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SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
VIERUNDVIERZIGSTER BAND.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD'S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1863.
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHENCLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
VIERUNDVIERZIGSTER BAND.
Jahrgang 1863. — Heft I bis III.
(Hit 1 dPafel.)
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSORUCKEREI.
IN COMMISSION SEI KARL GBROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1863.
300122
'u?
BiBÜÜTHÖ
I N H A L T.
vom 7. October 1863.
Schenkt, Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca
Sitzung vom 14. October 1863.
Pßzmaier, Die Geschichte des Königslandes Tsu . .
Sitzung vom 21. October 1863.
Rocsler, Die Geten und ihre Nachharn
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften
Sitzung vom 4. November 1863.
Pßzmaier, Keu-tsien, König von Yue, und dessen Haus
Sitzung vom 11. November 1863.
Müller, Friedrich, Die Conjugation des neupersischen Verhums ....
Schröer, Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ungri-
sehen Berglandes mit Sprachproben und Erläuterungen . . .
Sitzung vom 18. November 1863.
Phillips, Der Codex Salisburgensis S. IX. 32. Ein Beitrag zur Geschichte
der vorgratianischen Rechtsquellen. (Mit 1 Tafel.)
Pßzmaier, Die Heerführer Li-khuang und Li-ling
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften
Sitzung vom 2. December 1863.
Müller, Friedrich, Beiträge zur Declination des armenischen Nomens .
— Das Personal-Pronomen in den modernen eranisehen Sprachen .
-
Sitzung vom 9. December 1863.
Pßzmaier, Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s . • •
Sitzung vom 16. December 1863.
Müller, Friedrich, Über die Harari-Sprache im östlichen Afrika . . .
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften • •
Seit
3
68
140
180
107
220
253
437
511
545
551
568
581
601
615
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CI, ASSE.
XLIV. BAND. I. HEFT.
A
JAHRGANG 1863. — OCTOBER.
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3
SITZUNG VOM 7. OCTOBER 1863.
Vor gelegt:
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
Von dem c. M. Dr. Knrl Sehen kl,
k. k. o. ö. Professor an der Universität 7.u Graz.
I.
Die sogenannte Apokolokyntosis ist, wenn auch die kleinste
unter den Schriften des Seneca, doch gewiss ihrem Werthe nach
nicht die letzte. Nicht blos, dass uns in ihr das einzige Beispiel eines
libellus famosus aus dem Alterthume vorliegt, das noch dazu die
anziehende Form der satura Menippea an sich trägt *), sondern es
gewährt auch dieses Werkchen einen ziemlichen Einblick in die
i ) Vergl. Biicheler im Rh. Mus. XIV, S. 419 ff. und Baumstark, Phil. XVIII, S. 344 ff.
Baumstark hat allerdings darin Recht, dass Bücheier in seiner Vergleichung der
Varronischen Satura mit der Seneca’s zu weit geht, besonders wenn er aus dem
ludus des Seneca auf den durchschnittlichen Umfang der Varronischen Satura
schliessen will. Aber andererseits ist es unzweifelhaft richtig, dass Seneca den Varro
als Vorbild benützt hat und dass die Composition, die Behandlung, der Stil eine
bedeutende Ähnlichkeit mit den Resten der Varronischen Dichtung offenbaren. Es
liegt auch hierin ein Beweis für die Abfassung jener Saturen in Prosa mit eingeweb
ten poetischen Stücken, welchen die Bemerkungen Röper’s, Phil. XVIII, S. 443 nicht
zu entkräften vermögen. Grund genug für die sehr bedeutenden Kritiker, die sich
mit der Wiederherstellung dieser Bruchstücke befassen, dabei mit der grössten
Behutsamkeit vorzugehen und ihnen, wo nicht sehr deutliche Spuren vorliegen, die
metrische Form nicht willkürlich aufzudrängen. Dagegen hat Röper a. a. 0. richtig
bemerkt, dass es die altvaterische Form mit ihrer gemiilhlichen Breite war, was
jene Dichtungen trotz ihres unleugbaren poetischen Werthes so bald dem Kreise der
Gebildeten entfremdete. Baumstark hat gewiss Unrecht, wenn er S. 547 aus dieser
Vernachlässigung folgern will, dass Varro in seinen Menippeen sich nicht nur nicht
als genialer, sondern auch nicht einmal als wirklicher Dichter gezeigt habe.
1*
4
Dr. Schenkl
Verhältnisse jenes Zeitalters und ist auch für die Be'urtheilung der
damaligen Stellung des Philosophen und seines Charakters von nicht
geringem Werthe. Bedenkt man noch, dass es dem kleinen Gemälde
durchaus nicht an Wahrheit und Leben fehlt, dass es in allen Ein
zelheiten mit scharfem, treffendem Witze ausgestattet ist, so kann
man wahrlich nicht begreifen, wie man dieser Schrift Witz und
Geschmack absprechen, sie des Seneca unwürdig erklären und
schliesslich sogar an ihrer Echtheit zweifeln konnte i). Freilich eine
vollständige Ehrenrettung des Seneca wird immer eine Unmöglich
keit bleiben; an den Hofmann, der sich geschickt den Verhältnissen
anzupassen wusste, und wenn auch höher stehend als die meisten
seiner Zeitgenossen, dennoch von den Lastern jener tief gesunkenen
Zeit nicht frei geblieben war, darf man nicht den Massstab legen,
der nach den in seinen philosophischen Schriften ausgesprochenen
Grundsätzen erfordert würde.
Doch wir haben hier nicht die Aufgabe darüber zu sprechen,
in wie weit dieses Buch als Kunstwerk einen gewissen Werth hat,
und wie sich sein Inhalt mit Äusserungen in anderen Werken unseres
Philosophen vereinigen lässt. Unser Zweck ist blos, eine sichere
kritische Grundlage für den Text dieses Werkchens herzustellen und
im Anschlüsse an diese Untersuchung einige Beiträge zu seiner
Emendation und Erklärung zu liefern.
Der Text dieser Schrift beruhte nämlich bis zur neuesten Zeit
im Ganzen auf der editio princeps und wurde von den verschiedenen
Herausgebern vielfach in eigenmächtiger Weise behandelt und
umgestaltet. Eine sehr bedeutende Förderung erhielt er durch die
freilich nicht ganz vollständige und genaue Collation des Sangallen-
sis, welche Orelli in der epistola critica ad J. N. Madvigium (vor
der Ausgabe des Orator, Brutus und der Topica des Cicero, Zürch,
1830, p. XLI—XLVII) mitgetheilt hat. Aber diese vortreffliche und
in ihrer Art einzige Quelle fand in der sonst so verdienstvollen Aus
gabe von Fickert nicht die verdiente Würdigung; noch weniger
konnte die gleichzeitig mit dem dritten Bande der Fickert’schen
i) Vergl. Diderot, Essai sur les regnes de Claude et de Neron, Tom. I, p. 52 ff. , II,
p. 188; Ruhkopf opp. Sen. vol IV, p. XXIV sq.; Fr. Lindemann, Eincndd. ad Sen.
ludum (Zittau, 1832), p. 3 sqq.; L. Scliusler, Specimcn lit. continens Sen. Apocol.
(Traiect. ad Ith. 1844), p. 9 sqq.
■a—Mmra
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca. £)
Ausgabe erschienene Reeension von L. Sehusler befriedigen, in
welcher nicht selten die besten Lesearten vernachlässigt und an
ihrer Stelle verfehlte Conjecturen in den Text aufgenommen sind.
Mit richtigerem Tacte und grösserer Consequenz verfuhr der um
Seneca hochverdiente Fr. Haase; er selbst aber fühlte recht wohl,
dass mit seiner Reeension die Sache nicht abgeschlossen sei und
noch eine eingehende Rehandlung des Gegenstandes erfordert werde,
wie dies aus der Bemerkung in der Praefatio zum ersten Bande sei
ner Ausgabe p. VIII erhellt: „Ludum non ausus sum ad solos Codices
vetustissimos Sangallensem et Valentianensem recensere, praesertim
cum de illius scriptura aliquotiens non constet; pertinuit autem dubi-
tatio mea non tarn ad verba singula, quam ad totos locos, qui illis
desunt; qua in re nolui media lila via ingredi, quam Fickertus elegit,
qui cum plurimos ex illis abiieeret, alios tarnen retinuit; scilicet
nondum exploratum est, quae sit eorum origo et sitne omnium eadem,
an habeant nonnulli fontem vetustiorem; quare quoniam tutum non
erat omnes abiieere, satius visum est pariter omnes retiriere uncis
inclusos, quamvis probabile sit, eos nihil aliud esse nisi supplementa
Nodotianis similia, seculo XV confecta, quae in paucis haud inficeta
iudices, sed rnaximam partern frigida et sine idonea causa eonficta“.
Den hier gestellten Forderungen glauben wir nun vollständig ent
sprechen zu können. Wir wollen demnach zuerst über die editio
princeps und die allmähliche Fortbildung der Vulgata sprechen und
dabei den Beweis liefern, dass diese Einschiebsel fast durchaus nur
jener Handschrift angehören, aus welcher die älteste Ausgabe geflos
sen ist; dann wollen wir eine genaue Collation des codex Sangallensis
geben und nachweisen, dass er die älteste und reinste Quelle für den
Text bildet und seine Lesearten daher vor allen anderen in Betracht
gezogen werden müssen.
Wie schon früher bemerkt wurde, beruht die Vulgata auf der
editio Romana (vgl. Ebert, allgem. bibl. Lexikon, S. 760, n. 20879),
die wir, da sie Fickert in seiner Ausgabe nicht benützt hat (vergl.
Praef. vol. IR, p. IX), im Folgenden ausführlich beschreiben wollen.
Sie ist, wie dies aus der Unterschrift der Vorrede erhellt, zu Rom
im Jahre 1513 erschienen, umfasst 24 kleine Quartseiten und führt
den Titel: „Lucii Annaei Senecae in morte Claudii Caesaris ludus
nuper repertus“. Den Herausgeber lernen wir aus der Vorrede ken
nen, welche in Form einer Widmung abgefasst ist, ipit der Aufschrift:
G
Dr. Schenkt
„Alberto Pio Carporum prineipi illustrissimo, Imp. Caesaris Maximi-
liani Augusti legato, C. Syluanus Germanicus salutem“ und der
Unterschrift: „Roniae quarto Nonas Augusti MDXIII“. An diese
Dedication , die jenen Albertus mit ungemessenen Lobsprüchen
erhebt, sonst aber nichts Bemerkenswertlies bietet, schliesst sich
ein eben so unbedeutendes und nichtssagendes Epigramm, in welchem
ein gewisser Mariangelus Accursius den Herausgeber und das neu
aufgefundene Büchlein feiert. Nicht unwichtig aber ist die kurze
Ansprache an den Leser, die p. 24 nach dem Texte folgt: „Quälern
liunc mecum e Germania ludum attuli uisum est aedere atque imper-
tire studiosis, ut nostrum est ingenium prodesse uelle plurimis. Quae
autem mendosa uidebantur paucula pudore nostro non corrigimus,
tum spatium ad excribenda graeea quae desiderabantur linquimus:
ut integrum sit bono cuique meliora et aducere et instaurare“. Dar
aus ergibt sich nämlich, dass die Handschrift, welche Sylvanus
benützte, von ihm in Deutschland aufgefunden wurde, dass sie, wie
auch die folgende Collalion zeigen wird, statt der griechischen
Stellen Lücken im Texte batte, endlich dass sich der Herausgeber
mit einem getreuen Abdrucke derselben begnügte, ohne sich auf eine
Becension des jedenfalls sehr verderbten Textes einzulassen. Wir
geben nun eine genaue Vergleichung dieser editio prineeps mit dem
Texte der Fickert’schen Ausgabe. loser. Lucii Annaei Senecae in
morte Claudii Caesaris ludus. I, 1 caelo. — tertio eidus Octobris,
Asinio Marcello Acilio Auiola Coss. Anno. — inicio. — uel] nec. —
quaesierit. — si uoluero. — 2 exigit. -— 3 Tametsi. — autorem. —
caelo. — 4 posteaquam] ex quo. — caelum. — ascendentem. —
illi tarn. — nuncio. — quid] quod. — affinnauit. — uidisset occi-
sum. — quaecunque. — atfero. — II, 1 hyems. — uisoque] iussoque.
— 2 intelligo, — dies quintus eiusdem octobris. — tibi certam. —
philosophos, — acquiescunt oneri poetae. — At] Jam. — cursu. —
III, 1 de tribus. — eduxit. — femina. — pateris? Nunquam meritum,
ut tarn diu cruciaretur. Annus. — 2 Quid huic inuides. Et respon-
dit: Patere. —• postquam] ex quo. — errant. Horam. — ipsum
natum putauit. Tune ille. Fac. — faciundum. — 3 Cloto. —
mehercle. — adiieere. — Hyspanos: Brytannos, Sauromatas et si
qui ultra glacialem Boream incolunt barbari, togatos uidere. — tune.
— tres. — Badae. — 4 treis. — millia. — IV fufo. — Et] At. —
subtegmine uellera. — assumpsere. — praecioso. — faelicia. —
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
7
implere. — distendunt] descendunt. — Titoni. — uultu. — hipsis]
lassis. — aspicit. — Aspiciet. — Uultus et effuso. — annos donat.
omnes (Lücke). Et ille. — et desiit uiuere. Expirauit. — Ue me.
— Quid autem] Quod an. — concacauit. Nec post boletum opipare
inedicamentis conditum plus cibi sumpsit. V, 1 Quae postea in
terris sunt acta. — excidant memoriae quae publicum gaudiuni
impresserunt. — caelo. — acta sunt. — autorem. — 2 Nunciatur.
— quendam. — assidue. — quaesisse cuius. — illum nescio] ne-
scio. — intelligere. — 3 Juppiter. — totum orbem. — aspectu. —
timuerit] domuerit. — belluis. —- implicatain. — Diligentius autem
intuenti. — 4 ait (Lücke). Ubi baec. Claudius. — hystoriis — ait
(Lücke). Erat. — Homericus (Lücke). — VI, 1 Et imposuerat Her-
culi minimo discrimine fabulam nisi. — ipso tot. — annos uixi. —•
municipem audis. — a Uienna natus est. — coepit. — ego reddo
tibi Lugduni. — ubi L. Licinius multos annos. — 2 Quod diceret. —
intelligebat. — illos esse. — VII, 1 tu et desine. — excutiam, dicito.
Et. — 2 exprime. — sed qua. — dicas] cluas. — occidas. — prae-
fatu. — regna uidi tcrgemini longinqua. — imminens. — alluit. —
3 Nicbilominus. — timet (Lücke). Claudius. — illicque non. —
intelligi. — affuturum. — contulerim. — et diem] diem. — ster-
coris expurgare. — VIII Sed non miror quod impetum in curiarn
fecisti, quoniam uolo, nihil tibi clausi est. —■ uelis (Lücke) non
potest esse (Lücke) stoicus. — preputio. — me Hercules. — cele-
brauit. Saturnalia eius princeps. — Illum deum a Joue qui quan-
tum. — Syllanum generum. — Oro perque sororem. — quam quo
niam omnes. — tantum] enim. — studere] stude. — inquis. — faciat
ego nescio. — caeli.— nunc] hunc. — orant. IX, 1 Tandem. —
Uolo seruetis. — existimauit. — in Cale. Julias. — homo quantum
uia sua fert qui uidet. Is. — 2 non fero. — quam quae. — fama
minimum fecit: et iam pestiferum quemque illum affectare. — non
iure] non in rem. — qui (Lücke) aut ex his quos alif. — 3 Qui. — dedo.
— Sed] et. — noxios autoratos. — in nepote] Uicae potae. — numula-
riolus.— et uendere] uendere.— Ad hoc uelle. — ei] illi.— 4Itaque
in haec uerba censet. — ad diuum. — mortales. — sitque necesse
e R. P. esse. — feruentia reparare. — b deus fiet- — metamorpho-
seos. — adiiciendam. — deinde si. — X, 1 Tum. — disseruit. P. C.
uos. — uerbum me. — negocium. — Sed] et. — compescui. —
ornaui. Et quid. — Messallae disertissimi. — 2 P. C. hic. — canis
8
Dr. Schenk!
frustum abscidit. — de tot actibus iuris dicam. — deplorare] deflere.
— illas] illa. — 3 Nam etiamsi (Lücke) Graece nesciat. — ego
scio (Lücke). Iste. — rettulit. — duas auias suas proneptes. —
alteram fame, alteram ferro. — Syllanum. — Juppiter. — an in tua
certe mala uenit: si hic inter nos futurus est. Die. — quenquam. —
agnosceres. — hoc fieri solet in caelo? non fit. — XI, 1 Juppiter. —
Uulcano, — fregit et in Lemnon caelo deturbauit: non extinxit. Ira-
tus fuit. — nunquid. — Dii. — istud. — nescio quam. — occidisti.
Iste C. Caesarem. — prosequi. — 2 hic generum. — C. Caesar. —
Bassioniam: Assarion. — cupiat. Principes pietate et iustitia dii
fiunt. Scilicet hic pius et iustus, quoniam Dryudarum perfidae gentis
Gallicae immanem relligionem, a qua ciues submoueram, prorsus
exstirpauit: ut Romae nuptiarum sacra essent, quibus ipse cum sibi
Agrippina nuberet, XXX Senatoribus: innumeris Eq. Rom. mactatis:
principium dedit. Hunc nunc. — diis. — uerba dicat. — 3 credet
in eum? denique dum. — deos credet. — Summam rei. — durus.
— 4 consocerum. — Syllanum. — Pompeium Magnum Antoniae ex
Petina: L. Syllanum Octauiae ex Messallina: Socerum. — Messalli-
nam uxorem suam et caeteros. — inueniri] iniri. — exportari caelo,
intra dies XXX exeedere. — terras] tertium. — ad inferos a caelo:
unde. — quenquam. — XII impensa. — plenum] plane. — omnisque
generis sonatorum. — conuentus. — tanquam. — habentes animam.
— tanquam. — tum maxime. — Ingenti enim uoce (Lücke) canta-
batur anapestis. — aedite. — fingite mugitus. — uulnere. — Moedi
—Brytannos. — littora. — Brygantes. — eathenis. — ocius] citius.
— caedet. — cedite. — uos in primis. — XIII, 1 Iniicit. — Tal-
tibius. — nuncius. — eompendiaria uia Narcissus libertus dominus
domini. — balineo. — 2 dii. — praecedito inquit] inquit. — nuncia. —
impulit. — quanuis. — uelut ait Oratius. — bellua. — subperturba-
tur: ut illum uidit canem nigrum. Nam albam canem in deliciis habere
consueuerat: ille autem totus informis est: nec quem uelis. — 3 ct
magna: inquit: uoce Claudius Caesar uenit. Ecce extemplo eum
plausu. — cantantes (Lücke) Hic erat Cos. desig. Junius. — Trallia-
nus. — Heluius] M. Heluius. — Coriotectus: Ualens. — Fusidius.
Eq. Ro. — noster] Mnester. — 4 Nec non Messallinam] Ad Mes-
sallinam. — Conuolarant primum. — liberti Myron: Ampyronas:
Ampaeus: Plieronas: Possides hasta pura insignis, Felix cum Palante
fratre: Harpocras: Polybius: quos omnes Claudius Quaestoriis
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
9
Praetoriisque muneribus ubi impertitus esset. — Ruffi us. — Luscus
— Celerasinus. — 5 exclamat, quomodo. — XIV, 1 ante] ad. —
siceariis. — recipit. —■ aedit. — Eq. Ro. CCCXV atque plures. Cae-
teros CCXXI (Lücke). Exterritus. — undecunque. — 2 P. Petro-
nius] patronus. — uetat illum loqui. Altera. — ait (Lücke). Ingens.
— attoniti. — unquam. — 3 si minus dii laturam fecissent. —
nonnnquam. — Sisiphum. — ullis] ulli. — unquam. — excogitare]
constitui. — instituendum] excogitandum. — irritum. — spes sine
fine effectus. — percusso. — tesseras semper. — XV Jam] Nam. —
qnoties. — Dtcoepere. — assiduo. — Irrita Sisiphio. — Apparuit.
— C. Caesari illum Aeacus donat. Is. — abesset] esset.
Diese editio pririceps ist nun wiederholt in der Ausgabe des
Beatus Rhenanus (Basel, 151S, bei J. Frohen), welches Büchlein
nach dem Titel neben dem ludus L. Annaei Senecae de morte Claudii
Caesaris nuper in Germania repertus cum scholiis B. Rhenani noch
zwei andere Schriften, nämlich Synesius Cyrenensis de laudibus
caluitii, Joanne. Phrea Britanno interprete, c. schol. B. Rh. und
Erasmi Roterodami Moriae Encomium cum commentariis Gerardi
Listrii, trium linguarum periti, enthalten soll. Doch in dem mir vor
liegenden Exemplare (62 Quartseiten) ist das letztgenannte Werkchen
nicht zu finden. Aus der Widmung an Thomas Rappius, Badensis,
liberalium artium professor, ersehen wir, dass Rhenanus bei dieser
Ausgabe nur die Absicht hatte, das kürzlich aufgefundene Büchlein
in aller Eile durch einige Anmerkungen, welche er aus Suetonius und
Tacitus schöpfte, zu erläutern. Bei der Ergänzung der griechischen
Stellen war er, da ihm keine Handschrift zu Gebote stand, auf blosse
Vermuthungen beschränkt; und so kann es uns denn nicht Wunder
nehmen, dass er nur einmal, nämlich IV, 5, wo er das Homerische
„ri? nöSsv el<; ävopcöv“ xrA. herstellte, das Richtige getroffen hat, die
anderen Conjecturen aber sämmtlich verfehlt sind. Die Abweichun
gen vom Texte der editio princeps sind entweder Verbesserungen
von Druckfehlern, wie I, 3 Tarnen si, II, 2 philosophos, IV fuso u.dgl.,
oder Berichtigungen der Orthographie, wie I, 1 saeculi, 3 coelo,
4 quaecumque, III, 3 Clotho, Hispanos, Britunnos u. ä., oder endlich
Conjecturen an solchen Stellen, die Rhenanus als verderbt erachtete,
wie I, 1 *tertium ‘)> 2 *exegit, 4 qui] quod, certa claraque, V, 1
*) Die Stellen, wo Khenaims die richtige Leseart hergestellt hat, sind mit einem
Sternchen bezeichnet.
10
Dr. Schenkt
impressit, VII, 2 ^Exprome, *sede qua, *profatu, VIII Oropenque,
IX, 2 *non refero, pessirnuui] pestiferum, *in rem] iure, X, 3 amitas]
auias, *cognosceres, XI, 3 *durius, 4 *Cyllenius, XII luctus] mugilus,
*eitius] ocius, XIII, 1 reetam, XIV, 3 *dilaturarn (im Coinmentare vor
geschlagen), exeogitari. Daraus ergibt sieh nun, dass manches, was
bisher als handschriftliche Leseart galt, nur auf einer Vermuthung
des Rhenanus beruht. Zwei Monate nach dem eben besprochenen
Buche erschien bei Frohen die erste Ausgabe der Werke des M. und
L. A. Seneca von Desid. Erasmus, welcher p. 608 — 629 jene Recen-
sion des Rhenanus fast ganz unverändert einverleibt ist. Denn ausser
einigen orthographischen Abweichungen, wie IV precioso, XI, 4
Messalina, XIII, 4 Posides, Pallante, finden wir nur zwei Besserun
gen, nämlich VII, 2 genitum statt genitus und XIII, 4 richtig Ruffus
statt Ruffius. Bedeutender sind die Veränderungen, welche der Text
in der zweiten Ausgabe des Erasmus (Basel, Frohen, 1529, p. 649
bis 669) erfahren hat. Denn obwohl Rhenanus auch diese Recension
in aller Eile besorgen musste und daher die Lesearten des Weissen-
hurger Codex und seine Conjecturen meistens nur in den Anmerkun
gen am Schlüsse des Buches mittheilen konnte, so hat er doch eine
Reihe von Stellen theils auf Grundlage jener Handschrift, theils durch
eigene Vermuthungen zu emendiren gesucht. Derlei Veränderungen
in dem Texte der ersten Auflage sind folgende: II, 2 Jam] At. —
III, 2 illum unquam. — Tum ilie. — facieqdum. — 3 treis. — 4 At]
Et. — *descendunt *). — dimitte. — *lassis. — *affuso. — annos
de suo donat. — omnes tv (Lücke) Et. — et eo desiit uiuere
uideri. — ante] autem. — V, 1 fides autem] fides, — 2 quaesisse
se. — 3 totum orbem terrarum. — ait Tig . . . roxfisg; — VI, 1
cepit. — 2 illius. — *regna tergemini petens. — 4 *Augiae pur
gare. — VIII *Sed quoniain uolo. Non mirum, quod impetum in
curiam fecisti; nihil tibi clausi est. —■ s inixovpeiog Seäg. — *oors...
napiyjL. — inquit mures. — IX, 1 *uidet äp.a . . . öniaou). —
2 qui cc. x. iöovaiv. — alit t. äpovpa. — 3 *dedi laruis. Sed. —
*nouos. — Nieepotae. — Hic quaestu. — 4 Claudius diuum. — sitque '
*) Diejenigen Veränderungen, welche Rhenanus ausdrücklich als Lesearten der Weis-
senburger Handschrift bezeichnet, sind durch ein Sternchen angedeutet. Doch
beruhen, wie dies die Vergleichung der anderen Codices zeigt, weit mehrere der
selben auf handschriftlicher Gewähr.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca,
11
o. R. P. — *feruentia rapa (uorare) — metamorplioseis. — X, 2
Messallae Coruini. —hie, P. C. — * quam caneis excidit. — ille. —
3 Nam rrjg dpyrig aegre senescit ri vöct og, nvpyon oliv urig iste, quem.
— XI, 1 *fregit quem jiiij/s . . . Ssansaioio. Et iratus. — 2 Assa-
rionem. — 3 ciedet? denique (om. *in eum). —- deos esse credef.
— 4 inferos a coelo. — XII aeueatorum. — enim inuraaet yopinüg
neuia cantabatur. — Brigantas. — XIII, 3 canentium turba Nestor. —
4 Nec non ad Messaiinam. -— exclamat (Lücke). Quomodo uos huc.
— Caeteros CCXXI oaa.. .. zi. — XIV, 2 poenae disputatum est. —
3 ulli. — perluso. -—- semper lesseras. — XV Nam. Nach diesen
Collationen kann man ohne Schwierigkeit die Entwicklung der Vul
gata verfolgen und die Überlieferung von eigenmächtigen Besserun
gen unterscheiden.
So viel nun über die ältesten Ausgaben; wir gehen sofort zur
Besprechung der Handschriften über. Dieselben stammen sämmtlich
aus einem Codex, der sich, von den übrigen Werken des Seneca
gelrennt, in einer Miscellanhandschrift erhalten hatte. In derselben
fand sich zwischen dem siebenten und achten Capitel eine bedeu
tende Lücke; sonst aber war der Text ziemlich rein und unverfälscht
überliefert. Ein getreues Abbdd dieses Stammcodex liefert der San-
gallensis aus dem zehnten Jahrhunderte; in allen anderen Hand
schriften aber ist der Text durch Fehler aller Art, willkürliche
Correcturen, eigenmächtige Umstellungen und mannigfache Inter
polationen entstellt; auch sind die griechischen Wörter sehr ver
derbt oder sogar ganz weggelassen. Freilich sind von diesen Codices
nur wenige näher bekannt, wie der Valentianensis (vgl. Fickert,
praef. vol. III, p. VIII) 1 ), der Guelferbytanus (ibid. p. IX), der
Wissenburgensis des B. Rhenanus und die Handschrift, aus welcher
die editio Roiriana geflossen ist; aus anderen sind nur einzelne und
i) Der Val. ist, wie seine Aufschrift (vergl. Fickert, p. VIII) und die Vergleichung der
beiderseitigen Varianten zeigt, derselbe Codex, welchen Hadr. Junius öfters unter
dem Namen über St. Amandi citirt. Dabei ist es nicht uninteressant zu sehen, wie
die Gelehrten jener Zeit ihre Handschriften benützten. Denn abgesehen davon, dass
Junius eine gute Anzahl trefflicher Lesearten dieses Codex nicht anführt, finden wir
in seinem Commentare mehrere Varianten verzeichnet, die nicht in dieser Hand
schrift Vorkommen, sondern blos Conjecturen sind, z. B. I, 2 iurato res; VII, 2 sede
qua; IX, 7 In tantum, 2 vivat; X, 3 soll in diesem Manuscripte „sntis evidenter“
geschrieben sein: „Nam etiamsi popfiiyyog nescit, ego scio, evruveov rö KaXXt-
vixe 'HpaxXv?» u. dgl.
12
Dr. Schenk!
zum Theile sehr unsichere Lesearten mitgetheilt, wie aus den eilf
Codices Parisini (vgl. Ruhkopf, Vol. IV, praef.-p. XVII), bei denen
Ruhkopf die flüchtigen Excerpte Bredow’s in ganz ungehöriger
Weise vermengt haben muss, die sechs libri des N. Faber, der cod.
Tristilus des Dalechampius, die codd. Curionis *). Ruhkii, Lipsii und
der Harlemensis des Gronovius, wobei wohl manche Handschrift
doppelt gezählt sein mag 3 ). Einige sind bisher nur dem Äussern
nach bekannt, wie ein Venetus und vier Vaticani (vgl. Ruhkopf,
р. XX). Alle diese Manuscripte gehören, mit Ausnahme des Valen-
tianensis, der angeblich im neunten Jahrhunderte geschrieben sein
soll, einer späteren Zeit, nämlich dem 13.—IS. Jahrhunderte an.
Dass sie gegenüber dem Sangallensis eine Familie bilden, möge aus
folgendem Beispiel erhellen. Cap. III, 1 überliefert der Sang, richtig:
„Quid huic et reip. (rei publicae) inuides? Im Val. ist jenes reip.
durch ein Missverständniss in respondit verderbt (vgl. Orelli, Epist.
crit. p. 44), was dann in allen anderen Handschriften die Umstellung:
„Quid huic inuides? Et respondit" und dann die Interpolation: „Tune
(Tum) ille“ in den codd. Parr. ccabgh und der ed. Rom. nach sich
gezogen hat. Doch steht in dieser zweiten Classe der Val. wieder
für sich allein da und bildet eine eigene Species; so bat er z. B.
с. VI, 1 mit Sang, die zwar verderbte, aber noch nicht weiter ver
fälschte Leseart minime fabro gemein, während in allen anderen
Handschriften minime in miniino verwandelt und dann neben dem
Einschiebsel discrimine noch Correcturen aller Art, wie fabros,
febres, fabulam in den Text gesetzt worden sind.
Aber wenn auch der Val. dem Sang, am nächsten steht, so
bleibt er doch an Reinheit des Textes weit hinter demselben zurück.
Zwar hat auch dieser seine Fehler, wie II, 3 suam, III, 1 Num,
IV stamine, V, 1 illuminari, respondisse se, VI, 2 debes multa
(om. „et“) u. dgl,, wo Val. überall das Richtige bietet; VII, 1
Was die Lesearten dieser Handschrift anbetrifft, so bemerkt Fickert (p. IX) nicht mit
Unrecht „si fides haberi potest Curioni“. Denn dass der Codex IX, 1 In tantum (eine
Conjectur des Junius); X, 3 duas Julias amitas suas (duas auias suas ed. Rom., duas
amitas suas ci. Rhen.) u. dgl. wirklich in seinem Texte hatte, ist schwer zu glauben.
Eben so unwahrscheinlich klingt es, wenn Dalechamp VI, 3 domuerit, Lipsius IV
fecit et plena orditur manu, IX, 1 mera nupcialia in einer Handschrift gefunden
haben will.
s ) So ist z. B. der eine Codex des N. Faber wahrscheinlich kein anderer, als der Par. ß,
da beide III, 1 die gleiche Leseart bieten: „nec unquam tarn .cruciatus esset“.
Beitrüge zur Kritik des L. Annaeus Seneea.
13
(Exprome) hat Gnelf. die echte Leseart erhalten, während Sang,
und Val. „Exprime“ überliefern; ja auch die ed. Rom. hat an
manchen Stellen das Ursprüngliche bewahrt, wie z. B. I, 3 agantur,
XIV, 3 ueteranis, wo im Sang, aguntur und ueteribus gelesen wird.
Aber mit Ausnahme solcher im Ganzen wenig bedeutender Fehler
gibt der Sang, den reinsten Text, die richtigste Wortstellung und
überliefert auch die griechischen Stellen in ziemlicher Correctheit.
Wir gehen nun im Folgenden eine genaue Collation dieser wichti
gen Handschrift mit der Fickert'schen Ausgabe, woraus sich ergeben
wird, dass Orelli gar Manches übersehen und Einiges unrichtig als
Leseart des Codex angeführt hat. Derselbe, n. 569, im zehnten Jahr
hundert auf Pergament in Quartform geschrieben, ist eine Miscellan-
handschrift. Er enthält nämlich 1. eine uita S. Ambrosii; 2. Uita
S. Siluestri Papae; 3. Passio S. Miniatis martyris; 4. Passio
S. Alexandri Papae; 5. Uita S. Nicolai Myrae; 6. Passio ß. Uictoris
etUrsi; 7. Homelia in festo eorundem; 8. altera passio eorundem;
9. p. 243—231 unsere Apokolokyntosis, die mit ihrem unheiligen
Inhalte wenig in solche Gesellschaft passt; endlich einige Gebets
formeln und Recepte. Was die Schreibweise anbetrifft, so finden
sich nur wenige und zwar die ganz gewöhnlichen Compendien;
ae ist bald ausdrücklich geschrieben, bald durch e oder blosses e
bezeichnet; die Assimilation der Präpositionen ist überall beobachtet,
z. B. affirmauit, assidue, imminens, compendiaria u. dgl. Nicht selten
ist die Verwechslung von v und b, z. B. iuuet statt iubet, oder von
d und t, z. B. inquid statt inquit. An einzelnen Stellen trifft man
Correeturen über den Zeilen, die aber sämmtlich von derselben Hand
herrühren.
Inscr. Diui Claudii incipit AIIO0HOCIC Annei Senece per sali -
ram. I, 1 caelo. — octobris. — saeculi. — nec offense. — 3 que-
rite. — caelum. — celo aguntur. — 4 celum. — affirmauit. — quae
tum audiui. — certa. — II, 1 suam. — cinthia. — hiemps. —
bacho. — 2 octuber. — octo-tr. — celam (corr. certam). — filosso-
fos. — poete. — conuenti. — phebus. — UI, 1 cepit. — eximium
(corr. exitum). — Num. — seducit. — unquam („nec“ supra lin.).
— diu] dirus. — esset] cesset. — rei p. — 3 inquid. — grecos. •—
bade. — 4 inquid. — tres. — circumfuso. — IV stamine. ■—■ comes.
— subtemine (corr. -na). — moderata (corr. moderanda).— Assum-
psere. — implere. — letus. — cytharam. — Saecula prestabit. —
14
Di*. Schenkt
aspicit. — Aspiciet. — fecid (corr. fecil). — XAiPONTAYCEYOHMOl
(corr. T) NTAICEKIIEINACwEtü. — expirauit. — ue me. — conca-
uaui. — concauauit. — V, 1 que. — que. — quendam. — illumi-
nari. — assidue. — quesisse. — respondisse se. — grecum. —
note. — 3 iuppiler. — qui totum. — aspect». — timuerit. — irripli-
citam (corr. -catam). — 4 greculo. — TtCnOBHNElCANA (P sopra
lin.) wNnOIHnOAICHAETOKHEC. — filologos. — IAIO0EN. — KIONECCI.
— Er«] iythv. — VI, 1 fabro] uafro. — tum illo. — caeteros. —
luguduni. — coepit. — luguduni. — 2 Iugudunenses. — debes
multa. — iuuebat. — manu] unum. — VII, 2 Exprime. — sed
qua. •—- capud. — potens] petens. — imminens. — foebus. —
AAwPOYIlAHriN. — rome sibi parem. — non haberes eodem gratie.
sterquilino. — hercule. — si qui. — notoreim. — nominaturis
(corr. -rus). ■—• contulerim.— quod] quos.— uideris (corr. -earis).
— äuge. — VIII Nach uolo kein Zeichen einer Lücke. — clausi. —
EniKOYPIIOC. — EXIE] Zyzi. — capud. — mense in toto. — cele-
brauit saturnalia eius princeps. — non tulisset illum deum abiouem
qui qoantum quidem in illos fuit. — incesti siluarmm. — per quid.
— quero. — Rornae, inquis. — caeli. — brittania. — nunc] hunc.
— MOPOYEYElAATOYrYXHiN. — IX, 1 morentibus. — existimauit. —
designatur. — kl.] Kal. — consul] Cos. — quantum uia sua fort qui.—
riPOCCO. — 2 uulgo. — iam famam mimum. — APOYPHCKAPnAOYCIN.
— au v ] aut („v“ in ras.). — 3 senatus consultmn. — nice pote
filius. — nummariolis (corr. -lus). — questu. — uelle. — 4 mor-
tales sapientiam.— e rep. — ueruenti (corr. feruenti).—-uti diuus.—
nt iam te eum. — moetamorfosis. — ouidi. — adiebat. — X, 1
grauorem (corr. grauiorem). — 2 indignatione. — om. „a me“. —
sententiam: Pudet imperii. — hec referam. — sormea graece. —
ENTYCONTONYKXNAIHC. — om. „senescit“. — pronepotes. — iup-
piter. — si aecuos futurus es die. ■— antequem (corr. -quam). —
caelo. — XI, 1 iuppiter. — 0ECTOTO] Ssaneoioio. — dii.'— 2 c.
crassi filium uefuit. — tristionias. — om. „Cogitate— cupiat“. —
3 gressi. — nulla (corr. nulli). — clarius] durius. — 4 grassum. —
dare. — caelo inter. —- ad inferos a coelo. unde negant. — XII, 1
tubicinum. — senatorum] aeneatorum. — conuentus. — tanquam.
— et tenebris. — reuiuescerent.— MErAAwXOPlK« nenia.— anape-
stis. — Die nun folgenden Verse sind als monometri anapaestici
geschrieben. — om. „fingite luctus“. — illicitato. — celeris. —
Beitrüge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
15
uulnere. — fugieis (corr. fugacis). — Brittannos. — qui non alius.
— Potuit („t“ in ras.). — Saepe neutra. — Cretea. — maiestis. —
fritillo. — XIII, 1 talthibius. — compendiaria. — balineo. — 2 om.
„Ille — inpulit“. — oratius. — om. „sese — exoutiens“. — pusillum
perturbatnr sub albam. — eiphkAMENCTNXAIPwMEN. — Hic erat c.
consilius eonsul. — uiniu („s“ s. 1.) praetorius. — sex. trallus. —
tettius (tectius?) ualens. — fabius eques R. — miron, arporas,
ampheus. — plieronaotus. — nec ubi imparatus. —• rofius (corr.
rufius) pomfilius. — saturninus lusius. •— Quomodo huc uenistis
uos? — stellas. — XIV, 1 eaeii. — querebat. — suscriptionem. —
R. CI.] R. CC. — om. „exterritus — defenderet“. — 2 eacus. — et
illlim] illum. — AlKETTAICTAEPEHACAIKHETOIATENOnO. — atto-
niti. — rnagis iniquum. — poene. — 3 si uni diu laturam. — suc-
curretur (corr. succurreretur). — om. „non unquam—releuari“. -—
ueteribus. — irritum. — spes] species. — om. „fine et“. — figien-
tes. — XV missurus fratre sonanle. — sisylio. — apperuit. — pro-
ducere. — eaco donatis Menandro. Subscr. Diui Claudii explicit
apotheosis Annei Senecae per saturam.
Es wird nun unsere Aufgabe sein zu zeigen, welcher Gewinn
für die Herstellung des Textes aus dieser Collation zu ziehen ist,
wobei wir uns aus den schon früher bezeichneten Gründen an die
Ausgabe von F. Haase anschliessen wollen. Zugleich werden wir
einige Stellen, die in allen Handschriften verderbt überliefert sind,
zu emendiren suchen.
Schon bei dem Titel der Schrift begegnen uns Schwierigkei
ten. Mit Ausnahme des Sang, führen nämlich alle anderen Codices
die Aufschrift: „L. Annaei Senecae ludus de morte (oder in mortem)
Claudii“ mit dem Beisatze Caesaris oder Neroriis, welche aber dem
Inhalte des Buches in keiner Weise entspricht. Denn die wenigen
Worte über den Tod des Claudius bilden nur eine Einleitung zu dem
eigentlichen Inhalte des Werkchens, nämlich zur Schilderung dessen,
was bei der Ankunft des Claudius im Himmel erfolgte (vgl. Schusler,
prooern. p. 8 sqq.). Viel passender ist der Titel, welchen der Sang,
in seiner inseriptio und subscriptio bietet, nämlich „Diui Claudii
apotheosis“, und derselbe müsste auch unbedenklich angenommen
werden, wenn uns nicht bei Dio Cassius 1. LX, e. 3b eine dritte
Aufschrift überliefert wäre. Sovi.S'vjxs. so heisst es dort, fuv yap
xca 6 Xsvsaaj aüyyä7roxoXox’jvrw<J!v «otö utonep nvoc
16
Di*. Schenk!
amxSaväTtoiv 6voy.<xaag. Was nun dieses Wort anbetrifft, so kann es,
wie die Analogie und schon das daneben stehende dTca^avaziaig
zeigt, nur die Verwandlung in einen „Kürbis“ bezeichnen, und zwar
muss hier xoloxvvzr) (xoAöxuvto?), wie dies schon Heinsius richtig
bemerkt hat, offenbar als Sinnbild der Dummheit gebraucht sein.
Während nämlich sonst bei Vergötterungen dem Volksglauben
zufolge die Seele des Verstorbenen in einen hellglänzenden Stern
überging, wie man denn das Erscheinen eines Kometen bei der Con-
secration Cäsars in solcher Weise deutete t), so würde hier spott
weise einer so herrlichen Erscheinung die Verwandlung der Seele
des blöden Claudius in einen faden, geschmacklosen Kürbis gegen
übergestellt. An einen Irrthum von Seiten des Dio ist schwerlich
zu denken; aber eben so unwahrscheinlich ist es auch, dass jene
Aufschrift im Sang, auf einer willkürlichen Erfindung beruht. Unter
solchen Verhältnissen darf man wohl die Vermuthung wagen, dass
die Schrift einen doppelten Titel, nämlich einen lateinischen „Diui
Claudi apotheosis“ und einen griechischen „’A7roxoXoxövr&d<7i?“ führte,
welcher durch seinen Contrast mit dem ersteren eine komische Wir
kung hervorbringen sollte. Dann wäre es auch begreiflich, dass sich
in der Stammhandschrift blos der lateinische, bei Dio blos der
griechische Titel erhalten hätte a ). Nach dieser kurzen Erörterung
gehen wir nun zu den einzelnen Stellen über.
I, 3 bietet der Sang. „Ab hoc ego quae tum audiui“, und so
wird wohl auch im Val. stehen, obwohl Ölxler hierüber nichts
bemerkt hat, da Guelf. „Ab ego quem tu audiui“, Wiss. „Ab hoc
ergo quae tum audiui“ überliefern. Dafür hat man nun bisher die
Leseart der ed. Rom. „quaecumque audiui“, welche eine blosse Cor-
rectur zu sein scheint, im Texte beibehalten. Aber jenes „quae tum
audiui“ wird sich wohl mit Rücksicht auf die Worte: „Hunc si inter-
rogaueris, soli narrabit“ ganz gut rechtfertigen lassen: „Was ich
damals, als er mir allein die Sache erzählte, von ihm erfuhr“.
II, 1 wäre mit Fickert die Leseart des Sang. Val. Guelf. cod.
Cur. „iussoque“ statt „uisoque“, was Ilaase aufgenommen hat, in den
*) Vergl. Ovid. Met. XV, 846 (mit der Anmerkung Burmann's) ; Vorg. Eei. IX, 47;
Georg. I, 32; Hoi*. Od. I, 12, 47; Luc. I, 46. Auf diesen Volksglauben spielt aueh
unser Schriftsteller deutlich an IX, 5 „eamque rem ad metamorphosis Ouidi adicien-
dam“.
2 ) Vergl. ßücheler im Rh. Mus. XIV, S. 420.
m
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Senecai 17
Text zu setzen. Denn einmal ist an iussoque, das mit Beziehung auf
regnum im Vorhergehenden gewählt zu sein scheint, nichts auszu
setzen; sodann beruht uisoque blos auf der Gewähr der ed. Rom.
und vielleicht eines oder des anderen Pariser Codex *); endlich ist
wohl eher daran zu denken, dass iussoque in uisoque, als dass uiso
que in iussoque verwandelt wurde.
IV, 4 schreibt Haase: „Nimis rustice adquiescis. nunc [adeo]
omnes poetae u. s. w., was freilich eher eine Interpolation, als eine
Emendation sein dürfte. Viel einfacher ist es wohl, mitRuhkopf nach
rustice ein Ausrufungszeichen zu setzen, dabei aber die Leseart der
besten Handschriften „omnes“ statt der Correctur der ed. Rom.
„oneri“ festzuhalten. Dann steht acquiescunt nachdrücklich dem
transibis im Folgenden gegenüber.
III, 1 lesen wir in allen Handschriften, mit Ausnahme der ed.
Rom., in welcher die überlieferte Leseart willkürlich emendirt ist:
„nec unquam tarn diu cruciatus esset“. Die Conjectur Orelli’s (Epist.
crit. p. 44), die auch Fickert und Schusler in den Text gesetzt
haben „nec unquam tarn dirus cruciatus cesset“, entspricht wohl dem
Sinne, weicht aber doch zu viel von dem überlieferten Texte ab.
Leichter ist die Vermuthung Haase’s „nec — exiet“; dagegen bleibt
es fraglich, ob man sich exire so ohne alle nähere Bestimmung
gebraucht denken kann. Daher möchte ich eher dem Vorschläge des
Junius : „nec unquam tan dem cruciatus c esset“ beipflichten, der
dem Sinne wie den Zeichen der Überlieferung in gleicher Weise
entspricht. Im Sang, ist nec über der Zeile geschrieben; wollte man
darauf ein Gewicht legen, so könnte man sich vielleicht: „nemo u.
t. diu cruciatus est“ als die ursprüngliche Leseart denken; doch ist
dies kaum wahrscheinlich.
V, 3 wird man mit Sang, „qui totum“ statt des gewöhnlichen
„quia totum“ herstellen müssen. Dieselbe Vermuthung hatte schon
Q. Sep. Flor. Christianus (vgl. Sen. opp. Paris. 1627, p. 959) aus
gesprochen. Eben daselbst sind die Worte: „ut qui etiam non omnia
monstra timuerit“ unzweifelhaft verderbt. Die Handschriften bieten
sämmtlich die gleiche Leseart, mit Ausnahme des cod. Dalechamp.,
') Denn dass alle codd. Parr., wie Ruhkopf angibt, „uisoque“ bieten sollen, ist schwer
zu glauben, und daher hat auch Fickert diese Angabe mit einem Fragezeichen
begleitet.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. I. Hfl,
2
18
Dr. Schenk!
der angeblich domuerit im Texte hat. Dies haben nun Douza, Faber
undLipsius aufgenommen und neuerdings auch Lindemann, Emendd.
p. 8 gebilligt. Fickert empfiehlt: „ut qui tantum n. o. monstra
domuerit“, Gronov mit ziemlich weit gehender Änderung: „utcumque
etiam Junonia monstra domuerit“. Aber nach dem vorausgehenden
perturbatus est erwarten wir eher einen begründenden als einen
coneessiven Satz; der Gott, der sich auf Erden genug geplagt hat
und nun im Himmel der Ruhe gemessen will, erschrickt bei dem
Gedanken, dass ihm auch hier noch neue Mühen drohen sollen. Hie-
für spricht auch der folgende Satz und besonders der Schluss des
selben: „putauit sibi tertium deeimum laborem uenisse“. Aus dem
selben Grunde muss ich mich auch gegen Haase’s Vorschlag: „ut
quem iam non omnia monstra timuerint“ erklären, zudem würde
derselbe auch sonst dem Sinne wenig entsprechen. Viel passender
ist die Vermuthung von Orelli: „ut qui etiam noua Junonia (oder
Junonis) monstra timuerit“, die dem Sinne nach vollkommen befrie
digt, sich aber zu sehr von dem Buchstaben der Überlieferung ent
fernt. Daher dürfte es gerathener sein, mit leichter Änderung zu
schreiben: „ut qui etiam nouicia monstra timuerit“. Da nämlich
omnia in den Handschriften häufig abgekürzt „bla“ geschrieben und
ausserdem nouus und nonus öfters verwechselt wird, wie denn auch
in unserer Schrift I, 1 cod. Wiss. nono statt nouo bietet, so kann
man wohl annehmen, dass nouicia durch ein Versehen in nonoia
verderbt wurde.
VI, 1 ist hoinini, das auch im Sang, fehlt und seinen Ursprung
blos einer Conjectur dos Junius verdankt, aus dem Texte zu entfer
nen. Eben daselbst wird die Form Luguduni besonders durch die
Rede des Claudius gerechtfertigt, wo sich nach Alph. de Boissieu
(vgl. Tac. opp. ed. Orelli, ed. II, vol. I, p. 341 ff.) col. 2, lin. 29
Luguduno geschrieben findet. Einige Worte später hat Ilaase die
Conjectur des Rhenanus „Munatii“ in den Text aufgenommen, was
ich nicht zu billigen vermag. Denn mir scheint es vielmehr glaub
lich, dass Seneca hier einen damals lebenden Menschen, vielleicht
von der Sorte des Augurinus (III, 4) bezeichnen wollte und dass
„municeps“ hier in der Bedeutung von: „Landsmann“ zu nehmen
ist. Dass wir nicht weiterhin bestimmen können, wer dieser Mar-
cius gewesen, darf uns nicht befremden, da wir ja auch über den
früher erwähnten Augurinus nichts Näheres anzugeben wissen.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
19
Endlich mag noch bemerkt werden, dass in demselben Paragraphe
wohl Licinus statt Licinius zu schreiben ist, worüber nach der Erör
terung bei Madvig Opusc. acad. alt. p. 202 IT. kein Zweifel obwalten
dürfte •).
VJ, 2 berichtet Orelli (Epist. crit. p. 45) fälschlich, dass cod.
Sang, „et“ vor „ad hoc“ auslasse. Da nun in den Worten „ad hoc
unum salis firmae“ nur eine nähere Bestimmung des vorausgehenden
„solutae“ enthalten ist, so bietet die Verbindung durch „et“ keinen
Anstoss dar.
VII, 3 darf die handschriftliche Leseart AAwPOT kein Bedenken
erregen; denn VIII, 3 ist eben so im cod. Cur. piwpoö in AAwPOT
verderbt. Weiterhin gibt Fickert in seinem Commentare fälschlich
an, dass Sang, mit Val. Gueif. die Wortstellung sibi Romae parem
überliefern, da Orelli in seiner Collation richtig: „Romae sibi parem“
verzeichnet. Und dies wird ohne Bedenken aufzunehmen sein, da
die nachdrückliche Steilung von Romae ganz passend jener von illic
im Folgenden entspricht. Endlich ist noch die Variante sterquilino
im Sang, sehr beachtungswerth; auch Phaedr. III, 12, 1 findet sich
diese Nebenform sterquilinum.
VII, 5 hat man die sinnlose Überlieferung der Handschriften
„contulerim“ nach einer Vermuthung des Got’nofredus in „pertule-
rim“ umgeändert, was freilich sehr zweifelhaft ist. Da nämlich con
häufig abgekürzt c geschrieben wurde, so ist es nicht selten durch
ein Missverständnis Verben vorgesetzt worden, und es könnte somit
wohl tulerim die ursprüngliche Leseart sein. Im Folgenden könnte
vielleicht doch die Leseart von Sang. Val. Gueif. „quod“ statt der
in der ed. Rom. überlieferten „quos“ beibehalten werden; quod
würde sich dann natürlich auf den ganzen vorhergehenden Satz
beziehen. — Zwischen diesem Capitel und dem folgenden muss, wie
schon früher bemerkt wurde, ein bedeutendes Stück ausgefallen sein.
Der einfache Hercules lässt sich von Claudius bereden, und zwar um
so mehr, als er sich selbst einmal in einer ähnlichen Lage befunden
hat, und es daher für ihn nur erwünscht sein kann, seine Stellung im
Olymp durch andere neu aufgenommene Götter zu kräftigen (vgl.
IX, 6 qui uideret ferrum suum in igne esse, und später: mea res
agitur). Mit raschem Entschlüsse dringt er in Begleitung seines
*) Auch Suet. Aug. 67 hat Roth nach der Vermuthung - des Torrentius „Licinus“ statt
des überlieferten „Licinius“ herg-estellt.
20
Dr. Schenk
Schützlings in die Curie ein; hier aber treten ihm, wie es scheint,
mehrere Götter entgegen, die sein Vorgehen missbilligen und ihn
mit herben Worten angreifen, bis endlich Jupiter dazwischen tritt
und Frieden stiftet. Die erhaltenen Reste dieser Scene scheinen, wie
aus der folgenden Darstellung erhellen dürfte, blos die Rede eines
Gottes zu enthalten. Wer aber der Sprecher ist, das lässt sich
durchaus nicht enträthseln. Man hat an Momus gedacht; aber da
Seneca sonst lauter italische Gottheiten auftreten lässt, so ist diese
Vermuthung sehr unwahrscheinlich.
VIII, 1 wird doch das „clausi“ des Sang, dem „clusi“ im Val.
und Guelf. vorzuziehen sein. Im Folgenden haben Fickert und Haase
nach dem Vorgänge Gronov’s die handschriftliche Leseart beibehal
ten, wornach die Worte: eure avrö? xrA. ohne alle Verbindung an
das Vorhergehende angeschlossen werden. Aber dies gibt jedenfalls
einen schiefen Sinn, da man als Subject von fysi dem Zusammen
hänge nach eher Claudius als ’Ettix. äs6<; ergänzen wird. Desshalb
hat Fromond „o'g ourt“ vorgeschlagen, was ich nicht billigen kann,
da mir die Verknüpfung des Satzes durch ein griechisches Wort
bedenklich erscheint. Eher liesse sich daran denken, dass die
ursprüngliche Leseart „is enim oörs xrA.“ lautete; is enim (iseiii
geschrieben) konnte leicht nach dem vorausgehenden esse ausfallen.
Warum ferner Haase ti statt des überlieferten tyei (denn etwas
Anderes ist auch in der Corruptel des Sang. EXIE nicht enthalten)
geschrieben hat, ist nicht recht abzusehen; denn auch bei Diog.
Laert. X, 31, 139 läutet der Sstz: tö fxaxäpLev xai äipSaprov ovts
avTo kp&’yp.a.rcc fyei ovrs ÄAAu notplyei. Endlich noch einige Worte
über die Stelle: „quomodo potest rotundus esse, ut ait Varro, sine
capite, sine praeputio“. Wir haben hier ein Fragment aus einer
Menippeischen Satura, und zwar, wenn man eine Vermuthung aus
sprechen darf, aus jener, die den Titel Fvö5^t asauröv führte (vgl.
Vahlen Coni. in Varr. Sat. Men. rel. p.49 ff.). Varro spottete daselbst
in ganz ähnlicher Weise, wie Seneca selbst Epist. 113, 22 über die
theologischen Lehrsätze der Stoiker und insbesondere über ihren
runden Gott, der natürlich weder ein caput, noch ein praeputium
haben könne. Dem Varro gehören die Worte: rotundus, sine capite,
sine praeputio an 1 ). Diese benützt nun Seneca, um daran den
t) Vgl, Phil, XVIII, s, 41f>.
m
Beiträge zur Kritik des L. Anuaeus Senecn.
21
heissenden Witz zu knüpfen: „Est aliquid in illo Stoici dei, iam
uideo: nec cor nec caput habet“. Indem er nun so indirect andeutet«
dass es dem Claudius an einem praeputium nicht gefehlt habe, womit
er auf dessen Ausschweifungen in der Wollust anspielt (vgl. Suet.
Claud. 33, Dio Cass. 60, 2,6), bezeichnet er zugleich dessen
p-sTsutpia und dßlt^/ia (vgl. Suet. Claud. 39).
VIII, 2 ist in alle Handschriften das Glossem „Saturnalia eius“
eingedrungen, über dessen Entstehung der Sang. Auskunft gibt. Da
nämlich ursprünglich durch ein leichtes Versehen „mense in toto
anno“ geschrieben war, so wird es begreiflich, dass man zu cele-
brauit ein Object verlangte und daher Saturnalia eius einschob. Auch
im Folgenden scheint sich in der corrupten Leseart des Sang, „non
tulisset illum deum abiouem qui (abioueq.) quantum“, wofür Haase
mit Recht die Conjectur Gronov’s: „non tulisset illud, nedum ab
Joue, quem quantum“ in den Text aufgenommen hat, ein Rest der
ursprünglichen Überlieferung erhalten zu haben. In demselben Para-
graphe hat man in neuerer Zeit allgemein die Conjectur von Lipsius
„Oro propter quid“ statt des überlieferten „Oro per quid“ angenom
men, und es lässt sich nicht leugnen, dass propter (ppter geschrie
ben) leicht in per verderbt werden konnte. Aber auch per quid
dürfte sich rechtfertigen lassen; man vergleiche Hand, Tursell. IV,
p. 445, II. Die folgende Stelle hat vielfache Erklärungen und Ver
muthungen hervorgerufen, auf die wir hier nicht weiter eingehen
wollen. Wir begnügen uns damit, selbst einen Vorschlag zur Lösung
der Schwierigkeiten beizubringen, indem wir, theilweise nach dem
Vorgänge von Lipsius, schreiben: „Quare, inquis: quaeso enim,
sororem suam ...!“, was wir so wiedergeben würden: Du sagst:
Warum? Bedenke doch, seine Schwester (hielt er einer Gattinn
gleich). Daran sehliesst sich ganz gut der Satz: „Stulte, stude!
Athenis dimidium licet, Alexandriae totum“, dessen Sinn ist: Thor,
forsche doch nach, in Athen ist es zur Hälfte erlaubt, in Alexan
dria unbedingt. Weiterhin schreiben wir mit Sang.: „Quia Roinae,
inquis. Mures molas lingunt. Hic nobis curua corriget?“ d. h.
Weil zu Rom, sagst du (die Sache nicht erlaubt ist). Die Katze
lässt das Mausen nicht. Der wird uns das Krumme gerade
machen. Das muss offenbar der Sinn jenes Sprichwortes sein,
wie dies schon daraus erhellt, dass in der Batrach. v. 29 eine
Maus unter dem Namen Ast^ofiOXv? eingeführt wird, welcher
Di'. S e h e n k I
22
ohne Zweifel den vorangehenden Wiydpixa.^ und Tputäpzvg gleich
kommt‘). Daran schliesst sicli nun trefflich: „Quid in cubiculo
suo faciat nescio“, womit keineswegs, wie Selnisler meint, der
Ehebuud des Claudius mit Agrippina bezeichnet sein kann, da dies
der ganzen Tendenz der Schrift widersprechen würde. Vielmehr
bezieht sich dies auf das Verhältniss des Claudius zu seiner Nichte
Julia, von welchem Dio Cass. 60, 8, 5 berichtet: «uro (Messalina)
piv yäp rriv ’IouAiav zrjv doeltpiäriv cvjzov , opyiaSrsXGU zb äp.a. 5zi
P-^zb izip.äzo Ü7r’ «Cizfig prizs ixoAaxsüsroxat ^■oXoruzroffaff« ori
KepixaXXrig tb r,v xat povy rtö KAauch'w rroAAaxts' avvsyiyvBZO, ifapi-
osv, iyxAöp.ara uvzy aAAa zt xat p.0Lj_Biccg Kapa.axeud.aaaa, ico' fj
xat Ssvsxa? d "Avviog Btpuysv, xat vazspov ys ov koAAcö xai äredxTstvsv
aüröv. Es ist ganz bezeichnend, dass Seneca den Verdacht der
Buhlschaft, dessenwegen er unter der Regierung des Claudius so
lange im Exile schmachten musste, auf den Cäsar selbst zurückzu-
werfen versucht. Gleich darauf hat Haase trefflich „et iam“ statt
„etiam“ geschrieben, wie er denn auch am Schlüsse richtig poopov
sütAärou zu%elv hergestellt hat. Vielleicht wäre noch zu schreiben:
„colunt ut deum et oranl“, wodurch erst ein befriedigender Sinn
hergestellt würde.
IX, 1 ist ut ausser Klammern zu setzen, da es im Sang. Val.
Guelf. überliefert ist. Überdies hat Haase richtig „tandem“' statt
tantum, dicere non licere (nach dem Vorgänge Faber's) und im fol
genden Paragraphe uiuat statt iuuat hergestellt.
IX, 3 hat man allgemein die Vermuthung Orelli’s: „Jam, fama,
inimum fecisti“, welche sich auf die Leseart des Sang, „iam famam
mimum fecisti„ und die Emendation von Rhenanus „iam fama mimum
fecit“ begründet, in den Text aufgenommen. Haase hat wohl später
seine Zustimmung widerrufen, indem er in der Praefatio zu Vol. III,
p. XXV bemerkt: „magis nunc placet sic scribere: iam fana 3 )
mimum fecistis“. Vielleicht ist aber doch die Leseart des Sang, mit
einer kleineren Änderung „iam famam mimum fecistis“ beizubehalten,
wenn man sie so erklärt: „Ihr habt durch eure allzu grosse Frei
gebigkeit es dahin gebracht, dass der Ruf, unter die Götter aufge
nommen zu sein, zu einer reinen Farce herabgesunken ist“.
*) Vgl. Plaut. Pers. I, 2, 6 Quasi mures semper edere alienura cibum.
2 ) Fana hatte schon Q. Sep. Flor. Christianu« vorg-eschlagen (p. 959).
Heitriige zur Kritik des [.. Amiaeus Seneca. -it>
IX, 4. Wir kommen nun zu einer offenbar verderbten Stelle,
die aber in leichter Weise zu heilen ist. Es sind dies die Worte:
„Proximus interrogatur sententiam Diespiter, Uicae Potae filius“.
Was hier der Diespiter, der Licht- und Schwurgott (vgl. Preller,
röm. Myth. S. 218 ff.), thun soll, und wie dieser dazu kommt, ein
Sohn der Uica Pota zu heissen, hat noch keiner der Herausgeber
zu erklären vermocht. Die Uica Pota (vgl. Preller, S. 609) war eine
Art Glücksgöttinn. Wie nun bei Phaedr. IV, 12, S Plutus der Sohn
der Fortuna genannt wird, so kann an unserer Stelle nur Dispiter
oder Dis pater entsprechen, wofür schon der Umstand spricht, dass
dieser Name gewöhnlich mit diues in Zusammenhang gebracht
wurde; man vergleiche Cic. N. D. II, 26, 66 terrena autem omnis
uis atque natura Diti patri dedicata est, qui Diues, ut apud Graecos
nAoürwv, quia et reeidant omnia in terras et oriantur e terris. Denn
obwohl eigentlich Diespiter, Dispiter und Dis pater ein und dasselbe
Wort sind, wie dies schon Varro 1. 1. V, 66 richtig erkannte, so
schied sie doch der Sprachgebrauch dahin, dass Diespiter den Licht
gott, Dispiter und Dis pater den Herrscher der Unterwelt bezeich-
nete. So heisst es in dem Bruchstücke aus dem Euhemerus und
Ennius bei Lactantius Div. Inst. L. I, c. 14 „Pluton Latine est
Dispiter“ und auch an der eben erwähnten Stelle des Varro dürfte
nach den Spuren der Handschriften „Idem hic Dispiter dicitur“ her
zustellen sein. Eben so muss nun auch an unserer Stelle geschrie
ben werden. Für den Dispiter passt es ganz gut, dass der Autor ihn
als Sohn der Uica pota, als designatus consul numulariolus bezeich
net und hinzufügt, er befasse sich gleich seinem Schützlinge damit,
Bürgerrechte um Geld an Fremde zu verkaufen. Denn eine Capelle
dieses Gottes war neben dem Altäre vor dem Saturnustempel, also
in der Nähe des Marktes, gelegen (vgl. Preller, S. 412), so dass
derselbe gewissermassen die Aufsicht über den Markt mit dem Sa-
turnus theilte.
