit und Geleit zugelassen und gegeben,
und thun das hiemit in Kraft dieses Briefes. Darnach gebieten wir
allen und jeden Unseres Reiches, Ständen, Gliedern, Obrigkeiten,
Unterthanen und Verwandten, in was Würde, Staates oder Wesens
die seien, auch allen Unsern Obersten, Hauptleuten, Lieutenanten,
Fähndrichen, Befehl- und Kriegsleuten zu Ross und zu Fuss, ernst
lich und festigheh mit diesem Briefe, und wollen, dass sie die ge
dachten Gesandten und die Ihrigen, so sie ungefährlich mit sich
bringen werden, allenthalben frei, sicher zu Uns ankommen lassen,
und sie ihren Leib, Habe und Güter hinwieder nicht bekümmern, auf
halten, beleidigen noch beschweren, auch Jemanden Andern zu thun
nicht befehlen, noch gestatten, in keiner Weis, als lieb einem Jeden
sei Unser und des Reiches schwere Ungnad zu vermeiden. Das meinen
Wir ernstlich. Gegeben mit Unserm aufgedruckten Insiegel, in Unser
und des Reiches Stadt Augsburg am 17. März 1548, Unsers Kaiser
thums im 28. und Unsers Reiches im 33.
Carolus
ad mandatum Caesar, et Catholicae M tu . proprium
Vid. Asserzenoti. Obernburger 2 ).
Schullhaiss.Bd. V, S. 11G.
z ) Johann 0 b er n burg e r war der deutschen Reichsgeschäfte und lateinischer Secretür.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd. I. Hft. 19
290 Mar m o r
Diesem Schreiben zufolge gaben der kleine und grosse Rath am
Samstag vor Misericordia dei den 14. April 1548 den Abgeordneten
an den Kaiser, als dem Reicksvogte Thomas Blarer 1 ), Peter
Labliart und Hieronymus Hürus eine Instruction und Befehl,
wie sie zu Augsburg handeln sollten. Diese Instruction 3 ) lautet in
etwas abgekürzter Form folgendermassen :
1. Die Gesandten sollen zuerst in Augsburg zum Dr. Jörg
Gienger gehen, ihm das Schreiben des Rathes übergeben, ihn
bitten dasselbige zu lesen und sie zur Anhörung ihres Anliegens zu
bescheiden.
2. Bei der späteren Audienz sollen sie ihm bemerken, dass der
Rath ihm für seine bisherige Mühe sehr dankbar sei, und obwohl
bisher dieselbe noch nicht zu einem erwünschten Ziele geführt
habe, aus den ihm wohl bekannten Gründen, so hoffe dennoch der
Rath nichts desto weniger, dass dies jetzt geschehe. Er bitte desslialb
ihnen Anleitung und Unterricht zu geben, wie man diese Angelegen
heit am besten erledigen könne.
3. Nachdem Doctor Gienger ihnen solche Rathschläge ertheilt
habe, sollen sie denselben nach ihrem besten Ermessen folgen.
4. Würde er sagen, man solle die Handlung theilen, und zuerst
mit dem Kaiser, und sodann mit der königlichen Hoheit (Ferdi
nand I.) unterhandeln, so sollen sie erwiedern: Der Rath habe früher
mit beiden zugleich verhandeln wollen, sei aber nur auf den Rath
*) Die B1 a r e r, auch B1 a u r er genannt, sind ein altes Konstanzer Geschlecht, welchem
der Reichsvogt und Altbürgermeister Thomas angehört. Dessen Bruder istAmbros,
geh. 4. April 1492, erst Mönch in Alpirsbach, welcher die neue Lehre in Konstanz
einführte und daselbst Prediger war. Als die unbedingte Unterwerfung gefordert
wurde, flohen beide mit anderen Häuptern der Stadt nach der Schweiz, in der zu
Winterthur Ambr o s im Jahre 1564 gestorben ist. Deren Vetter GerwigBlarer
(S. 296), im Jahre 1495 geboren, machte seine Studien in Ferrara, ward schon im
Jahre 1520 Abt des reichen Stiftes Weingarten und seit 5. Mai 1547 auch Abt von
Ochsenhausen, ein Mann von strengen Sitten, eine Säule der katholischen Kirche in
Schwaben, und stand durch Kenntnisse, Einsicht und Gewandtheit in grosser Gunst beim
Kaiser und dem Könige Ferdinand, gestorben am 31. August 1567. S, über denselben
Hess, Prodromus monumentor. Guelficorum. Augustae Vindelic. 1781, pag. 216—270
und besonders pag. 237. Das k. k. Münzcabinet besitzt vom Abte G er wi g eine kleine
sein* schöne Medaille aus Bronze vom Jahre 1530, und eine silberne in Thalergrösse
von Ambros Blnurer (sic) vom Jahre 1539, seines Alters im XLVI., die in M i e r i s
Ilistori der Nederlandsche Vorsten, Tom. II, p. 187 abgebildet ist.
2 ) Schulthaiss. Rd V. S Hß'UjiS.
Die Übergabe der Stadl Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1S48. 29 1
des Dr. Gieriger und des Herrn von Landau von dieser Ansicht abge
kommen, und wolle nun zuerst mit dem Kaiser beginnen, da ja ohne
dies Ferdinand auch in Augsburg anwesend sei.
5. Würden sie zum Verhöre und Fussfall zugelassen, so sollen
sie ohne alle Bedingung sich in die dem Kaiser schuldigen Gehor
sam und Gnade ergeben, den Fussfall thun und den Kaiser bitten, er
möchte ihnen und der Stadt den gegen ihn geführten Krieg verzei
hen, welcher ihnen leid thue, und Konstanz sammt ihren Bürgern,
Zugehörigen, Einwohnern und Hintersassen wieder in seine Gnaden
aufnehmen.
6. Würde ihnen aber eine andere Form der Huldigung vorge
halten, die sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbarlich, oder der
Bürgerschaft für verderblich hielten, so sollen sie sich halten, wie
die nachfolgenden Artikel verlangen.
7. Gleichergestalt sollen sie aber darnach, wenn es an sie
begehrt würde, vor dem Kaiser den Fussfall thun und um Gnade
bitten.
8. Würde man sie annehmen, ihnen aber hernach etwas wei
tere Beschwerlichkeiten auferlegen wollen, als das Anerbieten des
Rathes zu Konstanz, das sie in Abschrift bei sich haben, bewilligt,
oder wenn dies in der Huldigung geschehen und verlangt würde, so
sollen sie solches durch alle Mittel abzulehnen und leidentliche
Bedingungen zu erhalten suchen. Könnten sie aber solche nieht
erlangen, so sollen sie die Sache an den Rath gelangen lassen
und dessen Bescheid erwarten.
9. Sie sollen keine Handlung, für welche sie keinen beson
deren Rathsbefehl haben, annehmen, wenn sie erachten, sie möchte
i gegen Gott und gutes Gewissen, und auch der Bürgerschaft ver
derblich sein. In diesem Falle sollen sie es dem Rathe allweg vor
her zu wissen thun.
10. Sollten aber Dr. Jörg Gienger oder andere kaiserliche
oder königliche Rathe vor dem Fussfalle bei den Gesandten anbrin
gen wollen, wie und auf welche Weise die kaiserliche Gnade zu
erhalten sein werde, so sollen die Gesandten dies anhören, aber
wie schon gesagt, nichts Weiteres annehmen noch bewilligen.
11. Den ihnen zugemutheten Eid sollen sie nur auf die ihnen
vom Rathe vorgeschriebene Weise, oder auf andere ungefährliche
und leidentliche Art leisten. Würde ihnen aber ein beschwerlicher
19*
292
M a r m o i*
Eid auferlegt, den sie nicht ändern könnten, so sollen sie solchen an
den Rath gelangen lassen und dessen Bescheid erwarten.
12. Es ist unnöthig, dass die Gesandten den dem Rathe yor-
geworfenen Ungehorsam, die Verzögerung der Aussöhnung, die
Verbindung mit Frankreich und den schweizerischen Eidgenossen
etc. heim Dr. Gienger in Anregung bringen. Würden aber die
Gesandten darum angesprochen, so sollen sie diese Handlungen mit
bestem Fleiss zu entschuldigen suchen und vornehmlich bemerken:
Die Stadt habe sich nie des Gehorsams gegen den Kaiser ent-
schlagen und die Aussöhnung verzögern wollen, sondern allen Fleiss
angewendet, mit beiden Majestäten versöhnt zu werden. Sobald
aber die Stadt erfahren habe, dass dies die Aussöhnung verzögere,
so habe sie sich sogleich zur Aussöhnung mit dem Kaiser erboten,
wofür die Schreiben an Herrn von Granvella, an Dr. Gienger, an
Herrn von Landau etc. Zeugenschaft geben.
13. Wollte man den Gesandten vorwerfen, dass Konstanz im
Kriege gegen den Kaiser sich vor anderen Städten etc. ungebührlich
gehalten habe, so sollen sie sagen:
„Wenn die Stadt sich der im Kriege geschehenen Handlungen
entschuldigen. würde, so möchten Andere dadurch verunglimpft
werden. Was aber die Stadt und der Rath für sich selbst durch
Annahme von Kriegsvolk, oder durch Verlegung des Passes, oder
sonst zur Beförderung Anderer gehandelt habe, das wisse alle Welt.
Sie habe sich gegen alle ihre Nachbarn aller Freundlichkeit betlies-
sen und Niemanden zur billigen Klage Ursache gegeben.“
14. ln Bezug auf Unterhandlungen mit der Krone Frankreichs
und den schweizerischen Eidgenossen, habe die Stadt Konstanz
weder eine Vereinigung noch Bündniss geschlossen, welches dem
Hause Österreich, dem Kaiser oder dem Könige, oder irgend einem
Stande des Reiches zuwider, oder zum Nachtheil gewesen wäre,
und solches wurde dem Rathe auch nie zugemuthet.
15. Würde Dr. Gienger fragen: „warum man nicht an den
Bischof von Arras und andere Credenzschreiben gerichtet habe etc.,
so sollen die Gesandten erwiedern: man habe von deren Namen und
Titel keine Kenntniss gehabt und geglaubt, Dr. Gienger werde
die Gesandten mit den Herren, mit welchen sie durch ihn zu ver
kehren bekommen würden, zu ihnen führen und sie werden bei
demselben auch ohne Credenz Glauben finden.
Die Übergabe der Sladt Konstanz an's Haus Österreich im J. 1Ö4S. 293
16. Die Gesandten sollen zu Augsburg etwa einen geschick
ten und vertrauten Mann, welcher der Sprachen bericht (kundig)
sei, zu sich nehmen, der ihnen mit Rathen, Reden, Schreiben etc.
behilflich sei.
17. Wegen des Arrestes der Güter, oder der ausgegangenen
Mandate halber, sollen die Gesandten bei Dr. Gienger erbitten,
um Aufhebung desselben, das Hofhalten belangend, zu handeln;
aber anderer Güter halb, die sie in währender Handlung auf den
Rath des Dr. Gienger und anderer Erachten etwa erlangen möch
ten, sollen sie um Aufhebung der Mandate auch handeln.
Die drei Abgeordneten erwiederten auf diese Instruction:
„Wenn man ihnen, und also auch den Rüthen etwas zumuthen
würde, was wider Gott, wider ihr Gewissen, oder was gemeiner
Bürgerschaft verderblich wäre, und wenn man gleichwohl die Ge
sandten bestrikte, oder gegen sie gew.a tiglicli handeln würde, was
sie jedoch nicht achteten; dass der Rath von ihren, der Gesand
ten Schadens wegen nicht handeln sollte, das wider Gott etc. wäre.
Neben dieser Instruction wurde den Gesandten durch die Ver-
ordneten befohlen:
a) Sie möchten einander vertrauen, was zur Beförderung der
Sache erspriesslich sein könnte.
I) Besonders sollen sie denjenigen, welche sich vorher erbo
ten haben in dieser Sache zu handeln, den Dank des Rathes aus
sprechen und sie bitten, fernerbin ihr Bestes dazu zu thun. Dies
seien vorzüglich der Abt von Weingarten, Graf Friedrich von
Fürstenberg, Wilhelm Truchsess, Hug Engele und Hanns Baum
gartner.
c) Eben so sollen sie mit Sigmund von Landenberg sprechen,
und ihn bitten, sein Möglichstes zur Aussöhnung beizutragen.
Unterm gleichen Datum gab der Rath den Gesandten noch
unter dem Titel: „Der Gesandten Gewalt“ 1 ) eine unbeschränkte
Vollmacht folgenden Inhalts:
„Wir Bürgermeister und Rath der Stadt Konstant?, thun kund
allermänniglich an diesem Briefe, dass wir die festen, ehrsamen,
weisen, Unsere lieben Rathsfreunde Thomas Piarer, Altburgermei
ster, Peter Labhart, Zunftmeister, und Hieronymus Hürus abge-
*) Schulthaiss, Bel. V, S. 116%.
294
M a r m o r
fertiget, und ihnen Unsere vollkommene Gewalt und Macht gehen
und befohlen haben, und tliun das hiemit anstatt und von wegen
Unser bei des römischen Kaisers und Königs Majestäten, Unseru
allergnädigsten Herren, der Kriegs Übung halb im vergangenen
(15)46 Jahre der mindern Jahreszahl Christi verlaufen, darin wir
auch begriffen waren, um Gnad und Huld unterthänigst zu bitten,
und sich in Ihrer Majestät schuldigen Gehorsam und Gnad zu
ergeben, inmassen sie den mündlichen Befehl von Uns empfangen
haben.“
„Was nun dieselbigen Unsere Gesandten hierin handeln und
tliun, das ist Unser Wille und Meinung. Wir gereden und ver
sprechen auch hiemit dabei zu bleiben und dawider nicht zu sein,
noch zu tliun, in keinem Wege.“
„Und ob Unsere Gesandten hiezu mehr und völligere Gewal
ten, als hierin gemeldet, bedürfen würden, so wollen wir ihnen
dann jetzo, alsdann, und dann als jetzo, gleich als ob der mit aus
gedruckten Worten hierin begriffen wäre, auch gegeben haben,
Alles getreulich und ungefährlich.“
„Dessen zu Urkund haben wir Unser Stadtsecret Insiegel
öffentlich hineingedruckt, auf den vierzehnten Tag des Monats April
nach Christi Geburt gezählt 1548.“
Nachdem der Rath den Gesandten noch ein Beglaubigungs
schreiben an den Minister von Granvella, und ein Schreiben an
Dr. Gienger übergeben hatten, ritten dieselben am 19. April von
Konstanz fort und langten am 22. April in Augsburg an.
I. Handlung.
Am 24. April kamen die Gesandten, weil Herr von Granvella
krank war, zum Bischof von Arras (dessen Sohn) und Dr. Seid *)>
kaiserlichem Rathe, Hessen ihre Credenz und Vorschrift an Herrn
*) Georg Sigmund Seid aus Augsburg machte, mit zwei Baronen Fugger nach Italien
geschickt, seine höheren Studien zu Bologna, hörte die Rechtswissenschaften zu
Bourges und ward daselbst Doctor juris , trat hierauf in herzoglich - baierische
Dienste, ward 1546 Kaiser Karl’s V. Rath und um 1550 Vicek anzier, welche
Stelle er bei dessen Bruder Ferdinand 1., wie auch nach dessen Tode (25. Juli 1564)
bei Kaiser Maximilian II. bekleidete. Als bei seiner Rückfahrt vom kaiserlichen Lust
schlosse Ebersdorf nach Wien am 26. Mai 1565 die Pferde»scheu wurden, sprang
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1348. 295
von Granvella durch Dr. Nikolaus Mayer Vorbringen, und erhielten
zur Antwort:
„Der Kaiser sei der Meinung gewesen, Konstanz wolle in der
Rebellion verharren. Man habe Briefe an die Stadt Augsburg aufge
hoben, worin die Konstanzer sich ihrer Beständigkeit gerühmt,
und die Augsburger in ihrer Religion bestärkt hätten etc. Nichts
destoweniger seien aber der Bischof, wie sein Vater der Herr von
Granvella, geneigt, die Ungnade des Kaisers zu mildern, sobald die
Gesandten sich darüber mit Dr. Gienger über das Maass der Straf
summe beredt hätten, welches ihnen auferlegt und sie anzubieten
geneigt seien. Er wolle gerne dazu verhelfen, dass die Sache zum
Guten gebracht werden möge, wenn der Weg vorher gebahnt
worden sei.“
Die Gesandten entnahmen hieraus, dass man vor dem Fussfalle
mit ihnen capituliren wolle, und dass dem Kaiser eingebildet wor
den sei, der Rath in Konstanz habe ihn den Eidgenossen als einen
tyrannischen Herrn geschildert u. s. w., worüber sich die Gesand
ten eifrigst verantworteten.
Am 26. April machten die Gesandten mit Beirath Dr. Gienger’s
und Dr. Nikolaus Mayer's einen lateinischen Bericht an Bischof von
Arras, worin sie um mehr Milderung und Gnade vom Kaiser baten.
Der Bischof nahm denselben an und liess sich gegen Dr. Gienger
verlauten, dass er den Kaiser darauf vorbereiten wolle.
II. II a n d 1 u n g.
Der Bischof von Arras liess die Gesandten am 2. Mai vor sich
kommen und sagte ihnen: Er kenne die Sache anders, als sie in
ihrer Entschuldigung vorgäben; denn sie hätten den Rath in Augs
burg bestärken wollen, in der Rebellion zu verharren, und das
Schreiben an Sachsen laute allein dahin, wenn er ausgesöhnt
würde. Wir rühmten uns der Verdienste unserer Vorfahren, was
uns um so übler anstände, als wir aus deren Fussstapfen getreten
seien, da wir uns auch vor dieser Empörung gerne an die sclnvei-
er mit dem gelehrten Reichshofralhe Dr. Hanns Ulrich Zasius, dem Sohne Ulrich’s,
des berühmten Freiburger Rechtsgelehrten und Professors aus Konstanz (-j* 1Ö35),
aus dem Wagen und starb nach einer Stunde. — Diese und obige biograph. Notizen
sind mit Herrn Marmor’s Wissen und Willen vom kais. Rathe Jos. Bergmann
beigefügt worden.
296
M a r m o r
zerischen Eidgenossen angeschlossen halten, wenn wir gekonnt
batten. Desshalb werden wir uns um so viel mehr schicken, und
den Bischof wieder einsetzen müssen, wenn wir Gnade erlangen
wollten u. s. w.
Die Gesandten wollten den Bischof nicht reizen und über
schickten am 5. Mai in Folge Vertröstung des noch im Bette liegen
den Herrn von Granvella, durch Dr. Gienger eine lateinische
Schrift an den Bischof von Arras.
Der Abt von Weingarten (Gerwig Blarer) hatte sich ver
nehmen lassen, als habe der Kaiser von der Stadt Konstanz SO.000 fl.
und die Wiedereinsetzung des Bischofs verlangt. Dieser werde
solche nicht auf Borg stellen.
III. Handlung.
Am 13. Mai gegen Abend liess der Bischof die Gesandten aber
mals vor sich kommen und sagte ihnen: „dass er ihre letzte Eingabe
an ihn dem Kaiser nicht vorgetragen habe, weil in derselben kein
Wort von der Wiedereinsetzung des Bischofs und dessen Klerus,
welche der Rath aus ihrem Patrimonium vertrieben, gesagt sei, was
doch nothwendig gewesen wäre. Eben so wenig habe die Schrift
eine Summe Geldes benannt, und von Geschütz u. dgl. m. nichts
gesprochen, auch nicht gesagt, ob sie allen Ansprachen Rede stehen
und Abtrag thun, und des Kaisers Widerwärtigen und Feinden keinen
Aufenthalt und Unterschleif geben wolle etc.“
„Würde aber auch dies Alles angeboten worden sein, so könnte
er die Gesandten dennoch der kaiserlichen Gnade nicht versichern,
da noch mehrere Artikel sein möchten. Jedenfalls rathe er nicht dazu,
diese Schrift zu übergeben, ausser sie wollen es so haben etc.“
Die Antwort der Gesandten hierauf war:
1. Der Bischof und das Domcapitel seien von selbst hinaus
gezogen, ohne Zwang, und haben die Priesterschaft auch hinaus
befohlen, die doch zu verbleiben gemahnt worden sei.
2. Sie haben keinen Auftrag, des Bischofs halber Anerbietungen
zu machen.
3. Eine Summe Geldes haben sie desshalb nicht anerboten, weil
die Unvermöglichkeit der Stadt Konstanz bekannt sei und sie gebeten
hätten, der Stadt nicht mehr aufzulegen, als den Sfädten, die am
wenigsten hätten zahlen müssen.
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1Ö48. 297
4. Der Rath werde wohl ohne Umstände den Feinden des Kai
sers den Aufenthalt verweigern.
5. Was die anderen Artikel anbelange, so haben sie ja den
Bischof durch Dr. Gienger ersuchen lassen, ihnen solche anzuzeigen-
Hierauf stellte ihnen der Bischof das Schreiben vom 5. Mai
wieder zu.
IV. Handlung
Die Gesandten hielten hernach mit den Doctoren Mayer und
Seiden Rath. Letztere riethen, so viel als möglich dem Bischof von
Arras zu willfahren, des Andern wegen sich zu entschuldigen oder es
an den Rath in Konstanz gelangen zu lassen, und jetzt mit den Aner
bietungen fortzufahren, so weit es ihnen ihr Auftrag gestatte.
Dies geschah, indem die vorige Schrift, mit Abschneidung alles
Überflüssigen wieder gegeben wurde, damit der Kaiser daraus ver
nehmen möge, dass sie frei und ohne Vorgeding Gehorsam ange
loben und um Gnade ansuchen sollten.
Es wurden desshalb durch die Gesandten zwei lateinische Schrif
ten gefertiget, und solche am IS. Mai dem Bischof von Arras über
reicht. Der wesentliche Inhalt derselben ist:
1. Die Stadt wolle zur Unterhaltung des Kammergerichtes ihren
gebührlichen Antheil zahlen.
2. Sie wolle mit Niemanden ein Bündniss gegen Kaiser und
Reich eingehen.
3. Eben so wenig wolle sie den Feinden des Kaisers und Königs
Aufenthalt geben.
4. Sie wolle auch verhüten, dass ihre Bürger, Einwohner und
Zugewandte weder in deutschem Lande, noch bei anderen Nationen
Kriegsdienste nehmen gegen den Kaiser. Thäten sie das, so würde
der Rath sie gebührlich dafür strafen.
ö. Bei den Übeln Geldumständen der Stadt Konstanz, die keine
Herrschaft aussen habe und bei der die Vennöglicheren sich der
Zahlung durch Auswanderung aus der Stadt entziehen, hoffen die
Gesandten, die Stadt werde mit einer Geldstrafe belegt werden,
wie die geringeren Städte.
6. Den durch die Konstanzer verübten Kriegsschaden wolle
die Stadt, in Verbindung mit anderen ausgesöhnten Städten, aus-
gleichen.
298
Marmor
7. Geschütze besitze die Stadt seit dem Verluste derselben im
letzten Schweizerkriege (1499) wenige mehr, würde aber, insoferne
der Kaiser ein oder das andere Stück verlange, solches demselben
aus Dankbarkeit abtreten.
8. Die Gesandten seien der Meinung, man sollte die Wieder
einsetzung des Bischofs etc., und dessen Ansprüche an die Stadt,
nicht mit der Aussöhnung der letztem mit dem Kaiser vermengen,
da Ersteres keine Eile habe und die Stadt schon öfters in Abrech
nung mit dem Bischöfe gestanden sei.
9. Die Einstellung der Bebauung des Spitalrebbergs in Haltnau
dürfte wohl eine falsche Auslegung der kaiserlichen Mandate sein,
da gewiss nicht verlangt werde, dass dem Menschen die Nahrung
entzogen werden solle, besonders aber einer milden Stiftungi).
Man hielt bei der Aussöhnung mit dem Kaiser den Gesandten
von Konstanz nicht nur einige Artikel vor, wie dies bei anderen
Städten geschah, denen man sie nachher in der Handlung selbst
milderte, sondern forderte hohe Anerbietungen von ihnen, liess
nicht davon ab und alle Anerbietungen wurden für nichts geachtet.
Dadurch wurde die Aussöhnung seihst sehr verzögert.
Am 19. Mai wurde von den anwesenden freien- und Reichs
städten durch Jakob Sturm dem Kaiser eine schriftliche Antwort auf
das kaiserliche Interim eingereicht, worin hauptsächlich gesagt
wurde, dass die Gesandten die Sache zuerst an ihre Vollmachtgeber
überschicken wollten. Der Kaiser liess hierauf durch den Erzherzog
Maximilian von Österreich, und hernach durch Herrn Oberburger
antworten: „er versehe sich zu den Städten, sie werden ihm keinen
Eintrag machen; doch wolle er sich in der übergebenen Schrift
ersehen“.
V. Handlung.
Am 20. Mai bescliied Herr von Granvella die Konstanzer Ge
sandten vor sich. Er machte des Kaisers Ungnade gegen die Stadt
gross, wünschte aber dabei doch, dass alles dessen nicht mehr
gedacht werde, und wollte die Sache nicht mehr anregen. Sie sollen
sich aber jetzt dazu schicken, denn was jetzt versäumt würde,
könnte später nicht mehr geschehen. Er habe sich auch unser und
•) Seliulthaiss, Bil. V, S. 124—1261/,.
Diu Übergabe der Stadt Konstanz an's Haus Österreich im J. tä48.
299
zum Guten ganz ernstlich angenommen etc. Unter Anderm meinte
er auch, es möchte gut sein, sobald als möglich mit dem Bischof
von Konstanz zu handeln, weil es gütlich oder rechtlich dennoch
geschehen müsste.
Die Gesandten baten ihn, da sie auf ihn nach Gott das meiste
Vertrauen setzten, dahin zu wirken, dass in der Aussöhnung die
Sache des Bischofs nicht eingemengt werde, und dass der Kaiser
bei den andern Artikeln der beharrlichen Liebe und Treue der Stadt
Konstanz zum Hause Österreich und der vielen gebrachten Opfer
eingedenk sein möchte, und sie nicht noch mehr beschwere etc.
VI. Handlung.
Dr. Seid übergab den Gesandten am 3. Juni die Artikel, auf
welche hin die Stadt Konstanz wieder in Gehorsam des Kaisers solle
aufgenommen werden. Die Abgeordneten gingen hierauf zum Dr.
Gienger, um sich zu berathen, was zu thun sei. Er rieth ihnen, sie sol
len die Sache annehmen, dass Seid nicht merke, dass sie gar vom
Seile springen wollten.
Auf dieses hin zeigten sie demselben an: die Artikel der Aus
söhnung seien allerdings so beschwerlich, wie sie und der Rath zu
Konstanz solche nicht versehen hätten; desshalb wollten sie gerne
seinen Rath vernehmen, um gebührlich handeln zu können.
Dr. Seid antwortete entschuldigend, die Sache komme nicht
aus ihm und er habe keine Ursache dazu gegeben, rieth ihnen aber,
eine Bittschrift an denBischof vonArras einzureichen und umNachlass
oder Milderung zu bitten, wie Andere vor ihnen in solchen Fällen auch
schon gethan hätten. So viel bei ihm stehe, wolle er als ein gebor-
ner Stadtmann Gutes dazu reden u. s. w.
Diesem Rathe folgten die Gesandten und reichten eine Bitt
schrift beim Bischof ein. Die besagten Friedensartikel lauteten:
1. Dass sich die Stadt Konstanz auf Gnade und Ungnade an
Kaiserl. Maj. ergeben solle.
2. Dass sie alle Bündnisse, die sie wider ihn aufgerichtet und
insbesondere das Schmalkaldische aufsagen, und hinfüro keine mehr
mit Niemand ohne seine Bewilligung machen sollen.
3. Sollen sie Allem, was kais. Maj. künftighin zu Konstanz in
geistlichen und weltlichen Sachen ordnen und vornehmen werde,
nachleben und darwider ewiglich nichts thun.
300
M a r m o r
4. Sie sollen einem Hauptmann, den der Kaiser hinfüro in die
Stadt setzen werde, eine jährliche Besoldung von 400 fl. geben.
5. Den Bischof und das Stift sollen sie wieder in die Stadt
einlassen, demselben das Ihrige wieder zurückgeben, und ihnen und
allen Anderen vorm kaiserlichen Kammergerichte zu Bechte stehen.
6. Dem Kaiser sollen sie etliche Stücke Feldgeschütz geben.
7. Eben so etliche tausend Gulden.
8. Schliesslich sollen sie ihm Gabriel Arnolt, Rentmeister Her
zogs Otto Heinrich von der Pfalz, der sich zu Konstanz aufhalte,
ausliefern »).
VII. Handlung.
Die besagte Bittschrift s ) auf Milderung der kaiserlichen Frie
densartikel überantworteten die Gesandten am 13. Juni dem Bischöfe
von Arras. Ihr wesentlicher Inhalt ist:
1. Art. Die Ergebung auf Gnade und Ungnade anbelangend,
ist er im Befehle der Gesandten, und diese wünschten nur die Un
gnade hintangesetzt oder wenigstens die Gnade erklärt, wie bei
anderen Städten auch.
2. Art. Der Bündnisse will die Stadt des Kaisers wegen sich
auch begeben.
3. Art. Das Wiederhereinkommen des Bischofs und der Klerisei
in die Stadt, besorgen die Gesandten, werde den Obern
und gemeiner Bürgerschaft ganz beschwerlich sein.
4. Art. Die Gesandten halten es für göttlich und gebührlich, dass
die Stadt, der Justitia, welche der Kaiser aufzurichten bedacht
war, Gehorsam und die zukommende Zahlung dazu leiste.
5. Art. In Bezug auf diesen Artikel, welcher einen Theil des drit
ten in sich hält, die Vorbehalte der Anforderungen betreffend, haben
die Gesandten keinen weiteren Befehl, als dass sie mit andern
Ständen und Städten gewärtig sein sollen, von den
im Kriege Beschädigten darum angefordert zu werden.
6. Art. Die Gesandten mögen bewilligen, dass die Stadt den
Feinden und Rebellen wider den Kaiser weder Aufenthalt noch
Unterschleif gebe.
1) Sturm auf Konstanz im .1. 1348. S. 39.
2 ) Schulthaiss, Bd. V, S. 12GV 4 —127V 2 - '
Die Übergabe der Stadl Konstanz an’s Haus Österreich im J. iö48. 301
7. Art. Eben so wollen die Gesandten sich nicht weigern, dass
die Bürgerund Unterthanen der Stadt Konstanz, die gegen kaiser
liche und königliche Majestäten Kriegsdienste nehmen, als Übertreter
der Gebühr nach ernstlich gestraft werden sollen.
8. Art. Die Anstellung eines Stadtliauptmanns in Konstanz ist
den Gesandten des grossen Abbruchs der städtischen
Freihei ten und Herkouimens halber sehr beschwerlich.
9. Art. Die Gesandten verlangen dieSummedes Geldes
und der herzugebenden Geschütz bestimmt angegeben.
10. Art. Es ist gebührlieh, die des Kaisers Tlieil gewesen sind,
nicht zu beschweren.
11. Art. Eben so halten die Gesandten für billig und unbe
schwerlich, dass die Stadt Konstanz allen kaiserlichen Verordnun
gen zur Wohlfahrt, Ruhe und Einigkeit deutscher Nation Gehorsam
leiste. Da aber unsere, auf das göttliche Wort bekannte Religion, in
dem einen oder dem andern Artikel begriffen sein könnte, müssen
die Gesandten von ihren Obern weiteren Befehl erwarten.
Der Bischof von Arras liess die Gesandten am 14. Juni vor
sich bescheiden und ihnen durch Dr. Seid anzeigen, dass ihre
Bittschrift so beschaffen sei, dass der Kaiser dadurch zu noch
schwererer Ungnade verursacht werden möchte, und wiederholte
mehrere Artikel, über die sie sich billigerweise nicht beschweren
sollten, als:
a) Der Kaiser habe sich der Ungnade, dass sie fallen sollte,
noch nie gegen Jemand declarirt (welches die Gesandten meistens
bei allen Städten anders gefunden hatten) bis nach dem Fussfalle.
b) Die Wiedereinsetzung der Geistlichen werde der Kaiser
haben wollen.
c) Die Hauptmannschaft sei nicht so zu betrachten, als ob die
Stadt von ihren Freiheiten, welche sie doch verwirkt habe, gebracht
werden solle, sondern sie solle ihr zum Guten dienen.
d) Wegen des Geldes und Geschützes haben die Gesandten
noch keine Anerbietungen gemacht, und sollen nun solche machen.
e) Dass die Stadt wegen der Anforderungen der Beschädigten
im fünften Artikel sich an andere Städte anschliessen wolle, käme
heraus, als ob Konstanz wieder einen neuen Anhang machen wollte.
f) Im letzten Artikel werde der Kaiser eine lautere Antwort
haben wollen.
302 - Marmor
Die Gesandten begehrten darauf Erlaubnis sich unterreden
und dem Bischöfe Antwort geben zu dürfen, was er ihnen auch ge
stattete und dabei sich anerbot, einen kurzen Bescheid selbst dem
Kaiser geben zu dürfen.
Den Altbürgermeister Thomas Blarer und seinen Bruder, den
Magister Ambrosius, Besser mit barten Worten anreden. Thomas
vertheidigte sich mit aller Bescheidenheit dagegen.
Die Abgeordneten übersahen die Bittschrift nochmals, liessen
das Unterstrichene darin heraus, und setzten dafür Anderes hinein,
so dass die neue Bittschrift folgende Änderungen erhielt:
Zum Art. 3. Können die Gesandten aus Mangel an ihren Befehlen»
da sich ihre Obern dessen nicht versehen hätten, nicht
bewilligen.
Zum Art. 5. Die Stadt Konstanz solle gewärtig sein, der Gebühr
nach von den im Krieg Beschädigten angesucht
zu werden.
Zum Art. 8. Es stehe den Gesandten nicht zu, hinter dem Bücken
des Rathes in Konstanz zu bewilligen. (Stadthaupt
manns Anstellung.)
Zum Art. 9. (Geld- und Munitionsabgabe). Die Gesandten wollen
aus Mangel an Auftrag diese Sache an ihre Obern för
derlich einbringen.
Diese abgeänderte Bittschrift sammt einem lateinischen Begleit
schreiben <) wurde am folgenden Tage, den IS. Juni, dem Bischöfe
von Arras mit dem Vermelden überreicht, dass die Gesandten diesmal
vermöge ihres Befehles nicht weiter haben schreiten können.
Der Bischof vermeinte, sie hätten in der langen Zeit wohl alle
Befehle von ihren Obern erhalten können, worauf die Gesandten er-
wiedcrtcn: Sie haben diese schweren Artikel desshalb nicht an den
Rath überschicken wollen, weil sie immer noch gehofft hätten, durch
des Bischofs und Herrn von Granvella’s Unterhandlungen Milderung
und Nachlass zu erhalten. Halte es aber der Bischof für besser , so
wollen sie dieselben dem Rath überschicken, der sie jedoch wohl nicht
ohne Vernehmnng der Gemeinde berathen und einen Beschluss
darüber fassen werde.
1) Schulthaiss, Bil. V, S. 128, Nr. 2S.
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1Ö48. 303
Während dieser Unterhandlungen in Augsburg, ereignete sich
unterdessen in Konstanz Etwas, was ein verdächtiges Licht auf die
selben wirft. Es kam nämlich im Juni 1348 ein Wälscher zum Bür
germeister und verlangte von ihm, er solle einem andern Wälschen,
der in Augsburg wohne und diesen Morgen hier angekommen sei,
Leib und Gut verlegen, bis er ihn bezahlt habe, laut den vom Rathe
zu Augsburg aufgerichteten Schuldbriefen. Es wurde desslialb auf den
folgenden Morgen ein Rechtstag angesetzt; die beiden Wälschen
Hessen aber dem Bürgermeister sagen, dass sie miteinander vertragen
seien und desshalb nicht erscheinen werden.
Sie gingen nun einige Tage in der Stadt herum, und sahen
alle Gelegenheit der Stadtmauern und Thürme, gingen nachher vor
das obere Petershauser Thor (bei welchem dann am 6. August 1548
die spanischen Truppen einen Angriff auf die Stadt machten) und
betrachteten sich die Gelegenheit der Vorstadt Petershausen, woran
der Rath nicht wenig Missfallen hatte, da sie sich auch gegen etliche
Bürger gar argwöhnig erzeigten. Weil aber die Gesandten der Stadt
zu Augsburg im Geleite waren, wollte der Rath nichts gegen sie vor
nehmen. Sie begehrten an den städtischen Marksteller, dass er mit
ihnen auf dem nächsten Wege durch den Wald nach Tuttlingen (an
der Donau) reite, was ihm aber der Rath verbot. Nachgehends ritten
sie auf dem Wege nach Überlingen, wandten sich aber in einiger
Entfernung gegen Meersburg, zogen durch das Süremoos-Gässele
gegen Staad zu, und Hessen sich von da nach Meersburg überschiffen.
So berichteten die vom Rathe ihnen Nachgeschickten. Später
wurde aber gesagt, sie seien von Meersburg wieder herübergefahren,
und ein Metzger habe sie durch die Wälder gegen Tuttlingen hinab
geführt ‘).
VIII. Handlung.
Die Sache blieb so stehen bis zum 20. Juni, an welchem Tage
sie der Bischof wieder vor sich berief und ihnen erötfnete:
„Er habe ihre Bittschrift dem Kaiser vorgetragen, und da sie
darin sagen, dass sie zu manchen Artikeln erst noch weitere
Befehle vom Rathe zu Konstanz einholen müssten, so sollen sie
') Schulthaiss, Bd. V, S. 54'/.
304
M a r m o r
dies thun, und in 8—9 Tagen längstens eine zustimmende oder
ablehnende Antwort geben“.
Auf dieses hin ersuchten sodann die Gesandten den Dr. Seid,
dahin zu wirken, dass sie keine Beschwerde erleiden, wenn die
Antwort sich einen Tag oder etwas länger, verzögern sollte, wozu
er sich auch gutwillig zeigte.
Am 23. Juni schrieben nun die Abgeordneten biewegen an den
Rath zu Konstanz. Dieser erwiederte in einem Schreiben vom 30. Juni:
dass er es nicht für gut halte, die Sache zur Entscheidung vor die
Gemeinde zu bringen, wesshalb er die Gesandten ersuche, dass der
Bischof von Arras von dieser Forderung abstehe. Als arme Stadt
könne sie nicht wohl mehr als 3—4000 Gulden und 3 oder 4 Stück
Büchsen geben.
Die Abgeordneten schrieben abermals am 8. Juli an den Rath :
der Kaiser wolle noch weitere neun Tage, also von Montag über acht
Tage, den 16. Juli zur Antwort geben, längere Frist aber nicht
gestatten. Zugleich verlange er, dass der Beschluss über die
beschwerenden Artikel vom Rathe und der Gemeinde gemeinschaftlich
gefasst werde.
Hierauf beschloss der Rath die Sache vor die Gemeinde zu
bringen, verordnete je zwei aus dem kleinen und grossen Rathe, die
in den Zünften herumgingen, die Leute von den Handlungen berich-
telen und ihre Meinung vernahmen.
Am Montag den 12. Juli hielt man die Zünfte, stiess jedesmal
zwei von den zehn zusammen, damit man in einem Tag fertig werde,
trug ihnen alles bisher in dieser Sache Geschehene vor, und las
ihnen auch die beweisenden Schriften vor.
Zuletzt wurde nun ein Entwurf zu einem Schreiben an Kaiser
Karl V. zweimal verlesen, damit er desto besser von Jedermann
verstanden werde. Im Wesentlichen lautet derselbe folgendef-
massen :
Nun befinden wir nach unserm geringen, ein
fältigen Verstände, in angeregten Artikeln zwei vornämliche Be
schwerden :
1. Dass etliche Artikel dermassen gestellt, wenn die von uns
bewilligt werden sollten, dass wir von unserer Religion, die wir vor
1) Schulthaiss, Bd. V, S. 133— 1331/-.
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J, 1348. 305
1530 zu Augsburg bekannt, und nun über 30 Jahre aus Bericht heil,
biblischer Schrift des alten und neuen Testamentes gehalten haben,
abtreten und sie fahren lassen müssten.
2. Haben wir in den vorgemeldeten Artikeln einige vermerkt,
die gemeiner Stadt im Zeitlichen zum Höchsten verderblich sein
müssten.
Wiewohl wir nun wissen, dass wir dem Kaiser, unserm Herrn,
allen billigen Gehorsam leisten müssen, und auch solchen billigen Ge
horsam mit unterthänigster Gutwilligkeit zu leisten geneigt, und dess-
halb der Aussöhnung nicht begierig, sondern nothdürftig sind, so
erfordert doch unser Aller Heil und Seelenseeligkeit, fleissig zu
bedenken, weil wir bald zu einem andern, ewig währenden Leben
berufen werden müssen, was wir auch dem allmächtigen Gott und
Schöpfer Himmels und der Erde zu thun und zu leisten schuldig
sein u. s. w.
Da aber etliche vom Kaiser vorgeschlagene Mittel,
welche die Religion belangen, unsern armen Gewissen höchst ver
letzlich sind und wir in Annahme derselben dem Gehorsam, den wir
dem allmächtigen Gott schuldig sind, zuwider handeln müssten, so
hat Euer Majestät allergnädigst zu bedenken, mit welch’ grosser und
höchst beschwerlicher Last wir diesorts gedruckt, und mit welcher
Angst und Noth wir allenthalben von Innen und Aussen umgeben und
gequält wurden. Weil wir nach der Anweisung unserer Gewissen
entweder Gottes, oder Euer kais. Majestät (wenn letztere in ihrer
Anforderung mit der Strenge behandeln wollen) Zorn und Ungnade
auf uns laden, und entweder des ewigen oder des zeitlichen
Sterbens und Verderbens gewärtig sein müssten, so wir doch nichts
Lieberes thun, als Gott geben, was Gottes ist, und Euer kais. Maje
stät was derselben zugehört, unterthänigst leisten wollten, und es
uns aus angezeigten Ursachen ganz schwer fallen will, Euer Majestät
Mittel anzunehmen oder abzuschlagen.
So bitten wir Euer kais. Majestät auf das allerunterthänigste
und demüthigste, sie wolle um des ewigen Gottes Willen, der sie in
dieses hohe Amt gesetzt, ihr auch grosse Ehre, Macht und Glück
geben, uns arme Gedrängte gnädigst bedenken, sieb unser als ein
milder Kaiser erbarmen, und uns verlassene Waisen keineswegs
verderben lassen. Wir sind ja alle menschlicher Rechnung nach in
Euer Majestät Hand und Gewalt, und es ist E. M. ring und leicht,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLV11. Bd. I. Hft. 20
306
M a r m o r
uns arme Leute zu verheeren und gar zu vertilgen; aber dafür wollen
wir E. M. nun unsers gemeinen Gottes und Vaters im Himmel Gnade
und Barmherzigkeit Willen auf das unterthänigste und dringlichste
gebeten haben.
Es würde hei vielen Anderen allerlei Gedanken und ohne Zweifel
herzliche Kümmernisse verursachen, wenn wir für Andere so hart
gestraft würden, da wir doch für Andere nicht gesündigt haben,
sondern vor Anderen von des Reichs- und löblichen Hauses Öster
reich wegen, oftmals mit der Darstreckung unserer Leiber und
Güter unwiderbringlichen Schaden erlitten haben, und uns jetzt zu
allen schuldigen und möglichen Gehorsam unterthänigst erbieten,
aber allein des Ihrigen beschweren, so unserm Gewissen zuwider
und sonst verderblich ist.
Und wiewohl wir vor dein Angesichte Gottes grosse Sünder
sind, und, dass wir in viel Wegs harte Strafen verschuldet haben,
wohl erkennen, so hoffen wir denrfoch nichts desto weniger, weil
wir unsere Sünden vor Gott herzlich beklagen, und mit seiner Hilfe
unser Leben nach seinem Willen zu verbessern gedenken, diesfalls
auf Gottes versprochene Barmherzigkeit, er habe seinen Zorn gegen
uns fallen lassen, und werde desshalb Euer kais. Majestät gegen uns
willige Unterthanen nicht wenig mildern; denn solches vielmal
gegen Euer Majestät Feinde geschehen ist, darum wir auch den
treuen Gott zum herzlichsten anrufen.
Und wiewohl wir eine gar arme Stadt sind und
Gemeinde, und nicht allein keinen Vorrath haben, sondern neben
dem geringen Einkommen mit merklichen Zinsen und anderen Aus
gaben schwer beladen sind, derohalben eine jede Geldstrafe ent
weder durch eine Anlage unter uns selbst bezahlen, oder um Zins
aufnehmen müssen; nichtsdestoweniger wollen wir, damit Euer
Majestät auch unsern unterthänigsten Willen spüren möge, für die
Geldstrafe 8000 fl. auf ziemliche, leidentliche Zieler, sarnrnt
4 Stück Büchsen auf Rädern zu verantworten bewilligen.
Demnach bitten wir Euer kais. Majestät abermals mit
möglichem Flehen zum Demüthigsten, dass sie geruhe, unser unter-
thänigstes Erbitten allergnädigst anzunehmen, und diesorts wider
unser Gewissen nicht zu beschweren, noch zu andern unerträg
lichen und verderblichen Dingen anzuhalten; sondern bei unser
habenden Religion bis auf ein gemeines, freiers und christliches
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1348. 307
Concilium, des im heiligen Geist versammelt, uns durch das gött
liche Wort gelait werde, gnädigst bleiben zu lassen etc.
Gegeben den 13. Juli 1348.
Euer Kaiserl. Majestät
unterthänig, willig, gehorsamer
Bürgermeister, kleine und grosse Räthe,
auch Gemeinde der Stadt Konstanz.
Als die Schrift an den Kaiser verlesen war, wurde noch gefragt:
ob Jemand Etwas gegen dieselbe einzuwenden hätte. Wer dies
thun wolle, soll es mit guter Bescheidenheit anzeigen, so wie der
jenige, dem sie gefalle. Weiters ermahnten die Herren die
Gemeinde, keinen Unwillen gegen den viel beschäftigten Kaiser zu
fassen, obgleich die Stadt dieseswegen Vieles erlitten habe und
zur Armuth gekommen sei. Eben so wurde ermahnt, in dieser
schweren Zeit Gott um Beistand zu bitten.
Nachdem die Gemeinde das Schreiben an den Kaiser an
genommen hatte, liess es der Rath ausfertigen und überschickte es,
nebst einem Begleitschreiben, durch den Überreiter Wolf Otto dem
Gesandten in Augsburg. In demselben wurde noch bemerkt, dass
wenn das Verlangte nicht erreicht werden könne, und diese oder
andere unerträgliche Artikel weiter vorgeschlagen würden, welche
man mit der Gemeinde berathschlagen müsste, so sollen die
Gesandten sie selbst dem Käthe zubringen und bei der Verhandlung
mit der Gemeinde Erörterungen und Aufschlüsse gehen, da ohne
sie ein endlicher Beschluss in dieser Angelegenheit nicht thuniich,
noch zu erhalten wäre. Sei es nötliig, Artikel an die Gemeinde zu
bringen, so sollen sie billige Frist hiezu begehren, da solch’ wich
tige Dinge nicht eilig abgethan werden dürfen.
IX. Handlung.
Dies Schreiben des Ralhes kam am 13. Juli in die Hände der
Gesandten. Am folgenden Tag begaben sie sich zum Bischof von
Arras und überreichten ihm das Schreiben an den Kaiser mit der
Bitte, dasselbe gnädig anzunehmen, und es wie bisher bestens beim
Kaiser bevorworten zu wollen.
Der Bischof sträubte sich dasselbe anzunehmen, weil der Kaiser
kein Schreiben von unausgesöhnten und rebellischen Städten an-
20*
308
Marmor
nehme. Da die Abgeordneten eine Abschrift des Originals hatten,
so stellten sie solche dem Bischof auf sein Ansuchen zu, worauf er
sie fragte, oh sie noch etwas weiteres hätten. Die Gesandten
wiederholten nochmals nur ihre Bitte um Milderung, wobei es blieb,
da ihnen nicht angezeigt wurde, ob die Schrift dem Kaiser über
geben worden sei, noch wie die Sache stehe.
Der Rath, hierüber erbost, befahl ihnen heim zu kommen,
worauf die Gesandten erwiederten: dass sie befürchteten, man
möchte es ihnen und der Stadt als Verachtung auslegen, wenn sie
wegritten, wesshalb sie es für’s Beste hielten, noch einige Tage auf
Antwort zu warten, welche alle Stund kommen könne.
X. Handlung.
Am Sonntag den 5. August berief der Bischof von Arras die
Abgeordneten zum letzten Male zu sich. Als dieselben ohne Verzug
kamen, liess er sich vorerst eine Messe halten und singen. Die
Gesandten warteten bis zu Ende derselben. Als sie glaubten vorge
lassen zu werden, wurde das Mittagsessen zugerüstet, weil der
Bischof Gäste hatte. Er beschied sie desshalb auf den Nachmittag.
Sie warteten wieder bis gegen 5 Uhr auf ihn. Da gab er ihnen
unter der Thüre im Garten die Antwort: „Die kaiserl. Majestät habe
des Raths und der Gemeinde von Konstanz Schreiben, das ihm vor
etwa drei Wochen übergeben worden sei, vernommen, und befind,
dass die von Konstanz sich zu der Aussöhnung nicht schicken
wollen, wesshalb Ihro Majestät alle Handlung abgeschnitten habe.“
Die Abgeordneten konnten auf diese runde und abschlägige
Antwort nicht weiter handeln; doch dankten sie dem Bischöfe für
die gehabte Mühe mit der Meldung, dass ihnen der Abschlag leid
sei und ohne Zweifel vom Rath und Bürgerschaft gemeiniglich mit
grossem Bedauern werde empfangen werden. Da aber nichts desto
weniger der Rath und die Gemeinde ihr gutes Herz, und die gute
Zuversicht und unterthänigste Neigung gegen den Kaiser nicht hin
legen werde, so stellen sie an den Bischof nochmals die Bitte, dass
er darob und daran sei, dass die Stadt Konstanz zu leidentlicher Ver
söhnung kommen möge. Dazu wollen sie jederzeit auch rathen und
verhelfen u. s. w.
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1548. 309
Darauf erwiederte der Bischof: „Denen von Konstanz sei
nicht zu helfen, denn sie wollen nicht folgen; aber er wolle das
Beste gerne thun etc. Die Gesandten baten ihn, dies zu thun und
erboten sich, wenn der Mangel an Konstanz liege, würden sie es an
ihnen nicht fehlen lassen, was gütlich und möglich sei.
Als der Bischof ihnen zwei Tage zur Heimreise im Geleite
gab, erwirkten sie noch einen Tag weiter und begaben sich hernach
zum Dr. Seid, welchen der Bischof gewöhnlich bei sich hatte, und
stellten die gleiche Bitte an ihn.
Am folgenden Tag, Montag den 6. August, wurde der Acht -
brief gegen Konstanz Morgens früh zu Augsburg am Bathhause ange
schlagen, der im Wesentlichen lautet:
„Wir Karl der Fünfte von Gottes Gnaden römischer Kaiser etc.
(es wird nun der Achtklärung vom Jahre 1546 gegen Herzog Johan
nes Friedrich, Churfürsten zu Sachsen, und Philipp, Landgraf zu
Hessen erwähnt) So haben doch Bürgermeister, Rath
und Gemeind der Stadt Konstanz, des Alles unangesehen und unbe-
trachtet, sondern demselben gestraks zuwider, und in Vergessen
heit der Pflicht, damit sie Uns als Römischem Kaiser, ihrer natür
lichen höchsten weltlichen Obrigkeit zugethan, über ihre mannigfal
tige, unbefugte, ungeschickte, sträfliche Gethaten und Handlungen,
auch über dieselbe Unsere Achterklärung, sich neben ihren Mitver
wandten, damals des Schmalkadisclien Bundes, um öffentliche unge
horsame Rebellion, Abfall, Empörung und Aufruhr gegen Uns als
Römischen Kaiser des heil. Reichs deutscher Nation und aller der
selben Glieder, Stände und Städte, höchsten weltlichen Obrigkeit,
ohne alle befugte Ursache mit eigenem freventlichem Muthwillen
eingelassen und begeben, ihre Hilfe, Förderung und Vorschub dazu
gethan, mitgetragen und gelegt, und also Unsere Person und kaiser
liche Majestät zum Höchsten beleidigen helfen, um dadurch das
hocherschrecklich verdammte Laster der beleidigten Majestät zu
Latein: Crimen laesae majestatis genant, in viel Weg begangen.“
„Und wiewohl ihnen unverborgen gewesen, dass vor dieser Zeit
andere ihnen hievor zugethanen Fürsten und Städte sich von solcher
unbefugter Handlung abgesondert, und in unser als römischen
Kaisers schuldigen Gehorsam begeben, auch Gnad und Huld bei uns
erworben, und Wir auch ihre der von Konstanz Gesandten sich
gleicher Weise bei Uns nuszusöhnen gnädiglich vergeleitet, so haben
310
Marmor
sie sich doch in keinem Weg der Gepöne (Buss) nach erzeigen
wollen, sondern sind neben etlichen andern ungehorsamen Ständen
und Städten, unangesehen dess Alles nichts destoweniger auf ihrer
verdammten Rebellion und Ungehorsam bis anher beharr lieh geblieben
und noch“.
„Und also um solche bewiesene Hilfe, Förderung und Vor
schub, auch beharrliche Rebellion, verdammte Handlung, Beleidi
gung und Verletzung Unserer Person und kaiserliehen Majestät die
Pön und Straf in obberührter Unserer Achterklärungs begriffen, und
sonderlich die Pön und Strafe des Lasters der beleidigten Majestä'
begangen, auch alle ihre Regalien, Lehen, Freiheiten, Gnaden, Hab
und Gut, sammt Leib und Leben verwirkt, und in Unser und des
Reichs Acht und Aberacht mit der That gefallen, wie wir dann auch
zu Überfluss dieselben genannten Bürgermeister, Rath und Gemeinde
der Stadt Konstanz um solche ihre Hilfe, Förderung und Vorschub,
auch ungebiirliche, freventliche Thaten und Handlungen, beharrliche
Rebellion, Beleidigung und Verletzung Unserer Person und kaiser
lichen Majestät, so Alles landskundig, offenbar, und keiner fernem
noch andern Ausführung oder Beweisung dazu von Nöthen ist, aller
und jeglicher Regalien, Lehen, Freiheiten und Gnaden, die ihre
Vorderen und sie von weiland unseren Vorfahren römischen Kaisern
und Königen, auch Uns dem heiligen Reich und anderen Fürsten und
Herrn erworben, und bisher ingehabt und gebraucht haben, nun hiri-
füro ihnen ewiger Zeit gänzlich priviert und aller Dingen entsetzt,
und derselben untauglich und unwürdig gemacht, auch in obbemeldete
Pön und Straf, und sonderlich in Unser und des heiligen Reiches
Acht und Aberacht gefallen sein, erkennt und verkündt, und sei aus
Unser und des heiligen Reiches Gnad, Huld und Frieden in den Un
frieden gesetzt, ihr Leib, Hab und Güter (ausgenommen die, so
wir hievor Unserm kaiserlichen Fiscus zugewendet, oder sonst in
anderrn Wege vergeben, und anders wohin verordnet hätten)
männiglich erlaubt, privieren und entsetzen unwürdig sie aller obbe
rührter Regalien, Lehen, Freiheiten und Gnaden, erkennen, erklären
und verkünden sie mit der obgedachten Pön und Straf, setzen sie
auch aus dem Frieden in den Unfrieden und erlauben ihre Leiber,
Hab und Güter allermänniglich wie obsteht, Alles von Römisch
Kaiserl. Machtvollkommenheit, mit wohlbedachten Mutli und zeitigem
Ratlie, wissentlich in Kraft dieses Briefes.“
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1548. 31L
„Und damit sie ihrer Verhandlung als billiges Entgeltniss und
Straf empfangen, so gebieten Wir hierauf Euch Allen und Jedem
insonderheit, so mit diesem Unsern Brief, oder glaubwürdiger
Abschrift oder Druk, dervon ersucht und vermahnt, oder sonst
dies innen würdet, von Römisch kaiserl. Maj. Macht hiemit ernst
lich und wollen, dass ihr die genannten Bürgermeister, Räthe und
Gemeinde der Stad Konstanz für und als solche Unsere und des
Reichs offenbare landfriedbrüchige Rebellen, Beleidiger Unserer
Person und Kaiserl. Maj. und erklärte Ächter hiefür haltet und
meidet, in Unser und des hl. Reichs und Euere Fürstenthümern,
Ländern, Grafschaften, Herrschaften, Gebieten, Gerichten, Schlössern,
Städten, Märkten, Flecken, Dörfern, Weilern, Höfen, Häusern oder
Behausungen enthaltet, leidet oder duldet, vorschiebet, durchschlei
fet, schützet, schirmet, begleitet, baket, mahlet, mit Gewerb, Hand-
thierung, Kaufmannschaft oder sonst einerlei Gemeinschaft mit ihnen
nicht habet, noch Solches Alles und Jedes zu thun, den Euern oder
Jemands Anderm befehlen oder gestatten, weder heimlich noch
öffentlich in keinerlei Weise noch Wegs, sondern ihrer Aller Leib,
Hab, Schulden und Güter, wo Ihr die auf Wasser oder Land betre
tet, erfahret oder findet, angreifet, niederleget, bekümmert, ver
haftet, einhaltet, und nach Euerm Gefallen damit handelt, und
hiemit Euer keiner auf den andern vorziehe, oder Entschuldigung
suche, sondern in allweg gedachte, erklärte Ächter und Landfried
brüchige handelt und vornehmet, wie sich das gegen solche Ächter
gebühret, und auch an dem Allem und Jedem nicht anderst erzeu
get oder habet, als lieb Euch und einem Jedem sei nachbemeldete
Pön, auch andere Unser und des Reichs schwere Ungnaden,
Strafen und Busse zu vermeiden. Daran thut Ihr Unsere ernstliche
Meinung, wenn wir setzen, meinen und wollen, von obberührter
Unserer kaiserl. Macht, was also an der vielgenannten Bürger
meister, Rath und Gemeinde Leib, Hab und Güter vorgenommen
oder gehandelt würde, dass dadurch wider Uns, das hl. Römische
Reich, noch Jemand Andern mit Nichten gefrevelt, verhandelt oder
verwirkt sein, noch dafür gehalten werden solle, noch Jemand
darum zu antworten schuldig sei, in keinen Weg. Auch dafür die
selben Ächter dafür nicht schützen, schirmen, freien oder vortragen
eine Gnad, Freiheit, Tröstung, Geleit, Sicherheit, Land- oder
Burgfrieden, Rümdniss oder Vereinigung, Burg- oder Stadtrecht,
312
M a r in o r
so von Uns, Unsern Vorfahren am Reiche römischer Kaiser oder
Könige, oder anderer Herrschaften oder Obrigkeiten, Euch oder
ihnen gemeiniglich oder sonderlich gegeben oder bestätiget wären,
oder nach Würden, auch keiner Gewohnheit, Brauch oder altem
Herkommen, noch sonst alles Anders, das ihnen hierin zu Hilfe,
Steuer oder Statten kommen sollte oder möchte, weil wir sie die
gedachten Ächter in dem Allem als desselben unempfänglich aus
geschlossen und darin nicht begriffen haben wollen. Welcher aber,
oder welche, diesem Unserm Geboth ungehorsam und freventlich
danvider thun würde, in was Schein das geschähe: der oder die
selben sollen als dann als jetzt, und jetzt als dann in Unser und
des Reiches Acht und sonst andere schwere Pönen verfallen sein,
und gegen den oder denselben als Ächter und Ungehorsamen auch
gehandelt werden. Darnach wisse sich ein Jeder zu achten. Gege
ben in Unser und des Reiches Stadt Augsburg am sechsten Tag des
Monats Augusti nach Christi Unsers lieben Herrn Geburt Fünfzehn
hundert und im acht und vierzigsten, Unsers Kaiserthums im aclit-
und zwanzigsten, und Unsers Reiches im drei und dreissigsten
Jahre.“
Carolus
ad mandatum Caesareae et Catholicae Majestatis proprium.
Obernburger.
Ein guter Freund der Gesandten, welcher diesen Achtbrief
gesehen hatte, gab ihnen sogleich davon Nachricht. Auf dieses hin
sassen dieselben sogleich zu Pferde und ritten heim. Als sie am
folgenden Tag über Memmingen hinaus über die Iller gekommen
waren, begegnete ihnen der kaiserliche Commissär, der auch in
Konstanz gewesen, auf der Post selbander. Ein Ravensburger Metz
ger, welcher dem Zunftmeister Peter Labhart wohl bekannt war,
begleitete ihn. Dieser fragte ihn, wie es um Konstanz stehe. Im
Fortreiten sagte der Metzger: „übel, Petershausen ward verbrennt
und viele gute Bürger kamen daselbst um.“
Auf diese traurige Nachricht hin wandten sich die Gesandten,
die ihren Weg des Geleites wegen nach Meersburg genommen
hatten, nach Lindau, vor dessen Thore sie bis zur Öffnung dessel
ben am folgenden Morgen warteten. Die Herren daselbst Messen sie
Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Osten eich im J. 1S48. 313
in ihrem Jagdschiffe bis nach Münsterlingen *) führen, von wo sie
sodann nach Konstanz ritten, wo sie am Mittwoch den 8. August
ankamen, und mit Schmerzen den daselbst herrschenden Jammer
und das Elend fanden.
Während man in Augsburg die Konstanzer Gesandten ohne
alle Antwort gelassen und sie falscher Hoffnungen von Aussöhnung
übergeben hatte, war schon längere Zeit Alles vorbereitet, um die
arme und verlassene Stadt Konstanz hinterlistig zu überfallen. Am
Morgen des sechsten August 1S48, als man in Augsburg die
Achtserklärung gegen sie am Rathhause anschlug, überfiel ein zahl
reiches spanisches Fussvolk unter dem Befehle eines Neapolitaners,
des Obersten Alphonsus de Vivis, die Stadt, welche von mehreren
Seiten her gewarnt worden war, aber diesen Warnungen wenig
Glauben geschenkt hatte. Nur wie durch ein Wunder wurde sie
gerettet, da innerer Verrath mit dem äusseren Feinde gemein
schaftliche Sache gemacht hatte. Erst nachdem der verunglückte
Sturm vorübergegangen war, wurde die kaiserliche Acht ver
öffentlicht 3 ).
Von allen Seiten her gedrängt und geplagt, entschloss man
sich am 9. August, die damals zu Baden versammelten 13 Orte
der schweizerischen Eidgenossenschaft um Hilfe gegen den Kaiser
anzugehen. Eben so wandte sich die schutzlose Stadt nach Schwa
ben um Unterstützung, erhielt aber nur die verletzende Antwort:
dass man mit Geächteten nichts zu thun haben wolle. Das Interim
(die einstweilige Glaubensvorschrift Kaiser Karl's V.) wurde am
18. August öffentlich verlesen, aber nur von Wenigen verstanden.
Bei der Abstimmung darüber wurden diejenigen, welche beim heili
gen Evangelium bleiben wollten, durch Einfluss der Fischer- und
Bäckerzunft um SO Hände übermehrt.
4 ) Münsterlingen, eine ehemalige Frauenabtei, im jetzigen Canton Thurgau, i l /z Stun
den südöstlich von Konstanz entfernt.
2 ) Vgl. den Konstanzer Sturm im Jahre 1548 von Georg V ö g e 1 i, mit ergänzenden
Zusätzen aus des gleichzeitigen Chronisten Christoph Schultheiss spanischem
Überfalle der Stadt Konstanz und urkundlichen Beilagen. Aus den Handschriften des
städtischen Archivs herausgegeben. Bellevue bei Konstanz, Verlagsbuchhandlung zu
Bellevue 1846. — Eine sehr schätzenswerthe Schrift, welche viel mehr enthält, als
der Titel anzeigt.
314 Die Übergabe der Stadt Konstanz an’s Haus Österreich im J. 1548.
Am 9. und 10. September 1548 wurden die Zünfte versam
melt und ihnen, am Schluss eines Vortrages über die jüngsten Be-
gegnisse, die Frage zur Abstimmung vorgelegt, ob man, wie der
grössere Theil der Ratbsglieder für gut erachte, vor einem Endbe-
schlusse über die kaiserlichen Bedingungen die Rückkehr der eid
genössischen Boten vom Hofe des Kaisers erwarten wolle. Durch eine
Mehrheit von 269 Stimmen (418 gegen 149) wurde die Frage
bejahend entschieden. Auch bei dieser Gelegenheit trennten sich
wieder vornehmlich die Fischer von der besser gesinnten Mehrheit
der Bürger, indem 57 von ihnen gegen einen die augenblickliche
Annahme der kaiserlichen Aussöhnungsbedingungen verlangten.
Der Würfel war somit gefallen. Am 15. October 1548 schwur
die Stadt dem Hause Österreich den Eid, durch welchen sie aus
einer freien unmittelbaren Reichsstadt zu einer ganz gewöhnlichen
vorderösterreichischen Provinzialstadt herabsank, welche das freie
Verfügungsrecht über sich und ihren Einfluss nach aussen zugleich
verlor.
Wie man einerseits die verblendete Hartnäckigkeit des Rathes
und der Bürger von Konstanz und andererseits das Verfahren des
erzürnten siegfeichen Kaisers ansehen mag, so wird man doch
anerkennen müssen, dass Konstanz würdig gefallen und nie grösser,
muthiger und edler dagestanden sei, als zu der Zeit, da es in Folge
der drängendsten Umstände und der mannigfaltigsten Umtriebe in
seinem Schoosse selbst genöthiget worden war, seine Geschichte,
seine Bedeutsamkeit und religiöse Überzeugung aufzuopfern.
Brunner. Das gerichtliche Exemtionsr echt der Babenberger.
315
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
Von Dr. Heinrich Brunner.
Im Gegensätze zum modernen Staate, den die Fülle seiner posi-
tiren Staatszwecke kennzeichnet, lässt sich der mittelalterliche Staat
als Kriegs- und Rechtsanstalt definiren. Seine Aufgabe war vorwie
gend negativer Natur. Das Schwert, das der Richter wie der Krieger
führte, erschien als Sinnbild der staatlichen Gewalt. Die Staatshoheit
fiel nach der innern Seite des Staatslebens mit der Gerichtshoheit
zusammen.
Bekanntlich ging das deutsche Reich daran zu Grunde, dass
innerhalb desselben staatliche Neubildungen aufwucherten, dass das
Fürstenthum allmählich die Rechte des Königthumes aufsog, bis in
den einzelnen Territorien die Landeshoheit an die Stelle der Reichs-
gewalt getreten war. Diesen Auflösungsprocess bis in seine frühesten
Stadien zu verfolgen, muss nach dem oben Gesagten die Betrachtung
jener Verhältnisse, in welchen die Gerichtshoheit zum Ausdrucke
kam, die wesentlichsten Anhaltspuncte bieten.
Oberster Gerichtsherr war im deutschen Reiche der König.
Von ihm ging alle richterliche Gewalt aus. Da er die Rechtspflege
nicht überall selbst handhaben konnte, so äusserte sich seine Ge
richtshoheit hauptsächlich in der ausschliesslichen Übertragung der
Gerichtsbarkeit aufAndere. Die vom Könige bestellten Richter waren
ursprünglich blos Beamte desselben, die zur Entlohnung für ihre
Dienste mit Lehnsgut ausgestattet wurden. Im Laufe der Zeit ver
wuchs das Amt mit dem Lehen, die nutzbare Seite der Gerichts
barkeit trat in den Vordergrund. Die Pflicht wurde ein Recht und
aus dem Richteramte entstand das Gerichtslehen, ein Product von
Amt und Lehen, in dem der eine Factor sich in soferne zur Geltung
316
Brunner
brachte, als der ursprüngliche Amtscharakter die Grundsätze des
Lehnrechtes wesentlich modificirte 1 ).
So mannigfaltig sich auch auf diesem Gebiete die Verhältnisse
im Einzelnen gestalten mochten, so lässt sich doch nach den ver
einzelten Bestimmungen, welche die Rechtsbücher des 13. Jahr
hunderts, namentlich derSachsenspiegel überdas „len an gerillte“ an
führen, jener Zustand juristisch fixiren, welchen das Rechtsbewusst
sein der Zeit als den normalen betrachtete. Der mit der Gerichts
barkeit Belehnte war zumal in der weitern Übertragung derselben
beschränkt. Theilung und Veräusserung ohne Zustimmung des
Lehnsherrn durfte auch beim echten Lehen nicht vorgenommen
werden. Während aber sonst der Vasall ohne Rücksicht auf diese
Einwilligung zur Afterbelehnung befugt war, konnte jener die ihm
verliehene Gerichtsbarkeit weder ihrem ganzen Inhalte noch ihrem
vollen Umfange nach weiterleihen 3 ). Er hatte nur das Recht, aber
freilich auch zugleich die Pflicht, einen Theil seiner Gerichtsbarkeit,
und zwar in niedrigerem Masse und für einen engeren Kreis zur
Bestellung eines Gerichtes abzugeben, das in dem seinen nach der
bestehenden Gerichtsverfassung als Untergericht und Afterlehen ent
halten war. So konnte und musste z. B. der Graf die erledigte Cent
verafterleihen, durfte jedoch nicht etwa für die ganze Grafschaft
anstatt mehrerer nur einen Centenar bestellen oder dem Centenar
einer einzelnen Cent die volle Grafengewalt ertheilen oder endlich
nach Belieben neue Centschaften errichten.
Hiezu kam noch ein Anderes. Der Lehnsträger durfte jenem,
dem er ein höheres Gericht mit Recht weiter geliehen hatte, nicht
zugleich auch die Gerichtsgewalt als solche, den Bann, das jus
distringendi, übertragen. Jeder höhere Richter, also z. B. der vom
Fürsten bestellte Graf oder Vogt hatte den Gerichtsbann unmittelbar
vom Könige einzuholen und ihm Hulde zu thun nach freien Mannes
Recht ! ). Diese Bannleihe ist scharf zu scheiden von der Gerichts-
' *
*) Homeyer, Sachsenspiegel II. 2. System des Lehnrechtes, p. 528 ff.
2 ) Hoineyer a. a. 0. p. 537. Ssp.lll, 53. §. 3: man ne mut ok uen gerichte delen
noch ganz lien noch del . . . it ne si en sunderlik grafscap , di in en vanlen
höre. s. Lhnr. 71: it ne si en siinderlik. gerichte, dat in sin gerichte höre. Auctor
Vetus 11, 68: uisi sit singulare iudicium, quod in illud (iudicium concessum)
pertineat.
8 ) Homeyer a. a. 0. 541, III. Stobbe Gerichtsverfassung des Ssp. in der Zeitschrift
für deutsches Recht. XV. p. 88 ff.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
317
leihe. Jene gibt die Gewalt, diese das Recht zu richten; dort wird
llulde ohne Mannschaft, hier Hulde mit Mannschaft geleistet,
in. a. W. durch Entgegennahme des Bannes wurde das Gericht, für
welches er geliehen worden, nicht etwa unmittelbar vom Könige
lehnrührig.
Während der König einerseits das ausschliessliche Recht der
Bannleihe hatte, konnte er andererseits jenem den Bann nicht ver
weigern, dem das Gericht geliehen war. Es dürfte diese Beschrän
kung die Auffassung nahe legen, als sei die Bannleihe nichts als eine
Förmlichkeit gewesen, an welcher die deutschen Könige festhielten,
„um die ursprüngliche Herkunft der Gerichtsbarkeit nicht aus dem
Gedächtnisse der Menschen verschwinden zu lassen“ i). Mir scheint
die praktische Bedeutung der königlichen Bannleihe gerade darin
zu liegen, dass der König allerdings den Bann verweigern konnte,
wenn die Gerichtsleihe den Grundsätzen über das Gerichtslehen
nicht entsprach, sei es nun in Bezug auf die rechtliche Befähigung
des Beliehenen oder in Bezug auf die gesetzlichen Beschränkungen
der Weiterverleihung. So hot sich dem Königthume in der Bannleihe
ein passendes Mittel gegen jede unberechtigte Veräusserung und
Verleihung der höheren Gerichtsbarkeit, eine sichere Garantie gegen
eigenmächtige Änderungen in der bestehenden Gerichtsverfassung 2 ),
Aus dem Gesagten ergibt sich von selbst, dass der mit der
Gerichtsbarkeit Beliehene nicht befugt war, gerichtliche Immunitäten
zu ertheilen, d. h. von der öffentlichen Gerichtsbarkeit zu befreien
*) J. Berchtold, die Landeshoheit Österreichs nach den echten und unechten Freiheits
briefen. München 1862, S. 169.
2 ) 1174 sprach eine Reichssentenz den Grundsatz aus, dass die Veräusserung der
Gerichtsbarkeit, so wie aller übrigen Grafschaftsrechte nichtig sei. Guilelmus
Forcaleherie coines . . . petit sententiam, si de iure in irritum debet revocari, quid-
quid ab antecessoribus de iurisdictione et de iure hospitiorum et dignitate comi-
tatus alienatum esse constaret . . . prolata sententia est, quod nequaquam firmum et
stabile deberet aut posset permanere . . . comiti eomitatus dignitatem et iuris-
dictionem et regalia restituimus. Pertz legg. II, 145.
Eine Reichssentenz von 1238 geht in Bezug auf die Pfaffenfiirsten noch
weiter: teloneum, moneta, officium sculteti et iudicium seculare nec non et
similia, quae principes ecclesiastici recipiunt et tenent de manu imperiali et pre-
decessorum nostrorum, sine consensu nostro (regis) infeodari non possunt. 1. c. 329.
Wie lange diese Grundsätze sich im Allgemeinen erhielten, beweist die Sentenz
vom 18. Jan. 1283: Quod nullus eomitatus sub Romanorum imperio sine nostro
consensu possit vel debeat dividi vel vendi aut distrahi pars äliqua, per quam
esset eomitatus huiusmodi diminutus. Legg. II, 442.
318
ß r u n u e r
und die ihr correspondierenden Rechte zu übertragen. Denn jede
solche Exemtion erweist sich nach den eben entwickelten Grund
sätzen als unstatthaft, so ferne sie der belehnte Richter einseitig
vornahm, unstatthaft, man mag sie nun als ein Lassen oder als ein
Leihen der Gerichtsbarkeit, als Veräusserung i. eig. S. oder als
Afterbelehnung auffassen. Also auch gegen Exemtionen von Seite
der Gerichtsvasallen war die Gerichtsverfassung des Reiches ge
schützt. Der König war um so mehr in der Lage sein ausschliess
liches Exemtionsrecht wenigstens in Bezug auf die höhere Gerichts
barkeit zu wahren, als der für das Immunitätsgebiet bestellte Vogt
den Königsbann einzuholen hatte.
Im Laufe der Zeit hat sich das Fürstenthum über alle diese
Beschränkungen hinweggesetzt und mit der Landeshoheit auch ein
selbstständiges Exemtionsrecht erworben. Die Ausübung dieses
Rechtes, dieBefreiung von der öffentlichen Gerichtsbarkeit ist schon
an sich eine der wesentlichsten Äusserungen der Gerichtshoheit.
Ausserdem lässt sie aber zuriickschliessen auf die Entkräftung und
Beseitigung der allgemeinen Grundsätze des Gerichtslehnrechtes,
in Consequenz deren ursprünglich der Lehnsträger nicht eigen
mächtig eximiren durfte. Somit bildet die Ausbildung des Exem
tionsrechtes einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der lan
desherrlichen Gerichtshoheit und die Untersuchung über die allmäh
liche Entwickelung der letzteren ist um so mehr auf das Gebiet der
gerichtlichen Exemtionen hingewiesen, als gerade hier das urkund
liche Material sich in verhältnissmässiger Fülle bietet.
Die Immunifätsverleihung ist ursprünglich, wie gesagt, aus
schliessliches Recht des obersten Gerichtsherrn, also des Königs.
So lange im Gerichtslehen der Charakter des Amtes überwog, war
dieses Recht im Gegensätze zu den Bestimmungen über das echte
Lehen nicht einmal durch ein entgegenstehendes Recht des Vasallen
beschränkt. Während nämlich sonst der Lehnsherr die Rechte des
Lehnsmannes wider dessen Willen nicht verkürzen durfte, hat sieh
lange Zeit hindurch der König seinen belehnten Richtern gegenüber
an diese Beschränkung nicht gebunden. Die sogenannte Gauauflösung,
die allmähliche Zersetzung der alten Grafschaffsverfassung Hesse
sich ohne jenes ausgedehnte Verfügungsrecht des Königs schlech
terdings nicht erklären. Zahlreiche Kirchen und kirchliche Corpo-
rationen erhielten Privilegien, durch welche sie von der Gewalt des
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
319
öffentlichen Richters befreit wurden, ohne dass man dessen Zustim
mung für nöthig erachtete. Ein Recht, die Exemtion von seiner Ein
willigung abhängig zu machen, konnte der Lehnsträger anfänglich
schon darum nicht besitzen, weil es in jedem einzelnen Falle um
gangen werden konnte, so lange sich der Grundsatz aufrecht erhielt,
dass das Königsgut als solches frei sei von allen öffentlichen Lei
stungen und Abgaben. Um ein Gut zu eximiren, tradii'te man es dem
König; dadurch wurde es Königsgut und als solches immun.
Naturgemäss war es die nächste Stufe der Entwickelung, dass
in dieser Reziehung die allgemeinen lehenrechtlichen Grundsätze
sich Rahn brachen und der König bei jeder Exemtion die Zustim
mung des dadurch beeinträchtigten Vasallen einzuholen hatte. Wurde
in solchen Fällen die streng lehnrechtliche Form eingehalten, so musste
der öffentliche Richter seine Gerichtsbarkeit über das zu eximirende
Gut in die Hände des Königs auflassen, ehe dieser sie dem neuen
Immunitätsherrn übertrug. Später drehte sich das Verhältniss um,
insofern die Exemtion vom Lehnsträger ausging, während die kö
nigliche Bestätigung als unerlässliche Ergänzung hinzutrat. Schliess
lich wird diese Bestätigung umgangen und fällt als überflüssig hin
weg. Der zum Landesherrn gewordene Lehnsträger erlangt das
unbeschränkte Exemtionsrecht. Im ersten der vier angegebenen
Stadien ist das Gericht ein Amt, im zweiten strenges, im dritten
freieres Lehen, im letzten selbstständiges Hoheitsrecht.
Soll eine Untersuchung über diesen im Allgemeinen angedeu
teten Entwickelungsgang des landesherrlichen Exemtionsrechtes zu
einigermassen zuverlässigen Resultaten führen, so muss sie sich nach
den einzelnen Territorien Deutschlands abgrenzen, da bekanntlich
die Landeshoheit sich höchst ungleichmässig und verschiedenartig
ausgebildet hat. Meines Wissens hat der erwähnte Gegenstand in
der deutschen Rechtsgeschichte bisher kaum vorübergehende Be
rücksichtigung, geschweige denn eine zusammenhängende Darstellung
gefunden. Ich will eine solche in Bezug auf das babenbergische
Österreich versuchen. Hier wuchs die Landeshoheit aus der Amts
gewalt des Fürsten heraus, im Gegensätze zu den vielen deutschen
Territorien, wo gerade die königliche Exemtion von der öffentlichen
Gewalt ihre Grundlage bildete. In den österreichischen Marken
haben die einfachen Verhältnisse der alten Gerichtsverfassung sich
länger erhalten, und fallen die meisten Exemtionen erst in die Zeit,
320
Br unner
als dem Königthume schon eine starke territoriale Gewalt gegen
überstand, während im übrigen Deutschland die Mehrzahl der Immu
nitätsverleihungen jener Periode angehört, in der der König das
ausschliessliche Exemtionsrecht noch unbestritten ausübte, und zwar
in so verschwenderischer Weise, dass es zur Zeit der aufkeimenden
Landeshoheit kaum noch etwas zu exirniren gab und man sich mit
Bestätigung früherer Privilegien begnügen konnte.
Vor Allem gilt es zu untersuchen, ob sich aus der Stellung,
welche die Babenberger in Bezug auf die Gerichtsbarkeit im Allge
meinen einnahmen, mit nothwendiger Consequenz Anhaltspuncte zur
Lösung unserer Frage ergeben.
Die staatsrechtliche Stellung der österreichischen Landesfürsten
liegt in der Markverfassung ihrer zwei Hauptlande der Ost- und der
Steiermark begründet. Zumal auf die Ausbildung der Gerichtsholieit
nahmen die eigenthümlichen Markverhältnisse massgebenden Einfluss.
Die Mark ist die Vereinigung mehrerer Grafschaften in einer Hand;
der Markgraf erscheint nicht etwa als ein über mehrere Grafen ge
setzter Obergraf, sondern übt in der ganzen Markgrafschaft die
Grafengewalt selber aus, im Gegensätze zu den übrigen Fürsten,
welche die Grafschaften in die dritte Hand zu leihen verpflichtet sind.
Die Markverfassung dauerte in den Marken auch nach deren Erhe
bung zu Herzogthümern fort *). Der Herzog hat die Rechte , die er
als Markgraf besass, mit nichten aufgegeben a ). Die Babenberger
wurden durch das Privilegium minus nicht zu Herzogen im gewöhn
lichen Sinne des Wortes, sondern so zu sagen zu Markherzogen er
hoben, welche die äussere Machtstellung und den Rang des Herzogs
mit der nach innen um vieles strafferen Gewalt des Markgrafen ver
einigten.
Wie früher der Markgraf gab auch der Herzog die gräfliche
Gerichtsbarkeit nicht in die dritte Hand. Abgesehen von vielen an
deren Belegstellen lässt gleich der erste Artikel des österreichischen
Öst. Landesr. jung. Fassg. Art. 40 . . . daz der Iandesherr die herren von dem
land nicht dringe ze varn herveber das gemerkcl», er tue es dann mit guot oder
mit pete, wann dicz land ain recht march ist. Archiv f. Kunde öst. Geschichts
quellen X, 165.
2 ) Vergl. Gaupp, deutsche Stadtrechte des Mittelalters 2. Band, p. 209: „sicher
sollten die Rechte, welche bereits in der Markgrafschaft gelegen hatten, bei jener
Erhebung zum Herzogthum eher vermehrt als vermindert werden.“
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
321
Landesrechts sich hiefür anführen. „Daz dehain Iandesherre sol
deliain taiding haben nur über sechs wochen und niht darhinder
und sullen auch die taiding sein nur ze Neuburg ze Tüllen und ze
Mautern“. Schon Karl der Grosse hatte drei allgemeine Dinge für
jede Grafschaft angeordnet. NachSsp. I. 2. §. 2 und III. 61. §. 1 dingt
der Graf über 18 Wochen, also drei Mal im Jahre. Nach Landesrecht
Art. 1 hält der Landesherr sein Taiding an drei Malstätten von 6 zu 6
Wochen, also an jeder von 18 zu 18 Wochen. Das Dingen von 6 zu 6
Wochen, wie es Ssp. III. 68. §. 1 als eineEigenthümliehkeit der Mark
hinstellt, lässt darauf schliessen, dass die Mark ihrem Umfange nach
drei gewöhnlichen Grafschaften gleichstandt). Für die Ostmark ergibt
sich des weiteren daraus eine Eintheilung in drei der Grafschaft ent
sprechende Gerichtssprengel; denn es ist in hohem Grade unwahr
scheinlich , dass sämmtliche Märker auf allen drei Malstätten zu er
scheinen, also neunmal im Jahre das ungebotene Ding zu suchen
hatten.
Nach dem österreichischen Landesrechte setzt der Landesherr
(vielleicht hauptsächlich zur Abhaltung der gebotenen Dinge) drei
Landrichter „an seiner statt“, die jedoch das Gericht nicht zu Lehen
haben, sondern im strengsten Sinne des Wortes stellvertretende
Beamte sind. Sie besitzen kein eigenes Gewette; die Wandel, bei
denen sie richten, sind dieselben, wie die des Landesherrn. Sie er
halten von diesem jährlich 300 Pfund „ze Kost“. Des Herzogs
Schreiber sitzt au ihrer Seite, um die Wandel und Bussen anzu
schreiben, die nicht der Richter, sondern der Herzog empfängt 3 ).
Gaupp (Miscellen des deutschen Hechts S. 126) bringt diese Frist damit in
Zusammenhang, dass man in der Mark von SchötFenbarfreien nichts weiss und
dass die ihnen zunächst stehenden Pflegjiaften nach Ssp. 1. 2. §. 3 des Schultheissen
Ding binnen sechs Wochen zu suchen haben. Für die Ostmark könnte dieser
Grund nicht massgebend sein, da hier die Gerichtsverfassung von der Stände
gliederung abhängt und im österreichischen Landesrechte beider Relationen die
sentmässigen Leute hervorgehobeu werden.
2) Landesrecht ältere Fassung Art. 66: vvan der Landesherr einen richter sezt an
seiner stat, dem sol er iedes iar ze kost geben drewlmndert phunt und sol des
landesherrn Schreiber an des richters seiten sizen und anschreiben die wandel
und die pues, die da erlailt werdent, und sol si der Schreiber dem landesherrn
fuerpringen und sol der landesherr damit tuen, waz an seinen gnaden ist. Und sol
ein ieglicher richter ze Newnbureh ze Tuln und ze Mautern ein schrann
machen . . . etc. Ottokar setzt im Landfrieden von 1251 vier Landrichter, zwei
diesieits, zwei jenseits der Donau. Archiv für Kunde öst, Geschichtsquellen 1, .'59,
Sitzb. der phil.-hist. CI. XLVII. Bd. I. Hfl, 31
amsi
322 Brunner
Während sonst dieGerichtsgefälle mit dem Gerichte zu Lehen gegeben
waren oder doch mindestens eine Theilung derselben zwischen Ge
richtsherrn und Lehnsträger eintrat, stand der Herzog innerhalb
der Marken den höheren Landrichtern gegenüber im ungetheilten
Genüsse der Gerichtsbarkeit und besitzen diese ihm gegenüber nur
einen persönlichen Anspruch auf Besoldung. Von den Landrichtern,
die an des Herzogs statt sitzen, werden bestimmt geschieden die
Landrichter in den niederen Landgerichten, die keinen höheren
Wandel haben, denn 6 Schillinge und nicht von jenen, sondern vom
Herzoge eingesetzt werden »)•
Mit Vorsicht ist die Darstellung der märkischen Gerichtsver
fassung im Sachsenspiegel auf die österreichischen Markverhältnisse
anzuwenden, und es scheint mir zum mindesten sehr gewagt, wenn
Schulte 2 ) ohne weiteres behauptet, dass in Österreich ganz dasselbe
galt, was der Sachsenspiegel als Eigentümlichkeit der Mark erwähnt.
Es würde zuweit führen, eine erschöpfende Parallele zwischen der
Mark des Ssp. und der Ostmark zu ziehen. Ich muss mich darauf
beschränken, die Hauptpuncte herauszugreifen und einzelne Sätze
des Sachsenspiegels mit dem österreichischen Landesrechte zusam
menzuhalten, das ungefähr um dieselbe Zeit wie jener entstanden
ist 8 ).
1. Nach Ssp. III. 64. ■§. 7 beträgt das Gewette des Markgrafen
nur 30 Schillinge, während man dem Grafen, der unter Königsbann
dinget, deren 60 wettet. Meines Wissens ist dieses niedrigere Gewette
für Österreich noch nicht nachgewiesen worden, während es sich für
die sächsisch-slavischen Grenzgegenden urkundlich feststellen lässt*).
Der Spiegel der deutschen Leute 5 ) zählt unter den Richtern, die zu
60 Schillingen dingen, auch den Markgrafen auf und ändert die eben
erwähnte Stelle des Ssp. folgendermassen um: isleichen marcgraue
1) Im Landesrechte jüngerer Fassung erscheint ein oberster Landrichter, den die ältere
Fassung nicht kennt; er dürfte dem iusticiarius des Königs im Landfrieden von
1235 (Pertz legg. II, 317, Art. IS) nachgebildet sein. Berchtold (Landeshoheit
S. 171) kennt nur einen Landrichter an des Herzogs statt und stellt diesen mit
dem obersten Landrichter der jüngeren Fassung zusammen.
2 ) Schulte, Lehrbuch der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte §. 112, Note 3.
a ) Heinrich Siegel, die beiden Denkmäler des österreichischen Landesrechtes und ihre
Entstehung. Sitzungsber. der k. Akad. d. Wissensch. Bd. 35, S. 109 ff.
*) Gaupp, Miscellen (über die Herabsetzung des Gewette in den schlesischen Stadt
rechten und dem culmischen Rechte auf die Hälfte etc.) p. 117,
5 ) Dsp. 319, S. 132.
Das gerichtliche Eiemtionsrecht der Babenberger.
323
(wettet man) dreizzich Schilling „ze dem minnisten“. Der Swsp. hat
diesen Satz gar nicht mehr aufgenommen. Es fallen jene Varianten
des Dsp. um so mehr in's Gewicht, als sie sich in jenem Theile des
Rechtshuches finden, in dem der Verfasser desselben den Ssp. nicht
überarbeitete, sondern blos übersetzte, sich also nur auf die nöthig-
sten Änderungen beschränkt haben mochte. Dies berechtigt zu der
Vermuthung, dass in Siiddeutschland ein niedrigeres Gewette für die
Marken nicht bekannt war und dass der Bestimmung des Ssp. eine
vereinzelte Eigentluimlichkeit der sächsischen Marken zu Grunde
liege !). Was das Gewette des österreichischen Herzogs innerhalb
der alten Marken betrifft, so scheinen mir Gaupp und Schulte zu
irren, wenn sie es zu 30 Schillingen ansetzen und eben so Berch-
told 3 ), wenn er, jene corrigierend, einen herzoglichen Bann zu
60 Schillingen annimmt. In den babenbergischen Stadtrechten, so
wie im österreichischen Landesrechte 8 ) beträgt der höchste Satz der
dem Herzoge verfallenden Strafgelder 4 ) in der Regel 10 Pfund,
ohne Rücksicht auf den Stand des Geküssten also eben so viel, wie
das Gewette, das Ssp. III, 64 §. 3 den Herzogen von Seite des „edelen
Manns“ beilegt 5 ).
1) Vielleicht lässt sich das kleinere Gewette in den sächsisch-slavischen Grenzgegenden
auf die eigenthümlichen Standesverhältnisse der dortigen Bevölkerung zurückführen.
Bekanntlich gab es in der Mark Brandenburg , die doch im Ssp. vorzugsweise in
Betracht kommt, keine Schöffenbarfreien. Nun stufte sieh aber hei den Sachsen
schon der alte Königsbann nach den Ständen ab. Wilda (Strafrecht der Germanen,
S. 479) bringt ein Beispiel aus dein capit. Paderbrunn., wornaeh der Adelige den
doppelten, der Freie den einfachen, der Lite den halben Königsbann (30 Schillinge)
zu zahlen hatte. Nach der lex Bibuariornm LXV. 2, einer Stelle, welche den fränk-
lichen Königsbann in seiner ursprünglichen Gestalt enthält, beträgt die Banusumm£
der schutzpflichtigen Freien 30 Schillinge, also die Hälfte des vollen Bannes. Dass in
den Volksrechten das Fred um durch die Stiindeverschiedeuheit bedingt war. brauche
ich nicht erst zu belegen. Aus dem Mangel des Königsbannes in der Mark kann mei
nes Erachtens das märkische Gewette nicht erklärt werden.
2 ) Beruhtold a. a. 0., S. 163, Note 13.
3 ) Stadtrecht von Enns §. 3 bei Gaupp, die Stadtrechte d. M., II, Seite 218; Stadtrecht
von Wien §. 10 a. a 0. S. 240; öst. Landesrecht ältere Fassung Art. 4.
4 ) Über die Verschmelzung von Bann und Fredum, (Gewette): Wilda, Strafrecht der
Germanen 469 ff.; Artikel Bann in Weiske’s Hechtslexikon 601.
5 ) Der Swsp. (L. 138) führt das Gewette des Königs an und fahrt dann fort: diz
gewette ist aller richter gewette nit, wen wettet ie dein richter nach sinein recht
oder nach guter gewonheit. 139: ein ieglich fürste hat nach sines landes gewon-
heit buzze, also haut ander herren buzze vnde ouch die richter nach ir gewon
heit. In SüddeutschIaiid mochte bereits früh eine grosse Mannigfaltigkeit im Gewette
eingetreten sein.
21
324
Brunne r
2. Der Ssp. bezeichnet es ferner als eine Besonderheit der Mark,
dass vor des Markgrafen dinge vintiewelk man ordel over den andern
den man an sime rechte nicht bescelden ne mach (III. G5. $. 1). Da
gegen kann dort, wo man unter Königsbann richtet, also ausserhalb
der Mark üherSchöIfenbare „neman ordel vinden, dat an ir lief oder an
ir ere oder an ir erve ga, noch ordel scelden, he ne si in evenbur-
dich“ (II. 12, §. 2). Mit der zuletzt citirten Stelle stimmt in auffal
lender Weise österreichischesLandesrechtjiing. Fassung,Art. 8:essol
auch kein man gen dem andern kainurtail geben noch kain volig *)
tuon, er sei sein hausgenosse oder sein uebergenosse, das jm an sein
leben oder an sein lehen geet 3 ).“
Nach Art. 2 beider Relationen sollen Grafen, Freie und Dienst
mannen „auf Leib, Ehre und Eigen“ nur vor dem Landesherrn in
offener Schranne zu Recht stehen. Während die Gerichtsverfassung
der Marken des Ssp. mit dem Mangel des Standes derSchöffenbarfreien
in jenen Marken zusammenliängt, hebt das österreichische Landrecht
die sentmaessigen Leute an mehreren Stellen hervor. Sentmaessig,
semperfrei, homo synodalis bedeutet aber so viel wie schöffenbarfrei.
Als solche haben wir ohne weiters die Grafen und Freien zu be
trachten , die nur nach Lelmrecht nicht nach Landrecht sich unter
scheiden. Sehen wir vorläufig ab von den Dienstmannen, so ist die
Gerichtsverfassung in Österreich dieselbe wie nach Ssp. II. 12. §§. 2, 3
in den Gerichten unter Königsbann. Die causae majores der Vollfreien,
welche schon die Capitularien dem Grafengerichte zuweisen und über
die nach dem Ssp. der Graf bei Königsbann richtet, jener homines
synodales, die nach dem statutum in favorein principum nicht vor
das Centgericht geladen werden dürfen, können in Österreich nur
auf dem Taiding des Herzogs entschieden werden, welches in der
Mark, wie wir oben gesehen, die Stelle des Grafengerichtes
vertritt.
Die Gleichstellung der Dienstmannen mit den Grafen und Freien
erklärt sich aus der hervorragenden Bedeutung, welche die Mini
sterialen in Österreich von je genossen und welche namentlich im
österreichischen Landesrechte scharf betont wird. Nicht als des Her-
x ) Folge die Zustimmung zum gefundenen Urtheil.
2 ) Landesrecht ältere Fassung Art. 11 verlangt Ebenbürtigkeit zum Zeugniss, Landes
recht ältere Fassung 47, jüngere Fassung 62 zur Klage auf Leib, Ehr und Eigen
und zum gerichtlichen Zweikampf.
Das gerichtliche Exemtionsreeht der Babenberger.
328
zogs, sondern als des Reiches Dienstmannen werden sie hingestellt,
die dem Herzoge vom Reiche zu Lehen sind *). Da Landesrecht
ält. Fassung, Art. 35 nur dem sentmässigen Manne und dem ritter-
bürtigen Bürger die Lehnsfähigkeit zuspricht, die Dienstmannen
aber nach beiden Relationen als lehnsfähig erscheinen, so sind wir
gezwungen die Dienstmannen als sentmässig zu betrachten, was um
so eher angeht, als ja überhaupt Schöffenbarkeit und Ministerialität
sich im 13. Jahrhunderte nicht mehr gegenseitig ausschliessen *).
Die Gerichtsverfassung des österreichischen Landesrechtes steht
somit in Bezug auf gerichtliche Ebenbürtigkeit im Gegensätze zu
jener der Mark des Ssp., während sie im Principe jener der Reichs
grafschaften entspricht. Meines Erachtens lässt sich aber mit grösserer
Sicherheit von den Bestimmungen des österreichischen Landes
rechtes als von jenen des Sachsenspiegels auf die früheren Verhält
nisse der Ostmark zurückschliessen.
3. Nach Ssp. II. 12. §. 6 gibt es in der Mark keinen Königsbann,
ein Satz, auf welchen man die Eigenthümlichkeiten der märkischen
Gerichtsverfassung zurückzuführen versuchte s) und dem der Ssp.
selbst eine principielle Bedeutung gibt, indem er die Gerichtsinsti
tutionen in der Mark jendh der Gerichte unter Königsbann eonsequent
gegenüber stellt. Schon aus dem Gegensätze würde folgen , dass
nach der Auffassung des Spieglers der Markgraf bei ei genem Banne,
bei eigener Gewalt dingt. Übrigens drückt er jenen Gedanken auch
1 ) Dieselbe Auffassung - findet sich bei Helbliug VIII, 34, 142 ff., 154. Haupt, Zeit
schrift für deutsches Alterlhum 4. Band.
Nach Ssp. III. 19 finden die Reichsdienstmannen vor dem Reiche Urtheil auch über
die Schöffenbaren, aber freilich nur in causae miuores. Dagegen bestimmt Landes
recht jüngerer Fassung Art. 47: wir setzen und gepieten, das die dienstman des lande«
wol urtail und volgen mögen getun umb alles das aigen, das in diesem land ist.
2 ) Ficker, Heerschild S. 169.
3 ) Zu weit geht Schulte a. a. 0. , wenn er es als natürliche Folge des Nichtvorhanden
seins des Königsbannes erklärt, dass die Gliederung der Gerichte nach den Ständen,
die Berufung an den König in der Weise , wie in anderen Territorien nicht stattfand
und die Verleihung des Richteramtes nur vom Markgrafen ausging. Die Eigenthüm-
lichkeit des märkischen Rechtszuges verdiente nicht besonders angeführt zu werden.
Mit dem Mangel des Königsbannes hängt sie entschieden nicht zusammen. Da es in
der Mark keine Schöffenbarfreien gab, konnte auch kein Schötenbarfreier als Bote
zum König gesandt werden,um die Entscheidung zu vernehmen. In der Mark konnte
jeder unbescholtene Mann Bote sein, sonst musste ein Schöffenbarer geschickt wer
den. Vergl. Ssp. III. 65. §.l, III. 70. §.l.
326
B r u n n e r
in positiver Fassung aus durch den Ausspruch: der Markgraf dingt
„bi sines selues hulden“ »).
Dies die Auffassung des Spieglers. Allein eine andere Frage
ist es, ob wir in jenen Sätzen ein juristisches Princip zu suchen
haben, das der märkischen Gerichtsverfassung und der staatsrecht
lichen Stellung des Markgrafen zu Grunde liegt, oder ob sie als der
allgemein gefasste Ausdruck, als die bildliche Einkleidung der ein
zelnen Besonderheiten der sächsischen Marken zu erklären sind 2 ).
i) Da nach Ssp. III. 64. §. 4 die Grafen unter Königsbann dingen, nach III. 64. §. 7
aber der Markgraf bei eigenen Ilulden richtet, so muss denf Spieglet* der letztere
Satz so viel bedeuten, als: der Markgraf dingt nicht bei Königsbann, also bei eigener
Gewalt. Es geht dies ausserdem hervor aus der Vergleichung von III. 65. §. 1. „die
marcgreue dinget bi sines selues hulden... dar vint iewelk man ordel
over den andern, den man an sime rechte nicht bescheiden ne mach“ mit Hi. 70. §. 1.
„swar man nicht ne dinget under koniges banne, dar mut iewelk man
ordel vinden over den anderen den man nicht rechtlos bescelden ne mach“. Die Glosse
führt zu III. 65. §. i „einem Artikel, den viel weise Leute ungleich verstanden und
mancherlei Weise gedeutet haben“, vier Auslegungsarten an.
1. Der Markgraf dingt bei der Hulde, die ihm geleistet wird (von Schöffen und
Richtern), eine Ansicht, die Gaupp acceptirt. (Stadtrechte d. M. II. S. 208 ff.)
2. Der Markgraf dingt bei der Hulde , die er dem Könige geleistet hat (wäre
nichts Eigenthüinliches).
3. Der Markgraf dingt bei eigener Gewalt (gewissermassen bei der Hulde, die
er sich selbst geleistet hat, so dass der ganze Ausdruck ein bildlicher wäre)
Homeyer Syst. d. Lehnr. S. 540: „Die markgräfliche Gerichtsgewalt ist dem Ssp.
gar nicht eine vom Könige stammende , der Markgraf richtet aus eigener Ge
walt“, ausserdem Stohbe Gerichtsverfassung des Ssp. Zeitschr. f. deutsches
Recht Bd. XV.
4. Des Markgrafen Richter dingen bei des Markgrafen Hulden, d. i. bei der
Hulde, welche der Markgraf dem Könige leistet. Dies die Auffassung der Glosse.
So gut sich die Stelle des Ssp. damit erklären lässt, so wunderlich ist die
Argumentation der Glosse , welche diesen Gedanken dem Spiegler selbst unter
schiebt und sich über das sprachliche Bedenken, dass dem Markgrafen dessen
Richter supplirt werden, durch Berufung auf das römische Recht hinweghilft,
denn „quae quis per alium fecerit ipse fecisse videtur. “
2 ) Es wäre von Interesse, dem Satze des Spieglers gerade in Bezug auf die Mark
Brandenburg nachzugehen. Nach einer Urkunde bei Gercken Codex dipl. Branden
burg. II. 346 (in Raumer’s Regesta hist. Brand. N. 1223) hat Markgraf Adalbert
der Kirche von Goslar 1155 (als Vogt und Graf) ein Besitzthum bei Königsbann
bestätigt, „banno regio in placito provinciali confirmo“. 1188 verspricht Mark
graf Otto allen Vergabungen an die Kirche von Stendal de mansis ad suarn
(„nostram“) iurisdictionem pertinentibus „marchionum auctoritatem quam
ab imperatoribus Frederico et Heinrico regibus quoque Conrado et Henrico filio
imperatoris Frederici accepimus“ zu gewähren (praestare). Die „marchionum
auctoritas“ wird also von königlicher Verleihung hergeleitet. Raumer 1552. Lenz
Markgräfl Brandenburg’sche Urkunden I. 5.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
327
Um zu entscheiden, was da Grund, was Folge sei, müsste man in
die Geschichte des Begriffes Königsbann, namentlich aber auf die
Umbildungen eingehen, die er im 13. Jahrhunderte bereits erfahren
haben mochte. Diesen Punct zu erörtern, würde mich zuweit über
meinen Gegenstand hinausführen, ich will mich daher darauf be
schränken, festzustellen, was einerseits zum mindesten aus jener
Stelle gefolgert werden kann, welche naheliegende Consequenzen
anderseits abzuweisen sind.
Die Natur des Königsbannes äussert sich nicht blos in der Höhe
des Gewettes. Es findet sich im Gegentheile in der späteren Zeit
ein Dingen zu eigenen Hulden bei der Höhe des Königsbannes. Nach
Swsp. (L. 141) dingen der Markgraf und der Landgraf bei eigenen
Hulden, auch wenn sie kein Fürstenamt haben t). Dem Landgrafen
wettete man aber nach Ssp. III. 64. §. 6 sechzig Schillinge.
Das charakteristische Merkmal des Gedinges bei eigenen
llulden muss daher im Gegensätze zu einer andern Äusserung des
Königsbannes liegen. Wie bereits oben erwähnt wurde, sollte jeder
höhere Richter die Gerichtsgewalt unmittelbar vom Könige empfan
gen. Von praktischer Bedeutung war diese Vorschrift nur für die in
dritter Hand befindlichen Gerichtslehen. Nur bezüglich der von den
Reichsfürsten belehnten Richter konnte eine Veranlassung vorliegen,
das Erforderniss der Bannleihe festzustellen. Die Fürsten selbst
leisteten ja ohnehin bei Gelegenheit der Belehnung die Hulde mit
Mannschaft und erhielten mit dein Fürstenamte zugleich die dem
selben entsprechende richterliche Gewalt. Der Bann war in der
Belehnung, die richterliche Hulde in der Lehnshulde inbegriffen.
Auch der Markgraf empfing auf diese Weise Gericht und
Gerichtsgewalt vom König. Der Unterschied zwischen ihm und den
übrigen Fürsten trat erst bei der weiteren Übertragung der Gerichts
barkeit hervor. Der vom Markgrafen eingesetzte höhere Richter
hatte die Gerichtsgewalt nicht erst vom Könige einzuholen, sondern
empfing vom Markgrafen mit dem Amte zugleich auch den Bann.
Während durch das Erforderniss der Bannleihe die abgeleitete
Gerichtsgewalt der Fürsten so augenfällig als möglich zur Erschei
nung kam, musste im Gegensätze dazu die markgräfliche Gerichts-
*) Der Schwabenspiegel betrachtet also das Gedinge zu eigenen Hulden als Ausfluss
des Fürstenamtes.
KOBSSSfNMmmfB'ZSi-.JfZm
mmtu
e}28 Brunner
barkeit als eine selbstständigere angesehen werden, so dass der
Gedanke nicht ferne lag, der Markgraf leite dieselbe überhaupt
nicht vom Könige ab, sondern dinge zu eigenen Hulden, aus eigener
Machtvollkommenheit!)•
Nimmt man den Satz des Ssp. ohne allen Vorbehalt hin, so
müsste man um der Consequenz willen annehmen, dass der Mark
graf die Gerichtsgewalt überhaupt nicht vom Könige lieh, sondern in
dieser Beziehung von vorneherein selbstständig war.
In der Mark gibt es keinen Königsbann würde hiernach gerade
zu bedeuten: in der Mark gibt es keine königliche Gerichtsgewalt.
Gegen den Gedanken, als dinge der Markgraf bei eigener Gewalt,
verwahrt sich selbst die Glosse zum Ssp., denn weder der Markgraf
noch sonst ein Richter vermöge zu richten ausser von Reichs wegen.
Vollends ungerechtfertigt wäre es, den Ausspruch des Ssp. ohne
Rücksicht auf zeitliche und territoriale Unterschiede auch für die
älteste Gerichtsverfassung sämmtlicher Marken als staatsrechtliches
Princip hinzustellen und sich den Markgrafen von Anfang an als
selbstständigen Gerichtsherrn zu denken. Wenn schon der erste Mark
graf bei eigener Gewalt richtete, so fehlte ihm wenig mehr zum
Landesherrn und kann von einer Entwickelung der Landeshoheit in den
Marken keine Rede sein, da sie ja von vorneherein vorhanden war.
Österreich hat in Entwickelung der Landeshoheit alle deutschen
Reichslande überflügelt oder doch mit jedem gleichen Schritt gehal
ten. Und dennoch spricht eine Reihe von Gründen dagegen, die
Gerichtsgewalt der Babenberger etwa als eine nicht vom Reiche
abgeleitete zu betrachten.
A ) Dass in der Mark kein Königsbann eingeholt wurde, dürfte sich vielleicht aus
der oben entwickelten Gerichtsorganisation der Mark erklären lassen. Ursprüng
lich übte der Markgraf die höhere Gerichtsbarkeit selbst aus, es war also über
haupt kein Anlass zur Bannleihe vorhanden; später liess er sich durch Beamte
vertreten , die aber durchaus nicht in jenem Verhältnisse zu ihm standen , wie
etwa Graf oder Vogt zu den übrigen Reichsfürsten. Das Gedinge des Landrich
ters , der da sass an des Herzogs statt, wurde als das Gedinge des Herzogs
selbst betrachtet. Dagegen kann das Gericht des Grafen nicht etwa das Ge
richt des Fürsten genannt werden, von dem er die Grafschaft zu Lehen hat
Seinen stellvertretenden Richtern verlieh der Markgraf selbst die Gerichtsgewalt,
die er seinerseits vom Könige empfangen. Insoferne gab es auch in Österreich
keinen Königsbann. Vergleiche das Verhältniss zwischen Graf und Schultheiss,
soferne dieser jenen zu vertreten hatte. Stobbe die Gerichtsverf, des Ssp. in der
Zeitschr. für deutsches Recht. XV, p. 100.
f
(
i
*
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger. 329
Voi- Allem verwickeln jene sich in einen unlösbaren Wider
spruch , die wie Berchtold die Abhängigkeit der Ostmark von Baiern
zugebenund zugleich auf den eigenen Bann des Markgrafen so
besonderes Gewicht legen. Demnach hätte der Herzog von Baiern
bei geliehenem Banne, der von ihm abhängige Markgraf als selbst
ständiger Gerichtsherr bei eigenem Banne gedungen.
Wie vereint sich ferner die Selbstständigkeit der Gerichtsgewalt
mit der Lehnrührigkeit des Gerichtes? Während ein allodialer Ge
richtsinhaber oder ein nicht unmittelbar vom König belehnter Richter
die Gerichtsgewalt vom Könige leihen mussten, sollte bei einem
unmittelbaren Lehnsträger gerade das Gegenlheil eingetreten sein!
Sonst selbstständiges Recht und abgeleitete Gewalt, hier abgeleitetes
Recht und selbstständige Gewalt. Ein sonderbares varepov Trpwrspov.
Dass in den österreichischen Marken die Gerichtsbarkeit vom
Könige abgeleitet wurde, erhellt aus einer Urkunde K. Friedrich’s II.
für Lilienfeld, in welcher der Kaiser eine Exemtion des Herzogs
bestätigt~). „Si quae sunt, quae forte ad nostram spectant iuris-
dictionem, quae tarnen praefatus princeps donatione nostra et im-
perii tenuit ac teilet speciali videlicet. iudicium quod dicitur Iant-
gerihte et compositiones et banos et marhfutter et foditias s ) . . .
Denselben Gedanken spricht eine Urkunde von 1189 aus, in welcher
K. Friedrich I., die österreichischen Besitzungen Freisings eximirt,
1) a. a. 0. S. 12.
2 ) Meiller Reg-, der Babenberger S. 121, Nr. 147.
3 ) Berchtold fuhrt diese Urkunde an zum Beweis der obersten von Kaiser und
Reich erworbenen Gerichtsgewalt des Herzogs (Landeshoheit S. 170) ohne
auf das daraus resultirende Verhältniss zwischen König und Herzog näher ein
zugehen. Siegel (a. a. 0. S. 115) folgert daraus die Lehnrührigkeit der herzog
lichen Gerichtsbarkeit. Befremden könnte nach letzterer Auffassung allenfalls der Aus
druck: „speciali donatione“. Doch wird „donatio“ auch sonst noch um diese Zeit
von Belehnungen gebraucht. Die constitutio pacis von 1156 spricht von dem donum
investiturae, welches der Lehensherr als Gewährsmann seines Vasallen aner
kennt. 1180 wird dem Erzbischof von Köln das Herzogthum Westphalen legi-
timo donationis titulo übertragen und derselbe vexillo imperiali damit belieben
(investivimus). Es ist also nicht sowohl auf das donatione, als auf das speciali
der Ton zu legen. Und dies weist allerdings darauf hin , dass dem Rechte des
Königs über die Gerichtsbarkeit in den Herzogthümern ein ausserordentliches
Recht des Herzogs gegenüberstand , mit welchem wir uns weiter unten beschäf
tigen werden.
a
330 Brunner
nachdem Herzog Leopold und dessen Sohn resignassent justiciam,
quam per dominicalia frisingensis episcopi quondam *) ab imperio
possederunt in Austria i. e.marhrecht et lantgerihte etburwerch,
quae specialiter ad usus eorum respiciebant a ).
Stammte die Gerichtsbarkeit des österreichischen Landesherrn
nicht vom Reiche, so muss sie consequent als eine „oberste Gerichts
barkeit“ betrachtet werden, eine Bezeichung, deren Berchtold sich zur
Charakterisirung der durch das Privilegium minus geschaffenen Stel
lung der Babenberger bedient, die aber, soll siekeinePhrase sein, zum
mindesten juristisch ungenau ist. Denn mit jener „obersten Gerichts
barkeit“ lässt sich schlechterdings nicht in Einklang bringen, wie
denn überhaupt ein Rechtszug aus der Mark an das Reich stattfin
den konnte. Und doch wird nach Ssp.II. 12 §§.4,6 ein gescholtenes
Urtheil des Markgrafen an den König gezogen« Für die Steiermark
wird der Rechtszug an das Reich ausdrücklich Vorbehalten in dem
Vertrage, welchen Leopold V. und der letzte Ottokar 1186 17. Aug.
über den Anfall der Steiermark abgeschlossen und worin unter anderm
bestimmt wird : claustrales, ministeriales comprovinciales.... appel-
landi et adeundi imperaforis curiam ... irrefragabilem habeant licen-
tiam 3 ). Was die Ostmark betrifft, so sagt Landesrecht, Art. 2[: „wil
aber im (einem Grafen, Freien oder Dienstmann) des landes herre
vnrecht tun, so sol er mit recht dingen an das reich und davon
sein recht pringen als im ertailt wird“. Über den bei handhafter
That ergriffenen Dienstmann soll nach Art. 3 der Landesherr rich
ten mit dem Tode „entrinnt er im, er sol in in die acht tun vnd nach
der acht so sol er in bechlagen vor dem reiche und sol man vor
dem reiche urtail ueber in tun als im erteilt wirt vnd sol im sein ere
und sein recht nyeman benemen nur das reich“. Die Gerichtsgewalt
des Landesherrn war somit nach oben hin keine abgeschlossene,
von einer „obersten Gerichtsbarkeit“ kann also keine Rede sein. Der
HerzogdurftedenDienstmann nur verfesten, jedoch nicht dieAberacht
über ihn aussprechen. Es ist bezeichnend, dass dieses Recht für be
stimmte Fälle nach dem bekannten Entwürfe der Erhebung Oster-
i) Das „quondam“ erklärt sich aus der von Herzog' Heinrich 1164 der freising’schen
Kirche verliehenen Immunität.