X, 1 hat Haase statt des überlieferten „sententiae suo loco
dicendae“: „s. causa 1. d.“ geschrieben, offenbar weil ihm dieser
Dativus des Zweckes befremdlich erschien und er ihn durch kein
entsprechendes Beispiel zu belegen wusste. Obwohl nun auch ich
keine vollkommen gleiche Stelle aufzuweisen vermag, so bieten sich
doch so viele Analogien dar (vgl. Krüger, ■§. 366), dass ich Beden
ken trage, die Überlieferung zu ändern. Sodann würden wir „suo“
24
Dr. Schenkl
sehr ungern vermissen. Augustus wartet ruhig ab, bis an ihn, den
Letzten, die Reihe gekommen ist; man vergleiche im unmittelbar
Folgenden: „uos testes habeo, ex quo deus factus sum, nullum
me uerbum fecisse“ und XI, 4 „si honeste me inter uos gessi“.
X, 2 sind die Worte: disertissimi uiri, welche auch der Sang,
hat, ausser die Klammern zu setzen. — X, 3 hat Haase die Leseart
des Yal. Guelf. und anderer Handschriften „quam canis excidit“ in
den Text aufgenommen, worin ich nur eine Correctur der ursprüng
lichen, im Sang, erhaltenen Leseart: „quam canis adsidit“ erkennen
kann. Aber schwerlich wird dies, wie Schusler meint, so einfach zu
nehmen sein, sondern es ist wohl eher hier ein derber Witz zu
erwarten, so dass man „ad cacandum“ in Gedanken ergänzen muss.
Wie sich ein Hund ohne weitere Umstände niedersetztso machte
auch er keine Umstände, wenn es galt, einen Menschen 'zu verur
teilen.
Eine der verderbtesten Stellen in dem Schriftchen sind die
Worte X, 3 Nam etiamsi sormea Graece nescit, ego scio
ENTTCONTONTKNNAIHC, deren Besserung nur die älteren Herausgeber,
freilich ohne Erfolg, versucht haben, während die neueren sich blos
damit begnügten, die Stelle als corrupt zu bezeichnen und ihre Hei
lung einem „feliciori ingenio“ zu überlassen. Obwohl wir nun kei
neswegs auf ein solches Anspruch machen, so wollen wir doch,
selbst auf die Gefahr hin einen Missgriff zu thun, eine Emendation
dieser Stelle versuchen. Was nun zuerst das Wort Graece anbe
langt, so hat Fromond, wie mir scheint, richtig bemerkt, dass es
eine Anmerkung eines Abschreibers sei, der in seiner Handschrift
ein griechisches, ihm unverständliches Wort fand und dasselbe, wie
dies häufig geschah, in lateinische Zeichen übertrug. Jenes sormea
aber (denn so liest der Sang., nicht formea oder Phormea, wie die
übrigen Handschriften) dürfte aus „6 y.u>pog ea“ entstanden sein. Neh
men wir an, dass in dem Stammcodex OMOPOCea geschrieben stand,
so kann dies leicht in sormea verderbt worden sein 3 ). In den folgen
den griechischen Zeichen scheint ein Satz enthalten zu sein, der das
vorausgehende ego scio bekräftigte, etwa mit dem Sinne: „Es ist mir
i) Für den Hund gilt nämlich das bei Tage, was Aristophanes seinen Blepyros Eccl. 321
sagen lässt: r? Travra^ou rot vuxrtfg ianv iv xaXq>.
*) Für den Gedanken vgl. XI, 1 Nescio inquis? Di tibi malefaciant: adeo istuc tur-
pius est, quod nescisti quam quod occidisti.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
25
wohl im Gedächtniss“. Daher vermuthe ich, dass die Worte eine
Anspielung an den Homerischen Vers: p.r? örj rot xsXvög 7£ Atvjv
ivSöfuog scjrco enthielten und ursprünglich lauteten: „ivSOpiav rö
xstvou Atrjy“, was von den Zeichen der Überlieferung nicht allzu stark
abweicht. Übrigens kann man sich nicht genug verwundern, wie in
allen neueren Ausgaben hinter jenen griechischen Zeichen noch
immer das Wort „seneseit“ erscheint, das doch in keiner Hand
schrift überliefert ist und rein der abgeschmackten Conjectur des
Rhenanus : „Nam r% opyrjg aegre seneseit v vooog. UvpyorcohvUvig
iste“ seinen Ursprung verdankt. Daraus hat sich nun die ganz will
kürliche Textgestaltung gebildet, welche zuerst in der Ausgabe des
Muretus erscheint und dann in alle folgenden übergegangen ist.
X, 4 berichtet Fickert fälschlich, dass cod. Sang, „si aeeuos
futurus est“ überliefere, da Orelli in seiner Collation richtig „si
aec. f. es“ verzeichnet. Und diese Leseart kann auch beibehalten
werden, wenn man nur eine entsprechende Interpunetion einführt
und also schreibt: Uideris, Jupiter, an in causa mala (eum occiderit
oder damnarit); certe in tua, si aequus futurus es. Die mihi“ etc.
Dadurch sind wir der Conjectur Fickert’s: „Uideris . . . mala, certe
in tua sit aequus futurus, et die mihi“, welche auch Haase aufge
nommen hat, überhoben.
XI, 3 sind die Worte: Cogitate, P. C., quäle portentum in
numerum deorum se recipi cupiat“, welche im Sang. Val. Guelf.
fehlen und von demselben Interpolator, wie die unmittelbar folgen
den Sätze „Principes . . . dedit“ herrühren,« aus dem Texte zu
entfernen.
XI, 3 haben Fickert und Haase die ältere Schreibweise und
Interpunetion: „Crassum, frugi hominem, tarn similem“ etc. beibe
halten. Doch mit der Erklärung, die Fromond gibt „ad Crassi cogno-
men alludit; vocabatur enim Crassus Frugi“ wird man sich schwer
lich zufrieden stellen können. Es ist offenbar zu schreiben: „Cras
sum Frugi, hominem tarn similem etc., vgl. Suet. Claud. 17.
XII, 1 lesen wir im Sang, „tubicinum“, während die anderen
Handschriften „tibicinum“ überliefern. Ersteres entspricht ganz gut
dem folgenden „cornieinum“; auch werden die tubicines“ nicht
selten bei Leichenbegängnissen erwähnt, vgl. Kirchmann de funeri-
bus Romanorum 1. II, c. 4, p. 135 ff., wo noch Gell. XX, 2, 3 erwähnt
werden konnte. Wir sehen, dass also auch hier der Sang, die
26
I)r. Schenk!
ursprüngliche Leseart erhalten hat. Eben daselbst haben alle Hand
schriften senatoruni, mit Ausnahme der ed. Rom., in welcher sona-
torum überliefert ist. Obwohl nun dieses Wort sich sonst nicht
belegen lässt, so ist es doch der Analogie nach gebildet und ent
spricht auch ganz den Zeichen der Überlieferung. Ich würde daher
kein Bedenken tragen, es mit Sonntag der Conjectur des Rhenanus
aeneatorum vorzuziehen und in den Text zu setzen.
XIII, 2 ist die Leseart balineo im Sang, beachtungswerth.
XIII, 4 ist mit Sang, und den übrigen Handschriften „ueniet“
zu schreiben, wie dies auch Fickert gethan hat. Orelli berichtet
fälschlich, dass im Sang, uenit et gelesen werde.
XIII, 6 muss nach Sang. „Quomodo huc uenistis uos?“ geschrie
ben werden.
XIV, 1 überliefert der Sang, mit den anderen Handschriften
„equites R. CC., ceteros CCXXI Soa.“ xrA., mit dem einzigen Unter
schiede, dass die Zeichen CC in CI. verderbt sind. Der Schreiber
scheint hierin eine Abkürzung für Claudius gesehen zu haben, wie
schon daraus erhellt, dass er den ersten Buchstaben, wie er es bei
Personennamen zu thun pflegt, mit Roth auszeichnete. Die Stelle ist
offenbar entweder verderbt oder lückenhaft. Ersteres ist viel wahr
scheinlicher; da nämlich die Abschreiber bei ceteros eine bestimmte
Zahl vermissten, so übertrugen sie die Ziffer CCXXI nach ceteros
und schoben eine niedrigere Zahl (CC) nach equites R. ein. Ich
würde daher kein Bedenken tragen, die Conjectur des Rhenanus
equites R. CCXXI, ceteros ogcl xtA. aufzunehmen.
XIV, 3 ist die Wortstellung des Sang, „magis iniquum“ statt
„iniquum magis“, wie die anderen Handschriften lesen, im Texte
herzustellen. In demselben Paragraphe hatHaase, theilweise nach
dem Vorgänge des Curio, „si unius diei dilaturam fecissent“ geschrie
ben, was mehr einer Interpolation als Emendation gleichen dürfte.
Im Sang, ist „si uni diu laturam fecissent“ überliefert, was sich mit
Junius leicht in „si uni dilaturam f.“ emendiren lässt. Der Sinn ist:
Einige meinten, wenn man einmal von dem strengen Gebote
ahweichen und nur einem von den ewig Verdammten, Erlösung
gewähren wolle, dann werde Tantalus verdursten, falls man ihm
nicht zu Hilfe käme, und dann müsse man doch einmal dem Rade
des unseligen Ixion einen Hemmschuh unterlegen. Endlich können
wir es nicht billigen, dass Haase in demselben Paragraphe die
ss^r//«
Beitrage zur Kritik des L. Annaeus Seneca. 4t (
interpolirte Leseart: „alicuius eupiditatis speciem sine fine et
effectu“ aufgenommen hat; denn die Worte „fine et“ fehlen im
cod. Sang, und mit richtigem Urtheile hat schon Fromond, ohne
von der Leseart des Sang, etwas zu wissen, in fine eine Dittogra-
phie, entstanden aus dem vorhergehenden sine, erkannt. Zugleich
könnte man auch die Leseart aller Handschriften „spes“, wie
Schusler richtig erkannt hat, gegenüber der Conjectur von Scheffer
„speciem“ festhalten. Der Sinn ist: Hoffnungen, die aus irgend einer
Begierde entstehen, ohne je ihre Erfüllung zu finden.
Wir haben nun noch über die zahlreichen Interpolationen, an
welchen die Vulgata unserer Schrift leidet, zu sprechen und, so weit
dieses möglich ist, ihren Ursprung zu erforschen. Dieselben zer
fallen in zwei Hauptclassen. Einige derselben haben nämlich die
Aufgabe, die Darstellung auszuschmücken, einzelne historische That-
sachen zur Erklärung beizubringen und den Zusammenhang zwischen
den kurzen, oft nur lose verbundenen Sätzen näher zu vermitteln.
Die anderen sind mehr dazu bestimmt, grammatische Fügungen zu
ergänzen, oder sind ganz willkürliche Correcturen des verderbten
Textes, welcher dem Abschreiber vorlag. Wir müssen bei dieser
Gelegenheit nochmals an das erinnern, was wir schon oben bemerkt
haben, nämlich dass wir nur von vier Handschriften ausreichende
und genaue Collationen besitzen, während aus den anderen nur ein
zelne Lesearten bekannt sind. Obwohl nun bei solchen Verhältnissen
eine vollkommen endgiltige Entscheidung nicht möglich ist, so kann
man doch mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit behaupten, dass die
Handschriften der bei weitem grössten Zahl nach von den Interpo
lationen der ersteren Classe frei sind und dieselben, so viel man bis
jetzt sehen kann, sich meistentheils blos auf den Codex, aus welchem
die ed.Rom. geflossen ist, und vielleicht noch den cod. Cur. beschrän
ken. Es scheint somit im XIV. oder XV. Jahrhundert irgend ein homo
doctus, der mit den Biographien des Suetonius und den Satiren des
Juvenalis bekannt war, eine Überarbeitung des Textes vorgenommen
zu haben, die sich dann in einigen Exemplaren fortgepflanzt hat.
Zu der ersteren Classe gehören folgende Interpolationen:
I, 1 Asinio Marcello, Acilio Auiola coss., genommen aus Suet.
Claud. c. 43. Die Worte fehlen im Sang. Val. Guelf. cod. Parr. aab,
cod. Trist. (Dal.) und finden sich sicher nur in der ed. Rom. —
III, 3 Sauromatas et si qui ultra glacialem boream incolunt barbari,
28
Dr. Schenk!
nur auf Gewähr der ed. Rom., während Sang. Val. Guelf. Wiss. die
Stelle nicht haben. Als Vorbild konnte dem Interpolator vielleicht
die Stelle Sen. Diall. I, 4, 14 dienen. — IV, 3 nee post boletum
opipare medicamentis conditum plus cibi sumpsit, ausser der ed.
Rom. noch im cod. Cur., der angeblich nach „concacauit“ hinzufügt
„plus cibi sumpsit“, während Sang. Val. Guelf. Wiss. diese Stelle
nicht enthalten. Genommen sind sie, wie dies schon Fromond
erkannte, aus Suet. Claud. 44 und Juv. Sat. V, 146—148 Uilibus
ancipites fnngi ponentur amicis, Boletus domino; sed quales Claudius
edit Ante illum uxoris, post quem nil amplius edit. — IX, 3 etiarn
pestiferum (pessimum ist nur eine Conjectur des Rhenanus) quemque
illum aflectare, nur in ed. Rom., nicht in Sang. Val. Guelf. Wiss. —
XI, 1 (fregit) et in Lemnon caelo deturbauit, non extinxit, nur ed.
Rom., während Sang. Val. Wiss. richtig fregit quem . . . Sboksuloio
dafür lesen. Es ist dies ein kecker Versuch, die Lücke auszufüllen,
die statt der griechischen Worte in der Handschrift vorlag, wie sich
eine solche Lücke auch im Guelf. findet. — XI, 3 Cogitate, P. C.,
quäle portentum in numerum de'orum se recipi cupiat. Principes
pietate et iustitia dii fiunt. Scilicet hic pius et iustus, quoniam Dryu-
darum perfidae gentis Gallicae immanem relligionem, a qua ciues
submoueram, prorsus exstirpauit: ut Romae nuptiarum sacra essent,
quibus ipse, cum sibi Agrippina nuberet, XXX Senatoribus: innu-
meris Eq. Rom. mactatis principium dedit. Dieses ungeschickte
Machwerk ist aus Suet. Claud. 25 und 29 zusammengesetzt, wobei
noch zu bemerken ist, dass der Interpolator an der letzteren Stelle
in seinem Texte eine falsche Iriterpunction, nämlich: Die ipso Claudii
et Agrippinae nuptiarum in quinque et triginta senatores etc. vor
sich hatte. Daraus erklärt sich jene sonderbare Nachricht, dass Clau
dius seinen Hochzeitstag mit einem solchen Gemetzel feierte. Was
die Anzahl der gemordeten Senatoren anbetrifft, so wich der Inter
polator desshalh von Suetonius ab, um nicht mit unserem Autor
(XIV, 1) in Widerspruch zu gerathen. Dieses Einschiebsel beruht
allein auf der Gewähr der ed. Rom., im Sang. Val. Guelf. Wiss. ist
es nicht zu finden. — XI, 5 (Pompeium Magnum) Antoniae ex
Petina: (L. Syllanum) Octauiae ex Messallina kommt eben so blos
in der ed. Rom., nicht in den genannten vier Codices vor; als Quelle
ist leicht Suet. Claud. 27 zu erkennen. — Alter als die bereits
erwähnten Interpolationen ist XII, 2 fingite inugitus (denn luctus ist
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
29
nur eine Conjectur des Rhenanus), welches in der ed. Rom. Guelf.
Wiss. vorkommt, aber in Sang. Val. cod. Cur. fehlt. — Die nun fol
genden Einschiebsel dominus domini und Ule autem patrono plura
blandiri uolebat. Quem Mereurius iterum festinare iussit et uirga
morantem iiripulit (XIII, 2), sese moueris uillosque horrendos excu-
tiens (XIII, 3), womit auch eine bedeutende Umarbeitung der fol
genden Stelle verbunden ist, Caesar und Ecce extemplo (XIII, 4)
dienen nur dazu, die Darstellung auszuschmücken und einzelne Stel
len durch lebhafte Farben hervorzuheben. Sie haben durchaus die
ed. Rom. zur einzigen Gewähr und fehlen im Sang. Val. Guelf. Wiss.
— XIII, 5 Possides basta pura insignis, Felix cum Palante fratre ist
aus Suet. 28 entnommen und dabei die vorangehende Stelle über
arbeitet; ebenso ist im folgenden quaestoriis praetoriisque muneri-
hus aus Suetonius eingefügt und neeubi imparatus esset in ubi imper-
titus esset verändert worden. Alle diese ep.|3Ar/p.o:r« finden sich blos
in der ed. Rom., während die oft erwähnten vier Codices davon frei
sind. — XIV, 1 lesen wir in der ed. Rom. die Worte: Exterritus
Claudius oculos undecumque circumfert, uestigat aliquem patronum,
qui se defenderet, die nichts anderes als ein ausmalender Beisatz
sind und in Sang. Val. Guelf. Wiss. fehlen. — Noch eine Interpola
tion findet sich XIV, 3 non unquam Sisyphum onere releuari, welcher
Satz gar nicht in die Construction passt und offenbar dem im folgen
den Capifel vorkommenden Verse: Irrita Sisyphio uoluuntur pondere
collo seinen Ursprung verdankt. Auch hier ist die ed. Rom. die ein
zige Gewähr, während die vier Handschriften die Worte nicht
enthalten.
Aus allen diesen Angaben können wir nun folgende Schlüsse
ziehen: So weit wir die Handschriften kennen, finden sich von diesen
Einschiebseln nur zwei in anderen Codices, alle übrigen aber allein
in der ed. Rom. Der Bearbeiter des Textes, wie er uns in dieser
Ausgabe vorliegt, benützte hauptsächlich den Suetonius, um aus
dessen uita diui Claudi an geeigneter Stelle einzelne Nachrichten
einzuschieben; ja er übertrug sogar einzelne Ausdrücke hie und da
in seinen Text, wie er denn z. B. XI, 2 aus Suet. Claud. 29 conso-
cerum statt socerum geschrieben hat. Wo seine allerdings beschränkte
Wissenschaft ausreichte oder wo ihm der Text leicht Gelegenheit
hot, suchte er Lücken der Handschrift, die besonders da vorkamen,
wo eine griechische Stelle im Texte stehen sollte, möglichst zu
30
Dr. S c h e n k l
verbergen; man vergleiche XI, 1 und XIII, C, wo die Worte; quo-
tnodo uos huc uenistis unmittelbar an exclamat angeschlossen sind.
Die beiden Codices Sang, und Val., welche dem X. Jahrhunderte
angehören, sind von allen diesen Einschiebseln frei, und da die
anderen Handschriften sämmtlich aus dem XIII.—XV. Jahrhunderte
stammen, so kann man die Zeit, wo diese i^ßl^ixanx entstanden sind,
im Allgemeinen angeben. Der Herausgeber der ed. princeps ist nicht
der Urheber dieser Interpolationen, um so mehr als aus seinem Nach
worte erhellt, dass er blos einen Abdruck besorgte, ohne sich um
die Emendation des Textes zu kümmern.
Die Einschiebsel der zweiten Classe wollen wir nur kurz
bezeichnen. Es sind folgende: III, 1 meritum ut (ed. Rom.); III, 2
Tune (Tum) ille (ed. Rom. codd. Parr. aabgh), worüber wir schon
gesprochen haben; V, 2 (respondisse) illum (ed. Rom,); V, 4 Ubi
haec (ed. Rom.), welche Worte, wie Orelli Epist. crit. p. 45 erkannt
hat, aus dem letzten Worte des vorhergehenden griechischen Verses
TOICHEC entstanden sind; VI, 1 discrimine (alle codd. mit Ausnahme
von Sang. Val.):. VII, 1 dicito (ed. Rom.); VII, 2 regna uidi (ed.
Rom.); VIII, 2 Saturnalia eius (in allen Handschriften), dessen
Ursprung wir oben erklärt haben; X, 2 a me (alle Handschriften, mit
Ausnahme des Sang.); X, 3 frustum (ed. Rom, cod. Cur.); X, 4
suas (ed. Rom.), inter (ed. Rom. Guelf.); XI, 4 in eum denique (ed.
Rom.); XI, 6 a (e) eaelo (alle Handschriften) 1 ); XII, 2 uoce (ed.
Rom.); XIII, 2 uia (ed. Rom.), praecedito (ed. Rom.); XIV, 2 loqui.
Wir sehen also, dass auch die kleineren Glosseme sich grösstentheils
blos in der ed. princ. finden und der cod. Sang, am meisten davon
frei ist 2 ).
II.
Im cod. Sang. 878, einer Miscellanhandschrift, welche im Jahre
821 geschrieben ist und unter Anderem das berühmte von J. Grimm
1) Statt dieses offenbaren Einschiebsels hat inan seit Gothofredus mit Ergänzung 1
des Catullischen Verses (III, 12) „illuc unde“ etc. geschrieben. Vielleicht dürfte es
doch gerathener sein, statt eines förmlichen Citates eine einfache Anspielung
anzunehmen und blos unde negant etc. zu lesen.
2 ) Die Verbesserungsvorschläge, welche W. Wehle im Rhein. Mus. XVII, S. 622 ff.
mittheilt, scheinen mir sämmtlich unbegründet. Gleich am Eingänge befremdet
uns die Bemerkung, dass irn cod. Valeotianensis die älteste Überlieferung dieser
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
31
herausgegebene Runenalphabet enthält, findet sieh fol. 348—3S0
ein Bruchstück des 120. Briefes von Seneca, nämlich die §§. 1—14
Safura vorliege, da man doch, wenn man den Sangallensis mit dem Valentianen-
sis unbefangen vergleicht, schwerlich daran zweifeln kann, dass ersterer die
llauptquelle bildet. Oder man möge doch nachweisen, was der Valentinanensis vor
dem Sangallensis nur irgend voraus hat, und dann in Betracht ziehen, worin er
ihm offenbar nachsteht. Warum weiterhin c. 10 pudet, wie im Sang, überliefert
ist, unpassend sein soll, ist nicht abzusehen; im Gegentheil sind gerade die
Worte: pudet imperii als der Ausdruck des höchsten Unwillens im Muude des
Messalla ganz bezeichnend. Vergleicht man nun das unmittelbar Vorhergehende:
„omnia infra indignationem verba sunt“, so wird man wohl eher pudet als per-
taedet erwarten, wie Wehle vorschlägt, und müsste vielmehr das letztere, wenn
es überliefert wäre, als matt und frostig bezeichnen. Übrigens lässt sich ganz
gut begreifen, wie pudet in praecidet verderbt werden konnte. Cap. 11 sollen
die Worte ad inferos gestrichen werden; dieselben sind allerdings befremdlich,
wenn man mit den neueren Herausgebern llluc — quemquam schreibt; dass dies
aber seine Bedenken hat, ist schon oben bemerkt worden. Eben so werden c. G
die Worte iusserat illi collum praecidi als eine müssige Wiederholung bezeichnet.
Es ist hiebei übersehen, dass diese Worte mit dem nächstfolgenden Satze zu ver
binden sind und wir so zwei coordinirte Sätze haben, während der erstere sub-
ordinirt sein sollte. Cap. 4 wird die seit Orelli aufgenommene Leseart des Sang.:
„fecit illud“ beanstandet und dafür „fecit filum“ vorgeschlagen, was schon an
und für sich bedenklich wäre. Übrigens weisen die Worte „Haec Apollo^ so
bestimmt auf das vorhergehende: „Ne demite Parcae, Phoebus ait“ zurück, dass
die Beziehung des illud nicht zweifelhaft sein kann. Cap. 11 schlägt der Verfasser
einen doppelten Ausweg vor, nämlich die Leseart des Sang, clarius entweder in
acrius zu einendiren oder auch ungeändert beizubehalten. Letzteres bedarf eigent
lich keiner Widerlegung; was aber acrius anbetrifft, so weicht es von dem Buch
staben der Überlieferung noch mehr ab als die Conjectur des Rhenanus durius,
die auf der Leseart der ed. princ. und des cod. Guelf. „durus“ beruht. Cap. IG
wird der Vers: „Lusuro similis semper semperque petenti“ als unecht erklärt;
denn einmal sei die Bezeichnung lusuro similis unpassend, da ja Claudius eben
ein lusurus sei, sodann sei das absolut gesetzte petenti befremdlich. Aber lusuro
similis ist sehr bezeichnend gesagt und deutet das an, was oben c. 14 gesagt
worden ist „alicuius cupiditatis spes sine effectu“; zu petenti aber ergänzt sich
leicht aus dem unmittelbar vorhergehenden mittere talos das entsprechende Object.
Cap. 3 wird nec . . . dimittam beanstandet und dafür ne . . . dimittam vorgeschla
gen. Kann denn aber nec nicht für atque non stehen? Vgl. Hand, Tursell. IV,
p. 103. Endlich billigt noch Wehle den Vorschlag von Bücheier, Rhein. Mus. XIV,
S. 447, wornach c. 5 die Worte aeque Homericus als eine Glosse beseitigt werden
sollen, und bemerkt, dass ihn die Vertheidigung ßaumstark’s, Phil. XVIII, S. 343 ff.,
nicht überzeugt habe. Wir hingegen erklären uns mit der zweiten Interpretation
Baumstark’s vollkommen einverstanden: „es war aber der darauf folgende Vers
wahrer, welcher eben so homerisch ist, wenn doch homerisch geantwortet wer
den sollte“. Der Autor verspottet nämlich durch uerior das in dem
vorhergehenden Verse und deutet an, dass Claudius viel eher von seinen massen
haften Hinrichtungen, als von seiner vorgeblichen Abkunft aus dem Geschlechte
des Aeneas sprechen sollte, wobei sich dann für ihn, den 'Op.Yjpixcnraros, eben
jener Vers am treffendsten darböte.
32
Dr. S c h o n k I
(omnium animos). Obwohl nun dieses Fragment kaum einen nen-
nenswerthen Beitrag zur Kritik des Textes darbietet, so ist es doch
nicht ohne Interesse, eine Handschrift von diesem Alter kennen zu
lernen, um den Zusammenhang der einzelnen Codices näher bestim
men zu können. Was die Schreibweise anbetrifft, so findet man
immer e statt ae, adicere, tamquam, numquam geschrieben; die
Assimilation der Präpositionen kommt selten vor, z. B. collatio,
dagegen gewöhnlich inponunt, adtendere u. dgl. Wir geben nun die
Collation dieses Bruchstückes mit der Fickert’schen Ausgabe. Eine
Aufschrift findet sich in dem Manuscripte nicht. §. 1 aliquid. — hoc
de diuitiis. — §.2 inter istas. — om. „bonum“. — §.3 scientiae
non scientiam dedit. — nos innocentiam. — obseruatione collegisse.
— §.4 puto in ciuitatem suam redeundum. — §. 5. facta. — Pyrri.
— cauere. — §.7 donec inuoluit ingenti. — legitque se. — §.8
eiusmodi facta. — om. „nobis“. — et contrario, — §. 9 om. „coe-
pimus“. — adnotare ut quis. — §.10 laudamus. — ac (corr. „et“)
priuata. — et in his. — §. 12 consortia. — §-13 Hoc quale-
cumque inquit est. — habemus operam. — §. 14 om. „fecif“.
Darnach kann man nun den Schluss ziehen, dass das Exemplar,
aus welchem dieses Bruchstück abgeschrieben ist, den besseren
Handschriften der Epistulae morales angehörte. Die Varianten stim
men am meisten mit dem Palatinus 869 (H, vgl. Fickert Vol. I,
Praef. p. XXIV) überein, so §. 1 aliquid, in sordida usque, 2 om.
„bonum“, 4 cogitauimus, 5 cauere, 7 et iam diu, legitque, 8 obtu-
lere, dann die Lesearten, welche zwar nicht ausdrücklich aus dein
Palatinus angeführt werden, aber doch höchst wahrscheinlich in
demselben zu finden sind, wie §. 3 nostri intellectum, 6 in hostes
nefas. Gemeinschaftlich mit cod.Ottob. 2090 (ct, vgl. Fickert p.XXV)
hat er die Varianten §. 3 obseruatione, in ciuitatem suam redeun
dum (a liest verderbter in ciuitate suum rediendum), 10 deesse et
in his und 13 habemus. Vereinzelt sind §. 1 hoc de diuitiis (ed.
Rom. 1475, vgl. Fickert p. XXVII), 5 facta (Bamberg, n. 1088, vgl.
Fickert p. XX), 8 eiusmodi (in den codd. Vat. aydt^, vgl. Fickert
p. XXIII). Eigenthümlich hat die Handschrift nur drei Lesearten,
nämlich §. 3 scientiae, non scientiam dedit, was allerdings gut ange-
hen würde, aber doch nur eine Correctur zu sein scheint, 8 imagi-
nem ostendere om. „nobis“, worin aber der Codex schwerlich Glau
ben verdient, da er auch sonst nicht selten Wörter auslässt, z. B.
9
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
33
coepimus, fecit, 13 Hoc qusilecuroque inquit est, wo aber die
Wortstellung in den anderen Handschriften ohne Zweifel vorzu
ziehen ist >)•
III.
Unter den kleineren Schriften des Seneca befindet sich auch
eine Sentenzensammlung, die man gewöhnlich mit dem Titel „über
de moribus“ bezeichnet. Diese Aufschrift findet sich erweislich erst
im XII. Jahrhunderte (vgl. Vinc. Bell. Spec. hist. IX, 102), kann
aber ursprünglich nicht so gelautet haben; denn die beiden Sangal-
lenses, von welchen wir gleich sprechen werden, haben als Über
schrift einfach über Senecae ohne jeden weiteren Beisatz. Dass uns
nun hier keine Schrift des Philosophen selbst vorliegt, hat man schon
frühzeitig erkannt. Der cod. Vratislaviensis IV aus dem XIV. Jahr
hunderte, den Haase benützte (vgl. III, p. XX), hat von jüngerer
’) Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass sich in der Bibliothek des Metropolitan-
capitels zu. Prag 1 eine Pergamenthandschrift in Kleinfolio' (L, 94) befindet, welche
dem eilften Jahrhunderte angehört und ausser den Quaestiones naturales des Seneca
noch das Buch Hermetis Trismegisti Asclepius enthält. Der Text der Quaestiones
naturales stimmt im Ganzen mit dem Bambergensis n. 1089 (vgl. Fickert, Vol. Ilf,
Praef. p. VI), seltener mit dem Guelferbytanus n. 763 (vgl. Fickert, Vol. 1, Praef.
p. XX) überein. Wir geben als Probe eine Collation von 13 Paragraphen des
Prologes, wobei wir die mit dem ßamb. übereinstimmenden Lesearten durch ein
Sternchen bezeichnen. Inscr. Prologus Annee Senece Cordubensis in Iibrum de
* naturalibus quaestionibus ad Lucilium. §. 1 pliylosophiam (so immer). — *et
illam quae. — *et pulchrius. — *om. „tantum“. — celo. — 2 *ambigua uitae in
quae uolutamur caliginem excedit. — an et ad nos. — 3 *om. „ennn“. — minus
est Über aut potens. — cibum. — impleatur. — et mortem. — 4 colluctamur. —
*portenta superamus.— quod suspicimus.— inter uires interest. — compositus.
— turpiter spargens. — 5 nichil. — affectamus. — consortium deo. — consuma-
tur. — om. „omni" ante „malo“. — *om. „seruat. — auaricie. — 6 contempnerc.
— *aere fulgentia. — *diriuata. — * inari et ea parte qua exstat. — *aut adustum.
— 7 histrum. — *exeat Istmium samotraces. — eufrates. — arenarum multa. —
illam unam. — 8 * Certe si illam ut magnam sustuleris. — * sub multis ire. —
lateribus effusum. — *in quo regnatis eolilis et minime cum illis („colitis“ Bamb.
m. 2).— occeanus incurrit. — 9 leuis ac. — *alter crescit. — om. „uelut“.—
10 sed interest ut suis. — ostendit. — *quo cursus. — descendit. — 11 * Quam-
diu quaerit. — littoribus hyspaniae. — spacium. — impleat uentus. — 12 *om.
„demum“. — omuia et opus suum intra. — 13 *pars melior. — neque tispositius.
— * aeris ac terrae uicina. — *eontigit. Bei der eben nicht grossen Anzahl vön
Hilfsmitteln, die uns fiir die Texteskritik der Quaestiones naturales zu Gebote
stehen, dürfte eine Vergleichung dieser Handschrift vielleicht nicht ohne Werth
sein.
Sitzh. d. plijl.-hist. CI. XLIV. Bd. I. Hft.
3
34
L)r. Schenk!
Hand die Anmerkung; „Non est hie dicendus über: reeollectae enim
sunt quaedam ab aliquo excerpfae ex Iibris Senecae“; Erasmus
bemerkt schon in seiner ersten Ausgabe gleich beim Eingänge dieser
Schrift: „Apparet hunc libellum non a Seneca fuisse conscriptum,
sed concinnatum a quopiam illius studioso et sententiis gaudente.
Nam deprehenduntur quaedam alibi a Seneca scripta“, und in der
zweiten Ausgabe heisst es noch viel bestimmter: „Gnomologia et
haec est, non ex Seneca tantum. Insunt mirni et Pythagorae quae
dam, postremo fit mentio diaboü. Uidentur quaedam decerpta ex
prouerbiis Solomonis“. Als späterhin bekannt wurde, dass das Buch
de quattuor uirtutibus oder de formula honestae uitae , welches man
im Mittelalter dem Seneca beilegte, eigentlich dem Martinas Dumien-
sis (um 5 60) angehöre und nur, nachdem die Widmung an den
König Miro verloren gegangen, irrthümlich dem Seneca zugeschrie
ben worden sei, betrachtete man diesen Martinus auch als den Ver
fasser jener Spruchsammlung. So erscheint dieselbe in der Ausgabe
des Seneca von Golhofredus'und in der Bibi. Patr. ed. Lugdun.
Tom. X, p. 385 unmittelbar vor oder nach jener Schrift des Marti
nus Dumiensis; in gleicher Weise sprechen sich Fabricius (Bibi,
lat. ed. Ernest. II, 119) und Or e lli (Opusc. Graec. sent. I, p. XVI
und 269, P. Syri sent. p. IV) aus und auch Bernbardy (Röm. Lit.
S. 725, 3. Auf].) scheint dieser Ansicht beizupflichten ij. Mehr Wich
tigkeit hat dieser Schrift llaase in seiner Ausgabe beigelegt; er
vermuthet nämlich, dass uns hier Bruchstücke aus verlorenen Wel
ken des Seneca erhalten seien. Desshaib hat er sich auch die Ernen-
dation des sehr verwahrlosten Textes angelegen sein lassen, wobei
ihm aber, wie er selbst sagt, ausser den alten Ausgaben nur der
oben erwähnte cod. Vratislaviensis zu Gebote stand, der übrigens
nur ein Bruchstück ist und mit sent. 49 endigt. In der Vorrede zum
dritten Bande p. XX ff', deutet er einiges über die Zeit der Abfassung
und die Quellen der Sammlung an und schliesst dann seine Erörte
rung mit den Worten: „Sed de fontibus huius Iibri non est hic
J ) Wenn Goldast in seiner Coliectio paraeneticoruin ueterum (Lindau, 1G04, p. 214)
irgendwie zu trauen ist, so hatte ein alter Codex des H. Stephanus, den Goldast
bei seiner Textesreeension benützt haben will, die Aufschrift: „lncip. Annei Boetii
über de moribus per sententias“. Übrigens enthielt dieses Manuscript, nach den
angeführten Lesearten zu urtheilen , nicht sowohl den über de moribus als viel
mehr die prouerbia Senecae.
Beilrüge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
35
dicendi locus; est enim difficilis quaestio ac digna, quae separatim et
accurate instituafur“. Einiges dafür bietet Jordan Rh. M. XIV, S. 279
und besonders Wöllflin Phil. VIII, 184 ff., IX, 680 ff., wo richtig
bemerkt wird, dass diese Frage erst mit jener über die Spruehsamm-
lung des Syrus ihre endgiltige Lösung finden könne. Da mir nun die
Collation zweier Sangallenses zu Gebote steht, die für die vorlie
gende Frage manche nicht unwichtige Aufschlüsse gewähren, so will
ich hiemit einen kleinen Beitrag liefern, den dann Andere in ihren
weiter gehenden Untersuchungen nach Bedarf yerwerthen mögen.
Vor Allem handelt es sich darum, welcher Zeit diese Sammlung
angehört. Ilaase meint, dass sie schon im Jahre 567 in dieser Form
vorlag, da in dein 14. Kanon des zweiten Conciliums von Tours, da3
in diesem Jahre abgehalten wurde (vgl. die Ausgabe von Labbe VI,
358) die 35. Sentenz dieser Schrift unter dem Namen des Seneca
angeführt wird: „sicut ait Seneca pessimum in eo uitium esse, qui
in id quo insanit eeteros putat furere“. Und dies hat allerdings viel
für sich; denn in diesem CiSate ist durch einen offenbaren Gedächt-
nissfehler die 35. Sentenz „Hoc habet omnis adfectus, ut in id quod
ipse insanit, in idem putet eeteros furere“ mit der 36. „Maximum in
eo uitium est, qui non uult meiioribus placere sed pluribus“ ver
schmolzen. Es standen also schon damals diese beiden Sentenzen
neben einander, und daraus können wir mit grosser Wahrscheinlich
keit schliessen, dass die Sammlung in der vorliegenden Gestalt schon
zu jenen Zeiten vorhanden war.
Fragen wir weiter nach den Handschriften, so dürfte, in so weit
dieselben bekannt sind, der Sang. « so ziemlich der älteste sein.
Dieser Codex (n. 238), welcher neben einem Vocabularium Excerpte
aus Hieronymus, Isidorus und p. 396—414 die Schrift de moribus
enthält, ist eine Pergameothandschrift und angeblich von Winithar,
der im Jahre 767 Decan des Stiftes zu St. Gallen war, geschrieben
(vgl. Hänel, p. 680). So lautet allerdings die subscriptio; aber die
Handschrift, die uns vorliegt, ist wahrscheinlich nur eine Abschrift
jenes Codex, den Winithar eigenhändig geschrieben hatte 1 ). Dafür
spricht der Umstand, dass die Schriftzüge nicht einer, sondern meh
reren Händen angehören und dass diese Schreiber sehr unwissende
l ) Gleiches vermnthet Bücking- von dem bekannten Sang. 899, der die Moseiia de»
Ausonius enthält; vgl. Jahrb. d. Vereins f. Alterthumsfr. im Rheinl. VII, Aus. S. 3.
3G
Dr. S c h e ii k 1
Leute waren, was man wohl jenem Decane nicht Zutrauen kann.
Denn der Text wimmelt von groben Yerstössen gegen die Gram
matik, welche deutlich zeigen, dass die Abschreiber einerseits die
ihnen vorliegende Handschrift nicht richtig zu lesen vermochten und
andererseits in der lateinischen Sprache nur unvollkommen unter
richtet waren. Doch kann diese Handschrift, nach der Form der
Buchstaben zu urtheilen, nicht lange nach 767 gemacht sein und
gehört unzweifelhaft dem IX. Jahrhunderte an. Aus derselben.
Zeit stammt auch die andere Pergamenthandschrift n. 141 (ß),
welche neben einigen Schriften von Kirchenvätern und mittelalter
lichen Autoren p. 62—70 die genannte Sammlung enthält 1 ). Der
Codex stimmt mit dem früher erwähnten so ziemlich überein, aber
an nicht wenigen Stellen hat eine zweite Hand, die auch dem IX.
oder X. Jahrhunderte angehört, die ursprüngliche Schrift ausgekratzt
und dafür ihre Conjecturen ohne weiteres in den Text gesetzt. Es
ist daher begreiflich, dass wir im Folgenden uns darauf beschränken,
hlos das Wichtige aus den Lesearten hervorzuheben, das Unwichtige
aber einfach übergehen.
Beide Handschriften schicken dem liber de moribus eine ziem
lich gleichlautende Einleitung voraus, welche die Überschrift führt:
„Incipit prologus libri Senecae“. Es soll dies, wie es scheint, ent
weder eine Nachahmung des Prologes zu den Quaestiones naturales
oder jenes zu dem Ecclesiasticus sein. Aber dieser Prolog ist kei
neswegs eine Vorrede zu jener Spruchsammlung, sondern enthält
nur einzelne Bemerkungen über das Leben des Seneca, wobei der
Verfasser die Stelle des Hieronymus in dem Catalogus sanetorum oft
wörtlich benützt hat, dann über Zweck und Bedeutung der angeb
lichen Schrift u. dgl. Dabei offenbart der Verfasser in mehreren
Puncten eine klägliche Unwissenheit, wie er denn sein Machwerk
gleich mit den Worten beginnt: Lucius Annaeus Seneca de Graecis
fuit“. Wir geben somit ans dem Prologe nur diejenigen Stellen,
welche für die Ansichten der damaligen Zeit in Betreff unserer
Schrift massgebend und so von einigem Werthe sind: „Seneca
scripsit hunc librum. Qui Paulo apostolo epistolas misit et Paulus
1 ) Dieselbe hat auch in diesem Codex einfach die Überschrift „liber Senecae“, nicht
aber, wie Hänel p. 674 fälschlich angibt, „libellus conflictus uirtutum et uitiorum“,
da sich diese Bezeichnung vielmehr auf die folgende Schrift, ein Werk des Am
brosius Autpertus, bezieht.
Beiträge zur Kritik des L. Auuaeus Seneca.
37
similiter illi. Et hic biennio anlequam Petrus et Paulus coronarentur,
periit incisione uenarum et ueneni baustu. Quid efficit scripcio huius
libri et ob quam causam scripsit? Aperitur et ostel]ditm• libertas
arbitrii; testatur liberum arbitrium opus esse ad omne siue bonum
sine malum. Expücit prologus. Incipit ipse über“. So werthlos nun
auch dieser jedenfalls viel später abgefasste Prolog ist, so gibt er
doch einige ganz brauchbare Andeutungen. Einmal ist es gewiss kein
Zufall, dass an der Spitze der Sammlung gerade eine Sentenz stellt,
in welcher das liberum arbitrium so besonders betont wird. Sodann
ist auch die Erwähnung jenes Briefwechsels zwischen Paulus und
Seneca nicht ohne Bedeutung, da, wie wir späterhin sehen werden,
unsere Sammlung mit demselben in einem gewissen Zusammenhänge
steht.
Weiterhin enthalten die Handschriften nicht die gleiche Anzahl
von Sentenzen, wie sie uns gegenwärtig in den Drucken vorliegt.
Es fehlen nicht blos in beiden die Pythagoreischen Sprüche n. 144
und 145 am Schlüsse der Sammlung, sondern auch in dem Corpus
selbst ist, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, hie und da eine
Sentenz ausgelassen oder eine eingefügt; auch ist nicht selten die
Reihenfolge der einzelnen Sprüche verändert, was alles hinreichend
beweist, dass die Form der Schrift mit den Zeiten mannigfache
Umänderungen erfahren hat. Der Codex a gibt übrigens p. 406—414
«nach sent. 143 noch einen Anhang von mehr als hundert Sprüchen,
die zum Tlieile wieder aus mehreren Sätzen bestehen und durch ihren
Inhalt öfters zu grosseren Gruppen vereinigt sind. Dieselben rühren
ohne Zweifel von einem christlichen Verfasser her, wie dies ihr
Inhalt, der häufig mit dem über proverbiorum und dem Ecclesiasti-
cus übereinstimmt, und die eingestreuten Bibelstellen beweisen. Da
es natürlich nicht meine Absicht sein kann , diese ganze Sammlung
hier abdruckeu zu lassen, um so mehr als man mit derlei Dingen oft
genug Zeit und Papier verschwendet hat, so, beschränke ich mich
auf einige Proben, um Inhalt und Form dieser Sentenzen einiger-
massen auzudeuten. So heisst es gleich Anfangs: Esto in cunctis
casihus firmus, patienter tolera omnia. Respice similes aüoruin Casus.
Dum tibi aüena pericula memoras, mitius tua portas; aliorum enim
exempla releuant dolorem, einige Zeilen später: Nullus te Casus
imparatum inueuiat. Sic alienam miseriam tamquam tuam luge.
Sapiens uerbis paucis utitur. Quod ad te non pertineat, noü
38
Dr. Sehe u k I
quaerere. Sapientia dando iargior fit, retinendo aut'em minuitur. Dum
iudicas, causas adspice non personam, endlich am Schlüsse: Uide
ne, quod legendo respicis, uiuendo contemnas. Gratias deo. Finit
liber Senecae. Man sieht, dass manche dieser Sätze, was Gedanken
und Sprache anbelangt, sich von jenen in dem Buche de moribus
nicht besonders unterscheiden; aucli stimmen mehrere mit den
Sprüchen in dem Annulus aureus des Rufinus überein. So findet sich,
um nur ein Beispiel anzuführen, die oben erwähnte Sentenz: „Sa
piens paucis uerbis utitur“ ganz ähnlich hei Rufinus n. 134 (Orelli I,
p. 2S5) „Sapiens uerbis innotescit paucis“.
Wir geben nun die Collation der beiden Sangallenses mit der
Ausgabe von Haase in der oben angedeuteten Beschränkung und
fügen zugleich unter dem Texte die Schriften, aus denen die ein
zelnen Sprüche entlehnt, oder die Sätze, nach denen sie gebildet
sind, so weit sich dies erkennen lässt, in aller Kürze bei. Dass
hiefür die Bemerkungen der älteren Herausgeber, eines Scaliger,
Gruter u. a., eben so wie die der neueren, Orelli, Bothe, Ribbeck u. a.,
gebührend benützt norden sind, bedarf keiner besonderen Erwäh
nung. Um ferner das Verhältniss unserer Sammlung zu jener, die
unter dem Titel Proverbia Senecae oder Sententiae P. Syri geht,
näher zu bestimmen, haben wir bei den Sentenzen, die sich eben so
in dieser wie in jener finden, die abweichenden Lesearten der letz
teren verzeichnet. Der Kürze wegen bezeichnen wir mit Or. den»
P. Syrus in der Ausgabe von Orelli, Leipzig 1822, mit R und B die
Sammlung in den Reliq. com. lat. von 0. Ribbeck und den Poet. lat.
scen. fragm. Vol. V, P. II von Bothe; G ist Gothofredus, F der cod.
Frisirigensis (jetzt Monacensis lat. 6292, vgl. Wöifflin Caec. Balb.
p. 16 ff., Bernhardy S. 339), Gr. der cod. Gryphiswaldensis, VBh
und VBd Vincentius Bellovacensis in seinem Speeulum historiale und
doctrinale (nach dem Texte der undatirten ed. princ., vgl. Ebert 1,
1032 tf.), P und S der cod. Paris. 4841 und Sorbon. 280 (vgl.
Wöifflin Phil. VIII, 184; IX, 681). Mit V ist eine alte Ausgabe (s. 1.
et a.) bezeichnet, die ich bei Ebert nicht angeführt finde *); dieselbe
(14 Blätter in 4°.) enthält ohne allen zusammenfassenden Titel:
p. 1—16 die prouerbia Senecae, 17 — 20 das Buch de moribus, und
21—28 die Schrift de quattuor uirtutibus;*Vp bedeutet die proverbia
') Das Exemplar befindet sich auf der Innsbrucker Universitätsbibliothek.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Senecn.
39
in dem genannten Büchlein. Mit E und Ep bezeichnen wir die Schrift
de moribus und die proverbia in der Ausgabe von Erasmus; da die
erste und zweite Augahe nicht selten von einander abweichen, so
gebrauchen wir in solchen Fallen auch die Zeichen Ei, E a ,
Epi, Ep 2 .
t omne quod uoluptarium est. — exeusacionem.
2 facit et ad id uiuit unusquisque quod didicit. — Bene facias
bene loquere a, Bene loquere bene facere ß.
3 uieium est a, uitiosum („est“ s. 1.) ß. — quod facta ß.
4 nulla enim. -
5 om. „alter“ a.
1 Tolle excusationem VE. Omne peccatum est actio. Omnis actio est
uoluntaria tarn tiirpis quam honesta ((am h. quam t. Ep). Omne ergo peccatum
uoluntarium est. Omitte excusationem: nemo peccat inuitus Vp. Omne p. actio
est. Omnis autem actio uoluntaria, tarn h. quam t. Omne e. p. u. est G. Omitte
. . . inuitus F. Oie Quelle scheint Seneca Ep. 66, 16 zu sein: „Omne honestum
uoluntarium est . . . Non potest honestum esse quod non est liberum“ ver
bunden mit Lact. Div. Inst. IV, 24. nichtig ist excusationem „die stehende
Entschuldigung“, nämlich Inuitus feci oder wie Lactantius a. a. 0. sagt: „Itaquo
ducor inuitus et peeco, non quiauolo, sed quia cogor“.
2 facit et id (om, „et uiuit“; om. „Bene .. . facere) VE. Edueatio et d. m.
facit et id sapit quisque quod didicit. ßona itaque eonsuetudo excutiat q. m. i.
Vßh IX, 102. Utilis edueatio et disciplina inores facit. Unde bona eonsuetudo
excutere debet quae m. i. Vp Ep (Ep 2 Unde et btfna . . . incussit). MitVp über
einstimmend GF, nur dass sie eductio und induxit lesen. Vielleicht ist doch die
Lescart der Sangg. richtig; „ad id“ würde dann „nach dem Masse dessen,
gemäss dessen“ bezeichnen, vgl. Hand Turs. I, 110. Die angcluingte Sentenz
erscheint hier in ihrer ursprünglichen, sehr armseligen Gestalt.
3 und 4 Nihil .. . uitiosum est. Nam facta c. animus non uidetur Vp Ep G.
Nihil . . . facias quod uitiosum est fecisse Vßh IX, 102, VBd V, 106. Die Quelle
ist, wie dies schon Bünemann (in seiner Ausgabe des Lactantius p. 346)
bemerkt hat, Lact. Div. Inst. III, IS Atqui nihil interest, quo animo facias, quod
IVcisse uitiosum est, quia facta ccrnuntur, animus non uidetur. Or. 674 R. 728
ist somit kein ursprünglicher Vers. Eben so bildet Lact. Div. Inst. VI, 23 Nulla
igilur laus est non facere, quod facere non possis die Quelle für den folgenden
Spruch. Man bemerke hiebei noch, wie häufig Sentenzen, die mit einander
nichts gemein haben, durch ein enim, autem u. dgl. äusscrlieh verbunden
wurden.
5 Quid homini est inimicissimum? horno VE (alter homo Vp Ep). Vgl.
Auson. Sept. sap. sent. 1, 2 Pernicies homini quae maxima? Solus homo alter.
— Stob. Flor. 2, 43 ’Ava^apaij 6 Sxü^rjs ipwriäeij vkö tivo; ri ian iroXspiov
av3p«iroi5; „aOrol“ E'pvj „lauvoij“.
40
l)r. S o h e n k 1
(> Feras libenter ß.
7 Expecta.
8 Numquam multis.
9 tarnen incumbe.
10 uelud a.
11 Tristitiam si fieri potest ne admiseris et si minus admiseris
ne ostenderis a.
6 Uiriliter feras quae n. est etc. Vp Ep (Ep 2 dolor enim) G F (wo dolori-
lius enim). Fcr quod necesse est Rutin. 111. Ähnlich ist auch Sent. Varr. (ed.
Ch. Chappuis, Paris 1856) I, 5 Duplex est malum, cum, quod necesse est,
molestc ferimus. -—Eine andere Sentenz ist die in P Libenter fac quod necesse
est, vgl. Aus. S. s. s. 4 Faxis ut libeat quod est necesse. — Für den Schluss
vergleiche noch Cuiuis dolori remedium est patientia Or. 149, II. 106.
7 Expecta quo nunquam poeniteas VE 3 (E x quod). Haase schreibt Expe-
tas, wahrscheinlicher ist Wöifflin’s Exhibeas. Ähnlicli klingt Caue ne quiequid
ineipias quod post poeniteat F (Or. 119, II. 86). Periander hei Diog. Laert. I, 97
-narre äp.srau.i/.v'Ta.
8 Non . . . sed quibuslibet studeVp (sed quibus st. Ep.). Nec quam multis
sed quibus placeas cogita Mart. Dum. de form. hon. uit. 2, 11. Numquam quam
multis placeas sed quibus sfude Fabric. 210 t). — Vgl. Or. 403, R. 668. — Für
den Gedanken vgl. man noch Att. Epin. fr. 5 Probis probatum potius quam
multis fore, Aus. S. s. s. 2, 2 Bono probari malo quam multis malis.
9 tarnen V, vgl. n. 74 und 104. — Vgl. Isocr. ad Dem. §. 41.
10 mors iuncta VE, ullimus intueatur V, u. iudiceturE. Omnes enim uitam
. . . Omnis itaque dies u. u. ordinandus est Vp Ep (Ep a streicht enim und itaque)
F. Multos . . . omnis itaque . . . ordinandus est VBh IX, 102. Omnis dies uelut
ultiinus putandus est Fabric. 233. — Der erstere Theil, ein vollständiger Te
trameter, vgl. Or. 845, R. 535, muss offenbar Multos uitam etc. lauten, da Omnes
gar nicht passend ist und offenbar nur dem folgenden Omnis seinen Ursprung
verdankt (eine Nachahmung finden wir bei Columb. Epist. II Dilferentibus mors
incerla subrepit); der letztere Theil stammt aus Sen. Epist. 12, 8 itaque sic
ordinandus est dies omnis tamquain cogat agmen (vgl. de breu. uit. 7, 9), wess-
halb Or. 528 R. 680 zu beseitigen ist. Es sind hier wieder zwei Sätze, die
ursprünglich nichts mit einander zu thun hatten, zu einem Ganzen verbunden.
11 si poteris P. — Tristiliam si potes ne admiseris Vp Ep (caue ne
adin. F G). — Die Sentenz scheint zum Theile aus der Bibel zu stammen, vgl.
Eccles. 30, 22 Tristiliam non des animae tuae, 38, 21 Ne dederis in tristitia cor
tuum, sed repelle eam a te. Der Schluss erinnert an Periander hei Stob. Flor.
111, 79, yj: Auo-uySiv xpü-v£, iva roiig iyßpovg evfpavyg.
*) Wir wollen auch die von Fabricius, angeblich aus einer Handschrift mitgelheiltcn
Sentenzen nicht ausschlicssen , obwohl dieselben offenbar nur Versuche sind, ein
zelne prosaische Siitze, die unter den seulenliae Syri Vorkommen, in Verse zu
bringen.
Beitrüge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
41
12 Amicos secreto.
14 om „ipsi“ a. — ipsa ß.
1b TJt liquentiosa mancipiaris animi imperio coherce a.— colier-
ceas ß. — libidinemque.
16 uelis esse aß. — alio ß.
17 Ridiculum enim est a.
18 stultius est quam uia deficiente uiaticum augere a. — niati-
cuin augere ß.
19 non putet te foreius esse nasci quam uiuere a, non te pudet
(in. 2 pigeat) fortius nasci quam uiuere (m. 2 fortius uiuere quam
nasci) ß.
12 Amicos secreto VE. Amicum secreto amone palam lauda P. Amicos
admone secreto palam lauda VBd VI, 88. Secreto admone amicos palam lauda
Vp Ep G. — Vgl. Or. 705 R. 459. — Ähnlich ist Aus. S. s. s. 5, 4 Clam coar-
guas propinquum, quem palam laudaueris, Fahr. 44 Castiga amicum clanculjim
lauda palam.
13 Ehen so VBh IX, 102. Uerba . . . aecipienda sunt Vp Ep F G. — Sent.
Varr. 22 Non refert quis sed quid dicat, Sen. Epist. 12, 11 Ut isti, qui in uerba
iurant, nee quid dicatur aestimant, sed a quo.
14 om. „ipsi“ VE. — tibi ipsi Vp Ep VBh IX, 102. — om. „ipsi ante
oinnes“ F G. — Honoratioren) te puta, si tibi, quod opus est, ante omnes per-
suaseris P.
15 Vgl. 117 om. „imperio“ . . . coherce V, et libidinem VE. — Ut nocenti
mancipia acri ingenio compeseere linguam uentrcm libidinem P. — Vielleicht
ist zu schreiben acri animi imperio. •
16 om. „ipsi“ . . . ab alio VE. Quod tacitum esse uis nemini dixeris. Quia
non poteris ab alio silentium exigere, si tibi ipse non praestas Vp Ep (so auch
F G, wo exigere silentium, und VBd V, 92, wo uis nulli und ipsi steht). Quod
tacitum uis esse, nemini dixeris: a quo enim silentium exigis, quod tibi ipsi non
praestiteris P. Quod esse tacitum uis id nulli dixeris Fabric. 294. Für den
ersten Theil vgl. Aus. S. s. s. 7, 3 Quod facturus cris, dicere sustuleris, Sen.
Hipp. 873 Alium silere quod uoles primus sile. Der zweite Satz in der Fassung,
wie sie die proverbia Senecae geben, ist offenbar Lact. Div. Inst. VI, 23 nach
gebildet: Iniquum enim est, ut id exigas, quod praestare ipse non possis.
17 om. „suam“ VE VBd V, 135. — om. „aliquem“ et „suam“ Vp Ep. —
Vgl. Or. 858, R. 805.
18 auaricie scelus V. uiaticum quaerere uel augere V (uiaticum augere E).
— om. „quod dici solet“ .. . uiaticum augere VBh IX, 102. Monstro similis est
auaritia unica Vp Ep G. — Die Quelle ist Cic. Cat. mai. 18, 66 Auaritia uero
senilis quid sibi uelit non intellego. Potest enim quidquam esse absurdius quam
quo uiae minus restaf, co plus uiatici quaerere,
19 non pudeat te fortius nasci quam uiuere VE (E 2 non pudet). Der erstere
I heil scheint aus Ecclcsiastes V, 14 zu stammen: Sicut egressus est nudus de
42 Dr. Schenk!
20 ora. „amicum“ a.—omniasicloqui aß.—om. „seruandus — ego“.
21 =22 Quid interest non habearis a, Quid interest (m. 2 Quis
sis i.) non quod h. ß.
22 = 21 non ledere ledeotem a, neglegere (m. 2 non ledere)
ledentem ß.
23 si non fe turba deriserit aß. — Felix es aß.
24 contempnere contempni (om. „ab eisdem“).
26 om. „tarnen“.
utero matris suae, sie reuertetur; der letztere geht auf die Sentenz Or. 729
K. 748 zurück, wo aber Sordidius multo nascimur quam uiuimus geschrieben
werden muss; man vgl. Or. 466, R. 654 Nemo ita pauper uiuit, quam natus est,
welche Sentenz aus Sen. de prov. 6, 6 Nemo tarn pauper uiuit quam natus est
stammt (Min. Fel. Oct. 36 nemo tarn pauper potest esse quam natus est).
Darnach wird man auch in unserem Spruche: „Nonne te pudet sordidius nasci
quam uiuere?“ herstellen müssen.
20 Quid dulcius quam habere amicum cum (cum quo Ep F G) omnia
audeas. Quem (cui Ep 3 ) sic credis (credes Ep 3 , eredas F G) ut te (tibi Ep 3 )
cui sic loquaris quasi tecum Vp Ep F G (welche beiden noch hinzufügen: Quanti
tales amicos habere uoluerunt, cum ipsi tales esse non posseut). Mit FG
stimmt VBd VI, 83 überein, nur dass er ut tecum und et ipsi. . . possunt liest.
— In Ej, cod. Steph. sind die Worte: „Seruandus . . . ego“ hinzugelugt, wobei
Erasmus die Bemerkung macht: Haec in quodam exemplari reperi, sed mihi
uidentur a quopiam adiecta e glossemate“. Man sieht, wie späterhin diese
Sentenzen erweitert und verflacht wurden.
21=22 Quid sis interest quod non habeas V, Quid sis interest non quid
(quid non Ej) habeas E. Quis sis interest non quis habearis Vp Ep. Quid sis
interest non quid habearis VBd VI, 67 Gr. Quid ipse sis interest non quid
habearis F G (vgl. Or. 636, R. 414).
22 = 21 Quam magnarum uirium est negligere laedentem Vp Ep F G (die
noch beifügen qui enim uindicat, sentit). Vgl. R. 222 (fr. inc. fab. LXXIII, Sen.
Epist. 94, 28) Iniuriarum remedium est obliuio, welcher Spruch auch so ver
ändert vorkommt Magnaniini (ßothe -no) iniuriae remedium obliuio est (est r.
ob!. Bothe).
23 si non te turba deriserit VE. Nondum felix es si nonduin te turba deri-
det Vp Ep F (om. „te“ VBd V, 83), vgl. Or. 838, R. 531. Natürlich ist deriserit
zu schreiben.
24 Qui uis. . .primum eoncendere noli V. contemnere et eontemni E. pri-
mum eontemni Vp F G (contemnere et eontemni Ep). Es scheint zu schreiben
contemnere te eontemni, vgl. VBd V, 38 spernere sc sperni.
25 ut cum Vp F G. Ähnlich ist Ruf. 85 Delibera priusquam agas et ante-
quam agas prouide quäle sit quod facturus es.
26 om. „te“ . . . faciet . . . om. „tarnen“ et „inuidia“ V. om. „ut“ et
„tuo“ . . . facias . . . om. „tarnen“ E. — Id agas ne quis merito tuo te
Beiträge zur Kritik des L. Annneus Seneca.
43
27 querif.
28 om. J5 est“ aß. — cultor dei ß.
29 abstinebis alieno sanguine, abstinebis alieno mutrimonio a.
— abstinebis (m. 2 Abstine ab) a. s. ß.
31 ministerium a.
32 Non uiues aliler in foro, aliter in solitudine a. — om.
„et“ ß.
33 Nihi! petas.
oderit Vp Ep (Ep 2 F tuo te merito ne quis) (vgl. Or. 289, R. 206). Nam si
nullos inimicos tibi (tibi parit Ep 2 ) iniuria multos tarnen inuidia Vp Ep. Nam
etsi . . . tibi facit i. nonnullos tarnen facit inuidia G und Vßd V, 83 (der aber
multos tarnen liest). In anderer Form lautet diese Sentenz: Quamuis agas id
ut ne . . . oderit erunt tarnen qui semper (Ep 2 semper qui) oderint Vp Ep
F G (wo quaerunt tarnen semper qui oderint steht). Quamuis agas ut ne quis
tuo merito te oderit erunt tarnen semper qui te oderint VBd V, 133, — Die
beiden Sentenzen sind getrennt zu schreiben oderit. Etsi etc.
27 quaerit Vp Ep, vgl. Or. 866, R. 810.
28 cultor dei VE. Non aspicias quam plenas quisque manus deo sed quam
puras admoueat. Non enim aliter nisi optimus animus pulcherrimus dei cultus
est Vp Ep G. Non . . . plenas sed quam puras quis deo manus afferat admo
ueat. Non enim etc. VBd V, 31. Non aspicias quam plenas quisque deo manus
notes sed quam puras admoueat. Non aliter pulcherrimus dei cultus cst animus
nisi fuerit optimus F. — Es ist offenbar cultus zu schreiben und et vor pulcher
rimus zu streichen, vgl. Sent. Pyth. bei Joann. Damasc. IX, p. 640 ävaia zü>
äiü> ■yvwp.vj a-/aäri; ähnlich ist Lact. Div. Inst. VI, 24 Quisquis igitur his Omni
bus praeceptis caelestibus obtemperauerit, hie cultor est ueri dei, cuius sacri-
ficia sunt inansuetudo animi et uila innocens et actus boni.
29 Die Sentenz scheint im Sang, a richtig überliefert zu sein. Ähnlich ist
Lact. Div. Inst. V, 10 a. E. Quo modo enim sanguine abstinebunt . . . quo
modo pudicitiam tuebuntur?
30 om. „amicis fidem“ VE. Praeslabis p. p., c. dilectionem, praestabis
amicis fidem, Omnibus acquitatcm Vp Ep F G. Pietalem parentrbus praesta,
indulgentiam amicis, operam ciuibus, fidem etiam hostibus P. Ähnlich ist Isocr.
ad Dem. §.16 roiig piv äzobg tpoßo0, Tobe Sk 70VS15 zi\j.a, zobg Sk tfilovg cd'jy.vvov,
zolg Sk vopot; n-;t'3ou, Solon bei Stob. Flor. 3, 79 tpiXovg evaißv., ^ovekg alSov.
Die Worte „amicis fidem“ sind nicht zu verdächtigen.
31 Respue erudelilatein et matrem crudelitatis iram Vp Ep F G VBd V, 136
(vgl. 133 Ira crudelitatis inatcr est).
32 Non aliter uiuas . . . om. „et“ V E Vp Ep F (der Non uiuas aliter
liest), vgl. Or. 839, R. 791.
33 Nihil p. V E. Nihil petas quod negaturus es (sis Vßd V, 34) Nihil
negabis quod petiturus cs Vp Ep und auch F G (aber in umgekehrter Ordnung
und am Schlüsse petiturus eris).
44
Dr. Sehe n k I
34 Pacem cum omnibus habebis, bellum cum uiciis aß.
3ö in quod aß (in id quod ß m. 2). — in id etiam ceteros
putet furire o. („in idem ceteros“ sed in ras. ß).
36 non melioribus uult aß. — pluribus displicere a.
37 Si uis a. — effice te ut aß.
38 Bonum est non laudari sed esse laudabilem.
39 est uitare quod non potes praeterire a. — uitare non potes ß.
40 fehlt in a. — om. „autein“ ß.
41 homines. 11 bene enim a. — mereor bis sed a, mereor ego
(m. 2 m. bis) ß.
34 Pacem cum liominibus habebis cum uitiis bellum VE. Pacem cum
omnibus (hominibus Ep 3 P G) habebis bellum cum uitiis Vp Ep F G. Pacem
babeto cum hominibus cum uitiis bellum Vßh IX, 102. Cum hominibus pacem
bella cum uitiis habe Fahr. 45. — Vgl. R. 682. — Sen. de ira 2, 28 Magna pars
hominum est quae non peccatis irascitur sed peecantibus.
35 in quod E, in id putet etiam ceteros f. VE, ut in quo ipse insanit in
idem putet omnes furire Vßh IX, 102 Vßd V, 114. — Omnis afl'ectus habet ut
in hoc quod (ut in eo in quo G) ipse insanit ceteros furere putet F (in idem
putet ceteros furere G). Die Stelle aus dem conc. Turori. II, c. 14 haben wir
schon früher angeführt. — Vgl. Or. 327, R 228 Insanus omnis furere credit
ceteros.
36 non melioribus uult V E. Aus. S. s. s. 2, 2 Bono probari malo quam
multis malis.
37 auch Vp Ep Vßd VI, 67 (wo affice prius steht). Uis omnibus esse
notus? noris neminem F. — Vgl. Or. 782, R. 356.
38 Bonum est non laudari et esse laudabilem VE. Quam magnum est non
laudari et esse laudabilem Vp Ep Vßd VI, 69, vgl. Or. 601. R. 396. Die Sangg.
haben die ursprüngliche Form des Spruches richtig erhalten.
39 om. „Morieris“ V E. non poteris V (non potes E). Stultum est limere
quod uitari non potest Vp Ep F (wo mutari steht); vgl. Or. 739, R. 752. Die
Sentenz stammt, wie die folgenden 40, 41, 43, aus dem Buche de remediis for-
tuitorum (2, 3).
40 Male obtuentur (opinentur E) de te . . . Malis displicere est 1. V E.
Opinantur de te homines male, sed mali. Displicere enim malis laudabile est
(Malis enim displicere laudabile est Vßd VI, 67 P S) Vp Ep. Opinantur. . .mali.
Omnibus enim displicere malis laudari est F G. Ausserdem kommt noch einzeln
der Spruch vor Malis displicere laudari est Vp Ep G. —- Vgl. de rem. fort. 7, 1
Male de te opinantur homines. Sed mali . . . nunc malis displicere laudari
est. Ähnlich ist Plaut. Bacch. 118 Mali sunt homines qui bonis dicunt male.
41 nesciunt non quod merearis sed quod solent ipsi VE. — Vgl. de 1 rem.
fort. 7, 2 Male de te loquuntur. Bene enim nesciunt loqui; faciunt non quod
mereor sed quod solent. Ähnlich ist Stob. Flor. 19, 5 nXarcov Xotdopodpsvos
-j-o rivos XA/s, eovj, xaxSic, sjrel xaXwc oüx i'u.ctäs;.
Beitrage zur Kritik des L. Annneus Seneca.
45
42 loquiintur male ß. —• loquunlur sed inmerito quod loquuntur
R non molestum mecum est („est“ auch ß) sed . . . si enim inmerito
innocenciae meae (so auch ß) a. In a folgt dann noch: Male de te
Joquuntur homines R gaudeo si mentiuntur doleo si uera dicunt. Male
de te loquiintur homines R dum me lazerant se maculant.
43 Noli patriam inquirere; ibi enim est patria tua ubi bene tibi
fuerit. illud . . . non in patria sed in homine est et non in loco a.
— per quod est bene . . . non in loco („est add. m. 2) sed in
homine ß.
44 om. „est“ a. — animo magno dispicies aß.
43 maximae.
46 is qui ß.
47 deo nisi deum a.
48 Honestum est ß.
42 male V E, om. „si m. non q. loquuntur“ V, non quod V, innocenciae
meae V, uera obieeturos V E.
43 in patria tua; patria tua est ubicumque bene es VE. Vgl. de rem. fort.
8, 2 Non eris in patria. Patria est, ubicunque bene es. Illud autem per quod
bene est, in homine, non in loco est. — Patria est. ubicunque bene uixeris Vp
Ep G. Patria tua est ubi uixeris bene F, vgl. Or. 343, R. 683, fr. inc. trag. 49
(Cie. Tusc. V, 37, 108) patria est ubicumque est bene. Harpt's £<jtl Trat?’ fv’ av
irparr-jj ti; tv Arisloph. Plut. 1131.
44 om. „est in rebus humanis“ V E. — Nihil est magnum in r. h. nisi ani-
mus despicientis VBd V, 73. — nisi animus magna despiciens Vp Ep F G. Diese
Eeseart verdient unbedingt den Vorzug; vgl. Lact. Div. Inst. VI, 11 Magni et
excelsi animi est despicere et calcare mortalia.
43 maximae V E Vp Ep F G P. — Natürlich ist maximae zu schreiben.
46 habet is qui V E. habet is qui nimium Vp (minimum Ep). Plurimum
habet is qui minime cupit Vßd VI, 77 (der aber 76 den gewöhnlichen Text
gibt). — Vgl. ine. fab. fr. 63 Is minimo eget morlalis qui minimum cupit (Sen.
Epist. 108, 11, Or. 343, R. 242. Wölfflin Caee. Balb. p. 23). Quis plurimum
habet? is qui minimum cupit Or. 633, R. 721. Quis diues? qui nil eupiat. Quis
pauper? auarus Aus. S. s. s. 1, 3 (s. auch n. 37).
47 om. „deo“ . . . imjtari deum Vp Ep. —- Vgl. Or. 633, R. 712. Die
Quelle ist Sen. de benef. III, 13, 4 Qui dat beneficia, deos imitatur. Die Um
wandlung des deos in deum ist bemerkenswerth, wenn man sich erinnert, wie
häufig christliche Schriftsteller in Citaten ein diis, Joue u. dgl. in „deo“ u. ä.
verwandelt bähen.
48 Ähnlich ist Sen. Ep. 3,2 post amieitiam credendum est, ante amicitiam
iudicandum.
49 Itaque sernper ab alio incipiat dissensio, a te uero reconciliatio VBd
V, 133, VI, 88. Dissensio ab alio, a te sit conciliatio Fahr. 49. — Vgl. Stob
40
Dr. S c li e n k 1
50 aliorum (in. 2 ainicorum) ß. — immo succurre cuiuiae aß.
51 res obtirne parant aduersae autem certissime (aduersae cer-
tissimos ß) probant aß.
52 ilaque loquax inimicus minus offendit quam tacitus a. —
Hiezu fügen noch beide codd.: Cuius eniin ira se denudat, illius
quaerit ad nocendum occasionem.
53 intellegi a.
54 Agnosce amat quod non uult oslendere a. — In ’ß ist dieser
Spruch am unteren Rande von zweiter Hand beigefiigt.
55 accipientibus prodest quam dantibus.
56 et spes ipsa a.
58 imperare te a.
59 Nullum magis conscium p. t. a, conscium magis p. t. ß. —
alium enim ß. — om. „autem“ a.
Flor. 84, 19 ’ApiaziKKog stpr/ae kpog röv ädeXpov p.ip.v-pao ozi zzjg p.h Siuoza-
aeo/g av j), zrig 8i Hialuaeoig
50 immo potius Vp Ep F G VBd VI, 88.— Vgl. Isoer. ad Dem. §. 25 oüzo/g
äpiaza y_p-pasi zolg piXoig, iav p.ri Kpoap.it/-pg zag Kap’ ixelvwv Se-paeig, dXX’ aürs-
ira-fls'kzog avzolg in zoig xaipoig ßor/Srig.
51 Amieos res optimae (opimae Ep) parant aduersae probant Vp Ep G.—
res optime parant P. — Die Leseart des Sang, a ist richtig. — Vgl. Or. 821,
R. 785. — Aus. S. s. s. 2, 6 und 7 Plures amieos re secunda compara, Paucos
amieos rebus aduersis proba.
52 Perniciosiora sunt P. Peiora . . . aperta. Propterea te loquax inimi
cus tutiorem quam taciturnus ostendit Vp Ep (inimicus minus quam taeiturnus
offendit Ep 2 F G). In F findet sich noch der Spruch „Ira quae tegitur nocet“.
53 om. V. Der Satz erinnert seiner Fassung nach an die sententiae Var-
ronis, eben so 130.
54 Agnosce V. Ignosci amat qui quod odit ostenditE. Übrigens bekennen wir
aufrichtig, dass uns diese und die vorhergehende Sentenz ziemlich dunkel
erscheinen. Dem Sinne und theihveise auch der Überlieferung entspräche: Mira
ratio, quae uultpraedicari, quod non uultostendere. Doch bleibt hier alles unsicher.
55 Eben so in Vp Ep G. Ein ähnlicher Gedanke bei Sen. Ben. 4, 15, 1,
Man bemerke den Ausdruck eleemosyna = beneficium.
56 Ex spe praemii s. f. 1. Vp Ep F. Et spes praemii solatium cst laboris
Gr. Vgl. Or. 210, R. 720.
57 Vgl. n. 46. Sen. Epist. 2, 6 Non qui parum habet, sed qui plus cupit
pauper est. Ep 108, 9 Desunt inopiae multa auaritiae omnia, vgl. Or. 325, R.121.
58 Vp Ep F, vgl. Or. 549, R. 687. Pecuniae imperare non scruire conuenit
Fahr. 264.
59 Nullum peceatorum t. conscium . . . quam te ipsum: alium enim effu-
gere potes, te nunquam Vßh IX, 102. — alios poteris P. — Vgl. Aus. S. s. s. 7, 1
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneea.
47
00 sibi ipsi diues uidetur a. — sibi (in.2 adJ. „illiquid“) uidetur.
62 felicitatem submitte a.
63 In aß stellt blos Infelicis innocentia.
64 Nequicia ipsa est pnena sui a. — pena sni ß.
66 continebis si e. cogitaberis.
68 Inbonesti.
Turpe quid ausurus te sine teste time; vgl. eodd. P. bei Wölfflin Caes. Balb.
n. 65, p. 42 Conscientiam quam famam intende; famam enim saepe poteris fal-
lere, conseienliam numquam.
60 uidetur diues Vp Ep F VBd VI, 76, vgl. Or. 6ö2, B. 720. Es ist jeden
falls „uidetur diues“ zu schreiben.
61 Multos timere debet quem multi timent Vp Ep VBd V, 136, Joann.
Saresb. VIII, 14 Or. 444. — Res uera est qui a multis timetur multos timet Vp
Ep F G VBd V, 74. — Vgl. Dec. Lab. fr. ine. 3 Necesse est multos timeat quem
multi timent (Sen. de ira II, 11, 3), Aus. S. s. s. 4, 5 Multis terribilis eaueto
multos. Anton Serm. ttepi ßxaiXioig: 6 xaWolg tpoßspüg Siv noXXobg foßsiaäui.
62 In felicitate se erigere est felicitatem submittere Vp Ep, vgl. Or. 745,
II. 7S3. Cleobul. b. Stob. Flor. III, 79 a: eüiropoövra üjrspjyavov eivat, ä~o-
poüvra p.yj ra,Teivoöo'3at.
63 Infelicis innocentia (wie a|3) V, Uera felicilas innocentia est E. In felice
felicitas est innocentia Vp Ep (verbunden mit 64), vgl. Or. 30ö, R. 155. Man
muss schreiben Uera felicitas infelici est innocentia; vgl. Sen. Controv. III, 16
(p. 207 ed. Bip.) Magnum est praesidium in perieuiis innocentia.
64 pena sui est Vp Ep FG (verbunden mit 63) VBd V, 106 (om. „ipsa“).
Vgl. Sen. Epist. 81, 22, 97, 14 Prima illa et maxima peccanliuin est poena pec-
easse . . . sceleris in scelere supplicium est, Plaut. Most. 537 Nihil est mise-
rius quam animus hominis conscius.
65 Nam mala . . . numquam Vp Ep F, vgl. Or. 872, R. 813.— Numquam
secura est praua conscientia Or. 518, R.343. — Bei Seneea finden sich mehrere
ähnliche Stellen, die als Quelle für den Spruch gelten können: Ep. 103, 8 Tutum
aliqua res in mala conscientia praestat, nulla securum, Ep. 97, 13 Tuta scelera
esse possunt, sccura non possunt, Hipp. 161 —163 Quid poena praesens, con-
sciae mentis pauor, animusque culpa plenus et semet timens? Scelus aliqua
tutum, nulla securum tulit.
66 Die Leseart der Sangg. verdient offenbar den Vorzug.
67 om. „oportet“ V. Ähnlich Sen.de ben. 2, 11 qui dedit beneficium
taceat, narret qui accepit. Aus. S. s. s. 6, 4 und 5 Tu bene si quid faeias, non
meminisse fas est, Quae benefacta aceipias, perpetuo memenlo. eodd. P. bei
Wölfflin Caee. Balb. n. 32, p. 40 Acceptum beneficium aeternae memoriae infi-
gendum. Menaml. Monost. 749 x“P lv Xußiiv p.ip.vr,ao xai Sabg inOtciSov. —Vgl.
Or. 73, R. 48.
68 lnhonesta res est suos uincere : satis est potuisse punire Vp Ep G. —
Vgl. n . 83.
48
Dr. Sch enkl
69 penarum est ß.
70 amieicias moderate exerce.
7 t Uanitatis simititer depone.
72 Imago ergo animi «.
74 sileneii temperamentum.
75 miscetur ß.
76 Neminem cito Iaudaneris aß. — te cum bis aß.
77 Quia uitinm omiiia credere et uitinm est n. c. a. — oilium
est nihil c. ß.
78 Nach „abutendum“ fügen beide codd. hinzu: ut ne a
superioribus condemneris (condemnaris ß) riec ab inferioribus
timearis.
69 Vgl. n. 68.
70 Der cod. P gibt diese und die folgende Sentenz dem Sinne nach
richtig: Inimicitiam tarde suscipe, moderate exerce, fidcliter pone. „Aniicitias“
wie „Uanitates“ sind sinnloseEinschiebsei, simititer eineCorruptel des ursprüng
lichen fideliter; aber inimicitias ist ohne Zweifel bcizubehalten.
71 Vgl. n. 70. Uanitates simititer depone V.
72 und 73 Imago animi sermo est; qualis est uir talis oratio Vp Ep G,
vgl. Or. 862, R. 808. — Für den ersten Theil vgl. Sol. bei Diog. Laert. I, 38 6
piv 1,0705 stdooXov tSiv zpyoiv, für den zweiten Sen. Epist. 114, 1 Talis homini-
bus fuit oratio qualis uita.
74 silentii temperamentum V E. Teno semper uocis et silentii tempera
mentum Vp Ep VBd V, 92, 170, VI, 29 (wo sich damit n. 9 verbunden findet: in
hoc tarnen incumbe, ut libentius audias quam loquaris; ebenso G, wo aber et
in hoc incumbas steht), vgl. Or. 861, R. 807. Die richtige Leseart ist offenbar
temperamentum.
73 miscetur Vp Ep, vgl. Or. 622, R. 710. Aequo animo qui malis miscetur
est malus Fabr. 16.
76 om. „cito“ . . . cum diis V E. Neminem cito accusaueris cito lauda-
ueris Vp Ep F Gr. Neminem cito accusaueris uel laudaueris VBd, V, 92 (laud.
uel aec. V, 170). Neminem cito accusaueris neminem cito uituperaberis: semper
tecum alterutrum facis testimonium dare P, vgl. Or. 832, R. 786.
77 Utrumque uitium est nulli credere et Omnibus Fabr. 362.
78 Utcndum est diuitiis et non abutendum ut ncc inde (om. „inde“ Ep 3 )
a superioribus contemnaris nec ab inferioribus timearis Vp Ep G. Es sind hier
offenbar zwei Sentenzen, die mit einander nichts zu thun haben, verschmolzen.
Denn dass die letztere Sentenz selbständig ist, zeigt Aus. S. s. s. 6, 1 Nolo
minor me timeat despicialque maior.
79 om. V. — Nullum p. esse locum s. t. Vp Ep F, locum esse Gr. VBd VI,
33 (der aber V, 92 und 170 Nullum sine teste locum esse putaueris liest). —
Vgl. Or. 310, R. 674. — Ähnliches bei Lact. Div. Inst. VI, 24.
Beiträge zur Kritik dea L. Aunaeus Seneca.
49
80 Excusacionem uicium est quaerere sed relinque omnia ad
deum aß (wo sed [deo m. 2] derelinque omnia steht). — Dann
fügen beide noch hinzu: Datarn uitam quocienscumque duhitaueris
sit eripienda a te, quoniam data eripi potest erepta reddi non potest.
81 suhecit.
82 Est enim difficile. a (Est eniiri difficillimum ß).
83 Bene irascitur iniquus a (Bene inique irascitur), q. s. irasci-
tur si in dolore a (sine dolore ß).
84 licens tibi d. a.
83 Magnarum eliam rerum a. — adfuerit aß.
86 und 87. Nobilitas animi generositas sensus. Nobilitas hominis
generosus animus a. In ß steht blos: Nobilitas enim hominis gene-
rosus animus.
88 qui senectutem aß. — quam qui in otium uenit et tune labor
incipiat aß (letzterer et tune incipiat laborare).
80 oni. V. — Excusationem quaerere uitium (cet. om.) E. — Excusatio-
nem q. u. est: omnia ad deum relinque Vp Ep G. — Excusationem quaerere
uitiis suis est omnia deo delegare P, was Wölfflin für verständlich hält, wäh
rend ich darin keinen Sinn entdecken kann. Mir scheinen vielmehr die beiden
Sentenzen von einander ganz unabhängig zu sein: Excusationem quaerere
uitium est und omnia ad deum relinque (vgl. Ruf. 266 Omnem magis causam
refer ad deum). Was den Beisatz in den Sangg. anbetrifft, so scheint er aller
dings eine Sentenz zu enthalten 5 aber in so zerrütteter Gestalt, dass der Sinn
gar nicht erkennbar ist; inan vgl. noch Fahr. 63 Eripere uitam nemo non
hoinini potest, angeblich aus Seneca’s Thyestes, während die Stelle vielmehr
aus Phoen. 132 entnommen ist.
‘ 81 om. V. — Putandus est recte fortior qui eupiditates tamquam hostes
subicit Vp Ep (quam qui hostes VBd VI, 2b). — Vgl. Or. 808, R. 310.
82 om. V. —- Est difficillimum opus se i. u. P. Anton, jrspi ayä.~i7g xai
slp-fjv/jg als Spruch des Demokritos: r& vtxäv a-jröv lauröv zraatöv vtxwv irpchrv;
xai aptarvj.
83 om. V. — Vgl. n. 67.
84 Talern diligentiam exhibe in ainiciciis comparandis, ut ne incipias
amare, quem deinceps possis odisse Vp (ut incipias Ep, ne inc. Ep 2 und so F G,
wo noch amieis steht).
8b Bonarum magnarumque rerum etiamsi successus non adfuit h. est
i. c. PS.
86 und 87 „hominis“ scheint die richtigere Leseart.
88 qui senectutem ad locum quam in otium et tune V. — Die letzten
Worte scheinen doch kein blosser Zusatz zu sein; vielleicht lautete die Sentenz
ursprünglich: H. est quem senectus ad otium retulit quam qui, cuin eum in
otio inuenerit, tune incipit laborare. — Für den Gedanken vgl. Sen. Epist. 23, 11.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. Kd. I. Ilft. 4
!>0
Dr. Schenk)
89 Turpe praebet speetaeulum aeger aiiiinus ß (in « fehlt
„praebet“).
90 Numquam fristis eris si quociens (eris si /3) tibi ipsi incom-
modo uixeris aß (von zweiter Hand bat ß Numq. t. facies sit
tibi etc.).
92 om. „cum“ aß.
93 Quomodo potentiam tuebor opfcime (cet. om.) «, Quomodo
potentiam optime tuebor (m. 2 optinebo inpotentia) quam occasionis
(„potentia" ante „occasionis“ s. 1. add. m. 2) ß.
94 Tenet locum proximum innocenciae confessio: ubi confessio
irae ibi remissio a.
95 Seueritas abnio (in uitio m. 2 ß) est, qnia proximus iusti-
tiae locus seueritas aß.
96 Bonus iudex est qui dispensare potest non tantum a (in ß,
wo von zweiter Hand geschrieben wird: „Bonus iudex est qui nouit
dispensare non tarn quod damnandum sit sed quatinus“, ist die
ursprüngliche Hand durch eine Rasur ganz zerstört).
97 s. n. 95.
98 Quietissime agerent a. — duo liaec uerba aß. — a natura
rerum tollerentur a, natura rerum omnium tollerentur ß.
Quidam uero tune incipiunt (uiuere) cum desinendum est; 13,17 Quid est tur-
pius quam senex uiuere ineipiens? vgl. Or. 481, R. 661.
89 praebet speetaeulum Vp Ep G VBd V, 107 (der noeb aeger animus
liest) F (wo turbae steht). Vgl. Or. 47, R. 556.
91 Homo sum quum deuitabo seeularium rerum V.
92 om. „cum“ V. — „cum“ ist jedenfalls zu streichen.
93 „impotentia occasionis“ ist sinnlos; vielleicht potentia occasionis, so
dass zwischen potentia und potentiam eine Art Wortspiel stattfindet.
94 Proximum ad innoccntiam tenet locum uerecundia et peccati confessio
Vp Ep (uerecunda peccati Ep 2 ), uerecunda confessio F G. Vgl. Or. 851, R. 799.
95 Die Sangg. verbinden vielleicht richtig diese Sentenz mit n. 97, obwohl
die Herstellung des Textes unmöglich ist.
96 Bonus iudex est qui nouit dispensare quod dandum est et quatinus Vp
Ep G. Man bemerke, wie die zweite Hand im Sang, ß mit den Lesearten der
prov. Sen. iibereinstimmt.
97 Vgl. Or. 103, R. 107 Bono iustitiae proxima est seueritas.
98 a natura VE. — Quietissime uiuerent homines in terris si duo uerba
tollerentur, sc. meum et tuum Vp, Ep, si duo uerba de medio tollerentur meum
sc. et tuum VBd V, 135, VI, 77, si duo uerba tollerent meum et t. F; vgl.
Or. 638, R. 715. Aristides II, p. 331 rö qäp ov tö oöv tovto aXK’ epöv äpx'l
itaaric ipG.ovsixi'ac.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
51
99 timet quam timendus est a.
100 amici tui a.
101 und 102 imtat. — indiget pecunia si tibi est cuius usura
morbus.
103 esse diues aß. — om. „et felix“ a.
105 antea tibi ipsimet dicito quam aliis a, antequam aiiis tibi
dicito ß.
100 alter semper insanit, alter interdum irascitur aß.
107 frueris bonis a.
99 Q. p. t. quam tiinidus est Vp Ep Vßd YI, 77, vgl. Or. 616, R. 406. Man
könnte nun allerdings „timendus“ vertheidigen , mit Rücksicht auf die „inale-
suada fames“, aber „timidus“ verdient entschieden den Vorzug, vgl. Lact. Div.
Inst. VI, 17 Nemo dubitat quin timidi et imbecilli sit animi aut dolorem metuere
aut cgestatem aut exilium (Sen. Epist. 14, 3).
100 Vßli IX, 102 Uires tuas magis amici bencfieiis quam inimici iniuriis
sentiant, was doch einen Sinn gibt, während die gewöhnliche Leseart rein
sinnlos ist. Aber nicht mit Unrecht vermuthet Orelli, dass dies nur eine Ver
besserung einer alten heidnischen Sentenz ist, die uns die prov. Sen. und sent.
Syri erhalten haben: Uires tuas amici beneficiis, inimici iniuriis sentiant Vp Ep
F G, vgl. Xen. Comm. !I, 3, 14 xal fojv kIeistou -ys doxei ävrjp sVat'vou a|io;
’i'jcu, og «v cp-Savp -obs piv jroXEpi'ouj xxx.w; jrotöjv, rous Sk <pcXou;
sdep'ysvtüv.
101 und 102 irritat ideo semper indiges pecunia si tibi est cui ius usura
morbi V, irritat. Homo semper indigens pecunia seit cum eius moribus conue-
nire E, vgl. Or. 58, R.560 (Or. 59. R.37). Ruf. 138 Inexplebilis est omnis cupi-
ditas; propter ea et semper indiget. Die folgenden Worte bilden eine selbstän
dige Sentenz, deren Sinn wahrscheinlich kein anderer ist, als dass sich der
Gebrauch des Geldes nach dem Charakter des jedesmaligen Besitzers richte,
also etwa: Pecunia si tibi est, eius usura conueniet moribus tuis.
103 Für den Gedanken vgl. Sen. Epist. 14, 18 Nemo sollicito bono fruitur,
Aus. S. s. s. 4, 2 Plus est sollicitus magis beatus.
104 Vgl. n. 9, Stob. Flor. 36, 19.
105 om. „dixeris“ V.
106 alter non semper irascitur Eg. Inter iratum et insanum nihil nisi dies
instat. Alter enim semper insanit alter dum irascitur P 8069 und 4841. Plut.
apophth. Cat. mai. 16 Tov öpqi^öpevov svo(u£s roö patvopEvov ^povo) Siapipsiv
(vgl. Stob. Flor. 20, 68). Philemon bei Stob. Flor. 20, 4 paivopsSa jrävrsf
ojrörav Sen. de ira 1, 1, 2 Quidam itaque ex sapientibus uiris iram
dixerunt breuem insaniam. — Es ist jedenfalls zu schreiben alter semper insanit
alter dum irascitur.
107 oin. „quae uituperaueris“ V. — Facillime bonam existimationem
mereberis si ea uitaueris quae uituperaberis P. — Vielleicht „bona fama frue
ris“; denn „bonis frueris“ ist doch nicht recht verständlich.
4
l)r. Schenk!
108 iilios aß. — te ipsutn maxime uerere aß. — uum sine aliis
saepe esse p. aß.
109 pudeat te aß.
111 tibi autem numquam a.
112 adicias aß.
113 Stnitum est autem a. — om. „quasi“ aß. — adsiduus aß.
114 Nach parcit fügen beide codd. hinzu: Si factum est quid
times quod certum est.
115 sibi ipsi conuicium (.aß (conuieia m. 2 ß).
108 Cum alios tum to maxime uerere. Sine aliis saepe, sine te numquam
esse potes P 8060, Cum alios tu maxime uerere etc. P4841. Plut. apophth. Cat.
mai. 9 p.a),itr~a öl ivöfu£e 8siv sxauvov aürvv aiSsiaSai- p:r,8iya. 'jap (avro-j
[i.r.Ssxozs efvai (Stob. Flor. 31, 11).— Richtig ist Cum alios tum te ipsum
maxime uerere.
109 Si bene te institucris pudeat te fieri deteriorem Vp Ep F G (wo „te“
fehlt) P (wo pudebit te deteriorem fieri). — Es ist wohl zu schreiben pudeat
te deteriorem fieri.
110 Quod persuaderis diuturnum est quod aegeris in oecasione est P.
111 Alteri semper ignosce tibi numquam P 8069 (Alteri saepe P 4841).
Alteri saepe ignoscito tibi numquam F (vgl. Wölfflin Caec. Balb. p. 18) Vßd
V, 68 Seneca in libro de moribus: alteri semper ignoscito tibi ipsi numquam.—
Vgl. Or. 293, R. 208. — Aus. S. s. s. 3, 4 Ignoseas aliis multa, nihil tibi
(Fahr. 107 sed nihil tibi). — Plut. Cat. mai. 8 extr. y.cd su-pyvwp.vjv epvj öiöövat
r.ä.ai zoig äpapravouct izXt,v avzov (Plut. apophth. Cat. mai. 8). — Was die
ähnliche Sentenz in den prov. Sen. und sent. Syri „Optimum est semper igno-
scere, tamquam si ipse pecces quotidie“ anbetrifft, so slammt sie aus Plin.
Epist. VIII, 22, 2 Alque ego Optimum et emendafissimum existimo qui ceteris
ita ignoscit tamquam ipse cotidie peccct.
112 quantum ex uoluniate detraxeris P. Anton, et Maxim, nspl ßiov xai
apsrriq als Spruch desDemonax: roaovrov sig uperriv Tcpoa^-ijusig oaov otv vofkqc
rwv rfSovSiy.
113 adsiduus ist richtig.
114 Bonis nocet qui malis placct P. Bonis nocet qui parcit malis Vp Gr.,
Bonis nocet quisquis pepercerit malis Ep; vgl .Or. 101, R. 664, Aus. S. s. s. 3, 6
Parcit quisque malis perdcre uult bonos, Stob. Flor. 46. 112 Ot p.-fj xoXa^ovzsg
zoiig xuxovg ßouXuyreu äSixslaäai robg a^a^ovg (vgl. 25).— Der Zusatz in den
beiden Sangg. ist zu schreiben Si fatum est quid times q. c. est, womit man
Aus. S. s. s. 5, 6 vergleichen möge: Certa si decreta sors est, quid cauerc
proderit?
115 conuitium E. Plerique cum stultis male dicunt ipsi sibi conuitium
faciunt Vp Ep F G VBd V, 172; vgl. Or. 849, R. 797. Multi dum malis maleni-
cunt sibi conuitium faciunt P. — Richtig ist aliis und conuicium. Vgl. Philemon
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
116 „est“ m. 2 ß. — quam quod obieitur in obiciente cognosce
passionem aß.
117 mancipiaris animi imperio a. — redige aß. — linguam
uentrem libidinemque a. —- Cupiditatemque obprime ß (a blos
obprime). — paulolum remitte cupiditatem a.
119 atnorem libidiuum et pecuniae a. — causa sui a. Dar
auf folgen einige mir ganz unverständliche Sätze: Dignus
tibi sit coram quo pie uiuere peccare autem pudeat te (ß ora,
„pie uiuere“ et „autem“). Adolescens si ferninis adortiaueris
iniuriam facere cogitas, si uiris adornaueris accipere tibi non
est quod (accipere non quidem ß) insolenter felicitatem fatea-
ris (fateris ß) quod non fuisse tibi inspira (fuisset tibi inspira-
tuin ß).
120 pudor rerum per uerba dediscitur.
122 innocentia in uita ab eo reeedit cum quo diu fuit ß.
124 Merito enim damnati pena est damnatio, iumerito damnati
calamitas.
bei Stob. Flor. 19, 2 6 XoidopSiv •'/xp, av ö Xoi3opovp.Z'jog (zvj Kpoaxoifirxi, XoiSo-
piLTca XoiSopSiV.
116 geben Yp Ep F G verbunden mit dem vorausgehenden Spruche in
folgender Form: Perlurpe eniin est quod obieitur in obiciente cogno-
sei. ■—- Nichil autem est turpius quam quod obieitur in obicientem agno-
scere P.
117 Vgl. n. IS, welche Sentenz hier ungeschickt wiederholt ist. —
redige V. — In P steht SVIorbos cupiditatem si opprimere non potueris pau-
luluin remitte, wornach man schliessen kann, dass dieser Spruch einmal mit
n. 101 und 102 verbunden war.
118 Saepe quae ratione non poterant sancta sunt tempore P.
119 pecuniae uel Iibidinis amorein Vp Ep G. Qui propter amorem pecuniae
moritur etc. P.
120 pudor rerum Vp Ep. Mit dem gew. Texte stimmen F G VBd V, 170.
ltichtig- ist pudor rerum und dediscitur.
121 dominus spectetur P, spectctur dominus S.
122 Consuetudinaria res est innocentia inuitabilia ah eo cedit cum quo diu
i'uerit P (wodurch der Beisatz im Sang. (3 bestätigt wird). Der Sinn des
Spruches bleibt mir unerklärlich.
123 und 124 Merito pena damnata est damnatio immerito est damnari V,
poena est damnatio imerito damnata est calamitas E (damnatio immerita
damnantis est calamitas E 2 ). Die Sentenz 124 ist in den Sangg. richtig
erhalten.
123 Die Sentenz kann in der vorliegenden Form nicht richtig sein.
54
Dr. Sehe n k 1
126 Uideri uis ab hominibus annon numquam b. h. longa siinu-
lacio est aß (der „est“ weglässt).
127 Quod de alienis mentibus iudicas, ex tuis iudices.
128 pauci sunt aß. — fragilis est aß.
129 om. „quae“ aß.
130 sci'ibens . . . om. „quod“ aß.
131 ostendit satis p. aduersus alienos sibi defuisse.
132 Nach loqui folgt: Non quiequid inprobi meruerint (mereri-
tur ß) id probi debent dicere. Longaeuitas bonis optabilis est.
133 steht in aß nach n. 136, wobei noch die Wortstellung in
contemptum pauperi eine andere ist.
126 om. „longa est“ V. — Es scheinen hier zwei Sentenzen, von deren
ersterer nur ein Theil übrig ist, ungeschickt verschmolzen zu sein. Für den
Schluss vergleiche man Ruf. 314 Nulla simulatio multo tempore latebit maxime
in fine und dessen Quelle Demophili sent. n. 23 (Or. I, 40) ’toSt d>s oudepia
npotJKoisicng jroXXü) xpövw Xav^ävet.
127 Der Satz ist mir weder in der Form, wie sie die Sangg., noch in der,
wie sie die alten Ausgaben bieten, verständlich.
128 om. „sunt“ et „tenax“ V. — Re uera memoria benelieiorum fragilis
est iniuriarum tenax Vp Ep F G Vßd V, 34, 133 (wo iniuriae steht). Multi
beneficiis obligandi sed pauci iniuriis offendendi. Nam memoria benelieiorum
fragilis est iniuriae tenax P. — Natürlich ist „fragilis“ zu schreiben.
129 blande . . . om. „quae“ VE. Obiurgationi s. a. blande admisce Vp
Ep, 0. semper blanditiae aliquid admisce G. Obi. s. a. admisce blanditiae
VRd V, 69. Obiurgationibus blandi quid semper admisce; familiarius enim et
altius penetrant quae molli uia uadunt. Insectatio ipsa moderata sit; nemo
enim se mutat qui desperauit P.
130 scribens aliquid dicturus es V E. Quoties scribis aliquid aediturus
scito te morum tuorum populo cyrographum dare P (wo der Eingang richtig
überliefert ist).
131 om. „fuisse sui“ V E. Qui seruus crudelis est ostendit in aliis uolun-
tatem non deesse sed potestatem Vp Ep (seruis Ep 2 , seruis und non uolun-
tatem sibi deesse F). Ostendit in aliis quidem non uoluntatem sibi deesse sed
potestatem qui ob hoc iniuriam facit quia potest VBd VI, 17. Qui in seruo cru
delis est satis ostendit aduersus alium poteslatem sibi deesse non uoluntatem P.
— Richtig ist „potestatem aduersus alios sibi defuisse“.
132 om. „et“ VBd V, 92 (wo loqui neseit), 170, VI, 29, F P; vgl. Or. 732,
11. 737, Wolfflin Caee. Balb. p. 86, Aus. S. s. s. 2, 1 Loqui ignorabit qui tacere
nesciet. Was die Sentenz Non quiequid etc. anbetrifft, so findet sie sich auch
im cod. P. Non quiequid inprobi audire meruerint debent probi dicere.
133 auch VBh IX, 102. ellügere contentum P.
134 Ähnliches bei Sen. Epist. 43, 3.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Sencca.
135 om „In“ aß. — om. „est“ a. — effagere aß.
136 amicos multos.
137 felicilas est.
138 Arcum intentio frangit animum remissio.
139 scelere scelus a.
140 est uir a. — produxit affectu aß. — ut non lantum non
uelit peccare sed non possit a. — In cod. ß ist der Spruch ange
legt: Satius est libertis superstitern esse quam libertatis.
141 peius est «. — hi autem aß.
142 se esse a. — Num diues . . . om. „suis“ a. — se gloria-
bitur ß. — arripit aß.
143 om. „se“ ß. — gloriabitur aß. — esse misericordiae
tuae a. — socios t. b. ingemiscet a. — beatitudinis. Explicit ß.
135 est effugere V. Nach dem vorausgehenden conscientia kann man wohl
eher an A malis h. als an In malis h. denken.
136 Nulla p. est domus quae multos capit amicos. Nam ut illam fortuna
anguste amicitia ampliauit P. — N. p. d. quae multos recipit amicos Vp Ep
Gr.; P G (wo aber Non est p. d. steht), vgl. Or. 840, R. 792.
137 Scire uti felicitatem felicitas maxima est P. — „felicitate“ gibt
unstreitig einen besseren Sinn als „paupertate“.
138 nimium V, om. „nimia“ E. — Arcum intentio frangit animum remis
sio P, vgl. Or. 53, R.730. Die Sangg. und cod. P geben die richtige Leseart,
wie aus der Parallelstelle bei Plut. an seni sit g. r. 16 hervorgeht ro£ov piv
wc ipaaiv, sVireivcpsvov p^'/vurai, Ajy'd de äviepeV/j.
139 uindicandum est Vp Ep VB V, 136. Non uindieandum scelere si possis
scelus Fabr. 202. —• Offenbar ist uindicandum das Richtigere, vgl. Sen. Thyest.
1104 scelere quis pensat scelus.
140 Vgl. Democr. sent. n. 27 (Or. I, 27) cr/a^tiv ou rö p/ö äöixhiv, aXXa
rä iLYjdk töeXetv, Philemon bei Stob. Flor. 9, 22. — Was den in ß beigefügten
Spruch anbetrifft, so lautete er wohl: Satius est überis superstitern esse quam
libertati.
141 Regibus est peius multo quam seruientibus. Re uera quia illi singulos
isti uniuersos timent Vp Ep (R. peius est multo quam ipsis seruientibus quia
singulos isti illi uniuersos timent F), vgl. Or. 856, R. 803.
142 effecit egriludo V, aegritudo effecit E. — operibus V. — om. „spem“ V.
— affecta E 2 .
143 ingemiscit im Sang, a ist die richtige Leseart. Übrigens gehört diese
Sentenz zu dem oben erwähnten zweiten Theilc, der jedenfalls erst später an
unsere Sammlung angefügt wurde.
1) (> Dr. S c li e n k I
Wir wollen nun die Resultate, welche sieh aus den bisherigen
Erörterungen ergeben, kurz und übersichtlich zusammenstellen.
Was zuerst das Verhältniss unserer Sammlung zu den sogenannten
proverbia Senecae, dem cod. Frisingensis und dem Florilegium im
cod. Parisinus 4841 anbetrifft, so haben alle diese Sammlungen eine
grosse Anzahl von Sentenzen gemein und müssen daher auf eine und
dieselbe Quelle zurückgehen. Vergleicht man den über Senecae mit
dem cod. Frising., so ergibt sieb, dass der erstere seinem grösseren
Theile nach auch in jener Handschrift enthalten ist; denn von den
143 Sentenzen unserer Sammlung fehlen in dem Frising. nur 62,
nämlich 4, 5, 7, 11, 13 (117), 18, 29, 36, 41, 42, 48, 49, 33, 34,
37, 39, 66—71, 77, 80, 83, 83—88, 91—93, 93, 96, 101, 102,
104, 105, 107, 108, 110 — 113, 118, 119, 121—127, 129,
130, 133 — 135, 137, 139, 142, 143, wobei wir freilich keine
Rücksicht darauf nehmen, ob die anderen Sentenzen auch ihrem
ganzen Umfange nach im Frising. Vorkommen 1 ). Noch grösser ist
die Anzahl von Sätzen, welche der über Senecae mit den proverbia
Senecae gemein hat, indem in der letzteren Sammlung nur 58 Sprüche
fehlen, nämlich 4, 7, 13 (117), 19, 29, 35, 36, 41, 42, 48, 49,
33—55, 57, 59, 66, 67, 70, 71, 77, 83, 85-88, 91—93, 95, 97,
101, 102, 104, 105, 107, 108, 110 — 113, 118, 121—127, 130,
132—135, 137, 142, 143. Im cod. Paris, finden wir folgende Sen
tenzen aus unserer Sammlung 12, 14—16, 70, 71, 82, 106—112,
114—122, 128—133, 136—138, im Ganzen also 31. Übrigens
bemerke man, dass, während der Frising. und die proverbia Senecae
mehr Sentenzen aus der ersten Hälfte unserer Sammlung enthalten,
im cod. Paris, meistens Sprüche aus der zweiten Hälfte Vorkommen.
Diese Sentenzen erscheinen nun in den genannten Florilegien
gewöhnlich nicht in gleicher Gestalt; vielmehr ist der Text, was die
Fassung und den Umfang anbetrifft, an sehr vielen Stellen verschie
den. So hat, um nur einige Beispiele anzuführen, n. 10 unsere
Sammlung die richtige Leseart Multos bewahrt, während Fris. und
*) Ich kann natürlich über den Frising. nur nach den Angaben von Gruter und Sar-
tori (in der ed. Patavina 1769) urtheilen, da ich eine neue CoIIation dieser Hand
schrift nicht besitze. Für den Zweck der vorliegenden Schrift ist dies von
geringem Belange, da es sich hier blos um einige allgemeine Grundzüge, keines
wegs aber um eine erschöpfende Untersuchung handelt, die ich, wie schon früher
bemerkt wurde, gerne Anderen überlasse.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneea.
57
proverb. unpassend Oinnes lesen ; dagegen haben wieder diese
n. 44 (nisi animus magna despieiens), 99 (quam timidus est) die
echte Überlieferung erhalten. Die Sentenz SO erscheint in dem
über Senecae und den proverb. in der richtigen Form Excusationem
quaerere uitium est. Ornnia relinque ad deum, im Paris, ist sie bis
zur Unkenntlichkeit entstellt (Excusationem quaerere uitiis suis est
ornnia deo dclegare). Andererseits wäre es ohne Hilfe des Paris,
nicht möglich gewesen, aus n. 70 und 71 einen Sinn zu gewinnen,
da dieser Spruch in den Handschriften des über Senecae durch die
Interpolationen amicitias und uanitates rein unverständlich geworden
ist. Dass auch der Umfang der einzelnen Sprüche in den verschie
denen Sammlungen verschieden ist, mögen folgende Beispiele
beweisen: n. 11 lautet in unserem florilegiuin Tristitiam si potes
non admiseris, si minus non ostenderis, im Frising. und den proverb.
findet sich nur der erste Theil; n. 28 hat unsere Sammlung blos
Optimus ergo animus (et) pulcherrimus dei cultor (cultus) est, im
Frising. und den prouerb. geht noch ein ziemlich langer Satz vor
aus; n. 136 fügt der Paris, noch die Worte hinzu Nam ut illam
fortuna ariguste (vielleicht angustam fecit ita) amicitia ainpliauit
u. dgl. Überhaujit sind die Sentenzen in den einzelnen Sammlungen
sehr willkürlich behandelt; da findet man Wörter ausgelassen, hier
andere hinzugefügt, da ist die Satzbildung, hier die Wortstellung
verändert. Endlich sind fast alle Handschriften dieser Fiorilegien,
wenn auch nicht selten von hohem Alter, doch von geringem Werthe,
da sie meistens von ganz unwissenden Leuten geschrieben sind und
daher eine Masse der albernsten Fehler enthalten. Man sieht, dass
wir hier mit der Überlieferung ziemlich schlecht daran sind und es
mitunter kaum möglich ist, die ursprüngliche Form nur annähernd
herzustellen.
Wenn wir weiterhin nach den Quellen fragen, aus denen unsere
Sammlung geflossen ist, so lässt sich darüber nach den vorausgehen
den Erörterungen Folgendes bemerken. Wörtliche Entlehnungen
aus Schriftstellern lassen sich nur in geringer Zahl nachweisen; so
sind n. 40, 41 und 43 dem Buche de rtmediis fortuicorum *), n. 3
’) Ob dieses Buch in der Form, wie es uns gegenwärtig- vorliegt, dem Seneea
angehört, bleibt sehr zweifelhaft, und nicht mit Unrecht bemerkt ßernhardy S. 725,
dass der alle Kern in dieser Schrift geringer anzuschlagen sei als es Hanse tliue. Wenn
58
Dr. Scheu kl
und 4 aus Lactantius (Divinae institufiones), n. 18 aus Cicero (Cato
maior) entnommen. Viel häufiger finden sich entschiedene Nach
bildungen von Sätzen aus Schriften des Seneca, besonders den
Epistulae morales, wie n. 1, 47, 48, 64, 66, 72, 88, oder von Stel
len aus dem genannten Hauptwerke des Lactantius, wie 1, 29, 49,
99. Sehr gross ist die Anzahl von dicta philosophorum, die aus
griechischen Originalstellen übersetzt oder ihnen nachgebildet sind;
so gehen auf sententiae septem sapientium folgende Nummern
zurück: 5, 7, 8, 11, 30, 36, 46, 61, 62, 67, 72, 78, 111, 114,
132, auf Aussprüche des Demokritos n. 82 und 140, des Demonax
n. 112; Pythagoreischen Ursprunges sind n. 28 und 126, ferner
die Sentenzen, welche in mehr oder weniger gleicher Form in dem
Enchiridion oder dem Annulus aureus des Rufinus Vorkommen, näm
lich 6, 25, 80, 101, 126. Noch sei bemerkt, dass für n. 138 ein
griechisches Sprichwort bei Plutarchos, für 9 und 50 Stellen aus
Isokrates an Demonikos die Quelle bilden; n. 19 ist uns sonst als
Ausspruch des Aristippos, n. 106, 108 und 111 als Apophthegmata
des älteren Cato überliefert; an zwei Stellen bemerkt man auch
Anklänge an die Bibel, nämlich n. 11 und 19. Endlich müssen auch
hie und da metrische Excerpte benützt sein; um nur ein Beispiel
anzuführjen, lassen sich in n. 10 und 23 vollständige trochäische
Tetrameter nicht verkennen. Da aber hier sehr schwer etwas
Sicheres festzustellen ist, so begnügen wir uns mit dieser einfachen
Andeutung.
Interessant ist es hiebei zu sehen, wie die Sammler mit dem
ihnen vorliegenden Materiale umgingen. Nicht genug, dass sie den
Text nach Belieben änderten, wobei es hauptsächlich darauf abge
sehen war, für die Sentenzen eine starke Pointe, z. B. eine witzige
Antithese zu gewinnen, so erlaubten sie sich sogar, zwei Sätze zu
einem Ganzen zu verbinden und so eine neue Sentenz zu schaffen.
So gebt z. B. der erste Theil von n. 10 wahrscheinlich auf einen
man die Handschriften genauer vergleichen wird, so dürfte sich wohl heraus
steilen > dass der Umfang des Buches bald grösser, bald kleiner überliefert ist.
Dies ersieht man auch, wie übrigens schon Haase selbst bemerkt hat (p. XXI),
aus unserer Sammlung, wo 3ich n. 42 mitten unter Sätzen aus der Schrift de
remediis fortuitorum eine Sentenz findet, die der Form nach den anderen völlig
gleicht und doch nicht in jenem Buche vorkommt. Und diese Sentenz zählt wieder
im Sang, a um zwei Sätze mehr als in den anderen Handschriften.
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Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca. b9
Vers, einen trochäisclien Tetrameter, zurück, der andere Theil ist
aus einem Briefe des Seneca entnommen. Die gleich folgende Sen-
lenz scheint zum Theile einem Spruche der Bibel, zum Theile einer
Gnome des Periandros nachgebildet zu sein, und ähnliches gilt von
n. 26, 80 u. a. t). Hie und da hat wohl der Sammler auch eigene
Sätze beigefügt oder die ganze Sentenz neu gemacht, indem er blos
irgend einen Gedanken woher entlehnte. Und so mag denn in
manchen dieser Sprüche das Körnchen Alterthum, welches sie ent
halten, sehr unbedeutend sein. Das sind also, so weit wir forschen
konnten, die Quellen für diese Sammlung und das Verfahren, das
man bei der Zusammenstellung befolgte, und damit schwindet auch
jede Hoffnung, dass uns in einigen dieser Sentenzen Bruchstücke
aus verlorenen Werken des Seneca erhalten sein könnten.
Wo ist nun die gemeinschaftliche Quelle für die genannten
Sammlungen zu suchen? Ich vermuthe, dass im IV. oder V. Jahr
hunderte mehrere grössere Florilegien vorhanden waren, in welchen
die einzelnen Sentenzen nach einem ethischen Schema ähnlich, wie
in dem Anlhologion des Stobaios oder den Parallelen des Joannes
Damaskenos, angeordnet waren. Davon bieten auch jene Stücke im
cod. Frising.,' die Wölfflin in seinem angeblichen Caecilius Baibus
p. 18 ff. mitgetheilt hat, noch immer deutliche SpurenDiese
Florilegien enthielten Excerpte aus heidnischen und christlichen
Autoren, wie dies ebenso bei den genannten Parallelen des Joannes
der Fall ist 3 ). Daneben gab es auch eine Sammlung von einzel
nen jambischen und trochäisclien Versen, die nach griechischen
l ) Davon muss man natürlich das Verfahren der Abschreiber wohl unterscheiden, die
sehr häufig zwei aufeinander folgende Sentenzen durch ein enim, autem, uero
mit einander in Verbindung brachten, ohne dabei den Sinn irgendwie in Betracht
zu ziehen, z. B. n. 3 und 4, wo die Handschriften nulla enim oder nulla autem
bieten, die beiden Sätze aber ganz verschiedene und auch dem Gedanken nach
nicht zusammengehörige Stellen des Lactantius enthalten.
2 ) Auch in unserer Sammlung stehen häufig Sentenzen neben einander, die denselben
oder doch einen ähnlichen Gedanken enthalten, z. B. 44—46, 60 und 61, 63—66,
81 und 82 u. dgl.
3 ) So sind auch in der Sammlung im Frising. und den Proverb. Senecae mehrere
christliche Sentenzen zu finden, z. B. Qui succurrere perituro potest cum non
succurrit occidit (Vp Ep F), was aus Lact. Div. Inst. VI, 11 genommen ist, Adulter
est uxoris amator acrior Or. 8, R. 646, das mit Ruf. 222 Adulter estin suam uxorem
omnis impudicus amator ardentior zusammenstimmt, wenngleich auch diese Sen
tenz zuletzt auf Sen. de eonst. sap. 7, 4 zurückgehen mag, u. dgl. m.
60
Dr. Schenk!
Vorbildern angelegt und entweder nach einem ähnlichen Schema
oder ohne alle Rücksicht darauf rein alphabetisch angeordnet war.
Dieselbe war hauptsächlich aus Publins Syrus gezogen, dann aber
mit Versen anderer Komiker, besonders des Terentius, und auch
Tragiker, wie des Seneca, versetzt. Dass eine solche schon zu den
Zeiten des Hieronymus vorhanden war und in den Schulen gebraucht
wurde, geht aus der bekannten Stelle in dem Briefe an Laeta CVIl
(I, 679 ed. Vallars.) hervor 1 ). Überhaupt scheinen damals solche
moralische Sentenzensammlungen in Schwung gekommen zu sein;
denn aus dieser Zeit haben wir ja auch den mehrfach erwähnten
Annulus aureus, die christliche Bearbeitung einer Pythagoreischen
Spruchsammlung von Rufinus, dem berühmten Gegner des Hierony
mus 2 ).
Von diesen Florilegien sind uns nun Trümmer und Excerpte
aller Art erhalten 3 ), wobei die Überlieferung auf die willkürlichste
Weise behandelt wurde. Man erweiterte und verkürzte nach Belie
ben, man ersetzte die classische Form durch die platte und verwa
schene Sprache der späteren Zeit, man ging endlich mit den Namen,
die den einzelnen Sprüchen beigefügt waren, ganz willkürlich um,
weil es eben blosse Namen waren und man die meisten Philosophen
und anderen Schriftsteller gar nicht kannte. War schon frühzeitig,
wie man dies aus Plutarch’s Apophthegmata ersehen kann, die Tra
dition in’s Schwanken gerathen und wurden schon damals einzelne
Aussprüche bald diesem, bald jenem beigelegt, was musste erst in
den späteren Zeiten geschehen? Nebstdem dass bei vielen Sentenzen
*) Legi quondam in scholis puer: 'aegre reprehendas quod sinas consuescere’
(Or. 9, H. 7).
2 ) V'gl. Orelli Opusc. Graec. vet. sent. I, p. XIV ff., p. 572 ff.
3 ) So findet sich auch in dem früher (Anm. 20) erwähnten Sang. 899 ein Bruchstück
einer solchen Sammlung, die den proverbia Senecae ähnlich, aber etwas kürzer
gewesen zu sein scheint, p. 108: „Prestahis parentibus pietatem cognatis dilectio-
nem. Prestahis amicis lidein omnibus aequitatem. Pacein cum omuibus hahebis bella
cum uitiis. Peiora sunt tecta odia quam aperta. Propterea te loquax inimicus minus
quam taciturnus offendit. Perturpe est enim quod obiicitur in obiiciente cognosci.
Semper dissensio ab alio incipiat a te reconciliatio. Succurre paupertati amicorum
immo potius occurres. Talern diligentiam exhibe in amicitiis tuis comparandis ne
incipias amare quem deiuceps possis odire. Tu primum exliihe te bonum et sic
quaere allerum similem tui. Turpius nihil est quam cum eo bellum gerere cum
quo familiariter uixeris. Uires tuas amici beneficiis inimici iniuriis senliant. Res
magnae cleineutiae est indulgendo corrigere peccala quam iudicando.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
61
jede Bezeichnung verloren ging, wurden die unbekannten Namen
häufig durch bekannte ersetzt, wobei gewisse stereotype Namen,
wie Socrätes, Seneca u. dgl., den Vorzug erhielten. So wird es denn
begreiflich, wie unter deren Namen Sentenzen erscheinen, die doch
von ihnen unmöglich herrühren können i). Aus diesen Florilegien
oder aus Excerpten derselben sammelte man nun etwa im VI. Jahr
hunderte die Sprüche, welche einzelnen Autoren angehörten, und
so entstanden die Sammlungen, die uns gegenwärtig unter dem
Namen des Seneca, des Cato, des Varro vorliegen. Alle diese ent
halten einzelne Sätze, die wirklich jenen Schriftstellern angehören,
aber die grosse Masse ist ein buntes Gemisch, das aus den ver
schiedenartigsten Quellen geflossen ist. Was die Form anhetrilft,
so hatte sie schon bei der Aufnahme in die Florilegien und beim
Excerpiren derselben gelitten; nun wurde sie erst recht in der
willkürlichsten Weise behandelt.
Von dem über Senecae wissen wir, wie bereits im Eingänge
dieses Abschnittes bemerkt wurde, dass er schon im VI. Jahrhun
derte, und zwar in derselben oder einer sehr ähnlichen Gestalt, wie
er uns gegenwärtig vorliegt, vorhanden war. Die christlichen An
klänge, ilie sich hie und da in den Sentenzen finden 2 ), können uns
nicht befremden. Schon frühzeitig hatte man bemerkt, dass manche
seiner Aussprüche mit Worten der Bibel eine auffallende Ähnlichkeit
*) Ein hübsches Pröbchen, das übrigens nicht ohne einen gewissen Humor zusammen
gestellt ist, gibt der in der vorhergehenden Anmerkung genannte Sang. 899, p. 132:
Dicta philosophorum.
Bonum est mulierem non tangere (Nov. Test. I Cor. 7, 1).
Dixit et Menandrus Bonum est eis si permanserint ut ego (Nov. Test. I Cor., 7, 8).
Aratus Puto hoc esse bonum propter instantem necessitatem (vgl. Vet.
Test. Ecclesiast. 38, 1).
Turnus 0 decus ltaliae uirgo (Verg. Aen. XI, 308).
Ermon Mulierum decipere consilia (Ähnliches Stob. Flor. 73, 59).
Terentius Quid est hoc omnes socrus oderunt nurus (Hec. II, 1 4).
Comicus Nihil est dictum quod non sit dictum prius (Eun. prol. 41).
Don Uarius et mutabilis mundus per feminam.
Socrates Sciebam futurum ut ista tonitrua iniber sequerelur (Diog.
Laert. II, 36).
Et alins Et hic soccus quem cernitis uobis nouus et elegans. Sed nemo
seit praeter me ubi me premit (Plut. I’ap.. Trapa'/'y. p. 141, a
bei Stob. Flor. 74, 43).
*) Vgl. auch die Anmerkungen zu n. 47 und 100.
62
Df. Sehe n k 1
zeigten, in welcher Beziehung wir nur auf die merkwürdige Stelle
bei Lact. Div. Inst. I, 5 a. E. verweisen. Dies gab dann Veranlassung
zu jenem bekannten Falsificate eines Briefwechsels zwischen dem
Philosophen und dem Apostel Paulus, welches Machwerk Hieronymus
gläubig als echt annahm und auf Grundlage dessen dem Seneca einen
Platz in dem Catalogus sanctorum einräumte. Da nun Nero, wie
natürlich, als der erste und ärgste Verfolger der Christen betrachtet
wurde (vgl. de mort. persec. c. 2) und Seneca ein Opfer von dessen
Grausamkeit geworden war, erschien der Philosoph ganz und gar
unter dem Bilde eines christlichen Märtyrers. Und daher trug man
auch kein Bedenken, ihm christliche Sentenzen in den Mund zu
legen. Dieser über Senecae hat nun auch bewirkt, dass die Samm
lung der Monosticha in vielen Handschriften den Titel Proverbia
Senecae erhielt. Was die angeblichen sententiae Catonis im
Paris. 4841 (vgl. Phil. IX, 679 ff.) anbetrifft, so sind sie, wie dies
schon Jordan, Bhein. Mus. XIV, S. 261 ff., richtig erkannt hat, ein
ähnliches Sammelsurium wie der über Senecae. Und dasselbe gilt
von den sententiae Varronis, die neuerdings Ch. Chappuis in seiner
Ausgabe *) p. 38 ff. als echt zu erweisen gesucht hat. Jedenfalls
aber ist es gefehlt, diese Sammlungen tief in’s Mittelalter zu ver
setzen, wie dies z. B. Bernhardy S. 339 zu wollen scheint, da die
selben vielmehr am Eingänge desselben entstanden sind.
Ein anderes Geschick als diese Florilegien erfuhr die Samm
lung von Monosticha, der wir früher gedacht haben, indem nämlich
dieselbe mannigfach interpolirt und erweitert wurde. Zuerst versi-
ficirte man, freilich so gut als dies anging, eine Beilie von dicta
philosopliorum, Sprüchwörter u. dgl., übersetzte Verse aus Menan-
der’s Monosticha 2 ) und ähnlichen Florilegien, und ordnete diese alle
der alphabetischen Reihenfolge gemäss in die Sammlung ein.
Sentences de M. Terentius Varron et liste de ses ouvrages d’apres differents manu-
scrits par Charles Chappuis. Paris, 1856. — Alles Grundes entbehrt die Hypothese
von Mercklin im Phil. II, S. 482, der als den Verfasser jener Sentenzensammlung
einen obscuren Dichter und Grammatiker Namens Varro aus dem Karolingischen
Zeitalter ansehen will. Übrigens sei hier noch bemerkt, dass mit dem Citale aus
dem Liber moralitatum eleganlissimus bei Oehler (IM. Ter. Varr. Sat. Menipp. reliq.
p. 9) „Uarro in sententiis libro septimo“, wenn überhaupt etwas darauf zu geben
ist, wohl nicht das siebente Buch einer Sentenzensammlung des Varro, sondern
vielmehr eines grösseren Florilegium bezeichnet ist.
2 ) Vgl. Ribbeck unter n. 10, 20, 48 u. ö.
Beiträge zur Kritik des L, Annaeus Seneca.
C3
Späterhin wurden noch mehr prosaische Sentenzen aufgenommen,
wobei man, um dieselben in den Monosticha unterzubringen, ein
doppeltes Verfahren einschlug. Entweder löste man sie nämlich,
wenn sie etwas grösser waren, in einzelne Zeilen auf und stellte
dann an den Anfang jeder Zeile ein Wort mit dem gleichen Anfangs
buchstaben oder man hob aus denselben einen Satz heraus und
beseitigte das übrige. Um diesen Zeilen die gleiche Länge mit den
Versen zu gehen, scheint man die Sylben abgezählt zu haben, da
man damals, was die Messung der Jamben und Trochäen anbetrifft,
entweder gar keine oder nur sehr ungenaue Kenntnisse besass. Um
dies durch ein Beispiel zu erklären, wollen wir die Form einiger
Sentenzen im über Senecae und den rvcSjuat p.ov<5<m)(oi in Betracht
ziehen. Der erste Spruch in der angeblichen Schrift des Seneca
lautet: Omne peccatum actio est. actio autem omnis uoluntaria est
tarn honesta quam turpis: ergo uoluntarium est omne peccatum.
Tollite excusaliones: nemo peccat inuitus; in den proverbia Senecae
ist er in die folgenden vier Zeilen zerlegt:
Omne peccatum est actio
Omnis actio est uoluntaria tarn turpis quam honesta.
Omne ergo peccatum uoluntarium est.
Omitte excusationem : nemo peccat inuitus,
von denen sich die letzte auch im Frising. findet. Ebenso ist die
zweite Sentenz im Frising. und den proverb. Senecae in zwei Zeilen
mit gleichen Anfangsbuchstaben getheilt, nämlich:
Utilis educatio et disciplina mores facit.
Unde bona consuetudo excutere debet quae mala instruxit.
Von dem anderen Verfahren gibt n. 18 Zeugniss, wo aus der
Stelle des Cicero nur die Worte Monstro similis est auaritia unica
(Corruptel statt senilis) ausgewählt und als Sentenz unter M ein
gereiht wurde, oder n. 94, wo nur der erste Th eil Proximum ad t
innocentiam teilet locum uerecunda (peccati) Confessio in die Mono
sticha aufgenommen ist. Da nun auch die wirklichen Verse bei der
Überlieferung durch Umstellungen der Wörter nach der gewöhn
lichen Wortfolge, durch Einschiebungen, Auslassungen u. dgl. viel
fach entstellt sind, so ist es natürlich oft sehr schwer zu entschei
den, ob eine Sentenz ursprünglich als Vers abgefasst war oder
nicht.
64
Dr. S c h e n k l
Es ist klar, dass es unter solchen Verhältnissen die Hauptsache
bleibt, das handschriftliche Materiale für diese Untersuchungen mit
der möglichsten Genauigkeit und Vollständigkeit herheizuschaffen.