*) Meiller 66, 43.
:l ) Urk. Buch des Landes ob der Enns (U. o. E.) II. 400.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
331
reiclis zum Königreiche •) dem eventuellen Könige ertheilt werden
sollte. „Illud etiam iuri regio et honori conjungimus ut, si aliquis
comes nobilis et ministerialis vel miles de regno tuo contra te et suc-
cessores tuos et terram tuam forsan excess erit et pro suo excessu
castrum vel munitiones suas ab excedente per te vel nuntios tuos peti
contigerit ipsumque negaverit assignare, ipsum ex iure regia; digni-
iatis per sententiam curi® tu® bampnire et foriudicare valeas ipsum
que exlege rn facere omnis iuris suffragio prout moris imporii eari-
turum 2 ).
Fassen wir das Resultat der Parallele zwischen der Mark des Sach
senspiegels und den österreichischen Marken zusammen, so ergaben
sich uns die dort angeführten Eigentümlichkeiten der märkischen
Gerichtsverfassung als Specialitäten der sächsischen Marken 3 ), den
Umstand ausgenommen, dass des Markgrafen Richter nicht den
Königsbann einzuholen haben.
Die Anwendbarkeit der die Mark betreffenden Stellen des Sach
senspiegels folgert Schulte „direct“ aus folgender Bestimmung
des privilegium minus: „statuimus quoque ut nulla magna vel parva
persona in eiusdem ducatus regimine sine ducis consensu vel permis-
sione aliquam iusticiam presumat exercere“. Berchtold hat den
von Schulte angedeuteten Gedanken des weiteren ausgeführt, zum
Theil wesentlich modificirt. Nach ihm wurde durch das Privilegium
minus der Herzog Inhaber des Königsbannes, das heisst der obersten
Gerichtsbarkeit für den ganzen Umfang des Herzogthums. „Alle
herzoglichen Richter, alle allodialen und feudalen Besitzer von Ge
richtsbezirken und deren Beamte sollten den Bann nicht mehr vom
Könige, sondern nur mehr vom Herzog empfangen“. „Jeder Richter
im Lande musste den Gerichtsbann, modern ausgedrückt, die Autorisa
tion zur Ausübung der Gerichtsgewalt, sich vom Herzoge erbitten.“
Berchtold stellt diese Ansicht wohl nur als Hypothese hin;
einen zwingenden Beweis für dieselbe zu führen, hat er gar nicht
1 ) Wurdtwein nova subsidia diplom. XII, 24/25. M. 18i, 148.
2 ) Vergleiche das privilegium de non appellando der Krone Böhmens, deren Stellung
bei diesem Entwürfe zum Vorbild gedient haben mag.
s ) Der Ssp. hat offenbar bei Darstellung der Markverhältnisse nur die sächsischen
Marken im Auge. Nach III. 70. §. 1. vergl. mit III. 65. §. 1, können Wenden und
Sachsen nicht gegenseitig über sich Urtheil finden, gewiss keine Bestimmung, „die
auf jede Mark passt.“ (Schulte a. a. 0.)
332
Brunner
versucht i). So blendend sie als solche auch sein mag, so scheint
sie mir denn doch einer näheren Untersuchung gegenüber nicht Stich
zu halten. Vor Allem sagt Berchtold zu viel, wenn er behauptet,
dass zu Folge der Erwerbung des Königsbannes jeder Richter vom
Herzoge den Bann leihen musste. Der Königsbann wurde nur für
die höhere Gerichtsbarkeit geliehen. Wenn wir aber Berchtold
corrigiren und annehmen, dass nur jeder höhere Richter den Bann
des Herzogs einholen sollte, so kommen wir in Widerspruch mit
dem Wortlaute des Minus, welches diesen Unterschied nicht macht,
sondern schlechtweg von nulla magna vel parva persona spricht.
Somit können die Worte „sine ducis consensu vel permissione“ nicht
auf die Ertheilung des Bannes bezogen werden, ohne der ganzen
Stelle Gewalt anzuthun.
Die Corisequenzen, zu welchen die Berchtold’sche Ansicht führt,
verrücken die naturgemässe Stellung, welche sonst um diese Zeit
der König zu den Reichsfürsten einnimmt. Wenn die Scheidung von
Gerichts- und Bannleihe überhaupt eintrat, so war es das regelmäs
sige Verhältniss, dass der geistliche oder weltliche Fürst das Gericht,
der König den Bann lieh. In Österreich wäre nach Berchtold der
umgekehrte Fall möglich, dass der König das Gericht, der Herzog
den Bann lieh, eine Abnormität, die nur durch ein totales Aufge
ben der königlichen Gerichtsgewalt und eine völlige Lostrennung des
Herzogthums vom Reiche zu erklären wäre.
*) S. 166, Note 17 beruft sich Berchtold auf Leopold’» VI. Urkunde für St. Lambrecht
von 1202 M. 89, 36, in welcher dieser Kirche das Landgericht mit Ausnahme des
Blutbannes übertragen wird. Die Stelle, auf die es ankommt, lautet: illud quo-
que superaddimus, si in supradicto praedio vel in omnibus novalibus in Keinah et
per totam marchiam sitis aliquis ex hominibus nostris ab hominibus ipsorum vulne-
retur, satisfiat laeso ; ius vero ba nni apud ipsos totaliter permaneat. Die Worte „ius
vero banni . . . permaneat“ sind Berchtold ein deutlicher Beweis, dass der Herzog
die Verleihnng des Bannes in Händen hatte. Bannus bedeutet aber hier nicht
die Gerichtsgewalt, sondern den Wandel, der dem Richter zufallt, im Gegen
satz zur satisfactio, die dem Verletzten, respective dessen Herren zu Theil wird.
(Gewette im Gegensatz zur Busse im Sinne des Ssp.) Es ergibt sich dies aus dem
Zusammenhänge, namentlich aus dem „totaliter,“ welches den naheliegenden
Gedanken einer Theilung der Bannsumme ausscliliessen soll. Vergl. Leopold II.
für Garsten v. 1209 Meiller 103, 83 „bannos pugnarum . . . abbas solus recipiat“
Leopold VI. für Florian 1209. M. 103, 82 „bannos pugnarum . . . officiales
ecclesiae exequantur.“
Das gerichtli che Exemtionsrecht der Babenberger.
333
Obwohl Berchtold bei Auslegung unserer Stelle von der wört
lichen Übersetzung derselben ausgeht, entfernt er sich dennoch unbe
wusst immer mehr und mehr von seinem ursprünglichen Ausgangs-
puncte. Vor Allem müsste es auffallen, dass das dem Herzog verlie
hene Recht, der Bannleihe, welche ja doch, wie Berchtold nach
Ssp. III. 63. §. t annimmt, in der Mark langst eine scharfe juristi
sche Bedeutung erlangt hatte, in der Urkunde nicht präciser ausge
drückt wurde. Wenn sonst die Reichskanzlei den in Frage kommen
den Gedanken durch den Ausdruck bannum (de manu regia) acci-
pere *) bezeichnete, lässt sich schlechterdings nicht einsehen,
warum sie nicht auch im priv. minus sagte: nulla .. persona... pre-
sumat, nisi bannum de manu ducis acceperit. Unser Satz spricht
dagegen von permissio und consensus. „So wenig aber der deutsche
König den Bann verweigern konnte, wem ein Gerichtsbezirk zustän
dig war“ ebensowenig konnte er den Herzogvon dieser Beschränkung
entbinden 3 ). Hiemit gelangen wir zum geraden Gegentheil dessen,
was das Minus sagt. Der Herzog muss jenem den Bann leihen, dem
das Gericht geliehen ist. Wo bleibt da die permissio? wo der Con
sensus?
Noch künstlicher gestaltet sich Berchtold's Auslegung durch
eine Argumentation, zu welcher er sich durch Ssp. III. 63. §. 1 ge
zwungen sieht. Mit Schulte nimmt er an, dass bereits der Markgraf
von Österreich bei eigenem Banne gedungen habe, jedoch nur zu
30 Schillingen. Demnach hätte die Bestimmung des Minus durchaus
keinen Werth gehabt, wenn dem neuen Herzog nicht eine grössere
Gerichtsbarkeit verliehen worden wäre, als er schon bis dahin in
seiner Eigenschaft als Markgraf besessen. Um denn nun seine Hypo
these von der Bannleihe aufrecht zu erhalten, gelangt Berchtold
zu der Behauptung, durch das Minus sei dem Herzoge das Recht ver
liehen worden, nicht mehr wie bisher zu 30, sondern bei Königs-
bann, d. h. zu 60 Schillingen in eigenem Namen zu dingen 3 ). So
mit hätten die Worte „nulla .. persona sine ducis eonsensu vel per-
missione . . . iustitiam presumat exercere“ strenge genommen die
*) Reichssentenz Konrad’s 111. 1149, 21. VIII, Pertz. Legg. II, 564.
a ) Berchtold n. a. 0. S. 104. Note 16 „nach der bekannten Rechtsregel: nemo plrs iurit
in alinm transferre potest quam ipse habuit.“
3 ) Berchtold S. 163, Note 15.
• ■
Mi
334 Brunner
Bedeutung: der Herzog soll nicht mehr wie bisher zu 30, sondern
zu 60 Schillingen dingen. Dass man, um diesen concreten Gedanken
auszudrücken, die vieldeutige und abstrakte Form unseres Satzes
gewählt hätte, dünkt mich bei dem Urkundenstyle des Mittelalters,
so ungenau er oft ist, in hohem Grade unwahrscheinlich.
Übrigens rechtfertigten sich auf keinen Fall die Folgerungen,
welche Berchtold aus der Erhöhung des Bannes von 30 auf 60 Schil
linge zieht; beim Lichte besehen, schrumpft nach dieser Auslegung
die Bedeutung des Privilegiums in Bezug auf die Gerichtsbarkeit
auf ein Minimum zusammen. Wenn, wie Berchtold annimmt, schon
der Markgraf hei eigenem Banne dingte, so waren die Babenberger
bereits vor 11S6 Jnhaber der ,;obersten Gerichtsgewalt“ innerhalb
ihres Landes und da folgerichtig die markgräflichen Richter den
Bann aus der Hand des Markgrafen empfingen, so konnte die Neue
rung des Minus unmöglich darin bestehen, dass die herzoglichen
Richter den Bann nicht mehr vom Könige, sondern vom Herzoge
einholen sollten.
In einer Urkunde von 1168, welche Ficker zur Verteidigung
der Echtheit des Minus gegen Lorenz in’s Treffen führte (sie be
trifft die Erneuerung der Rechte des Bischofs von Würzburg als
Herzogs von Ostfranken) findet sich ein Passus, von dem Ficker mit
Recht behauptet, dass er im Wesentlichen dasselbe sage, wie der oft
erwähnte Satz des österreichischen Privilegs, „Ne aliqua ecclesia-
stica secularisve persona per totum Wirzburgensem episcopatum et
ducatum et comitias infra terminum episcopatus et ducatus sitas iudi-
ciariam potestatem de predis vel iucendiis aut de allodiis vel bene-
ficiis sive hominibus deinceps exerceat nisi solus episcöpus et d ux vel
c ui commiserit 3 ). Wenden wir auf diese Stelle die Berchtold'sche
Interpretation an, so zwingt sie uns zu einer Folgerung, die mit
kanonischen- und Reichsgrundsätzen in offenbarem Widerspruche
steht. Wie 11S6 dem Herzoge von Österreich wäre 1168 dem Bi
schöfe von Würzburg, und zwar diesem ausdrücklich in den Fällen
der höheren Gerichtsbarkeit, das Recht der ausschliesslichen Bann
leihe gewährt worden. Allein gerade die geistlichen Fürsten dürfen
den Blutbann nicht verleihen, den sie nach kanonischem Rechte nicht
selbst ausüben können. Noch ein Jahrhundert später — sowohl Ssp.
i) Ficker: Über die Echtheit des kleinen österr. Freiheitsbriefes. Sitz.-Ber. XXIII. 513.
Momimenta Boica. XXIX». 387.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
335
'als Dsp. und Swsp. verlangen es — ist von den geistlichen Fürsten
allgemein anerkannt, dass der von ihnen eingesetzte höhere Richter
vom Könige den Bann einzuholen habe.
Aus den angegebenen Gründen muss ich mich gegen Bercli-
told’s Auslegung erklären, aut die Gefahr hin, keine bessere an deren
Stelle setzen zu können. Die wörtliche Übersetzung: Niemand darf
ohne Zustimmung und Erlanbniss des Herzogs Gerichtsbarkeit aus
üben, lautet zu allgemein, als dass man dabei stehen bleiben könnte.
Je extensiver man das Recht des Heizogs fasst, desto m hr schwächt
sich dessen Inhalt ab. Je intensiver man sich das Recht denkt, desto
mehr ist der Umfang desselben einzuschränken. Ich glaube, dass in
letzterer Richtung vorzugehen sei. Die königliche Verleihung konnte
dem Herzoge kein Recht gewähren bis in jene Kreise hinab, auf
welche sich die öffentliche Gerichtsbarkeit überhaupt nicht mehr er
streckte, die Kreise des Hofrechtes, der grundherrlichen Gerichtsbar
keit. Ebenso wenig konnte durch das Minus der Bestand der vor 11Ö6
verliehenen Immunitäten berührt werden, insoferne diese neben der
grundherrlichen auch öffentliche Gerichtsbarkeit involvirten. Der
König konnte ja kein Recht verleiben mit Beeinträchtigung fremder
wohlerworbener Rechte. Ein Verzicht der dadurch geschmälerten
Gewalten ist nicht bekannt, eben so wenig wie ein Widerstreben, wie
es unmittelbar nach einer solchen Neuerung sicher nicht ausge
blieben wäre. Dagegen steht nichts im Wege, die Stelle auf die Ent
stehung neuer, auf die Ausdehnung bestehender Immunitäten zu be
ziehen, durch welche die öffentliche Gerichtsbarkeit des Herzogs
verkürzt worden wäre.
Diese praktische Consequenz können wir festhalten, auch wenn
wir der Stelle zunächst eine allgemeine, mehr theoretische Bedeutung
beilegen. Eine stricte, unbeschränkte Anwendung verträgt sie nicht
und es wäre meines Erachtens vergeblicheMühe dieFoi mel zu suchen,
die sie nach allen Richtungen hin als eine ausnahmslose Neuerung
erscheinen Hesse. Suchen wir dem Satze eine positive Fassung zu
geben, so kommen wir dem wörtlichen Sinne am nächsten, wenn
wir commentiren: die Gerichtsbarkeit steht nur dem Herzoge zu
oder jenem, dem er sie gestattet. Welches mochte die Veranlassung
sein eine derartige Bestimmung in das Privilegium aufzunehmen?
Bereits um die Mitte des 12. Jahrhunderts war der Zusammen
hang zwischen den alten Reichsämtern und der ihnen entsprechenden
twmgsm
336 Bf» u n e i'
Gerichtsbarkeit stark gelockert. Zahlreiehe Exemtionen von Seite
des Königs, Loslösung ganzer Grafschaften aus dem Verbände der
Herzogtümer, ganzer Centschaften aus dem Verbände der Graf
schaften hatten die alten Gerichtssprengel arg zerstückelt. Es ist
bekannt, dass der Ausbildung der Landeshoheit die sogenannte
Gauzertrümmerung vorausging. Das Richteramt als solches hatte
keinen Schutz gewährt gegen die eingreifendsten Schmählerungen
der Amtsbefugnisse. Die Gewalt des öffentlichen Beamten hatte einen
fast subsidiären Charakter angenommen und die Gerichtsbarkeit wurde
als Gegenstand besonderer Verleihung aufgefasst. So darf uns denn
nicht Wunder nehmen, dass bei Schöpfung eines neuen Herzog-
thumes dem Herzoge die Gerichtsbarkeit ausdrücklich zugesichert
wurde, als ein mit dem Herzogthume untheilbar verbundenes Recht.
Der Rechtstitel, auf Grund dessen er sie von nun an ausüben sollte,
war dadurch ein stärkerer geworden. Nicht blos kraft seines Amtes,
das als solches keine Bürgschaft bot gegen das Aufkommen exterri
torialer Gewalten, sondern kraft besonderer Verleihung „ex donatione
speciali“ handhabte der Herzog die Gerichtsbarkeit „cjuae specialiter
ad eins usum pertinet.“ Das frühere Richteramt wurde dadurch recht
lich als ein Lehen im strengen Sinne des Wortes anerkannt. War
somit die Bestimmung des Minus der Hauptsache nach eine Erneu
erung und Bekräftigung der markgräflichen resp. herzoglichen
Gerichtsgewalt, so hatte sie doch in dem bereits oben angedeu
teten Sinne praktische Bedeutung.
Die öffentliche Gerichtsgewalt des Reichsbeamten hatte von
zwei Seiten her Einbusse zu befürchten, von unten durch die Bestre
bungen der Grund- und Immunitätsherrn, die ihre Rechte factisch
auszudehnen suchten, von oben her durch gesetzliche Exemtionen
von Seite des Königs. Nur auf dies letzere Verhältniss ist hier näher
einzugehen. Die Stellung des Herzogs zum Könige erlitt nämlich
durch das Minus insoferne eine wesentliche Änderung, als jener gegen
jede fernere Exemtion des Königs geschützt wurde. Da in den Marken
eine straffe Amtsgewalt aus politischen Rücksichten geboten war,
so hatten die Könige daselbst von ihrem Exemtionsrechte von je
äusserst rücksichtsvollen Gebrauch gemacht. Dass aber dennoch
Exemtionen vorkamen, werde ich in der Folge zeigen. Durch das
Minus wurde der politische Grundsatz zum Reehtssatz erhoben. Von
nun an konnte der König innerhalb des Herzogt,luimes keine Immu-
Das gerichtliche Exemtionsrecbt. der Bahenherger.
337
nität mehr verleihen, ohne sieh der Zustimmung des Herzogs zu ver
sichern. Um die Bedeutung dieser Bestimmung zu ermessen, braucht
man nur auf der Karte des 13. Jahrhunderts die babenbergisclien
Lande mit dem benachbarten Baiern zu vergleichen. In Österreich
keine reichsunmittelhare Kirche, keine reichsunmittelbare Stadt,
während der Gerichtssprengel des bairischen Herzogs mit Reichs-
bisthümern, Reichsabteien und Reichsstädten wie besäet ist.
Wenn nun die Bestimmung des Minus das einseitige Exem
tionsrecht des Königs ausschliesst, so lässt sich doch daraus nicht
umgekehrt folgen, dass der Herzog über sein Gerichtslehen unum
schränkt verfügen und von seiner Gerichtsbarkeit selbstständig
eximiren konnte. Berchtoid widerspricht sich selbst, wenn er auf
Grund seiner Auslegung behauptet: „da der Herzog nach dem Minus
allein das Recht hatte den Gerichtshann in seinem Lande zu ver
leihen, so versteht es sich von seihst, dass er der oberste Richter
des Landes war, seine Gerichtsgewalt im (?) Zweifel beliebig weiter
leihen und von derselben ganz nach Gutdünken Befreiungen, Exem
tionen im grösseren und geringeren Masse gewähren konnte.“
Gesetzt aber nicht zugegeben, dass der Herzog das ausschliess
liche Recht der Bannleihe hatte, so folgt doch daraus nicht das
unbedingte Exemtionsrecht desselben. Gerade wenn man sich auf
den Boden der Berchtold’schen Ansicht stellt, muss man zugeben,
dass Selbstständigkeit der Gerichtsgewalt und Lehnrührigkeit des
Gerichtes nebeneinander* bestehen konnten. Da aber die Gerichts
barkeit des Herzogs vom Reiche lehnrührig war, durfte er ohne
Einwilligung des Lehnsherrn weder eine wie immer geartete Ver-
äusserung noch eine den Grundsätzen des Gerichtslehens wider
sprechende Verafterleihung derselben vornehmen. Die Bannleihe
steht in keiner unmittelbaren Beziehung zur Exemtion. Sie käme
erst dann in Betracht, wenn es sich handelte dem vom neuen Immu
nitätsherrn eingesetzten Richter die Gerichtsgewalt zu ertheilen.
Dagegen greift die Exemtion die Substanz des Lehens direct an,
und setzt eine weitgehende Befugniss über dasselbe voraus, die aus
der nur negativ gehaltenen Stelle des Privilegiums nicht herausge
lesen werden kann.
Die hiemit abgeschlossenen Erörterungen über die Gerichts
hoheit der Babenberger im allgemeinen, haben die Frage nach dem
gerichtlichen Exemtionsrechte nicht gelöst. Doch dient uns das
Sitzb. d. phil.lfist. CI. XLVII. Bd. I. Hft, 23
338
ß r u n n e r
gewonnene Resultat, so bescheiden es ist, zum Anhaltspunete für den
weiteren Gang der Untersuchung, indem es eine locale und eine zeit
liche Scheidung des Urkundenmaterials nöthig erscheinen lässt. Eine
locale, denn die Marken haben eine eigenthümliche Gerichtsver
fassung und die Babenberger besitzen in späterer Zeit Gebietstheile
ohne Markverfassung. Eine zeitliche, denn das Privilegium von 11S6,
war jedenfalls von Einfluss auf die Entwickelung des herzoglichen
Exemtionsrechtes, mag dieser Einfluss nun ein directer oder indi-
recter gewesen sein.
Die verhältnissmässig grosse Anzahl von Immunitätsbriefen,
welche österreichischen Kirchen oder auswärtigen Stiftungen für
österreichisches Stiftsgut verliehen worden, bietet der Untersu
chung eine zwar breite aber ziemlich unsichere Basis. In vielen Fällen
ist es nämlich schwierig zu unterscheiden, ob es sich um eine Exem
tion von der öffentlichen Gerichtsbarkeit, also vom Landgerichte
oder von der Vogteigerichtsbarkeit handelt. Um diesen Gegensatz
klar zu machen, ist ein rascher Überblick über die Entwickelung der
Vogtei nöthig.
Die Vogtei wuchs aus dem deutschrechtlichen Grundsätze her
aus, dass der Pfaffe nicht wehrhaft sei. Erbedurfte eines Vormundes,
der ihn nöthigenfalls mit den Waffen in der Hand zu schützen, und,
da ja die altdeutsche Gerichtsverfassung auf das innigste mit der
Wehrfähigkeit zusammenhing, vor Gericht zn vertreten hatte ').
Was vom Einzelnen, galt auch von der Corporation. War eine solche
von der öffentlichen Gerichtsbarkeit, befreit worden, so hatte der
Vogt nicht nur den äusseren Frieden der Kirche zu schützen, sondern
auch den inneren Frieden derselben zu wahren. Er richtete, soweit
der Kirche die höhere Gerichtsbarkeit übertragen worden war, über
alle Verbrechen, die als Friedbrüche galten. In der Regel scheint
der Vogt auch die niedere Gerichtsbarkeit überkommen zu haben.
Der Grund liegt nahe. So lange die Immunität auf die blosse Ver
tretung der Hörigen beim Grafengerichte beschränkt war, geschah
diese durch den Vogt. Als die Kirche die eigene Gerichtsbarkeit
erhielt, wurde naturgemäss der Vertreter der Hörigen zum Richter
1 ) Vergl. Kraut, die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechtes.
B. I, S. 18, 30 ff.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
331»
derselben i). Ursprünglich war der Vogt ein Beamter der Kirche.
Wie schon der Name advocatus sagt, hatte er nur auf den Ruf han
delnd einzuschreiten. Allein trotz aller Gegenmassregeln wurde das
Amt ein erbliches Lehen. Die Vögte schwangen sich zu Herren der
Kirchen auf, erhoben, gestützt auf ihre Gerichtsbarkeit, unter dem
Titel des Vogtrechtes Abgaben aller Art und verfügten über Güter
und Leute des bevogteten Klosters wie über ihr Eigenthum 2 ).
In Österreich besitzt eine Anzahl von Klöstern volle oder theil-
weise Immunität von der öffentlichen Gerichtsbarkeit, ohne dass
wir um die Erwerbung derselben wissen. Die Vogteien der meisten
dieser Klöster vereinigen die Babenberger in ihrer Hand, sei es nun
als Patronats- oder Lehensvogteien. Da sie die Vogtei nicht überall
seihst ausüben konnten, so übertrugen sie in den meistert Fällen die
Vogteigerichtsbarkeit mit Vorbehalt der übrigen Vogteirechte eigenen
Richtern, oft sogar geradezu den Landrichtern. Ein solches Ver
fahren musste die erworbene Immunität in ihren Wirkungen wieder
zu nichte machen. Die Redrückungen der Untervögte, die der
Kirche stets auf dem Nacken sassen, da ihre Gewalt sich nur auf
das Klostergut erstreckte, fielen schliesslich lästiger als früher die
Wirksamkeit des öffentlichen Richters, die doch einen grösseren
Sprengel umfasst hatte. Daher streben die Klöster, wie sie früher
nach der Exemtion von der öffentlichen Gerichtsbarkeit gestrebt,
nun nach der Befreiung von der Vogteigerichtsbarkeit, die an deren
St eile getreten war. So tritt denn eine allgemeine Umwandlung
dieses Verhältnisses ein, die man vielleicht „gerichtliche Entvogtung“
nennen könnte 3 ). Die Klöster werden von der Gerichtsbarkeit der
*) Unzureichend scheint mir der Grund, welchen Montag, Geschichte der deutschen
staatsbürgerlichen Freiheit, für die Vereinigung der mit Unrecht principiell geschie
denen Schutz- und Gerichtsvogt ei vorbringt, nämlich die Ersparungsrücksicht der
Kirchen, die nicht zugleich einen Schutzherrn und einen Gerichtsverwalter bezahlen
wollten,
2 ) Vergl. Leopold VI. für Lambrecht 1202, M. 89, 36: cum nos in eodem predio tertium
mansum iure fori et advocatie dominio nostro adtraxissemus und Pertz XVII, 373 IF.
de advocatis Altahensibus.
3 ) Auch die Freiheit von der Vogteigerichtsbarkeit ist eine Immunität; so wird sie
in den Urkunden manchmal genannt. Auch die Befreiung von derselben ist eine
Exemtion (ggnau genommen eine redemtio). Allein der Kürze des Ausdruckes
wegen spreche ich von „Vogtfreiheit und Entvogtung,“ und nenne dagegen die
Freiheit vom Landgerichte „Immunität,“ die Befreiung von demselben „Exemtion“
schlechtweg.
22
340
ß r 11 n n e r
Vögte befreit und diese wird vom neuen der Kirche übertragen,
welche sie durch ihre eigenen Amtleute auszuüben befugt wird.
Diese Entvogtung macht sich in Österreich zu einer Zeit geltend,
in welche die meisten und wichtigsten Immunitätsprivilegien fallen.
Aus derselben Ursache, welche die Entvogtung hervorrief, wird
nur selten mehr die Immunität, wo sie noch nicht erworben worden,
allein ertheilt, sondern von vorne herein zugleich die Freiheit von
der Vogteigerichtsbarkeit ausgesprochen, da man einsehen gelernt,
dass jene ohne diese keinen Werth besitze. Wo Immunität allein
oder Vogteifreiheit allein verliehen wird, geben allgemeine Aus
drücke, wie iudex, iudicium, iusticia keinen Anhaltspunct uns für
eine von beiden zu entscheiden, um so weniger als Land- und Vogt
ding nicht blos von modernen Urkundenforschern, sondern auch von
mittelalterlichen Urkundenschreiberu nicht immer scharf auseinander
gehalten wurden. Für die gerichtshoheitliche Stellung der Baben
berger ist diese Unterscheidung von selbstverständlicher Wichtig
keit. Bei der Entvogtung tritt der Herzog als Inhaber der Vogtei
gerichtsbarkeit, also eines Privatrechts, bei der Exemtion als Inhaber
der öffentlichen, der vom Reiche geliehenen Gerichtsbarkeit auf.
Periode von 976—1156.
In der Zeit unmittelbar nach Wiederherstellung der Ostmark
stand ein grosser Theil von Grund und Boden im Eigenthum des
Königs und war als solches frei von allen öffentlichen Abgaben und
Leistungen *). Durch Schenkung oder Belehnung ging das Königsgut
allmählich, und zwar vermuthlich mit der ihm anhaftenden Immunität
in die Hände der Kirche, des Markgrafen oder der Edlen des Lan
des über.
Bairische wie fränkische Klöster hatten schon vor Rückerobe
rung des Landes Besitzungen innerhalb des späteren Markgebietes,
an welchen sie nach Vertreibung der Ungern das frühere Eigen
thum und die damit verbundenen Rechte geltend machten. Da die
Kirchen sich ihre Vorrechte in der Regel auch für alle künftigen
!) Waitz, Verl'assungsgeschichte IV, 243 ff.
Das gerichtliche Eeemtionsrecht der Babenberger.
341
Erwerbungen verleihen Hessen, so mochten jlie Vorsteher derselben,
mitunter wohl auf karolingische Privilegien zurückgehend, auch für
neu erworbenes Gut dem Markgrafen gegenüber die Immunität
beanspruchen. Ausserdem wurden von den Königen verliehene
Immunitäten erweitert, neue verliehen.
So stellt 98S Otto III. dem Bisthum Passau eine Urkunde aus,
in welcher die Freien, welche die Kirche aus Mangel an Knechten
als Colonen aufnimmt, von der Amtsgewalt des Markgrafen befreit,
die öffentlichen Abgaben derselben der Kirche geschenkt werden i).
Sie sollen weder vom Markgrafen noch sonst von einem Richter
angehalten werden, Gewetfe zu zahlen — wie es aus verschie
denen Gründen das deutsche Gerichtsverfahren erheischt — oder
das Grafengericht zu suchen, jene Fälle ausgenommen, in welchen
die Hörigen der Kirche von Ungenossen geklagt, vor den öffentlichen
Richter gestellt werden müssen a ).
Bei den weitgehenden Immunitätsansprüchen, welche die
Kirchen erhoben, konnten Coriflicte mit den auf ihre Rechte eifer
süchtigen Markgrafen nicht ausbleiben. Nebst anderen Ansprüchen
scheinen auch derartige Misshelligkeiten einem unechten Diplome zu
Grunde zu liegen, welches in der ersten Hälfte des 12. Jahrhun
derts in Passau fabricirt wurde 8 ). Demnach hätte zur Zeit Bischof
Pilgrim’s von Passau Herzog Heinrich von Baiern in der Ostmark
einen Gerichtstag gehalten und sich von den Märkern eidlich bestä
tigen lassen, wie weit die Hörigen der Bisthümer und Abteien dem
A ) Ut liberi cuiuscunque eonditionis sint, qui (lestinantur coloni . . . a nostrorum
ministerialium deinceps sint districtione absoluti et quicquid n oster publicus
fi scus ab illis exigere poterit. . . advocato ecclesiae . . . exigendum . . . condona-
mus. M. B. XXVIIl a , 244, Meill. 1,3. Es cbarakterisirt die rein amtliche Stellung, welche
der Markgraf einnimmt, dass der König von einem „noster publicus fiscus“ spricht.
3 ) Nec pro ulla alia oecasione aut vadium solvere aut ad comitatnm ire a marchione vel
aliqua iudiciariae potestatis persona cogantnr nisi ea lege vel iure, quo ecclesia-
stici servi ab extraneorum pulsati reclamationibus pro satisfacienda Justitia ad
placitum ire compelluntur.
3 ) Meiller 1, 4. Heinricus strenuus ßaioariorum dux in marca Liutbaldi marchionis
congregatis omnibus . . . publico placito habito populum terminalem . . . iurare
fecit . . . quid episcopatuum aut abbatiarum familiae deberent marchioni . . .
familiam sancti Stephani ob omni iugo vel districtione marchionis, hoc est collectis
donativis, operihus, mansionaticis et ceterls servitiis liberam et absolutam asserebant.
Mon. Boic. XXVIIl b , 86. Über Zweck und Zeit der Fälschung vergl. Büdinger österr.
Geschichte I, 491, Escurs IV.
342
Brunner
Markgrafen pflichtig seien. Da wird denn vor Allem erhärtet, dass
die Hausgenossenschaft Passau’s frei sei von aller Amtsgewalt des
Markgrafen, frei von allen öffentlichen Leistungen und Abgaben.
So wenig uns die Urkunde für das Ende des 10. Jahrhunderts als
die angebliche Datirungszeit massgebend sein kann, so wichtig
ist sie uns für die muthmassliche Zeit der Fälschung, indem sie
einen energischen Widerstand des Markgrafen gegen die Immuni
tätsgelüste der Kirchen überhaupt, der passauischen Bischöfe ins
besondere zur Voraussetzung hat. Charakteristisch ist es, dass der
Fälscher sich nicht auf eine königliche Verleihung, sondern auf das
uralte Gewohnheitsrecht der Mark beruft.
Eine Schenkungsurkunde Konrad’s III. von 1142 gehört in die
Reihe der seltenen Diplome, in welchen einem Weltlichen die
Immunität ausdrücklich bestätigt wird 1 ). Markgraf Theobald lässt
dem König ein königliches Lehen in der Ostmark auf, das Gut
Petronell, welches Hugo von Chranichberg als Afterlehen inne hatte.
König Konrad III. gibt es dann diesem zu Eigen mit allen dazu
gehörigen Nutzungen und Freiheiten, sarnmt Gerichtsbarkeit, Bann,
Stock und Galgen. Das Königsgut war als solches immun und hatte
diesen Charakter als Lehen beibehalten. Als Vermuthung spreche
ich es aus, dass bei Allodificirung des Lehens die aus der Immunität
entspringenden Rechte ausdrücklich mit verliehen und bestätigt
werden mussten.
Um der inneren Verwandtschaft willen ziehe ich hier eine
Kaiserurkunde heran, die nicht in die Ostmark gehört, sondern eia
Kloster der nördlichen Steiermark betrifft. Ein königlicher Capellan
und Diakon der Kirche von Salzburg, Aribo hatte aus seinem Erb
gute das Nonnenkloster Goess gegründet, und bittet den König es zu
exirniren. Zu dem Ende tradirt er ihm das Kloster, worauf der
König es in seine Immunität aufnimmt 2 ). Um das Kloster immun zu
1) Regia autorit'ite in proprium trudidimus . . . viliarn . . . cum Omnibus utilitatibus
ad idem predium pertinentibus, libertatibus, iudicio, vinculo, patibulo a medio Danubii
usque ad medietatem fluminis Litahae. Insuper pefitione Henrici eiusdem terrae
raarchionis aunale forum ... in vifla . . . statuimus. Ludewig Rel. IV, 243.
M. 30, 2.
2 ) Quidam iuvavensis ecclesiae diaconus, consanguineus noster atque capellanus, nomine
Aribo . . . monasterium ... in nostram potestatcm libertandi gratia tradidit et suae
beredumque suorum proprietati aut potestati deinceps in futurum abalienavit . . .
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
343
machen, lässt Aribo sein Eigenthum dem Könige auf; durch die
Tradition wird es Königsgilt und als solches immun. Eine besondere
Verleihung der Immunität, die etwa jener Vergabung nachgefolgt
wäre, wird im weiteren Contexte der Urkunde nicht erwähnt.
Eine Urkunde Konrad’s III. für Klosterneuburg von 1147
gewährt zwar nicht gerichtliche, sondern fiskalische Immunität, legt
aber den Schluss nahe, dass bei gerichtlichen Exemtionen derselbe
Vorgang beobachtet wurde. Der König bestätigt den Besitzstand
des Klosters, möge er von königlichem oder markgräflichem Gute
herrühren, schenkt demselben das sogenannte Marchfutter und die
bis dahin auf den Stiftshörigen lastenden öffentlichen Dienste, und
nimmt es schliesslich in seinen Schutz auf [). Klosterneuburg
von Leopold III. gegründet, stand unter habenbergischer Erb- und
Patronatsvogtei. Das Marchfutter ist eine der Mark eigenthüm-
liche Abgabe 2 ), die zu Gunsten des Markgrafen erhoben wurde.
Der Gedanke, das Kloster von Hechten der öffentlichen Gewalt zu be
freien, deren Ausübung dem Markgrafen zustand, mag von Heinrich II.
(Jasomirgott) ausgegangen sein. Nichts desto weniger spricht
nicht dieser, sondern der König die Immunität aus, und zwar ohne
einer vorausgehenden Exemtion durch den Herzog-Markgrafen
Erwähnung zu thun, wie dies in Urkunden der folgenden Periode
geschieht. Ohne Zweifel geschah die Exemtion auf Verlangen Hein-
rich’s II., der sich damals am Hofe des Kaisers zu Regensburg auf-
annyentes monasterium cum monaehabus ... in nostram iramunitatem recepimus.
Froehlich, Diplom, sacra ducatus Styriae. (Wien 1756) I, 10 Nr. 6.
1 ) Quaecunque bona sive ad possessionem regni pertinentia sive a duce ac marchione
Heinrico . . . tradita sunt, quieta maneant . . . Statuiinus etiam ut iustitia illa
marchiae quae vulgo marchmutte dicitur et opera, quae hactenus a colonis exige-
bantur deinceps ad usum eeclesiae conferantur . . . praefalam quoque ecclesiam
. . . regiae maiestatis defensioni dementer admittimus. Fischer, Gesch. v. Kloster
neuburg II, 144, 12. M. 32, 13.
2 ) Ohne durch den Klang des Wortes verleitet zu sein, halte ich das March
futter für eine der Mark eigcnthiimliche Abgabe. Die Märker, gegen ein Reiler-
volk, die Ungern, in beständigem Kriege sind genöthigt, den Kriegsdienst
zu Ross zu leisten (daher auch die ungewöhnlich frühe Ausbildung des Mini-
sterialwesens in der Ostmark). Die vom Heerbann Befreiten mussten das für die
Pferde nöthige Futter liefern. Marhfutter = Mährenfutter. Marchmutte von mut,
ein Mass für Heu. Dieselbe ßedeutuug haben Marhrecht, Marhdienst. Auch in der
Mark Brandenburg hat dieses Marhrecht bestanden. 1188 verleiht Otto von Bran
denburg den Kanonikern zu Stendal ius marchie, quod communi vocabulo marc-
recht nuncupatur. Raumer Regesta hist. Brand. Nr. 1552,
344
ß r u n n e r
hielt, wie er denn auch in der Zeugenreihe unserer Urkunde
erscheint.
Wenn durch die angeführten Beispiele der Umstand bestätigt
wird, dass der König eximiren kann, so drängt sich anderseits die
Frage auf, oh nur der König dies Recht besitze. Die Frage wäre
zu verneinen, wenn eine markgräfliche Immunitätsverleihung sich
fände.
1115 befreit Leopold III. alle Besitzungen des Stiftes Florian
von den Erhebungen und Bezügen, die ihm daran in der Riedmark
oder überhaupt in seinem Amtsbezirke nördlich der Donau zustehen Ü-
Vor Allem ist es sehr zweifelhaft, ob hier gerichtliche Rechte mit
inbegriffen seien. Ausserdem deutet der Ausdruck mei iuris nur auf
eine Veräusserung ad personam.
1136 schenkt Leopold III. dem Kloster S. Niclas ein Gut; er
hinwiederum empfängt von den Brüdern bibliothecam in tribus volu-
minibus et missale unter der Bedingung, dass er auf dem Besitzthume
des Klosters keines seiner Rechte geltend mache 3 ). Bei der Grün
dung von S. Niclas wurde Markgraf Leopold II. vom Stifter, dem
Bischof von Passau für alle in Österreich gelegenen Besitzungen des
selben zum Vogte bestellt. Wenn also der Ausdruck ab omni iure
auch auf die Gerichtsbarkeit bezogen wird, so kann doch die Exem
tion als Entvogtung betrachtet werden. Übrigens weist der ganze
Vorgang des Tauschgeschäftes, zumal die Gegenleistung des Klosters
auf ein nur persönliches Zugeständniss des Markgrafen hin.
Dies die zwei einzigen Fälle, die hier in Betracht gezogen wer
den könnten. Ein gerichtliches Exemtionsrecht der Markgrafen erwei
sen sie nicht, doch mag man sie immerhin als schüchterne Ansätze
zur Ausbildung desselben gelten lassen. Abgesehen hievon hat der
König — wenn anders diese urkundenarme Periode uns gestattet
ein Resultat der Untersuchung hinzustellen — das ausschliessliche
Exemtionsrecht; er verleiht die Immunität, ohne dass die Einwilligung
des Markgrafen nöthig erscheint.
*) Qualiter absolverim .... predia a redihitione vel reditu mei iuris in riedmarcha vel
in omnibus locis mei regiminis trans Danubium positis. Urk. ß. d. L. ob der Enns If,
149 Nr. 100. M. 14, 15.
2 ) Aecepisse — ea conditione ut. . . possessio eorundem fratrum in eisdem Onibus nulli
marchionis iuri subiaceret. M. B. IV, 310, Nr. 7. M. 21, 55.
Das gerichtliche Exemtionsreeht der Babenberger.
345
Exemtionen von 1156—1246.
Für die Zeit von Österreichs Erhebung zum Herzogthum bis zum
Erlöschen des habenbergischen Hauses mehrt sich der urkundliche
Stoff in einer Weise, dass er eine Gruppirung nach bestimmten
Gesichtspuncten erheischt. Ich scheide vorerst jene Fälle aus, in
welchen Bisthümer, reichsunmittelbar im späteren Sinne des Wortes,
auf herzoglichem Boden Immunität erwarben.
1164 schreibt Bischof Albert von Freising aus Österreich,
wohin er eine Beise zum Herzog unternommen hatte, an sein Capitel,
der Herzog habe auf seine Verwendung hin die freisingisehen
Besitzungen von der öffentlichen Gewalt gänzlich befreit, also dass
auf denselben für sein und des Herzogs Lebzeiten keiner der herzog
lichen Richter oder Amtleute etwas zu schaffen habe. Die Leute des
Bisthums hätten hiefür einen mässigen Jahreszins zu entrichten. Dies
schreiben wir euch, schliesst der Brief, damit es unseren Nachfolgern
zum Beispiel diene, auf dass auch sie nicht versäumen dieselbe Ver
günstigung zu erlangen i)-
Der letzte Zusatz beweist, dass die Immunität nur auf Lebens
zeit verliehen wurde. Eine Entvogfung kann hier nicht vorliegen, da
die Vogtei über Freising den steierischen Ottokaren bis zum Aus
sterben dieses Geschlechtes zustand. Vermochte der Herzog dielminu-
*) Petitiones meas omnes exaudivit, ita ut ecclesiae nostrae bona a cottidiana exactione
sic penitus libera dimitteret, ut nullus iudicum seu officialium suorum in eis quic-
quam tractare habeat. Nos vero parvum ei de predictis bonis nostris obtulimus
censum, quem annuatim de honiinibus nostris et nihil amplius accipiendum impe-
travimu8 . . . sic iirmavit, ut toto tempore vitae suae et nostrae de iudicibus et
offieialibus suis nihil amplius bonis et hominibus nostris timere debeamus. Ilaec
ideo vobis scripsimus, ut in exemplum successoribus nostris relinquantur, ut et
ipsi eandem gratiam impetrare non negligant. Meichelbeck bist. fris. I, I, 372,
Meill. 46, 64.
Zahn (die freisingisehen Saal-, Copial- und Urbarbiicher öst. Archiv XXV11,
p. 232) bringt die Reise des Bischofs damit in Zusammenhang, dass der Herzog
— wahrscheinlich in Folge des 1156 erlangten privilegium minus und des darin
enthaltenen Vorrechtes bezüglich^ der Gerichtsbarkeit — die bischöflichen Güter
auf bisher ungewohnte Weise belastete. Das Schreiben des Bischofs lautet nicht
darnach, als hätte der Herzog die Gerichtsbarkeit über die Freising’schen Güter
widerrechtlich an sich gezogen. Die Befreiung wird nicht als Restitution, sondern als
Gnade bezeichnet, und es dürften die Fälle selten sein, in denen die Kirchen des
Mittelalters etwas „gratia“ nannten, was sie als Recht beanspruchten.
346
Brunner
nität nur auf Lebenszeit zu ertheilen, so wird 1189 das Bisthum durch
Vermittlung des Kaisers auf die Dauer eximirt i). Der Vorgang ist ein
streng lehenrechtlicher. Herzog Leopold V. und dessen Sohn Friedrich
lassen dem Kaiser die Rechte auf, die sie über die bischöflich frei-
singischen Frohngüter vormals vom Reiche in Besitz hatten, nämlich
Marchfutter, Landgericht und Burgwerk 2 ), Rechte, deren Ausübung
nur ihnen zustand. Auf der Herzoge und Bischof Otto's Bitten über
trägt der Kaiser die ihm aufgelassene Gerechtsame kraft königlicher
Verleihung der Kirche von Freising.
Die ganze Handlung zerfällt in zwei scharf zu scheidende Acte.
Die Enläusserung der öffentlichen Gewalt geschieht von Seiten des
Herzogs, die Übertragung derselben von Seiten des Kaisers 3 ). König
und Herzog wirken zusammen, nicht mehr der König allein , wie in
den Exemtionen der markgräflichen Periode, nicht der Herzog allein,
wie dies bei Exemtionen reichsmittelbarer Kirchen aus der Zeit
des Herzogthums der Fall ist.
Ein ganz ähnlicher Vorgang tritt zu Tage, als es sich um Aus
gleich eines Streites handelt, der zwischen dem Bischof von Passau
und Leopold VI. obschwebte, unter Anderem wegen des Landgerichtes
und Marchfutters, die der Herzog auf einigen passauischen Gütern
beanspruchte. König Friedrich II. bringt 1215 zu Augsburg einen
Vergleich zu Stande; der Herzog entsagt auf seine Bitte hin dem
Streitgegenstände und lässt die streitigen Rechte in die Hände
Friedrich’s auf, insbesondere Marchfutter und Landgericht, und
zuerkennt der Kirche von Passau für sich und seine Nachfolger, „was
hierin oder sonst wie sein Vater derselben auf ihren Gütern von
seinen Rechten zugetheilt habe". Der Kaiser überträgt dann Land-
*) • • • cum Leopoldus et filius F . . omnem inaiestati nostrae resignassent iusti-
tiam, quam per dominicalia frisingensis episcopi quondam ah imperio possede-
1-unt in Austria i. e. marhrecht et lantgerichte et burwerch, quae specialiter ad
usus eorum respiciebant tarn in officio Enzinstorf — von den hierauf genannten
▼ier Besitzungen werden drei in der Urkunde von 1164 als zinspflichtig angeführt.
— Nos predictam iusticiam nobis resignatam ecclesiae . . . donatione regali tra-
didimus M. B. XXXI a . 438. M. 66. 43.
2 ) „Burwerch“ — burgwerk, vergl. die Urkunde M. 46, 63. Es bildet mit marchfutter
(respective Heerbann, den dieses vertritt) und Landgerichtsfolge die Trias der öffent
lichen Leistungen in der Mark.
3 ) Vergl. Hormeyer Ssp. II, 2 System des Lehnr. 427, 1.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
347
gericht und Marchfutter mit Zustimmung und freiem Willen des
Herzogs dem Bischöfe und seiner Kirche zu beständigem Besitze 1 ).
Leopold V. mag Passau nur temporäre Immunität ertheilt haben,
wie dies Heinrich II. für Freising gethan. Sein Nachfolger glaubte an
diese Exemtion nicht gebunden zu sein, daher derConflict. Charakteri
stisch ist in dieser Urkunde die Hervorhebung des Consensus und der
bona voluntas in Bezug auf die Übertragung der Gerichtsbarkeit, auf
die doch der Herzog bereits verzichtet hatte; sie erinnert lebhaft an den
Consensus und die permissio des Minus. Die Mitwirkung des Herzogs
tritt hier, wo es sich um streitige Rechte handelt, wo möglich noch
schärfer hervor als in der Freisinger Urkunde; namentlich ist
in dieser Richtung zu betonen, dass Leopold VI. noch vor der
königlichen Gerichtsleihe die Rechte zuerkennt, die sein Vater dem
Bisthum verliehen 3 ).
Fassen wir beide Fälle zusammen. In beiden handelt es sich
nicht nur um Befreiung von der öffentlichen Gewalt, sondern auch
um vollständige Übertragung derselben zu eigenem Rechte. Die
herzogliche Gerichtsbarkeit ist vom Reiche lehenrührig. Die Exem
tion des Herzogs, oder vielmehrjede damit zusammenhängende Über
tragung von öffentlicher Gerichtsbarkeit mochte daher als Afterleihe
erscheinen. Jedenfalls hat sie ein Verhältniss unmittelbarer Unterord
nung des Eximirten unter den Eximirenden zur Folge, wie denn
z. B. die österreichischen vom Herzog eximirten Klöster landsässig
bleiben.
Nun stehen aber die Pfaffenfürsten im Heerschilde um eine
Stufe höher als die Laienfürsten. Diese können von jenen, nicht jene
von diesen Lehen nehmen. Die Exemtion des Herzogs ist daher den
Bischöfen gegenüber nur eine provisorische und gibt dem eximirten
*) iam dictis principibus in civitate Augusta . . . constitutis amicabilem inter eos
fecimus compositionem ita, quod ad petitionem nostram . . . dux cessit Iiti et in
manus nostras renunciavit omni iuri, quod habuit vel quod habere videbatur in
. . . patronatu... in advocatia . .. Specialiter etiam renunciavit fodro et lantgerichte
quod habuit in ... predio Swabdorf ... et quicquid in his vel in aliis pater
suus de iure suo Pataviensi ecclesiae contulerat, ipse quoque pro se et pro uui-
versis suis successoribus eidem recognovit. Nos autem ... et lantgerichte et
marcbfuter sieut predictum est et si qua sunt alia iura, quae in causis predictis
ad nostram pertinent donationem, deconsensu et bona voluntate ducis
concessimus episcopo et ecclesiae suae . . . M. B. XXX a , 26. M. 115, 122.
2 ) pater . . . „de iure suo“ . . contulerat.
Bisthum keine Gewehre. Um eine solche zu begründen, muss die
Übertragung der Gerichtsbarkeit den Umweg durch die Hand des
Königs nehmen.
Ich gehe zu den Exemtionen für Klöster über und scheide diese
in Klöster inner und ausserhalb der bahenbergischen Lande. Was
die erste Gruppe betrifft, so wurde bereits oben heryorgehoben,
dass die eigenthümliche Gerichtsverfassung der Mark eine Trennung
der Exemtionen auf märkischer und nicht märkischer Erde erspriess-
1 ich scheinen lasse. Von den ersteren sollen zuerst die der Ostmark,
dann die der Steiermark abgehandelt werden.
Zwettl erhält 1168 durch Schenkung eines herzoglichen Mini
sterialen ein Gut, welches der Herzog von jeder Abgabe und recht
lichen Belastung befreit q. Wenn in dein „debitum iuris“ die Ge
richtsbarkeit inbegriffen ist, so liegt eine Exemtion vom Landgerichte
vor, da Zwettl als Cistercienserstift von vogteilicher Gerichtsbarkeit
frei war.
Um bei Zwettl zu bleiben, führe ich hier mit Unterbrechung
der chronologischen Ordnung eine Urkunde von 1242 an, in wel
cher Herzog Friedrich II, dem Stifte all' sein Anrecht in Bezug auf
Taidinge und Haberlieferungen „in villa Zwettlern“ überträgt *).
1179 verleiht Leopold V. dem Stifte Klosterneuburg, die
ihm (dem Herzoge) zustehende öffentliche Gerichtsbarkeit in drei
Dörfern, nachdem er bereits früher dem Stifte gestattet hatte, die
selbe Jahr für Jahr um sechs Talente abzulösen 3 ). Bleibt es hier
zweifelhaft ob nicht etwa nur eine temporäre Exemtion vorliege, so
ergibt eine Urkunde Leopold’s V. von 1181 für das Schotten-
i) E. d. G., unus de primis et excellentioribus ministerialibus Henrici ducis . . . donavit
ecclesiae . . . predium Zigenstorf. Facta est autem haec donatio assensu et conces-
sione ducis Heinriei, qui eandem possessionem ab omni exactione ac debito iuris
absolvit et solis usibus fratrum . . . liberam esse instituit. Link, annaies Zwett
lenses 1. 187. M. 47, 70.
3 ) Omne ius nostrum, quod habuimus aut videbamur habere sive in placitis sive in
persolutione avenae aut quocumque nomine censeantur, in villa quadam, quae
vocatur Zwetlern ... in recompensationem damnorum, quae Ulricus de Chüngesp.
monasterio intuiit, contulimus pleno iure ita videljcet, quod nullus officialium
aut iudicum nostrorum in prefata villa exaetiones „etc.“ (sic). Die Urkunde ist
nur unvollständig abgedruckt bei Link, ann. Zwettl. I 317. M. 170, 97.
3 ) indulsit ecclesiae omnem sui iuris iusticiam, seculare videlicet et forensc (?) iudi-
cium in tribus vilüs . . . quod et prius . . . singulis annis sex talentis redimen-
dum prestiterat. Fischer, Gesch. Kl. N. Saalb. II. 73, 126. M. 38, 12.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenbergei’.
349
kl oster in Wien ein bestimmteres Resultat. Der Herzog befreit
es für beständig von Landtaiding und Marchfutter und verbietet
seinen Richtern und Amtleuten die Ausübung der dem Kloster über
lassenen herzoglichen Rechte *).
1187 befreit Leopold V. die Ortschaft Minchendorf, welche die
Brüder von heiligen Kreuz aus einem Meierhofe in ein Dorf um
gewandelt hatten, von aller Gerichtsbarkeit und allen Abgaben an
Richter und Vögte 3 ).
1195 eximirt Herzog Friedrich I. die diesseits der Donau ge
legenen Güter Göttweihs, wie es scheint von der öffentlichen
und vogteilichen Gerichtsbarkeit zugleich 3 ). Wie sich übrigens aus
einer Exemtion Herzog Friedrich's II. ergibt, hatte Göttweih über die
Befreiung vom Landgerichte eine besondere Urkunde von Friedrich I.
erhalten. Herzog Friedrich II. bezeugt nämlich 1232, dass er dieRente
von 40 Talenten, welche das Stift dem Landrichter von Tuln für die
Befreiung von seiner Gerichtsbarkeit einem Privilegium Friedrich’s I.
gemäss zu entrichten hat, in eine Abgabe von 100 Scheffeln Haber
umgeändert habe 4 ). Die Umwandlung der Rente lässt darauf
A ) cum enim varias et diversas iustitias iu terra nostra iure requirere debeamus, nos
tarnen redditus ipsius ecclesiae ab omni iure noslro tarn a placito provinciali, quod
vulgo landtaidinch dicitur, quam a pabulo ... penitus excepimus et liberos
esse in perpetuum statuimus. Ne quis autem de cetero iudex sive praeco
audeat occasione nostrae repetendae iustitiae, quam prorsus eis remisimus, aliquid
exigere, districte prohibemus. Fontes rer. Aust. II, 18. p. 10. M. 59, 15. Der Immu
nitätsbrief für das Schottenkloster von 1158 ist unecht.
2 ) Statuimus ut nulli exceptis fratribus liceat . . . ins sibi iudiciarium vendicare, solu-
tiones, quas iudices et advocati exigunt, expetere vel aliquas omnino exactiones
extorquere. Fontes II, 11, p. 16, M. 64, 34. Vergleiche unten die Exemtionsformel
für Lilienfeld von 1209, Seite 350, Note 1. Nach ‘Ssp. III. 79. §. 1 darf bei Anlegung
eines Dorfes der Grundherr den Bauern kein Recht geben, wodurch er „des landes-
richlere sin recht krenken oder sin gewette minnern“ würde. Daher die Exemtion.
s ) In possessionibus , . . in ea parte Danubii, qua monasterium ipsum situm est et in
Grie nullus unquam hominum sub nomine advocati aut iudex vel praeco de nostra
permissione vel alicuius officii vel iudicii occassione . . . fratribus iniuriam inferat
. . . ea conditioue, ut pro iustitia nostra de eisdem possessionibus ipsi fratres CC
modios avenae annuatim nohis persolvant. Fontes II, 8. p. 279, M. 77, 1.
4 ) Item 40 talenta, quae vulgo dicuntur lantpfenninge, super quibus solvendis iudici
uostro de Tulna, ne aliquam iurisdictionem in homines ecclesiae haberet, privile-
gium acceperat a f. m. patruo nostro Friderico ... in C modios avenae ... ad
instanoiam precum abbatis . . . fecimus commutari ita dumtaxat, ut nullus iudicum
nostroruin nec cilra nec ultra Danubium aliquam haheat iurisdictionem in bonis
illis, in quibus solvitur haec avena . . . Fontes II, 8. p. 297, M. 110, 102.
350
Brunner
schliessen, dass es sic!) nicht darum gehandelt habe ein dem Land
richter von Tuln selbstständig zustehendes Recht abzulösen, sondern
dass ihm für einen Theil der Einkünfte, die er als Beamter vom
Herzog bezog, jene 40 Talenten zugewiesen wurden, um die das
Kloster die Gerichtsbarkeit vom Herzoge erkauft hatte, ln der
Exemtionsformel der Urkunde von 1232 wird nicht blos der Land
richter von Tuln erwähnt; die Immunität wird ausgesprochen für alle
Güter des Klosters auf beiden Seiten der Donau, auf welchen die
Abgabe von Haber (dem Herzoge) entrichtet wird. Nach alledem
lässt sich diese Urkunde mit der oben angedeuteten Stellung der
märkischen Landrichter in Einklang bringen.
In der Stiftungsurkunde fiir Lilienfeld von 1209 verbietet
LeopoldseinenNaehfolgern und Unterthanen, sich auf dem Klostergute
irgend welche Gerichtsbarkeit anzumassen oder nach Brauch der
Richter und Vögte Abgaben zu erheben *). Dass es sich hiebei nicht
blos um vogteiliche, sondern auch um landgerichtliche Immunität
handelte, ergibt sich aus der Urkunde Kaiser Friedrich's II., durch
welchen Leopold seine Exemtion bestätigen lässt. Friedrich II. nimmt
das Kloster in seinen Schutz und bestätigt dessen Besitzstand. Rechte,
die etwa der königlichen Gewalt Zuständen, die aber kraft seiner und
des Reiches besonderer Verleihung der Herzog inne hat, Landgericht,
Wandel, Bussen, Marchfutter u. s. w. überträgt er, wie sie bereits
dieser selbst angemessener Weise übertragen, mit königlicher Macht
vollkommenheit durch seine Bestätigung dem Kloster „auf dass auch
er des Gebetes der Brüder theilhaftig werde“ 2 ). Der bei dieser
Bestätigung beobachtete Vorgang ist wesentlich verschieden von
dem bei den Exemtionen Freisings und Passaus. Dort lässt der Herzog
*) Deceraimus ut nulli suocessorum nostrorum vel subditorum liceat in possessionibus
cunctis eorum, quas et habent et habituri sunt, iurisdictionem usurpare vel solu-
tiones, quas iudices et advocati exigunt expelere. Hanthaler Kasti Campil. I, II, 597.
M. 101, 75.
a ) In nostrae celsitudinis proteelionem recipimus et . . . auctorilate regia confirmamus.
Voluinus etiam ob amorem eonsanguinei nostri, quod si quae sunt, quae forte
ad nostram speclant iurisdictionem, quae tarnen praefatus princeps donatione nostra
et imperii tenuit ac tenet speciali, videlicet iudicium, quod dicitur lantgerihte, et
coinposiliones et banos et inarehfutter et fodinas . . . ut et nos oretionum fratrum
. . . esse participes mereamur, sicut ipse ea predictae dontui rationabiliter contulit
atque pie, ita et nos eidein doinui ca per ratihabitionem regia auctoritate conferimus
et nviolabiliter confirmamus. Kirchliclie Topographie von Oest. VI. 270 M. 121, 147.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
351
seine Beeilte dem Kaiser auf, und dieser überträgt sie der Kirche;
hier ging die Exemtion von Seite des Herzogs voraus als eine in sich
abgeschlossene Handlung, zu welcher, wie der Kaiser ausdrücklich
hervorhebt, der Herzog berechtigt war. Der Kaiser beschränkt
seine Mitwirkung auf die nachträgliche Bestätigung der vollzogenen
Exemtion „confert per ratihahitionem“ und anerkennt hiernit das her
zogliche Exemtionsrecht. In einer Urkunde Herzog Friedrich’s II. von
1232, worin dieser dem Stifte Lilienfeld die Verleihungen seines
Vaters bestätigt, wird die kaiserliche „Sanction“ mit der päpstlichen
zusammengestellt, welche ebenso wenig wie jene unbedingt noth-
wendig war ! ).
Waldbausen, im Machlande, einem Theile der Riedroark
gelegen, erhält 1240 von Herzog Friedrich II, ein Privileg, worin
dieser seinen Richtern und Amtleuten die Ausübung der Gerichts
barkeit und Erhebung von Abgaben auf den Klostergütern untersagt.
Da der Herzog in derselben Urkunde „eos, qui pro tempore in nume-
ratis locis iudices fuerint aut praefecti“ als „defensores“ der eximir-
ten Güter bestellt, so kann es sich nur um Befreiung von der
öffentlichen nicht aber von der Vogteigerichtsbarkeit gehandelt
haben a ).
Seitenstetten, 1237 von Kaiser Friedrich II. in Schutz
genommen, wird bald darauf (1240) durch Herzog Friedrich II. von
*) Quaecunque ergo pater noster religiosa liberalitäte iam dicto contulit mona-
sterio et apostolica pragmatieaque sanctione solempniter sunt communita . . .
Hantbaler Fasti Camp. I. II, 784 Meiller 148, 2.
Die Urkunde Leopold’s VI für das heiligen Geistspital zu Wien tibergehe ich
als unecht. Leopold urkundet nach derselben 1211, 26. V. (Meiller 106, 92.
Hormayr Wien II, 4, p. 62, Nr. 308) als dux Austrie et Styrie et dominus Carniolie.
ein Titel, welchen erst Friedrich II. 1232 (vergl, Meiller Note 432) als der erste
unter den Babenbergern führte. Dass todeswiirdige Verbrechen mitten auf der
Wienbrücke oder im Wienflusse vom judex laicus der Brüder dem Stadtrichter
von Wien zu stellen seien, mahnt an die ängstlich genauen Bestimmungen dieser Art
in den späteren Weisthümern. Völlig vereinzelt stünde in dieser Zeit die Bestimmung,
dass die Güter dessen, der die Grenze der Freiung überschreitet, omni actione
remota dein Herzog iurisdictionaliter verfallen seien. Eine Bestätigung der Privi:
legien des Spitales durch Ottokar von 1274 nimmt auf diese Rechte keinen Bezug
2 ) Hane Iibertatem (indulsimus), . ut nullus umquain iudicum aut prefectorum
nostroruin in Machlant et in civitate nostra Laa aliquam sibi iurisdielionem aut
proventuum receptionem aut quameumque exactionem in prediis ecclesiae . . . debeat
vindicare. Sed eos, qui pro tempore in memoratis locis iudices fue
rint aut prefecti, possessionibus denominatis constituimus defensores. Kurz Bei
träge IV, 468, M. 160, 63.
352
Brunne r
der Amtsgewalt seiner Richter und Amtleute befreit J ). Die Exem
tionsformel ist mit jener der obigen Urkunde verwandt. Da zum
Schlüsse des Privilegiums die Entvogtung ausgesprochen wird, so
muss die ihr vorausgehende Exemtion sich auf die öffentliche
Gerichtsbarkeit beziehen.
Der Canonie von St. Pölten stellt Herzog Friedrich II. 1243
eine Urkunde aus, in derer seinem Richter zu Tuln die Ausübung
jeder Gerichtsbarkeit über die Leute derselben untersagt 3 ).
Wenn sich für die Klöster der alten Mark verhältnissmässig
wenige umfangreiche Immunitätsprivilegien linden, so lässt diess nicht
sowohl auf ein seltenes Vorkommen der Immunität, sondern viel
mehr darauf schliessen, dass sie sich bei den mit hahenbergischen
Gütern fundierten Stiftungen bis zu einem gewissen Grade von selbst
verstand und dass nur Conflicte, Missbräuche oder besondere Obsorge
zur urkundlihen Bekräftigung und zur Erweiterung derselben geführt
haben mögen. Im Allgemeinen können wir für die herzoglichen
Patronatsklöster dasselbe als Regel hinstellen, was Leopold II. in
einer undatirten Urkunde für Hainburg bezüglich der herzoglichen
Patronatspfarren ausspricht. Die Veranlassung war folgende. Der
Capellan von Hainburg beklagte sich über Eingriffe der herzoglichen
Richter „contra libertatem, quam antecessores nostri (Leopoldi VI.)
ecelesiis suis ab antiquo concesserant“. Der Herzog lässt sich über
diese Rechtsfrage von Freien und Ministerialen ein Weisthum erthei-
len, bestätigt auf Grund desselben die Freiheiten, welche seine Patro
natspfarren (ecclesiae specialiter ad nos pertinentes) nach allge
meinen Rechtsgrundsätzen oder durch besondere Verleihung besäs-
sen, und erlässt an seine Richter und Amtleute das entsprechende
Verbot 3 ).
Hane indulsimus libertatem, ut nullus iudicum seu officialium seu praefectorum
nostrorum aliquam sibi iurisdictionem in hominibus ac possessionibus eiusdem
(monasterii) pretextu officii aut oceasione prefeeturae sibi debeat vindieare vel
audeat usurpare. — Ex abundantia quoque gratiae nostrae volumus . . ut nulla
unquam vexatio dicti monasterii hominibus inferatur aut exactio advocatiae nomine
requiratur. Ilormayr, Archiv f. 1826 503 M. 161, 56.
2 ) Tali subvenire dignati sumus remedio, ut . . . iudex noster in Tulna, qtiicunque
pro tempore fuerit constitutus, nullam in homines ipsorum iurisdictionem habeat.
Müller a Prankhaimb Hist. Canon. S. Hippol. 103. Meiller 176, 125.
3 ) Nos tarn a liberis quam a ministerialibus nostris veritatem super hoc diligentius
inquirentes invenimus ita esse sicut coram nobis (capellanus) proposuit. Cum
intersit . . . iura ecclesiarum conservare, illis praecipue omni nisu in sua tenemur
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
353
Wie die königliche Immunität auf die Abgabenfreiheit des
königlichen Gutes, dürfte sich vielleicht die landesherrliche Immuni
tät zum Theile auf die Eigenschaft des landesherrlichen Gutes
gründen. Doch ist nicht zu verkennen, dass der Umfang derselben
ein schwankender sein musste, da dem Herzog von vorneherein kein
selbstständiges Recht auf die Gerichtsgefälle, sondern höchstens ein
gewohnheitsrechtlicher Anspruch seiner Amtleute auf einzelne Bezüge
gegenüberstand.
Wir gelangen zu den Exemtionen auf dem Gebiete der Steier
mark. Da auch hier die Markverfassung durchgeführt war, haben
wir uns die Gerichtsverfassung als dieselbe zu denken, wie in der
Ostmark.
Herzog Friedrich I. bestätigt 1197 (?) dem Kloster Mariazell
dashergebrachte Recht, dass es gegen eine jährliche Ablösungssumme
von 12 Schillingen von der landesherrlichen Gerichtsbarkeit be
freit sei i).
In einer Urkunde von 1202 für die Probstei Seckau bestätigt
Leopold VI. eine Schenkung Ottokar’s und verbietet den Richtern
jede Gerichtsbarkeit über die auf den geschenkten Gütern sesshaften
Leute a ).
Im selben Jahre überträgt Herzog Leopold VI. der Abtei
S. L ambrecht sämmtliche Rechte, die ihm auf den Gütern derselben
zustehen, welche sie von Herrand de Wildonia, einem Ministeria
len des Herzogs, erhalten, nämlich Landgericht, Marchfutter und
Vogtrecht 3 ).
adesse iustitia, qua rum donatio ad nos dinoscitur pertiner e. Unde
nos omnem libertatem, quam de communi iure seu iiululgentia speciali apud prede-
cessores nostros vel per eos hactenus habuisse noscuntur, presenti pagina confir-
mantes statuimus, ut nullus iudicum aut ammanorum nostrorum nec ullus omnino
laicus in prediis vel hominibus seu quibuscunque bonis ecclesiae S. Mariae de
Haimb. et aliarum ecclesiarum specialiter ad nos pertinentium servitia
ulla exigere vel exactiones atiquas presumat de eetero exercere. Archiv f. K. öst.
G. Qu. VI, 312, Nr. 12.
*) Ut pro omni iustitia principis terrae recipiantur annuatim a monasterio duodecim
solidi excepto raptu, quem iudex principis corrigat. Meiller 79, 12.
2 ) Donationem ducis Ot. (confirmamus) universis iudicibus dantes districtius in man-
datis ut nullus eorum aliquam iurisdictionem seu auctoritatem faciendi iudicium
de hominibus . . . (ibi) residentibus sibi debeant ulterius vendicare; unvollständig
hei Ludewig rel. IV. 182. Ich benützte ein Transsumpt des k. k. H. H. u. St. Archivs.
M. 87, 29.
3 ) Omnia iura ad nos spectantia, quae vulgo lanlgerihte, marchdienest, foitreht
dicuntur, libere tradidimus. Meiller 89, 36.
Sitzb. d. phil.-hist. CI, XLVII. ßd. I. Hft. 23
354
Brunner
1227 zieht derselbe die Vogtei über die Karthause Geyrach
an sich und verbietet seinen und seiner Nachfolger Richtern und
Amtleuten über die Leute derselben zu richten 4 ).
1233 nimmt Herzog Friedrich 11. dieCommende des deu tsc h eti
Ordens zu Gr atz in seinen Schutz, damit der Orden in Steiermark
dieselben Vergünstigungen geniesse, wie in allen übrigen Ländern des
Herzogs und eximiert sie von aller weltlichen Gerichtsbarkeit, allen
Diensten, Abgaben und Lasten den Freiheiten dieses Ordens gemäss 2 ).
1239 bestätigt derselbe „omnes immunitates et iibertates“, welche
der Orden von seinem Vater erhalten, dehnt das 1233 verliehene
Privileg in einzelnen Punkten auf alle Besitzungen des Ordens
aus und bestimmt des näheren Inhalt und Umfang der ertheilten
Immunität s ).
Die in den Marken vorgenommenen Exemtionen haben das ge
meinsame, dass ein Mandat an die Landrichter, das mitunter in der
alten Form der königlichen Immunitätsbriefe „ut nullus iudex“ erlassen
wird, zur Exemtion genügt, eine Thatsache, deren Eigenthümlich-
keit durch den Gegensatz zu den Immunitätsverleihungen der nächst
folgenden Gruppe schärfer hervortreten wird.
Ehe ich auf die Exemtionen auf aussermärkischem Boden ein
gehe, ist die Frage über die sogenannte Abtretung Oberösterreichs
mit kurzen Worten zu erörtern. Da nach dem Privilegium majus die
„Mark ob der Enns“ 11S6 von Baiern getrennt und mit Österreich
vereinigt worden sein soll, hat man sich in den Gedanken einer
oberösterreichischen Mark so sehr hinein gelebt, dass man den Be
griff festhielt, auch nachdem dessen einzige Stütze, das privilegium
majus gefallen war. Es bedarf nur eines flüchtigen Blickes auf die
vielgestaltigen Verhältnisse, die uns in dem Gebiete zwischen Enns,
Donau und dem Mattiggau im 12. und 13. Jahrhundert entgegentreten,
1) Advocatiam loci nobis et successoribus nostris retinemus ... et ideo statuimus
firmiter et mandamus quod nullus iudex vel officialis noster vel successorum
nostrorum habeat potestatem iudicandi colonos eorum vel familiam nisi requisitus
ab eis . . . Froehlieh Dipl. sacr. Styr. II, 137. M. 140, 220.
2 ) Quod (sacra domus sanctae Mariae Theutonicoruin in JHierus.)... ubicunque per terras
nostras prolectione nostra gaudeat et favore, similem igitur gratiam in terra
nostra Styriae ampliantes domus eiusdem ordinis sitas in provincia memorata . . •
sub nostra protectione recipimns speciali eximentes eos ab omni seculari iudicio,
munere, servitiorum exactione, onere secundum indultam eis eiusdem ordinis Über—
tatem. Froehl. Dipl. II, 179. M. 132, 19.
3 ) Hormayr Wien II. 2. ürk. pg. 60. Nr. 222. Meill. 139, 30.
Das gerichtliche Exemtionsrecht (1er Babenberger.
3SS
um sich zu überzeugen, dass es niemals eine marehia supra Anasum
gegeben, dass Oberösterreich zu jener Zeit überhaupt kein staats
rechtlich abgeschlossenes Territorium gewesen. Abgesehen davon .
dass man den Begriff einer oberösterreichischen Mark fallen lassen
muss, darf man auch nicht von einer „Abtretung“ Oherösterreichs
sei es nur einer theilweisen sprechen, weil die Frage derart for-
mulirt von vorneherein zu einer unrichtigen Beantwortung führt.
Im Jahre 1156 war die Landeshoheit durchaus noch nicht so weit
gediehen, dass man geradezu von der Abtretung eines bestimmten
Landstriches sprechen dürfte. Es konnte sich nur um Verleihung
gewisser öffentlicher Rechte handeln, die dann schliesslich zur
Erwerbung der Landeshoheit über das Gebiet führten, bezüglich des
sen sie verliehen worden. Im vorliegenden Falle lautet die Frage also
dahin, ob und inwiefern eine derartige Verleihung im Jahre 1156
in Bezug auf das Land westlich der Enns stattgefunden habe.
Das Minus gibt hierüber keinen Aufschluss. Nach demselben
resignirte Heinrich der Löwe dem Kaiser marchiam Austriae cum
omni iure suo et cum Omnibus beueficiis, quae quondam marchio Liu-
poldus habebat a ducatu Bawariae. Da die Ostmark erwiesener-
massen nicht vom Herzog von Baieru lehnrührig war, die „beneficia“
sich somit auf haierische Lehen ausserhalb der Ostmark beziehen
müssen, so könnte man annehmen, dass die Babenberger jenseits
der Erms Grafschaften von den haierischen Herzogen zu Lehen
hatten, etwa wie die steierischen Ottokare die Grafschaft Ennsthal
als salzburgisches, und den Traungau vielleicht als baierisehes Lehen
besassen. E3 könnte diese Hypothese sich auch auf jene Stelle
Otto's von Freising stützen, in welcher er den Hergang bei Öster
reichs Erhebung zum Herzogthum erzählt. „Heinricus maior natu
ducatum Bawariae per septem vexilla resignavit. Quibus minori tra-
ditis'ille duobus vexillis marchiam orientalem cum eomitatibus ad
eam ex antiquo pertinentibus reddidit. Exinde de eadem marehia
cum predictis eomitatibus, quos tres dicunt, iudicio principum duca
tum fecit“. Die Stellen des Minus und des Otto son Freising Hessen
sich sehr wohl in Einklang bringen, wenn man sich die tres comi-
tatus als die beneficia denkt, quae Leopoldus habebat a ducatu
Bawariae.
Allein wo wären diese drei Grafschaften zu suchen ? Wir wissen
sie für die Zeit des Herzogthums nirgends aufzutreiben, geschweige
23*
li i' ii ii a e r
356
denn für die Zeit der Markgrafschaft, zu welcher sie von Alters her
gehört haben sollen.
Bestimmtere Anhaltspuncte gibt folgende Stelle hei Hermannus
Altahensis *) : „imperator... marchionatum Austriae a iurisdictione
Bavariae eximendo et quosdam ei comitatus de Bavaria adiungendo
convertit in ducatum iudiciariam potestatem principi Austriae ab
Anaso usque ad sylvam prope Pataviam, quae dicitur Rotensala pro-
tendendo“. Damit stimmt in der Hauptsache Conrad de Wizenberg:
„dilatis videlicet terminis a fluinine Aneso usque ad tluvium (sic), quae
dicitur Rotensala, addito et comitatu Pogen (!) Ä ). Auch einige
spätere Quellen 3 ) haben mit den hier angeführten Stellen die Angabe
gemein, dass 1156 das Rotensalet (zwischen Willibald und Peuer-
bach) die Grenze Österreichs gegen Baiern geworden sei, doch
schlägt bereits die Auffassung einer territorialen Abtretung durch,
ein Gedanke, welchen Hermann v. Altaich noch vorsichtig ver
mieden hat.
Die Ausdehnung der babenbergischen Gerichtsgewalt konnte
in zweifacher Weise stattgefunden haben; entweder wurde dem
neuen Herzog die gräfliche Gerichtsbarkeit in den angrenzenden Graf
schaften verliehen oder es wurden die bereits besetzten Grafschaften
unter seine herzogliche Gewalt gestellt wie sie bisher unter jener
des Baiern gestanden. Da es sich um eine Abtretung von Rechten
Heinrich’s des Löwen an den Babenberger handelte und jener nicht
abtreten konnte, was er selbst nicht besass, so ist nur das letztere
anzunehmen. Hiemit lässt es sich sehr wohl vereinbaren, dass die
Babenberger erst nach Beerbung der steierischen Ottokare und der
Grafen von Rebgau, nach Ankauf der würzburgischen Besitzungen
im Lande ob der Enns festen Fuss fassen. Denn die herzogliche
Gewalt an sich war zu jener Zeit, wenn sie sich nicht zugleich auf
Grundbesitz, Vogteieu und andere Momente der Landeshoheit stützte,
eine mehr oder minder nominelle Gewalt und mochte es namentlich
vor 1166 in dem hier in Frage kommen Gebiete gewesen sein, wel-
’) Pertz. M. G. XVII. 382.
a ) Pcz scriptores rer. Ausl. I, p. 294.
3) Vergleiche Pritz, Geschichte des Landes ob der Enns. Linz 184G, I. p. 264,
Note 3, 4, !i.
Das gerichtliche Exemtionsreebt der Babenberger. 357
dies durch die immunen Besitzungen Passaus und Salzburgs vom
Stammlande der baierischen Herzoge getrennt war.
Übrigens bat sich de facto die herzogliche Gewalt der Baben
berger jedenfalls nicht eher über das ganze Gebiet von der Enns
bis zum Rotensalet erstreckt, als bis sie nach dem Tode des letzten
Ottokar’s mit der Steiermark den Traungau erworben hatten. Denn
bis zur Erhebung Steiermarks zum Herzogthume scheint Heinrich
der Löwe daselbst seine Herzogsgewalt geltend gemacht zu haben,
wenigstens ist urkundlich festgestellt, dass er 1176 zu Enns öffent
lich Gericht hielt. Nach jenem Ereignisse konnte von einer Abhän
gigkeit des steierischen Herzogs eben so wenig Baiern als Österreich
gegenüber die Rede sein J ).
Dagegen finden sieh für das Gebiet oberhalb des Traungaus
allerdings schon vor dem Erlöschen des steierischen Hauses Spuren
einer Gerichtsgewalt der Babenberger. So nimmt 1188 Leopold V.
das Kloster Wilhering auf Befehl und Verlangen Kaiser Friedrich's I.
in seinen Schutz „statuens ut nullus hominum . . . eorum videlicet,
cpii infra terminos terrae nostrae constituti sunt, fratres ....
iniuriare presumat*. Wenn die termini terrae ducis sich nicht über
Wilhering hinaus erstreckten, hatte der Schutzbrief so gut wie keine
praktische Bedeutung. Eine solche ist aber gerade im vorliegenden
Falle zn vermuthen, da der Schutzbrief „ex mandato simul et
petitione Friderici imperatoris“ „ad curiam imperatoris“ ausgestellt
wurde a ).
4 ) Über die Frage der Abtretung - Oberösterreichs vergl. Huber: die Entstellungszeit
der österreichischen Freiheitsbriefe. Sitz.-Ber. XXXIV. S. 20.
3 ) Zum Jahre 1161 erzählt ein Abt von Wilhering die Geschichte einer Schenkung,
welche die Streitfrage entscheiden würde, hätten nicht damals die Herzoge von
Baiern und Österreich denselben Namen geführt. Arnoldus de familia Alberli de
Berge hatte dem Kloster ein Gut auf den Todesfall geschenkt, ohne die Einwilli
gung seines Herrn eingeholt zu haben. „Decreto publicorum iudiciortim coram duce
et principibus terrae huius abiudicatum est nobis sepedictum allodium“. Schliesslich
schenkt Adalbert von Berg selbst dem Kloster das streitige Gut. In der Datierung
„Heinrico duce.“ Stiilz spricht bei Anführung dieser Stelle ohne weiters vöm
Herzog von Österreich. Vorläufig halte ich dies nur für wahrscheinlich. Die
Herren von Berg sassen in der Riedmarch. Adalbert von Berg findet sich
häufig als Zeuge in den Urkunden des Babenbergers unter anderem zweimal
im Jahre 1161. Meiller S. 43, N. 51. S. 44, N. 54.
358
Brunner
Auf welche Weise nun auch die babenbergische Gerichts
gewalt sich in diesen Gegenden begründet hat, so viel steht fest,
dass, die Markverfassung auf dieses Gebiet nicht ausgedehnt wurde
und daher der Herzog als Gerichtsherr Iber eine wesentlich andere
Stellung einnahm, als in den Marken.
1192 ertheilt Leopold V., der im selben Jahre die Erbschaft
der Traungauer angetreten hatte, dem Kloster Garsten ein Privileg,
dessen erster Theil die Vogteiverhältnisse regelt, während der
andere die Immunität vom Landgerichte ausspricht 1 ). Kein Richter,
lautet die Exemtionsformel, weder einer der unseren noch ein
fremder masse sich irgend welche Gerichtsbarkeit über die Leute
der Kirche an. 1209 verleiht Leopold VI. demselben Kloster die
Gerichtsbarkeit, die er auf den Gütern und über die Leute desselben
besitzt, indem er die Rechte des Abtes den herzoglichen Richtern
gegenüber des näheren bestimmt 2 ).
Eine Urkunde für Gl ein k von 1192 die zwar formell sehr ver
dächtig ist, aber, was den Inhalt der Immunität betrifft, wörtlich mit
der für Garsten von 1192 stimmt, enthält in der Exemtionsformel
gleichfalls das eigenthümliche Verbot gegenüber den eigenen und
fremden Richtern 3 ). Wenn der Herzog einem Richter etwas verbietet,
so muss dieser ihm als Gerichtsherrn unterstehen. Wenn er einem
fremden Richter etwas verbietet, so kann dies nur ein solcher sein, den
*) Insuper nullus iudicuin secularium tarn nostri quam alieni per totas terras nostras
ad suum placitum evocent homines dicti monasterii, nec in prediis vel hominibus
eiusdem debent aüquam iurisdictionem babere. (J. o. E. II, 434. M. 69, 53.
2 ) M. 103. 83. Die Urkunde ist uns nur in einer lückenhaften Abschrift erhalten.
Im Urkundenbuche des Landes ob der Enns suchte ich sie vergebens. Das Regest
bei Meiller weist insofern auf eine Eigenthümüchkeit hin, als die violentiae rap-
tarum, deflorationum, oppressionum, quae vulgo Notnunft appellantur, et reliquarum
enormitalum . . . dem Gerichte der Kirche überwiesen und dann die mit dem
Tode zu strafenden Verbrechen von der Competenz desselben ausgenommen werden,
während doch jene Fälle sonst regelmässig unter die todeswürdigen Verbrechen
gezählt werden. Der Widerspruch löst sich, wenn ich annehme, dass in der
Urkunde eine auch sonst vorkommeude Scheidung von ventilatio criminis, welche
der Kirche zusteht, und executio iudicii, welche der iudex ducis vollführt, beobachtet
wird. Ob die Urkunde eine Exemtionsformel enthalte, ist aus Meiller's Regest nicht
zu entnehmen.
3 ) Nullus etiam iudicum secularium tarn nostri quam alieni in prediis vel hominibus
dicti monasterii debet aliquam iurisdictionem habere. U. o. E. II, 438, M. 71, 56.
Vergl. Meiller Note 281 und Jodok Stülz über die Gleinker Urkunden (Archiv.
Bd. II, 267), der ihre materielle Echtheit zu retten sucht.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
359
er nicht selbst eingesetzt hat. Welche Stellung im vorliegenden Falle
die „alieni iudices“ einnehmen, erschliesst uns eine Urkunde Fried-
rich’s II. von 1233 (?). Nullique iudicum seu nostrorum seu cuiuscun-
que de nostris ministerialibus sive in districtu nobilis de Volchinstorf
aliquam potestativam exactionem seu iurisdictionem in ... . prediis
. . . liceat exercere i).“ Das Verbot geht also an die von Ministerialen
des Herzogs im speciellen Falle an die von Ortolf von Volkersdorf
bestellten Richter. Das Verhältniss, in welchem der letztere zum
Herzog stand, wird durch die folgenden Urkunden klar gestellt.
Stift Florian besitzt 11 Privilegien aus der Zeit von 1209 bis
1243, welche die gerichtliche Immunität betreffen und unter einander
im innigsten Zusammenhänge stehen. Das erste von 1209 eximirt die
Güter des Klosters am Windberg nördlich der Donau, hätte also
eigentlich unter den Exemptionen auf märkischem Gebiete behandelt
werden sollen. Um des Zusammenhanges willen setze ich sie hieher.
Die Privilegien, welche für das ganze Klostergut ausgestellt
sind, scheiden sich in zwei Gruppen. Die eine betrifft sowohl die
Immunität vom Landgerichte, als auch die Freiheit von der Vogteige
richtsbarkeit; sie umfasst die privilegia „circa exempiionem ecelesiae
a foro secularis iudicii et circa iura advocatiae“. Die Urkunden der
anderen Gruppe enthalten ausschliesslich Bestimmungen über die
Immunität vom Landgerichte, führen jedoch diese des weiteren aus.
Den Anfang macht eine Urkunde Kaiser Otto's IV. vom 21. Mai
(1212?), welche die von Leopold VI. vorgenommene Exemtion und
i) Ein anderes ist es, wenn der Herzog befiehlt oder verbietet „universis iudicibus“
„omnibus iudicihus in nostrorum ducatuum districtu residentibus“ „sub principatu
nostro constitutis.“ Berchtold folgert S. 168 aus dem letzteren Ausdruck in Urk.
M. 87, 30 ein Eingreifen des Herzogs in die Jurisdictions-Befugnisse der von
den adeligen Gerichtsherren eingesetzten Richter; denn wenn der Herzog allen
Richtern verbiete, so verbiete er auch den nicht von ihm bestellten. Dasselbe
hätte Berchtold aus der stereotypen Formel „ut nullus iudex“ ableiten können!
Übrigens handelt M. 87, 30 (für Seckan 1202) nicht von der Immunität des
Kloslergutes, bezüglich deren Seckau 2 Tage zuvor eine Urkunde erhalten hatte,
sondern von dem privilegirten Gerichtsstände des Klosters selbst in Klagen,
die das unbewegliche Eigenthum desselben betreffen. Omnibus iudicibus . . . praeci-
pimus, quatenus super praediis iain dictae ecelesiae absque speciali mandato
nostro nullius quaerimoniam audire vel aliquid iudicare presumant, quoniam eccle-
siae nobis advocationis iure attinentes praedia sua absque audiencia vel speciali
commissione nostra amittere de iure non possunt. Oest. Landesrecht Art. 2 spricht
für die Güter von Grafen, Freien und Dienstmanuen dasselbe Princip aus.
360
Brunner
Kaiser Friedrich II. erneuert und bestätigt 1237 sein Privileg
von 1213.
Herzog Friedrich II. bestätigt 1241 die Rechte Florians in
allgemeiner Fassung.
Derselbe stellt 1243, 8. December zu Krems zwei Urkunden
aus. Die eine enthält in kürzerer Fassung die dem Kloster verliehenen
Rechte, Vogtfreiheit, Immunität, Marchfutter, Mautfreiheit, Schen-
kungsbefugniss für die herzoglichen Ministerialen. Die andere um
fasst Vogtfreiheit und Immunität, sowie die letztgenannten Rechte in
ausführlicher Darstellung, welche eine Wiederholung des Inhaltes
der Leopoldinischen Privilegien ist, in derWeise, dass die Immunität
hier ebenso ausführlich behandelt wird wie in den Leopoldinischen
Urkunden, welche die Immunität allein betreffen. Somit bildet diese
Urkunde gewissermassen den Abschluss der ganzen Reihe, indem
sie die Fülle des Details aller früheren in sich vereinigt.
6. Leopold VI. 1213. IG. VI. 111, 108. U. o. E. II, S63.
Wien, Immunität allein.
a° inc. dni. 1214, XVI. Kal. Jul. ind. I.
a° regni Rom. Frid. II.
regn» Sicilie XV.“
7. Leopold VI., 1213. 16. VI. 112, 109. U. o. E. II, 669.
Wien, Immunität und Vogtfreiheit.
a° inc. dni 1215 XVI. Kal. Jul. ind. I.
a° imperii Frid. II.
regni Sicilie XV.
8. Frid. II. imp. 1237. II. Unvollständig bei Huillard Breholles hist. dipl. Fride-
rici II. Tom. V, Pars I, 20.
Wien,
Enthält das Privileg von 1213. 14. II. mit dessen falschem Datum.
9. Frid. II. dux 1241. 18, I. 165, 73. Stülz Gesch. Florians. 311.
Göttweih.
10. Fried. II. dux, 1243. 8. XII. 176, 126. Ludewig rel. IV, 221.
Krems.
11. Frid. II. dux, 1243, 8. XII. Ludewig rel IV, 223.
Krems.
In paläographischer Beziehung boten mir die angeblichen Originale der Ur
kunden keinen zwingenden Grund, ihre Echtheit anzuzweifeln. Der juristische Inhalt
scheint mir entschieden echt, um so mehr als die Formeln der Immunitätsverleihung
fast wörtlich mit jenen der Urkunden für Kremsmünster (1217) und die Ordens-
commende zu Gratz (1233) übereinstimmen. Der Styl ist etwas weitläufig und leidet
an specifisch klösterlicher Ornamentik. Ich citiere im folg, nach den Nummern dieser
Note.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
361
Entvogtung bestätigt und offenbar nach einem aus der herzoglichen
Kanzlei hervorgegangenen Entwürfe ausgestellt wurde, da sie sich
■m Ausdruck an das oben erwähnte herzogliche Privileg von 1209
anschmiegt.
Erst nach dieser urkundlichen Bestätigung August desselben
Jahres urkundet Leopold VI. ilber den bereits früher vorgenommenen
Exemtions- und Entvogtungsact, und zwar stellt er am seihen Tage
zwei Privilegien darüber aus, von welchen das eine die Exemtion vom
Landgerichte und die Freiheit von der Vogteigerichtsbarkeit zugleich
enthält, während das andere nur die Vogtfreiheit und zwar ausführ
licher behandelt.
Hierauf folgt eine Bestätigung durch König Friedrich II. vom
14. Februar 1213(?), welche die Urkunde Olto’sIV. von 1212 wört
lich ausschreibt. 16. Juli desselben Jahres erneuert Herzog Leo
pold VI. seine zwei Privilegien vom 8. August 1212, Verstellungen
einzelner Sätze ausgenommen, mit Wiederholung des Inhalts.
Sämmtliche bisher angeführte Florianer Urkunden sind unrich
tig datiert, und zwar geht die chronologische Verwirrung so weit,
dass nicht einmal die Datierungsfehler in den verschiedenen Urkunden
systematisch festgehalten werden i). Dagegen sind folgende Privilegien
richtig datiert:
J ) Die Reihenfolge der Urkunden ist nach Meiller’s Datierung folgende:
(Die der Monatszahl folgenden Ziffern weisen auf Seite und Nummer von
Meiller’s Regesten.)
1. Leopold VI., 1209, 15. X. 103, 82, U. o. E. II, 511.
Wien, Immunität für die Güter am Windberg.
„a° inc. 1208, id. Oct. ind. III. a° imperii Ottonis I.“
2. Otto IV., 1212. 21. V. 109, 100. U. o. E. II, 547.
Nürnberg, Immunität und Vogtfreiheit.
a° dni 1213, XII. Kal. Junii ind. XV. a° imp. Ott. III.
3. Leopold VI. 1212. 8. VIII. 110, 103. U. o. E. II, 550.
Enns, Immunität und Vogtfreiheit.
a° inc. dni 1213, VI. idus Aug. ind. XV. a° imp. Ott. III.
4. Leopold VI. 1212. 8. VIII. 110, 104. U. o. E. II, 554.
Enns, Immunität allein
a° inc. dni 1213, VI. idus Aug. ind. XV. a° imp. Ott, III.
5. End. II. rex. 1213. 14. II. 111, 105.U. o. E. II, 558.
Regensbg. Immunität und Vogtfreiheit.
„a° dni 1215, XVI. cal. Mart. ind. I.
a° regni Rom. Friderici I.
\ regni Sicilie XIV.“
302
Brunner
So weit es sieh um die landgerichtliche Immunität handelt, zer
fallt der Inhalt der Urkunden in zwei Theile, der erste erzählt das
Factum der Exemtion, der zweite erläutert die derselben ent
sprechenden negativen und positiven Rechte der Kirche. Wir haben
es hier nur mit dem ersten zu thun.
Die Exemtion der Güter auf dem Windberge (1209) geht ein
fach von statten. Der Herzog überträgt dem Kloster die weltliche
Gerichtsbarkeit, indem er ein Schwert, das Sinnbild der peinlichen
Justiz, auf den Altar des Stiftsheiligen legt. Ein Mandat an die Land
richter bildet den Abschluss 1 ).
Abgesehen von dieser Urkunde ist die Erzählung des Herganges
der Freiung in den übrigen wesentlich dieselbe, so dass eine
gesonderte Behandlung der einzelnen Immunitätsbriefe in dieser
Beziehung überflüssig wäre.
In Anbetracht der Bedrückungen, welchen das Kloster von
Seite der weltlichen Richter ausgesetzt ist, beschliesst der Herzog
die Exemtion desselben zu erwirken. Er stösst auf Widerstand bei
den Richtern, welche die Gerichtsbarkeit über die Stiftsgüter aus
übten. Diese verlangen Entschädigung für den Entgang des Nutzens,
der ihnen bis dahin aus der Gerichtsbarkeit erwuchs und den sie
auf jährlich 60 Pfund angeben. Nach langen Verhandlungen, die
mit Ortolf von Volkersdorf geführt wurden, kam man auf eine
Ablösungsrente von 20 Pfund überein 2 ). In den meisten der
hierher gehörigen Urkunden wird Ortolf von Volkersdorf allein
als der betheiligte Landrichter genannt und einer Mehrzahl von
1) Omnes iusticins et obnoxietates, quibus . . . prius erat obnoxia seculari iurisdietione,
quae vulgo dicitur Lantchericht, super aram sancti Floriani per oblationem gladii
delegavimus, ipsaiq ecclesiam uiiacum advocatia . . . exemimus et absolvimus.
Decernimus ergo ut ab hac die nostrae constitutionis in antea nulli umquam compro-
vincialium iudicum . . . liceat . . . Nr. 1. U. o. E. II, oll. M. 103, 82.
2 ) Pro sua (ecclesiae) liberatione suuima diligentia et totis viribus Studium nostrum
interposuimus. Sed quia plena pacis securitas et liberationis effectus . . . aliter
confirmari non poterat nisi . . . pro emolumento, quod . . . iudices de
prediis ethominihus ecclesiae annuatim eonsequebantur equa eis fieret reconpensatio,
quod ipsi ad estimationem LX librarum conputandum decertabant: nos ergo .
multa deliberatione habita decrevimus de prediis ecclesiae ad annuam’pensionem XX
librarum sepedictis iudicibus cum omni iure proprielatis conferri . . . Igitur
. . . omnibus declaramus quod Ortolfus de Uolchinstorf ministerialis noster,
iudex provinciac, cum quo omnia ista tracfata sunt, decretum nostrum super bis
libenter acceptavit et iurisdictionem . . . resignavit. Nr. 4. U. o. E. II, oö4. M. 110,104.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
363
judices keine Erwähnung gethan. Wenn in Nr. 4 (M. 110. 104),
wo die Vorverhandlungen am ausführlichsten erzählt werden, zu
Eingang der Urkunde von mehreren Richtern die Rede ist, so
geschah dies, weil man vielleicht Ortolf nicht direct bezeichen wollte
— die judices werden in diesem Unkunde nicht gerade in der
schmeichelhaftesten Weise eingeführt — oder weil seine Unterrichter
mit inbegriffen wurden.
Ortolf (iudex provinciae, in qua eadetn ecclesia sita est) hatte
das Landgericht von Otto von Lengenfeld, dem Domvogte von
Regensburg, dieser von Herzog Leopold zu Lehen. Der complicirte
Alilösungsmodus, der zur Anwendung kam, erklärt sich aus der
doppelten Aufgabe, einerseits eine jährliche Rente von 20 Pfund zu
constituiren, anderseits die Rechte aller Lehensinteressenten zu
wahren <).
Die Kirche kauft von Ortolf Eigengüter desselben, die einen
jährlichen Ertrag von 20 Pfund abwerfen, um die Summe von
350 Pfund, die zu nicht ganz 6 Procent. (5 5 / 7 Proc.) capitalisirte
Rente von 20 Pfund. Das Stift tradiert diese Güter dem Herzoge,
welcher damit den Domvogt von Regensburg belehnt, während
dieser sie den Ortolf verafterleiht.
Parallel mit dieser Reihe von Belehnungen läuft eine Reihe von
Auflassungen. Ortolf lässt die Gerichtsbarkeit auf in die Hände des
Domvogtes, dieser in die Hände des Herzogs, von dem sie beide zu
*) Otto prepositus ecclesiae, ut '. . . eximeret, Ortolfo . . . trecenlas quin-
quaginta libras . . . persolvit, Ortolfus presente Herbordo fratre suo et con-
sentiente praedia sua in Grvonuowe et Laimperge . . ad estimatfonem annuae
pensionis XX librarum cum iure proprietntis pro trecentis quinqunginta libris
sibi datis prefatae ecclesiae contulit et sic tandem idem Ortolfus omne ius, quod
in praediis et hominibus eiusdem ecclesiae ratione secularis iudicii habuit . . .
tuomadvocato Ratisponnensi et tuoraadvocatus nobis resignavit. Praefata itaque
ecclesia praedia, quae sibi ut supradiximus Ortolfus de V, dedit, nobis in concambium
nostri iuris 3ecularis iudicii cum omni proprietate contulit, quibus et nos tuomadvo-
catum infeudavimus et ille Ortolfum de V. in recompensationem secularis iudici
eisdem praediis infeudavit, Nr, 7. U, o. E. II, 569. 570. M, 112, 109.
Aus dem ganzen Hergänge, namentlich aber aus der Stelle „nobis in concambium
— iudicii“ folgt, dass der Landrichter Ortolf das Landgericht als Afterlehen vom
Herzog inne bat. Ilieinit fällt Berchtold’s Vermuthung „Ortolf sei Inhaber der
Gerichtsbarkeit zu eigenem Rechte gewesen und die Obergerichtsbarkeit des Her
zogs habe sich diesem Ministerialen und Landrichter gegenüber auf die blosse ^ei-
leihung des Bannes beschränkt“. Trotzdem bleibt es richtig, dass Ortolf „kein
blosser Beamter des Herzogs gewesen ist“. Bercbtold, Landeshoheit p, 167,
ß r u n n e r
3P>4
Lehen hatten. Der Herzog schenkt sie dann dem Kloster per gladii
oblationem, das ec ausserdem cum donatione scuti entvogtet ') (der
Schild ist das Sinnbild der Vogtei 3 ). So hat denn der Hm-zog für
seine Lehensherrlichkeit am Landgerichte die Lehensherrlichkeit an
den früheren Alloden Ortolf's; in gleicher Weise ist der Domvogt als
Afterlehensherr entschädigt. Ortolf hinwiederum besitzt an Stelle
des Gerichtslehens seine früheren Allode als Afferiehen, abgesehen
von den 350 Pfund, die er für den Verkauf derselben erhalten. Nach
der Strenge des älteren Rechtes hätte die Reihe der Auflassungen
bis zum Kaiser hinaufreichen, die Reihe der Belehnungen von ihm
ausgehen sollen. Dass dies nicht geschah, zeugt von der eingetre
tenen Wirkungslosigkeit der Grundsätze über das Gerichtslehen,
wie nicht minder der Umstand, dass Ortolf das Landgericht in der
vierten Hand hatte — die des Kaisers mitgerechnet.
Doch wird die Person des Kaisers nicht gänzlich umgangen.
Otto IV. stellt seine Exemptionsurkuride früher aus als Leopold VI.
Um so auffallender ist es, dass der Kaiser nur bestätigend auftritt
„Omnibus innotescere volumus quodecclesia per providentiam iam dicti
principis (Leopoldi) . . . taliter est exempta. Darauf folgt die Erzäh
lung des bei der Exemtion beobachteten Vorganges . . . „Nos igitur
totam istius facti seriem ralam habentes . . . ecclesiam . . . imperiali
auctoritate eximentes absolvimus et liberam esse statuimus“. „Impe
riali auctoritate et nostra liheravimus“ sagtLeopold in Florian Nr. 4.
In Fl. Nr. 6 beruft er sich auf die Bestätigungen Otto’s IV. und
Friedrich’s II. Der Widerstand, welchen der Herzog bei Exemption
des Stiftes zu überwinden hatte, die Opfer, um welche dieses die
Immunität erkaufte, erklären es zur Genüge, dass man in diesem.
Falle die königliche Bekräftigung eines an sich gütigen Rechts
geschäftes nachsuchte.
1) Stift Florian tradiert Hie gekauften 0 r t o If lässt die Gerichtsbarkeit dem
Güter dem Herz og, dieser belehnt Domvogt auf, dieser dem
damit den Domvogt, Herzog, dieser verleiht sie dem Stift
dieser Ortolf. Florian.
In Bezug auf die Güter beginnt die Reihe der Rechtsgeschäfte mit Florian und
schliesst mit Ortolf, in Bezug auf die Gerichtsbarkeit beginnt sie mit Ortolf und
schliesst mit Florian. Der einleitende Kaufvertrag steht ausserhalb dieses Ringes.
2 ) Vergl, Leop. VI, für Victring in Kärnthen, M. 91, 4G, Archiv VI, 307, Nr. X :
„tuicionis nostrae scutum;“ ebenso Frid. II. dux für Victring M. 163, 63; Leop. VI.
für Seckau M, 87, 4: „clipeo protectionis nostrae“ u, a, m.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
365
Auf ähnliche Weise ging 1217 die Befreiung des Klosters
Kremsmünster vor sich. Der Hergang wird nicht so ausführlich
geschildert wie in den Florianer Urkunden. Die Kirche zahlt Ortolf
von Volkerstorf durch Vermittlung des Herzogs 400 Pfund. Ortolf
lässt sein Recht dem Domvogte, dieser dem Herzoge auf, der dann
die Gerichtsbarkeit durch Hingabe des Richtschwerles dem Schutz
heiligen des Klosters, Agapitus überträgt ')• Während den Leo-
poldinischen Urkunden für Florian die königliche Bestätigung
vorausgeht, also gewisserinassen sich zwischen das actum und
datum derselben hineinschiebt, folgt sie bei der Exemtion Krems
münsters der herzoglichen Beurkundung nach. Auch sonst unter
scheidet sich das Privileg K, Friedrich’s II. von 1217 von den
königlichen Bestätigungsurkunden für Florian. Diese schmiegen
sich dem Wortlaute nach an die herzoglichen Privilegien au, jenes
gibt nur ein kurzes Resume der vom Herzoge verliehenen Rechte 3 ).
Wilhering besitzt eine undatierte Urkunde Herzog Fried
rich’s II. die Meiller iri’s Jahr 1241 setzt, worin die Leute des Stiftes
vom Besuche der Landdinge eximiert werden, sie müssten denn diese
freiwillig suchen 3 ). 1241 erlangt Wilhering unbeschränkte Immunität
*) Ecclesia Ortolfo . . . CCCC libras . . . nobis mediantibus persolvit et idem
Ortolfus omne ius, quod in praediis et in liominibus eiusdem ecclesiae ratione iuris-
dictionis saecularis habebat, Oltoni tuomadvocato Ratisponnensi et ille nobis, uterque
manu ad manuin resignavit. U, o, E. II, 589. M, 119, 141.
2 ) Praefatus dux • • • a saeculari iudicio exemit adeo quod, Ortolfus de V., qui fuit
iudex provinciae . . . resignaret iudicium illud in manus Ottonis Ratisp, ecclesiae
advocati, a quo tenebat in feodo, idemque adVocatus resignaret illud manibus ducis
• • • dux . . . glorioso Christi martyri Agapito auctoritate nostra assignaret
U. o, E. II. 591, M. 121, 14G.
3 ) Ilomines claustri exemptos esse volumus a generalibus placitis seu privatis nisi pro-
pria venerint voluntate. Stiilz Gescb. d. Cistercienserklosters Wilhering Linz 1840
p. 514. Das Datum, welches Meiller (165, 75) dieser Urkunde giebt, scheint mir nicht
unglücklich gewählt. 1237 II. verleiht Kaiser Fried. II. Wilh. ein Privileg, welches
wörtlich mit einer Urkunde vom Jänner desselben Jahres für Heiligenkreuz stimmt
und über Vogteiverhältnisse handelt, ausserdem aber noch den Zusatz enthält; ut
hoinines (monasterii) sive coloni per unIIum iudicem secularem etiam per aliquem
advoeatum ad communia vel privata placita, nisi per se venire voluerint aliquatenus
compellanlur, II. Friedrich II. erneuerte in den Jahren nach Wiedererlangung seines
Herzogthums mehrere Privilegien K. Friedrich’s; in welcher Art wird unten
erörtert werden. Auch das später zu erwähnende Verhältniss der Eingangsworte
lässt darauf schliessen, dass das königliche Privileg bei Ausfertigung des herzog
lichen bereits vorlag, das letztere also nach 1237 zu setzen sei.
366
Brunner
vom Landgerichte. Kein herzoglicher noch ein anderer Richter
u. s. w. soll fürderhin in des Herzogs oder in fremdem Namen über
Güter und Leute des Klosters richten !)•
Die Immunitätsverleihungen, die ich in dieser Gruppe zusam
menfasste, haben das Gemeinsame, dass nach der Mehrzahl der
Urkunden zu schliessen der Herzog nicht blossen Gerichtsbeamten
sondern selbstständigeren Gerichtsvasallen und deren Unterrichtern
gegenüber steht, welche letztere nicht von ihm eingesetzt wurden.
Es kommen schliesslich die Klöster ausserhalb der baben-
hergischen Lande zur Sprache, deren innerhalb der Herzogtümer
gelegene Besitzungen von der Babenbergern eximirt wurden.
1164 befreit Herzog Heinrich II. Neustift bei Freising von der
öffentlichen Gerichtsbarkeit. Auf diese und nicht auf vogteiliche Ge
richtsbarkeit muss die Exemtion sich bezogen haben, da die
zwei anderen öffentlichen Lasten von derselben ausdiücklich ausge
nommen wurden 2 ). Unzweifelhaft hängt diese Exemtion mit der
Reise zusammen, die der Bischof' von Freising 1164 zu Herzog Hein
rich unternahm. Dass Neustift 1164 vom Herzoge, nicht auch wie
das Bisthum Freising 1189 vom Kaiser eximirt wurde, dürfte be
stätigen, was oben über letztere Exemtion gesagt worden.
1181 erlässt Herzog Leopold V. dem Spital S. Egid bei Passau
seine Rechte über drei Mansen desselben zu Hohenwart, und ver
bietet seinen Amtleuten und Bütteln auf denselben irgend eine Ge
walt sich anzumassen s ). Nach dem Contexte der Urkunde vermuthe
1 ) Ut nullus nostrorum iudicum vel alio rum officialium seu praeconum quicquam iuris
. . . de cetero nostro aut alieno nomine vendicare debeat in eisdem (praediis)
• • - für nostro iudici vel aliorum, in quorum ditione maleficia perpetrantur,
debea(n)t perpetrari. Stiilz Wilhering 516, 90. M. 168, 90.
Wahrscheinlich handelte es sich um die Exemtion von der Gerichtsgewalt des
Albero von Pollenhaim, den Kaiser Fried. II. 1237 20. Febr. brieflich „iudex pro-
vineialis“ nennt und zum defensor und executor Wilherings bestellt.
2 ) Praeposito Hermanne remisimus quasdam iusticlas in prediis suis, in ducatu et
marchia nostra sitis, ex consilio fidelium et officialium nostrorum videlicet Matfridi
et aliorum, qui tune presentes erant: statuentes ut nihil exigatur . . excepta
nuda iusticia illa videlicet, quae dicitur marchmutte, et illo servicio, qui vocatur
purchwerck, excludentes omnino oinnes alias exactiones videlicet placitorum, iudi-
ciorum, praepositorum (praefectorum ?) et preconum’peticiones et pernoctationes.
M. B. IX, 567. M. 46, 63.
3 ) Ius nostrum, quod in tribus eorum mansibus Hohenwarte sitis habebamus . .
penitus ipsis indulsimns statuentes ut nullus ammannorum et preconum in eisdem
Das gerichtliche Exerationsrecht der Babenberger.
367
ich, dass sie einen Verzicht auf herzogliche Vogtrechte enthalte.
Nicht viel bestimmter lautet eine Urkunde Herzog Friedrich’s II.
von 1241 für dasselbe Spital *).
Kloster Formbach hatte von Herzog Ottokar VI. ein halbes
Dorf erhalten, mit der letztwilligen Verfügung, dass es frei sein solle
von allen Lasten anlässlich der öffentlichen Gerichtsbarkeit, von
allen Abgaben an die Landesbeamten, frei von allem Vogtrechte 3 ).
Nachdem Leopold V. das Herzogthum Steier angetreten, publicirte,
erfüllte und beurkundete er diese Verleihung (1194). 1210 bezeugt
Leopold VI., dass sein Vater dem Kloster Formbach den Markt Her-
zogenburg tradiert und bestimmt habe, es dürfe darin nur der vom
Abte eingesetzte Richter gerichtliche Rechte ausüben 3 ).
1204 beurkundet Leopold VI., es habe Abt Manegold von Tegernsee
vor seinem Vater durch Zeugen nachgewiesen, dass ei-auf den der Abtei
von König Heinrich II. geschenkten Gütern geeignete Richter zu be
stellen befugt sei, welche nach Belieben des Abtes von den österrei
chischen Herzogen ein- und abzusetzen seien 4 ). Aller Wahrschein
lichkeit nach handelte es sich hier um Bestätigung der freien Wahl
von Gerichtsvögten, die in der Regel aus ihren Ämtern erbliche
*
ipsorum inansibus quicquam habeat potestati3 aut aliquid unquam exerceat violen-
tiae vel exactionis. M. B. XXIX b, 277. M. 58, 13.
ßerchtold führt diese Urkunde, vermuthlich auf Grund des Meillerschen Regests
als Beispiel einer gerichtlichen Exemtion an , daher ich sie nicht stillschweigend
übergehen wollte.
1) M. B. XXIXb, 288. M. 167, 86.
2 ) Oltacarus eontulit . . . dimidiam villam . , . eo iure ut penitus libere ab omni
exactione iudicii et ofücialium p r o vi n ci a e et iure advocati . . . administretnr.
M. B. IV 94, M. 70, 54-
s ) Statuit quoque (pater meus) ut iudex ab abbate . . , constitutus omnem iustitiam
iudicii ibidem libere et nullo contradicente exequi debeat. M. B. IV, 150, M. 105, 89.
4 J Manegoldus . . . sufficienti testimonio comprobaverat quod , . . abbates
iudices sibi utiles in eisdem praediis ordinent et provideant, qui a principibus
Austriae ad arbitrium abbatum instituantur et destituantur, M, B, VI, 202, M, 93, 51.
Wie ich diese Urkunde auffasse kam durch dieselbe der Herzog dem Abt gegen
einen widerspenstigen Vogt zu Hilfe. Berchtold führt auch diese Urkunde an als
Beleg für die Eingriffe der Herzoge in fremde Jurisdictionsbefugnisse: „Ja es
scheint, als ob die Herzoge sich gelegentlich auch das Recht vindicirt haben, alle
Richter im Lande selbst zu ernennen“, p, 168. Dies zu vermuthen gibt gerade diese
Urkunde nicht den geringsten Anhaltspunkt. Von einer „besonderen Gnade“, aus
welcher die Richter ' vom Herzoge nur mit Willen der Äbte eingesetzt werden
sollten, weiss das Privileg nichts.
a
368
Brunne r
Lehen zu machen suchten. Als Obervogt hatte der Herzog die Unter
vögte ein- und abzusetzen, im vorliegenden Falle auf Vorschlag des
Abtes. Urkunden ähnlichen Inhaltes mit bestimmter Hinweisung auf
das Recht die Untervögte zu wählen finden sich in Hülle und Fülle.
Kloster Prüvning *) bei Regensburg wird von Herzog Fried
rich II. 1240 zum Ersatz des Schadens, den es unter seinem Vater
Leopold in alienationibus praediorum suorum seu advocatiis erlitten,
von der Vogtei und allen Abgaben an die herzoglichen Richter be
freit. Ich lasse es dahin gestellt, ob hier neben der Entvogtung auch
eine Exemtion von der öffentlichen Gerichtsbarkeit vorliege.
So weit die in dieser Gruppe behandelten Urkunden eigentliche
Exemtionen enthalten, treten die Verhältnisse zu Tage wie bei den
Exemtionen der Klöster auf märkischem Roden.
Die Reihe der herzoglichen Exemtionen ist hiemit erschöpft.