Man wird dann wenigstens der Form, in welcher diese Sammlungen
im VI. oder VII. Jahrhunderte Vorlagen, näher kommen und dadurch
auch einen Einblick in die früheren Zeiten gewinnen. Darum möge
hier noch atn Schlüsse das Bruchstück im cod. Vindobonensis n. 368,
saec. X oder XI, auf welches auch Wöltflin, Rhein. Mus. XVI, S. 616,
aufmerksam macht, mitgetheilt werden. In dieser Handschrift findet
sich nämlich am Ende f. 91 ein Blatt, das auf beiden Seiten beschrie
ben ist und das Fragment einer ähnlichen Sammlung, wie im cod.
Frisingcnsis, nämlich die Buchstaben A—C enthält. Darnach kann
man wohl mit Wahrscheinlichkeit vermuthen, dass der Codex einmal
die ganze Sammlung umfasste, deren grösserer Theil aber leider
mit den letzten Blättern verloren ging. Wir gehen nun die Abschrift
dieses Bruchstückes, indem wir zur leichteren Übersicht den ein
zelnen Versen die Nummern der Ribbeck'schen Ausgabe beifügen.
fol. 91, a Alienum est quiequid optando euenit. Syri inc. fab. 4.
Animus qui seit uereri seit tuta ingredi. 32.
Amor animi qui arbitrio sumitur, non ponitur. 24.
Ad tristem partem strennua suspitio. 6.
s Aspicere oportet quod possis perdere. 120.
Alienum homini ingenuo acerba est seruitus. 10.
Amans iratus multa mentitur sibi. 11.
Amans quid cupiat seit quid sapiat non uidet. 13.
Ad calamitatem quilibet rumor ualet. 4.
10 Ab amante lacrimis redimes iracundiam. 2.
Auarum facile cupias ubi non sis idem. 36.
Auarus nisi cum moritur nil recte facit. 39.
Auarus dampno potius quam sapiens dolet. 361.
Animo dolenti nihil oportet credere. 29.
ts Amare iuueni fructus est, crimen seni. 17.
Amoris uulnus idem qui sanat facit. 26.
Aleator quantum in arte est, tanto est nequior. 302.
Auidum esse oportet neminem nisi senem. 41.
Amantium ira amoris integratio est. Ter. Aiulr. 333.
20 Amans sicut fax agitando magis ardeseit. 12.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
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Amori imperabit sapiens, stultns seruiet. 30.
Ab alio expectes alteri quod feceris. 1.
Auxilia humana firmns consensus facit. 43.
Aut aniat aut odit mulier nihil est certum. 42.
23 Ames parentem, si aequus est; si aliter feras. 18.
Amici uitia nisi feras facis tua. 21.
Absentem ledit cum ebrio qui litigat. 3.
Auarus ipse miseriae causa est suae. 38.
Ainans quod suspicatur uigilans somniat. 14.
30 Amor extorqueri non pote sed elabi pote. 25.
Aperte mala cum est mulier, tum demum est bona. 34.
Amare sapere uix a deo conceditur. 16.
Astute crines cum celantur aetas indieatur. 559.
Auaro quid mali optes nisi ut uiuat diu. 35.
33 Ad penitendum properat cito qui iudicat. 5.
Amor otiosae causa sollicitudinis. 554.
Animo uirum pudicae, non oculo eligunt. 31.
Amantis ins iurandum paenam non habet. 15.
Amor ut lacrima ab oculis oritur, in pectus cadit. 28.
au Amicum an uomen babeas aperit calamitas. 22.
Amori finem tempus, non animus facit. 553.
Dis est gratuin, quod opus est, si ultro sit datum. 61.
Bonarum rerum nimia consuetudo pessima est. 70.
Dona nemini ora est, ut non alicui mala. 69.
Denefieia plura recipit qui seit reddere. 47.
Bonus animus lesus multo grauius irascitur. 78.
Beneficium dando accepit qui digno dederit. 50.
Bonus animus numquain errandi obscquium accommodat.
63 (vgl. n. 54).
Benelicium sepe dare est docere reddere. 54.
so Bonitatis uerba imitari malicia maior est. 73.
Bonum quod est supprimitur, nequaquam extinguitur. 77.
Beneficium qui dare nescit iniuste petit. 51.
Bis mori est alterius arbitrio mori. 60.
Bis peccas cum peccö obsequium accommodas. 63
(vgl. n. 48).
ss Dona mors est liomini uitae quac extinguit mala. 68.
ßlandicia, non imperio tit dulcis uenus. 65.
Sitzb. d. phil.-kist. Ci. XL1V. Bd. I. Hit. ö
60
Dr. Schenkl
Beneficium qui dedisse se dicit pctit. 53.
Beniuoli conuinctio animi maxima est cognatio. 503.
Bona opinio liominum tutior pecunia. (Orelli 9ß.)
co Bis uincit qui se in nictoria uincit. 64.
fol. 91, L. Benignus etiam dandi causam cogitat. 59.
Bene dormit qui non sentit quod male dormiat. 45.
Bona fama in tenebris proprium splendorem obtinet. 07.
Bona cogitata sic excedunt non occidunt. 44.
ca Bona imperancia pecunia est. 502.
Breue amans est ipsa memoria iracundiae. 79.
Bona comparat praesidia misericordia. 60.
Breuis ipsa uita, sed malis fit longior. 80.
Beneficia donari aut mali aut stulti putant. 40.
70 Bis uixit is, qui potuit cum uoluit mori. 87.
Bis interimitur qui suis armis perit. 02.
Bonum est fugienda aspicere in alieno malo. 70.
Bene perdit nummos iuditium qui dat nocens. 50.
Bona quae ueniuntnisi sustineantur cadunt utopprimant. 503.
73 Bonum ad uirum cito moritur iracundia. 565.
Bona est turpitudo quae periclum uindicat. 71.
Beneficium dignis ubi des, omnes obliges. 52.
Bonum est fugienda aspicere in alieno malo. 76.
Bene perdas gaudium, ubi dolor pariter perit. 55.
co Bene audire alterum patrimonium est. (Vgl. Orelli 283.)
Consueta uita ferri non reprendimus. 92.
Crudelis in re aduersa obiurgatio. . 99.
Cui semper dederis ubi neges rapere imperes. 105.
Cuius mortem amiei expeetant, uitam ciues oderunt. 779.
83 Citius uenit periclum, cum contempnitur. 88.
Cuiuis dolori est remedium patiencia. 100.
Cum uilia prosunt, peccat qui recte facit. 110.
Contumelia amiei nullius inuenit linguae preees. 504.
Contempni est grauius quam stulticia percuti. 574.
90 Comes facundus in uia pro uehiculo est. 91.
Crudelem medicum intemperans eger facit. 98 (vgl. n. 100).
Contra inprudentem stulta est nimia ingenuitas. 94.
Consiliis iuniorum multi se doeti explicant. 573.
Cui omnes bene dicunt, possidet populi bona. 103.
Beiträge zur Kritik des L. Annaeus Seneca.
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os Crudelis lacrimis pascitur, non frangitur. 100.
Caret periculo, qui etiam, cum est tutus, cauet. 82.
Cicatrix conscientiae pro uulnere est. 87.
Caue amicum credas, nisi quem probaueris. 83.
Cauendi nulla est dimittenda occasio. S67.
ioo Crudelem medicum intemperans facti. 98 (vgl. n. 91).
Cum inimieo nemo tute in gratiam redit. 109.
Casta ad uirum matrona parendo imperat. 83.
Consilio melius uineas quam iraeundia. S72.
Cottidie dampnatur qui semper timet. 9S.
loa Cito inproborum laeta ad pernitiem cadunt. 90.
Crimen relinquit uitae qui mortem appetit. 97.
Cogas amantem irasei, amare si uelis. SG9.
Crudelis est, non fortis, qui infantem necat. S75.
Caue ne quicquid ineipias quod post peniteat. 80.
lio Cui nolis sepe irasei, irascaris semel. 101.
Caeci sunt oculi, cum alius (corr. animus) res alias facit. 81.
Cum amas, non sapias, aut cum sapias, non ames. 107.
Cunctis potest accedere, quod cuiuis potest. Syr. inc. fab. 3.
•Contra felicem uix deus uires (am Ende eine rasura). 93.
68
Dr. Pfizmaior
SITZUNG VOM 7. OCTOBER 1863.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 22. Juli 1863.)
Von dem w. M. Dr. August Pfizmaier.
Das Königsland Tsu, welches zu den Zeiten seiner grössten
Macht die heutigen Landschaften Hu-pe, Hu-nan (beide vormals Hu-
kuang genannt), Ngan-hoei, Kiang-su (beide vormals Kiang-nan ge
nannt), ferner den grössten Theil von Kiang-si, einen Theil von Sse-
tschuen und Ho-nan umfasste, war durch König Tsching von Tscheu,
der Hiung-yi, den Nachkommen eines sehr alten Fürstengeschlechtes
mit dem Lande belehnte, gegründet worden.
Die Bewohner von Tsu waren ursprünglich südliche Fremd
länder, von denen jedoch die meisten sehr frühzeitig die Sprache
und die Sitten des Mittellandes angenommen hatten. Die Spuren der
fremdländischen Sprache lassen sich übrigens in den von der Geschichte
bewahrten Namen häufig erkennen. So erscheinen die Wörter, durch
welche die Namen der frühesten Landesfürsten ausgedrückt werden,
gewöhnlich als blosse Laute ohne eigentliche (mit Hilfe des Mittel
ländischen bestimmbare) Bedeutung. In den Namen der ersten Häupter
des Hauses, später auch der Königssöhne, findet sich als ergänzender
Bestandtheil das Wort Hiung, welches im Mittelländischen für
„Bär“ gebraucht wird, in der Sprache von Tsu aber wahrscheinlich
„Fürst“ bedeutet. Die Könige, denen der Name nach dem Tode nicht
beigelegt wird, führen die Benennung Ng ao . Bekannt sind aus
der Sprache von Tsu die Wörter ^ Ko und U-thu,
das erstere für Jeu „säugen“, das letztere für „Tiger“.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
69
Die Bewohner von Tsu galten für wankelmüthige und unruhige
Geister und wurden besonders eines Hanges zu Empörungen be
schuldigt. In der That hatten alle in späterer Zeit vorkommenden
folgenschweren Empörungen ihren Ursprung auf dem Gebiete des
ehemaligen Tsu und waren Tschin-sching, Hiang-yii und Lieu-pang,
der letztere der Gründer des Hauses Han, Eingeborene von Tsu. Den
Kriegern des Landes ward, vielleicht mit einigem Unrecht, Mangel
an Ausdauer und Geneigtheit zur Flucht vorgeworfen.
Nachdem Hiung-thung, der achtzehnte Landesfürst von Tsu,
(704 vor unserer Zeitrechnnung) die Königsbenennung angenommen,
erweiterte das Land seine Marken nach allen Richtungen, eroberte
namentlich die in seinem Norden gelegenen kleineren Fürstenthümer,
unternahm Strafangriffe und erhob zuletzt selbst Ansprüche auf die
Führerschaft, das höchste von den damaligen berühmten Machthabern
angestrebte Ziel.
Durch die erwähnten kleinen Fürstenthümer von dem im Norden
zu ähnlicher Grösse gelangten Tsin geschieden, ward Tsu in seinem
Streben nach Führerschaft mit diesem Fürstenlande in Kämpfe ver
wickelt, in denen es mehrmals siegte, öfters auch, ohne davon
in seinem Innern berührt zu werden, denkwürdige Niederlagen
erlitt.
Als Tsin, durch die Häuser seiner eigenen Grossen beengt, den
Gedanken an Führerschaft aufgab, ward Tsu durch das in seinem Süd
osten plötzlich erstarkte Königsland U bald auf gefährliche Weise
bedroht, zuletzt bis zur Vernichtung geschlagen und nach dem Ver
lust der Hauptstadt dahin gebracht, dass es nur noch durch ein von
Thsin, einem in seinem Nordwesten gelegenen Lande, abgesendetes
Kriegsheer gerettet wurde.
Nach dem unerwarteten Untergange von U wurde dasselbe
Thsin, welcher einst als Retter erschienen, der furchtbarste Gegner
von Tsu. Im Nordwesten durch hohe Gebirge getrennt, drang Thsin
theils durch den daselbst befindlichen Durchweg Wu, tlieils von
Westen längs der Südseite des gelbes Flusses durch die von Tsu
neu erworbenen Fürstenthümer in das Gebiet dieses Landes und ent
riss demselben, abwechselnd Krieg führend und Bündniss schlies-
send, unablässig jedoch List mit Gewalt vereinend, binnen Kurzem
ausedgehnet Länderstrecken, so dass ungefähr die Hälfte des bis
herigen Gebietes von Tsu allmählich an Thsin verloren ging.
70
I)r. P fi zm ai er
In dem Müsse jedoch, als Thsin von Westen vorrückte, war
Tsu bemüht, durch neue Erwerbungen im Osten sich für das Ver
lorene zu entschädigen. So verleibte es nach der Zertrümmerung von
Yue das bisher im Besitze dieses Königslandes befindliche Gebiet des
ehemaligen U dem eigenen Lande ein, bemächtigte sich im fernen
Nordostendes FiirstenthumesKhiü und eroberte, durch Thsin bereits
dem Untergange nahe gebracht, noch das Erbe Tscheu-kung’s, das
alte Fürstenland Lu.
Unterdessen hatte Thsin ungeachtet der Bünde und der fort
gesetzten Angriffe, welche gegen dieses Land zu Stande kamen,
sämmtliche neben ihm bestehenden Königsländer in schneller Aufein
anderfolge zu Boden geworfen. Oie beinahe gleichzeitige Vernichtung,
der dieselben zuletzt anheimfielen, ereilte Tsu, und zwar nach einem
Angriffe der Heerführer Wang-tsien und Mung-wu von Thsin (223
vor uns. Zeitr.), schon in vierter Reihe. Es fanden nämlich von den
noch übrigen Königsländern in dem Zeiträume von acht Jahren zu
erst Han, hierauf Tschao, Wei, Tsu, das von Tschao gegründete
Nebenland Tai, Yen und zuletzt Tsi ihren Untergang.
Die Ursache des Unglückes von Tsu, muss, obgleich dies theil-
weise auch bei anderen Königsländern der Fall, hier ganz vorzüglich
in der Gesinnungslosigkeit seiner lelzten Könige gesucht werden.
Die Leichtigkeit, mit der diese Könige von ihren Freunden sich los
sagten, hierauf mit dem Feinde, so oft derselbe auch gegen sie den
Kampf der Vernichtung geführt, immer wieder Btindniss und Freund
schaft schlossen, ist sonst ohne Beispiel und Hess die Möglichkeiten,
welche Gleichheit der Macht, grösserer Umfang des Landes, Unab
hängigkeitssinn der Bewohner für den Fortbestand boten, nicht
aufkommen.
Die alten Bücher sind voll von Nachrichten über Menschen und
Verhältnisse von Tsu, die jedoch nicht Alles, was in dieser Hinsicht
vorgefunden wird, zur Geschichte gehört, so hat der Verfasser, der
überdies schon in früheren Abhandlungen viele Einzelheiten und
kleine Begebenheiten zur Kenntniss gebracht, die Nachrichten von
den geschichtlichen, grösstentheils noch unbekannten Ereignissen
nach der Reihung und Vorlage des Sse-lci ausgearbeitet und das
nicht immer leichte Verständnis derselben auf diese Weise vermittelt.
Mehrere in dieser Abhandlung nicht enthaltene Einzelheiten
und Nachrichten von kleineren Ereignissen finden sich in den von
Die Geschichte des König-slandes Tsu.
71
dem Verfasser veröffentlichten Erläuterungen aus der Geschichte
Tscho-schi’s, nach Jahren der Fürsten von Lu gereiht, ferner in den
Abhandlungen: „Zur Geschichte des Entsatzes von Han-tan“ und
„der Redner Tschang-I und einige seiner Zeitgenossen“.
Die Könige von Tsu leiteten ihren Ursprung von |^fj
Tsch'huen-hiü, einem der fünf Allhalter, dessen Name jSj
Kao-yang. Kao-yang selbst war der Sohn t=f j|| Tschang-l's, der
seinerseits ein Sohn des gelben Allhalters. Kao-yang, der Enkel des
gelben Allhalters, hatte einenSohn, Namens |p^Tsch’hing. Tsch’hing
_L*
hatte einen Sohn, Namens ipf Khiuen-tschang. Khiuen-tschang
hafte einen Sohn, Namens Tschung-Ii. Der Allhalter
Khao, genannt zp: Kao-sin, begründete seine Lenkung durch
die Eigenschaften des Feuers. Tschung-li wohnte für den AllLalter
in dom Rechtecke des Feuers, wobei er sich die grössten Verdienste
erwarb und fähig war, mit dem Glanze die Welt zu erleuchten.
Der Allhalter Khao ernannte ihn daher durch einen höchsten Defehl
zum jjj^ Tsch'hü-yung, d. i. grossem Lichte 1 ).
Als das Geschlecht Hl Kung-kung sich empörte, ward
Tschung-li zu dessen Bestrafung ausgesandt. Da er hiermit nicht zu
Stande kam, liess der Allhalter an dem siebenundzwanzigsten Tage
des sechzigtheiligen Kreises Tschung-li hinrichten und ernannte
dessen jüngeren Bruder [Üj l^V- U-hoei zum Nachfolger in dem
Hause. Auf Befehl des Allhalters Khao wohnte U-hoei wieder in dem
Rechtecke des Feuers und versah die Stelle des Tsch’hü-yung. Der
Sohn U-hoei’s war Lö-tschung.
Lö-tschung hatte sechs Söhne, von denen angegeben wird, dass
sie sämmtlich auf schwere und ungewöhnliche Weise, durch „Ber-
stung und Spaltung“ geboren wurden.
Der älteste dieser Söhne war J=J, Kuen-ngu. Von demsel
ben wird angegeben, dass dessen Name Fan, der Geschlechts
name F* Khi. Kuen-ngu sei eigentlich der Name des Landes, wel-
1 j t
ches dem späteren Wei entspricht.
Nach Anderen bedeuten diese Worte „das erste, anfängliche Licht“.
72
Dr. P f i '/. in a i er
Der zweite dieser Söhne war jjjj Tsan-hu. Hierbei wird
ebenfalls angegeben, dass Tsan-hu der Name eines Gebietes, wel
ches das spätere fjjip Han.
Der dritte dieser Söhne war jjjfl ^ Peng-tsu. Von demsel
ben wird angegeben, dass dessen Naine Tsien, der Geschlechts
name das hier gesetzte Peng. Er wäre mit Thai-peng be
lehnt worden, und auch Peng-tsu sei der Name eines Gebietes, das
spätere oft genannte Peng-tsching.
Der vierte dieser Söhne war Hoei-jin. Bei demselben
wird angegeben, dass Hoei-jin der Name eines Landes, das spätere
Tsching.
Der fünfte dieser Söhne war fyä ® Tsao-sing. Hier wird
ebenfalls angegeben, dass Tsao-sing der Name des Landes, welches
das spätere Tschü.
Der sechste Sohn Lö-tschung’s war Ki-lien. Derselbe
führte den Geschlechtsnamen ^ Mi, und von ihm stammen in
nächster Reihe die Könige von Tsu.
Das Geschlecht Kuen-ngu war zu den Zeiten der Hia zu der
Würde von Lehensfürsten gelangt und wurde zu den Zeiten des
Königs Khie durch König Thang vernichtet. Das Geschlecht Peng-
tsu war zu den Zeiten derYinzu der Würde von Lehensfürsten gelangt
und wurde gegen das Ende des Zeitalters der Yin vernichtet.
Der Sohn Ki-lien’s war yj^ Jljtj" Fu-tsu. Der Sohn Fu-tsu’s
war 'tP Hiue-hiung. Nach dem Tode Hiue-hiung’s gerieth
das Geschlecht Ki-lien in Vergessenheit. Einige Mitglieder desselben
befanden sich in dem Mittellande, andere unter den Fremdländern,
wesshalb deren Geschlechtsalter nicht einzeln angeführt werden
konnten.
Zu den Zeiten des Königs Wen von Tscheu lebte unter den
Nachkommen Ki-lien’s ein Mann, Namens Tscho-hiung.
Derselbe, auch Tschö-hiung-tse und Tschö-tse genannt, diente dem
Könige Wen, dessen Lehrer er nach einer Angabe gewesen. Tschö-
hiung starb frühzeitig und hinterliess einen Sohn, Namens filpr j|£
/>Li
Die Gechichte des Königslandes Tsu.
73
Hiung-li. Der Sohn Hiung-li's war ft£ Hiung-kuang. Der
Sohn Hiung-kuang's war Hiung-yi.
Hiung-yi lebte zu den Zeiten des Königs Sching von Tscheu.
Zu den Zeiten dieses Königs wurden die Nachkommen derjenigen
Würdenträger, welche sich einst um die Könige Wen und Wu ver
dient gemacht, hervorgezogen, wobei auch Hiung-yi mit dem Gebiete
der südlichen Fremdländer von Tsu belehnt wurde. Die Felder
seines Lehens waren solche, wie sie den Lehensfürsten vierten und
fünften Ranges zukarnen. Hiung-yi selbst erhielt den Geschlechts-
namen des besonderen Seitengeschlechtes Mi und batte seinen
Wohnsitz in IHfl- Tan-yang 4 )- Hiung-yi, Lehensfürst vierten
Ranges von Tsu, widmete gleichzeitig mit Pe-khin, Fürsten von Lu,
mit Meu, dem Sohne Khang-scho’s von Wei, mit Si, Fürsten von
Tsin, und mit Liü-kln, dem Sohne Thai-kung’s vonTsi, seine Dienste
dem Könige Sching von Tscheu.
Auf Hiung-yi folgte dessen Sohn Hiung-I. Der Sohn
Iliung-l's war ^0 jfj? Hiung-than. Der Sohn Hiung-than’s war
Rh /m
Hiung-schiug. Diese beiden Söhne folgten ihren Vätern
als Fürsten von Tsu. Der Sohn Hiung-sching indessen batte zum
Nachfolger seinen jüngeren Bruder jf [9 Hiung-yang. Der Sohn
Hiung-yang’s war j|£ Hiung-khiü, der seinerseits drei Söhne
hatte.
Zu den Zeiten des Königs ^ J von Tscheu war das Haus des
Königs unansehnlich, von den Lehensfürsten erschienen mehrere
nicht an dem Hofe und schritten gegenseitig zu Angriffen. Hiung-
khiü gewann in hohem Masse die Zufriedenheit des Volkes zwi
schen dem grossen Strome und dem Han. Er sammelte daher eine
Kriegsmacht und richtete einen Angriff gegen die Gebiete Ifjf Yung 2 ),
*) Tan-yang’ befand sich in dem heutigen Nebenkreise Tseh‘hT-kiang, Kreis King-
tscheu in Hu-kuang.
2 ) Yung ist das spätere Scbang-yung (das obere Yung) und das heutige Tsch’ho-san,
Kreis Yiin-yang in Hu-kuang.
74 Dr. Pfizmaier
Yang <) und J|lL Yue 3 ), wobei er auch bis Ngö 8 ) ge
langte.
Hiung-kbiü sagte jetzt: Wir sind südliche und östliche Fremd
länder. Wir haben nichts zu thun mit den Ehrennamen und den
Namen nach dem Tode, die gelten in dem Mittellande. — Hierauf
erhob er seinen ältesten Sohn j|j=t; Khang zum Könige von "öa 'pj
Keu-tan 4 ). Sein zweiter Sohn ^ | Hung wurde König von Ngö.
Sein dritter und jüngster Sohn >|jj^ Tsche-thse wurde König
von Yue-tsehang. Die drei zuletzt genannten Länder be
fanden sich sämmtlich in der Gegend des grossen Flusses und auf
dem Gebiete der Fremdländer von Tsu.
Als endlich König Li von Tscheu seiner Zeit Gewalttätigkeit
und Unterdrückung übte, fürchtete Hiung-kbiü, dass dieser König
das Land von Tsu angreifen werde. Er entfernte daher auch die in
dem Lande ernannten Könige und setzte seinen ältesten Sohn, der
jetzt unter dem Namen jf^; lijr Hiung-wu-kbang 5 ) ange
führt wird, zumNachfolger ein. Wu-khang starb indessen frühzeitig.
Nach dem Tode Hiung - khiü’s ward dessen zweiter Sohn
0/i jf|^ Hiung-tsch’he-hung, der früher blos Hung genannt
wird, zum Fürsten von Tsu eingesetzt. Tsch’he-hung ward durch
seinen jüngeren Bruder getödtet, der seine eigene Einsetzung
bewerkstelligte und jetzt unter dem Namen Hiung-yen »)
angeführt wird.
Auf Hiung-yen folgte dessen Sohn ]jij jf£ Hiung-yurig. [m
sechsten Jahre des Fürsten Hiung-yung (842 vor uns. Zeitr.) er
regten die Bewohner von Tscheu einen Aufruhr und überfielen den
König Li. Derselbe verliess das Land und floh nach Tsch'hi.
Hiung-yung starb im zehnten Jahre seiner Lenkung (838 vor
uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen jüngeren Bruder
Yang entspricht dem heutigen Ynng-tscheu in Kiang-nan.
2 ) Unter der Benennung Yue wurde alles Land im Süden von Tsu verstanden.
3 ) Ngö entspricht dem heutigen Wu-tschang in Hu-kuang.
4 ) Keu-tan ist das spätere Kiang-Iing und das heutige King-tseheu in Hu-kuang.
5 ) Zur Aufhellung der Verschiedenheit der Namen, mit welchen die Söhne Hiung-khiu’s
belegt werden, ist der Verfasser nicht im Stande, etwas anzugehen, eben so wenig
über die wahre Bedeutung dieser und anderer jedenfalls fremdländischen Namen.
6 ) Früher wurde derselbe Tsch’he-thse genannt.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
75
|tb Hiung-yen.
Hiung-yeng starb im zehnten Jahre seiner
Lenkung (828 vor uns. Zeitr.) und hinterliess vier Söhne. Der
älteste dieser Söhne hiess /|]f] Pe-schuang, der im Alter
nächstfolgende Tschung - siue, der dritte
Tschung - siue , der dritte jfMl i
Scho-khan, der jüngste -j'-'fjJ Ki-siün. Nach dem Tode Hiung-
yen’s wurde dessen ältester Sohn Pe-schuang zum Fürsten
eingesetzt und erhielt den Namen jf£ Hiung-schuang. Das
erste Jahr dieses Fürsten (827 vor uns. Zeitr.) ist auch das
erste des Königs Siuen von Tscheu.
Hiung-schuang starb im sechsten Jahre seiner Lenkung (822
vor uns. Zeitr.), und dessen drei jüngere Brüder stritten sich um
die Einsetzung. In diesem Streite fand Tschung-siue den Tod, Scho-
khan ging der Gefahr aus dem Wege, indem er das Land verliess
und sich auf dem Gebiete Po *) aufhielt. Der zurückgebliebene
jüngste Bruder Ki-siün ward hierauf eingesetzt und erhielt den
Namen Hiung-siün. In das sechzehnte Jahr Hiung-siün’s
(806 vor uns. Zeitr.) fällt die Gründung des Fürstenlandes Tsching
und die Einsetzung des Fürsten Hoan von Tsching.
Hiung-siün starh im zweiundzwanzigsten Jahre seiner Len
kung (800 vor uns. Zeitr.) und batte zum Nachfolger seinen Sohn
Hb Hiurig-ngö. Als Hiung-ngo im neunten Jahre seiner
Lenkung (791 vor uns. Zeitr.) starb, folgte ihm dessen Sohn
fH jtb Hiung-I, genannt Jö-ngao. Im zwanzigsten
jat.re Jö-ngao’s (771 vor uns. Zeitr.) ward König Yeu von Tscheu
durch die „westlichen Hunde-Fremdländer“ getödtet, und Tscheu
verlegte seinen Wohnsitz nach Osten. Zugleich ward Siang, Fürst
von Thsin, zum Lehensfürsten der Beihe ernannt.
Jö-ngao starb im siebenundzwanzigsten Jahre seiner Lenkung
(764 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn ff^
Hiung-khan, genannt Siao-ngao. Als Siao-ngao im sechs
ten Jahre seiner Lenkung (7öS vor uns. Zeitr.) starb, folgte ihm
dessen SohnJj{jJ Hiung-schün, genannt pPj iji^y Fen-mao.
Im dreizehnten Jahre Fen-mao’s (745 vor uns. Zeitr.) ward
Sching-sse von Tsin mit der Stadt Khio-wo belehnt und dadurch der
A ) Im Süden des heutigen Kien-ning in Fö-kien.
76 Dr. Pfizraaier
Grund zu der späteren Zerrüttung des Landes gelegt. Fen-mao,
auch Fen-mao-tse, d. i. Fen-mao, Lehensfürst vierten Ranges
genannt, ward im siehenzelmten Jahre seiner Lenkung (741 vor
uns. Zeitr.) durch seinen jüngeren Bruder i) j] j|jr Hiung - thung
getödtet. Hiung-thung, der hierauf seine eigene Einsetzung zum
Fürsten bewirkte, heisst in der Geschichte König Wu von
Tsu.
Im siebenzohnten Jahre des Königs Wu (724 vor uns. Zeitr.)
tödtete Tschuang, Fürst von Khio-wo, den Gebieter des Landes, den
Fürsten Hiao von Tsin. Im neunzehnten Jahre des Königs Wu (722
vor uns. Zeitr.) empörte sich Tuan, der jüngere Bruder des Fürsten
Tschuang von Tsching. Im einundzwanzigsten Jahre des Königs
Wu(720 vor uns. Zeitr.) plünderte Tsching die Felder des Himmels
sohnes. Im zweiundzwanzigsten Jahre des Königs Wu (719 vor
uns. Zeitr.) tödtete Tseheu-yü von Wei seinen Gebieter, den Fürsten
Hoan. Im neunundzwanzigsten Jahre des Königs Wu (712 vor uns.
Zeitr.) tödtete Hoei von Lu seinen Gebieter, den Fürsten Yin.
Im einunddreissigsten Jahre des Königs Wu (710 vor uns. Zeitr.)
tödtete Hoa-tü, der grosse Hausdiener von Sung, seinen Gebieter,
den Fürsten Schang.
Im fünfunddreissigsten Jahre des Königs Wu (706 vor uns.
Zeitr.) bekriegte Tsu das Fürstenland |Jjjf Suii). Dieses Land, des
sen Fürsten den Geschlechtsnamen des Himmelssohnes führten, mel
dete: Wir haben nichts verbrochen. —Der König von Tsu, jetzt
noch Fürst Hiung-thung genannt, erwiederte: Wir sind die Fremd
länder des Südens und Ostens. Jetzt sind die Fürsten der Lehen
sämmtlich abgefallen und unternehmen gegeneinander Streifzüge.
Einige unter ihnen tödteten sich gegenseitig. Wir sind im Besitze ab
genützter Panzer und wünschen uns anzusehen die Lenkung des mitt
leren Landes. Ich wünsche, dass das Haus des Königs mich ehre durch
eine höhere Benennung. — Die Machthaber von Sui baten demnach
in Tsche'u, dass dem Fürsten von Tsu eine höhere Benennung ver
liehen werde. In dem Hause des Königs gab man dieser Bitte kein
Gehör, worauf die Abgesandten zurückkehrten und Tsu die Meldung
brachten.
i ) Das heutige gleichnamige Sui des Kreises Te-ngan in Hu-kuang.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
77
Hiung-thung von Tsu zürnte über die Erfolglosigkeit seiner
Bitte und sagte endlich: Mein Vorfahr Tsclm-hiung war der Lehrer
des Königs Wen. Er ist frühzeitig gestorben. König Sching erhob
den mir vorangegangenen Fürsten, und er hiess ihn mit den Feldern
eines Lehensfürsten vierten und fünften Ranges wohnen in Tsu. Die
Fremdländer des Südens und Ostens drängen sich insgesammt her
bei, um sich zu unterwerfen, aber der König ertheilt mir keine wei
tere Rangstufe. Ich werde mich selbst durch eine Benennung ehren.
— Demgemäss setzte sich Hiung-thung im siebenunddreissigsten
Jahre seiner Lenkung (704 vor uns. Zeitr.) zum Könige ein und
erhielt die Benennung König Wu. Nachdem er noch mit den Macht
habern von Sui einen Vertrag geschlossen, zog er aus diesem Lande
ab. Um dieselbe Zeit machte auch Tsu zum ersten Male Fort-
\ i 1/
schritte auf dem Gebiete von Po, in dessen Besitz er sich
behauptete.
Im einundfünfzigsten Jahre des Königs Wu (690 vor uns.
Zeitr.) herief Tscheu den Fürsten von Sui an den Hof und hielt ihm
vor, dass er die Einsetzung des Fürsten von Tsu zum Könige
veranlasst habe. Tsu nahm es seinerseits übel, dass Sui, in
dem er der Vorladung nach Tscheu Folge leistete, den Vertrag
gebrochen und schritt zum Angriff auf Sui. König Wu, der sich zu
seinem Heere begeben hatte, starb jedoch auf dem Wege nach Sui,
worauf die Kriegsmacht von Tsu das Unternehmen aufgab.
Auf König Wu folgte dessen Sohn jar (f£ Hiung-thse, ge
nannt König Wen. Dieser König zog von Tan-yang weg und
machte Ying ‘) zur Hauptstadt des Landes.
Im zweiten Jahre seiner Lenkung (688 vor uns. Zeitr.) zog
König Wen an der Spitze einer Kriegsmacht gegen das Fürstenland
f jj Schin 8 ) und nahm seinen Weg über Teng 3 ), dessen Für
sten von dem Geschleehte tm Man. Die Machthaber von Teng
1 ) Ying; befand sich zehn Weglängen nördlich von dem späteren Kiang-Iing, welches
seinerseits das heutige King-tscheu in Hu-kuang.
2 ) Schin befand sich in der Gegend der Hauptstadt des heutigen Kreises Nan-yang in
Ho-nan.
3 ) Teng befand sich im Nordosten der Hauptstadt des heutigen Kreises Nan-yang in
Hu-kuang.
78
Dr. P i‘i z in ai e r
wünschten, dass ihr Land, aus welchem die Gemuhlinn des früheren
Königs Wu von Tsu stammte, in Tsu einverleibt werde und sagten:
Der König von Tsu kann uns leicht wegnehmen. — Der Fürst von
Teng verweigerte jedoch seine Zustimmung.
Im sechsten Jahre des Königs Wen (684 vor uns. Zeitr.)
machte ein Kriegsherr von Tsu einen Angriff aufTsai, nahm den
Fürsten dieses Landes gefangen und führte ihn nach Tsu, woselbst
man ihn wieder freiliess 1 ). Tsu bewältigte und beleidigte um diese
Zeit die zwischen dem grossen Strome und dem Han gelegenen
kleinen Fürstenländer, welche sich sämmtlich vor ihm fürchteten.
Im eilften Jahre des Königs Wen (679 vor uns. Zeitr.) trat
Hoan, Fürst von Tsi, zum ersten Male als Obergewaltiger auf. Um
dieselbe Zeit erschien auch Tsu zum ersten Male als grosses
Fürstenland. Im folgenden Jahre (678 vor uns. Zeitr.) unternahm
Tsu einen Angriff auf Teng und vernichtete es.
König Wen starb im dreizehnten Jahre seiner Lenkung
(677 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn
Hi! jf£ Hiung-ken, genannt Tu-ngao. Im fünften Jahre
seiner Lenkung (672 vor uns. Zeitr.) trachtete dieser König seinem
jüngeren Bruder A® ffj? Hiung-wen nachdem Leben. Hiung-wen
floh nach Sui, mit dessen Hilfe er Tu-ngao überfiel und tödtete.
Hiung-wen nahm hierauf von der Würde seines Bruders Besitz
und heisst in der Geschichte König JjSching.
König Sching, der eben eingesetzt worden, war bemüht, Wohl-
thaten zu verbreiten und Gnade zu spenden, während er gleich
zeitig die alten Verhältnisse der Freundschaft mit den Lehensfürsten
wieder anzuknüpfen suchte. Im ersten Jahre seiner Lenkung
(671 vor uns. Zeitr.) schickte er eine Gesandtschaft mit Ehren
geschenken an den Himmelssohn. Der Himmelssohn übersandte ihm
das Fleisch der Darbringung aus dem Ahnenheiligthume der Tscheu
und liess dabei dem Könige von Tsu die folgende Weisung zukom
men: Halte nieder deine südlichen Gegenden, den Aufstand der
östlichen Fremdländer und von Yue. Mache keine Einfälle in das
*) So die in der Geschichte von Tsu enthalteneAngabe, aus welcher wohl hervorgeht, dass
man dem Fürsten von Tsai die Freiheit schenkte, nicht aber, dass man ihm die Rück
kehr in sein Land erlaubte. Nach der Geschichte von Tsai starb der Fürst von Tsai
in Tsu, nachdem er daselbst neun Jahre zurückgehalten worden war.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
79
mittlere Land. — Um diese Zeit hatte Tsu bereits einen Umfang
von zehntausend Weglängen.
Im sechzehnten Jahre des Königs Sching (656 vor uns. Zeitr.)
drang Hoan, Fürst von Tsi, an der Spitze der Heere der Lehens
fürsten in Tsu und erreichte das Gebiet Jjijl Hing •). Sching, König
von Tsu, schickte den Heerführer Jtjl Khie-hoan mit einer
Kriegsmacht gegen den vorrückenden Feind. Khie-hoan beschwor
alsbald einen Friedensvertrag mit dem Fürsten Hoan. Dieser Fürst
stellte Tsu darüber zur Rede, dass dieses den dem Könige von
Tscheu schuldigen Zoll nicht einsende. Tsu verstand sich zur Dar
reichung dieses Zolles, worauf das Heer von Tsi das Land verliess.
Im achtzehnten Jahre seiner Lenkung (654 vor uns. Zeitr.) zog
König Sching mit einem Kriegsheere nach Norden und bekriegte
das Fürstenland j=^p Hiü 3 ). Der Landesfürst von Hiü erschien mit
entblössten Schultern und entschuldigte sich wegen seiner Verbre
chen, worauf er von Tsu freigelassen wurde. Nach dem „Frühling
und Herbst“ belagerten die Lehensfürsten, den Fürsten Hoan von
Tsi an der Spitze, eben die neuerbaute Feste von Tsching, als sie
erfuhren, dass der König von Tsu die Hauptstadt von Hiü belagere.
Sie eilten auf diese Kunde allsogleich dem bedrängten Hiü zu Hilfe.
Im dreiundzwanzigsten Jahre des Königs Sching (649 vor uns.
Zeitr.) bekriegte Tsu das Fürstenland ^ Hoang s ), weil dasselbe
ihm nicht den gebührenden Zoll gebracht hatte. Bei einer früheren
Versammlung der Lehensfürsten warHoan, Fürst von Tsi, gesonnen,
auch mit den Fürstenländern Hoang und iV£ Kiang denVertrag zu
beschwören. Kuan-tschung bemerkte dagegen: Kiang und Hoang
sind fern von Tsi und nahe bei Tsu. Es sind Länder, welche für
Tsu von Nutzen sind. Wenn es sie angreift und wir nicht im Stande
sind, ihnen zu Hilfe zu kommen, so können wir uns durch nichts
voranstellen den Fürsten der Lehen.— Fürst Hoan liess diese Worte
unbeachtet und beschwor mit den beiden genannten Fürstenländern
den Vertrag. Als Tsu nach Kuan-tschung’s Tode Kiang und Hoang
*) In der Geschichte von Tsu steht irriger Weise Hing-san, welches kein Gebiet von
Tsu, sondern der Name eines Berges südlich von dem heutigen Tsching-tscheu
in Ho-nan.
2 ) Hiü ist die Gegend des heutigen Hiü-tscheu in Ho-nan.
3 ) Hoang ist die Gegend des heutigen Hoang-tscheu in Hu-kuang.
angriff, konnte ihnen Fürst Hoan zum Bedauern der Weisheits
freunde keine Hilfe bringen. Im nächstfolgenden Jahre (648 vor
uns. Zeitr.) vernichtete Tsu das Fürstenland Hoang. Im sechsund
zwanzigsten Jahre des Königs Sching vernichtete Tsu wieder das
Fürstenland J^-Ying 1 ).
Im dreiunddreissigsten Jahre des Königs Sching (639 vor
uns. Zeitr.) vermass sich Siang, der Fürst des kleinen und wenig
mächtigen Sung, die Obergewalt anzusprechen und die Lehens
fürsten zur Beschwörung eines Vertrages zu versammeln. Er liess
die Aufforderung zum Besuche der Versammlung auch an Tsu er
gehen. Der König von Tsu zürnte und sprach: Er hat mich aufge
fordert zu erscheinen. Ich werde in Freundschaft hinziehen, auf
ihn eindringen und ihn beschämen. —Der König reiste hierauf nach
Yü, einem Gebiete von Tsching, wo die Versammlung stalt-
tarid. Daselbst liess er den Fürsten Siang durch eine in den Hinter
halt gelegte Kriegsschaar festnehmen und verfügte dessen Frei
lassung erst, nachdem der Fürst von Lu sich für den durch diese
That beschimpften Gefangenen verwendet batte.
Im vierundreissigsten Jahre des Königs Sching (638 vor uns.
Zeitr.) wandte sich Wen, Fürst von Tsching, nach Süden und er
schien an dem Hofe von Tsu, während es sich für ihn als Lehens
fürsten gebührt hätte, nach Westen zu reisen und an dein Hofe von
Tscheu zu erscheinen. In demselben Jahre bekriegte Sching, König
von Tsu, im Norden das Fürstenland Sung und schlug dessen Heer
an den Ufern des Flusses Hung. Siang, Fürst von Sung, ward
in dieser Schlacht durch einen Pfeilschuss verwundet und starb an
seiner Wunde in dem nächstfolgenden Jahre.
Im fünfunddreissigsten Jahre des Königs Sching (637 vor
uns. Zeitr.) reiste Tschung-ni, Fürstensohn von Tsin, durch Tsu.
König Sching behandelte seinen Gast nach den für einen Lehens
fürsten geltenden Gebräuchen und liess ihn auf ehrenvolle Weise
nach Thsin geleiten.
Im neununddreissigsten Jahre des Königs Sching (633 vor uns.
Zeitr.) wandte sich Hi, Fürst von Lu, au Tsu mit der Bitte, dass
Ying soll gleiche Lage mit dem Fürstenlande Liao gehabt haben. Das letztere befand
sich in der Gegend des heutigen Ku-schi, welches in bedeutender Entfernung süd
östlich von Ju-ning in Ho-nan.
Die Geschichte des Königslandes T«u.
81
gegen Tsi, wo der Sohn des Fürsten Hiao nach dem Ableben seines
Vaters getüdtet worden, ein Angriff bewerkstelligt werde. Tsu ent
sandte den Fürsten von Sellin mit einer Kriegsmacht zum An
griff auf Tsi. Der genannte Heerführer eroberte die Stadtp^ Kö i),
welche man ^|| Yung, einem Sohne des Fürsten Hoan von Tsi,
zum Wohnsitz anwies. Auch die übrigen in ihrer Bewerbung um
die Nachfolge unglücklichen sieben Sühne des Fürsten Hoan von
Tsi kamen als Flüchtlinge nach Tsu, wo ein jeder derselben zu einem
höchsten Grossen des Landes ernannt wurde.
In demselben Jahre vernichtete Tsu das Fürstenland jpt
Kuei 3 ), welches fortan den Landesgöttern keine Gaben darbrachte.
Den Anlass zu dieser Vernichtung gab der Umstand, dass die Fürsten
von Kuei die Nachkommen Hiung-tsch’he’s, Sohnes 3 ) des Fürsten
Hiung-khiü von Tsu, daher so wie Tsu den Tsch’hii-yung (das
grosse Licht) und Tscho-hiung zum Stammvater hatten.
Im Sommer des Jahres unternahm Tsu einen Kriegszug nach
Sung. Dieses Fürstenland begehrte Hilfe von Tsin. Als Tsin zur
Bettung von Sung auszog, gab König Selling das Unternehmen auf
und kehrte in sein Land zurück. iT Tse-yö Heerführer von
Tsu, bat um die Erlaubniss, eine Schlacht geben zu dürfen. König
Scliing erwiederte: Tschung-ni war ausgewandert und befand sich
in der Fremde lange Zeit. Zuletzt ward es ihm möglich, zurückzu
kehren in sein Land. Somit hat der Himmel ihm die Wege eröffnet:
wir können gegen ihn nicht aufkommen. — Als Tse-yö seine
Bitte beharrlich wiederholte, überliess ihm der König ein wenig
zahlreiches Heer und entfernte sich. Tsin schlug hierauf wirklich
den Heerführer Tse-yö in der Schlacht von Sehing-pö. König Scliing
entbrannte in Zorn gegen Tse-yö, der sich sofort das Leben nahm.
König Scliing war ursprünglich gesonnen, seinen Sohn j={J j)rj
Seharig-tscliin zum Nachfolger einzusetzen, und er sprach hierüber
A ) Das ehemalige Kö-sching in dem späteren Thsi-pe, welehes seinerseits das heutige
Thsi-ning in Schan-tung.
Ä ) Kuei lag in der Gegend der Hauptstadt des heutigen Kuei-tscheu in Sse-tschuen, an
der Nordseite des Berges Wu-san und an der Stelle, wo sich das Dorf
Thse-kuei befindet»
3 ) Der Ausleger Fö-khien sagt Enkels.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XL1V. Bd . 1. Ht't.
6
82
Dr. Pfi z m n i e r
mit dem Landesgehilfen ilf Tse-seliang. Dieser sagte: Du,
o Gebieter, bist noch nicht alt und hast auch viele Begünstigte im
Innern. Wenn du ihn absetzest, so entsteht Aufruhr. Die Erhebung
in dem Lande Tsu wird gewöhnlich zu Theil den Jüngsten. Zudem
hat Schang-tschin das Auge einer Wespe und die Stimme eines wilden
Hundes: er ist ein hartherziger Mensch. Er darf nicht eingesetzt
werden. — Der König gab diesen Worten kein Gehör und setzte
Schang-tschin zum Nachfolger ein. Später wollte der König wieder
einen andern Sohn, Namens Tsche einsetzen und den Nach
folger Schang-tschin absetzen. Schang-tschin hörte dies, hatte aber
noch keine Gewissheit, ob es sich wirklich so verhalte. Er entdeckte
daher die Sache seinem Zugesellten Fau-thsung und fragte
ihn, wie er sich Gewissheit verschallen könne. Fan-thsung rieth
ihm, der begünstigten jüngeren Schwester des Königs, der an den
Fürsten von Kiang vermählten ^ Kiang-mi, den Empfang zu
bereiten und ihr dabei ohne Achtung zu begegnen, indem Kiang-mi,
in die Geheimnisse des Königs eingeweiht, in der Aufwallung des
Zornes sicher die Wahrheit sagen würde.
Schang-tschin befolgte den Rath seines Zugesellten. Kiang-mi
war über das unehrerbietige Benehmen des Nachfolgers entrüstet
und rief: Es ist ganz billig, dass der König dich tödten will und
einsetzen Tsche! — Schang-tschin hinterbrachte dem Zugesellten
Fan-thsung diese Worte und bemerkte dazu: Es ist zuverlässig! —
Fan-thsung fragte den Nachfolger: Bist du fähig, ihm ‘) zu dienen ?
— Schang-tschin antwortete: Ich bin es nicht fähig.— Fan-thsung
fragte: Bist du fähig, auszuwandern und dich zu entfernen? —
Schang-tschin antwortete: Ich bin es nicht fähig.— Der Zugestellte
fragte wieder: Bist du fähig eine grosse That zu verrichten? —
Der Nachfolger antwortete: Ich bin es fähig.
Im zehnten Monate des sechsundvierzigsteri Jahres des Königs
Sching (626 vor uns. Zeitr.), zur Zeit des Winters, bewerkstel
ligte Schang-tschin mit den für das Gebäude des Nachfolgers be
stimmten Leibwachen die Einschliessung seines königlichen Vaters.
König Sching bat, dass er Bärentatzen essen und hierauf sterben
dürfe. Da nämlich Bärentatzen sich schwer sieden lassen, so hoffte
i) Dem Königssohne Tsche.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
83
er, dass endlich Jemand von aussen ihm zu Hilfe kommen werde.
Die Bitte ward ihm abgeschlagen. An dem vierundvierzigsten Tage
des sechzigtheiligen Kreises erhängte sich König Selling. Dessen
Nachfolger war Schang-tschin, genannt König Dieser König
schenkte gleich nach seiner Erhebung das Gebäude, welches er als
der zur Nachfolge bestimmte Sohn besessen, dem Zugestellten
Fan-thsung. Ausserdem übertrug er diesem das Amt eines grossen
Lehrers und die Führung der Geschäfte des Landes.
Im dritten Jahre des Königs Mo (623 vor uns. Zeitr.) ver
nichtete Tsu das Fürstenland Kiang<). Im vierten Jahre des
Königs Mo (622 vor uns. Zeitr.) vernichtete Tsu die Fürstenländer
Lö 3) und Liao =). Die Fürsten dieser zwei Länder waren
die Nachkommen Kao-thao’s, Landesgehilfen des Königs Yü. Im *
achten Jahre des Königs Mo (618 vor uns. Zeitr.) bekriegte Tsu
das Fürstenland Tschin, weil dieses sich der Macht von Tsin unter
worfen hatte.
König Mo starb im zwölften Jahre seiner Lenkung (614 vor
uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn -ßcj Liii, ge
nannt König fj-£ Tschuang. Dieser König hatte sich bereits drei
Jahre in seiner Würde befunden, ohne irgend eine Verfügung ge
troffen zu haben. Er liess Tag und Nacht Klangspiel aufführen und
verkündete in dem Lande als Befehl: Wer es wagt, Vorstellungen
zu machen, stirbt, ohne Verzeihung zu finden. — Indessen trat
{iE U-khiü bei dem Könige ein, um diesem Vorstellungen zu ma
chen. KönigTschuang sass zwischen den Glocken und Trommeln, wäh
rend er mit dem linken Arme eine Nebengemahlinn aus Tsching, mit
dem rechten Arme ein Mädchen aus Yue umschlungen hielt. U-khiü
sprach: Es ist mein Wunsch, eiuRäthsel vorzutragen. Es gibt einen
Vogel, der sitzt auf der Erdhöhe. Er ist drei Jahre nicht geflogen,
hat drei Jahre seine Stimme nicht hören lassen. Was für ein Vogel
ist dies? — König Tschuang erwiederte: Wenn er drei Jahre nicht
geflogen ist und dann fliegt, so erhebt er sich zu dem Himmel
1 ) Kiang befand sich in den) ehemaligen Unterkreise Ngan-yang, Kreis Ju-ning (früher
Ju-nan) in Ho-nan.
2 ) Lö ist das heutige Lö-ngan, Kreis Liü-tscheu in Kiang-nan.
3 ) Liao ist das heutige Ku-schi, Kreis Ju-ning in Ho-nan .
84
Dr. Pfizmaier
Wenn er drei Jahre seine Stimme nicht hat hören lassen und die
Stimme dann hören lässt, so erfüllt er die Menschen mit Schrecken.
U-khiü kann sich zurückziehen, ich habe es schon errathen.
Nach einigen Monaten schwelgte der König massloser als früher.
Der grosse Würdenträger ^ Su-thsung trat bei dem Könige
ein, in der Absicht, ihm Vorstellungen zu machen. Der König fragte
ihn: Hast du den Befehl nicht gehört? — Su-thsung antwortete:
Tödten sich selbst und dadurch erleuchten den Gebieter, ist das
Verlangen des Dieners. — Der König machte sofort dem Schwelgen
und dem Klangspiel ein Ende und gab in Sachen der Lenkung Ge
hör. Er liess einige hundert Menschen hinrichten, während einige
hundert Andere bei ihm Zutritt erhielten. Zugleich betraute er U-
khiü und Su-thsung mit den Geschäften der Lenkung, was bei den
Bewohnern des Landes grosses Wohlgefallen erweckte. Noch in
demselben Jahre, dem dritten seiner Lenkung (611 vor uns.
Zeitr.) vernichtete König Tschuang das Fürstenland
Im sechsten Jahre des Königs Tschuang (608 vor uns. Zeitr.)
bekriegte Tsu das Fürstenland Sung, weil dieses sich von ihm los
gesagt hatte. In diesem Feldzuge erbeutete Tsu fünfhundert Kriegs
wagen.
Im achten Jahre seiner Lenkung (606 vor uns. Zeitr.) bekriegte
•jVju Lo-hoen,
König Tschuang die westlichen Fremdländer von
welche sich im Südwesten des Flusses Lö angesiedelt hatten. Auf
diesem Zuge erreichte er den Fluss Lö, an welchen die Hauptstadt
des Himmelssohnes gelegen, und hielt eine Heerschau an den Marken
des Landes Tscheu. Ting, König von Tscheu, entsandte den
Königsenkel Muau mit dem Aufträge, den König von Tsu zu
bewillkommnen. König Tschuang fragte diesen Abgesandten um die
Schwere der neun Dreifüsse, wodurch er zu verstehen gab, dass er
in Tscheu einfallen und die Dreifüsse, durch deren Besitz die Gewalt
über die Welt verbürgt wird, wegnehmen wolle. Der Königsenkel
Muan antwortete: Es bandelt sieh um die Tugend, es handelt sich
nicht um die Dreifüsse. — König Tschuang sagte hierauf: Ver
schanze dich nicht hinter den neun üreifüssen. Die abgebrochenen
1 J Das heutige Tschü-sau, Kreis Yün-yang in Hu-kuang. Zu den Zeiten der Tlisin
führte dieses liehiet den Namen Schang-yuug, „das obere Yung“.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
85
Schnäbel an den Haken der Speere des Landes Tsu sind hinrei
chend, um aus ihnen die neun Dreifüsse zu verfertigen.
Auf diese Worte entgegnete der Königsenkel Muan: Leider!
Du, o Gebieter und König, hast es vergessen! Einst zur Zeit der
vollen Blüthe der Yü und Hia kamen die Vertreter der fernen
Gegenden herbei. Die als Zoll das Erz brachten, waren die Hüter
der neun Landstriche. Man goss die Dreifüsse und versah sie mit
Abbildungen der lebendigen Wesen. Die hundert lebendigen Wesen,
man war gegen sie auf der Hutli, man bewirkte, dass das Volk kannte
die Verräther unter den Geistern. Khie hatte eine zerrüttete Tugend,
und die Dreifüsse wurden übergeführt zu den Yin. Es vergingen
Jahre sechshundert. Tsch’heu von Yin war grausam, übte Be
drückung, und die Dreifüsse wurden übergeführt nach Tscheu. Bei
der Tugend lieblichem Licht mögen sie immerhin klein sein, sie
sind gewiss schwer >). BeiVerrath, Verderbtheit, Finsternissund
Zerrüttung mögen sie immerhin gross sein, sie sind gewiss leicht2).
Einst gab König Selling den Dreifüssen eine bleibende Stelle in
Kiä-jö s ). Indem er die Schildkrötenschale brennen liess hinsichtlich
der Geschlechtsalter, erhielt er deren dreissig. Indem er die Schild
krötenschale brennen liess hinsichtlich der Jahre, erhielt er deren
siebenhundert. Dies ward durch den Himmel befohlen. Ist die Tugend
der Tscheu auch geschwunden, der Befehl des Himmels ist noch
nicht verändert. Nach der Schwere der neun Dreifüsse kann man
noch nicht fragen. — Der König von Tsu kehrte hierauf in sein Land
zurück.
Im neunten Jahre seiner Lenkung (605 vor uns. Zeitr.) er
nannte König Tschuang das auch unter dem Namen a t Tse-
yue bekannte Haupt des Geschlechtes Jö-ngao zum Lan
desgehilfen. Jemand verleumdete das Geschlecht Jö-ngao bei dem
Könige, worauf dieser Landesgehilfe, um nicht hingerichtet zu
werden, dem Könige durch einen Überfall zuvorkam. Der König
führte jedoch einen raschen Schlag gegen den Würdenträger des
*) Sie können nicht wegge führt werden.
2 J Sie können von ihrer Stelle geschafft werden.
3 ) Im Westen der Hauptstadt des heutigen Kreises Ilo-nan befand sich der Feldweg von
Kiä-jö. An diesen Ort überführte König Wu von Tscheu die neun
Dreifüsse, und König Schnng gab ihnen später daselbst eine bleibende Stelle.
86
Dr. Pfizmaicr
Geschlechtes Jo-ngao, der mit seinen Verwandtschaften hingerichtet
wurde. Im dreizehnten Jahre des Königs Tschuang (601 vor uns.
Zeitr.) vernichtete Tsu das Fürstenland Schü !)•
Im sechzehnten Jahre seiner Lenkung (S98 vor uns. Zeitr.)
unternahm König Tschuang an der Spitze der Lehensfürsten einen
Angriff auf Tschin, woselbst ^ Hia - tsch’hing - schü
den Fürsten des Landes getödtet hatte. König Tschuang liess Hia-
tsch’hing-schü hinrichten und machte Tschin, nachdem er es gänzlich
zertrümmert, zu einem Kreise von Tsu. Sämmtliche Würdenträger
kamen hierauf, um dem Könige Glück zu wünschen, ^
Schin-scho-schi, der eben aus Tsi, wohin er als Gesandter geschickt
worden, zurückgekehrt war, erschien ebenfalls, wünschte aber dem
Könige kein Glück. Von dem Könige desshalb befragt, antwortete er:
Ein gemeines Sprichwort lautet: DerFührer derKuli betritt dieFelder
der Menschen. Der Besitzer des Feldes nimmt ihm die Kuh weg. —
Das Feld betreten, ist nicht recht. Aber ihm die Kuh wegnehmen,
ist dies nicht auch zu arg? Zudem hast du, o König, aus Anlass
der Unthaten von Tschin dich gestellt an die Spitze der Fürsten
der Lehen und es angegriffen gerechter Weise. Wenn du es aber
angreifst und Begehren hast, es zu einem Kreise zu machen, wie
könntest du da wieder Befehle erlassen an die Welt? — König
Tschuang setzte hierauf den Nachfolger von Tschin wieder zum
Fürsten des Landes ein.
Im Frühlinge des siebenzehnten Jahres seiner Lenkung (697
vor uns. Zeitr.) schritt König Tschuang zur Belagerung der Haupt
stadt des mit Tsin verbündeten Tsching. Nach drei Monaten hatte
er die Stadt überwältigt und hielt seinen Einzug durch das Thor
j3Ej 3E Hoang-men. Daselbst kam ihm der Fürst von Tsching,
der sich an die für einen Diener und Knecht geltenden Gebräuche
hielt, mit entblössten Schultern und an einem Stricke ein Schaf
führend, entgegen und sprach: Ich der Verwaiste verleugnete den
Himmel und war nicht fähig, dir, o Gebieter, zu dienen. Du, o Ge
bieter, trügest in dem Busen den Zorn und gelangtest zu der nie
drigen Stadt. Dies ist meine, des Verwaisten Schuld. Darf ich es
wagen, nicht unbedingt dem Befehle zu gehorchen? Wenn du uns
!) Schü befand sich östlich von dein heutigen Lö-ngan, Kreis Liii-lscheu in Kiang-nan.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
87
als Gäste versetzest an das südliche Meer, wenn du uns als Diener
und Mägde verschenkst an die Fürsten der Lehen, auch dann
werden wir unbedingt dem Befehlegehorchen. Wenn du, o Gebieter,
nicht vergissest der Könige Li und Siuen, der Fürsten Ho an und
Wu 1 ), wenn du nicht unterbrichst die Darbringung für die Götter
ihres Landes, wenn du bewirkst, dass wir uns anders besinnen und
dienen dir, o Gebieter, so wäre dies mein, des Verwaisten Verlangen,
aber ich wage nicht, es zu hoffen. Ich wagte es, vor dir darzulegen
mein Inneres und mein Herz.
Die Würdenträger von Tsu ^riethen dem Könige, mit dem
Fürsten von Tsching keinen Frieden zu schliessen. Allein König
Tschuang sprach: Der Landesfürst ist fähig, sich vor den Menschen
zu demüthigen, er ist gewiss fähig, durch die Treue sein Volk zu
verwenden. Kann die Nachfolge jemals unterbrochen werden? —
Der König ergriff mit eigener Hand eine Fahne, winkte dem Heere
zur Rechten und zur Linken und führte seine Krieger weiter. Nach
dem er sich dreissig Weglängen von der Stadt entfernt hatte,
bezog er einen Standort und gewährte Tsching den Frieden.
TB'/t Fan-wang, ein Grosser von Tsu, begab sich hierauf in die
Stadt, wo er mit dem Fürsten von Tsching den Vertrag beschwor,
während Tse-liang, der jüngere Bruder des Fürsten von
Tsching, die Stadt verliess und sich als Geissei stellte.
Im sechsten Monate des Jahres kam endlich Tsin dem Fürsten
lande Tsching, nachdem dieses mit Tsu bereits seinen Frieden ge
schlossen, zu Hilfe und wagte gegen Tsu die Schlacht. Tsu brachte
dem Heere von Tsin auf dem Gebiete des gelben Flusses eine grosse
Niederlage bei und seine Kriegsmacht trat erst den Rückzug an,
nachdem sie bis Heng-yung, welches noch ein Gebiet von
Tsching, vorgedrungen.
Im neunzehnten Jahre seiner Lenkung (595 vor uns. Zeitr.)
schritt König Tschuang zur Belagerung der Hauptstadt von Sung,
was aus dem Grunde geschah, weil dieses Fürstenland den Gesandten
von Tsu getödtet hatte. Im fünften Monate des folgenden Jahres
*) Die Fürsten von Tsching 1 stammten von den Königen Li und Siuen von Tscheu. Hoan
und Wu waren die zwei ersten Landesfürsten von Tsching und durch ihre Weisheit
•berühmt. Fürst Hoan von Tsching war der Sohn des Königs Li und der jüngere
Bruder des Königs Siuen.
88
Dr. Pfizmaier
(594 vor uns. Zeitr.) und im neunten Monate der Belagerung waren
in der Feste sämmtliche Lebensmittel zu Ende gegangen. Die Be
wohner tauschten unter sich die Kinder und verzehrten sie. Da ihnen
das Brennholz fehlte, brachen sie die Gebeine der Todten und heizten
mit ihnen die Kessel. In der Nacht verliess 7t tf Hoa-yuen, Heer
führer von Sung, heimlich die Stadt und verbarg sich in dem Zelte
K 7 Tse-fan’s, Heerführers von Tsu. Indem er diesen Heer
führer überraschte, schilderte er ihm die Lage der Stadt, und setzte
hinzu, dass Sung eher zu Grunde gehen als einen Frieden unter den
Mauern der Hauptstadt schliessen würde. Tse-fan schloss hierauf
mit Hoa-yuen einen vorläufigen Vertrag. Als König Tschuang diesen
Vorfall hörte, nannte er Hoa-yuen einen Weisheitsfreund, zog sein
Heer dreissig Weglängen zurück und schloss mit Sung Friede.
König Tschuang starb im dreiundzwanzigsten Jahre seiner
Lenkung (591 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen
Sohn Schin, genannt König ifc Kung. Im sechzehnten Jahre
dieses Königs (575 vor uns. Zeitr.) unternahm Tsin einen Kriegszug
gegen Tsching. Dieses Fürstenland begehrte Hilfe von Tsu. König
Kung eilte mit einem Heere dem bedrängten Tsching zu Hilfe und
kämpfte gegen Tsin die Schlacht von ^{5 Yen-ling, in der das
Heer von Tsu vollständig geschlagen wurde. König Kung ward von
einem Pfeile in das Auge getroffen.
Nach verlorener Schlacht beschied König Kung den Heerführer
Tse-fan zu sich. Dieser Heerführer war-dem Weine ergeben. Als
ihm jetzt sein Begleiter Schü-yang-ko Wein vor
setzte, betrank er sich, worüber sich der König in dem Masse er
zürnte, dass er Tse-fan erschoss *). Die Kriegsmacht von Tsu zog
sich hierauf in das eigene Land zurück.