Der König tritt bei den Immunitätsverleihungen dieser Periode
dem Herzoge gegenüber sehr in den Hintergrund. Eine Exemtion
von Seite des Königs ohne Zustimmung des Herzogs ist mir nicht
bekannt. Die Exemtionen Passau’s und Freising’s, sowie die könig
lichen Beslätigungen für Florian, Kremsmünster und Lilienfeld
wurden bereits erörtert. In älterer Zeit hatte die Aufnahme von
Kirchen in den königlichen Schutz die Immunität selbstverständlich
zur Folge 2 ). Um die Stellung des Königs zum Herzog auch nach
dieser Seite in’s Licht zu setzen, gilt es, die königlichen Schutzbriefe
dieser Periode in Belracht zu ziehen. Da sind denn vor allem die
Klöster des Cistercienserordens zu berücksichtigen, der im Reiche
ein eigenthümliches Vorrecht genoss s). Nach den Ordensregeln
sollten sie vogtfrei sein, nach einem urkundlich oft erwähnten Grund
satz nur unter der Schutzvogtei des Königs stehen 4 ). In Österreich
scheinen die Landesfürsten dies Recht des Königs für sich in An-
In emendationem dampni illati ab omni advocatia et exactione iudicum nostrorum
praeter iudicia sanguinis sepefata praedia eximentes. Archiv f. K. oest. G. Qu. VI.
315, M. 164, 72.
2) Immunität und Mundium, ursprünglich geschieden, hatten sich unter den Karolingern
derart verbunden, dass eins das andere bedingte.
3 ) Ficker ßeichsfiirstenstand 326, N. 226.
4 ) Urkunde des Bischofs von Bamberg für Wilhering von 1154: monachi cisterciensis
ordinis secundum libertatein, quam privilegia Romanorum ponlilicum eorum ordini
concedunt, ut videlicet nullum habeant ndvoeatum praeter Romanoruin imperatorem et
— episcopum Babenbergensem. U. o. E. II. 273.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
369
sprucli genommen zu haben. Eine Urkunde Leopold’s VI. für Baum-
gartenberg vom 31. Jan. 1209 *) enthält die bezeichnende Stelle:
constat enim et in placito nostroMutarn ex sententia perquisitum atque
inventum est omnes cysterciensis ordinis monachos tale ins ex antiquo
habere ut nee ipsi nec ipsorum praedia ulli advocato quicquam
solvere debeant, sed neque advocatum eis habere Iiceat nisi defen-
sorem principem ipsum, qui caput est terrae, in qua quique eorum de-
gunt. In der königlichen Bestätigung der Immunität Lilienfelds von
1217 geschieht einer obersten Schutzvogtei des Königs keine Er
wähnung. Dagegen nimmt Kaiser Friedrich II. im August 1227 zu
Melfie die vier Cistercienserklöster der Mark, Heiligenkreuz, Lilien
feld, Baumgartenberg und Zwettl in seinen und des Reiches beson
deren Schutz und bestätigt die von seinen Vorgängern oder anderen
Reichsfürsten verliehenen Rechte 2 ). Quibus illud addicimus et im-
periali sanctione statuimus quod, sicut ordo Cisterciensis ab exordio
suae institucionis nullis unquam fuit obnoxius advocatis, ita predicta
monasteria. .ab omni adv.ocatorum ratione. .sint liberae tarn communi
ordinis libertate quam presenti nostra consfitucione et confirmatione
exemptae. Da es häufig zu geschehen pflegte, dass man bei Schen
kungen an Klöster sich die Vogtei über die geschenkten Güter vor
behielt, so wird bestimmt: quodcunque praedium nostris monasteriis
... fuerit in helemosinam datum aut aliis iustis modis acquisitum,
imperiali tuicioni eo ipso subiacebit, quovestrum esse coepit. Schliess
lich wird den Klöstern das Recht ertheilt, sieb einen „defensor“
zu wählen 3 ), der sich jedoch durchaus keine Gerichtsbarkeit an-
massen darf und sein Amt „vicis nostrae executionem“ weder zu
Leben noch erblich innnehaben soll und welchen die Klöster ent
fernen können, si immunitatis .... privilegium infringere aut
evacuare voluerit.
Noch schärfer tritt der Gegensatz der herzoglichen und könig
lichen Ansprüche hervor, wenn man die Arengae folgender zwei Ur
kunden für Wilhering vergleicht.
’) U. o. E. II, 518. M. 100, 73.
2 ) Quaecunque iura, quaecunque exemtiones, libertates a felicibus imperatoribus prede-
cessoribus nostris vel ab aliis imperii principibus rationabiliter sunt collata vel iusle
de cetero conferuntur. Fontes rer. Aust. II, p. 68,
3 ) Quia remoti a nobis maiestatis nostrae prne’sentiam ad’:*e — non valetis
Sitzb. d. pbil.-hist. CI. XLVII. Bd. I. Hft.
370
Brunner
K. Friedr. II. 1237: cum idem ordo (Cisterciensis) praeter
Romanorum imperatorem nullum prorsus habere debeat advocatum,
abbatem . . . sub nostra et imperii protectione recipimus speciali
mandantes ut. . . !)•
Herzog Friedrich II. (undatirt) : cum ordö Cisterciensis
alium praeter nos habere non debeat advocatum, ipsos fratres.. .in
protectionem nostram et gratiam nostram recipimus specialem man
dantes districte ut.... ®).
Obwohl die angeführten Stellen nicht die Immunität vom Land
gerichte, sondern die Vogteifreiheit betreffen, so dienen sie doch im
Allgemeinen zur Charakterisirungdes Verhältnisses, in welches König
und Herzog in gegenseitigem Wetteifer sich zu den Cistercienser-
klöstern stellten. Es involvirt die oberste Schirmvogtei das Recht,
die Ausübung der Vogteigerichtsbarkeit zu verbieten und wird dieses
Recht nicht wie sonst auf irgend einen bestimmten privatrechtlichen
Erwerbungsgrund der Vogtei, sondern auf die oberste Reichs- auf die
oberste Landesgewalt zurückgeführt. Die Vogtei des Landesfürsten
hat somit hier einen öffentlichen Charakter, den sie sonst nicht,
wenigstens nicht in diesem Grade hat. Anderseits spielen die könig
lichen Schutzbriefe für die Cistercienserklösfer eine andere Rolle,
als sonst die königlichen Schutzbriefe dieser Zeit. Jene schlossen
die Vogtei des Landesherrn aus und haben die Immunität von der
öffentlichen Gerichtsbarkeit wenn auch nur theihveise zur Vor
aussetzung. Sonst berührt die Aufnahme in den Königsschutz nicht
einmal die bestehenden Vogteiverhältnisse, geschweige denn die
Immunität. Die königlichen Schutzbriefe dieser Periode sind im
allgemeinen kaum mehr als Bestätigungen der den Kirchen bereits
zustehenden Rechte und Confirmationen ihres jeweiligen Giitercom-
plexes. Es ergibt sich dies schon aus den mehr oder minder
stereotypen Schutzformeln. So lautet z. B. ein Schutzbrief K. Fried
rich^ II. für Waldhausen von 1213: „moriasterium ... in specialem
regiae maiestatis protectionem accepimus, ita quod, si qnis idem
monasterium indebite molestare praesumpserit, curiam nostram se
noverit offendisse 3 ).
1 ) J. Stülz, Wilheriiig 507. Huillard ßreholles T. V. P. I, 21.
2 ) Siehe oben: S, 365, Note 3.
3 ) U. o. E, II, 562, Vergleiche den Schutzbrief K. Friedr. II. für Melk (1232) bei
Huillard ßreholles histor. dipl. Friderici II. Tom. IV, Pars I, p. 292.
Das gerichtliche Exemtiousrecht der Babenberger.
371
Von einem anderen Gesichtspuncte aus ist die Thätigkeit auf
zufassen, welche Kaiser Friedrich II. in der kurzen Zeit entwickelte,
als ihm nach Ächtung Herzog Friedrich’s II. die Herzogtümer
Österreich und Steyer ledig waren. Er nimmt Göttweih, Lambach,
Seitenstetten, Heiligenkreuz in seinen Schutz, erneuert und erweitert
für das letztgenannte Kloster das Privileg, welches er 1227 den
vier Citercienserstiftern verliehen hatte, stellt Wilhering eine Urkunde
gleichlautenden Inhalts aus, indem er ausserdem dessen Leute von
Land- und Vogtding eximirt (vergl. oben S. 365, Note 3), bestätigt
das herzogliche Privileg für das Schottenkloster von 1181 und
seine Urkunde für Florian von 1213 J ).
Aus dem Verhältnisse, in welchem der Kaiser zum Herzoge
stand, erklärt es sieh, dass jener in seinen Bestätigungsurkunden
jede formelle Anerkennung von Regierungshandlungen seines Geg
ners vermied, dass er in seinen Privilegien auf die Zustände unter
Leopold VI. zurückging und Rechte und Freiheiten erneuerte, wie
sie unter Leopold V. bestanden hatten. 2 ) Daraus lässt sich aber
nicht etwa der Schluss ziehen, als habe der Kaiser die Exemtionen
und Verleihungen Herzog Friedrich’s als ungiltig betrachtet. Ein
Privilegium, welches Kaiser Friedrich II. dem deutschen Orden gibt,
stimmt mit Veränderung von Namen und Titel fast wörtlich mit
der Urkunde, die H. Friedrich der Ordenscommende zu Gratz aus
gestellt hatte, allein der Verfügung des Herzogs wird nicht
gedacht 3 ).
Bemerkenswerth ist die Hast und Eile, mit der alles zum Kaiser
strömt, um sich Babenbergische Privilegien bestätigen zu lassen.
Mochte man vielleicht dennoch Zweifel hegen, ob der Nachfolger
des geächteten Herzogs, als welchen den Kaiser selbst zu
betrachten man guten Grund hatte, sich an die Verleihungen der
Babenberger werde gebunden halten? Der Kaiser bestätigte die
Privilegien und mit den Privilegien auch das herzogliche Recht, sie
zu verleihen.
Eine andere Frage, die sich hier aufdrängt, ist die, ob Herzog
Friedrich II. nach Wiedereroberung seiner Lande die kaiserlichen
*) Florian N. 8.
2 ) Vergl. Siegel a. a, 0.
3 ) Huillard ßreholles V, I. 20, Fröhlich II, 181.
M*
372
Brunner
Verleihungen als rechtlich bindend anerkannte. Die vielen Bestäti
gungen des Kaisers, dahin auch die Schutzbriefe zu rechnen,
kommen hier nicht in Betracht. Für den deutschen Orden stellt
Herzog Friedrich II. 1239 ein umfassendes Privilegium aus „post
coinpositionem et cuneordiam inter dominum nostrum imperatorem
et nos sollemniter cfTebratam. J ) Auf K. Friedrich's Privileg wird
darin nicht Bezug genommen wohl aber (wie zur Vergeltung) auf
die unter Leopold VI. dem Orden zustebenden Rechte. Die zwei
Enlvogtungsbriefe für Wilhering und Heiligenkreuz, welche diese
Cistercienserklöster von jeder andern als der kaiserlichen Vogtei
befreien (ein Princip, welches Herzog Friedrich II. schon früher
nicht anerkannt hatte), mögen ein ähnliches Schicksal erlitten haben
wie die kaiserliche Handveste, durch jdie Wien zur reichsun
mittelbaren Stadt war erhoben worden. Kaiser Friedrich II. hat
übrigens sowohl den Freiheitsbrief für Wien, als die Privilegien für
die Cistercienserklöster stillschweigend zurückgenommen, als er
nach Beilegung des Streites dem Herzoge das Minus bestätigte,
welches, wie wir gesehen, jede königliche Befreiung von der
Zustimmung des Herzogs abhängig machte.
Werfen wir einen Rückblick auf die Exemtionen der Periode
von 1156 — 1246 und fassen wir die vier von vorneherein aufge
stellten Entwicklungssladien in’s Auge, so ergibt sich folgendes
Resultat:
1. Ein Exemtionsrecht des Königs ohne Einwilligung des
Herzogs hat nicht mehr bestanden. Der Gedanke an ein solches ist
schon durch den Wortlaut des Minus ausgeschlossen. Königliche
Schutzbriefe sind ohne Einfluss auf die Immunitätsverhältnisse. Die
ausschliessliche Vogtei des Königs über die Cistercienserklöster
haben die Babenberger weder in Praxis noch in Theorie aner
kannt.
2. Der König eximirt mit Zustimmung des Herzogs in zwei
Fällen, welche die Immunität reichsunmittelbarer Bisthümer
! ) Hormayr, Wien. II. II. Urk, pag. 00. Nr. 222. M. lall, SO,
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
373
betreffen. Die Einwilligung des Herzogs tritt nicht etwa erst nach
träglich hinzu, vielmehr bildet die Auflassung der Gerichtsbarkeit
von Seite des Herzogs die nothwendige Voraussetzung der könig
lichen Immunitätsverleihung. Dass die Übertragung der Gerichtsbar
keit an die Pfaffenfürsten durch die Hand des Königs ging, dürfte
nicht sowohl in der staatsrechtlichen Stellung des Landesherrn zum
König, als in der Überordnung der Pfaffenfürsten über die Laien
fürsten begründet sein, mit der sich die landesfürstliche Exemtion
reichsbischöflichen Gutes nicht wohl vertrug.
3. Exirnirt der Landesherr selbst, so tritt die königliche
Bestätigung ausnahmsweise, und zwar erst nachträglich hinzu und
lässt sich in den einzelnen Fällen auf Gründe besonderer Art zurück
führen, nach welchen sie nicht als wesentlich zur Giltigkeit sondern
nur als zweckmässig zur Bekräftigung der herzogliehen Exem
tion erscheint.
4. Die selbstständige und ausschliessliche Exemtion durch den
Herzog bildet die Regel. In den Marken genügt zur Exemtion ein
Mandat des Herzogs an die von ihm bestellten Amtsrichter. In den
Gebieten mit Grafschaftsverfassung scheint die Zustimmung und
Entschädigung der Gerichtsvasallen nöthig, welche die Gerichts
barkeit in letzter Hand haben.
In welcher Weise hat dieses herzogliche Exemtionsrecht sich
gebildet? Auf unmittelbare königliche Verleihung lässt es sich mit
Sicherheit nicht zurückführen. Am natürlichsten erklärt sich eine
gewohnheitsrechtliche Ausbildung desselben. Der Herzog nahm
wiederholt selbstständige Exemtionen vor, ohne dass von Seite des
Königs Einsprache geschah, so dass dieser sich an seinem Rechte
verschwieg, die Exemtionen von seiner Einwilligung abhängig zu
machen, und nicht umhin konnte, des Herzogs einseitiges Exemtions
recht gelegentlich anzuerkennen.
Dass der Herzog in so selbstständiger Weise über seine
Gerichtsbarkeit verfügen konnte, lag in den factischen Verhält
nissen begründet, erklärt sich aus der politischen Machtstellung der
Babenberger nach aussen, aus der straffen Gerichtsgewalt derselben
nach innen, in soferne zu Folge dieser Umstände ein selbststän
diges Vorgehen des Herzogs nichts auffälliges an sich trug und in
der Natur der Dinge zu liegen schien.
374
Brunner
Die Stelle des priv. minus über die Gerichtsbarkeit beseitigte
nur das einseitige Exemtionsrecht des Königs. Nachdem einmal
die Mitwirkung des Herzogs gesetzliches Erforderniss geworden
war, wandte man sich natürlicher Weise früher an den in nächster
Nähe befindlichen Herzog als an den fernen König, um die
gewünschte Immunität zu erlangen. Dass aber das einseitige Exem
tionsrecht des Königs nicht einem beschränkten Exemtionsrechte
des Herzogs Platz machte, sondern dieser in das volle Recht des
Königs eintrat, ermöglichte die Stellung, welche die Babenberger
durch das Minus im allgemeinen erlangten, namentlich die unbedingte
Erblichkeit des Herzogthums, die eine Annullirung der Exemtionen
durch den Nachfolger nicht befürchten Hess.
Anderseits behielten die Herzoge innerhalb der Marken die
markgräfliche Gewalt, die sich nicht sowohl dnrcli Unabhängigkeit
nach oben als durch Straffheit nach innen charakterisirte. So blie
ben sie Fürsten und Grafen in einer Person, während sonst in der
Regel die Fürsten die Grafschaften weitergeliehen hatten und die
Grafen aufhörten Fürsten zu sein. Bei der unmittelbaren Abhängig
keit der richterlichen Beamten war ein Widerstand derselben ge
gen die herzoglichen Exemtionen undenkbar, ein Widerstand wie
er in den Gebieten ohne Markverfassung sich allerdings fand und
die Bestätigung der Exemtion durch den König räthlich erscheinen
Hess.
Für die staatsrechtliche Stellung der österreichischen Landes
fürsten war es von hoher Bedeutung, dass das Exemtionsrecht des
Königs auf den Herzog überging, denn die königliche Immunität
hatte Reichsunmittelbarkeit zu Folge, während die Kirchen, die der
Herzog freite, landsässig blieben. In den meisten der übrigen
Reichslande waren durch zahlreiche Exemtionen die grossen Amts
sprengel zerstückt, auf deren Trümmern die Landeshoheit sich
erhob. In langwierigen Fehden mussten die Landesherrn die vielen
exterritorialen Gewalten innerhalb ihrer Gebiete unterdrücken, ehe
die Territorien sich einigermassen abrundeten. Österreich blieb diese
Übergangsperiode erspart. Es trat unmittelbar aus der Reihe der alten
Amtssprengel in die Reihe der Reichsterritorien, eine zusammen
hängende, in sich abgeschlossene Ländermasse; daher das natür
liche Schwergewicht, mit welchem diese Grenzlande auf die Wag
schale der politischen Ereignisse Deutschlands drückten.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
375
Anhang. Die Immunität.
Eigentlich wäre hiemit die Aufgabe dieser Abhandlung er
schöpft, die nur die staatsrechtliche Seite der Immunitätsverleihun
gen in Betracht zu ziehen hat, in sofern sie für das Verhältnis des
Landesherrn zum König einerseits, zu seinen Richtern andererseits
massgebend sind. Allein die Bedeutung des Exemtionsrechtes wird
zum Theil erst durch die Wirkungen klar, welche die Exemtion
hervorbrachte und daher scheint es mir geboten, anhangsweise über
das dadurch begründete Rechtsverhältnis, die Immunität, eine kurze
Skizze zu geben.
Bekanntlich hat die wissenschaftliche Controverse über Ent
stehung und Bedeutung der Immunität die divergierendsten Ansich
ten zu Tage gefördert. Wenn es schon im hohen Grade schwierig
ist, in dieser Frage für die ältere Zeit, die so oft und so gründlich
behandelt worden, zu einem sicheren Resultate zu gelangen, so
fehlt es vollends für das Stauffer’sche Mittelalter, bis zu welchem
die Specialuntersuchungen über die Immunität noch nicht vorge
drungen, an jedem festen Anhaltspuncte.
In ihrem ersten Stadium bestand die Immunität darin, dass dem
öffentlichen Beamten nicht gestaltet war, die Güter des eximirten
Gebietes zu betreten (Verbot des introitus), daseihst gerichtliche
Handlungen vorzunehmen und was damit zusammenhing, Friedens
gelder zu erheben. Bürgen zu nehmen, Herberge zu begehren oder
sonst wie Abgaben zu fordern (Verbot der exactiones). Er durfte
die Leute des Immunitätsherrn nicht unmittelbar vor sein Gericht
laden (Verbot der districtio); die Ladung ging an den Immunitäts
herrn . der den Geklagten durch seinen Vogt stellen oder ver
treten liess 1 ).
In einzelnen Fällen wurden die Einkünfte aus der Gerichtsbar
keit ganz oder Iheilweise der eximirten Kirche geschenkt. Dies
wurde zur Regel und hieran knüpft sich, dass ihr selbst die Ge
richtsbarkeit über ihre Leute übertragen wurde, und zwar für jene
Fälle, in welchen der Cetenar competent war (also Oiminalfälle,
wenigstens djp schwereren ausgenommen). Des weiteren wurde dem
A ) Waitz, Verl'asungsgeschichte II, 38d,
376
Brunne r
Immunitätsherrn der Blut- und Königsbann, also die volle Gerichts
barkeit und zwar schliesslich auch über jene Vollfreien verliehen,
die zwar nicht auf dem Boden des Immunitätsherrn sassen, deren
Güter aber rings umgeben von immunem Boden Enklaven im
Immunitätsgebiete bildeten. Hiemit war die Immunität zur terri
torialen Abgeschlossenheit gelangt.
Hat hiernach die Immunität eigentlich erst die Basis der grund
herrlichen Gerichtsbarkeit geschaffen, so wird von anderer Seite
die letztere als das ursprüngliche hingestellt; erst später seien die
Fälle des höheren Blutbannes vor den ordentlichen Richter gezo
gen worden. Die Immunitätsverleihung bestehe nur in einer Aus
dehnung des bereits früher vorhandenen Hofrechtes auf die freien
Hintersassen, die bis dahin unter der öffentlichen Gewalt standen.
So sehr diese letztere Ansicht für die Anfänge der Immunität
m. E. dem Wortlaute derImrnuuitätsurkunden widerspricht, so scheint
mir doch für die Zeit, in welche die Babenbergischen Exemtionen
fallen, Folgendes festzustehen: Es gibt bereits vor der Freiung ein
Gericht des Grundherren, in dem nach Hofrecht gerichtet wird. In
denBereich seinerCompetenz gehören mindestens alle Streitigkeiten,
die Grund und Boden und dessen Benützung, sowie das dingliche
Verhältniss der eingesessenen Leute zum Grundherrn betreffen i).
Daneben hält der Landrichter seine placita (auch auf kirchlichem
Boden), in denen er wenigstens in Fällen des höheren Blutbannes
über alle Eingesessenen des betreffenden Landgerichtssprengels,
Genossen (Mitglieder der hörigen Gemeinde der Kirche) und Unge
nossen richtet. Ohne Beschränkung zieht er vor sein Gericht die
Streitigkeiten zwischen Genossen und Nichtgenossen. Fälle der
niederen Gerichtsbarkeit kamen, wenn sie Streitigkeiten unter Genos
sen betrafen, regelmässig vor das Gericht des Grundherrn “).
Die Immunitätsverleihungen, mit denen wir uns hier speciell
zu beschäftigen haben, gehören in Anbetracht der frühen Ausbil-
i) Vergl. Reichssentenz Konrad’s Ilf. 1149, Pertz legg, II, 564: omnem hoininem sive
liberum sive ministerialem oportere domum illius adire, cuius nomine possidet . . ,
si de ipsa possessione controversia ageretur. Denselben Rechtssatz enthält das österr.
Ldrecht. jung. F. Art, 41 , . so suln sew antwurten . . . vor dem herrn,
des daz aigen ist.
Vergl. Eichhorn über den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland.
Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. Bd, I, 1815, p. 212.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
377
dung dieses Rechtsinstitutes einer verhältnissmässig späten Zeit an.
Dennoch lassen sich in den einzelnen Bestimmungen der Immuni
tätsbriefe die verschiedenen Stadien der Entwicklung noch deutlich
erkennen. Den Ausgangspunct bildet noch immer das Verbot des
introitus, wonach der Richter als solcher die Güterder Kirche nicht
betreten darf. Üt nullus iudicum vel officialium in bonis ecclesiue
quicquam tractare hnbeat, Preising 1164. Nulli umquam conprovin-
cialium iudicum in bonis ecclesiae ibidem lieeat alicuius placitationis
formam habere. D, Orden 1233, Kremsmünster 1217, Gruppe der
Florianer Urk. Neque terminum aut locum iudicialem, qui dingstat
seu banstat vulgariter nuncupafur in prediis constituere. Florian
Nr. 1; vergl. noch Göttweih 1232, Wilhering 1241, Lilienfeld 1209.
Der Landrichter und dessen Schergen dürfen nicht blos den
gefreiten Boden nicht betreten, sie haben auch keine gerichtliche
Gewalt über die Gottesliausleute (kein ius distringendi), kein Recht,
sie vorzuladen, im Weigerungsfälle zu bestrafen *). Ne ad suum pla-
citum evocent homines monasterii. Garsten, Gleink 1192. Ne ali-
quam iurisdictionem seu auctoritatem faciendi iudicium de hominibus
ecclesiae . . . sibi debeant ulterius vendicare. Seckau 1202. . . . aut
homines ipsius ecclesiae ad standum suo iudicio coercere. Krems
münster 1217 D. Orden 1233 . . . nec ibi nec alibi homines ... ad
standum suo iudicio compellere (weder auf Klostergut noch anders
wo). Florian Nr. 1 ff. 2 ); vergl. noch Geyrach 1227.
Sehr anschaulich tritt die exemte Stellung der Immunitätsleute
hervor in einer Urkunde, die Ilartnid von Ort, Marschalk von Steier
mark, (1217) für Kloster Garsten ausstellt. Der Abt hatte gegen ihn
beim Herzog Klage geführt, dass seine Amtleute und Richter bei
Kirchdorf ... in illo iudicio, quod a me (Hardnid) sernper in illis par-
tibus haberi noscebatur, einige Leute Garstens, kaum 11 an der Zahl,
*) Wenn es in der undatierten Urkunde Herz, Friedrich’s II, für Wilhering heisst:
homines , , exemtos esse volumus a generalibus placitis seu privatis, nisi pro-
pria venerint voluntate und ähnlich in dem Privileg K. Friedrichs II. für Willi, per
nullum iudicem secularem vel . . advocatum ad communia vel privata placita,
nisi per se voluerint, aliquatenus compeilantur, so scheint diese Exemtion von der
Gerichtsfolge den einzigen Inhalt der in diesen Privilegien verliehenen Immunität
gebildet zu haben. Sobald das Stift selbst die Gerichtsbarkeit inne hatte, konnte es
den Leuten desselben nicht mehr freistehen, nach eigener Wahl die Dingstätte des
Landrichters oder ihres Grundherrn zu besuchen.
2 ) Auf juristisch unwesentliche Varianten nehme ich keine Rücksicht,
378
B r u n n e r
zum Besuche ihrer Dingstätten anhielten „et iudiciis et locis Statutis
volebant saepius ad sua tribunalia coartare et, nisi coram eisdem rneis
iudicibus iuri starent, ad emendaliones sicut alios illius provinciae
indigenas acriter compellebant“. Hartnid erklärt, er habe diesen
Missbrauch abgestellt und seinen Richtern jeden Gerichtszwang über
die Leute des Klosters verboten >).
Aus dem Wortlaute der Urkunden ist durchaus nicht zu ent
nehmen, dass nur eine bestimmte Classe der Leute der Kirche,
etwa nur die freien Hintersassen, von der Gewalt der Richter befreit
würde. Es kann daher dem Gedanken nicht Raum gegeben werden,
als hätte früher nur ein Theil der auf dem Kirehengute ansässigen
Bevölkerung unter der öffentlichen Gerichtsbarkeit gestanden. In
der Regel werden die „homines ecclesiae“ im allgemeinen dem
öffentlichen Richter entzogen. So weit in den Urkunden eine
weitere Gliederung der „homines“ hervortritt, dürfte die Drei-
theilung in coloni, proprii und censuales als die constanteste zu
betrachten sein. So werden z. B. unterschieden: homines ecclesiae»
sive coloni, sive proprii sive censuales D. Orden 1233; coloni vel
homines proprii Ü. Ord.1239; coloni etfamilia, über vel servus clau-
stri Geyrach.1227, homines, coloni, servientes et famuli D. Ord. 1233;
homines coenobii sive coloni in praediis ecclesiae, proprii, sive censu
ales sive ministeriales Kremsm. 1217, maierholden auf urbar, aigen-
leut, zinsleut, dienstleut Florian N. 6 in einer alten deutschen
Übersetzung. Es ist bei diesen und allen ähnlichen Angaben sehr
schwierig festzustellen, in wiefern eine Häufung gleichbedeutender
Ausdrücke oder eine rechtliche Scheidung vorliegt. Ein Gegensatz
von Hörigen und Eigenleuten lässt sieh mit Sicherheit annehmen.
Was aber die Ausdrücke coloni und censuales betrifft, so sind beide
gleich dehnbar, da jeder Colone ein Zinsmann, jeder Zinsmann ein
colonus sein konnte. Die geringe Anzahl von Stellen, welche mehrere
Classen von homines anführen, gestattet nicht, daraus die Gliederung
der bäuerlichen Standesverhältnisse zu abstrahieren, wenn dies hei
dem Ineinanderfliessen derselben überhaupt möglich sein sollte. Das
Schwanken der urkundlichen Ausdrücke ist ein Grund mehr, um anzu
nehmen, dass das Verbot der districtio eine Neuerung enthielt in
Bezug auf die ganze auf dem Kirchengute sesshafte Bevölkerung
und nicht etwa blos in Bezug auf eine bestimmte Classe derselben.
D U. o. E, II, 594,
i)as gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
379
Mit dem Verbote des introitus und der districtio hängt es
zusammen, dass der Landrichter nicht mehr befugt ist, Gerichtsge
fälle zu erheben und Leistungen entgegen zu nehmen, wie sie den
Richtern gebühren. Gerade diese, die nutzbare Seite der Gerichts
barkeit, die ihr den Charakter desAmtes genommen, den des Lehens
gegeben, wird in den Immunitätsbriefen oft ausschliesslich liervor-
gehoben und mit der Befreiung von den Abgaben, die Befreiung von
der Gewalt des Richters überhaupt ausgesprochen. Nullus iudicum
aut ammannorum . . . servitia ulia exigere vel exaetiones . . . praesu-
mat exercere. Leopold VI. für die herzogl. Patronatspfarren. Ne quis
. . . in bonis fratrum . . . intus ant foris *) occasione nostrae repeten-
dae justiciae . . . aliquid exigere . . . audeat. Schotten 1181. Vergl.
noch Formbach 1194, Neustift bei Freising 1164, Waldhausen 1240.
Die negative Seite der Immunität wäre hiemit erschöpft. Wie
erwähnt, hatte die Exemtion auf ihrer untersten Stufe noch nicht
die Übertragung der Gerichtsbarkeit an den Herrn des gefreiten
Bezirkes zur Folge. In den Urkunden, mit denen wir es hier zu thun
haben, wird sie entweder ausdrücklich ausgesprochen oder kann
ohne Bedenken supplirt werden, wenn nicht besondere Gegengründe
vorliegen. Reliqua foris 2 ) facta (den Blutbann ausgenommen) officia-
les nostri (Frisingenses) iudicahunt Freising 1164. Sed ipsum
prepositum et suos officiales permittant ... in eosdem homines
potestatem iudiciariam in omriibus causis exercere. Seckau 1202. Sed
ipsi fratres rerumsuarum habeant plenam potestatem. Lilienfeld 1209.
Ut tarn . . . praedia quam ornues causae quae in ipsis emerseririt . . .
tarn . . . sint exempta, ut de ipsis preposito et eius offieialibus lieeat
cognoscere et de cognitis diffinire. Kremsm. 1217, Florian, D. Orden
1233. Iidem homines debent coram dictis fratribus conveniri, qui de
ipsis facerent iudicium etiustitiam competentem. D. Orden 1239. Lant-
gerichte . . . ecclesiae . . . tradidimus. Freising 1189. Renunciavit
(dux) fodro et lantgerichte ... et nos concessimus episcopo. Passau
1215. Lantgerihte tradidimus. Lambrecht 1202. Lantgerihte et com-
positiones et banos . . . conferimus. Lilienfeld 1217.
*.) Intus bezeichnet das eigentliche Stiftsgebäude, foris ergibt sich durch den Gegen
satz von seihst. Das intus war von je immun, seihst der Vogt hatte keine Gerichts
barkeit über dasselbe. Es umfasst die Geistlichen und eigentlichen Dienstleute
des Stiftes. *
3 ) Nicht furis wie bei Ludewig und Meiller.
380
Brunner
Die Gerichtsbarkeit wird in der Regel nicht in vollem Umfang
verliehen, sondern nach drei Richtungen hin beschränkt, nämlich in
Bezug auf Fällung und Vollstreckung der Bluturtheile, für den Fall
der Justizverweigerung und bei Unzulänglichkeit der eigenen Zwangs
mittel der Kirche. Ausübung des Blutbannes, Fällung der Urtheile und
Vollstreckung derselben macht nach canonischem Rechte irregulär.
Wurde einer Kirche die volle Gerichtsbarkeit übertragen, so musste
sie zur Ausübung des Blutbannes einen Vogt bestellen. Da nun zur
Zeit der Babenbergischen Exemtionen das Streben nach Entvogtung
sich bereits allgemein geltend machte, so wurde bei Verleihung
der Immunität die Ausübung des Blutbannes von vorneherein aus
genommen, um die dadurch bedingte Bevogtung zu ersparen. „Reli-
giosarum personarum ordo executionem crimirialis iudicii sibi non
vendicat— huius iudicii executionem ordo sacerdotalis sibi non ven-
dicat“ heisst es sehr bezeichnend in den Privilegien für Florian und
für den deutschen Orden 1233. In einer Urkunde für Sanct Paul
in Kärnthen von 1241 erklärt Herzog Leopold VI., er habe auf den
Gütern, die das Kloster von Graf ßurchard sammt dem Blutbann
erhalten, letzteren an sich gezogen — „ne vestris (ecclesiae) bonis
incommodum inde proveniat“ 1 ).
Der Umfang des Blutbannes wird in den einzelnen Fällen ver
schieden angegeben. Entweder wird er auf Verbrechen im Allgemei
nen („facinerosus“ Willi. 1241, „reus facinoris“ Seitenstett. 1240)
oder auf bestimmte Verbrechen bezogen, nichtmit erschöpfender, son
dern blos demonstrativer Aufzählung der einzelnen Fälle, („fures“
Freising 1164, „violentus raptor aut für manifestus“ Lilienfeld
1209). Meist wird er nicht durch das Verbrechen, sondern durch
die darauf gesetzte Strafe näher bezeichnet, und wird als solche
entweder Tod oder Tod und Verstümmlung der Glieder erwähnt.
„Morte condemnandus“ Schotten 1181, „si . . . mortem promeruerit
corporalem vel membri mutilationem“ Geyrach 1227, „reus sanguinis
condempnatus“ Garsten 1192.
Einbringung und Überführung des Verbrechers geschieht durch
den Beamten der Kirche, nicht durch den Landrichter. Talium (nocen-
tium) personarum inquisitiones officiales tantummodo faciant. Florian.
Si vero aliquis über vel servus claustri de . . . malelicio accusetur,
1) ’ rchiv VI, 309, Nr, XI, M. 129, 173.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger .
381
causa eorum officialibus claustri ventiletur et si convictus legitime
uerit . . . iudicio nostro . . . relinquatur. Geyracli 1227. „Reus faci-
noris, qui l'uerit in praediis incusatus“. Seitenstetten 1240.
Das Ausmass der Strafe steht der Kirche und ihren Beamten
nicht zu, sie beschränkt sich wie die Geschwornen im modernen
Strafprocesse auf die Thatfrage und spricht ihr Schuldig oder Nicht
schuldig. Der auf handhafter Tliat ergriffene oder sonst überwiesene
Verbrecher wird durch die Amtleute der Kirche oder durch den Vogt
an den Landrichter ausgeliefert, welcher sich des Delinquenten nicht
aus eigener Machtvollkommenheit bemächtigen darf Q. (Incusatus)
provineiae iudiei...presentetur ...juxta meritum puniendus. Seitenst.
1240, Tudici... deheat perpetrari, utiustumfuerit, puniendus. Wilhering
1241. Ad iudicium sanguinis tradatur. Florian 2). Iudicio nostro in
Tiver relinquatur; quodsi secundum iura terrae mutilationem suam
postestpec unia redimere, ipsa redemtio ad claustrum pertinebit.
Geyrach 1227. Die Fällung des Urtheils geschah also erst durch den
herzoglichen Richter. Quem tarnen iudex non propria auctoritate sibi
usurpabit . . sed homines ecclesiae assignabunt. Göttweih. 1232. Sed
procurafor ecclesiae iudici assignabit. St. Pölten 1243. Per offiei-
alem vel per eum, quem . . . constituimus advocatum, tradatur
conprovinciali iudici condempnandus. Florian. Per eum, qui in defen-
sione ecclesiae vices nostras sibi gerit commissas, ad iudicium
sanguinis tradatur. Flor. Nr. 3. Nostri sit officii vel eius tantum,
quem ad hoc specialiter destinavimus, penain sanguinis exequu
*) Vergl, Dönniges, das deutsche Staatsrecht 272, Note 1. Der Schultheiss vollzog in
Strassburg die Execution gegen jeden Verbrecher bis zum Momente der Hinrichtung,
diese aber, „der an des Vogtes statt da ist.“
2 ) Es ist ungenau, wenn Berchtold S, 166 von den daselbst angeführten Fällen behaup
tet, es habe der Herzog gewöhnlich nur die niedere Gerichtsbarkeit weiter verliehen,
und im Gegensätze hiezu die Urkunde für Florian von 1209 als Beispiel einer vorbe
haltlosen Verleihung des Landgerichtes anführt; denn auch in dieser Urkunde wird die
Vollstreckung des Blutbannes ausdrücklich Vorbehalten. „Quod si apparentia furti
vel latrocinii vel alicuius criminis, quod inort dicitur vel alicuius maleficii, quod
mortem malefici exigit, in homine ecclesiae notorie fuerit deprehensum, quia huius
iudicii executionem ordo sacerdotalis sibi non vendicat, talis maleficus per officialem
prepositi vel per eum, quem pro petitione prepositi illius ecclesiae constituimus
advocatum, tradatur conprovinciali iudici contempnandus omni tarnen possessione
ipsius malefici tarn mobili quam immobili soli ecclesiae conservata.“ U. o, E. II, 612,
382
Brunne r
Flor Nr. 4. Precones fures ipsis assignabunt, quibus nos . . . exe-
cutionem mandaverimus Kremsm. 1217i).
Die Habe des Verbrechers verfällt der Kirche, bewegliches wie
unbewegliches Vermögen. Er wird dem Richter ausgeliefert „reten-
tis bonis sicut cingnlo accinctus fuerit“ Göttw. 1232, „in persona
tantum non in rebus puniendus“ vgl. nach S. Pölten 1243, Wilhering
1241, Florian Nr. 1 lf. Alle Fälle der Strafgerichtsbarkeit, welche
durch Geldbussen gesühnt werden können, stehen der Kirche zu.
„Omni tarnen culpa, quae pecuniarias admittat compositiones, eccle-
siae reservatä et coucessa.“ Florian Nr. 3. Wenn nicht blos todes
würdige, sondern auch jene Verbrecher auszuliefern sind, welche
einzelne Glieder verwirkt haben, — „quodsi secundum iura terrae
mutilationem . . . polest redimere pecunia — fällt die Lösungssumme
an die Kirche. 1233 wird der d. Ordenscommende in Gratz aus
drücklich der blutige Pfennig, die Busse für Verwundung mit Blut
verlust geschenkt.
Wenn bei Loskaufung eines Übelthäters für die Zahlung der
Busse und für das fernere Verhalten desselben Bürgschaft geleistet
werden soll, verpflichten sich als Bürgen die Leute der Kirche in
die Hände des Propstes, Nichtgenossen in die Hände des Richters.
Si vero pro redemptione (malefactoris) conquerentibus satisfieri et de
indempnitate provinciae pro eofideiuberi contigerit, homines ecclesiae,
si pro eo fideiubendo ad poenam peeuniariam se obligare voluerint
in manus praepositi se obligent ceteri vero in manus iudicis 2 ).
Florian, Nr. 7.
Den Blutbann ausgenommen, hat das Kloster die volle Gerichts
barkeit, auch die Vollstreckung eingeschlossen. Besonders hervor
gehoben werden in einzelnen Privilegien : omnes quaestiones
1) In Ausübung des ßlutbannes kreuzen sich die Thiitigkeit des Landrichters uud des
Vogtes, Der Kirche wird die Gerichtsbarkeit, oft auch die peinliche (per gladii obla-
tionem) verliehen, sie verzichtet aber, was die Vollstreckung der Bluturtheile
betrifft, auf ihr Recht (inventos nocentes personas a bonis ecclesiae infra mensem
amoveant et in eis p ri vilegio suo renuncient. Florian N. 3) und es ist Sache des
Landesherrn als obersten Vogtes oder seines Stellvertreters, die Strafe zu vollziehen.
Da in der Mehrzahl der Urkunden für Florian der Landrichter als executor angeführt
wird, muss dieser es sein, quem ad hoc specialiter (dux) destinavit. Die Competenz
des Landrichters ist eine übertragene; er steht in dieser einen Beziehung der Kirche
gleichsam als Vogt gegenüber.
2 ) Vergl. „ ne iudex . . ad fideiussores tollendos possessiones ecclesiae ingredi
audeat“ in den Karolingischen Formeln,
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
383
super debitis et aliis causis sine effusione sanguinis in hominibus
ecclesiae per totum ducatum emergentes. Seckau 1202. Alias vero
quascunque causas sive pecuniarias sive prediales sive in personam
sive in dampnum. bannos videlicet pugnarum, expurgationes omnes-
que obventiones seilicet losunge, uebervanch, gaumlos, nocturnos
dolos in personis et praediis suis officiales ecclesiae . . . exequan-
tur 1 ). Florian Nr. 4.
Streitigkeiten/.wischen Genossen und Fremden kamen vor Verlei
hung der Immunität vor den öffentlichen Richter. 985 werden die
Colonen Passau’s vom Besuche des Landdinges eximirt. „Ne ad comi-
tatum ire cogantur, nisi ea lege vel iure, quo ecclesiastici servi ab
extraneorum pulsati reclamationibus pro satisfacienda iusticia ad pla-
citum ire compellantur“. Im 13. Jahrhundert bricht sich der Grund
satz Bahn, ut actor forum rei sequatur 3 ). Dieser wird auch bei den
Exemtionen festgehalten, so dass also die Leute der Kirche von Nicht
genossen beim Abte oder dessen Richter belangt werden müssen.
Si in predio ecclesiae ... et in novalibus per totam marchiam sitis
aliquis ex hominibus uostris ab hominibus ipsorum vulneretur, satis-
liat laeso, ius vero banni apud ipsos totaliter pennaneat. Lambrecht
1202. Alias causas . . . officiales exequantur, ita tarnen utactor forum
rei sequatur. Florian Nr. 4.
Klagt ein extraneus gegen einen Hausgenossen und kann er
vom Abte oder dessen Richter sein Recht nicht erlangen, so wendet
er sich an den vom Herzog gesetzten Vicevogt oder an den Land
richter. Die zuletzt cilirte Stelle aus Flor. Nr. 4 fährt fort: id est
si homo extraneus de foro alieno de homine ecclesiae conqueri ha-
beat, a preposito tantum et officialibus suis iudicium exspeetat, quod
si consequi forte non potuerit ad eum causam deferat, cui pro tem
pore in defensione ecclesiae vices nostras commisimus. Denselben
Vorbehalt macht folgende Stelle: In omnibus civitatibus liberam
intrandi et exeundi . . . (hominibus ecclesiae) tribuimus facultatem,
nec ullus iudex civitatis yel fori contra ipsos aliquam audientiam
1) Losunge = Lusmunge der österreichischen Weisthiimer;losen ist horchen, losungdas
unbefugte, verdächtige Lauern. Uberfang ist Grenzverrückung; vergl. Schmeller,
bairisches Wörterbuch: überlangen, Zäune oder Marksteine über das Gut eines
andern hinausrücken. Was ist gaumlos, was hasban in Florian N. 7 ?
2 ) Statutum in favorem principum v. 1231 „item in civitatibus uostris actor forum rei
sequatur.“
384
Brunner
super quaeunque causa debet habere, nisi prius abbas iusticiam
negäverit querulanti. Garsten 1192 >).
Wenn die Macht des Abtes oder seiner Amtleute zur Schlich
tung einer Streitsache nicht ausreichte, so hat auf ihre Requisition
der Landrichter einzuschreiten. Si autem in aliquibus ordinis negotiis
abbatem vel iudicem suum ibidem contigerit gravari vel molestari, ad
petitionem ipsius abbatis vel iudicis sui iudex provinciae pro decisi-
one negotii tenetur accedere. Formbach 1210. Ne habeat (iudex)
potestatem iudicandi colonos eorum vel familiam nisi requisitus ab
eis. Geyrach 1227.
War der Kirche ein eigener defensor bestellt, so schritt
wohl der Landrichter erst dann ein, wenn weder Abt noch defensor
dem fremden Kläger zu seinem Rechte verhelfen konnten. Si persona
aliqua extranea contra hominem ecclesiae coram preposito vel eius
officiariis pro aliqua causa querimoniam deposuerit, si liomo eccle
siae ad exhibendam iustitiam conquerenti rebellis fuerit, actor causam
ad eurri, cui in defeusione ecclesiae vices nostras commisimus,
deferat. Si vero et illi ad exhibendam iustitiam conquerenti rebellis
fuerit, ex tune prepositus de tarn contumaci homine privilegio suo
renunciet et se postmodum de ipso non intromittaf. Florian Nr. 6.
Ich habe im Vorausgehenden eine Darstellung der Immunität
im Allgemeinen gegeben und zu diesem Zwecke die einzelnen Züg e
verschiedenen Urkunden entnommen. Es kam ja nicht darauf an,
die Immunitätsverhältnisse aller einzelnen eximirten Kirchen zur
Anschauung zu bringen, sondern die Detailbestimmungen der Urkun
den wo möglich systematisch zusammenzufassen. Eine oder die andere
wird man in den meisten Immunitätsbriefen vermissen, doch geht
es in der Regel an, die Lücken im Einzelnen ex analogia zu ergän
zen. Mitunter finden sich aber auch abweichende Bestimmungen.
Der Inhalt der durch die Immunität verliehenen Rechte ist nicht
durchaus derselbe. Namentlich freten bezüglich des Blutbannes
solche Unterschiede hervor. Die Ingerenz des herzoglichen Rich
ters beschränkt sich manchmal auf todeswürdige Verbrecher,
manchmal bezieht sie sich auf alle Fälle einer efusio sanguinis
auch auf jene, die durch Geldbussen gesühnt werden können. Ent-
1) Diese Exemtion bezieht sich nicht auf die Land-, sondern auf die Stadtriehter. Der
Analogie wegen habe ich sie angeführt.
Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger.
385
weder verurtheilte der Richter der Kirche zur Geldstrafe und lieferte
erst dann, wenn sie nicht bezahlt wurde, den Delinquenten zur
körperlichen Bestrafung aus, oder es fällte der herzogliche Rich
ter das Urtheil auf Verstümmlung der Glieder und die Geldsumme,
um welche die Strafe abgekauft wurde, fiel entweder der Kirche
zu oder blieb dem Landrichter. Ohne die Bedeutung dieser Unter
schiede zu verkennen, glaube ich doch, dass sie zu einer principiellen
Scheidung der Immunitätsverleihuugen nicht berechtigen. Nament
lich finde ich in solchen Nuancen keinen Grund zu behaupten, dass
entweder die volle oder nur die niedere Gerichtsbarkeit übertragen
worden sei. Der Bluthann wurde mit grösserer oder geringerer
Beschränkung regelmässig ausgenommen. Desshalb darf man aber
die Immunitätsverleihung nicht auf eine Übertragung der niederen
Gerichtsbarkeit zurückführen wollen. Die Exemtion war immer
eine' vollständige, die Übertragung der Gerichtsbarkeit einetheil
weise. Die Differenz zwischen dem negativen und positiven Inhalte
der Immunität bewirkte der uolhwendige Vorbehalt des Blutbannes,
nothwendig, weil sonst an die Stelle der öffentlichen die Vogtei
gerichtsbarkeit hätte treten müssen.
Sitzb. d. phif.-hist. CI. XLVll. Bd. I. Hft.
25
Verzeicliniss der eingegangenen Druckschriften.
387
VERZEICHNIS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(JULI 1864.)
Accademia delle Scienze dell’Istituto di Bologna: Memorie.
Seria II. Tomo III, Fase. 3. Bologna, 1864; 4®. — Rendiconto.
Anno accademico 1863—1864.
Akademie der Wissenschaften, Königl., zu Amsterdam: Ver
handelingen. Afdeeling Letterkunde. Deel II. 1863; 4°. —
Verslagen en Mededeelingen. Afdeeling, Letterkunde. Deel VII.
1863; 8°. — Jaarhoek voor 1862. 8°. — Catalogue du
cabinet de monnaies et medailles de l’Academie R. des
Sciences ä Amsterdam. Amsterdam, 1863; 8°.
A t e n e o Veneto: Atti. Seria II. Vol. I. Punt. 2*. Venezia,
1864; 8°.
B e r 1 i n, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus den
Jahren 1863 & 1864; 4°.
B i e r e n s de Haan, D„ Over de magt van het zoogeriaamd onebe-
staanbare in de wiskunde. Deventer, 1863; 8°.
B o 1 e t i n bibliogräfico Espanol. Ano IV. Nr. 9—24. Madrid, 1863;
Ano V. Nr. 12 & 13. Madrid, 1864; 8«.
Braun, Julius, Naturgeschichte der Sage. I. Bd. München,
1864; 8«.
C o u s s e m a k e r, E. de, Les Harmonistes des XII” et XIII*
Siecles. Lille, 1864; 8°-
Gesellschaft der Wissenschaft 11 * Königl. zu Göttingen:
Abhandlungen. XI. Bd. Göttingen, 1864; 4°. — Gelehrte An
zeigen auf das Jahr 1863. I.—III. Bd. 8°. — Nachrichten. Vom
Jahre 1863; 8®.
Greifswald, Universität. Akademische Gelegenheitsschriften
aus dem Jahre 1863; 4® & 8®.
Hamb u r g, Stadtbibliothek: Gelegenheitsschriften aus dem Jahre
1863; 4®.
3S8
Verzeichnis»
Istituto, Reale, Lombardo di Scienze e Lettere: Memorie. Vol.
IX. (III. della Seria II.), Fase. V. Milano, 1864; 4°. —Rendi-
conti: Classe di Lettere e Scienze morali e politiche. Vol. I.,
Fase. 1—4; Milano, 1864; 8°.—Annuario, 1864.Milano; 12°.
— Imp. R. Veneto di Scienze, Lettere ed Arti: Aiti. Tomo IX.
Seria IIP, Disp. S* — 7“. Venezia, 1863-1864; 8».
Kandier, P., Per nozze Guastalla - Levi. Discorso sul Timavo.
Trieste, 1864; 8».
Mittheilungen aus J. Perthes’ geographischer Anstalt.
Jahrg. 1864, Heft V. Gotha; 4°.
— der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung
der Baudenkmale. IX. Jahrg. Mai—Juni. Wien, 1864; 4°.
P a i c, Moses, System einer Universal-Sprache. Wien, 1864;
1 Blatt Folio.
Piek, Edward, A new Method of studying foreign Languages.
London, 1863; 12°.
Programm des evang. Obergymnasiums und der damit verbun
denen Lehranstalten in Bistritz am Schlüsse des Schuljahres
1863 —1864. Hermannstadt, 1864; 8°.
— des Gymnasiums A. C. zu Hermannstadt, für das Schuljahr
1862—1863. Hermannstadt, 1863; 4°.
— des evang. Gymnasiums A. B. zu Mediasch für das Schuljahr
1862—1863. Hermannstadt, 1863; 8°.
— des evang. Untergymnasiums in Mühlbach am Schlüsse des
Schuljahres 1862—1863. Hermannstadt, 1863 > 4°.
Protokoll über die Verhandlungen der 38. Generalversammlung
der Aktionäre der k. k. a. pr. Kaiser Ferdinands-Nordbahn.
Wien, 1864; 4».
Reader, Nr. 78-81. Vol'. III & IV. London, 1864; Folio.
Vera 11 i, Cav. B., Di alcuni documenti relativi ad Obizzo II.
d’Este e sopra il metodo confutatorio del Signor Barone Alberto
Nyary. Modena, 1864; 8°.
V e r e i n für siebenhiirgische Landeskunde: Archiv. N. F. VI. Bd.,
1. & 2. Heft, 1863 & 1864; 8°. — Jahresbericht für
1862—1863. Hermannstadt, 1863; 8°.
Z ii r i c h, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus den
Jahren 1861 —1864; 4» & 8».
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH -HISTORISCHE C L A S S E.
XLVII. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1864. — OCTOBER.
26
SITZUNG VOM 5. OCTOBER 18G4.
Der Commission für Herausgabe österreichischer Weisthümer
sind eingesandt worden :
1. Von dem löblichen Landesausschuss des Herzog
thums Salzburg 19 Stücke salzburgischer Weisthümer im
Original, zur Benützung.
2. Von der Gesellschaft für salzburgische Landes
kunde 6 salzburgische Rechtsdenkmäler, nebst dem Verzeichniss
der im Linzer Museum Francisco - Carolinum befindlichen salz
burgischen Landthaidingen.
3. Von dem Stifte Wilhering ein Panthaidingsbuch im Ori
ginal, zur Benützung.
4. Von dem Stifte Seitenstetten Abschriften von zwei
Panthaidingen.
Dann werden der Classe vorgelegt :
a) Von Herrn Joseph Bianchi die Fortsetzung und der
Schluss des 2. Bandes der „Documenta historiae foroju-
liensis“ (zum Abdruck im „Archiv“).
h) Von Herrn Hönisch eine Abschrift des „Rationarium duca-
tus Styriae sub Ottocaro rege Bohcmice a. 1263 et 1267
edilum, “
Die T li e o g o n i e der J ap an e r.
Von dem w. M. Dr. l’fizin nicr.
(Vorgelcgt in der Sitzung am 13. Juli 1864.)
Über die Sagengesehichte der Japaner sind in dem Lande
selbst mehrere alte Quellenwerke vorhanden, unter welchen das
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tausend Blätter“ und
Man-jed-siu „die Sammlung der zelin-
das ^ j§p[ %/ ^tj" rj Ko-si-Jci, „die Er
zählung der alten Begebenheiten“ die bekanntesten. Zu dem
letzteren Werke ist überdies eine Anzahl Ergänzungen, welche
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^ P Tsutaje„ Überlieferungen“ oder ^ p p ^ n ' iSl .i
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tsutaje „alte Übe lieferungen“ genannt werden, erschienen.
Unter den in der k. k. Hofbibliothek aufhewahrten japanischen
Büchern findet sich zwar weder das Man-jeö-siü, welches eigentlich
eine Sammlung alter Volkslieder, noch das Ko-si-ki, wohl aber ein
anderes Werk, welches den Inhalt des Ko-si-ki und die wesent
lichsten alten Überlieferungen wiedergibt. Dasselbe führt den Titel:
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Kami-jo-no maki-no
asi-kabi, „Schilfknospen der Rollen der Göttergeschlechter“ und
wurde im achten Jahre des Zeitraumes Bun-Icua (l&ll') veröffentlicht.
Das genannte Werk enthält zahlreiche Citate aus verschiede
nen alten Urkunden, welche, wo es sich um den einen und den
selben Gegenstand handelt, häufig von einander abweichen. Sämmt-
liche Stücke sind in rein japanischer Sprache geschrieben und
besonders durch die vielen in ihnen vorkommenden obsoleten Aus
drücke merkwürdig.
Die Theogonie der Japaner.
393
Der Verfasser hat vorerst diejenigen Stücke der Sammlung,
welche sich auf die Theogonie der Japaner beziehen, bearbeitet,
über welchen Gegenstand, wenn man die von Klaproth in der Ein
leitung zu seinen „Annales des Empereurs du Japon“ gelieferten
äusserst unvollständigen und kurzen Angaben ausnimmt, in Europa
noch nichts bekannt geworden ist. Zugleich sind diese Urkunden
von hohem sprachlichen Interesse und zeigen auf jeder Zeile sowohl
Wörter als Formen, über welche unsere bisherigen Wörterbücher
und Grammatiken keine Auskunft geben. Von den, jedem einzelnen
Abschnitte angehängten, gewissermassen einem Commentare ähnli
chen Erläuterungen wurde jedoch vorläufig abgesehen.
Der hier bearbeitete Tlieil beginnt mit der Erzählung von dem
Ursprünge des Himmels und der Erde, in welcher Beziehung er
zugleich Kosinogonie enthält, und reicht bis zu dem Ableben I-zn-
nagi-no Mikoto’s, des letzten durch die Naturkräfte entstandenen
Gottes.
Die Sammlung beginnt mit vier Zeilen rein ehinesicher Worte,
deren Sinn folgender: „In der alten Zeit waren Himmel und Erde
noch nicht zertheilt, die Grundstoffe 'der Finsterniss und des Lichtes
noch nicht getrennt. Sie waren verschwommen wie das Ei in seinem
ursprünglichen Zustande und bargen in sich den Keim. Was hier
von rein uud sonnig war, verflüchtigte sich und wurde der Himmel.
Was schwer und trüb war, sammelte sich und wurde die Erde. Das
Geistige und Vortreffliche einigt und erfasst sich leicht. Das
Schwere und Trübe gerinnt und sondert sich schwer. Desswegen
bildete sich zuerst der Himmel, jedoch die Erde gestaltete sich
später. Dann erst entstanden auf dieser Götter und Höchstweise“ ‘).
Unmittelbar vor dem folgenden japanischen Texte stehen die
chinesischen Worte: „Desswegen wird gesagt“ 3 ):
*) Die Auslegung hält dafür, ilnss dieser der in chinesischer Sprache geschriebenen
Urkunde entlehnten Worte nur vorgesetzt wurden, um dein Buche als Zierde zu
dienen.
a ) Die Auslegung hiilt die Setzung dieser Worte, welche in keinem Zusammenhänge
mit dein Vorhergehenden stehen, nicht für gerechtfertigt.
394
Dr. Pf i zm a i e r
Der in Kuta-ka-na geschriebene japanische Text beginnt:
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midzu-ni ukeru-ga gotoku nari-ki. Toki-ni owo-sora-ni asi-kabi-
no gotoku naru-mono nareri. Sunawatsi kami-to nari-ki. Mi-na-
wa kuni-no toko-tatsi-no mikoto, tsugi-ni kuni-no sa-tsutsi-no mi-
kotö, tsugi-ni tojo-kumu-nu-no mikoto, subete mi-basira-no lcami
masi-ki.
Zur Zeit des Ursprunges des Himmels und der Erde schwammen
Land und Erdboden im Kreise umher und waren gleich den Fischen,
welche in dem Wasser schwimmen. Um die Zeit entstand an dem
Firmament ein Gegenstand, der einer Schilfknospe glich. Derselbe
wurde sofort zu einem Gotte, dessen Name Kuni-no toko-tatsi-no
Mikoto. Diesem zunächst entstand Kuni-no sa-tsutsi-noMikoto. Nach
diesem entstand Tojo-kumu-nu-no Mikoto. Es waren im Ganzen drei
Urgötter.
Am Schlüsse stehen noch die chinesischen Worte: „Indem der
Weg des Himmels allein die Verwandlung bewirkte, entstanden diese
lauteren Männer“.
Die am meisten geehrten Götter hiessen 3 Mikoto, die
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übrigen 3 Mikoto, beide mit gleichen japanischen Lauten,
aber mit verschiedenen chinesischen Zeichen.
395
Die Tlieogonie der Japaner.
Kuni-no toko-tatst bedeutet: der ewige Fortbestand des
Reiches.
Kuni-no sa-tsutsi bedeutet: der schmale Hammer des Reiches.
Tojo-kumu-nu bedeutet: der Teich, aus dem man reichlich
schöpft.
Den zunächst folgenden Anführungen aus alten, in chinesischer
Sprache geschriebenen Handschriften werden regelmässig die Worte
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wird gesagt“ vorgesetzt.
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katatsi-wa i-i-gatasi. Sono naka-ni nari-maseru kami-no mi-na-
wa kuni-no-ioko-tatsi-no mikoto. Mata iwaku kuni-no soko-tatsi-no
396
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mikoto. Tsugi-ni kuni-no sa-tsutsi-no mikoto. Mata iwaku kuni-no
sa-datsi-no mikoto. Tsugi-ni tojo-kuni-nusi-no mikoto. Mata
iwaku tojo-kumi-nu-no mikoto. Mata iwaku tojo-ka-kusi-nu-no
mikoto. Mata iwaku uki-fu-nu-tojo-kai-no mikoto. Mata iwaku
tojo-kuni-nu-no mikoto. Mata iwaku tojo-kui-nu-no mikoto. Mata
iwaku fa-ko- kuni - nu - no - mikoto. Mata iwaku mi-nu -no mikoto.
Zur Zeit des Ursprunges desHimmels und der Erde entstand an
dem Firmament ein Gegenstand, dessen Gestalt sich schwer be
schreiben lässt. Der Name des Gottes, der in der Mitte desselben
entstand, ist Kuni-no toko-tatsi-no mikoto. Er heisst auch Kuni-no
soko-tatsi-no mikoto. Ihm zunächst entstand Kuni-no sa-tsutsi-no
mikoto. Er heisst auch Kuni-no sa-datsi-no mikoto. Der diesem
zunächst entstand, ist Tojo-kuni-nusi-no mikoto. Er heisst auch
Tojo-kumi-nu-no mikoto. Er heisst auch Tojo-ka-busi-nu-no mikoto.
Er heisst auch Vki-fu-nu-tojo-kcii-no mikoto. Er heisst auch Tojo-
kuni-nu-no mikoto. Er heisst auch Tojo-kui-nu-no mikoto. Er
heisst auch Fa-ko-kuni-nu-no mikoto. Er heisst auch Mi-nu-no
mikoto.
Kuni-no soko-tatsi bedeutet: den Boden des Reiches be
gründend.
Kuni-no sa-datsi bedeutet: die schmale Begründung des
Reiches.
Tojo-kuni-nusi bedeutet: der Gebieter des fruchtbaren Reiches.
Tojo-kumi-nu bedeutet: das fruchtbare Feld der Strähne.
Tojo-ka-busi-nu bedeutet: das fruchtbare Feld der duftenden
Abschnitte.
Uki-fu-nu-tojo-kai bedeutet: des schwimmenden, vorüberge
henden Feldes reicher Kauf.
Tojo-kuni-nu bedeutet: das Feld des fruchtbaren Reiches.
Tojo-kui-nu bedeutet: das reiche Feld des Verzehrens.
Fa-ko-kuni-nu bedeutet: das Feld des Reiches der Blätter
und Bäume.
Mi-nu bedeutet: das sehende Feld.
Die Theogonie der Japaner.
397
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Inisi-je kuni isiku tsutsi isiki-toki uki-abura-no gotolcu-ni-siie
tadajojeri-ki. Toki-ni sono naka-jori asi-kabi-no nuke-de-taru-ga
gotoku naru-mono nareri. Eore-ni jori-te nari-maseru kami-no-
mi-na-wa umasi-asi-kabi-fiko-dzi-no mikoto. Tsugi-ni kuni-no toko-
tatsi-no mikoto. Tsugi-ni kuni-no sa-tsutsi-no mikoto.
Als einst das Land jung, die Erde jung war, wirbelten sie um
her wie schwimmendes Fett. Um diese Zeit entstand aus ihrer Mitte
ein Gegenstand, der ausgezogenen Schilfknospen glich. Der Gott,
der auf diese Weise entstand, führt den Namen Umasi-asi-kabi-fiko-
dzi-no mikoto. Der Gott, der zunächst entstand, heisst Kuni-no
toko-tatsi-no mikoto. Der diesem zunächst eutstand, heisst ICuni-no
sa-tsutsi-no mikoto.
Umasi-asi-kabi-fiko-dzi bedeutet: der Mutterbruder der süssen
Schilfknospen.
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umasi-asi-kabi-fiko-dzi-no mikoto. Tsugi-ni kuni-no soko-tatsi-
no-mikoto.
Zur Zeit als Himmel und Erde unter einander gemengt waren,
gab es einen Gott, dessen Name Umasi-asi-kabi-fiko-dzi-no mikoto.
Ihm zunächst entstand Kuni-no soko-tatsi-no mikoto.
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Ame-tsutsi-no fazime-no toki tomo-ni nari-maseru kami-no
mi-na-wa kuni-toko-tatsi-no mikoto. Tsugi-ni kuni-no sa-tsutsi-no
mikoto. Mata iwaku taka - ma-no fara-ni nari-maseru kami-no
mi-na-wa ame-no mi-naka-nusi-no mikoto. Tsugi-ni taka-mi-
musubi-no mikoto. Tsugi-ni kami-musubi-no mikoto.
Von der zur Zeit des Ursprunges des Himmels und der Erde
entstandenen Göttern führte der eine den Namen Kuni-toko-tatsi-no
mikoto. Ferner wird gesagt: Von den Göttern, welche auf der Ebene
des hohen Himmels entstanden, führt der eine den Namen Ame-no
mi-naka-nusi-no mikoto. Der zunächst entstand, heisst Taka-mi-
musubi-no mikoto. Der diesem zunächst entsand, heisst Kami-mu
subi-no mikoto.
Ame-no mi-naka-nusi bedeutet: der erhabene mittlere Gebieter
des Himmels.
Taka-mi-musubi bedeutet: der hohe, erhabene hervorge-
brachte Geist.
Kami-mnsubi bedeutet: der göttliche hervorgebrachte Geist.
Die Tlieogonie der Japaner.
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kumo-no kakaru-tokoro-naki-ga gotoku nari-ki. Sono naka-ni
asi-kabi-no fidzi-no naka-jori oi-some-taru gotoku naru-mono
nareri. Sunawatsi kami-to nari-ki. Mi-na-iva kuni-no toko-tatsi-no
mikoto.
Zur Zeit als Himmel und Erde noch nicht hervor gebracht waren,
glichen sie den auf der Meeresfläche schwimmenden Wolken, die
an keinem Orte sich festsetzen. In ihrer Mitte bildete sich ein
Gegenstand gleich den Schilfknospen, die aus schlammiger Erde zu
sprossen beginnen. Derselbe ward hierauf ein Gott, dessen Name
Kuni-no toko-tatsi-no mikoto.
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owo-sora-ni nareri. Kore-ni jori-te nari-maseru-kami-no mi-
na-wa ame-no toko-tatsi-no mikoto. Tsugi-ni umasi-asi-kabi-fiko-
chi-no mikoto. Mata uki-ubura-no gotoku naru-mono owo-sora-
ni nareri. Kore-ni jori-te nari-maseru kami-no mi-na-wa kuni-no
toko-tatsi-no mikoto.
ZurZeit des Ursprunges des Himmels und der Erde bildete sich
an dem Firmament ein Gegenstand, der den Schilfknospen glich.
Von den hieraus entstehenden Göttern führte der eine den Namen
Ame-no tolco tatsi-no mikoto. Der zunächst entstand, heisst Umasi-
asi-kabi-fiko-dzi-no mikoto. Ausserdem bildete sich an dem Firma
ment ein Gegenstand gleich dem schwimmenden Fette. Der Gott, der
hieraus entstand, führt den Namen Kuni-no toko-tatsi-no mikoto.
Ame-no toko-tatsi bedeutet: die ewige Begründung des
Himmels.
Tsugi-ni Jcami masu U-fidzi-ni-no mikoto, Su-fidzi-ni-no
mikoto. Tsugi-ni kami-masu Owo-to-no dzi-no mikoto, owo-
toma-be-no mikoto. Tsugi-ni kami-masu omo-daru-no mikoto,
kasilco-ne-no mikoto. Tsugi-ni kami-masu 1-za-nagi-no mikoto,
1-za-nami-no mikoto. Subete ja-basira-no kami masi-ki.
Die zunächst entstandenen Götter sind V-fidzi-ni-no mikoto
und Su-fidzi-ni-no mikoto. Die diesen zunächst entstandenen Götter
sind Owo-to-no dzi-no mikoto und Owo-toma-be-no mikoto. Die
in der folgenden Reihe entstandenen Götter sind Omo-daru-no
Die Theogonie der Japaner.
401
mikoto und Kasiko-ne-no mikoto. Die nach diesen letzten entstan
denen Götter sind I-za-nagi-no mikoto und I-za-nami-no mikoto.
Es waren im Ganzen acht Urgötter.
U-fidzi-ni bedeutet: das Sieden der schlammigen Erde.
Su-fidzi-ni bedeutet: das Sieden der sandigen Erde.
Owo-to-no dzi 'bedeutet: der Weg der grossen Thüre.
Owo-toma-be bedeutet: die Seite des grossen Strohdaches.
Owo-daru bedeutet: von Angesicht hinreichend.
Kasilco-ne bedeutet: die mit Furcht erfüllende Wurzel.
I-za-nagi bedeutet: die kommende und vergehende Windstille.
1-za-nami bedeutet: die nahenden und entschwindenden Wellen.
U-fidzi-ni-no mikoto und Su-fidzi-ni-no mikoto führen auch die
Namen ZJ-fidzi-ne-no mikoto und Sa-fidzi-ne-nö mikoto. Der erstere
Name bedeutet: die Wurzel der schlammigen Erde, der letztere: die
Wurzel der sandigen Erde, indem — ni „Sieden“ durch ^ ne
„Wurzel“ ersetzt wird.
Owo-toma-be-no mikoto wird in einem angeführten Buche
Owo-to-no be „die Seite der grossen Thüre“ genannt. Diese Gott
heit führt übrigens noch die Namen :
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|- zi X ) y t ^ \' ^> Owo-toma-fime-no mikoto,
|' zj l I |- ^ Owo - tomu - dzi-no mikoto,
X ) O wo " tomu-be - no mikoto.
Die Bedeutung der vor Mikoto stehenden Verbindungen ist: der
vornehme Sohn des grossen Strohdaches, die vornehme Tochter des
grossen Strohdaches, der grosse reiche Weg, die grosse reiche
Seite.
Kasiko-ne-no mikoto führt ausserdem noch die Namen:
-ja kasiko-ne-no mikoto,
|'3 X J ^ j/ zj y A- ko kasi - ki - no mikoto,
|' ^ X } -^ y ^ y Awo-kasi-ki-ne-no mikoto,
I' I ; f jy J A -ja kasi - ki - no mikoto.
Die Bedeutung der hier vor Mikoto stehenden Verbindungen ist:
die verzierte <)> mit Furcht erfüllende Wurzel, die Feste der sich
A-ja hat in der als Sylbenschrift gebrauchten Wörterschrift die Bedeutung „mein
Haus“. Dass es hier aja „Zierrathen“ bedeute, ist nur eine Vermuthung des Verfassers.
402
Dr. P f i z in a i e r
erschliessenden 1 ) Steineiche, die Wurzel der Feste der grünen
Steineiche, die Feste der verzierten Steineiche.
Eine Anmerkung enthält noeh die folgende, auf die beiden
zuletzt genannten Gottheiten sich beziehende Stelle aus einem alten
Buche:
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Kono futa-basira-no kami-wa awo-kasi-ki-ne - no mikoto-no
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Diese beiden Urgottheiten waren die Söhne des Gottes Awo-
kasi-ld-ne.
Ferner die Stelle aus einem anderen Buche:
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Kuni-no toko-tatsi-no mikoto ame-kagami-no-mikoto-wo umi-
masi, ame-kagami-no mikoto ame-jorodzu-no mikoto-wo umi-masi,
ame-jorodzu-no mikoto aiva-nagi-no mikoto-wo umi-masi, awa-
nagi-no mikoto i-za-nagi-no mikoto-wo umi-masi-ki.
Kuni-no toko-tatsi-no mikoto zeugte Ame-kagami-no mikoto.
Ame-liagami-no mikoto zeugte Ame-jorodzu-no mikoto. Ame-
jorodzu-no mikoto zeugte Awa-nagi-no mikoto. Awa-nagi-no mikoto
zeugte I-za-nagi-no mikoto.
Dass A-ko, welches hier in der Wörterschrift durch „mein Abscheu“ ausgedrückt
wird, so viel als „sich erschliessen“ bedeute, ist ebenfalls nur eine Verrouthung
des Verfassers.
Die Theogonie der Japaner.
403
Unter den hier dem Worte Mikotu Vorgesetzten Verbindungen
bedeutet Ame-kagami: der Spiegel des Himmels. Ame-jorodzu
bedeutet: die Zehntausende des Himmels. Awa-nagi bedeutet: die
Bewegung des Schaumes *).
In rein chinesischer Sprache folgt hier noch die Angabe: Indem
die Wege des Himmels und der Erde gegenseitig sich mengten und
sieh verwandelten, erschufen sie diese männlichen und weiblichen
Wesen.
Der Schluss lautet in japanischer Sprache:
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Kuni-no toko-tatsi-no mikoto-jori iza-nagi-no mikoto i-za-
nami-no mikoto made kami-jo nana-jo-to iu.
Die Göttergeschlechter von Kuni-no tako-tatsi-no mikoto bis
I-za-nagi-no mikoto und l-za- nami-no mikoto heissen die neun
Geschlechter.
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Wotoko-womina narabi nari-maseru kami-wa madzu u-fidzi-
ni-no mikoto, su-fidzi-ni-no mikoto, tsugi-ni tsuna-gui-no mikoto,
iku-gui-no mikoto, tsugi-ni omo-daru-no mikoto, kasiko -ne-no
mikoto, tsugi-ni iza-nagi-no mikoto, i-za-nami-no mikoto.
Die Gottheiten, welche paarweise als Männer und Weiber ent
standen, waren zuerst U-fidzi-ni-no mikoto und Su-fidzi-ni-no mikoto.
Diesen zunächst folgten Tsunu-gui-no mikoto und Iku-gui-no mikoto.
’) So die Bedeutung; der Wörterschrift, in der, um jede Irrung' zu beseitigen , die
Sylben einzeln wiederholt werden. Sonst bedeutet nagi immer nur das Geg’entbeil,
nämlich „Windstille“.
404
Dr. Pfizraaier
In nächster Reihe folgten Omo-daru-no mikoto und Kasiko-ne-no
mikoto. Diesen zunächst folgten I-za-nagi-no mikoto und 1-za-nami-
7io mikoto.
Die Bedeutung von Tmnu-gui ist: der gehörnte Pfosten.
Die Bedeutung von Ilcu-gui ist: der lebende Pfosten.
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Die Theogonie der Japaner.
405
I-za-nagi-no mikoto i-za-nami-no mikoto ame-no uki-
fasi-no uje-ni tatsi-te tomo-ni fakari-te nori-tamawaku: nazo-
mo soko-tsu sita-ni kuni na-karamu-ja-to? Nori-tamai-te ame-no
nu-foko-wo sasi-orosi-te saguri-masi-sika-ba awo-una-wara-ioo
je-tamai-ki. Sono foko-no saki-jori sitadaru siivo kori-te sima-to
nareri, na-wa onogovo-sima-to iü. Koko-ni fnta basira-no kann
sono sima-ni kudari-masi-te mi-tono-ma-guwai-si-te kuni-wo uma-
mu-to omowosi-ki. Sunawatsi onogoro-sima-wo kuni-naka-no mi-
fasira-to-site iza-nagi-no mikoto-wa fidari-jori meguri, i-za-nami-
no mikoto-wa migiri-jori meguri kuni-no mi-fasira-wo wakare-
meguri-te ai-maseru-toki-ni i-za-nami-no mikoto madzu: a-na-ni
jasi, je-wotoko-wo-to, nori-tamai-ki. I-za-nagi-no mikoto jorokobi-
tamawazu-te nori tamaioaku: a-wa wotoko-ni-site are-ba madzu
tonb-beki-wo. Nazo-mo womina-no köto saki-datsi-tsuru ? Kare
saga-nasi, meguri-naivosi-namo-to, nori-tamai-ki. Koko-ni futa-
basira-no kami sara-ni meguri-ai-masi-nu. Kono tabi-wa i-za-
nagi-no mikoto madzu: a-na-ni jasi, je-wotome- wo -to nori-
tamai-ki.
I-za-nagi-no mikoto und I-za-nami-no mikoto standen auf der
schwimmenden Brücke des Himmels, hielten mit einander Rath und
sprachen: Warum sollte es auf dem Boden unten kein Reich geben ?
— Als sie jetzt die Korallenlanze des Himmels herabliessen und such
ten, stiessen sie auf die blaueMeeresfläche. Das von derSpitze dieser
Lanze träufelnde Seewasser gerann und wurde eine Insel, deren Name
Insel Ono-goro ‘). Die beiden Urgottheiten stiegen hierauf zu
dieser Insel nieder, wo sie sich zu vermengen und ein Reich hervor
zubringen gedachten. Sofort machten sie die Insel Ono-goro zu
dem Balken der Mitte des Reiches, 1-za-nagi-no mikoto drehte ihn von
der Linken, I-za-nami-no mikoto von der Rechten. Als sie den Bal
ken des Reiches gesondert drehten und sich vereinigten, rief I-za-
nami-no mikoto zuerst: Vortrefflich! Ein schöner, junger Mann! —
I-za-nagi-no mikoto war nicht erfreut, und er sprach: Da ich ein
Mann bin, sollte ich zuerst ausrufen. Warum sollte das Wort des
Weibes früher hervorkommen? Dies ist von unglücklicher Vorbe
deutung, und wir weiden nochmals drehen. —Diebeiden Urgott
heiten drehten jetzt wieder in Gemeinschaft. Diesmal rief I-za-nagi-
no mikoto zuerst: Vortrefflich! Ein schönes, junges Weib!
0 D» i. die von seihst geronnene Insel.
Sitzb. d. pliil.-his. CI. XI.VII. Bd. II. II#
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Kaku-te i-za-nami-no mikoto-ni: na-ga mi-wa ika-ni nareru-
to, toi-tamaje-ba : a-ga mi-ni-wa nari-awazam-tokoro ari-to
Die Tlieog-onie der-Jnjiantr.
40T
mawosi-tamai-ki. I-za-nagi-no mikoto nori-tamawuku: Ä-ga mi-
ni-wa nari-amareru-tokoro ari, a-ga mi-no nari-amareru-tokoro-
wo na-gn mi-no nari-awazaru-tokoro-ni awasemu-to omö-to, nori-
tamai-ki. Koko-ni futa-basira-no kami fazimete mi-tono-ma-guwai-
si-tamai-ki. Mi-ko-umi-masu-toki-ni nari-te madzu awa-dzi-nö
sima-ivo je-to site, sunmvatsi owo-jamato tojo-aki-dzu-sima-wo
umi-iamai-ki. Tsugi-ni i-jo-no futa-na-no sima-wo umi-tamai,
tsugi-ni tsuku-si-no sima-wo umi-tamai, tsugi-ni oki-no sima-to
sa-do-no sima-to-wo futa-go-ni umi-tamo. Tsugi-ni kosi-no sima-
wo umi-tamai, tsugi-ni owo-sima-wo umi-tamai, tsugi-ni kibi-no
ko-zima-wo umi-tamai-ki. Kore-ni jori-te oico-ja-sima-kuni-to iu
na-wa okoreri. Tsu-sima iki-no sima mata tokoro-dokoro-no Ico-
zima-wa mina siwo-nawa-no kori-te nareru-nari.
Somit fragte er I-za-nami-no mikoto: Wie ist dein Leib ge
staltet? — Diese antwortete: Mein Leib hat einen beim Entstehen
nicht geschlossenen Ort. — I-za-nagi-no mikoto sprach: Mein Leib
hat einen beim Entstehen übriggebliebenen Ort. — Ich wünsche,
den beim Entstehen übrig gebliebenen Ort meines Leibes mit dem
beim Entstehen nicht geschlossenen Orte deines Leibes zu vereini
gen. — Die beiden Urgottheiten vermengten sich hierauf zum ersten
Male. Als sie die Zeit erreichten, wo ein Sohn geboren werden
sollte, erzeugten sie, indem sie die Insel Awa-dzi zur Fruchthülle
machten, zuerst die fruchtbare Libelleninsel des grossen Jamato.
Zunächst zeugten sie die mit zwei Namen belegte Insel Iyo, dieser
zunächst die Insel Tsidtu-si, nach dieser Zwillinge: die Inseln Oki
und Sado. Zunächst zeugten sie die Insel Kosi, zunächst Qwo-sima
(die grosse Insel) und dieser zunächst die Sohnesinsel yon Kibi.
Diesem gemäss entstand der Name: Das Reich der grossen acht
Inseln. Die Insel Tsu-sima, die Insel Iki, ferner die an verschie
denen Orten befindlichen kleinen Inseln entstanden sämmtlich
dadurch, dass der Schaum der Seefluth gerann.
Zu der Insel Awa-dzi wird bemerkt:
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408
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Weil sie nicht zufrieden gestellt waren, gaben sie ihr den
Namen Awa-dzi-no sima (die Insel des schalen Weges),
Zu den Inseln Oki und Sado wird bemerkt:
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Dass die Menschen des Zeitalters Zwillinge erzeugen, hat hierin
ein Vorbild.
Eine andere angeführte Urkunde lautet:
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non - tamawaku: tojo-asi-wara-no tsi-i-wo-aki-no midzu-fo-no
kuni-ari, imasi tsukuri-katame-te-jo-to, nori tamai-te ame-no nu-
foko-wo tamai-ki. Kolco-ni futa-basira-no kami ame-no uki-fasi-ni
iatasi-te folco-wo sasi-orosi-te kuni-wo magi-tamb. Koko-ni awo-
una-wara-wo kaki-te fiki-age-tamaje-ba foko-no saki-jori sitadaru
siwo kori-te sima-to naru, na-wa ono-goro-sima-to-iü.
I/ie Theogonie der Japaner.
409
Der Himmelsgott I-za-nagi-no mikoto sagte zu I-za-nami-no
mikoto: Es gibt ein Reich der glücklichen Ähren, der eintausend
fünfhundert Herbste der fruchtbaren Schilfebenen. Mögest du es
bauen und befestigen. — Hiermit schenkte er ihr die Korallenlanze
des Himmels. Die zwei Urgottheiten standen jetzt auf der schwim
menden Brücke des Himmels, senkten die Lanze herab und suchten
das Reich. Als sie dabei die blaue Meeresfläche zeichneten und die
Lanze heraufzogen, gerann die von der Spitze der Lanze träufelnde
Meeresfluth und verwandelte sich in eine Insel, deren Name Insel
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dono-wo mi-tate, mata ame-no mi-fasira-wo mi-täte-tamai-ki.
I-za-nagi-no mikoto i-za-nami-no mikoto-ni: na-ga mi-ioa ika-ni
nareru-to toi-tamaje-ba: a-ga mi-wa nari-nari-te nari-awanu-
tokoro ari-to mawosi-tamai-ki. I-za-nagi-no mikoto nori-tamawaku:
a-ga miwa nari-nari-te nari-amareru-tokoro ari, kono a-ga mino
410
Dr. P fizmaier
nari- amareru-tokoro -wo na-ga mi-ho nari-awazaru-tokoro -ni
awasemu-to omo-to nori-tamai-ki.
Die beiden Urgottlieiten stiegen zu dieser Insel hernieder, er
richteten die acht Klafter hohe Halle und stellten den Balken des
Himmels. I-za-nagi-no mikoto fragte I-za-nami-no mikoto: Wie ist
dein Leib gebildet? — Sie antwortete: Mein Leib, wie er von
Gestalt entstanden, hat einen beim Entstehen nicht geschlossenen
Ort. — 1-za-nagi-no mikoto sprach: Mein Leib, wie er von Gestalt
entstanden, hat einen heim Entstehen übrig gebliebenen Ort. Ich
will diesen beim Entstehen übrig gebliebenen Ort meines Leibes
mit dem beim Entstehen nicht geschlossenen Orte deines Leibes
vereinigen.
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to-site tsigiri-tamawaku : nanimo-wa fidari-jori megure, a-wa
migiri-jori meguramu-to, nori-tamai-te ivakare-meguri ai-tamö-
toki-ni i-za-nami-no mikoto madzu: ana-ni e-ja,je-wotoko-wo-to nori-
tamai-ki. Tsui-ni mi-tono-ma-guwai-site madzu firu-go-ivo umi-
tamai-ki. Sunawatsi asi-bane-ni nosete nagasi-jari-ki. Tsugi-ni
awa-sima-wo umi-tamai-ki. Ko-mo mi-ko-no kazu-ni-wa irazu.
Die Theogonie der Japaner.
411
Nachdem er so gesprochen, wollte er den Balken des Himmels
drehen und traf ein Übereinkommen, indem er sagte: Die Schwester
drehe von der Linken, ich werde von derRechten drehen. —Als sie
gesondert drehten und sich vereinigten, rief I-za-nami-no milcoto
zuerst: Vortrefflich! ein schöner junger Mann! — Sofort vermengten
sie sich und zeugten den Blutigelsohn. Diesen setzten sie hierauf in
ein Schilfboot und Hessen ihn von der Fluth forttreiben. Zunächst
zeugten sie die Insel Awa. Auch diese wurde nicht zu ihren Kindern
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mawosi-tamai-ki. Toki-ni ama-tsu kamt futo-mani-ni urajete tiori-
tamawaku: womina-no koto koto - saki - datsu - besi -ja ? Kajeri-
kudaru-besi-to, nori-tamaje-ba jagate ama-kudasi-tamai-ki. Kare
futa-basira-no kamt mata mi-fasira-wo aratame-meguri-masi-ki.
I-za-nagi-no mikoto-wa fidari-jori meguri, i-za-nami-no mikoto-tva
migiri-jori meguri, ai-masu-toki-ni i-za-nagi-no mikoto madzu:
ana-ni e-ja, je-wotome-wo-to nori-tamai-ki. I-za-nami-no mikoto
notsi-ni: ana-ni e-ja, je wotoko-wo-to nori-tamai-ki. Säte notsi-ni
tomo-ni sumi-masi-te umi-maseru mi-ko-no na-wa owo-jamato-
tojo-aki-dzu-sima. Tsugi-ni awa-dzi-no sima, tsugi-ni i-jo-no futa-
na-no sima, tsugi-ni tsuku-si-no sima, tsugi-ni oki-no mitsu-go-no
sima, tsugi-ni sa-do-no sima, tsugi-ni kosi-no sima, tsugi-ni Jcibi-
7io ko-zima. Kore-ni jori-te owo-ja-sima-kuni-to in.
Sie stiegen jetzt in den Himmel zurück und meldeten dies
daselbst. Der Gott des Himmels nahm seine Zuflucht zur grossen
Wahrsagung und sprach: Soll die Sache des Weibes den Vortritt
haben? Ihr müsset wieder herabsteigen. — Alsbald stiegen diese
wieder von dem Himmel herab. Die beiden Urgottheiten drehten von
Neuem den Balken, I-za-7iagi-no 7nikotö drehte von der Linken, I-za-
nami-no mikoto drehte von der Rechten. Indem sie sich so ver
einigten, rief I-za-nagi-no mikoto zuerst: Vortrefflich! ein schönes
junges Weih! — I-za-mi-no mikoto rief später: Vortrefflich! ein
schöner junger Mann! — Hierauf wohnten beide gemeinschaftlich,
und der Sohn, der geboren ward, heisst: des grossen Jamato frucht
bare Libelleninsel. Zunächst folgte die Insel Awa-dzi, zunächst die
mit zwei Narnen belegte Insel Ijo, zunächst die Insel Tsuki-si, zu
nächst die Drillingsinsel Oki, zunächst die Insel Sado, zunächst die
Insel Sado, zunächst die Insel Kosi, zunächst die Sohnesinsel Kibi.
Demgemäss entstand der Name: das grosse Reich der acht Inseln.
Die folgenden neun angeführten Stellen aus anderen Urkunden
beziehen sich auf denselben Gegenstand.
Die Theogonie der Japaner.
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I-za-nagi-no rnikoto i-za-nami-no mi/coto futa-basira ame-no
tsagiri-no nnka-ni tatasi-te: a-wa kuni jemu-to nori-tamai-te ame-
no nu-foko-wo sasi-orosi-te saguri-tamaje-ba ono-goro-sima-ivo je-
tamai-ki. Sunawatsi foko-wo nuki-agete: joki-ka-mo kuni ari-
keri-to nori-tamai-ki.
Die beiden Urgottheiten I-za-nagi-no mikoto und I-za-nami-no
rnikoto standen mitten in dein Nebel des Himmels und riefen: Wir
wollen ein Reich erlangen! — Als sie die Korallenlanze des Himmels
herabsenkten und suchten, fanden sie die Insel O?io-goro. Hierauf
zogen sie die Lanze empor und riefen: Es ist ein vortreffliches Reich
vorhanden!
I-za-nagi I- za-nami futa-basira-no kami taka-ma-no fara-ni
masi-masi-te: kuni aramu-ja-to, nori-tamai-te ame-no nu-bolco-wo
motsi-te ono-goro-zima-wo kaki-masi-tamai-ki.
Die beiden Urgottheiten I-za-nagi und I-za-nami wohnten auf dem
Felde des hohen Himmels und sagten: Wird es ein Reich geben?—
Sie brachten, indem sie mit der Korallenlanze des Himmels zeich
neten, die Insel Ono-goro hervor.
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I-za-nagi i-za-nami futa-basira-no kami katarai-te nori-
tamawaku: uki-abura-no gotoku-naru mono-ari, sono naka-ni
kedasi kuni aramu-ka-to, nori-tamai-ie ame-no mi-boko-wo motsi-
te sima-wo kaki-nasi-tamai-ki, na-iva ono-goro-sima-to iü.
Die beiden Urgottheiten I-za-nagi und I-za-nami sprachen mit
einander und sagten: Es gibt einen Gegenstand gleich dem schwim
menden Fette, sollte es demnach in dessen Mitte ein Reich geben?—
Sie brachten, mit der Korallenlanze des Himmels scharrend, eine
Insel hervor, deren Name Insel Ono-goro.
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I-za-nami-no mikoto madzu: ana-ni jasi, je-wotoko -wo-to
nori-tamai-ki. Toki-ni womina-no saki-datsi-si-ju-e-ni fusawazu-
to nori-tamai-te sara-ni aratame-meguri-masu-toki-ni i-za-nagi-
no mikoto madzu: ana-ni jasi, je - wotome - wo -to, nori-tamai-ki.
Tsui-ni mi-ai-semu-to si-tamaje-domo sono waza-wo siri-
tamawazari-ki. Toki-ni niwa-ku-na-buri tobi-kite wo-kasira-wo
ugokasu-wo mi-sonawasi-te so-ivo manabi-te-zo todzuki-no waza-
wo je-tamai-keru.
Die Theogonie der Japaner.
415
I-za-namino Mikoto rief zuerst: Vortrefflich! ein schöner jun
ger Mann!—Als sie, weil um diese Zeit die Sache des Weibes den
Vortritt gehabt, unter einer unglücklichen Vorbedeutung gerufen,
hierauf von Neuem drehten, rief I-za-nagi-no Mikoto zuerst: Vor
trefflich ! ein schönes junges Weib! — Sofort wollten sie sich
vereinigen, hatten jedoch davon keine Kenntniss. Hierauf kam eine
Bachstelze herbeigeflogen, und als die beiden Götter sahen, wie
diese den Schweif bewegte, ahmten sie es nach und erfanden
die Weise der Vereinigung.
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Futa-basira-no kamt mi-ai-si-tamai-te madzu awa-dzi-no
sima-wo je-to site owo-jamato-tojo-aki-dzu-sima-wo umi-masi-ki
Tsugi-ni i-jo-no sima, tmgi-ni tsuku-si-no sima, tsugi-ni o-ki-no
sima-to sa-do-no sima-to-wo futa-go-ni umi-masi-ki. Tsugi-ni kosi-
no sima, tsugi-ni-owo-sima, tsugi-ni ko-sima.
Die beiden Urgottheiten vermengten sich und erzeugten, indem
sie die Insel Aiva-dzi zur Fruchthülle machten, zuerst des grossen
Jamato fruchtbare Libelleninsel. Zunächst erzeugten sie die Insel Ijo,
zunächst die Insel Tsuku-si, zunächst als Zwillinge die Inseln Oki
und Sado. Dieser zunächst folgte die Insel Kosi, zunächst öwo-sima
(die grosse Insel), zunächst Ko-sima (die Sohnesinsel).
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Madzu awa-dzi-no sima-wo umi-tamai-ki, tsugi-ni owo-
jamaio-tojo-aki-dzu-sima, tsugi-ni i-jo-no futa-ua-no sima, tsugi-
ni o-ki-no sima, tsugi-ni sa-do-no sima, tsugi-ni tsuku-si-no sima,
tsugi-ni iki-no sima, tsugi-ni tsu-sima.
Zuerst erzeugten sie die Insel Awa-dzi, zunächst des grossen
Jamato fruchtbare Libelleninsel, zunächst die mit zwei Namen belegte
Insel Ijo, zunächst die Insel Old, zunächst die Insel Sado, zunächst
die Insel Tsuku-si, zunächst die Insel Iki, dieser zunächst die Insel
Tsu-sima.
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Ono-goro-sima-wo je-to-site awa-dzi-no sima-wo umi-masi-
ki, tsugi-ni owo-jamato-tojo-aki-dzu-sima, tsugi-ni i-jo-no futa-
na-no sima, tsugi-ni tsuku-si-no sima, tsugi-ni kibi-no ko-zima,
tsugi-ni o-ki-no sima-to sa-do-no sima-to-ivo futa-go-ni umi-masi-
ki, tsugi-ni kosi-no sima.
Die Theogonie der Japaner.
417
Indem sie die Insel Ono-goro zur Fruchtbälle machten, erzeug
ten sie die Insel Awa-dzi. Zunächst folgte des grossen Jumato frucht
bare Libelleninsel, zunächst die mit zwei Namen belegte Insel Ijo,
zunächst die Insel Tsuku-si, zunächst die Sohnesinsel Kibi, zu
nächst erzeugten sie als Zwillinge die Inseln Oki und Sado. Diesen
zunächst folgte die Insel Kosi.
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Awa-dzi-no sima-wo je-to site owo-jamato-tojo-aki-dzu-sima-
wo umi-tamai-ki. Tsugi-ni awa-sima, isugi-ni i-jo-no futa-na-no
sima, tsugi-ni o-ki-no mitsu-go-no sima, tsugi-ni sa-do-no-sima,
tsugi-ni tsuku-si-no sima, tsugi-ni kibi-no ko-zima, tsugi-ni
owo-sima.
Indem sie die Insel Awa-dzi zur Fruchthülle machten, erzeug
ten sie des grossen Jamato fruchtbare Libelleninsel, zunächst folgte
die Insel Awa, zunächst die mit zwei Namen belegte Insel Ijo, zunächst
die Drillingsinsel Oki, zunächst die Insel Sado, zunächst die Insel
Tsulcu-si, zunächst die Sohnesinsel Kibi, zunächst die grosse Insel.
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1-za-nami-no mikoto madzu : anci-ni e-ja, je-wotoko-wo-to,
nnri-tamai-te i-za-nagi-no mikoto-no mi-te-wo tori-te mi-ai-si-
tamai-te awa-clzi-no sima-wo umi-tamai-ki. Tsugi-ni firu-go.
I-za-nami-no Mikoto rief zuerst: Vortrefflich! Ein schöner jun
ger Mann!—Sie ergriff die Hand I-za-nagi-no Mikoto''s, und indem
sich beide vereinigten, erzeugten sie die Insel Awa-dzi, zunächst
folgte der Blutigelsohn.
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Tsugi-ni wata-no kami-wo umi-tamai, tsugi-ni kawa-no kami-
wo umi-tamai, tsugi-ni jama-no kami-wo umi-tamai, tsugi-ni ki-
no kami ku-ku-no-tsi-wo umi-tamai-ki. Tsugi-ni kusa-no kami
kaja-nu-fime mata-no na-wa nu-dzutsi-wo umi-tamai-ki.
Zunächst zeugten sie den Gott des Meeres, zunächst den Gott
der Flüsse, zunächst den Gott der Berge, zunächst Ku-ku-no tsi,
den Gott der Bäume. Diesem zunächst zeugten sie Kaja-nu-fime,
deren Name auch Nu-dzutsi, die Göttinn der Pflanzen.
Kaja-nu-fime bedeutet: die vornehme Tochter des Feldes der
langen Gräser.
Nu-dzutsi bedeutet: der Hammer des Feldes.
Die Bedeutung von Ku-ku-no tsi ist ungewiss.
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Die Theogonie der Japaner.
419
Kaku-te i-za-nagi-no mikoto i-za-nami-no mikoto tomo-ni
fakari-te nori-tamawaku.: a-wa sude-ni owo-ja-sima-kuni mata
jama-kawa-kusa-ki-no kami-wo nmi-ki. Na-zo-mo ame-no sita-no
kimi-to masu kami-wo umazarame-ja-to nori-tamai-te fi-no kami-
wo umi-tamai-ki. Owo-fira-me-no mudzi-to mawosu. Kono mi-ko
fikari-urmvasiku masi-te ame-tsutsi-ni teri-toworaseri.
Hierauf gingen I-za-nagi-no Mikoto und 1-zu-nami-no Mikoto
mit einander zu Rathe und sprachen: Wir haben bereits das grosse
Reich der acht Inseln, ferner die Götter der Berge, Flüsse, Pflanzen
und Bäume erzeugt. Warum sollten wir nicht auch den Gott,
welcher der Gebieter von allem unter dem Himmel ist, erzeugen
wollen?—Nachdem sie dies gesprochen, erzeugten sie die Go.ttheit
der Sonne. Sie gaben ihr den Namen: der weibliche Vorname des
grossen Tageslichtes. Dieser Sprössling war lieblich von Glanz und
erleuchtete Himmel und Erde.
Die Sonnengottheit heisst sonst auch Z. J J - -3
1 1 d> Ama - terasu-owo-mi-kami „die den Himmel
erleuchtende grosse Gottheit“ und
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denHimmel erleuchtende grosse weibliche Geehrte des Tageslichtes“.
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Futa-basira-no kami jorokobi-masi-te nori-tamawaku: a-ga
mi-ko sawa-nare-domo kaku-bakari kusi-bi-naru mi-ko-wa masazu.
Kono kuni-ni todome-matsuru-beki-ni arazu jokemu-to nori-tamai-
te ame-ni okuri-ma-tsuri-te ame-wo sirase-to koto-sasi-matsun-
tamai-ki. Kono toki ame-tsutsi ai-saru-koto imada towo-karazari-
sika-ba ame-no mi-fasira-mote ame-ni age-matsuri-tumai-tsu.
420
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Die beidenUrgottheiten freuten sieh und sprachen: Obgleich un
serer Söhne viele sind, ein so herrlicher Sprössling ist nicht vorhanden.
Es wird gut sein, wenn er in diesem Lande sich nicht aufhält. —Nachdem
sie dies gesagt, geleiteten sie ihn zu dem Himmel und trugen ihm
auf, den Himmel zu lenken. Da um diese Zeit Himmel und Erde noch
nicht weit von einander geschieden waren, hoben sie ihn mit dem
Balken des Himmels zu dem Himmel empor.
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Tsugi-ni tsuki-no kami-wo umi-tamai-ki. Fi-ni tsugi-te fikari-
uruwasiku mase-ba fi-ni narabi-te sirase-to nori-tamai-te kono
kami-mo ame-ni age-tamai-ld.
Zunächst erzeugten sie den Gott desMondes. Da dieser zunächst
nach der Sonne lieblich von Glanz war, sagten sie: Er möge sich
zu der Sonne gesellen und die Lenkung führen.—Sie erhoben daher
auch diesen Sohn in den Himmel.
Der Gott des Mondes heisst sonst auch j T?
j. 3 tsüku-jumi-no mi/coto „der Geehrte des Mondbogens“
und |- rJ ) 1 3 ^ 2P tsuku-jo-mi-no mikoto „der Geehrte
der Sichtbarkeit des Mondes in der Nacht“. Die letztere Verbindung
wird auch unter Zusammenziehung zweier Sylben durch tsuku-jomi-no
mikoto wiedergegeben und durch „der Geehrte des Lesens beim
Monde“ erklärt.
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Tsugi-ni firu-go-wo umi-masu. Mi-tose fure-domo asi-tatazari-
ki. Kare-ame-no iwa-kusu-bune-ni nosete kaze - no mani-mani
fanatsi-sute-tamni-ki.
Die Theogonie der Japaner.
421
Zunächst erzeugten sie den Bluligelsohn. Dieser stand nach
Verlauf von drei Jahren nicht auf den Füssen. Sie setzten ihn daher
in des Himmels Felsenkampherboot und liessen ihn von dem Winde
forttreiben.
Tsugi-ni su-sa-no wo-no mikoto-wo umi-tamai-ki. Kono kami
taJceku iburi-ni masi-te mata tsune-ni waza-to-wa naki-isatsi-masii
ju-e-ni kunutsi-no fdo sawa-ni soknnaje,- mata awo-jama-wo-mo
kara-jama-ni naki-karasi-masi-ki. Kare mi-oja futa-basira-no
owo-kami su-sa-no wo-no mikoto-ni nori-tamawa/cu: imasi-wa ito
adziki-nasi, ame-no sita-ivo siru-be-karazu, ne-no kuni-ni makaru-
besi-to, nori-tamai-te, tsui-ni kamu-jarai-ni jarai-tamai-ki.
Zunächst erzeugten sie Su-su-no wo-noMikoto. Dieser Gott war
kühn und herzhaft und hatte auch die Gewohnheit zu weinen und
wehzuklagen, wesshalb die Menschen indem Lande häufig zu Schaden
kamen, ausserdem machte er die grünen Berge durch sein Weinen zu
dürren Bergen vertrocknen. Seine Eltern, die beiden grossen [Jrgott-
heiten, sagten daher zu Su-sa-no-wo-no Mikoto: D i bist überaus
gesetzlos, du darfst, was unter dem Himmel ist, nicht lenken, du
musstdich in das Reich der Wurzeln 1 ) begeben. — Sofort vertrieben
sie ihn zufolge göttlicher Vertreibung.
l ) Das Reich der Wurzeln ist die Unterwelt.
Siub. der phil—hist. CI. XLVII. Bd. II. Hit. 2S
422
Dr. P f i z in a i e r
Su-sa-no wo-no Mikoto heisst sonst auch j x.
|' zj i. ) f Kamu-su-sa-no wo-no mikoto „der göttliche
Geehrte Su-sa-no wo“ und ^ L / f X ^
faja-su-sa-no wo-no mikoto „der schnelle Geehrte Su-sa-no wo“.
Die Bedeutung von Su-sa-no wo ist ungewiss.
I-za-nagi-no mikoto nori- tamawaku: are ame-no sita-
sirasamu udzu-no mi-ko umamu-to nori-tamai-te, fidari-no mi-tc-
ni ma-sumi-kagami-wo tori-motasi-si-toki-ni kami nari-ide-masi-
ki. Mi-na-wa owo-ßru-me-no mikoto-to mawosu. Migiri-no te-ni ma-
sumi-kagami-wo tori-motasi-si-toki-ni kami nari-ide-masi-ki. Mi-
na-wa tsulcu-jumi-no mikoto-to mawosu. Mata mi-Jcasira-wo
megurasi-te miru-masa-kari-ni kami nari-ide-masi-ki. Mi-na-wa
su-sa-no wo-no mikoto-to mawosu. Kare owo-ßru-me-no mikoto
tsiuku -jumi-no mikoto-wa tomo-ni kusiki mi-fikari-masi-kere-ba
ame-tsutsi-wo terasi-masasi-me-hi. Su-sa-no wo-no mikoto-wa soko-
nai-jaburu-koto-wo konomi-tamo-kara-ni ne-no kuni-wo sirasi-
tamai-ki.
Die Theogonie (1er Japaner.
423
1-za-nagi-no Mikoto sprach: Ich will einen kostbaren Sohn,
den ich das, was unter dem Himmel ist, lenken lassen werde, erzeu
gen. — Als er dies gesprochen und mit der linken Hand einen ganz
hellen Spiegel ergriff, entstand und ging hieraus eine Gottheit hervor.
Diese heisst der grosse weibliche Geehrte des Tageslichtes. Als er
mit der rechten Hand einen ganz hellen Spiegel ergriff, entstand und
ging hieraus ein Gott hervor. Dieser heisst der Geehrte des Mond
bogens. Als er ferner das Haupt umdrehte und fest mit dem Auge
hinblickte, entstand und ging hieraus ein Gott hervor. Dieser heisst
Su-sa-no wo-no Mikoto. Da der grosse weibliche Geehrte des
Tageslichtes und der Geehrte des Mondbogens beide lieblichen Glanz
besassen, so gaben die Eltern ihnen den Auftrag, Himmel und Erde
zu erleuchten. Da Su-sä-no wo-no Mikoto Schaden und Verderben
liebte, gaben sie ihm den Auftrag, das Reich der Wurzeln zu lenken.
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Fi-no lcami tsuki-no kami-wo umi-tamai-te firu-go-wo umi-
tamd. Kono mi-ko mi-tose-ni naru-mnde asi-tatazari-ki. Tsugi-ni
su-sa-no mikoto-wo umi-tamd. Kono lcami saganuku-site waza-to
naki-fudzukumi-mase-ba awo-fito-kusa sara-ni sini uwo -jama - wa
kara-jama-ni nari-nu. Karo mi-oja-no owo-lcami nori-tamawaku:
mosi imasi kono kuni-wo sira-bn sokonai-jaburu-koto owo-kara-
masi. Kare imasi-wa towoki ne-no kuni-sirn-besi-to, nori tumai-ki.
28*
424
Dr. Pfizmaier
Nachdem sie die Gottheit der Sonne und den Gott des Mondes
erzeugt, erzeugten sie den Blutigelsohn. Dieser Sohn stand bis zu
seinem dritten Jahre nicht auf den Füssen. Zunächst erzeugten sie
Su-sa-no ivo-no Mikoto. Da dieser Sohn, der von unglücklicher
Beschaffenheit war, absichtlich weinte und wehklagte, so starb
das Volk häufig dahin und die grünen Berge verwandelten sich in
dürre Berge. Seine grossen göttlichen Eltern sagten daher: Wenn
du dieses Reich lenkst, so wird es vielen Schaden und Verderben
geben. Du musst die Lenkung über das ferne Reich der Wurzeln
führen.
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Tsugi-ni tori-no iwa-Jcusu-bune-wo umi-iamö, sunawatsi
I'ono fune-ni firu-go-wo nosete midzu-no mani-mani nagasi-mte-
tamcii-ki. Tsugi-ni fi-no kamt ka-gu-tsu-tsi-wo umi-tamb-toki-ni
i-za-nctmi - no mikoto kagu - tsu-tsi-ni jakajete kamu-sari-masi- ki.
Kamu-sari-masamu-to-site jami-kojasi-maseru-toki tsutsi-no kami
fani-jama-ßme, mata midzu-no kami mitsu-wa-no me-wo umi-
masi-ki. Jaga-te Ica-gu-tsu-tsi fani-jama-üme-ni mi-ui-te waku-
musubi-wo umi-ki. Kono kami-no kasira-ni kaiko-to kuwa-to nari,
foso-nutsi-ni itsu-tsu-no tana-tsu-mono nari-ki.
Zunächst erzeugten sie das Felsenkampherboot des Vogels 1).
Sie setzten hierauf in dieses den Blutigelsohn und Hessen ihn auf
’) Ein solches Schiff ward auch J ^ p Kamo-no func „das Änten-
schiff“ genannt. Dasselbe schwamm auf dem Wasser gleich einem Vogel.
Die Theog-onie der Japaner.
425
der Strömung des Wassers forttreiben. Als sie zunächst Kagu-
tsutsi, den Gott des Feuers, erzeugten, ward I-za-nami-tio
Mikoto durch Kagu-tsutsi verbrannt und schied göttlich dahin. Als
sie göttlich hinscheiden wollte und sich krank in Kindesnöthen
befand, gebar sie Fani-jama Firne, die Göttinu der Erde, ferner
Mitsu-wa-nome, die Göttinu des Wassers. Sofort vereinigte sich Kagu-
tsutsi mit Fani-jama-firne und erzeugte Waku-musubi. Auf dem
Haupte dieser Gottheit entstanden Seidenraupen und Maulbeerbäume,
in ihrem Nabel entstanden die fünf Getreidearten.
Fani-jama-fme bedeutet: die vornehme Tochter der lockeren
Erde und der Berge.
Waku-musubi bedeutet: der jugendliche hervorgebrachte
Geist.
Die Bedeutung von Kagu-tsutsi und mitsu-wa ist ungewiss.
I-za-nami-no mikoto fo-musubi-wo umi-tamo-toki mi-ko-ni
jakajete kamu - sari- masi- hi. Kamu - sari - masamu -to- suru - toki
midzu-no kami mitsu-wa-no me mata tsutsi-no kami fani-jama-
fime-wo umi, mata ama-no josadzura-wo umi-masi-ki.
Als I-za-nami-no Mikoto den hervorgebrachten Geist des
Feuers gebar, wurde sie von ihrem Sohne verbrannt und schied gött
lich dahin. Zur Zeit, als sie göttlich verscheiden wollte, gebar sie
Mitsu-wa-no me, die Göttinn des Wassers, ferner Fani-jama firne, die
Göttinn der Erde, ferner Ama-no Josadzura (den glücklichen Flachs
des Himmels).
42Ü
Dr. P f i z m a i e i'
y 3^ y- g Josadzura „der glückliche Flachs“ ist die
Zusammenziehung von y vy' jl j/ 3 josi-kadznra.
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I-za-nami-no mikoto fi-no kami ka-gu-tsutsi-wo umi-tamo-
toki-ni atsukai-najami-masi-te ta.guri-si-tamb. Kore kami-to nari-
masi-tsu mi-na-wa kana-jama-fiko. Tsugi-ni jumari-si-tamb, kore-
mo kami-to nari-masi-tsu, mi-na-wa mitsu-wa-no me. Tsugi-ni
kuso-mari-tamd. Kore-mo kami-to nari-masi-tsu, mi-na-wa fani-
jama firne.
Als I-za-nami-no Mikoto den Feuergott Kagu-tsutsi gebar,
ängstigte sie sich und erbrach sich. Hierdurch entstand ein Gott,
dessen Name Kana-jama-fiko. Zunächst liess sie Harn, dadurch
entstand ebenfalls eine Gottheit, deren Name Mitsu-wa-no Me.
Zunächst gab sie den Koth von sich, dadurch entstand ebenfalls
eine Gottheit, deren Name Fani-jama-fime.
Kana-jama-fiko bedeutet: der vornehme Sohn des Metall
berges.
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Die Theogonie der Japaner,
427
I-za-nami-no mikoto fi-no Icami-wo umi-masu-toki-ni jakajete
hamu-sari-masi-ki. Kare ki-no kuni-no kuma-nu-no ari-ma-no
mura-ni kakusi-matsuri-ki. Kuni-fito kono kami-no mi-tama-wo
matsuru-ni-wa fana aru-tolci fana-mote matsuri, mata tsudzumi-
■utsi, fu-e-fuki, fata-tate, utai-mai-te matsureri.
Als I-za-nami-no Mikoto den Gott des Feuers gebar, wurde
sie verbrannt und schied göttlich dahin. Sofort verbarg sie sich in
Ari-ma, dem Dorfe von Kuma-nu in dem Reiche der Bäume. Indem
die Menschen des Reiches dem Geiste dieser Gottheit opferten,
opferten sie ihr zur Zeit, wo es Blumen gibt, mit Blumen. Sie
opferten ihr ferner, indem sie die Trommel schlugen, die Flöte
bliesen, Fahnen aufstellten, sangen und tanzten.
Ki-no kuni „das Reich der Bäume“ ist das heutige Reich
Ki-1. Daselbst befindet sich auch heute noch das Dorf Ari-ma.
Kuma-nu bedeutet: das Bärenfeld.
I-za-nagi-no mikoto i-za-nami-no mikoto-to tomo-ui oivo-ja-
sima-kuni-wo umi-tamai-ki■ Sate-notsi-ni i-za-nagi-no mikoto:
a-ga umeru kuni tada-sagiri-nomi kawori miteru-ka-mo-to, nori-
musi-te fuki-furaseru mi-ibuki kami-to naru, mi-na-wa sina-to-
be-no mikoto. Mata iwaku sina-tsu-fiko-no mikoto. Ko-iva kaze-
no kami-nari.
I-za-nagi-no Mikoto und I-za-nami-no Mikoto erzeugten mit
einander das Reich der grossen acht Inseln. Zuletzf rief I-za-nagi-
no Mikoto: Das Reich, welches ich erzeugt, ist nur erfüllt von Nebeln
428
Dr. Pfizraaier
und Dünsten! — Indem er die Dünste wegblies, wurde sein Alhem
zu einem Gotte, dessen Name Sina-to-be-no Mikoto. Er heisst auch
Sina-tsu-flko-no Mikoto. Derselbe ist der Gott des Windes.
Sina-to-be bedeutet: die Seite der Thüre des Ranges.
■ Sina-tsu-fiko bedeutet: der geehrte Sohn des Ranges.
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Mata u-e-maseru-toki-ni umi-rnaseru-mi-ko-no mi-na-iva
uka-no mi-tama-no mikoto. Mata wata-no kami-wo umi-tamai-ki,
mi-na-wa wata-tsumi-no mikoto. Jama-no kami-wo umi-masu,
mi-na-wa jama-tsumi-no liami. Mina-to-no kami-wo umi-masu,
mi-na-wa faja-aki-tsu-fi-no mikoto. Ki-no kami-wo umi-masu, mi-
na-wa ku-ku-no-tsi-no kami, Tsutsi-no kami-wo umi-masu, mi-
na-wa fani-jasu-no kami. Sate-notsi-ni koto-goto-ni jorodzu-no
mono-no kami-wo umi-masi-ki.
Ferner erzeugte er zur Zeit, als er hungrig war, einen Sohn,
dessen Name Uka-no mi-tama-no Mikoto. Ferner erzeugte er den
Meergott, dessen Name Wata-tsumi-no Mikoto. Erzeugte den Berg
gott, dessen Name Jama-tsumi-no kami. Er zeugte den Gott der
Wasserthiiren, dessen Name Faja-aki-tsu fi-no mikoto. Er zeugte
den Gott der Bäume, dessen Name Ku-ku-no-tsi-no Kami. Er zeugte
den Erdgott, dessen Name Fani-jasu-no Kami. Zuletzt zeugte er
sämmtliche Götter der zehntausend Dinge.
Uka-no mi-tama bedeutet: der Geist der Reispflanze.
Die muthmassliche Bedeutung von wata-tsumi ist: dieEhrfurcht
des Meeres.
Die Theogonie der Japaner.
429
Die muthmassliche Bedeutung von Jama-tsumi ist: die Ehrfurcht
der Berge.
Faja-aki-tsu-fi bedeutet: die Sonne des schnellen Herbstes.
Fani-jasu bedeutet: das Ruhen auf lockerer Erde.
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Fi-no kami-kagu-tsutsi-no kami-wo umi-masu-toki-ni mi-
fawa i-za-nami-no mikoto jciknjete kamu- sari-masi-ki. Toki-ni
i-za-nagi-no mikoto urami-masi-te nori-tamawaku: utsulcusi-ki
a-ga nanimo-no mikoto-ja tada ko-no fito-tsu-ke-ni kaje-tsuru-ka-
mo-to, nori-tamai-te mi-makura-be-ni farabai mi-ato- be-ni fara-
bai-te naki-tamö- Sono mi-namida kami-to-nari-ki. Ko-wa une-
wo-no ko-no moto-ni masu kami, mi-na-wa naki-sawa-me-no
mikoto.
Als er den Feuergott Kagu-tsutsi erzeugte, wurde dessen
Mutter I-za-nami-no Mikofo verbrannt und schied göttlich dahin.
Hierauf wurde I-za-nagi no Mikoto unwillig und rief: Soll die Göttinn,
meine schöne Schwester, blos durch einen einzigen Sohn weggeschafft
werden?—Nachdem er dies gesagt, kröchet' auf derSeitedesSchei-
tels, kroch er auf der Seite des Rückentheiles und weinte. Seine
Thronen verwandelten sich in eine Gottheit. Diese ist die unter den
Bäumen der Ackerhügel weilende Gottheit, deren Name Naki-sawa-
me-no Mikoto (die weinende weibliche Geehrte des Sumpfes).
430
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Tsui-ni mi-fakaseru to-tsuka-tsurugi-ivo nuki-te kagu-tsutsi-
wo mi-kida-ni kiri-tamai-tsu. Kore omo-omo kami-to-nari-ki.
Mata tsurugi-no fa-jori sitadaru tsi-wa ame-no jasu-no Icawara-
naru i-wo-tsu iwa-mura-to nari-nu. Ko-wa fu-tsu-nusi-no-kami-
7io mi-oja-nari.
Sofort zog er das an seinem Gürtel hängende zelingriffige
Schwert und zerhieb Kagu-tsütsi in drei Theile. Ein jeder dieser
Tlieile wuide zu einem Gotte. Ferner verwandelte sicli das von der
Klinge des Schwertes träufelnde Blut in die an dem ruhigen Fluss
ufer des Himmels befindlichen fünfhundert Steinhaufen. Diese sind
die Stammväter des Gottes Fu-tsu-nusi.
Fu-tsu-nusi bedeutet: der Gebieter des Vorübergehens.
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Die Theogonie der Japaner.
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Mata tsurugi-no tsumi-wa jori sitadnru tsi tabasiri-kojete
lcami-to naru, mi-na-wa mika-faja-bi-no kami. Tsugi-ni fi-faja-
bi-no kami. Sono mika-faja-bi-no kami-wa take-mika-tsutsi-no
kami-no mi-oja nari. Mata iwaku mika-faja-bi-no mikoto, tsugi-ni
fi-faja-bi-no mikoto, tsugi-ni take-mika-tsutsi-no kami.
Ferner strömte das von dem Griffe des Schwertes träufelnde
Blut über und verwandelte sich in einen Gott, dessen Name Gott
Mika-faja-bi, ferner in einen Gott, dessen Name Gott Fi-faja-bi.
Dieser Gott Mika-faja-bi ist der Stammvater des Gottes Take
mika- tsutsi. Es heisstauch: Mika-faja-bi-no Mikoto, zunächst
Fi-faja-bi-no Mikoto, zunächst Gott Take-mika-tsutsi.
Mika-faja-bi bedeutet: die schnelle Sonne des Wasserkruges.
Take-mika-tsutsi bedeutet: der Hammer des Wasserkruges
des Muthes.
Fi-faja-bi bedeutet: die schnelle Sonne des Feuers.
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Mata tsurugi-no salii-jori sitadaru tsi tabasiri-kojete kami-to
naru, mi-na-wa iwa-saku-no kami, tsugi-ni ne-saku-no kann,
tsugi-ni iwa-tsutsu-no wo-no mikoto. Aru fumi-ni iwaku: iiva-tsu-
tsu no wo-no mikoto iwa-tsutsu-no me-no mikoto. Mata tsurugi-no
ta-kami-jori sitadaru tsi tabasiri-kojete kami-to naru, mi-na-wa
kura-okami-no kami, tsugi-ni kura-jama-tsumi-no kami, tsugi-
ni kura-mitsu-wa-no kami.
432
Dr. P f i z in a i e r
Ferner strömte das von der Spitze des Schwertes träufelnde
Blut über und verwandelte sich in einen Gott, dessen Name Iwa-
saku-no kami. Zunächst entstand Ne-saku-nn kamt, zunächst Iwa-
tsutsu-wo-no Mikoto. In einem Buche wird gesagt: Iiva-tsutsu-
wo-no Mikoto und Iwa-tsutsu-no me-no Mikoto. Ferner strömte
das von der Höhe des Schwertes träufelnde Blut über und verwandelte
sich in einen Gott, dessen Name Kura-o-kami-no kami. Zunächst
entstand Kura-jama-tsumi-no kami, zunächst Kura-mitsu-wa-no
kami.
Iwa-saku bedeutet: das Zerreissen der Felsen.
Ne-saku bedeutet: das Zerreissen der Wurzeln.
Iiva-tsutsu-no wo-no Mikoto bedeutet: der männliche Geehrte
der Felsenröhren.
Iiva-tsutsu-no me-no Mikoto bedeutet: der weibliche Geehrte
der Felsenröhren.
Kura-o-kami bedeutet: der dunkle männliche Gott.
Kura-jama-tsumi bedeutet : die Ehrfurcht des dunklen Berges.
Die Bedeutung von Mitsu-wa in Kura-mitsu-wa ist ungewiss.
Säte notsi-ni i za-nagi-no mikoto i-za-nami-no mikoto-wo
oi-si-kite ne-no kuni-ni iri-masi-te katarai-tamo-toki-ni i-za-
nami-no mikoto mawosi-tamawaku: a-ga na-se-no mikoto na-zo
osoku ide-masi-tsuru? a-wa jomo-tsu-fe-gui-si-tsu, sikare-domo
Die Theogonie der Japaner*
433
are ne-jasumamu, na-mi-masi-so-to, mnwosi-tamai- Id. I-za
nagi-no mikoto kiki-tamaivazu-te ju-tsu-tsumarkusi-no wo-basira-
wo fiki-kaki-te ta-bi-to si mi-tamnje-bu umi-wuki uzi-takari ki.
Zuletzt verfolgte der Geehrte I-za-nagi die Geehrte I-za-nami
und gelangte in das Reich der Wurzeln. Als er daselbst mit ihr
sprach, sagte die Geehrte I-za-nami: Warum ist mein Gemahl so spät
ausgezogen? Ich habe bereits an dem Herde der Unterwelt gegessen.
Bei alledem werde ich mich schlafen legen, mögest du mich nicht
anblicken. — I-za-nagi-no Mikoto gab diesen Worten kein Gehör.
Er schabte den männlichen Balken des Kammes der hundert Nägel
der Finger und machte daraus eine Fackel. Als er jetzt hinblickte,
kochte Eiter und sammelten sich Larven.
In rein chinesischer Sprache sind hier die Worte einge
schaltet: Dass die Menschen des Zeitalters es vermeiden, in der
Nacht einen Holzspau anzuzünden und einen Kamm wegzuwerfen,
hat hierin seinen Grund,
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omowojezu ina-siko-me-siko-meki kitanaki kuni-ni ki-tsu-to, nori-
tamai-te toka nige-kajeri-masi-nu. Toki-ni i-za-nami-no mikoto
urumi-tamawaku: tsigiri-si-koto-wo nado-te-ka-mo tagajete are-
ni fadzi-mi-se-tamai-tsu-to, mawosi-tamai-te jomo-tsu siko-me
la-tari-wo tsnkawasi-te oi-tödome-masi-ki.
434
Di'. I* f i /. in a i e r
I-za 7iugi-no mikoto erschrak hierauf heftig und rief: Ich bin zu
einem wider meine Erwartung unheilvollen, hässlichen und unrei
nen Reiche gelangt!— Als er dies gesagt, floh er eilig zurük. I-za-
nami-no mikoto rief jetzt zornig: Warum hast du dem Übereinkom
men zuwider gehandelt und mir Schande bereitet? —-Sofort entsandte
sie die acht hässlichen Weiher der Unterwelt und Hess ihn durch
sie verfolgen und ihn aufhalten.
Jomo-tsu-siko-me „die hässlichen Weiber der Unterwelt“
werden auch ^ ^ ^ 3 jomo-tsu-fisa-me „die Tausch
handel treibenden Weiber der Unterwelt“ genannt.
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Kare i-za-nagi-no mikoto tsurugi-wo nuki-te siri-je-de-ni
fulci-tsu-tsu nige-tamai-nu. Kare kuro-mi-kadzura-wo nage-utsi-
tamai-sika-ba sunawatsi jci-Icadzura-no mi nari-ki. Siko-me mi
te tori-famu, fami-wojete nawo oi-ku. I-za-nagi-no mikoto mata
ju-tsu-tsuma-kusi-wo nage-ute-tamai-sika-ba sunawatsi taka-muna
nari-ki. Siko-me mata nuki-famu, fami-wojete mata oi-matsuri-
ki. Notsi-ni-wa i-za-nami-no mikoto mi-midzukara-mo oi-ki-masi-
nu. Kono toki i-za-nagi-no mikoto jomo-tsu fira-saka-ni itari-
masi-ki.
Die Theogonie (1er Japaner.
435
I-za nagi-no mikoto zog sein Schwert, schlug damit nach
rückwärts und entfloh. Als er hierauf seine schwarze Perücke we°--
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warf, verwandelte sich diese in Früchte des Weinstockes. Die hässli
chen Weiher erblickten diese und assen sie. Nachdem sie sie geges
sen , verfolgten sie ihn von Neuem. Als I-za-nagi-no mikoto wieder
den Kamm der hundert Nägel der Finger wegwarf, verwandelte
sich dieser in Bamhussprossen. Die hässlichen Weiber pflückten
auch diese und assen sie. Nachdem sie sie gegessen, verfolgten sie
ihn wieder. Zuletzt kam auch I-za-nami-no mikoto selbst und ver
folgte ihn. Um diese Zeit erreichte I-za-nagi-no mikoto die breite
Treppe der Unterwelt,
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Aru-fumi-ni iwaku: I-za-nagi-no mikoto owo-ki-ni mukai-te
jumari-si-tamo. Kore-owo-kawa-ni nari-nu. Jomo-tsa fisa-me
sono kawa-wo wataramu-to-mru aida-ni i-za-nagi-no mikoto
jomo-tsu fira-saka-ni itari-masi-ki.
In einen Buche wird gesagt: I-za-nagi-no mikoto kehrte sicli
gegen einen grossen Baum und liess Harn. Dieser verwandelte sich in
einen grossen Fluss. Während die Tauschhandel treibenden Weiber
der Unterwelt diesen Fluss übersetzen wollten, gelangte I-za-nagi-no
mikoto zu der breiten Treppe der Unterwelt.
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nami-no mikoto-to ai-muki-tatasi-te koto-Ao-wo watasu-toki-ni
i-za nami-no mikoto mawosi-tamawaku: utsukusi-ki a-ga na-se-
no mikoto kahl si-tamawa-ba, are-wa imasi-no kuni-no fito-kusa
fito fi-ni tsi-fito kubiri-korosaiui-to, mawosi-tamai-ki. I-za-nagi-
iio mikoto nori-tamawaku: utsukusi-ki a-ga nanimo-no mikoto
kaku si-tamawa-ba, are-wa fito-fi-ni tsi-i-wo-fito umana-to, nori-
tamai-ki.
Er versperrte den Weg dieser Treppe mit einem von tausend
Menschen zu ziehenden Felsstück, stand I-za-nami-no mikoto gegen
über und benachrichtigte sie von der getrennten Thüre Da sprach
I-za-nami-no mikoto-. Wenn der Geehrte, mein schöner Gemahl, dies
thnt, so werde ich von dem Volke deines Reiches täglich tausend
Menschen erwürgen. — I-za-nagi-no mikoto erwiederfe: Wenn die
Geehrte, meine schöne Gemahlinn, dies thut, so werde ich täglich
eintausend fünfhundert Menschen hervorbringen.
Die Theogouie der Japaner.
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Kare: koko-jori na-ki-masi-so-to nori-tumai-te nage-utsuru-
mi-tsu-e-ni nari-maseru kami-no mi-na-wa funa-clo-no kami.Mata
nage-utsuru mi-obi-ni nari-maseru kami-no mi-na-wa naga-tsi-
wa-no kami. Mata nage-utsuru mi-kesi-ni nari-maseru kami-no
mi-na-wa wadzurai-no kami. Mata nage-utsuru mi-fakama-ni
nari-maseru kami-no mi-na-wa aki-kui-no kami. Mata nage-
utsuru mi-kutsu-ni nari-maseru kami-no mi-na-wa tsi-siki-no
kami. Sono jomo-tsu fira-saka-ni sajareri-si iwa-wa sajari-
masu jomi-io-no owo-kami-to mawosu, mata-no mi-na-wa tsi-
kajesi-no owo-kami-to-mo mawosu.
Er rief: Komm von dort nicht her! Aus seineih Stabe, den er
jetzt wegwarf, entstand ein Gott, dessen Name: Funa-do-no kamt
(der Gott der Schiffthüren). Aus seinem Gürtel, den er auch weg
warf, entstand ein Gott, dessen Name: Naga-tsiwa-no kami (der
Gott d er Felsen des langen Weges). Aus seinem Kleide, das er
auch wegwarf, entstand ein Gott, dessen Name: Wadzurai-no kami
(der Gott des Kränkeins). Aus seinen Beinkleidern, die er auch
wegwarf, entstand ein Gott, dessen Name Aki-kui-no-kami (der
Gott des Öffnens und Beissens). Aus seinen Schuhen, die er auch
wegwarf, entstand ein Gott, dessen Name: Tsi-siki-no kami (der
Gott des Breitens des Weges). Der Fels, mit welchem er sich auf
SiUb. d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd. II. Hft.
29
Dr. Ptizmaier
438
der breiten Treppe der Unterwelt abschloss, heisst Sajari-masu
jomi-to-no owo-kami (der abgeschlossene grosse Gott der Thüre
der Unterwelt). Er heisst auch Tsi-kajesi-no owo-kami (der grosse
Gott des Zurückweisens auf dem Wege).
Naga-tsi-wa ist die Zusammenziehung von /f j- -jf j-
naga-tsi-iwa „der Fels des langen Weges“.
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I-za-nagi-no mikoto sude-ni kajeri-tamai-te kui-te no-tamawa-
ku : a-wa ina-siko-me siko-meki kita-naki kuni-ni itari-te ari-keri.
Kare a-ga nd-no kegare-wo farawamu-to, nori-tamai-te tsuku-si-
no fi-muka-no wo-do-no tatsi-bana-no awa-gi-fara-ni ide-masi-te
misogi-farai-tamai-ki.
Als I-za-nagi-no mikoto bereits zurückgekehrt war, reute es ihn
und er rief: Ich bin in ein wider Erwarten unheilvolles, hässliches und
unreines Reich gelangt. Ich werde den Schmutz meines Leibes ver
treiben. — Hierauf kam er in Tsuku-si, auf der Citronenebene des
Raumes Aiva-gi, bei der kleinen Thüre von Fi-maka hervor und
bewerkstelligte daselbst die Vertreibung.
Fi-muka bedeutet: der Sonne zugewendet.
Die Theogonie der Japaner.
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Eoko-ni misogi-farai-tamawamu-to si-tamb-toki-ni: kami-
tsu se-wa se-fäjasi, simo-tsu se-wa se-jowasi-to, nori-tamai-te
naka-tsu se-ni sosogi-tamb-toki-ni nari-maseru kami-no mi-na-wa
ja-so-maga-isu-fi-no kamt. Tsugi-ni sono maga-wo nawosamu-to-
si-tamb-toki-ni nari-maseru kami-no mi-na-wa kamu-nawo-bi-no
kami, tsugi-ni owo-nawo-bi-no kami. Mata wata-no soko-ni sosogi-
tamd-toki nari-maseru kami-no mi-na-wa soko-tsu wata-tsumi-no
mikoto, tsugi-ni soko-tsutsu-no wo-no mikoto.
Als er sich daselbst reinigen wollte, rief er: Die obere Schnelle
ist zu rasch, die untere Schnelle ist zu schwach! — Er reinigte sich
daher in der mittleren Stromschnelle. Der Gott, der hierdurch ent
stand, heisst Ja-so-maga-tsu fi-no kami (der Gott der Sonne des
achtzigfachen Unrechtes). Als er zunächst sein Unrecht wieder gut
machen wollte, entstand ein Gott, dessen Name: Kamu-nawo-bi-no
kami (der Gott der göttlichen herstellenden Sonne). Ferner entstand:
Owo-nawo-bi-no kami (der Gott der grossen herstellenden Sonne).
Als er auch auf dem Boden des Meeres sich reinigte, entstand ein
Gott, dessen Name: Soko-tsu wata-tsumi-no mikoto (der unten befind
liche Geehrte der Ehrfurcht des Meeres). Ferner entstand: Soko-
tsutsu-no wo-no mikoto (der männliche Geehrte der unten befind
lichen Röhren).
Das hier erwähnte Unrecht ist die Verunreinigung durch die
Berührung mit der Unterwelt.
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Mala usiwo-no mi-naka-ni sosogi-tamd toki nari-maseru
kami-no mi-na-wa naka-tsu wata-tsumi-no mikoto, tsugi-ni naka-
tsutsu-no wo-no mikoto. Mata usiwo-no uje-ni sosogi-tamd-toki
nari-maseru kami-no mi-na-wci uwa-tsu wata-tsumi-no mikoto,
tsugi-ni uwa-tsutsu-no wo-no mikoto. Sude-ni kokono-fasira-no
kamt nari-masi-ki. Kono soko-tsutsu-no wo-no mikoto, naka-
tsutsu-no wo-no mikoto, uwa-tsutsu-no wo-no mikoto-wa sumi-no
je-no owo-kami-nari. Soko-tsu wata-tsumi-no mikoto, naka-tsu
wata-tsumi-no mikoto, uwa-tsu wata-tsumi-no mikoto-wa adzumi-
no murazi-ra-ga itsuki-matsuru kami-nari.
Als er sich auch in der Mitte der Fluth reinigte, entstand ein
Gott, dessen Name Naka-tsu wata-tsumi-no Mikoto (der in der
Mitte befindliche Geehrte der Ehrfurcht des Meeres). Diesem zu
nächst entstand Naka-tsutsu-no wo-no Mikoto (der in der Mitte
befindliche männliche Geehrte der Röhren). Als er sich auch ober
halb der Fluth reinigte, entstand ein Gott, dessen Name Uwa-tsu
wata-tsumi-no Mikoto (der ausserhalb befindliche Geehrte der Ehr
furcht des Meeres). Diesem zunächst entstand: Uwa-tsutsu-no wo-no
Mikoto (der ausserhalb befindliche männliche Geehrte der Röhren).
Es waren somit neun Urgötter entstanden. Die hier genannten Soko-
Hie Theogonie der Japaner.
441
tsutsu-no ivo-no mikoto, Naka-tsutsu-no ivo-no mikoto und Uwa-
tsutsu-no wo -no mikoto sind die grossen Gölter von Sumi-no je.
Soko-tsu wata-tsumi-no mikoto, Ncikn-tsu wata-tsumi-no mikoto und
Uwa-tsu wata-tsumi-no mikoto sind die Götter, welchen die Mit
glieder des Geschlechtes Adzumi opfern.
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Sate-notsi-ni fidari-no mi-me-wo arai-tamai-si-toki-ni nari-
maseru kami-no mi-na-wa ama-terasu owo-mi-kami. Mata migiri-
no mi-me-wo arai-tamai-si toki-ni nari-maseru kami-no mi-na-wa
tsuku-jomi-no mikoto. Mata mi-fana-wo arai-tamai-si-toki-ni
nari-maseru kami-no mi-na-wa su-sa-no wo-no mikoto. Subete
mi-basira-no kamt nari-masi-ki.
Als er zuletzt sein linkes Auge wusch, entstand ein Gott, dessen
Name Ama-terasu owo-mi-kami (der den Himmel erleuchtende grosse
Gott). Als er auch sein rechtes Auge wusch, entstand ein Gott,
dessen Name Tsuku-jomi-no Mikoto (der Geehrte des Mondbogens).
Als er auch seine Nase wusch, entstand ein Gott, dessen Name
Su-sa-no wo-?io Mikoto. Es entstanden im Ganzen drei Stammgötter.
442
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Sude-ni-site i-za-nagi-no mikoto mi-fasira-no mi-ko-ni nori-
tamawaku: ama-terasu owo-mi-kami-wa taka-ma-no fara-wo
sirase, tsuku-jomi-no mikoto-wa una-wara-no siwo-no ja-wo-je-wo
sirase, su-sa-no wo-no mikoto-wa ame-no sita-wo sirase-to, koto-
josasi-tamai-ki.
Hierauf sprach I-za-nagi-no Mikoto zu seinen drei Stamm
söhnen: Der den Himmel erleuchtende grosse Gott lenke das Feld
des hohen Himmels. Der Geehrte des Mondbogens lenke das Acht
hundertfache der Fluth der Meeresfläche. Der Geehrte Su-sa-no Wo
lenke alles, was unter dem Himmel. — Mit diesen Worten übertrug
er ihnen die Geschäfte.
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Die Tlieogonie der Japaner.
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Koko-ni su-sa-no ivo-no mikoto mi-tosi-take ja-tsuka-fige oi-
masi-ki. Sikare-domo ame-no sita-wo sirasazu-te tsuhe-ni naki-
isatsi-masi-ki. Kare i-za-nagi-no mikoto nani-to-ka-mo mimasi-
iva tsune-ni naki-isatsiru-to, toi-tamaje-ba: a-wa fawa-no kuni-
no ne-no kuni-ni makarumu-to omoi-te koso naku-nare-to, maivosi-
tamai-ki. I-za-nagi-no mikoto nikumi-tamai-te: Omo-mama-ni
makare-to, nori-tamai-te sunavoatsi jarai-tamai-ki.
Su-sa-no Wo-no Mikoto stand jetzt in den Jahren der Kraft,
und es war ihm ein acht Griffe messender Bart gewachsen. Dessen
ungeachtet lenkte er nicht das, was unter dem Himmel, sondern er
weinte fortwährend und wehklagte. Da fragte ihn I-za-nagi-no
Mikoto-. Was gibt es. dass du fortwährend weinst und wehklagst? —
Er antwortete: Ich will in das Reich der Mutter, das Reich der
Wurzeln, hinwegziehen, desswegen weine ich. — I-za-nagi-no
Mikoto verdross dies, und er sprach: Du kannst nach deinem Gut
dünken hinwegziehen. — Sofort verbannte er ihn.
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kida-ni kiri-tamai-tsu. Fito-kidd-wa ikadzutsi-gami-to nari, fito-
kida-wa oioo-jama-tsumi-no kami-to nari, fito-kida-wa taka-
okami-no kami-to nari-ki.
I-za-nagi-no Mikoto zog das Schwert und zerhieb Kagu-tsutsi
in drei Stücke. Aus einem Slücke entstand der Donnergott, aus
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einem Stücke entstand der Gott Owo-jama-tsumi, aus einem Stücke
entstand der Gott Taka-Okami.
Owo-jama-tsumi bedeutet: die Ehrfurcht des grossen Herges.
Taka-O-kami bedeutet: der hohe männliche Gott.
Mata iwaku: Kagu-tsutsi-wo kiri-tamd-toki-ni souo tsi ame-
no ja-so-tio kawa-no liawaru-naru i-wo-tsu iwa-mura-ni tabasiri-
tsuki-te nari-maseru kami-no mi-na-wa iwa-saku-no kami, tsugi-
ni ne-saku-no kami, ko-iwa-tsutsu-no wo-n'o kami, tsugi-ni iwa-
tswtsu-110 mc-no kami, ko-fu-tsu-nusi-no kami.
Ferner wird gesagt: Als er Kagu-tsutsi entzwei hieb, strömte
das Blut über und klebie an den an den Ufern der achtzig Flüsse des
Himmels befindlichen fünfhundert Felsblöcken. Die Götter, die hier
aus entstanden, heissen Gott Iwa-saku, zunächst Gott Ne-saku,
die männliche Gottheit Ko-iwa-tsutsu, zunächst die weibliche Gott
heit Iwa-tsutsu, der Gott Kami-ko-fu-tsu-nusi.
Ko-iwa-tsutsu bedeutet: die Felsenröhren des Kindes.
Ka-fu-tsu-nusi bedeutet: der Gebieter des Vorübergehens
des Kindes.
Die Theogonie der Japaner.
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kiri-tamb, Icore ono-mo-ono-mo jama-tsumi-no kami-ni nari-nu.
Mi-kusira-wa owo-jama-tsumi-no knmi-to nari, mi-muguro-wa
naka-jama-tsumi-no knmi-to nari, mi-te-wa fa-jamu-tsami-no
kami-to nari, mi-kosi-wa masa-ka-jama-tsumi-no kami-to nari,
mi-asi-ioa siki-jama-tsumi-no kami-to nari. Kono toki-ni kiri-
tamajeru tsi tabasiri-te iwa-mura ki-kusa-ni tsuki-ki. Kore ki-
kusa isago-no fi-wo fümeru josi-nari.
I-za-nagi-no Mikoto zerhieb den Geehrten Kagu-tsutsi in fünf
Stücke. Von diesen verwandelte sich ein jedes in einen Gott der
Ehrfurcht des Berges. Sein Haupt wurde der Gott Owo-yama-tsumi.
Sein Rumpf wurde der Gott Naka-jama-tsumi. Seine Hand wurde
der Gott Fa-yama-tsumi. Seine Hüften wurden der Gott Masaka-
yama-tsumi. Sein Fuss wurde der Gott Siki-jama-tsumi. Um diese
Zeit strömte das Blut bei dem Zerhauen über und klebte an den Fels
stücken, Bäumen und Pflanzen. Diess ist die Ursache, dass Bäume,
Pflanzen und Kies in ihrem Inneren Feuer enthalten.
Owo-jama-tsumi bedeutet: die grosse Ehrfurcht des Berges.
Naka-jama-tsumi bedeutet: die mittlere Ehrfurcht des Berges.
Fa-jama-tsumi bedeutet: die äusserste Ehrfurcht des Berges.
Dr. P f i z m aier
446
Masa-ka-jama-tsumi bedeutet: die richtig gestellte Ehrfurcht
des Berges.
Siki-jama-tsumi bedeutet: die mannichfache Ehrfurcht des
Berges.
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I-za-nagi-no mikoto mi-imo-wo mi-maku-fori-masi-te mi-
agari-no tokoro-ni ide-masi-ki. Toki-ni i-za - narni - no mikoto
utsusi-mi-mi-no goto ide-mukaje-masi-te mi-koto-katarai-tamai-ki.
Kaku-te i-za-nagi-no mikoto-ni: a-ga na-se-no mikoto jo a-wo
na-mi-tamai-so-to, mdsi-tamai-ki. Mi-koto wojete tatsi-matsi-ni
mi-je-tamawazu, toki-ni kura-kari-ki. I-za-nagi-no mikoto fito-tsu
fl tomosi-te mi-tamb-toki-ni i-za-nami-no mikoto fare-tataje-masi-
te uje-ni ja-kusa-no ikadzutsi-gami wori-ki.
I-za-nagi-no Mikoto wollte seine Schwester besuchen und
begab sich zu ihrem Begräbnissplatze. I-za-nami-no Mikoto kam
ihm, so wie sie im Lehen gewesen, entgegen und sprach mit ihm.
Dabei sagte sie zu I-za-nagi-no Mikoto: Mein Gemahl, blicke in der
Nacht nicht auf mich. —• Nach diesen Worten war sie plötzlich ver
schwunden. Um die Zeit war es dunkel geworden. Als I-za-nagi-no
Mikoto ein Licht anzündete, war I-za-nami-no Mikoto stark ge
schwollen, und auf ihr befanden sich acht verschiedene Donnergötter,
Die Theogonie der Japaner.
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I-za-nagi-no mikoto mi-odorokasi-te nige-kajeri-masu-toki-ni
ikadzutsi-domo mina tatsi-te oi-ku. Toki-ni mitsi-no be-ni momo-
7io ki ari-tsu. Kure i-za-nagi-no mikoto sono ko-no moto-ni kakure-
masi-te sono mi-wo tori-te ikadzutsi-ni nage-utsi-tamaje-ba
ikadzutsi-domo mina nige-kajeri-ki. Kore momo-wo mole asiki
mono-wo sakuru koto-no josi-nari.
I-za-nagi-no Mikoto erschrack und floh zurück. Sämmtliche
Donner erhoben sich hierauf und verfolgten ihn. Um diese Zeit
stand zur Seite des Weges ein Pfirsichbaum. I-za-nagi-no Mikoto
verbarg sieb unter diesem Baume, nahm dessen Früchte und warf sie
nach den Donnern. Sämmtliche Donner flohen hierauf zurück. Dies
ist die Ursache, dass man durch Pfirsiche den bösen Wesen
entkommt.
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Told-ni i-za-nagi-no mikoto mi-tsu-e-wo nage-tamai-te:
ko-ju konata-je ikadzutsi na ko-so-to, nori-tamai-ki. Ko-wo funa-
to-no kami-to tu. Iwajuru ja-kusa-no ikadzutsi-gami-wa mi-
kasira-ni-wa owo-ikadzidsi wori, ml-mune-ni-wa fo-no ikadzutsi
wori, mi-fara-ni-iod tsutsi-ikadzutsi wori, mi-sobira-ni-wa waki-
ikadzutsi wori, mi-siri-ni-wa kuro - ikadzutsi wori, mi-te-ni-wa
jama-ikadzutsi wori, mi-asi-ni-wa nu-ikadzutsi ivori, mi-foto-ni-
wa saku-ilcadzutsi nari-wori-ki.
I-za-nagi-no Mikoto warf hierauf seinen Stal) weg und rief:
Von nun an sollen die Donner nicht herbeikommeu! — Dieser (der
Gott, in den sich der Stab verwandelte) heisst Funa-to no-kami
(der Gott der Scbiffthüre). Was die genannten acht Donnergötter
betrifft, so befand sich auf dem Haupte der Göttinn der grosse Donner.
Auf ihrer Brust hefand sich der Feuerdonner. Auf ihrem Bauche
befand sich der Erddonner. Auf ihrem Rücken befand sieh der junge
Donner. Auf ihrem Gesässe befand sich der schwarze Donner. Auf
ihren Händen befand sich der Bergdonner. Auf ihren Füssen befand
sich der Felddonner. Auf ihrer Weiche befand sich der zerreissende
Donner.
I-za-nagi-no mikoto i-za-nami-no mikoto-no masi-masu
tokoro-ni oi-ide-masi-te katarai-tamö-toki: imasi-wo kanasi-to
omö ju-e-ni Jci-tsu-to, nori-tamaje-ba: ugara-jo, are-wo na-mi-
masi-so-to, mawosi-tamai-ki. Iza-nagi-no mikoto kiki-tamawazu-
Die Theog’onie der Japaner.
449
te nawo mi-tamai-ki. Kare i-za-nami-no mikoto fadzi-tnmai-te:
na-ga mikoto a-ga koltoro-ioo mi-tamai-tsure-ba, are-mo na-ga
mikoto-no mi-kokoro-wo mi-ki-to, nawosi-tamai-ki.
I-za-nagi-no Mikoto gelangte zu dem Orte, wo sicli I-za-
nami-no Mikoto aufhielt Daselbst sprach er mit ihr und sagte:
Weil ich dich bedauerte, bin ich hierher gekommen. — Sie antwor
tete: 0 Verwandter! blicke mich nicht an. — I-za-nagi-no Mikoto
gab diesen Worten kein Gehör und blickte sie noch immer an.
I-za-nami-no Mikoto schämte sich und sprach: Wenn du, o Geehr
ter, meine Gedanken entdeckt hast, so habe auch ich, o Geehrter
deine Gedanken entdeckt.
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Toki-ni i-za-nagi-no mikoto-mo fadzi-tamai-ki. Kare kajeri-
namu-to si-tamb-toki-ni tada-ni kajeri-tamawazu-te ukei-te tiori-
tamawaku: ugara fanaremuto, nori-tamai-ki. Mata: ugara
makezi-to, nori-masite, tsubaki-si-tamai-ki. Kore-ni jori-te nari-
maseru kami-no mi-na-wa faja-tama-no wo-no kami. Tsugi-ni
farai-tamai-ki. Kore-ni jori-te nari-maseru kami-no mi-na-wajomo-
tsu koto-saka-no wo-no kami. Subete futa-basira-no kami nari-
masi - ki.
Hierauf schämte sich auch I-za-nagi-no Mikoto. Als er daher
zurückkehren wollte, kehrte er nicht einfach zurück, sondern schwor
ihr einen Eid und rief: Verwandte! wir werden uns trennen! —
Ferner rief er: Verwandte! ich werde mein Wort nicht brechen!
— Als er dabei ausspuckte, entstand ein Gott, dessen Name Faja-
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Dr. P f i i in a i e r
tama-no wo-no kami. Zunächst reinigte er sieh. Der Gott, der
hierdurch entstand, heisst Jo-mo-tsu koto-saka-no wo-no kami (der
männliche Gott der Sachentrennung der Unterwelt). Es waren im
Ganzen zwei Stammgötter.
Faja-tama-no wo-no kami bedeutet: der schnelle männliche
Gott der Edelsteine.
Die Theogonie der Japaner.
451
dir sagen. — Um diese Zeit wurde auch durch die Göttinn Kukuri-
fime eine Meldung gebracht. Als I-za-nagi-no milcoto dies hörte,
sprach er: Es ist gut!— Hierauf entschwanden sie plötzlich.
Kukuri-fime bedeutet; die vornehme Tochter der Bindung.
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sude-ni sngn-na-kere-ba sono kegare-wo sosogi-färawan-to site
awa-no to mata faja-sui-na-do-ni ide-masi-te mi-sonawasu-ni
kono futa-to-wa usiwo itaku faja■ kare-ba tatsi-bana-no wo-do-ni
ide-masi-te misogi-farai-tamai-ki. Told-ni midzuni iri-te iwa-
tsutsi-no mikoto-wo fuki-nasi-tamai, midzu-jori idete owo-nawo-
bi-no kami-wo fuki-nasi-tamb. Mata iri-te soko-tsutsi-no mikoto-
wo fuki-nasi-tamai, idete owo-aja-tsu-fi-no kami-ivo fuki-nasi-
tamai, mata iri-te aka-tsutsi-no mikoto-wo fuki-nasi-tamai idete
owo-tsutsi-una-wara-no moro-moro-no kami-wo fuki-nasi-
tamai-ki.
452
Dt-. P f i z in a i e r
Da es dessen ungeachtet von unglücklicher Vorbedeutung war,
dass er das Reich der Unterwelt in Selbstheit besucht hatte, wollte
er sich von diesem Schmutze reinigen und begab sich zu der Thüre
Awa '), ferner zu der Thüre Fajct-sui-na-do a ). Als er dort hin-
blickte, war die Fluth dieser beiden Thüreu zu schnell. Er begab
sich daher zu der kleinen Thüre des Citronenbaumes und reinigle
sich daselbst. Indem er jetzt in das Wasser trat, brachte er durch
sein Blasen den Geehrten Iwa-tsutsi hervor. Als er aus dem Was
ser herausstieg, brachte er durch sein Blasen den Gott Owo-nawo-
bi hervor. Indem er nochmals hineinstieg, brachte er durch sein
Blasen den Geehrten Soko-tsutsi hervor, beim Heraussteigen brachte
er durch sein Blasen den Gott Owo-aja-tsu-fi hervor. Indem er noch
mals hineinstieg, brachte er durch sein Blasen den Geehrten Alca-
tsutsi hervor, beim Herausstcigeu brachte er durch sein Blasen sämmt-
liche Götter der grossen Erde und der Meeresfläche hervor.
Iwa-tsutsi bedeutet: die Felsenerde.
Owo-nawo-bi bedeutet: die grosse wieder herstellende Sonne.
Soko-tsutsi bedeutet: die Bodenerde.
Owo-aja-tsu-fi bedeutet: die Sonne der grossen Sarsche.
Aka-tsutsi bedeutet: die rothe Erde.
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I-za-nagi-no mikoto mi-basira-no mi-ko-ni.mi-koto-josasi-te
nori-tamawaku: ama-terasu owo-mi-kami-wa taka-ma-no fara-
wo sirosi-mese, tsuku-jo-mi-no mikoto-wa fi-ni narabi-te ame-wo
siruse, su-sa-no wo-uo mikoto -wa wata-no fara-wo sirase-to, koto-
josasi-tamai- lei:
1) Die Thüre von Awa wird für das heutige Reich (die Landschaft) Awa gehalten.
2 ) Faja-sui-na-do (die schnell saugende Thüre) befindet sich in dem heutigen Reiche
Bitn-go.
Die Theogonie der Japaner.
453
I-za-nagi-no Mikoto übertrug seinen drei Stammsöhnen die Ge
schäfte mit folgenden Worten: Die den Himmel erleuchtende grosse
Gottheit lenke das Feld des hohen Himmels. Der Geehrte der nächt
lichen Erscheinung des Mondes, welcher der Sonne gleichgestellt
ist, lenke den Himmel. Der Geehrte Su-sa-no Wo lenke die Fläche
des Meeres.
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Kaku-te amn-terasu owo-mi-kami ame-ni masi-masi-te nori-
tamnwaku: asi-wara-no naka-tsu kuni-ni uke-motsi-no kami ari-
to kikeri. Tsuku-jo-mi-no mikoto ide-masi-te mi-tamaje-to, nori-
tamai-ki.
Als somit die den Himmel erleuchtende grosse Gottheit ihren
Wohnsitz in dem Himmel hatte, sprach sie: Es verlautet, dass in
dem Reiche inmitten der Schilfebenen der die Speisen bewahrende
Gott sich befindet. Der Geehrte der nächtlichen Erscheinung des
Mondes möge ausziehen und ihn besuchen.
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Tsuku-jo-mi-no mikoto mi-koio-nori uke-tamawari-te kudari-
masi-te uke-motsi-no kami-gnri itari-tamb toki-ni uke-motsi-no
idzu. Mata umi-ni mukai-si-ka-ba fata-no firo mono fata-no sa-
mona kutsi-jori idzu. Mata jama-ni mukai-si-ka-ba ke-no ara-
mono ke-no nigo-mono kutsi-jori idzu. Sotio kusa-gusa no mono-
wo momo-tori-no tsuku-e-ni koto-goto-ni sonaje - makete mi-aje-
matsuri-ki.
Der Gott der nächtlichen Erscheinung des Mondes übernahm
diesen Auftrag und stieg hernieder. Als er zu dem die Speisen bewah
renden Gotte gelangte, drehte der die Speisen bewahrende Gott das
Haupt und wendete sich gegen das Reich, worauf aus seinem Munde ge
kochter Reis hervorkam. Als er sich ferner gegen das Meer wende
te, kamen Wesen mit breiten Flossen, Wesen mit schmalen Flossen
aus seinem Munde hervor. Als er sich ferner gegen die Berge wen
dete, kamen Wesen mit rauhem Haare, Wesen mit weichem Haare aus
seinem Munde hervor. Diese mannigfachen Gegenstände richtete er
sämmtlichauf hundert Tafeln her und überreichte sie ihm.
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Toki-ni tsuku-jo-mi-no mikoto omo-foderi-si-te: kita-naki-
ka-mo ija-siki-ka-mo kutsi-jori megureru mono-mote are-ni tate-
matsurame-ja-to, nori-tamai-te, sunawatsi tsurugi-ivo nuki-te utsi-
korosi-tamai-ki. Sate-notsi sono sama-wo tsubara-ni kajeri-koto-
maivosi- tamai-ki.
Die Gottheit der nächtlichen Erscheinung des Mondes entbrannte
jetzt in Zorn und rief: Will man unreine, gemeine, aus dem Munde
hervorgedrehte Gegenstände mir als ein Geschenk bieten? — So
fort zog er sein Schwert und tödtete ihn mit einem Hiebe. Zuletzt
meldete er, wie er sich des Auftrags entledigt.
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Die Theogonie (1er Japaner.
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Toki-ni ama-terasu owo-mi-kami itaku ikari-masi-te nori-
tamawnku: imasi-wa araburu Icami-zo, ai-mi-zi-to, nori-tnmai-te,
tsuku-jo-mi-no mikoto-to fito-fi filo-jo-wo sakari-i-masi-nu. Kono
notsi ama-terasu owo-mi-kami mata ame-kuma-no usi-wo tsuka-
w asi-te mi-se - tamai-ki.
Die den Himmel erleuchtende grosse Gottheit wurde sehr zor
nig und rief: Du bist ein grausamer Gott, wir werden einander
nicht sehen. — Sie blieb von dem Geehrten der nächtlichen Er
scheinung des Mondes einen Tag nnd eine Nacht getrennt. Die den
Himmel erleuchtende grosse Gottheit entsandte hierauf den Gebieter
des Bären des Himmels und hiess ihn den Besuch abstatten.
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Told-ni uke-motsi-no kamt ma-koto-ni sini-tari-ki. Tadasi
sono kami-no mi-inadaki usi-muma-ni nari. Mi-fitai-ni awa-nari,
mi-maju-ni maju-nciri, mi-me-ni fije-nari, mi-fara-ni ina-dane-
nari, mi-foio-ni mugi mata mdme adzuki nari-Jci. Ame-kuma-no
usi koto-goto-ni tori-motsi kajeri-te tate-matsuri-ki.
Um diese Zeit war der die Speisen bewahrende Gott wirklich
gestorben. Bios der Scheitel dieses Gottes verwandelte sich in Rin
der und Pferde. Auf seiner Stirn entstand Hirse, auf seinen Augen
brauen entstand Seidengespinnst, auf seinen Augen entstand Hai-
dekorn, auf seinem Bauche entstanden Reiskörner, auf seiner Weiche
entstand Weizen, ferner Erbsen und Bohnen. Der Gebieter des Bä
ren des Himmels nahm Alles mit sich und überreichte es nach seiner
Rückkehr.
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Toki-ni ama-terasu oivo-mi-kami jorokobasi-te nori-tama-
walcu: Kono mono-domo-wa utsusi-ki aivo-fito-gusa-no kui-te iku-
beki mono - zo -to, nori-masi-te awa fije mugi mame-wo faia-tsu
mono-to si, ina-dune-wo tana tsu mono-to si, mata ame-no mura-
kimi-wo sadame-tamai-ki.
Die den Himmel erleuchtende grosse Gottheit freute sich jetzt
und sprach: Diese Gegenstände sind etwas, was das sichtbare Volk
der Menschen verzehren und wovon es leben kann.— Sie machte
die Hirse, das Haidekorn, den Weizen und die Erbsen zu Gewächsen
des Gartens, die Rgiskörner machte sie zu Kornfrüchten. Ferner gab
sie den Herren der Städte des Himmels ihre Bestimmung.
Die Theogonie der Japaner.
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Kare so?io ina-dane-wo ame-no sa-da-to naga-ta-to-ni u-e-
tamai-si-ka-ba sono aki ja-tsuka-fo sinai-sigeri-te ito-joku minori-
ki. Mata maju-wo kutsi-ni fukumi-te ito-fiku-koto-wo je-tsu. Kore-
jori ko-kai-no waza ari.
Nachdem sie hierauf die Reiskörner auf des Himmels schmalen
Feldern und auf den langen Feldern gesäet, standen in diesem Herb
ste die acht Griffe messenden Ähren in reicher Fülle und stiegen
vortrefflich empor. Ferner nahm sie das Seidengespinnst in den Mnnd
und erfand auf diese Weise das Seidenspinnen. Dies war der Anfang
der Seidenraupenzucht.
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Koko-iii su-sa-no 100-no mikoto mawosi-tamawaku: are-wa
mi-koto-nori-no mani-mani nc-no kuni-ni makari-namu. Kare
simaraku taka-ma-no fara-ni ma-i-dete na-ne-no mikoto-to ai-mi-
te notsi makaramu-to, mawosi-iamaje-bä, ka-mo kaku-mo-to nori-
tamai-ki. Sunawatsi ame-ni ma-i-nobori-masi-nu. Kono notsi
i-za-nagi-no mikoto kamu-koto sude-ni woje-tamö Icoko-wo mote
awa-dzi-no kuni-ni mi-ja-tsukuri-masi-te sidzumari-masi-ki.
Su-sa-no-wo-no Mikoto meldete jetzt: Ich werde den erhabenen
Worten gemäss nach dem Reiche der Wurzeln fortziehen. Jedoch
möchte ich mich für eine kurze Zeit auf das Feld des hohen Himmels
begehen und mit der Geehrten, der älteren Schwester, zusammen-
tretfen, dann erst würde ich fortziehen. — Es wurde ihm gesagt, dass
dies geschehen solle. Sofort stieger zu dem Himmel empor. Nachdem
dies geschehen, hatte I-za-nagi-no Mikoto bereits seine göttlichen
Werke vollbracht. Er haute daher in dem Reiche Awa-dzi das
erhabene Haus und begab sich zur Ruhe.
In einer anderen Urkunde wird gesagt:
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I-za-nagi-no mikoto koto-woje-tamai-nu, mi ikiwoi-mo owoki-
nari. Koko-ni ame-ni nobori-masi-te kajeri-koto mawosi-tamai-ki.
Kare fi-no waka-mi-ja-ni todomari-masi-nu.
I-za-nagi-no Mikoto hatte seine Werke vollbracht, und sein
Ansehen war gross. Er stieg daher in den Himmel und meldete, was
er gethan. Hierauf verblieb er in dem jungen Palaste der Sonne.
Dr. v. Mei 11 er, Über die Diöcesait-Grenzregulirung etc.
459
Über die Diöcesan-Grenzregulirung König Ludwig's des
Baiern im J. 829 zwischen Salzburg und Passau.
Von dem w. M. Dr. A. r. Heiller.
Mit keinem seiner Suffraganate stand das Erzbisthnm Salzburg
in Rücksicht auf geographische Lage in ausgedehnterer Berührung
als mit dem Bisthume Passau. An Grösse alle übrigen Sulfraganate
des Erzstiftes weit übertreffend, erstreckte sich die Diöcese Passau
in der Richtung von West nach Ost (von Plattling in Baiern bis
Pressburg in Ungern) in einer Länge von 46 deutschen Meilen, zu
beiden Seiten des dieselbe fast in dieser ganzen Längenausdehnung
der Mitte nach durchfliessenden Donaustromes i). Die westliche
Grenze der Passauer Diöcese bildete am linken und rechten Donau
ufer das Bisthum Regenshurg, die ganze südwestliche und südliche
Grenze aber, beginnend bei dem Dorfe Gern an der Rot nordöstlich
von dem Städtchen Mühldorf, bis nach Ungern, fast gleich lang mit
der gesammten westöstlichen Ausdehnung der Passauer Diöcese,
das Erzbisthum Salzburg in einer Länge von ungefähr 50 Meilen.
Es ist meine Aufgabe nicht, eine Geschichte dieser Grenzlinie
zu geben; für meinen gegenwärtigen Zweck genügt es, zu bemerken,
dass bis in die zweite Hälfte des XVIII. Jahrhunderts eine wesent
liche, bedeutendere Verschiebung der Diöcesangrenzen Salzburgs
*) Von Nord nach Süd wechselte die Breite der Passauer Diöcese zwischen 1 und
18 Meilen.
460
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mit Passim , so viel mir wenigstens bekannt ist, nicht stattfand 1 ).
Im Jahre 1782 war der Zug jener Grenzlinie folgender 2 ). Unmittel
bar am rechten Ufer der Rot zwischen Hebertsfelden (passauiseh)
lind Gern (salzburgisch) beginnend ging dieselbe zunächst in süd
östlicher Richtung über Langeneck (passauiseh), Zimmern und Jul-
bacli (salzburgisch) bis zum Einflüsse des Inns in die Salza. Von
hier in südlicher Richtung die Salza stromaufwärts bis zu dem am
rechten Ufer derselben gelegenen Schlosse Wildshut, halben Weges
zwischen den beiden Slädtchen Dittmoning und Laufen. Hier begann
wieder die „trockene Grenze“, welche zuerst westlich bis in die
Gegend von Frankenmarkt (passauiseh), von dort ab in südlicher
Richtung bis zu dem Puncte sich hinzog, wo sic am grossen Tor
oder Dachstein bei Hallstatt die Landesgrenze der Steiermark
erreichte 3 ). Vom Dachsteine an lief die Diöcesangrenze wieder in
östlicher Richtung und zwar zusammenfallend mit den heutigen
Landesgrenzen von Österreich und Steiermark bis auf den Gipfel
der Raxalpe, südwestlich von dem im heutigen Viertel U. W. W.
gelegenen Orte Reichenau. Vom Gipfel der Raxalpe ging die
Diöcesangrenze, die obgenannten Landesgrenzen verlassend, durch
den Scheibwald herab in's Höllenthal, gerade über den Kuhschnee
berg hinüber zu den Quellen der Piesting unweit der Ortschaft
Gscheid. Von da an bildete der Piestingbach die Grenze bis zu
seinem Austritte aus dem Gebirge in die Ebene bei Wollersdorf,
von wo dieselbe, diesen Bach verlassend, ungefähr in gerader Rich
tung nach Osten über die Ebene (das bekannte Steinfeid) bis zu
jenem Puncte hinzog, wo sich bei dem Dorfe Unter-Eggeridorf die
heut zu Tage sogenannte kleine Fischa in den mächtigen Gebirgs-
fluss, die Schwarza, von da ab Leitha-Fluss genannt, ein-
*) Die bei Kleimayrn Juvavia pag. 452, §. 309 angeführten, hieher bezüglichen
Grenzregulirungen zwischen Ablenau und Hüttenstein einer und Wildenstein
und Wildeneck andererseits, zwischen Laufen und Braunau, Strasswalchen
und Kogel, Dittmoning und Trostburg, dann Wartenfels und Thalgau betreffen
nur Entscheidungen örtlicher Details und streitiger Grenzen der weltlichen Juris
diction.
2) ln grossen Umrissen, mit Übergehung der Details.
3 ) Diese Grenze von Wildshut bis zum Dachstein ist genau die der heutigen fnn-
und Hausruck-Kreise von Oberösterreich mit dem heutigen Merzogthume Salzburg.
Über die Diöcesan-Grenzregulirung etc.
461
mündet— Bei diesem Vereiuigungspunete nun der Schwarza
und kleinen Fischa, bei dem Pfarrdorfe Unter-Eggendorf erreichte
die gemeinschaftliche Grenze der Diöcesen Passau und Salzburg,
und zwar mit diesen selbst ihren östlichen Endpunct, indem
sie hier auf die Landesgrenze des Königreiches Ungern stösst 2 ).
So viel nun mir bekannt ist, hat dieser Grenzzug der beiden
Diöcesen, wie ich schon früher bemerkte, bis in die zweite Hälfte
des XVIII. Jahrhunderts keine wesentliche Änderung erlitten. Eine
solche fand nämlich, und zwar am östlichen Ende desselben, im
Jahre 1782 statt. Zu ihrer näheren Erörterung rtiuss ich Folgendes
vorausschicken.
Aus dem angegebenen Grenzzuge ergibt sich die bemerkens-
werthe Thatsacbe, dass in dem, sonst ganz der Diöcese Passau zu
ständigen Erzherzogthume Österreich ob und unter der Enns s) der
südöstlichste Theil des Letzteren in einem Umfange von beiläufig
21 Quadratmeileu zur Erzdiöcese Salzburg gehörte. Die Grenzen
dieses Gebietes waren: gegen Nordwest und Nord jener Theil der
oben beschriebenen Grenzlinie von der Raxalpe bis Unter-Eggen
dorf; gegen Osten und Südost von Unter-Eggendorf bis zum Pfarr-
bezirke Gscheid die Landesgrenze des Königreiches Ungern; gegen
Süden, Südwest und West von Gscheid an die Landesgrenze von
Steiermark und zwar längs der Wasserscheide der hohen Grenz
gebirge Hartberg, Möselberg, Wechsel, Uinschuss, Sonnenwendstein
und Semmering bis wieder zur Raxalpe. — Es bedarf keiner beson
deren Hindeutung, um das Ungewöhnliche hervorzuheben, was in der
Überschreitung eines so gewaltigen, natürlichen Grenzwalles, wie
ihn die genannten, in früheren Zeiten so schwer zu passirenden Ge-
1) Auf Karten und in topographischen Werken wird sehr häufig die Schwarza
schon von jenem Puncte an als Leitha-Fluss bezeichnet, wo der Pütten-
Bach in dieselbe einmundet, eine Gepflogenheit, welche erst neuerer Zeit angehört.
2 ) Der am linken Ufer der Leitha nach Osten ausspringende, das Gebiet des Marktes
Zillingdorf bildende Winkel gehörte früher zum Königreiche Ungern und kam erst
unter der Kaiserinn Maria Theresia zum Erzherzogthume Österreich.
3) Dj e von K. Friedrich IV. zu Wien und Neustadt gegründeten Bisthümer hatten
ursprünglich keine eigentlichen Diöcesen. Ihr bischöflicher Wirkungskreis erstreckte
sich nur auf das Weichbild der genannten Städte, oder besser gesagt, auf den
Pfarrsprengel der betreffenden Pfarren. — S. Kleimayrn, Juvavia pag. 184. —
Marian (Wendt) Gesch. d. österr.Klerisei Bd. 9, pag. 309 — 311. — ßuchinger,
Gesch. v. Passau Bd. 2, pag. 172 und pag. 464—472. — Hormayr, Gesch. Wiens.
402
Dr. v. M e i I I e r
birge bildeten, und für einen verhältnissmässig so wenig ausge
dehnten Bezirk durch eine Diöces an-Grenze liegt. Denn diese, in
der Regel schon vor Jahrhunderten gezogen, schlossen sich aus
naheliegenden Gründen, wo sich die Gelegenheit dazu hot, vorzugs
weise natürlichen Grenzen, dem Laufe grösserer Flüsse, längeren
Gebirgszügen u. dgl. an. Die Frage liegt nahe, was wohl im gege
benen Falle Anlass und Grund zu dieser auffallenden Grenzbestim
mung für die Salzburger Diöcese geboten habe und wann selbe
vorgenommen worden sei. — Wir versuchen es im gegenwärtigen
Excurse, hierüber eine Auskunft zu geben.
Der fragliche Theil des heutigen Erzherzogthumes Österreich
unter der Enns führte in dein Schema der Salzburger Diöcese den
Namen: „Wiener Neustädter Bezirk“ und bildete ein eigenes Archi-
diakonat, das „archidiaeonatus ultra montes“, welchem als letzter
Arcliidiakon von 1758 bis 1782 der Decanats-Pfarrer von Weiz
(d. i. Weizberg) im Gratzer Kreise Steiermarks Vorstand. — Aus
leicht begreiflichen Gründen machte sich mit dem Heranreifen einer
systematischer organisirten politischen Administration für Österreich
bald das Bedürfniss geltend, diesen Bezirk von der Erzdiöcese Salz
burg abzutrennen und jener Diöcesan-Gewalt zuzutheilen, welcher
das gesammte übrige Erzherzogthum unterstand. Die Versuche dazu
begannen bereits im XVI. Jahrhunderte und fanden ihren endlichen
Abschluss in diesem Sinne in der vom Papste mit Bulle vom 15. Fe
bruar 1783 genehmigten Abtretungsacte Salzburgs ddo. 11. Octo-
ber 1782 i). Zur Zeit seiner Abtretung war dieses Archidiakonat in
zwei Dekanate von ziemlich gleichem Umfange getheilt, von denen
das Eine, mit dem Sitze zu St. Lorenzen am Steinfelde (Flatz), die
westliche, das Andere, mit dem Sitze zu Kirchschlag, die östliche
Hälfte desselben umfasste. Das nachfolgende, den Original-Abtre
tungsacten vom Jahre 1782 entnommene Verzeichniss gibt die
Namen sämmtlicher in diesen beiden Dekanaten bestandenen
42 Pfarren mit Angabe der betreffenden Schutzheiligen, wobei
die im Dekanate St. Lorenzen gelegenen mit I. die im Dekanate
Kirchschlag gelegenen mit II. bezeichnet sind:
1. Aspang, ad s. Joann. Bapt. II.
2. Buchberg, ad s. Vitum I.
Kleiinayrn, Juvavia, 184—186 sub £ und pag. 802, Note a.
Über die Diöcesan-Grenzregulirung etc.
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3. Dreistetten, ad s. Georgium, cum beneficio in Waldegg I.
4. Edlitz, ad s. Vitum II.
5. Eggeudorf, ad s. Paulum I.
6. Feistriz, ad s. Udalricum II.
7. Fischau, ad s. Martinuin I.
8. Grünbach, ad s. Michahelem I.
9. Hoch-Neukirchen, ad s. Bartholomeum II.
10. Hoch-Wolfkersdorf, ad s. Laurentium II.
11. Kirchau, ad s. Margaretham, cum beneficio in Castro
Steiersberg II.
12. Kirchherg, ad s. Jaeobum, cum beneficio in Castro Kra-
niehberg II.
13. Kirchschlag, ad s. Joann. Bapt. II.
14. Klamm, ad s. Martinum I.
15. Krumbaeh, ad s. Stephanum II.
16. Lanzenkirchen, ad s. Nicolaum I.
* i
17. Lichtenegg, ad s. Jaeobum II.
18. Lichtenwerd, ad s. Jaeobum I.
19. Lorenzen (Flatz), ad s. Laurentium I.
20. Menigkirchen, ad b. V. Mariam II.
21. Muthmannsdorf, ad ss. apost. Pet. et Paul I.
22. Neunkirchen, ad b. V. Mariam I.
23. Piesting, ad s. Leonardum I.
24. Pottschach, ad s. Dionisium I.
25. Prein, ad s. Paulum 1.
26. Prigglitz, ad s. Nicolaum I.
27. Promberg (Pram-) ad s. Lambertum II.
28. Pülten, ad s. Georgium I.
29. Raach, ad s. Egidium II.
30. Rothengrub, ad s. Thomam I.
31. Schotlwien, ad s. Vitum, cum beneficio ibidem I.
32. Schoflem, ad ss. apost. Petr, et Paul II.
33. Schönau, ad ss. apost. Petr, et Paul II.
— Schutz. Maria-Wallfahrtsort ohne Pfarre I.
34. Schwarzaeh, ad s. Joann. Bapt. I.
35. Schwarzenbach, ad s. Bartholomeum II.
36. Sebenstein, ad s. Andream I.
37. Steinfeld, St. Egydi am — ad s. Egydium I.
464
Di-, v. M e i I 1 e r
38. St. Valentin, ad s. Valentinum I.
39. Weimannsfeld, ad b. V. Mariam I.
40. Weikersdorf, ad s. Jaeobum I.
41. Wismat, ad ss. apost. Pclr. et Paul II.
42. Zubern, ad s. Georgium, cum bentficio in Gscbeid II.
Nur drei im Neustädter Bezirke zur Zeit seiner Abtretung, so
wie auch früher und später bestandene Pfarren erscheinen in
diesem Verzeichnisse nicht, nämlich die beiden Pfarren Gloggnitz
und Baierbach und Wiener-Neustadt; aus dem Grunde, weil die
beiden Erstereu mit der Propstei Gloggnitz 1 ) vereinigt waren, die
Letztere, weil sie und das dazu gehörige Gebiet die Diöcese des
im Jahre 1469 von Kaiser Friedrich IV. gegründeten Bisthumes
Wiener-Neustadt bildete 2 ).
Genau dieselbe Ausdehnung, wie iin Jahre 1782 zur Zeit
seiner Ausscheidung aus der Salzburger Diöcese hatte der „Neu
städter-Bezirk“ auch um dasjahr 1450. Esergiebt sich dies aus einer
Vergleichung mit dem im k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchive (Abthei
lung: Salzburger Archiv) befindlichen „Verzeichniss der Pfarr
kirchen, Capellen und Altäre der ganzen Salzburger Diöcese etc.“,
welches von C h m e 1 im Archiv e für Kunde österreichischer Geschichts
quellen und zwar im Notizenblatte für 1852, Jahrgang 2, p. 265
etc. vollständig mitgetheilt wurde. Dieses Verzeichniss ist zwischen
den Jahren 1445 und 1469 verfasst worden, weil darin (I. c.
pag. 272) die im Jahre 1444 gegründete Propstei zu Wiener Neu
stadt bereits aufgenommen ist, welche im Jahre 1469 aber mit dem
neuerrichteten Bisthuine Wiener-Neustadt vereinigt w'urde. — Der
Neustädter-Bezirk ist darin (I. c. pag. 272) unter der Aufschrift:
„beneficia ultra montem Semerincurn“ verzeichnet. Eine Verglei
chung mit dem Verzeichnisse vom Jahre 1782 rechtfertigt die obige
Behauptung in Betreff des Umfanges des Wiener Neustädter-Be
zirkes um das Jahr 1450 und zeigt nebenbei, dass in der Zwischen
zeit von 1445 bis 1782 Habsbach, Ilolentann, St. Johann, Scheu
chenstein, Ternberg und Winsendorf aufgehört haben selbstständige
Pfarren zu sein, dagegen Bolhengruh und Sebenstein als solche neu
Eine Filiale des in ßaiern gelegenen, zur Diöcese Passau gehörigen Benedictiner
Klosters Formbich, welche in dieser Eigenschaft bis zum Jahre 1803 bestand.
2 ) Kleimayrn, Juvavia pag. 184, §. 2.
Über die Diocesan-Grenzregulirung etc. 465
entstanden sind, wie auch die Wallfahrtskirche M. Sclndz am Sem
mering.
Auf einem anderen Wege lässt sich der weitere Nachweis lie
fern, dass auch im XIII. und XII. Jahrhunderte der „Neustädter
Bezirk“ im selben räumlichen Umfange wie in den Jahren 1782
und 1480 zur Salzburger Diöeese gehörte. — In den Monum. Boicis
(tom. XXVIII. ps. II. pag. 488—484) sind nämlich eben solche oder
doch ähnliche Verzeichnisse über die Passauer Diöeese veröffent
licht (leider nur in sehr unkritischer Weise), wie das oben angezo
gene über die Salzburger. Sie stammen aus der Zeit des um die
gesammte Administration seines Bistliumes so hochverdienten Bischofs
Otto (von Lonsdorf 1284 — 1268) und zeigen, dass die Pfarren
Schwarzau im Gebirge, Guttenstein, Hernstein (Herrantstein), Wol
lersdorf und Ebenfurt zu jener Zeit die südlichst gelegenen Pfarren
der Passauer Diöeese in der fraglichen Gegend von Nieder-Öster
reich waren, welche sich ganz genau an die früher angegebene
nördliche Grenzlinie des „Neustädter Bezirkes“ — von der Rax
alpe bis Unter-Eggendorf — anschlossen 1 )- Wenden wir uns
ferner an die in meinem unter der Presse befindlichen Regesten
werke über die Salzburger Erzbischöfe aus der Zeit von 1106 bis
1246 gesammelten Urkunden, so gewinnen wir daraus ebenfalls
zahlreiche Belege dafür, dass auch in diesem Zeiträume jener Theil
des heutigen Viertels U. W. W. in der gleichen Ausdehnung zur
Salzburger Diöeese gehört habe. Buchberg (1189), Pottschach
(1194), ßramberg (1144), Piitten (1144), Edlitz (1192), Fischau
(1163), Gloggnitz (1125), Hoch - Wolfkersdorf (1203), Kirchau
(1194), Kirchberg (1232), Klamm (1146), Lanzenkirchen (1163),
Muthmannsdorf (1217), Neunkirchen (1128), Wiener-Neustadt
(1242), Schefer (1227), Schwarza am Steinfeld (1181), Waldeck
(1136) und Weikersdorf (1217) werden in den angegebenen
Jahren darin schon als salzburgische Pfarren oder doch als in
kirchlicher Beziehung der erzbischöflichen Jurisdiction unmittelbar
unterstehende Ortschaften angeführt.
Nachdem nun durch das bisher Gesagte das ununterbrochene
Angehören des „Neustädter Bezirkes“ von 1782 zurück bis minde-
4 ) Man vergleiche insbesondere I. c. pag. 480—483.
466
Dr. v. M e i I 1 e r
stens zum Jahre 1125 zur Diöeese Salzburg nachgewiesen sein
dürfte, lässt sich im Verfolge dieses Gegenstandes noch ein Schritt
weiter zurück machen. Jener oft genannte „Neustädter Bezirk“ ist
nämlich seiner obbeschriebenen räumlichen Ausdehnung nach auch
vollkommen identisch mit der alten Grafschaft Putten. — Mit
dieser Thatsache wieder fast ein Jahrhundert zurückgehend betreten
wir allerdings ein Gebiet, in dem bereits so manches Dunkel
herrscht, welches wohl nie mehr anders als durch Muthmassungeu
erleuchtet werden dürfte; indess für die Seite, von welcher die
Sache hier zu betrachten kömmt, liegen doch noch genügende
Anhaltspuncte und Belege vor. Sie finden sich — allerdings noch
mancher Ergänzung aus seither neu bekannt gewordenen historischen
Materiale fähig und bedürftig — bereits gesammelt in der, in Folge
Preisaufgahe der königl. baierischen Akademie verfassten und von
dieser auch gekrönten Abhandlung von J. Moriz (Capitular des
damaligen Benedictiner-Klosters Ennsdorf) betitelt: „Kurze Ge
schichte der Grafen von Formbach, Lambach und Pütten etc.“ 1 ).
Wir entnehmen aus derselben und mit Berufung auf die dort
nachgewiesenen Quellen folgende Puncte. In dem Jahrzehende
zwischen 1040 und 1050 erscheint in der heutigen Ober-Steiermark
als Gaugraf im Enns- und Paltenthale der Graf Gottfrid, zuweilen
auch M arkgraf Gottfrid genannt, Sohn des Grafen Arnold II. von
Lambach und Bruder des berühmten Bischofs Adalbero von Würz
burg, Stifter des Klosters Lambach 2 ). Nebst der von Gottfrid ver
walteten Grafschaft in der Ober-Steiermark besass derselbe die
feste Burg Pütten an der ungrischenGrenze mit einem weitläufigen
geschlossenen Herrschaftsgebiete und zahlreichen darin ansässigen
Vasallen, von welcher Burg der Lambacher Mönch (I. c.
pag. 130) also erzählt: „cuius (Gottfridi marchionis) ditioni cum
reditibus circum iacentibus serviebat Putina, urbs inclita et famosa,
quae, quasi metropolis et mater civitatum versus Pannoniam ad
australem plagam, ad arcendos hostiles Pannoniorum incursus et
devasfationes an tiquitus constituta fuit.“ — Die Frage nun: wann
Pütten erbaut wurde, ob von dem genannten Grafen Gottfrid, somit
) Separatabdruck des akademischen Verlages zu München 1803, 8 ft ., 271 Seiten.
2 ) S. dessen Lebensbeschreibung verfasst um 1205 von einem Mönche dieses Klosters
in der Mon. Germ. SS. XII, pag. 127—147.
Über die Djöeesan-Grenzregulirung etc.
467
um 1040, oder von einem früheren Grenzgrafen und, wenn dies der
Fall gewesen, auf welche Art Gottfrid in deren Besitz gekommen,
diese Fragen gehören zu jenen dunklen Partien, über welche man
eben nur Vermuthungen aussprechen kann. Vielleicht fällt die Errich
tung der Grenzburg Pütten in die Jahre 1030 und 1031, in denen
uns die Melcker, Salzburger und andere Annalen von einem sieg
reichen Kriege Kaiser Konrad's II. mit dem Könige Stephan von
Ungern und einem darauf erfolgten Friedensschlüsse erzählen. —
Dagegen wissen wir mit genügender Sicherheit, dass Gottfrid jenes
Gebiet um Pütten nicht als Amtsgebiet inne hatte, sondern als Allo-
dial-Besitzthum, indem es nach ihm an seine hinterlassene Tochter
Mathilde und durch diese an deren Gemahl, den Grafen Ekbert I. von
Formbach gedieh. Sie beide verwandelten unter Mitwirkung des
Bischofs Ulrich I. von Passau die von den Vorfahren des Grafen
Ekbert zur Zeit des Bischofs Eigilbert von Passau (1043—1065)
zuFormbach für Säcular-Geistliche gegründete cellam ad s.Martinum
im Jahre 1094 in ein Mönchskloster des Benedictinerordens und
dotirten dasselbe reichlich aus ihren beiderseitigen Erbgütern, ins
besondere jenen der Gräfinn Mathilde im Püttnergebiete. Untersucht
man nun die in den Archivalien des Klosters Formbach vorkommen
den, sehr zahlreichen Angaben über in jener Gegend gelegene Ört
lichkeiten, so stellt sich die räumliche Identität der Grafschaft
Pütten mit dem „Neustädter Bezirke“ der Salzburger Diöcese
unzweifelhaft heraus; ein Ergebniss, für welches wir auch in jenen
höchst wichtigen, aus der Mitte des XIII. Jahrhunderts stammenden
Bruchstücken einer leider verschollenen Quelle über Österreich und
Steiermark eine willkommene Bestätigung finden, welche in den
meisten Handschriften von Jans Enenkel's um 1310 verfassten
Gedichte — das Fürstenbuch von Österreich benannt — vor Anfang
des Gedichtes und in Prosa geschrieben enthalten sind. Dort heisst
es nämlich: „Der Grave Ekkeprecht von Pütten für mit dem alten
Chaiser Fridreich gen Meilan, da wart er erslagen (1158, 5. August),
da zoch sich der Marchgrave Otacher zu allem dem, daz der Grave
Ekkeprecht het, von dem Semernich und von dem Hartperch als
vliezzendeu und rinnendeu wazzer vliezzent uncz hincz Piestnich,
und von danne ze Willenpruke (? purke) Q. Die purgen und die
*) Meiner Meinung; nach ein verschollener Ort, etwa zwischen Zillingdorf und
Zillingthal, wenn nicht vielleicht der heutige Ort Miillendorf, südlich von Horn-
468
Dr. v. M e i I I e r
Dienstman, die da erifzwischen sirif, die sfent meinem Herren in
wert, als arider sein Dienstman“.
Die Errichtung sowohl als die Dotation der Abtei Formbach
bestätigte für sieh allein und ohne Intervention des Erzbisehofes von
Salzburg der Bischof von Parsau „suo decreto — et episcopali
banno. Aliunde enim haec institutio et dotatio firmari non poterat
propter scisrnata et discessiones, quae tune temporis (1094) in sede
Romana erant et in regno“, so erzählt der erste Abt von Formbach,
Pernger, in der von ihm verfassten Aufschreibung über die Gründung
dieses Klosters 1 ); ein Beisatz, welcher sich nur auf den Erzbischof
Tiemo von Salzburg bezieht, welcher damals, von dem schismati
schen Erzbischöfe Berthold verdrängt, ferne von seiner Diöeese sich
aufzuhalten gezwungen war und dessen Bestätigung jener neuen Stif
tung „cum banno archiepiscopali“ nicht nur als die des Metropoliten
erforderlich sein mochte, sondern auch weil ein grosser Tlieil der
Dotationsgüter — die in der Grafschaft Piitten gelegenen — zu
seiner unmittelbaren Diöeese gehörig war.
Durch die bisherige Darstellung ist nun der Nachweis gegeben,
dass vom Jahre 1782 bis zum Jahre 1094 — ja bis 1040 — zurück
der „Neustädter Bezirk“ fort und fort in kirchlicher Beziehung zur
unmittelbaren Diöeese Salzburgs gehört habe, ohne dass uns jedoch
aus dieser Zeit über den Rechtstitel dieser Unterordnung ein urkund
liches Zeugniss vorliegt. — Von hier an aber dehnt sich eine gewal
tige Kluft von ungefähr 200 Jahren, deren tiefes Dunkel über diesen
Gegenstand durch keinerlei uns darüber irgend wie belehrende
Nachrichten aufgehellt ist; zum Theil eine Folge der während dieses
Zeitraumes staltgehabten Occupation der südöstlichen Marken des
deutschen Kaiserreiches durch die Ungern. Nur drei Documente
sind es, welche uns aus der Zeit nach jener Kluft als Schlusssteine
jedweder Forschung über unsern Gegenstand noch dargeboten
sind, nämlich eine Urkunde König Karlmann’s, ddo. Rantesdorf
28. Juni 878 für das Kloster Kremsmünster und zwei Urkunden
König Ludwig’s des Deutschen vom 20. November 801 und
stein in Ungern hier zu verstehen ist. Die jetzigen Landesgrenzen in jener
Gegend sind theilweise eine Schöpfung neuerer Zeit.
*) S. Urkundenbuch f. Österr. ob d. Enns I, pag. 625 u. 626, auch Mon. Boic. IV,
pag. 11—13.
Über die Diöeesan-Grenzregulirung etc.
46Ö
18 November 829 für Salzburg. Wir müssen zuerst diese Letzfeie,
welche den eigentlichen Kern des vorliegenden Excurses bildet, in
nähere Betrachtung ziehen, da sie es ist, in der meinem Dafürhalten
nach der Rechtstitel der Diöcesan-Jurisdietion Salzburgs über den
„Wiener-Neustädter Bezirk“ enthalten ist.
Das Original dieser Urkunde ist leider seit Jahrhunderten ver
schollen; sie ist uns nur in einer Aufschreibung erhalten, welche um
beiläufig 430 Jahre jünger ist als jenes. Das fragliche Document
findet sich nämlich nur in dem auf Anordnung des bereits erwähnten
Bischofs Otto von Passuu (12S4—1265) verfassten Copialbuche von
Urkunden seines Bijjfhumes ‘). Was seinen Inhalt betrifft, so erfahren
wir daraus, dass zwischen dem Erzbischöfe Ädalram von Salzburg
(821—836) und seinem Suffragan, dem Bischöfe Reginhar von
Passau (818 — 838) ein lebhafter Streit, „quaestio non minima“
entstanden sei „super parrochia, quaejacet ultra Coma-
genos montes. Nam Adalrammus archiepiscopus dicebat, Arnonem
antecessol’em suum ipsam parrochiam habuisse et ibi praedicasse atque
praedicasse (sic.) Reginharius episcopus dicebat, ipsam parrochiam
ad dyocesim Pataviensem pertinere debere“ — warum, wird in der
Urkunde nicht angegeben. König Ludwig habe nun, „audita atque
discussa eorum quaestione — praedictam parrochiam“ auf die AVeise
zwischen beidenBischöfen getheilt, „eo modo inter eos dividerejussimus,
ut Reginharius episcopus habeat ad dyocesim suam de ista Occiden
tal i parte fl uvii, qui vocatur Spraza, ubi ipsa exoritur et in
aliam Sprazam cadit et ipsa in Ra pam finit; Adalrammus vero
archiepiscopus ex occidentali ripa supradictarum aquarum in orien
tal i et australi parte ad dyocesim Juvavensem, et ita inantea, sicut
Arno antecessor ejus habuit, pleniter habeat“.
Es ist kein Grund vorhanden, bezweifeln zu wollen, dass eine
derartige Streitigkeit zwischen Adalram und Reginhar entstehen
konnte und in der That entstanden sei 3 ). Schwieriger aber bleibt es,
über das Object ihres Streites, die „par roch ia ult raComagenos
montes“, und dessen Umfang eine richtige Antwort zu geben. Wir
1 ) Mon. Boic. XXXI. Ps. I, pag. 56, Nr. 23. Obwohl diese Urkunde schon von
Aventin, Hund und Hansiz auszugsweise veröffentlicht wurde, ist sie vollständig
doch erst am angezeigten Orte mitgetheilt worden.
2 ) Confer Archiv f. Kunde ö. Gesell. Quell. X, p. 22.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd. II. Hft.
3i
470
Dr. v. Meiller
wissen aus den glaubwürdigsten Quellen, dass Karl der Grosse im
Jahre 796 das Volk der Avaren in einem unter der Leitung seines
Sohnes Pippin glücklich geführten Feldzuge vollständig besiegt und
die Avaren theils seinem Reiche einverleibt, theils über die Donau
zurückgedrängt habe. Das Gebiet der Avaren, welches in Folge
dessen damals dem fränkischen Reiche zugewachsen war, ist es nun
wohl, welches vom kirchlichen Standpuncte aus im Allgemeinen als
die parrochia ultra Comagenos montes damals verstanden und benannt
werden konnte. Es wird nun als keinem Zweifel unterliegend aner
kannt, dass unter den „montes Comageni“ jene Gebirgskette zu
verstehen sei, welche unmittelbar an den Fluten des Donaustromes
zwischen Greifenstein und Höflein beginnt unc? von da an in fast
unveränderter Richtung von Nord nach Süd ziehend, ihr Ende bei
jenem Puncte erreicht, wo sie bei der schon oben erwähnten Rax-
Alpe auf den von West nach Ost streichenden Gebirgszug der nori
schen Alpen stösst. Die Grenzen jenes von den Avaren eroberten
Gebietes mögen also beiläufig folgende gewesen sein. Im.Norden
der Donaustrom von llöflein bis zur heutigen Stadt Waitzen in
Ungern, im Osten von Waitzen bis zum Einflüsse der Drau in die
Donau unweit von Esseg ebenfalls die Donau, im Süden von diesem
ihrem Einmündungspuncte an die Drau bis über die Stadt Warasdin
hinaus, im W este n endlich eine in ihren Details für uns nicht mehr
genau bestimmbare Linie von dort bis zu der comagenischen Ge
birgskette, sodann diese selbst bis zu ihrem Endpuncte bei Höflein
an der Donau.
Aus der Erzählung des Anonymus Salzburgensis: de conver-
sione Carantanorum erfahren wir nun, dass Pippin noch im Jahre 796
selbst Anordnungen über die kirchliche Zuweisung dieses neuer
worbenen Gebietes getroffen, welche sohin Kaiser Karl im Jahre 803
urigeändert gutgeheissen und genehmigt habe. Er berichtet näm
lich i): „qui (Pippinus) partem Pannoniae inferioris circa lacum
Pelissa, ultra fluvium, qui dicitnr Hrap a, et sic usque ad Dravum
fluvium et eo usque,ubi Dravus fluit in Danubium,prout potestatem
habuit, praenominavit Arnoni Juvavensium episcopo cum doctrina
et ecclesiastico officio procurare populum, qui remansit de Hunis et
Sclavis in illis partibus, usque ad praesentiam genitoris sui Karoli
i) Mon. Germ. SS. XIII, pag. 9.
Über die Diöcesan-Grenzregulirung etc.
471
imperatoris. Postmodum ergo anno 803 Karolus imperator ßajoariam
intravit et in mense Octobris Salzburg venit et praefatam concessionem
filii sui iterans potestative multis astantibus suis fidelibus adtirmavit
et in aevum inconvulsam fieri concessit“. — Aus diesen Nachrichten
des Salzburger Anonymus geht nun allerdings hervor, dass schon
ursprünglich ein sehr grosser Theil des eroberten Gebietes dem
Bischöfe Arno von Salzburg als Diöcese zugetheilt worden war, aber
eben nur ein Theil — pars Pannoniae inferioris. — Ob und
welcher Theil zur selben Zeit, d. i. zwischen 796 und 803, oder
doch bald darauf dem .Bischöfe von Pas sau zugetheilt oder etwa
in Aussicht gestellt wurde, das erwähnt zwar der Salzburger
Anonymus nicht, allein es muss doch so etwas dergleichen statt
gefunden haben Denn ganz ohne Rechtstitel können doch die
Ansprüche Passau’s nicht gewesen sein, um deren endgültige Ent
scheidung es im Jahre 829 den König Ludwig angerufen und
durch welche in der That ein, wenn auch verhältnissmässig sehr
kleiner Theil der parrochia ultra montes Comagenos diesem Bisthume
definitiv zugewiesen wurde.
Sehen wir uns nun diese, aus der Passauer Quelle allein
uns vorliegende Entscheidung des Königs Ludwig etwas näher an,
wobei wir die Bemerkung vorausschicken wdllen, dass Hansiz an
beiden Orten seiner Germania sacra, wo er von dieser Grenzbestim
mung spricht (1. c. I. pag. ISS und II. pag. 12S) sich jedweder
topographischen Erörterung oder Erklärung enthält — dass aber
auch nach ihm von Kleimayrn bis Dümmler kein Schriftsteller jene
Entscheidung König Ludwig’s von diesem Standpuncte aus einer
näheren Prüfung unterzogen habe. — Zunächst sehen wir, dass
der König keinem der beiden streitenden Kirchenfürsten, deren
Jeder gerne das ausschliessliche Diöcesanrecht über die ganze par
rochia ultra montes Comagenos erwerben wollte, Recht gab, sondern
dieses Gebiet zwischen beiden theilte und als Ausgangspunct der
Scheidungslinie den Lauf eines Flusses wählte, dessen Name dem
Passauer Codex zu Folge „Spraza“ war. In dem zum heutigen
Königreiche Ungern gehörigen Theile der parrochia ultra montes
Comagenos ist ein Gewässer dieses Namens auch in dfen besten
topographischen Hilfsbüchern und Landkarten nicht zu finden.
Dagegen gibt es allerdings im heutigen Viertel unter Wiener Wald
ein Gewässer, welches auch jetzt noch den Namen: die Spraz führt.
31*
472
Di*, v. M e i I 1 e r
Es wird daher in erster Linie darauf ankommen, ob die örtlichen
Verhältnisse desselben von der Art sind, dass man mit Sicherheit
oder doch mit genügender Wahrscheinlichkeit annehmen könne,
König Ludwig habe eben dieses Gewässer und kein anderes
gemeint. Ein Blick auf eine hydrographische Karte oder die k. k.
Generalstabs-Speeialkarte von Nieder-Österreich (Blatt 22, 23, 28
und 29) scheint mir genügend,-um dies entschieden verneinen zu
müssen. Zunächst ist nämlich die Spraz kein Fluss — „fluvius“
heisst es in der Urkunde — sondern ein ganz unbedeutendes Bäch
lein im südöstlichsten Winkel des V. U. W. W., entspringend in
der Pfarre Lichtenegg. Sein Ursprung ist von der Wasserscheide
der Comagenischen Gebirgskette weit — beiläufig 4 bis 5 Meilen
nach Osten zu — entfernt, und von dieser überdies durch den in
gerader Bichtung von Süd nach Nord fliessenden, die Richtung der
Spraz somit im rechten Winkel kreuzenden Piittenbach getrennt.
Nach einem Laufe von kaum mehr als einer halben Meile von West
gegen Ost fällt der Sprazbach bereits in den von Nord nach Süd
fliessenden, ansehnlicheren Plamaubach und sein Name verschwin
det. — Ein zweiter Sprazbach (wie es die Angaben der Urkunde
fordern) der sich mit ihm vereinigt, ist nahe und ferne nicht vor
handen. — Es ist auch weiter noch der Umstand zu erwähnen und
in Betracht zu ziehen, dass in keiner einzigen Urkunde des erz-
bischöflichen und domcapitlischen Archives von Salzburg, oder einer
der übrigen Abtheilungen des k. k. Haus-, Hof- und Staats-Archives
bis 1300 (bis wohin bei sämmtlichen Urkunden alle darin vorkom
menden Orts- und Personennamen registrirt sind) der Sprazbach
auch nur einmal erwähnt wird und auch in den durch den Druck
bekannt gewordenen Passauer Urkunden (mit Ausnahme einer ein
zigen , welche weiter unten zur Sprache kommen wird) nirgends
vorkömmt. — Und dieses kleine, kaum für eine Dorfgrenze genü
gende Bächlein sollte König Ludwig zum Ausgangspuncte geeignet
gefunden und gewählt haben, als es sich darum handelte, den frag
lichen Theil des Landes „ultra montes Comagenos“ zwischen zwei
bischöflichen Diöcesen zu theilen? Nimmermehr. Dass eine legale
Feststellung der Grenzen der beiden Bisthümer auf ihrer neuen
Berührungslinie nothwendig war, darüber kann begreiflich kein
Zweifel sein, so wenig, als darüber, dass selbe nur von dem Könige
Ludwig ausgehen konnte. Die Thatsache einer durch ihn erfolgten
Über die Diöcesan-Grenzreguliruiu» etc.
473
Anordnung darüber ist jedenfalls vorauszusetzen, und ich tlieiie
hierin ganz Dümmler’s Ansicht, dass dieselbe in der That vorge
nommen und darüber eine legale Urkunde ausgefertigt worden sei.
Aber so, wie uns in der vorliegenden Passauer Ausgabe diese
Theilung vorgeführt wird, ist sie, meinem Dafürhalten nach, wohl
nicht bewerkstelligt worden 1 ). Die Landkarte zeigt uns nämlich,
dass, wenn man dieses trotz aller oben aufgezählten Bedenken an
nehmen wollte, der Diöcese Passau ein Gebiet zufallen würde, in
welchem der Erzbischof von Salzburg factisch und rechtlich Diö-
cesan war und blieb, wie dies noch in der zweiten Hälfte des
IX. Jahrhunderts, fast 40 Jahre nach jenem Ausspruche König
Ludwig’s von diesem selbst durch die Urkunde vom Jahre 861, auf
welche wir später zu sprechen kommen werden, anerkannt wurde
und wie dies auch von 1030 bis 1782 durch die von mir zusammen
gestellten Nachweise und Belege bestätigt wird.
Dieser letztere Umstand nun gibt uns wohl einen Fingerzeig,
wo hier das Wahre zu suchen und zu finden sei. Gilt die Grenz
bestimmung nach der Pa ss au er Aufschreibung, so fällt fast die ganze
Grafschaft Pütten und mit ihr die Propstei Gloggnitz, eine Filiale
des passauischen Klosters Formbach, mit ihren weitläufigen Be
sitzungen unter die geistliche Jurisdiction Passau’s. — Alles dies
führt mich demnach zu nachstehenden Vermuthungen und Folgerun
gen: es hat im Jahr 829 eine Feststellung der Diöcesangrenzen
zwischen Salzburg und Passau in der Gegend ultra montes Coma-
genos durch König Ludwig und die Ausfertigung einer Urkunde
darüber Statt gefunden — die, durch die Vertreibung des recht
mässigen Erzbischofs Tiemo und die fahrlässige Verwaltung des
schismatischen Erzbischofs Beithold dargebotene Gelegenheit be
nützend wurde, entweder zur Zeit der Gründung des Klosters Form
bach (1094) oder bald darauf von Seite Passau’s eine, zur Begrün-
*) Sowohl die Herausgeber der Mon. Boic. selbst, als Dümraler in seinen beiden
gediegenen Abhandlungen : „Über die südöstlichen Marken des fränkischen Reiches
(im Archive f. Kunde österr. Gesell. Quell. Jahrg. 1853, Bd. X, pag. 22, Not. 4)
und ; „Piligrim von Passau" (Leipzig, 18o4, 8°, pag. 8, §. 2) haben auch riick-
sichtlich der Form der Abfassung des fraglichen Diploms in der Passauer
Aufschreibung solche Mängel gerügt, welche zeigen, dass dieselbe keine getreue
Wiedergabe der echten Urkunde sein könne, sondern das Product einer späteren
Zeit, welcher Styl und Kanzleiform früherer Jahrhunderte nicht mehr recht
geläufig waren.
474
Dr. v. M e i 1 1 e r
düng von Annexirungsgelüsten ganz geeignete F äl schun g jener
echten Urkunde in der Weise vorgenommen, dass in den Worten
dieser Letzteren: „de ista occidentali parte fluvii, qui vocatur
Suarza, ubi ipsa exoritur et in aliam Suarzam cadit, et ipsa in
Rapam fluit“, statt Suarza mit Änderung weniger Buchstaben die
S praza hineingeschmuggelt wurde. — Zur Rechtfertigung und Be
gründung dieser meiner Vermutliung ist natürlich vor Allem zu
untersuchen, ob und in wie weit die örtlichen Verhältnisse der
Schwarza den in der Urkunde des Königs Ludwig enthaltenen An
gaben entsprechen. Das Ergebniss ist folgendes. — Die Schwarza
entspringt unmittelbar in oder doch an der comagenischen
Gebirgskette selbst,unweit des heutigen Dorfes Rohr im Gebirge.
Durch die ihr von den Abhängen des Schneeberges, der Raxalpe
und anderer hoher Berge zueilenden zahlreichen Wasseradern ver
stärkt erreicht sie bald eine solche Grösse, dass sie schon von dem
Orte Reichenau an der Schwarza-Fluss und mit vollem Rechte
genannt wird. Nach einem Laufe von beiläufig sieben Meilen, etwas
östlich ausserhalb Neunkirchen, theilt sich der Schwarzafluss
in zwei Wasseradern, deren westliche, seit dem XIV. Jahrhunderte
urkundlich unter dem Namen Ker- oder Kehrbach erscheinend,
gerade auf die heutige Stadt Wiener-Neustadt zufliesst, den dor
tigen, ehemals kaiserlichen Thiergarten, jetzt Park der k. k. Militär-
Akademie durchzieht, gleich ausser Neustadt die sogenannte kleine
Fischa in sich aufnimmt und nach einem Gesammtlaufe von drei
Meilen und zwar gerade bei jenem schon oben pag. 2,
erwähnten östlichsten Grenzpuncte der Diöcesen Salz
burg und Passau im V. U. W. W, bei dem Dorfe Unter-Eggen
dorf sich wieder mit dem andern, dem Hauptarme der Schwarza
vereinigt. — Von diesem Orte an erhält die Schwarza den
Namen Leitha, ohne dass etwa ein anderes diesen Namen füh
rendes Gewässer sich dort mit ihr vereinigt 1 ) und fliesst, diesen
Namen fortan führend und bis ungrisch Altenburg kein anderes
irgend wie nennenswerthes Gewässer in sich aufnehmend, von dort
an aber verstärkt durch eine unweit Ragendorf sich von der Donau
abzweigende Wasserader, bald darauf unmittelbar bei der Stadt Raab
Vor dem Jahre 1040 habe ich übrigens diese Benennung —«* lateinisch Litaha
Lyta — noch nicht aufgefunden.
Übei' die Diöcesan-Grenzi-egulirung etc.
475
in den Raab fl us s; im Ganzen von ihrem Ursprünge beim Dorfe
Rohr bis zu diesem ihrem Ende einen Weg von 25 bis 30 Meilen
als stattlicher Fluss zurücklegend.
Es kann wohl nicht in Abrede gestellt werden, dass dieses
Gewässer sowohl an und für sich geeignet erscheint, eine natürliche
Grenzlinie für zwei bischöfliche Diöcesen zu bilden, als dass es
auch insbesondere — abgesehen von den Namen Suarza oder
Spraza — den sonstigen localen Angaben, welche die Urkunde
König Ludwigs damit in Verbindung bringt, in jeder Beziehung
entspricht. Verbindet man aber damit die Thatsache, dass unge
achtet der fleissigsten Forschungen es nicht nachzuweisen ist, dass
Passau in irgend einem am rechten, östlichen Ufer der
Schwarza-Leitha gelegenen Orte jemals Diöcesanrechte ausgeübt
habe, während umgekehrt aber dies bei Salzburg bis in die Mitte
des IX. Jahrhunderts und nach Zurückdrängung der Ungern jeden
falls vom Jahre 1030 an ununterbrochen der Fall war, so erscheint
mir meine obige Vermuthung und die daraus gefolgerten Annahmen
als genügend gerechtfertigt <)•
*) Die Thatsache, dass Salzburg’ (vom 12. Jahrhunderte an urkundlich nach
weisbar) auch in einem kleinen Theile jenes Landstriches am linken Ufer der
Schwarza Diöcesan war, nämlich in dem Theile zwischen dem Piestingbach
und der Schwarza (vergl. oben pag. 462—464 bei Angabe der Diöcesangrenze vom
Jahre 1782) steht der obigen Auslegung der Anordnung König Ludwig’s vom
Jahre 829 nicht entgegen. Diese Thatsache und deren Ursprung findet nämlich,
meiner Meinung nach, um 200 Jahre später in der Bildung der Grenzgrafschaft
Piitten um das Jahr 1030 (vergl. oben pag. 467) ihren Erklärungsgrund , deren
nördliche Grenze gegen die Markgrafschaft Österreich eben der Piestingbach
bildete, deren weitaus grösster Theil aber am rechten, östlichen Ufer der
Schwarza lag. Die Grafschaft Piitten erbte nach dem kinderlosen Tode des Grafen
Eckbert III. von Formhach im Jahre 1108 der stammverwandte Markgraf von
Steiermark, Otaker V., welcher selbe mit dieser vereinigt besass. Mit der Steier
mark zugleich gedieh sie im Jahre 1192 an die Babenberger, verblieb aber fortan
ein ßestandtheil des ganz der Salzburger Diöcese angehörenden Ilerzogthumes
Steiermark bis zu dem im April 1254 von König Otokar mit dem Könige Bela
von Ungern zu Pressburg abgeschlossenen Frieden, welchem zu Folge dieser an
Letzteren das Herzogthum Steiermark jenseits des Semmerings, wie sich
von da die Wasserscheide der Gebirge bis „Baiern“ zieht, und wie die Gewässer der
Mur zufliessen, abtreten musste, dagegen für sich jenen Theil desselben
behielt, der nordwärts des Semmerings liegt und dessen Gewässer der Donau
zufliessen. (Kurz, Österreich unter Otokar Bd. II, pag. 171. — Boczeck Cod. Dipl.
Mor. Bd. III, pag. 181. Confer Otokar Horneck cap. 26). Von dieser Zeit an
scheint die Grafschaft Piitten (der „Neustädter Bezirk“ der Salzburger Diöcese),
wenn sie gleich später theilweise an die ältere steirische Linie des Hauses Habs-
i
476
Dr. v. M e i 1 1 e f
Die Methode wissenschaftlicher Kritik und Beweisführung
kennt für Hypothesen keine kräftigere Unterstützung, als wenn die
selben — einstweilen als erwiesene Sätze angesehen — geeignet
erscheinen, für auf anderen Wegen entweder gar nicht oder nur
ungenügend erklärte Umstände und Verhältnisse eine ungezwungene
und wahrscheinliche Auslegung an die Hand zu geben. Ich glaube
die Anwendbarkeit meiner obigen Hypothese in d i e s e r Richtung
bei den beiden oben noch erwähnten Urkunden des IX. Jahrhunderts
erproben zu können. — Dasselbe Passauer Copialbuch, welches
allein die bis jetzt besprochene Urkunde König Ludwig’s vom Jahre
829 enthält, gibt und zwar ebenfalls als einzige Quelle für uns
auch eine Urkunde König Karlmann's für das Passauer Kloster Krems
münster ddo. Rantesdorf 28. Juni 877 (recte 878). Das Original
dieser Urkunde ist gleichfalls seit Jahrhunderten verschollen 1 ). In
derselben beurkundet König Karlmann, sein verstorbener Vater,
Kaiser Ludwig (f 876, am 28. August), habe dem Kloster Krems
münster „quaedam loca (suae) hereditatis“ geschenkt, jedoch diese
Schenkung „nullo auctoritatis suae praecepto“ beurkundet, was nun
er selbst zu seines Vaters und seinem Seelenheile somit nachhole.
„Tradimus (heisst es nun weiter) ad praefatum monasterium per
hoc praesens praeceplum nostrum territorium quoddam iuxta
fluvium, qui dicitur Spraza, quod — ab eo loco incipit, ubi unus
fons in loco, qui Benninwanch dicitur, intrat in Sprazam, et sic
interduasSprazas usque in eum locum, ubi ipsaeduae
Sprazae simul unum cursum confaciunt. Hoc igitur totum
(? territorium), sicut a duobus comitibus Arathoto et Ernesto circum
equitatum fuerat, cum omni integritate ad praefatum monasterium —
tradimus“ etc. — Über die weiteren Ergebnisse dieser Schenkung,
ob das Kloster Kremsmünster je in den factischen Besitz jenes Terri
toriums gelangt sei (was mit Rücksicht auf die bald erfolgte Occu-
»
bürg- gelangte (mau sehe den Theilbrief zwischen den Herzogen Albrecht III.
und Leopold III. ddo. 25. September 1379, gedruckt bei Rauch SS. III, pag. 395),
nicht wieder als zum Herzogthume Steiermark gehörig, sondern als ein integri-
renderTheil des Herzogthumes Österreich angesehen und behandelt worden zu sein.
*) Das Kloster Kremsmünster selbst scheint dieselbe aus diesem Passauer Copialbuche
in sein zu Zeiten des Abtes Friedrich von Aich (1274—1325) und auf dessen
Anordnung verfasstes Copialbuch aufgenommen zu haben. — Vergl. Urkunden
buch f. Kremsmünster, Wien 1852, pag. 11, Nr. 5 und Vorrede dazu pag. V,
lit. c.
Über die Diöcesan-Grenzregulirung etc.
477
pation des Landstriches „ultra montes Comagenos“ von Seite der
Ungern vielleicht an und für sich zu bezweifeln ist 1 ) und wenn ja,
wann und unter welchen Umständen es dasselbe wieder verloren
habe, darüber herrscht völliges Dunkel, welches weder durch Pas-
sauer, noch Kremsmünster’sche oder anderweitige Quellen aufge
hellt ist. Grund genug, dass man bei allen Topographen und Ge
schichtsforschern von Rettenpacher bis Koch-Sternfeld nur schwan
kende und unsichere Angaben über die Lage jenes Territoriums
und des Ortes Benninwang findet, um so mehr als Letzterer gegen
wärtig vollkommen verschollen, jedenfalls am Sprazbache oder in
dessen Nähe nicht mehr zu finden ist. — Ich unterlasse es, ins
besondere hervorzuheben, wie es für Passau eine nothwendige
Consequenz war, auch an dieser zweiten Stelle seines
Copialbuches Suarza in Spraza zu verändern; dass es
dies auch wirklich gethan habe, ergibt sich daraus, dass auch hier
die örtlichen Verhältnisse und Nebenangaben über das Gewässer
auf die Spraza keine, dagegen auf die Suarza eine ganz unge
zwungene Anwendung gestatten. — Die Karte zur Hand genommen
zeigt sich, dass das dem Kloster Kremsmünster geschenkte Terri
torium — Schwarza für Spraza gesetzt — bei dem Wieder-
vereinigungspuncte der beiden Arme der Schwarza (Schwarza und
Kehrbach) d. i. beim heutigen Dorfe Unter-Eggendorf beginnt*),
und, umschlossen von diesen beiden in südlicher und südwestlicher
Richtung fliessenden Armen, bis zu jenem Puncte reicht, „ubi unus
fons, in loco, qui Benninwaneb dicitur, intrat in Suarzam“. Eine
halbe Meile südlich von Wiener-Neustadt, fast in der Mitte zwischen
dem Kehrbache und der Schwarza entspringt, unmittelbar auf freiem
Felde bei dem sogenannten „kleinem Föhrenwalde“ hervorquellend,
ein kleines Gewässer, welches heut zu Tage der Jägerbach genannt
wird und nach einem ganz kurzen Laufe von etwas über eine Viertel
meile in westlicher Richtung in den linken Schwarza-Arm, d. i.
1 ) Das erste, eine bleibende Oucupation natürlich noch lange nicht herbeiführende
Erscheinen der Ungern in jenen Gegenden erfolgte um das Jahr 862. — Vergl.
Annales Alamann. — Contin. Sangall. — Annal. Sangall. majores in den
Monum. Germ.
2 ) Nämlich, wenn man von Norden ausgeht, in der Urkunde Karlraann’s wird vom
südlichen Ende des Bezirkes angefangen.
478
Dr. v. Meiller
in den Kehrbach mündet 1 ). Wir überblicken hier, wie mir dünkt,
in deutlichster Weise den dem Kloster Kremsmünster geschenkten
Bezirk, dessen Gesammtlänge ungefähr anderthalb Meilen, dessen
Breite durchschnittlich nicht ganz eine halbe Meile beträgt, und der
heut zu Tage zu den drei Pfarren Lichtenwerd, Wiener-Neustadt und
Kazelsdorf gehört. — Hält man 'dagegen an dem Wortlaute Spraza
fest, so wird man sich vergebens bemühen , die in der Urkunde an
gegebenen localen Verhältnisse dort aufzufinden und nachzuweisen.
Ich kann es mir nicht versagen, auch noch die Bemerkung hinzu
zufügen, dass selbst der Name der Örtlichkeit: Benninwanch mir
ein Argument für die Richtigkeit meiner Annahmen zu enthalten
scheint. Der Name Benin-Wang wäre nämlich nach seinen beiden
Theilen zu deuten als: Bienen-Stätte, Bienen-Feld. „Der Wang" ist
(nach Schmeller IV. pag. 114—115) ein altdeutsches Appellativ,
welches ein von Natur (nicht durch menschlichen Anbau) mit Vege
tation bekleidetes Terrain, im Gegensatz von ganz öden oder durch
Menschenarbeit cultivirten bedeutet zu haben scheint, somit bei
läufig das, was wir mit: Heide, bezeichnen. „Das Wang“ ein weites
eingeschlossenes Feld. Zusammensetzungen mit dieser Wurzel, wie
Bär-Wang, Hirsch-Wang, Holz-Wang, Ellen-Wang (Ellen eine
Baumart) kommen ausserordentlich häufig als Ortsnamen vor, gleich
wie auch Wang für sich allein. Die Pein, Peinnen bedeutet aber im
Altdeutschen, gleich wie noch heute im Localdialekt der öster
reichischen Bauern: die Biene (Schmeller I. pag. 165). Nun ist
aber bis in’s XIII. Jahrhundert hinab aus Urbaren, Dienst- und Zins
büchern nachzuweisen, dass, wie es auch noch heut zu Tage der Fall
ist, der Bau des Haidens, dieser Lieblingsnahrung der Bienen auf
dem Steinfelde, den Bodenverhältnissen desselben ganz entsprechend,
als die einzige mögliche, aber gerade dort sehr ergiebige Cultur in
Gebrauch war; und auch früher wird es wohl nicht anders gewesen
sein. Es passt somit die Benennung: „Benin-Wang“ auch ganz
*) Dieses urplötzliche Hervorbrechen von Quellen und Wasseradern mitten auf
freiem Felde oder auch Verschwinden unter gleichen Verhältnissen gehört zu den
auf dem Steinfelde mehrmals vorkommenden, aus der geognostischen Beschaffen
heit dieser Ebene erklärlichen Eigenthümlichkeiten derselben. Wir erinnern nur
z. B. an das Hervorbrechen der grossen Dagniz nördlich von Unter-Eggendorf,
an das der sogenannten kleinen Fischa im heutigen Orte Fischau, welche wenige
Klafter von ihrem Ursprünge bereits eine stattliche Mühle treibt u. s. w.
Über die Diöcesan-Grenzregulirung etc.
479
gut zu den localen Verhältnissen der Örtlichkeit, welche ich als
dadurch bezeichnet halte und welche nicht an der Spraza, sondern
an der Schwarza zu finden ist.
Den zweiten indirecten, Unterstützungsgrund für die Richtig
keit meiner Vermuthung, dass der Schwarzafluss und nicht der
Sprazbach von König Ludwig den beiden Diöcesen als gegen
seitige Grenze in dem Landstriche ultra montes Comagenos ange
wiesen worden sei, glaube ich in dem Umstande geltend machen
zu können, dass die einzige urkundliche Erwähnung der Örtlich
keit ßenninwang, welche mir ausser der in König Karlmann’s
Urkunde überhaupt noch vorgekommen ist und welche sich ebenfalls
in einer Urkunde des IX. Jahrhunderts findet, meiner Deutung der
Lage dieser Örtlichkeit nicht nur nicht widerspricht, sondern mit
ihr in ungezwungenster Weise in Einklang steht, ja dass durch
di ese-Deutung für die topographische Erläuterung dieser Urkunde
ein neuer Ge.sichtspunct gewonnen wird. Es ist dies eben jene
oberwähnte Urkunde König Ludwig's des Deutschen, ddo. Mattighofen
20. November 861, worin derselbe dem Erzbisthume Salzburg
unter Erzbischof Adalwin genannte Besitzungen bestätigt i). Das
wohlerhaltene Original dieser Urkunde mit auf der Vorderseite,
rechts unten, neben dem Recognitionszeichen aufgedrücktem, vor
trefflich erhaltenen Siegel befindet sich derzeit im k. k. Haus-, Hof-
und Staats-Archive zu Wien, Abtheilung Salzburger Archiv 2 ). Ausser
dem Originale besitzt das genannte Archiv aber auch noch eine Copie
dieses Diplomes, auf Pergament geschrieben, welche den
Schriftzügen nach dem Anfänge des XI. Jahrhunderts angehört.
Diese Copie, welche auch mit am ungewöhnlichen Platze, nämlich
zwischen den Worten „regis“ und „hebarhardus“ angebrachten,
kreuzweisen Einschnitten für ein Siegel versehen ist, das aber offenbar
nie aufgedrückt war 8 ), ist bis zu Chme 1 ’s Zeiten im Salzburger
Archive als ein zweites Original angesehen und als solches
registrirt gewesen, von dieser Zeit an aber archivalisch als das,
*) Ziemlich gut abgedruckt hei Kleimayrn, Juvavia, Anhang pag. 95, Nr. 38.
2 ) Die Urkunde ist 24 Zoll breit und 19 Zoll hoch, und enthält im Ganzen 18 Zeilen,
wovon 16 auf den Text entfallen, dessen erste mit verlängerter Schrift geschrie
ben ist.
3) Neben anderen Fehlern ist besonders das Recognitionszeichen und seine tiro-
nischen Noten augenfällig unrichtig nachgeahmt.
480
Dr. v. Meiller
was sie in der That ist, als eine Copie des XI. Jahrhunderts behan
delt worden. — Dümmler erklärt diese Urkunde Ludwig’s für unecht.
Er sagt nämlich 1 ): „Die Urkunde Otto's II. (ddo. 1. October 978)
ist zünächst nur eine Wiederholung einer Urkunde Arnulfs
vom 20. November 890 (Juvavia, Anhang pag. 112). Diese aber,
so wie zwei ihr zu Grunde liegende Diplome Ludwig's des
Deutschen — sind insgesammt unecht, wie ich in meiner
Schrift de Arnulfo pag. 186 nach gewiesen habe“. — Am citir-
ten Orte ist nun Folgendes zu lesen: „omnes, quae in hac tabula
(Ottonis) nominantur possessiones, tribus diplomatibus archiepisco-
patui Juvavensi erant donatae, quorum primüm datum est XII 9 Kal.
Dec. anno XXVIIII 9 Ludovici regis (20. Nov. 861) indictione VIII".
Matahhova villa regia, atque et ipsum Suppositum esse vide-
tu r“, und zur Begründung nichts weiter, als das Citat: „4) conf.
Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde V. pag. 323 und
Böhmer 800“. —• An ersterem Orte (der Band V. erschien 1824)
findet man (Seite 317—333) ein kurzes Verzeichniss von durch
Perz eingesehenen Kaiserurkunden und darin pag. 323 die Worte:
„861, 20. November Matahhova, Ludwig der Deutsche für Salz
burg (in Wien) wahrscheinlich unecht, im XII. Jahrhundert
geschrieben“ — und sonst wieder Niehls. Und bei Böhmer (Rege
sten der Karolinger, erschienen 1833, pag. 82, Nr. 800) am Schlüsse
des betreffenden Regestes die Bemerkung: „wahrscheinlich
unecht, siehe Archiv V. pag. 323“. —Dies sind die angegebenen
Stützen einer Beweisführung, welche nicht nur sagt: diese kaiserliche
Urkunde ist unecht, wie ich nachgewiesen habe, sondern
die auch aus diesem Ausspruch mehr oder minder wichtige Folgerun
gen ableitet, gegenüber einer Urkunde, von welcher die Archivs
acten den Beweis liefern, dass Böhmer und Dümmler sie im Leben
nie gesehen haben, während Perz, welcher 1823 auf der Durchreise
nach Italien in Wien das k. k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv zunächst
zu dem Zwecke besuchte, um die daselbst befindlichen Hand
schriften näher zu untersuchen, offenbar blos jenes frühere
„zweite Original“ allein — wahrscheinlich eben desswegen ganz
*) Pilgrim von Passau pag 1 . 177, Note 19, zur Seite 60.
Über die Diöcesan-Grenzregulirung etc.
481
unabsichtlich >) — vorgelegt worden sein wird, gegenüber einer
Urkunde, «eiche alle Kriterien der Echtheit an sich trägt 3 ). Alle
Achtung vor den, von Niemand aufrichtiger als mir gewürdigten
hohen Verdiensten Diimmler's um unsere ältere Geschichte, aber im
gezeigten Falle hat er es denn doch mit der „Nachweisung“ der
Unechtheit der fraglichen Kaiserurkunde etwas allzuleicht genom
men. — Doch genug von der Urkunde und den äusseren Kriterien
ihrer Echtheit; jetzt zu ihrem Inhalte, so weit dieser für meinen
Zweck zu besprechen ist. — König Ludwig beurkundet darin, es
habe der Erzbischof Adalwin von Salzburg „in procerum nostrorum
praesentia“ die Bitte an ihn gestellt, „ut ob mercedis noslrae aug-
mentum quasdam res proprietatis nostrae ad sanctam ecclesiam
Juvavensem in proprium iure perpetuo permanendum con-
cedissemus.“ Diese Bitte habe er zum Seelenheile aller seiner Vor
fahren, seines Vaters und seiner selbst „libenti animo“ erfüllt und
der Salzburger Kirche „Sabariam civitatem et Peinihhaa“ (Stein am
Anger und Pinkafeld in der Eisenburger Gespanschaft Ungerns)
„iure perpetuo“ als Eigen verliehen. — Nebst diesem wolle er aber
auch der Salzburger Kirche noch eine weitere Gnade erweisen,
„insaper etiam tradimus ibi istas curtes in proprium, quae
antea ibi inbeneficiumfueruntex alicuius dato, sive ex parte
nostra, sive ex alterius cuiuslibet parte ibi antea beneficiatae fuis-
sent, quarum haec sunt nomiria“. — Von den Besitztiteln, auf welche
diese Worte König Ludwig’s sich beziehen und durch welche die
nun aufgezähllen Besitzungen direct oder iridirect an Salzburg
gelangten, sind uns nur Wenige mehr in urkundlicher Form
erhalten, was aus einer beinahe tausendjährigen Vergangenheit wohl
Niemand befremden wird; diese sind im Anhänge der Juvavia unter
den Nummern XVII, XXVI, XXXII, XXXIII und XXXVII zu finden. —
Ich will nun jene „curtes“ in eben der Reihenfolge und so an
führen, in welcher und wie sie in der Urkunde angegeben sind und
*) Beide, das Original und die Copie, lagen auch damals, nach der heibehaltenen
„salzburgischen“ Eintheilung des Salzburger Archives, in zwei verschiedenen
Unterabtheilungen desselben, das eine im domcapitlischen, das andere im erz
bischöflichen Archive.
2 ) Um ausser mir noch einen Gewährsmann dafür anzuführen, füge ich bei, dass
dies auch Professor Sickel, welcher in jüngster Zeit in meiner Gegenwart die
fragliche Originalurkunde auf’s Eingehendste untersuchte, unbedingt erklärte.
482
Dr. v. Meiller
deren heutige Namen beisetzen, so weit diese entweder schon glaub
würdig nachgewiesen oder nach meinem Dafürhalten anzunehmen sind:
1. Ad magalicham
2. Ad uuahauua
3. Ad Liupinam
4. Ad holunburc
5. Ad trigisimam
Melk,
Wachau
Loiben
Hollenburg
Trasmauer
am rechten Donauufer V. 0. W. W.
M. B.
linken
99
rechten
99 99
99 99 99
„ „W. W.
Die genannten Orte unterliegen in ihrer Deutung keinem Zweifel,
sie sind, wie man sieht, in der Urkunde streng nach ihrer geographi
schen Lage und Reihenfolge von West nach Ost aufgezählt und liegen
sämmtlich „citra“ montes Comagenos. Der thatsächlicheGrundbesitz
Salzburgs in jenen Ortschaften ist nachweisbar und bestand theilweise
bis zum Anfänge des gegenwärtigen Jahrhunderts. — Die nun in
der Urkunde weiter folgenden Orte (Nr. 6 — 13 incl.) liegen, nach
meiner Deutung, alle „ultra“ montes Comagenos.
6. Ad Penninuuanc
7. Ad ecclesiam An-
zonis
8. Ad uuitanesperc
9. Ad ecclesiam ello-
dis
10. Ad ecclesiam mini-
gonis presbiteri
11. Ad Kundpoldesdorf
12. Ad rapam
13. Ad [siceam Saba-
riam
Sämmtliche ad 6—13 genannte Ortschaften liegen, wie gesagt,
„ultra" montes Comagenos und überdies alle am rechten,
östlichen Ufer des Sch war za-Flusses, ganz conform der Grenz
bestimmung König Ludwig’s vom Jahre 829 und gehörten (11 und 12
ausgenommen) bis zum Jahre 1782 zur Diöcese Salzburg i). Nimmt
1) Die ad 11 und 12 angegebenen Orte liegen ganz nahe an der heutigen Grenze
des Erzherzogthnmes Österreich mit Ungern und gehörten noch im XIV. Jahr
hunderte zu ersterem, gleich wie das heute ungrische Landser damals zu
Steiermark.
bei Wiener-Neustadt V. U. W, W. ?