König Kung^starb im einunddreissigsten Jahre seiner Lenkung
(560 vor uns. *Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn
Tschao, genannt König j|j|; Khang.
König Khang starb im fünfzehnten Jahre seiner Lenkung
(545 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn "g
Yün, genannt wR Kiä-ngao. Die begünstigten jüngeren Brüder
i) Nach der Geschichte von Tsin nahm sich Tse-fan das Leben, nachdem ihm der König:
einen Verweis gegeben.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
89
des Königs Khang waren die Fürstensöhne [|l| Wei, JfcT Tse-pi,
Tse-sl und -?jf- Khi-tsl. Im dritten Jahre seiner Len
kung (542 vor uns. Zeitr.) ernannte Kiä-ngao seinen Oheim, den
jüngeren Bruder des Königs Khang, den erwähnten Fiirstfcnsohn
Wei zum Ling-yün (Landesgehilfen) und setzte ihn über das
Kriegswesen.
Im vierten Jahre Kia-ngao’s (541 vor uns. Zeitr.) begah sich
Wei als Gesandter nachTsching. Auf dem Wege zu diesem Fürsten
lande hörte er, dass der König leicht erkrankt sei, was ihn bestimmte,
unverzüglich zurückzukehren. Im zwölften Monate des Jahres und
an dem sechsundvierzigsten Tage des sechzigtheiligen Kreises
trat Wei bei dem Könige ein, um sich nach dessen Befinden zu er
kundigen. Bei dieser Gelegenheit erwürgte er den König mit der
Schnur seiner Mütze, zugleich tödtete er auch ]p=L Mo und JE ^
Ping-hia, die beiden Söhne des Königs.
Nach dieser That schickte Wei einen Gesandten nach Tsching,
damit derselbe schleunigst die Nachricht von dem Tode des Königs
überbringe. U-khiii fragte den Gesandten, wen er als Nachfolger
anzumelden habe. Der Gesandte antwortete: Den unbedeutenden 1 )
grossen Würdenträger Wei. — U-khiü hiess den Gesandten diese
Worte verändern und sagen: Wei, der Sohn des Königs Kung, ist
der Älteste. — Nach den Gebräuchen meldet nämlich der Gesandte
an den fremden Höfen den Tod eines Fürsten und nennt den Nach
folger, er wird aber nicht aus Anlass einer unrechtmässigen Besitz
nahme oder eines Fürstenmordes zu den Lehensfürsten geschickt.
Tse-pi, der zweite Sohn des Königs Kung, floh nach Tsin, während
Wei zur Würde des Königs erhoben wurde. Derselbe heisst in der
Geschichte König ^ Ging.
Im sechsten Monate des dritten Jahres des Königs Ling
(538 vor uns. Zeitr.) schickte Tsu einen Gesandten nach Tsin mit
der Meldung, dass Tsu die Absicht habe, eine Versammlung der
Lehensfürsten zu veranstalten. Tsin, welches sich durch einen frü
heren Vertrag das ausschliessliche Recht zur Einberufung der
Lehensfürsten des Nordens erworben hatte, machte keine Einwen-
„Unbedeutend“ ist die Benennung', welche die Lehensfürsten sieh selbst beilegen.
düngen, worauf die Lehensfürsten in grosser Anzahl sich auf dem
Gebiete Schin in Tsu versammelten.
U-khiü sagte zu dem Könige: Einst hatte Khi von Hia *) den
Empfang von Kiiin-tai 2 ). Thang von Schang hatte den Befehl von
King-po 5 ). König Wu von Tscheu hatte das Übereinkommen von
Meng-tsin 4 ). König Sching hatte die Frühlingsjagd von Khi-yang 5).
König Khang hatte den Hof des Gebäudes von Fung 6 ). König Mo
hatte die Versammlung des Berges Thu 7 ). Hoan von Tsi hatte den
Feldzug von Schao-ling 8 ). Wen von Tsin hatte den beschworenen
Vertrag von Tsien-tu. Nach welchem von diesen wirst du, 0 Gebieter,
dich richten? — König Ling antwortete: Ich richte mich nach dem
Fürsten Hoan 9 ),
Bei dieser Versammlung erschien auch der berühmte Fürsten
sohn Tse-tschan von Tschiug, ein Zeitgenosse Khung-tse’s, im
Namen seines erkrankten Gebieters, des Fürsten Kien. Die Fürsten
länder Tsin, Sungio), Lu und Wei hatten sich von der Versammlung
i j Jizj' Khi, der Sohn des Königs Yii, war der zweite König des Hauses Hia.
2 ) Im Süden des späteren Yang-tln, welches das heutigd Yü-lscheu, Kreis Khai-fung
in Iio-nan, befindet sich die Erdtreppe von
3 ) n||r King-pö entspricht dem einfachen ^l^_>
£1 Kiün-tai.
Pö, der Hauptstadt der Kö
nige des Hauses Schang.
M.
King ist der Name des Berges, an welchem diese
Hauptstadt gelegen war.
4 ) Dieses Übereinkommen wird in der „Geschichte des Hauses Thai-kung" erwähnt.
•> 1n «■ Khi-yang, wörtlich „der Norden des Berges Khi", ist das heutige
Fu-fung, Kreis Fung-thsiang in Schen-si.
Sa
J5L
Fung ist die ursprüngliche Hauptstadt von Tscheu. König Khang versam
melte die Lehensfürsten an dem Hofe, den er in dem genannten Gebäude hielt.
7 ) Der Berg Thu liegt in der Gegend des heutigen Fung-yang in Kiang-nan.
8 ) Hoan, Fürst von Tsi, hatte (Göß vor uns. Zeitr ) mit Khie-hoan, Heerführer
von Tsu und Bevollmächtigten des Königs Selling, eine Zusammenkunft in Schao-
ling, dem Gebiete, bis zu welchem das Heer von Tsi vorgedrungen.
9 ) Nach den Gebräuchen, welche bei der Zusammenkunft von Schao-ling beobachtet
wurden.
10 ) Wie der „Frühling und Herbst" berichtet, schickte Sung den zur Nachfolge
bestimmten Fürstensohn
fix Tso -
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
91
ausgeschlossen, wobei die Fürsten von Lu und Wei sich krank
melden Hessen*).
Nachdem der Vertrag beschworen worden, zeigte sich König
Ling hochmüthig. U-khiü ermahnte ihn mit den Worten: Khie hielt
die Versammlung von Yeu-jing 2 ): Yeu-min=) fiel von ihm ab
Tsch’heu hielt die Versammlung der Berge von Li 4 ): die Fremd
länder des Ostens fielen von ihm ab. König Yeu bewerkstelligte den
Vertrag des Thai-schi 5 ): die westlichen und die nördlichen Fremd
länder fielen von ihm ab. Mögest du, o Gebieter, wachen über dein
Ende.
Im siebenten Monate des Jahres richtete Tsu mit der Kriegs
macht der versammelten Lehensfürsten einen Angriff gegen U und
belagerte Tschü-fang, die Hauptstadt des Gebietes, auf
welchem Khing-fung, der Mitschuldige an der Tödtung des Fürsten
Tschuang von Tsi, sich aufhielt. Im achten Monate des Jahres batte
der König von Tsu die Stadt überwunden. Er machte Khing-fung zum
Gefangenen und vertilgte dessen Seitengeschlecht, während er ihn
selbst in den Reihen des Heeres umherführen und die Ausrufer die
Worte verkünden Hess: Möge Niemand nachahmen Khing-fung von
Tsi. Er tödtete seinen Gebieter und schwächte dessen Waise, indess
er einen Vertrag beschwor mit sämmtlichen Grossen. — Khing-fung
entgegnete: Keiner ist gleich Wei, dem unechten Sohne des Königs
Kung von Tsu. Er tödtete seinen Gebieter Yün, den Sohn seines
älteren Bruders, und setzte sich an dessen Stelle. — König Ling
gab hierauf seinem jüngsten Bruder Khi-tsi den Befehl, Khing-fung
zu tödten.
*) In dem „Frühling- und Herbst“ erscheint auch Tsi nicht unter den Betheiligten.
Yeu-jing, ein Fürstenland zu den Zeiten der Hin.
3 ) Yeu-min, ebenfalls ein Fürstenland zu den Zeiten der Hia. In dieser
und der vorhergehenden Verbindung ist das Wort bei dem Namen unwesent
lich. Dasselbe bedeutet „das Vorhandene“, ähnlich wie die neun Landstriche auch
„die neun Vorhandenen“ genannt werden.
Li war ein Fürstenland der östlichen Fremdländer.
Thai-schi, wörtlich: das grosse innere Ilaus, führt
92
Dr. P f i z ra a i e r
Im siebenten Jahre seiner Lenkung (534 vor uns. Zeitr.) bezog
König Ling die von ihm erbaute Erdstufe 3pE Tschang-hoa i).
Er erliess einen Befehl, dass man alle Menschen, welche aus irgend
einem Grunde ihren Gebietern oder Vorgesetzten entflohen, in dieses
Gebäude aufnehme und daselbst als Gäste behandle.
Im achten Jahre des Königs Ling (533 vor uns. Zeitr.) stellte
sich der Fürstensohn Khi-tsi im Aufträge des Königs an die Spitze
einer Kriegsmacht und vernichtete das Fürstenland Tschin.
Im zehnten Jahre seiner Lenkung (531 vor uns. Zeitr.) beschied
König Ling den Fürsten von Tsai zu sich, betäubte ihn durch Ge
tränk und tödtete ihn. Im Aufträge des Königs belagerte hierauf
Khi-tsi die Hauptstadt von Tsai und vernichtete nach einiger
Zeit auch dieses Fürstenland. Khi-tsi, dem das eroberte Tsai zum
Wohnsitz angewiesen wurde, erhielt die Benennung eines Fürsten
von Tschin und Tsai.
Im eilften Jahre des Königs Ling (530 vor uns. Zeitr.)
bekriegte Tsu das fremdländische Fürstenland Siü, wodurch
man U Furcht einzuflössen gedachte. Während das Heer die Haupt
stadt von Siü belagerte, bezog König Ling in Kien-khi,
einem Gebiete an den östlichen Marken von Tsu, ein Standlager
und wartete auf den Ausgang des Unternehmens.
Durch seine Erfolge zu dem Glauben verleitet, dass künftig
nichts für ihn unerreichbar sein werde, sagte der König zu seinen
in Kien-khi versammelten Grossen: Tsi, Tsin, Lu und Wei.erhielten,
als sie belehnt wurden,kostbare Geräthe, wir allein erhielten nichts.
Wenn ich jetzt einen Gesandten schicke nach Tscheu und begehre
die neun Dreifüsse als meinen Antheil, wird man mir sie geben?
Si-fu, ein grosser von Tsu, antwortete: Man wird sie
geben dir, o Gebieter und König. Einst hatte sich unser früherer
König Hiung-yi zurückgezogen und lebte in den Gebirgen von King.
Auf einem Wagen von Baumäslen, in zerrissenen Kleidern weilte er
zwischen Gräsern und Gestrüppe. Er wandelte über Gräser, setzte
über Gewässer auf den Bergen und in Wäldern, indess er tliätig
war in dem Dienste des Himmelssohnes. Nur die Bogen von Pfirsich
holz und die Pfeile von Hagedorn liess er sich angelegen sein zu
i) Diese Erdstufe soll sich innerhalb der Mauern des heutigen Moa-yung, Kreis
Yo-tschcu in Hu-kuang, befunden haben.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
93
reichen für die Sache des Königs*). Tsi war der Mutterbruder des
Königs 3 ). Tsin sammt Lu und Wei waren die jüngeren Mutterbrüder
von Königen 3 ). Tsu blieb aus diesem Grunde ohne Betheilung, aber
jenen kam sie zu Gute. Jetzt hat Tscheu mit den Fürstenländern der
vier Gegenden sich unterworfen und dient dir, o Gebieter und König,
es wird unbedingt nach dem Befehle sich richten. Wer könnte es
wagen, vorzuenthalten die Dreifüsse?
König Ling fuhr fort: Einst hatte mein erhabener Vorfahr, der
ältere Oheim Kuen-ngu, seinen Wohnsitz in dem alten Hiü 4 ). Jetzt
gelüstet es die Menschen von Tsching nach seinen Feldern, und sie
geben sie mir nicht heraus. Wenn ich sie jetzt begehren wollte,
würden sie mir sie herausgeben? — Si-fu antwortete: Tscheu ent
hält nicht vor die Dreifüsse: wie sollte es Tsching wagen, vorzuent
halten die Felder?
König Ling fragte noch Folgendes: Einst hielten sich die
Lehensfürsten von uns fern und fürchteten Tsin. Jetzt habe ich stark
befestigen lassen Tschin, Tsai und Pü-keng 5 ). Als Zoll bringen sie
*) Die beiden hier genannten Gegenstände schützen von unglücklichen Zufällen.
2 ) Liü-khi, der zweite Landesfürst von Tsi, war der Mutterbruder des Königs Sching
von Tscheu.
s ) Thang-scho, der Stammvater der Fürsten von Tsin, war der jüngere Mutterbruder
des Königs Sching. Tcbeu-kung, der Stammvater der Fürsten von Lu, und Khang-
schö, der Stammvater der Fürsten von Wei, waren die jüngeren Mutterbrüder des
Königs Wu.
4 ) Lö-tschung batte sechs Söhne, unter welchen Kuen-ngu der älteste, Ki-Iien der
jüngste. Der letztere war der nächste Stammvater der Fürsten von Tsu, wess-
halb Kuen-ngu der ältere Oheim genannt wird, was er jedoch nur zu dem Sohne
Ki-lien’s gewesen. Kuen-ngu, dessen Lehensfürstenthum übrigens schon in den
letzten Zeiten der Hia vernichtet wurde , hatte seinen Wohnsitz auf dem alten
' Gebiete des Fürstenlandes IJiii. Das Volk von Hiü war seitdem weiter nach
Süden versetzt worden, und das alte Gebiet dieses Fürstenlandes befand sich
jetzt im Besitze von Tsching.
5 ) Die Hauptstädte von Tschin und Tsai wurden zu dem Hange von besonderen
Hauptstädten des Landes Tsu erhoben. Ausserdem wurden auf dem Gebiete der
genannten Fürstenländer zwei Festen erbaut, deren jede den Namen
Zt~ *=±n
*
Pü-keng erhielt. Das östliche Pü-keng befand sich in /p Ting-Iing,
einem früheren Unterkreise von Ying-tschuen. Das westliche Pü-keng befand sich
in dem heutigen Siang-tsching, Kreis Hiii-tscheu in Hoa-nan. Tschin, Tsai und
die beiden Pü-keng wurden als vier in Tsu einverleibte Fürstenländer betrachtet.
Khang-hi gibt der Verbindung Pü-keng die Aussprache Pfi-Iang und sagt,
dass
Keng iir den alten Zeiten mit
HK
Lang verwechselt worden wäre,
94
Dr. P f i z m a i e r
sämmtlich tausend Gespanne. Werden die Lehensfürsten mich fürch
ten? ■— Si-fu antwortete: Sie fürchten dich allerdings. — König
Ling freute sich hierüber und sagte: Si-fu spricht vortrefflich von
den'-Saclien des Alterthums •)■
Ling, König von Tsu, hatte Freude an dem Gebiete Khien-khi
und war nicht fällig, dasselbe zu verlassen. Die Bewohner des ge-
sammten Landes Tsu wurden durch die Dienste, welche sie auf
diesem Gebiete verrichten mussten, gequält.
Zur Zeit als König Ling mit seiner Kriegsmacht sich zu
» j—] -4- j\I ' h
der Versammlung von Schin begab, beschimpfteer $1' W rfi
Tschang-scheu-kuo, einen Grossen von Yue, und tödtete
Khuan-khi, einen Grossen von Tsai. |||jl Kuau-tsung, der
Sohn Kuan-khi’s, verliess das Land und lebte in U. Daselbst ermun
terte er den König von U zu einem Angriffe auf Tsu, wobei Tschang-
scheu-kuo, der Grosse von Yue, den Zwischenträger machen und
einen Aufruhr in Tsu erregen sollte. Dieser Zwischenträger von U
liess im Namen des Fürstensohnes Khi-tsi einen erdichteten Befehl
ergehen, demgemäss der Fürstensohn Tse-pi, der sich in Tsin be
fand, nach Tsai beschieden wurde. Kuan-tsung, der mit Hilfe einer
Kriegsmacht von U und Yue in Tsai einzufallen gedachte, bewog
den Fürstensohn Tse-pi, sich Khi-tsi vorzustellen und mit diesem
auf dem Gebiete Teng einen Vertrag zu beschwören.
Im Frühlinge des zwölften Jahres des Königs Ling (S29 vor
uns. Zeitr.) drangen die Verbündeten sofort in Tsu, tödteten
Lö, den zur Nachfolge bestimmten Sohn des Königs Ling, und er
hoben Tse-pi zum Könige. Der Fürstensohn Tse-si wurde der Ling-
yün, der Fürstensohn Khi-tsi wurde der Vorsteher der Pferde.
Nachdem man vorerst das königliche Gebäude beseitigt, folgte
Kuan-tsung dem gegen Kien-khi ziehenden Heere und erliess an
die Bevölkerung von Tsu einen Befehl, der lautete: Das Land hat
gibt jedoch über die Bedeutung des letzteren in dieser Verbindung keinen
Aufschluss.
i) Nach der Geschichte Tso-khieu-ming’s hatte der später vorkommende Tse-IT
diese Unterredung mit dem Könige und ward desswegen von Si-fu zur Rede
gestellt. Als hierauf der König wieder in der Versammlung erschien, fand Tse-IT
Gelegenheit, ein Gedicht anzufiihren, welches den König in die grösste Bestür
zung versetzte.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
95
bereits einen König. Die sich ihm früher zuwenden, gelangen
wieder in den Besitz ihrer Würden, Städte, Felder und Häuser. Die
es später thun, werden versetzt. — Die gesarnmte Bevölkerung von
Tsu fiel jetzt von dem Könige Ling ab und wandte sieb dem neuen
Könige zu.
Als König Ling den Tod seines zur Nachfolge bestimmten
Sohnes Lo erfuhr, warf er sich von dem Wagen herab und rief:
Lieben die Menschen ebenfalls ihre Söhne dermassen? — Ein
Diener antwortete: Sehr dermassen. — Der König sprach: Ich habe
getödtet Söhne der Menschen schon viele. Konnte ich anders, als es
so weit bringen?
Tsching-tan, der auch unter dem Namen
Tse-ke bekannte Landesgehilfe der Rechten, glaubte, sich erst
überzeugen zu müssen, wen das Volk zum Könige wolle, und er
sagte in diesem Sinne zu seinem Gebieter: Ich bitte, zu warten in
den fernen Umgebungen, damit wir hören die Menschen des Lan
des. — Der König erwiederte: Die Menge ist entrüstet, wir können
uns nicht entgegenstellen. — Tsching-tan sagte wieder: Lasst uns
vorläufig treten in einen grossen Landkreis und bitten um ein
Kriegsheer bei den Fürsten der Lehen. — Der König erwiederte:
Alle sind bereits abgefallen. — Tsching-tan sagte noch: Lasst uns
vorläufig fliehen zu den Fürsten der Lehen, damit wir hören die
Meinung der grossen Fürstenländer. — Der König erwiederte: Das
grosse Glück kommt nicht zweimal, ich würde nur Schande da
von tragen.
Der König bestieg hierauf ein Schiff und war Willens, sich nach
■^P Yen *), einer andern Hauptstadt von Tsu, zu begeben. Der
Landesgehilfe der Rechten erkannte, dass der König seinen Rath
nicht befolgen werde, und er besorgte, mit seinem Gebieter zugleich
sterben zu müssen. Er verliess daher ebenfalls den König und begab
sich auf die Flucht.
König Ling irrte jetzt einsam in den Gebirgen umher, und
keiner der Landleute getraute sich, ihn aufzunehmen. Auf seiner
Wanderung begegnete der König endlich seinem ehemaligen „lau-
4 ) Das hier gemeinte Yen ist das heutige I-tsching, Kreis Siang-yang in Hu-knang.
Dasselbe liegt an dem Flusse Han.
96
Dr. P f i z m a i e r
teren Menschen“ J ) Er sagte zu diesem: Suche für mich Speise.
Ich habe bereits drei Tage keine Nahrung zu mir genommen. —
Der „lautere Mensch“ erwiederte: Der neue König hat ein Gesetz
erlassen, dass derjenige, der es wagen sollte, dem Könige Nahrung
zu reichen oder ihn zu begleiten, ein Verbrechen begeht, das
bestraft wird durch die Ausrottung der drei Verwandtschaften.
Ausserdem wäre auch nirgends Speise zu bekommen. — Der König
legte hierauf sein Haupt auf den Schenkel des „lauteren Menschen“
und schlief ein. Der „lautere Mensch“ Hess indessen das Haupt des
Königs vorsichtig auf den Erdboden gleiten und entfloh. Als der
König erwachte und seinen Begleiter nicht mehr sah, empfand er
wieder Hunger, war aber nicht im Stande, sich zu erheben.
Der dit Stelle eines Mi-yün (Zurechtstellers des Ge
schlechtes Mi) bekleidende ^ Ä fjjj Schin-wu-yühatte einst die
königliche Fahne, deren sich König Ling noch als Fürstensohn und
zu Lebzeiten des Königs Kiä-ngao unbefugter Weise bediente, zer
schnitten und einen seiner Leute in dem königlichen Gebäude
Tschang-hoa, wo allen Flüchtlingen eine Zufluchtsstätte gewährt
wurde, festgenommen, ohne dass der König, der diese Handlungen
erfuhr, ihn jemals zur Strafe gezogen hätte. 3^ Schin-kiai,
der Sohn Schin-wu-yü’s, sagte jetztj: Mein Vater hat zweimal zu
widergehandelt dem Befehle des Königs, aber der König liess ihn
nicht hinrichten. Welche Gnade ist wohl grösser? — Er suchte
sofort den König auf und fand ihn in den Umgebungen des Sumpfes
Li. Der König war von Hunger erschöpft, und Schin-kiai erbot
sich, ihm die Rückkehr zu ermöglichen.
Im fünften Monate des Jahres, zur Zeit des Sommers und an
dem fünfzigsten Tage des sechzigtheiligen Kreises erhängte sich
König Ling in dem Hause Schin-kiai’s. Schin-kiai ehrte den König,
indem er ihm zwei Töchter zu Genossinnen in dem Tode gab und sie
zugleich mit ihm begraben liess.
Kiueu-jin „der lautere Mensch“ ist dasselbe, was in späteren Zeiten
Tschung-kiuen „der Lautere des Inneren“ genannt wurde. Über dieses
Amt wurde keine andere Aufhellung gefunden, als die schon aus dem Wortlaute
hervorgehende, nämlich, dass der „Lautere des Inneren“ in dem Inneren wohnt
und ein Mensch der Lauterkeit und des Heiles ist.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
97
Um diese Zeit hatte man in dem Lande Tsu, obgleich Tse-pi
zum Könige eingesetzt worden, grosse Furcht, dass König Ling
zurückkehren könne. Auch von dem Tode dieses Königs hatte man
keine Nachricht erhalten, und Kuan-tsung sagte daher zu dem neuen
Könige Pi: Wenn du Khi-tsi nicht tödtest, wird dir, obgleich du
das Land gewonnen hast, Unglück zu Theil werden. — Der König
erwiederte: Ich bringe dies nicht über mich. — Kuan-tsung sprach:
Die Menschen werden es über sich bringen gegenüber dir, o König.
— Der König gab indessen kein Gehör, und Kuan-tsung entfernte
sich von ihm.
Nach der Rückkehr Khi-tsfs wurden die Bewohner der Haupt
stadt allnächtlich aufgeschreckt und riefen: König Ling ist einge-^
treten! — In der Nacht des zweiundfünfzigsten Tages des sechzig-
theilige® Kreises entsandte Khi-tsi eine Anzahl Bootsleute, welche
Yon den Ufern des Stromes daher liefen und den Ruf erhoben: König
Ling ist angekommen! — In Folge dieses Rufes bemächtigte sich
der Bewohner noch grösserer Schrecken. Ausserdem liess Khi-tsi
dem neuen Könige Pi und dessen Landesgehilfen Tse-si durch
Man-sching-jen melden: Der König ist angekommen.
/ID Z/A -X.
Die Menschen des Landes werden euch, o Gebieter, tödten, der Vor-
steher der Pferde *) wir sofort ankommen. Möget ihr, o Gebieter,
bei Zeiten Rath schaffen und keine Schande davontragen. Die Menge
ist erzürnt gleich Wasser und Feuer, es ist nicht möglich, Hilfe zu
bringen. — Der neue König und Tse-si tödteten auf diese Nachricht
sich selbst.
An dem dreiundfünfzigsten Tage des sechzigtheiligen Kreises
wurde Khi-tsi zum Könige eingesetzt. Derselbe veränderte seinen
Namen und nannte sich Jg ft& Hiung-khiü. Der Name, den er
in der Geschichte führt, ist König 5p Ping.
König Ping, der durch Hinterlist zwei Könige getödtet und
seine eigene Einsetzung bewerkstelligt hatte, fürchtete, dass die
Bewohner des Landes und die Lehensfürsten von ihm abfallen
könnten. Er erwies daher dem Volke Wohlthaten, stellte die Fürsten-
länder Tschin und Tsai wieder her und bewirkte die Einsetzung
ihrer alten Gebieter. Zugleich gab er an Tsching das früher eroberte
1) D. i. Khi-tsi.
SiUb. d. phil.-hist. CI. XL1V. Bd. I. Hft.
7
98
Dr. Pfizmaier
Land zurück, während er in dem eigenen Lande erhaltend und
schonend vorging und die Lenkung einrichtete. U wurde von ihm
angewiesen, aus Anlass der Wirren in Tsu fünf Anführer gefangen zu
nehmen und mit ihnen abzuziehen. Zu Kuan-tsung sagte König Ping,
er werde ihm bewilligen, was er wünsche. Kuan-tsung äusserte der
Wunsch, f» h Po-yün (Leiter des Brennens der Schildkröten
schale) zu werden, worauf ihm der König dieses Amt, mit welchem
der Rang eines Grossen des Landes verbunden, übertrug.
Der frühere König Khang hatte fünf Söhne von Nebengemah
linnen und wusste nicht, welchen dieser Söhne er zum Nachfolger
einsetzen solle. Er veranstaltete daher eine Darbringung für die
Götter des Gesichtskreises von Tsu und bat die Götter, eine Ent
scheidung zu treffen. Er hiess sie den Göttern des Landes vorstehen
und vergrub mit seiner Nebengemahlinn ÄfS G Pa -‘ heimlich
eine Rundscheibe in dem Inneren des Hauses. Hierauf beschied er
die fünf Söhne zu sich, damit sie in das Innere eintreten und heten.
Der Sohn Tscliao, der spätere König Khang, hatte die Rund
scheibe mit einem Fusse Überschriften. Der Sohn Wei, der spätere
König Ling, kam ihr, als er betend zu Boden sank, mit dem Ell
bogen nahe. Die Söhne Tse-pi und Tse-si blieben von ihr entfernt.
Der Sohn Khi-tsi, der spätere König Ping, damals noch ein Kind,
ward auf dem Arme hereingetragen und drückte, als er sich zu
Boden neigte, das ein wenig herausragende Band der Rundscheibe.
Demgemäss ward König Khang als der Älteste zum Nachfolger
eingesetzt. Dessen Sohn ward jedoch seiner Würde verlustig. Der
Sohn Wei folgte als König Ling und wurde zuletzt gezwungen, sich
das Leben zu nehmen. Tse-pi war König durch zehn Tage, während
Tse-si niemals zum Könige eingesetzt wurde und mit Tse-pi zu
gleich den Tod fand. Die vier älteren Söhne waren sämmtlich ohne
Nachkommen gestorben. Bios Khi-tsi, der allein noch übrig geblieben,
gelangte als König Ping zur höchsten Würde und setzte die Dar
bringung für die Götter des Landes Tsu fort, was als überein
stimmend mit der durch die erwähnte Rundscheibe Yorgestellten
göttlichen Beglaubigungsmarke betrachtet ward.
Als Tse-pi sich von Tsin nach seiner Heimath wandte, richtete
Han-siuen-tse von Tsin an Scho-hiang die Frage: Wird Tse-pi
etwas ausrichten? — Scho-hiang antwortete: Er wird es nicht zu
Stande bringen. — Han-siuen-tse entgegnete: Die gemeinschaftlich
Die Geschichte des Königslandes Tsu. 99
hassen, suchen einander gleichwie die Kaufleute des Verkaufs
raumes. Warum sollte er es nicht zu Stande bringen?
Scho-hiang gab die folgende Antwort: Wo Niemand ist, mit
dem man gemeinschaftlich lieht, mit wem sollte man gemeinschaftlich
hassen? Bei der Besitznahme des Landes gibt es fünf Schwierig
keiten. Der Gunst theilhaftig werden, aber keine Menschen besitzen,
ist das Eine. Die Menschen besitzen, aber keine Leiter des Unter
nehmens, ist das zweite. Leiter des Unternehmens besitzen , aber
nicht berathen sein, ist das dritte. Berathen sein, aber kein Volk
besitzen, ist das vierte. Das Volk besitzen, aber keine Tugend, ist
das fünfte.
Tse-pi befand sich in Tsin dreizehn Jahre. Seine Begleiter aus
Tsin und Tsu, man hörte nicht, dass es unter ihnen einen von durch
dringendem Verstände gegeben hätte. Dies lässt sich nennen: keine
Menschen besitzen. Sein Seitengeschlecht ist erloschen, seine nahen
Verwandten sind abgefallen. Dies lässt sich nennen: keine Leiter
des Unternehmens besitzen. Der Gegner hat keine Blösse gegeben
und er setzt sich in Bewegung. Dies lässt sich nennen: nicht berathen
sein. Er wurde an der Halfter gezogen sein ganzes Leben 2). Dies
lässt sich nennen: kein Volk besitzen. Als er in der Fremde lebte,
bekundete man für ihn keine Liebe. Dies lässt sich nennen: keine
Tugend besitzen.
Der König war grausam und hatte keine Scheu. Tse-pi watete
durch die fünf Schwierigkeiten und tödtete seinen Gebieter: wer
könnte auf diese Weise etwas ausrichten? Derjenige, der das Land
von Tsu besitzt, ist Khi-tsi! Er ist Landesfürst in Tschin und Tsai.
Was jenseits des Fang-tsching 3 ), ist ihm zugetheilt. Härte und
Bosheit kommen nicht zum Vorschein. Raub und Mord bergen sich
in Dunkelheit. Besondere Wünsche treten nicht in den Weg. Das
Volk hat keine Gedanken des Hasses. Die vorangegangenen Geister
haben ihn ernannt. Das Volk des Landes vertraut ihm. Wenn über
das Geschlecht Mi Zerrüttung kam, musste der Jüngste wirklich
eingesetzt werden. So ist es Gewohnheit in Tsu.
ij König - Ling war noch am Leben, und Tse-pi zog auf’s Gerathewohl aus, um von
dem Lande Besitz zu nehmen.
2 ) Tse-si war durch sein ganzes Leben ein Gast in Tsin.
Der Berg Fang-tsching bildete die Markscheide von Tsu im Norden und befand
sich nördlich von dem heutigen Yü-tscheu, Kreis Nan-yang in Ho-nan.
7*
100
Dr. P fi z m a i e r
Was das Amt Tse-pi’s betrifft, so ist er der Landesgehilfe der
Rechten. Trägt man Rechnung seinem vornehmen Stand und seiner
Begünstigung, so ist er der unechte Sohn. Was die Ernennung durch
die Götter betrifft, so ist er ebenfalls davon entfernt. Dem Volke ist
an ihm nichts gelegen: auf welche Weise sollte er eingesetzt
werden?
Han-siuen-tse bemerkte hierauf: War dies nicht auch der Fall
bei den Fürsten Hoan von Tsi und Wen von Tsin?
Scho-hiang erwiederte*. Hoan, Fürst von Tsi, war der Sohn der
Gemalilinn Wei-I. Er stand in der Gunst des Fürsten Hi. Er hatte
Pao-scho-ya t), Pin-siü-wu 2 ) und Si-peng zu seinen Stützen. Er hatte
die Länder Khiii und Wei zu Leitern des Unternehmens nach aus
sen. Er hatte die Geschlechter Kao und Kue zu Leitern des Unter
nehmens im Innern. Er folgte dem Guten wie ein Messendes Ge
wässer. Er spendete Gnade ohne zu ermüden. Wenn er das Land
besass, war dies nicht auch billig?
Unser ehemaliger Fürst Wen war der Sohn der Gemalilinn Hu-
ki»). Er stand in der Gunst des Fürsten Hien. Er liebte das Lernen
ohne zu ermüden. In einem Alter von siebenzehn Jahren besass er
fünf hervorragende Männer. Er hatte Tse-yü und Tse-fan, die frühe
ren Grossen des Landes, an der Stelle des Bauches und Herzens. Er
batte Wei-tsch’heu und Ku-tho zu Armen und Schenkeln. Er hatte
die Länder Tsi, Sung, Thsin und Tsu zu Leitern des Unternehmet»
nach aussen. Er hatte die Geschlechter Luan, Khie, Hu und Sien zu
Leitern des Unternehmens im Innern. Er befand sich in der Fremde
neunzehn Jahre, und er behar'rte bei seinem Vorhaben um so fester.
Die Fürsten Hoei und Hoai hatten zurückgesetzt ihr Volk, das Volk
folgte ihm und hielt zu ihm. Wenn daher Fürst Wen das Land be
sass, war dies nicht auch billig?
Tse-pi hat nichts gethanfür sein Volk, er hat auch keine Stütze
nach aussen. Er entfernte sich von Tsin, und Tsin gab ihm nicht
*) Pao-scho führte den Kindesnamen
Pin-siü-wu wird in der Geschichte des Hauses Thai-kung nicht
erwähnt.
Hu-ki, die Mutter Tschung-ni’s, war eine Tochter der nördlichen
Fremdländer.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
101
das Geleite. Er kehrte zurück nach Tsu, und Tsu zog ihm nicht ent
gegen. Wie könnte er wohl das Land besitzen? — Die obigen
Worte Scho-hiang’s gingen in Erfüllung, indem Tse-pi wirklich
kein gutes Ende nahm und Khi-tsi endlich zum Könige eingesetzt
ward.
Im zweiten Jahre seiner Lenkung (527 vor uns. Zeitr.) schickte
König Ping den grossen Würdenträger JE jt|> Fei-wu-ki
nach Thsin, damit derselbe die Vermählung des zur Nachfolge
bestimmten Sohnes Kien mit einer Tochter dieses Fürsten
hauses zu Stande bringe. Die für den Nachfolger von Tsu bestimmte
Gattinn, welche von ungewöhnlicher Schönheit war, befand sich auf
dem Wege und war noch nicht angekommen, als Fei-wu-ki früher
in Tsu eintraf und dem Könige Ping sagte: Die Tochter von Thsin
ist schön. Du kannst dich selbst mit ihr vermählen und für den Nach
folger eine andere Gattinn suchen. — Der König gab diesen Worten
Gehör. Er vermählte sich selbst mit der Tochter von Thsin und er
hielt von ihr einen Sohn, Namens Hiung-tschin. Für den
Nachfolger Kien wurde eine andere Gemahlinn bestimmt.
Um diese Zeit war U-sclie, ein Sohn U-khiü’s,
der grosse Zugesellte des Nachfolgers. Fei-wu-ki war der kleine
Zugesellte, stand aber nicht in der Gunst des Nachfolgers, den er
beständig verleumdete und bei dem Könige zu verdächtigen suchte.
Der Nachfolger Kien war damals fünfzehn Jahre alt. Seine Mutter,
eine Tochter von Tsai, stand bei dem Könige nicht in Gunst, und
der König ward seinem Sohne, den er von sich ferne hielt, immer
mehr entfremdet.
Im sechsten Jahre seiner Lenkung (523 vor uns. Zeitr.) wies
König Ping seinem zur Nachfolge bestimmten Sohne Kien die an
den nördlichen Marken von Tsu gelegenen Stadt Tsching-
fui) zum Wohnsitze an, indem er ihm zugleich den Auftrag gab,
die Markungen des Landes zu bewachen. Fei-wu-ki verleumdete
überdies bei Tag und bei Nacht den Nachfolger bei dem Könige,
indem er sprach: Seit ich die Tochter von Thsin eingeführt, ist der
Nachfolger von Hass erfüllt. Ist er auch fähig, es nicht auf den
König abzusehen? Der König ist für sich selbst wenig auf der Hut.
*) Das heutige Siang-tsching, südlich von Iliii-tscheu in Ho-nan.
102
Dr. Pfizma ier
Zudem hat der Nachfolger seinen Wohnsitz in Tsching-fu, er hat
ausschliesslich im Besitz die Kriegsmacht und unterhält nach aussen
Verbindungen mit den Fürsten der Lehen. Es ist vor Allem sein
Wunsch, in das Land zu dringen.
König Ping beschied U-sehe, den Zugesellten des Nachfolgers,
zu sich und stellte ihn zur Rede. U-sche sagte zu dem Könige: Wie
kannst du, o König, dir helfen? Durch einen kleinen Diener entfernst
du von dir deine Knochen und dein Fleisch. — Fei-wu-ki hingegen
sagte zu dem Könige: Wenn man jetzt keine Verfügung trifft, wird
man es später bereuen. — Der König Iiess hierauf U-sche in ein Gc-
fängniss setzen und beschied dessen zwei Söhne zu sich, indem er
ihnen sagen liess, dass sie durch ihr Erscheinen ihren Vater von dem
Tode retten könnten. Zugleich befahl er dem Vorsteher der Pferde
Fen-yang, den Nachfolger Kien vorzuladen, wobei der
König die Absicht hatte, diesen seinen Sohn hinrichten zu lassen.
Als der Nachfolger dies erfuhr, verliess er das Land und floh nach
Sung.
Fei-wu-ki sagte ferner zu dem Könige : U-sche hat zwei Söhne.
Wenn man sie nicht tödtet, werden sie ein Gegenstand der Sorge
für das Land von Tsu. Warum bescheidef man sie unter dem Vor
wände, dass sie ihren Vater retten sollen, nicht hierher? Sie werden
gewiss kommen. — Der König liess hierauf U-sche durch einen Ab
gesandten sagen: Wenn du deine zwei Söhne stellst, so wirst du
leben. Bist du dies nicht im Stande, so wirst du sterben. — U-sche
enviederte: Schang wird kommen, Siti *) wird nicht kommen. —
Als der König um die Ursache dieses Ausspruches fragen liess, ant
wortete U-sche: Schang ist ein Mensch, der uneigennützig, ent
schlossen bis zum Tode, wohlwollend, älternliebend und menschlich,
Sobald er hört, dass man ihn vorladet und freilassen will seinen
Vater, wird er gewiss kommen und nicht Rücksicht nehmen auf den
Tod. Siü ist ein Mensch, der verständig ist und lieht die Entwürfe.
Er ist muthig und strebt nach Verdiensten. Wenn er weiss, dass er
nach seiner Ankunft sterben muss, wird er gewiss nicht kommen.
Somit ist derjenige, der ein Gegenstand des Kummers für das Land
von Tsu, gewiss dieser Sohn.
1 ) U-schang" und IJ-siii, die beiden Söhne U-sehe’s.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
103
&
U-schang und 'W & U-siü 1 ), die beiden Söhne U-sche’s. Der
selbe forderte sie auf, sich in Tsu zu stellen, und wiederholte ihnen
des Königs eigene Worte: Wenn ihr kommt, lasse ich euren Vater
frei. —U-schang sagte hierauf zu seinem Bruder U-siü: Hören, dass
der Vater freigelassen wird und nicht hinzueilen, ist keine Ältern-
liebe. Wenn der Vater gemordet wird, ihn nicht rächen, ist keine
Berathung. Ermessen die Fähigkeiten und sich der Sache unter
ziehen, ist Verstand. Mögest du dich auf den Weg begeben, ich
kehre heim, um zu sterben. — Sofort kehrte U-schang' nach Tsu
zurück.
U-siü hingegen spannte seinen Bogen, legte den Pfeil auf die
Senne und ging zu dem Abgesandten hinaus, zu dem er sagte: Wenn
der Vater sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat, wozu be
ruft man seine Söhne? — Als er sich ansehickte, den Pfeil abzu-
schiessen, lief der Abgesandte nach seiner Behausung zurück, U-siü
jedoch verliess das Land und floh nach U. Auf die Kunde von diesen
Vorfällen rief U-sehe: Siü ist in die Fremde gegangen, das Land
Tsu ist in Gefahr! — Die Machthaber von Tsu tödteten hierauf U-
sche sammt U-schang.
Im zehnten Jahre des Königs Ping (bl9 vor uns. Zeitr.) hatte
die Mutter des Nachfolgers Kien von Tsu ihren Aufenthalt in
Ejl jtjj! Khiü-thsao 2 ) genommen, und eröffnete der Macht von U
die Wege. U entsandte den Fürstensohn Kuang zum Angriffe auf
Tsu. Dieser Heerführer schlug die Streitkräfte von Tsu in Tschin
und Tsai, nahm die Mutter des Nachfolgers Kien mit sich und trat
den Rückzug an. Tsu wurde durch diesen Handstreich in Furcht
versetzt und befestigte seine Hauptstadt Ying.
Jpi Pi-liang, eine Stadt an den Marken von U, hatte mit den
jungen Leuten von ^pj§ Tschung-li, einer Stadt an den Marken
von Tsu, einen Streit um die Maulbeerbäume der Gegend. Die bethei
ligten Häuser auf beiden Seiten waren erbittert und griffen sich
gegenseitig an, wobei die in den Streit verwickelten Bewohner von
Der König schickte jetzt einen Abgesandten an Ipl
*) Derselbe wird sonst auch unter dem Namen
führt.
f f f£
U- tse-siü ange-*
2 ) Das heutige Thsao, Kreis Siü-tseheu in Kiang-nan .
104
Dr. Pfizmaier
Pi-liang vertilgt wurden. Die Grossen von Pi-Iiang entsandten in
ihrem Unwillen die bewaffnete Macht der Stadt und überfielen
die Stadt Tschung-li. Als dies der König von Tsu erfuhr, ge-
rieth er in Zorn und liess Streitkräfte seines Landes ausrücken,
welche die Stadt Pi-liang vernichteten. Auf die Kunde dieses Ereig
nisses gerieth der König von U seinerseits in den heftigsten Zorn.
Er entsandte eine Kriegsmacht und befahl dem Fürstensohne Kuang,
mit Hilfe des Hauses der Mutter des Nachfolgers Kien einen Angriff
gegen Tsu auszuführen. In diesem Feldzuge vernichtete U die
Städte Tschung-li und Khiü-thsao, das Land Tsu hingegen äng
stigte sich und fuhr in der Befestigung seiner Hauptstadt Ying fort.
König Ping starb im dreizehnten Jahre seiner Lenkung (516
vor uns. Zeitr.) Der Heerführer ^ Tse - tschang gab seine
Meinung mit den Worten kund: Der zur Nachfolge bestimmte Sohn
Tschin ist unmündig. Überdies hätte seine Mutter früher an den
zur Nachfolge bestimmten Solm Kien vermählt werden sollen. —
Er wollte somit den Landesgehilfen jJEj ^ Tse-si, einen un
echten jüngeren Bruder des Königs Ping, zum Könige einsetzen.
Tse-si hatte jedoch einen gerechten Sinn und sagte: Das Land hat
beständige Vorbilder. Wenn eine andere Einsetzung stattfindet, so
entsteht Empörung. Spricht man nur davon, so erfolgt die Hinrich
tung. — Tse-tschang wurde auf diese Weise selbst mit Strafe be
droht, und man bewirkte zuletzt die Einsetzung des Sohnes Tschin.
Derselbe heisst* in der Geschichte König J^7? Tschao.
Die Mehrzahl des Volkes von Tsu warFei-wu-lu abgeneigt. Der
selbe hatte durch seine Verleumdung den zur Nachfolge bestimmten
Sohne Kien in die Verbannung getrieben und U-sche, so wie dessen
Sohn U-schang zum Tode gebracht. Unter anderem war auch die
Hinrichtung ^ Khie-yuen’s, des Landesgehilfsn der Linken,
durch ihn bewirkt worden. Dem Stammhause Khie-yuen’s war der
Geschlechtsname /||fj Pe eigenthümlich, und von diesem führte
llÄ 'fÖ ^ e "P e ^’ der Sohn Khie-yuen’s, seinen Namen. Sowohl
der genannte Pe-pei als 1 ¥ Tse-siü >)> der Sohn U-sche’s,
waren nach U geflohen. Die Kriegsmacht von U war mehrmals in
*) Tse-siii, abgekürzt Siii, ist der Jünglingsname U-tse-siii’s, der oben U-siü genannt
wurde. Derselbe heisst sonst auch U-yün.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
105
Tsu eingefallen, Umstände, welche den Hass der Bewohner dieses
Landes gegen Fei-wu-ki auf das Höchste steigerten. Gleich im ersten
Jahre des Königs Tschao (SIS vor uns. Zeitr.) Hess daher Tse-
tschang, jetzt Landesgehilfe von Tsu, den Verleumder Fei-wu-ki
hinrichten , wodurch die Menge des Volkes zufrieden gestellt ward.
Im vierten Jahre des Königs Tschao (S12 vor uns. Zeitr.) er
schienen drei Fürstensöhne J ) von U als Flüchtlinge in Tsu. Der
König von Tsu belehnte sie mit Land, um dadurch eine Schutzwehr
gegen U zu gewinnen. Im fünften Jahre des Königs Tschao (Sil
vor uns. Zeitr.) unternahm U einen Kriegszug gegen Tsu und er
oberte die Städte Go und Tsien. Im siebenten Jahre des
Königs Tschao (S09 vor uns. Zeitr.) entsandte Tsu den Landes
gehilfen Tse-tschang zum Angriffe auf U. Die Kriegsmacht von Tsu
erlitt eine grosse Niederlage in Jpj Yü-tschang 2 ).
Im Winter des zehnten Jahres des Königs Tschao (S06 vor uns.
Zeitr.) richteten Kö-liü, König von U, U-tse-siü und Pe-pei, ver
bunden mit den Fürstenländern Thang und Tsai, einen Angriff gegen
Tsu, dessen Kriegsmacht eine grosse Niederlage erlitt. Das Heer von
U drang unaufgehalten in Ying, die Hauptstadt von Tsu, und schän
dete daselbst, durch U-tse-siü bewogen, das Grab des Königs Ping.
Beim Anzuge des Heeres von U hatte Tsu den Heerführer Tse-
tschang an der Spitze einer Kriegsmacht gegen den Feind ausge
schickt. Dieser Heerführer hatte zu beiden Ufern des Flusses Han
Stellung genommen, ward jedoch, als U zum Angriffe schritt, ge
schlagen. Tse-tschang verliess hierauf sein Heer und floh nach
Tsching, während auch das Heer von Tsu sich auf die Flucht begab.
U benützte seinen Sieg und verfolgte die Fliehenden. Nachdem noch
fünf Schlachten geschlagen worden, erreichte U endlich die Haupt
stadt Ying. Im eilften Monate des Jahres und an dem sechzehnten
Tage des sechzigtheiligen Kreises floh König Tschao aus seiner
Hauptstadt. An dem siebenzehnten Tage des sechzigtheiligen Kreises
hielt das Heer von U seinen Einzug in Ying.
H h- ___
König Tschao gelangte auf seiner Flucht nach tag
Yün-mungs). Daselbst wurde er von den Bewohnern, welche ihren
1 ) Nach der Geschichte von U waren es blos zwei Fürstensöhne.
z ) Das heutige Nan-tschang’ in Kiang'-si.
Die Gegend des heutigen gleichnamigen Yün-mung, Kreis Te-ngan in Hu-kuang.
106
Dr. P f i z m a i e r
König nicht kannten, durch einen Pfeilschuss verwundet und floh
nach J|JJ Yün. Hoai, der jüngere Bruder des Fürsten 1 )
von Yün, machte den Vorschlag, den König zu tödten, indem er
sprach: König Ping hat getödtet unseren Vater 2 ). Wenn wir jetzt
tödten dessen Sohn, sollte dies nicht aucli erlaubt sein? — Der
Fürst von Yün hielt seinen jüngeren Bruder von dem Vorhaben ab,
da er jedoch fürchtete, dass dieser dessen ungeachtet den König
Tschao tödten könne, verliess er mit dem Könige die Stadt und
floh nach Sui.
Als der König vonll erfuhr, wohin sich der König Tschao begeben
habe, rückte er sofort vorwärts, führte einen raschen Angriff gegen
Sui und Hess den Bewohnern sagen: Die Söhne und Enkel von Tscheu,
welche belehnt wurden zwischen dem Strome und dem Han, Tsu
hat sie sämmtlich vernichtet. Jetzt hat der Himmel zurechtgeführt
ihr Inneres und die Strafe verhängt über Tsu, doch ihr, o Gebieter,
haltet den König noch bei euch verborgen. Was hat das Haus von
Tscheu verschuldet ? — Hierbei verlangte der König von U, dass
die Bewohner von Sui den König Tschao festnehmen und ihn her
ausgeben, damit er ihn tödten könne.
Tse-khi, ein Würdenträger aus der Begleitung des
Königs, versteckte seinen Gebieter sorgfältig, gab sich hierauf
selbst für den König aus und sagte zu den Bewohner von Sui, dass
man ihn an U übergeben möge. Die Bewohner von Sui brannten die
Schildkrötenschale, um zu erfahren, ob man den König Tschao an
U herausgeben solle. Das Ergebniss war ungünstig. Sofort Hessen
sie sich bei dem Könige von U entschuldigen und ihm sagen: König
Tschao ist hinweggezogen und befindet sich nicht in Sui. — U
bat, dass man sein Heer einrücken lasse, damit es den König selbst
suchen könne. Sui ging auf diesen Vorschlag nicht ein, worauf das
Heer von U die Belagerung aufhob und von Sui abzog.
Als König Tschao sich aus Ying entfernte, hatte er
1? <¥ Schin-pao-siü als Gesandten nach Thsin mit dem
*) Der Fürst von Yün war eigentlich der Statthalter, der, wie dies in Tsu hei
den einverleibten Fürstenländern gewöhnlich, mit der Fürstenbenennung belegt
wurde.
2 ) Der Vater des Fürsten von Yün ist der im letzten Jahre des Königs Ling erwähnte
Man-sching-jen, den König Ping im zehnten Jahre seiner Lenkung (ü3l vor uns.
Zeitr.) tödten liess.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
107
Aufträge geschickt, dieses Land um Hilfe zu bitten. Thsin entsandte
ein Heer von fünfhundert Kriegswagen zur Rettung von Tsu. Auch
Tsu sammelte die Überbleibsel seiner zerstreuten Kriegsmacht und
unternahm in Gemeinschaft mit Thsin einen raschen Angriff auf U.
Im sechsten Monate des eilften Jahres des Königs Tschao (SOS vor
uns. Zeitr.) schlugen die Verbündeten die Macht von U auf dem
Gebiete Tsi in Tsu.
In U veränderte sich unterdessen die Lage. Als
Fu-kai, der jüngere Bruder des Königs von U, sah, dass die Kriegs
macht von U Einbussen und Niederlagen erlitt, verliess er das
Heer und kehrte nach U zurück, wo er sich zum Könige aufwarf.
Auf die Nachricht von diesem Ereignisse führte König Ko-liü sein
Heer aus Tsu zurück und griff Fu-kai ungesäumt an. Fu-kai wurde
geschlagen und floh nach Tsu, wo ihn König Tschao mit dem Gebiete
^ Thang-khi belehnte und ihm von diesem Gebiete den
Ehrennamen eines Grossen des Geschlechtes Thang-khi verlieh.
Um dieselbe Zeit vernichtete Tschao, König von Tsu, das
Fürstenland Thang *)• Im neunten Monate des oben ge
nannten Jahres hielt König Tschao wieder seinen Einzug in Ying.
Im zwölften Jahre des Königs Tschao (604 vor uns. Zeitr.)
unternahm U einen neuen Angriff auf Tsu und eroberte das an dem
östlichen Ufer des Sees Po-yang gelegene ^:Po 2 ). Tsu, nochmals
in Furcht versetzt, gab seine bisherige Hauptstadt Ying auf und er
wählte die sehr weit im Norden gelegene Stadt Jö s )> welche
früher der Sitz eines Fürstenthums, zu seiner Hauptstadt.
Im sechzehnten Jahre des Königs Tschao (S00 vor uns. Zeitr.)
wurde Khung-tse Landesgehilfe in Lu. Im zwanzigsten Jahre des
Königs Tschao (496 vor uns. Zeitr.) vernichtete Ts u das Fürsten
land Tün 4 ). In demselben Jahre unternahm Ko-liü, König von
*) Das hier gemeinte Thang- lag im Sudosten des heutigen Khio-san, Kreis Ju-ning
in Ilo-nan, in einer Gegend, wo sich das Dorf ± Schang - thang be
findet.
2 ) Das heutige Po-yang, welches in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt des heutigen
Kreises Jao-tscheu in Kiang-si.
3 ) Diese Stadt lag im Westen des heutigen I-tsching, Kreis Siang-yang in Ilu-kuang.
4 ) Dasselbe entsprach dem späteren Nan-tün, d. i. dem südlichen Tün, in Ju-nan,
einer Landschaft zu den Zeilen der Han.
108
Di*. Pfizmaier
U, einen Angriff gegen Yue. Keu-tsien, König von Yue, stellte sich
der Macht von U entgegen und schlug sie entscheidend auf dem
Gebiete Tsui-li. Kö-liü, König von U, ward verwundet und starb
auf dem Rückzuge. Seit dieser Zeit warf U seinen Hass auf das
Land Yue im Südosten und machte im Westen keine Angriffe mehr
auf Tsu. Im folgenden Jahre, dem einundzwanzigsten des Königs
Tschao (495 vor uns. Zeitr.), vernichtete Tsu das Fürstenland
Im Frühlinge des siebenundzwanzigsten Jahres des Königs
Tschao (489 vor uns. Zeitr.) unternahm U einen Angriff auf Tschin.
König Tschao kam diesem Fürstenlande zu Hilfe und lagerte in
Tsching-fu. Im zehnten Monate des Jahres erkrankte König Tschao
bei dem Heere. Um dieselbe Zeit erschienen in Tsu hellrothe
Wolken in der Gestalt von Vögeln, die, während sie flogen, von
beiden Seiten die Sonne einschlossen. König Tschao fragte den
grossen Vermerker von Tscheu um die Bedeutung dieser Wolken.
Der grosse Vermerker antwortete: Sie bringen Verderben dem
Könige von Tsu; aber man kann das Unglück übertragen auf die
Heerführer und die Landesgehilfen. — Als die Heerführer und
Landesgehilfen diesen Ausspruch hörten, baten sie um die Erlaub
nis, die Götter in diesem Sinne anflehen zu dürfen. König Tschao
entgegnete: Die Heerführer und Landesgehilfen sind meine Schenkel
und Arme. Wenn ich jetzt das Unglück auf sie übertrage, wird es
wohl jemals von meinem Leibe sich entfernen? — Somit gab er
den Worten des Vermerkers kein Gehör.
Ausserdem hatte der König wegen seiner Krankheit die Schild
krötenschale brennen lassen. Der grosse Vermerker erhielt das
Ergebniss: Der gelbe Fluss bewerkstelligt die Bezauberung. —
Die Grossen des Landes baten, um die Erlaubniss, den Gott des
gelben Flusses anflehen zu dürfen. König Tschao erwiederte: Seit
die mir vorhergegangenen Könige das Lehen empfingen, ging der
Gesichtskreis für die Darbringung nicht hinaus über den grossen
Strom und den Han. Gegen den gelben Fluss habe ich mich keines
Verbrechens schuldig gemacht. — Er erlaubte es nicht, dass man
dem gelben Flusse Gaben darbringe. Als Khung-tse, der sich damals
i) Hu lag im Nordwesten des späteren Kreises Ju-nan, an einer Stelle, wo sich
Hu-tscliing „die Feste von Hu“ befand.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
109
in Tschin befand, diese Äusserungen des Königs hörte, sagte er:
Tschao, König von Tsu, ist vollständig bewandert auf dem grossen
Wege! Dass er seines Landes nicht verlustig wurde, ist billig.
Als die Krankheit des Königs Tschao überhand nahm, berief
er sämmtliche Fürstensöhne und die Grossen des Landes zu sich
und sagte zu ihnen: Ich der Verwaiste bin ohne glänzende Gaben.
Ich habe zweimal Schande gebracht über das Kriegsheer des Landes
Tsu 1 ). Dass es mir jetzt gegönnt ward, zu beschliessen die Lebens
zeit des Himmels, dies ist für mich, den Verwaisten, ein Glück. —
Er verzichtete sodann auf die Königswürde zu Gunsten seines
jüngeren Bruders, des Fürstensohnes Schin =). Dieser Fürsten
sohn verweigerte die Annahme. Der König verzichtete hierauf zu
Gunsten seines zweiten jüngeren Bruders, des Fürstensohnes
Ke. Derselbe verweigerte ebenfalls die Annahme. Zuletzt verzich
tete der König noch zu Gunsten seines nächsten jüngeren Bruders,
des Fürstensohnes jg^j Liü. Derselbe weigerte sich fünfmal, bis er
endlich einwilligte, König zu werden.
Am siebenundzwanzigsten Tage des sechzigtheiligen Kreises,
als er eben den Kampf mit U aufzunehmen gedachte, starb König
Tschao hei seinem Heere. Tse-liü sagte jetzt: Der König war
schwer erkrankt, Er metzle zurück seinen Sohn und verzichtete zu
Gunsten sämmtlicher Diener. Dass ich es dem Könige zusagte, es
geschah, um Freiheit zu lassen dem Willen des Königs. Jetzt ist
der Gebieter und König gestorben: wie könnte ich es wagen, zu
vergessen auf den Willen des Gebieters und Königs? — Tse-liü
legte hierauf im Einverständnisse mit Tse-si und Tse-khi das Heer
in den Hinterhalt, sperrte den Weg ab, damit kein Bote von aussen
auf ihm verkehren könne, und zog dem Fürstensohne jpj Tschang,
dem Sohne des Königs Tschao und einer Tochter aus Yue, ent
gegen. Derselbe wurde sofort zum Könige erhoben und heisst in
der Geschichte König Hoei. Erst nach erfolgter Einsetzung
des neuen Königs kehrte man mit dem Kriegsheere zurück und
begrub den König Tschao.
A ) Das erste Mal in der Schlacht an den Ufern des Flusses Han , wo das Heer von
Tsu geschlagen wurde, das zweite Mal in dem gegenwärtigen Feldzuge, wo der
König den Kampf mit U nicht aufnahm.
*) Der Fii'rstensohn Schin ist der früher vorgekommene Tse-si.
lto
Dr. P f i l m a i o r
Im zweiten Jahre des Königs Iloei (487 vor uns. Zeitr.) berief
Tse-si den in U weilenden Sching, den Sohn Kien’s, des ehe
maligen zur Nachfolge bestimmten Sohnes des Königs Ping, nach
Tsu zurück, Svo er ihn zu einem Grossen von JjiL Thsao mit der
Ehrenbenennung eines Fürsten von |^| Pe erhob. Der Fürst von
Pe liebte die Waffen und zeigte sich gegen die Kriegsmänner unter
würfig , indem er sich mit deren Hilfe an seinen Feinden zu rächen
gedachte.
Im sechsten Jahre des Königs lloei (483 vor uns. Zeitr.) hat
der Fürst von Pe den Landesgehilfen Tse-si um eine Kriegsmacht,
mit der er das Fürstenland Tsching angreifen wollte. Kien, der Vater
des Fürsten von Pe, war nämlich zur Zeit als er sich als Flüchtling
in Tsching befand, von den Machthabern des Landes getödtet
worden, während der Fürst von Pe sich durch die Flucht nach U
rettete. Durch Tse-si aus U zurückberufen, war der Fürst von Pe
wegen dieses Ereignisses von Hass gegen Tsching erfüllt, und er
wollte es aus diesem Grunde angreifen. Tse-si gab zu dem Angriffe
seine Zustimmung 5 , indessen waren die für diese Unternehmung
bestimmten Streitkräfte noch nicht ausgerückt.
Im achten Jahre des Königs Iloei (481 vor uns. Zeitr.) rich
tete Tsin einen Angriff gegen Tsching. Dieses Fürstenland begehrte
von Tsu Hilfe. Tsu hiess Tse-si die verlangte Hilfe bringen. Der
selbe erhielt von Tsching eine Belohnung für die geleisteten Dienste
und zog hierauf ab. Sching, Fürst von Pe, zürnte über dieses
Beginnen. Sofort bewerkstelligte er mit den „kühnen und starken
Kriegsmännern des Todes“, unter ihnen Schi-khe, den
Überfall und tödtete den Landesgehilfen Tse-si sammt Tse-khi an
dem Hofe. Hieraufbedrohte er auch den KönigHoei und setzte ihn in
das „hohe Versammlungshaus“ von Tsu, wo er ihn zu tödten beab
sichtigte. JjJjJ jjjj Khie-ku, ein Begleiter des Königs, nahm jedoch
seinen Gebieter auf den Bücken und floh mit ihm in das Gebäude
der Gemahlinn des Königs Tschao, welche die oben genannte
Tochter von Yue und Mutter des Königs Hoei. Der Fürst von Pe
selbst bewirkte seine eigene Erhebung an der Stelle des Königs
Hoei.
Nachdem der Fürst von Pe ungefähr einen Monat König gewe
sen, brachte der Fürst von TJjt Sehe dem Lande Tsu Hilfe. Die
Die Geschichte des Fürstenlandes Tsu,
lll
Leute des Königs Hoei von Tsu richteten in Gemeinschaft mit der
anrückenden Kriegsmacht der Befreier einen Angriff gegen den
Fürsten von Pe und tödteten ihn. König Hoei ward hierauf in seine
Würde wieder eingesetzt. Dies ereignete sich im zehnten Jahre
dieses Königs (479 vor uns. Zeitr.). In demselben Jahre vernichtete
Tsu das Fürstenland Tschin und bildete aus ihm einen Landkreis.
Im dreizehnten Jahre des Königs Hoei (476 vor uns. Zeitr.) übte
Fu-tschai, König von U, den Druck der Gewalt auf die Länder Tsin
und Tsi und unternahm auch einen Kriegszug gegen Tsu. Im sech
zehnten Jahre des Königs Hoei (473 vor uns. Zeitr.) vernichtete
Yue das Königsland U. Im zweiundvierzigsten Jahre des Königs
Hoei (447 vor uns. Zeitr.) vernichtete Tsu das Fürstenland Tsai. Im
vierundvierzigsten Jahre des Königs Hoei (445 vor uns. Zeitr.)
vernichtete Tsu wieder das Fürstenland Khi und verglich sich
mit Thsin. Um diese Zeit hatte Yue, nachdem es das Königsland U
vernichtet, die Obergewalt angesprochen, war aber nicht fähig, die
Länder im Norden des grossen Stromes und des Hoai einem Zustande
bleibender Beruhigung zuzuführen. Tsu machte daher ungehindert
Übergriffe im Osten und erweiterte sein Gebiet bis zu den Gegenden
des Flusses ffl Sse.
König Hoei starb im siebenundfünfzigsten Jahre seiner Len
kung (432 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn
tjr Tschung, genannt König |j|j Kien. Dieser König richtete im
ersten Jahre seiner Lenkung (431 vor uns. Zeitr.) einen Angriff
gegen das weit im Nordosten gelegene Fürstenland Khiii i) und
vernichtete dasselbe. Im achten Jahre des Königs Kien (424 vor
uns. Zeitr.) nahmen Wen, Fürst von Wei, ferner Han-wu-tse und
Tschao-hoan-tse zum ersten Male die Benennung von Lehensfürsten an.
König Kien starb im einundzwanzigsten Jahre seiner Lenkung
(408 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn
Tang, genannt König >•£* Scliing. Dieser König wurde im sechsten
Jahre seiner Lenkung (402 vor uns. Zeitr.) durch Räuber getödtet,
worauf dessen Sohn ifj? Hiung-I zum Könige eingesetzt ward.
Derselbe heisst in der Geschichte König /Lg Tao.
*) Khiii ist das heutige Khiü-tscheu, Kreis Thsing-tscheu in San-tung.
112
Dr. Pfizmaier
Im zweiten Jahre des Königs Tao (400 vor uns. Zeitr.) richte
ten die Heere der drei Fürstenländer von Tsin einen Angriff gegen
Tsu und traten, nachdem sie bis Sching-khieu *) vorge
drungen, den Rückzug an. Im viei’ten Jahre des Königs Tao (398
vor uns. Zeitr.) schlug Tsu das Heer von Tsching und belagerte die
Hauptstadt dieses Landes. Der Fürst von Tsching tödtete aus Anlass
dieses Ereignisses seinen Landesgehilfen -J- Tse-yang.
Im neunten Jahre des Königs Tao (393 vor uns. Zeitr.) be
kriegte Tsu das Fürstenland Han und eroberte •'g| Fu-tsi a ).
Im eilften Jahre des Königs Tao (391 vor uns. Zeitr.) richteten
die drei Fürstenländer von Tsin einen Angriff gegen Tsu, dessen
Macht auf den Gebieten ^ ^ Ta-Iiangs) und Yü-kuan
geschlagen wurde. Tsu übersandte reiche Geschenke an Thsin und
brachte auf diese Weise den Frieden zu Stande.
König Tao starb im einundzwanzigsten Jahre seiner Lenkung
(381 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn
Tsang, genannt König Sü. Im vierten Jahre dieses Königs
(377 vor uns. Zeitr.) unternahm das im Nordwesten gelegene fremd
ländische Fürstenland Scho einen Angriff auf Tsu und er
oberte das Gebiet Thse-fang. Tsu befestigte hierauf
Han-kuan, d. i. den deckenden Durchweg 4) und schützte
sich dadurch gegen Scho. Im zehnten Jahre des Königs Su (371 vor
uns. Zeitr.) eroberte Wei, eines der drei Fürstenländer von Tsin, das
zu dem Königslande Tsu gehörende Gebiet Lu-yang 5 ).
König Sü starb im eilften Jahre seiner Lenkung (370 vor uns.
Zeitr.). Da er keinen Sohn hinterliess, wurde sein jüngerer Bruder
j|£ Hiung-liang-fu zum Nachfolger eingesetzt. Derselbe
1) Die Lage dieser Gegend ist unbekannt. Die zeitberechnenden Blätter des Sse-ki
nennen pp Sang-khieu, welches ebenfalls unbekannt.
2 ) Von ungewisser Lage.
3) Die Gegend des heutigen Khai-fung in Ho-nan.
4 ) Han-kuan „der deckende Durchweg“ liegt nächst der Hauptstadt des heutigen
Kreises Kuei-tscheu in Sse-tschuen.
5 ) Das heutige Lii-san, Kreis Ju-tscheu in Ho-nan.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
113
heisst in der Geschichte König b Siuen. Im sechsten Jahre dieses
Königs (3G4 vor uns. Zeitr.) beglückwünschte der Himmelssohn aus
dem Hause Tscheu den Fürsten Hien von Thsin aus Anlass des
Sieges, welchen dieser in Selü-men über die Fürstenländer von
Tsin davon getragen. Um diese Zeit war Thsin wieder erstarkt,
und auch die drei Fürstenländer von Tsin hatten sich vergrössert,
während Hoei, König von Wei, und Wei, König von Tsi, auf dem
Gipfel ihrer Macht standen.
Im dreissigsten Jahre des Königs Siuen (340 vor uns. Zeitr.)
belehnte Thsin den auf die Geschicke dieses Landes einflussreichen
Wei-yang mit dem Gebiete Schang, und erlaubte sich zugleich
im Süden Übergriffe gegen Tsu. In demselben Jahre starb König
Siuen und hatte zum Nachfolger seinen Sohn |Ucj jf£ Hiung-sehang,
genannt König Wei.
Im sechsten Jahre des Königs Wei (334 vor uns. Zeitr.) über
sandte Hien, König von Tscheu, das Fleisch der Darbringung aus
dem Ahnenheiligthume der Könige Wen und Wu an den König
Hoei von Thsin.
Im siebenten Jahre des Königs Wei (333 vor uns. Zeitr.) betrog
Ipi jj| Tien-ying von Tsi, der Vater des Landesfürsten von
Meng-tschang, das Königsland Tsu. Derselbe beredete nämlich
tjJJ] JflE Wu-khiang, König von Yue, der Tsi angegriffen hatte,
von diesem Fürstenlande abzustehen und seine Waffen gegen Tsu
zu kehren. Wei, König von Tsu, schlug indessen die Macht von Yue
vollständig, tödtete den König Wu-khiang und eroberte das gesammte
Gebiet des früheren in Yue einverleibten Königslandes U, während
Yue seihst sich auflöste und in eine Menge kleiner Fürstenthümer
zersplittert ward. Der König von Tsu richtete jetzt einen Angriff
gegen Tsi, schlug dessen Heer auf dem Gebiete ijijij Siü-tscheu,
wo im vorhergehenden Jahve die Landesfürsten von Tsi und Wei
gegenseitig ihre Königswürde anerkannt hatten, und forderte von
Tsi, dass es Tien-ying vertreibe.
Tien-ying, der besorgte, dass dieser Forderung Folge gegeben
werden könne, schickte Tsch’hang - tsch’heu als Ge
sandten nach Tsu. Derselbe machte vor dem Könige von Tsu die
folgende lügenhafte Auseinandersetzung: Dass du, o König, gesiegt
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. I. Hft. 8
114
Dr. Pfizmaie r
hast in dem Kampfe von Siü-Ischeu, es geschah, weil Tien-fen-tse *)
nicht verwendet wurde. Tien-fen-tse hat Verdienste um das Land,
und die hundert Geschlechter halten ihn für verwendbar.
Tien-ying ist auf ihn nicht gut zu sprechen, und er verwendete
Schin-ki 2 ). Was Schin-ki betrifft, so sind die grossen Würdenträger
ihm nicht zugethan, die hundert Geschlechter halten ihn nicht für
verwendbar. Desswegen hast du, o König, ihn besiegt. Jetzt ver
treibst du, o König, Ying-tse 3 ). Wenn Ying-tse vertrieben ist, wird
Fen-tse 4 ) gewiss verwendet werden. Er wird von Neuem festhalten
seine Kriegsmänner und Streiter und treffen auf dich, o König.
Dies wird für dich, o König, nicht vortheilhaft sein. — Der König
von Tsu stand hierauf von der Vertreibung Tien-ying’s ab.
König Wei starb im eilften Jahre seiner Lenkung (329 vor
uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn ||{“
Hiung-hoai, genannt König Hoai. Als das Königsland Wei er
fuhr, dass Tsu sich in der Trauer um seinen verstorbenen König
befinde, griff es das Gebiet dieses Landes an und eroberte
Hing-san.
Im ersten Jahre des Königs Hoai (328 vor unserer Zeitr.)
wurde der in späterer Zeit für Tsu verderbliche
Tsch’hang-I Landesgehilfe des Königs Hoei von Thsin. Im vierten
Jahre des Königs Hoai (32S vor uns. Zeitr.) legte sich Hoei,
König von Thsin, bisher Lehensfürst von Thsin genannt, die
Königsbenennung bei.
Im sechsten Jahre des Königs Hoai (323 vor uns. Zeitr.) schickte
Tsu den die Stelle einer „Säule des Landes“ bekleidenden
Tschao-yang mit einer Kriegsmacht gegen das Königsland Wei.
Dieser Heerführer schlug die Streitkräfte von Wei auf dem Gebiete
Siang-ling 5 ) und gewann acht Städte. Nach dieser
Waffenthat rückte er das Lager weiter und schritt zum Angriffe
auf Tsi, dessen König desshalb in Besorgniss gerieth. Um dieselbe
3 ) D. i. Tien-ying.
4 ) D. i. Tien-fen-tse.
5 ) Das heutige Feu-san, Kreis Ping-yang in Schan-si.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
ns
Zeit traf es sich, dass Tschin-tschin im Aufträge des
Königslandes Thsin als Gesandter nach Tsi geschickt wurde. Der
König fragte Tschin-tschin, wie bei der Verlegenheit, in welche
das Land durch den Angriff Tsehao-yang's gebracht worden, zu
helfen sei? Tschin-tschin antwortete: Sei, o König, ohne Sorge.
Ich bitte, dass ich diesen von dem Kriege abstehen machen dürfe.
Tschin-tschin begab sich jetzt in das feindliche Lager, wo er
Tschao-yang besuchte und zu ihm sagte: Ich möchte erfahren, wo
durch man nach dem Gesetze von Tsu demjenigen, der schlägt ein
Kriegsheer und tödtet dessen Anführer, Ehre bezeigt. — Tschao-
yang erwiederte: Sein Amt ist dasjenige einer höchsten Säule des
Landes. Er wird belehnt mit der höchsten Lehenstufe und hält in
der Hand die Rundscheibe. — Tschin-tschin fragte: Wird Jeman
dem noch eine grössere Ehre erwiesen als diese? — Tschao-yang
antwortete: Es gibt die Stelle des Ling-yün.
f Tschin-tschin fuhr fort: Jetzt bist du, o Gebieter, bereits
Ling-yün. Dies ist unter den Stellen der Häupter des Landes die
höchste. Ich bitte, hier ein Gleichniss anführen zu dürfen. Es war
ein Mensch, der schickte seinen Hausgenossen eine Kanne Weines.
Die Hausgenossen sagten zu einander: Wenn mehrere Menschen
dies trinken, so ist dies für alle zusammen nicht hinreichend. Wir
bitten, dass wir sofort auf die Erde malen eine Schlange. Derjenige,
der mit der Schlange zuerst fertig ist, möge ihn allein trinken. —
Ein Mensch sprach: Ich bin mit der Schlange zuerst fertig. — Er
erhob den Wein, stand auf und sprach: Ich bin fähig, ihr Füsse zu
machen. — Als er ihr Füsse machte und zuletzt fertig ward, entrissen
ihm die Menschen den Wein und tranken ihn, indem sie sprachen:
Eine Schlange hat sicherlich keine Füsse. Jetzt hast du ihr Füsse
gemacht, sie ist daher keine Schlange.
Jetzt bist du, o Gebieter, der Landesgehilfe in Tsu und hast
ausgeführt den Überfall von Wei. Du hast geschlagen ein Kriegs
heer, getödtet dessen Anführer. Unter den Verdiensten gibt es kein
grösseres. Zu der höchsten unter den Stellen der Häupter lässt sich
nichts hinzugeben. Jetzt führst du überdies die Kriegsmacht weiter
und überfällst Tsi. Wenn du Tsi überfällst und es besiegst, so
wird deinem Amte und deiner Lehensstufe nichts hiuzugegeben
über das, was sie gegenwärtig sind. Wenn du es überfällst und
nicht besiegst, so wirst du seihst sterben, deine Lehensstufe wird
8*
116
Dr. P f i z in a i e r
entzogen und du erleidest Einbusse in Tsu. Dies ist der Sinn des
Wortes: der Schlange Füsse machen. Das Beste ist, du führst die
die Kriegsmacht aus dem Lande und verpflichtest dir dadurch zu
Danke Tsi. Dies ist die Kunst, das Volle zu erfassen. — Tschao-yang
zollte diesen Worten seinen Beifall und führte das Heer aus Tsi zurück.
In dem oben erwähnten Jahre legten auch die Lehensfürsten
von Yen und Han sich die Königsbenennung bei. Im Aufträge von
Tscliin hatte Tsch'hang-I jetzt eine Zusammenkunft mit den Landes
gehilfen von Tsu, Tsi und Wei auf dem Gebiete ^ Nie-sang,
woselbst von den Betheiligten ein Vertrag beschworen wurde.
Im eilften Jahre des Königs Hoai (318 vor uns. Zeitr.) brachte
es Su-thsin, ein Eingeborener von Tscheu, zu Wege,
dass die sechs Königsländer im Osten der Berge: Wei, Han, Tschao,
Tsu, Yen und Tsi zu einem gemeinschaftlichen Angriffe auf Thsin ein
Bündniss schlossen. Hoai, König von Tsu, war der Älteste des Bünd
nisses. Die Verbündeten erreichten den Durchweg Han-kö, als Thsin*
seine Kriegsmacht zum Angriffe hervorschickte. Sofort räumten die
Heere der sechs Königsländer das Fehl und zogen in die Heimat ab,
wobei Tsi allein den Rückzug deckte.
Im zwölften Jahre des Königs Hoai (317 vor uns. Zeitr.)
schlug Min, König von Tsi, die Heere von Tschao und Wei, wäh
rend Thsin seinerseits das Königsland Tsi angrilf, dessen Kriegs
macht schlug und mit ihm um den Vorrang stritt.
Im sechzehnten Jahre des Königs Hoai (313 vor uns. Zeitr.)
gedachte Thsin, das Königsland Tsi anzugreifen. Tsi war jedoch
mit Tsu eng verbündet, was den König Hoei von Thsin mit Be-
sorgniss erfüllte. Er verkündete daher offen, dass Tsch’hang-I seines
Amtes als Landesgehilfe entlassen sei. Im Aufträge des Königs von
Thsin reiste jedoch Tsch’hang-I nach Süden, begab sich zu dem
Könige von Tsu und sagte zu diesem: Unter demjenigen, was dem
Könige unserer niedrigen Städte überaus gefällt, geht ihm nichts
über dich, o grosser König. Unter demjenigen, bei welchem es
selbst mir überaus erwünscht wäre, zu werden der Fussknecht der
Überdachung des Thores, geht mir ebenfalls nichts über dich,
o grosser König. Unter demjenigen, was dem Könige unserer nied
rigen Städte überaus verhasst ist, geht ihm nichts über den König
von Tsi. Unter demjenigen, was selbst mir überaus verhasst ist, geht
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
117
ebenfalls nichts über den König von Tsi. Doch du, o grosser König,
bist mit ihm in gutem Einvernehmen. Aus diesem Grunde ist es dem
Könige unserer niedrigen Städte nicht möglich zu dienen dir, o
König, und du bewirkst, dass es auch mir nicht möglich ist, zu
werden der Fussknecht der Überdachung des Thores. Mögest du, o
König, um meinetwillen verschliessen den Durchweg und dich los
sagen von Tsi. Mögest du jetzt schicken einen Gesandten, damit er
mir folge nach Westen und in Empfang nehme das vormals Thsin zu
Theil gewordene Land von Schang und Yü 1 ), Gebiet von Tsu, in
einem Umfange von sechshundert Weglängen. Wenn dies geschieht,
so ist Tsi geschwächt. Man schwächt im Norden Tsi, verpflichtet
sich im Westen zu Danke Thsin, bekommt zu eigen Schang und Yü
und wird dadurch bereichert. Auf diese Weise bedarf es einer ein
zigen Berechnung, und ein dreifacher Vortheil kommt herbei.
König Hoai war über diese Vorschläge im höchsten Masse
erfreut. Er legte die Abdrucksmarke eines Landesgehilfen in die
Hände Tsch'hangTs, liess diesem zu Ehren täglich Wein aufstellen,
und sagte überall ganz offen: Ich habe mein Land Schang und Yü
wieder erhalten.
Sämmtliche Würdenträger wünschten dem Könige zu seiner
Erwerbung Glück. Tschin-tschin allein bezeigte seine Trauer. Von
dem Könige um die Ursache dieses Benehmens befragt, antwortete
Tschin-tschin: Dass Thsin auf dich, o König, Werth legt, es ist dess-
wegen, weil du, o König, Tsi auf deiner Seite hast. Jetzt konnte
das Land noch nicht erlangt werden, aber das Bündniss mit Tsi
wird früher zerrissen, hierdurch wird Tsu vereinzelt. Dieses Thsin,
warum sollte es noch Werth legen auf ein vereinzeltes Land? Es
Vird gewiss verachten Tsu. Gesetzt ferner, man gibt früher heraus
das Land und löst dann erst das Bündniss mit Tsi, so findet Thsin
hierbei nicht seine Rechnung. Zerreisst man früher das Bündniss mit
Tsi und begehrt dann erst das Land, so wird man gewiss betrogen
durch Tsch’hang-I. Wird man betrogen durch Tsch’hang-I, so
bist du, o König, gewiss darüber entrüstet. Bist du darüber ent
rüstet, so wird dies im Westen erregen die Besorgniss von Thsin,
fS Schang- und m Yü waren zwei alte feste Städte. Das erstere befand sich
in dem heutigen gleichnamigen Schang, Kreis Si-nan in Schen-si. Das letztere lag
zweihundert YVeglängen weiter westlich.
118
Dr. Pfizmaier
im Norden lösen das Bündniss mit Tsi. Hat man im Westen erregt
die Besorgniss von Thsin, im Osten gelöst das Bündniss mit Tsi,
so wird die Kriegsmacht der beiden Länder gewiss heranrücken.
Desswegen bezeige ich meine Trauer.
Der König vonTsu Hess diese Warnung unbeachtet. Er schickte
mit Tsch’hang-I einen Heerführer mit dem Aufträge, im Westen
das ummarkte Land in Empfang zu nehmen. Bei der Ankunft in
Thsin stellte sich Tsch’hang-I betrunken und fiel aus dem Wagen.
Indem er hierauf eine Krankheit vorschützte, ging er drei Monate
nicht aus dem Hause, wesshalb die Übergabe des Landes nicht
erfolgen konnte.
Der König von Tsu sagte jetzt: Glaubt denn Tsch’hang-I, dass
es mir mit der Lossagung von Tsi noch immer nicht Ernst? — So
fort entsandte er einen muthigen Kriegsmann , Namens iS ^
Sung-I nach Norden mit dem Aufträge, den König von Tsi zu
beschimpfen 1 ). Der König von Tsi gerieth hierüber in heftigen
Zorn, zerbrach die Abdrucksmarke von Tsu und verband sich mit
Thsin. Nachdem das Bündniss zwischen Thsin und Tsi zu Stande
gekommen, erhob sich endlich Tsch’hang-I, erschien an dem Hofe
und sagte zu dem Heerführer von Tsu: Warum hast du das Land,
welches reicht von bis 3 ), von Osten nach
Westen und von Süden nach Norden sechs Weglängen, nicht in
Empfang genommen? — Der Heerführer von Tsu erwiederte: Das
jenige, hinsichtlich dessen mir der Befehl zu Theil ward, sind sechs
hundert Weglängen, ich habe nichts gehört von sechs Weglängen.
— Er kehrte sofort zurück und meldete, was er gehört, dem Könige
Hoai.
König Hoai war auf das Höchste entrüstet. Er brachte sofort
ein Kriegsheer zusammen und gedachte, Thsin anzugreifen. Tschin-
tschin sagte jetzt zu dem Könige: Thsin angreifen, ist keine gute
Berathung. Das Beste ist, ihm bei dieser Gelegenheit zum Geschenk
machen eine namhafte Stadt und mit ihm angreifen Tsi. Auf diese
1) Die Worte, mit welchen das Sse-ki in dem Lehen Tsch’hang-I’s über diese Aufrei
zung des Königs von Tsi berichtet, geben folgenden wesentlich verschiedenen
Sinn : Der König entsandte sofort einen muthigen Kriegsmann mit dem Aufträge,
in Sung einzutreffen, daselbst die Abdrucksmarke des Landes Sung zu entlehnen,
hierauf sich nach Norden zu begeben und den König von Tsi zu schmähen.
2 ) Der Name wird in diesen Worten verschwiegen.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
119
Weise verlieren wir etwas an Thsin und erhalten dafür den Ersatz
von Tsi. Unser Land kann dann noch immer unversehrt bleiben.
Jetzt hast du, o König, dich losgesagt von Tsi und stellst wegen des
Betruges zur Bede Thsin: hierdurch vereinigen wir Thsin und Tsi
zu einem Bunde und heissen herbeikommen die Streitkräfte der
Welt. Das Land wird gewiss grossen Schaden erleiden.
Der König von Tsu verwarf diesen Rath. Er löste das Biind-
niss mit Thsin und entsandte eine Kriegsmacht, welche im Westen
vorrückte und gegen Thsin den Angriff unternahm. Thsin entsandte
ebenfalls eine Kriegsmacht, mit der es einen raschen Schlag gegen
Tsu ausführte. Im Frühlinge des siebenzehnten Jahres des Königs
Hoai (312 vor uns. Zeitr.) erfolgte die Schlacht zwischen den
Heeren von Thsin und Tsu auf dem Gebiete Tan-yang.
Thsin brachte dem Heere von Tsu eine grosse Niederlage bei und
schlug achtzigtausend gepanzerten Kriegsmännern von Tsu die
Häupter ab. 'fEJ Khie-kiai, oberster Heerführer von Tsu,
zweiter Heerführer von Tsu,
nebst vielen anderen Heerführern dieses Landes, im Ganzen siebenzig
an der Zahl, wurden gefangen. Thsin eroberte sofort den grossen
t|l Han-tsehung.
Landstrich von
Hoai, König von Tsu , entsandte in seinem Zorne alle Streit
kräfte des Landes und machte einen neuen Einfall in Thsin. In dem
Kampfe, der auf dem Gebiete |JJ [U Lan-tien *) stattfand, er
litt das Heer von Tsu abermals eine grosse Niederlage. Als den
Mächten Han und Wei die Verlegenheit des Landes Tsu bekannt
wurde, wandten sie sich nach Süden und machten einen Einfall in
Tsu, wobei sie bis Teng vordrangen. Auf die Kunde von die
sem Einfall trat Tsu mit seinen Streitkräften den Rückzug an.
Im achtzehnten Jahre des Königs Hoai (311 vor uns. Zeitr.)
schickte Thsin einen Gesandten nach Tsu mit dem Erbieten, den
Freundschaftsbund mit Tsu zu erneuern und gegen Zurückgabe der
Hälfte des eroberten Landes Han-tschungFriede zu schliessen. Der
König von Tsu erwiederte: Es ist mein Wunsch, Tsch’hang-I zu
erlangen. Es ist nicht mein Wunsch, das Land zu erlangen.
1 ) Das heutige gleichnamige Lan-tien, Kreis Si-ngan in Schen-si.
120
Dr. P f i z m a i e t
Als Tsch’hang-I diese Äusserung des Königs Hoai hörte, bat
er um die Erlaubniss, sieb nach Tsu begeben zu dürfen. Der König
von Thsin sagte zu ihm: Tsu wird an dir deinen Zorn auslassen
wollen. Wie wirst du dir helfen? —Tsch’hang-I erwiederte: Ich
stehe auf gutem Fusse mit Li-schang, einem Manne aus der Umge
bung des Königs. Li-schang batte ferner Gelegenheit, einen Dienst
erweisen zu können Tsching-sieu, der begünstigten Gemahlinn des
Königß. Was Tsching-sieu sagt, wird ohne Ausnahme befolgt. Auch
habe ich bei meiner früheren Gesandtschaft nicht gehalten Tsu das
Versprechen hinsichtlich des Landes von Schang und Yü. Jetzt
haben Thsin und Tsu gegenseitig grosse Kämpfe geführt und ein
ander Böses zugefügt. Iclihabe nichtvon Angesicht mich entschuldigt
in Tsu, und ich bin nicht losgesprochen. Auch bist du, o grosser
König, am Leben, Tsu wird es wahrscheinlicher Weise nicht wagen,
mich anzunehmen. Wenn es in Wahrheit mich tödtet und ich da
durch von Vortheil bin für das Land, so wäre dies der Gegenstand
meiner Wünsche.
Tsch'hang-I reiste sofort als Gesandter nach Tsu. Als er da
selbst ankam, wurde er von dem Könige Hoai nicht empfangen. Dieser
gab vielmehr Befehl, den Gesandten in ein Gefängniss zu setzen
und war willens, ihn tödten zu lassen. Tsch'hang-I hatte geheime
Beziehungen zu IrI fif Li-schang. Dieser legte für Tsch'hang-I
hei dem Könige Hoai Fürbitte ein und sagte: Du hast festnehmen
lassen Tsch’hang I, der König von Thsin wird gewiss zürnen. Wenn
die Welt sehen wird, dass Tsu entbehrt die Stütze von Thsin, wird
sie dich, o König, gewiss verachten.
Ausserdem begab sich Li-schang noch zu Tsching-sieu, der
Gemahlinn des Königs, und sagte zu ihr: Der König von Thsin hat
grosse Liebe zu Tsch’hang-I, doch der König will ihn tödten lassen.
Jetzt will Tsch’hang-I durch ein Geschenk von sechs Kreisen des Lan
des Schang-yung') gewinnen Tsu, eine Schöne zur Gemahlinn ver
schaffen dem Könige von Tsu und die vortrefflichen Sängerinnen des
Schang-yung entsprach zu den Zeiten der Han dem heutigen Schi-
thsiuen, Kreis Hing-ngan in Schen-si. Dasselbe war Gebiet des öfters genannten
Han-tschung. Das ehemalige Fürstenland Yung, welches seiner Zeit ebenfalls
Schang-yung „das obere Yung“ genannt wurde und auch in der Geschichte von
Tsu vorkommt, lag weiter östlich und schon in dem heutigen Hu-kuang.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
121
königlichen Gebäudes ihr gehen zu Begleiterinnen. Der König von
Tsu legt Werth auf das Land, die Tochter von Thsin wird ihm ge
wiss theuer sein, und du, o Königinn, wirst gewiss verstossen
werden. Du, o Königinn, musst es durch deine Worte dahin bringen,
dass Tseh’hang-I in Freiheit gesetzt wird. — Tsching-sieu sprach
endlich mit dem Könige wegen Tsch'hang-I, dessen Freilassung sie
bewirkte.
Nachdem Tsch’hang-I in Freiheit gesetzt worden.begegnete ihm
König Hoai freundschaftlich, und Tsch’hang-I ergriff diese Gelegen
heit, um den König von Tsu zu bereden, sich von dem Bunde der
gegen Thsin vereinigten Länder zu trennen und mit Thsin einBünd-
niss der Freundschaft zu schliessen. Zugleich gab man sich gegen
seitig das Versprechen einer Vermählung von Königstöchtern.
Tsch’hang-I war bereits wieder abgereist, als Khie-
yuen, der als Gesandter nach Tsi gegangen war, aus diesem Lande
nach Tsu zurückkehrte. Khie-yuen machte dem Könige Vorstellungen
wegen dessen bisheriger Handlungsweise und rieth ihm, Tsch’hang-I
hinrichten zu lassen. Den König Hoai reute es, dass er den Gesandten
von Thsin entlassen, und er schickte Leute zu dessen Verfolgung
aus, welche ihn jedoch nicht mehr einholten. In demselben Jahre,
in welchem TsclThang-1 zum zweiten Male nach Tsu gekommen,
starb König Hoei von Thsin.
Im zwanzigsten Jahre des Königs Hoai (309 vor uns. Zeitr.)
wollte sich Min, König von Tsi, zum Führer der gegen Thsin ver
bündeten Länder aufwerfen. Er sah mit Missbehagen, dass Tsu
sich mit Thsin vereinigt, und er schickte daher durch einen Ge
sandten an den König von Tsu das folgende Schreiben: Mir, dem
unbedeutenden Menschen, tliut es leid , dass Tsu nichts hält auf
einen ehrenvollen Namen. Jetzt ist Hoei, König von Thsin, gestorben
und König Wu ward eingesetzt. Tsch'hang-I ist enteilt nach Wei,
Ngö-li-tsi und der Fiirstencnkel Yen!) werden verwendet, aber
Tsu widmet seine Diensle Thsin. Ngö-li-tsi hat freundschaftliche
Beziehungen zu Han, und der Fürstenenkel Yen hat freundschaftliche
Beziehungen zu Wei. Tsu wird dienen Thsin, Ilan und Wei werden
sich furchten, sie werden mit Hilfe dieser zwei Menschen anstreben
*) Der Fiirstenenkel Yen ist Si-sclieu, der in der Abhandlung’: „Der Redner Tschang-I
und einige seiner Zeitgenossen“ Yorgekomraen.
122
Di*. Pfizmaier
die Vereinigung mit Thsin, und dann werden Yen und Tschao es
ebenfalls für angemessen halten, zu dienen Thsin. Wenn die vier
Königsländer im Wetteifer dienen Thsin, dann ist Tsu auch schon
eine Landschaft oder ein Landkreis. Warum vereinst du, o König,
nicht mit mir, dem unbedeutenden Menschen, die Kraft, ziehst heran
Han, Wei, Yen und Tschao, trittst mit ihnen in den Bund und ehrst
das innere Haus der Tscheu, so dass du zurechtstellst die Waffen,
Ruhe verschaffst dem Volke und bewirkst, dass in der Welt Nie
mand es wagt, sich nicht zu freuen?
Gibst du mir Gehör, so ist dein Name, o König, begründet.
Du, o König, stellst dich an die Spitze der Fürsten der Lehen, be
kriegst im Vereine mit ihnen und zertrümmerst Thsin ganz gewiss.
Du, o König, eroberst den Durchweg Wu, das Land von Scho und
Hän, machst dir zu eigen die Schätze von U und Yue und nimmst
ausschliesslich in Besitz den Ertrag des grossen Stromes und des
Meeres. Han und Wei werden dir ahtreten Schang-thang, im Westen
drängst du dich nach Han-ko, und dann ist die Kraft von Tsu hundert
mal zehntausendfach. Auch wurdest du, o König, betrogen durch
Tsch’hang-I, du verlorst Land in Han-tschung, deine Kriegsmacht
wurde zermalmt in Lan-tien, in der Welt war Niemand, der nicht
statt deiner, o König, in dem Busen nährte den Zorn. Jetzt aber
willst du, den Übrigen vorangehend, dienen Thsin: ich wünsche,
dass du, o grosser König, dies reiflich erwägest.
Der König von Tsu war schon früher gesonnen, sich mit Thsin
zu verbünden. Als er jetzt in das Schreiben des Königs von Tsi
Einsicht nahm, war er unentschlossen, was er tliun solle, und er
brachte daher den Gegenstand in den Rath seiner Würdenträger.
Unter den Würdenträgern waren einige für das Bündniss mit Thsin,
andere verlangten, dass man den Vorschlägen des Königs von Tsi
Gehör gebe.
j]fi: JjT? Tschao-hoei äusserte als seine Meinung Folgendes:
Wenn du, o König, auch im Osten erobert hast Land von Yue, es
ist dies nicht hinreichend, zu tilgen die Schande. Du musst über
dies erobern Land von Thsin, dann erst wäre es hinreichend, zu
tilgen die Schande gegenüber den Fürsten der Lehen. Du, o König,
thust am besten, wenn du dich innig befreundest mit Tsi und Han
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
123
und dabei hochschätzest Ngo-li-tsI J )- Ist dies der Fall, so erlangst
du, o König, die Hochschätzung von Tsin und Han und trachtest
dabei nach Land.
Thsin hat zertrümmert die Streitkräfte von Han in I-yang, dass
aber Han gleichsam von Neuem huldigt Thsin, es ist desswegen,
weil die Grabstätten der früheren Könige sich befinden in Ping-yang,
indess Wu-sui 3 ), das im Besitze von Thsin, von ihnen entfernt
siebenzig Weglängen. Aus dieser Ursache hat es übergrosse Ehr
furcht vor Thsin. Ist dieses nicht, so überfällt Thsin das Land der
drei Rinnsäle, Tschao überfällt Schang-thang, Tsu überfällt das Land
ausserhalb des Flusses, und Han geht gewiss zu Grunde. Wenn Tsu
Hilfe bringt Han, ist es nicht im Staude zu bewirken, dass Han
nicht zu Grunde geht.
Gleichwohl ist das Land, welches Han Fortbestand gibt, Tsu.
Han hat erlangt Wu-sui von Thsin 8 ), es macht den Fluss und die
Berge zu seinen Versperrungen. Diese Wohlthaten hat es Nieman
den so sehr zu verdanken wie Tsu. Ich halte dafür, dass derjenige,
der dienen wird dir, o König, gewiss Tsi 4 ). Dass Tsi auf Han ver
traut, es ist desswegen, weil Mei 5 ), Fürstensohn von Han, der Landes
gehilfe in Tsi. Han hat bereits erlangt Wu-sui von Thsin, du, o König,
bist mit ihm innig befreundet. Du lässest dabei durch Tsi und Han
hochschätzen Ngo-li-tsi. Wenn Tsi erlangt hat die Hochschätzung
von Tsi und Han, wird sein Gebieter es nicht wagen, zurückzusetzen
Tsi. Jetzt hätte er noch überdies die Ilochschätzung von Tsu: Ngo-
li-tse wird es gewiss zur Sprache bringen in Thsin, dass man wieder
herausgebe das eroberte Land von Tsu.
*) Ngö-li-tsi war von mütterlicher Seit.e mit Han verwandt.
2 ) TpT Wu-sui, welches in der angegebenen Entfernung; westlich von Ping-
yang lag, ist von dem gleichnamigen Wu-sui, welches das heutige Wu-khiang,
Kreis Schin-tscheu in Pe-tschT-li, verschieden.
3 ) Nach den zeitbereohnenden Blättern des Sse-ki entriss Thsin im zweiundzwan
zigsten Jahre des Königs Hoai (307 vor uns. Zeitr.) die Feste I-yang von Man und
eroberte das Gebiet Wu-sui. Im drei und zwanzigsten Jahre des Königs Hoai
(306 vor uns. Zeitr.) gab Thsin das Gebiet Wu-sui an Han zurück. Ein Ausleger
bemerkt daher, dass die Berathung, in welcher diese Begebenheiten zur Sprache
kamen, nicht in dem zwanzigsten Jahre des Königs Iloai stattgefunden haben könne.
4 ) D. i. Ngö-li-tsT, dessen Namen eigentlich „Tsi von dem Dorfe Ngö-li“ bedeutet.
s ) Mei.
König Hoai war mit den Ansichten Tschao-hoei’s einverstan
den. In Folge dessen verbündete sich Tsu nicht mit Thsin, sondern
mit Tsi und trat in ein Verhältniss der Freundschaft zu Han.
Im vierundzwanzigsten Jahre des Königs Iloai (305 vor uns.
Zeitr.) sagte sich Tsu wieder von Tsi los und verband sich mit
Thsin. Tschao, König von Thsin, der erst unlängst eingesetzt wor
den, suchte Tsu durch reiche Geschenke zu gewinnen, worauf Tsu
eine Tochter von Thsin durch ein grosses Gefolge abholen liess.
Im folgenden Jahre, dem fünfundzwanzigsten seiner Lenkung (304
vor uns. Zeitr.), reiste König Hoai in Selbstheit nach Thsin und
beschwor mit Tschao, Könige von Thsin, einen Vertrag auf dem
Gebiete Hoang-ke. Thsin gab hierauf das Gebiet J|| _b
Sehang-yung an Tsu zurück.
Im sechsundzwanzigsten Jahre des Königs Hoai (303 vor uns.
Zeitr.) richteten Tsi, Wei und Han einen gemeinschaftlichen Angriff
gegen Tsu aus dem Grunde, weil dieses Königsland sich von dem
Bunde mit ihnen losgesagt und sich an Thsin geschlossen hatte.
König Hoai schickte seinen zur Nachfolge bestimmten Sohn als
Geissei nach Thsin und bat dieses Land um Hilfe. Thsin entsandte
den gastenden Erlauchten ](pj Thung an der Spitze einer Kriegs
macht zur Rettung von Tsu, worauf die Heere der drei Königsländer
sich zurückzogen und das Gebiet von Tsu räumten.
Im siebenundzwanzigsten Jahre des Königs Hoai (302 vor uns.
Zeitr.) hatte ein Grosser von Thsin in einer eigenen Angelegenheit
einen Streit mit dem in Thsin als Geissei lebenden Nachfolger von
Tsu. Der Königssohn von Tsu tödtete seinen Gegner, ward hierauf
flüchtig und kehrte in seine Heimat zurück. Wegen dieses Vorfalles
richtete Thsin im folgenden Jahre, dem achtundzwanzigsten des
Königs Hoai (301 vor uns. Zeitr.) in Gemeinschaft mit Tsi, Han
und Wei einen heftigen AngrifT gegen Tsu, schlug dessen Heer in
einer Schlacht, in welcher ij^ ^ Thang-mi, Heerführer von Tsu,
fiel, eroberte |j| Tsch’hung-khieu und zog sich endlich zurück.
Im neunundzwanzigsten Jahre des Königs Hoai (300 vor uns.
Zeitr.) erneuerte Thsin den Angriff auf Tsu und brachte diesem
Lande eine grosse Niederlage bei. In dem entscheidenden Kampfe
fanden zwanziglausend Krieger von Tsu, unter ihnen der Heerführer
Die Geschichte de« Königslnndes Tsu.
125
n|r King-kiue den Tod. Die Feste Siang-tsching <)
ging an Tlisin verloren. König Hoai, in Furcht versetzt, schickte
seinen zur Nachfolge bestimmten Sohn als Geissei nach Tsi und
trachtete sich mit diesem Lande zu versöhnen.
Im dreissigsten Jahre des Königs Hoai (299 vor uns. Zeitr.)
unternahm Tlisin nochmals einen Angriff auf Tsu und eroberte acht
feste Städte dieses Landes. Hierauf übersandte König Tschao von
Thsin dem Könige von Tsu das folgende Schreiben: Anfänglich traf
ich, der unbedeutende Mensch, mit dir, o König, das Übereinkom
men, dass wir zu einander seien jüngere und ältere Brüder. Wir
beschworen den Vertrag in Hoang-ke, der zur Nachfolge bestimmte
Sohn wui'de Geissei, und ich war auf das Höchste erfreut. Der Nach
folger beleidigte und tödtete einen meiner einflussreichen Diener.
Er entschuldigte sich nicht, sondern begab sich auf die Flucht und
verliess das Land. Ich, der unbedeutend e Mensch, konnte in Wahr
heit nicht bewältigen meinen Zorn, ich hiess Streitkräfte dringen
in deine Landmarken, o Gebieter und König. Jetzt höre ich, dass
du, o Gebieter und König , den Nachfolger als Geissei geschickt
hast nach Tsi und dass du trachtest, dich zu versöhnen. Jetzt habe
ich, der unbedeutende Mensch, mit Tsu das Zusammentreffen an
den Markungen, an den Abrainungen der Scholle, desswegen be
werkstelligten wir die Verschwägerung, und dass wir uns gegen
seitig anschliessen und einander befreundet sind, ist schon lange
Zeit. Da aber jetzt Thsin und Tsu nicht erfreut sind, so haben sie
nichts zu gebieten den Fürsten der Lehen. Ich der unbedeutende
Mensch, möchte mit dir, o Gebieter und König, Zusammentreffen
in dem Durchwege Wu, und, nachdem ich mit dir einen Vertrag
beschworen, mich wieder entfernen. Dies ist mein, des unbedeu
tenden Menschen, Verlangen. Ich wage es, dies zu Ohren zu bringen
dem untersten Leiter der Geschäfte.
Nachdem König Hoai von Tsu dieses Schreiben des Königs von
Thsin gelesen, war er von Besorgniss erfüllt. Für den Fall, dass er
dieReise antreten wollte, fürchtete er, betrogen zu werden. Wollte er
hingegen die Reise unterlassen, so fürchtete er wieder den Zorn
von Thsin. Tschao-hoei widerrieth dem Könige die Reise, indem
*) Die Stadt heisst heutzutage wieder Siaug-tsching und befindet sich in Hiü-tscheu,
Landschaft Ho-rnui.
126
Dr. P f i z m a i e r
er sagte: Mögest du, o König, ja nicht gehen, vielmehr eine Kriegs
macht aussenden und dich einfach schützen. Thsin hat den Sinn
der Tiger und Wölfe, man darf ihm nicht vertrauen. Es hat die
Absicht, sich einzuverleiben die Länder der Fürsten der Lehen. —
—H- - +
Hl ^ Tse-lan, der Sohn des Königs Hoai, rietli dagegen zur
Reise und sagte: Wie kann man nur die Freude von Thsin verderben?
König Hoai reiste hierauf zur Zusammenkunft mit dem Könige
Tschao von Tschin. Dieser König gab hinterlistiger Weise einem
seiner Heerführer Befehl, eine Kriegsmacht in den Durchweg Wu
zu legen und sich seihst für den König von Thsin auszugeben. Als
der König von Tsu eintraf, schloss der Heerführer den Durch
weg Wu ab und zog mit dein Könige in westlicher Richtung
nach Hien-yang, der Hauptstadt von Thsin. Daselbst hiess man den
König von Tsu gleich einem Diener des Geheges an dem in dem
Gebäude der „schimmernden Erdstufe“ befindlichen Hofe des Königs
von Thsin erschienen und behandelte ihn mit keiner übermässigen
Artigkeit. König Hoai gerieth hierüber in heftigen Zorn, und es
reute ihn, dass er die Worte Tschao-hoei's nicht beachtet hatte.
Thsin hielt bei diesem Anlasse den König von Tsu zurück und
bewog ihn zu dem Versprechen, die Landschaften X|A Wu und
lJ] Khien-tschung abzutreten. Der König von Tsu war Willens,
den bezüglichen Vertrag zu beschwören, aber Thsin wollte vorher
in den Besitz des Landes gelangen. Hierüber zürnte der König von
Tsu und sagte: Thsin hat mich betrogen und es zwingt mich über
dies, ihm das Land zu versprechen! — Er wollte von einer Abtre
tung von Land nichts mehr wissen, und Thsin hielt ihn aus diesem
Grunde wieder zurück.
Den grossen Würdenträgern von Tsu bereitete die Abwesen
heit des Königs viele Sorge. In einer Berathung, welche sie hielten,
sagten sie zu einander: Unser König befindet sich in Thsin und
kann nicht zurückkehren. Er gab das Versprechen hinsichtlich der
Abtretung von Land, aber der zur Nachfolge bestimmte Sohn
wurde als Geissei gestellt nach Tsi. Wenn Tsi und Thsin sich in
ihren Anschlägen vereinigen, so hat Tsu aufgehört, ein Königsland
zu sein. — Man war demnach willens, den andern in dem Lande
anwesenden Sohn des Königs einzusetzen. Tschao-hoei wendete
dagegen ein: Der König hat mit dem Nachfolger in Gemeinschaft
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
127
Mühsal erduldet bei den Fürsten der Lehen. Wollte man aber noch
zuwider handeln dem Befehle des Königs und einsetzen dessen nicht
berechtigten Sohn, so wäre dies nicht billig.
Tschao-hoei eilte hierauf nach Tsi, um daselbst die unwahre
Meldung zu machen, dass in Tsu ein neuer König eingesetzt wor
den. König Min von Tsi sagte zu seinem Landesgehilfen: Wir
müssen zurückhalten den Nachfolger und begehren von Tsu das
Land im Norden des Hoai. — Der Landesgehilfe von Tsi erwiederte:
Dies kann nicht geschehen. In Ying hat man einen König eingesetzt.
Unter diesen Umständen hielten wir in den Armen einen unnützen
Geissei und übten Ungerechtigkeit in der Welt. — Einige traten
dieser Meinung entgegen, indem sie dem Könige einen ganz an
deren Rath gaben und sagten: Dem ist nicht so. In Ying hat man
einen König eingesetzt. Wir müssen demnach mit dem neuen Könige
feilschen und sagen: Gibst du uns die unteren Länder des Ostens,
so werden wir für dich, o König, den Nachfolger tödten. Thust du
dies nicht, so werden wir mit den drei Königsländern in Gemein
schaft ihn einsetzen. — Auf diese Weise können die Länder des
Ostens gewiss erlangt werden.
Der König von Tsi theilte zuletzt die Ansichten seines Landes
gehilfen und liess den Nachfolger von Tsu heimkehren. In Tsu an
gekommen, ward der Nachfolger, dessen Name Hung , sofort
zum Könige eingesetzt. Derselbe heisst in der Geschichte König
^ J;Ü Khing-siang. Tsu meldete hierauf nach Thsin: Dank den
heiligen Wesenheiten unserer Landesgötter hat das Land bereits
einen König.
Thsin, welches den König Hoai zum Versprechen von Gebiets
abtretungen bewogen hatte, konnte das Land noch immer nicht er
halten, während Tsu den Versuchen von Thsin durch die Einsetzung
eines neuen Königs entgegenwirkte. Über diese Täuschung ergrimmt,
liess Tschao, König von Thsin, im ersten Jahre des Königs Khing-
siang (298 vor uns. Zeitr.) eine Kriegsmacht aus dem Durchwege
Wu heraustreten und Tsu angreifen, dessen Heer eine grosse
Niederlage erlitt. Thsin schlug fünfzigtausend Kriegern von Tsu
die Häupter ab und eroberte das Gebiet Si 1 ) nebst fünfzehn
festen Städten, worauf es den Rückzug antrat.
A ) Der Kreis Si befand sich in der späteren Landschaft Hung-nung. Die letztere,
das heutige floa-tscheu in Ling-pao enthaltend, umfasste das Gebiet des gleich-
128
m
Dr. P f i z m a i 9 r
Im zweiten Jahre des Königs Khing-siang (297 vor uns. Zeitr.)
entfloh der in Tlisin zurückgehaltene König Hoai aus seinem Auf
enthaltsorte und gedachte in sein Land zurückzukehren. Tlisin, wel
ches die Absicht des Königs erkannte, verlegte ihm den Weg nach
Tsu. König Hoai, für seine Sicherheit besorgt, floh auf Seitenwegen
nach Tsehao, wo er verlangte, dass*snanihm zur Heimkehr behilflich
sei. Der mit dem Namen „der Vorgesetzte Vater“ belegte eigent
liche König von Tsehao befand sich jedoch in Tai, während dessen
Sohn KönigHoei, der erst kürzlich zu seiner Würde erhoben worden
und die Geschäfte des Königs führte, Bedenken hatte und sich nicht
getraute, den König von Tsu in sein Land zurückzubringen. König
Hoai wollte hierauf nach Wei entfliehen, als jedoch die zu seiner
Verfolgung ausgeschickten Leute aus Tlisin eintrafen, übergab ihn
Tsehao an Tlisin und liess es geschehen, dass der König wieder nach
Tlisin zurückgeleitet wurde. Unmittelbar nach seiner Ankunft in
diesem Lande verfiel König Hoai in eine schwere Krankheit.
Im dritten Jahre des Königs Khing-siang (296 vor uns. Zeitr.)
starb König Hoai in Thsin. Dieses Land schickte den Leichnam
sammt dem Trauergefolge nach Tsu zurück. Die Bewohner von Tsu
bedauerten den König und waren schmerzlich bewegt wie bei dem
Tode ihrer nahen Verwandten. Die Lehensfürsten gaben bei diesem
Ereignisse Thsin Unrecht, und Thsin und Tsu sagten sich entschieden
von einander los.
Im sechsten Jahre des Königs Khing-siang (293 vor uns. Zeitr.)
richtete Pe-khi, Heerführer von Thsin, einen Angriff gegen das mit
Wei verbündete Han in I-kiue und erfocht einen grossen Sieg, wo
bei die Krieger von Thsin vierundzwanzigmal zehntausend feind
liche Häupter abschlugen. Thsin schickte hierauf an den König von
Tsu das folgende herausfordernde Schreiben : Tsu hat sich losge
sagt von Thsin. Thsin wird sich sofort stellen a-n die Spitze der
Fürsten der Lehen, angreifen Tsu und mit ihm streiten um den
Befehl eines Morgens. Wir wünschen, dass du, o König, ausrüstest
Kriegsmänner und Streiter, damit wir uns einmal erfreuen können
des Kampfes. — Dem Könige Khing-siang von Tsu bereitete dieses
Schreiben viele Sorge, und er ging mit dem Gedanken um, sich
namigen Flusses Hung-nung, der sich in den gelben Fluss unterhalb der grossen
Krümmung desselben ergiesst
129
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
mit Thsin wieder auszusöhnen. Im siebenten Jahre des Königs
Khing-siang (292 vor uns. Zeitr.) Hess Tsu eine Tochter des Hauses
Thsin durch ein Gefolge abholen, worauf der Friede zwischen Thsin
und Tsu nochmals zu Stande kam.
Im eilften Jahre des Königs Khing-siang (288 vor uns. Zeitr.)
legten die Könige von Tsi und Thsin sich die Benennung von All
haltern bei, entsagten jedoch schon nach einem Monate der Würde
von Allhaltern und nannten sich wir zuvor Könige. Im vierzehnten
Jahre seiner Lenkung (285 vor uns. Zeitr.) hatte König Khing-siang
von Tsu eine freundschaftliche Zusammenkunft mit Tschao, König
von Thsin, auf dem Gebiete Yuen , wo beide unter sich ein
enges Bündniss schlossen.
Im fünfzehnten Jahre seiner Lenkung (284 vor uns. Zeitr.)
hetheiligte sich König Khing-siang an dem von Thsin, den drei
Königsländern des früheren Tsin, ferner von Yen unternommenen
grossen Angriffe auf Tsi und eroberte das Land im Norden des
Flusses Hoai. Im sechzehnten Jahre seiner Lenkung (283 vor uns.
Zeitr.) hatte König Khing-siang eine zweite freundschaftliche Zu
sammenkunft mit dem Könige Tschao von Thsin auf dem Gebiete
■j|ß Yen. Noch in dem Herbste desselben Jahres hatte er eine
dritte Zusammenkunft mit diesem Könige auf dem Gebiete ||=|
Jang.
Tsu hatte in der letzten Zeit, obwohl mit Aufgebung eines
Theiles seiner Unabhängigkeit, die äussersten ihm von aussen dro
henden Gefahren zu vermeiden gewusst, als König Khing-siang im
achtzehnten Jahre seiner Lenkung (281 vor uns. Zeitr.) durch die
zwar neuhaften, aber im Hinblick auf die Verhältnisse sinnlosen
und mehr als unüberlegten Reden eines unbekannten Mannes sich
bewegen Hess, sein Verhalten zu Thsin gänzlich zu ändern.
In Tsu war ein Mann, der mit einem schwachen Bogen und
einer dünnen an den Pfeil befestigten Schnur geschickt nach den
heimziehenden wilden Gänsen zu schiessen verstand. König Khing-
siang, der von diesem Manne hörte, beschied ihn zu sich und rich
tete an ihn einige Fragen über dessen Kunst. Der Jägersmann gab
sogleich die folgende, von dem Gegenstände weit abspringende
Antwort: Ich, der kleine Diener, schiesse gerne kleine wilde Gänse
und Enten des Netzes. Das Absenden von kleinen Pfeilen, wie ver-
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. I. Hft. 9
130
Dr. Pfizmaier
diente es, dass es sei deine Art und Weise, o grosser König? Nennt
man ferner die Grösse von Tsu, so ist dasjenige, was es durch
deine Weisheit, o grosser König, mit Wurfpfeilen erhascht, nicht
gerade dieses.
Einst erhaschten die drei Könige mit Wurfpfeilen den Weg
und die Tugend. Die fünf Obergewaltigen erhaschten mit Wurfpfeilen
die kämpfenden Fürstenländer. Desswegen sind Thsin.Wei, Yen und
Tschao kleine wilde Gänse. Tsi, Lu, Han und Uei 1 ) sind grün
köpfige Vögel. Tseu 3 ), Pi*), Tan 4 ) und Pei 5 ) sind Enten des
Netzes. Was das Übrige in den auswärtigen Gebieten betrifft, so
verdient es nicht, dass man nach ihm die Pfeile entsendet. Siehst du
aber die sechs Paar Vögel 0 ), auf welche Weise wirst du, o König,
dich ihrer bemächtigen?
Warum machst du, o König, nicht die höchstweisen Männer zu
einem Bogen, die muthigen Kriegsmänner zu einer Pfeilschnur ?
Wenn du dann den Bogen spannst und schiessest, können diese
sechs Paare erlangt, hierauf eingesackt und in den Wagen geschafft
werden. Die Freude, welche du dann hättest, wäre nicht blos die
Freude eines Morgens und Abends. Die Beute, welche du machtest,
wäre nicht blos der Gewinn von Enten und wilden Gänsen.
Du spannst den Bogen am Morgen und schiessest nach dem
Süden von Ta-liang in Wei, du erreichst dessen rechten Arm und
heftest geraden Weges das Geschoss an Han, dann sind die Wege
des mittleren Landes zerrissen und die Landschaft des oberen
Tsai ist zusammengestürzt. Auf der Bückkehr schiessest du nach
/fc-
*) Das Fiirstenland Wei, dessen Namen der Verfasser liier zum Unterschiede
VOn Wei durch »Üei“ wiedergibt.
2 ) Tseu ist gleichbedeutend mitTschü, einem durch seine Kleinheit bekannten Nachbar
lande von Lu.
■ Pfl’
3 ) 'fif P‘> die Lehenstadt des Geschlechtes Ki von Lu, wird in der Geschichte
unter den selbstständigen Fürstenländern nicht angeführt.
4 ) Ta "i eil1 altes Fürstenland, wird in der Geschichte mehrmals erwähnt.
5 ) Das besonders in der späteren Geschichte oft genannte Gebiet 9 Pei war kein
selbstständiges Fürstenland.
6) Die sechs Paar Vögel sind die oben genannten zwölf Länder : Thsin, Wei. Yen,
Tschao, Tsi, Lu, Hau, Uei, Tseu, Pi, Tan und Pei.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
131
dem Osten von YiH). lösest das linke Armgelenk von Wei und
lassest nach aussen den Pfeil schlagen gegen Ting-tao, dann ist
der Osten von Wei nach aussen zurückgesetzt und das grosse Sung
ist in dem Augenblicke mit den zwei Landschaften aufgehoben. Wenn
ferner Wei abgeschnitten hat seine zwei Arme, so stürzt es kopf
über und ist verloren. Wenn du vor die Brust schlägst das Land
Tan, so kann Ta-liang gewonnen und behauptet werden.
Du, o König, schlingst die Pfeilschnur auf der Erdstufe der
Luftblume, tränkst die Pferde in dem westlichen Flusse, stellst zu
recht Ta-liang in Wei. Dies ist die Freude eines einmaligen Auf
bruches.
Wenn du, o König, das Erhaschen mit Wurfpfeilen wirklich
liebst und dessen nicht satt bist, so nimmst du hervor den kostbaren
Bogen, befestigst den Stein an die neue Pfeilschnur, schiessest den
geschnäbelten Vogel 3 ) an dem östlichen Meer, kehrst zurück über
Kai«) und machst die lange Mauer 4 ) zur Schutzwehr des Zielers.
Am Morgen schiessest du nach dem östlichen Kliiü, am Abend brichst
du auf von der Erdhöhe 5 ) Pei, in der Nacht erreichst du Tse-me,
blickst zurück und stützest dich auf die querlaufenden Wege, dann
ist das Land im Osten der langen Mauer zusammengerafft und
das Land im Norden des Thai-san ist weggenommen. Im Westen
verknüpfest du die Marken mit Tschao, aber im Norden dringst du
hindurch nach Yen. Wenn die drei Königsländer breiten die Flügel,
so kann der Anschluss, ohne dass du zu warten brauchtest auf das
Übereinkommen, zu Stande gebracht werden.
Du lustwandelst im Norden und wirfst das Auge auf Liao-tung
in Yen, aber im Süden besteigst du die Höhen und blickst in die
Yii gab es sowohl in Tschin-lieu als Lü-yang, Kreisen
*) Ein Gebiet Namens
von Ho-nan.
2 ) Ein Vogel mit einem grossen Schnabel. Unter diesem Ausdrucke soll, wie Einige
meinen, Tsi verstanden werden.
_l | ,
3 ) Kai war die sogenannte „untere Stadt“ von Tsi und befand sich in der
späteren Landschaft Thai-san.
4 ) Die lange Mauer von Tsi begann in dem späteren Kreise Jeg Lu, dem heutigen
Tschang-thsing in Thsi-nan, und erstreckte sich bis an das Meer.
5 ) Die Erdhöhen y§ Pei befand sich nordwestlich von der Hauptstadt des heutigen
Unterkreises Lin-thse, Kreis Tsing-tscheu in San-tung.
9*
132
Dr. Pfizmaicr
Ferne von dem Kuei-ki in Yue. Dies ist die Freude des nochmaligen
Aufbruches. Diese zwölf Lehensfürsten auf dem Gebiete des Sse,
mit der Linken schlingst du um sie die Schnur, mit der Rechten
streichst du über sie, so kannst du an einem einzigen Morgen mit
ihnen fertig werden.
Jetzt hatThsin zertrümmert Han und sich dadurch bereitet lang
wierigen Kummer. Es hat gewonnen eine Reihe von festen Städten
und wagt es nicht, sie zu vertheidigen. Es hat angegriffen Wei und
keine Tliaten verrichtet. Wenn es einen Schlag führt gegen Tschao
und Rücksicht nimmt auf das eigene Leiden, so ist die muthige Kraft
von Thsin und Wei gebrochen. Das alte Gebiet von Tsu, die Länder
Han-tschung, Si und Li i) können gewonnen und wieder besessen
werden.
Du, o König, nimmst hervor den kostbaren Rogen, befestigst
den Stein an eine neue Pfeilschnur, setzest über zu den Versper
rungen von Min ä) und wartest auf die Ermüdung von Thsin. Das
Land im Osten der Berge, das Land innerhalb des Flusses können
dann gewonnen und zu einem Ganzen vereinigt werden. Indess du
tröstest das Volk, Erholung verschaffst der Menge, hast du südwärts
gekehrt das Angesicht und nennst dich König.
In diesem Sinne wird gesagt: Thsin ist ein grosser Vogel, der
den Rücken gedeckt hat durch das, was innerhalb der Meere, wo
er sich aufhält, der das Angesicht gekehrt hat nach Osten, indess er
dasteht. Mit dem linken Arme stützt er sich auf den Westen und
Süden von Tschao. Den rechten Arm legt er auf Yen und Ying in Tsu.
Er schlägt vor die Brust Han und Wei, er dreht zurück das Haupt
nach dem mittleren Lande. Da ihm, wo er sich aufhält, die Gestalt
von Vortheil, hat er bei seiner Kraft den Nutzen des Bodens. Er
erhebt plötzlich die Flügel, schlägt mit den Fittigen, hat im Um
fange dreitausend Weglängen. Somit kann man es hinsichtlich
Thsin noch nicht dahin bringen, dass man es allein herbeiwinkt
und nächtlich mit dem Pfeile erlegt.
*) ' var ein Gebiet des heutigen zu Teng-tscheu gehörenden Nei-hiang,
in Ho-nan.
2 ) e[P|3 >Iin ,S ^ nac ^ Einigen Ming, d. i. das heutige Kiang-hia, in unmittel
barer Nähe der Hauptstadt des Kreises Wu-tschang in Hu-kuang.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
133
Der Jägersmann soll diese Antwort gegeben haben, um den
Zorn des Königs rege zu machen. König Siarig beschied ihn in
dessen ein zweites Mal zu sich und sprach mit ihm, bei welcher
Gelegenheit der Jägersmann Folgendes vorbrachte: Der frühere
König wurde durch Thsin betrogen und starb als Gast in der
Fremde. Der Hass, der hierdurch erregt ward, wird durch nichts
übertroffen. Wenn jetzt der gewöhnliche Mann einen Hass auf
etwas wirft, so kann er sich noch immer rächen an einer Macht von
zehntausend Wagen. Dies war der Fall bei dem Fürsten von Pe
und bei Tse-siü. Aber das Land von Tsu hat im Umfange fünf
tausend Weglängen. Diejenigen, die umgürtet mit Panzern, sind
hundertmal zehntausend. Sie sind noch immer hinreichend, um
Sprünge zu machen in der Mitte der Wildniss. Dass sie jedoch un-
thätig sitzen und in Verzweiflung gerathen, ich vermesse mich, da
für zu halten, dass du, o grosser König, dies nicht solltest über
dich nehmen.
Durch diese Worte bewogen, schickte König Khing-siang
Gesandte an die Lehensfürsten und erneuerte den Anschluss an
dieselben, indem er mit ihrer Hilfe Thsin anzugreifen gedachte.
Als Thsin dies erfuhr, entsandte es eine Kriegsmacht, welche zum
Angriffe auf Tsu heranrückte. Tsu war gesonnen, sich mit Tsi und
Han zu vereinigen und dem von Thsin drohenden Angriffe zuvorzu
kommen. Früher wollte es sich jedoch hei Tscheu Raths erholen.
Nan, König von Tscheu, schickte den Fürsten von Wu, einen
Urenkel des Königs Ting, als Gesandten nacli Tsu. Derselbe sagte
zu Tschao-hoei*), Landesgehilfen von Tsu: Dass die drei Fürsten
länder losgetrennt hätten das Land der fernen Umgebungen von
Tscheu, um bequem auf Wagen verladen zu können, dass sie nach
Süden geschafft hätten die Geräthe, um zu ehren Tsu, ich halte da
für, dass dem nicht so ist. Dadurch, dass man tödtet den gemein
schaftlichen Vorsteher 2 ), zum Diener macht den Gebieter, werden
die grossen Fürstenländer nicht befreundet. Indem man durch die
Mehrheit einschüchtert die Minderheit, werden die kleinen Fürsten-
*) Tschao-hoei wird sonst auch
Tschao-tse genannt.
2 ) + ztt Kung- - tschii „der gemeinschaftliche Vorsteher“ wird hier der König
—*—* ^ \
von Thsin genannt, weil Tscheu um diese Zeit bereits dem Hofe von Thsin
gehuldigt hatte.
134
Dr. P f i z m a i e r
länder nicht anhänglich. Wenn die grossen Pürstenländer nicht
befreundet, die kleinen Fürstenländer nicht anhänglich, kann man
nicht zu Wege bringen die Wirklichkeit des Namens. Wenn die
Wirklichkeit des Namens nicht erlangt wird, hat man keinen genü
genden Grund, Leid anzuthun dem Volke. Die Angabe, dass man
sich bei Tscheu Raths erholt, macht man nicht zum Feldruf.
Tschao-tse erwiederte: Dass wir uns bei Tscheu Raths erholen,
davon wollen wir abstehen. Aber dessen ungeachtet möchte ich
wissen, warum man sich bei Tscheu nicht Raths erholen kann.
Der Fürst von Wu gab Folgendes zur Antwort: Wenn das
Kriegsheer nicht fünfmal so stark, stürmt man keine Feste. Ist es
nicht zehnmal so stark, so schreitet man nicht zur Belagerung. Dass
dieses einzige Tscheu zwanzigmal so stark, ist dem Fürsten von
Tsin<) bewusst. Han wurde mit einer Menge von zwanzigmal zehn
tausend Streitern beschämt unter den Mauern von Tsin»). Die aus
erlesenen Kriegsmänner starben, die mittelmässigen Kriegsmänner
wurden verwundet, und Tsin ward nicht weggenommen. Der Fürst
hatte seine Kraft nicht angestrengt, und Han hatte sich Raths
erholt bei Tscheu. Dies ist der Welt bewusst.
Sich Hass zuziehen bei den beiden Tscheu, um zu befriedigen
den Sinn von Tseu und Lu, so dass zerrissen wird das Bündniss
mit Tsi und der Ruf verloren geht in der Welt, dies sind Dinge,
welche gefährlich. Dass, indem man in Gefahr bringt die beiden
Tscheu, um zu vergrössern das Land der drei Rinnsale und die
Gebiete jenseits des Fang-tsching 3 ), Han nothwendig schwach
werden sollte, woher könnte man wissen, dass dem so ist?
Von dem Lande des westlichen Tscheu sind die zerrissenen
Stellen lang, die ausgebesserten Stellen sind kurz, es hat im Um
fange nicht mehr als hundert Weglängen. Dem Namen nach ist es
die Welt, wenn aber der gemeinschaftliche Vorsteher zerstückeln
*) Das frühere Tsin war damals längst in die drei Königsländer Wei, Han und
Tschao getheilt. Der Himmelssohn als solcher kennt nur einen Pürsten von Tsin,
der unter den obwaltenden Umständen ein blosser Begriff ist.