Lanzenkirchen
Pitenberg, Putten
Edlitz
Minigkirchen
Kobolsdorf in Ungern, Eisenburger-Comitat?
Rabniz an der Repcze in Ungern, Eisenburger-Comitat?
Zäbern vom Zäbernbache im V. U. W. W.?
?
n n 99 99 •
9
99 99 99 99 *
9
99 99 99 » *
9
99 99 99 99 *
Über die Diöcesan-Grenzregulirung etc.
•483
man die Karte zur Hand, so sieht man überdies, dass die kaiserliche
Kanzlei auch bei der Aufzählung dieser Örtlichkeiten (ad 6—13)
— vorausgesetzt, dass meine Deutung der Namen die richtige sei —
sich nach deren geographischer Lage und Reihenfolge von Nord
nach Süd gerichtet habe.
Was nun die in der Urkunde weiter aufgezählten Örtlichkeiten
betrifft, so liegt deren Erörterung zwar nicht mehr inner den Grenzen
meiner Aufgabe, doch sei es mir gestattet, sie hier wortgetreu nach
der Originalurkunde noch beizusetzen.
14. Item. Ad Peini-
cahu
15. Ad Salapiugin
16. Ecclesiam ad
chuartinahu
f 7. Ecclesiam ad Kensi
18. Ecclesiam ad tern-
perch
19. Ecclesiam gun-
doldi
20. Ecclesia ad sabni-
zam
21. Ad nezilinpah
22. Item ad rapam.
23. Ad tudleipin
24. Ad sulpam
25. Ad labantam
26. Ad kurcizam
27. Beneficium engil-
baldi
28. Ad carantanam ec
clesiam sanctae
Mariae
29. Ad trahoue
30. Ad gurniz
31. Ad trebinam
22. Ad astaruuizam
33. Ad friesach
34. Ad crazulpam(sicj
33. Ad Pelisam
36. Ad chumbenzam
37. Ad undrimam
38. Ad liestinicham
Pinkau in Steiermark, Gratzer Kreis,*od. d. benachbarte
Pinkafeld in Ungern, Eisenburger Comitat.?
Szalaber „ „ Szalader „
Schwarzenbach in Österreich, V. U. W. W.?
Güns „ Ungern, Eisenburger-Comitat.
Thernberg „ Österreich, V, U. W. \V.
? ? —? _
Safen am Safenbach in Steiermark, Gratzer Kreis.?
Nestelbach bei Gleisdorf „ „ Ks. ?
? „ ? Kreis.
Leibnitz „ Marburger „
Sulb „ „ „
Lavantthal, in Kärnten, Klagenfurter „
Gurtschizach „ „ ,,
?
Maria Saal bei Karnburg,
Drauhofen
Gurnitz an der Glan
Treffen ? Treffenbach
Ostenviz
Friesach
Grasslup, S
Pols
Kumbenz
Ingering
Leissing an der Mur
„ Klagenfurter
„ Villacher
„ Klagenfurter
„ Villacher
„ Klagenfurter
» »
t eie r m a r k, Judenburger
yy yy
yy »
„ Judenburger
„ Brücker
yy
yy
yy
yy
yy
yy
yy
yy
yy
V
484
Dr. v. M e i I 1 er
39. Ad pruecam
40. Ad morizam
41. Adstrazinolunduo
loca
42. Ad luminicham
iuxta rapam
Bruck an der Mur, Steiermark, Brücker Kreis
Mürzhofen „ „ „
Strassengel • „ Gratzer „
St. Ruprecht a. d. Baab? „ „ „
Man sieht, dass auch bei der Aufzählung dieser Örtlichkeiten
die geographische Anordnung eingehalten wurde; es folgen zuerst
die in Ungern (14 —17), hierauf die in der „untern Mark“
(18 — 24), an diese sich anschliessend die in Kärnten (25—33) und
zuletzt die in der„ohern Marek“ (34—41) gelegenen Orte. Über die
in Ungern gelegenen Orte verlor Salzburg, wie bekannt, seine
Diöcesanrechte iin Jahre 1000, indem König Stephan der Heilige von
Ungern um diese Zeit vom Papste Sylvester die Bewilligung erhielt
den bis dahin in kirchlicher Beziehung zur Salzburger Diöcese
gehörigen Theil seines Reiches von dieser zu trennen. — In sämml-
lichen übrigen Orten (20—42 incl.) ist das Erzstift aber noch bis
zum heutigen Tage Diöcesan und hat an mehreren derselben noch
bedeutenden Grundbesitz <)•
Gleich wie nun also die Urkunde Karlmann's vom Jahre 878
— unter Anwendung meiner Hypothese — ungezwungen , wie mir
dünkt, dafür Zeugniss gibt, dass Benninwang an der Schwarza
und nicht an der Spraza gelegen war, so belehrt uns wieder die
Urkunde König Ludwig’s vom Jahre 861, dass die Salzburgi
schen Besitzungen „ultra montes Comagenos“, ganz entspre
chend der Grenzregulirung vom Jahre 829, ausschliesslich am rechten
Ufer der Schwarza gelegen gewesen seien, beginnend bei dem
Orte Benninwang.
Das Ergebniss des vorliegenden historisch - topographischen
Excurses fasse ich daher schliesslich und in Kürze in folgenden
Sätzen zusammen:
l ) Nach Aufzählung aller dieser Orte schliesst sohin die Urkunde König Ludwig’s
mit den üblichen Formeln, ohne sonst irgend etwas Ungewöhnliches oder Fremd
artiges beizusetzen, und mit richtiger Datirung etc. Sie enthält daher auch in
ihrem Inhalte nichts, was den anderweitig beglaubigten, thatsächlich bestandenen
Verhältnissen Salzburgs gegenüber gehalten einen Zweifel oder ein Bedenken
erregen könnte. Ihre Unechtheit müsste daher wohl durch kräftigere Beweise
dargetha» werden, als da sind: „suppositum esse videtur“ — „wahrscheinlich
unecht“ u. dgl.
Über die Diöcesan-Greiureguliruiig etc.
485
1. Im Jahre 829 fand auf Ansuchen des Erzbischofs Adalram
von Salzburg und des Bischofs Reginhar von Passau durch König
Ludwig eine definitive Feststellung der Diöcesan-
grenzen zwischen Salzburg und Passau für den Landstrich
„ultra montes Comagenos“ statt und es wurde darüber eine
Urkunde ausgefertigt, deren Original seither verloren gegan
gen ist.
2. In dieser Urkunde wurde der Lauf des Schwarza
flusses (Schwarza-Leitha) von seinem Ursprünge in der Coma-
geniscben Gebirgskette bei dem heutigen Dorfe Rohr im Gebirge bis
zu seiner Einmündung (als Leithafluss) in die Raab bei der heuti
gen Stadt Raab als die Scheidungslinie für beide Diöcesen innerhalb
des Landstriches „ultra montes Cornagenos“ festgesetzt.
3. Die in den Urkunden König Ludwigs ddo. Mattighofen
20. November 861 und König Karlmann's ddo. Rantesdorf 28. Juni
877 (recte 878) erwähnte, heut zu Tage verschollene Örtlichkeit
„Benninwang“ lag am rechten Ufer des Schwarzaflusses ungefähr
in der Gegend'der heutigen Stadt Wiener-Neustadt.
4. Bei der Einschreibung der Urkunden König Ludwig’s ddo.
18. November 829 und König Karlmann’s ddo. 28. Juni 877 (878)
in Passauer Copialbiicher fand eine — wohl berechnete—Ände
rung des Namens: Suarza in: Spraza statt.
Nachtrag nn<l Berichtigung.
In neuester Zeit ist noch eine d ritte Urkunde des IX. Jahr
hunderts veröffentlicht worden, in der der Spraz-Bach nament
lich vorkömmt, und welche ich demnach hier nachträgli h
Sif/.J>. d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd, II, Hft.
33
486 Dr. v. Meiller, Über die Diöcötjan-'Grenzregulirung etc.
erwähne, da selbe mir ursprünglich entgangen ist. Es ist dies
die von Professor Sickel in seinen „Beiträgen zur Diplomatik II."
(Sitzungsberichte Band XXXIX., Heft I, pag. 138) mitgetheilte
Schenkungsurkunde König Ludwig’s des Deutschen an das Kloster
Matsee, ddo. Regensburg 8. Mai 860. — Auf den Gang und
die Resultate meines vorstehenden Excurses hat dieselbe jedoch
keinen Einfluss.
Seite 474, Zeile 2 von unten in der Note 1 Iiess: 823 statt
1040.
Dr. Pfizma ier, Die ergänzte japanische Sage.
487
SITZUNG VOM 12. OCTOBER 1864.
Die Commission für Herausgabe österreichischer Weisthümer
erhält zugesandt:
Miltheilungen des hochwürdigen Herrn Johann Faigl,
Chorherrn zu St. Florian, über Panthaidingen der Wachau.
Das wirkliche Mitglied Herr Dr. Pfizmaier legt vor: „Die
ergänzte japanische Sage".
(Für die Denkschriften.)
Nebst dem Werke, welches der Verfasser seinen Abhandlun
gen über japanische Theogonie und die ersten Beherrscher Japan’s
zu Grunde legte, findet sich in der k. k. Hofbibliothek ein anderes
auf denselben Gegenstand bezügliches Werk : Kami-jo-no masa-
gnto „die richtigen Worte der Göttergeschlechter“, das zu Owari
im ersten Jahre des Zeitraumes Knan-sei (1789) durch Moto-
ivori-no nobu-taka, einen als Autorität vielfach genannten
Alterthumsforscher, herausgegeben wurde.
Dieses Werk, durchgängig in chinesischer Tbao-Schrift und
Fira-ka-na geschrieben, stützt sich vorzugsweise auf das classische
Furu-koto-bumi, die „Erzählung der alten Begebenheiten“, während
das früher benützte Kami-jo-no maki-no asi-kabi (die geweihten
Schilfknospen der Göttergeschlechter) die alten Urkunden und
Überlieferungen sammelt. Es enthält daher eine Menge Nach
richten, welche in dem zuletzt erwähnten Werke fehlen und liefert
namentlich manche Beiträge zur Kenntniss des auf den ursprüng
lichen Landesglauben gegründeten Gottesdienstes der Japanern Von
den einzelnen Abschnitten, in welchen dasselbe getheilt ist, stimmen
32 *
488
Dr. Pfizmai e r, Die ergänzte japanische Sage.
einige mit den ulten Überlieferungen insofern überein, als sie die
nämli-g en Begebenheiten, aber mit Abweichungen, Zusätzen und
Ergänzungen, wieder erzählen. Bei einer durchaus verschiedenen
Schreibweise zeigt es häufig auch eine verschiedene Mundart.
Durch die Benützung dieses Werkes entstand die gegen
wärtige Abhandlung des Verfassers, die er unter dem Titel : „Die
ergänzte japanische Sage“ hiermit veröffentlicht.
Um seiner Arbeit nebst dem ethnographischen und cultur-
hisforischen Interesse, das sie besitzt, auch Wichtigkeit in sprach
licher Hinsicht zu verleihen, hat er die Tsao- und Fira-lea-na-
Schrift des japanischen Textes, deren Zeichen grösstentheils von
ihm erst entziffert wurden, in das die Vieldeutigkeit ausschliessende
Kata-ka-na umgewandelt und ist übrigens bei der Sonderung und
Erklärung der Zeichenverbindungen, wie in seiner Abhandlung
über die Theogonie der Japaner vorgegangen.
488
Dr. Pfizmai e r, Die ergänzte japanische Sage.
einige mit den ulten Überlieferungen insofern überein, als sie die
nämli-g en Begebenheiten, aber mit Abweichungen, Zusätzen und
Ergänzungen, wieder erzählen. Bei einer durchaus verschiedenen
Schreibweise zeigt es häufig auch eine verschiedene Mundart.
Durch die Benützung dieses Werkes entstand die gegen
wärtige Abhandlung des Verfassers, die er unter dem Titel : „Die
ergänzte japanische Sage“ hiermit veröffentlicht.
Um seiner Arbeit nebst dem ethnographischen und cultur-
hisforischen Interesse, das sie besitzt, auch Wichtigkeit in sprach
licher Hinsicht zu verleihen, hat er die Tsao- und Fira-lea-na-
Schrift des japanischen Textes, deren Zeichen grösstentheils von
ihm erst entziffert wurden, in das die Vieldeutigkeit ausschliessende
Kata-ka-na umgewandelt und ist übrigens bei der Sonderung und
Erklärung der Zeichenverbindungen, wie in seiner Abhandlung
über die Theogonie der Japaner vorgegangen.
Zingeile, Der inagel krune.
481)
Der mag et kröne.
Ein Legendenwerk aus dem 14. Jahrhunderte.
Von Dr. Ignaz V. Zingerle.
Stohen die Dichtungen des 14. Jahrhunderts nach Inhalt und
Form den Leistungen des vorangehenden, an poetischen Erzeug
nissen so reichen Jahrhunderts weit nach, so besitzen jene späteren
Werke dennoch in sprachlicher Beziehung oft grossen Werth und
Reiz. „Denn die Literatur gerieth damals auf's neue und stärker
denn je in alle mundartlichen Besonderheiten, und die Mundarten
selbst gingen stets weiter auseinander“ 1 ). So zeigen diese Denk
mäler viele dialectische Eigenthümlichkeiten, die bei Erforschung
der Volksmundarten nicht zu unterschätzen sind. Eine besondere
Anziehungskraft auf den Fachmann übt namentlich das Nebeneinander
von alten und neuen Formen. Nirgends begegnet uns aber dieses in
höherem Grade, als in den alemannischen und schwäbischen Schrift
werken jener Zeit. Hier begegnen uns noch alte vollklingende
Flexionen neben den Übergängen zum neuen Hochdeutsch. Oft
glaubt man sich hei ihrer Lectüre in die erste Hälfte des 12. Jahr
hunderts zurückversetzt, dann wieder in die Zeit des Fischart und
Braut vorwärts geschnellt. In die Reihe dieser lebhaft dialectisch
gefärbten Werke, die ehrwürdige alte Formen neben jüngeren in
1 ) Wackemagel, Literaturgeschichte S. 129.
490
2 i n g e r 1 e
überraschender Weise bieten, gehört auch das Legendenwerk: der
maget kröne, wie es der Verfasser am Schlüsse selbst nennt:
dis büch, daz ich getiehtet hän,
daz ist genant der maget krön. 160*
Die einzige bisher bekannte Handschrift desselben stammt
aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und befindet sich nun
im Besitze des Kaufmannes Leopold Ettel zu Innsbruck. Sie ist
durchweg von derselben Hand auf Papier geschrieben und zählte
161 Blätter in kleinem Quartformat. Jetzt weist sie mehrere Lücken
auf, denn nach dem 5. Blatte fehlen 19 Blätter, nach dem 39. man
geln 3, eben so gehen die Blätter 46—80 und 126 — 128 ab.
Seinem Inhalt und Zwecke nach ist dies Werk ein Erbauungs
buch für Jungfrauen weltlichen Standes. Dass es nicht für Kloster
frauen bestimmt war, geht aus der auf der letzten Seite angeführten
Stelle hervor: „San Clara, sant Otili, sant Waltpurg, sant Gertraut,
sant Scolastica, sant Breid, sant Fren, sant Genefe, die sint gaistlich
frawen gewesen“. Diese gelten dem Verfasser somit als Vorbilder
für Nonnen, während die in seinem Buche behandelten Heiliginnen
als Muster für die in der Welt lebenden Jungfrauen dienen sollen.
Der Inhalt der maget kröne ist folgender. Nach einer kurzen
Einleitung folgt eine Übersetzung des Salve Begina. Die folgenden
Blätter enthalten Paraphrasen aus dem hohen Liede mit Anwendung
auf Maria und die minnende Seele. Die Aufschriften lauten: „Daz
hernach geschriben stet, ist gelesen aus cantica eantieorum Salo-
mönis. daz geleicht Mariä und och der minnenden sei“ (2 b ). „Ain
teglich epistel von unser frawen“ (3 b ). „Aus dem buch der weishait
Salomönis ain epistel von unser frawen“ (5 b ). Das darauf folgende
Leben Maria's (24“—46") ist theils nach der Bibel, theils nach den
apokryphischen Evangelien gearbeitet. Eines der letztem nennt der
Verfasser ausdrücklich als eine Quelle:
Nü hän ich in ainem büch gelesen,
daz mag och war und gelaublich wesen,
Apöcrafum mans neunen tüt
und ist doch zu gelaubcn güt 26"
Dieser Tlieil war in 6 Capitol gegliedert. Dem Leben Maria’s
schliessen sich die Legenden von den damals verehrtesten heiligen
Der maget kröne.
491
Jungfrauen an. Die Titel lauten: 1. Von sant Barbara (81°); 2. Von
sant Dorothea (94 a ); 3. Von sant Margareten der heiligen jungfraw
(101 b ); 4. Von der heiligen juncfrawen sant Ursula (106 b ); 5. Hie
facht an sant Agnes leben (123 b ); 6. Von sant Lücia (131 a ); 7. Von
sant Cecilia (137 a ); 8. Von sant Crislin (14ß b ); 9. Von sant Ana
stasia (152 b ); 10. Von sant Juliana (156 b ). Den Schluss bildet ein
Epilog (160 b ). Auf der letzten Seite folgt auf die oben angeführte
Aufzählung geistlicher Frauen noch ein Verzeichniss heiliger
Witwen: „Sant Ann, sant Marth, sant Maria Magdalena, sant Elspet,
sant Brigida, sant Helen kunigin, sant Adelhait, die all witwen
gewesen.“
Über den Verfasser mangeln alle Nachrichten. Er wollte der
Welt unbekannt bleiben 1 ), und sein bescheidener Wunsch ist
erfüllt. Höchst wahrscheinlich gehörte er dem geistlichen Stande
an. Dass er der lateinischen Sprache mächtig war, berichtet er
selbst:
und hän von büchen diz gedieht
aus latein ze tautsch gerickt 160 a ,
sowie, dass er sein Werk aus verschiedenen Büchern zusammen
getragen habe :
me wan auz ainem büch
hän ich daz zierist auz gelesen 160“.
Auf seine Reime hält er selbst nicht viel, denn er sieht wohl
ein, dass viele derselben falsch sind, und sagt desshalb:
wem missefalle diz geticht,
der mach ains, wie erz gern hab,
und iü sich falscher reymen ab.
wan ers leicht bezzer tiehten kan,
des im doch mein herz wol gan 161".
Auch schöpferische poetische Gabe fehlt ihm. Er hält sich
ängstlich au seine Vorlagen und als er einmal im Leben der
i) diz bftch ich hie geschriben hän,
daz ich nit ger der weit lön,
dar umb mein nam zu kainer stund
sol von mir ieman werden kund. 160»
492
Z i n g e r 1 e
heil. Dorothea das Farhengleichniss aus Eigenem hinzugibf,
bemerkt er:
dis geleichnus icli nit gelesen hän.
ich häns von aigem sin getan,
wan icli ir wird und eren gan. 94 1 ’
Dagegen versteht er wenigstens in jenem treuherzigen, kind
lich frommen Tone zu erzählen, welcher dem Wesen der Legende
entspricht.
Wie über Namen und Stand des Verfassers sein Werk gänz
lich schweigt, so fehlt auch jede Anspielung auf dessen Heimat 1 ).
Die Sprache jedoch weist entschieden auf die alemannische Abkunft
desselben. Wie die alemannische Mundart am Ursprünglichen,
Alterthümlichen bis spät herab in’s 14. und IS. Jahrhundert zäh
festgehalten hat 2 ), so gebraucht auch unser Verfasser noch häufig
alteFormen. Dahin gehört das 6 in Flexionen 3 ), z.B.: gesegneten 2 b ,
geordnot 3% festnot 3”, genuptöt 31 a , gukötz 40% gemartrot 41%
119% 155% gegeislöt41% gebessröt44% gemachöt82% hangotz 97",
getilkot 111, samnöt 130% verdampnöten 142% verdamnöt 142%
gesigötz 105".
Bemerkenswerth ist der Infinitiv auf un %): fikun 88% ein
anderes Mal auf an 5 ): griezgraman 89 b .
In der 3. Plur. praet. begegnet einmal die Endung an:
nämans 27" 6 ).
Das Part. Praes. liebt die Form und 7 ): wachund 3% schreiund
40% weinund 40% unzerfullund 104". Eben so weist das Adjectiv
*) Die einzige Stelle, die man mit den Lebensverhältnissen des Dichters in Verbin
dung bringen könnte, lautet:
den orden noch die Johannit
durch Mariam tragent sit.
daz baner noch ist weiz gestalt,
dar in ain rötez creuz zwifalt. 45 a
Man könnte daraus schliessen, dass der Verfasser dem Johanniterorden ange
hört, oder in einer Gegend, wo dieser geistliche Orden bestand , gewohnt habe.
2 ) Pfeiffer, über Wesen und Bildung der höfischen Sprache, S. 16.
3) Ebendort S. 20. Weinhold, alemannische Grammatik S 44 und 380.
4 ) Ebendort S. 20. Weinhold, al. Gr. 377.
5) Weinhold, al. Gr. 377,
6) Ehendort S. 344.
7 ) Ehendort S. 380.
Der imget kröne.
493
nackent den Ausgang und, aber auch and auf: nakund 10b b , nakant
24". Der Accusativ plur. tochtran 109" <)> ist auch der alemanni
schen Mundart eigen, wie das i im Nom. sing, des Femininum der
Adjectiva 3 ): liebi Schwester 132", senfti 2\ milti 2\ süssi 2 b .
Besonders weist das im Reime oft vorkommende e statt ei 3 )
(set, gelet, tret) auf die alemannische Mundart des Verfassers,
welche durch die Contractionen sont 4 ) (sullent), went (wellent)^)
und Formen wie har (her)«), ze seinen 7 ) und ähnliche nur bestä
tigt wird.
Da der mag et kröne wohl nie eine vollständige Veröffent
lichung erfahren wird, die sie auch nicht verdient, aber doch man
ches für dieKenntniss des alemannischen Dialectes Beachtenswerte
bietet, stelle ich das in sprachlicher Beziehung Bemerkenswerte
zusammen und lasse zum Schlüsse einige Probestücke mit einem
Verzeichniss der wichtigem Wörter folgen.
Vers und Reim.
Der Versbau ist sehr verwildert. Der Dichter scheint sein
Augenmerk nur den Reimen zugewandt und nur in ihnen das Wesent
liche des Verses gesehen zu haben. Die Gesetze der mittelhoch
deutschen Metrik befolgt er häufig nicht, und eben so wenig misst
er die Verse nach einer bestimmten Anzahl von Sylhen, wie es in
damaliger Zeit Andere thun. Verse mit stumpfem Ausgange haben
wohl in der Regel vier Hebungen, es begegnen uns aber auch solche
mit fünf und drei Hebungen, z. B.
ich well an gezzen und an trinken sein 44 b
biz daz sies zu klainen stucken schlug 84 b
daz er stätiglichen traurens pllac 124 b
von den münchen was sie unerkant 114 1 '
und ähnliche.
*) Weinhold, S. 446.
2 ) Ebendort S. 470.
3 ) Ebendort S, 37.
4 ) Ebendort S. 394.
5 ) Ebendort S. 406. Vergl. ßoner 14, 26. 23, 17. 32, 41.
6 ) Ebendort S. 16. Vergl. ßoner 38, 6, 23. 38, 15. 40, 13.41, 72. 42, 12, 34, u. s w.
7 ) S. ßoner 8, 25. 48, 136.
494
Z i n g e r I e
Dagegen mit drei Helnin gen :
daz er sterbe ich 39“
ez sei daz liailig war 45"
dem bähst was auch gäcli 112"
wan dreu finster sint 83"
daz was all ir ger 118 b
gut oder schwach 133" etc.
Verse mit klingenden Heimen , die nur höchst selten Vorkom
men, haben drei oder vier Hebungen:
sie sprach äne laugen 84 1 '
ich hän auch geschriben funden 26 b
kunic Melchior zen selben stunden 26"
daz sic must ir blüt verreren,
mit eisnen krapfen sie verseren 88"
da von ir herz must laid enpfahen 41 b
In Bezug der Reime ist vorerst zu bemerken, dass noch oft
mittelhochdeutsche Reime uns begegnen, in denen das i noch
nicht in ei, das ü nicht in au gelöst ist, z. B.: ich: ertrich 3",
ich: rieh 136", sich: rieh 161 b , Frankrich: sich 110 b , rieh:
sich 137 b , gelich: sich 84 b , glich: ich 147 b , sich: gelich 113"
u. m. — in (inne): gesin 40", in (eurri) : sin (suam) 104" u. m.
sus: üs 39 b , Jliesus: üs ISO", hüs: Jacobus 44", üs: alsus 37 b ,
139", IS2" u. ähnl.
Rührende Reime (Grimm 2—14.) kommen nicht häufig vor.
Ich habe folgende verzeichnet: stalt (stalte): gestalt 97", gesetz
(lex): gesetzt 37 b , sein (suus): sein (esse) 27", wart: bewart
94", mir: mir 132 b , stau: verstau 37". Einige Male begegnen uns
Reime auf lieh (Grimm IS—22): sunderlich: hertiklich 90", tugent-
üch: gelich 94", minniklich: gelich 81", täglich: ewiglich 100",
weidenlich: gelich 107", wunniglich: gelich 81 b . Der Reim heit:
heit (Grimm S. 22) findet sich nur einmal: Weisheit: beschaiden-
hait 36", wie keit: heit: erberkait: weisiiait 107". Die Bindung von
keit; keit (Grimm S. 24) zeigt sich zwei Mal: gerechtikait: frevel-
kait 38", barmherzikait: gütikait 88". Für sam: sam fand ich nur
einen Beleg: lobesam: sam 3S".
Ungenaue Reime zeigt unser Gedicht sehr oft, und der Verfasser
fühlte selbst, wie es sich aus der oben angeführten Stelle ergibt,
Der mag’et kröne.
495
diese schwache Seite seiner Arbeit. Sehr oft sind a : ä gebunden:
ran: hän 44% an: bän 120% 158% an: verlän 120% gewan: under-
tän 124% kan: stän 124% dan: stän 143% gar: schwär 111% mär
(maere): dar 151“, gäch: sprach 45% gar: iär 34% slalien: empfä-
hen 41% kämen: ze samen 24 b .
Allein nicht nur langes und kurzes a, auch tl und 6 werden
gekoppelt, z. B.: gän: schon 36“, hän: Ion 82“, hän: schon 89%
begän: schon 114% getan: Ion 144% stän: schon 152% hän: krön
160“ u. ähnl.
Eben so .wird 6 und ä gebunden, z. B.: schon: undertän 36“,
frön: stän 44% schön: gän 114% 151% krön: hän 120% schön: hän
139% lön; getän 159% schön: män 5“.
Selten sind e und e gereimt: dem: Bethlem 25"% ver (verre) :
ver 85% ger (-Verlangen): wer (waere) 106% profet: tet 25% ser:
ger 36%
Öfters sind langes und kurzes i gebunden: hin: kindelin 25%
sich: rieh 161% ich: ertrich 3% Frankrich: sich 110 b , wich: sich
115 b , rieh: sich 34% 137% Dazu sind auch die Fälle zu zählen,
wo i, welches bei unserm Dichter ie vertritt, mit i gebunden ist:
r: schir 104% 151% dir: schir 31“, schir: ir 26% 109% 110% 113%
131% schir: wir 83% schir: dir 13.0% 134“. Manchmal ist schier in
solchen Reimen geschrieben, was zu den zwei Bindungen von i und ie
stimmt: wirf: ziert 108% gebiet r): nit 151% Einmal ist i (ie) mit
ü (statt üe) gebunden: betrigen: genügen 98“. Wie a und ä, e und e
i und l, so sind auch kurzes und langes o gereimt, z. B.: gehört:
wort 96% 118% och: hoch 3“, 24“, hoch: och 90% 107% körn:
Rom 28% Rom: kom 34% och: zöch 44% got: gemartröt 119%
hoch: noch 105% erhört: wort 133“. Zu bemerken sind hier noch
die Reime: von: nun 104% tot: fröut 34% zwo: zu 151%
Kurzes und langes u sind mir nur zweimal begegnet: tun
(tuon): sun (filius) 108% sun: reichtum 124“. Von andern hieher
gehörigen Reimen bemerke ich noch: kuß (osculum): verdroß 27%
sun: von 39% 120% dar zu: zwo 41% gemaind: freund 35%
Consonantisch ungenaue Reime bietet unser Legendenwerk
oft. So bindet der Verfasser m und n:
*) Geschrieben : gebüt (er gebiete).
496
Z i n g- e r I e
vernam: dan 29“": gan (begann) 89 1 ’: enliran 95": gewan
124". man 149".
nam: dan 36", 38“, 149": dienstman 113“.
sam: an 131".
kam: an 84": began 104“.
brütgum : sun 37".
bäm<): bän 30", 31“.
liaim: main 108“: alfersain 109“: inain 132" und viele andere.
Eben so n und m:
an: kam 31", 141", 146“, 148“.
dan: kam 29": nam 109“.
m a n: kam 160“.
verlän: kam 97".
stain: haim 44“.
a i n: haim 114", 1 IS“.
Einige Male fehlt das auslautende n im zweiten Reime, z. B.:
schin 2 ): Engadi 4“, bin: wüsti s) (desertum). In den Versen:
und folgte iren leren
und dint in immer mere
st wohl zu bessern: irer lere.
Sehr häufig gebraucht der Verfasser z, das er meist ß, oft
auch s schreibt, im Reime auf s z. B. :
was: daz 24“, 42“, 43“, 84". 94", 120", 130", 131", 143", 158",
107". 110“", 112": saz 99“, 105“: besaz 45": faz 105“, 111", 115",
152", 155".
palas: daz 100“.
breis: fleiz 123".
verlos: blöz 153“.
sus: uz 4 ) 39", Jhesus: uz 150“.
Hieher sind auch die Reime zu rechnen: haus: aus 34", 36“,
40“", 82", 125", 134", 146", 154“ u. äbnl.
z: s. saz: was 29", 87“, 89“, 94“, 95“: las 36".
besaz: was 111“, 112".
i) H . bäum.
a ) HS. schein.
3 ) HS. wüste.
4 ) HS. aus
Der (naget kröne.
497
faz: was 95% 105", 123", 130% 142%
daz: was 96%
gröz: verlos 35“ u. ähnl.
Wir linden somit in unserem Gedichte s und z sehr oft gereimt,
wie dies auch bei Bon er so häufig vorkommt *).
Von anderen ungenauen Reimen bemerkte ich :
b: g. reben: legen 42% leben: gelegen 112% gelouben: lougen
97". gehabt: gesagt 5".
g: b. tragent: habent 160".
gst: st. magst: enpfäst 140“".
rz : ch. swarz : sprach 144".
g : t. mag: stat 87".
ch: cht. specli (exploratio): knecht 112% himelreich:
geleicht 141%
ckt: cht. bedackt: gemacht 141".
st: chst. bist: sichst 138".
st: ß. erlöst: groß 101“.
st: rst. gebiist: wirst 132".
sp : st. Krispen: Kalisten 97%
ns : s. uns: Jhesus 2%
m : nd. kumen: stunden 129“.
t: pt. gepöt: hopt (houbet) 106“.
Überblickt man diese ungenauen Reime, so findet man noch
hier im Allgemeinen die im Althochdeutschen geltende Regel
gewahrt, dass bei gleichem Vocale verschiedene Consonanten, die
aber nicht ungleichartig sein dürfen, bei gleichen Consonanten ver
schiedene Vocale zulässig sind. (Wackernagel, Literaturgeschichte
S. S9. Grimm, deutscher Reim S. 69.)
Erweiterte Reime (Grimm S. 80—87) finden sich nicht selten.
1. be : be. besant: bekant 111%
2. ge: ge. gehabt: gesagt 5% geliert: gekert S“, gesucht;
gerücht 35% gesind: geschwind 35", genant: gemant 113% gebern:
gewern 106% genackt: gesmackt 140“.
>) Z. li. daz: was 24, 5. 30, 2. 32, 33. 34, 1. 35, 21. 40, 1. 57, 1. 58, 15. 65,
23; hus: Az 13, 15. 59, 31; baz: paias 41, 40; uz: mös 43, 49; mfls: flz 44,
35; saz: las 62, 1; uz: hfts 63, 3. 72. 3; was: haz 63, 17; verkös; verdröz 64,
1; was: baz 69, 17 etc.
498
Z i n g e r I e
3. berge, beschaeh: gebrach 24", 95% bekert: gelert 100%
110% berait: gelait 26% 82% betrigen: genügen 98% bekant:
genant 141% bedackt: gemacht 141% begert: gewert 142%
4. ge :be. gesprach: bescbach 90% gewert: begert 94“ 106",
108% gemant: bekant 140% genant: bekant 112“.
5. er : er. erwacht: erkracht 42% erstarb: erwarb 124“,
ermant: erkant 112".
6. ver: ver. verreren: verseren 88“.
7. er: ver. erkurn: verlurn 141“.
Von Doppelreimen (Grimm S. 69) bemerke ich: erwarb: er
starb 112% sie stet: sie bet 132% kestiget ser: kestiget mer 119%
zu ir: zu dir 120% mein gut: mein müt 123% ir mer: ir er 5“, esten
weit: besten zeit 30% dd kam: dö nam 31% so krank: so lank 41",
ir sach: ir sprach 42%
Gleitende Reime beobachtete ich nicht. Die Zahl der Reim
häufungen (Grimm S. 96 — 106) ist nicht gross. Ich konnte nur
folgende Fälle finden:
biz zu der stat hin gen Rom,
der bäbst in da engegen kom
und hiez al pfafhait mit im gän. 110"
da man zu tisch wolt, gesezzen sein,
da bet man dannoch nindert wein,
ez spraeh Mariä: waz mag daz sein? *) 37"
Vier gleiche Reime kommen in folgenden Stellen vor:
da sie in den tempel kam gegän,
da was der priester Symeän
ain alt profet, ain greiser man,
dem von got was kunt getan. 27"
I
Da siz so lang getriben het,
sie sprach: „ez hat wol war geset,
Symeön, der alt profet,
da sich das alles ergangen het. 43"
r) HS. er sprach | wer mag.
Der maget kröne. 499
„Und morn wirst enpfähen schon
von deiner arbait deinen Ion:
die krön der martrer solt du hän.“
da mid schied er sich dannen schön. 89“
Oder der gedacht ir marter ser
und ircn namen het in er,
und sunderlich was ir ger,
weihe fraw schwanger wer. 106“
„Ich behalt der fürsten hot,
daz hast du gar für ainen spot.“
sie sprach: „du heltest der fürsten bot,
so halt ich die gesetz von meinem got.“ 133 b
Do hiez sie geben dö ze stet
durch got alles, daz sie het
und bat Urban, daz er daz tet
durch got. dar umb sie in fruntlich bet. 146“
bei der mes und bei dem gebet
oder bredig, die man ze kirclien tet.
dö er daz alles samt geset
vil bözhait, die er getan het. 1 S8 b
Dis buch, daz ich getichtet hän,
daz ist genant der maget krön
wan Mariä tret die krön
hoch ob allen magten schön. 160“
Diese Reimhäufungen sind zufällig und zerstreut, wie in
Rudolfs gutem Gerhart (319-22, 1047—SO, 1S13—16, 163S
—1638, 1673—76, 184S-48, 1879-82,2343-46,4769—72)
und Rarlaam 94, 21. 96, 3. ISS, IS. 222, 27 etc.; denn sie kehren
nicht regelmässig wieder, wie bei Wirnt und Heinrich von Türlein,
welche Abschnitte mit drei Reimen schliessen, oder bei Hugo von
Langenstein, der in seiner Martina Schlüsse mit vier gleichen
Reimen hat.
So viel über die Reime! — Um die Eigentümlichkeiten der
Mundart unseres Verfassers erkennen zu lassen, gebe ich eine Über-
I
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Z i n g’ e r 1 e
sieht der Vocale und Consonanten, soweit dieselben von der mittel
hochdeutschen Sprache ab weichen. Es wird sich daraus ergeben,
dass, unser Verfasser, wie schon oben bemerkt worden ist, ein Ale-
manne war.
A slatt des Umlautes e 1 ): schamlieh 39", maget (gen. plur.)
160", magten (dat. plur.) 160", 161", maget (acc. plur.) 161" etc.,
fravelkait 141.”, amsiklich 5”, phard 86", geschlacht (genus) 81",
137”, 144”, geschlacktes 144”, karker 34”, 98”, 104", 120"”.
a für gebrochenes e 2 ): har (:gar) 40”, drameln (dremeln)
9S”, gäbe 130”.
a für o 3 ): enpfallen (enpfolhen) 43", 83”, 85”, ab (ab er
wil) 120".
ä für ae. Hierher gehören war (waere), mar (rnaere), die oft
im Reime mit einander gebunden Vorkommen: 24”, 25", 26", 28",
29", 125", 143” etc.,schwär (swaere) 28”, 124”, säldenbär (saelden-
baere) 130”, wäger 87", sälig 5", unsälig 150”, unsäligiu 145", stätig-
lich 134”, ungemässigt 137”, 139”, gäbe (gaebe) 130”.
ä für ei: öhäm 44”, 112", urtäl 145”, 159".
ä für ou 4 ): bäm 30”, 31“, weiräch 26", urläb 27".
ä für 6: län (Ion) 134" und die vielen Fälle, wo dä für dö
steht:
dä begunde Mariä klagen 38”
dä ir von den jungem wart gesagt 39”
dä ez dä nähet gen dem tag 40"
dä nü der höhe tag auf kam 40”.
Belege finden sich auf jeder Seite 5 ).
ä für ou: geträmet 140", trämen 140“.
ä für ö u: hä 26".
e für a 6 ): weld (Wald) 29", zu semen 110", ze semen 135",
bet (bat) 135”, 146", wen (wan) 118”. unbermig 42".
1) Weinhold S. 13 ff.
2) Ebendort S. 16.
3 ) Ebendort S. 16.
4 ) Ebendort S. 35.
5 ) Ebendort S. 35.
6 J Ebendort S. 19.
IJer muffet kröne. i) 0 1
e für i: breiigen 29", breiig 85", brengent 142", er (ir) 125\
ungetrewen 86", rewen 86".
Die Apocope des stummen und tonlosen e gilt als Hegel 1 ),
z. B.: niinn 4 b , stund (liora) 4 b , erhört 24", spur! 24 1 ’, mär (maere)
24 b , 25", 26", war (waere) 24”, 25" u. oft., sei 27 b , begund 25 b ,
erd 26 b .
e für ä: etwe 110". 113", 124".
e für an 1 ): wer (waere) 24 b , 35 b , 36", 39", 40", 41". 82",
90", 95", 98", 99", 107", 118", 125", 144", 147", seiden 123", mer
(maere) 119", 133", 147", wenent i 29", kern 161", schmehin 40",
e fiir ie 3 ): verlören 120".
e für e : 4 ) öhem 111". Sehr häufig kommt dies ebei Zusammen
ziehungen anstatt des mbd. ei vor z. B. let 26", 43", 86", 94", 96",
111", 119", 142", 146", 148", gelöt 44", 90", 94", 105", 129", 133",
141", 151", 152", set 36", 45"", 82", 88", 100", 105", 108", 111",
115".
seten 108"", 125", 143", 147".
geset 34"", 39", 43", unverset 99".
tret 106", 137“, 123", 124", 137", 152"".
Meist ist hier e durch den Reim belegt. Seltener kommt dafür ai
im Heime vor, z. B. gelait: baimlikait 45", berait: unversait 106",
hailikait: sait 115", berait: sail 133“. gothait: sait 141", trait: stätti-
kait 145", emtzikait: gelait 160".
i für es); finster (Fenster) 82", 83", 85", birge (montes)
110". Einige Mal begegnet i für e in Flexionen: manit 26",
sehmehin 40", kumist 98", gottin (diis) 125", senfti, milti, süssi 2",
liebi 5", 132".
i für ü (u) kinig 107".
i für ie «): ging 84". 129", 130", 138", 139". gingen 31*,
beging 34", volging 35".
fingen 136", anfing 34“, fing 35"", behüt 37", wilt 37".
*) Weinhold S. 22.
3 ) Ebendort S. 40.
Ebendort S. 38.
4 ) Ebendort S. 39.
5 ) Ebendort S. 24.
6 ) Ebendort S. 41.
siui,. d. phii.^iist. ci xi.vii. na. ii. net. ; J ,3
502
Z i n g; e r 1 e
Dabei finden sich Reime zwischen i und ie: dir: schier 31“,
ir: schier 104", 131\ wirf: ziert 108", schier: ir 26", 109'’, HO 1 ’,
113", schier - wir 83”, schier: dir 130 1 ’, 134".
o für a !): botschofft 25", 82".
o für u 3 ): erzornt 145", worde 29", zogen 30".
o für e 3 ): opfel (pl.) 30", 98". 99"", 100" schopfer 87 b .
6 für ie: lof 99", 109 b .
6 für ou 4 ) to 118", sömer 24“, ögen 2 b , togen (von gotes
fügen haimlikait) 45".
ü für ä schlüffen (dormire) 29", 133", noch (nach) 83".
o für ei: züget 4", züg 4", zogt (zeigete) 25".
Anstatt des Umlautes oe steht öfters ü, z. B. schüner 107",
schönem 130", höre 131", loser (Erlöser) 24", erlösen 24", töten
(perimere) 29", lösung 28".
Dass ö in Flexionen uns oft begegnet, ist schon bemerkt wor
den. Von Reimen sind hier beachtenswerth: von: nun 104 b , sun
(filium): von 107" fün: gewon 146“, tün: von 147", 157" dar zu: zwo
41" und die früher angeführten Bindungen von ä und ü. An dieser
Stelle mag auch bemerkt werden, dass ansfalt oucli beinahe immer
och gebraucht wird, oft im Reime, och: hoch 3", 24": zöch 44",
doch: och 43", hoch: och 90", 107".
u für i 5 ) nundert 36", nutz (nihil) 34", 98", 34", 324", schruens
(clamabant) 41" 6 ).
u für o: stulzen 144".
u für a: Urselu (: nü) 110".
ü fü r i e: 1 uff 100".
ü für 6: gebut 158" 7 ).
ü für uo 8 ) begegnet unzählige Male, z. B. grüz 2", gesucht
4", 5", bub 4", büch 5", 26", fürt (vuorte) 24", trüg 24", 34", stund
(stabat) 25", tut 26“, güt 26", 31", hüt (huote) 31", erschlug 34“,
1) Weinhold S. 27.
2 ) Ebendort S. 26.
3) Ebendort S. 28.
4 ) Ebendort S. 43.
5 ) Ebendort S. 31.
6 ) Ein ander Mal: schreuens 40b. S. Weinhold S. 326.
7 ) Weinhold S. 48.
8 ) Ebendort S. 48.
Der maget kröne. 503
knie38", buben43“, mümen 44\ etc. Selten wird es für in gebraucht:
fegfur 2", fründ 136“, tür 24 b , früntlicb 146“.
ü vertritt sowohl iu, z. ß. fründen 129 b . fründ 129", früntlicb
135\ haimstür 95“, für 2", triien (triuwen) 2", als üe, z. B. trüge
107 b , hüten 86".
Überdies finden wir ii oft für u, z. B. begünd (begunde) 42 1 ’,
31 b , künden 34", stünden (lioris) 34", sün (filius) 34 b , 39 b , kiint
(kunt) 34 b , liüld (hulde) 41", sünderbar 111", und uo, z. B. unmüd
(unmuot) 27 b , stiind (stabat) 31 b , erschlüg 34", trüg 34", wüchs
36", 43 b , tiin 45", magtüm 108 b , mümen 110 b , stül 111", müter 112 b ,
rüten 97".
y. begegnet selten: waynend 114", reymen 161", mynst
(minnist) 131", sey 16l b , bey 161 b , ymati 90 b , 161", kynig 107 b ,
108", leymlin (lembelin) 129 b , kyles 31".
Diphthonge.
Ai steht regelmässig für das Mittelhochdeutsche ei: *) liaiden
129", 136", laid 135\ kaine 96", baiß 96", flaisch 97", berait 98"
etc. Belege dafür gibt jede Seite.
ai für e: taiglich (quotidie) 133".
au für ä 3 ): audren 86 b .
au für ü findet sieb sehr häufig: braut 37", trauren 36 b , 37",
auf 98", tausent 106", aus 36", haus 36", daucht 107 b etc.
au für ou 3 ) : auch 38", 105 b , tauf 84", gelauben 26", 41", 136",
zauber 135 b , beraubet 136 b , schlauffen 148 b , 153 b .
au für iu: wercklauten 82", wercklaut 82 b , lauten 135", 136"\
graulich 109", taufschem 112", saulfzen 148 b .
au für öu: frawd 136", fräuden 137\
e i für i: leig dä 104 b 4 ).
ei für i 5 ) sehr oft: deines leibes 2 b , mein, sein 5 b , seinem 24",
schein 25", Schreiber 25", sitleich 25 b , zeit 27", greiser 27 b , sebrein
83“. Selbst im Reime auf i ist ei geschrieben, z. B. reich: gewal-
*) Weinhold S. 49.
2 ) Ebendort S. 52.
3 ) Ebendort S. 51.
4 ) Ebendort S. 56.
5 ) Ebendort. S. 54.
33*
Z i ii g e r 1 e
SO 4
tiglich 29“, reich; sich 35" in; gesein 40“, geleich: sich 84 b , ka
rnerlein ; in 86", dienerin: sein: 88“ i tc.
ei für e: J ) leymlin (lembelin) 129".
eu für iu 2 ) ist gewöhnlich: dreu 83 b , 85“, 108“, feur 98“,
heut 136 ab , reu 136", teufe] 105°, ungeheur 104“, deumüt 94 b .
ie für i s ): sieder 45“, siech (video) 31 b .
oi für oe '*): boislieh 134“.
oi für öu 5 ): froide 26 b , 95 b , 124", 129 b , froiden 82", 84 b , 97 b ,
130“, 141", die Form freuden 123“, 130“.
ue für uo: tuent 143“, mueter 29", luez S4“, huel 98“.
ii e fii r iu: ich biiet 30 b .
ui sieht häufig für iu «): tuir 96", 97", 143", 145", 149", tuier
86“, fuir 89", 97", 123", 149", liuit (hodie) 130“, ungehuir 97“,
stuir 123“, 132", verluis 134", tuifels 135“, drui 141“, huien
(hiuwen) praet. pl. v. houwe. 100", luimunt 107".
ui für ie: Inuit 99“, knuiet 104“, luiff 40“.
ui für uo: luid 109".
Zu bemerken ist hier auch das part. praet. verspuien 39" 7 ).
Consonanten.
M, N, R.
M 8 ) einfaches oder geminirtes tritt an die Stelle von mh"
z. B. lam 39“, tumin 39“, 147", tummer 84", kurner 120", 135",
drum 143“,
Dagegen hat sich h in umb 39", 40“, 41“ erhalten,
m tritt an die Stelle von n vor b, p 9 ), z. B. amplicks 40,
amplick 98".
») Weinliold S. ää.
2 ) Ebendort S. 59.
3 ) Ebendort S. 60.
4 ) Ebendort S. 65.
5 ) Ebendort S. 65.
6 ) Ebendort S. 70.
7 ) Ebendort S. 326.
8 ) Ebendort S. 13 i.
9 ) Ebendort S. 132.
Der magel kröne. 503
m an der Stelle von n im Auslaute: 4 ) heschem 2 b , krislem 84".
n ist ausgestossen 2 ) in diest 137".
Dagegen wird n eingeschnben in der 2. plur. der Verba: sul-
lent 83 b , 139 b , tünd 37 b , tragent 37 b , schepfentz 37“, folgent 83\
macheut 83 b , legent 83 b , 142", sag'ent 83", 142", lialtent 139 b , irrent
142 b , biengent 142 b , tuent 143", gelaubent 144", gebeut 159\
Ausserdem ist n eingeschoben 3 ) in: liohent 5" 4 ), mageut 26“,
29 b , 114", seurifzen 42 b , 43 b , krefftenkleich 28 b , lugent (luogete)
140", der achtend tag 120".
n statt m: hain 27".
r wird umgestellt 5 ) opfren 143 b , audren 86 b , ädren 88", wun-
dret 96".
In Bezug der Mutae muss zuerst bemerkt werden, dass im Aus
laute sehr oft nicht die Tennis eintritt, sondern die Media beibehalten
wird, z. B. leid 27 b , lag 28", land 28 b , kund 28 b , aufgang 28 b , mag
29", hüb 29", tag 30", werd 31", belaib 31\ pflag 34", erslüg 34",
trüg 34", gab 93", lob 100 b , ging 82"\ 84" b , enpfing 85".
B, P, Pf, F.
B für p im Anlaute 6 ): breis 123 b , bovel (populus), 40", bar-
deis 100", gebreisen 123 L , 137".
b für w: 7 ) albec 5 b .
p für b 8 ) begegnet olt: püß 38 b , ich pit 44 6 , gepot 81\ 96 b ,
97 l , 98 b , 100 b , 120\ geporn 81", 137", posen 86", peeh 136", pet
115 b , 137 b , gepet 137 b , erparm 142", pis berait 35", gepain 100 b .
p tritt an m vor t: nempt (nemnet) 84 b , nampt (praet. v.
nemne) 107" °).
f steht im Anlaute für v: folk 27 b , 44", folkes 44", finger 44 b ,
86 b , falsch 81", ferch 39 b , fas 105", fand 29", Sl b , fart 30“, (ich
30" etc.
’) Weinhold S. 131.
*) Ebendort S. 168.
3 ) Ebendort S. 170.
4 ) und sö auf in die höhent gat li a .
5 ) Weinhold S, 16ö.
6 ) Ebendort S. 118.
*) Ebendort S. 120.
8 ) Ebendort S. 114.
9 ) Ebendort S. 116.
SO 6
Z i i) <• e r I e
Sehr häufig ist f geminiert: ') senfFti 2% geschult' 3% tieffen 3 a ,
kraift 3 1 ’, schlaffen 4% 5% 27“, kunfftig 24% schaff, ovis 29 1 ’, gelolfen
30% seuffzen 124% reiffen 4“.
Für ph (f) sieht pf: enpfalch 146% enpfilche 146% enpfalen
(enpholhen) 83' 1 .
D, T, Z.
D steht im Anlaute manchmal für t: a ) drinken 38% dochter82%
90 f % gedaulft 45”.
Auch im Inlaute vertritt d %) zuweilen die Tenuis: täden 83%
träden 110% rieden 120% eidel 129%
Ja selbst der Auslaut 4 ) zeigt uns diese Verwechslung nicht
selten: mid 36% 41% 45% 88% 89% 94% 97% 110% 115% 139%
154% trad 104% unmüd (unmuot) 28% 104% versnaid 44% leud 31%
beud 31% Auch die 2. pers. plur. praes. hat d: folgend 83%
legend 83% sagend 85% haltend 139% tünd 37% Im Auslaute fällt d
(t), besonders bei parf. praes., zuweilen ab: schmecken 100”, tau-
sen 135% reden 136% begeren 130% leren 130%
d tritt im Gerundiv ans n an (Weinhold S. 378): und fang zu
sagend also an 155.
t für d 5 ) im Anlaute: trit, (tertius) 34% trö 89% faucht 114%
84% betaut 123%
Im Inlaute begegnet dies t nur einmal: behentlich 120%
Oft wird t im Inlaute 6 ) geminirt, z. B. betten 25“, bettet
120% tötfen (mortuum) 43% gebotten 31% erbotten 35% enlbotten
130% vatter 108”.
Einmal ist es eingeschoben: abtgot 96%
Oft tritt t auslautend an die Stelle von de, z. B. stunt 98%
104% 135% 140% milt 107% 137% balt 144".
Im Auslaute fällt auch t nach ch fort 7 ), z. B. des f'orcli ich
144% die forch 144% zu forch 144% haub 98%
*) Weinhold S. 123.
2 ) Ebendort S. 141.
3 ) Ebendort S. 143.
J) Ebendort S. 146.
5 ) Ebendort S. 133.
6 ) Ebendort S. 136.
7 ) Ebendort S. 140,
Der mnget kröne.
507
z begegnet im Anlaute statt t *) einige Mal: zwank 34 1 ’, he-
zwanck 104% 120% bezwungen 107% 144% zwerchen 44% zwa-
hen 41%
Iminlaute wird z zuweilen geminirt 2 ): grözzer4'% grözzem 40%
grözzes 29% Gewöhnlich steht im Inlaute slatt des weichen z, ss
oder sz, im Auslaute s. — Öfters begegnet z im Auslaute bei apo-
kopirtem sie, z. B. fürlz (furte sie) 89% guckotz 83'% maintz 83 1 '
lertz 81% schepfenfz 37“.
G, K, Cb, H.
G 3 ) tritt an die Stelle des k: kräng 38% Frangreich 110%
g für ch: fäg (vähe) 156% sag 42 1 ’, 110". Einmal degegnet
sagh 132 1 ’ 4 ).
k für h: nngenukt 120%
k wechselt in der Schreibweise mit cb: trachen 29% tracken
29'', chiim 4% küm 4".
k ist eingeschoben: kristenkliche 84%
ch für h 5 ) vor t kommt gewöhnlich vor, z. B. kriecht 37%
85% nichtz 98% gericht 40% gerechter 43“, nacht 41% angesicht
42% nachtes 39% frucht 4% genucht 4% rechten 4'% durchsich
tig 81".
h fällt in niht gewöhnlich aus, z. B. nit 90% 97% 98% 99%
Auch im Auslaute fehlt es in: wel fraw 101%
S und Sch.
S statt z sehr häufig: 6 ) siis, (dulcis) 4% hies 95% sas 94% fleis
94% tüs, (pedes) 135% aus 139% las 120% Dass s und z in Reimen
oft gebunden sind, wurde schon früher bemerkt. — Manchmal werden
z und zz durch ss bezeichnet: begossen 44% grössez 45% süssen
81% unmässen 81% wissen 82% wasser 82% ungessen 120%
An die Stelle des s vor I, m, n, w tritt gewöhnlich sch 7 ),
z. B. schmächait 84% schleif 86% schlug 86% geschwind 83%
*) Weinhold S. 141 und 147.
2 ) Ebendort S. 150.
3 ) Ebendort S. 179.
4 ) dd sie erwachte und auf sagh (: sprach)
5 ) Weinhold S. 189.
6 ) Ebendort S. 52.
7 ) Ebendort S. 154.
308
Z i u «r e r 1 e
schwach 118", schnait ll9 b , verschwant 120", scliwester 132",
schlöfen 133 b , schwert 41\ 42", 43 r ', schmerz 43 1 ’, schiegen
41 b , etc.
Doch begegnel auch noch s, z. B. smack 4", sweb 101", sie
bet 147 6 , sweben 152\ versmähen 118", slahen 118' 1 , swert 138",
swartz 144\
st für seht: *) gewijnst 82", gewunst 1 18", wunsf 130\
‘) Weinhold S. 156.
Der maget kröne.
509
I. Einleitung.
Ich hört in aincr bredig sagen,
daz sant Bernhart in seynen tagen
hat got mit ganzem fleis,
daz er sehe der seien weis.
5 Dar nach der gut Bernhart
in dem gaist enzucket wart
und kam zu der helle dar.
da wart er grosses iämmers gewar,
und da was kain trost an.
10 da von sein hercz gross laid gewan.
dar nach kam er zum fegfiir.
da was schimpfen, lachen tür,
wan daz sie hetten den trost,
sie würden schier da von erlöst,
IS daz du, Mariä, für sie bettest
und daz mit ganczen trüen tetest.
des seten sei dir genäd und danck
und sungen. dir den lobsanc
mit willen ainhellic da :
20 daz salve regin ä,
daz man gewonlicli singt,
so man die vesperzeit volbringt
und der samstag ende hat,
daz man in teutsch also verstät:
2S mein grüß sey dir gesait,
ein künigin der barmherczikait.
unser geding und lehen gesuost, 2 b
Mariä, du seist gegruost!
eilend Even kind sein wir
30 und schreiend, seulfzend zu dir
16 tatest
18 lobsang
23 samstat
27 gesuot
510
Z i n g- e r I e
mit weinen, heschem äne zal
iiie in diesem zäher tal.
Eia dar umb, unser fogtln,
die barmherczig ögen din
3S die ker bald her zu uns,
und deinen sun Jhesus,
den gesegnöten Crist,
der die fruebt deines Ieibes ist,
den zeig uns bebend
40 hie nach diesem eilend.
6 senfti, 6 milti,
o Maria sussi!
II. Aiu teglicli epistel von unser frawen.
Auch Sälomön gesprochen Mt:
kraft und schöne ist ir wät
und wirt nach der buch sag
lachen an dem jüngsten tag.
5 sie wirt auf tun iren münt,
dem all weisliait ist wol kunt,
und der gesetzt senftmüdikait
für triftet allen halb Bl. 4 a
all kostlieh specerei
10 und och all wurz da pei.
vergangen ist der winter kalt
mit sehne und reiffen manigfalt,
der so lang ist hie gelegen,
hin vergangen ist der regen.
IS die blümen geben liechten schin,
und die weingart Engadi,
34 dein
39 zeug
12 schnee
13 schein
Der mag'et kröne.
511
die liänt irn smack so gut
und die stau in voller blut.
die turteltaub ist wider komen,
20 der vogel sang bab wir vernomen
bie in unserm land.
stand auf, eil, chüm her zu hant!
eliiim, du allerliebste frö,
von dem berg Libanö!
23 ich wil dir setzen auf die krön
für alle megt und frawen schon,
ker her wider, ker her wider!
mich hat belanget nach dir sider,
du bist mir lieb für alles dis,
30 mein liebe Sünamitis.
küm, das ich dich rure so,
von dem berg Libanö.
der feigenbaum hat brächt sein frucht, Bl. 4 b
her wider wachset all genucht.
33 zöget mir, ir tocliter von Syön,
die aller liebsten, so ich hän.
ich hän sie gesucht an maniger stet,
die mein sele da lieb liet.
und ich sie da vant,
40 ich halst sie mit meiner rechten hant
und hüb sie und wolt sie han,
und wil sie nimer me gelän.
ich hän sie küsset an den nuint,
ir grözzer minn tet sie mir kunt.
43 ich beschwere euch, tocliter von Syön,
länt mir mein lieben släfen schön,
die zarten, die ich lieb hän,
biz daz sie selber well aufstän.
ö du schönste gespünst mein,
30 zog mir daz schön antlut dein.
23 raw
27 fieder
44 in
512
Z i ii g c r I e
III. Ans Mnrin's Leben. V. Capitel.
Da wart, ain enge] ausgesant Bl. 29"
Zu Joseph, da ern schloffen farit.
der sprach: „Joseph bis gemant,
var hin in Egiptenland
S mit kind und mueter zu dieser frist,
wan von Herodes künftig ist,
er sucht daz kint, oh er ez lint.
dar umh hinnan ker geschwind,
er wil ez toten, ob er mag.
10 beleih och da, bis ich dir sag,
wan die kunig im seten mär,
daz ain kint geboren war,
daz gewunn al der weit gewalt.“
da liatt er sorg manigfalt,
15 er worde verstozzen von seinem rieh
von dem kind gewaltiglieh,
da daz Joseph also vernam,
der hüb sich in der nacht von dan,
und niet sich grozzer arbait.
20 mit grozzem schrecken und och lait
zoeh er durch die wüsten wild,
durch weld und och gefdd,
da man in dem selben land
lewen, lebart, trachen fand,
2S wurm, tier grausemlich.
an ainem tage wolten sich
nider da zu herberg schlahen.
Joseph daz kint tet enpfähen
und half im auch vom esel ab.
30 da was Jhesus der werde knab
me denn über zwai iär wol,
als ain kint denn reden sol.
15 reich
30 Joseph
Der maget kröne.
513
t
o
i
mit dem sie da nider saz,
da ain grözzes hol was
35 und nara ir kint da in die schöz.
dar auz gingen traeken gröz
und kamen grimin tier aueli dar.
da des Mariä wart gewar,
des erschrack die magent rain,
40 mit ir auch ir gesind gemain.
der wären junger knaben drei
und ain magt Mariä hei,
daz ir wirdickait wol zam.
der gut Joseph auch mit im nam,
45 waz er seins guts mocht breiigen dan.
esel, rinde, schäf er nam.
der solten dä die knaben pflegen
und sie verwarten an den wegen,
die knaben auch erschräken ser.
50 daz kint sprach: „ir furcht nit mer!
sie sint uns nit ze laidc kummen,
wan sie sint kummen uns ze frummen.“
dä mit es in engegen gie. Bl. 30 a
dä fielens gen im auf die knie
55 und petten daz kint dä an,
dem iegleiehs besunder naigen began.
Dä nu der tag morn kam,
Joseph Mariäm aber nam
und furt sie für baz durch den walt.
60 die tier gelofTen kämen halt
und gingen vor in hin die weg
und betten sie dä in ir pfleg,
als ain bunt smaichen begint,
so er seinen herren fint.
65 dä ez nü an den äbend kam,
Joseph die herberg aber nam
und wolt dä beieiben über nacht,
dä er nit fürbaz kumen macht,
da het er sich dä auf die fart
70 mit trinken, kost gar wol bewarf.
a
IS 1 4
Z i n g e r I e
die lier beim fieli da auf der waid
täten nie kainem kain laid.
da sie nü beliben über nacht,
moiiiund für baz hettens tracht
75 und zogen durch den wilden tan.
dew tier giengen vor in dan
und weisten sie den besten pfat
durch die wüst an aller stat. Bl. 30 1 '
da kämens auf ain haide weit,
<S0 da wuchs nicht ze baiden seit
bäum, weder laup noch gras,
dar auf auch kain wasser was.
da zugens, biz die hitz kam her.
da lietten sie ze rüwe ger.
85 da sähens ferr dort ainen bäm,
da bei begertens rüwe hau.
Mariä saz vom esel nider
und nam in die schöz ir kint dä wider,
der bäum was buch, von esten weit,
90 die frucht was in ir besten zeit,
und dä Mariä daz obz ansach,
zu Joseph sie dä also sprach
und zu dem kint, daz sie wolt,
daz sie der epfel haben sott.
95 des wolt Joseph wunder hau,
dä so hoch was der bäm,
und sprach, warumb sie nit gert,
daz sie wassers wurd gewert,
des in irem geschir gebrach?
100 daz kint zu dem bäum dä sprach:
„ich biiet dir, bäum, naige dich,
daz mein müter und auch ich
mugen deiner frucht hän.“
dä zu stund naigt sich der bäm, Bl. 31”
84 rw gert
85 bäum
96 daz | bäum
104 bäum
Der maget kröne.
S15
105 daz der wipfel auf die erd
swebet bei der maget werd.
da bräcliens opfel nach ir ger,
und belaib der bäum geneigter,
als im was geboten, nider.
110 daz kint sprach: „rieht auf dich wider !
du solt der bäum geselle sein
im paradeis des vaters mein,
von deinen würzen und von dir
brunnen da enspringen schier,
115 daz uns ein kyles wasser werd“
da Sprüngen brunnen von der erd.
des wart Maria und Joseph frö.
daz lieh Joseph tränkte dö
und nam des Wassers in sein faz
120 und furen aber für baz.
ain engel auf den bäum dö kam,
des baums ain ast er dö nam
in daz wunniklich paradeis,
dar an genuptot wart daz reis.
125 da zogens gein ainem grossen wald,
der was grausemlich gestalt,
dar in zwelf morder gingen:
die erschlügen und fingen,
waz in kam, daz was verlorn. 111. 31 1 '
130 also hettens ze seinen gesworn.
die betten ein geding also,
daz ieglicher het seinen tag dö.
was in des tages zu kam,
der selb daz gut ainig nam.
135 da sie da lägen in der hüt,
da zöch da her daz gesind gut,
daz ir ainer bald ersaeh.
der da zu seinem gesellen sprach,
118 da
Z i u •»• e r I e
des da was der selb tag',
140 und sprach : „für war ich dir sag,
ich siech her kaufleud treiben,
geliiek wil gen dir scheiben,
diz gut ist alles sampt dein.“
er sprach: „la dein spotten sein.“
145 und stund selber auf ze sehen.
da begund er in seinem herzen jelien :
„kumpt mir da des güts so vil,
dar umb ich nimmer morden wil,
und wil mich lassen benügen daran.“
150 da er nü zu dem gesinde kam,
er sack daz waren arme Ieud
und daz klain wart die beiul.
sein gesellen spottens liezen nit.
ainer sprach: „du solt uns tailen mit.“
IV. Von sant Barbara.
Die was so schön und minniklich, Bl. 81“
daz man nindert ir geleich
fant in allen landen brait
an tugent und an beschaidenhait.
5 geformet nach ganzem Heiz,
ir antlut klär, durchsichtig gar,
nach rosen rot und weiz gefar,
gemischt nach rechter temperi,
und geleichet wol dem smake bi,
10 den der viol hat von art.
ir sin, ir müt was wol bewart
vor falsch und vor böser gir.
ainn blüm, liaist mailant, geleich ich ir,
der hat kraft und süssen smak.
15 dem blümen ichs geleichen mak,
wan sie in fr bluenden iugent
flaiz siqh aller hande tugent,
Der maget kröne. 0 1
und was ob aller blumen glanz
und trüg von blümen wol den kranz
20 der maget an der kinde schar,
sie was alles wandeis bar
und vor allem falsch behüt,
sie was auch gar an adel güt
von edlem geslaeht gar auserkorn
25 und was ain ainig kint geporn.
ir vater hiez Dioscorus.
yoii dem schreibt man alsus,
daz er dem kaiser Maximian Bl. 81 b
diente wol ze Babilön,
30 und was sein obristcr dienstman.
waz er gcpöt, daz was getan,
dar zu was er gutes reich,
daz man Hindert sein geleich
fant und so ein fürnaem man,
35 und bcteL doch die abgot an.
und sic was so wunnikleich,
das nindert ir geleich
an schone ie wart da erkant
und stolzem leib, als man sie fant.
40 dar umb ir vater si dö tet
auf ainen turn, den er bet
gebawen hoch unmassen gar,
daz ir da nieman neme war.
er wolt, daz sie wer behüt,
45 als ein man seinen schätz tut,
wan er des nieman gunnen wolt,
daz man sie an sehen solt.
da stünt ain luimolt auf in dem land,
daz man kain schöner nindert fand,
50 wan die wirdig Barbara,
fürsten und menig kiinig da
21 was sie
36 und wan sie was so so
37 das man
44 wolt er
SiUb.'d. phil.-liist. CI. XLVU. ßd. II. litt.
34
518
Z i ii g e r 1 e
baten umb die maget werd.
mengem stünd nach ir sein gerd,
daz sie im zer e da wurd geben,
SS und mit ir soll in froiden leben.
die botschoft erber laut da triben, 111. 82‘‘
und wart auch menig brief geschriben.
da er die boten al umb vernam,
und zu seiner docliter kam,
60 er set ir, daz ers wolte geben
ainem man, daz si in froiden leben
solt und haben gut und er.
des erschrak die maget ser
und sprach: „vater, ich sag dir
6S nach kainem man ist mein gir.
dar umb ich dich wissen län,
daz ich al mein tag han
gewünst die er der keuschait.
dar zu ist al mein müt berait,
70 daz ich in disem tötlichen leben
wel mich kainem man ergeben
oder sein bett rüren an.“
da schied er traurikleichen dan,
da sie im so ain antwurt gab.
7S von dem türm ging er ab
und nam ain anders in seinen in fit.
er schickt nach werklauten gut
und bat sie, daz si betten tracht,
daz ein wasserhaus würd gemacht,
80 da durch daz wasser solte gän
gen dem land Septentriön.
zwai finster wurden da berait.
da er in den sinn da für gelait, Bl. 82 b
da wolt er schier gemachotz han.
8S dar umb gab er seinen Ion
ieglichem da auf daz zil.
und wären da der wercklaut vil.
63 der erschrak
Der mngel krAne.
519
dar nach Dioscoriis zu hant
für enweg- in ferre laut
90 und helaip da manig zeit aus,
l)iz daz gebawen wurd daz haus,
die magt da auf dem turn helaip,
daz sie kain kurzweil traip,
wan dar zu stünd aller ir gedank
95 auf der sunncn aufgank
und wie der man ging nider,
und der mornend kam her wider,
dar zu der andren planet,
wie der ieglicher het
100 sein natür und sein gank.
dar auf stünd aller ir gedank.
da sie daz nit in irem sin
künd betrachten aus und in,
daz ir die wärhait wer erkant,
103 zu ir ain engel wart gesant.
der sprach: „gelaub mir zu diser frist,
der eingeboren sün Jhesus Crist,
der von got dem vater kam
und die menschait an sieh nam
110 umb daz geliick aller der weit Bl. 83"
und macht sich under daz gezelt
dem keuschen leip der müter sein,
Mariam dem vil keuschen schrein,
und wart da von der magt geborn,
115 daz die weit icht wurd verlorn
umb die sund, die Eva begie.
dar umb wolt (er) billeichen hie
leiden ainen scharpfen tot,
daz er uns hulf aus helscher not.
120 der ist der Ursprung und der brunn,
von dem der man und äie sunn
116 und die sund
34 *
Z i n g e r 1 e
und daz gestirn sein laufe hat,
und was ichfc sein haut getät,
daz ist geordnieret eben,
125 darzü den sternen namen geben,
daz gelaub mir Barbara giit
und hab ainen festen miit,
wan du umb den namen sein
must noch leiden grosse pein.“
130 also wart sie gesterket do
von des engels Worten so.
dar nach sie ab dem turn gie.
Barbara wolt schawen, wie
ir vater het geordinieret
135 daz liaus und wie erz het gezieret,
und wie daz haus wer gemacht. Bl. 83"
die gothait sie dar an betracht,
und da sie niir zwai finster sach,
zu den maistern sie da sprach:
140 „war umb hänt ir daz getan?
wan dreu finster solten gän
in daz liaus, die geben schein,
des folgend noch dem willen mein
und machent mir daz drit geschwind,
145 wan dreu finster sint,
die erleuchtend all die weit so brait. “
da maintz die hailigen dreivaltikait.
des antwurt ir ain maister schier :
„grossen zorn furchten wir
150 von deinem vater, der si hart,
da uns nur enpfalen wart
zwai finster, als sie hie stän!“
sie sprach zu in : „ir sullent hän
122. hand
123 lind uns nicht
124 geordnert
134 geordinirefc
131 nü
133 ziim
Der maget kröne.
S2l
kainen zorn, claz wil ich,
ISS und legend al die schuld auf mich.“
sie täden, des die maget bat,
und machten dreu da auf der stat.
da mit sie in daz haus in gie.
Crist, der die seinen nie rcrlie,
160 der was irs herzen fündament.
gen dem tag Orient
tet sie in ain staines want Bl. 84“
daz hailig kreuz mit ir liant
in ainen herten marmelstain,
165 daz noch heute die weit gemain
gesehen mocht, wer des begert.
dar nach die iungfrow wert
ging zu dem w'asser an daz stat,
mit ainem fuez sie dar ein trat,
170 daz man den trit noch heut den tag
da in dem wasser gesehen mag.
daz wasser wart gehailget ze stiind,
dar in manig siech gesund
wart, dar zu daz ewig liail
17S und daz himelreich zu tail.
der hailig gaist auch zu ir kam,
daz ir hailge Scheitel nam
den tauf da in dem wasser ze haut
von einem priester, was genant
180 Valentin, der hailig was.
der ir die stuck des gelauben las
und lcrtz, daz zu kristem gelauben zam.
die lere sie in ir herz nam.
dar nach sie auf den turn kcrt,
183 und kristem gelauben was gelert.
da gelaubt sie festikleifh an got
und hielt kristenliche pot.
139 sie Crist mtf seynen nie verlie
102 wnntt
Z i n g e r ! e
Svz
recht als der morgenstern, Bl. 84 1 ’
den man nempt Lucifer,
190 durch den dicken nebel glest,
also was sie am glauben fest
und minnet Crist für allez das,
was froiden in der weit was;
daz taucht sie gar ain tummer müt.
193 vor sünden sie sich wol behüt,
der hailig' gaist da zu ir kam,
daz sie dem teufel gesiget an.
dar umb ir vater abgot
bet sie gar für ain spot.
200 die da köstlich warn berait,
den tet sie manig schmachait
und spai in under die äugen,
sie sprach ane laugen:
„ob die wären got sint hie ir,
203 so haut nü disen spot von mir!
und al die werdent ewer geleich,
die an euch hie kerent sich
oder für got euch betent an.“
auf sie treten sie began.
210 im selb kain got hilf gewüg,
biz daz sies zu klainen stucken schlug.
Da nü ir vater kam zu land,
in daz haus ging er zu band,
und er da dreu finster sacli, Bl. 83“
213 zu ainem knecht er da sprach:
„gang hin, da ich hinsend,
und breng die werkleud behend.“
da mit er auf den turn gie,
sein tochter freuntlich in enpfie.
220 die werkleut körnen zuo im dö.
die enpfing er und sprach so:
„warumb ist daz getan?
wen ich euch enpfollien han
19U der durch
221 enpfing' er
zwai finster, sagend mir.“
225 sie sprachen: „her, wir sagen dir,
dein tochter hat gehaissen daz,
darumh trag uns kainen haz,
wan die schuld, die sint ir“
sie sprach: „vater, ich sag dir:
230 ez ist war, die schuld ist mein:
dreu finster, die geben Iiechtern schein,
die erleuchtent all die weit gemain“.-
mit im nam er die maget rain
und ging ab in daz haus da nider,
235 zu seiner tochter sprach er wider:
„sag mir, wie mainst du daz,
daz dreu finster scheinen haz,
als du vor hast geret?“
sie sprach und antwurt im ze stet:
240 „in ewig und yetz und zu aller frist BI. 8
die drei persön ain got ist,
von dem allez liecht ie kam“,
da er die red also vernam,
von zorn zucht er dd sein swert
243 und wolt die hingen magt wert
hän geschlagen da zu tot.
des Schreckes kam sie in gröz not.
da er so grosses zorns wielt,
die maur sich von enander spielt.
250 da durch die maur sie im entran,
auf ainen herg gefüret dan,
da sich die maur nider lie.
der hoch herg sie da enpfic.
sie Hoch und barg sich da nit ver,
255 und wainet minniklichen ser.
dar nach irem vater gäcli
wart und eilte seiner tochter nach,
daz er sie fünd, daz was sein ger.
durch menig- gassen hin und her
200 sucht er sie da in der stat.
zu suchen er da mengen hat.
524
Z i n g e r 1 e
und da ers Hindert vinden künd,
er kert ze feld, ob er sie fünd,
und wolt er tiin ein herte straf.
2G5 /.wen liirten hüten da ir schuf
zu feld. da er sie hüten sach, 131. 88"
zu dem ainen er da sprach:
„sag mir, hast du mein tochter gesehen?
der warhait solt du mir verjehen“.
270 und da er in so zornig sach,
der maer er im da nit verjach,
und laugnet fast der warhait,
und swuer des tuier auf seinen ait.
zu dem andern er da ret,
275 ob er sie icht gesehen het.
der zaigt da mit dem finger dar,
da er seiner toehter wart gewar.
da er sie in ainem hol fant.
von ir ain fluch dem hirten zu haut
280 wart, daz ain zaichen da beschach,
daz got an dem hirten rach,
an dem pösen ungetrewen.
darumb wart im sein zaigen rewen,
wan alle scbaf, die er het
285 wurden zu heuschrecken ze stet
und Augen auf dem feld so weit,
die man auch dar nach manig zeit
fliegen sach ob irem grab,
ir vater stünt von phard ab,
290 bei dem har er sie da begreif
und zöch sie, daz sie nach im schleif,
und gab ir maligen straich unfüg, 131. S8\
mit ochsenaudren er sie schlug,
daz daz blüt von ir fldz,
295 daz ez die erde da begöz,
und gaislet sie so ser und hart,
den berg si ab gezogen wart
280 im st. ain
Der maget kröne.
in die stat 7,11 aineni kamerlin.
da wart sie beschlossen in.
300 ketten man an sie Ißt.
darzü hüter sie auch het,
daz er maint, daz er wolt,
daz sie da hüngers sterben solt.
also schied er dii von dan.
305 darnach er dazu sinn gewan,
so nii der tag morn kam,
daz er den seine tochter näm
und dem ricliter brachte für,
daz sie cristengelauhen verkür.
310 der was genant Marciän.
dem was die stat undertän
von des kaisers gepot.
Dioscorus hei seinem got
schwur und hei den gotten sein:
315 und tat daz nit die tochter mein,
so müss sie leiden gröss(e) not
und kisen aincn scliarpfe tot.
Da sie im kerker lag allain Bl. 87 a
von got ain engel ir erschain.
320 der sprach; „Barbara, raine magt,
bis an Jhesu nit verzagt!
er hat dich lieb, des glaub(e) mir
und wil alzeit sein bei dir“,
da nü der ander tag her kam,
325 die magt man aus der fanknuß nam.
der ungetreu Dioscorus
mit im nam er Jeruncius
und antwurt sie dem richter da
„ich antwurt dir die tochter mein,
330 daz du ir tust grosse pein
und er des aber got werd,
wan sie cristengclaubens gert.
331 daz vher
Z i n g <» r I e
Ö26
davor bizher hau iclis behüt,
waz dir darum]) sei zu miit,
335 daz tu bald, daz ist mein gerd.
daz sie unser got werd
versmehet hat und auch mich,
daz müz sic büzen sicherlich“
der richter auf seinem richtstül sas,
340 und sie als recht schon vor im was,
der sprach: „dein wird und schon ansiech!
wes wilt du selber Zeichen dich?
warumb hast du die got erschlagen?
die warheit wil ich dir sagen: Bl. 87 b .
345 opfer noch den gotten werd
oder leid auf dieser erd -
von marter so viel grosser not,
daz dir wäger wer der tot“,
des antwurt Barbara da schön
350 und sprach: „ich ainen lierren han.
der ist mein got Jhesus Crist,
der aller ding ain schopfer ist,
und was der himel begreifen mag.
darumb wil ich an dieser stat
355 mich im selbs zu opfer geben
und bei im ewiklichen leben,
dein gotten bring ich opfer nicht,
waz mir halt darumb beschicht,
sie sint ungeredt (und) blint,
300 mit menschenhant sie gemachet sint.
dar zu mugens nindert gan,
und sind aller gnaden an,
daz al ir geleich werdent die,
die an sie gelaubent hie“.
305 vil red da gen red beschach,
keck und festiglich sie da sprach,
daz (ez) da hörte manig man.
In goltes minn(e) sie erbran
338 sie gar nü | sicherleich
Der mnget kröne.
und auf gen dem Iiimel sach,
370 gen got sie beiend also sprach:
„gottes sün, her Jhesus Crist, Bl. 88“
wan du der erst anfang hist
des lebens aller güttät,
« von dir er und wilde gät
373 und überflüssig barmlierzikait.
erhöre mich durch dein gütikait
dein arm unwirdig dienerin.
lä dir mein dlnst gefellig sin
und schaid mich von der geselschaft nit,
380 daz ich den erwelten wone mit.
ich enpfilch mich deiner weishait,
waz du wilt, ich bins berait“.
und da der richter daz erhört,
sein zorn mit glimm sich da enbört,
383 daz er schickt nach den knechten dar
und liiez sie machen müterbar,
daz sie must ir blüt verreren.
mit eisnen krapfen sie verseren
liiez er, daz mans mochte bar
390 des flaisch biz auf die ädren gar,
mit herein tücli fikun ser,
daz ir inarter würde dest mer.
des da die schurpfer nit verdroß,
darnach mans in den kerker slöß,
393 biz das der richter sich bedacht,
wie daz ers um das leben bräche,
daran die mild und keusche magt
was an Crist noch unverzagt, BI. 88 b
wan sie die marter dultiglich laid
400 und fraud sich des an underschaid.
Do ez nu kam auf mittenacht,
ain schönes liecht sie da bedacht.
378 sein
387 verrvren
528
Z i n g' e r I e
Crist kam selber zu ir dar
mit engein gar ain grosse schar
405 und sprach: „tochter, sich an mich!“
da lag sie gar unmachtiglieh,
daz sie verseret was so gar.
da sie des herren wart gewar,
sie sprach: „herr Jhesu Crist,
410 wie lang du gewesen hist,
du hast mich in meinem sieehtag gesehen“
Cristus der hegund da jehe i:
„ö du taub und schöne mein,
rieht auf gen mir daz liauht dein“
415 damit er sie da rurte an.
ir fleisch sie da her wider gewan.
da wartz gesu t und wider ganz,
er satzt ir auf da ainen kranz.
des set sie Jhesu gnäd und dank,
420 daz er geruckt zu ir den gank,
sein arm dienerin gesehen,
sie sprach: „für war, das wil ich jehen,
das kain ander helfer ist,
wan du mein herr Jhesu Crist“.
42S Cristus aber sprach zu ir:
„getrau und gelaub fest an mir, Bl. 89"
wen von deiner marter wert
wui’d freud in himel und auf erd“,
zu ir sprach er aber dö:
430 „furcht nit fast des wütreichs trö
und laid durch den namen mein,
wan ich wil alwcc hei dir sein
und morn wirst enpfahen schön
von deiner arbait deinen lön.
435 die krön der martrer solt du Mn“,
dämid schied er sich dannen schön,
da nu der moring tae her kam,
ir vater sie aus dem kerker nam,
gar hertiglich er sie bant
440 und furtz, da er den richter fant,
Del' maget kiuno.
da er auf dem richterstül sas.
der wist wol, wies verseret was,
und er sie so gesünt sach,
zu ir aber er da sprach:
445 „nim war, schone Barbara,
wie lieb bist du den gölten da.
sie sint dir gnedig zu discr stünd,
das dein leib ist worden gesünd“.
sie sprach: „das dein got sint,
450 die sint stummen und auch blint,
vinger berend an verminst
und sint gemacht mit menschen kunst.
wo mans hin wil, so müs mans tragen. BI. S9 L
darumb wil ich die wärhait sagiyi:
455 wie mocht ain bild gehailen mich,
daz im selber hilf verzieht,
im selber auch kain hilff (kan) geben,
der mir des ersten ga das leben,
und der best arzat ist,
460 daz ist mein got Jhesus Crist,
des wären lebenden gottes sün.
der hat mich geheilet niin,
den du nit gesehen macht,
wati dein herz ist bedacht
465 und erhertet zu diser frist
vom teufel, der dein vatcr ist“,
da der richter das vernam,
vor zorn er grisgraman gan,
als der zornig lew tut,
470 und liies der werden maget gut
mit fuir iren leip martern mer.
mit amplen, die da brunnen ser,
hies er sie brennen also hart,
darnach aiiz haubt sie geschlagen wart —
442 wie es
451 vernunfft
462 nii
463 magst
530
Z i n s e v I o
473 mit einem Immer daz bescliach, —
daz ir die hirnschal brach,
daz hirn und hluot von ir ran
aus münd und nas da von dan.
auf gen got sie da sprach:
480 „her Jhesus, sich mein ungemach! —
du kenst sinn und herz wol, Bl. 90"
das ich bin deiner minne vol —
und läz mich, lieber herr, nit!
die straieh ich gern durch dich lit“.
483 daz daucht den richten noch nit gniig,
und liiez, das inan ir wunden schlug
neu, die man ir zu den alten gab.
die brust hie^ er ir schneiden ab.
da ir die marter auch beschach,
490 auf gen got sie da sprach:
„verstöz mich nit deiner angesicht.
dein hailigen gaist nim von mir nicht!“
darnach den richter Marciön
daucht ir wer nicht gniig getan,
493 wan in kainer bozhait verdroß,
und liies sie machen nacken blöß,
das man sie zu der selben zeit
zug- durch alle gassen weit,
an jeder gassen sunderlich
300 gaisle sie gar hertiklich,
und solt auch leiden sögtan sclmnd,
umbfüren nakent in dem laut,
und dö mans also nakend sach,
auf gen got sie da sprach:
303 „Jhdsus in deiner dreivaltikait,
wan du mit deinen wölken brait
bedeckest all(e) himel hoch,
bedeck dein arme dienerin och. Bl. 90 1 ’
500 gaislen so
508 auch
Der maget krOue.
831
daz die scliand hie auf erd
S10 von yman bösen gesehen werd“.
da sie dise wort gesprach,
von got ain Zeichen da beschach,
daz ir ain engel brächt zu liant
ain weis und so ain klars gewant
SIS das sie me wan drei stünd
nieman da gesellen kund,
und da die kestiger sähen das,
die behüten sie dest bas,
das sie all umbgäben sie.
S20 ain gegen, die haist Dalasi,
lag bei der stat in dem lant,
die zu der sunnen ist genant,
da sie ir wunden wurden gewar
du flirten sis dem richter dar.
S25 der gepöt, das man der maget wert
durch sie ziehen solt ain swert.
dar umb ir vater zorn gewan,
und furt sie von dem richter dan
auf den berg, der was hoch
S30 sein dochter er da nach im zöch,
als er sie. gebündet bet,
ain sail an iren hals gelet.
des wart Barbara frö
und gieng williglichen dö.
V. Von sant DorothöiV*).
Da wonet er mit seinem weib. Bl. 94"
da von ir baider leib
wart geborn ain kindelein.
daz was lieb der muter sein,
S wan ez ir ainborn kint da was.
ain hailig bischof, der da sas,
*) Vgl. Dorothea. Dieiner’s Beiträge 2, 1 ff. 107 fi‘.
1 mit kind und weib
532
Z i n g e r 1 e
dem ez haimlich beschicket wart,
daz ez des taufels wurd bewart.
und da ers in den henden het,
10 den namen er ir dar auf let
nach vater und nach müter da
und hieß sie Dorothea
und schickt si da der müter dar.
da warts mit fleis erzogen gar
15 und wart an tugent wol gelert.
iren müt und sin gen got sie kert,
biz das sie wart umb seclizehen iar.
da war sie minniklleh und klar,
daz man da in allem reich
20 nit künd finden ir geleich,
ir antlutz was wol geformiert,
dar in die roet die weissen ziert
recht, als ain rote apfel blut,
die gen der sunnen lachen tut,
25 so uns des liechten maien zeit
uns menger banden blumen geit.
nach schöner was ir angesicht. Bl. 94 1
dar zu, als man spricht,
von stolzem leib sie was geliert,
30 und doch zu aller deumüt kert.
da mit was sie so tugentlich,
daz ichs den sechs färben gelich,
da mit sie beklaidet was,
in herzen, gaistlich main ich das :
35 mit weis, das ist ain guter wan,
den wolts auf Jhesum alweg hän.
grün daz was ir anfank,
auf Crist stund aller ir gedank.
rot brinnet in der minn,
40 also brunnen al ir sinn
10 lait
23 röter
32 ge!eich
Der maget kröne.
auf ireni gemahel Jhesus Crist.
I>Iä bedeut der stät ist,
wan sie mit ganzer stetikait
te dienst im al zeit was berait.
45 schwarz ist zorn oder laid,
laid trug- sie an underschaid,
daz sie got nit gedanket Jiet
des g'iifs, des er an sie bet gelet.
gel das ist dem gelungen ist.
50 das trug sie billich zu aller frist.
wan sie got alles des gewerf,
des sie an in ie bet begert. Bl. 95 a
dies geleichnus ich nit gelesen bän,
ich bans von aigem sin getan,
55 wan ich ir wird und eren gan.
ir leben beb ich wider an.
Daz laiul zu Capadocia,
da in der stat Cesariä
Fabricius ain riebter saz,
60 der des kaisers amptman was.
der so gird zu ir gewan,
und daz er in ir minn erbran,
daz im der teufel gab zu müt.
der rät noch, daz man unkeuseh tiit,
65 und ist ein veind des keuschen leben.
Fabricius der bat im geben
die stolzen magt ze ainem weih,
das er besläfen solt ir leib,
und schickt da nach der maget gut
70 und set ir, was im wer ze müt,
und gehies ir grosses gut an zal
und sein schätz überal.
das wolt er ir ze haimstür geben,
das sie solt eieich mit im leben.
75 da das hört die süesse magt,
sie acht nit, was der richter sagt,
• geleich in so getaner mäs
als das här an der sträs. Bl. 95' 1
Sitzl). d. phil.-hisl. CI. XI.VII. Bd. II. Hft.
3
534
Z i n g- e i* 1 e
seinen reichtum sie verschmächt
80 und was weltlich froide brächt,
ez war von reichtum oder gut,
und sprach aus fest und keken müt:
„ain andern gemahel ich nü hän,
von dem wil ich nit ah län:
85 der ist mein herr Jhesus Crist,
der ist mir liep für als, das ist,“
und da Fabricius vernam
die red, in zorn er erbran
und gedacht, wie er wolt,
90 daz sie den gottern opfern sott,
red gen red do vil beschach,
und da Fabricius das sach,
daz er sie nit bewegen künd,
er hies sein knechte da ze stünd,
95 das berait würd ain fas,
das vol siedendz öl da was,
und hies sie setzen dar ein.
dar in so laid sie kaine peiu.
in gottes hilf das beschach.
100 dar in irm leibe nutz gebrach,
recht als ir leib allen halb
gesalbet würd mit balsamsalb,
das zaichen manig haiden sach,
der haimlich Crist zu got verjach.
105 da het Fabricius den wän, Bl. 98 a
sie hetz mit zaubernus getan,
und hies, das mans in kerker löt,
dar in sie kaine speis het,
und lag gefangen neun tag,
110 das ir mit kost nieman pflag,
wan got, den seinen doch erkant,
der ir die speis bei den engein sant.
darnach mans aus dem kerker nam,
und da sie für den richter kam,
115 da was sie wunniklich gestalt, •
das das folk jung und alt
Der niwget kröne.
535
und den richter wundret das,
wan sie so lang 1 ungespeiset was.
und da er sie so schön ansach,
120 zu ir aber er da sprach:
„du bittest denn die got ze stünd,
ich tun dir so vil marter künt,
die dü nit hast enpfnnden vor.
ich liaiß dich henken aulf enbor,
123 das dir nie wirs geschach“.
Dorothea da aber spracli:
„mein got wil ich beten an,
den teufein ich nit gutes gan.
wan die sint die got dein.
130 mit den müst du leiden ewig pein“
auf gericht ain saul wart halt, Bl. 96' 1
dar auf ain abgot wart gestalt,
da fiel sie auf die erde nider,
auf gen himel sacli sie wider
4 3o und bat got in der dreivalt,
das er erzaigte sein gewalt,
wan ain got und kain ander ist,
got vater, gaist, der hailig Crist.
da sie ir gepet also sprach,
140 von got ain zaichen da beschach.
von engein kam ain grosse schar,
das abtgot wart zerstöret gar,
das bild und saul so gar zerbrach,
das man so tuir ain stoklin sach.
145 dar nach in lüften wart gehört
ain stim 'on teufein dise wort :
„6 Dorothea laß uns beleihen!
wie wilt du uns so gar vertreiben!“
dö von manig tausen man
130 an Cristum rechten gelauben gewan,
124 auflenhar
133 erd
142 zerstört
35 9
Zin g er 1 e
53(5
(l>e vor haiden warn gesein
und durch got litten tödes pein
und den sig erfochten schön,
das si nü händ der marter krön.
1 SS Dar nach der richter das gepöt,
das man sie brächt in tödes not.
als er ir hct gedröet vor, Bl. 97“
hangt man sie an die fließ enbor.
also hangötz muterblös.
100 man schlugs mit riiten, wären grös
und gaislet sie mit gaislen hart,
das flaisch ab irem leib man zart
mit krapfen, wären ungehuir.
ir magtlich brust man mit dem fair
16i) und mit fakelen brant so hart,
das aller ir leib verseret wart,
daz man so brait nit als ain baut
nit ganz an irem leib da fant.
dä liies crs län auf die erde nider
170 und in den kcrker fören wider,
da lags an macht und in not,
als ab sie halben wec wer tot.
mornenz man sie für gericlite stall,
dö was so wunniklieh gestalt,
17S daz vil manig mensch da sprach,
das er sie schöner nie gesach,
und het an irem leib lcain ser.
man sach so tuir (k)ain mäsen mer
und auch der richter des nam war.
180 der red dä aber zu ir dar:
ö schöne junkfraw minniklich,
folg und läß bekören dich! Bl. 97 l
dir ist kestigung genüg getän“
dä mit hieß ers füren dan
185 zu ir Schwester Krispen
und auch zu Kalisten
181 iiiinnikleich
Der mngel ki-Ane.
in ir haus zu in baiden,
und das sis solten schaiden
von kristenlichem gelauben,
190 die vor auch an laugen
wären gut cristen gesein,
wan umb die forclit des tddes pein
lietten sie vor Crist verlän.
da Dorothea zu in kam,
195 da sprach sie in früntlichen zu,
von Crist set sie in spät und fru.
von himlisehen froiden sie in sait
und nam von in ir blinthait.
die da im herzen wären blint,
200 die macht si wider gottes kint.
dä das Fabricius vernam,
dä von in grossen zorn er kam,
das er seinen knechten gepdt,
daz man die Schwestern braut zu tot.
205 dä wart ain grosses fuir berait,
nit lenger man dä bait,
die rucken man in zesemen bant Bl. 98*
und warf sie in das feur zehant.
also ir leben endet sich.
210 des frawent sie sich ewikllch.
Do ml ir Schwestern das beschach,
der richter zu Dorothea sprach:
„sag an, bds wjchtin,
wie lang wilt du unsern sin
215 auf heben und betrigen?
wan wilt du dich sein benügen?
opfer unsern gotten wert,
so lebst du frdlich hie auf erd,
oder die urtail wirt dir geben,
220 daz du kumist umb dein leben“.
, 537
193 verlorn
207 ze seinen
210 ewikleich
538
Z i n g e r 1 e
lies antwurt sie ans freiem müt:
„dein red mir kain unmiit lut.
das du wilt tun, dar an nit bait,
ze leiden bin icb hie berait.
223 wie du ez erdenkest, das sol sein
durch Jhesum Crist den herren mein,
der ist mein buel auf dises zil.
in des fräudgarten wil
morn opfel, rosen brechen icb
230 und mit im frawen ewig mich“
da er die antwurt so vernam,
sein müt in grimmen zorn gram, Bl. 98 1 '
daz er gepot den knechten sein,
daz man der stolzen maget fein
23b ir antlut solt mit stecken slalicn
und mit drameln straich enpfähen,
und das sie nit verdrüs dar an,
bis das sie erlegen dran,
da wartz so hertikleich geschlagen,
240 das leut bei iren tagen
kain so getan amplik nie gesähen,
und die das selber jähen,
das man an irem antlut klär
sach nichtz ganz als umb ain här,
243 daz nieman nit erkant dä hie,
ob sie wer mensch gewesen ie.
dar näcli maus in den kerker sclilos.
got, der den seinen nie verkös,
der machetz zu der selben slünd
230 wider liail und wol gesünt,
daz ir gar nutz gebrach,
das dä manig mensch sach.
dar näcli man sie für gericht stalt,
dar kam vil leut jung und alt.
230 ewiglich
234 mngt
237 hinaus
Der maget kröne.
539
233 der richter da ain urtail gal),
da/, man ir liaubt solt schlagen ab.
da fürt mans für das tor binüs Bl. 99'
da begegnet ir Theofilus,
der des landes Schreiber was,
260 und an des richters rät auch sas.
der sprach in spottes weis zu ir:
„ich bit dich, Dorothea, send mil
der opfel und der rosen schon
aus deines bülen garten grön“
263 sie sprach: „das sei dir unverset.“
da mans zu feld aus gefiiret het,
da was es zu des winters zeit
und was ain grosser sehne geschneit,
da sie was kommen an die stat,
270 gar minniklieh got sie bat,
wer irn namen het in er
und gedacht an ir marler ser
und ir leiden und iren tot,
daz er dem hilf aus aller not.
273 und besünder was ir ger,
wer ir diente, das auch der
nit wurd zu weltlich armüt,
und vor aller schand behüt,
und so seins lebens nimmer sei,
280 das im sei wäre rew bei,
beiclit und ablas aller siind,
dar nach im ewig freude günd; Bl. 99 b
und weihe fraw in nöten wer,
das sic nit bald ir kint geber,
283 das die an iren namen gedeckt
und ir kint den frolieh brecht,
dö sie dis bet vollendet het,
ain stim von himel zu ir ret:
2ö6 haub
257 hinaus
2(i4 grün
540
z i n g 1 er I e
»küm, du auserwelte fein!
290 küm, du liebe gemahel mein!
wes dein müt hat von mir gert,
des bist du alles sampt g-ewert.“
nü bet sie knüit auf die zeit,
da saeh man über die haid her weit
295 landen ainen knaben gemait,
beklait mit rotem purperklait,
vil güldener stern dar auf waren,
gar in kintlichen gebaren,
ain knablein als umb fünf iär,
300 daz bet weis und krauses bar
und trüg in den henden sein
ain klüg und klaines kretlein.
dar in drei rosen wären schon
und drei opfel waren gron.
305 und lof barfüs in dem sehne
und sprach: „Dorothea, nü se
die opfel und die rosen fein Bl. 100“
bat dir geschickt der gemahel dein.“
des danktes im der grossen er
310 und sprach: „mein vil lieber her,
gewer hie mein gebet also,
und bring sie mir TJieofilö.“
da von dannen ging der knab,
da sehlüg man ir das haubt ab.
315 dar nach die engel sie mit lleis
fürten in das baradeis.
da kams zu irem bülen schön
hoch in des liimels trön.
Da hin der knabe luff zu haut,
320 da er den Schreiber fant
stau in des ricliters balas.
er sprach zu im: „se hin, das,
304 gruon
319 dankes
313 thofolu
Oer maget kröne«
541
die rosen und die opfel fein
hat dir geschickt die Schwester mein
325 aus des baradeises gart,
dar in ir bul da ietzo wart.“
da ers enpfing da in die hant,
ze stünd der knab vor im verswant.
da von den rosen der sal
330 wart wol schmecken liberal,
da er den knaben sacli nit me,
mit lauter stimm er da schre
und set lob, wird und er Bl. I00 b
Cristo, Dorotheen her.
335 wan so grds ist sein gewalt,
das er in dem winter kalt,
in des hornungs manät
so kain zwieg hat kain blat
und das erlrich ist gefroren,
340 das er den seinen auserkoren
mag rosen schicken täglich,
sein nam sei gesegnet ewiglich!
dar nach zu Cristo het er ker.
von seiner red und seiner ler
345 wart das laut vil nach bekert
und wurde cristen gelauben gelert.
da das der wutrich also sach,
er hies dem Schreiber ungemach
tun und auch vil marter me,
350 wan er getan hält Dorothe.
also kam er in grds not.
ze letz er seinen knechten gepdt,
daz sie in huien ze stucken klain,
das das flaisch und gepain
355 wurd den tieren auf der sträs
und den fogeln wurd ain äs.
337 mailet
34G wurden
542
Z i n g- e r 1 e
also warf mans für das tor.
doeli het Theofilus da vor
den hailigen tauf enpfangen Bl. J 01 a
360 und (was) zu gottes tisch gegangen
zu dem waren frön leichnam.
also zu got er da kam.
ach werde magt Jhesu Crist,
wan dir dein gemahel genedig ist,
36S so hit den gesponzen auch für mich,
wan ich wol wais, das ich
all tag in grossen sünden sweb.
dein bülen hit, das er mir geh
war rew und beicht vor meinem tot
370 und mir helf aus aller not,
vor schand und laster werd behüt
und vor weltlicher armüt.
ich hit dich auch für alle die,
die mir gutes töten ie,
375 oder der mir gutes gunnend sei,
das der beleih alles lasters frei,
und lebe gesiint mit Ören
und an güten werken meren.
ich bit auch für die töten dich,
380 wes gut hab ie genossen ich,
das dein gebet in auch erschies,
das got sein himel tor auf sehlies,
das sie vom fegfür werden erlöst
und kümen zu deinen freuden grös; BI. 101 b
385 und wel fraw in nöten streb,
das got von deiner bet ir geh
ain frölich burt nach ir gir.
ich bit, das du erwerbest mir
lang zeit rnil gesündem leib,
390 und so ich mein zeit vertreib,
das mir werd ain end güt
und vor dem teufel werd behüt,
377 lohen
Der maget kröne.
543
mul kümest selber zu mir lier,
das du micli des gnäd gewer,
39S das icli sul bei dir frölich sein
nur als der minnist diener dein
Amen.
VI. Aus der Legende von saut Agnes.
Bei Rum ain meil von der stat
ain priester bey dem elöster saz,
der dar befriindet was Bl. 130 b
und was genant Paulinus.
.5 der bet anfeebtung alsus,
daz er von unkeusch kummer doll,
got er doch nit erzürnen wolt.
der bat den bähst, daz er im günd,
daz er ain eweib nemen kiiud.
lü da nü der babst sein gut betracht
und sein ainfeltikait macht,
dö gab er im ain fingerlein,
dar in ain sehmärak was fein,
und hiez in, daz er gäbe daz
IS saut Agnes, daz gemälet was
in seiner kirch, dem schönem bild,
und zu ir sprach, daz siz nit bevild,
daz sie sein gemahel war.
da ging der priester säldenbär,
20 da er daz selb bilde fant
gemälet an ainer slainswant.
dö er sant Agnes bild ansacli,
zu dem bild er dö sprach:
„se hin, diz gemahel fingerlein,
2S daz du mein gemahel nu solt sein,
daz hat der päbst enlbotten dir.“
den goltfinger schier
394 dere gnäd
844
Z i n o» e r I e
bot ez herdan von der want.
dö stiez erz fingerletn an die liant.
30 dö tetz den finger dan hin wider.
dö von der selb priester sider Bl. 131°
gewan anfecbtung nimmer me
und belaib aber keusch als e.
ich höre noch heut der laut vil iehen,
35 sie haben daz lingeriein gesehen,
wie ez an sant Agnes haut
steck in ainer stainswant.
TII. Schluss.
Dis büch, daz ich geticlitet hän,
daz ist genant der maget krön,
wan Maria tret die krön
hoch oh allen magten schön.
5 die magt der martrer kröne tragend, Bl. 100 b
daz sie nü ewig freude habend,
mein künst mit fleis, mit emtzikait
han ich mit willen dar an gelait.
die er der weit ich nit ensucli,
10 me wan aus ainem huch
han ich das zierist ausgelesen,
daz mich daz best daucht da wesen,
daz da Marien loh wol zieret
und ir wirdikait florier(e)t,
15 und hän von buochen diz gedieht
aus latein ze tautsch gerieht
und ze reimen, als ich kund,
daz ze etlicher stünd
die laud ze lesen nit verdriis
20 und daz mein sele des auch genüs,
daz mir etlicher da
sprech ain Ave Maria,
19 verdross
Der inaget kröne.
545
Marien engelischen grüs,
(laz meiner siiiul(en). werd(e) biis
25 und mir werd ain end gut.
nach meinem tot werd behüt
die sei vor lielscbem für:
ain ieglieh menseh tu mir die stür,
daz diz büch liab gelesen.
.10 in meinem gebet sol ez auch wesen,
daz ez nur got war geilem,
daz ich in sein gnade kein. Bl. 161“
diz buch ich hie geschriben hau.
daz ich nit ger der well Ion.
35 dar umb mein nam zu kainer stund
sol von mir yeman werden künd,
wan ob ez yman lesen wurd,
daz der seiner sünd(en) burd
ab im let und da von kürt
40 und von den magten wurd gelert,
daz im von Sünden were gäch,
ain tail den magten folgte nach,
daz ir end auch wiird(e) gut,
ir sei vor helscliem Ham behüt,
45 und er werd verlorn nicht,
wem misfall diz geticlit,
der mach ains, wie ers gern hab
und tü sich falscher reymen ab,
wan erz leicht bezzer tichten kan.
50 des im doch mein herz wol gan.
nü bitten wir die maget werd,
daz sie volbringen unser gerd
mit gebet ir frawen sant Mari,
daz sie unser ftirsprech si
55 gen irem lieben kinde güt,
daz wir vor schänden sein behüt
38 bürd
44 behüt'
32 gert
54 sey
546
Z i i) g e r l e
und uns ain gut end(e) werd,
und so wir.körnen in dre erd, Bl. 16l b
daz diu sei in frauden sey,
60 und den frumen wone bey;
daz uns Mariä erwerben mag,
und so nu körnt der jungst tag,
so leib und sei den samnet sich,
daz wir erstän den gnaden rieh,
65 so wir für gcricht kuinen dar,
daz wir kumen an die schar,
die zu der rechten bend(e) stänt
und sein gnäd erworben hänt
und auch besitzen daz reich
70 bei den magten ewigleich.
Amen.
64 reich
66 kummen
Der maget kröne.
Ö47
W Ö R T ERBUCH.
ä, Inte r jectio n:
und schre: her weichst weich 115*.
abbrech er stm., der Jemanden etwas vorenthält, das ihm gebührt,
ihm dasselbe nimmt:
und mit den abbrechern dir 134"
die abbreeher icli nicht hab 1 34"
der sei und leib abbreeher 134" (s. Wrb. I, 243).
ad er, Ader:
biz auf die ädren gar 88"
mit ochsenaudren er sie schlug 86 1 ’ (s. Wrb. I, 9).
altersain, auf der Welt allein, ganz allein:
dem belaib Cilici altersain 109"
ainsmals dd lag er altersaine 115" (Wrb. I, 420).
an, adj.; mit dem Genitiv;
und wurden so vil gutes an 132*
dö da warts des presten an 131 b
und sint aller gnaden an 87 b
kämen sie an endes haim 108"
und miist an endes dannen gan 115".
Mit dem Accusativ :
sag an, wie oder wä
hast deines vatters erb getan,
daz hast du boislich worden an
mit der rufliän unfilr 134" (Wrb. I, 40).
antlut und antlutz stm, Antlitz:
zog mir daz schon antlut dein 4 1 ’
dd was sein antlit so verspeit 40 1 '
ir antlut klar 81"
an irem antlut klär 98 b u. öfters
ir antlutz was wol geformiert 94" (s. Wrb 1, 1060).
548
7. i n g e r I e
armmann stm., armer Mann (Wrb. II, 35):
daz klag- ich dir, ich armmann 40 1 ’
beginne stv., das Praeteritum: „began“ kommtöfters im Reime vor
dem iegleielis besonder began 30 a
auf sie treten sie began 84 1 ’
got fleissiklich bitten sie began 104“.
Im Verse befindet: siel) aucli gunde:
Cristus der begund da ielien 88 1 ’
da begunde Caspar jelien 25 b
da begund er in seinem herzen jehen 31 b
die trösten sie und begunden jehen 44" (Wrb. I, 528).
behebe stv., behaupte, behalte:
wan Herödes beliup daz rieh 34 l (Wrb. I, 044).
bejage swv., erwerbe:
und daz ich hie auf erd bcjag,
daz man mich nach töde klag 155' 1 .
bekuin stv., begegne:
und betten da rat von ir,
wie sie der magt bekamen schier 109 r '.
bermde stf., Barmherzigkeit:
und tust mir kain bermd erkant 159”.
her Ar de stf., Berührung:
den siechen auch von seiner berurd
wirt ir sieehtag gar zerfurt 124*.
besungen swv., versengen:
ain ainig bar besunget wart 149 1 '.
pet stn., Gebet:
und wen duz pet, volbringest gar 115 1 '
und daz bet vollendet was 115*.
beviln swv., unpersönlich: mir wird etwas zu viel; bin, werde es
müde, micli verdriesst etwas :
da kainer tugent sie befilt lOT*
kains leidens mich durch in befilt 125"
[ und zu ir sprach: daz sis nit bevild,
Der irnget kröne.
549
daz sie sein gern all el war 13 O b
kaincr güthait sie befilt 137 a
kainer schand befiit in nicht ISO 1 ’ (Wrb. III, 314).
1) i»■ slv., davon das Participium berend: habend, zeigend:
die sint stummen und auch blint,
vinger berend an Vernunft 89“ (Wrb. I, 138).
blint adj. i
der wären witz was sie nit blint 124".
b u n d e swv., binde .-
als er sie gebondet bet 93 1 '.
dene swv., dehne, spanne:
da mit dem rat man sie da dant 159“.
d o b n an adv., droben:
abgot auch bey ir dobnan wären 147“.
dol swv., leide:
daz sein leip kain sterben dolt 27 h .
\
d o ns t ag stm., Donnerstag:
als nu der grüen donstag kam 39".
dremel stm., Prügel:
und mit drameln straicb enpfäbcn 98 b .
drivalt stf., Dreifaltigkeit:
und bat got in der dreivalt 96 1 ’ (Wrb. III, 231).
dromentier stn., Dromedar:
die dromentier man och berait 24“.
dulde swv.:
dar umb ir herz groß jämer dnlt 42“.
dulteclieh adv., geduldig:
und doch ir marter dultiglicb lait 107“.
enhoere swv., erhebe:
ir sei sich in irem leib enbört 42"
sein zorn mit grimm sich da enbört 88"
sein mut in zorn wart enbört 145 1 ' (Wrb. 1, 153).
"Silzh. d. phil.-hist. CI. XLVII. Ild. II. Hft. ?ß
SSO
Z in g* c r 1 e
enker stm., Anker:
da würfen sie die enker in 110“ (Wrb. I, 46).
ent sitzen stv., fürchten :
des kaisers zorn er ensaz 41“.
e r b o e r e swv., erhebe:
sein müt der wart in zorn erhört ISO“ (Wrb. I, 133).
er db i d e in swn., Erdbeben:
da von ain erdbidem was 129“ (Wrb. I, 113).
erkiuse stv., erwähle:
da soll ain elieh höcbzeit wesen,
die freund die waren dar erkesen 37 b .
erschricke stv., erschrecke, reflexiv gebraucht:
des ersclirack er dö sich 134“.
ervvege swv., bewege in die Höbe, bebe auf:
ir sei must sieb im leib erwegen 41 1 '
daz sis erwegen kunden nicht 135“
doch erwegten si sie klain 135“
kundens getragen noch geregen
oder von der stat erwegen 135 1 ' (Wrb. III, 643).
farn stv., fahren:
und füren über sich den Rein 110' 1 .
vein adj., fein, schön:
ain maget vein 123' 1 (Wrb. III, 317).
feld stn., ze felde bringen, zu Wege, zu Stande bringen
daz mir got seiner gnaden günd,
daz ich zu feld bringen künd,
wie gelebt hat ain meit 146 1 ’.
Diese Redensart fehlt im Wrb. III, 296.
verbir stv., unterlassen, sich enthalten:
er sprach: deiner wort du verbirst,
so du der straich enpfinden wirst 134*
ferch stn., belebende Seele, Leben:
daz ir lieber bet der tot
ires lebens ferch versert 39 b
den der tot ir ferch verschnait 113\
Der magef kröne.
551
vergihe stv., sage, bekenne:
ist daz du mir daz war vergist 138“
der wärheit seist du mir verjehen 86“
der maer er im da nit verjach 86“
daz ir der maist tail verjacli 110“
lind er selber auch verjach 125"
zum friind vergieh ich dich 140' 1 (Wrb. 1, 515).
verkiuse stv., gebe auf, verlasse:
daz sie cristen gelauben verkür 86 1 ’
got, der den seinen nie verkös 98 1 ’ (Wrb. I, 825).
verrere swv., vergiesse:
daz sie must ir blut verreren 88“ (Wrb. II, 677).
versmaehe swv., veraclite, verschmähe:
daz sie in also versmähen wolt 118".
verspie swv. v., speie an:
da was sein antlit so verspeit 40 1 ’.
verswine stv., verschwinde:
als in der stern da verswain 25“.
verwage swv., schwanke:
sie sprach: ich bins aine der magt,
den du in dienen nie verwagt 115 1 .
ln dieser Bedeutung fehlt es im Wrb. 111, 642.
verwarte swv., warte auf etwas bis zu Ende, hüte genau:
der solten da die knaben phiegen
und sie verwarten an den wegen 29 b .
verwige stv., verzichte.
daz man ir lebens sich verwag 151 b (Wrb. III, 635).
verzihe stv., versage:
wie mocht ain bild gehailen mich,
daz im selber hilf verzeicht 89 b (Wrb. III, 878).
ficke swv., reibe :
mit lierem tuch likun ser,
daz ir marter würd dest mer 88" (Töbler 1 79 b ).
36 *
552 Z i n ge r I e
volgän, gehe in Erfüllung:
so sein sterben volging 33"
mein zeit hat nit volgangeu sich 37 1 (Wrb. I, 474).
voll eiste swv., erfülle:
Mariä was in auch da bei
und auch die Marien drei,
da er sein glubt da vollaist
und schickte in den hailigen gaist43 b (Wrb. I, 96 2, ohne Beleg),
v o ls age swv., sage völlig zu Ende:
daz den smerz noch heut den tac
niemen volsagen mac 39 b
daz daz nieman volsagen kan 40 b
dar nach daz kan nieman volsagen 41 & (Wrb. II, 2, 22).
freislichen adv., schrecklich:
dö eiltens fraisliehen dar 113 11 (Wrb. III, 399).
vröudgarte swrn.:
in des freudgarten wil
morn opfel, rosen brechen ich 98".
fron adj., heilig;
wan die fünf wunden frön 44"
Jhesus sein fronen leichnam 43 1 '.
frü mde stf., Tüchtigkeit, Bravheit:
ain jungling der het wol vernomen
ir schön und ir frümde werd Iä4" (Wrb. III, 433).
vürnaeme adj., ausgezeichnet:
daz man nindert sein geleieh
fant und so ein furnäm man 81 11 (Wrb. II, 371).
gäch adj., schnell, heftig:
darnach irem vater gäch wart 83 1 ’ (Wrb. I, 433).
gän, ging, gegän, imperat. gang:
dar zu mügens nindert gän 87’’
von dir er und wirde gät 88"
daz ir gemahel kom gegän 133"
dö kam Tibureius gegän 139 b
und gang, morn dä hin eil 138 s
Der maget kröne.
553
gang von mir hin, vveltgelust 124“
die jungfrow wert ging 84“
in daz haus ging er zu liand 84 r '.
Im Reime auch öfters die verkürzte Form gie:
der kunic in da engegen gie 23“
da mit ez in engegen gie 30“
da der steg zum Schacher gie 35 b
gen Jherusalem Jhesus gie 39“
dar nach sie ab dem turn gie 83“
da mit er auf den turn gie 83“
gart stin,, Garten:
aus des baradeises gart (:wart) 100“.
gebruoder plur.:
den die gehrüder trügen dan 142“ (Wrb. I, 271).
gedinse stv., ziehe, schleppe:
gedinsen noch getragen 135 b (Wrb. I, 360).
gegen stf., Gegend:
ain gegen, die haist Dalasi 90 1 ’ (Wrb. I, 494).
gelückhaft adj., günstig:
mornend kam ain gelückhaft wind HO" (fehlt im Wrb. I, 1050).
genemne swv., neune:
wie darfst dü genemnen den so vil,
an den ich mich nit küren wil 122 1 ’ (Wrb. II, 311).
g en u h t stf., Fülle :
der feigenbaum hat bracht sein frncht,
her wider wachset all genucht 4 6
so nim von deinem sämen die genucht 138 1 ' (Wrb. II, 354).
geruoche swv., wünsche, will:
und ez dein wil an mich gerächt 120“
daz er gerächt zu ir den gank 88 1 ' (Wrb. 11, 801).
\
gewalie stv. leiste
im selb kain got hilf gewüg,
biz daz sies zu klainen stucken sclilüg. 84 b (Wrb. III, 458).
gilie stv., sage, bekenne:
da begunde Caspar jeheil 25 b
daz dein folk mäzzen jehen 27 b
B54
Lingerie
da begund er in seinem herzen jehen 3 i 1 ’
die trösten sie und befunden jehen 44*
daz vil die des iahen 123 h .
girde, gerde stf., Begierde, Verlangen,
den enpfing er zu der selben frist
mit girden auf die arme sein 27 b
mengem stiind nach ir sein gerd: (werd) 81“ (Wrb. I, 532).
giude swv., verschwende:
dar umb die weit von geuden sait 133“ (Wrb. I, 338).
gleste swv., glänze:
durch den dicken nebel glest 84 l (Wrb. I, 546).
go t stm., pl. gotte und göte:
und den gotten opfer brächt 105 11
schwur und bei den gotten sein 86 b
wan sint deine göt gilt 118“
so sint schwach die göt dein 118“ (Wrb. I, 534).
grimsig adj. grimmig:
und sprach in grimsigem laid 135 b (fehlt im Wrb).
grimsikait stf., Grimm, Wuth:
dö kam er in grimsikait 136" (fehlt im Wrb).
grün sic adj. zornig, vvüthend:
des wart er gar ain grunsic man 28" (fehlt im Wrb).
gruntlichen adv. gründlich:
die sie so gruntlichen hört 42" (fehlt im Wrb).
guothait stf., Güte:
kainer güthait sie verdröz 142“ (Wrb. I. 592).
heimstiure stf., Aussteuer, Mitgift:
waz du mir ze haimstuir wellest geben,
daz gib den, die in armüt leben 132 1 '
das wolt er ir ze haimstür geben 95“.
hä r stn., Haar:
und umb här enpfähcn golt 144"
haere adj. von Haaren:
mit herein tüch fikun ser 88".
I)«r maget kröne.
»J «> u
a ob
haeze stn., Kleidung, Gewand
an häs muternackend blöz 118 1 ’
ir häs wart sie gar beraubt löl“ (Wrb. I, 642).
ha spei stm., Haspel:
daz wo! ainem Haspel geleichet sich 1K9“.
besehe swv., schluchze:
mit weinen, lieschem äne zal 2 b (Wrb. I, 692).
h i n d e r praep. mit acc.:
sie gingen hinter sich ze stunt 36 1 ’
h i n a h t adv., diese Nacht.
sie hat mir hinacht straich gegeben 159 b .
iht kommt nur in abhängigen Sätzen in der Bedeutung von nicht
vor:
daz die weit, icht ward verlorn 83“
daz wir icht werden des teufels spot 141 11
und uns die haubturtail icht wurd 141 1 ’
daz dir icht kainer werde gram 148“
daz ich des teufels kint icht sei 149“
kestige swv., kasteie, züchtige:
den hat din antwurt kestiget ser 119 1 '
da mid ers kestigen wolt also lö4 b
daz man kestigen künd ain magt 159 b (Wrb. I, 802).
kestiger stm., Peiniger:
und da die kestiger sahen das. 90 b (fehlt im Wrb).
kestegunge stf., Quälen, Züchtigen:
dir ist kestigung genüg getan 97 b
daz man iren brüsten kestgung gab 119“ (Wrb. I, 802).
kiuse stv., ersehe, wähle:
so müz sie leiden grosse not
und kisen ainen scharpfen tot 86 b
Im partc. prüf. kesen st körn:
die freund die wären dar erkesen 37 b
k lac stm., Öffnung, Lucke:
durch klac und fernste guekotz da 40“ (Wrb. 1, 831).
Z i n g e r 1 e
556
krapfe swra., Hacken:
mit eisnen krapfen sie verseren 88 a
das flaiseh ab irem leib man zart
mit krapfen, wären ungehuir 97“
zezarten so mit krapfen hart 149“ (Wrb. 1, 877).
kretlin stn., Körbchen:
und trüg in den henden sein
ain klug und klaines kretlein 99 b (fehlt im Wrb).
lade swv, lade, berufe:
da wart Jhesus geladet hin 37 b (Wrb. I, 927).
leffstm., Lippe:
mit meinem leffen und dem münd
will ich in nennen ze aller stünd 120 1 ’
liumunt stm., Leumund, Gerücht,
und der luimunt so von ir was,
daz nieman künd volsagen daz
ir erbern wandel und ir milt 107 11
Unbelegt ist meines Wissens die Form luimolt (vergl. Wrb.
I, 1031):
da stunt ain luimolt auf in dem laut,
daz man kain schöner nindert fand 81 b .
Am nächsten steht ihr die Form lumot Grimm, Weisthümer 3, 301.
1 ii t z e 1 adj. wenig:
man trfb daz lulzel oder vil 110“
inac stm., Verwandter:
under mägen under künden 36' 1
und batz ir wainend lan ze stünd
und traurend umb ir mägent tot 114“.
mag et stf., Jungfrau:
der maget krön IS9"
ob allen magten schon IS9“
diu magt 100' 1 den magten 161“
nü bitten wir die maget wert (pl. )161“.
magetIIii sta., Mädchen:
opfer mit andern magetlin (goltfn) 12S' 1 (Wrb. II, 3).
Der maget kröne.
557
magetuom stm., Jungfräulichkeit:
mein magtüm den beheb ich wol 125 b .
m an e swm., Mond:
und wie der man ging nider 82 1
von dem der man und die sunn 83 a .
marner stm., Schiffer:
daz der marner kainer macht
erkennen, wä sie waren gesin 110“.
inäse swf., Wundmal:
man sach so tuir kain mäsen mer 97“.
meilan eine Blume (majanthemum bifolium?).
ainn blüm, liaist mailant, geleieh ich ir,
der hat kraft und süssen smak. 81“
morn adv., cras, crastino die:
und morn wirst enpfähen schön
von deiner arheit deinen lön. 89“
und gang, morn da hin eil. 138 b
so nü der tag morn kam ISO 1 '.
raornenz = morgens adv, mane:
mornenz man sie für gerichte stalt 97"
mornend st. monier: adv. tags darauf:
mornend kam ain geluekhaft wind 110"
mornend er in tempel gie 154“
mornend er ir aber gepöt 118 f *
und wie der man ging nider,
und der mornend kam her wider,
dar zu der andren planet,
wie der ieglicher bet
sein natür und sein gank Sä 1 '.
morn ec, inoruic adj., crastinus :
dö nü der moring tac her kam 89“
dö nü der moring tag erschain 114“ (Wrb. II, 220).
rnorund adv., am folgenden Tage:
dar umb ir tag moründ stäl 114 6 .
Ö58
Zin o ei le
mugen an., vermögen, können:
er wil ez töten, ob er mag 29“
dein blumen ichs geleichen mak 81"
daz man den (rit noch heut den tag
da in dem wasser gesellen mag 84"
und doch nit wider körnen mag 105“
die du nit gesehen magst 140“
den du auch gesehen magst 140 b
der sei gescliaden du nicht magst (:dakt) 104“
daz tler marner kainer macht
erkennen 110" (Vergl. Weinhold alm. Gr. §. 378).
muoterbar adj., ganz bloss, nackt:
und hiez sie machen müterbar 88".
muoterblöz adj., mutternackt:
da sie in sack da muterblöz 41 b
also hangötz muterblöz 97".
nmoter nackct adj.
da hiez ers henken auf enbor
an has müternackend blöz 118 b
und hiez sie muternakend dö
durch die stat füren so 151".
nackenblöz adj., ganz bloss:
und hies sie machen nackcnhlöß 90"
dar in man sie sazt nackenhlös 159 b .
Dies Compositum fehlt im Wrb.
nackent adj., unbekleidet:
umfaren nakent in dem land 90".
nagel stm.:
daz da nieman nutz beschach
und kaim so tur ains nagels gebrach 24 b (Wrb. II, 296).
naeje swv., nähe:
spinnen, neien sie anfing 34"
Mariä spann und net auch me 36“.
necke oder nacte swv., die Bedeutung ist mir unklar:
er sprach: der schmac mich wunder nimt,
der wol giligen, rosen zimt
■
I
Der (naget kröne. bÖ9
zu diser zeit ich nie genakt,
noch süssern tracht icli nie gesmackt 140“.
n e rn n e swv., nenne:
den man nempt Lucifer 84 1 ’
Marus nampt man in oeli 107“ (Wrb. II, 310).
niete swv, bemühe, bestrebe mich:
der Iiub sich in der nacht von dan
und niet sich grdzzer arbait 29“ (Wrb. II, 34S).
niht, nicht:
daucht ir wer niclit gnug getan 90“
dein hailigen gaist nim von mir nicht 90".
Gewöhnlich steht dafür nit:
und läz mich, lieber herr, nit (: lit) 90"
sein gesellen spottens Iiezen nit (: mit) 31 1 ’.
und schaid mich von der geselschaft nit (: mit) 88“.
Im Texte steht meist nit:
da sie daz nit in irem sin 82 6
des da die schurpfer nit verdroß 88“
furcht nit fast des wiitrichs trö 89“.
Als Pronominalsubstantiv wird nutz, nütz gebraucht:
die sün gewunnen nütz daran 34 1 '
das ir gar nutz gebrach 98 1 ’.
n upte swv., pflanze:
ain engel auf den bäum dö kam,
des baums ain ast er dö nam
in das wunniklich paradeis.
dar an genuptöt wart daz reis 31*.
öln swv., mit 'Öl salben. Der Infinitiv hier gebraucht zur Bezeich
nung des Sakramenls der Ölung:
und dö daz ölen da beschach
und daz bet vollendet was 1 IS 1 ’ (fehlt im Wrb 4 ).
p ort stn., Hafen :
ain port die Vella ist genant,
daz ist gelegen in Frankrich HO' 1 (Wrb. II, S23).
rere swv., lasse Blätter fallen:
diese krön iren schmack verliren nicht,
kain dorren, reren in beschicht 139' 1 (Wrb. II, 676).
i
560
Z i n g- e r 1 e
riebe swv., liier in der seltenen Bedeutung herrschen, regier
der tritt sun Antipa,
der solt nach im reichen da 34 1 ’ (Wrh. II, 693).
rimphe stv., riimphe, ziehe zusammen:
und wirt gerumpfen, dar zu swarz 144 1 ’ (Wrh. II, 704).
rindsblätere swf., Rindsblase:
der ain rintsbläter näm 144 1 ’.
rosen loht adj., rosieht:
sein antlut rösenlot gefar 123 b (Wrh. II, 766).
ruffian stm., Kuppler:
daz hast du boislich worden an
mit der ruffian unfür 134" (Wrb. II, 701).
ruoche swv., begehre, strebe nach etwas:
wan die al vergraben sint,
die dein sei hänt gesucht
und seins lebens liänd gerächt 33".
ruze swv., schnarche, lärme:
er schnarkt und räust dö ze stünd 1S3' 1 (Wrh. II, 823).
saelde stf., Heil, Glück:
und weise mich auf der seiden weg 123”.
schelm swm , Aas, Leichnam :
dö lägen sie in schelmen weis 160” (Wrh. H a , 93).
schfbe stv., r.olle, wälze:
gelück wil gen dir scheiben 31\
schrie prt. seine, schreie, rufe:
mit lauter stimme sie da schre 40".
schürp faereslm., Marterknecht:
des da die schurpfer nit verdroß 88" (Wrh. II 3 , 161).
se ecce:
und sprach: Dorothea, nu se,
die opfel und rosen fein
hat dir geschickt der gemahel dein 100"
er sprach: se hin, das 100"
Der maget kröne.
561
se hin, diz gemahel fingerlein,
daz du mein gemahel nu solt sein,
daz hat der päbst entbotten dir 130 1 ’
sin s. wesen,
s i t adv., seitdem :
den orden noch die Johanneit
durch Mariäm tragen sit 45“
nu set man sieder die mär 45“.
slahe stv., retlex. bewege mich:
an ainem tage wolten sich
nider da zu herberg schlahen 29" (Wrh. II 3 , 370).
sloufe swv., hülle ein, kleide. Hier mit üz verbunden: ziehe aus,
entkleide:
daz er sie hieß aus schlauffen gar 105 1
er liiez sie auz schlauffen har 148 6 , 153 1
kündens nit aus geslauffen do 153 1
do mans so auz geschlauffet het 125 1 ’
man wolt sie hän geschlauffet aus 154“.
snarke swv., schnarche:
er sehnarkt und räust dö ze stund I53 1 ’.
snie swv., schneie:
und was ain grösser sehne geschneit 99“.
sol an. v , soll:
waz ir reden sont ze stünt 134 b .
soumerstm., Lastpferd:
die sömer wurden geladen schier 24“.
spaehe stf., Acht, Aufmerksamkeit:
dar auf betten sie gröz spcch 112 1 *.
spezeri stf.:
alle kostlieh spezerei
und och alle wurz da pei 4".
stadel stm., Scheune:
daz körn in den stadel nicht ensol 119“.
■
S62
Z in g- e r I e
s ta t sin., Gesinde :
dar nach die jungfrow wert
ging zu dem wasser an daz stat 84“.
»lieh stm., Stich, Punkt:
da erblindet er ze stet
und nimmer stick mer gesaeli 134".
Vergl.: daz er gesaeli nit aineu stick. Liedersaal, XLV, 344.
sunderbär adj., gesondert:
nü was is dö der sit,
daz frawen frawen gingen mit
und auch die man sunderbär 36 1 '. t
swatzeswv., schwälze:
und gen dem richter also solt
swatzen ire Scheltwort 118“.
swin stn., Schwein :
der.sprach, er wolt Heröds schwein
lieber, wan sein sun sein 34 1 *.
temperte stf., gehörige Mischung, rechtes Verhältniss.
gemischt nach rechter teinperi 81" (Wrb. III, 29).
tenn stm., Tenne:
daz körn in den stadel nit ensol,
der tenn sei den getreten wol 119".
trage stv., trage. Statt treit auch tret:
diu auch tret der eren preis 123 [l
und nu der maget kröne tret 137"
der über dich den adel tret 124".
Doch fordert hier der Reim trait (: wirdikait).
trabte stf., Bedachfnehmen:
und sie ze ruwen beten tracht 27"
und bat sie, daz si betten tracht,
daz ein wazzer haus würd gemacht 82“.
traht stm., Duft:
noch süssern tracht ich nie gesmackt 140".
froum stm., Traum: daz wir
sein so in trämen gelegen 140“.
troume sw. v., träume: ,
ich main, ez hab geträmet dir 140".
Der maget kröne.
563
twerch adj., rjuer:
und da sie tet den zwerhen strich 44 1 '.
unbermig adj., unbarmherzig:
die unbermigen liaiden 42“.
nnderbint stn., Unterlass:
und weinet sd an underbint 40" (Wrb. 1, 131).
u n d erstä n, verhindern:
mag daz nieman understän,
du müezest dise marter hän? 38 b .
uufuore stl’., üble Lebensweise:
mit der ruffiän unfuor 134".
iingenullt stf., Unvernunft:
sie sprach: hin von mir ungenukt 120* (Wrb. II, 333).
ungeredt adj., stumm:
sie sint ungeredt und blint 87\
u nm ahtiglich adj., ohnmächtig:
da lag sie gar unmachtiglich 88 1 '.
urischemic adj., schamlos:
o du unschemiger bunt 104".
waege adj., angemessen, gut:
daz dir weger wdr der <ot 87 1 ’
weger sterben in sälikait,
wan leben in der boshait 143" (Wrb. 111, 047).
weidelieh adj., stattlich, ausgezeichnet:
sie was auch schon und waidenlich 107" (Wrb. III, 334).
wesen v., sein, inf. wesen:
da solt ain elich hochzeit wesen 37 b
do solt die braut wesen da 37 6
er sprach: „nain, daz solt nit wesen 39"
und sein dweib wesen solt 124".
Daneben die Form gesein:
mag ir dienerin gesein 147 b
daz er nit haisser mochte gesein 131“
mochten aller minst gesein 1S8 1 ’
daz er mir kain schad miig gesein 160".
Sß4
Zing-er/e, Der maget kröne.
Das Part. präet. lautet gesein:
und sprach: „ich hin der geselschnffc gesein 114“
bis an Jhesu nit verzagt 87 a
und bist nu ain nar gesein 118“
was gesein siech 129 11
daz ist in ebraisch sprach gesein 146 1 '
da was im tempel auch gesein 27 1 ’.
Der Imper. sing, ist bis:
der sprach: „Joseph bis gemailt“ 29“
und sprach: „bis bereit zu haut“ 39“.
Imper. plur. sint:
und brengent den gölten opfer dar
und sint dan ledig von mir gar 142 1 *
wetterblik strri., Blitz:
wetterblik und donnerslag 129“
wide stf., gedrehtes Baumzweig:
winden als ain wid 139" (Wrb. III, 618).
wint stm., Wind; bildlich, was nicht in Betraht kommt:
sie sprach: deine wort sint blint
und betrübent mir den wint 120' 1 (Wrb. III, 713).
wirs adv., übler, schlimmer:
da von in wirs den we bescbach 42 r ’
das dir nie wirs beschach 96“
da liiez ers aber schlahen me
mit rüten wirser vil wan e 137 1 '.
wizzen v. anom.:
und westen nit, wan ez ker 36 1 '
der wist wol, wie sie verseret was 89“.
zoph stm., Haarflechte:
daz sies an die zoph bankten hoch 137 1 (Wrb. III, 946).
zuokunft stf., Ankunft:
fr zukiinft fraut er sich alsus,
wan er auch von Britani was 110 1 ' (Wrb. I, 907).
z w i va ch t i c, zwiefach:
daz sie daz erenz zwifachtig saeh 44 1 '.
S i c k e 1, Beiträge zur Diplomatik.
S65
SITZUNG VOM 19. OCTOBER 1864.
Beiträge zur Diplomatik. IV.
Die Privilegien der ersten Karolinger bis zum Jahre 840.
Von Dr. Th. Sickel.
Bischöfliche und kirchliche Privilegien der Mcrovingerzcit.
Wie die Beziehungen der Klöster zu der weltlichen Gewalt durch
die Diplome geregelt werden, von denen ich in den vorausgehenden
Abschnitten ‘) gehandelt habe, so werden ihre Beziehungen zu der
geistlichen Gewalt der Bischöfe durch Urkunden geordnet, welche
nach dem älteren Sprachgebrauche regelmässig privilegia heissen.
Da sie häufiger unter dem ersten Herrschergeschlecht ertheilt sind
als unter dem zweiten, muss ich hier zur Erklärung der Privilegien
der Karolingerzeit auch die der Vorzeit herbeiziehen.
Nach kirchlichem Herkommen stand den Bischöfen ein Aufsichts
recht über alle geistlichen Anstalten und Personen ihrer Sprengel,
ja auch ein Dispositionsrecht über alles kirchlichen Zwecken gewid
mete Vermögen zu; beide Bechte übten sie auch über die Klöster
ihrer Diöcesen aus. So lange aber die Ausübung dieser Bechte noch
nicht genügend durch kanonische Satzungen geregelt war, entstan
den leicht Conflicte, namentlich zwischen den Bischöfen und den
Klöstern, denen bald durch die Zwecke der Stiftung, bald durch die
Bestimmungen der Ordensregeln eine besondere Stellung angewiesen
l ) Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe, LXVI. Band, IV. Heft, S. 17U tf.
Sitzt», d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd. II. Hft. 37
ä66
S i e k e 1
war. Im Morgeulande wurden, solchen Streitigkeiten vorzubeugen,
die Klösler vielfach nicht den Bischöfen, sondern den Patriarchen
untergeordnet. Ähnlich in Afrika, wo, als im Beginn des YI. Jahrhun
derts zwischen dem Bischof Liberius und dessen Metropolitan Boni-
facius ein Streit über die Stellung eines Petersklosters ausgebroehen
war, ein in Carthago abgehaltenes Concil zu Gunsten des Primas und
des Klosters entschied J ). Trat am Ausgange desselben Jahrhunderts
auch der römische Bischof Gregor I. einigemal für die Interessen aller
Klöster oder einzelner im besonderen den Diöcesanbischöfen gegen
über ein, so wirkte dies doch damals auf die Entwickelung dieser
Verhältnisse in der abendländischen Kirche wenig ein a ).
Auch in Gallien war von jeher den Bischöfen souveräne Gewr’t
über ihre Sprengel eingeräumt und speciell waren ihnen weitgehende
Befugnisse den Klöstern gegenüber durch die Synoden von Orleans
a. 511, zu Epaon a. 517, wiederum zu Orleans a. 533 und 538 und
zu Arles a. 534 zuerkannt s ). Als nun in den nächstfolgenden Jahr
hunderten die Mehrzahl der fränkischen Bisthümer in die Hände sehr
weltlich gesinnter Männer kam, die ihren Sprengeln und deren Inte
ressen fremd sich durch Habsucht und Gewalttätigkeiten hervor-
thaten 4 ), blieb auch der Missbrauch der Gewalt über die Klöster
nicht aus und führte zu den ärgsten Bedrückungen, hie und da zur
Vernichtung der klösterlichen Institute. Gegen diese Gefahren such
ten nun die Mönche Schutz bei einzelnen besseren Gliedern des Epis-
*) Thomassin vetus et nova ecclesiae disciplina, pars 1, üb. 3. — Mabillon annales 1,
42. — Planck Geschichte der christl. kirchi. Gesellschaftsverfassung 2, 476. —
Montag Geschichte der deutschen staatsbürgerlichen Freiheit 2, 203.
t Vgl. Jaffe Nr. 834, 996—998, 1090, 1121,1138, 1134, 1268, 1490, 1492—4; meh
rere dieser Urkunden, so besonders die drei letzten , erregen jedoch Verdacht. —
Nur in einem unechten Privilegium für Neucorvey (Erhard cod. dipl. Nr. 34) wird
einmal auf die sanctiones b. Gregorii hingewiesen.
°) Rettberg 2, 671. — Eine Zusammenstellung der betreffenden Beschlüsse der frän
kischen Synoden bis zum J. 881 gibt Launoy in der assertio inquisitionis in chartam
immunitatis monasterii S. Germanensis, Paris 1638, p. 36 sequ.
4 ) In einer Formel dieser Zeit, Roziere 373 = Baluze mai. 38 heisst es: solet con-
tingere ul . . . pastoralem curam suscipiant saeculares, et rebus que pauperibus
fuerunt condonate maius per gasindus quam per sacerdotes dispergatur, et eccle-
siastica vita neclecta conlata bonorum rnagis per venatores et canis et, quod est
gravius, per meretrices expendantur , vel religionis norma distrueta levitate lai-
corum secularia iniuste consentiantur, et per eorum iniqua consilia monacorum vita
conturbare praesumant etc.
Beiträge zur Diplomatik.
567
eopats, auf Synoden oder auch bei den Königen; sie suchten um Pri
vilegien nach, die, wenn auch später gemeiniglich als Exemtionen
bezeichnet, doch keineswegs von der ordnungsmässigen Gewalt der
Bischöfe befreien, sondern nur Sicherung gegen die Missbrauche
dieser Gewalt gewähren sollten. Ein Präcedenzfall, noch älter als
jener aus der afrikanischen Provinz, lag auch in Gallien schon aus
vorfränkischer Zeit vor. Beschwerden des Abtes Faustus von Lirins
gegen den Bischof Theodorus von Frejus führten auf einer um die
Mitte des V. Jahrhunderts in Arles abgehaltenen Synode zu einer
dem Kloster günstigen Entscheidung, auf welche auch jenes Concil
von Carthago hinweist und welche dann besonders in der fränkischen
Kirche für die Ordnung dieser Verhältnisse massgebend wurde. Lirins
und einige andere Stifter wurden in dieser und anderer Hinsicht
Musterklöster, deren Norm auf andere Stiftungen übertragen wurde.
Am häufigsten begegnet man in den betreffenden Urkunden, ausser
dem Hinweise auf die Beschlüsse der Synode von Carthago, auf die
Schrift des Augustinus de moribus clericorum *) und auf das Vorbild
von Lirins, der Berufung auf die Stellung von Agaunum (S. Moriz
im Wallis), Luxueil u. S. Marcel lez Chälons. Die Privilegien dieser
drei Musterklöster sind allerdings nicht auf uns gekommen a ). Aber
hingewiesen auf sie wird sehr oft, zum ersten Male in der könig
lichen Urkunde für Resbach, Pard. Nr. 270 vom J. 635 3 ), in der es
heisst: quia nihil de canonica auctoritate convellitur, si aliquid ut
diximus domesticis fldei pro tranquillitate pacis conceditur, nec
nobis aliquis detrahendo aestimet in id nova decernere, dum ab anti-
quis iuxta constitutiones pontificum per regalem sanctionem monasteria
sanctorum Agaunensium Lirinensium Luxoviensium immoque et
*) So u. a. in Pardessus Nr. 333, während anderwärts wie in Pard. Nr. 345 de gra-
dibus ecclesiasticis citirt wird.
2 ) Die ältere Geschichte' von Agaunum stellt am besten dar Derichsweiler Geseh. der
Burgunder 83; die Unechtheit der Urkunde Sigismunds Pard. Nr. 103 ist in Launoy
1. c. 491 und in Pardessus prolegom. 23 dargethan. — Für Luxueil konnte auch
Mabillon die betreffende Urkunde des Bischofs von Besangon nicht nachweisen; statt
ihrer führt er (ann. 1, 382 a. 689 = Pard. Nr. 299 = Jaffe' spur. 278) eine Bulle
des P. Johannes IV. von 641 an , die aber entschieden unecht ist. — Die einzige
Urkunde für S. Marcel aus Merovingerzeit Pard. Nr. 191 bezieht sich nicht auf diese
Verhältnisse.
3 ) Der Hinweis auf Luxueil in der um vier Jahre älteren Urkunde Pard. Nr. 254 bezieht
sich nur auf die in Luxueil geltende Ordensregel.
37
568
S i c k e 1
monachi d.Marcelli sub libertatis privilegio videntur consistere. Seit
dem wird auch Resbach, zuerst 659 in Pard. Nr. 333, als solches
Musterkloster angeführt.
Es ist schwer zu sagen, welches das älteste derartige bischöf
lich e Privilegium ist, da die auf uns gekommenen zumeist später
Überarbeitungen erfahren haben und die Echtheit derselben vielfach
und mit Recht bestritten worden ist 1 ). Unbedenklich, wenn auch
sprachlich emendirt, ist die Urkunde des Rischofs Burgundofaro für
Resbach, Pard. Nr. 275, a. 636. Gegen die Mitte des VII. Jahrhun
derts wird die Privilegienertheilung durch Bischöfe häufiger. Da
heisst es z. B. in Pard. Nr. 333: sed et in bis provinciis plura alia
regalia monasteria tarn antiquiore tempore quam nuper constructa a
pontificibus in quorum territoriis condita sunt gratia religionis et
caritatis privilegia acceperunt. Und dass sich bereits ein bestimmter
Inbegriff von Rechten, welche durch Privilegien ertheilt oder
gesichert wurden, herausgebildet hatte, beweist nicht allein jene
Berufung auf Norm bietende Klöster, sondern auch Wendungen wie
in Pard. Nr. 344 a. 662: sub ea ut diximus libertate sicut plurima
monasteria et monachi ibidem consistentes. In der Regel sind es die
Mönche welche den Diöcesanbischof um Ausstellung eines Privilegs
und andere Bischöfe um Bürgschaft für dasselbe durch ihre Unter
schrift angehen (Pard. Nr. 333, 335 u. a.); in anderen Fällen (Pard.
Nr. 345, 355) sind es die Stifter der Klöster. Ja nun geschah es
dass diejenigen, welche ihr Gut der Kirche für den speciellen Zweck
der Gründung von Klöstern schenkten, es gleich zur Bedingung
machten, dass der Bischof das ihm sonst zustehende Dispositions
recht nicht aüsüben solle 3 ). In dem ersten Testamente des Abtes
Widerad für Flavigny (Pard. Nr. 514) finden wir ganz dieselben
Bestimmungen, wie sonst in bischöflichen Privilegien; dass sie aber
erst durch den Consens des Diöcesanbischofs Giltigkeit erlangten,
ergibt sich aus dem zweiten Testamente desselben (Pard. Nr. 587).
Dem entsprechen die Formeln für Fundationsurkuuden Roziere 571,
572 (Marculf2, 1 und Baluze maior. 37): im jener wird bestimmt,
dass das Kloster bestehen soll remofa pontificum simulque ecclesia-
sticorum omnium oflficialium potestate, und die Bischöfe werden
*) Siehe Pard. Nr. 172, 226 u. a. und die Anmerkungen dazu.
2 ) Roth ß eneficialwesen 272. — Montag 2, 225.
Beiträge zur Diplomatik. 569
beschworen den Willen des Stifters zu achten; in der andern aus
dem Burgundenreiche stammenden Formel wird wiederholt die Zu
stimmung des Ortsbischofs zu den den Privilegien entsprechenden
Bestimmungen erwähnt.
Auch die Könige nun können in der Eigenschaft als Funda
toren oder als mitconcurrirende Stifter Klöstern privilegienähnliche
Urkunden ertheilen, wobei gleichfalls der Consens des Bischofs
vorausgesetzt wird. Häufiger aber geschieht es, dass sie schon von
Bischöfen gegebene Privilegien, die aber der Nichtachtung durch
die Nachfolger im Episcopat ausgesetzt waren, durch ihre könig
liche Autorität bekräftigen 1 ). Auch diese beiden Arten könig
licher Urkunden, die sich in Inhalt und Fassung sehr nahe stehen,
heissen in jener Zeit Privilegien. Das älteste zuverlässige Beispiel
von königlichem Privilegium bietet die schon genannte Urkunde für
Resbach dar. Und nur um wenige Jahre jünger ist das älteste auf
uns gekommene Original derartigen Diploms von Chlodwig II. für
S. Denis von 653 (Pard. Nr. 322, besser in Tardif Nr. II). Aus
ihm lernen wir sehr gut den wohl normalen Hergang bei Privilegien-
ertheilung kennen. In der königlichen Bestätigung wird nämlich
erzählt: nostra peticio fuit ut apostolicus vir Landericus Parisiaci
aecclesie episcopus privilegio ad ipsum sanctum locum abbati vel
fratrebus ibidem consistentibus facere vel confirmare pro quiite
futura deberit, . . . hoc ipse pontefex cum suis quoepiscopis iuxta
peticionem devocionis nostra plenissemam voluntatem prestitisse vel
confirmasse dinuscitur. Und nachdem nun der Bischof sein Privi
legium ertheilt 2 ), verkündet der König: iuxta quod per supradictum
privilegium a pontefecebus factum et prestetum est, . . . per lianc
auctoretatem iubemus. Aber es geschieht auch umgekehrt, dass der
König, wo er als Mitstifter erscheint, zuerst sein königliches Privi
legium ausstellen lässt und erst nachträglich auf Bitten des Königs
die bischöfliche Urkunde ertheilt wird : so verhält es sich mit den
Resbacher Privilegien Pard. Nr. 270 und 275
') In Roz. 576 wird von dem Grossvater des urkundenden Königs gesagt: ipse per sune
potestatis auctoritatem eidein monasterio lirmius privilegium concessit. — Zu weit
gehtMarca, wenn er (de concordia sacerdotii et imperii lib. 3 cap. 16) annimmt, dass
die Zustimmung des Königs zu den Privilegien erforderlich gewesen sei. B. 1762 für
S. Apre in Toul vom J. 869 gestattet den Mönchen, falls ihr PriTilegium verletzt
wird, in erster Linie die Hilfe des Metropoliten, in zweiter die des Königs anztirufen.
Das nicht auf uns gekommen ist, denn Pard. Nr. 320 ist ein späteres Machwerk,
570
S i c k e 1
Übei 1 die Bedeutung der Privilegien dieser Zeit im Allgemeinen
herrscht nur eine Meinung 1 ): sie sollen die Klöster nicht, wie es
später geschieht, von der kanonisch feststehenden Jurisdiction des
Diöcesanbischofs eximiren (nihil de canonica institutione con-
vellitur), sondern nur die Gewalt des Bischofs auf die gesetzlichen
Schranken zurückführen und gegen den Missbrauch derselben
sicherstellen. Aber darüber zweien sieh die Ansichten, welche Grenzen
durch solche Privilegien der bischöflichen Autorität gezogen wurden.
Wenn Thomassin z. B. die potestas rerum temporalium dem Abte
allein zugesprochen sieht, so macht Planck dagegen geltend, dass
auch bei so eximirten Klöstern dem Bischöfe noch ein Oberaufsichts
recht über die Temporalien zugestanden habe. Halten wir uns, um
die Besimmungen der Privilegien näher kennen zu lernen, an den
Wortlaut der Urkunden.
Wir können dafür ebensowohl die bischöflichen als die könig
lichen Privilegien benutzen, weil diese eben in allen Fällen jene
voraussetzen und zumeist in dem disponirenden Theile jenen nach
geschrieben sind. Freilich wird in den königlichen Privilegien
häufig auch noch ein Passus über Immunität binzugefügt, aber das
ist, indem die Immunität nicht in nothwendiger Verbindung mit dem
Privilegium steht, nur zufällige Vereinigung von zweierlei Acten
königlicher Beurkundung in einem Schriftstücke 2 ). Daher denn auch
in anderen Fällen, wie bei S. Denis und Farfa, Immunität und Privi
legium in getrennten Urkunden verlieben werden. Wir sind also
berechtigt, hier von den auf Immunität bezüglichen Stellen abzu
sehen, und sobald wir das thun, sind sich bischöfliche und könig-
1) S. auch Richter Kirchenrecht 4 Ausg. §. 132.
2 ) Die auf die Immunität bezüglichen Sätze werden eingeleitet in Pard. 270 durch
adiicientes, in Roz. 575 durch illud nobis placuit addendo, und ähnlich in anderen
Stücken. — Allerdings finden sich auch in einem bischöflichen Privilegium abwei
chender Fassung, Pard. Nr. 435 a. 696 aus Original, königlichen Immunitäten ent
lehnte Wendungen, nämlich: nec ad causas audiendum nec . . . exigendum nec
mansionis aut pastus ant paratas vel quemlibet reddebucionem requerendum nec
hominis ipsius dislringendum nec de rebus eorum quicquam minuandum penitus non
praesumat habere ingressum — das wird aber nicht den weltlichen Obrigkeiten
untersagt, sondern dem Bischöfe, den Archidiakonen u. s. w., es handelt sich also
auch nicht um Immunität, über die der Bischof nichts zu verordnen hatte, sondern
wie in allen Privilegien um Einschränkung der Episcopalgewalt über das Kloster,
und es ist afür hier nur von dem Schreiber ein sonst in Immunitäten gebräuchlicher
Satz angewandt.
Beiträge zur Diplomatik.
S71
liehe Privilegien dem Inhalte nach gleich. — Und weil Resbaoh,
wie schon erwähnt, seit Mitte des VII. Jahrhunderts mit unter
den Musterklöstern aufgezählt wird, können wir, um den Inhalt der
Privilegien festzustellen, von den ihm ertheilten Urkunden um so
mehr ausgehen, da die Fassung des königlichen Diploms für Res-
bach auch von Marculf als normale angesehen und in seine Formel
sammlung aufgenommen worden ist, und da sie auch in anderen
Urkunden wie Pard. Nr. 322, 355 u. a. mehr oder minder voll
ständig wiederkehrt.
Die Bestimmungen des königlichen Privilegs für Resbach, Pard.
Nr. 270, lassen sich nun auf folgende drei Puncte zurückführen.
\. Der Bischof hat keinerlei Anrecht auf das Klostergut, welcher
Art dasselbe sei, oder auf dessen Verwaltung oder auf dessen
Erträgniss: ergo si qua inibi — abstollere, fast wörtlich gleich in
Roziere 575, sachlich gleich in Roziere 574, Pard. Nr. 275
u. a. — 2. Der Bischof darf das Kloster nur auf Aufforderung des
Abtes und nur behufs Ausübung der den Bischöfen vorbehaltenen
Functionen betreten und darf bei diesem Anlasse die Mönche nicht
belästigen: nec ad ipsum monasterium — aceedere praesumat, fast
wörtlich gleich in Roziere 575, etwas ausführlicher und mit stär
kerer Betonung der Unentgeltlichkeit der bischöflichen Functionen
in Roziere 574; in Pard. Nr. 275 für dasselbe Resbach mit einer
gleich zu erörternden weiter gehenden Bestimmung. — 3. Bei
Erledigung der Abtstelle ist der Abt von der Congregation nach der
Ordensregel zu erwählen und der erwählte vom Bischof einzu
setzen : et cum abbas — per omnia et ex omnibus, sachlich gleich
in Pard. Nr. 275 und Roziere 574, fehlt dagegen ganz in Roziere 575.
Wenn einzelne Urkunden in ihrem Wortlaute über den der
eben analysirten Stücke binausgehen, so ist das in einigen Fällen
nur stilistische, das Wesen des Verhältnisses nicht berührende
Ausführung, in anderen dagegen ein wirkliches Plus von Bestim
mungen und Begünstigungen. Jener Art sind hier und da begeg
nende Sätze, welche bestimmter, als es in den Resbacher Privilegien
der Fall ist, die den Bischöfen noch verbleibenden Rechte bezeich
nen. Das geschieht z. B. in Roziere 574 und ähnlich in Pard.
Nr.435, in denen, nachdem wie sonst die Ausübung der Disciplinar-
gewalt in erster Linie dem Abt zugesichert ist, noch hinzugefügt
wird, dass ei forderlichen Falls pontifex de ipsa civitate cohercere
572
S i c k e 1
debet. Dies entspricht offenbar dem allgemeinen Inhalte dieser
Urkunden, welche die kanonische Gewalt der Bischöfe nicht auf-
lieben, sondern nur einschränken sollen, und es ist daher anzu-
nehmen, dass die beschränkte Jurisdiction auch da dem Diöcesan-
bischofe Vorbehalten geblieben ist, wo der betreffende Zusatz fehlt
und nicht etwa das Gegentheil ausdrücklich ausgesprochen wird.
Dagegen gehen andere Urkunden offenbar in der Sache seihst
über das, was wir als normalen Inhalt anzusehen haben, hinaus. —
Kein Privilegium dieser Zeit stösst die Regel um, dass gewisse
geistliche Functionen, die sogenannten actus episcopales •), nur von
Bischöfen verrichtet werden können, nämlich die Einweihung von
Kirchen und Altären, Consecration des Chrisma, die Ertheilung der
Weihen, welche denn auch zuweilen in den Formeln (Roz. 574)
und Urkunden (Pard. Nr. 275) namentlich aufgezählt werden; die
Privilegien wiederholen nur, was schon durch Concilbeschlüsse wie
die von Orleans im Jahre 533 verordnet war, dass die Bischöfe
für diese Verrichtungen keine Gebühren beanspruchen sollen. Aber
in einzelnen Fällen wird nun darüber hinaus das besondere Zu
geständnis gemacht, dass es den Äbten erlaubt sein soll, sich
behufs Vornahme dieser Functionen an andere Bischöfe als an den
Diöcesanbischof zu wenden. Indem Rettberg 2,675 diese Bestim
mung nur bei solchen Klöstern bemerkt hatte, welche von briti
schen Glaubensboten gestiftet waren, erklärte er diese offenbare
Verkürzung der Amtsrechte des Ortsbischofes dadurch, dass es in
diesen Klöstern nicht leicht an Personen mit Bischofsweihen gefehlt
haben werde. Und so verhält es sieh in der That in einigen Fällen.
Die Urkunde des Widigern für Murbach, Pard. Nr. 543, spricht das
deutlich aus: cum vero necesse fuerit chrisma petire . . . rector
ipsius monastirii vel peregrini monastirii ibidem consistentes aut si
de se episcopum habent aut a quocumque de sanctis episcopis sibi
elegerint qui hoc facere debeat, licentia sit eis expetire et ille
hoc tradere. Auch Resbach gehört nach der bischöflichen Urkunde
hierher, denn die Stifter hatten da monachos vel peregrinos suh
regula b. Benedicti et ad modum Luxoviensis monasterii eingesetzt,
und diesen wurde gleichfalls erlaubt, jene Functionen a quocumque
spirituali pontifiee decreverint verrichten zu lassen. Aber wenn auch
1) S, Planck 2, 74
Beiträge zur Diplomatik.
573
in diesen Briten kleistern ein besonderer Grund vorlag, ihnen die
weiter gehende Begünstigung zu gewähren, so ist letztere doch
nicht auf solche Stiftungen beschränkt geblieben. Wenigstens findet
sich in der aus Burgund stammenden Formel Roziere 573 (Baluze
mai. 38), keine Andeutung, dass es peregrini seien, denen der
Bischof gestattet:. cum vero fuerit oportunum ecclesiam dedicare
aut sacros oi'dines benedici vel labulas consecrare, quemeunque de
religiosis episcopis abbas ipse vel monachi sibi voluerint iuvocare,
und ausserdem lassen sich diese Worte, wie sie denn auch in
Urkunden wiederkehren, doch nicht auf dem Kloster selbst ange-
hörige Personen mit Bischofsweihen deuten. Es handelt sich also
um ein allgemeines weiteres Vorrecht, das aber am häufigsten
britischen Stiftungen ertheilt sein mag.
Bezeichnet nun diese Bestimmung das Maximum dessen, was
die Privilegien dieser Zeit enthalten, so steht dem auch ein hinter
dem Inhalt von Pard. Nr. 270 zurückbleibendes Minimum gegenüber.
Nur ist in einzelnen Fällen schwer zu sagen, ob die Nichterwähnung
eines der zuvor aufgezählten drei Puncte nur eine stilistische Ab
weichung von der Norm der Fassung oder eine sachliche Abweichung
von der Norm des Inhalts ist. Ich bemerkte schon, dass Roz. 575
die in den sonst gleichen Pard. Nr. 270 und Roz. 574 (Formel für
bischöfliche Pi’ivilegien) vorkommende Bestimmung über die Abts
wahl auslässt 1 ). Indem aber Marculf Roz. 575 unmittelbar auf Roz.
574 folgen lässt und als concessio regis ad hoc privilegio, d. h. als
Bestätigung von Roz. 574 bezeichnet, wird man die Differenz doch
nur für eine stilistische halten können. Sie mag sich daraus erklären,
dass die Formel für königliches Privilegium in ihrem letzten Theile
in Immunitätsverleihung übergeht und dass in Folge davon der auf
die Abtswahl bezügliche Passus unterdrückt wurde, oder noch allge
meiner daraus, dass in einer Zeit, in welcher Herkommen und Ge
wohnheitsrecht vorherrschten, dem Schreiben der Sinn für formelle
Vollständigkeit und Correctheit ihrer Elaborate abging. Anders
scheint es sich dagegen mit den Urkunden für S. Denis zu verhalten.
Dessen erstes bischöfliches Privilegium Pard. Nr. 322 vom J. 653
(allerdings später überarbeitet und desshalb mit Vorsicht zu benutzen)
*) Ähnlich verhüll sich Pard, Nr. 344 au Roa. 374.
574
S i c k e 1
enthält nämlich, obschon es sich in der Fassung vielfach an die aus
führlicheren Privilegien anschliesst, nur die erste Bestimmung,
welche das Klostergut vor den Ansprüchen des Bischofs sicherstellen
soll, und nichts über die Abtswahl. Von letzterer handelt erst die
Urkunde Theodorieh’s von 723 (Pard. Nr. 527 aus einer Copie des
XIV. Jahrh., welche in ausgezeichneter Weise die alte Rede-und
Schreibweise wiedergibt) und zwar in Ausdrücken, als ob dem Kloster
damit ein neues Recht verliehen werden sollte. Dann hätte also die
Nichterwähnung in Pard. Nr. 322 eine wesentliche Bedeutung.
Bleiben wir gleich bei der Bestimmung über die Abtswahl
stehen. Es ist hier nicht der Ort, auf alle die Fragen einzugehen,
welche mit diesem Rechte Zusammenhängen; aber das ist liier zu
betonen, dass es sich mit dieser Bestimmung wie mit den anderen der
Privilegien verhä'f: das Recht ergibt sich schon aus der von den
meisten Klöstern befolgten Regel und ist ausserdem durch Synodal
beschlüsse (z. B. conciliuin Arelatense a. 451) allgemein anerkannt;
dennoch pflegt auch für dieses Recht noch besondere urkundliche
Zusicherung von den Bischöfen gegeben zu werden, dennoch pflegt
dasselbe in den Stiftungsbriefen noch ausdrücklich stipulirt zu wer
den, dennoch pflegt auch dafür noch königliche Bestätigung einge
holt zu werden. Und in Electionsacten, wie in einer Wahlbestäti
gung von Theodorich III. von 681 (Pard. Nr. 698) wird denn auch
betont, dass das Recht ausgeübt sei secundum sanctum privilegium
quodsuprasancto locoexregali munificentia etsacerdotum concessione
(conf. Pard. Nr. 345) indultum est. Die eben so gegen Eingriffe der
Könige als gegen die der Bischöfe gerichtete Zusicherung der freien
Abtswahl wird also auch als Privilegium aufgefasst und Urkunden,
die nur diese Bestimmung enthalten oder doch vorzüglich nur von
dieser handeln, werden gleichfalls Privilegien benannt, so Pard.
Nr. 505 von Chilperich II. für S. Maur des Fosses J ). Aber trotz des
gleichen Namens werden die Urkunden so beschränkten Inhalts von
den vollständigen Privilegien, von denen wir ausgegangen sind, zu
unterscheiden sein.
Es erübrigt noch von der eventuellen Auslassung der zweiten
Bestimmung, die wir in dem Resbacher Privilegium antrafen, zu
i) Ähnliche Fälle der spätem Zeit bespricht Rettberg- 2, 673. Auch die Urkunden,
durch welche die freie Wahl der Bischöfe geregelt wird, heissen privi legia, wie
B. 343.
L
Beiträge zur Diplomatik.
575
sprechen: begründet es einen Unterschied in der Stellung der
Klöster zu ihren Diöcesanbischöfen, dass in die Mehrzahl der Urkun
den diese zweite Bestimmung aufgenommen ist, in einige aber nicht?
Im Grunde besagt sie doch nur, dass die Bedrückung und Belästi
gung des Stiftes durch die Bischöfe, gegen welche der erste Satz
der Privilegien gerichtet ist, auch nicht unter dem Vorwände der
Verrichtung kirchlicher Functionen stattfii.den soll, im Grunde ist
sie also nur eine weitere Ausführung des ersten Punctes. Insofern
erscheint die Auslassung dieser zweiten Bestimmung als irrelevant.
Es lässt sich dafür auch das spätere Privilegium für S. Denis, Pardi
Nr. 527, anführen: da heisst es, dass dem Kloster von Alters her
integrus privilegius ertheilt sei und nun wieder bestätigt werden
soll, und doch findet sich hier die betreffende weitere Ausführung
nicht. Und es scheint, und aus dem folgenden Abschnitte werden
sich die Belege dafür ergeben, dass der Umstand ob der bezügliche
Passus in den Urkunden vorkommt oder nicht, vorzüglich davon
abhing, ob ältere oder jüngere Formeln bei der Redaction benutzt
wurden. In den älteren Zeiten bedurften die Klöster grösserer und
ausdrücklicherer Garantien gegen d : e Willkür der Bischöfe: daher
wurde in die damaligen Formeln und Urkunden in der Regel auch
die zweite Bestimmung aufgenommen; in der späteren Zeit fiel dieser
Grund weg: die neueren Formeln lassen daher den betreffenden
Passus ans und ebenso die Urkunden, wenn sie mellt zufällig nach
älteren Formeln stilisirt wurden.
Somit reducirt sich der wesentliche Inhalt der vollständigen Pri
vilegien, für die sich durch Herkommen eine Norm ausgebildet hat,
auf zwei Hauptpuncte; daneben kommen aber auch Privilegien vor,
welche nur die eine oder die andere Hauptbestimmuug enthalten.
Und dieser Umstand, dass je nach den besonderen Verhältnissen der
Klöster ihnen eine grössere oder geringere Unabhängigkeit von der
Episcopalgewalt zugesichert werden konnte, mag dazu beigetragen
haben, dass schon gegen Ausgang des VII. und im Beginne des VIII.
Jahrhunderts die Mehrzahl der Klöster Privilegien der einen oder
der andern Art erhalten hatte, welche allerdings nicht immer respec-
tirt wurden t).
i) Roth ßeneficinlweseu 262, N. 82. Nur S. Gallen kann wegen der Unzuverlässig
keit der Zeugnisse nicht hieher bezogen werden , wie ich in den Mittheilungen zur
576
Sicke
Audi war damals die Ertheilung von Privilegien ebenso wenig
wie die der Immunität durch die Qualität der Klöster bedingt. Aller
dings wird die Gewährung der betreffenden Rechte in der Urkunde
für S. Denis, Pard. Nr. 322, so motivirt: quia ab ipsis principebus
vel a citeris priscis regebus . . . ipse sanctus locus . . , videtur
esse ditatus, und in dem bischöflichen Privilegium für S. Colombe
de Sens, Pard. Nr. 333, wird hervorgehoben: sed et in bis provinciis
plura alia regalia monasteriä . . , privilegia acceperunt. Diese
Stellen besagen aber nur, dass sich die Könige als Besitzer von Stif
tungen am ehesten in der Lage befanden für diese auch kirchliche
Vorrechte oder Garantien gegen den Missbrauch der Episcopalgewalt
auszuwirken, wie das Roz. 573 ausspricht: dignum est ut, quod rex
uius seculi . . . pro commune salute voluit esse constructum, sub
integro privilegium sit in perpetuum a calumniandi occasionibus
conservatum. Und dass auch jeder andere Besitzer um Privilegien
nachsuchen konnte, ergibt sich aus Roz. 575: dum et ille episcopus
aut abbas aut inluster vir monasterium . . . aut super sua proprie-
late aut super fisco noscitur aedificasse. Dem entsprechen die Ur
kunden, die ich hier nach der Qualität der Klöster, und ich führe
dabei zugleich einige Beispiele aus der Zeit der ersten Karolinger
an, zusammenstelle. Privilegirte königliche Klöster sind: die von
Childebert I. gestiftete basilica s. crueis et s. Vincentii Parisiensis
(Pard. Nr. 172); Resbach, zum Theil von Dagobert I. dotirt (Pard.
Nr. 270); Corbie, von Chlothar III. erbaut (P. Nr. 345) u. a.; Honau
Pippin commendirt (Bouquet 5, 705); Uersfeld, Karl d. G. tradirt
(ßöbmer 63). — Privilegirte bischöfliche Klöster sind: Solemnes
(Pard. Nr. 254); Görz unter Karl d. G. (Böhmer 39 und Labba
concilia 6, 1698). — Dafür dass auch ein einem andern Kloster
unterworfenes Kloster ein vollständiges Privilegium erhalten, weiss
ich nur Salona im Metzer Sprengel zur Zeit Karl d. G. (B. 90)
anzuführen. — Privilegirte Privatstiftungen sind: S. Marie de Sois-
sons, von Ebroin erbaut (Pard. Nr. 355); Widerad’s Stiftung Fla-
vigny (Pard. Nr. 514 und 587); Wolfoald's Stiftung S. Mihiel de
Massoupe (P. Nr. 475). In Karolingerzeit scheint Granfeldeu in
vaterländischen Geschichte, herausgegeben vom historischen Verein in S. Gallen
1864, Heft 4, nachgewiesen habe. — Man vergleiche auch Roz. 576 = Dümmier
Formelbuch Nr. 3.
Beiträge zur Diplomatik,
577
Privatbesitz und privilegirt gewesen zu sein t). Dazu kommen dann
Privilegien für Klöster, die zu der betreffenden Zeit nullius iuris
sind, wie S. Denis unter Pippin (Böhmer 25) und Novalese unter
Carlomann (B. 36)2).
Es ist hier endlich noch etwas hervorzuheben , was auf die
Fassung und Form dieser Urkunden eingewirkt hat, wobei ich zu
gleich die im übrigen erst später zu besprechenden Privilegien der
Karolinger mit berücksichtigen werde. Wenn nämlich eiu Bischof
einem Kloster seines Sprengels durch Privilegien eine Garantie
gegen Missbrauch der Episcopalgewalt geben wollte, galt es die
eigenen Nachfolger zu binden. Daraus erklärt sich, dass von jeher
solche Garantie unter die Mitbürgschaft der Bischöfe anderer Diö-
cesen gestellt wurde, sei es dass die Privilegien auf Versamm
lungen der Bischöfe von ihnen gemeinsam ertheilt wurden , sei es
dass sie von anwesenden oder auch anderen Bischöfen mit unter
zeichnet wurden, sei es dass sie wenigstens anderen zur Kenntniss-
nahme mitgetheilt wurden: es gibt kaum eine derartige Urkunde,
an deren Ertheilung oder Ausstellung nicht auch Mitbischöfe bethei
ligt gewesen sind. Viele derselben sind der Inscription nach an die
* Collegen gerichtet (Pard. Nr. 335, 343, 355 u. a.), und in der
Regel heisst es am Schlüsse wie im Pard. Nr. 275: quam constitu-
tionein , . . vobis vel caeteris episcopis destinavimus insuper con-
firmandam. Und so tragen diese Urkunden und andere gleichen
Inhalts (Pard. Nr. 333, 344, 345, u. s. w.) zahlreiche Unter
schriften der Bischöfe der benachbarten Sprengel. Dass auch bei
der Ausstellung nicht Anwesenden das Privilegium nachträglich zu
solchem Behufe unterbreitet wurde, lässt sich allerdings aus Mero-
vingerzeit nicht so bestimmt nachweisen, wie aus dem IX. Jahrhun
dert, wo es z. B. in einer Urkunde von 864 (Quantin Nr. 45, ähn
lich Nr. 49) heisst: suhscriptionibus id propriis praesentes robora-
vimus et absentes fratres et coepiscopos nostros, ut idem facere
') Es lassen sieh dafür nur spätere Urkunden anführen: die Lothar’s I. B. 602, Lothar’s
II. B. 708 und der sehr wichtige Hechtspruch Konrad’s V. von 962 in Zeerleder
Berner Urk. Nr. 935, welcher dort richtig gedeutet wird, während Montag 1, 347
diese Urkunde ganz falsch auslegt.
2 ) Auf die Notiz einer späteren supplicatio itn chron. Novalic. (Pertz SS. 7, 122), dass
das Kloster von Alters her dem päpstlichen Stuhle unterworfen gewesen sei, ist kein
Werth zu legen.
578
S i c k e 1
dignentur . . . obseerarmis. Und ebenso geschah es, dass man
auch Nachfolger von Bischöfen, welche ein Privilegium mit unter
fertigt hatten, noch zur Unterschrift aufforderte J ).
Damit nun dass überhaupt Privilegienrechte in erster Linie
von den kirchlichen Autoritäten zu verleihen waren, dass dann die
Urkunden von mehreren Bischöfen bekräftigt zu werden pflegten,
hängt es zusammen, dass auch in den königlichen Privilegien, inso
fern sie Bestätigungen der bischöflichen Urkunden waren, der Bei
stimmung der Bischöfe entweder gedacht oder selbst durch ihre Mit-
unterzeichnurig ein formeller Ausdruck gegeben wurde. Für beides
lässt sich das noch in Original erhaltene Diplom Chlodwig’s II. Pard.
Nr. 322, anführen, in dem es nach wiederholtem Hinweis auf die
vorangegangene bischöfliche Urkunde heisst: hunc heneticium . . .
cum eonsilio pontefecuin et inlustrium virorum nostrorum procerum,
und in dem dann ohne Ankündigung auf die königliche Subscription
in drei Reihen zahlreiche Unterschriften von Bischöfen und auch von
anderen Personen folgen, welche theils ihre Namen mit der damals
üblichen Formel selbst schreiben, theils nur ihr Handmal machen
und ihren Namen von dem Notar dazu setzen lassen. Es ergibt sich
daraus, dass die auch für die Merovingerzeit festzuhaltende Regel,
dass königliche Diplome der Zustimmung der Grossen nicht geden
ken und von denselben nicht mit unterfertigt werden, doch Ausnah
men, besonders bei Privilegien, zulässt 3 ).
Dies ist auch bei der Beuriheilung ähnlicher Fälle aus de ( .
Karolingerzeit zu beachten. Was zunächst den Consens der Gros
sen anbetrilft, so wird er in dem Privilegium Pippin’s für S. Denis
B. 25 sowohl in der Arenga als am Schluss erwähnt. Das Vorkom
men an letzterer Stelle erklärt sich noch besonders daraus, dass von
ergo oportet clementiam an die ganze Urkunde wörtlich der Theo-
derich's IV. Pard. Nr. 527 nachgeschrieben ist s ). Bei dem Inhalte
1) Mabillon ann. 1, 455 und aus dem IX. Jahrhundert Privilegium in Perard 50, das
nach und nach drei Bischöfe von Langres Geilo, Argrimus und Varnerius unter
schrieben haben.
2 ) Eine Ausnahme anderer Art ist, dass Urkunden minorenner Könige, wie die Chlo-
thar’s UI. Pard. Nr. 329 und folgende, von anderen mit unterzeichnet werden.
3 ) In dieser nür abschriftlich überlieferten Urkunde ist gegen den Schluss nach exorare
und vor optematum offenbar eine ganze Zeile ausgefallen, deren Ergänzung sich aus
B, 25 ergibt.
Beiträge zur Diplomatik.
579
des Stückes konnte es aber auch leicht geschehen, dass des Beira-
thes der Bischöfe und weltlichen Grossen desgleichen in der neu
stilisirten Arengu gedacht wurde; freilich wurde dann, wie wir
schon sahen '), dieselbe Arenga aus dem Privilegium auch in die
damals von Pippin ausgestellte und in die von den Nachfolgern
wiederholten Immunitäten hinübergenommen. Sonst finden wir sol
chen Consens unter den ersten Karolingern, abgesehen von ver
derbten Urkunden, nur in einer des Königs Ludwig von Aquitanien
von 808 (Redet documents 5 aus Original), einer Urkunde die ihrem
Inhalte nach gleichfalls mit den Privilegien, namentlich mit den dem.
IX. Jahrhundert eigenthümlichen Privilegien auf gleiche Stufe zu
stellen ist, und endlich erwähnt in dem erzählenden Theile der Ur
kunde Ludwig’s in Erhard Nr. 9, wo es sich auf den ebenfalls ana
logen Stiftungsact bezieht. Aus diesem Diplom ist dann der betref
fende Satz auch in die falsche Urkunde Nr. 439 (Erhard Nr. 8),
übergegangen.
Was ferner Mitunterzeichnung von Diplomen 3 ) anbetrifft, so
kommen hier aus Karolingerzeit in Betracht zwei Urkunden Pippin’s
für Fuld und Prüm B. 3u. 19 und die Karl d.G. für Trier B. 65. Von
der ersten werde ich in derFolge ausführlicher zu handeln haben und
bemerke hier nur, dass der Umstand, dass nach der auf uns gekom
menen Copie die Urkunde von Bischöfen und andern unterzeichnet ist
und dass unter diesen Bischöfen nicht alle als gleichzeitig gedacht
werden können, dass dieser Umstand für sich allein kein Bedenken
erregt, eben weil es eine Privilegienbestätigung ist. Und auch das
Prümer Diplom ist eine sowohl mit Privilegien- als mit Immunitäts
bestimmungen verbundene Dotationsurkunde, und so muss auch hei
ihr als möglich zugegeben werden, dass die ihr angehängten Sub
scriptionen eben so in dem Original gestanden haben können, als in
der uns vorliegenden wenig zuverlässigen Abschrift. Über die Unter
schriften in B. 65 habe ich mich schon früher ausgesprochen s ).
Ich erinnere endlich an das, was ebendaselbst von der Imprecation
gesagt wurde. Die kirchlichen Autoritäten drohen derartige Strafen
*) Beitrage z. D. III. I. e. 221.
2 ) Nur von diesen rede ich hier; dass völkerrechtliche Verträge, Theilungsacte,
Constitutionen oder Capitularien (Ann. Einhardi ad 806; Pertz. LL. 187 a. 813
u. s. w.) von den Grossen unterfertigt wurden, ist anders zu beurtheilen.
3 ) Beiträge z. ü. 111. 1. c. S. 226.
580
S i c k e 1
an !), besonders in Privilegien (z. B. Pard. Nr. 345) und so geht
der betreffende Passus wohl auch zuweilen in die königlichen Privi
legien über. So lässt sich auch in dem Diplom für Fuld B. 3 der
Hinweis auf die sententia apostolicae districtionis erklären und so
wird in jedem weiteren Falle, in dem gegen-die allgemeine Regel
von derUngebräuchlichkeit derlmprecation in den älteren Diplomen
verstossen wird, zu fragen sein, ob sich die Ausnahme etwa durch
den an Privilegien erinnernden Inhalt oder durch sonstigen Zusam
menhang der königlichen Urkunde mit einer der kirchlichen Autori
täten rechtfertigen lässt.
Privilegien-Forineln und Urkunden der Karolinger bis 814.
Es ist schon im letzten Abschnitte das Verhältniss der Marculf-
schen Formel Roziere 575 zu den Urkunden der Merovingerzeit dar
gelegt worden. Marculf hat also in diesem Falle keine neue Redac
tion aufgestellt, sondern hat einfach die von Pard. Nr. 270 oder die
einer gleichlautenden Urkunde in seine Sammlung aufgenommen,
wie er auch selbst in dem Prolog von einem Theile seiner Formeln
sagt, dass er nur aufgezeichnet liahe, was er kennen gelernt iuxta
consuetudinem loci quo degimus. Welches war nun sein Heimats
land? Dass er im Sprengel von Paris lebte, dessen Bischof Lande-
ricus ihn zu der Arbeit aufgefordert hatte, ist allgemein anerkannt.
Aber daneben hat man ihm Beziehungen zu Burgund zugeschrie
ben 3 ) und hat sich dafür auf die eine Privilegienformel und auf
Marculf 1,8 = Roz. 7 berufen; doch weder die eine, noch die an
dere Formel beweisen dies. Wenn in der zweiten, in der carta de
ducato genannt werden Franci Romani Burgundiones vel reliquae
nationes, so sollen damit gewiss nur alle in dem Reiche wohnende
und in gleicher Weise des Königsschutzes theilhaftige Stämme be
zeichnet werden, und lässt sich daraus nur auf künstliche Weise
deduciren, dass Marculf, weil er auch die Burgunder nennt, auf diese
besondere Rücksicht habe nehmen wollen. Und eben so wenig ist es
eine besondere Beziehung auf das burgundische Reich, wenn der
Formelsammler in Roz. 574, d. h. in dem bischöflichen Privilegium
A ) Waitz V. G. 3, 270. — Bezeichnend heisst es in einem bischöflichen Privilegium
von 83G in Mabillon de re dipl. 324; imprecationem autem anathematis quam
auctoritate canonica et apostolica proferimus omnino consequatur, qui huius privi-
legii violator extiterit.
2 ) Stobbe Gesell, der deutschen Rechtsquellen 1, 249.
Beiträge zur Diplomatik.
581
zu dessen Ergänzung das königliebe Hoz. 575 dient, neben Lirins
in der Provence die burgundisehen Klöster Agaunum und Luxueil
als Beispiele nennt: es sind dies eben nur die Klöster, in denen
die betreffenden Verhältnisse am frühesten geregelt worden sind und
die desshalb als Musterklöster genannt werden, und wenn zu ihnen
etwas später allerdings noch das hurgundische Stift S. Marcel lez
Chälons kommt, so wird andererseits auch noch, wie wir sahen, das
wieder ausserhalb Burgunds liegende Besbach als Vorbild angeführt.
Roziere 575 ist nun wie andere Formeln Marculfs auch von der
Karolingischen Kanzlei benützt worden. Unter den auf uns gekom
menen älteren Formeln ist diese die einzige für ein königliches Pri
vilegium vollständigen Inhalts. Sonst werden diese Verhältnisse nur
gelegentlich, oft nur mit wenigen Worten, in Formeln andern
Hauptinhalts berührt, von denen ich die von der Kanzlei gebrauchten
hier ebenfalls anführen will.
Es gehört hierher erstens Marculf 1, 35 = Roz. 158 mit der
Aufschrift: confirmatio de omni corpore facultatis monasterii. Ausser
dass hier von Besitzbestätigung die Rede ist, heisst es nämlich:
etiam et privilegium ipsius monasterio quod (iuxta) institutionem
sedes aposfolice seu reliquorum episcoporum visi sunt meruisse . . .
decrevimus roborare, und: adiicientes ut et privilegium tarn de abba-
tis ingressu (ab) ipsa congregatio ... ex se instituendo quam et de
reliqua omnia quod per institutionem pontificum de tempora illa usque
nunc ipse monasterius habuit concessum . . . ifa et in antea . . .
sub eo ordine valeant . . . permanere.
Ferner Roz. 23 = append. ad Marcull'um 44, überschrieben:
emunitate sanctorum, was auch auf den Hauptinhalt passt. Hier ist
der Hinweis auf Privilegium zu den Worten zusammengeschrumpft,
dass nach der zur Bestätigung vorgelegten Urkunde nullus (episco-
pus) aut archidiaconus loci illius nisi orationem aut praedicationem
lucranda . . . debuisset habere introitum; denn mit der Immunität von
den weltlichen Richtern können diese Worte nichts zu thun haben.
Wann mag nun diese Formel aufgesetzt sein? Ein älteres ihr ent
sprechendes Diplom liegt nicht vor, so dass wir die Entstehungszeit
nur aus dem Stil und einzelnen Wendungen bestimmen können. Da
scheint mir nun, dass die erste Redaction dieser Formel noch in die
Merovingerzeit zurück zu versetzen ist: dafür sprechen der Titel,
so weit er massgebend sein kann, die Arenga, welche eine Erweite-
Sitzb. il. pliil.-hist. CI. XLVII. Ild. II. Hfl. 38
582
S i c k e 1
rang der schon früh und oft vorkommenden: si petitiones ... ad
effectum perducimus ist, und noch mehr, dass sich am Schlosse die
Worte: manu nostra signaculis subter ea tlecrevimus roborare erhal
ten haben, in denen der Plural auf die Zeit hinweist, in der Mono
gramm und Siegel unter signacula oder subscriptiones zusammen
begriffen wurden. Aber aus dem weiteren Zusatze: et de anolo
nostro subter segelavimus lässt sich mit Gewissheit eine zweite, in
die Karolingerzeit fallende Redaction folgern. Und wenn wir diese
wegen des später nicht mehr gebräuchlichen vir illuster im Titel
vor 77S zu setzen Anlass haben, so stimmt dazu die Incorrectheit
der Sprache (magnificus vir.'s ducibus . . . seo homines vassos
nostros; cum moniehas; fale irnmunitate . . . habuisset concessum;
absque ullum introitum; exhactetur; genitore nostro illo condamregis
u. dergl.), wie sie sich gleichfalls nach dieser Zeit kaum noch findet.
Handelt diese letztere Formel nur von dem Verbot des introitus
episcopi und nicht von der Abtswahl, so finden sich auf der anderen
Seite Privilegienbestimmungen über die Abtswahl allein. Nur ist eine
eigeneFormel für so beschränktes Privilegium in unseren Sammlungen
nicht enthalten, sondern der betreffende Passus begegnet nur einmal
als Anhang zu der Immunitätsformel Roz. 19 = Carpentier 18, wie
denn auch bei den Urkunden diese Restimmung mit den Schutzbriefen
oder Immunitäten verbunden zu werden pflegt. Auch für sie hat es im
Laufeder Zeiten verschiedene Redactionen gegeben, die aber stets des
gleichen Inhalts sind und sich nur in stilistischer Hinsicht unterscheiden.
Während sich nun die Wahlprivilegien unter den ersten Karolin
gern mehren , sind die vollständigen Privilegien schon unter Kar
d. G. in Abnahme begriffen und unter seinem Sohne erhalten die
Klosterprivilegien unter neuen Verhältnissen zumeist auch einen
neuen Inhalt: daraus erklärt sich, dass der Formeln für ausführliches
Privilegium nicht mehr sind und dass sich deren gar keine mehr in
der Carpentier’schen Sammlung findet, die so ziemlich für alle im
IX. Jahrhundert vorkommende Arten von Diplomen Muster darbietet.
Jedoch in den Diplomen selbst, die wir nun prüfen und mit den For
meln vergleichen wollen, treffen wir allerdings eine grössere Mannig
faltigkeit von Fassungen an.
Von Privilegien der ersten Karolinger sind mir bekannt 1 ):
l ) Die für Fulda lasse ich hier aus, von ihnen handelt der folgende Absc hnitt.
Beiträge zur Diplomatik. 583
Pippin für Hon.au c. a. 758, am besten in Grandidier 2 Nr. 54
aus jetzt nicht bekanntem Cod. saec. XV. s. Petri senioris.
Pippin für S. Denis B. 25 von 768 in Bouquet 5, 710 Nr. 19
aus dem Cartulaire bianc im Pariser Archiv.
Carlomaun für Nova lese B. 36 von 770 in Mon. hist, patriae
1, Nr. 34 aus jüngerer Copie.
Karl d. G. für Görz von 774 in Meurisse 183 und Bouquet 5,
714 Nr. 3.
Derselbe für Uersfeld von 775 in Wenck 3, Nr. 4 aus dem
Original im Archiv zu Kassel.
Derselbe für Farfa B 72 von 775 in Muratori SS. 2\ 350 ex
chron. Farfensi.
Karl für Salona B. 90 Yon 777, am besten im Journal Lorrain
1853, p. 158, aus dem Original im Archiv zu Nancy.
Karl für S. Ambrogio B. 138 von 790 in Fumagalli cod. dipl.
Nr. 20 ex copia saec. XII.
Entschieden nach den uns bekannten Formeln Marculf’s abge
fasst sind die Privilegien für Honau (= Roz. 158) und für Novalese
(= Roz. 575). Was das erste Kloster aubetrifFt, so lernten wir früher
(B. z. D. 3,185) einen Schutzbrief des Hausmaiers für Honau, dann
(ib. 197) eine Immunität des K. Pippin kennen; zu ihnen tritt nun
als die Verhältnisse nach allen Seiten regelnde Ergänzung das Pri
vilegium hinzu, ohne Datum überliefert, aber wahrscheinlich mit
oder bald nach der Immunität ausgefertigt. Vielleicht haben eben
die Umstände, dass das Kloster in besonderem Mundium stand und
schon Immunität erhalten hatte, die Wahl der Formel Roz. 158
bestimmt. Zunächst beginnt die Urkunde allerdings wie viele Pip-
pin’s mit einer Inscription; von der Arenga an herrscht dann aber,
einen Satz ausgenommen, so grosse Übereinstimmung zwischen der
Urkunde und Formel, dass letztere, welche stellenweise schlecht
überliefert ist, gradezu durch jene erst verständlich gemacht wird.
Allerdings fehlt nun im Diplom, wie es uns vorliegt, der für die Pri-
vilegienbeslimmungen wichtigste Satz: adiicientes ut et privilegium
— per institutionem pontificum de tempora illa. Aber man kann nicht
in Zweifel darüber sein, dass dieser Passus aus Nachlässigkeit, sei es
des königlichen Notars >)> sei es des späteren Abschreibers ausge-
) Vgl. die analogen Fälle in den Urkunden B. 1. 06.1549 u. a.
38
584
S i c k e l
fallen ist, denn in der ersten Hälfte ist ganz wie in der Formel
gesagt worden, dass ein Privilegium bestätigt werden soll. Es ent
steht aber die Frage, was wir unter der dabei erwähnten auctorita s
nostra oder der prior praeceptio nostra zu verstehen haben. Grandi
dier bezog dies auf die Immunität B. 13, weil er Immunitäts- und
Privilegienrechte nicht zu unterscheiden wusste. Man muss hier viel
mehr an eine frühere Privilegienbestätigung etwa von Pippin als
Hausmaier denken , oder geradezu annehmen, dass der königliche
Notar die Formel mechanisch nachschreibend, sich unter diesen Wor
ten gar nichts gedacht hat. — Besitzconfirmation *) und Privilegium
machen also den Hauptinhalt des Diploms für Honau aus, und nur
gelegentlich wird am Schluss noch erwähnt, dass das Kloster auch
in sermone nostro permanere soll. In diesem Zusammenhänge habe
ich auch nochmals auf die Urkunde (B. z. D. 3, 191) für Lorsch
hinzuweisen, welche dem Inhalte nach der für Honau ziemlich gleich
kommt: nur ist jene überhaupt ausführlicher und tritt in ihr die
Mundiumertheilung in Folge der Tradition in den Vordergrund. Aber
auch in Lorsch bandelt es sich um mehr als um das Privilegium der
freien Abtswahl; mit den Worten: iubemus ut nullus de episcoporum
personis . . . abbatem vel monachus ex ipso monasterio et homi-
nes . . . inquietare aut contingere . . . praesumat wird auch die erste
Hauptbestimmung der Privilegien über die Unabhängigkeit von der
episcopalen Gewalt angedeutet. Wir werden noch des weiteren
sehen , dass oft in Urkunden andern Hauptinhalts in dieser Weise
mit wenigen Worten auf privilegii-te Stellung hingewiesen wird.
Der Formel Marculf’s für vollständiges Privilegium ist, wie
gesagt, Garlomann’s Diplom für Novalese nachgebildet, jedoch so,
dass der auf die Abtswahl bezügliche Satz aus Marculf 1, 1
(Boz. 574) hinzugefügt ist und einige unwesentliche Wendungen aus
Abbo's Stiftungsbrief (Mon, hist. palr. chartae 1, Nr. 8) entlehnt
sind. In den übrigen Privilegien der ersten Karolinger ist es nicht
die specielle Fassung, sondern nur der wesentliche Inhalt der betref
fenden Formel, welcher von den Notaren wiedergegeben wird. Zum
i) Diese Urkunde habe ich übersehen und überhaupt die auch in den Privilegien vor
kommende indirecte Bestätigung des Besitzes, als ich von dieser in Beiträgen z. D.
3, 203 handelte, und ist somit das dort Gesagte in etwas zu berichtigen. Dennoch
halte ich daran fest, dass derartige Confirmalionen in den eroberten Ländern
häufiger siud und einen andern Charakter haben, und eben so an der dafür gege
benen Erklärung.
Beiträge zur Diplomatik.
583
Theil wie bei dem Diplom für S. Denis B. 25 erklärt sich das Ver-
hältniss zur Formel einfach daraus, dass das Diplom der älteren mit
der Formel wohl sachlich, aber nur zum Theil wörtlich übereinstim
menden Urkunde Pard. Nr. 527 nachgeschrieben ist, in anderen
Fällen daraus, dass die nothwendige Erwähnung besonderer Umstände
zur Umbildung der traditionellen Redaction führen musste.
In letzterer Hinsicht ist das Privilegium für Hersfeld eharakteri-
stich. Der Stifter des Klosters, der Mainzer Bischof Lullus hatte auf
einer Synode zu Kiersy dem Könige sein Kloster tradirt und um
Schutz und Privilegium gebeten; ob ein bischöfliches Privilegium
zur Bestätigung durch Karl vorlag ’) oder aber die in Gegenwart
anderer Bischöfe vorgetragene Bitte den bischöflichen Consens ver
trat, lässt sich nicht entscheiden. Einerseits waren nun in der
Urkunde diese Verhältnisse darzulegen, andererseits war die Mun-
diumertheilung mit auszusprechen, kurz es war in Ermanglung einer
entsprechenden Formel eine selbstständige Stilisirung geboten. Diese
Aufgabe löste aber der königliche Notar in eben so ungeschickter
Weise, wie wir das bei den ersten Versuchen die Immunitäten inneue
Fassung zu bringen (B. z. D. 3,199) gesehen haben. Das Hersfelder
Privilegium wäre kaum verständlich, wenn wir nicht aus den For
meln den Hauptinhalt solcher Urkunden und aus der Bestätigung
Ludwig d. F. B. 331, was speciell diesem Kloster zugesichert wor
den war, erkennen könnten. Trotzdem bleibt Einiges noch unklar.
So findet sich am Schluss folgender mir sonst nicht vorgekommene,
auch von Ludwig nicht wiederholte Satz 2 ): et si in ipso monasterio
aliqua deescordia evenerit. tune ipsi abhas et monachi de alia mona-
steria regulärem abbatis et episcopurn canonicum . in quo loco eos
eonvenerit, coniungant et ibi spiritaliter ad pacis concordia sirit revo-
cati, et si ibidem quod absit se pacificare non potuerint, tune ad sene-
dum nostrum venire debeant. Ist das die allgemeine Norm nach der
der Bischof die ihm noch zustehende potestas coercendi über privili-
girte Klöster eventuell ausübt, oder ist hier für Hersfeld noch eine
besondere Vergünstigung stipulirt ? Es ist ferner zu beachten, dass
ausser Ertheilung von Mundium und Privilegium in diesem Diplom,
auch auf Immunität hingewiesen wird: neque iudex publicus etc. Es
wäre zulässig schon in diesen wenigen Worten eine Verleihung voll-
*) Gegen Ende findet sich für die Urkunde u. a. auch die Bezeichnung eonflrmacio.
2 ) Nur im Privilegium Abbonls findet sich eine analoge Bestimmung.
588
Sichel
ständiger Immunität zu sehen *). Aber es spricht'doch auch Einiges
dafür, dass das Kloster neben dem Privilegium von Karl so gut wie
von den Nachfolgern eine eigentliche Immunitätsurkunde erhielt.
Eine noch freiere Bearbeitung der in Roz. 575 enthaltenen
Bestimmungen, und zwar mit Auslassung der auf Immunität bezüg
lichen, treffen wir in B. 72 für Farfa an. Aber im J. 775 kann eine
königliche Urkunde noch nicht so gut stilisirt worden sein, wie diese
in der Klosterchronik vorliegt, und es ist daher, wenn nicht noch ein
Abdruck aus etwa erhaltenem Original bekannt wird, nicht zu ent
scheiden, bis inwieweit wir die in jeder Hinsicht bessere Fassung dem
Redacteur der Urkunden zuschreiben dürfen. Zu bemerken ist nur,
dass von Zustimmung des Bischofs zur Beschränkung seiner Gewalt
hier nichts gesagt wird.
Es gibt ferner ganz kurze Fassungen für königliche Privilegien
oder Privilegienbestätigungen, in denen die Einzelbestimmungen gar
nicht aufgeführt werden, die specielle Regelung der Verhältnisse also
nur aus etwaigen anderen Urkunden ersichtlich werden kann. Das
gilt von Karl’s Diplom für Görz, welches wie sich aus der auf uns
gekommenen Überarbeitung noch ersehen lässt, nach einer beson
dere ganz kurzen Formel geschrieben worden ist. Im Grunde
beschränkt sich der Inhalt auf einfache Confirmation eines vorgeleg
ten bischöflichen Privilegiums, das uns noch erhalten ist (Labbat
concilia 6, 1698; cf. Rettberg 2 , 673) und im Wesentlichen mit
Roz. 574 übereinstimmt.
Gleichfalls besonderer kurzer Fassung und doch sehr inhalt-
reich ist B. 90, welches Salona in der Metzer Diöcese betrifft. Dort
hatte der Abt von S. Denis Fulrad Besitzungen, unter anderen auch
durch Tausch mit dem Metzer Bischof, erworben und batte auf den
selben eine Celle in honorem s. Mariae et ss. Privati et llari gegrün
det 2 ). Auf einer im J. 777 in Paderborn versammelten Synode, welcher
auch der Metzer Bischof Angalramnus und der von Sens Wilharius
beiwohnten, war ein bischöfliches Privilegium für diese zu S. Denis
gehörige Celle ausgestellt worden, laut welchem der Ortsbischof auf
1 ) Wie ich in Beiträgen z. I). 1, 4o annahm, wo jedoch Manches nach obigem zu
berichtigen ist.
2 ) Mabillon ann. 1. 180 verwechselt diese Celle mit der gleichfalls von Fulrad erhaulen
in Herbrechtingen im heutigen Wirtemberg. Die Unterscheidung ergibt sich aus dem
Testamente Fulrad’s in Tardif Nr. 78, und aus den Diplomen ß. 00 und Wirt.
Urkundenbuch Nr. 23.
587
Beiträge zur Diplomatik.
seine Gewalt (pontificium >), wie es auch in der Hersfelder Urkunde
heisst, verzichtete und sich nur die Befugnis vorbehielt, auf Einla
dung des Abtes von S Denis die bischöflichen Actus in Salona vor
zunehmen. Auf Bitten des letzteren und nachdem Angalramnus auf
Befragen Karl’s nochmals seine Zustimmung ausgesprochen halte,
bestätigte nun Karl dieses bischöfliche Privilegium, oder stellte
Salona wie alle anderen S. Denis gehörigen Kirchen unter die die
sem Kloster zustehenden Privilegienrechte. Wir haben also auch
hier die erste Hauptbestimmung der übrigen Privilegien wiederholt;
dass die zweite über die Abtswahl nicht berührt wird, versteht sich
von selbst, da Salona als klösterliche Celle noch keinen eigenen
Abt hatte. — Die Urkunde erhält aber auch noch andere wichtige
Verfügungen, die wir hier um so mehr näher betrachten müssen, da
die sehr unbeholfene Stilisirung das Verständniss erschwert. Salona
wird nämlich gestellt suh emunitate et privilegium, sub emunitate
et defensionem s, Dionisii. Dafür dass eine einem Kloster gehörige
Celle mit unter dessen Immunität steht, haben wir schon zahlreiche
Beispiele kennen gelernt, und dass Salona als S. Denis gehörig
unter dessen Schutz stehen soll, entspricht den früher (B. z. D. 3,
216) dargelegten Gesetzen. Was bedeuten dann aber die folgenden
Worte des Diploms: simile modo ex nostrum promissum et confir-
mationem, absque episcoporum Metirisis ecclesiae impedimentum,
pars sancti Dionisii unacum ipso cenubio sub nostram tuitionem et
defensionem et procerumque nostrorum partibus sancti Dionisii
debeant respicere? Soll durch sie das Kloster S. Denis (pars s. D.)
unter des Königs besonderen Schutz gestellt werden? Oder soll
Salona, obgleich S. Denis gehörig, des speciellen Mundiums des
Königs theilhaftig werden? Von jenem wird uns sonst nichts berich
tet, und habe ich demgemäss bisher S. Denis stets als unabhängiges
Kloster bezeichnet. Dieses würde was ich früher (B. z. I). 3, 244)
über das Verhältniss zwischen Dominium und Mundium entwickelt
habe, umstossen. Wir können aber dieser Stelle, die ja jedenfalls
um einen Sinn zu geben sprachlich emendirt werden muss, eine
dritte und richtigere Deutung geben und etwa so übersetzen, dass
der König sagt: In gleicherWei.se wie wir den durch Tausch erwor
benen Besitz bestätigt haben, erklären wir dass mit unserer Gunst
*) Das Wort bezeichnet übrigens Gewalt jeder Art: s. Roz. 124. 135, Wirt. Urk.
Nr, 24, Beyer Nr. 21, Trad. Wizeub. Nr. 61,
588
S i c k e 1
und Bestätigung, ohne Einsprache von Seiten der Metzer Bischöfe,
was S. Denis überhaupt dort besitzt sammt dem genannten Kloster
Salona ihm zu Eigen gehören soll und dass dieser sein Besitz unter
unserm und unsrer Grossen Schutz stehen soll. Dann handelt es
sich um den allgemeinen in der königlichen Beurkundung liegenden
Königsschutz, der das Eigenthum- und Schutzverhältniss zwischen dem
Hauptkloster und der Celle nicht berührt, also mit demselben verträg
lich ist. Allerdings pflegt dieser allgemeine Schutz sonst in den Diplo
men Karl’s noch nicht ausgesprochen zu werden'und ebenso vereinzelt
steht nostra et procerum nostrorum tuitio da, wenn es auch an den
gleichfalls nur in Privilegien üblichen Consens der Grossen erinnert.
Ich gehe zu dem jüngsten Privilegium Karl’s über, welches
den Mönchen des Benedietinerklosters S. Ambrogio den ihnen aus
Episcopalgut zugewiesenen Besitz und die freie Wahl des Abtes
zusichert, sie im übrigen nach dem Statut des Bischofs als Stifters
(vom Jahre 789 in Fumagalli Nr. 19) sub regimine et potestate
rectorum (so ist zu lesen) qui fuerint s. Mediolanensis ecclesie
stehen lässt. Also auch hier wieder die zwei Hauptbestimmungen
der früheren Privilegien; aber dafür ist nun eine Fassung gewählt
die man, wenn auch noch einzelne ältere Wendungen (wie nostris
oraculis plenissime confirmare, in elecmosyna nostra ita concessisse
atque in omnibus conlirmasse cognoscite) begegnen, sofort als eine
neue, correcte und verständliche erkennen muss. Die hier ange
wandte Formel für diese Urkundenart steht in stilistischer Hinsicht
auf gleicher Stufe mit der um dieselbe Zeit in der von Rado
geleiteten Kanzlei aufgestellten neuen Formel für Immunität.
Ausserdem findet sich wie ich schon an einem Lorscher
Diplome zeigte, zuweilen noch in Urkunden andern Inhalts ein kurzer
Hinweis auf Privilegienrechte. Wie nach den Immunitäten die
Klöster sein sollen absque introitu iudicum (Roziere 20), so sollen
sie nach den Privilegien absque introitu episcoporum (Roz. 23)
sein, Jenes wird weiter ausgeführt in dem Satze der etwa lautet:
iubemus ut nullus iudex publicus vel quislibet ex iudiciaria potestate
in ecclesias . . . ingredi audeat, und ist nur von Immunität die
Rede, so können an dieser Stelle die episcopi, archidiaconi u. s. w.
nicht mit genannt werden. Dein entspricht dann in Urkunden ohne
Immunität, wie in dem mit Privilegienbestimmungen verbundenen
Schutzbriefe für Lorsch der Satz: iubemus ut nullus quislibet de
Beiträge zur Diplomatik.
589
episcoporum (eos) inquietare praesumat. Bei Vereinigung aber von
Immunität und Privilegium in einer Urkunde können dann auch an
dieser Stelle, wie im Diplome für Hersfeld, die geistlichen und welt
lichen Obrigkeiten neben einander genannt werden. Und daraus
lässt sich schliessen, dass, wenn in einigen wenigen Immunitäten,
die sonst nichts von Unabhängigkeit von der Episcopalgewalt
enthalten, in diesem Satze der Bischof mit angeführt wird, schon
damit die Befreiung ab introitu episcopi, also was die erste Bestim
mung der Privilegien besagt, angedeutet werden soll. Und in der
That lässt sich in den drei Fällen der Art, die ich kenne, der
privilegirte Stand der betreffenden Klöster auch anderweitig nach-
vveisen. Es handelt sich nämlich um Anisola, S. Mihiel de Massoupe
und Farfa. In der Urkunde Pippin’s für das erste Kloster B. 17
heisst es in dem die Immunität enthaltenden Theile: ut nullus quis-
libet de iudiciaria potestate . . . nullus episcopus nec ullus comis
etc.; dass aber Anisola trotz der entgegengesetzten Behauptung
der Acta Cenomannensia von der bischöflichen Gewalt eximirt war,
ist unzweifelhaft. Ähnlich heisst es in B. 47 für S. Mihiel: ut neque
vos neque iuniores successores vestri nec quilibet de iudiciaria
potestaste nec de parte pontificum; die Unabhängigkeit dieses Klosters
ergibt sich aus der Fundationsurkunde in Pard. Nr. 475. Für Farfa
endlich wird in einer mir nur im Auszug bekannten Urkunde Lud-
wig’s (Muratori SS. 2 b , 379) bestimmt: ut nullus episcopus aut
abbas aut dux . . . calumniam facere praesumat, ganz ent
sprechend den uns noch erhaltenen vollständigen Privilegien Karl’s
und Ludwig’s B. 72 und 258 3 ).
Privilegien ans der Zeit Ludwig des Frommen.
Es kann Zufall sein, dass kein Privilegium jüngeren Datums
von Karl d. G. auf uns gekommen ist, aber es hat auch einige
Wahrscheinlichkeit für sich, dass derartige Urkunden eben so wie
die Immunitäten vorzüglich im Beginne der Begierung dieses
Herrschers und später nur noch selten erbeten worden sind. Jeden
falls kennen wir kein solches Diplom aus der zweiten Hälfte der
Regierung Karl’s, und es vergehen über zwanzig Jahre ehe uns
‘) Roth ßeneficialwesen 45ö.
: ) Nachträglich bemerke ich nocli zwei gleiche Fälle; B. 233 für S. Denis nnd B. 417
für Pfävers,
590
S i c k e 1
wieder unter Ludwig d. F. ein solches begegnet. Und in diesem
Zeitraum sind nun AVandlungen aller Art vor sich gegangen, auch
in Bezug auf die Verhältnisse, welche durch die Privilegien
geregelt wurden. Die Wiederherstellung der Episcopalgewalt, wie
sie Bonifaz angeregt und eingeleitet hatte, hat sich allmählich voll
zogen, und zwar ist sie durch Synodalbeschlüsse und Reichsgesetze
nicht allein erweitert, sondern es sind zugleich auch die Normen
und Schranken für die Ausübung derselben festgestellt: das gilt
namentlich auch von den Befugnissen der Bischöfe den Klöstern
gegenüber. Andererseits haben sich Karl d. G. in der letzten Zeit
seiner Regierung und noch mehr sein Sohn mit der Ordnung und
Reform der klösterlichen Institution beschäftigt, für die nach und
nach die Benedictinerregel ausschliessliche Geltung erlangt hat: dabe 1
sind auch die Rechte der Klöster den Bischöfen gegenüber nach
allgemeinen Normen festgesetzt worden. Es ist ganz bezeichnend,
dass, während in dem Privilegium Karl's für Farfa von 775 auf ein
zelne Musterklöster, auf Luxueil Lirins Agaunum hingewiesen wird,
in der Bestätigung Lud wig’s von 8 i 5 ß. 258 dem Kloster ein Privilegium
ertheilt wird, wie es cetera monasteria quae in Francia sub s. ßene-
dieti norma consistunt besitzen. Durch die allgemeine gesetzliche
Ordnung dieser Verhältnisse war fortan den ärgsten Missbräuchen
vorgebeugt, welchen einst die Privilegien ihre Entstehung und ihre
Verbreitung verdankt hatten, und die Klöster kamen in der Folge
zeit nur noch ausnahmsweise in die Lage Privilegien zu ihrer
Sicherheit nachzusuchen 1 ).
Privilegien im alten Sinne und des früheren vollen Inhalts, wie
ihn die Formel Roziere 575 repräsentirt, kommen daher unter
Ludwig nur noch selten vor. Einige Klöster lassen sich wohl noch
derartige Urkunden der Vorgänger bestätigen, aber auch da wird
nur noch in dem einen Falle von Uersfeld die alte ausführliche
Fassung angewandt, während in allen anderen Privilegien z. B. von
der Beschränkung der bischöflichen Functionen auf die actus episco-
pales als von etwas allgemein feststehenden nicht mehr die Rede ist.
Und neue Privilegien mit den beiden Hauptbestimmungen (S. 13)
werden seit der durchgreifenden Regelung dieser Verhältnisse nur
i) Rettberg 2,671.676. Die Berufung auf die genannten Musterklöster findet sich aus
nahmsweise noch einmal in ß. 1699 vom J. 847, in einer Urkunde die in ihrer
Fassung vielfach an die alte Formel Marculfs anklingt.
Beiträge zur Diplomatik.
591
noch bischöflichen Klöstern ertheilt; das gilt auch schon von der
späteren Zeit Karl d. G., denn das jüngste Privilegium, das wir von
ihm kennen lernten, bezieht sich ja auch auf eine bischöfliche Stif
tung. Und der Grund wesshalb diese noch besonderer Sicherung den
Bischöfen gegenüber durch Privilegien bedurften, liegt auf der
Hand. Wurde ein Kloster mit bischöflichem Gute ausgestattet, so
wurde auch eine Regelung des Dispositionsrechtes über das aus dem
Episeopalgut ausgeschiedene Klostervermögen nothwendig; in
einigen Fällen verzichteten die Bischöfe ganz auf das Dominium und
entliessen somit das betreffende Kloster ganz oder unter Vorbehalt
eines gewissen Census aus dem ursprünglichen Abhängigkeitsver
hältnisse, in anderen Fällen zogen sie nur den aus dem Dominium
fliessenden Rechten gewisse Schranken zu Gunsten der Mönche.
In den Urkunden, welche die Bischöfe darüber ausstellen und in den
zumeist erbetenen königlichen Confirmationen derselben finden sich
also wie in den früheren Privilegien vor allem Bestimmungen über
das Stiftsgut und dessen Verwaltung, zweitens in der Regel auch
Bestimmungen über die Abtswahl >).
Für Klöster anderer Qualität dagegen war jene erste Bestim
mung gegenstandlos geworden, und sie begnügten sich daher, sich
die in den früheren Privilegien mit enthaltene Freiheit der Ahlswahl
wiederholt bestätigen zu lassen, die ihnen allerdings schon auf
Grund der Ordensregel zustand, aber thatsächlich doch oft beein
trächtigt wurde, im IX. Jahrhundert vorzüglich durch die Könige und
Grossen, welche sich daran gewöhnt hatten, über die Klöster wie
über Beneficien zu verfügen. Die Wahlprivilegien erscheinen aber
nun durchgehends nur noch als Anhang zu Urkunden anderen
Inhalts und in ziemlich constanter Fassung. In Bezug auf sie genügt
es hervorzuheben, dass, während in den folgenden Jahrhunderten
als Norm gilt, dass mit Wahlprivilegien ausgestattete Abteien nullius
iuris sind und nicht mit diesem Rechte ausgestattete anderen unab
hängigen oder königlichen Abteien untergeordnet werden sollen 3 ),
*) Dominus eines bischöflichen Klosters kann übrigens auch ein anderer als der
Diöcesanbischof sein. So gehörte das Kloster Senone in den Vogesen dem Erz
bischöfe von Metz, während die Ordinariatsgewalt dem Bischof von Toni, in
dessen Sprengel es lag, zustand: s. epistoln Frotharii in Bouquet 6, 389, Nr. 10.
2 ) S. vorzüglich constitutio Francofurt. Ottonis M. a. 9öt in LL. 2, 26. — Vgl.
auch die in diese Zeit gehörige Formel Roz. 877: Mönche klagen dem Könige,
dass sie in grosse Noth gerathen, ex qua die nos illi beneficiasti et nos de vestro
inundeburdio discössimus, und bitten, dass ihnen wieder einen Abt aus eigener
592
S i c k e 1
zur Zeit Ludwig's die Ertheilung des Wahlrechtes noch unabhängig
von der Qualität der Klöster ist. So haben die Mönche der zuvor
genannten bischöflichen Stiftungen S. Ambrogio und S. Marie du
Mans ihre Wahlprivilegien, eben so die Mönche von Belle Celle,
welches Aniane, und die von Corrnery, welches S. Martin de Tours
unterworfen war 1 ), Selbst zu Benefiz vergebene Abteien konnten das
Recht der freien Wahl behalten, wie die Urkunden für S. Salvatore
di Brescia zeigen. Bedingung für den Genuss dieses Rechtes war
nur, dass, wie es in B. 386 von Montierender heisst, das Kloster
war aptum ad monasterium reguläre.
Endlich taucht, zuweilen auch unter dem Namen von Privilegien
häufiger unter dem von Constitutionen, eine neue Urkundenart für
Klöster und für Corigregationcn von Kanonikern auf, bei der es sich
in der Regel nur noch um die Ordnung der innern Verhältnisse
handelt. — Betrachten wir nun die einzelnen Privilegien Ludwig’s
nach der Reihenfolge der hiermit ihrem Hauptinhalte nach unter
schiedenen Arten.
Unter den Privilegienbestätigungen dieses Kaisers stelle ich die
für das Nonnenkloster S. Julien d’Auxerre (Quantin 1, Nr. IS aus
Chartul. saec. XIII) voran, weil sich für ihre Fassung eine specielle
Formel nachweisen lässt. Allerdings beginnt die Urkunde mit einer
Roziere 17 entlehnten Arenga, der weitere Wortlaut dagegen
schliesst sich genau an die zuvor besprochene Formel für Immunität
mit Privilegium Roziere 23 an, die hier nur in sprachlicher
Hinsicht verbessert worden ist 2 ). Es ist dies einer der seltenen Fälle,
dass sich die Kanzlei Ludwig's noch einer unter den Vorgängern
aufgestellten Formel bedient. — Vier andere Urkunden dieser
Kategorie, nämlich die für Farfa B. 2S8 aus dem chron, Farf., die
für S. Zeno di Verona ß.261 nach älterer Copie in Ughelli S, 70S,
die für Hersfeld B. 331 nach dem Original in Beiträgen z. D. 1,
73 und die für S. Martin de Tours B. 420 nach Copialbüchern in
Bouquet 6 Nr. 171, sind eben so wie die Immunitäten dieser Zeit in
freierer Weise stilisirt. Wohl stimmen B. 268 und 261 in der
Mitte zu haben gestattet werde, so dass mit dem Wahlrecht auch das verloren
gegangene Mundium des Königs wieder erlangt worden zu sein scheint.
*) Bouquet 6, 515 und 519, Nr. 73 und 91.
3 ) Daraus ergeben sieh auch mehrfache Emendationen des auf uns gekommenen
Urkundentexles, wie accinctns in villis vel rebus u, dgl.
Beiträge zur Diplomatik.
593
Arenga überein, weichen dann aber von einander ab. Auch die
Prologe der beiden anderen Diplome lassen sieb anderweitig nach-
weisen: der von B. 331 in Roziere 22, der von B. 420 in der Im
munität für Kempten B. 444. Dass der weitere Wortlaut dieser
Stücke ein verschiedener ist, bringt es mit sich, dass, obgleich es
sich offenbar um dasselbe Verhältniss handelt, die einzelnen Privi
legienbestimmungen in ihnen mehr oder minder ausführlich wieder
gegeben sind. Am ausführlichsten ist die Bestätigung für Hersfeld,
für dessen Abfassung unverkennbar das vorgelegte Privilegium
Karl’s massgebend gewesen ist: hier begegnen nun noch einmal,
nur in deutlicherer und correcterer Redaction, alle in Roziere 575
enthaltene Bestimmungen. In der für S. Martin de Tours wird
besonders betont, dass der Bischof non plus dominari praesumat aut
licentiam dominandi habeat, quam praedecessores sui *)• In den zwei
anderen Urkunden kehren die beiden Hauptbestimmungen der Privi
legien wieder; was darüber hinaus noch besonders verfügt wird über
die Eben zwischen den Klosterholden und Freien, ist eine Italien und
dessen Verhältnissen eigenthümliche Bestimmung, welche auch in
dortigen Immunitäten zuweilen vorkommt 2 ). Auch diese Klöster sind
zumeist bischöflicher Stiftung und mag dieser Umstand auch hier
Anlass zur Bestätigung der früheren Privilegien gegeben haben.
Von neuen Privilegien Ludwig’s für bischöfliche Klöster sind
mir bekannt: das für drei Klöster in Sens B. 347 (Original in der
Pariser Bibliothek, Bouquet 6, 529 Nr. 107); das für S. Remi de
Vareilles B. 460 (Original in der Bibliothek von Sens, ibid. 603
Nr. 206); das für S. Mesmin B. 370 ibid. 344 Nr. 132 ex
cbartul.); das für Beze (ibid. 563 Nr. 157 ex chron. Bes.); das
für S. Marie du Mans B. 473 (ibid. 612 Nr. 217 ex gestisAldrici).
Dass analoge Urkunden aber auch für Klöster in den ostfränkischen
*) Über eine Verletzung der Privilegien dieses Klosters beschwert sich Alcuin in
der epistola 199 (ed. Frohen), und es ergibt sich aus diesem Schreiben dass,
wenn auch B. 420 die Einzelbestimmungen der alten Privilegien nicht enthält,
S. Martin doch alle die in den ausführlichen Privilegien aufgezählten Rechte
besessen hat.
2 ) Das Privilegium für Farfa als Besitzbestätigung wird einmal in einem Placitum
von 821 (Murntöri SS. 2«> 373, Note 39) producirt und werden auf Grund
desselben an das Kloster gemachte Ansprüche zurückgewiesen. — B. 258 war
dem damaligen Abte Benedict erlheilt. Sein Nachfolger Ingoa Id erhielt dann
I (Muratori 1. c. 379) eine unter andern) auch B. 258 bestätigende Urkunde.
I
894
S i c k e 1
Gebieten ausgestellt sind, lässt sich z. D. bei S. Gallen aus späteren
Diplomen naclnveisen i)- Es ist all’ diesen königlichen Urkunden
gemein, dass ihnen bischöfliche Privilegien vorausgegangen sind,
von denen auch das für S. Remi (d’Achery spicil. 2, S79) und das
für S. Marie du Maus (Mabillon arm. 2, 590) erhalten sind. B. 460
spricht sich am deutlichsten über die Bedeutung der in diesen
Fällen üblichen königlichen Confirmation aus: verum licet eccle-
siastica atque pontificalis constitutio sua (episeopi) immoque divina
auctoritafe firma esse praevaleat, tarnen (episcopus) non iudecens
atque incongruum iudicavit, si nostra etiam imperiali auctoritate sua
constitutio firma esse perpetuo sanceiretur. Und wie nun die
bischöflichen Privilegien je nach den besonderen Umständen und
dem Willen der betreffenden Bischöfe die Verhältnisse der Klö
ster verschieden regelten, so sind auch die näheren Bestimmungen
der königlichen Confirmationen, so weit diese überhaupt in das
Detail eingehen und sich nicht einfach auf die bischöfliche Urkunde
berufen, sehr verschiedener Art. Bald behalten sich die Bischöfe
grösseren, bald minderen Einfluss auf die Güterverwaltung vor,
bald verzichten sie auf jede Abgabe, bald reserviren sie sich
Jahresgeschenke (am häutigsten equus unus et scutum cum lancea,
ausserdem Beiträge ad publicam expeditionem), bald gestatten sie
vollkommen freie Abtswahl auf Grund der Ordensregel, etwa mit
Vorbehalt ihrer Zustimmung, bald wahren sie sieh das Recht die
Äbte ein- und abzusetzen. So lässt sich als der gemeinsame Inhalt
dieser neuen Privilegien des Königs nur angeben, dass sie die
Güterverhältnisse und die Einsetzung der Äbte betreffen. Und der
Verschiedenheit der Bestimmungen entspricht es, dass auch die
Fassung dieser Diplome eine sehr mannigfaltige ist, um so mehr da
die königlichen Notare sich vielfach der vorausgegangenen bischöf
lichen Urkunden als Vorlagen bedienen und diesen in dem dispo-
nirenden Theile nachschreiben. Wie bei den Immunitäten finden
wir dann auch bei diesen Privilegien, dass sie von den späteren
Königen zumeist wörtlich bestätigt werden : man vergleiche mit
L ) S. Mittheil, für vaterl. Gesch. des S. Galler hist. Vereins 1864, Heft 4. —
Ebenso wird in Roz. 576, einer Formel die eben so ausführlich ist als die
ältere Marculf’s, auf ein von Ludwig- d. F. wahrscheinlich einem lothringischen
Kloster ertheiltes Privilegium hingewiesen.
Beitrüge zur Diplomatik.
595
den zuvor genannten Urkunden die Ludwig d. D. für Uersfeld (Bei
träge z. D. 1, 73) und die Karl d. K. für die Klöster in Sens B. 1600.
Wie in früherer Zeit die Verwaltung des Klostergutes zu Diffe
renzen zwischen den Bischöfen und Klöstern Anlass gegeben hatte,
so kam es nun, seitdem der Mehrzahl der Abteien Unabhängigkeit
von der Episcopalgewalt und Selbstverwaltung zugesichert waren,
vielfach trotz der Bestimmungen in den Ordensregeln zu ähnlichen
Streitigkeiten zwischen Äbten und Mönchen. Und wie früher die
Beziehungen zwischen den Bischöfen und Klöstern durch besondere
Urkunden geregelt worden waren, so wurden es nun auch die zwi
schen Äbten und Mönchen *), Sowohl die von den Äbten ausgestell
ten Urkunden, welche den Mönchen gewisse Güter zu ihrem Unter
halte anwiesen oder überhaupt die beiderseitigen Verpflichtungen
festste Illen, als die von den Königen dafür ertheilten Bestätigungen
wurden in der Regel Constitutionen oder auch, da es sich ja urn
analoge Verhältnisse handelte, Privilegien genannt. Das älteste Bei
spiel eines derartigen Diploms, welches sich aber schon auf frühere
Urkunden gleichen Inhalts beruft, ist die coustitutio privilegii Karl
des Grossen vom Jahre 774 oder 773 für S. Martin de Tours (Bouquet
3, 737). Häufiger werden diese Urkunden erst seit der allgemeinen
Klosterreform unter Ludwig d. F., unter dem auch in den Capitularien
(z. B. LL. 1,201,340u.a. 0.) baldimAllgemeinen, bald im Einzelnen
vorgeschrieben wird, was den Mönchen zu ihrem Unterhalte verab
reicht werden soll. Seitdem findet in vielen Klöstern, namentlich zur
Zeit, da in ihnen die Reform durchgeführt wird, eine eigentliche
Güterlheilung statt. Und eben dasselbe geschieht in den mono-
steria canonicorum, wo der Biscl\of einen Theil der Episcopalgüter
für den Unterhalt der Kanoniker aussetzt. Werden nun für die betref
fenden Urkunden der Äbte oder Bischöfe königliche Bestätigungen
eingeholt, so muss sich der Inhalt dieser natürlich nach dein Inhalte
jener richten. Dennoch lassen sich auch in derartigen Diplomen
traditionelle Fassungen oder Formeln erkennen, offenbar weil auch
die vorgelegten Urkunden auf solchen beruhten. Das zeigt, um zu
nächst ein Beispiel von Klosterconstitutionen anzuführen, der Ver
gleich von B. 393 für S. Vincent de Paris mit B. 428 für S. Denis
(Bouquet 6. 339 Nr. 150; 579 Nr. 176), welche wörtlich überein-
*) Roth Beneficial wesen 271.
596
S i c k e 1
stimmen mit Ausnahme der die einzelnen Güter und Gerechtsame auf
zählenden Sätze, welche in das Diplom für S. Denis wieder wört
lich hinübergenommen worden sind aus der Constitution des Abtes
Hilduin (Tardif Nr. 123) *). Und für derartige Privilegien für Con-
gregationen von Kanonikern ist uns auch eine Formel in der Carpen-
tier’sclien SammlungNr. 7 — Roziere 566 überliefert, mit welcher das
Diplom B. 322 für S. Etienne d’Auxerre (Original im Arch. depart.
de l’Yonne. am besten in Quantin 1, Nr. 16) in seiner zweiten Hälfte
ziemlich übereinstimmt. Kann icb auch bei anderen Urkunden der
Art, wie B. 297, 446, 456, 475 u. s. w. das Verhältnis derselben
zu bestimmten Formeln nicht nacbweisen, so kehren doch in allen
dieselben Gedanken und Bestimmungen wieder und macht selbst der
Wortlaut allüberall den Eindruck, dass er eben so wie die rhetori
schen Arengen nach Formeln geschrieben worden ist.
Die Bezeichnung Privilegium, die ich auch für diese Kategorie
königlicher Urkunden gebraucht habe, findet sieb nun allerdings
unter Ludwig d. F. in ihnen selbst nur noch ausnahmsweise ange
wandt. Es erklärt sich das jedoch daraus, dass sich die damalige
Kanzlei überhaupt häufiger der allgemeinen Benennungen: litterae,
auctoritas, confiimatio u. dgl., als der speciellen bedient. Privile
gium von Urkunden gesagt 3 ), behält dennoch bis in die Mitle des
Jahrhunderts die alte Bedeutung, d. h. man versteht darunter in
erster Linie Urkunden kirchlicher Autoritäten, in zweiter könisrliehe,
welche Verfügungen der Geistlichkeit bestätigen oder doch kirch
liche Verhältnisse regeln. Ich kenne nur ein einziges Diplom vor
840, in dem das Wort für'Urkunden andern Inhalts gebraucht zu
sein scheint: in B. 329 nämlich werden erwähnt privilegia in quibus
continebantur donationes regum Longobardorum, worunter aber
möglicher Weise auch den Privilegien nahe kommende Fundations-
urkunden gemeint sind. Auch in der zweiten Hälfte des Jahrhun
derts wird Privilegium vorzüglich von bischöflichen und päpstlichen
Urkunden, oder von königlichen, die sich auf Abtswahl u. dergl.
*) Die Giitertheilung fällt auch hier mit der Reform des Klosters zusammen, deren
Bestimmungen der Kaiser gleichfalls durch auctoritatis suae privilegium, wie
sich B. 427 nennt, bestätigt,
2 ) Daneben wird das Wort allerdings auch für Vorrecht, privat» lex wie Isidor
erklärt, gebraucht, z. B. LL. 1, 233 a. 823 : hoc honoris privilegium ut caeteris
anteponantur.
Beiträge zur Diplomatik.
597
beziehen, gebraucht (wie in B. 557, 1091 u. a.) und in einem
Diplom Karl d. D. B. 963 werden geradezu Privilegien der Päpste
und Präcepte der Könige unterschieden J ). Aber allmählich wird
das Wort für Königsurkunden jeder Art und besonders für Immuni
täten angewandt, wie in B. 557. a. 840, B. 694 a. 858, B. 1774 a.
871, B. 1167 a. 898 : wie die Privilegien der alten Art verschwinden,
so verliert auch der Name die ursprüngliche Bedeutung.
Die Eulder Privilegien.
Es ist seit dem XVII., namentlich aber im XVIII. Jahrhunderte
viel über die Frage gestritten, wann die Päpste zuerst Klöstern des
fränkischen Reichs überhaupt Privilegien und speciell Exemtions
privilegien verliehen haben, und in Deutschland haben besonders die
von Fulda producirten Urkunden des Inhalts Anlass zu solcher Dis-
cussion gegeben. Hier waren es vorzüglich Schannat und Eckhart,
welche die einander gegenüberstehenden Ansichten über die Echt
heit der betreffenden Documente verfochten haben 2 ).
Der eine wie der andere hatte dabei noch praktische Zwecke
im Auge, und die Art, wie jeder die von ihm verfochtene Sache durch
führte, erinnert daher vielfach an den Charakter der bella diplomatica.
Dennoch wurde von Eckhart nach dem Vorgänge von Launoy, Tho-
massin u. a. hervorgehoben, was wichtiger ist als der Streit um die
paar speciellen Urkunden, die Frage von weittragender Bedeutung
ob die Päpste schon zu den Zeiten Pippin’s und Bonifacius’ in der
Weise, wie es die Fulder Privilegien besagen, bestimmend in Ver
hältnisse innerhalb der fränkischen Kirche eingegriffen haben. Das
ist und bleibt der Kern der Streitfrage und er kann bei der eigenen
f ) Diese Unterscheidung“ wird selbst nach Jahrhunderten von einzelnen Urkunden
sammlern, so von Eberhard in Fuld, von Petrus in Montecasino, festgehalten,
während der Mönch von Lorsch und Folquin von Sithiu alle königlichen Urkun
den schlechtweg“ als Privilegien bezeichnen. —S. auch AlbericusCassin.de dicta-
mine in Quellen und Erört. zur bayer. Geschichte 9 a , 36—38.
2 ) Von jenem erschien 1727 Dioeesis Fuldensis cum annexa sua hierarchia. Dagegen
veröffentlichte Eckhart 1727 Animadversiones hist, et crit. in J. F. Schannati
diocesin. Schannat antwortete vorzüglich in den Vindiciae quorundam arch. Ful
densis diplomatum 1728 und ihm wieder Eckhart in den Commentarii de rebus.
Franciae orientalis 1729. Die weiter hierher gehörigen Schriften verzeichnen
Baring clavis diplom. 45 cap. 23. und Namur bibliographie paleogr. 1, 62,
Nr. 275 seq.
Sitzb. d. phil, hist. CI. XLVII. Bd. IL Hft.