2 ) Das mit Wei verbündete Han, welches in Thsin einzufallen gedachte, erlitt
durch) Pe-khi, Heerführer von Thsin, eine Niederlage auf dem Gebiete I-kiue
in dem früheren Tsin, und beide Länder verloren zweihundert vierzigtausend
Streiter, denen die Sieger die Häupter abschlugen.
3 ) Fang-tsching ist gleichbedeutend mit Tsching-fang, einem Gebirge im äussersten
Norden von Tsu.
135
*
Die Geschiehte des Königslandes Tsu.
wollte dessen Gebiet, so wäre dies nicht hinreichend, um fetter zu
machen sein Land. Erhielte er dessen Heeresmenge, so wäre dies
nicht hinreichend, um zu verstärken seine Kriegsmacht. Ohne dass
er ihn zu überfallen braucht, hätte er schon dem Namen nach
getödtet seinen Gebieter.
Dass aber unter den mit den Angelegenheiten gern sich befas
senden Gebietern, unter den an der Lenkung Freude findenden
Dienern, indess sie hervorschickten die Losung und Gebrauch mach-
ten von den Waffen, es noch keinen gegeben, dem nicht Tscheu
gegolten hätte als der Anfang und das Ende, woher kommt dies?
Sie sahen, dass die Geräthe der Darbringung noch vorhanden. Sie
wünschten, dass die Geräthe anlangen und dass es nicht gebe die
Zerrüttung durch den Mord der Gebieter. Jetzt sähe Han, dass die
Geräthe sich befinden in Tsu, ich fürchte, dass die Welt der Ge
räthe willen ein Feind werden wird zu Tsu.
Ich bitte, hier einen Vergleich anstellen zu dürfen. Wenn das
Fleisch des Tigers verfault und seine Haut von Nutzen für den Leib,
so fallen die Menschen noch immer über ihn her. Wollte man den
Büffel inmitten der Sümpfe^leiden in die Haut des Tigers, so wür
den Menschen über ihn herfallen gewiss zehntausendmal mehr als
über den Tiger. Zerstückelte man das Gebiet von Tsu, so würde
dies hinreichen, um fett zu machen das Fürstenland. Schaffte man
ab den Namen von Tsu, so würde dies hinreichen, um zu ehren
den Vorsteher.
Jetzt wirst du den Wunsch haben zu strafen den die Welt
verderbenden allgemeinen Vorsteher, zu weilen bei den durch die
drei Zeitalter einander hinterlassenen Geräthen, zu verschlingen die
drei Dreifüsse mit hohlen Füssen, die sechs Dreifüsse mit Flügeln
um zu erhöhen die Vorsteher des Zeitalters. Wenn dies keine Hab
gier ist, was ist es sonst?
Das Buch von Tscheu sagt: Du willst dich erheben ohne Vor
gänger. — Wenn daher die Geräthe nach Süden wandern, so kommt
die Kriegsmacht angezogen.
In Folge der von Tscheu ertheilten Antwort hielt es Tsu für
geräthen, von seinem Vorhaben abzustehen, und der Feldzug
1 ) D. i. inj Ganzen die neun Dreifüsse. Der Theil, der hier an dein Dreifüsse der
Flügel genannt wird, heisst sonst auch das Ohr,
136
Dr. Pfizmaier
gegen Thsin fand nicht Statt. Im neunzehnten Jahre des Königs
Khing-siang (280 vor uns. Zeitr.) unternahm indessen Thsin einen
Angriff auf Tsu, dessen Kriegsheer geschlagen wurde. Tsu trat
Schang-yung und das Land im Norden des Flusses Han an Thsin ah.
Im zwanzigsten Jahre des Königs Khing-siang (279 vor uns.
Zeitr.) entriss Pe-khi, Heerführer von Thsin, dem Königslande Tsu
das Gebiet [j^ |)tj Si-ling i). In dem einundzwanzigsten Jahre des
Königs Khing-siang (278 vor uns. Zeitr.) entriss Pe-khi dem Königs
lande Tsu dessen Hauptstadt Ying und verbrannte ^ I-ling 2 )
sammt den daselbst befindlichen Grabstätten der Könige von Tsu.
Die Kriegsmacht des Königs Khing-siang zerstreute sich und wagte
keinen weiteren Kampf. Der König selbst floh aus der Nähe seiner
Hauptstadt und besetzte die im Nordosten gelegene Feste von
Tschin. Im zweiundzwanzigsten Jahre des Königs Khing-siang (277
vor uns. Zeitr.) eroberte Thsin nochmals die Landschaften YVu und
Khien-tschung.
Im dreiundzwanzigsten Jahre seiner Lenkung (276 vor uns.
Zeitr.) sammelte König Khing-siang die gtreitkräfte seines östlichen
Gebietes bis zu einer Stärke von hunderttausend Kriegern. Mit dieser
Macht zog er wieder gegen Westen, eroberte fünfzehn an dem Ufer
des grossen Stromes gelegene, einst durch Thsin entrissene Städte
zurück und bildete aus ihnen eine Landschaft, die er gegen Thsin
vertheidigte.
Im siebenundzwanzigsten Jahre seiner Lenkung (272 vor
uns. Zeitr.) entsandte König Khing-siang dreissigtauserfd Krieger
seines Landes, welche sich als Hilfsmacht bei dem Angriffe der drei
Königsländer des früheren Tsin auf Yen beiheiligten. Zugleich
schloss er wieder Friede mit Thsin und stellte diesem Lande seinen
zur Nachfolge bestimmten Sohn als Geisel. Der König ernannte
Hoang-hö, den Genossen seiner Umgebung zur Linken,
zum Gesellschafter des Nachfolgers in Thsin.
Im sechsunddreissigsten Jahre seiner Lenkung (263 vor uns.
Zeitr.) erkrankte König Khing-siang, auf welche Nachricht der zur
Nachfolge bestimmte Sohn aus Thsin entfloh und nach Tsu zurück-
*) Dasselbe ist ein Th eil des heutigen Kiang-hia nächst Wu-tschang in Hu-kuang.
2 ) Die Hauptstadt des heutigen Kreises i-tschang in Ilu-kuang.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
137
kehrte. König Khing-siang starb im Herbste desselben Jahres und
hatte zum Nachfolger seinen bisher als Geisel in Thsin zurückgehal
tenen Sohn 7t itlj Hiung-yuen. Derselbe heisst in der Geschichte
König -yhj Khao-lie. Dieser König ernannte Hoang-hö, den Ge
nossen der Umgebung der Linken, zum Landesgehilfen, belehnte ihn
mit dem Gebiete des Landes U und verlieb ihm den Ehrennamen
eines Landesfürsten von
Tschün-schin.
Im ersten Jahre seiner Lenkung (262 vor uns. Zeitr.) überliess
König Khao-lie das Gebiet Tscheu 0 än Thsin und schloss mit
diesem Lande Frieden. Tsu, welches bereits seine westlichen Ge-
bietstheile sammt der alten Hauptstadt verloren hatte, war um diese
Zeit in bedeutende Schwäche versunken.
Im sechsten Jahre des Königs Khao-lie (267 vor uns. Zeitr.)
schritt Thsin zur Belagerung von Han-tan, der Hauptstadt von
Tscliao. Dieses Königsland begehrte Hilfe von Tsu, welches den
Heerführer jsj- King-yang zur Rettung von Tscliao aussandte.
Im siebenten Jahre des Königs Khao-lie (266 vor uns. Zeitr.) er
reichten das Heer von Tsu und die ebenfalls ausgesandte Hilfsmacht
von Wei die im Süden von Han-tan gelegene Stadt [J] Sin-
tschungs), wo sie mit dem Heere von Thsin zusammentrafen und
dasselbe schlugen. Thsin war gezwungen, sich von Han-tan zurück
zuziehen.
Tsu suchte übrigens in dem Masse, als es im Westen vor
Thsin zurückwich, sich durch Aneignung von Land im Osten und
Norden zu entschädigen. Als augenfällige Bestrebungen in diesem
Sinne sind schon früher die Einverleibungen des ehemaligen U, des
Landes im Norden des Hoai und des Fürstenlandes Khiü vorgekom
men. Im achten Jahre des Königs Khao-lie (256 vor uns. Zeitr.)
unternahm Tsu einen Angriff auf Lu, eroberte das Land und belehnte
dessen Fürsten mit Khiü.
Im zwölften Jahre des Königs Khao-lie (261 vor uns. Zeitr.)
starb König Tscliao von Thsin. Der König von Tsu entsandte den
*) Dasselbe wird für das
spätere
iS #1
Tscheu-liiiß*
gehalten, welches sich
östlich von dem heutigen Kien-li, Kreis King-tscheu in Hu-kuang, befand.
2 ) Diese Stadt befand sich in der Nähe' der Hauptstadt des heutigen Kreises
Tsehang-te in Ho-nan.
138
Di*. Pfizmaier
Landesfürsten von Tscliün-schin mit dem Aufträge, in Thsin um
den Verstorbenen zu klagen und den Geistern Gaben zu reichen.
Im vierzehnten Jahre des Königs Khao-Iie (249 vor uns. Zeitr.)
vernichtete Tsu vollständig das Fürsfenland Lu, indem es Kliing,
den letzten Fürsten dieses Landes, nach 0 ~jv Hia-yl übersiedeln
hiess und ihn zu einem Hausgenossen des Königs von Tsu herab
setzte.
Im sechzehnten Jahre des Königs Khao-Iie (247 vor uns.
Zeitr.) starb Tschuang-sinng, König von Thsin, und hatte zum Nach
folger seinen Sohn Tschao-tsching, den späteren Allhalter
des Anfangs. Im zweiundzwanzigsten Jahre des Königs Khao-Iie
(241 vor uns. Zeitr.) unternahm Tsu in Gemeinschaft mit vier an
deren Königsländern einen neuen Angriff auf Thsin. Dieser Angriff
blieb erfolglos und endete mit dem Rückzuge der verbündetenlleere
aus Thsin. Der König von Tsu verlegte hierauf seinen Wohnsitz
nach dem im Osten gelegenen 'iiji Scheu-tschün i), welches
zur Hauptstadt des Landes bestimmt wurde und ebenfalls den Namen
Ying erhielt.
König Khao-Iie starb im fünfundzwanzigsten Jahre seiner Len
kung (238 vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen Sohn
Han, genannt König |^| Yeu. Aus Anlass dieses Ereignisses
ward der Landesfürst von Tschün-schin durch seinen Hausgenossen
Li-yuen getödtet. Im dritten Jahre des Königs Yeu (233
vor uns. Zeitr.) richteten Thsin und Wei einen Angriff gegen Tsu
und starb Liü-pü-wei, Landesgehilfe von Thsin. Im neunten Jahre
des Königs Yeu (229 vor uns. Zeitr.) vernichtete Thsin das Königs
land Han.
König Yeu starb im zehnten Jahre seiner Lenkung (228 vor
uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen leiblichen jüngeren
Bruder |j|j' Yeu. Derselbe heisst in der Geschichte König
Ngai. Dieser König war erst zwei Monate eingesetzt, als die Genossen
seines unberechtigten älteren Bruders 'H Fu-tbsu ihn über
fielen und tödteten, worauf der genannte Sohn Fu-thsu zum Könige
erhoben ward. In demselben Jahre, als sich dies ereignete, machte
Thsin den König Tsien von Tschao zum Gefangenen.
*} Das heutige Scheu-tscheu, Kreis Fung-yang in Kiang-nan.
Die Geschichte des Königslandes Tsu.
139
Im ersten Jahre des Königs Fu-thsu (227 vor uns. Zeitr.)
schickte Tan, Königssohn von Yen, den Kriegsmann King-fcho als
Gesandten nach Thsin mit dem Aufträge, den König dieses Landes
zu erstechen. Im zweiten Jahre des Königs Fu-thsu (226 vor. uns.
Zeitr.) entsandte Thsin den Heerführer llf T Wang-pün zum
Angriffe auf Tsu. Dieser Heerführer brachte der Kriegsmacht von
Tsu eine grosse Niederlage bei und eroberte zehn feste Städte
dieses Landes. Im dritten Jahre des Königs Fu-thsu (22S vor uns.
Zeitr.) vernichtete Thsin das Königsland Wei.
Im vierten Jahre des Königs Fu-thsu (224 vor uns. Zeitr.)
schlug fjlj, T Wang-thsien, Heerführer von Thsin, das Heer von
Tsu auf dem Gebiete Khi, während Hiang-yen, der
Oberbefehlshaber des Heeres von Tsu, in dem Kampfe fiel. Im fünf
ten Jahre des Königs Fu-thsu (223 vor uns. Zeitr.) eroberten
Wang-thsien und Mung-wu, Heerführer von Thsin, das
gesammte noch übrige Gebiet von Tsu, nahmen den König Fu-thsu
gefangen und vernichteten das Königsland Tsu, welches in eine
Landschaft von Thsin mit dem Namen „Landschaft Tsu“ verwandelt
wurde.
SITZUNG VOM 21. OCTOBER 1863.
Herr v. Karajan zeigt als Referent der historischen Commis
sion an, dass derselben die nachstehenden Aufsätze zugesandt wor
den seien.
a) Regesta documentorum quae ut Germaniae universae
austriaci imperii praesertim historiam illustrant. Ex codicibu
manuscriptis Bibliothecae palatinae D. Marci Venet. contulit Jose-
phus Valentinelli. Pas prima, a remotiori aeyo ad Maximili-
anum I.
b) Auszug aus Maximilian’s II. Copeybuch vom Jahre 1465.
Mitgetheilt von Herrn Professor Ritter v. Perger.
Die Geten und ihre Nachb am.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 10. Juni. 1863.)
Von Dr. E. Rocslcr.
Die treffliche Geschichtschreibung des westlichen Europa hat
sich von jeher der Aufhellung und Darstellung der Begebenheiten
und Zeiten in jenen Ländern zugewendet, in welchen die Cultur
bedeutungsvolle Phasen durchlief, in welchen Fortschritt und Ent
wickelung der Gesellschaft das höchste menschliche Interesse in
Anspruch nehmen können. Der Mensch ist dem Menschen das anzie
hendste Object; aber nur der Mensch des Fortschrittes. Und so blieb
billig die Geschichte gewisser östlicher Gegenden in Europa minder
beachtet und entbehrte der emsigen Mühe wiederholter Unter-
Die Geten und ihre Nachbarn.
141
suchungen, weil sie jenen einzigen Reiz vorschreitender Entwickelung,
sowie die dramatische Bewegung, welche grosse Leidenschaften und
bedeutsame Ideenconflicte auszeichnet, selten oder niemals vor Augen
stellt. Sie entbehrt wohl nicht des Wechsels und der Veränderung,
aber es gibt Veränderungen, welche uns gleichgiltig sind, weil sie
der Geist nicht bestimmte, weil sie nur der Namen Last vermehren,
ohne der Einsicht ein neues Licht zu entzünden, und der Phantasie
neuen Schwung zu gewähren. Von diesem wenig lehrreichen Cha
rakter ist vieles in der Geschichte der unteren Donauländer. Land
und Geschichte sind Verwandle. Die Steppe vermisst die Anmuth
mannigfaltiger Vegetation, ihre Geschichte individuelle Gestaltung,
sie ist endlos einförmig wie der Boden. Die Physiognomie der Land
schaft besteht in dem Mangel alles Physiognomischen, jenes kleinen
Details der Umgebung, das von Ort zu Ort ein anderes ist und von
der Unendlichkeit möglicher Verbindungen von Wald und Berg,
Fels und Wasser, und dem ganzen unbeschreiblichen Vielerlei des
Reliefs abhängt. In solcher Leere des Umkreises, wo die schwei
fenden Vorstellungen keine Grenzen, die irrende Phantasie keine
Ruhepuncte, das Gedächtniss keine Stätten findet, an die es sich
hefte, fehlt auch die historische Sage, und Klio liebt die Pfade
nicht, welche diese ihre Mutter nicht früher weihte. Nicht ohne
tiefere Bedeutung sterben die Helden des deutschen Liedes im Etzel
lande und die Sage verstummt über ihren Leichen im fremden, öden
Boden. Zwar unterbrechen bewegtere, lebensfähigere Gestal
tungen den erwähnten Typus des Landes; Hoch- und Bergland sind
in dem Donaubecken noch mächtig repräsentirt; Asien ragt
nur nach Europa herein, noch ist es nicht Asien selbst. Derart hat
das Gebirge das Loos der Fläche gemildert, die Herrschaft der
Steppe eingeschränkt, und ihm geschichtliche Bedeutung verliehen.
Dennoch ist dem Westen Europas gegenüber sein Osten wenig in
Gleichgewicht. Nur zu häufig haftet ihm ein barbarisches Wesen
an, im Alterthum wie im Mittelalter. In unserem Erdtheile geht das
Licht im Westen auf und im Osten unter. Besonders dunkel aber
erscheinen die Zustände des unteren Donaubeckens und seiner Berg
umgebungen nördlich und südlich während des Alterthums, dessen
Schicksale ja meist um das weite Mittelmeer sich entwickeln, und
das mit der dem Südländer angebornen Art den Norden perhorres-
cirte und seinen Fuss nur mit Zagen seihst in solche Länder setzte,
142
Di*. E. R o e s 1 e r
die wir als mitteleuropäische einem viel nördlicheren und doch jetzt
so wohnlichen Norden entgegenstellcn. So datiren unsere kargen
Geschichtsvorstellungen auf dem angedeuteten Gebiete höchstens
ein halbes Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung
Herodot’s reiche Umfrage an den pontischen Gestaden Hess
ihn auch über die unbekannten, unbesuchten Hinterländer der
unteren Donau einige Berichte gewinnen. Damals wohnten an
dem Flusse Maris, in dem man mit grösster Wahrscheinlichkeit
die Maros Siebenbürgens wiedererkennt, die Agathyrsen 2 ). Ihr
Haar ist dunkel, stahlblau 3 ); sie unterwarfen Gesicht und Leiber
einer Tättowirung 4 ), die für sie besonderen Werth haben musste, da
1) Das Unbedachte und Kritiklose früherer Darstellungen , welche die Hyperboreer
nach Siebenbürgen setzen, findet man erwähnt und gegeisselt bei Schüller, Sieben
bürgen vor Herodot, und in dessen Zeitalter: Archiv für Kunde österr. Geschichts
quellen, XIV. Bd. S. 97 ff.
2 ) Herodot IV, 48. Vgl. Heeren, Idee II, 273. Männert, Geographie IV, 113 und
Schüller a. a. 0. Ukert (Geographie III, 602) spricht seine. Ungewissheit aus, ob
Herodot die'Agathyrsen sich in Siebenbürgen dachte. „Ob er ihr Land als ein Berg
land ansah, ist zweifelhaft.“ Völlig anderer, keineswegs beifallswürdiger Ansicht ist
Reichard in Kleine geogr. Schriften, Giins 1836, der den Maris Herodot’s für die
March erklärt.
Herodot lässt die Maros in die Donau fliessen (<7V{j.u.i(7 c jETca rqi "larpw).
Ebenso in viel unterrichteter Zeit noch Strabo (VII, 304, pet MaptJog 7r&rap.Ö£
zig röv Aavouiov). Hingegen wird die Theiss von beiden nicht erwähnt. Ich möchte
daher in dieser Angabe nicht Unwissenheit erblicken, sondern bin zur Vermuthung
geneigt, dass man im Alterthume die Maros wirklich lange für den Hauptfluss, und
denjenigen Theil des Flusslaufes zwischen Szegedin und Titel, welcher später und
jetzt den Namen Theiss führt, damals für die Fortsetzung der Maros hielt. Sträubt
man sich gegen diese Annahme etwa wegen der auffälligen Krümmung, welche der
Strom bei Szegedin macht und deutlich die Theiss als das Hauptgewässer, die Maros
als den einfallenden Nebenfluss erscheinen lasse? Begegnen uns Neueren denn nicht
ähnliche geographische Verkennungen. Man denke z. B. an Saune und Rhone,
Moldau und Elbe. In beiden Fällen übernimmt der geringfügigere Nebenfluss,
welcher unter rechtem Winkel einmündet und fernab floss von der Hauptrichtung
des Flussthaies , von da an die Hauptrolle und gibt den Gewässern den ferneren
Namen, obwohl er augenscheinlich seine Richtung und Selbstständigkeit einbüsst.
— Und die Wasser der Theiss folgen sogar eine Zeit lang dem heftigen Stosse der
Märosflulhen und theilen ihre Richtung nach Westen, bis sie doch das Übergewicht
erlangen — ein Umstand, der vielleicht den Schein ein wenig begünstigte.
3 ) Plin. hist. nat. IV, 26, 88 caeruleo capillo Agathyrsi.
4 ) P. Melall, i. Agathyrsi ora artusque pingunt, ut quisque maioribus praestat, ita
magis vel minus; ceterum iisdem omnes notis et sic ut ablui nequcant. Virgil. Aen.
IV, 146 und Rriscian. Perieg. v. 302 picti Agathyrsi und Ammian XXXI, 2, 14:
Gelonis Agathyrsi collimitant; interstincti colore caeruleo corpora simul et crines :
et humiles quidem minutis atque raris, nobiles vero latis fucalis et densioribus, noti.
Die Geten und ihre Nachbarn.
143
deren unverlöschbare Lineamente, nach Rang und Alter stufenweise
sich mehrend, wie ein inseparabler Stammbaum oder unverlierbarer
Pass dienten. Üppig war ibr Leben, und gerne erschienen sie in-
Goldschmuck 5 ); kostbare Steine waren ihnen bekannt. Ihre Ge
setze fassten sie in Lieder und überlieferten sie durch Gesang 6 ).
In der Geschichte erscheinen sie nur einmal bei einem bedeutenden
Ereignisse; darauf fristen sie wesenlos ein blosses Namenleben in
den dürren Compendien einiger Geographen.
König Darius I. richtete die furchtbaren Waffen der ersten
Monarchie jener Zeit auch gegen das Volk der Scythen, die selbst
in ihrer weiten Ferne dem mächtigen Arme des Persers nicht un
erreichbar schienen. Gegen seine schreckhaften Rüstungen sucht
der Scythe Schutz in einer Allianz mit verwandten und benachbar
ten Stämmen. Die Könige der Taurier, der Agathyrsen, der Neurer,
der Androphagen, der Geloner u. s. w. kommen zu solchem Zwecke
zu einer Rerathung zusammen 7 ). Lauter verschollene Namen und
deren Physiognomien nur hie und da Herodot mit einigen skizzen
haften Strichen seines ethnographischen Pinsels für uns zu zeichnen
unternimmt. Wir copiren ihm jene nicht, sondern treten in das
Rathzelt der Wilden und Halbwilden. Da erfahren diese aus scythi-
schem Munde, welcher Feind ihren unwirtlichen Grenzen nahe,
wie er das grosse Werk, zwei gewaltige Drücken zu schlagen, aus
geführt, und viele Völker schon unter seine Fiisse getreten. Man
stellte ihnen vor, dass die Gefahr, welche den Scythen drohe, die
Gefahr persischer Unterjochung, auch über ihren Häuptern schwebe.
„Unsere Unterwerfung“, ruft der Scythe, „wird dem Perser nicht
genügen. Dafür habt ihr darin einen gründlichen Beweis. Wenn
der Perser gegen uns allein zu Felde zöge, so müsste er mit Ver
schonung aller Übrigen auf unser Land losgehen und würde es
auch in Worten kundthun, er rücke gegen die Scythen, gegen die
5 ) Herod.IV, 184 ’A-juBvpaoi Ss üßp&ruroiävSpis kaixcd y^pvaotpöpoi r« piXtcra
Vg-1. Dionysius Perieg. v. 317 und ihm folgt Priscian. Perieg. 309 IIos adamanla
legunt iuxta fortes Agathyrsi.
6 ) Aristotel, Problem. XIX, 28 Ata rt v6[J.ot xaXoövrat oi)$ a&oudiv,* y) ort nrptv
£?:u7ra<73at 7pap.(xara tfdov rovg v6[xovg, oxug eVriXa^covrat, tiaxep sv
’A^äSupaoig IVt stw^act.
7 ) Herod. IV, 102.
144
Dr. E. R o e s I e r
Übrigen aber nicht. Nun hat er aber kaum unser Festland betreten
und schon knechtet er Alle, die ihm in den Weg kommen, hat alle
’Thracier in Unterwürfigkeit gebracht und auch unseren Nachbarn,
den Geten, so gethan“ s ). Das scythische Interesse konnte nicht
besser vertreten werden , als durch diese Rede , welche die Lage
der Dinge verständig in’s Licht setzte. Auch leuchtete dieses meh
reren der Versammelten ein und sie entschlossen sich zu dem
gewünschten Vertheidigungsbunde. Aber Andere, darunter der
Agathyrsenkönig, meinten mit der Neutralität eben so sicher zu
fahren, warfen den Scythen den Vorwurf an den Kopf, durch frü
here Beleidigungen gegen die Perser den drohenden Krieg sich
selbst zugezogen zu haben, erklärten es für Unrecht, als Nicht
beleidigte sich in einen Krieg zu stürzen und proclamirten den Ent
schluss, zu warten, bis der Perser sie angriffe 9 ).
Für die Agathyrsen rechtfertigte sich diese Politik durch die
Bergummauerung ihres Landes; die^e mochte der Hauptantrieb
sein, sich auch ohne Krieg furchtlos für sicher zu halten; ob ihre
Parteigenossen auch so feste Gewähren für sich hätten anführen
können, ist nicht zu untersuchen. Bekannt ist, welch 1 glückliche
Defensive das nomadische Scythenvolk ergriff, als es sich des Armes
so vieler Bundesvölker beraubt sah: Verwüstung des Landes durch
eigene schonungslose Hand und steter Rückzug waren ihre starken,
dem Terrain ihrer endlosen Ebenen vorzüglich angepassten Schutz
waffen. Als sie auf diesem Rückzuge mit ihren gleichfalls aufge
scheuchten Bijhdesfreunden ari’s agathyrsische Gebiet kamen und
Miene machten, ihre Flucht auch auf dieses zu spielen, hielten die
Agathyrsen ihre Neutralität bewaffnet aufrecht. Ein Herold ver
kündete den Anrückenden den Entschluss, die Scythen durchaus
nicht in ihre Grenzen einlassen zu wollen, und die That folgte auf
dem Fusse. Sie marschirten an die Grenzen, auf Alles gefasst. Die
flüchtigen Nomaden vermieden den unter ihren Umständen doppelt
gefährlichen Kampf und zogen seitwärts 10 ). Auch die Perser be
traten ihr Land nicht.
Der Erzähler der mitgetheilten Vorgänge gibt den Agathyrsen,
diesem ältesten Bewohnerstamme Siebenbürgens, gleiche Abstam-
8) Herrn!. IV, 118.
«) Herod. IV. 119.
io) Herod. IV, 123,
Die Geten und ihre Nachbarn. 145
iming mit den Scythen, einem .mongolischen Volke, und er berichtet
Sitten von ihnen, die auffallend nichtscythisch sind.
Merkwürdig ist dieMythe, welche uns diese Verwandtschaft der
Agathyrsen und Scythen lebendig verkörpert n). Herakles, jener
wandernde Proteus dreier Welttheile, erscheint auch im Scythenlande
und reicht einem Weilie, oder besser gesagt, einem unförmlichen
Misch- und Zwitterwesen von Weib und Schlange auf ihre Auffor
derung zu kurzem Ehebunde die Hand. Wohl that er es nur durch
die Nothwendigkeit gezwungen, denn seine Pferde waren ihm, wäh
rend er schlief, verschwunden und jenes nordische Phantom, das
sie bei Seite gebracht hatte, versprach sie ihm nur unter der ge
nannten Bedingung wiederzugeben. Dieser Zwangehe entsprangen
drei Söhne. Doch als Herakles die entbehrten Pferde wieder hatte,
nahm er schnell Abschied und hinterliess dem Zwitter, das die Herr
schaft über weite Landschaften besass, den Auftrag: Wenn die Kna
ben gross sind, so thue also: Wer von ihnen diesen Bogen also
spannen und mit diesem Gürtel sich auf diese Art gürten kann, den
lass wohnen in diesem Lande; wer aber diesen Thaten nicht ge
wachsen ist, den schicke aus ihm fort. Nachdem er den gewaltigen
Bogen und Gürtel übergehen, zog er von dannen. Die Mutter
aber benannte ihre Söhne, den einen Agatliyrsos, den andern Ge-
lorios und den jüngsten Skythes ; und später that sie nach Herakles
Befehle. Die beiden älteren aber waren nicht im Stande, die ver
langten Werke auszuführen, und mussten das Land verlassen, der
jüngste vollbrachte vaterwürdig das Geheissene und bekam die
Herrschaft im Lande. Von diesem Skythes aber stammen die scythi-
sehen Könige ab. Diese Sage beweist, dass den pontischen Griechen,
welche sie erzählten 12 ), vielleicht auch in’s Leben riefen,, Aga
thyrsen und Scythen als verwandt galten; doch ob sie es in der
That waren? Die Ersteren halten Weibergemeinschaft, damit alle
als Brüder und Schwestern einander sich betrachteten und neid
end hasslos ihr Dasein führten 1S ). Diese Sitte steht in grellem Ab-
*!) Herod. IV, 9, 10.
12 ) Herod. IV, 8. SxySat piv u>Ö; uirsp ays'ji-J re aOreöv xal rvjj X^^ ^
xxruizspüe Xe-youenv. 'EXVövwv ös oi röv rtovrov otxsovrsg oiös.
,3 ) Herod. IV, 104.
SiUb. d. phil-hi.st. CI. XLIV. Rd. I. Ilft.
10
14()
Dr. E. R o e s l e r
stich zur scythischen strengen Ahschliessnng der Frauen i 4 ). Auch
der Goldreichthum, dessen sich die Agathyrsen erfreuen, könnte
als ein Gewinn ihrer Arbeit in den siebenbürgischen Bergen und
Flüssen betrachtet werden * 5 ) und deutete dann auf Sesshaftigkeit
der Bewohner; aber die scythischen Nachbaren waren Nomaden:
gewiss einiger Anlass die Agathyrsen nicht so leicht in den Kreis
der scythischen Nomadenstämme einzuschliessen 16 ). Auch führt sie
Herodot unter diesen ausdrücklich niemals auf 17 ).
Wenn aber die Frage sich darauf richtet, ihre Nationalität sonst
zu bestimmen, so beginnt das weite Reich mannigfaltiger Hypothesen.
Herodot's Bemerkung, dass dieses Volk in vielem thracische Sitten
zeige, ist schätzbar, und ein oft ergriffener Halt für Neuere ge
wesen 1S ). Aber genügt dieser? Niebuhr hat sich ihm anvertraut
und erklärt die Agathyrsen für die Daker selbst 19 ). Ein anderer
meint, „die Agathyrsen könnten als einer jener keltischen Stämme
angesehen werden, welche bei dem Vordringen der Kelten gegen
Westen zurückgeblieben wären, um in einem an Producten aller
Naturreiche gesegneten Lande ungefähr zu derselben Zeit eine
selbständige und für ihre nächste scythische Umgebung ziemlich
auffallende Culturstufe zu erreichen, in die auch die Blüthe der kel
tischen Macht in Gallien gesetzt wird 20 ). Die Vermulhung ist an
nehmbar, aber wer gibt ihr Begründung? Der Name des räthsel-
haften Volkes verschwindet aus der Geschichte, in die sie kaum sich
eingeschlichen, und keine Fackel leuchtet uns auf deren ferneren
Pfaden. Sie sind hier, sie sind dort 21 )- Fünf Jahrhunderte später,
14 ) Neumann, die Hellenen im Skythenlande I, 299. Pallas berichtet von den Mongolen.
dass die meisten Mädchen hei ihnen vor ihrer Verheirathung wohl vertrauliche Ver
hältnisse unterhalten, aber strenger Aufsicht in der Ehe anheimfielen.
15 ) Humboldt, Central-Asien I, 249.
16 ) Neumann a. a. 0. I, 202 ist derselben Ansicht. Dessgleiehen, von ihm unabhängig,
Friedr. Müller im siebenbürg. Archiv 1848, S. 361. — Anders Grimm, Geschichte
der deutschen Sprache, 122.
17 ) Neumann a. a. 0.
48 ) Herod. IV, 104 ra ä'aXXa vo'p.ata 0pvji,‘£i Tzpoaxey^oipyjxafft.
19 ) Kleine Schriften I, 377.
20 ) Fried. Müller a. a. 0.
21) Mela (II, 1) verweist sie in das Innere Scythiens , ebenso Plinius; (h. n. IV, 26)
Ammian setzt sie an die Mäotis (XXII, 8, 30 und XXXI, 2, 14), Vibius (34) nennt
sie allgemein europäische Scythen. Tzetzes (Chil. VIII, 222) endlich verlegt sie
zwischen den Aparktias und Boreas, welche ich nicht für geographische Wirklich-
Die Getön und ihre Nachbarn.
147
als sie an der Maros wohnten, finden wir ihre Spuren nördlich der
Karpathen 3S ), an einem zweifelhaften Flusse Chesynos 23 ). Niehls
in unserem kargen Notizenvorrath berechtigt uns dazu, an dieser
Wanderung nach Norden, sei sie nun freiwillig oder unfreiwillig
erfolgt, zu zweifeln. Aber wann und aus welchen Ursachen geschah
sie? Nirgend finden wir die wünschenswerthe Gewissheit, die uns
von der schweren Luft der Hypothesen befreite 2i ).
Wenn uns die bergigen Landschaften Siebenbürgens im Besitze
eines Yolkes erschienen, über dessen Zustande und Verbreitung
wir nur so ungenügende Aufschlüsse zu geben vermochten, so
keiten, sondern für unbestimmte Angaben der Lage im hoben Norden halten kann.
Auffällig ist gegenüber diesen und anderen Bemerkungen die Notiz bei Suidas s. v.
'A^uSvpGoi. sSrJog ivdozipo) roö Al'[j.ov, *
22 ) Ptolem. III, 5. Eircc Kapßoivsg apxrtxwraroi. avaroXtxwrspot Kaps&rat.
xal 2aXoi. ö<p 1 ovg ’AyaSvpaoi.
83 ) Marcian. Heracleens. in Müller fragm. histor. Graec. I, 659 Ilapotxoöö't rdv Xeffuvov
Trora/jLÖv oi ’A^&SovpGoi ro sSvog vvjg sv Evpojxy 2app.arta$ ovrsg. Männert
Geogr. IV, 255 hält ihn für die Düna.
24 ) Safank lässt sie um das Jahr 332 durch die keltischen Bastarner aus ihren Wohn
sitzen vertreiben (Slav. Alterthümer, deutsch von Ährenfeld I, 473—476). Vergl.
dagegen Männert a. a. 0. Nichts kann unsicherer sein und mehr der überzeugenden
Kraft entbehren als Etymologien verstümmelter und traiisformirter Wörter aus
untergegangenen Sprachen. Und wie Herodot barbarische Namen veränderte, zeigt
an den scythischen Neumann (dieHellenen imScythenlande). Der scythische Königs
name Idan-thyrsos theilt die zweite Hälfte mit Aga-thyrsos, und dem scythischen
Namen Sparga-peithes steht auf agathyrsischer Seite der ähnliche Aria-peithes
gegenüber (Herod. IV, 78). Versuche nun wer will seinen Scharfsinn an der Chemie
dieser Sprachreste. Vgl. Zeuss278. Echt griechisch ist die Art der Auslegung des Wortes
Agathyrsen arrd roö 'HpaxXsous vj hg YlsiGOLvdpog airo r&v SupGOiv
roö Alovvgov. Suidas a.a.O. Aber noch viel drolliger erscheint mir die Vermuthung
jenes modernen Reisenden (Paget), der dieselben für Stammväter der Schotten hält
— wegen Ähnlichkeit der romänisehen Tracht im Hätszeger Thale mit der schotti
schen ! Vgl. übrigens noch Ukert, Geographie III, 2. — Grimm, Geschichte d. d. Sprache
122. — Schüller a. a. 0. S. 99, Anmerkung 4 und S. 106. Auch dieser Forscher ist
geneigt, die Agathyrsen für Kelten zu erklären. „Wir haben in dem Sinne der
alten Geographie Siebenbürgen zum Keltenlande zu rechnen und die Agathyrsen für,
einen östlichen Zweig des weit über Europa ausgebreit«ten Keltenstammes zu halten.
Denn daraus, dass Herodot ihnen thracische Gebräuche zuschreibt, kann schlechter
dings nicht geschlossen werden, dass er sie für Thraker gehalten habe. So haben
ja nach ihm die Androphagen scythische Sitten, aber eine eigene Sprache“. Der Ver
fasser hätte zur Unterstützung seiner Hypothese eine seltsame Erwähnung bei Ste
phanus herbeiziehen können: Tpavffol, ttoXic KeXrwv. v E3vog, ovg oi V EXXv?V££
’A'ya^öpa’ouc o'jou.gl^ovgl.
10 *
148
Dr. E. R o e s I e r
erfaliren wir, dass in dem Tieflande, welches jenen Gebii'gswällen
ost-lind südwärts vorgelagert ist, das Nachbarvolk derSoythen seine
beweglichen Wohnsitze aufschlug und den Reicbthum seiner Heerden
weidete. Wenigstens gehen alle Anzeichen dahin 25 ), dass die
Sigynnen, ein Zweig jenes vielgenannten Voiksstammes der alten
Geschichte, dessen Kern nördlich des inäotischen Sees zu suchen ist,
auch in der walacliischen Ebene sein nomadisches Treiben führte,
welche von jeher solche Lebensweise sehr begünstigte a6 ).
Gewiss bildeten dann die engen Donaupforten hei dem jetzigen
Orsova die westliche Grenze. Gegen Südost scheint der Fluss kein
Memmniss gegen weiteres Schweifen gewesen zu sein; die schma
leren Mündungsarme der Donau leiteten in das Delta, dessen Cha
rakter dem Hirtenleben auch nicht abhold ist a7 ), und selbst jene in
alter und neuer Zeit verrufene Landschaft zwischen der nordwärts
fliessenden Donau und dem Meere, welche jetzt Dobrudscha heisst,
war von scythischen Wanderhorden durchzogen und von dem ein
förmigen Geschrei ihrer Heerden wild belebt. Ging man etwas west
licher in der Gegend zwischen den Flüssen Isker und Jantra über
die Donau, so traf man am rechten Ufer, landeinwärts, schon eines
der zahlreichen thracischen Völker und deren ruhmreichstes, die
Geten 2S ).
Das Allerthum kannte nur sehr wenig unsere modernen Ent
deckungsreisen in unbekannte oder zu wenig erschlossene Theile
25 ) Dahin zähle ich vor Allem die Angabe hei llerodot IV, 100 vjfiv; tov ui:6 piv "larpou
tz xavuizepSe ec xrjw p.sao-juizv tpipovv« äüoxXvjiErai Sy-vSixt) vxo Trpcirwv
’A'/aSupocov, p.sra de Nsuowv u. s. w.
2B ) Herod. V, 9 zäniprjv -Ijdr, roü "larpov ipYip.ogy.dipij yodvsraisoüoaxat zireipog. pou-
vovg Hvvapa177u.jEEr.crat, otxcGvrac irsp-ijv roO "larpou äväpdi-ovgJroT'n oilvopa
sfvat hyuvvag, ia3ijn de ypeoipivoug Vgl. Zeuss die Deutschen und ihre
Nachbarstämme S. 276 „die Skythen erscheinen — westlich über den Pontus Euxinus
nach Europa bis in die Flächen der Mitteldonau und an die Mündungen dieses Stro
mes verbreitet“ und S. 279 „Herodot gedenkt der Sigynnen an der Nordseite der
Thracier, und die im Norden des Isters bis zu den Enetern reichend, für die Bewoh
ner der ungrischen Ebenen zu halten sind“. Das Letztere bleibt doch sehr zweifel
haft. Ähnlich äussert sieh übrigens Schüller, Siebenbürgen vor Herodot, in
Sitzungsber. d. kais. Altad. d. Wissensch. Bd. X, S. 101, Anm. 5.
27 ) Neumann, die Hellenen im Scythenlande.
28 ) „Schon zeigen über dem Pontus, im Lande der Bewegung, in welchem die weidenden
Völker in wiederholten Strömungen auf- und abfluthen , eine neue Völkerstellung
die nächsten Nachrichten nach Herodot. — Sigynnen verschwinden; Agathyrsen
kennt Ptolemäus hoch im Norden.^ Zeuss 279.
Die fielen und ihre Nachbarn.
149
der Welt. Kriege haben damals fast ausschliesslich den Umkreis der
Länderkunde erweitert und der unsicheren Ethnographie Begrün
dung und neuen Besitz zugeführt. Alexander’« und Cäsar's Waffen
waren grössere Hilfsmittel für die Geographie, als die Fahrten aller
Skylaxe und Nechos. Auch die Geten und die Mehrzahl ihrer thraci-
schen Verwandten treten unter dem Glanze der Waffen in den be
engten Horizont der Geschichte, und diese, die sich um den glück
lichen Zustand ihrer Freiheit nicht bekümmerte, verzeichnete mit
Antheil ihre Unterdrückung. Wir haben des Darius und seines sey-
thischen Krieges schon einmal gedenken müssen; hier ein Wort
mehr. Des Grosskönigs Wunsch, den seythischen Norden zu unter
jochen, führte ihn nach Europa, in der Absicht den Kreis weltum
fassender persischer Ruhmesthaten über den unbekannten Erdtheil
auszubreiten, dessen folgenreiche Entwickelung und spätere Bedeu
tung die stolzen Asiaten weit entfernt waren, zu ahnen. Aber schon
der ersten Begegnung Asiens mit Europa auf europäischem Boden
entsprang Unglück für jenes und mahnte es mit drohendem Finger,
Schranken zu achten, und die Kräfte des Kleinen nicht zu unter
schätzen. Unter den Motiven 20 ) des persischen Königs zu diesem
grossen Feldzüge des Jahres S15 v. Chr. s°) ist aber neben Ehrgeiz
und Nachahmung des erlauchten Stifters der Monarchie, Cyrus, auch
das Interesse des Reiches, das er wahrzunehmen suchte, hervor
gehoben worden. Denn die vielfältigen Nomadenstämme, welche
den Raum zwischen der Donaumündung und dem Aralsee durchzogen,
haben zu aller Zeit eine stehende Gefahr für den Norden der vorder
asiatischen Länder gebildet und der Hass, welchen die Perser als
20 ) W. Bessell legt besonderen Nachdruck auf die Handelsinteressen des persischen
Reiches, welche dieser Kriegszug habe vertreten sollen (de rebus fieticis, Gotting.
1854, S. 6). Religiöse Gründe vermutliet Osiander. (Stuttgart 1822.) S. ßähr's
Herodot II, 712: Darium ad talia audenda proclivem forsan fuisse, tum ut ipse, novac
stirpis regiae conditur re aliqua praeclare gesta nomen suum posteris proderet, tum
ne in civitate, quae armorum vi coaluisset, milites olio languescerent, deinde ut
Zoroastris legibus obtemperaret, quae bellum adversus Nomadas, profanos indicatos
gerendum enixe commendabant. Denique ne Scythae in posterum suis essent infesti,
eos aut domare aut vastata eorum ditione terrorein genti iniieere, Darius in aniino
habuisse yidetur. Dagegen sieht darin nur ungemessenen Ehrgeiz und Eroberungs
durst Duncker II, 574.
30 ) Über das Jahr des Feldzuges s. Duneker, Geschichte des Alterthums a. a. 0. und
Grote, Gesell. Griechenlands I!,J>73.
150
J)r. E. 11 o e s I e r
eifi'ige Verehrer Zaralhustra’s gegen den Unglauben und Schmutz
dieser Saken hegten, wurde durch die immerwährenden Grenzstrei
tereien und Plünderzüge wach erhalten und vermehrt. Hervorragend
erschien in dem verwirrten Schwarme dieser durch ihre Sitten ähn
lichen Hordenvölker das scythische, dessen Name ungenaue Beobach
ter häufig auch auf deren Gesammtheit übertrugen.
Als die 70 asiatischen Myriaden, hei deren Zählung etwas orien
talische Phantasie gewaltet haben mag, nach Europa übergesetzt
hatten, unterwarfen sich sogleich die thracischen Völkerschaften,
welche schwach und einzeln, wie sie der Feind traf, in jedem Wider
stande gegen solche Überlegenheit ihren Untergang erblickten. Doch
nicht so dieGeten. Ihre Freiheitsliebe und Todesverachtung verwarf
jedes Bedenken, das zwischen Rettung und Verderben, Unterwerfung
und Kampf klügelnd abwog, und sie stellten sich den Persern ent
gegen. Aber ihr Widerstand wurde gebrochen und sie mussten dem
Heere, das ohnehin schon an seiner Grösse krankte, Zuzug leisten.
Der Berichter dieses Kampfes nennt ihn unbesonnen S1 )> und da er
das eigenthümliehe Terrain jener Gegenden nicht kannte, ist dieser
Tadel natürlich; denn wer nur die Geringfügigkeit des sich verthei-
digenden Volkes gegenüber den Massenkräften der orientalischen
Armee in Anschlag bringt, wird in denselben einstimmen müssen.
Aber das getische Land, das Bulgarien der Jetztzeit, starrt von Ber
gen, deren Pässe unzugänglich werden, sobald die Einwohner sie
mit vereinter Kraft dem Feinde verschliessen. Die vorzüglichsten
unter diesen Bergen steigen senkrechter gegen Himmel, als die
steilsten Alpenhörner und wenige enge Pässe durchschneiden die
wilden Regionen. Wenn der persische König wie es wahrscheinlich
ist S3 ), durch den Pass von Aldos oder Schumla über den Balkan zu
den Geten vordrang, so genügt die Schilderung desselben t um
den längeren Widerstand selbst einer kleineren Schaar gegenüber
grossen Heeren nicht für unbesonnen und hoffnungslos zu halten.
„Nachdem der Reisende aus dem schönen Kessel, in dem Aldos im
Süden des Emineh-Balkan liegt, an den Fuss der umringenden Berg
mauer gelangt ist, sieht er plötzlich wie durch Zauber eine tiefe
31 ) Herodot IV, 83.
32 ) Robert, die Slnven der Türkei II. 1(J8.
33) Robert a. a. 0. S. 187.
Die Gcten und ihre Nachbarn.
151
Spalte geöffnet, aus welcher der Bujuk-Kamenci hervorstürzt. Ein
Felspfad schlängelt sich längs diesem tobenden Wasser; die Seiten
wände dieser Schlucht sind senkrecht und lassen nur einen schmalen
Streifen des Himmels hereinscheinen; oben sind sie mit Fichten
gehölz bewachsen, welches, aus der Tiefe gesehen, sich wie Gras
halme ausnimmt; dies ist der Pass. Tritt man in die Schlucht, so
scheint es anfangs, als sollte man sich in den innersten Sclmoss der
Erde versenken; nach und nach aber steigt man empor und gelangt
endlich auf die freundliche Hochebene von Lopenilza. Nun geht es
wieder bergabwärts. Der Bujuk-Kamenci kommt, nachdem er sich
unterirdisch durch den Berg hindurch gearbeitet hat, wieder zum
Vorschein und begleitet den Reisenden, den er mit seinen schäu
menden Gewässern bespritzt. Diese neun französische Meilen lange
Schlucht ist im Hintergründe durch einen noch ungleich steileren
und unzugänglicheren Berg geschlossen.“ Nach der Unterjochung
des tapferen Volkes zog Darius durch die Dobrudscha an den Ister
oder die Donau, über welche griechische Mechanik die erste Schiff
brücke schlug. Damals war ausser dem untersten Laufe dieser mäch
tigste Strom Mitteleuropas Griechen wie Orientalen noch unbekannt,
300 Jahre später nennt ihn Apolionius von Rhodus noch ein Horn
des Okeanos S4 ) und die Fabeln über seine Quellen verschwinden
gänzlich erst vor dem Schimmer der römischen Waffen, die an
seinen Ufern ihren Wohnsitz nehmen. DerÜbergang fand Statt unweit
seiner Zertheilung in die drei Mündungsarme, am sogenannten Halse
des Ister und nun flutheten zum ersten Male grosse völkerähnliche
Heeresmengen durch das moldauische Tiefland, welches später so
häufig zum Verderben des civilisirten Südens Völkerwogen in der
entgegengesetzten Richtung hindurchbrausen liess. Nun aber zogen
sich die Scythen stets zurück, eine Wüste zwischen sich und den
persischen König legend, und schritten mit dieser unblutigen Defeu-
31 ) Die älteste Benennung dieses Hauptstromes von Mittel-Europa ist Marda£. Stephan.
Oyzant s. v. Aavoyßig und Eustathius ad Dionys. Perieges. 494. Die späteren Namen
sind 'lorpos, meist nur für den unteren Lauf in Anwendung, AavoußiJ, Aavoüai5
(Stephan) Aavoutos (Strabo 304) Danuvius, Danubius. Welche Unwissenheit die
älteren Griechen über diesen Fluss hatten, zeigen die Scholien zu Apolionius Rhodius.
Aristoteles lässt ihn auf dem Gebirge Pyrene entspringen. Ilist. Anim. VIII, 13.
Meteor. I, 13.
152
Di*. K. II o e s 1 e r
sive viel sicherer und planmässiger vor, als neuerer Zeit bei ähn
licher Gefahr ihre Erben in jenen Gegenden 85 ). Im dritten Monat
kehrte der König von dem fruchtlosen Vordringen auf demselben
Wege nach seinem Reiche zurück. Um der grössten Bedrängniss zu
entkommen, hatte er sein# Kranken im Stiche lassen müssen und
verdankte seine Rettung doch nur dem unpatriotischen Eigennutze
jonischer Städtetyrannen. Seine Campagne ist lehrreich, denn sie
scheiterte an dem Mangel sicherer Kenntnisse und richtiger Vorstel
lungen über die Beschaffenheit des Terrains jener bedrohten Land
schaften und an der Fehlerhaftigkeit des ohne Bedacht darauf ge
fassten Planes. Um den Schimpf des missglückten Unternehmens zu ver-
grössern, sah man die Scythen ihre Verfolgung der Perser bis in den
thracischenChersonesus ausdehnen. Sie war zugleich eine Befreiung
der unterjochten thracischen Völkerschaften, darunter der Geten 30 ).
Wohl liess der König später, um mit einigen Scheintrophäen die
Augen seiner Völker zu täuschen, einige schwache thracische Stämme
überfallen und Tausende nach Asien in Gefangenschaft schleppen 37 ),
doch traf dieses Loos nur südbalkanische Gegenden; die Geten
waren frei von den Persern und blieben es 3S ).
3a ) Dieser Marsch einer ungeheuren Armee auf gut Glück, im Stolze gewissen Sieges in
ein grosses, aber dünn bevölkertes Land, der fast gänzliche Untergang derselben,
die eilfertige, fluchtartige Heimkehr des anführenden Monarchen , die Verfolgung,
welche nun ihrerseits die erbitterten Feinde in die neuen Eroberungen des verhass
ten Gegners hineintragen, ihr dadurch bewirkter Abfall — alles zeigt viele Ähnlich
keit mit der grossen Katastrophe von 1812, als die Russen nach der Vernichtung des
französischen Heeres in die zum Aufstande bereiten preussischen Länder nachrückten
und diese mit in den Krieg zogen.
3e ) Keine fernere Nachricht lässt eine Abhängigkeit nordthracischer Völkerschaften von
Persien vermuthen.
37 ) Herod. V, io. Man sieht, dass man solche Lügentriumphe schon lange vor den römi
schen Imperatoren zu halten verstand , unter welchen zuerst namentlich Domitian
diese Schande auf sich lud (Tacit. Agricola 39).
38 Man vgl. über den ganzen Feldzug die Darstellung Duncker's A. G. II, 367.
Die Geten und ihre Nachbarn.
153
Die geographischen Ländernamen unterscheiden sich durch die
historische Entwickelung, diesienehmen. Während die einen aus dem
engenKreise, in dem sie anfangs gelten, zu immer grösseremUmfange
derBedeutungsich erheben, sinken andere zu stets sich verringernder
Wichtigkeit herab. Ein Beispiel solch' aufsteigender Art ist der Name
Italien. Von der engsten Geltung auf der südlichsten Landzunge der
apenninischen Halbinsel dehnt er sich allmählich über deren ganzen
langgestreckten Körper und über anliegende festländische Gebiete
aus. Ein solches Beispiel ist auch Afrika, welches von einer kleinen
Provinz zuerst gebraucht, den ehrenvollen Rang erwirbt, einen
ganzen Welttheil zu bezeichnen. Diesem gerade entgegengesetzt
ist und bietet eine Benennung von absteigender Bedeutung: Thracien.
Mit der idealen Grösse meines unbestimmt begrenzten Welltheiis
beginnt es sein frühes Dasein 39 ) in der Erdbeschreibung und be
deutet schliesslich eine enge, geringfügige Provinz. Dazwischen
liegen mancherlei vermittelnde Stufen, auf welchen es jetzt den
Raum zwischen den transilvanischen Alpen und der Propontis und
dem ägäischen Meere umfasst, dann auf die Länder im Süden der
Donau beschränkt wird. Indem letzteren Umfangelernen wir Thracien
zur Zeit des persisch-scythischen Krieges und in der nachfolgenden
Periode keimen. Die Bergzüge, welche in der Richtung der Meridiane
streichend, den Hämus unter einem Winkel schneiden, sind seine
veränderliche Grenze gegen Illyrien und Macedonien; das Land
umfasst die Gesammtheit der Völker, welchen Sprache und gemein
same Sitten den Namen der Thracier schon frühzeitig erwarben 4o ).
Die mächtige Bergsehranke des Balkan aber trennt die nördlichen
Gaue und des späteren Bulgariens und ihre Ansiedler von den südthra-
kischen, deren Berührung mit Griechen und Macedoniern häufiger
war. Die Scheidung in vielerlei freie, zusammenhanglose Völker
schaften, die in diesem Süden der Entstehung einer mächtigen,
dauerhaften Nationalität im Wege steht, setzt sich auch in den
nordhämischen Gegenden fort; überall Vereinzelung, Zersplitterung,
im besten Falle friedliches Nebeneinanderleben. Und wenn auch der
eine oder der andere Volkszweig zuweilen mächtiger erscheint, die
anderen bleibend zu einem Bunde oder einem Staate zu sammeln
39 ) Vgl- Forbiger, Alte Geogr.lII, 1072.
40 ) Ilerod. V, 3 vojAoiffi de ouroi nrapaTrXvjcrtottJt Kavveg xara Tr^vra.
Vgl. Forbiger, Alte Geogr. III, 1070.
154
Di*. E. Roesl er
und zu einigen, gelingt ihm (loch nicht. So stehen sie auch auswär
tigen Feinden gegenüber isolirt, entgehen trotz vielem Kriegsmuthe
schweren Niederlagen nicht und auch nicht dem endlichen Lose
solcher Völkerbröckchen, niedergeworfen, zertreten in einem grösse
ren Ganzen zu verschwinden.
Unter den zahlreichen Namen 4l ) dieser Clane im Norden des
Hämus heben sich hervor die Dardaner, an und jenseits Illyriens
Grenze, die Mysier, deren Name in Asien wie in Europa auf Länder
übertragen, längere Dauer gewinnt, die Krobyzen im Süden der
Geten, die Terizen u. A. Fon den Letzteren wie vielen Anderen
möchte es scheinen, dass sie nur die Namen kleiner getischer Gaue
waren, so die ütensier, Obulensier, Demensier, Piarensier u. s.w. 42 “).
41 ) Ilerod. V, 3 ovvop.xzx tzoXKx zyovGi xara ywpxg ixaaroi.
42 a ) Dardaner Axpdx'tioi erwähnt heiStrabo S. 316; er nennt sie ein wildes illyrisches
Volk, das mistg-edeekte , unterirdische Wohnung-en hatte, Musik übrigens sehr
liebte. Vgl, Ptolem. 3, 9. — Caesar de ß. C. 3, 4. — Plin. III, 26, 29. — Justin XI,
1,6. — Livius an vielen Orten.
Mysier. Schon Homer gedenkt der MutJwv x t /yjp.xy^o)v (Ilias XIII, 5).
Strabo S. 293; Ptolem. 3, 9, 2. Vgl. Forbiger Geogr. II, 122. S. unten An
merkungen 106—120.
Krobyzen. Zur Bestimmung ihrer Wohnsitze dienen folgende Angaben:
Herod. IV, 49 ex di roö Ai'p.ou rwv xopixpscov rpsig aXkoi p.e'ya.Xot piovrsg 7:pög
ßoprjv avep.&v iGßxWovGi ig auröv, "Arlxg xxl Avpxg xai TißtGig. dix di
Gpvjixvjg xai Gpvjixcov rcov Kpoßv^wv piovreg ”A3pvg xal Novj? xai ’Apravvjs
ixdidouGi ig röv v lorpov. Leider sind die Namen dieser Flüsse schwer zu bestimmen.
Vgl. die streitenden Ansichten der modernen Geographen Ukert, Männert, For
biger u. s. w. Strabo 318. VKepOLy.oijGi d'ovroi re xai Kpoßv^oc xal oiTpwyXo-
o*jratXs*yo , p.cVoi rwv 77Epl KaXXauv xai Top.sa xat’larpov ror.a>v. Damit stimmen
überein Scymnus Fragm. 1—3. Avryj ( , Odr J GG6g)Kpoß'j^ovg Gpqcxxg iv xuxXo) e^ec.
v. 10. AlovvgotzoIlv ’Ev p.e3opioig di rrjg Kp&|3u£cov xai Xxu^cov und Steph.
Byz. Kp. k'Svog rrpög vorov avspoy roö v Iarpou. f Exarato? E’vpom/j s’£ ojv
Kpoßv^LXY] Yj •'/Yj.. Irrthiimlieh ist darum die Notiz bei Plin. IV, 12, 26, der dieses
Völkchen zwischen Donau und ßorysthenes in scythisches Gebiet versetzt. Vergl.
darüber auch Neumann , die Hellenen im Seythenlande. Suidas s. v. ZapioX^iS
schreibt ihnen gleichfalls den die Geten auszeichnenden Unsterblichkeitsglauben
zu, und darum ist MüllenhofF (Encyklopädie von Ersch. und Gruber: Geten) geneigt,
sie für einen getisehen Stamm zu halten. Es erscheint hiebei wie an vielen Orten
im Verlaufe gleich schwer und bedenklich, beizustimmen oder abzuweisen.
Terizen (Tpt£oi, Müller, fragment. hist, graec. UI, 149, 130). An der Küste des
schwarzen Meeres, am Cap Gülgrad begegnet später noch eine feste Stadt Tirizis.
(e’v di rxvry rvj r.xpxXix s’oriv Yj Tlpi^tg axpa, yoipiov ipvp.vov, cp ttote xai
AvGip.xyog iy^prjGxro •/x£oipuXaxtc») Strabo 319). Auch ein Vorgebirge Tiriza
Die Goten und ihre Nachbarn.
155
An der Seeküste des gastlichen Pontus hatten um diese Zeit 4ab )
auch schon die Griechen ihre Niederlassungen gegründet und wenn
gleich keine derselben den Ruhm und Glanz so mancher hellenischen
Stadt am südwestlichen, südlichen und Nordufer desselben Meeres
erreichte, so wird doch die Thatsache, dass Jahrhunderte lang grie
chische Cultur ihre Fittiche über jenem jetzt schon lange unfreund
lichen Gestade weilen liess, mit freudiger Theiinahme verzeichnet.
Aber keine edlen Bauten, keine Kunstschätze geheimnissvoller Grab
hügel durchbrechen die Nacht, in der jene Orte versunken liegen,
und beleuchten uns die Scene ihres Lebens 4s ). Namen, und wieder
nur Namen, die einzigen armen Zeugen! So ist es auch nicht mög
lich, das Maass ihres bildenden Einflusses auf das rohere Binnenland
zu bestimmen. Da, wo jetzt Varna in seinen Ruinen am traurigen
Ruhme der Schlachten zehrt, lag Odessos 44 ), des vierhafigen
wird genannt (Müller zu Arrian Peripl. Pont. §. 35). Vgl. Möllenhoff in Ersch.
und Gruber’s Encykl. s. v. Geten, S. 448.
Skyrmiaden oder Skymniaden nach Herodot (IV, 93) nicht den Geten bei
zuzählen, welches die Worte bei Stephan. Byz. vermuthen Dessen: 2xupivta&ai,
eSvog ffuv Ts'rat?. Eitöo^oj reraprjj ^rjg -spio&w Sxvptvia&ai xai Ferat.
Wahrscheinlich ist ein Schreibfehler im Spiele. Vgl. Bessell a. a. 0. S. 21. Nipsäer
(Nttf/atoi), Herod. IV, 93, Steph. Byz. Ni'tpa nokig Opaxvj?. 6 noXirvjg Nnpatos
'Hpodovog Tsrapry.
Noch werden zahlreiche unbekannte Völkerschaften erwähnt als Troglodytae
(Ptol. III, 10; Strabo 318); gewiss nicht der Originalname, sondern entweder
Übersetzung eines thracischen Wortes , oder Bezeichnung nach der Lebensweise
in den zahlreichen Höhlen des zerklüfteten Landes; die TpixopvvjV(7iot (Ptolem.
III. 9, 2) an der Grenze Illyriens, Hixvjvaiot (ebenda), Otrvjvffioi, ’OßovkYjvoioi,
ITiap^vatot (Ptolem. III, 10, 9), Timachi (Ptolem. III, 26, 29) am
Timaehus (j. Timok), die Celegeri (Plin. III, 26, 29) und noch eine Reibe Namen,
von denen es in Zweifel bleibt, ob sie alle dem nordhämischen Gebiete angeboren
(Hecatäus fragra. 141—152), Desili (s. auch Stephan), Datylepti, Disorae (auch
bei Stephan.), Bantii, Trisplae, Entribae (auch bei Stephan).
43 b ) Von der Stadt Kalatis wird es bezeugt, dass sie zur Zeit des Königs Amynlas
(I?) von Macedonien (540—49S) gegründet wurde; von den übrigen lässt sich
ein ähnliches Datum vermuthen.
43 ) Wenigstens sind die Überreste und Erinnerungen an diese Städte erst aus einer
Epoche , welche diese Darstellung nicht mehr berührt. Die zahlreichen Münzen
der römischen Kaiserzeit, welche das kaiserliche Antikencabinet in Wien auf
bewahrt, sieh verzeichnet von Jos. Arneth in den Sitzungsberichten der kais.
Akademie d. Wissensch. Bd. IX, 1852, S. 888—916.
44 ) Odessos (’O^vj'Ttrog), die südlichste von den nordhämischen Griechenstiidten am
schwarzen Meere, eine Colonie der Milesier. Scymnus Chius fragm. 1—3.
’O&scjg’Öv oi - Krt£ov<nv — Autvj Kpoßv^oug OpcJcxa? sv xi»x).w
0. MtXvjffi'oJV aTTOixos Strabo 319. — Stephanus Byz. s. v. 0., nokig i'J Ilovrw,
136
Ui’. E. K o e s I e r
Milet’sTochter, umwolmt von den Krobyzen; nördlicher die Gründung
des pontiseliCMi Hernklea, Kalatis 45 ), eine mächtige Stadt, die mit
dem starken Byzanz Krieg führt und Philipp II. zu widerstehen ver
mag, his ihr die Macedonier in der Diadochenzeit den Verfall brin
gen. Davon gegen Norden stand wieder eine milesisehe Colonie,
Tomis oder Tomi 46 ), dem in der Periode seines kläglichen Ver
falles die jammernden Verse eines lateinischen Dichters eine neid
lose Unsterblichkeit erwarben. Unweit des Isterstromes, von dem
es den Namen annimmt, erscheint als ein nicht unbedeutender See
platz Islros oder Isfropolis 47 ). Auch ihn gründeten Milesier. Die
TroXtrvjs ’ 0 Sr, aa irrig. s’xpvjfiari£ov Ss 'IlpaxXsiSijj i(7zopi6-/pi.!pog xal Avjp.^-
rpiog, o KSpi zrig nuzpidog -/päipaj. Diodor XX, am Ende. Über die von da stam-
inenden Münzen s. Adnotation. Holstenii ad Stephan, ßyz. Leiden 1684 und Arneth
a. a. 0. Es ist das heutige Varna. S. Böckh Corpus inscript. graec. II, 79. Nord
wärts folgen dann die minder bedeutenden Orte Krunoi, Bizone und Apollonia
(Strabo 319). Nach diesem gelangte man längs der Küste zu:
45 ) Kalatis oder Kallatis (KaXXans) eine Pflanzstadt des politischen Heraciea. (Nach
Memnon c. 22 und Straho 542 Etymolog, magn. KaXXaug 7rdXtg iari xnaSzlaa
vko >5paxXewrwv. wvo'fjt,a<7rai 5s ako ty)s 7rapaxSifjisvv?$ Xt/^vvj?.) Sie ist lange
Zeit, die mächtigste Küstenstadt zwischen Ister und Haenus, führt Handelskriege
mit Byzanz, leistet Philipp II. von Makedonien Widerstand (Memnon c. 22. —
Diodor XIX, 73 und XX, 25). Lysimachus erobert sie, und von da an scheint sie
zu verfallen. Vgl. Stephan, ßyz. u. Holstenii adnott.; Arneth a. a. 0.; Männert,
Geogr. VII, 129.