39
598
8 i c k e 1
Bewandtniss, welche es mit jeder einzelnen der betreffenden Urkun
den hat, am wenigsten in einer rein wissenschaftlichen Erörterung
umgangen werden. Sind nun auch schon so ziemlich alle Puncte,
welche dabei in Betracht kommen können, von den Historikern und
Diplomatikern des vorigen Jahrhunderts angeregt worden, so lässt
sich doch bei dem heutigen Stande der Forschung mancher der frü
her für und wider vorgebrachten Gründe schärfer formuliren und
lassen sich der Frage noch einige neue Seiten abgewinnen. Aller
dings wird man, wie es einmal mit den Fulder Zeugnissen steht,
zufrieden sein müssen, zu einem Ergebnisse relativer Gewissheit zu
kommen, und die Forschung kann im Grunde nicht über die Frage
hinausgehen: was ist unter den obwaltenden Umständen das Wahr
scheinlichere , dass die betreffenden Urkunden in der Hauptsache
echt, oder dass sie in Bausch und Bogen genommen Fälschungen
sind? Nur in diesem Sinne mache ich hier den Versuch, eine mög
lichst begründete Antwort auf die trotz aller früheren Schriften noch
immer offene Frage zu geben *).
Den Ausgangspuncf für die Erörterung bildet am füglichsten
das auf Pippin’s Namen lautende Diplom für Fulda B. 3, welches
eine vorausgegangene Bulle des P. Zacharias bestätigt. Noch heute
findet sich ein sehr altes, trefflich conservirtes Schriftstück des
Inhalts in dem Fulder Landesarchive. Ist dasselbe , wie Schannat
verfochten hat, ein Original, so fallen alle Bedenken gegen die von
ihm bezeugte Thatsache fort, so ist die ganze Streitfrage mit einem
Schlage entschieden. Aber die Authentieität dieses Stückes von der
gegnerischen Seite bestritten, hat nicht in überzeugender Weise
dargethan werden können, und auch Diplomatiker von Fach, wie
z. B. Schönemann 2 ), haben stets nur eine halbe Antwort auf diese
Vorfrage eriheilt.
Es lässt sich auch nicht so leicht über die Originalität des be
treffenden Schriftstückes entscheiden. Ich selbst habe, nachdem
ich die alte Urkunde zum ersten Male und damals nur flüchtig ein
gesehen hatte, auf Grund des allgemeinen Schriftcharakters dieselbe
für ein Original erklären zu können geglaubt 3 ). Und auch nach sorg-
1) Ilahn Jahrbücher 227, Excurs 26.
2 ) System der Diplomatik 2, 132.
3 ) Beiträge z. D. 2, 142. — Facsimile der Urkunde in Schannat dioc. Fuld. 234,
dann wieder abgebildet in Vindiciae tab. 3, in Eckhart, Nouveau traite de dipl.
Beiträge zur Diplomatik.
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sanier Prüfung des Stückes halte ich daran fest, dass diese Schrift
von so ungekünstelter Sicherheit spätestens auf den Ausgang des
VIII. Jahrhunderts hinweist. Wird nun auch dies für die weiteren
Folgerungen wichtig, so muss ich doch jetzt hinzufügen und damit
meinen früheren Aussprucli berichtigen, dass dieser allgemeine
Schrii'tcharakter für sich allein nicht über die Autheutieität entschei
det, dass vielmehr andere den Ausschlag gebende Merkmale dem in
Fuld aufbewahrten Stücke abgeben.
Ich habe jetzt sämmtliche noch vorhandene Originale der
Merovinger und Pippin’s‘) und ziemlich alie der nächstfolgenden
Könige prüfen können und habe sicherere Kriterien, als es der all
gemeine Schriftcharakter ist, gewonnen, nach denen gemessen die
Fulder Urkunde für ein Apographum zu erklären ist. Als sicher
stes Merkmal der Originalausfertigungen der Zeit habe ich erkannt,
dass mindestens das signum recognitionis von dem in der Urkunde als
Recognoscenten genannten Kanzleibeamten eigenhändig gemacht
v’orden ist. Man hat es nämlich mit dem Schreiben der Königs
urkunden sehr verschieden gehalten. Das Original B. 15 ist ganz
durch von HHherius geschrieben. In anderen Fällen lassen sich zwei
und auch drei Hände in ein und demselben Authenticum erkennen,
so dass sich der Recognoscent beschränkt, die zw'ei Unterschrifts
zeilen und das Datum, oder nur jene, oder nur die die Kanzlerunter
schrift enthaltende Zeile mit oder ohne Datum zu schreiben, oder
auch als Minimum das signum recognitionis allein zu machen. Fälle
der letzten Art sind ß. 11 und 14, wo es sich selbst in den Per
sonalendungen ausspricht, denn von anderer Hand geschrieben
und Schoenemann. Ein besseres facsimile aus der Kopp’schen Sammlung werde
ich bald Gelegenbeit haben herauszugeben. Die beste Nachbildung des Stückes
stammt von ßodmanns Hand, welcher ein grösseres Werk über die ältesten Ur
kunden von Fuld mit zahlreichen, sehr gelungenen Facsimiles vorbereitet batte ;
die unvollendet gebliebene Arbeit findet sich jetzt in der Bibliothek des hochw.
Bischofs von Strassburg Msr. Raesz.
*) Von diesem sind erhalten im Pariser Archive B. 7, li , 14, 27, im Landesarchiv
zu Fulda ß. 15 und 22. Eine Schriftprobe von ß. 14 gab Silvester 3, 71; von
B. 15 Eckhart comment. 1, 554; von B. 27 Mabillon de re dipl. 387. — Fälsch
lich wurden früher oder werden auch noch jetzt, ausser B. 3, als Authentica
bezeichnet B. 24 (das betreffende Stück jetzt im Arch. du depart. de Vienne,
fonds S. Hilaire, Facsimile in Nouv. traite pl. 67), Bouquet 5, 707 Nr. 16 (im
Pariser Archiv, Facsimile ibid. pl. 92) und B. 26 (im Pariser Archiv, Facsimile
in der Collection de l'ecole des chartes.
39*
GOO
S i c k e 1
heisst es da: Eius recognovit et, und erst dann im Zeichen von des
Recognoscenten Hand: subscripsi. Nun lässt sich die Bedeutung
dieses Zeichens damals noch sehr gut nachweisen. Dass der dasselbe
umschliessende Zug aus einem S entstanden ist, ist bekannt. Es
finden sich aber einigeMale auch die weiteren Buchstaben: ubscripsi
vollständig innerhalb des Zeichens ausgeschrieben ] ); mag das ge
schehen sein oder nicht, so wird jedenfalls dasselbe Wort nebst dem
Namen des Betreffenden in tironischen Noten in das Zeichen einge
tragen. Im Übrigen besteht das Signum aus mehr oder minder tra
ditionellen Schnörkeln. Sieht daher ein Zeichen dem andern ziem
lich gleich, so wird man doch bei eingehender Vergleichung auch
Unterschiede erkennen und kommt schliesslich zu dem Ergebniss,
dass jeder Schreiber, vorzüglich jeder der königlichen Kanzlei, sein
ihm eigentümliches Zeichen hatte, das er, so oft er als Recognos-
cent fungirte, eigenhändig unter die Urkunde setzte. Es heisst ein
mal in einer Formel (Roziere 129): manus nostrae propriae sub-
scriptionibus quod ex consuetudine habuimus subscripsimus, und
sagen das auch an dieser Stelle die urkundenden Personen, so gilt
das ex consuetudine doch offenbar auch von den schreibenden oder
ausfertigenden Personen. Daher denn auch schon eine conlatio car-
tarum, um nach der Unterschrift über die Echtheit zu entscheiden,
wie Ludwig der Fromme verordnet: cum duabus aliis cartis quae
eiusdem cancellarii manu firmatae sunt vel subscriptae, sua carta
quae tertia est veram et legitimam esse confirmet 3 ). Ohne Zweifel
wurden so auch die Urkunden königlicher Kanzler beurteilt, wie
Gregor Tur. 10, 19 erzählt: Otto . . . referendarius . . . cuius ibi
subscriptio meditata tenebatur, negat se subscripsisse, conficta
enim erat manus eius in huius preceptionis scripto.
Es ist uns also nahe gelegt auch heute noch , so oft es gilt
über Originalität von Königsurkunden zu entscheiden, solche Col-
lation der Handschrift oder, wo die nicht vorkommt, doch minde
stens des Handmals des Recognoscenten vorzunehmen. Nur können
wir in unserm Falle der alten Vorschrift, welche drei auf densel-
*) So in B. 7, und 14; nur nb sieht man in B. 22; das eine und andere auch inPrivat-
urkunden der Zeit, wie im testamentum Fulradi im Pariser Archiv, im privilegium
Abbonis im Turiner Archiv (Fascim. in Mein, dell’ acad. di Torino vol. 30) u. s. w.
2 ) LL. 1, 196; von Pertz 1, 116 fälschlich auch Karl d. G. zugeschrieben: s. Bore-
tius die CapHularien im Langobardenreich 84.
Beiträge zur Diplomatik.
601
ben Schreibernamen lautende Stücke voraussetzt, nicht genügen,
denn von Stücken, die von Baddilo recognoscirt sind und etwa auf
Originalität Anspruch machen können, ist ausser B. 3 nur noch
B. 22 auf uns gekommen. Die Signa beider Stücke differiren aber
so sehr, dass auch die Annahme, Baddilo habe im Laufe der Jahre
sein übliches Zeichen in etwas verändert, ausgeschlossen wird.
Welches nun sein Autograph ist, können wir somit nur durch
Schätzung beider Urkunden nach ihren sonstigen Merkmalen fest
stellen. Und während wir noch des weiteren sehen werden, dass
B. 3 nicht Original sein kann, spricht alles für die Authenticität
des andern Stückes. Dasselbe ist bis zu den Worten: de anulonostro
sigillare studuimus von unbekannter Hand geschrieben. Von wem
die drei Schlussformeln sind, wird ausnahmsweise hier ausdrück
lich gesagt, indem es am Schlüsse heisst: in dei nomine Hitherius
scripsit felieiter*). Und|da ich mehrals zehn von Hitherius geschrie
bene Urkunden kenne, kann ich versichern, dass dies wirklich
seine Hand ist. Nur das signum subscriptionis ist nicht das des Hi
therius , also sicher, wie es in der Urkunde angegeben wird und
wie auch der tironische Zusatz: ego Badilo subscripsi besagt, das
des Baddilo. Folglich ist das differirende Zeichen in B. 3 nicht von
Baddilo eigenhändig gemacht, folglich ist B. 3 nicht Originalaus
fertigung, sondern Copie oder Fälschung.
Zu demselben Ergebnisse führt die Betrachtung der Unter
schrift, die mit den Worten: signum f Pippini gloriosissimi regis
dem Könige zugeschrieben wird a ). Seit unter Karl dem Grossen
die Monogramme aufkommen, unterscheiden wir bekanntlich in diesen
irgend einen Zug als Vollziehungsstrich, welchen der König eigen
händig machte. Es beruht sicher, wenn man auch später den Brauch
auf alttestamentliches Vorbild zurückführen wollte s), auf ganz germa
nischer Auffassung, dass der König so gut wie andere durch die
symbolische Handlung des Handauflegens und des Handmalmachens
*) Die dritte Person fallt hier auf. Aber wie auch einige der folgenden Citate
zeigen werden, ist die Regel, dass Selbstschreibende die erste Person anwenden,
andere für die geschrieben wird in der dritten eingeführt werden, doch nicht
immer beobachtet worden.
2 ) Häufiger wird damals in dieser Formel der alle casus obliqui vertretende Ablativ: sig
num Pippino angewandt, aber der Genitiv ist doch auch schon durch Originale bezeugt.
3 ) Hincmar de divortio Hloth. et Thietb. mit Berufung auf Esther 7, 8.
602
S i c k e 1
die Urkunden firmiren, und wir können schon desshalb erwarten,
dass auch bei den Diplomen, welche noch nicht mit Monogrammen,
sondern nach älterer Weise mit Kreuzen versehen sind, die Fürsten
durch irgend ein sichtbares Zeichen die eigenhändige Bekräftigung
bekundet haben. Und in der That lässt sich nun in der Mehrzahl
der Originaldiplome Pippin’s und Carlomann’s, der sich noch des
gleichen Zeichens bedient, erkennen, dass der Urkundenschreiber
zunächst nur die vier Arme des Kreuzes zeichnete und zwar so,
dass sie sich noch nicht berührten; von ihnen unterschieden ist,
dann durch den Zug und zuweilen auch durch den Grad der
Schwärze, was im Centrum erscheint: ein grosser Punct oder Strich,
welche die Veihindung zwischen den Kreuzesarmen hersteilen. Das
ist offenbar der Vollziehungsstrich von Pippin und Carlomann. Und
dass er sich in B. 3 nicht unterscheiden lässt, spricht ebenfalls
gegen die Authenticität.
Wir müssen noch bei der dritten Art von Unterschriften, bei
denen der Zeugen verweilen, und müssen, nachdem sie schon zuvor
(S. 17) als unbedenklich nachgewiesen sind, hier von der Form
derselben handeln. Für die Unterzeichnung der Zustimmenden oder
Zeugen gibt es verschiedene Formen, was sich oft schon in den
Ankündigungen ausspricht. Quorum nomina vel signacula subter
tenentur inserta heisst es in Boz. 200 und in vielen anderen For
meln J ). — Also zunächst eigenhändige Unterschrift des Namens: bei
ihr wird in der Regel dem Namen ein Kreuz, Chrismon oder dgl. vor
ausgeschickt und dem Namen nachgesetzt: consensi, firmavi, sub-
scripsi; das letztere Wort wird häufig wie in den Unterschriften
der Kanzleibeamten in ein signum verzogen 3 ). Andere, die augenblick
lich nicht in der Lage sind oder überhaupt nicht verstehen Buch
staben zu machen, lassen ihren Namen durch andere schreiben s ).
1 ) Beispiele aus Urkunden: CartuI. de S. Bertin 19 a. 648: qui signarent aut subscri-
berent rogavimus . . . quorum nomina cum subscriptionibus vel signaculis subter
tenentur inserta. — Wartmann Nr. 9; sup presentia tistium qui ab eo rogidi sunt
suscripturi vil segna facturi.
2 ) S. das Facsimiie des Privilegiums von 864 in Quantin 1 Nr. 45.
3 ) Der ältere Pippin in Pard. Nr. 490. a. 714: et quia nos propter aegritudinein in
ipsa carta scribere non potuimus, Blittrudem rogavimus et potestatem dedimus, ut
ipsam firmare ad nostrnm tvicem deberet. — Pard. Nr. 330. a. 637: eius manus
dicuntur tripedare iIle calamus, ideo ipsa auturetate mano propria non podibat
Beiträge zur Diplomatik.
603
In der Regel wird jedoch von solchen wenigstens ein Kreuz
mit verschiedenen Zuthaten eigenhändig gemacht i) oder auch ein
Anderer, am häufigsten der Notar macht ein Zeichen für den Zeugen,
der dasselbe durch Auflegen der Hand zu dem seinigen stempelt 3 ).
Mögen nun diese Zeichen von den Betreffenden selbst oder von
Anderen gemacht sein, so werden sie mit Worten wie: signum
manus -j- illius etc. auch als signacula im Gegensätze zu den nomina
cum subscriptionihus bezeichnet. Diese verschiedenen Arten der
Unterzeichnungen wei den nun in Originalen (und ebenso in guten
Abbildungen wie in Letronne, in den Monumenta graphica u. s. w.)
sofort zu erkennen sein, und daher wird es bei Urkunden mit Unter
schriften ein die Originale von den Copien unterscheidendes Merk_
mal sein, dass in jenen die Schrift der seihst unterfertigenden Per
sonen von der des Urkundenschreibers absticht. Prüfen wir nun
aber darauf hin unsere Fulder Urkunde, so ist sie von Anfang bis zu
Ende von einer Hand geschrieben, d. h. auch all die Firmen eines
Bonifacius, Burghard u. a., welche selbst zu schreiben verstanden,
und überdies erscheinen die einzelnen Unterzeichnungen in Reih
und Glied auf's Beste geordnet, wie es in keinem Original nachzu
weisen ist und wie sie am wenigsten hier ursprünglich geordnet sein
konnten, indem ja einige derselben erst später nachgetragen sein
können. Und nun deuten auch die die Kreuze begleitenden Worte auf
Copie hin. Wohl geschieht es zuweilen, dass ein Abschreiber die
jenige Formel beibehält, in welcher eigenhändige Unterschrift zu
erfolgen pflegt, wie: in dei nomine ego ille testis subscripsi. Aber
subscribere. —? Pard. Nr. 344 a. 604: baec abocellis feci et alius manum meam tenens
scripsit et subscripsit. — Eben so von dem erblindeten Bischöfe von Paris Inchadus
in Cartul. de N. D. de Paris i, 323: ob amissionem luminum scribere nequivit, und
von demselben mit Anwendung- der ersten Person in Mabillon de re dipl. 319 a.
832: quia ob ammissionem luminum scribere nequivi, manu propria signo crucis
subter firmavi.
1) Dronke Nr. 209 a. 803: isti sunt testes qui propriis inanibus signa fecerunt.—
So wird auch von Tassilo in Tradit. Frising. 1, 22 zu versieben sein: manu propria
ut potui charactere cyrografo inchoando depinxi. — Für cartae ingenuitatis wird
in Regino de synodalibus causis 1, 414 vorgeschrieben, dass sie sein sollen cum
signis propria manu impressis.
2 ) Schoepflin Als. dipl. 1 . Nr. 105 a. 805: caeterosque per impositionem manuum
confirmare rogavit. — Fumagalli cod. dipl. Nr. 46 a. 836 : signum A (qui) inter-
fuit et rogatus. . . manum posuit. — In den Werdener Urkunden bei Lacomblet
sind testes und manum mittentes, manum inissores synonym.
i
604
S i c k e I
häufiger ist es, dass die Copisten diese Formel gleichsam übersetzen
und mit Hinblick auf das Handmal der im Original unterschreibenden
Person sagen: signum manus illius. Dagegen ist es umgekehrt un
erhört, dass wer selbst unterfertigt, dafür die letzteren Worte
gebraucht. Aus alle dem folgt also auch wieder, dass das Schriftstück,
von dem wir hier handeln nicht Original ist ‘)-
Schliesslich sei nun auch das Siegel an dem Fulder Schrift
stück erwähnt, weil noch mancher Diplomatiker bei der Frage über
Originalität auf die Besiegelung Werth legt. Wie es Schannat, zu
dessen Zeit es noch besser erhalten gewesen sein muss, abhildet,
ist es oval und zeigt eine nach rechts gewandte Büste, den Kopf
mit Bart und bekränzt, die Schulter mit einem Mantel bedeckt; dazu
die Legende: XPEPROI . . . FRANC . . . Was noch jetzt zu
sehen, stimmt zu dem Schannat’schen Bilde 3 ). Wie verhält sich nun
dieses Siegel zu den sonst von K. Pippin bekannten? Am besten
erhalten ist das von B. 7, den Kopf eines bärtigen und mit
Epheu bekränzten Bacchus oder Silenus darstellend ohne Legende 3 ).
Mit ihm stimmen die Siegelfragmente von B. 22 überein, und
1) Ich will dafür auch noch einen Schreibfehler anführen. Freilich kommen ja trotz
aller Einschärfungen selbst durch Gesetze (LL. i, 220, 286 u. s. w.) auch in
Originalen arge Schreibfehler vor, und so würde ich ptitionibus in Zeile 4 oder
ptri mit nachträglich übergeschriebenem e in Zeile 5 nicht anstössig finden. Aber
wir trefFen hier auch einen Fehler an, der entschieden auf falschem Lesen der
Vorlage beruht und der wohl selbst bei dem nachlässigsten Notar der königlichen
Kanzlei, der etwa die Originalausfertigung nach einem Concepte schreibt, nicht
vorauszusetzen ist, weil ihm die betreffende Redensart geläufig gewesen sein muss.
Es steht nämlich in Z. 5: ob horaem et venerationem sancti ptri, statt ob
amoraem, welches in der Vorlage offenbar mit cursivem und über m hinauf
geschobenem und dann lang gezogenem a geschrieben war, so {lass a mit dem ersten
Schafte von m in einen Zug überging; dieser Zug ist von dem Copisten für den
langen Schaft von h gehalten, und indem er dann den dritten Schaft von m über
sah, entstand das sinnlose horaem.
2 ) Das aber an dem Fehler der meisten Abbildungen von älteren Siegeln leidet:
gewöhnlich ist die Oberfläche dieser so abgeschliffen, dass sich nur ungefähre
Umrisse, nicht scharfe Züge erkennen lassen. Die Zeichner aber pflegen das
Bild nach ihrem Gutdünken zu vervollständigen und auszuführen. Desshalb eignen
sich auch nur selten Siegelabbildungen zu Siegelvergleichung. Ich bediene mich
sorgfältig gemachter Siegelabgüsse. Mit Hilfe von solchen habe ich denn auch
constatiren können, dass das Fulder Siegel, von dem zu vermuthen nahe liegt,
dass es das Karl d. G. sei und etwa auf Befehl desselben einer Copie des Pippin’-?
sehen Diploms aufgedrückt worden sei, den bisher bekannten Siegeln Karl’s zwar
sehr nahe kommt, aber nicht mit ihnen identisch ist.
3 ) Inventaire de la collect, des sceaux des arch. de l’empire Nr. 13.
Beiträge zur Diplomatik.
60S
offenbar war es dasselbe Siegel, welches früher B. 27 angeheftet,
von Mabillon de re dipl. 387 abgebildet wurde. Was Germon gegen
die Echtheit dieses und des pfalzgräflichen Siegels Karl d. G. vor
gebracht und Heineccius wiederholt hat, verdient keine Wider
legung mehr. Im Gegentheil ist nur dieses Siegel des K. Pippin hin
länglich verbürgt. Es ist möglich, dass es daneben ein zweites und
ganz anderes, wie es an B. 3 erscheint, gegeben hat, aber gerade
B. 3 als Copie gibt dafür keine genügende Bürgschaft. Wir müssen
daher die Entscheidung über dieses Siegel dahin gestellt sein lassen
und können das um so mehr, da, so häufig und mannigfaltig waren
die Siegelfälschungen, weder ein echtes Siegel eine sonst Verdacht
erregende Urkunde schützen, noch ein unechtes eine sonst makel
lose verdächtigen kann.
Die Betrachtung der äusseren Merkmale ergibt also, dass das
betreffende Fulder Schriftstück nicht eine Originalausfertigung ist,
sondern Copie oder Fälschung etwa um 800 geschrieben. Und dazu
passt nun auch die Sprache, welche verhältnissmässig zu correct
ist für die Zeit Pippin’s. Zwar werden wir später sehen, dass meh
rere Zeilen wörtlich wiederholen, was die in diesem Diplom bestätigte
Bulle des Zacharias enthielt, und indem sich im VIII. Jahrhundert die
päpstlichen Urkunden noch durch grammatikalisch richtige Sprache
auszeichnen, könnte man die bessere Latinität der betreffenden
Sätze in der Königsurkunde durch die Vorlage erklären. Aber fin
den übrigen, den selbsständig stilisirten Theil derselben lässt sich
dies nicht geltend machen, für ihn lässt sich nur annehmen, dass ei
erst von dem um 800 lebenden Copisten nach der Sitte seiner Zeit
emendirt oder dass das ganze Schriftstück erst um diese Zeit auf
gesetzt ist.
Haben wir aber einmal die Behauptung, die Urkunde liege
noch in Original vor, beseitigt, so haben wir auch den Werth der
selben als Zeugniss herabzusetzen; sie steht nun für uns auf ziem
lich gleicher Stufe (nur das Schriftalter der einzelnen Stücke
begründet noch einen Unterschied) mit anderen hieher gehörigen
Bullen und Diplomen, die alle ebenfalls nur in Abschriften vorliegen
und die insgesammt die Frage auftauchen lassen, ob wir es liier mit
Copien echter Documente oder mit Fälschungen zu thun haben. Aber
um zunächst noch bei B. 3 stehen zu bleiben, was wir bisher fest
gestellt haben, erleichtert auch wieder die Vertheidigung der Ur-
606
S i c k e 1
künde. Denn so wie sie uns vorliegt, enthält sie allerdings einige
Ausdrücke und Angaben, welche mit einer Originalausfertigung un
verträglich ein als solche zu betrachtendes Schriftstück zu verwer
fen nöthigen würden, während dieselben in einer Copie auf Rech
nung des Abschreibers gesetzt werden können.
Betrachten wir von diesem Gesichtspuncte aus zunächst das
Datum der Urkunde. Schannat im Drucke und im Facsimile wollte
gelesen wissen: data mense iunio anno primo regni nostri. Dronke
gab statt dessen anno II an, mit der Bemerkung, dass die Ziffer auf
einer Rasur stehe, dass also möglicher Weise früher das Schan-
nat'sche primo da gestanden habe. Das Kopp'sche Facsimile hat
gleichfalls anno II, deutet aber zugleich an, dass das ausradirte
Wort anno nono gewesen sei. Letzteres kann ich bei genauester
Prüfung des Schriftstückes nicht mehr erkennen; nur das steht fest,
dass hier ein in Buchstaben ausgeschriebenes Zahlwort ausradirt und
von sehr alter Hand, es könnte selbst die des ursprünglichen Schrei
bers sein, anno II gesetzt worden ist, wie auch Eberhard in seinen
Abschriften hat. Es ist also dies die relativ beste Lesart, und nach
ihr gehört das Diplom in den Juni 753.
In wiefern passen nun zu diesem Datum die einzelnen Angaben
der Urkunde? Was zunächst Bonifacius anhetritft, so glaube ich
seinen Tod auf den 5. Juni 754 setzen zu müssen *); die von ihm
in Attigny Unterzeichnete Urkunde Pippin’s kann also spätestens in
das Jahr 753 eingereiht werden. Wenn nun dem gegenüber, es
genügt einen Fall anzuführen, geltend gemacht wird, dass sich das
nicht mit signum Lul episcopi vertrage, da Lullus damals noch nicht
Bischof war, so weise ich jeden derartigen Einwand damit zurück»
dass wir hier eine Copie vor uns liegen haben, welche nicht erken
nen lässt, welche Unterschriften gleichzeitig mit der Ausstellung und
welche erst später zugesetzt sind, dass nachträgliche Unterzeichnung
von Privilegien auch anderweitig nachweisbar ist, dass also signum
Lul episcopi und Ähnliches als späterer Zusatz zu der Urkunde be
trachtet werden kann und in sofern unbedenklich ist. Es wurde
zweitens seit Eckhart bemerkt, welches auch das Ausstellungsjahr
sei, die Erwähnung des Bonifacius als eines lebenden und die des
*) Rettberg 1, 39G zu 735; für micli entscheiden die Annales antiq. Fuldenses des
Wiener Codex: s. Forschungen zur deutschen Geschichte 4, 459.
Beiträge zur Diplomatik.
607
Bruders von Pippin, Carlomann, als eines verstorbenen (beatae memo-
riae Carlomannus) vertrügen sich nicht mit einander. Dagegen hat
man dann in neuerer Zeit, so auch Böhmer und Rettberg, diesen
Einwand durch die Annahme beseitigen zu können gemeint, beatae
memoriae u. dgl. sei zuweilen auch von lebenden Personen gesagt und
könne speciell hier auf Carlomann’s Eintritt in das Kloster gedeutet
werden. Es bedarf aber noch des genügenden Nachweises für sol
chen Sprachgebrauch !),und es liegt näher, wie schon Mabillon
vorgeschlagen hat, diese Worte als von dem nach Carlomann’s Tode
schreibenden Copistcn eingeschaltet zu betrachten.
Würden also einige an sich bedenkliche Angaben und Aus
drücke der Urkunde B. 3 sich aus dem Charakter derselben als Copie
erklären, so finden andere ungewöhnliche Formeln und Wendungen
ihre Rechtfertigung in der durch den Inhalt bedingten Form. Dahin
gehört die Erw ähnung des Consensus episcoporum ceteroruinque fide-
lium nostrorum, der Hinweis auf die sententia apostolicae distric-
tionis, die Miunterzeichnung des Diploms durch Bischöfe und andere
Grosse 2 ); das Alles fanden wir auch in anderen königlichen Privi
legienbestätigungen. Dagegen steht das für die Ankündigung der
Unterschriften gebrauchte Wort: adstipulatio fidelium nostrorum
allerdings in Königsurkunden vereinzelt da. Die stipulatio ist als
eine der Bekräftigungsformen gewisser Rechtsgeschäfte aus dem
römischen Rechte in die Urkundenformeln aller deutschen Stämme
1 ) HofTmann vermischte Beobachtungen aus den deutschen Staatsgeschichten und
Rechten 3, 67 hat eine Menge derartiger Fälle zusammengestellt. Aber die ganze
Arbeit ist doch höchst unkritisch: es werden unter andern mehrere verdächtige
Urkunden citirt und hei den unverdächtigen fehlt die hier durchaus nothwendige
Unterscheidung zwischen den in Original und den nur abschriftlich erhaltenen.
Allerdings findet sich unter den angeführten Diplomen wenigstens eins B. 1708 vom
Jahre 862 (Tardif Nr. 186), das noch in der Originalausfertigung vorliegt. Dasselbe
enthält die Bestätigung Karl d. K. für eine Gütertheilung zwischen dem Abt und
den Mönchen von S. Denis und ist von dem damaligen Abte und Kanzler Hludowicus
erwirkt: hier wird bei einzelnen Gütern gesagt, von wem sie dem Kloster geschenkt
sind, und den Verstorbenen unter den Schenkern wird zumeist das Prädicat: divae,
bonae memoriae, divae recordationis beigelegt; heisst es nun da einmal auch von
dem noch lebenden Abte: piae memoriae Hludowicus, so ist das allerdings ein unum-
stösslicher Beleg für vereinzeltes Vorkommen solcher nicht correclen Ausdrucks
weise, es erscheint aber doch als ein Versehen des Schreibers und berechtigt noch
nicht zu den von Hoffmann gezogenen Folgerungen.
2 ) Über praefectus statt comes siehe YVaitz V. G. 3, 323, Note 3.
608
S i c k e I
übergegangen J ) und steht da fast regelmässig mit den Poenformeln
in Verbindung. Herkunft und Bedeutung ergeben sich schon aus der
in älteren Stücken begegnenden Ausdrucksweise, wie es z. B. in
Wartmann Nr. 8 und oft heisst: cartola esta sua obteniad firmitatem
Aquiliani Arcaciani lejes stibolacionis. Üblicher ist die kürzere For
mel: cum stipulatione subnixa, sehr häufig im VIII., seltener schon im
IX. Jahrhundert, nur noch vereinzelt in der Folgezeit, wie in Dronke
Nr. 679, a. 932. Die Anwendung ist unabhängig vom Stande der
Personen. So finden wir diese Bekräftigungsforme] im Testamente
des Abtes Fulrad (Tardif Nr. 78), in äbtlicher Precarie (Wartmann
Nr. 80), in der Cession eines Erzbischofs (Cartul. de Beaulieu
Nr. 11 a. 887), in der Urkunde eines Grafen (Wirtemb. Urk. Nr. 28
und 80), in der eines Herzogs Liutfrid (trad. Wizenb. Nr. 11, c. a.
730), in denen der Hausmaier (Pard. Nr. 821 a. 722, Nr. 863 a.
741 u. s. w.); nur in königlichen Diplomen begegnet sie niemals.—
Schon bei den Römern gab es daneben adstipulatores a ), Personen
welche ihre förmliche Übereinstimmung und Beipflichtung zu einem
Rechtsgeschäfte bekundeten. Dem entsprechend wird auch in deut
schen Urkunden für die analoge Beglaubigung durch Zeugen adsti-
pulatio testium gebraucht, ganz gleichbedeutend der subscriptio
testium, der roboratio per testes 3 ). So ist auch in B. 3 adstipula-
tione subnixum nichts anderes als testium subscriptione subnixum
und die Wahl des Wortes vielleicht durch eine Reminiscenz an das
in den Hausmaierurkunden häufige stipulatione subnixa bestimmt.
So erklärt sich der Ausdruck, wenn auch ganz vereinzelt, sobald
einmal der Consens der Grossen und die Mitunterzeichnung durch
sie angekündigt werden sollten.
Der ganze Schlusssatz lautet übrigens anders als die, sei es in
Merovinger-, sei es in Karolingerdiplomen übliche Ankündigungs
formel; es ist in ihm eine Participialconstruction angewandt, wie
*) Spangenberg die Lehre von dem Urkundenbeweise 1, 393. — Pardessus de la for
mule stipulatione subnixa in Biblioth. de 1’EcoIe des Ch. 1 Serie, 2, 425; der dort
gemachten Unterscheidung zwischen stipula subnixum und stipulatione subnixa kann
ich jedoch nicht beistimmen.
2 ) Gaius 3, 110: possumus ad id quod stipulamus alium adhibere qui idem stipuletur,
quem vulgo adstipulatorem voeamus.
3 ) Z. B. Dronke Nr. 529: stabilis permaneat cum astipulatione testium; astipulatio
hier für adstipulatio, während auch für das einfache stipulatio in Folge von Laut
vorschlag vorkommt astipulatio (Pard. Nr. 588) oder estibulatio (Wartmann Nr. 9).
Beiträge zur Diplomatik.
609
sie sich in keiner königlichen Urkunde dieser Zeit findet. Diese
Abweichung nun haben wir in Zusammenhang mit der ganzen stili
stischen Fassung der Urkunde zu betrachten. So wie nämlich der
wesentliche Inhalt der Bulle des Zacharias wörtlich in die sie
bestätigende Urkunde Pippin's übergegangen ist (dicionem aliquam
— firmitate perpetua perfruatur), so ist auch deren Schlusssatz
massgebend geworden für die Fassung des Schlusses von B. 3. Nach
dem Hinweis auf die sententia apostolicae districtionis folgt: et
tarnen hoc, wie in der Bulle: et nihilominus, und ebenso ist den
Worten der Bulle: inviolata permaneat apostolica auctoritate subni-
xum der Schlusssatz des Diploms nachgebildet: stabile permaneat
manu nostra roboratum et tarn anuli nostri impressione quam fidelium
nostrorum adstipulatione subnixum. Die Abweichung an sich von der
sonst üblichen Fassung und der sonst üblichen Formel der Diplome
werden wir hier ebenso zu beurtheilen und zuzulassen haben, wie
bei den Confirmationen bischöflicher Privilegien, deren Stilisirung
wir ja gleichfalls vielfach durch den eigenthümlichen Wortlaut der
zu bestätigenden Urkunden beeinflusst sahen.
Es steht also mit der besonderen Fassung von B. 3 ebenso wie
mit dessen besonderem Inhalte, sie hängen beide auf’s innigste mit
Inhalt und Wortlaut der Bulle zusammen, und ob wir die Pippinische
Urkunde als echt gelten lassen dürfen, hängt, nachdem wir einmal
die Nichtoriginalität derselben festgestellt haben, wesentlich von
unserem Urtheile über die Bulle ab. Die weitere Untersuchung
hat sich daher weniger mit dem Diplome als mit der Bulle zu befas
sen, mit der jenes steht oder fällt. Und indem ich somit zur Prüfung
der Urkunde des P. Zacharias übergehe, will ich zuerst fragen: hat
es überhaupt ein Privilegium dieses Papstes für Fuld gegeben? —
Erst wenn diese Frage bejaht worden ist, können wir Wortlaut und
Inhalt der uns überlieferten Bulle in Betracht ziehen.
In einem Briefe des P. Zacharias an Bonifacius (Würdtwein
Nr. 87, Giles Nr. 76) heisst es: petisti . . . ut illud . . . monaste-
rium nomine tuo privilegio sedis apostolicae munire deberemus, eine
so bestimmte Äusserung, dass es wohl nicht in Betracht kommt,
dass unter den uns bekannten Briefen des Bonifacius keiner gerade
diese Bitte enthält, denn wer bürgt uns, dass diese Briefe ganz
vollständig auf uns gekommen? Privilegium kann aber nach dem
Sprachgebrauche jener Zeit nicht, wie Rettberg 1, 614 das Wort
610
S i c k e 1
deuten möchte, ein Schutzbrief in damals üblicher Form sein; Pri
vilegium ist, wie wir früher sahen, eine die kirchlichen Verhältnisse
ordnende Urkunde, und überdies, wenn es schon aufFällt, dass der
Papst damals ein solches Privilegium ertheilt haben soll, müsste es
in noch höherem Grade auffallen, wenn er gleich den weltlichen
Fürsten über nichtkirchliche Verhältnisse Bestimmungen getroffen
hätte. Jene Stelle lässt also keine andere Deutung zu, als dass der
Papst irgend eine Urkunde nach Art der Privilegien zu Gunsten von
Fuld ertheilt habe.
Weitere mehr oder minder directe Zeugnisse besitzen wir in
einer langen Reihe päpstlicher und königlicher Urkunden , welche
jetzt am besten in Dronke cod. dipl. Fuld. vorliegen. Von den Bullen
müssen wir die dreier Jahrhunderte zu Rathe ziehen !). Jaffe hat
diese Bullen von der Gregor’s IV. an nicht beanständet und auch
ich meine, dass sie von dieser an formell richtig erscheinen. Aller
dings sind sie nur abschriftlich überliefert, ausgenommen die letzte
von Benedict VIII., deren Original noch jetzt im Fulder Archive auf
bewahrt wird s ). In all’ diesen Stücken nun werden dem Kloster
päpstliche Privilegien verliehen, mehrere erzählen dabei, dass Fuld
seit ältester Zeit solche Privilegien besessen , aber erst die Bulle
Johann’s XIII. erwähnt in directer Weise die Constitution des
P. Zacharias und deren Bestätigung durch die Nachfolger. Das ist
also ein sehr spätes Zeugniss, um Jahrhunderte später als das, wel
ches uns in dem abschriftlichen Privilegium Pippin’s vorliegt. Und
*) Ich führe sie gleich hier nach den Nummern hei Dronke auf, setze aber auch, um
das Aufsuchen in anderen Werken zu ermöglichen, die Nummern der Jaffe'sehen
Hegesten bei. — Für Fuld sind folgende Bullen bekannt: I). 4» = .1. 1756 von Zacha
rias a. 751, D. 7 = J. spur. 309 Von Stephan a. 753, D. 77 = J. spur. 321 von Had
rian I. a. 784, Ü. 477 = J. 1951 von Gregor IV. a. 828, D. 557 = J. 1975 von
Leo IV. a. 850, I). 574 = J. 2011 von Benedict III. a. 857, I). 575 = .1. 2017 von
Nicolaus I. a. 859, D. 618 = J. 2255 von Johann VIII. a. 875, D. 042 = .1. 2662 von
Stephan VI. a. 891 (wie hier eine Bulle des Vorgängers Marinus erwähnt wird, die
nicht auf uns gekommen, so mögen auch noch andere dem Kloster ertheilte Bullen
verloren gegangen sein), D. 649 = J. 2710 von Bendict IV. a. 901, D. 665 =
J. 2726 von Johann X. a. 917, D. 6S1 = J. 2752 von Leo VII. a. 936, D. 685 =
J. 2775 von Marinus II. a. 943, D. 687 = J. 2794 von Agapet II. a. 948, D. 711 =
J. 2830 von Johann XII. a. 961, D. 713 = J. 2867 von Johann XIII. a. 969, D. 725 =
,1. 2950 von Johann XV. a. 994, D. 728 = .1. 2992 von Silvester II. a. 999, D. 736 =
,1. 3091 von Benedict VIII. a. 1024.
B ) Demnach ist Eckhdrt’s Versuch, die ganze Heihe der Urkunden als Fälschungen dom
um 1050 schreibenden Othlon aufzuhürden, unhaltbar.
Beiträge zur Diplomatik.
611
überhaupt zeugen sämmtliche Bullen von Gregor IV. an, so lange
wir nicht in das Detail derselben eingehen, weder zu Gunsten noch
zu Ungunsten des um 800 geschriebenen, Pippin's Namen tragenden
Stückes, weil sie in jedem Falle von alten Privilegien reden können,
mag nun das königliche Diplom von 753 Copie einer echten Urkunde
oder das Glied einer Kette von Fälschungen sein.
Von späteren Königsurkunden kommen hei dieser Frage in
Betracht: das Wahlprivilegium Karl des Grossen von 774 in
Dronke 47, nur abschriftlich überliefert, aber unbedenklich, ohne
Hinweis auf die Constitutionen der Päpste; ferner desselben Urkunde
über die Zehntabgaben, wahrscheinlich vom Jahre 810 in D. 248
aus cod v Eberhardii). In der letzteren heisst es: Ratgerius abbas ...
ostendit serenitatis nostrae obtutibus auctoritatem . . . Pippini regis
in qua continebatur qualiter petente sanctoBonifacio . . . privilegium
Fuldensis monasterii a Zacharia s. sedis apostolice presule datum
sua etiam auctoritate roboraret. Da haben wir also wenigstens ein
der Zeit und dem Werthe nach dem abschriftlichen Privilegium
Pippin’s ziemlich gleich stehendes Zeugniss. Beide Urkunden wer
den dann in einem allerdings sehr verderbten Diplome Ludwig des
Frommen, Dronke 526 a. 840, bestätigt.
Wir werden erst, indem wir auch auf die Fassung der zuvor
erwähnten Bullen eingehen, einen Schritt weiter vorwärts kommen.
Ich will dabei zunächst von Dronke 477 ausgehen , welche Bulle
Jaffe als die erste echte nach der des Zacharias gelten lässt, oder
von D. 574, deren Echtheit durch die noch erhaltenen und durch
aus richtigen Schlussformeln (vollständiges Datum, Namen des Scri-
niarius und Secundicerius u. s. w.) gut verbürgt wird. Beide Bullen
haben gleichen Wortlaut, der nun auch die Grundlage für die zu
nächst folgenden bildet. Wenn gleich D. 575 und 618 einen Zusatz
zu der Fassung der früheren Stücke (ceterum vero hoc deliberantes
— retorqueatur) enthalten, so ist dieser ganz unbedenklich (s. S. 60),
weil er dem Kloster eine Verpflichtung auferlegt, was sicher nicht
die Mönche einer echten Urkunde eingeschoben haben werden. Die
nächste Bulle, D. 642, hat zwar eine neue Arenga und einige un
wesentliche Zusätze, im Übrigen ist sie der letzteren genau nach-
*) Dronke 248 ist entschieden dem Original näher stehende Copie , als D. 247 =
Böhmer 188. Näheres über diese Stücke S. 63.
612
S i c k c 1
geschrieben. Auf sie folgen ihr wörtlich gleieli D. 649, 665, 681,
nur mit einer sachlich und stilistisch unverdächtigen Erweiterung (et
auctoritate nostra interdicimus — concedimus et praeeipimus), in
der nun auch zum ersten Male eine Bestimmung über die freie Abts
wahl aufgenommen erscheint. Nachdem so die Bullen für Fuld mit
der Zeit immer ausführlicher und länger geworden sind, aber doch
Alles, was schon in D. 477 stand, wörtlich wiederholt haben, folgen
in D. 685, 687, 711 drei kurze Fassungen, unter sich und mit der
Urkunde des P. Zacharias wörtlich übereinstimmend. Vergleichen
wir nun die Gruppe D. 477—681 mit der Gruppe D. 4 a und 6S5
bis 711, so enthält erstere alle Sätze und Worte der zweiten, aber
dazu einen nicht unwesentlichen, nach praeter sedem apostolicam
eingeschobenen Passus (et episcopum — consecrandi altaris fuerit),
der sich auch in der der Zeit nach innerhalb derselben Gruppe lie
genden Bulle D. 557 findet; auf die Bedeutung dieser Worte komme
ich zurück. Dann begegnet in D. 713 eine neue, in D. 725 genau
nachgeschriebene Stilisirung, die sich aber doch in langen Sätzen
der hier zuerst ausdrücklich citirten Constitution des Zacharias wört
lich anschliesst, ausserdem aber auch ganz neue Bestimmungen über
den Primat des Abtes von Fulda aufweist. Die Bulle D. 728 ist
ganz selbstständiger Fassung. Des weiteren folgt die noch im Ori
ginal erhaltene Urkunde Benedict’s VIII., D. 736: in ihr ist inhalt
lich neu, dass dem Fulder Kloster ein römisches Kloster geschenkt
wird, aber der ganze zweite Theil derselben von ut sub iuris dicione
an ist wieder eine wörtliche Wiederholung des Wortlautes von
I). 4“, und zwar so, dass auch wieder, wie in allen auf D. 685 fol
genden Stücken, der Zusatz: et episcopum — consecrandi altaris
fuerit fehlt.
Haben wir also innerhalb eines Zeitraumes von 270 Jahren in
einer langen Beihe , welche mit einem unanfechtbaren Originale
abschliesst, im Wesentlichen immer dieselbe Fassung als das Mi
nimum des Wortlautes kennen gelernt, so können wir nun auch
leichter bestimmen, was in einigen wie es scheint überarbeiteten
Bullen, die noch zu betrachten bleiben, als ursprünglich und echt
angesehen werden darf. Auch diese der Verunechtung verdächtigen
Stücke, I). 7, 77, 557, enthalten nämlich Wort für Wort (blos in
D. 7 ist und vielleicht nur durch Versehen eines Abschreibers eine
Zeile: ut profecto — dotatum permanent ausgefallen) jenen allen
Beiträge zur Diplomatik.
613
Fulder Bullen gemeinsamen Wortlaut und unterscheiden sich nur
durch verschiedenartige, des näheren zu betrachtende Zusätze.
Der Passus in D. 7: maxime his locis — commendavit defensione
ist mir äusserst bedenklich wegen der Behauptung, dass Bonifacius
das Kloster in nostra Romana commendavit defensione, einmal weil
sie selbst in den Fulder Bullen vereinzelt dasteht, dann weil ein
derartiges weltliches Schutzverhältniss, für das ich sonst erst ein
Jahrhundert später und auch damals nur in Westfrancien ein Bei
spiel gefunden habe, wie gesagt, noch viel absonderlicher ist als
das durch ein Privilegium begründete. Und dass, was der zweite
Zusatz in D. 7: praecipimus etiam tibi — semper intendas, ähnlich
dann auch in D. 77 und S57 und im Cod. Eberhardi auch in D. 477
eingeschaltet 1 ), besagt, dass nämlich das Klostergut nicht zu Benefiz
ausgegeben werden soll, nicht zu der Zeit Pippin’s passt, das be
darf wohl keiner weiteren Ausführung 3 ). Endlich hat schon D. 77
jenen der Gruppe D. 477—681 eigentümlichen Zusatz.
Sehen wir nun aber von diesem Zusatze und von den Abwei
chungen der Bullen D. 77 und 5S7 ab, die ich schon hier als
unverkennbare Interpolationen bezeichnen kann, so sind wie gesagt
auch diese Urkunden in dem weitaus grösseren Theile allen anderen
gleich. Die Übereinstimmung in dem Haupttheile zwischen der
ersten und letzten der von mir angeführten Bullen ist somit eine
ununterbrochene; andererseits ist sie eine in natürlich und regel
rechter Weise beschränkte und hat nichts gemein mit der Überein
stimmung jener Reihen von Urkunden, in denen ein und dasselbe
Falsificat zwanzigmal nachgesclirieben wird. Wenn wir diejenigen
Bullen für Fuld, welche noch mit vollständigem Pretokoll versehen
sind, mit denen derselben Päpste, mit den von denselben Kanzlei
beamten geschriebenen vergleichen (es im Einzelnen hier darzulegen
würde mich zu weit von der Hauptsache abführen), so erkennen wir
in ihnen alle die kleinen Veränderungen, welche der Verlauf der
Zeit mit sich bringt, wieder. Auch in den Prologen finden wir
*) Siehe D. 477, Note 3, und vgl. die Überarbeitung der Bulle des Zacharias in Cod.
Eberh. D. 4 b .
2 ) Unter all* diesen Bullen ist die Stephan’s D. 7 um ihres Inhaltes uud Stiles willen am
meisten verdächtig und ist um eines später anzufiihrenden Grundes willen ganz zu
verwerfen; ich berücksichtige sie also auch im Folgenden nicht mehr.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLV1I. Bd. II. Hft. 40
614
S i c k e I
einen natürlichen Wechsel 1 ). Und im weitern Contexte zeigen sich
gleichfalls bald allmähliche Erweiterungen von Fassung und Inhalt,
bald wieder eine Rückkehr zu knapperer Redaction. Mit einem
Worte: bei diesem Verhältnisse der Fulder Rullen zu einander, stützt
die eine die andere, und eben in diesem Zusammenhänge erscheinen
sie echt; nur das fragt sich noch: mit welchem Stücke beginnt die
Reihe der wirklich von Rom ausgegangenen Rullen, sind auch schon
die des Zacharias und die offenbar überarbeitete des Hadrian in der
Reihe der echt erscheinenden Doeumente inbegriffen?
Die Frage wird sich mit Bestimmtheit beantworten lassen,
sobald wir den weiteren Umstand in Betracht gezogen haben wer
den, dass die gemeinsame Fassung dieser Stücke auch in der
Sammlung der päpstlichen Formeln, im Liber diurnus Romanorum
pontificum angetroffen wird. Allerdings wird durch diesen Umstand
an sich die Möglichkeit einer Fälschung von Bullen in Fulda mit
Hilfe römischer Formeln noch nicht ausgeschlossen, sie wird erst
ausgeschlossen, wenn wir einerseits die Zeit feststellen, in der sich
zuerst derselbe Wortlaut zu Rom in den Formeln und zu Fuld in
den Urkunden nachweisen lässt und dann andererseits erwägen, ob
zu dieser Zeit eine derartige Fälschung denkbar ist.
Die erste Aufgabe ist nicht mit wenigen Worten zu lösen,
weil über dem Liber diurnus von jeher ein ungünstiges Schicksal
gewaltet hat und noch waltet, und weil wir gerade über das was
bei unserer Frage den Ausschlag gibt, über das Alter der Hand
schriften und über ihre Beschaffenheit nur ungenügend unterrichtet sind.
Es sind meines Wissens nie mehr als zwei Handschriften dieser für
Diplomatik und Geschichte gleich wichtigen Quelle bekannt gewor
den: die eine ehemals in der Bibliothek des Cistercienserldosters
S. Croce di Gerusalemme in Rom 2 ), die andere einst in Sirmond’s
Besitz, dann in der Bibliotheca collegii S. J. Claromontani; über
beide fehlen neuere Angaben. Nach dem erstgenannten Codex hatte
bekanntlich Holstenius den Liber diurnus 1650 in Rom drucken
lassen, die Veröffentlichung wurde jedoch beanständet und die Auf-
i) Der mit D. 642 beginnende findet sich im Liber diurnus cap. 7, 19.
Ä ) Blume fand die Bibliothek sehr verwahrlost; weder in seinem Berichte (Iter ital.
3, 152 und 4, 288) noch in den Auszügen, die er Bibi. MS. 155 gibt, wird die Hand
schrift erwähnt.
Beiträge zur Diplomatik.
618
läge im Jahre 1662 bis auf wenige Exemplare vernichtet 1 )- Aber
schon 1680 erschien in Paris die neue Ausgabe Garnier’s, der von
dem früheren Drucke keine Kenntniss hatte, seinem Texte den Cod.
Claromontanus zu Grunde legte und von dem Cod. Romanus nur ein
Inhaltsverzeichniss mittheilen konnte. Sie ist, wenn auch wieder
holt abgedruckt 2 ), die einzige geblieben, obgleich Baluze, Daville,
Zaccaria u. a- neue Ausgaben verhiessen.
Nach Garnier nun wäre der grössere Theil dieser Formel
sammlung um 714 zum Abschluss gekommen; aber, fügt er hinzu:
tarn preciosis tamque utilibus venerandae antiquitatis monumentis
ausus est, ut quidem suspicor, interpolator aliquis recentiora quae-
darri et vilia aut inserere aut saltem addere; huiusmodi sunt aliqua
apostolicae auctoritatis privilegia non longe distantia ab iis quae
eruditis non admodum probantur. Da wäre es also wichtig, genau
über Alter, Bestand und Einrichtung der Handschriften unterrichtet
zu sein. Garnier jedoch sagt nur, dass der von ihm benutzte Cod.
Claromont. neunhundert Jahr alt sei, also in’s VIII. Jahrhundert
gehöre; ob aber die ganze Sammlung von einer Hand geschrieben,
oder die jüngeren Stücke von späteren nachgetragen, erfahren wir
von ihm nicht. — Vom Cod. Romanus spricht nur Mabillon in
seinem Iter ital. 1,75 s ): er setzt ihn in’s IX. Jahrhundert und sagt
nichts von etwanigen späteren Eintragungen. Hält man diese zwei
Angaben zusammen, so müsste man den Cod. Claromont. als den
älteren betrachten. Aber nach den später erschienenen Abhand
lungen von Schöpflin und Zaccaria, welche jedoch beide die Hand
schriften nicht gesehen, stellt sich das Verhältniss anders heraus.
Es war bereits vor diesen bekannt geworden, dass Holstenius auch
den Cod. Claromont. zur Verfügung gehabt hatte; offenbar hatte er
ihn für minder gut gehalten als den von ihm abgedruckten Cod.
Romanus. ludern sich nun Schöpflin eines der wenigen Exemplare
der von Holstenius besorgten Ausgabe hatte verschaffen können,
glaubte auch er aus dem Verhältnisse dieser zu der Garnier'schen
*) Schöpflin comment. hist, et crit. 499—S32. — Zaccaria dissert. de Iibro diurno,
in Bibi, ritualis 2», 229—296.
3 ) Die Originaledition ist mir jetzt nicht zur Hand, ich bediene mich für das Folgende
des Wiener Nachdruckes von 1762.
s ) Und Museum ital. i, 32, wo auch einige in der Ausgabe Garnier’s fehlende Formeln
mitgetheiit werden.
40»
616
S i c k e 1
folgern zu müssen, dass die römische Handschrift die ältere und
bessere sei. Dem stimmte Zaccaria bei, der überdies aus dem
Datum einer Formel, wie es sich im Cod. Claromont. findet, nach
wies, dass dieser erst unter Gregor IV., also nach 827 geschrieben
sein könne, wozu auch passt, dass Labbe denselben abweichend von
Garnier in das IX. Jahrhundert gesetzt hatte. Was lässt sich aus
diesen unsichern und sich zum Theil widersprechenden Angaben
Anderes entnehmen, als dass wahrscheinlich beide Codices dem
IX. Jahrhundert angehören?
Auch das weitere Verhältniss der Handschriften zu einander
lässt sich aus dem, was Schöpflin und Zaccaria aus dem Abdrucke
von Holstenius mitgetheilt haben, nicht mit voller Sicherheit fest
stellen. Ich beschränke mich also darauf, hervorzuheben, was die
mit den Fulder Urkunden zu vergleichende Formel anbetrifft. Aus
der Reihenfolge der Stücke in beiden Manuscripten lässt sich näm
lich annähernd berechnen, wann unsere Privilegienformel in die
Sammlung aufgenommen sein muss. Die Ordnung in beiden Codices
ist nicht überall dieselbe, doch hat sie das in beiden gemein, dass
die Formeln weder dem Inhalte nach, noch nach der Zeit der Ent
stehung zusammengestellt sind. Das zeigen unter andern folgende
Fälle aus dem Cod. Romanus. Das Indieulum episcopi (Garnier 3, 8),
das dem Eide des Ronifacius entspricht, geht dem Indieulum epis
copi de Langobardia (G. 3, 9), welches bis in die Zeit Gregor’s I.
zurückreicht, voran, und gleich darauf folgt dann die jedenfalls
jüngere Privilegienformel (G. 7, 12): si semper sunt concedenda.
Oder auf ein Responsum (G. 5, 21) das mit einem Briefe Gregor's I.
übereinstimmt, folgt unmittelbar die den Fulder Privilegien gleiche
Formel (G. 7, 1): quoniam semper sunt concedenda; die übrigen
Privilegienformeln stehen alle am Schlüsse der Handschrift. In dem
andern Codex findet sich die letztgenannte Formel an derselben
Stelle, die erstere aber mit den andern Privilegien am Schlüsse.
Daraus nun, dass das uns hier besonders interessirende Stück in
beiden Handschriften an derselben Stelle eingetragen ist, lässt sich
doch etwas folgern. Es wäre gewiss ein seltsamer Zufall, wenn
diese Formel in beide Codices erst nach deren Abfassungszeit ein
getragen und dann doch genau an derselben Stelle eingeschaltet
worden wäre. Der erwähnte Umstand macht es vielmehr wahr
scheinlich, dass zur Zeit, da die eine Handschrift aus der andern
Beiträge zur Diplomatik. 617
oder da beide aus einer gemeinsamen Quelle abgeschrieben wurden,
unsere Formel bereits an der betreffenden Stelle eingereiht war.
Somit sind wir, wenn auch immer bin eine Bestätigung durch genauere
Angaben über die handschriftliche Überlieferung erwünscht bleibt, zu
der Annahme berechtigt, dass die Formel: quoniam semper sunt
concedenda spätestens im IX. Jahrhundert, dem die Codices ange
hören, in den Liber diurnus, d. h. in die officielle Formelsammlung
der päpstlichen Kanzlei aufgenommen worden ist.
Halten wir nun damit das früher gewonnene Resultat zusam
men. In Fulda hat man eine dem P. Zacharias zugeschriebene
Urkunde, wie sie Dronke 4 a abdruckt, im X. Jahrhundert gehabt.
Eine gleiche muss aber schon gegen Ausgang des VIII. Jahrhunderts
vorhanden gewesen sein, indem sich nicht allein der Hauptinhalt
der Bulle, sondern auch ein grosser Theil des Wortlautes in dem
vor 800 geschriebenen Stücke, dass seinen äussern Merkmalen
nach Copie einer königlichen Privilegienbestätigung sein kann, wie
derholt finden. Auf der andern Seite kehrt der ganze Wortlaut der
auf den Namen des Zacharias lautenden Fulder Bulle spätestens im
IX. Jahrhundert in der Formelsammlung der päpstlichen Kanzlei wie
der und eben so mit grösseren oder geringeren, wie wir noch sehen
werden, den jeweiligen Verhältnissen entsprechenden Modificationen,
in zahlreichen Bullen, von denen die seit der Mitte des IX. Jahrhun
derts auch formell richtig erscheinen. Dieser Zusammenhang lässt
sich nur auf zweierlei Weise erklären. Die jedenfalls vor 800 exi-
stirende Redaction ist entweder in Rom, in der päpstlichen Kanzlei
entstanden, ist von dort einerseits in Form einer Originalausfertigung
(unter welchem Papste lasse ich noch dahingestellt) nach Fulda
gekommen und ist da theilweise auch für die Abfassung einer dem
K. Pippin zugeschriebenen Confirmation benützt worden; anderer
seits in Rom in die päpstlichen Register eingetragen hat sie als
Vorlage für die folgenden Bullen gedient und ist endlich auch
spätestens im IX. Jahrhundert in die officielle Formelsammlung auf
genommen. Oder die Redaction ist in dem Kloster und als Fäl
schung entstanden, einerseits dort für weitere Fälschungen unter
dem Namen verschiedener Päpste und des K. Pippin benutzt, ande
rerseits nach Rom vor die Curie gebracht, und zwar zu einer Zeit,
wo man in Rom die Fälschung leicht als solche erkennen konnte,
und ist dennoch von der Kanzlei irgend eines Papstes für eine Ori-
1
618
S i c k e I
ginalbulle verwerthet und endlich sogar als Musterurkunde in den
Liber diurnus aufgenommen worden. Ich stehe nicht an die erstere
Annahme als die wahrscheinlichere zu bezeichnen und die Fassung
als in der römischen Kanzlei entstanden, also als im Wesentlichen
echt zu betrachten.
Man kann, was Ort und Zeit der Entstehung dieser Redaction
anbetrifft, auch noch auf eine Bulle hinweisen, welche P.Stephan III.
757 dem Abte Fulrad von S. Denis (Jaffe 1782) ertheilte. leb
weiss was in zahlreichen Streitschriften des XVII. und XVIII. Jahr
hunderts gegen diese und andere Bullen für dasselbe Kloster vor
gebracht ist, und gewiss sind sämmtliche Fassungen, in denen
J. 1782 auf uns gekommen ist, interpolirt und verunechtet.
Dennoch lässt sich sowohl die Existenz einer derartigen Urkunde
für S. Denis als auch das nachweisen, dass der Hauptinhalt der
selben und ein Theil des Wortlautes denen von J. 1782 entsprochen
haben muss. Namentlich ergibt sich aus den Verhandlungen des
synodus apud Vermeriam a. 853 in LL. 1, 421, dass Fulrad ein
unter andern seine Klosterstiftungen betreffendes Privilegium etwa
des Inhalts von J. 1782 erhalten hatte. Des weiteren stimmt der
Wortlaut auch dieser Bulle zum grossen Theil mit einer andern
Formel des Liber diurnus (Garnier cap. 7, 2) überein, namentlich
ist der Prolog ganz derselbe 1 ). Und indem nun diese Privilegien
formel nichts anderes ist als die mit den Fulder Bullen übereinstim
mende Formel mit einem längeren, an Strafandrohungen reichen
Zusatze, so kann was diesen Formeln gemeinsam ist und einerseits
in den Handschriften des Liber diurnus aus dem IX. Jahrhundert,
andererseits um dieselbe Zeit in Copien von Urkunden in Fuld und
S. Denis nachweisbar ist, nur in Rom entstanden sein und muss dort
schon um die Mitte des VIII. Jahrhunderts, dem die Bullen für beide
Klöster angehören, entstanden sein.
Diese nähere Zeitbestimmung ergibt sich auch aus einer anderen
Betrachtung. Steht es einmal fest, dass um 800, um die Zeit da die
Den Schluss von J. 1782 halte ich für am stärksten überarbeitet. Dagegen kehren
die Schlusssätze der Formel wörtlich wieder in der Bulle Hadrian’s von 786 für
S. Denis (Jaffe 1886), welche jetzt besser als bisher aus einer Copie des IX. Jahr
hunderts in Tardif Nr. 84 abgedruckt ist. Diese Übereinstimmung spricht auch
wieder zu Gunsten dieser Bulle und für das Zurückreichen der Formel in das
VIII. Jahrhundert. Man vergleiche auch den Prolog von Jaffe 1784 mit Lib. diurnus
ed. Garnier cap. 7, 13.
Beiträge zur Diplomatik.
619
Copie der Urkunde Pippin’s geschrieben wurde, die beireifende
Fassung existirte, und zwar in einer päpstlichen Bulle nach Fulda
gekommen war, und fragt es sich nur noch, ob wir sie auf eine
Bulle des Zacharias von 751, wie Dronke 4 a , oder auf eine Hadrian’s
von 774, wie Dronke 77, oder auf eine Bulle eines andern Papstes
dieser Zeit zurückführen sollen, so gibt das den Ausschlag, dass die
Ausübung eines allerdings ganz neuen Bechtes durch den Papst und
die Ertheilung einer ganz besonderen Bulle für das Kloster am
ehesten zu Lebzeiten des ebenfalls in besonderem Verhältniss zu
Rom stehenden Bonifacius stattfinden konnten, weit eher als später
da Sturm und Baugulf Äbte waren. Somit betrachte ich Inhalt und
Fassung von Dronke 4 a im ganzen und grossen genommen als echt
nnd als die Grundlage der wesentlich gleichlautenden Bullen der
späteren Päpste!).
Gehen wir nun noch näher auf den Inhalt der betreffenden
Bullen und der ihre Bestimmungen wiederholenden Diplome ein.
Die Hauptschwierigkeit ist hier, da alle diese Documente nur
abschriftlich und offenbar einerseits in den Formeln, möglicher
Weise auch im Contexte verslüinmelt, andererseits auch wieder
interpolirt vorliegen, den ursprünglichen Wortlaut und die unechte
Zuthat festzustellen: es wird sich das nur bis zu einem gewissen
Grade mit Sicherheit durchführen lassen und es werden immer
einzelne Sätze oder Bestimmungen übrig bleiben, deren Charakter
zweifelhaft sein wird. Nachdem ich schon früher vorläufig ange
geben habe, was ich in Dronke 4 a für echt halte, weil es in allen
folgenden Bullen wiederkehrt, noch mehr weil es mit der Formel
des Liber diurnus übereinstimmt, will ich hier den Wortlaut der
Bulle und der Formel, dessen wir ohnedies für die weiteren Erörte
rungen bedürfen, nebeneinander stellen. Die Bulle liegt, wie gesagt,
in Abschrift des X. Jahrhunderts vor; was in ihr von der Formel
abweicht, bezeichne ich durch schräge Buchstaben. Die Formel
gebe ich so wie sie nach den von Schöpflin aus dem Druck des
Holstenius mitgi-theilten Lesarten im Cod. s. Crucis enthalten sein
soll, verzeichne aber zugleich in Anmerkungen die Varianten der
Garnier’schen Ausgabe oder des Cod. Claromontanus.
i) Das in den Abschriften dieser Fassung- fehlende Datum wird man am fiiglichsten
aus Dronke 4 b entlehnen können, aus der erweiterten Fassung derselben Bulle.
620
S i c k e 1
Liber diurnus:
Privilegium monasterii 4 ) :
Quoniam semper sunt concedenda
quae rationabilibus congruunt
desideriis, oportet ut devotioni
conditoris a ) piae constructionis
oraculum 3 ) in privilegiis prae-
standis minime denegetur.
Igitur quia postulasti a nobis
quatenus monasterium sancti illius
situm in loco illo privilegii sedis
apostölieae infulis decoretur 4 ),
ut sub iurisdictione sanctae nostrae,
cui deo auctore deservimus, eccle-
siae constitutum nullius alterius
ecclesiae iurisdictionibus submit-
tatur.
Pro qua re piis desideriis
faventes hac nostra auctoritate id
quod exposcitur effectui manei-
pamus, et ideo omnem cuiuslibet
ecclesiae sacerdotem in praefato
monasterio ditionem quamlibet
habere hac auctoritate 5 ) praeter
sedem apostolicam prohibemus,
ita ut, nisi ab abbate mona
sterii fuerit invitatus, nee missa-
rum ibidem solemnitatem qnis-
piam praesumat omnimodo cele-
Bu 11a Zacliariae:
(Nach den gewöhnlichen Ein
gangsformeln.) Quoniam semper
sunt concedenda quae rationabili
bus congruunt desideriis, oportet
ut devotioni conditoris piae con
structionis auctoritas in privilegiis
prestandis minime denegetur.
Igitur quia postulasti a nobis
quatenus monasterium Salvatoris
a te constructum. in loco qui vo-
eatur Boconia erga ripam fluminis
Vultaha privilegii sedis apostolicae
infulis decoretur, utsub iurisdicti.
one sanctae nostrae, cui clomino
auctore deservimus, aecclesiae
constitutum nullius alterius aeccle
siae iurisditionibus submittatur.
Pro qua re piis desideriis
faventes hac nostra auctoritate id
quod exposcitur eflectui manci-
pamus, et ideo omnem cuiuslibet
aecclesiae saderdotem in prefato
monasterio ditionem quamlibet ha
bere aut auctoriiatem preter sedem
apostolicam prohibemus, ita ut,
nisi ab abbate monasterii fuerit
invitatus, nec missarum ibidem
sollemnitatem quispiam presumat
omnimodo celebrare, ut profecto
*) Fehlt in ed. Garn.
2 ) Ed. Garn.: devotio conditori.
3 ) Ed. G. i oraculi.
4 ) Ed. G.: privilegiis sedis apostolicae decoretur. An dem Worte infulis nahm Eckhart
besonders Anstoss. Aber nicht allein an dieser Stelle wird es im cod. s. Crucis
gebraucht, sondern (s. Schöpflin 1. c. 529) auch noch in einer andern Privilegien
formel, welche eine jüngere Erweiterung unserer Formel zu sein scheint. Infulae
ist hier gleich dem auch in päpstlichen Urkunden begegnenden apices.
5 ) Ed. G.: vel auctoritatem.
Beiträge zur Diplomatik.
621
brare, ut profecto iuxta id quod
subiecti apostolicis privilegiis eon-
sistunt, inconcusse locus dotatus
permaneat ')•
Constituentes per huius de-
creti nostri paginam atque inter-
dicentes omnibus omnino cuius-
libet ecclesiae praesulibus vel
cuiuscunque dignitatis potestate
praeditis sub anathematis inter-
positione, qui huius praesumpserit
constituti a ) a nobis praefato mo-
nasterio indulti quolibet modo
existere temerator . . . s).
iuxta id quod subiectum apostolicae
sedifirmitate privilegii eonsistit, in
concusse dotatum permaneat locis
et rebus, tarn, eis quas moderno tem
pore tenet vel possület, quam que
futuris temporibus in iure ipsius
monasterii divina vohierit augere
ex donis et oblationibus decimisque
fidelium, absqueulliuspersonae con-
tradictione firmitate perpetua per-
fruatur.
Constituimus quoque per huius
decreti nostri paginam, ui quicun-
que cuiuslibet aecclesiae presul
vel quacunque dignitate predita
persona hatte nostri privilegii
cartam, quam auctoritate princi-
pis apostolorum firmamus, temerare
temptaverit, anathema sit et iram
dei ineurrens a cetu sanctorum
omnium extorris existat, et nihilo-
minus prefati monasterii dignitas
a nobis indulta perpetualiter invio-
lata permaneat apostolica auctori
tate subnixa.
Die grösste Differenz zeigt sich also im letzten Absätze. Sie
ist aber ganz unwesentlich, betrifft nur was Formel ist und nicht
den materiellen Inhalt der Urkunde. Schon dass dieser Schlussatz
im Cod. s. Crucis abbricht, im Cod. Chrom, mit etcetera endet, zeigt
dass dem Urkundenschreiber überlassen blieb, welchen speciellen
Wortlaut er dieser Formel geben wollte; umgekehrt liess man in
Rom diese Formel auch wieder weg, wenn man von einer ertheilten
Urkunde Abschrift für das officielle Registrum nahm. Wie es da auf
*) Ed. G.: praesumat celehrare. Omnimodo constituentes.
2 ) Ed. G.: qui praesumpserit praesentis constituti.
3 ) Ed. G.: temerator etc.
622
S i c k e I
den disponirenden Tbeil allein ankam, so ist dieser hier auch für
uns der wichtigere.
Das aussergewöhnliehe des Inhalts ist, dass Fulda (et ideo
omnem — prohibemus) der Jurisdiction jeder andern geistlichen
Autorität, d. h. auch des Diöcesanbisehofs entzogen und aus
schliesslich der Jurisdiction des päpstlichen Stuhles unterstellt
wird 1 ). Andere von Bischöfen ertheilte Klosterprivilegien betonen ^
dass nihil de canonica institutione convellitur, gewähren nur Garan
tien gegen den Missbrauch der Episcopalgewalt und lassen das
bischöfliche Oberaufsichtsrecht fortbestehen 2 ); hier aber wird
geradezu das eanonisch feststehende Recht des Bischofs aufgehoben.
Und dass das der Sinn dieser Worte ist, wird durch den einen und
andern Zusatz der folgenden Bullen noch deutlicher gemacht. Die
Bestimmung, die zuerst in der Urkunde Nieolaus I. von 859 (Dronke
575) auftaucht und dann, bis 943 zu der ältesten knappen Fassung
zurückgekehrt wird, beibehalten wird: ceterum vero deliberantes
decernimus, ut congruis temporibus nostrae sollicitudini ecclesiasti-
cae intimetur, qualiter religio monastica regulari habitu dirigatur
concordiaque convenienti ecclesiastico studio mancipetur, ne forte
quod absit sub huius privilegii obtentu animus gressusque rectitu-
dinis vestrae a uorma iustitiae aliquo modo retorqueatur — diese
Bestimmung wie sie sonst damals nicht vorkommt, setzt eine
specielle Beaufsichtigung durch den Papst mit Umgehung des Orts
bischofs voraus und wird auch geradezu als Corollar des beson
deren Privilegiums bezeichnet. Und dass gar kein Zweifel bestehe
über die Exemtion vom Diöeesanbisehofe, wird noch später von
Leo IX. (Dr. 750, a. 1049) zu omnem sacerdotem prohibemus aus
drücklich hinzugesetzt: specialiter episcopum in cuius diocesi
(monasterium) eonstructum esse videtur 3 ).
1) In Roziere 158 undB. 420 ist mit sedes apostolica der Ortsbischof gemeint, hier aber
der Papst als Inhaber der Gewalt sanctae nostrae ecclesiae, wie es am Eingang heisst.
2 ) In ihnen ist auch nie von iurisdictio die Rede, sondern nur von potestas, princi-
patus, pontificium u. dgl.
3 ) Ich führe diese viel spätere Bulle an, weil sie noch in Original voiiiegt. Es findet
sich aber auch schon in den abschriftlichen Urkunden Hadrian’s von 784 und des
P. Marinus von 943: omnem sacerdotem cuiuslibet ecclesie vel episcopum . .
prohibemus. — Zur Zeit Leo’s wird das Kloster ausserdem von den Päpsten als ihr
Eigenthum betrachtet; siehe Giesebrecht l 6 Ausg. 2, 360 und Ficker Reichsfürslen-
stand 1, 342.
Beiträge zur Diplomatik.
623
Die Befugnisse des Ortsbisehofs werden nach der Bulle des
Zacharias darauf beschränkt (ita ut nisi — omnimodo celebrare),
dass er auf Einladung des Abtes die Messe im Kloster celebriren
darf. Das erinnert an die allerdings nicht so weit gehenden Bestim
mungen der bischöflichen Privilegien über den introitus episcopi.
Aber gerade in diesem Puncte weichen die Fulda nach und nach
ertheilten Bullen vielfach von einander ab. Hadrian spricht 784 dem
Bischof auch noch das Recht zu, die Altäre einzuweihen und die
Cleriker zu ordiniren. Die Bullen vom Jahre 828 an bis 936
(Dronke 477 bis 681) erwähnen nur die sollemnitas missarum und
die consecratio altaris als dem Bischöfe zustehend, die vom
Jahre 943 an (D. 685 sequ.) nur wie die älteste Bulle die sollem
nitas missarum. Da drängt sich die Frage auf, ob das etwa
nur stilistische Differenzen sind, der Art, dass die einzelnen
Functionen bald eine allein, bald mehrere nur als Beispiele
aufgeführt, damit aber alle sonst den Bischöfen vorbehaltene
Verrichtungen gemeint sind, oder ob sich in den verschiedenen
Fassungen auch verschiedene Phasen abspiegeln, woran sich
im letzteren Falle die Frage knüpfen würde, ob wir den den Rechten
des Klosters günstigeren Wortlaut der ältesten Bulle als ursprüng
lich und unverändert ansehen dürfen oder hier eine absichtliche
Auslassung der in Dronke 77, 477 u. a. enthaltenen weiteren
Worte annehmen wollen.
Ich halte die Differenzen für absichtliche und halte den
betreffenden Passus in der Bulle des Zacharias für nicht verstümmelt.
In letzterer Hinsicht kommt wieder in Betracht, dass die Stelle ganz
eben so lautet im Liber diurnus und in der diese Sätze des Privile
giums wiederholenden Confirmation Pippin’s. Und umgekehrt zeugt
auch wieder diese Übereinstimmung für die Entstehung der ganzen
Redaction vor dem Jahre 784, in dem Hadrian in seiner Bulle für
Fulda diese Bestimmung durch den eben angegebenen Zusatz
modificirte. Auch steht der Fall, dass dem Bischöfe nur noch die
celebratio missarum auf Einladung des Abtes zugestanden wurde,
nicht ganz vereinzelt da: in der Bulle Leo’s III. für S. Denis vom
Jahre 798 i) wird ausdrücklich die Consecration der Altäre und des
1) Jafle 1911. — Aus allerdings nicht fehlerfreier, selbst den Namen des Ahtes ver-
wechselnder Copie des IX. Jahrhunderts in Tardif Nr. 98.
624
S i c k e 1
Chrisma, so wie die Ertheilung der Weihen dem Diöcesanbischof
ab und dem eigenen Bischöfe des Klosters zugesprochen. Dann
erscheint es als ein von Hadrian dem Erzbischof Lullus, der Fulda
in jeder Hinsicht unter seine Gewalt zu bringen versuchte,
gemachtes Zugeständniss, dass ihm in Dronke 77 das Recht der
Consecration und Ordination wieder zuerkannt wurde. So würde
sich auch erklären, dass in dieser Bulle Hadrian’s, der offenbar die
des P. Zacharias zu Grunde gelegt wurde, in die dann aber die
modificirte Bestimmung einzuschalten war, der betreffende Passus,
vorausgesetzt dass er uns wortgetreu überliefert ist i), so unbeholfen
und geradezu undeutlich stilisirt worden ist. Aber die Mönche
hörten nicht auf nach Emancipation jeder Art von den Mainzer Erz
bischöfen zu streben, und so gelang es ihnen schon im Jahre 828
eine für sie in dieser Hinsicht wieder günstiger lautende Bulle und
endlich seit 943 Bullen auszuwirken, welche die bischöflichen Befug
nisse wie zu Zeiten des Bonifacius einschränkten und schliesslich,
wie bekannt, dahin führten, dass die Äbte von Fuld alle Episcopal-
rechte an sich brachten.
Auf die bisher erläuterten Sätze folgt in der Bulle des
Zacharias der Passus: ut profecto — dotatum permaneat, der wenn
auch etwas anders construirt, gleichfalls noch in der römischen
Formel begegnet. Dieses gewichtige Zeugniss für die Ursprünglich
keit und Echtheit geht uns aber ab für die weiteren Worte: locis
et rebus — firmitate perpetua perfruatur. Und auch in den jüngeren
Privilegienformeln, welche eine speciellere Besitzbestätigung ent
halten, pflegt dies etwas anderes als in den Fulaer Bullen ausge
drückt zu werden; die Fassung in diesen von locis et rebus an
erinnert geradezu an die in den königlichen Urkunden übliche.
Dennoch scheinen mir auch diese Worte unbedenklich: sie
schliessen sich im Sinn und in der Construction durchaus an die
unmittelbar vorhergehenden an und geben diesen erst die rechte
Bedeutung. Der im ersten Theil der Bulle ausgesprochene Auschluss
der Jurisdiction und Autorität des Bischofs begreift offenbar, so gut
wie in den bischöflichen Privilegien, auch den Auschluss des
Dominium in sich, welches wenn das Kloster nicht für unabhängig
erklärt und ihm nicht seine eigene Dotation zugesprochen worden
*) Was keineswegs von der ganzen Urkunde angenommen werden kann.
Beiträge zur Diplomatik.
625
wäre, den Mainzer Bischöfen als Nachfolgern des Stifters Bonifacius
zugestanden hätte. Mit den Worten: ut profecto etc. wird nun
ausdrücklich dem Kloster das Verfügungsrecht zuerkannt, und dies
wird in der Urkunde nur weiter ausgeführt als in der Formel. Und
können wir nicht auch für den speciellen ausführlichen Wortlaut
die Bürgschaft der Formel anführen, so zeugt doch der überein
stimmende Wortlaut mehrerer königlichen Diplome, von denen
einige allerdings nur verderbt überliefert sind, deren Reihe aber
gleichfalls mit unanfechtbaren Originalen abschliesst, für dessen
Echtheit.
Das älteste den gleichen Satz enthaltende Diplom ist das
Pippin’s von dem wir ausgegangen sind. Es folgt dann die früher
(S. 49) schon citirte Urkunde Karl d. G. in Dronke 248, die
hier eingehender zu besprechen. Böhmer kannte diese noch nicht
und verzeichnete statt ihrer als B. 188 ein anderes Stück ähnlichen
Inhalts, das in Dronke 247 aus angeblichem Original abgedruckt
ist. Das betreffende Schriftstück im Fulder Archive ist aber
schon äusserlich betrachtet eines der ungeschicktesten Machwerke,
ist im Protokoll falsch (Formeln der Königszeif, während das
Datum auf die kaiserliche hinweist), und wenn es trotzdem in der
Arenga und im Context ziemlich gut lautet, so läuft das darauf
hinaus, dass der Verfertiger des Falsificats sich der Fassung der
echten Schenkungsurkunden Karl’s für Fulda B. 87, 113, 114
bedient hat. Dagegen halte ich das praeceptum de decimis im cod.
Eberhardi (Dronke 248) für echt, wenn auch die Unterschrift des
Kanzlers in Eberhard’s nachlässiger Weise verändert und das
Datum ausgelassen ist, das man wohl, da dazu die Kanzlernamen
passen, aus Dr. 247 ergänzen kann. Die Stilisirung entspricht der
in der letzten Zeit des Kaisers, und was allein ungewöhnlich ist,
die Androhung der sententia apostolicae districtionis und die
Participialconstruction am Schluss, erklärt sich wie bei B. 3
dadurch, dass sich die Fassung der der Eingangs erwähnten Bulle
des Zacharias anschliesst. Der Inhalt ist ganz unbedenklich, die
Hauptsache ist: sedis apostolice et genitoris nostri confirmamus
decretum *), also das Privilegium des Zacharias und die dazu
*) Decretum wird zuweilen von königl. Erlässen, wie LL. 1, 4 . 13 , 39 gebraucht,
von capitularia per se scribenda (s. Boretius die Capitularien 18) und ferner gleich
626
S i c k e I
gehörige Confirmation Pippin’s. Indem aber diese Bestätigung
Karl’s speciell dadurch veranlasst wurde, dass die Bischöfe, in deren
Sprengeln Fuld begütert war, dem Kloster streitig gemacht hatten,
was ihm an Schenkungen und Zehnten dargebracht war, wurde
hier nicht wie in B. 3 der vollständige Wortlaut des päpst
lichen Privilegiums in die Confirmation aufgenommen, sondern statt
dessen ausführlich der streitige Punet behandelt und dabei geschah
es dass auch der Passus, den wir jetzt besprechen, wiederholt
wurde. Letzterer findet sich dann auch wieder unter Ludwig d. F.,
der ebenfalls um seine Bestätigung angegangen wurde und sie 840
in Drorike S26 ertheilte. Wer wird hier an den von Eberhard ver
unstalteten Formeln der Invocation und des Titels Anstoss nehmen,
wenn er andererseits bemerkt, wie auch diese Urkunde in ihrem
letzten Theile: si autem quispiam — impressione signatum durch
die Stilisirung der vorgelegten Bulle beeinflusst ist und eben
dadurch den Stempel der Echtheit erhält? Heisst es hier im Ein
gänge, dass nach den producirten päpstlichen und königlichen
Urkunden: nullus episcoporum ius sibi aliquod in eodem monasterio
vindicaret, so ist damit richtig der Kern der älteren Urkunden
wiedergegeben; im weiteren aber wird, wie 810 in Folge der
speciellen Veranlassung das Recht an den oblationes und decimae
besondere Berücksichtigung fand, hier nun der Ausschluss des
Dominium eines jeden andern und namentlich des Bischofs betont.
Das entspricht dem allgemeinen Usus bei Confirmationen: zuweilen,
jedoch gerade unter Ludwig d. F. selten, sind sie wörtliche
Wiederholungen; werden sie aber neu stilisirt, so ist es bald
diese, bald jene Bestimmung der Vorlage, welche ausführlicher
behandelt wird, womit aber zugleich die gesammten in der Vorlage
enthaltenen Rechte bestätigt werden sollen.
Ich kehre noch einmal zu der Urkunde Karl’s von 810 zurück.
Insofern sie eine Entscheidung über den Fulder Zehnten enthält,
habe ich sie schon in Beiträgen z. D. 2, 142 erlätftert. Zu berich
tigen habe ich aber, dass die entschieden weiter gehende Be
stimmung, welche ich in der Urkunde Ludwig d. D. Dronke 614
privilegium von kirchliche Verhältnisse regelnden Urkunden; so in Roziere 575
am Schlüsse: praecepluin decreti, oder in der Gütertheilung zwischen Bischof und
Kanonikern B. 347.
Beiträge zur Diplomatik.
627
für bedenklich und welche ich erst durch das Originaldiplom
Konrad’s vom J. 912 füri beglaubigt hielt, doch schon unter
jenem Könige getroffen ist. Ich habe nämlich seitdem in Fulda ein
bisher noch nicht gedrucktes Original Ludwig d. D. vom 14. Juni
875, ferner ein gleichlautendes seines Sohnes Ludwig vom 23. Juli
880 kennen gelernt, welche in Inhalt und zum Theil in der Fassung
mit Dronke 614 übereinstimmen 1 ). Obschon nun in diesem Diplome
ein Punct zu Gunsten des Klosters geändert wird, so ist doch auch
für ihre Redaciion die ältere Urkunde Karl d. G. benützt und sind
auch in sie einzelne Sätze dieser hinübergenommen. Und das gilt
nun auch von dem Passus, dem wir zuerst in der Bulle des Zacharias
und in der Contirmatiou Pippin’s begegneten, so dass dessen Wort
laut gleichfalls durch mehrere abschriftliche Urkunden, endlich durch
eine Originalurkunde beglaubigt wird 3 ), Wir haben somit für den
ganzen Wortlaut der Bulle des Zacharias, also auch für das was aus
ihr in die ConfirmationPippins übergegangen ist,bestätigende Zeug
nisse gefunden, und ist nun auch die Mehrzahl derselben allerdings
wieder Fulder Urkunden entnommen und ist insofern der Möglich
keit Raum gegeben, dass die sachliche und stilistische Übereinstim
mung die Folge einer umfassenden, sehr geschickten, schon um 800
begonnenen und dann im Laufe der Zeit consequent fortgesetzten
Fälschung sei, so haben wir doch auch in der Formel des Liber
diurnus ein Zeugniss kennen gelernt, das ausserhalb Fuld entstanden
und ausserhalb des Bereiches jeder dortigen Fälschung gelegen und
überliefert ist; mögen also auch die Fulder Zeugnisse unter sich ver
schiedener Art und verschiedenen Werthes sein und alle zusammen
genommen noch nicht überzeugend sein, so geben sie uns doch mit
dem aus Rom stammenden Doeumente zusammengehalten, so weit es
in diesen Dingen möglich ist, die Gewissheit, dass Fulda schon in
Also wieder ein Beispiel, wie die Fulder Urkunden von den Abschreibern verun
staltet sind, und zugleich eine neue Warnung-, was offenbar verderbt ist, nicht
geradezu zu verwerfen, sondern auch in solchen Fällen noch den Versuch zu
machen, durch eingehende Vergleichung aller einsehläglichen Stücke den echten
Inhalt aus der verderbten Fassung herauszuschälen.
2 ) Von Ludwig d. D., dessen Diplom von 875 den Zehnten allein betrifft, wird nur
auf eine Entscheidung Karl’s, nicht auf eine gleiche Ludwig d. F. hingewiesen; das
entspricht ganz dem, dass obschon Dronke 248 und 526 zusammengehören, in dem
letzteren Stücke der Zehnte nur gelegentlich erwähnt, in jenem aber ausführlichere
Bestimmungen über denselben getroffen werden.
628
S i c k e 1
seinen Anfängen jenes uns noch vorliegende Privilegium des P. Zacha
rias erhalten hat.
Es ist schon bemerkt worden, dass in der Bulle des P. Zacharias
und so fort in allen Bullen des IX. Jahrhunderts für Fulda keine Be
stimmungen über die Abtswahl, wie sie sich in den bischöflichen Pri
vilegien finden, enthalten sind. Dieses Recht wurde den Mönchen von
den Königen ertheilt, zuerst am 24. September 774 von Karl d. G.
in Dronke 47 ex cod. Eberhardi. Diese Urkunde ist gleichzeitig mit
einer Immunität für das Kloster ausgestellt, und wie für die letztere,
so ist auch für die erstere eine Formel Marculfs gebraucht worden.
Denn der lange Prolog und der Schlusssatz: quod praeceptum
decreti etc. mit der alten Wendung: manus nostre subscriptionibus
subter decernimus roborare sind wieder wörtlich Roz. 575 (Marculf
1, 2) nachgeschrieben, während der dazwischen liegende Theil
selbstständig stilisirt ist und nur in den speciell das Wahlrecht
betreffenden Worten an die Fassung in analogen Urkunden anklingt.
Das ist nun in doppelter Hinsicht bezeichnend. Verfügung über Abts
wahl haben wir früher als eine der Hauptbestimmungen in den Pri
vilegien und in deren Bestätigungen kennen gelernt; indem Karl eine
solche für Fuld treffen will, bedienen sich also die Notare auch hier
der überlieferten Formel für concessio ad privilegium. Aber dann
copiren sie doch nur die unwesentlicheren Theile derselben und
übergehen den ganzen disponirenden Theil. Offenbar doch, weil die
ser auf die Verhältnisse von Fulda nicht passt, denn dieses Kloster
hat eben nicht ein bischöfliches Privilegium des bei diesen herkömm
lichen Inhalts, worauf sich die weitere Fassung von Roz. 575 bezieht
sondern ein päpstliches besonderen Inhalts. So wird auch dadurch
indirect bestätigt, dass dieses Kloster ein ihm eigentümliches Pri
vilegium hatte. Übrigens wurde in der Folgezeit die Bestimmung
über die Abtswahl, wie es schon in den späteren Jahren Karl’s die
Regel wurde, mit den Immunitätsverleihungen verbunden, so zuerst
in der Originalurkunde Ludwig d. F. von 816 in Dronke 3221).
i) Nur das vom Herausgeber mit A bezeichnte Stück im Fulder Landesarchive ist
Originalausfertigung. Dronke's B ist eine Copie, deren Schreiber allerdings die
Form der Authentica nachahmen will, aber wenig reussirt; das angeheftete Siegel
ist das Ludwig des Kindes. Ausserdem fand ich in Fulda noch drei alte Abschriften
derselben Urkunde, ein Umstand der beweist, dass man wichtige Diplome, um von
ihnen Gebrauch zu machen, sehr oft vervielfältigte. Spätere wussten dann oft
Beiträge zur Diplomafik.
629
Es ist ganz richtig, was die Gegner der Fulder Privilegien:
Launoy, Thomassin, Eckhart u. s. w. sagen, dass der P. Zacharias in
seinem Privilegium sich über alle kanonischen Bestimmungen hin
weggesetzt und durch die Exemtion des Klosters eine bis dahin im
Frankenreich unerhörte Neuerung vorgenommen habe. Man darf
auch das ausserordentliche Factum nicht einmal durch die z. B. von
Rettberg 1, 61S aufgestellte Erwägung abschwächen, dass zu
Bonifacius Zeiten die Exemtion von der bischöflichen Gewalt bedeu
tungslos gewesen sei, indem Bonifacius doch wieder als Legat des
Papstes die Jurisdiction über das Kloster ausgeübt habe; denn wie
die Reihe derBullen für Fulda zeigt, hat dasselbe auch in der Folge
zeit eine Sonderstellung eingenommen. Wenn dann aber des Wei
teren behauptet worden ist, die unerhörte Verletzung der Kanones
sei unverträglich mit den von Zacharias und Bonifacius befolgten
Tendenzen, sei desshalb geradezu unmöglich und sämmtliche Fulder
Urkunden des Inhalts seien somit in Bausch und Bogen zu verwer
fen , so werden wir, nachdem wir zunächst von der historischen
Frage absehend, die Echtheit der betreffenden Urkunden festgestellt
haben, in umgekehrter Richtung Schlüsse zu ziehen haben. Sind die
Zeugnisse so vollgiltig, als sie es unter den besonderen Umständen
der Überlieferung sein können, so ist auch die Neuerung oder der
Ausnahmsfall constatirt, und sind die Zeugnisse vollgiltig, so haben
wir ihnen entsprechend auch die Vorstellung von des Bonifacius
Wirken, so weit sie durch dieses Factum berührt wird, zu modi-
ficiren.
Wenn sein Streben hauptsächlich dahin gerichtet ist, die frän
kische Kirche in unmittelbares Abhängigkeitsverhältniss von Rom
zu bringen, und zwar durch Wiederherstellung oder Neubegründung
des hierarchischen Bandes, durch Übertragung der Gliederung der
kirchlichen Autoritäten, wie sie seit Gregor I. entworfen war, auf
die Apographa von dem Autographum nicht mehr zu unterscheiden, und so mag es
hier und anderwärts geschehen sein, dass man endlich auf die ohnehin schwerer zu
entziffernden Originale geringen Werth legte und sie abhanden kommen liess, und
schliesslich nur noch mehr oder minder correcte Abschriften aufbewahrte. — Unter
diesen drei weiteren Copien ist eine wohl im IX. Jahrhundert angefertigte insofern
interessant, als der Schreiber offenbar mit dem Kanzleigebrauch vertraut, sich be
mühte, auch die Unterschrift und das Zeichen des ausfertigenden Durandus genau
nachzubilden, was ihm auch bis auf einen Fehler in den Tironischen Noten recht gut
gelungen ist.
Sitzb. d. phiU-hist. CI. XLVII. Bd. II. Hft. 41
630
Sicke!
Deutschland, wenn demgemäss auch die Klöster von ihm wieder
der Episcopalgewalt untergeordnet werden, wie es die zu neuer
Anerkennung gebrachten Kanones vorschrieben, so ist und bleibt
allerdings die Exemtion seiner Stiftung von der bischöflichen Juris
diction eine Ausnahme. Dennoch, glaube ich, lässt sich dem Factum
eine Seite abgewinnen, welche dasselbe als Ausnahme bestehen und
doch in Einklang mit den Tendenzen des Bonifacius erscheinen lässt.
Die Folgezeit hat gelehrt, dass die Exemtion von Klöstern und ihre
unmittelbare Unterordnung unter Rom diesen einerseits zu Schutz
und Nutzen gereicht, andererseits ein sehr wirksames Mittel gewor
den ist, die Landeskirchen in Abhängigkeit von Rom zu erhalten.
Das eine und das andere kann Bonifacius, indem er seiner Stiftung
eine Sonderstellung sicherte, kann den Päpsten jener Zeit vor
geschwebt haben.
Und wenn auch innerhalb der fränkischen Kirche (Rettberg 2,
677) der Fall damals vereinzelt dastand und noch lange Zeit hin
durch blieb, so lassen sich doch Analogien aus Winfried’s Heimats
lande nachweisen. In den südlichen Theilen der Heptarchie, in
denen die von Gregor aufgestellte römische Form der Kirche mehr
und mehr die Oberhand gewonnen hatte, nehmen einzelne Klöster
gleichfalls eine besondere Stellung ein. Es verdient schon Beach
tung, dass, abgesehen von dem Inhalte der Urkunden, im VIII. Jahr
hundert Klöster dieser Länder häufiger, als es von fränkischen Klö
stern geschieht, sich päpstliche Bullen erbitten und erhalten. Und
in einigen Fällen lässt sich darthun, dass es sich dabei um mehr
als um päpstliche Bestätigung von bischöflichen Privilegien handelte,
dass die Päpste aus eigener Autorität die Verhältnisse von Klöstern
regelten und dass die Zustimmung der Bischöfe erst nachträglich
erfolgte. So erzählt uns Beda i) von Benedictus Biscopus, dass er sich
zum P. Agatho begeben hatte et accepit ab eo in munimentum liber-
tatis monasterii quod fecerat (in honorem s. Petri iuxla ostium flu-
minis Wiri) epistolam privilegii ex auctoritate apostolica firmatam,
iuxta quod Egfridum regem voluisse ac licentiam dedisse noverat,
quo concedente et possessionem terrae largiente ipsum monasterium
fecerat, und von dem Nachfolger Ceolfrid unter Papst Sergius: privi-
) Hist, eccles. 4, 18 in Giles 3, 80 und Vitae ahh. Wiremuthensium in Gilcs 4, 388.
Beiträge zur Diplomatik.
63!
legium ab eo pro tuitione sui monasterii . .. accepit, quod Britan-
nias perlatum et coram synodo patefactum presentium episeoporum
simul et magnifici regis Alfridi subscriptione confirmatum est. Lernen
wir auch aus diesen Stellen den speciellen Inhalt der päpstlichen
Privilegien für das britische Kloster nicht kennen, so ergibt sich
doch, dass der Vorgang von dem in der fränkischen Kirche üblichen
abwich, und dass hier kein bischöfliches Privilegium ad modum
monasterii Lirinensis (diese Form war dem Biscopus, der in Lirins
Mönch geworden war, offenbar bekannt) vorausgegangen war. Und
ich mache noch darauf aufmerksam, dass der von Wirmuth berichtete
Hergang ganz derselbe ist, wie in Fulda nach der Urkunde PippinV
auch diese Stiftung ist durch Länderschenkung des Fürsten entstan
den, Bonifaz erwirkt dann das päpstliche Privilegium, welches na ch
dem Frankenreich gebracht, gleichfalls vom Könige und den zustim
menden Bischöfen und Grossen unterzeichnet wird. Von uns erhal
tenen, also die Einzelbestimmungen enthaltenden Bullen für britische
Klöster will ich wenigstens eine, Jatfe 1644 vom P. Sergius I. für
das monasterium Meldunesbergense anführen *). Wenn es da heisst:
presentibus apostolicis privilegiis praedicta ... monasteria decernimus
munienda, quatenus sub iurisdictione atque tuitione eiusdem, cui et nos
deservimus, auctoris nostri b. Petri apostolieteius, quam dispensamus,
ecclesiae et nunc sint et in perpetuum permaneant, . . nulliusque
alterius iurisdictionis sint subiecta, nec quisquam episeoporum aut
sacerdotum . . . qualemcunque iurisdictionem defendere (?)...
praesumat aut missarum solennia ibidem gerere, praeter si a . . .
abbate . . . ascitus advenerit, presbyterum vero, si necesse habuerint,
a reverendissimo episcopo qui e vicino est consecrandum expostulent,
so sind das genau dieselben Bestimmungen, hie und da auch diesel
ben Ausdrücke, welche wir in den Fulder Bullen angetroffen haben.
In den angelsächsischen Reichen mag es um so näher gelegen haben,
den sich Rom anschliessenden Klöstern eine bevorzugte Stellung an
zuweisen, da die das altbritische Christenthum vertretenden Klöster,
Y-Colmkill an der Spitze, ebenfalls eine solche einnahmen und da
i) Allerdings habe ich mich über die Überlieferung der Urkunden für die britischen
Klöster nicht unterrichten können und vermag daher nicht über die Echtheit jedei
einzelnen zu entscheiden; die oben benützte erscheint mir trotz einiger wohl jün
gerer Wendungen die zuverlässigste.
41
632
S i c k e I
wohl kein Abt uni den Preis eine? altherkömmlichen Selbstständig
keit in den Verband der römischen Hierarchie einzutreten bereit war.
Bestand aber ein Vorbild der Art in dem Lande, dem Bonifacius ent
stammte und mit dem er stets im regsten Verkehre blieb, so erklärt
sich um so eher, dass er auch seiner Stiftung ein gleiches Vorrecht
und dem Papste eine gleiche unmittelbare Einflussnahme einräumta.
Ich habe absichtlich bisher keine Notiz genommen von dem
was eine alte erzählende Quelle von den Verhältnissen des Fulder
Klosters aussagt und was nach der Meinung der Gegner der Fulder
Urkunden dieselben vollends als Erdichtungen späterer Jahrhunderte
erscheinen lassen soll. Es handelt sich um die von Eigil, der selbst
818 bis 822 Abt des Klosters war, verfasste Vita Sturmi (Pertz SS.
2, 36S), in welche die Geschichte von Fuld unter Sturm, des Bonifaz
unmittelbarem Nachfolger, verflochten wird. Abgesehen davon dass
Eckhart diese Lebensbeschreibung für interpolirt hielt, hat man zwi
schen dem was die Bulle des Zacharias besagt, uud dem was Eigil
erzählt, allerlei Widersprüche gesehen: zum Theil weil man weder
den Inhalt der Urkunde noch den der Erzählung richtig aufgefasst
hat, zum Theil weil man übersehen hat, dass der factische Verlauf
der Dinge ein anderer sein kann als durch urkundliches Recht be
stimmt wird, ohne dass dadurch allein das Zeugniss der betreffenden
Urkunden umgestossen zu werden braucht. Ich will mich jedoch hier
nicht im Einzelnen auf eine Widerlegung der irrigen Behauptungen,
welche über das Verhältnis der Fulder Urkunden zu Eigil’s Darstel
lung vorgebracht sind, einlassen; ich werde nur zunächst den Bio
graphen reden lassen und dann seine Angaben der Reihe nach
prüfen.
Nach der Vita Sturmi Hess sich Bonifaz von Carlomann das für
die neue Stiftung ausgesuchte Land schenken, auf dass dort Mönche
Gott dienen sollten per vestram (Carlomanni) defensionem. Schon zu
Bonifaz’ Lebzeiten war Sturm Abt geworden. Der war darauf be
dacht, als Bonifaz den Märtyrertod erlitten, die Gebeine desselben
nach Fuld transferiren zu lassen. Darüber und über Anderes grollte
ihm Lullus, der dem Bonifacius auf dem Mainzer Stuhle nachgefolgt
war. Auch im Kloster fanden sich Brüder, die ihrem Abte nicht wohl
wollten und die ihn bei dem Könige Pippin verklagten. Sturm wurde
in Folge davon seinem Kloster entrissen und auf zwei Jahre nach
Jumieges verbannt. Lullus interim obtinuit apud Pippinum regem
Beiträge zur Diplomatik.
633
munera iniusta tribuendo, üt monasterium Fulda in suum dominium
donaretur acceptaque super illud ditione abbatem ibi qui sibi omnia
obtemperaret constituit. Diesen aufgedrängten Abt verjagen aber die
Mönche und verlangen Sturm zurück. Lnllus gibt in etwas nach und
gestattet den Brüdern sich einen andern Abt zu wählen. Die Wahl
fällt auf einen Anhänger Sturm’s, auf Pezzold, der tempus non modi-
cum fratribus praefuit, Indessen ist Sturm aus der Verbannung zu
Hofe gekommen, wo ihn der König begnadigt. Wie nun die Mönche
Pippin bitten, ihnen den geliebten Abt zurückzugeben, post non
multum temporis spatium rex ... ei monasterium Fuldae quod prius
habuit ad regendum commendavit absolutumque ab omni dominio
Lulli episcopi ad coenobium Fuldae . . . ire praecepit et (wohl bes
ser: ut) cum suo privilegio, quod beatus Zacharias papa summus
apostolicae sedis pontifex dudum s. tradidit Bonifacio, monasterium
regeret, quod privilegium usque hodie in monasterio fratres conser-
vatum habent; quod etiam causam suam et monasterii defensionem
a nullo alio quaereret nisi a rege imperavit (die andere Lesart dieser
Stelle ist entschieden zu verwerfen); accepta a domino rego pote-
state cum privilegio supradieto, quod de manu regis acceperat, ad
suum perrexit coenobium. Dies die Erzählung. Sie ist aller Wahr
scheinlichkeit nach parteiisch, dem Bischöfe und den bischöflichen
Bestrebungen, die noch zu Eigil’s Zeiten fortdauerten, ungünstig;
doch das ist Nebensache. .
Vor Allem sagt doch auch Eigil, was wir als feststehend gefun
den haben, dass Bonifaz ein Privilegium von P. Zacharias erhalten
hat. Aber von einer Bulle für den Abt Sturm, wie sie in Dronke 7
vorliegt, sagt unser Berichterstatter nichts, und das spricht, wie wir
ja dieses Stück schon als im höchsten Grade verdächtig kennen
lernten, stark dagegen, dass auch Sturm eine solche Urkunde erhalten.
Indem nun nur das Privilegium für Bonifacius erwähnt wird, bleibt
es zweifelhaft, ist aber auch von untergeordneter Bedeutung, ob als
der Abt in's Exil geschickt wurde, ihm diese Bulle abgenommen und
dann bei der Begnadigung das Originalstück zurückgestellt wurde,
oder ob es sich da nur um eine Copie oder Bestätigung für die wie
der ertheilten Rechte handelt; jedenfalls genoss das Kloster seit der
Rückkehr des Abtes wieder sein altes Privilegium. Aber was enthielt
nun dasselbe? Gewiss nicht was Dronke 4 a besagt, so raisonnirt auch
noch Rettberg, denn sonst würde man diese Rechte damals geltend
634
S i c k e I
gemacht und sich der Einmischung desOrlshischofs widersetzt haben.
Hier eben verkennt man, wie oft in dieser Zeit Gewalt vor Recht
ging und dass auch die Bulle eines Papstes und die Bestätigung des
Königs oft nur unwirksame Schutzmittel blieben. Indem Sturm mit
Recht oder mit Unrecht beim Könige verdächtigt, in die Verbannung
wandern musste, war Fulda trotz seines Privilegiums Preis gege
ben und hatte Lullus freies Spiel: er liess sich von Pippin die Stif
tung seines Vorgängers schenken und nahm sie in sein Dominium.
Wie stand es mit diesem zuvor? Die nach Eigil von Carlomann zu
gesagte Defension mag immerhin Schutz im engeren Sinne gewesen
sein und noch fortbestanden haben, als das Eigenthumsi’echtan Bonifa-
cius übergegangen war. In jedem Falle hörte die besondere Defension
auf, als durch das päpstliche Privilegium jede Jurisdiction des Bischofs
und auch jedes Eigenthumsrecht desselben an dem Kloster bischöflicher
Stiftung ausgeschlossen und Fulda zu einem unabhängigen Kloster
erklärt wurde. Diese Qualität verlor es dann aber durch die wider
rechtliche Vergabung des Königs an Lullus. Es ist nur das geringere
und die Consequenz von jenem, dass der Bischof nun auch wieder
die Jurisdiction über Fulda ausübte, ihm einen Abt vorsetzte, dann
die Wahl eines anderen gestattete <). Diese ganze Darstellung des
Eigil kann und wird richtig sein, ohne im geringsten die Echtheit
der früher ertheilten Bulle in Frage zu stellen. Es passt ferner dazu
vollständig was folgt: indem das Kloster dem begnadigten Sturm
wieder übertragen wird, wird einerseits Lullus das Dominium abge
sprochen, andererseits durch Rückgabe und Wiederanerkennung;des
päpstlichen Privilegiums das Kloster auch wieder von der Jurisdic
tion und Ordinariatsgewalt des Bischofs eximirt. Insofern dieser
mehrfache Wechsel auch das Verfügungsrecht über die Güter von
Fulda berührt, findet er auch in einigen Urkunden seine Bestäti
gung a ). So lösen sich die vermeintlichen Widersprüche zwischen
1) Weiln Rettberg sich wandert, dass Eigil keine Distinction zwischen Aufsichts- und
Eigenthumsrecht macht, so erklärt sich das einfach so, dass doch die Unab
hängigkeit für das Kloster das Wichtigste war: desshalb stellt Eigil das Dominium
in den Vordergrund, weise aber dann doch das weitere Rechte enthaltende Privi
legium wohl zu schätzen.
2 ) Rettberg 1, 611—616, wo aber zweierlei zu berichtigen ist. Der Schluss, dass
die Urkunden, welche keinen Abt namhaft machen und in Mainz ausgestellt
sind, durch des Lullus Hände gegangen sein sollen, ist unrichtig. Keine Fulder
Charta pagensis bis 762 nennt einen Abt: dergleichen findet sich doch auch ander-
>
Beiträge zur Diplomatik.
635
Eigil’s Erzählung und dem zuvor aus den Urkunden gewonnenen
Ergebnisse, und es bleiben nur noch die letzten Worte unseres
Berichterstatters zu erklären, dass Fuld fortan nur noch vom König
Defension erhalten soll. Dass das Kloster in besonderem Schutze
des Königs gestanden habe, wird durch keine Urkunde, durch
keine andere Nachricht bezeugt. Also wird Eigil das Wort in dem
zu seiner Zeit gewöhnlichen Sinne gebraucht haben: Fulda sollte
nach Pippin’s Entscheidung, das war den vom Bischof erhobenen und
eine Zeit lang geltend gemachten Ansprüchen gegenüber zu betonen,
in Niemandes Dominium stehen, stand also auch in Niemandes beson
derem Mundium, sondern war unabhängig und hatte nur, wie
andere Stiftungen dieser Qualität, den König als obersten Scliirm-
herrn der Kirche zu seinem Defensor.
wärts, kann aber allerdings auch auf streitiges Dominium hinweisen. In Mainz und
von dem dortigen Amauuensis Wolframmus werden eben Urkunden über in Mainz
abgeschlossene Rechtsgeschäfte aufgesetzt; zu gleicher Zeit begegnen aber an
anderen Orten andere an diesen ansässige Notare; andererseits schreibt derselbe
Wolframmus auch noch später, als Sturm bereits wieder eingesetzt war, Urkunden
wie Dronke 36.40.45 für Fulda. Sein Name also beweist nichts. Nur in D. 8
und 26 wird bestimmt gesagt, wie denn auch Dronke traditiones cap. 3, 42.43
bestätigt, dass Lullus für das Kloster urkundet; beide Stücke gehören aber in
dieseibe Zeit, in den August 763, indem in D. 8 zu emendiren ist: anno XII. —
Die Daten der Urkunden sind überhaupt vou Drorke, dem darin Rettberg folgt,
falsch angesetzt: es ist gar kein Grund vorhanden, für die Ziihlung der Jahre
Pippin’s in dieser Gegend eine andere Epoche als die vom Herbst 751 anzunehmen.
Ordnet man aber nach dieser Epoche die Urkunden, so ergeben sich auch für die
Stücke, in denen Sturm als Abt vorkommt, andere Jahre. Er erscheint zuerst in
D. 24 vom Herbst 762 oder von 763, dann zuerst wieder in D. 29 vom Mai 765.
Dazwischen fallen die von Lullus abgeschlossenen Kaufgeschäfte, so dass wir Sturm’s
Verbannung am füglichsten 763—765 setzen. Das entspricht auch besser der Er
zählung Eigil’s, denn er lässt die Streitigkeiten zwischen dem Bischof und Abt
gleich nach der Translation der Gebeine des Bonifacius, d. h. im Spätsommer 754
beginnen, und andererseits, wenn wir seinen Bericht mit der zu 766 gehörigen und
Umstadt betreffenden Schenkung Pippin’s an Fulda Zusammenhalten, so war Sturm in
diesem Jahre schon begnadigt und in das Kloster zurückgekehrt. Dass weder diese
königliche Urkunde noch die vom Juni 760 den Abt des Klosters namhaft machen,
erregt kein Bedenken; auch die drei Diplome für Prüm in Beyer Nr. 10,15 , 18
führen den Abt nicht an.
636
J. D i e in e r
W. 52,37.
Beiträge zur älteren deutschen Sprache und Literatur.
XX.
Geschichte Joseph’s in Aegypten nach der Vorauer Handschrift *).
Von dem wirk!. Mitgl. Joseph Diemer.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 5. October 1864.)
Jacob puwen began in deine lande ze chanan; BI. 78 fc .
(laz lant was gut, iz par wucheres genüc.
Sine sune gingen mit deine uihe,
da wart Josep innen, neiz waz unrehter minne
8. der sine bruder spulgten, daz man nine sol melden:
daz taten der diwe barn, daz was in angeborn.
Sineme uater er sagete waz er gesehen babete.
sin uater hiz in sin st'lle uirmiden solch gechelle; pi. 78 c .
do gesvicte er, er ne redetiz niht mere.
10. Joseph was uil slione, er ne vpte necbeine bonde,
durh daz minnote in sin uater uur alle brudir sin.
Einen roch er ime scuf der ime gi an den scuh
mit phellel bestalt : des lrovte sich der heit palt.
1. chanan, so. W. begunde buwen
in deme Iante clianaan.
2. W. iz fehlt, wuchere gnuch.
3. Aine sune. W. sine sune.
4. W. unrehtere minnen.
9. mere W. da gesuigete er, ne
redite iz nieht.
11. W. er in, ohne sin uater.
12. W. der gieng ime an den füz.
13. W. mit phellole.
9 Das Eingeschlosseno in [ ] scheint im Texte überflüssig, das in ist aus W., das
cursiv Gedruckte von mir ergänzt.
w. 53, 7.
Geschichte Joseph's in Aegypten.
637
Do di brudir daz gesahen do si heim cliomen
IS. daz er in einen uur si alle wolde meinen
mit aller slahte minne, do begunden si ime irbunnen
noli ne mohten uur hazze in mit gute gruzen.
Porlanc ez do ne stunt e Josehp sah einen trovm gut;
der trovm was uile liere, er wart in allen «wäre:
20. er chom sin selbe in not, er wart dar umbe uirchovfot.
Also do chom der tac sinen uater [unde sine bruderj er bat
daz man ime uirname, waz ime ze trovme cliome-
Der uater hiz in ez sagen, [er chot] er ne soltez niht uirdagen.
Josehp sprah do uil gutliclio:
2S. ‘]\u tut is kovme, wi mir chom ze trovme
daz wir ze uelde gingen garbe [an deine aeker] zesamene trugen,
do gestunt div mine uil herisk inne,
di evwere da umbe stunden zu der minen si sich neicten’.
Di brüder sprachen ime ubele, er bube sich ze cliunege;
30. er wolde gewis sin daz er ir herre solde sin.
Des trovmes er inkalt, der nit wart [in über] uil manecfalt.
Ime trovmote mere uon grozer ere :
den trovm newolte er uirsvigen, wände er ne kundez uirmiden,
er mus ez zellen daz ime got ruhte ze offenen.
3S. Do si zesamene cliomen er bat daz si ime horten ;
ich weiz si ime gesvicten unze si den trovm gehörten.
(Joseph sprach do uil gezogenlicho:)
14. W. So die brüdere.
15. wolden meinen.
16. W. minnen des.
17. W. geruzzen.
19. W. in allen gefüre.
20. W. uerehouffet.
22. W. in trome zu eh.
23. W. sprach er ne.
24. gütliche W. gezogenliche.
25. W. chom in trome.
26. W. ohne ze uelde.
27. W. lierisken.
28. W. die iuweren si... naigten.
29. sprachen inne des. W. spra
chen in nide.
30. W. ohne daz.
31. W. über in manichualt.
32. W. grozzerer.
33. er uirsviget.
34. W. er muse zellen.
35. W. er bat si ime hören.
37. W, gezogenliche.
638
D i e in e r
W. 83, 32.
'Ich weiz mich bedachte do ich mines (slafes) brühte,
wie sunne unde mane zu mir chomen
40. unde eilif Sternen uone himele verre
unde sich svze buten zu minen fvzen’.
Den uater wunder nam waz daz solte bezeichinen,
do sprah er ime zv ettewaz rafsliciio:
Wände ich unde din muter ioh dine bruder
45. noh hie in erde din dürftig werden?’
daz muse so irgen vber siner brudere willen;
si heten in gerne floren ne wolte in got niht bewaren.
Si gingen in wramüte sines uihes hüten
unde waren (lange) stunde daz si ime heim newante«.
50. Do is den uater belangote er bedahtez in sineme mute,
waz daz meinen solte daz ir nehein widere newolte.
Josehp er rufte, uil sjiire er ime antwrte.
Do sprah Jacob ze sinem sune Josehpe:
'Du wenegiz min kint, ich ne weiz wa dine bruder sint,
55. nu gene du frage wi ir dine wäre;
mich ist michel wunder ob ir deheiner si gesunder,
so du si uindest uil shfre du mir kündest
wi ste ir dine, nu lle min trut kint’.
Josehp uil palde livf ze Sichern in daz tal tivf,
60. wände da was der weide genuc unde was div selbe ovh gut.
Do sah in da ein man hinnen unde ennen irre gän,
der fraget in, ub er ime sagen geruhte waz er da suhte.
39. W. chome.
40. W. einlif sternun.
41. W. unde buten sieh suze zu.
42. bezeichinen. W. bezechenen.
43. rafsliche, ebenso W.
44. W. wane ich.
47. W. ohne niht.
48. Di gingen. W. Si giengen in
unmüte ire uihes.
49. W. lange stunde ohne ime...
50. W. Do sin. [wanten.
51. W. zu ime wolte.
53. zesenem sune. W. ioseph.
54. wenecicz min. . dinei bruder.
W. wench.
55. W. tu wäre . . . dinch uare.
56. W. deliein.
58. trut ... 59. W. lief: tief.
W. 54, 11.
Geschichte Joseph’» in Aegypten.
639
Er chot, er stillte sine bruder wa si hüten ir chorter.
der man chot, er horte si sprachen, si wolten ze Dothayin.
68. Er streicA nah in unde uant si ze Dothaim.
Also si in uerriste ane sahen ze ain anderen si sprachen:
Sehet ze deme trovmäre, er pringet nivmäre.
Slahe wir den selben hunt unde werfen in an dirre cisterne grünt
unde choden daz den [selben] uirwäzzen dey wilden tir fräzen;
70. so wirt denne wole sinn waz ime di trovme frume sin’.
Daz uirnani Rüben, er bat di rede lazen sten.
'niht slahe wir inen, werfen in in di cisternen.
wir sulen unsere hende behalten äne [di] sunde’.
er wolte in gerne nerigen deme tode werigen,
78. ob er in so bename daz er sineme uater widere chome.
Also er zu in chom uil sliire si in ane sprangen,
unsanfte si ime zu sprachen den roch si ime abe prachen,
si taten ime ubele stöze ioh siege groze,
si lizen in in eineme wazzergademe sitzen unze si inbizzen,
80. unze si in(ein wurten, weder si in) irslugen oder irwurcten.
Ich weiz si in allen gaben chovflute gesahen
di uurten mislich gewant, si wolten in Egyptolant.
Do sprach Judas der der beste undir in was,
'zu wiv ist uns daz gut daz wir unserem bruder tun den tot?
88. so uorderet zao uns got daz sin plut.
weit irz an minen rat lazen ir magit sin palde genizen;
63. W. Er sprach.
64. W. sprechen.
68. W. Joseph streich. . . . si in.
66. W. uerrestsahen ... zu einen.
67. W. nu sehet.
69. W. uerwazzenen.
71. W. Do daz uernam.
72. W. Er sprach nieneslahenin.
74. W. töde erwerigen.
78. W. ub er inen so.
76. W. Also ioseph zu in.
80. irslugen. W. ersluogen.
81. W. chouflute sahen.
82. W. ze egypte lande.
83. der dir beste. W. bezziste
was, ohne under in.
84. W. uns gut tun wir.
88. W. so uorderot got zu uns
sin blut.
86. W. sin baz geniezzen.
Bl. 79“.
640
J. D i e m e i*
W. 54, 37.
gebet in den clioviluten, lat si in ev gelten,
noh ne bewellet ever hende mit mortlichen sunden,
er ist unser lichname, des sul wir tun wäre'.
90. Der rat dühte si gut: shire wart er uirchovfet
umbe zveinzec phenninge; di teilten di zehen iungelinge.
Di in da chovften di liizen in mit in gen;
do muse daz kint lussam eilende werden,
er shit mit riwen uon den ungetriwen
95. mit gebundenen armen; daz mohte got irbarmen.
manegen zäher er da li da er älter wege gi.
Do Rüben zu der gruben cliom unde in ni mähte uinden,
sin gewäte er zarte uil lute er harte:
'we (brüder) min, wa solt du sin?
100. waz mac ich weniger man disses leides tun?
Ein cliizze si slugen, uil gare siz benugen.
den Josepes roch stizen si in daz plut,
ir uater si in santen ob er in irchante,
daz er sähe ob er sines sunes wäre.
105. si sprächen, daz si in uunden sam in ein tlr hete uirslunden.
Also in der uater gesali, uil riweclichen er sprah:
'der roch ist mines kindes, so we mir sines todes!
daz min got so hat uirgezzen daz in dehein tir solde frezzen’.
Sin gewäte er zezarte, uil parmec/zchen er harte:
110. ' nu müz ich imer weinen den minen liben weisen’.
Do di sune cliomen, zu ime gingen.
so si in {trösten mere so ime i wirs tet daz sör;
er chot weinente, er müse cliisen den (ente).
88. W. mordisken.
90. W. uerchouffet.
92. mit in gen ebenso W.
96. W. do er uon in gie.
98. lute mit ' über o.
101. benugen nebst einem ' über
dem o. W. benugen.
102. W. dunkten si.
105. W. daz si in uvnten lieten
dar ane getan wunten sam.
107. den roch. W. wemmir.
108. W. daz in le dehein tier.
109. W. er zarte, barmikliche.
111. W. zu zime giengen.
112. W. trösten in mer.
113. W. sprach daz.
W. 55, 24. Geschichte Joseph’s in Aegypten.
641
di Joseben chovften, do si in z' Egypte [lande] brahten,
lib. si uircbovften in sare ze einem herre, hiz Butifar,
der was ein gewaltic man deme was daz here undertan.
durch sine lussame nam er in ze man.
Joseph got ane rüfte, uil wole er in horte:
wole ime spute sva er dinote;
120. selbe was er erlich [elliv] sin gebäre was zuthlich,
in allen dev daz er tete so bete er gute site.
got gab ime fransput[e] in allen div under bestunt.
Uile zites liine quam e in sin herre sazte ze ambetman:
al daz er hete daz beualcb er [al] ze siner gewelte,
12b. daz ime alle di wurden undertan di ime selten dinen;
niht er uz nam wan sin wip lussam.
Do erz amballte gewan do wart er also er gote zam,
gut unde genadicli; des wart er salicb.
deme livte er rillte mit getrulicheme erniste,
130. er gebot daz niht bestünde neheineme armen siner phrünte,
(abe) deme pumanne er niht in nam
mit unrehteme gedingen noh mit deheineme gedvange,
niwan sin rehtez dinest, daz duht in aller uurste.
der ime daz gab deme uirgab er [iöh,] so er in is bat.
13b. uone div gi der gotes segen über allez des er solde phiegen:
di livte waren salicb, erde ioh uihe uil parich.
113. W. 7.uo eineme herren.
116. W. geweltig man.
117. W. ze dienestman.
118. W. er in beruhte.
120. W. ein chint was er erlieli
al sin gebäre was tugent-
lich.
121. in allen dev daz er tet.
W. in elliu diu und er tete.
122. in allen. W. in elliu diu.
123. W. unlangez zit.
124. W. daz heualh er zu.
123. W. ime al daz wäre under-
tän daz ter ime solle.
127. W. so er gote zam.
130. W. niweht . . . deheinen.
131. W. abe deme püman er
niweht in nam.
132. W. gedinge . . . geduenge.
133. W. ne war sin relit dienest,
iouch daz duhte in daz aller
fürste.
134. izs bat. W. er ioch des so
er in sin bat.
Bl. 79 b .
642
Diemer
W. 36, 3.
Uva got selbe was puman, waz mähte da ubele wucheren?
Vnder alleme deme güte gab got Josebe ze mute
daz er ime an deme gewalte mere mezzes ne geualchte
140. ni war daz durri prot, dar zu tranch er wazzer gut:
unde was er idocli also shone same dev wunnesamiv plüme,
daz alle di wunder nam wannen er wäre so wolgetan.
Under der menege gebarot er gelich eineme helede;
so er was gesväse so hete er mit gote gecliöse,
145. so beualch er ellev dev dine sin an unseren trehtin
daz er in behüte in aller siner note
noh in sineme eilende ubir in ne gestatte dehaineme sineme
Got gewerte in des unde anderes uile maneges, [uiende.
niwar daz er ime idoh tete so l was sin site,
150. daz er in besühte vb er an ime gezviuelote.
(D)oz Josep so wole ane ui unde ime an nilite misse gi,
do begunder siner frowen liehen : si wolte in besvichen, Bl. 79'
si begunde tovgen an in werfen di ovgen,
si tet wider in di gebäre di ime waren unmare,
155. si begunde in spenen, unrehtes wenen,
des si ne tohte obe si uone gote mailte.
Do siz langer ne mohte uirhelen do begunde si ze ime spilen:
dev selbe uirwazene bat in mit ir slafen.
Sin antwurte was zuhtlicb, dev rede duhte im umpillich;
160. er chot 'wi mahticb [imer] so ubele getün oder mines gotes so
daz ich di untriwe täte der mich gechovfet hete? [uirgezzen,
svi ich wäre sin scalch der mir allez sin güt beualch,
unde alles des ist ungewizzen des er bat besezzen,
137. Ua got. W. da got.
139. W. daz er an deme gewalte
ime mere mazzes ne beualgte.
J ■ ■
140. W. ne wane daz turre.
141. W. er doch ... die wun-
143. W. einemohelde. [nesame.
145. W. er elliu siniu.
1 47. W.über innestatte...viande.
148. W. Got werte in.
153. W. getougen an in.
156. W. wenen daz net. . . uore
158. wirwazene. [gote.
160. W. r sprach urowc wie.
161. W- daz ich deme untr.
163. desezzen. W. und des ist
al ungewizzen.
W. 56, 33. Geschichte Joseph’s in Aegypten. 643
ni war so uil so ich es ime geben wil:
163. ich waltes alles; got irlaze mich sulehes ualles'.
Vil mohte si sich mün, er ne woldes niht tun;
uile mohte si sich pelgen, er ne wolte ir niht uolgen:
daz hur er uirmeit; des chom er in groz arbeit.
Eines tages daz gescah daz si in einen yant
170. tun neweiz waz werches, da er nimannes zu ne bedorfte :
si wände, ez wäre irwole irgangen daz si da ne sach nimannen.
Si hiz in daz werch lazen sten unde hiz in mit ir gen;
si chot 'slaf mite mir, wole lone ich es dir.'
Er weigerote, si bat in uil genote.
173. do si in nehein ente mohte uberwinten,
bi deme lachchen si in ui; uil shire erz uirli:
uz deme hüse er floh, sinen wech er uon ir zoh.
Also er ir zwtran unde er ir li daz lachen,
unde si wart innen daz er sie niht wolde minnen,
180. si begunde wufen, den buten ze rufen.
Do si ir chomen si hat si ire hören.
'ewer herre hat wolgetan daz er gewan einen ebreisken man
der ane mich wolte lovfen unde wolte mich honen.
Er zogete mich uil unpilliche,
185. ne hete ich gehart, er bete mich inpart
unde hete mich gehonet: nu sehet wi er ime hete gelonet.
Also ich rif, daz lachen er mir hi liz;
da bi muget ir sehen waz hi wäre geshehen,
ob ich gesvicte do er mich zogete’,
166. W. genuin. [gesach.
1 69. einene. W. daz si in einen
170. W. er tet neiz waz werclie.
172. W. stan: gan.
173. W. lone ich dir ohne es.
174. W. si pat in gnote.
173. W. neheinen ente.
178. W. erireentran... magetir.
181. W. Do si chomen ohne ir:
si bat daz si ire uernamen.
182. W. si chodiuwer.. ambtman.
183. W. der ime ane mir wolte
Ionen daz er mich wolte
184. W. uil umpillich. [honen.
183. W. ne liate ich .. . er hate.
186. W. unde hate mich.
044
,T. Dieraer
W. S6, 33.
190. Do der herre chom unde si imz begunde zellen
unde si ime zeicte daz lachen, waz mohte Josep dawidere ge-
unde er gelovpte sineme wibe also sin selbes libe. [sprechen?
Er liiz in in den charchare werfen undir di uirworhten,
ane sine sculde florn beter sine hulde.
19b. Do begundez got irbarmen daz si so quelten den armen, *
er gab deme ze mute der des charchares solde hüten
daz er Josebe wart genadic; des wart er uile salic.
Er begunde in minnen, er ne wolte in nilit dvingen;
er beualch ime durch sine güte alle di da waren in der note,
200. daz er si beginge svi so ime geuile,
wände er was innen worden daz er in werchen unde in Worten
al nab gote meinete svasso er besheinete.
Do in allen gahen zvene wider den chunic missetaten,
ein phister unde ein schenche; si müsen in daz gebende,
20b. in den charchare man si warf in daz gebende uil starch.
Josebe wurden si beuolehen; er ne li si nilit svellen,
er gab in maz iob träne, er dinote in gote danc,
er begi si genote mit sviv er hete.
Do di selben herren lange da gewaren,
210. eines nahtes daz gescah daz ir iweder[er] einen trovm gesacli,
wi sin dinc solde irgen; der cbunich bete si unsanfte besten;
si waren in sorgen waz ir solte werden,
si waren unfrö. Josep sprah in zu,
Ja ir guten knehte, ez vert umbe evh unrehte,
190. W.undsiizime al begunden.
191. W. gezeigte . . . sprachen.
192. W. wante er . . . same sin.
194. W. hete er verlorn.
195. W. daz si so uerriet.
196. W. des charchares hüte.
1 98. W. er ne wolte in duingen.
199. W. er beualech ime alle die
die in noten waren.
201. W. innen worten daz er.
202. W. alzane got meinte.
203. Uo in. W. Do in allen g.
206. Uosebe.
207. W. in gotes danch.
209. Uo di selben. W. wol
stunte da waren.
214. W. a iar güten chnehte iz
ne uert umb iuch rehte.
W. 57, 41. Geschichte Joseph’s in Aegypten. 645
215. ir gehabet evh hivte ubele, iz ne zäme niht adelej
saget mir waz ev si unde weset biderbe da bi’.
Si sprachen do ettewaz truerclicho,
'syare ist uns getrovmet, leider niman iz uns irsheidet’.
Josep antwurte in 'got der scol evh trösten:
220. waz ob ir mir sagetet märe waz ev gescehen wäre,
(mach skehen) daz icli iz irsbide also ez irginge'.
Do sprach der schenehe, mislich waren sine gedanche:
Do ich hinet was insvebet in micheler unhabe,
do sah ich dri winrebe prozzen unde plugen
225. ze zitegin pergen sich machen.
Do chorn mir sliire des chuneges pechare
den nam ich in di hant, di pere ich dar in dvanc,
demechunege ichez truc, necheines arges er [her zu mir] ge_
Josep ime antwurte nah rehteme geuerte; [wfich’.
230. 'so wol dich des trovmes! über dri tage du gedingest;
der chunic din gedenchet, uil sliire er nah dir sendet,
er uirchuset dine sculde unde git dir sine liulde,
leides er dich irgezzet, an din ampahte er dich setzet,
den pechare du ime hütest also du e gewonetest.
235. Sih daz du min nine uirgezzest; so du an dincnie gewalte
unde dir wole si so gedenche wi mir hi si. [gesizzest
Ich wart inzucchet in dizze lant uircovlet,
ane mine sculde flos ich mines herren hu/de,
216. W- ohne da bi.
217. W. si sprachen ohne do . . .
trurichliche.
218. W. uns iz skeidet.
219. irosten. W. iuch trösten.
220. W. waz iinve wäre gescümet.
221. W. iz iu skeide als iz iw.
223. insvebet in micliebe. W.
hinecht was intsube in.
224. W. plun ze zitigen.
Silzli. d. phil.-liist. CI. XLVII. Bd. II. Hft.
227. W. iu mine hant.
228. W. er wider mich gewfig.
230. mich des. W. so wol dich.
233. amphate. W. wider an.
234. W. du e wonetest.
235. W. an dinen gewalt widereg.
236. VV. wole si sich wie mir.
237. Uoh wart.
238. hude. W. ane sculde,. ohne
[mine.
Bl. 80
42
646 J. Dieme r W. 58, 24.
da warf man mich sare in disen charchare
240. in dise uinstere grabe: nu tu du ez gote ze übe,
du rat deme kunige daz er mir genade,
daz er mich binnen lose e ich den lip uirlise’.
Do der phister uirnam wi er di trovme cliunde ersheiden,
er chot, ovh er sähe do er insvebet wäre,
245. obe sineme hovbet dri zeine mit melewe uolle,
unde in der oberesten wäre aller der brote gebäre
dii dehein phister cliunde gemachen, di man uz melewe scolte
unde iz di uogele gare frazen daz sis niht uirlizen, [pachen,
Josep antwurte ime des 'ach ach dines trovmes!
250. der driger zeine must du wole weinen;
uirnim waz ich dir sage: di dri zeine sint dise dri tage;
der chunic dannen gehütet daz man dir abesleht din houbet,
er haizzet dich an den galgen liahen; da beginnent dich di uo-
nilit si Am uirlcibent, gare si dich zezanekent’. [gele äsen,
255. Vber dri tage gelach des chuneges gehurt tac:
michel wirtscaft er hete undir aller silier diete,
da hegunde er gedenchen des sines sehenchen,
er bedahte sine not daz er ime uil hete gedinot.
Er liiez in ime pringen, do mflse er wole gedingen;
260. er chot, alle sine sculde er ime uirgabe unde er wolte
daz er wider ivwge sines ampahtes phlage.
den phister hiz er uahen hovpten unde liahen ;
242. W. lip fliese.
243. W. cliunde skeiden.
244. W. do sprach er wie er sähe
do fer in suebe wäre.
245. W. drizeinen mclewes uolle.
246. W. allere brote gebäre.
247. di nam uz. W. dei dehein . .
cliunde machen.
248. W. mit daz . . so gare.
249. acchali. W. ach ach.
250. W. der driere zeinen.
251. W. die dri zeinen.
254. si dir W. nieht si din lei-
bent gare si dich urezzent.
255. der die tage. W. Vber dri.
256. siner dette. W. er hete mit
aller siner diete.
257. W. des sines scechen.
260. W. er eliod daz er ime alle
sine sc . . . unde fehlt.
Bl. SO 1 !
W. 59, 4.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
647
tla musen in di uogele äsen also irne was gesheiden.
Do der scenclie daz ambahte besaz sines trovmes sbeiden er
265. er uirgaz siner triwen iob maneger riwe [uirgaz,
di er in dem cbarcbare leit e ime Josep den trovm shiet,
der in azte unde trancte pettote ime sanfte;
der scencbe des uirgaz do sin dinc begunde sten baz.
Dannen über zwei iär gesab der cbunic uile her
270. einen troum svarere: den saget er den lierren;
den cliunde neliein man rehte gesheiden
noh under deme liute waz der trovm dute.
Do begunde der scencbe sines trovmes gedenchen;
er sprah zu deme chunege 'herre uirnim min ubele,
275. wi mir ist geshehen des müz ich dir iehen.
Ich linde din phister lagen in cliarchares uinstere,
da beualch man unsich inne eineme ebreisken iungelinge,
der tet uns al daz gut daz ime got gebot.
Do zeineme male getrovmte uns beiden sväre:
280. des begunde wir truren, er begunde unsich trösten.
wir sageten ime di trovme; di irsbit er uns slivme, [hinge,
er cliot, daz ichdine hulde gewunne unde daz man den phister
Der iwederez ervullet wart, neliein wort uirwandelet wart,
mich pat er genote daz ich sin wider dich gewuge,
285. daz ich dir chunte daz er wäre eilende;
ime beten lugenare gemahchet daz er wäre
264. W. So der scencbe an daz
ambahte gesaz sines troum-
skeiden er uergaz.
265. W. er irgaz triuwen . . riu-
268. W. des alles ergaz. [wen.
270. W. troum suären.
271. W. den ne chunde.
272. W. noh niemen unter.
273. W. sines troumsceidares.
274. W. mine ubele.
276. W. uinst#r.
278. daz ibie got.
279. W. troumte uns.
280. W. begunden wir . . . uns
trösten.
281. er uns palde. W. die seiet
er uns sliume.
282. W. er sprach ich g. d. h.
283. W. so sin nie uerwandelot
wart ein wort.
284. W. gnoto . . dich gedahle.
286. W. ime liefen lugenare g.
42 *
648
J. D i e m e r
W. 39, 30.
geworfen in den charcliare,
daz tu durh dine güte in namest uzer note’.
Der chunic gebot, man bralite ime den man gut,
290. daz man in batete unde share, watote (inen) shire.
Also er in gesab, ich weiz er ime zu sprali,
'ich mac wole iehen daz icb starcbe trovme lmn gesehen,
di newolte icb melden niman wan minen holden;
under den neuant icb niman der mir si chunde gesheiden.
Do saget man mir,' ob ich si gezalte dir
daz da niht uore wäre, du ne sagetest mir svaz dar dz geshahe,
Do sprali Josep 'des ne uirmizze ich mich niht,
got antwurte deme cbunege fransmute an minen sheiden.
Gerne wil icb daz uirnemen waz ime in trovme sizu chomen’.
300. er ne redete niht mere; do sprali der cliunic here,
'Ich weiz mich beduhte do icb mines slaues brüllte,
wi icb eine stunde an eines stades reine,
Do gingen vz der alle siben chü rade
ueizte unde slione; si gingen an daz gras grüne,
303. an der wise bescovcle gingen si mit frovde.
Daz stund unlange e andere sibene chomen ennen,
magere unde unslione; ich ne gesab ni wirs getane,
di ueizte si frazen den bunger [doli] nilit gebuzfen,
an in nider ne shein ob si inbizzen der ueizte dechein.
310. Des trovmes ich inspranc; done stunt iz por lane
e mir was, sam ich sähe da uze an der säte
in deme tvalme walisen an eineme lialme
siben eher sbonev unde vollev;
288. W. in uz der note. 302.
290. W. watete inen ziere. 303.
293. W. ne wäre minen. 303.
294. W. ich neheinen man. [den. 306.
298. W. franspüt ane mine skei- 308.
299. W. ich doch . . si chomen. 309.
300. chunic herre. 313.
W. wi ich stunte eine,
chü mit A darüber.
W. an dere weide giengen.
W. giengen ennen.
W. diefeizten . . . gebuzten.
W. an in niener skein uh . .
W. sconiu, immer iu. [feizten.
BI. 80“.
W. 60, 12.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
649
315.
320.
325.
330.
335.
315.
316.
317.
319.
320.
322.
323.
324.
325.
326.
danach sah ich sibenev slalichev unde durriv;
di uollen si ane scrihten uil shire si si uirslihten’.
Do sprah Josep 'dizze nist trugenheit nilit:
der chunic sacli eine di gotes tovgen,
er geruhte ime offenen daz er wil stiften,
des nist zviuel nechein, di trövme sin beide inein:
Di siben rinder ueiztcu ioh dev siben eher uollev,
daz sint siben iar gütev alles rates uollev,
so ni hi mannes gehurte neheinev hezzeriv wurten;
ni ne wart der geborn bi deme baz wurte fleish unde chorn,
ole noh win; wi mobten si do bezzer sin?
Danab cbomen sibenev so freislichev
daz lutzcl lute bestet ez ne lige allez tot.
Do daz chorn zvirot so ist shire daz uihe uurbraht,
so müzen si svellen uor bunger cbollen:
wi molite in wirs sin? so muzen si sterben.
Uvil du mines rates ruclien, du sult einen gewissen man suchen
der nab dir daz lant habe in siner baut,
deme daz livt si undertan: der sezze sinen ambetman
über igelich gouwe über cliorn unde liowe;
di in disen siben iaren daz nilit uirsmahen, [finfte teil,
sine heizen manneclich an sin seil fazzen sines chornes daz
tragez zu froneme stadele oder uur ez uf sineme wagene:
man scol ez fronen, da mite [sol man] den bunger honen, Bl- 8 0 d -
W. skiere si uerslickten.
W. trugeheit nicht.
W. gotes getougine.
W. sint pede ein.
W. Dei siben rinder feiztiu.
gehurtes. W. gehurte,
fleihs unde. W. flcisk.
W. mähten si bezzere.
W. so freissam.
W. Hutes bestet . . iz ne
lige hungeres tot.
327. W. So daz chorn zerinnet.
328. W. chuellen.
330. rates tuchen. W. wisen man
331. W. in siner gewalt.
333. igelich gut. W. über icge-
licli gou.
334. W. den daz nieht uersmalie.
336. W. sineme wage.
337. W. man scol dir iz fronen
den chunftigen bunger da-
mite honen.
6S0
J. Diemer
W. 60, 38.
soz tveren beginnet daz niman nilit inuindet,
so scolt du da mite helfen geben unde uirchovfen;
340. so geniset dir daz livt daz wirt dir darnach liul),
so mac man dir gesan: so dunebet ez mich wol» getan’.
Do sprab der cliunic uberlvt, daz hörte manec sin trut:
janemege wir nilit uinden deheinen man des gotes geistes so vollen,
so mich dunchet dirre man der mine trovme so wo] bat irsbei-
345. Ich ne weiz in miner gewalt weder iungen nob alt [nen.
der dir si gelich: uon dev so wil ich
daz du nab mir sist, der allerheriste sist
livtes unde landes, daz du sin alles gewaltes.
Nimen si so riche er ne sule dir intvichen,
350. tun al daz du gebutest oder svaz du si lazest,
ot ich beize der herre, ich ne gere sin nilit mere:
des stules unde des namen sculen si mich uore bau’.
Der cliunic liere sprali zu Josebe mere,
'nu han ich dich gewaltic getan über allez daz ich bau’.
355. Daz fingerlin er nam ab der silier wolgetan liant,
in erz ane legete, zu deme gewalte er in staöete.
Ich weiz er in ane watöte einen sahen guten,
umbe sinen hals einen bovcli der was aller golt.
er hiz in sitzen uf sin gereite after der burc leiten,
360. daz sine boten uore gingen gebuten daz man in inphinge.
338. W. so iz so niht uindet.
339. W. bedeu geben iöh.
341. gesam. W. dir gesän.
342. nberlivt. [man finden.
343. W. wä magen wir deheinen
344. W. der minen troum so wol
hat geskeiden.
345. W. iunge noh alt.
347. W. ohne das zweite sist.
350. W. an suaz tu si leites
351. W. Et ich heizze.
352. se ubisi mich. W. sculen si
mich dir fore haben.
353. W. zu Josepe fehlt.
355. W. Daz gefinger er nam abe
siner liant wolgitan.
356. W. inen er iz . . inen stabite.
357. ane watete W. watet einen
sahen gut.
358. W. was aller röt golt.
359. W. in setzen . . . bileiten.
360. W. sin botc foregienge.
W. 61, 17. Geschichte Joseph’s in Aegypten. 651
daz si im alle chniten ingegene also ingegen deme chunege.
Der cliunic sprali mere durch Josebes ere,
Ich pin iz Pharao, da höret er alle zu:
niman newege [sinen] luz noh [sine] hant über allez dize lant
365. unde si uil stille, ez ne si Josebes wille.
ich ne wil ovh niht daz er heize Joseh,
er heizet pillichere der werlt heilare’.
Do tet er in gehit: er gab ime ein rieh wip,
eines piskoffes tohter div was ane laster.
370. Drizec iare was er alt do ime der cliunic gab den gewalt;
do uur er utnbe sliowen wi daz lant wäre gebuwen.
uil wole er berihte ein igelich amhahte; 1
al daz deliein man ze puwe solte haben,
des ne hiz er niht uberheuen, man muse imez gehen.
375. in igelicheme ampalite sine stadele er rillte,
da er inne gehilte daz cliorn daz er irsparte.
Sihen iär do chomen al nah ein ander,
so di ältesten iahen daz si ni bezzerev gesahen
in aller slalite genullte, daz'z niman gestetenen mailte:
380. cliorn wart über maze, same wart ohezes vazze,
uilies newesse niman zale, oles unde wines beten si wale.
Josep nine tvalte e er sine stadele geladete ;
er samenote ez genote ze der chunftigen note.
er wisse wole wi ez irginge so der iare wurde ende,
385. daz er so uil negehurte so ers bedorfte.
Dev sin shone clione gewan ime zvene sune:
den si gewan e den hiz er Manasse.
361. alle ehinten. W. clinuiten
ingagini also deme.
363. W. Ich pin iz pliarao.
367. W. pillichere.
374. W. des ni heiz er nicht.
375. ampahate. W. amhahte.
376. W. daz er sparite.
379. daz niemen. W. deiz
380. W. wart oheze.
382. W. nieni tuelite.
383. W. er saminet iz.'
387. W. den si guan e.
652
J. Diemer
W. 61, 44.
er cliot, nu ime got hete gegeben kint
er hete in aller siner arbeite irgezzet.
390. Den anderen sun nante er Effraym.
er was uil frö des daz er so uile sah sines wuclieres;
er c/tof wolte siclimenden daz si ime got bete gegeben in eilende.
Ich sage ev zeware, do uur wurden dev guten iäre
do besaz dev erde, dane wolte nilit ane werden.
393. michel wart dev not: daz uihe lach allez tot,
der liunger gi über al, des livtes wart ein groz ual.
Di auer do genaren, zu deme cliunege si chomen,
si baten in helfen daz si niht gesvullen.
Er hiz si ze Josebe uaren, [er cbot] der solte si bewaren.
400. Josep hiz daz eliorn dresken, lutzel machen z/ezzen,
er hiz ez gewarliclien handelin di ez wolten wandelen,
den armen da mite helfen, ze den riehen uirchovfen.
er forhte daz ime zerunne, durh daz was er [da obe] so enge;
ime waren michele sorge ze den siben iaren uirborgen.
403. Der liunger sich preite in di werlt [so] wite;
er gi liberal, daz livt starb unde sval.
Nimen ne dori'te sain derz ovh molite geleisten,
wände ime ne gaö daz uelt ivücher noli [sa] sines samen gelt.
Do Jacobe cliom mare daz [daz] chorn in Egiptepande] uaile ßl. 81 b .
410. zu sinen cliinden er cliot 'wi tut ir so, weregot! [wäre,
daz ir des hungeres sult cliolen, noh daz chorn in Egipte niht
ia ist ez da ueile: uart guter heile. [wellet halen?
388. W. bäte gigeben.
389. W. er wäre alles leides irg.
390. W. liiez er eflraim.
391. W. ohne er was uil frö . . .
er sachso uili siner wuchere.
392. W. wolte sin mendente.
393. W. sage iu in wäre.
393. W. lag meistig tot.
396. W. grozzer ual.
397. W. cliomen ohne si.
400. W. zu eschin.
404. michele sorgei. W. sorgen.
406. W. gesual.
407. derz ioli. W. sän der iz.
408. ne galt daz. W. ne gab daz.
409. W. cliom ze märe.
410. wie tut ir so werigot.
401. noh daz chorn ebenso W.
J
W. 62,24.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
653
ia habe wir scaz genügen, ze wev sule wir der bi sterben?
Si buben sich alle insamt unde uuren in Egiptelant;
415. Beniamin bestunt heime sineme uater ze govme[le],
er forhte, ime ettewaz geshahe ob er non ime chome;
zu ime er in sazte daz er in Josebes irgazte.
Dvo si alle einleue cbomen ze lioue
da Josep unde andere sazen, da buten si sieb ime ze fuzen.
420. Yi] shire er si irkante an deine gesprache unde [an deme] ge-
er fragete si, wer si wären oder wannen si uuren. [wante,
Si sprachen, von Chanaan unde waren sune eines man.
Er nam es wole goyme ; do dahter an di trovme,
wi dev sunne iob der mane uiiren uon liimele shone,
425. iob einlef sternen suoze sich neicten zu sinen uuzen.
Do mailte er in Ionen svasso si ime getaten,
do begunder si besuchen ob ez si iht wolte riwen;
er chot, in duhte an ir gebäre wi si waren spehare,
si wolten daz lant uirraten, er muse daz behüten.
430. Des buten ir unsculde al nah siner liulde:
si cbomen in daz lant durh hungeres gedvanc,
si waren cbomen fridelichen unde nilit wiclicbe.
Josep sprach do 'daz nist nilit so,
ir weit bi showen wa ir deme lande (muget) gedrowen.’
435. Si suliten sine genade daz er in uirname;
Er syicte in also si baten in.
ir einer sprah do, di anderen horten da zu :
Unser sint zvelue uone ein uater geborne
413. W. genügen zuiu sule.
4:18. Yo si . . . W. Dü si ze hone
cbomen zehen ire waren.
419. W. unte herren sazzen.
420. W.pi ire sprach ioch pi irg.
422. eines mannes. W. si füren . .
waren sunc eines man.
423. W. wole fehlt.
424. W. wie sunne mit mane.
425. zu sinen uuzen sich neicten
426. W. des si ime taten.
430. W. puten si ir . . al fehlt'.
432. W. waren fehlt.
433. W. des nist nieht so.
435. sollten . . W. sühten.
437. W. der eine sprach
6U4
J. D i e in c r
W. 63, 4.
uz cleme lande Chanaan, waz ob duz [etewennej hortest nennen,
440. der sint einleue bi in deme houe,
der zvelt'te ist beime nimet sines unter govme
er was ime uil lib, er ne liz in mit uns niht;
unser nist niht mere, daz geloyl) du mir herre .
Josep in antworte, 'irrichlich ist ever geuerte,
445. ich wil iz bewaren ob ir sit spehare.
bi des cbuneges gesunde ir ne cliomet uz dem lande
e ewer brudir der minnist in disme lande ist. 1
Sendit einen dare daz er cliome liere;
ir sit in gebenden unze wir daz iruinden,
450. obe daz war si daz der zvelfte daheime si.
ne weit ir des niht tun so birt ir uz durh spelien cliomen;
pi des cbuniges gesunde ir muzet in daz gebende’.
Si heten michele clage in der ueste zuene tage;
Des dritten tages man si uz li. Josep zu in gi
455. unde sprah, er uorlite suntone durh daz si waren in ellentome,
obe si waren frideliclie dar cliomen
so scolte in denne da ibt ubeles geschehen.
'Ane gewarehait inchomet ir uon mir niht;
Einen wil ich pinten in den cliarcbare uinsteren,
460. ir andere uart beim, got gebe ev gut heil.
uuret heim ever cliorn unde ne lat ev niht sin zorn.
ist daz war daz ir habet einen wenigen bruder?
chumet er mir shire gedinget ir’.
Si taten also er gebot unde clageten under in ir not:
465. si musen wole ielien daz in rehte wäre geshehen,
43t). W. chanaan mach soeben.
440. W. der sint zehene in disme
gademe.
441. W. Einer ist heime.
449. W. irfenden ube daz.
434. W. zu zin gie.
45’;). W. cliod er . . . want si.
458. W. er sprach ane.
459. wil ich pitten in.
462. W. ist daz war umbe iuweren
minnisten bruiler.
463. chumet ir mir. W. chumet
er mir skiere g.
464. W. linder in fehlt.
m
W. 63, 31.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
655
wände si lieten an ir bruder garnit swaz in wäre begegenet,
do si sin angest sahen unde ime ni wollen genaden,
daz in nilit ginge ze herzen sines eilendes smerzen.
Do sprach Ruhen der in e wolte nerigen,
470. 'dizze sagete ich ev brudere do daz kint cliom müdir
mit shien guten triwen, do garnotW ir dise riwe;
sehet, nu get durh not über uns sin unsculdigez blut’.
Do Josep ir rede uirnam, er cberte sich hine dane,
der amer in dwanc daz ime der zäher uzspranc.
475. Er cherte sich widere zu in unde hiz ir einen binden,
sinen bruder Symeon hiz er in di not tun,
zir aller gesihte tet er in in di ueste.
Er hiz di secche alle tun weizes uolle,
er hiz igeliches seaz legen widere in sinen sach,
480. er hiz in ovh geben des si linder wegen solten leben.
Do si under wegen cliomen linde den rossen wolten unteren,
also ir einer ui' tet den sach und gesah daz sin scaz da lach,
den anderen er sagete daz er sinen scaz habete.
Do siz gesahen, uil harte si irchomen; Bl. gK
485. michel wunder si nam wi daz solte sin getan.
heim cliomen si zir uater der uor alter was ablager,
nilit si ne tvalten e siz ime allez zalten.
si sprachen, der lierre der des landes plilage
er zige si ze wäre, si waren spehare.
490. Wi*' sprachen, fride brahten neheines ubeles gedaliten :
unser waren zvelefe geborn uon eine?« adele,
400. W.ohne wände . . . brudere.
in wäre begagenet.
468. W. nieht gie ze . . smerze.
471. W. du garnotet ir disc.
472. uuer uns sin unsc. blud W.
über uns daz sin blut.
474. W. inen duanch daz.
475. ir einen binden.
479. sacaz W. seatz 1. wider.
480. W. daz si unter.
482. W. als einer üf tet.
484. So siz.W. Du siz gesahen.
485. W. si ginam wie daz.
4S6. W. er was chlage ab lager.
488. W. ouh sprachen si ders lan-
491. einen W. fon eineme. | tes.
656
J. D i einer
W. 64, 13.
wir ware(n eines mannes süne, der minniste) wäre mit ime.
Als er daz gehörte ze stete er uns drote,
wir ne cliomen uz deme lande e wir den minnisten liesanden.
495. /cli ne weiz weder er sich bedahte oder erz tet nah rate,
er hiz uns uaren unde habete da Symeon[em] dinen barn,
in unser antwurte man im bant (uile uast iewedere liant.)
div ros man uns uazzote mit weize ioh mit prote,
er hiz uns mite geben so dev ros maiste moliten [gejtragen.
500. daz urlop man uns gab unde hiz uns nimer cliomen in di stat
ane unseren bruder der bi wäre mit dir,
obe wir den gesunt wolten gehalten ioh Symeen losen uon den
er cliot, ube auer Benyamin mit uns uüre zuo im [panten.
er wesse danne ze Ware daz wir ne waren spehare;
505. wir moliten daz lant danne suchen mit fride unde mit genaden.
Do si di rede uiranten di secche si imbunten:
manneclicb uant sinen cbovf also er den sacli indovli.
zesamene si sahen uil barte si irchomen,
michel wunder si nam waz got dar uz wolte meinen.
510. Der uater sprah do uil parmeclicho :
Ir habet mih der chinde ane getan, daz müze got irbarmen
Josep neweiz ich wäre cliom, Symeon lit gebunten;
nu sol ich senden minen weisen ze des eilendes (reisen,
ia wench got der gute! du bedenche mine note’.
515. (Do sprach Ruhen 'du scolt mir in bevelhen,
zwene mine sune gib ich dir wider ime
ze slabenne oder ze bahenne, uh ich in dir widere ne bringe’.)
Do sprah Jacob, 'dizze irbarme den almahtigen got!
nu ist Josep tot, diser eine mir bestunt;
495. W. sih es bedahte.
496. W. er liez . . . simeon diu.
497. man in bant W. ime.
502. W. ube wir . . . losen uz.
503. mit uns dato fiiire. W. er
eliod und dare fehlt.
507. W. ern saeh intloch.
509. W. waz ter got uz.
510. paremclieho. W. uile par-
michliclie.
5 14. W. werich nach Graff wench.
518. W. dem almahtigem got.
%n\ (
W. 64, 43. Geschichte Joseph’s in Aegypten. 657
520. gesliihet ime iht under wegen so muz ich den lip gehen,
so muz ich imer quellen unze ich [so] uare zu der helle'.
Do in uil nah zeran des si e (heim) prallten,
der unter sprach zuo in, zwev si niht uuren
chovfen daz chorn 6 si des hungeres wurden uirlorn. ß], 82
525. Do sprali Judas als ez ime not was,
'Wir ne dürfen dare chomen ane Benyamin,
du ne wellest dich unser irbarmen umbe in einen,
wil du in mit uns senden so muge wir heim wenden;
ist daz er ne uare wir ne chomen dare.
530. Der des landes ist gewaltic der sprali ze lezzest:
gesellet mich nimer mere ane eweren brudir’.
Der uater weiz in daz si uirmeldoten Benyamin.
si sprachen, waz si mohten tun do er si hiz fragen,
welches chunnes si waren, obe si uater beten
535. oder ob si inder beten einen brüder.
'wi in oh te wir wizzen ob er imen h/eze pringen?’
Judas sinen uater bat, er tatez durch got, [geriwen
er beuulhe daz kint in sine triwe: [er chot] ez ne solte in nimer
ob er in ime widere ne prallte daz imez got zu suhte,
540. ober ime unsenftigez wort gesprache daz ez got über in rache.
La in mit uns uaren, laze in uns wole bewaren.
betest du in uns e gegeben, wir waren nu zvire chomen.
waz ist dir daz gut, ligent uns div kint tot“?
520. W. iuwelit unter.
52t. quellen. W. iemer cliolen.
524. W. choften daz chorn.
525. W. als ime note was.
327. W. unser aller darben.
528. W. wir wider heim w.
530. W. zu uns ze leste.
531. nimer mere gesellet mich
ane eweren brudir der min-
nisten. W. brüder den.
534. W. liaten.
535. obe si mder. W. ube si mer
baten deheinen.
538. W. er beuilhe imez kint ze
triwen. ehod daz iz in nie
mer seolte geriuwen.
539. W. ern ... ne brahte.
540. W. ub er ime unsemftiz.
541. W. la uns in uile wole.
542. W. atest du in uns.
543. W. ist daz gut ohne dir . . .
ligent unswib unde cliinttot.
658
J. D i e in e r
W. 65, 26.
Do sprah Jacob 'nu evs ist also not,
543. nu tut also ir wellet, svi harte ir mich chollet.
Ir sult oucli pringen deme herren ze minnen
des hi wirt genüge, waz uhe ime daz ist seltsane;
wiroch unde honec [ioh | wurze ioh unserez ohez.
nement zviualtin seaz so getruwet man eu deste haz,
£50. uh ir den widere pringet den ir dannen uurtet
sone ziliet man evh dar umbe untriwe noli irretumes.
Benyamin den weisen peuilhc ich zevren genaden,
got ruche den herren mit genaden zu ev cheren
daz er mir laze wider häim Symeon ioh [discn] Beniamin.
hhö. ]y u uar t ir eweren sint; nu pin ich ane kint,
nu sol ich mich lutzel gefrowen e ich evh muz ane beshowen’.
Weinende chuste er Benyamin ioh sine brudir, Bi. 8t b .
er heualch si gote mit innereme gehete.
Benyamin si dinoten, mit zarte si in uurten,
560. in Egyptum si chomen, uur Joseben gestirnten* [sprah:
Als er si unde Benyamin gesach, sineme amhetmanne er zu-
Leite dise in den sal und heuacli mir di kemenaten al,
unde weregot! gib uns genuc:
ich wil ze mitteme tage mit in wirtscaft haben’.
bGb. J) 0 er s j j n ( ] az prägte, ze ein ander si sprachen:
'durh den scaz der [unseres unwizzens] in den secchen lach,
so wane man uns armen hi in not wil tun’.
Si baten den kamerare daz er in uirname:
(er fernam in do, si sprachen ime zuo,)
57 0. 'Do wir nahest hi cliovlten unde heim uuren, [ken.
unde sahen zunseren secchen do uunden wir unseren scaz lik-
544. W. nius also ist not.
545. W. ir mich chuelet.
547. W. maksen daz ist ime s.
548. W. ioch unser obeze.
549. W. neinet zuisken scatz.
551. W. noh irrieheite.
552. W. den wenigen.
553. W. zuo ziu eiteren.
554. W. ohne disen.
556. W. muz peskowen.
557. weinende er chuste Benja
min ebenso W.
559. W. mit inen furten.
562. W. pehach mir die ehern.
W. 60, 13.
Geschichte Joseph's in Aegypten.
659
daz sol got wizzen wanne er chome, da wirz ne wizzen,
den habe wir so widere braht (daz sin niene bristet,
unsern cliorn chof habe wir bralit) ouh'.
575. Er antwurte in do uile minneclicho,
ir ne dürfet ev niht uurhten, fride si ev geheizen.
Jr sult pilliche haben daz ev got ruhte geben,
[daz] ir mir scazzes gäbet, niht ir mir des namet,
den han icli gehalten: got müze ewer walten'.
USO. Er laite dar uz zin ir brudir Symeon:
mit frovden si sieb cbüften daz si in [lebentigen unde] gesunt
Ir fuzze si dwugen, luter den eselen trugen. j wessen.
Si hizen uz legen da si deme lierren mit wolten geben.
Do Josep zu deme hüse cliom, ir gebe si im gaben,
58b. si buten sich suze ze sinen fuzen.
i/enadelicbe sprali er zu zin, er biz si wille chomen sin.
Danach er si fragete, oh ir uater leliete,
Oh er gesunt wäre oder wi er mailte.
Si sprachen, er lebete unde sich wol gehabete:
590. 'er ist wol gesunt unde hat dir gesendet sin trut kint,
unseren minnisten brudir den er gewan in sineme alter.
Also Josep Benyamin gesah, ich weiz er ime zu sprah:
Nu saget mir zeware, ist dizze ewer minnister bruder? Bl. 82'. ^
nu muze dir got genaden!’ er livf uon in in allen gaben:
595. der amer begunde in anegen, er ne mohte da niht gesten,
di zähere in ane rannen: do begunde er uon in ilen,
er livf in di kemenaten: unzer genuc geweinote,
572. daz wirz W. wizzen uns ist un-
chunt wannen er darin cliom.
573. W. her widere braht.
575. minnecliche. W. antwurt in
uile minnichlichen.
577. VV. Er seult pillichen.
580. Ir laite dar uz. W. Er leitte
dar uz zu zin.
581. W. ohne lebendigen unde.
582. si dvwgen. W. si dugen.
584. W. ire gehe si ime gaben.
585. W. zu sinem fuzze.
590. dir gesenden. W. gesentef.
592. W. er zin sprach.
596. W. er uon ilen ohne in.
597. W. er ilt . . unz er ime.
660
J. Dieme r
W. 66, 41.
Daz antluze er dvüe unde uestenote sinen mut,
hine widere er ginc, zu deine muse er uinc.
600. Er sazze sunder, sunder sine brudir,
zeiner anderen wente sazen di lantlute;
wandez widerzame duhte, azzen di Juden mit den heidenisken
Nah ir alter si sazen, sunderbare si äzen: [liuten.
Raben der altiste an deine sedele der heriste,
605. Benyamin der minniste zaller nidereste.
Si tailten daz prot, daz meiste den nideristen wart,
Benyamin wart uinf teile mere denne den anderen berren :
si azen unde truncben unze si mähten screkken.
Der uil gute Josep sineme ambetmanue er gebot:
610. er fulte des weizes di secche so dir meiste in mohte,
unde legete ir igeliches scaz widere in sinen sach,
unde sinen silberinen chopf purge in des iungistin chorne,
unde ime doli sinen scaz legete uorn in sinen sach.
Also do cliom der tacli daz urlop man in gab,
615. fro si dannen uüren unde wol uerre [dannen] chomen;
Josep biz den ambetman in nab riten.
Also er se irreit, er sprali in manec leit.
Ja ir lielede, wi getatet ir i so ubele
daz ir mineme herren so liaöet gelonet daz ir ime sinen chof stalet,
620. da er uz spulcte trincelien ioli inne wonete lizen!’
ir habet ubele getan, ez sol ev svare irgan.’
Uil barte si irchomen, si sprachen daz sis unsculdic waren.
'Den scaz den wir uunden do wir unser secche imbunden,
den bralite wir widere ze mines herren kamere.
599. W. er gie: fie.
600. W. er saz sunter.
602. W. heidiniskme liute.
603. Doli ir. W. Nach ir altere..
sunterbar azzen.
606. Di tailten... wart den nide
risten. W. Si teilten.
608. W. mähten scranchen.
615. W. uerre fondere burch eh.
617. se er irreit. W. Als ers irreit.
618. W. er chod iä ir lielede.
619. W. daz irme sinen.
621. W. Er habet.
623. imbunden, so. W. enbuten.
W. 67, 25.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
661
625. du spräche, hetest den dinen unde lilze in uns gehalten,
ob uns got hete iht gegeben, du ne wollest sin niht phiegen.
Wi mohte wir imer so getun, daz wir da widere buten solchen
non diu in sves sacche der selbe chof stecche, [Ion? Bl.82 d .
den slah oder hach, wir sin dine scalche darnah’.
630. Desnewil ich niht tun; den sculdigen wil ich ze scalche haben,
den wil ich chollen, di anderen uarn dar si wellen’.
Do man di secche inpant, in des iungistes sacche man in uant.
Er uinc in hi der hant, idoh er in nine bant;
er cliot, uon reliten sculden sin sines herren scalch muse er sin.
635. Alle si ir gewant zarten, uil parmecliche harten,
'so we uns wenigen daz uz chom Benyamin!
wane wäre wir alle irslagen unde müse dich din uater haben’,
Daz kint stunt weinente, want uor leide di hende;
iz wante nimer mere gesalie sinen bruder.
640. Si uazzoten di esele unde cherten hine widere
mit riweclichen gebaren, si wanten daz si uirlorn wäre«.
Do ginc Judas da Josep was,
di andere alle nah ime, ir rede befulhen si ime.
Si gingen Josebe ze uuzen, paten sich ze rede lazen.
645. Josep sprah do uil ureislicho:
'W: >r dahtet ir daz ir iht stalet mir?
ia ne mac mir niman niht uirstelen daz ez mege sin uirholen.
mir nist nimen lizzenes gelicli; uur war des phligen ich mich’.
625. W. spräche du hetest den
dinen hiez uns g.
627. solchev Ion. W. solieh Ion.
630. W. r chod des ne wilich.
632. W. in des iungesten.
633. W. er fien bi der hant.
634. W. sculden sines h. ohne sin.
635. parcmliche. W. Allez ir ge-
wate si zarten uil parmicli-
lichen erhariten.
638. W. stunt weinote.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLVII. ßd. II. Hft.
639. mere sinen bruder gesahen.
W. sinen lieben uater.
641. daz baz kint uirlorn wäre.W.
si forhten daz si iocli daz
cliint florn waren.
643. befulbhen. W. ire rede.
645. dieser Vers fehlt in W.
647. W. niemen nielit genemen.
648. lizzenest. W. Mir nist nie
men gelich an liezzenne
des phlig mich.
43
662
J. I) i e m e r
W. 68, 10.
Judas sprali do mit riwegeme mute,
650. 'waz mage wir da widere? uns ist geschehen uil ubele,
wir pirn durh sunte chomen in dise scante ;
nu pir wir alle din, dane muge wir zu gesprechen,
(sam wole wir) same der den chopf stal dir’.
Do cliot Josep, 'des netun ich nilit,
6Ki>. der mir den chopf nam den wil ich hi behaben.
uart ir ungescante heim zevwerme lande,
saget everm unter wi hat getan ever brudir’.
Judas dar naher trat, uil demutlichen er in hat
daz er durh sine genade ime ein lutzel uirnarne. ßl. 83
660. Er gestatte ime des, waz tver nam in des?
Do sprali Judas trüriges mutes:
'du geruhtest uns zc fragen, ohe wir unter heten,
oder ohe wir heten mere da heirne deheinen bruder. [brudir,
Wie sprachen, wir heten einen alten unter unde einen wenigen
666. den er in sineme alter gewan, sin brudir newizze wir (wäre)
Der ist sineme unter uil lip, er ne lat in uon ime nilit. [cliom.
Do liizc du dir in bringen ze genaden ioh zeminnen,
do sagete wir dir herre, wi lip er ime wäre,
er hetin uur di muter ioh uur di anderen bruder,
670. er wäre ime so zart daz er in nelize necheine uart.
Du spräche, wir nedorften mere here chomen, wir ne wolten
in mit uns nemen.
Dizze wir allez zalten unsermc unter deme alten,
er tet clage genüge daz wir des kindes i gewugen.
Da nah hiz er uns uaren nach der lipnare;
675. Wir sprachen, ne getorsten mere daz lant suchen
noh chomen linder din ovgen über lüt noh tovgen,
650. gesehehen. W.geskehen.
651. pirn durh scante. W. sunte.
655. W. den einen wil ich hän.
656. W. lieim fehlt.
658. W. deniutechlichen.
662. W. uater liicttin.
664. W. einen lutzelen.
669. uur den bruder.
670. er ist ime, W. wäre.
676. W. chomen in diniu.
W. 68, 42.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
663
mit uns ne uure daz kint: leider ubelesint nu cliomen sinev dinc.
Unser unter begunde teueren, do gingen ime zu sine riwe;
er weinote uiule sprah uil chume über malit,
680. 'ev ist wole chunt daz min wip mir gewan zvei kint,
den einen ich uz saute, nimer er ne widere wante;
ir sprächet daz in ein tir fraze, sinen rocli an deme (uelde) lize,
ich ne gesab in nimer liiere; daz irparme dir got lierre!
nemet ir mir ovh disen unde gesbiliet ime ilit under wegen;
685. sone lüstet mere mich ze lebene, so muz ich clagente den lip ge-
so muzen mine grauue weinente uarn zungenaden. [ben,
So ich in shirest ane silie unde ime sin kint niht widere gibe, ßl.83i>.
so barte ist er an in uircbolen, e ich in denne sehe cliolen,
michel über ist mir daz ich imer dine dir
690. unde si in eilende denn ich chome ze lande ;
mir wäre über under der erden denner in deine amer irsterbe.
Ich nam in in mine triwe, des muz ich sin in riwe.
durch unsere sunte pir wir worden ze scanten.
triwe ne mac ich geleisten, di muz got ane mih eisken,
695. daz ich in uz der heimdte prallte ze dirre note. [leben,
sin unde des uater muz ich rede geben, so got gehütet über min
dir nesente got daz ze mute daz tuz tust durh dine gute,
daz du mich habest ze scalclie zeine igelicheme tagewerche.
tu mir al daz zu wellest, daz tu in bi nine quellest,
700. laz in heim: ich (pin iemer gerne din suein;
nielit ist des ich) mich scame, ob du genadic bist ime,
wil du in lazen ze lante, ich lide imer dize eilende’.
Done molite Josep sich langer inthaben niht:
679. W .fehlt uil chume ubermaht.
687. Io ich . . . gebe. W. in nu
skierist gesihe . • gibe.
688. W. sähe cholen.
691. W. unter der erde.
692. W. ich iemer sin.
693. W. uon unseren sunten.
698. W. zeineme ieweliclien t.
699. W. daz tet (= tu et, tu eht).
701. W. seame et du gnadicli.
703. W. Du mailte ohne ne. . .
peliaben nicht.
43
604
J. D i e m e r
W. 69, 23.
er hiz ime intwiclien di da uore ime stunden,
705. daz niman da neware der salie sin ungebare,
so si ein ander irchanten, wi si sich danne manten.
Josep woyfte unde weinote mit riwegem mute
deiz alle di horten di da uore stünten.
er sprali zu sinen hruderen uil minneclichen:
710. 'Nune furhtet ev niht, ich pin iz Josep !
nu saget mir rehte mines uater mähte,
oh er noli lebe oder wilch si sin gehabe’.
Si irchomen uil harte daz si ne gewilten ir worte.
Josep hiz si naher gen, er wolle si mit genaden hesten,
715. Er chot, iz Josep wäre Rachele sun der altere,
'deme ir den roch abestrovffet unde in Egyptelant uirchovftet.
nu ne furhtet ey niht ne missehabet evh niht,
wände iz wolte got daz ir ne läget tot.
Des sint nu zyei iar daz ane gi dirre liunger,
720. noh ist er finf iar, daz ist alzoges war,
so nimen ert noh ne sät niman in snidet noh mat.
durh daz hatgotdesgedaht daz er mich liere fure gesendet hat,
daz ir werdet behalten unde daz cliorn hi muget choyien.
Ez was ever wille, unde was auer gotes wille,
725. der daz fucte daz mich der chunic ze uater bäte
und al dizze laut gäbe in mine hant.
Nu ilet palde, neheine wile irtvalet:
ir sult mineme uater sagen daz er niht indarf clagen,
705. W. der salie ir gebäre.
706. danne manter. W. wie si sich
manten.
707. wovfteso,.. mitriwCgine.W.
mit amarigem mute.
712. W. ub er lebe oder welich
sin sine liebe.
715. W. iacobes sun der altere.
716. dieser Vers fehlt in W.
717. W. ne missedunch iucli.
719. zven iar. W. Iz sint zuei
iar . . Inniger liarewer.
721. sät noh niman insn.
722. W. Vmbe daz bat got.
723. W. daz ezzen hie muget.
724. W. Iz was iur fille.
725. W. ze uater liiele.
727. W. neheine wile tualet.
W. 70, 7.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
66S
daz ich noli lebe, pringet ime ovh mine gebe;
730. Saget ime daz mich got bat getan alles disses landes herren
unde daz er mir chome mit aller siner gehebe,
beize sinev hiwen sin uihe mit ime triben,
daz er unde siner chindahe deine liunger inpbliben,
noli ime daz uilie firlorn werde in der unbarigen erden,
733. daz er der finf iare not dei nu zugent
uberwinden mege, er unde alle di er habe.
Saget ime alle min ere, pitef in daz er ne weine [ni] mere,
saget im daz ich noch lebe unde mich wole geliabe,
er scule alles leides uirgezzezz des er sich nu lange bat frezzen’.
740. Do er daz uolle redete Benyamin er zu ime babete,
an den hals er ime vil, manegen zäher er ob ime li,
■ein ander si chusten, si uingen sieb zesamene mit den brüsten.
Josep der löste al besunder er si cliüste,
er ne li da nebeinen under, er ne [beweinoten unde] chusten be-
743. Done forbten si in mere, do wurden si uile here. [sunderc.
scliire über al iz für daz chomen waren Josebes bruder.
Do Josep bin ze lioue gi der chunic si uil avoI inplii,
er wart uile fro soleher heledo:
si waren gute ebnebte, si waren guter slalite.
730.’Uile wole er si bandelote, er regazte si aller note.
Joseben er bat ioh gebot, daz muser tun durb not,
er liize sine brudere faren lialen ir uater iob ir harn,
daz ime ovb cliome svaz des chunnes wäre, [leben,
er wolte in des landes geben daz si [imer] mit eren mähten
730. unde daz mich got. W. lan
des fehlt. . . liertum.
731. Saget ime daz er mir cli.
732. W. mit triben ohne ime.
733. W. hungere inphlihe.
734. W. ümbarigen erde.
733. iare noh dei W. nu zugat.
738. pit in daz.er sich wole.
730. W. irgezzen-
742. W. eine andere . . . duwn-
gen sieli zesamene.
740. W. skicr über al für.
747. inpbinc. W. mit in ze lioue.
748. lielede ebenso W.
749. VV. lussame elinelitc.
730. Sile wole. W. uile wole.
733. W. der chunniskefte w.
666
J. D i e m e r
W. 70, 37.
755. Er liiz in geben wagene mit gute geladene,
da man uf furte wib unde kint ioh anderen gesint,
daz binder in niwet bestirnte deheiner ir gewawte
sine flirten iz insamt in Egypte lant.
Josep was uil lmb daz er imez gebot
760. unde neware des gebotes pornot, er frumete doli
gerne ir gefure, er tet iz auer sus dester gernere.
daz was in michel ere daz si [so] zu ime ladete sin herre.
Sine?? brudere?? er gebete mit sabemwer wate,
igelicheme zvei badegewant so man si bestiv da uant.
765. Benyamin gab er finliv ioh drevhundert pbenninge,
silberin si waren, ich ne weiz waz si wagen ;
iz ne dulite mich porogroz, gebete mir da mite ein min genoz.
Sineme uater er sante sam uile scazzes unde [also uil] gewan-
Vf zehen esele er lut uil maneger slalite gut [tes.
770. des egyptisken ricbtümes hine heim ze rwme,
sam manegen fazzote er mit wiste ze der heimueste uriste.
Do erlovpte er in unde hiz si uaren mit minnen,
daz si niene piegen e si beim chomen.
Frolicben si uuren unde heten Benyamin sam ir lierren;
775. micbele wunmm si beim prallten,
mit micheler mandunge fure ir uater [si] gingen.
Ir einer sprah do ime [vil] froliche zu:
755. W. mit gute geladane.
756. of furhte. W. uffe fuorte.
757. W. nieweht bestuonte.
758. W. fürten si mit in dar in
egiptum.
760. W. ne wäre doch des.
761. W. deste sicherere.
762. W. was ime michel ere.
763. Sineme brudcr W. Joseph
sinen brudern . . sabeninere.
764. W. si bezzest da uant.
765. W. ioch zehen skillinge.
767. porrogroz. [guant.
768. W. Eincme, also uil fehlt.
769. lut mit einem A über dem °.
770. ze rome sam. W. ze rume.
Iv. heim ze grözem ruome.
771. W. heimuerte friste.
773. W. niene phlagen. [prungen.
775. wunne, ebenso W. und heim
776. W. mit mandungen ohne si.
777. W. Judas sprach ime zuo.
W. 71, 18.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
667
Herre uater gute wis mit guteme mute!
dir inbot diu sun Josep, er neware noli niht tot, *
780. er ist über al Egyptelant ein uizetum unde bat uns irkant,
gewaltlichen er pbleget alles des der cliunic hebet’.
Also Jacob daz gehörte ime was als er eines trovmes irwa- Bl.84“.
er ne gelovpte es nilit, doli was ez ime uil lib. [cliote:
Yon erist si ime sageten daz sis nilit uberlieueten,
785. wi si (Joseb) bestrovften ze den clialtsmiden virchovften,
wi ime got uirlech daz er in Egypte nur decli,
daz er trut wart des cliuneges meister alles sines gedigenes,
wi ime über cliurz unde über lanc undertan wäre daz laut,
unde in der cliunic pate, er cliome ime mit allev dev er bäte
790. mit wiben ioli mit kinden mit allen ir dingen,
er wolte si in sineme riebe bestiften riclibelien.
Do Jacob di wagene gesacli unde al daz ime sin sun gab,
do begunder wider leben; er was uil nach becldiben
nach sinen kinden weinende allez ane amerente.
795. 'Nu ne pite ich is paz, nu ich lian gelobet daz
daz min sun Josep nu nist nilit tot;
nu wil ich dare uarn sehen minen liben harn
unde wil uil fro sin, nu ich in weiz lebentigen.
Jacob l'azzote al daz er bete
800. ul' ros ioli esele, kint unde wip uf [di] wagene,
duz uilic hiz er mite triben, er ne li nilit lieime beliben:
sine sune mit ir chonen ioli mit allen ir geliehen
furen in Egyptum; da besazen si michelen rieht um.
Do Jacob under wegen cliom, des nalites ime got baren began.
780. unde hat gewalt. W. fiztüm
gualt, ohne unde hat.
781. W. chunich habet.
7S4. W. sume, offenbar Schreib
oder Lesefehler für si ime.
780. W. für gedecli.
791. in mineme. VV. sin mericlie.
794. allez ane merente. W.
alzane amerente.
795. W. er chod nune pit ich.
797. W. min liebez harn.
798. W. nu ich lebenten weiz in.
802. mit ir ehomen. W. chonen...
ire heben.
668
J. Dieraer
W. TZ, 5.
805.
810.
815.
820.
825.
830.
806.
807.
811.
812.
813.
818.
Er cliot 'hi pin ich, wer wil mich?’
Nu gelovbe mir Jacob, ich hin dines uater got,
nine furhte dir: ich uar in Egyptum mit dir,
ich mache dine afterchunft da uil witene kunt;
mit dir uar ich dare unde wider pringe ich dich here.
Josep ob dir gestet so dir di sele uzget,
diu ovgen er lucliet so er din nimere brächet,
wider heim er dicli füret, mit der erde er dich betröret
da du dir selben leger grübe, da du dich lieimen hübe’.
Jacob unde di mit ime uuren aller samt ir sibenzec waren,
si fürten in Egypte lant mit in uilie unde gewant.
Jacob uure sante daz man Josebe chunte,
daz er unde ellev sinev frunt waren chomen in daz laut;
er pat daz er in gesahe in deme gowe Jesse.
Josep sa dar reit, mit ime manec riter gemeit:
Sinen uater er ane lif, er was ime uil lip,
an den hals er ime uil, manegen zäher er oh ime li,
er chuste in dieclie unde sufzote oh ime.
Do sprah Jacob zu deme guten Josep,
'Nu ich dich gesehen han, nu wil ich froliche sterben,
nu ich dich laze liinder min, des lobe ich dich trehtin !’
Do sprah Josep zu sinen uater Jacob,
'ir scult hie biten, ich wil (ze deme chunege riten,)
ich wil ime zellen allen dinen willen,
du sist chomen ze sinen genaden mit landen ioh mit wiben,
wi man al din uilie here mit dir tribe,
daz niht diner gewante da heime si bestanten.
Swenne er umbe eiver fordere unde umbe evh frage,
W. geloube mir iz ;
W. du dir . . . samet dir,
W. sor din mer ne brueh.
dich bedechet. W. betröret,
W. dannen bube,
güviesse. W. giiwe gese.
821. maneger. W. manegen.
822. W. unt süfte ob ime ofte.
823. W. ze sineme sune.
825. W. läz after min.
831. W. si bestanten daze laute.
832. Swenne er evli fordere.
W. 72, 33.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
669
waz ir chunnet dinen oder waz ir spulget tun;
so sprechet daz ir werclies ne pldeget anderes,
S33. wan daz ir sit gewenet uon kintheit mit (deme) uihe gen;
swer wole chunne den list daz er under ev si der türist.
Daz chodet ir uon dev daz si ne mün evh,
daz ir mit genaden in disme govwe meget puwen:
wände in widerzame sint di des uihes liütent,
840. si sehent si ungerne, danne sceident si evh uon in uerre;
daz ir evh hi meget hegen, daz sis e niht uirsten.
Hi ist daz lant allerbeste, daz wil icli daz ir besizet.
ir scult eweres uihes hüten also ewer forderen taten;
daz newas ev heime scande ni n eh ei ne,
843. svi so ez dunche scande hi in disme lande.
Josep deme chunege sagete, welehen gezevc sin uater liabete;
er wäre in deme govwe mit alleme sineme gesinde,
er wolte da biten (waz der chunich [über in] wolte gebieten.)
Er hiz in ime chomen, er wolte in gesehen ioh uirnemen,
830. er wäre ime uil lip durli sinen sun Josep.
ze stete er in besante: einer nach ime rante
[si] baten daz er chome deme ebunege uil sbire.
Jacob ioh sine sune uil drate chomen si ime:
der selbe alticche was ein wolgetan recche,
833. er hiz di sune mit ime gen unde uur den chunic sten. Bl.
Iweder halb sin stunten di herren uil slione;
si waren alle erlich, in newas da nimen gelich,
834. daz ir anders werclies ne pli.
W. daz ir fehlt . . . spulget.
833. uon kintheit gewenet mit.
W. chintheite guon mit.
837. daz si nemen. W. mün iuch.
840. W. dannen skeidet iuch fon in.
841. W. iuch e meget pigen.
843. W. lurer fihe hüten.
844. heime nehein scande.
843. es dunche. W. suiez.
84G. W. welihen ziuch.
847. W. deme gwe gese.
832. W. pat in . . . sliume.
834. W. der selbe altiskehe.
833. W. er gie f. d. chunich.
830. VV. iewedir halp sehse stün-
ten die herren so lüste.
837. W. da nieht gelich.
670
J. Dieme r
AV. 73, 14.
also si ime got bete irchorn der wolte uon in werden geborn
Der chunic hiz in sin wille chomen, same tet er di sin sune;
860. er fragete, waz si chunden werchen oder wi si ime wolten dinen,
durh ir watliche wolter in geben ambabte riebe,
si sprachen daz si nilites spuclten niwar ir uibes halten,
[si sprachen] d.äz si gerne ze site beten daz ir uorderen taten,
si baten daz si musen besten in der marelie ze Jessew.
865. Der clninic sa gewerte des ir uater gerte,
da daz laut beste bare daz ez ir wäre,
'daz ev aller beste liebe da besizet dev riebe’.
Jacob duhte in sinen gebaren den cliunic ein geistlich man;
do frageter in uon sinem altere, wi uile silier iare waren.
870. Er cliot, [daz er] nilit alter ne wäre ne wane zelienzic unde drizec
[er cbot,] di so gelebet ne bete in decheiner slahte gute, [iare.
daz er so alt wurde so er scolte uon gehurte.
Do si do uol redeten des si gezam beide,
Jacob genadote deme cliunige
875. [unde beualch in gote] mit sineme segene
unde nam urlop; gi zu sineme sune Josep,
der gab ime al des genuc des div erde par oder truc;
Da daz lant bezzeste was Jacob mit sinen sunen ez besaz.
Von tage ze tage merote sieb des bungers clage,
880. svaz daz livt scazzes bete den prallte ez ze Josebe,
umbe daz cliorn si in gaben uerre ioh naben
über al daz riebe: des wart des cliuneges ebamere [uil] riebe.
Do si ne liiere scazzes beten, ir uihe si prallten,
rinder unde scaf esele unde ros da nab.
858. W. als ime si got het irchorn
want er wolte.
860. wi si in. W. wie si ime.
861. rieliev. W. riebe.
863. W. sprachen gerne.
864. W. baten ohne si.. marche ge-
865. so g ew.W. sie werte. [seil.
866. W. lant pezzeste pare.
868. W. Jacob duht der clitinich.
870. W. Er chod nieht altere w.
873. des si beide gezam.
870. Don tage. W. Vone tage.
880. W. ze ioseph iz in pr.
881. AV. si imen gaben.
W. 73, 41. Geschichte Joseph’s in Aegypten. 67 1
885. claz iar er dar umbe furte si uile cliume.
Do daz iar liine cbom Josebe si zu sprachen, Bl. 84 a .
er lize in irbarmen daz si uil armen
ne beten uibe noh scaz, er hülfe in ettewaz:
in ne wäre nibt bestanden in scazze nob gewande,
890. sine beten nilit mere niwan des libes unde der erde;
er name di ze ime unde cbertez in des chuniges frume;
si wurden selbe sine scalche, gaben di aigen zu siner ge walte
ob er si generte unde di erde mit samen bewarte.
waz daz gut wäre, ob div erde wurde unbare
895. unde (lange) läge wüste ze neheineme tröste.
er li si selben fri besten, er ne wolte ir niht ze scalketuon, •
Diz dulite in sunde, di er fri funde
ob er di ze scalken täte durch deliein ir note.
er wolte si gewieften ire, so der billiger wurde fure
900. daz si denne frilichen moliten ir dinc werfen,
daz ir igelicb genuc gewunne ob in nime« indvunge.
Sver ime bot daz eigen, des ne wolte er nibt weigeren;
er cbovfte in des cliuneges gewalt di ere manecfalt,
uon des landes ende cbovfte erz [allez] ze des chuniges lieiule;
905. Dei di phaffen besunder inder ane wunden,
di in gelazen waren uon den cliuneges genaden
di ne wolt er chovfen; den hiz er sus beluen
mit nare iob mit samen daz si di not ubercbomen.
Joseph sprah do deine livte zuo,
910. 'nu al ewer gut in des cliuneges gewalt stet,
885. W. fürote uile cliume.
890. W. nielit mere : (erde.)
891. di zame. W. zime.
893. mit samt ime bewarte. W.
mit samen bewarte.
895. W: linte lange . . . ze beinerne,
was für diese Zeit selten oder
ein Schreibfehler ist.
•
896. W. ire ze sealchtum.
900. W. fridelichen.
901. W. niemen ne duvnge.
902. W. nielit werigen.
905. W. iener ane.
907. W. er helfen ohne sus.
909. sprah do zu deine 1.
ebenso W.
672
J. Diemer
W. 74, 22.
nu nemet samen daz tliv erde mege wucheren:
Svasso chornes werde ev daz teilet in uinfiv;
daz uinfte sult ir gehen ze des chuniges lioue,
mit den anderen uiren sult ir evh unde ewer kint furen
915. ioh ewer hiwen daz si nilit heclihen’.
Gut dulite si daz gedinge, si antwurten ime in mandunge,
■w ir sehen daz al unser genist in diner hant ist,
nu ruche du uns ane schowen, wir dinen deine’chunige mit frov-Bl. 83°.
After dev waren si gewis alles ir lehenes; [den’.
920. Joseph si so prallte uz der Inniger iare note.
Uon dev unze in ewic so ist der zins fertic,
daz manneclich ane weigern gihet ah sineme eigen
daz uinfte teil siner chorne ze des chuneges urbore;
di sint ot vz genomen di in phaffeheite leben :
925. so stunt ez hi den beiden, ich ne weiz ob ez noh di cristen mei-
(Jacob unde sin cliunne was da in micheler wunne:) [uen.
got irgazte in suoze uil maneger gruze,
er bete sailde unde fransmut aller eren genuc;
er ne mohte selbe wizzen wilehen richtüm er bete besezzen
930. Do lebete er dare daz frist sibenzehin iare.
Do Jacob uirstunt daz ime nabote der tot,
do hiz er ime gewinnen Joseben sinen liben sun.
Uil sliire er ime cbom: do begunder in bitten
daz er ime gutes getate, daz er daz an dev gestate,
935. so er in Egypte irsturbe daz er in da nine beuulbe,
daz er in vz deine eilende furte heim ze lande,
unde in dä begrübe da sin uater unde sin ane läge.
Uon ime er in nine liz e er imz uaste geliiz,
912. W. Suaz chornes.
913. W. chuniges honen.
922. W. daz ieglich man.
924. ovh vz W. ohne ovh.
925. W. heidinen.. christanesoni.
927. got in irgazte man.
928. W. salde u. framsput.. erone.
930. sibenzec.W. er da. sibinzehin.
934. W. daz er ime ie gutes ge
tate . . gestatigote.
933. so er irsturbe daz er in in
Egypte nine b. W. sos er
stürbe daz er in da nielit b.
937. W. unde inen begrübe.
W. 75, 9. Geschichte Joseph’s in Aegypten. 673
noli ne mohte sich des irwerigen er ne muse ime des syerigen.
940. Do Josep gesacli sines uater unmaht
do nam er zu ime sine zuene sune;
zu sineme uater er gi, uile wole er in implii,
an daz pette er gesaz, zu Josebe er sprali;
Do ich pegab min beim der almahtige got mir irshein,
945. mich selben er wihte unde a]le di chomen uon mineme libe;
uon div so wil ich daz dine sune erlich
Manasses unde Effraym sin sune mine,
di du noli gewinnest der du dich underwindest’.
Do er div kint gesacli, zu Josebe er sprali,
950. 'Wer sint dise’? Josep cliot, iz waren sine sune;
'nu leite mir liere si daz ich si gewihe.’
daz gesune ime tuncAelote, daz tet ez durh note,
er was ein alt man, er ne mohte nilit heitere gesehen.
Joseph laite ime si dare; er begreif si uile giware, ■
95h. er balste [si] iovli cliuste dei kint also luste,
er handelote si zarte, er frovte sich ir harte. BI.85 b .
Joseph dei cliint stalte zu sinem uater beidenthalbe,
Manasses ze der zesewen, Effraym ze der winsteren ;
Jacob di hende über ein ander scrancte:
960. di zesewen über .Effraym, di winsteren über Manassew.
Do Joseph daz gesacli do was ez ime ungemach;
er wolte ime di zesewen haben über Manassen,
er cliot deiz nilit pillicb wäre, Manasse wäre der altore.
[Jacob cliot] wole wesse waz er ivolte unde waz er tun scolte,
965. (cliot) der altere wurde uil malitic siner gebürte,
daz auer der iungere wurde der herore:
er ne mailte [des] gotes willen nilit uirwandelen noli gestillen.
Di hende li er ime ligen: er begunde ze gute digen
943. W. iacob ze iöseph sp.
944. W. der almatigot.
950. W. waren sine sune ohne iz.
953. W. heitere chiesen.
955. W. ohne si.
957. zu sinen. W. sineme.
960. W. manassen.
962. W. ziehen über.
674
J. D i e m e r
W. 75, 40.
daz er durli willen siner forderen in gerulite erhören,
970. der ime uone cliintlieite hülfe uzer arbeite,
daz der engel chome der in ofte uzer angesten name,
unde di kint gesegenote ob den er sine liente bete,
durh dinen heiligen namen, den ane rufte [min ene] Abraham .
ioh min uater Isaac so er ane sineme gebete lach:
975. daz si muzen walisen mi^saligere slahte,
daz si rehte musen getfin, dir trehtin gedinon.
du geruche in o?th geben daz solch werde ir leben:
swer deme anderen gutes bete daz er ir gehui/efe,
daz enes dinc so wole irge sam Effraym unde Manasse'.
980. Do stalter Effraym für den bruder sin;
do sprah er ze Josebe sineme sune daz er stunte ob ime:
'Ich nemacli niht langer leben, got geruche mit ev wesen
unde geruche evliliinnen widere ze ewerme erbe bringen.
Uernim mir Joseph, mit dinen bruderen teile niht
985. daz ich deme chunege Amorreo genam mit pogen ioh mit wafe-
Danacli pat er alle sine sune daz si chomen zime, [nen’.
daz si uirnamen wi ir lezzesten dinc irgingen.
Do si wurden innen daz sin ende nahen begunde,
daz pette (si umbestunten mit amarigin muten),
990. si sprachen daz si gerne da waren sinen segen uirnamen,
waz in got erteilt hete, ze Aviv er ir ruhte.
Do lach Jacob, dahte uerre ane got
unde pat in uil genote daz er ime irzeigote, bi, 85 c
welicli rat Avurde siner gebürte,
995. ob iht under in wäre des ime gezame,
an deme ouli irginge des er geliize Abrahame,
970. W. uz aller arbeite.
971. W. uz angiste.
973. W. min ano.
975. muszen, der Vers fehlt in W.
970. trhehtin. \und K.
977. in ioh. W. ouch.
978. ir gehukke. W. gutes pitti.
979. W. eines dinch sam.
981. W. da er stunt ob ime.
983. W. widere fehlt.
985. W. mit waffen. [gene.
990. W. daz si fehlt. gerne sine se-
993. W. daz er ime zeigte
994. Aveilch rat.
W. 70, 22.
Geschichte Joseph's in Aegypten.
675
daz non sineme samen noh der chome
der di werlt alle irloste uon der helle.
Do er daz gebet uil inneclichen getet
1000. do hiz er sine sune daz si uirnamen ime;
Uil stille si svicten, zu siner rede dahten.
Er chot, 'min sun Ruhen, uirnim wiz dir sol irgen:
Du bist dev sterche dl miner werclie,
du bist min sun der eriste, du soltest sin der heriste,
1005 du wäre daz er «st sei* min unde diner müter:
wärest du biderbe, so soltest du haben uon erbe
so wirz turistez beten, du soltest dinen bruderen gebiten :
Daz allez du uirworhtest, do du got ne uorhtest
unde minen chebesen über läge an mineme bette gesvase.
1010. du täte deine wazzere gelich daz in deme uaze niht inthabet
daz da uzrinnet sva ez locli uindet, [sich,
also iltest du flizen dine gelüst gebuzen.
Got daz ne welle daz in solcheme ualle
niht diner gebürte mere scuMch werde’.
1015. Symeon unde Leui segenote er da bi,
er chot, si waren ein wichuaz, in in wäre nft unde haz;
Bat daz sin sele nimer in ir rat cliome,
noh er ne wolte, sich bail, ir erone haben teil,
wanda si in ir beizmute erslugen livte güte
1020. unde in ubeleme willen taten eine burch mure veilen,
er chot, ir stritmüt solte sin uirfluchet;
sine gelovpten sieb ir zorne, si waren di uirlornen.
Die under ev werden gut di sin sune min in Jacob,
997. fehlt in W. und K.
998. W. irloste fon helle.
999. W. uile innerchlichen.
1 002. W. Er sprach... müz irgen.
1 007. W. tiuristiz hieten.
1009. W. mine chebis.
1012. W. uz fliezzen dinen.
1014. niht diner so . . sulch. W.
iüweht . . seuldich.
1017. Gat daz. W. Bat. .
1018. W. wolte neliainer, ohne
sich liail . . . ir erene.
1020. mure ualzen. W. uallen.
1023. Eie under. W. Die.
676
J. Diemer
W. 77, 8.
di ubelen ich zesprenge, ellev genade si in enge’.
1025. Er ne segenote si nilit mere, er ne mohte uon sere
daz si mit untriwen rachen ir riwe,
daz Dina ir svester seihe hete irworfen laster,
unde si daz pnzten anders denne si scolten.
'Juda min kint, wole irgent dir dinev dinc:
1030. du wirdest diner crefte trost aller [diner] cliunnescefte, B1.8S 1 .
dine brudere dich lobent so si din reht uirstent,
du gewinnest uiande di genicchet din mahtigev liant,
du irwirfest so groz er.e daz dich al din chunne heizet herre,
uil mariv lant choment in dine liant;
1035. so du div gewinnest, deme lewen du gelicli gebärest
der under tiren nimet al des in gezimet,
den ellev tir furhtent so er under siv chumet;
du siebest unde rovhest [unze du alle] dine uiande getovbest.
Also den lewen ioh di lewinnen niman getar gewechen
1040. so er sich geleget ruwen mit offenen ovgen:
sam ne geturren uiande din nilit dich gegruzen.
So du hist fridelichen in al dinen riehen,
so du list slauew/, din ovgen wahekent:
si uirbernt dich gare, du hist ir aller are.
1043. Yone Juda newirt [niemer] genomen daz kunincliclie sceptrum,
noh fon sinen liuffen ne gebristet chunere herzogen,
unze der geborn wirt der alle di werlt genert, [tet.
des chunfte alle di heiteih di über [alle] di werlt sint gebrei-
1025. W. ohne nilit. . . fore sere.
102G. W. rachin ire riuwen.
1027. dina din svester . . . W. ire
suester hiworuen.
lOSff. wirdest diner crefte ebenso
W.; mit diner K.
1031. W. reht intstent.
1032. W. manigen uiant.
1033. W. so michel ere.
1039. W. Ieun . . iemen getar.
1040. W. sos er liget ruwen.
1041. W. same giturrin uiantedin
iuwelit dich geruzin.
1043. list slauest.W. ne wachent.
1045. kunnineliclie. W. chunich-
liche sceptrum.
1047. W. wirt geborn. . . nerin.
1048. W. beitent . . . ohne alle.
W. 77, 33.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
C77
Der bintet der eselinnen sun an sines wingarten zun,
1050. di muter an di winrebe: daz sint siner minnone gebe
daz er Juden noh beiden ime ne lat inphreiden.
er wil daz iwedere livt werde sin trüt,
nimer er nirwindit e er si mit minnen [zftsamene] gebindet.
In deine wine er wasket, da er mite ist gerüstet,
1055. di sine schone stole, daz ist ein gewate frone,
ioh in des winpers plutc sine lachen er dunebet.
Schönere denne der win sint dev ovgen sin,
siner zande gliz ist wizer denne dev milch wiz’.
Dizze ist ein tifey rede, ich wane si imen irchennen mege.
1060. Cbunde ich daz uirnemen daz ich da über han gelesen,
gerne ich denne sagete welebe bezeiebnunge ez habete.
Judas quit pibtäre unde bezeichenet dich herre:
du dines uater iahe unze du bi in werlte wäre; j
du spräche, in des woldest loben daz er daz chinden bete gegeben
1065. daz er wisen unde Chargen bete uor geborgen: [reimt,)
want der dich einualtliclien meinet (unte sieb der suntene gi-
der bezeichenet daz cliint deine di genade geoffenet sint.
Sverso auer sinen wistum cheret an werltlichen rum
unde allen sinen sin clieret an werltlichen gewin,
1070. noh dich nefurhtet so er ubele wurebet,
der muz der ewigen wunue« in ener werlt mangelen.
Got newil nilit haben uirlorn daz er durch uns wart geborn,
wir sulen in loben daz er uns ze brudern wil haben.
1050. W. daz sint siner.
1051. inyhreiden. W. ni lat in
phreiden.
1053. er sicli.W. irvvintet e er si.
1 056. lanclien er. W. lachin er.
1059. W. ich wanes lernen ir-
rechin megi.
1061. W. welihi pizeichinheit si.
1062. W. dich Christ unser h.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLVII. Ud. II. Hft.
1064. W. daz du imvoltest loben.
1066. want dir dich. W. der dich
einualtechlichen.
1067. W. di gotes gnade.
1 068 u. 69. cheret in. W. vom ersten
cheret bis zum zweiten fehlt
(las dazwischen stehende.
1071. wunne. W. wunnin.
1073. W. zi bruder wil haben.
44
G78
.1. Dieme r
W. 78, 18.
(Ei* hat uberwunten al unser uiante,)
107b. er bat si gedovbet, di helle bat er berovbet.
Do dev gotes wfsheit ane sieb nam di menneskbait,
do was der licbname sin wat shone
unde er mit deme lachen geruhte sine gotheit decben.
Do er di alten e uil uolleclielien begi
1080. daz er daz newolte miden, er ne lize sieb besniden,
unde sich mit oppberewolde reinen, swi er ne bete nebein meile,
unde al (daz tete) daz under Juden was site:
do heter in deme wine gewasken wat sine.
Do er do di tovfe an sieb nam unde manege not begunde liden
108b. unde li sinen lichnamen an deme cruce marteren:
do bet er gedunket sin lachen in daz plüt.
Do er do zvene tage geruwcte in deme grabe,
an deme dritten morgen mailte der tifel sorgen:
er stunt uone deme tode mit übe ioh mit sele,
1090. er für mit lewen cbrefte die belle brechen,
den til'el er gebaut, er warf ime einen pogen in den munt
daz deine selben gule alzane offen stunde daz mule:
so wir fon sunden cliomen in sine stunden
daz der ubele bunt ne möge zuluchen den munt,
109b. daz er durh pilite unde durli puze sincs und auch es uns laze.
Cristes shonev ovgen sint silier lere tovgen,
di den genade geheizent di ir missetat puzent:
di selben ovgen sint sboner denne der win
der[dir]bezeichenet di alten e, div deme sculdigen tet uil we,
1100. wand si mit gelicheme scaden racli sverirtet decbein unge-
Die zerade cliliubent daz man in den munt schvbet, [mach.
1078. W. unter daz laclian.
1080. W. ne wolte firmiden.
1087. do zevne. W.Do er zuene.
1089. W. er irstunt uon.
1091. W. einen hoch.
1092. W. ste offen daz nnile.
1093. in dem sl. W. in sine.
1094. W. daz er ubil bunt.
109b. W. unsich uz lazze.
1096. Criestes.W. Christes ougin.
1099. W. der bezeichenet.
1101. W. Die zeni ebliubint.
BI.8C b .
W. 79, 5.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
679
si sulen besuchen wes der lip ruclie.
der lip es nilit inruret e si ez bewarent,
so siz ubenvindent dev diele ez uirslindet:
1105. same tunt di predigare an ir snozen lere;
si geheizen# deine livte daz si werden gotes träte
tunt si daz gote gerisi, (daz si cliomen zi paradisi),
daz si ovb megen intrinnen daz si ze helle nine prinnen,
daz scol man garnen mit guten wercben.
1H0. Svenne si so gelerent daz si in ze gote bechereilt,
daz er wirt reine ane suntone maile;
so sint si wizzere denne dev milch, damanmitemusetdevkint,
di dannob nemugen ezzen daz uestere ezzen.
(D)isev rede gie ane Judam Jacobes sun gote werden.
111S. Zabulon, uirnim waz ich dir sage: du solt puwen an des meres
da di schef lenten, da ze Sydone solt du irwinden, [stade,
daz da ze dir genade uinden di vz des meres freise intrinnen,
unde sven der tifel iage daz er zu dir fliiht habe
und an deine ende da ze liymele irlente.
1120. ^tin sun Ysachar, ich sage dir in al war:
du bist ein starclier esil, du wirdest uil uesil,
du flizzest dich wishait, t'azzost dich der arbeit,
so du dich des gesattest an der marche du ruwest,
so dunchet dich dev reste aller dinge bezzesto;
1125. so buwest du dir werde di parigen erde,
din ahselen du undersezzest so du under der purde svizzest:
du must dinen zins geben daz du mit genade müzzest leben.
Dan so! gebiten ovb sinen lvten
1103. W. der üb sin nieni rurit.
1104. W. diu cliela.
1106. W. geheizzent.
1107. W. tun si daz gote.
1113. daz ueste ezzen so. W. dei
dannoli ni magan niezzen
daz fest ezzen.
1114. isev rede get ane . . . W.
Disiu rede git elliu.
1117. W. meris freisan.
1122. W- fazzist dich der arbeite.
1119. irlenten. W. er lenti.
1120. W. den ahsilun.
1128. ioh sinen livten. W. ouch.
44*
680
J. Diemer
W. 79, 33.
sam ander din chunne mit luzzeler minne,
1130. wände der din charger sin der ist gelich der nateren
dev uile stille shlichet unze si etewen gebizzet.
du bist ein gehurnter wurm der an deme stige heuet sinen zorn,
der daz ros an den huf stichet; der denne da üfe sizzet,
daz der zerucke ualle nider cliome an dem nelle,
1135. nob uf ne mac chomen e er ime benimet daz leben: Bl. 86°
so ne mac er sich gerechen, so müz er sprechen,
'herre got, nu pitte ich daz du irnerest mich’.
Daz puch uns saget, welche bezeic/munge dize habet: [tecrist,
Devnatere hezeichenet [di] honcliust, der gehurnte wurm den an-
1140. der wecli disen lip, di werMichen note der enge stich,
daz ros ubermüte hizze, lierscaft der dar ufe sizzet,
der gehabte hüf des iungisten entis wüf.
Sver des beginnet daz er dizze leben mipnet,
dem sh/ich et der tifel zu daz erme einen piz getu,
1145. harte er in hekket svenne er in uirleitet.
so er nah ttren strchit unde sine dimüt begibet
unde di lierscaft gewinnet, da er nach prinnet;
so ers denne minniste wanet, der tot ime nahet,
sin uhermut uellet der tot in bechrellet;
1150. so nist silier rede niht mere newar 'nere mich trfit herre’.
Der gehurnte wurm daz ist des anteeliristes zorn,
der geborn wirt uone Dane so sich gesehen han;
der dir ze iungist chümit so dev werlt ende nimet.
des gewalt wirt so groz daz er ne wil haben necheinen genoz,
1129. W. lutzeler wuime.
1131. slliichet. W. slicliit.
1132. gehurnten.W. an dere stige.
1133. W. hüf hecehet.
1135. W. er ime beneme.
1137. W. nu peit ich unze du.
1139. W. der liurnt wurm.
11 40. wercliclien. W. werltlichen.
1144. daz erme, so; W. piz tu.
1146. naher. W.Suennernacherin.
1147. W. da er nach ringit.
1148. ime habet. W. ime nahet.
1149. W. tot im bichrellit.
1150. W. oh. niht... trelitin herre.
1151. W. Der gehurnter.
1152. W. so sich gilesin han.
W. 80, 18.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
681
11 »S. michel wirt sin ubermut: er wil wesen got,
di christenliche gelovbe hat er ze hübe,
sumeliche heizet er uirbiten, sumeliehe heizet er rniten
daz niman geloube über lüt noh tovgen
an cler magede sun Sancte Marien.
1160. So beginnet er zeichenen, er chut, er si gotes sun,
div menige ime geloYhet, mit gewalte er si dovhet.
di ime denne geuolgent got si irpalgent,
di auer an der gelovbe gestent, uile wole der dinc irgent:
di lident bi michele chole, in geniset auer di sele.
116S. Daz welle Christ gotes sun, daz wirz alle muzen tun
daz wir chomen ze genaden; des cliodet alle aMeN.
Danne ist mere gescriben, daz wil ich uberheuen,
der iz paz uüge der mac dannen sagen genüge.
Du min sun Gat, uil wole dir daz svert stat, bi. 86 d .
1170. gegurteter du uihtest, daz livt du beschirmest,
uorne du dich werist, hinter dich du siebest,
wole du behaltest al des du Avaltest’.
Du bezeichenest ovh Crist der unser Umwehter« ist,
der den tifel hat uberAvunden unde in der helle gebunden,
1175. noh scol er chomen, uns ime alzoges benemen:
wände an deme lezzesten tage, Avane er sin dinc wil haben,
so nimet er uns selione ze paradyse frone,
div helle sich induchet, den tifel si uirluchet;
so werde Avir gesherit deiz uile wole uerit.
11SS. wesen gut. W. got.
1157. er heizet uirbiten.
1159. W. miner froAven s. m.
1161. W. mit geduange er si.
1162. W. erbelgent.
1163. W. an dem gel . . . erget.
1167. W. da Avil ich uberh.
1168. iz paz uüge so. W. füget
der mag lesen.
1170. W. gegurtcr . . din liut
1171. dich siebet. [scirmist.
1173. Nu bezeichenest. W. Du . .
furefelitare ist.
1174. W. uberwant . . gebant.
1175. W. unsich ime.
1176. W. iungesten tage so er.
1178. W. intluchet den tiufel
nersuilebet.
ÖS2 J. D i e m e r W. 80, 43.
1180. Min kint Äser, dich uirbirt allez ser,
faizet ist diu pröt, dich ne dvinget nehein not'.
Do er ime gab protes genuch do het er alles dinges vberfluz;
daz er nach deme prote sol gen, daz mcge wir da hi uirsten;
daz er chot, den chunegen ze flizze solte dinen, [prot ist,
1185. [er] hezeichenet ovh [unseren herren] Crist, der hymeliskez
ane daz niman mac genesen der sin schalch wil wesen,
des heiligez wort uns git ewigen trost.
Di mit in selben uehtent daz si sich unrehtes geloubent,
daz sint chunege an der sele edele,
1190. den dinet er ze flize mit gaistlicheme inhize.
Er gesizzet ime werde mit in ze merde,
in micheler gütliche in deme himelriche,
dar di ne cliomen di ze weriworte namen :
der eine chot, bete gechovfet ein dort uil gut,
1195. er muse daz peshowen, der pat sich uirsprechen.
der andere chot, er wäre nülichen gehit unde bete ime ein li-
der hat sich mit hulden auer so insculden. [bez wip:
Do was des dritten weriwort: er bete gechovfet
finf gewetene olisen, er muse di besuchen;
1200. der selbe uirwazzene bat sich auer des merdes irlazen.
Do di poten gesageten, welihe antsegede si habeten,
er ne hiz si niht irwinten, e si brahten alle di si funden.
Si gingen an di strazen da di armen sazen,
daz hüs si irfulten der unseren geliehen,
1205. da ene zu geladet waren: daz gescali uns ze genaden.
Daz was Aseris segen, des ne solte wir niht uberheben.
1181. W. feizt ist din.
1182. W. brötes gnuht.
1185. W. ohne unseren herren.
1 186. W. sin scol wesen.
1190. W. got ze . . . geistlichem.
1193. dar näechomen.
1 I 95. W. pat sich ohne der.
1196. W. Der ander chodmuwens
wäre gehit hat ime.
I 197. der hat sich. W. pat sieh ...
aue der insculdin.
1199. W. finf guet olisin.
1200. W. der selbe firwäzen.
1201. W. welieh antsegi.
Bl.
W. 81, 27.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
683
Kint min Neptalym, weme mac ich dich ebenmazen?
alse der hirz uerit so er uzlazen wirt,
der dir ist uil gezal über perc ioh tal,
1210. der tut hinnen unde ennen manege Sprunge:
sam snclle du uirentest al daz du anc</c«gest,
niht dir intvisket des dich gelüstet,
durch dine rede spähe di tu tust uil wahe
so minnet dich daz livt; du wirst in vil livp
1213. du redest süze unde shone soz ze hone zame.
Min trat Joseph, gote muzzest du sin lib,
du bist daz wahsende leint (des chint) nine svinent.
sver dich ane siliit, mit rekte er gihet
daz in allere gebürte nine slioner man wurte:
1220. daz dev wip bescaiuten do si sich über di buremure laineten
unde si michel uirewizze was daz so shone was din uahs,
wände du wäre aller alzoges ane laster,
do man dich uurte ueile, an dir ne was neliein meile.
di heren iunefrowen ilten dich bcschowen,
1223. ir nehein was so wolgetan: des mohte si wole wunder han;
uzen unde innen wäre du uol gotes minne:
des inkulte du heime do dich hazzoten dine eigene,
din eigene mage hüben dich ane ir gehage,
der nit was üf dich groz, dich gi ane manec scoz:
1230. da gestunt din poge an deine alwaltigen gote,
der zebrah (daz) gebende diner arme ioh diner liende.
1210. W. tut hinnen u. enne m.
Sprunge ohne der.
1211. al das du. W. al daz tu ane
ergest.
1212. W. nicht dir intuisket.
1213. W. tust uile walie.
121G. W. Ein trut sun.
1217. nine svineot. W. des chint
suinent.
1218. er gehit. W. gihit.
1219. daz in aser gehurte. W. in
allere gehurte.
1221. W. michel firwiz was.
1222. W. unde du wäre.
1224. W. dich scowen.
1226. W. gotes minnen.
1229. W. nianig gescoz.
1230. W. an dem starchen g.
BB
B
S
684 J, Diener. W; 82, 11.
Uon deme wirt gebora (der ze liirte ist ircliorn
über) al den livt, der gote sol wesen liup,
der ist ein sehender stein, der bringet zab ende sin uilie beim.
1235. Got genade dir Joseph noh ne uirzibe dir niht,
sin heiliger segen si über al des du sculst phiegen. B1.87 b .
al des an der erde wahsentes unde lebentes werde,
deme ne werre bizze noh frost schur noh sulit:
livte ioh uilie pe rn dir wucheres uile.
1240. Nach dines uater segenen muzest du gernegenen,
unde aller diner uorderen segen muze über dich chomen,
noh ir (nimer) zerinne under dineme cliunne
unze cliome der wille der ewigen puhele,
daz sint di uursten di sit Adames (ziten) wurten:
124b. patriarch^ unde wissagen, di wirze den lieristen scul haben,
wände si in ir gute gingen uur ander(eme) livte;
des sint di gote werden sam di puhele ob der erde,
di des i gerten des si got gewerte,
daz unser (lierre) Crist chome unde si deme tifel bename.
1250. der liovbet sistu Joseph in gute ioh in gerihtecheit
unde aller di got meinen uon nü unze in ewen,
unze an den gotes sun der sol dich stategen;
an deme wirt ovh gesehen welicli si din segen.
Sun min der lezzeste, du ne bist der wirsiste noh der beste,
1255. ich meine dich Benyamin, du noh hast wolfes sin,
den rovp izzest du fru, den rovp teilest du spato.
zerest du der ahtest di du after male tröstest;
1232. Uon deme ebenso W.
1236. al di W. ne si ob. al des.
1239. W. peren wuchere uile.
1241. W. uorderone segen.
1244. W. sit adames ziten.
1246. W. ob andereme.
1247. ab der erde.
1249. W. herre Christ . . tiufale.
1250. W. untin grehtikheit.
1251. unde alle ebenso W.
1253. welich din segen si. W.
wirt ouch sein welih ist
der segen din.
1256. W. du ouch spate.
1257. zerest du dir. W. du dcro
ahtest.
W. 82, 39.
Geschichte Joseph’s in Aegypten.
685
di du nu gerne flusest, so du si gerne nerist’.
Do Jacob sine sune uol segenote do begreif in der tot:
1260. er liiz sich beuelehen zu sinen forderen,
da Abraham lach ioh sin uater Ysaac,
[da] Sara unde Rebecca ioh sin wip Lia [lach.]
Der heilige man da nab den ente genam,
div sele uur ze genaden zu sineme anen Abrahame.
1265. da wart er sare sines uater ebenhere,
des guten Ysaaches wart ebensazze Jacob:
da sizzent si [alle dri] erliche in deine hymelriche.
alle di dare choment, in ir scoze si si nement;
da uirgezzent si schire uil maneger sere
1270. di si manege stunde liten in disme eilende.
Daznesulewirsonihtuirnemen dazsi alle in ire scoze [megen] Bl. 87°.
Abraham quit rawe, Ysaac frovde, [nemen.
Jacob beizet Isra/iel; daz sint zyene namen [uil] her.
Jacob quit underslufare, IsraAel gotbeshoware.
1275. Sver den tifel underslufet so er in besvichet,
daz er mit pibte ioh mit riwe suchet di gotes triwe,
unde er ime sende# in den mut daz er danah wole tut,
unde des nimer rewintet e er den lip uirentet;
der hat mit Abrahame di ewigen genade,
1280. mit Ysaac frovde mit IsraAel gotes beshovde;
der mac denne iehen daz ime wole si geschehen.
Do Joseph gesach daz sin uater uirendet was,
er uil über in mit riweclichen gebaren.
1258. ungerne W. Die du nu g erne
flurist after male du si.
1259. W. So der uile gute iaeob.
1260. beuelielen. W. pcuelhin.
1261. W. sin uater fehlt.
1262. W. sin wip fehlt.
1263. W. da nach enti nam.
1265. ebenherre. W. eben here.
1266. W. des güten ysaac.
1269. W. da ergezzent.
1271. daz si in alle ire. W. daz
si alle in ire.
1274. W. gotes pescoware.
1275. W. tiufal unter sliufet.
1279. \V. die ewigen rawe.
1281. W. der mag wole iehan.
686
J, D i e m c r
W. 83, 23.
er weinote unde wüfte unde chustin uile suze,
1285. er hiz in mit sabene bewinten belegen mit bimenten.
In deine flize waren si alle uirzech tage uolle.
di lant livte durch Josepes übe
beten Jacobes clage uollen sibenzec tage.
Do der chlage zit irginc, do bat di herren Joseph
1290. daz si deine cliunege sageten, wi in sin uater besvorn babete
daz er ime daz täte ze habe daz er in da ze lantc begrübe:
svenne er in da betrorte daz er wider zime cherte.
Der chunic in gewerte also er gegerte.
Alle di herren iob di daltesten wäre«
1295. furen mit Josebe durch sine libe,
sine bruder mit in ir uater beuelben.
Div menege was [uile] grozüch, div pivilde wart erlicli;
6 der piuilde siben tage waren si in micheler clilage.
Do sin begrüben, widere in Egyptum [si] furen.
1300. Sine bruder forliten daz si inkulten
wider in der alten sculde, unde baten silier liulde
daz er durch sines uater willen sinen zorn lieze stillen
vnde in uirgabe di grozen missetate,
der si an ime beten getan do si in uirchovi'ten.
1305. Joseph weinote, er hiz si sin mit guteme gemute,
sine dorften in forhten, er ne wolde niht ubeles an in wurcheii;
[er chot,] daz si durli übel taten daz daz got ze gute braht bete, pj 87 4 .
er cliot, er wolte in helfen iob ir wiben iob ir chinden:
al daz er in geliiz uil war er daz liz.
1310. Do er do alt wart zeware zehen unde zehenzec iare,
1284. W. cliuste inen süzze.
1285. W. heizzin ohne er, . . mit
sabanen.
1287. W. Dielantliutehet'en durch.
1288. W. mieliilc chlage.
1289. W. So der chlage zit irge.
1290. W. sagateil wie in.
1293. W. als er gerte.
1294. W. died ältesten.
1300. W. forhten in daz si im
culten wider in.
1304. W. liaten getan.
1305. W. mit gutem mute.
1307. W. daz got daz ze.
» X
^51 «k. jäSk.
W. 84, 7. Geschichte Joseph’s in Aegypten. 687
unde er do uirstunt daz ime naliote der tot,
do hiz er ime gewinnen sine chunjtelinge.
Do si ime chomen, er bat daz si ime uirnamen;
'after mineme ente bedenke/ got ewer eilende,
1315. er nimet evh hi mit siner erefte,
des nist zvifel nehein; er bringet eyh wider beim
zu deme guten lande daz milche iovh honeges ist flizende:
des swwor got [der gute] Abrahame [unde] Ysaac unde Jacobe.
So ne sult ir min gebeine bi nilit lazen eine,
1320. ir sult iz mit ev fnren, heim mit der erde betroren’.
Do erz uolle redete nilit langer er ne lebete,
man chlagete in sere unde beualch in zire.
des nist zvifel nilit, sin sele si hevte got lib.
1324. daz muze si sin nu unde in ewin. AMEN.
1314. W. Er chod after mineme
ente bedencliit.
1318. W. des swor er gute ab.
1321. niht z langer er ne.
1323. des nist zvifel nechein. W.
des nist zuluilnieht sin sele
ist gote lieb. AMEN deo
gracias.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften,
689
VERZEICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(OCTOBER 1864.)
Academia, R., de Nobles Artes de San Fernando: Los Proverbios.
Coleccion de diez y ocho laminas inventadas y grabadas al
agua fuerte. Por Don Francisco Goya. Madrid, 1864; Folio.
Academy, The American, of Arts and Sciences: Proceedings.
Vol. VI. Sign. 11—22. January—November 1863. 8°.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Bayer., zu München:
Sitzungsberichte. 1864. I. Heft 3. München; 8°. — Geschichte
der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit. I. & II. Bd.
München, 1864; 8°.
— der Wissenschaften, Königl.Preuss., zu Berlin: Monatsberichte.
September, October 1862; März, April, Mai, 1864. Berlin; 8°.
Alpenverein, österr.: Mittheilungen.il. Bd. Wien, 1864; 12°.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. XI. Jahrgang.
Nr. 5 & 7. Nürnberg, 1864; 4».
Ateneo Veneto: Atti. Serie II. Vol. I. Punt. 3“. Venezia, 1864; 8°.
Bern, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1863—64. 4° & 8°.
Boletin bibliogräfico Espanol. Aiio V. N r0 14—19. Madrid.
1864; 8».
Breslau. Universität: Akademische Gelegenheitssehriften aus dem
Jahre 1863—64. 4» & 8».
Gesellschaft, S. H. L., für vaterländische Geschichte: Jahr
bücher für die Landeskunde der Herzogthiimer Schleswig-
Holstein und Lauenburg. Bd. VII. Heft 1. Kiel, 1864; 8°.
C90 Verzeichntes
Gesellschaft, Deutsche morgenländische: Zeitschrift. XVIII. Bd.
3. Heft. Leipzig, 1864; 8°.
— Schlesische, für vaterländische Cultur: Abhandlungen. Philos.-
histor. Abtheilung: 1864, 1. Heft. Breslau; 8°. — 41. Jahres-
Bericht. Breslau, 1864; 8°.
Göttingen, Universität: Akademische Gelegenheifsschriften aus
dem Jahre 1862/63. 4° & 8°.
Hagen, Karl, Die auswärtige Politik der schweizerischen Eid
genossenschaft, vornemlich Berns, in den Jahren 1610—1618.
Bern, 1864; 4°.
Hamelitz. III. Jahrg. N™ 19—38. Odessa, 1864; 4°.
Helsingfors, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften
aus dem Jahre 1863—64. 4° & 8°.
Instituto di corrispondenza archeologica: Annali. Vol. XXXV.
Roma, 1863; 8°. — Bullettino per l'anno 1863. Roma,
1863; 8°. — Documenti inediti. Vol. VI. & VII. Tav. 73—84.
Folio.
Jahr es-Bericht der Oberrealschule in Böhmisch-Leipa für das
Schuljahr 1864. Bühmiseh-Leipa, 1864; 4°.
Jena, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1863/64. 4» & 8».
Lund, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus den
Jahren 1861—1863. 4°, 8° & Folio.
Maatschappij, der Nederlandsche Letterkunde: Handelingen.
1863. Leiden; 8°.
Memoria insignis ordinis S. Stephani Ilung. Regis Apost. secu-
laris. Vindobonae, MDCCCLXIV; Folio.
Miltheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale. IX. Jahrg. Juli—August.
Wien, 1864; 4°.
— aus J. Perthes’ geographischer Anstalt. Jahrg. 1864; Heft
VI—VIII. und Ergänzungsheft N r0 13. Gotha; 4°.
Monumentos arquitectönieos de Espana. Cuaderno 19—22.
Madrid; Folio.
Muschietti, Giov., Deila illustrazione di vetusta lapida Romano-
Coricordiese. Portogruaro, 1864; 8°.
Nau de Champlouis, Carte de l’Afrique sous la domination des
Romains (Avec Notice.) Paris, 1864: Folio & 4°.
der eingegangenen Druckschriften. 691
Notice sur la Societe Odessoise d’histoire et d'antiquite et sur
ses Memoires. Odessa, 1864; 8°.
Pest, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1863—64. 4« & 8».
Reader. N r ° 82, 84—85, 87—94. Vol. IV. London, 1864; Folio.
Report of the Commissioner of Patents for tlie year 1861. Arts
& Manufactures. Vol. I & II. Washington, 1863; 8°. — Intro-
ductory Report for 1863. 8°.
Reports bythe JuriesontheSubjects in the36Classes into whichthe
(International) Exhibition (1862) was divided.London, 1863; 4°.
Ritsehl, Friede., Priscae latinitatis epigraphicae supplementum V.
Bonnae, 1864; 4°.
Schlagint weit, Emil, Bnddhism in Tibet. Atlas. (XX Plates.)
Leipzig, 1863; Folio.
Sembera, Alois Vojtech, Zakladove Dialektologie ceskoslovenske.
(Mit Unterstützung der knis. Akademie der Wissenschaften in
Wien). Ve Vfdni, 1864; 8».
Smithsonian Institution: Smithsonian Contributions to Knowlegde.
Vol. XIII. Washington, 1864; 4°. — Reports 1861 & 1862.
8°. — Miscellaneous Collection. Vol. V. Washington, 1864;
8°. — John Dean, The Gray Substance of the Medulla oblon-
gata and Trapezium (Smiths. Contrib. to Kn.) Washington,
1864; 4°. — John L. Leconte, New Species of North Ame
rican Coleoptera. Part I. (Smiths. Miscell. Coli.) Washington,
1863; 8°. — Idem ibidem, List of the Coleoptera of North
America. Parti. Washington, 1863; 8°.— T. Egleston, Cata-
logue of Minerals. (Ibidem). 1863; 8°. — George Gibbs, A
Dictionary of the Chinook Jargon, or Trade language of Oregon.
(Ibidem). 1863; 8°. — List of foreign Corr espondents of the
Smithsonian Institution. (Ibidem). 1862 ; 8°. — Catalogue of
Publications ofthe Smithsonian Institution. (Ibidem) 1862; 8°.
Societe des Antiquaires de Picardie: Memoires. 11" Serie, Tome
XI. Paris, Amiens, 1863; 8°.
Society, the Asiatic, of Bengal: Journal. 1863, N° s 3 & 4; 1864,
N 09 1. Calcutta; 8». — Bibliotheca Indien. N ros 201—202 &
New Series N 09 42—43. Calcutta, 1863; 8°.
Society, the Royal of Literature of the United Kingdom: Trans
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692 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
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Vol. I, N™ 8. Vol. II, N ns 1, 3 & 4. London, 1861 — 1863; 8«.
— the American Philosopliical: Proceedings. Vol. IX. N ro 70.
Philadelphia, 1860; 8°.
Tübingen, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
den Jahren 1862/63. 4° & 8°.
Upsala, Universität: Akademische Gelegenheitssehriften aus dem
Jahre 1863/64. 4» & 8».
Verein, historischer, von Unterfranken und AschafFenburg: Archiv
XVII. Bd. 1. Hft. Würzburg, 1864; 8°. — Die Sammlungen
des Vereins. I.—III. Abtheilung. Würzburg, 1836,1860,1864; 8°.
— historischer, der fünf Orte Lucern, Uri, Schwyz, Unterwalden
und Zug: Mittheilungen. (Der Geschichtsfreund.) XX. Bd.
Einsiedeln, New-York & Cincinnati, 1864; 8°.
— für Geschichte der Deutschen in Böhmen: Mittheilungen.
I. Jahrg. N™ 1—4. 1862 — 63; II. Jahrg. N” 1 — 6.
1863—64; III. Jahrg. Nr. 1. 1864, Prag; 8°. — Beiträge
zur Geschichte Böhmens. Abtli. I., Bd. I. & II. Prag, 1863
& 1864; 4°.; Abth. II., Bd. I, N ro 1 & 2. Prag, 1863 & 1864;
8».; Abth. III., Bd. I. Prag, 1863; 8°. — 1. & 2. Jahresbericht,
1862/3—1863/4. 4° & 8°. — Statuten des Vereins. 8°.
— historischer, für Niederbayern: Verhandlungen. X. Bd. I. Ilft.,
Landshut, 1864; 8°.
— historischer, für das Grossherzogthum Hessen: Archiv für
Hessische Geschichte und Alterthumskunde. X. Band, 3. Heft.
Darmstadt, 1864; 8°. — Bauer, Hessische Urkunden. III. Bd.
Darmstadt, 1863; 8°.
— historischer, von Oberpfalz und Regensburg: Verhandlungen.
XXII. Bd. (N. F. XIV. Bd.) Regensburg, 1864; 8».
Wickerhauser, Moriz, Zur Transscription türkischer Texte.
(Deutsch - morgenländ. Zeitschrift von Leipzig & Halle,
18. Bd.) 8«.
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