46 ) Nördlich von dem letzteren 280 Stadien lag Tomi (Topig hei Straho, Tomis bei
Ovid, Tomi bei Plin., Top.ot bei Ptolem., auf Inschriften und Münzen Top.cU$),
das spätere Constantiana , jetzt Küstenge, nicht Tomisvar , für das man es lange
erklärte. S. Sitzungsberichte der kais. Akademie d. Wissensch. 1852, Bd. IX, S. 884.
Von milesischer Gründung, war sie noch zu Strabo’s Zeit ein kleinerer Ort
(jroXfyviov VII, 319), den die Kallatianer zu ihren Handelszwecken auszubeuten
strebten, wurde aber in der späteren römischen Zeit bedeutender. Als Hauptstadt
der Provinz Scythia muss sie, nach der vortrefflichen Arbeit ihrer Münzen zu
schliessen, blühend gewesen sein und sie scheint sich auch als ersten Ort am Pontus
betrachtet zu haben. S. Holstenii adnott. ad Stephan, ßyz. Apud Pyrrhum Ligorium
in Gordiani nummo circum figuram stolatam capite turrito, sinistra hastam, dextra
cornu Copiae ferentem legitur: Top.swc. MIJTPO. IlONTOT. Eadem inscriptio
occurrit quoque in Anton. Pii nummo circum gryphen , item in M. Aurelii. Similiter
in Aelii Pertinacis apud franc. Gotofredum circum Casforem et Pollucem accum-
bentes: TOMEQS METPOII. HONTOY. Item in alio Gordiani apud eundem cir
cum Victoriam sedentem.
47 ) Fünfhundert Stadien von der südlichsten Donaumündung, der sogenannten heiligen
und ebensoweit nördlich von Tomi lag Istros. ( v IoTpoc Strabo, Ptolem. u. a.
Histrus, Istropolis bei Mela, Plin. IV, 11; Histriopolis auf der Tab. Peut. ’lffrpc«
bei Arrian und in Anonymi periplus (Geogr. graeci minor. Tom. I, 12). S. Stephan
Die Gelen und ihre Nachbarn.
157
meisten dieser Städte vereinigten sieh in einem Bunde zu einem
stärkeren Ganzen und Odessos ward als der Vorort einer Pentapolis
an dieser Barbarenküste geehrt 47 “).
Seit den Tagen des Darius liegt wieder dichter Nebel über
den Landschaften der Geten und lässt während des darauffolgenden
5. Jahrhunderts nur einmal einen Blick durch eine gelichtete Stelle
dringen. Dieser zeigt die Geten im Ileeresgefolge eines rasch zu
Macht erwachsenen Stammes im siidbalkanischen Thracien, der
Odrysen. König Teres ist der Gründer der neuen Herrschaft, die
unter seinem thalkräftigen Sohne Sitalkes vom Kestus bis zur Donau
reicht, in einer Ausdehnung, die ein Zeitgenosse auf eilf Tagereisen
schätzt 48 ). Diesem Fürsten dienten alle streitbaren Nachbarvölker,
die säbeltragenden Thracier der rauhen Berge, wie die berit
tenen Bogenschützen der grasigen Donausteppen. Unter ihnen
sandten die Geten das grösste Contingent wehrhafter Reiter. Das
Reich des Sitalkes gewährt das Bild eines Barbarenreiches, wie der
Osten Europas sie am öftesten sab. Ein kriegerischer Völkerstamm
hat plötzlich weithin Ansehen erlangt und lässt sich von den Unter
worfenen reichlichen Tribut zahlen. Eine halbe Million Geldes lief
in den besten Zeiten in den königlichen Schatz ein; ebensoviel be
trugen die goldenen und silbernen Geschenke; immer flössen Reich-
Byz. s. v. I2TPIA und I2TPIH auf Münzen.) Eine Niederlassung der Milesier
(Herod. II, 33) scheint sie im Wechsel der Zeiten auch verschiedene Grösse gehabt
zu haben, Memnon (c. 22) nennt sie nicht unbedeutend, Strabo (p. 310 ''iGvpog
Ko'kiyyov — M&vjor'cnv xriapia) nur ein Städtchen. Vgl. Männert, Geogr. VII, 126,
Tschukke Eutrop. Anmerk. S. 85, Katancsich Istri accolae S. 10. Ich muss an dieser
Stelle einer Bemerkung Bessel's entgegen treten, welcher Herodot die Verwechslung
von Odessos und Istros in die Schuhe schiebt. (De rebus Geticis S.22.) Er bezieht sich
hiebei auf die Worte desselben (IV, 78) : £? ’lffrpiyjvvfc 6s ‘yvvarxog oCvog (König
Scylas aus dem Scvthenlande) ^tvsrai xai ovdap.tig iyxup r/jg. Die istrianische
Frau wird, obgleich Istros im Scythenlande liegt, doch mit Hecht keine Einhei
mische, d.h. eine Scythinn genannt, weil dem Griechen die hellenische Herkunft und
nicht die zufällige geographische Lage des Ortes im Scythengehiete beachtenswerth
erscheinen muss.
47 a ) Zu Folge der zu Odessos oder Varna gefundenen Inschrift (Böckh II, 79):
ru^vj, c Hpo(7o6ov. <Papvayov , äp^avra rrjg noXeug xai ap^avza rov xoivov
T?)g rrevra 7roXsws, xai reipj^svra vko zov xoivoö rvjg TiMzaKclcug.
Zu dieser Pentapolis, deren Hauptort Odessos gewesen zu sein scheint, gehörten
noch Tomi, Mesambria, Apollonia und Istri«, wenn wir der Inschrift 2053 c. S. 996
vertrauen. Vgl. auch Arneth. a. a. 0.
49 ) Thukyd. II, 97, 98.
138
I)r. E. R oesler
thümer an kostbaren Zeugen und Geräthen und Luxuswaaren zu.
Und davon schwelgte nicht nur der König und sein Hof; auch seinen
Vasallen und dem Adel des Landes kam dieser Segen zu Gute; denn
da galt allgemein der Satz: seliger ist nehmen als gehen. Um
ein Geschenk zu bitten, schämte sich Niemand; jeder Dienst musste
vergolten werden, und die Belohnung dem Dienste vorausgehen, der
ihr auch dann noch zu folgen oft versäumte. Zog man in das Feld,
wo man, wie es solchem Reichthum und Ansehen ziemt, zumeist zu
Pferde erschien, so liebte man es, ein grosses Gefolge zins- und
heerbannpflichtiger Leute um sich zu schaaren ; denn solches
gab dem Auftreten Furchtbarkeit. Dieser Sitalkes überzog im
J. 429 den macedonischen König Perdikkas mit Krieg und erwies
damit den Athenern 49 ), deren Herrschaft an der macedonischen
Küste durch denselben Monarchen bedroht war, einen angenehmen
Dienst. Ihre Gesandten begleiteten auch den Barbarenfürslen auf dem
Marsche. Macedonien wurde überflutet, Thessalien in Aufregung,
Angst und Schrecken gesetzt, entfernte Völker ain Stryrnon fürch
teten 50 ). Trotzdem zerrann die Expedition und hinterliess keine
andere Wirkung als Hunderte verbrannter, geplünderter Orte und
Landstrecken. Denn wenn die Athener eine Verminderung der mace
donischen Macht wünschten, so fürchteten sie in eben demselben
Grade die Zunahme einer anderen, welche ihren Seestädten inThra-
cien gleichfalls gefährlich werden konnte. Bei diesem Mangel an
Vertrauen in die Odrysen zogen sie vor, ruhig zuzuwarten, und ihre
Hilfe zu versprechen, ohne sie zu gewähren, und begnügten sich mit
dem momentanen Drucke, den die räuberische Diversion ihres Bun
desgenossen auf Macedonien übte.
Zwischen den Jahren410 und 405 gerielh dasReich derOdrysen
wieder in Verfall und die Heerpflichtigkeit der Geten erreichte zu
gleich mit der Abhängigkeit so vieler unterthäniger Stämme ein
Ende 51 ).
Nicht lange Zeit und das Blatt hat sich gewendet; die Streiche,
welche die Odrysen gegen Macedonien geführt hatten, werden von
Thukyd. II, 29.
50) Thukyd. II, 100, 101.
& 1 ) Vgl. über den Odrysenstaat und Krieg Bessell de rebus Getieis S. 7—14. Obein
unglücklicher Krieg gegen die Scythen den Sturz der Odrysenherrschaft herbei
führte , wage ich trotz den Andeutungen, die Bessell dafür zusammenstellt, nicht
zu versichern.
Die Gelen und ihre Nachbarn. 159
diesem vergolten, die Eroberungsariseliläge, zu deren Ausführung
ihre ungeschulte Kriegskunst nicht hingereicht hatte, von einer
macedonischen Feldherrnhand gegen die Odrysen in’sWerk gesetzt.
Den Anlass boten 52 ) die Bestrebungen des Odrysenkönigs Kerso-
bleptes, die wichtigen Städte des thracischen Chersonesus, deren
keine consolidirte Macht in Thracien entbehren kann, in seine Hände
zu bekommen. Hierin trafen seine Absichten mit denen des grossen
Philipp II., des Sohnes des Amyntas zusammen. Auch dieser musste
zum Binnenlande das Meer gewinnen und seinem Vergrösserungs-
drange waren Athener und Odrysen ein gleiches Hinderniss. Grosse ! I
Heeresmassen rücken beiderseits zu Felde (342 v. Chr.). Die Thra-
cier unterliegen in mehreren Treffen. Tributpfliehtigkeit ist ihr
Loos; ihm sollen feste Plätze an passenden Orten angelegt, Dauer
verschaffen. Damit das Gewicht so bedeutender Ereignisse, als die
Unterjochung eines grossen stammverwandten Volkes und ihrer ein
stigen Gebieter war, nicht auf sie falle, scheinen sich die Geten
beeilt zu haben, in ein freundliches Verbältniss zu kommen. Ihre
Gesandten erschienen vor ihm, auf der Cither spielend, wie es hei
mischer Brauch war, brachten viele Geschenke und ihr König Kothelas
trug ihm ein Biindniss und seine Tuchter zur Ehe an. Philipp ent
schloss sich zu beiden und so wurde neben der stolzen Olympias
eine Getinn seine Frau 53 ).
Nachmals kamen die Geten während Philipp’s Regierung noch
einmal mit den Macedoniern in Berührung. Auch Odessos’ Mauern
nahte sich die macedonische Armee und belagerte sie 54 ). Die
Geten sahen sich durch so nahe Nachbarschaft des mächtigen, um
sich greifenden Staates bedroht, aber im Vertrauen auf ihr gutes
Verbältniss zu Philipp sandten sie wieder ihre Friedensapostel,
die weissgekleideten , citherspielenden Priestergesandten in’s mace
donische Lager und erwarteten den Abschluss oder die Bestäti-
■ 52 ) Diodor XVI, 71.
53 _) Ich stelle, MüilenhofT folgend (a. a. 0. S. 4SI), die zerstreuten Nachrichten in den
Zusammenhang- , welchen der Text bietet. S. Fragm. hist, graec. bei Athenaeus
S. 557. Stephan Byz. s. v. Tsria: eari xai Fsrvj?, ourw *yap ixa.\eZro
>5 roO <I>tXt7r;rou roö’A/xuvrou. Satyri fragm. in Müller fr. h. gr. III, 161.
Dagegen zu vergleichen der spate und unkritische Jordanes (de reb. Get. c. 10).
54 ) Strabo 331, fr. 48: ’Odpvaag di xaXoOffiv evtoi roug ako "Eßpov xai Kinpe'Xwv
^XP L 0dr^GGov r7jg napaliag vTZEpoixouvrag.
160
I)r. E. Roesl e r
gung eines sie befriedigenden Vertrages 55 ). „Die Freundschaft
der Geten musste Philipp nicht nur bei der Eroberung Thraeiens,
sondern auch jetzt nach der Unterwerfung des Landes von beson
derem Werthe sein, da der Hauptpass des Ilämus sieh noch in den
Händen dieses Volkes befand und dies zugleich als Bollwerk gegen
den Norden dienen konnte“, denn eine bedenkliche Nachbarschaft
war um dieGeten versammelt. Die Scythen waren an der Donaumün
dung mächtiger geworden, die Triballer im Westen begannen ge
fahrdrohend sich zu regen. Den ersteren erwuchs zunächst ein Feind
an dem mächtigen König von Istros oder Istriana 50 ). Dessen Umsich
greifen schien dem Scythenkönige Atheas 57 ) so bedenklich, dass er
sich zu unbesonnenen Versprechungen gegen Philipp von Macedo-
nien verleiten liess, im Falle ihm dieser Hilfe sende. Der Tod
des Istrianerfürsten befreite Atheas jedoch bald von aller Furcht,
aber auch von dem Vorsalze, jene Versprechungen wahr zu machen.
Dieser Atheas gibt uns das Bild eines echten scythischen Nomaden.
Hört er griechische Flötenspieler, so schwört er, das Wiehern seines
Pferdes klinge ihm süsser. Stolz athmeri seine kurzen Worte und
Befehle. Den Byzantiern schreibt er einmal: „Der König der Scythen,
Atheas, an das Volk der Byzantier: Schädiget nicht meine Zölle,
sonst werden meine Bosse aus euren Brunnen trinken“. Die Scherze
der königlichen Unterhaltung unterscheiden sie nicht von denDienern
55 ) Ich schliesse mich in der Annahme einer zweimaligen Berührung der Geten mit
den Macedoniern unter Philipp II. abermals Miillenhoff an, ohne mich der Ansicht
zu verschliessen, dass die Ereignisse auch näher Zusammenhängen könnten. Die
Quellen versiegen wieder einmal zu sehr.
56 ) Wahrscheinlich hatte sich damals ein Tyrann an die Spitze des sonst freien Gemein
wesens gestellt.
57 ) Sträbo 307-- ’ Areas äoxet rwv TrXetGTwv ap£ai rwv raurip |3apj3apwv 6 xpog
OO^TTTrov Kole^Gag rdv ’Afiuvrou. Justin IX, 2, Frontin. strategem. 2, 4, 41.
Lukian. in longaev. c. 10. Dagegen kann die Notiz Justin. XXXVII, 3, welche das
Gegentheil besagt, nicht in’s Gewicht fallen. Vielleicht sind die Worte: Philippum
Macedonuin regem fugientem ceperant (seil. Scythae) eine eilfertige Verwechslung
mit Lysimachus. Diodor. Sic. XVI, ’lWvpiovg &e xai üaiovas xai 0paxas xa't
Xxu^ag xai zravra ~\riGibyjj)pct. zovzoig ISvv? xara7roXepj<7as (sc. Philipp.)
ist ein Resume, welches das Gewisse der gesammten Ereignisse umfasst.
Vgl. über diese schwierigen Puncte Bessell a. a. 0. 14—23, der mit grossem
Fleisse die Widersprüche der Schriftsteller verglich und dem es bei dieser eindrin
genden Untersuchung dennoch nicht gelang, befriedigende Ergebnisse zu gewinnen.
Dass Philippus die Scythen nicht jenseits der Donau bekriegte, wird aber dadurch
klar. Vgl. MüllenholT a. a. 0. Über Ateas vgl. Plutarch. non posse suaviter vivi sec.
epic. p. 109a F und an seni sit ger. republ. p. 792 C. Clemens Strom. V, 240.
Die Geten und ihre Nachbarn.
lßl
seiner Ställe. Philipp Hess sich aber von dem gewissenlosen Scythen
nicht verspotten und fand in einer Expedition in’s Seythenland einen will
kommenen Vorwand, die verfehlte Belagerung v«n Byzanz mit Ehren
abzubrechen. Der Feldzug war vom Glücke begleitet und grosse Beute
an Vieh der Gewi nt i aus dem schätzelosen Lande; allein der Heimweg
war unglücklich und entriss sie wieder. Wie diepyrenäischenGebirgs-
völker dem siegreichen Frankenkönige einst Beute und Ruhm eines
gelungenen Kriegszuges raubten, so thaten die Triballer dem mace-
donischen Heere. Sie verlangten für dessen Durchzug einen Zoll aus
einem Tlieile der Kriegsbeute; dessen Verweigerung entzündete
einen Kampf, in dem Philipp selbst verwundet und der ganze Raub
verloren wurde.
Um dieselbe Zeit mag es gewesen sein, dass durch den Druck,
welchen die Triballer auf ihre ganze Nachbarschaft übten, auch die
Geten zu Wanderungen auf das nördliche Donauufer veranlasst wur
den; denn in den nächsten Ereignissen, welche sie treffen, finden
wir ihrer auf dem jenseitigen Uferboden erwähnt und bis auf Philipp
scheinen sie ausschliesslich auf der bulgarischen Seite geblieben
zu sein 5S ).
Bevor Alexander, Philipp’s Sohn, genannt der Grosse, seinem
Erobererdrange folgte und den Feldzug gegen das persische Asien
unternahm, musste er die von räuberisch-ruhelosen Völkerschaften
bedrohte Nordgegend seines Reiches in Schutz nehmen und den
Barbaren jenen Schrecken einflössen, der sie verhindern mochte,
seine Abwesenheit und die Entfernung des Kernes der macedoni-
schen Armee zum Schaden des Landes zu missbrauchen.
Der Frühling des J. 334 sah den kühnen Jüngling im Waffen-
schmucke durch die gebirgigen Landschaften ziehen, die zwischen
Amphipolis (j. Emboli) an der ägäischeu Küste und dem westlichen
Balkan liegen. Er überschritt den Nestus (j. Karasu), zog an dessen
linkem Ufer aufwärts, und stand nach zehntägigem Marsch» am Hä-
mus. Doch seine Höhen und Pässe waren von den wilden Gebirgs
bewohnern besetzt und das weitere Vorrücken musste erkämpft
werden. Besondere Gefahr konnten ihre Wagen den Angreifern
bringen. Sie benützten diese sowohl als Object, an welche sich die
Verteidigung lehnte, als auch zum Angriffe, indem sie sie die steilen
58 ) Getae Istrum mature transgressi. Bückli a. a. Ü. II, 82.
Sitzb. J. phil.-hist. CI. XL IV. Bd. I. Hfl.
11
162
Dr. E. R o e s 1 e r
Abhänge hinab auf die sehmalen Pfade rollen Hessen, um Tod und
Verwirrung den Reihen der verwegenen Passstürmer zu bereiten.
Alexander’s Umsicht vereitelte die gefährliche Wirkung dieses rohen
Artilleriemanövers, und da die Vertheidiger der Bergpässe überhaupt
leicht und schlecht bewaffnet waren, hielten sie auch dem Anfalle
der schwerbewaffneten Phalanx nicht Stand und suchten in aufge
löster Flucht ihr Heil 50 ). Alle ihre Habe und viele Weiber und
Kinder wurden erbeulet und nahmen den Weg zu den Seestädten
Macedoniens. Der Pfad über das Gebirge war offen und die Mace-
donier zogen durch den Pass, der jetzt von Tatar-Basardschik über
Ichtiman an den obern Lauf des Isker (Oskios) nach Sofia führt 60 ).
Zur Linken mussten ihnen die 7000 Fuss aufsteigenden Höhen des Wi-
tosch liegen. Alexander stand im Gebiete der Triballer, die vom
Isker westwärts bis in die Gegend des Amselfeldes wohnten 61 )- Ihr
König bekam zeitig genug Kunde von dem nahenden Heere und
rettete Weiber und Kinder der gesammten Unlerthanen auf eine
Insel der drei Tagereisen entfernten Donau, welche Peuke genannt
wird. Bald entwich auch er selbst dahin mit seinen Leuten und vielen
nachbarlichen Thraciern , die sich anschlossen. Die Masse der tri-
ballischen Männer zog sich dagegen rückwärts dem Flusse Lyginos
zu, von welchem Alexander Tags zuvor aufgebrochen war. Allein
kaum hafte er Kunde erhalten von der Richtung, welche sie genom
men, als auch er wieder umwandte, um sie aufzusuchen. Er erreichte
sie, während sie sich gerade lagerten. Die Überraschten stellten sich
vor einem Walde auf, der am rechten Ufer des genannten Flusses
sich hinzog. Alexander liess nun die Triballer mit seinen Leicht
bewaffneten aus ihrer gedeckten Position auf das freie Feld hervor
locken. Sie kamen; im Fernkampfe der Geschosse bestanden sie
auch recht gut. Doch dem Sarissenandrange der Infanterie und dem
Choc der Reiterei, die sie zu umzingeln suchte, widerstanden sie
nicht. Waldeinwärts liefen sie in verwirrter Flucht und unter den
Schutz der dichten Gehölze am Ufer des Flusses, darin von der ein
brechenden Nacht begünstigt. Dennoch war ihr Verlust sehr gross
59 ) Aman, Exped. Alex. I, i.
6°) Der Zusammenhang 1 macht dies deutlich und ich theile hier MiillenhofTs Ansicht.
6i) 0paxsS ol Kpoa-'/'Upoi rotg TpißalXotg. Arrian a. a. 0. c. 2. „Die Vermuthung,
dass die Triballer weiter gegenOsten vorgerückt seien, bestätigt sich hier.“ Möllen
hoff a. a. 0. Ich kann nicht einsehen, auf welche Weise. Vgl. Abel. Makedonien von
König Philipp S. 73. Lejean, ethnographische Karte der Türkei.
Die Gelen und ihre Nachbarn.
163
und ihre Kraft gebrochen. Nach drei Märschen stand Alexander auch
an der Donau, angesichts der Feinde, welche auf ihrer Insel Schutz
suchten. Hieher hatte er von Byzanz aus über das schwarze Meer
und flussaufwärts einige Kriegsschiffe kommen lassen und machte
einen Landungsversuch an jener Strominsel. Allein dieses natürliche
Bollwerk erwies sich zu fest, die Ufer waren meist steil und von
reissenden Wogen umrauscht; der Schiffe zu wenige; wo man an
zulegen trotzdem versuchte, erschienen die Feinde kampfbereit C2 ).
62 ) Arrian, Exped. Alex. I, 2,3. Strabo 301. Die Localitiit diesesFeldzuges zu bestimmen,
leidet an den grössten Schwierigkeilen, und diese entspringen zuin besten Theile aus
der Erwähnung- der Insel Peuke. Diese war nach allen Nachrichten des Allerthums
eine der durch Mündung-sarme der Donau gebildeten grossen Inseln, und zwar um
flossen von den südlichem Mündungen, dem Sacrum und Naracum ostium , zufolge
Apollon. Rhodius IV, 309: ’'Iorpw ‘'jap zig vvjaoc separat ouvop.a Usuxvj —
rpr/),w)fiv, evpog piv eg odyiccXovg ave^ouca — gtsivgv d'ccvz 'otyx&va nozi
poov. afjt-tpl ds doicä — ö^t^ovrcu 7rpo)(oat. rvjy piv xaXeouci N-Jpvjxog. — zr)V
v~ozyi vearJKaXdv ar6p.a, und der Scholiast.: ’Eparoa.Sivvjgsv'y reo7pa<pixwv
vyj<7g»v etvai rai v Iorpw rpyjal rptyttvqv , tcvjv 'Po&w, yjv IIcuxov Xs'^si cua tö
TCoXkag Treuxag. Dessgleichen Dionys. Perieg. 301. KEVzarcopoig TZpo^orjaiv
iXiGGop.evog 77spi IIevxvjv u. s. w. Man hält sie für die heutige Insel Piczina oder
St. Georg zwischen Babadag und Ismail, obgleich sich kein sicheres Uriheil fällen
lässt, da theils die Alten nur eine sehr mangelhafte Kenntniss dieser Gegenden
hatten, theils die Donaumündungen selbst im Laufe der Zeit grosse Veränderungen
erlitten haben. Pauly, Realencyklopädie des dass. Alterthums. Ant. TIsuxvj und
G. Wex, Darstellung der physischen SchifTfahrtshindernisse an der Ausmündung des
Donaustromes in’s schwarze Meer, in Österreich. Ingenieurzeitung 1837, S. 223 ff.
Mit der Lage und Beschaffenheit dieser Peuke kann aber die arrianische Erzäh
lung nicht in Einklang gebracht werden, und zwar erstens darum, weil die Peuke
Arrian’s Steilufer hatund von reissendem Wasser umflossen heisst (xai zrjg vyjgov zot
TroXXa aT:o'rop.a eg TrpocßoX^v, xai rö peöp.a zov 7rorap.o0 zo aur^v,
oia £77 ig orevdv air/xsxXsiap.svov, o(gv xai aTropov Trpoa^epea^at), die Peuke
ander Mündung des Ister aber nicht so erscheint. Versetzen wir uns darum auf
den Boden derselben. Müllenhoff a. a. 0. spricht von „einer“ im Delta liegen
den wohlbekannten grossen Insel. Dies ist aber sehr ungenau. Die Donau theilt
sich jetzt oberhalb Tultscha in zwei Arme. Der linke fliesst in ostnordöstlicher
Richtung , spaltet sich häufig und endet ohne Nutzen für die Schifffahrt in der
fünffach zertheilten Kiliamündung. Der rechte, südlicher strömende Arm spaltet
sich sogleich wieder in zwei Hauptäste , davon der nördliche jetzt Siilinacanal,
der südliche St. Georgscanal heisst. Zwischen jenem erstgenannten Kiliaarme und
dem Sulinacanal liegt dem Meere näher die Insel Kilia und Leti, westlicher aber
im Dreieck der Gabelung, durch den schmalen Seitenarm Papadia geschieden, die
Insel Tschetal. Zwischen dem mittleren oder Sulinacanale und dem Georgsarme
breitet sieh gleichfalls eine Insel aus, die des heil. Georg. Aus dem südlichsten
oder Georgsarme trennt sich noch eine schmalere, 5 Meilen lange Wasserader
ab, die sich in den hofartigen Ramsinsee ergiesst. Dieser ist seicht und lachen
ähnlich und hängt durch einige Öffnungen, worunter die Portitza die meiste
11*
164
Dr. E. Rocsler
Dieses missglückte Unternehmen brachte den Geten Unglück;
das Fehlschlagen der Absicht auf die Triballer sollte an ihnen ge-
Bedeutung hat, mit dem Meere zusammen. Die letzterwähnte Wasserader schliesst
mit dem mehrgenannten Georgscanale die Insel Dranow ein, welche ich, obgleich
sie nicht strenge hieher gehört, doch unter den Deltainseln aufführe, weil die
Alten die Ausflüsse des Ramsinsees zu den Mündungen des Stromes selbst
zählten und daher auch die zwischenliegende insulare Gegend in’s Delta einbe
zogen. Es sind also wenigstens vier Inseln, die wir heute in dem etwa über
40 Quadratmeilen ausgedehnten Mündungsgebiete unterscheiden. Und den Alten
waren noch mehr bekannt. P. Mela II, 7: sex sunt insulae inter Istri ostia: ex
bis Peuce notissima et maxima. Unpassend ist es also, nur von einer zu reden.
Doch dies war es nicht, was ich sagen wollte. Wie Beschreibungen und Karten
veranschaulichen, ist das ganze Donaudelta eine von vielen Rinnsalen durchschnit
tene Morastfläche, mit seichten Rohrsümpfen an deren unbestimmten Ufern. Die
einzigen etwas steileren Gelände liegen südlich vom Delta, also auf keiner Insel,
ragen bei Tultscha als Felsenriffe in den Fluss und begleiten ihn weiterhin durch
zwei Meilen mit niedrigem Rande. Im eigentlichen Delta aber und an dessen
Inseln ist nirgend eine Steilküste, die dem Landen aus diesem Grunde wehren
würde. Namentlich ist der Sulinacanai durch seine Umgebung von dunstschwan
geren, luftverpestenden Sumpfmooren berüchtigt, und es tauchen auf seiner letzten
untersten Strecke die Ufer kaum 6 Zoll über den Wasserspiegel hervor. Höher
und trockener sind wohl diebeiderseitigen Uferränder des St. Georgarmes, aber
da auch sie an den höchsten Stellen nur etwa 10 Fuss erreichen, nirgends von jenen
arrianischen Hindernissen umgürtet. Wie es nun solchen im Niveau des Meeres lie
genden Gestaden und Gebreiten entspricht, ist im Deltaraume das Wasser nirgend
eingezwängt und die Schifffahrt nirgend durch reissendes Fliessen gefährdet. So
strömt z. B. das Sulinawasser nicht schneller als 1—1*4 Fuss in einer Secunde. Die
Gefahren , welche Alexander der Grosse also an dem Terrain der Peuke gefunden
haben müsste, wären nicht die von Arrian erzählten gewesen, sondern höchstens
widrige Wiude, wie sie in der dortigen Gegend einen Theil des Jahres hindurch
wehen, stellenweise Untiefen und die aus den vielen und scharfen Krümmungen ent
springenden Misslichkeiten. S. Wex a. a. 0. Klöden , Handbuch der Erdkunde II,
S. 830. Neumann, Hellenen im Seythenl. S. 21. Zweitens finden sich aber Bedenken
in den Entfernungen, die Arrian’s Erzählung unbeachtet lässt. Die Triballer wohnten
im östlichen Theile von Serbien und dem angrenzenden Bulgarien. Zu Thukydides’
Zeit war der Fluss Oskios (Isker) die östliche Grenzmarke, und es lässt sich nicht
nachweisen , dass sie sich bis auf Alexander weiter nach Osten gewandt hätten.
Müllenhoff, der dies versichert, begründet seine Ansicht nicht. Wenn nun auch der
Fluss Lyginos, an dem die Schlacht mit den Triballern vorfiel, nicht der Isker ist, wie
einige wollten, sondern sogar westlich von diesem zu suchen wäre, so war für Alexan
ders Heer ein Weg von wenigstens 40 Meilen zurückzulegen, und diesen soll es in
drei Tagen vollendet haben. Man sehe von der Unmöglichkeit eines solchen Marsches
unter den günstigsten Terrainbedingungen ab und werfe einen Blick auf jenes Land,
über welches hin das Heer ziehen sollte. Es ist zwar vorherrschend eben, doch die
zahlreichen, vom Balkan herabrieselnden und schäumenden Gewässer werden nach
der Schneeschmelze (der Krieg soll aber im Frühling stattgefunden haben) zu
grossen Hemmnissen des Verkehrs. Dann sind alle Wege grundlos, welche über
die Lehmschicht führen und grössere Strecken werden nur noch zu Pferde und
mit grossen Beschwerden zurückgelegt. (Klöden II, 1143.) Überdies verlangte
Die Ge teil und ihre Nachbarn.
163
rächt werden. Sie waren ihrer 4000 Mann zu Pferd und 10.000 zu
Fuss auf dem linken Donauufer gelagert os ), um Zeugen des mace-
donischen Kampfes zu sein und einem Angriffe auf ihr Land zu
begegnen. Aber sie wähnten die Gefahr nicht gross, so lange der
brückenlose Strom vor ihnen lag, und als die gefürchteten Schiffe der
Macedonier gar von der Eroberung Peuke’s abstehen mussten, be
sorgten sie um so weniger etwas Schlimmes. Alexandern jedoch
reizte gerade die Kühnheit der That, und er beschloss eine Landung
auf dem nördlichen Ufer. Die Anwohner der Donau bedienten sich
zum Fischfänge, zur Freibeuterei und zu wechselseitigen Besuchen
zahlreicher roher Nachen , die man ihrer Verfertigung entsprechend
Einbäume nannte ° 4 ). Diese versammelte Alexander in grösster
das Locale einen Durchzug; durch die öden, wasserlosen Gegenden der Dobrudsclia.
Und Alles in drei Tagen! — Nach alledem bleibt nichts anderes übrig, als zu
erklären, Arrian und mit ihm Strabo habe sich diesmal in der Geographie geirrt
und den Namen Peuke gesetzt, wo er eine andere, höher gelegene Insel hätte nennen
sollen, und ein für allemal den Schauplatz dieses Donaukrieges von seiner Mün
dung mehr an den Oberlauf zu verlegen, ein Auskunftsmittel , welches auch
Grote ergriff. (Gesch. Griechenland’s VI, 437, der deutschen Übersetzung.) Die
Undeutlichkeit der ganzen Arrianischen Beschreibung lässt es aber nicht zu, sich
mit Anspruch auf Plausibilität für eine andere der vielen Donauinseln zu ent
scheiden, wie Barbier de Bocage und Bessell S. 28 gethan. Eine zweite Insel
Peuke anzunehmen, erlauben die alten Nachrichten nicht, welche keine andere
als die im Deltalande überliefern. Der Name übrigens, den die Griechen von
tcevxy) Fichte ableiten, kommt aber auch sonst vor. So Liv. XL., 5 eunt per sal-
tum, quem incolae Callipeucen appellant. Man kann dazu unsern Ortsnamen
Schönlinde vergleichen. Ich ergreife die Gelegenheit, zugleich einen Irrthum
Straho’s zu berichtigen. Er gibt den Weg von der Donaumündung bis zu jenem
Halse oder Trennungspuncte der Stromarme auf drei Meilen an. (VII, 30ü.) ava7rXou£
«rl t^v üsuxvjv ffraeucov sxarov eixoai. In Wahrheit ist aber der Kiliafluss 13,
die Sulinä 11, der Georgsarm 12 Meilen lang.
c3 ) v Ev5oc di] ’A'ki^a.vdpog zag vavg, e*yvo) foaßoctvsiv zov ”lazpov t
iirl zobg Tizag zobg nfpav zov "Ivzpov tpy.iGp.ivovg. Wenn der strategischen
Beschreibung Arrian’s nicht jene gerügten Mängel geographischer Ifrthümer an
hafteten , liesse sich aus dieser Stelle, welche es sicher stellt, dass die Geten
wenigstens hauptsächlich schon am linken Donauufer wohnhaft waren, noch aus
dem Umstande, dass dem Alexander auf dem Marsche vom Isker bis an die Donau
mündungen keine Geten begegnen , dieser Schluss bestärken. Denn da hätte er ja
durch einst getisches Gebiet hindurch müssen, und würden sich ihm denn die mulhi-
gen Geteu nicht ebenso entgegengestellt haben , wie sie es am linken'Uferlande
thaten? Doch Arrian darf diesmal nicht zu sehr auf Berücksichtigung Ansprüche
erheben. Vgl. übrigens die abweichende Ansicht Müllenhoff’s S. 432.
64 ) Diese p.ovo£uXa, zu jeder Zeit auf dem Strome üblich, erwähnt in so viel späteren
Tagen J. Cinnamus p. 114. Xep.j3«foov zi avaßag okoca rpd zalg axzalg evraöSa
öcadaXcOst aüro£uX«.
ICO
Dr. 15. 1« o e s I e r
Menge, liess auch seine griechischen Schifte besteigen und schifl'te
auf beiden Transportmitteln 1500 Reiter und 4000 Schwergerüstete
ein. Bei Nacht fuhr die dreiste Flottille über. Ein weithin am andern
Ufer sich erstreckendes Getreidefeld entzog die Landung der Auf
merksamkeit der Geten. Als der Morgen graute, mussten die Hopliten
mit quer vorgehaltener Sarisse das Getreide vor sich niederdrücken
und so gelangte man aus der Saat in das unbebaute Blachfeld. Hin
terher zog die Reiterei. Alsdann formirte man sich zum Angriff, den
Alexander wie immer voll persönlichen Muthes auf dem rechten
Flügel an der Spitze der Cavallerie selbst leitete. Das Erstaunen, die
Überraschung der Geten war gross. Als nun noch die geschlossene
Phalanx gegen sie marschirte, der Sturm der Schwadron unwider
stehlich auf sie herantobte, flohen sie in hellen Haufen in ihre nächst
gelegene Stadt.
Doch wie konnte diese, die schlecht befestigt sein mochte,
gegen eine feindliche Belagerung schützen, und Alexander rückte
hinter den Flüchtigen nach, eben so gross in Kühnheit als in Vor
sicht. Da nahmen die Geten ihre Weiber und Kinder auf die Pferde
und jagten in die Steppe, wohin, eingedenk der Schrecken des Hun
gers, welche Darius erfahren hatte, der künftige Besieger von Darius’
Nachfolgern nicht mehr nachzog. Doch die geräumte Stadt wurde
von den Macedoniern zerstört, die Beute fortgeschaflft und nach blu
tigen Werken zu solchen der Frömmigkeit Übergebungen. Die Drei
heit, Zeus des Erretters, Herakles und des Flussgottes Ister, dessen
Macht und Güte der König erfahren, erhielt ein verdientes Dankopfer.
Auch Alexander entbehrte der Anerkennung nicht. Nachdem er unge
fährdet wieder den Rückzug über das Wasser genommen, erschienen
Gesandte der Triballer und anderer Völker, schlossen mit ihm Frie
den und gaben ihm Pfänder ihrer künftigen Treue. Unter ihnen war
keine Nation wichtiger und merkwürdiger als dieKelten, welche nicht
lange früher ihren stürmischen Einzug in die Geschichte Ost-Europa’s
gehalten hatten und nun aus ihren Sitzen an derOstkü>te des adriati
schen Meeres und nordwärts von ihm, dem grossen Könige Friedens
hände reichend und Bündniss begehrend, nahten. Er wies sie, die von
Westen her das thracische Völkergewühle der Halbinsel in gefähr
liche Unruhe versetzen konnten, als nützliche Helfer nicht von sich 65 ).
ü5 ) Arrian I, 4. Vgl. MüllenholF 453, dessen scharfsinnig kühne Combination ich aber
nicht annehmen kann. Wie verschiedenartige Auffassungen überhaupt über diesen
Die Geien und ihre Nachbarn.
107
Thracische Reiter und triballische Bundesgenossen begleiteten nun
den Eroberer in den Osten 8e ).
Doch war durch Alexander’s Waffen ferneren Bewegungen auf
thracischem Boden noch nicht die Sehne zerschnitten. Der Aufstand
Memuon’s, eines von Alexander in Thracien eingesetzten Strategen,
gab dem Lande von neuem Anlass zu Kämpfen. Dieser nämlich rief
die Barbaren zum Abfälle von den Macedoriiern auf und wenn er
sieb auch bald wieder vor dem Naben des kräftigen Antipater unter
warf, so war doch eine bedeutende Gährung nachgeblieben. Die
Entzündung liess nicht lange auf sich warten: ein unvorgesehenes
Ereigniss beschleunigt sie. Zopyrion, ein macedonischer Befehlshaber
in dem östlichen am Pontus gelegenen Thracien, ertrug die Müsse
seines Dienstes, zu dem ihn Alexander bestimmt hatte, nur mit Wi
derstreben; darum versammelte er ein Heer von 30.000 Mann, über
fiel die Geten (auf dem rechten Donauufer?) ging aber durch plötz
liche Stürme und die Hand der Feinde mit se'nem ganzen Heere
unter. Auf die jubelnd empfangene Kunde von diesem Schlage, rief
Alexander’schen Feldzug im Schwange gehen, zeige folgende Anführung aus des
gelehrten Hahn's Reise nach Saloniki. Denkschriften der kais. Akad. d. Wissensch.
S. 221 : „Von Amphipolis aus zieht Alexander in der Absicht quer durch das südliche
Thracien bis zu dessen Nordwinkel, wo die ßalkankette in das schwarze Meer
abfällt, forcirt deren Küstenpässe und kommt zu dem Lyginus, dem heutigen Pra-
vati (?), der bei Varna mündet, von dem aus er in drei Tagmärschen den Isker ver
mutlich in der Gegend von Rustschuk erreicht. Nach einem vergeblichen Versuche,
eine der dortigen Donauinseln zu nehmen, auf welche sich die Triballer geflüchtet,
setzte er etwas oberhalb über den Ister und zerstörte die an dessen nördlichem Ufer
gelegene Getenstadt, welche wohl in der Nachbarschaft des heutigen Dschurdschevo
zu suchen ist“. Hahn citirt dazu die verwandte Ansicht von A. Jochmus in On a
journey in to the Balkan in 1847, S. 40: Nature has so strongly marked the best
amongst the many difficult passes of the Haemus, that at the distance of thousand
years the Ihree great Commanders (Darius, Alexander, Diebitsch) are found to
have operated by the same lines. Die gleichzeitige Erscheinung byzantinischer
Schilfe auf dem Ister, betrachtet Hahn nicht als eine Zufälligkeit, sondern sieht
hierin einen Beleg für die Planmässigkeit dieses Feldzuges und setzt ihre Aufgabe
namentlich in die Verproviantirung des Landheeres während seines Marsches längs
der Küste und am Strome.
Sehr originell ist auch die kritische Prüfung BesseU’s S. 23—29. Doch steht den
wiederholten Versicherungen zum Trotz die Ansicht, der Ister der alten Quellen sei
der kleine Fluss Panysus, im auffallendsten Widerspruche mit allem historischen
Zusammenhänge während aller Geschichte und würde die seltsamsten Consequenzen
zu ziehen erlauben.
66 ) Curtius IX. 3. — Diodor XVII, 17.
168
Rr. E. H « e s I e r
Seuthes die Odrysen zur erwünschten Empörung und Mucedoniens
Herrschaft in Thracien ward bis zum Grund erschüttert (um 3 2 6) «’).
Unter den Nachfolgern der getheilten Monarchie Alexander’«
des Grossen erhielt Lysimachus ausser einem bedeutenden Theile
Kleinasiens auch die thracischen Besitzungen des macedonischen
Reiches ° 8 ) (323). Aber ihre Bewohner standen noch immer in
Waffen und erfreuten sich der errungenen Unabhängigkeit. Lysi-
67 ) Diodor Sic. XVII, 62, 5; 63, 1. Vgl. Droysen, Geschichte des Hellenismus S. 273.
Müllenhoff a. a. 0. 453. — Justin XII, 2: Zopyrion praefectus Ponti ab Alexandro
magno relictus, otiosum se ratus, si nihil et ipse gessisset, adunato XXX milium
exercitu Scythis bellum intulit caesusque cum Omnibus copiis poenas temere inlati
belli genti innoxiae luit. Dazu Pomp. Trog. Prolog. XII Zopyrion in Ponto cum
exercitu periit. und Justin XXXVII, 3. Scythas invictos antea , qui Zopyriona,
4lexandri magni ducem, cum XXX milibus armatorum deleverant. . . . Ich gebe
mich gar keiner Sicherheit darüber hin , dass die im Texte vorgefiihrte Verbin
dung der Nachrichten die richtige sei. Aber wer die dürftigen Überlieferungen
prüft, dürfte wenigstens keine Argumente für eine wesentlich abweichende Dar
stellung aus ihnen entnehmen. Mit den Urtheilen ßessell’s (S. 29—31) sehe ich
mich wieder im Widerspruche. Erstens aber widerspreche ich der Behauptung,
dass man aus den kurzen , flüchtigen Zeilen über die obigen Ereignisse den
Schluss darauf ziehen könne, dass die Geten noch sammt und sonders auf dem
rechten Donauufer gewohnt hätten. Besässen wir keine anderen Angaben, als
diese, so würde über die Localität zu entscheiden uns gar nicht erlaubt sein.
Aber unterstützt durch Arrian werden obige Nachrichten natürlicher auf die
Ansiedelungen der Geten am linken Ufer bezogen. Ebensowenig kann ich zugeben,
dass man aus den Worten des Curtius Rufus: Zopyrio Thraciae praepositus heraus
lese , dass unter Thracien nur das Land südlich vom Hämus verstanden werde.
Und wie locker die Verhältnisse der nordhämischen Völkerschaften zur macedoni
schen Monarchie aussehon, wie unsicher auch ihr Gehorsam sein mochte, seit den
Siegen Alexander’s über Triballer und Geten, konnte ein macedonisclier König
Thraciens Grenze nicht an den Hämus bannen und die sonstige geographische
Ausdehnung dieses Wortes spricht auch nicht zu Gunsten derselben Ansicht.
Positiv entgegen steht aber die Vertauschung von Pontus, Scythia und Thracia
in den Nachrichten bei Justin; so XII, 1, 4 bellum Zopyrionis praefe’cti ejus (seil.
Alexandri) in Scythia. Bessell sucht dagegen die gewöhnliche Interpunction umzu-
stossen und setzt willkürlich ein Comma zwischen ejus und in Scythia. So kann
ich auch nichts „Albernes“ in der Darstellung Justin’s finden, wenn er der Hand
lungsweise Zopyrion’s unruhigen Ehrgeiz zu Grunde legt. Hingegen nenne ich die
Vermuthung Bessell’s plausibel, welche die chronologischen Schwierigkeiten zu
j ! ebnen trachtet, indem sie die Statthalterschaften Zopyrion’s und Memnon’s in
den westlichen und östlichen Gegenden Thraciens in denselben Zeitraum setzt.
68 ) Curtius X, 10, Lysimachus Thraciam appositasque Thraciae Ponticas gentes obti-
nere cussi.
Die Geten und ihre Nachbarn. 109
machus’ Thätigkeitslust und Eroberungseifer zögerte nicht lange,
sie ihnen wieder zu entreissen. Die Absicht, die ihn dabei leitete,
war ausser dem Wunsche, den früheren Besitzstand der Macedonier
in Thracien herzustellen, auch die, durch Unterwerfung der vielen
kriegerischen Binnenstämme sich Aushebungsbezirke reich an tapfe
ren Soldaten zur Ergänzung seiner Heere zu verschaffen. Lysimachus
zog zuerst gegen den mächtigsten Stamm des Gebirges, die Odry-
sen, welche an König Seuthes ein thatkräftiges Haupt besassen.
Dieser trat ihm mit 20.000 Mann Fussvolk und 8000 Reitern ent
gegen, und obwohl das Heer nur 6000 Mann stark war, worunter
2000 Reiter, nahm der alte Marschall Alexander’s die Schlacht an.
Sie war hartnäckig, der Verlust auf beiden Seiten gross und der Sieg
unentschieden. Doch in Ansehung seiner mehr als vierfachen Min
derzahl musste dieser Ausgang dem Lysimachus, der um sich zu ver
stärken zurückging, den guten Erfolg der Zukunft verbürgen 60 ).
Der weitere Verlauf des Bergkrieges mit den Thraciern ist
unseren Augen entzogen. Allein der Umstand, dass Lysimachus der
Betheiligung an allen grossen Fragen der damaligen bewegungs
reichen asiatisch-europäischen Politik sich enthielt, spricht wohl
dafür, dass er alle Kräfte an diese blutige Aufgabe wandte. Der
ungemeine Unabhängigkeitstrieb, der jedem griechischen Gemein
wesen eigen war, fehlte auch in den poetischen Seerepublikeu
der Westküste nicht. Seit den Tagen Philipp’s oder Alexander’s aber
versicherte sich Maccdonien ihres Gehorsams durch eingelegte Be
satzungen ebenso wie es dies im eigentlichen Hellas seit der Schlacht
von Chäronea that. Doch jetzt mag die Gelegenheit günstig erschienen
sein, das macedonische Joch abzuwerfen und die Städte vertrauten
nur allzurasch ihren Kräften des Widerstandes. An der Spitze der
feindlichen Erhebung stand Kallatis 70 ). Es verjagte des Lysimachus
Truppen aus der Stadt, leistete den übrigen Nachbarstädten Odessos,
Istropolis u. A. Beistand zu demselben Werke der Befreiung, und
schloss ein enges Vertheidigungsbündniss zur Bewahrung der wieder
erlangten jungen Freiheit sowohl mit diesen alten Bundesschwester
städten als auch mit den Thracierstämmen des innern Landes und
den Scythenhorden des Nordens. Man darf in dieser griechisch-
69 ) An imi bei Phot. cod. 92, 10. — Diodor XVIII, 14. — Pausan. I, 9, 7.—Vgl. Droysen,
Gesch, des Hellenisin. I, 326. — Müllenhoff a. a. O. 434.
70 ) Diodor XIX, 73.
170
Di*. E. Roesl er
barbarischen Völkerallianz auch die Geten als Theilnehmer ver-
muthen. So glaubten die politischen Hellenen der zu erwartenden
Hache des Lysimachus trotzen zu können. Dieser erfuhr kaum den
Abfall, als er sich schnell erhob, den Hämus überstieg und vor
Odessos, der nächsten dieser Freistädte lagerte. Die auswärtige
Hilfe, der man vertraut hatte, erschien nicht; die erschreckten
Bürger zogen vor durch Unterhandlungen mit Lysimachus sich
wieder zu vergleichen, und ihre Unterwerfung zu erneuern.
Kallatis, das nun dem nördlichen Marsche der Macedonier zunächst
am Wege lag, wagte der König nicht sogleich anzugreifen. War
es auch der Herd der ganzen Empörung, so muss es doch sehr
stark gewesen sein, und während einer langen Belagerung ge
wannen die Verbündeten Zeit eine überlegene Macht gegen die
Belagerer zu führen. Darum wandte sich das macedonische Heer
zuerst gegen die schwächeren Städte im Norden, um den stolzen
Vorort zu isoliren. Es gelang auch die Stadt Istriana wieder zur Un-
terthänigkeit zu bringen. Nun aber hatten die Thracier und Scythen
ihre Rüstungen beendet und rückten mit der vertragsmässigen Hilfe
zu Felde. Lysimachus wusste jedoch die Gefahr eines Doppelangriffs
zu zerstreuen. Er mochte den Thraciern für ihre im Falle einer Nie
derlage wehrlosen Gaue Besorgniss einflössen, oder durch den
Glanz militärischer Erscheinung imponiren, oder ihren Eigennutz
wecken; sie wurden bundesbrüchig und Hessen die gemeinsame Sache
im Stich. Darauf wurden die Scythen in einem blutigen Treffen ge
schlagen und bis an die Grenze ihrer Weide- und Wanderbezirke
verfolgt. Jetzt zogen sich die verderblichen Heereswolken über
Kallatis zusammen, und Lysimachus gelohte es sich, au den Rädels
führern in derStadt strenge Bache zu nehmen 71 ). Ihre Bürger waren
jedoch inzwischen nicht säumig gewesen, eine stärkere Coalition zum
Schutze ihres hart bedrohten Daseins herbeizurufen. Antigonus er
blickte sein Interesse in ihrem gefährdet und sandte unter der Anfüh
rungzweier Generale eine zahlreiche Macht zu Wasser und zu Lande.
Auch Seuthes, der Odryse, trat von Neuem in Waffen. Der Plan
dieser nach einem Ziele wirkenden Feinde ging dahin, durch bei
derseitiges Vorrücken von Süden wie von Norden Lysimachus wäh
rend der Blockade von Kallatis in die Mitte zu nehmen und zu er-
71 ) Diodor XX, 2ti.
Die Gelen und ihre Nachbarn.
171
drücken. In dieser Absicht landete der General Pausanias sein Heer
an der sogenannten heiligen Mündung, jetzt Georgsmündung der
Donau, der andere Lykon an der thracisclien Küste, um Seuthes die
Hand zu reichen. Auf diese Art musste Lysimachus von den Hilfs
quellen im eigenen Lande abgeschnitten werden und durfte das
Ärgste fürchten. Hier galt es durch äusserste Schnelligkeit jedes
Heer einzeln anzugreifen. Rasch warf sich also Lysimachus in den
Hämus, dessen wichtige Passwege Seuthes schon besetzte. Nicht
ohne grossen Verlust der Seinigen gelang es, den Sieg über den ge
fährlichen Thracierfürsten zu erringen. Kaum war er mit ihm fertig,
als er schon vor Pausanias wieder im Norden erschien, diesen auf
ungünstiges Terrain drängte und dort völlig schlug. Pausanias selbst
fiel; viele der gefangenen Söldner reihte Lysimachus in seine Com
pagnien ein. Das Schicksal der zweiten antigonischen Heerabtheilung
ist unbekannt, glich aber wahrscheinlich dem der Bundesgenossen.
So war auch die zweite Allianz niedergeworfen und das Schicksal
von Kallatis konnte durch die Tapferkeit seiner Vertheidiger noch
verzögert, aber nicht aufgehalten werden 73 ). Während dieser Bela
gerung stieg der Hunger so sehr, dass ein grosser Theil der Un
glücklichen dem unrettbaren Orte entfloh. Tausend von ihnen nahm
Eumelos, der Fürst des kimmerischen Bosporos bei sich auf, gewährte
ihnen ein Asyl, gab ihnen eine Stadt zur Bewohnung und theilteLand
aus unter die armen Vertriebenen. Auch der Flüchtlinge aus anderen
Städten, deren Mauern die Macedonier brachen, nahm er sich edel-
wohlthätig an. Von nun an welkte der Hellenismus am westlichen
Gestade des Pontus.
Lysimachus vergass den Geten die Hilfeleistung nicht, die sie
den Griechen zu bringen bereit gewesen und nachdem er das übrige
Thracien unterworfen, jene Griechenstädte seinem Reiche ange
schlossen, gegen seinen grossen Feind, Antigonus, durch ein Bündniss
mit Seleucus von Syrien und Ptolemäus von Ägypten sich gestärkt
hatte, erötfnete er auch gegen sie den Krieg. Als Geterikönig wird
damals Dromichaites genannt, ein Mann, der eines Gegners wie Lysi
machus völlig würdig schien. Diesen aber vcrliess diesmal sein oft
erprobtes Glück. In einer Schlacht geriet sein jugendlicher Sohn
Agalhokles, der hier sein militärisches Tifocinium begann, in die
72 j Diodor XX, 22, 23.
172
Dr. E. R o e s | e r
Gefangenschaft der Sieger, ihn rettete nur eilige Flucht. Nun hätte
er eines grossen Sieges bedurft, um seinen Sohn um geringeren
Preis auslösen zu können. Doch auch die folgenden Treffen waren
nachtheilig für die Macedonier, und den Frieden, den tler Monarch
mit den Geten unterhandelte, musste er unter ungünstigen Bedin
gungen abschliessen. Ihr Inhalt ist nicht bekannt; nur verlor er für
den freiwerdenden Sohn eine Tochter, die er dem Barbarenkönige
in die Ehe zu geben sich genöthigt sah 73 ).
Einige Jahre darauf (292) finden wir Lysimachus wieder in einem
Kriege mit Dromichaites, in welchem er den Schimpf des vorigen Feld
zuges zu rächen gedachte. Der greise König drang mit seinem Heere
rasch über die Donau vor, bis in die öden Strecken, die zwischen
diesem Flusse und dem Dniester liegen und jetzt Bessarabien heissen.
Durst und Hunger fingen an die Soldaten zu quälen, für deren
Versorgung jene Gegenden nur Unzureichendes boten. Als die Gelen
endlich gegen die Erschöpften anrückten, waren diese keines grossen
Widerstandes mehr fähig und König und Heer mussten sich kriegs
gefangen ergeben. Die getischen Schaaren forderten laut die öffent
liche Hinrichtung des gefangenen Herrschers, denn es müsse ihnen
freistehen, an ihren Feinden geziemende Rache zu nehmen. Aber
anders, klüger und edler dachte der König Dromichaites. Er empfing
den ins Unglück Gefallenen freundlich, umarmte und küsste den Er
staunten, nannte ihn Vater und führte ihn in die Stadt Helis. Die blut
gierigen Untertbanen aber beschwichtigte er mit Vorstellungen: es
sei dem getischen Lande nützlicher, Milde statt der Strenge zu wäh
len, denn nach Lysimachus’ Ermordung würden andere und vielleicht
mächtigere Fürsten der Macedonier die Ansprüche des Todten und
die Sühne seines Blutes aufnehmen; seine Freilassung aber werde
jeneForderungen für immer erlöschen und sie des Friedens gemessen
machen.
Die Menge gab den königlichen Gründen nach. Nun liess Dro
michaites unter den Gefangenen die Freunde des macedonischen
Monarchen aufsuchen und zu dem Trauernden führen. Dann ver
einigte er sie mit den vornehmsten Geten bei einem Gastmahl. Die
Teppiche, die man in der Beute gefunden hatte, lagen da zu Sitzen
73 ) Die Berichte sind wieder trümmerhaft und widerspruchvoll auf uns gekommen.
S. Diodor XXI, 18. — Pausan. I, 9, 7. — MüIIenhoff a. a. 0.
Die Geten und ihre Nachbarn. 173
gebreitet für Lysimachus und sein Gefolge, auf Strohsitzen nahmen
die Geten und ihr König Platz. Auch gab es zweierlei Speisen: köst
liche Gerichte in reichlicher Auswahl auf Silbertischen und wieder
schlichte Gemüse- und Fleischkost auf hölzernem Brette. Die ersteren
genossen die Fremden , die Sieger die anderen. Diese tranken den
Wein aus Horn- und Holzgefässen, den Macedoniern reichte man ihn
in silbernen und goldenen Bechern. Inmitten des Zechens füllte Dro-
michaites das grösste Horn, wandte sich zu Lysimachus, nannte ihn
wieder Vater und fragte ihn, welches Mahl ihm königlicher dünke,
das der Macedonier oder das thracische. Als dieser zur Antwort
gab: das macedonische, sprach der Barbarenfürst: „Was trieb dich
denn al-o an, alle diese Bequemlichkeit und dies herrliche Leben
und dein blühendes Reich zu verlassen, und Leute, die als Wilde
leben, und ein rauhes, an milden Früchten armes Land zu besuchen
und den Gesetzen der Natur zum Trotz deine Truppen unter einen
Himmelsstrich zu führen, wo es ein fremdes Heer im Freien nicht
aushalten kann.“
In der Lage, in welcher sich Lysimachus fand, konnten diese Worte
eines gewissen Eindrucks auf ihn nicht verfehlen und er gestand, er
habe mit diesem Feldzuge einen Fehler gemacht, aber für die Zu
kunft wolle er des Geterikönigs Freund und Bundesgenosse zu sein
trachten und beweisen, dass er nicht weniger dankbar sein könne,
als sein Wohlthäter edel. So gab Lysimachus auch die von den Geten
begehrten festen Orte, die er ihnen einst abgenommen haben soll,
zurück und der Barbarenfürst setzte ihm das Diadem wieder auf und
entliess ihu in seine Staaten 74 ). Ob der königliche Greis mehr die
Bitterkeit der Niederlage und den Schimpf der Gefangenschaft oder
die grossherzige Gesinnung des Dromichaites empfand, bleibt unge
wiss. Andere Angelegenheiten zogen ihn nach anderen Orlen und
74 ) Diodor XXI, 20, 21, 22. Trog. Pompej. Prolog. XVI. Ut Lysimachus in Ponto
captus ac missus ab Dromichaete. Justin. XVI, 1, Lysimachus quoque cum bello
Dromichaetis, regis Thracum, premeretur, ne eodem tempore adversus eum dimicare
necesse haberet, tradita ei altera parte Macedoniae, quae Antipatro genero eius
obvenerat, pacem cum eo fecit. Polyaen VII, 25. — Strabo VII, 302. — Pausan. 305,
22, 5, 6. — Memnon in fragm. histor. graec. III, 231, 5. — Vgl. die Kritik ßessell’s
S. 31 — 36, welche die Schwierigkeiten der Berichte mehr vergrössert als ebnet. Er
verwirft wieder die Feldzüge jenseits der Donau und liefert eine Darstellung, die
nichts mehr mit den übermässig getadelten Alten gemein hat.
174
I)r. E. Roesle r
bis zu seinem Tode (J. 281) ist kein die Geten berührendes
Ereigniss zu berichten 75 ).
Den Gefahren, welche die Macedonier über die Unabhängigkeit
der Geten gebracht hatten, waren diese in mannigfachem Glück
wechsel tapfer, klug und edelmiithig widerstanden, denn keiner der
Nachfolger des Lysimachus besass mehr die Macht, erobernd gegen
sie aufzutreten. Aber wie dieses Volk in Gegenden gelagert war,
wo der Anstoss nie endender Völkerwanderungen von jeher auf das
Härteste traf, ereilte die jüngst Geretteten ein neues, unwidersteh
licheres Schicksal. Schon zu Alexander’s des Grossen Zeit hörten wir
von Kelten am Nordgestade des Adriameeres, damals des jonischen
oder illyrischen Busens. Noch waren sie dort ein neues Volk 7,! ).
Seither hatten sie sich von den öden Alpenhöhen aus ostwärts aus
gedehnt und waren in immerwährendem lawinenartigem Vorrücken.
Was konnte sie zurückhalten, nachdem die Schrecken eines wilden
Hochgebirges und die Gefahren seiner Übergänge ihnen ein Leichtes
gewesen! Sie gelangten in den Besitz Pannoniens, eines vortreff
lichen Terrains für ihre Sauheerden 77 ); sie schlugen schon Sitze an
der Save; dem Ungestüm ihrer furchtbaren Angriffsweise war der
Erfolg treu. Bald entging auch Thracien ihrem Anfalle nicht 7S )
(J. 281). Endlich im J. 280 brach auch über die unglückliche grie
chische Halbinsel, welche seit den Tagen des grossen macedonischen
Philipp so vielen Jammer schon erlebt hatte, der wilde Menschen-
sfurm los. Von mehreren Häuptlingen geführt, ergoss sich ein unge
heures Heer, dessen Anzahl das Entsetzen noch übertrieben hat 7 ' J ),
75 ) Es bleibt höchst unsicher, ob die Worte Justin’s XVI, 3: Inde Thraciae bellum
intulerat sich auf die Gelen beziehen, wie Möllenhoff will (S. 4öö), der diese neue
ßekriegung zwischen die Jahre 286 (die Eroberung Macedoniens durch Lysimachus)
und 281 einreiht. Ebenso sehe ich in den daran geschlossenen Muthmassungen des
selben kritischen Forschers keinen festen Boden.
76 ) Aman. Exped. Alex. I, 4.
77 ) Justin. XXIV, 4 portio lllyricos sinus ducibus avibus per strages barbarorum pene-
Iravit et in Pannonia consedit: gens aspera, audax, bellicosa , quae Alpium
invicta iuga et frigore intractabilia loca transscendit. Ibi domitis Pannoniis per
multos annos cum finitimis varia beila gesserunt.
7S ) Zu Folge Pausanias X, 19, 4.
79 ) Justin XXIV. 4, 1 und G. Hortante deinde successu divisis agminibus alii Graeciam,
alii Macedoniam omnia ferro prosternenles petivere, tantusque terror Galilei nominis
erat, ut etiam reges non lacessiti ullro pacem ingenti pecunia mercarentur.
Die Gelen und ihre Nachbarn.
175
über Mucedonien, wo der König Ptolemäus im vergeblichen Wider
stande fiel so ), warf sieb nun nach Griechenland, und fand, wie helle
nische Religiosität beeifert versicherte, erst vor dem heiligen Delphi
die Grenze ihrer Verheerungen. Die Schaaren, welche an diesem
Zuge nicht Theil genommen und so dem Loose der Vernichtung an
den erschütterten Gipfeln des Parnass entgangen waren, wandten
sich in geschwächter Zahl nach Thracien und Asien. Viele kehrten
auch zurück in die Heimat, zu deren Schutze ein Heer von 18.000
Männern war zurückgelassen worden. Diese aber hatten die zuge-
theilte Rolle unthätigen Harrens unerträglich gefunden, ihr verwegen
ruheloser Sinn verlockte sie zu Ungehorsam und kriegerischem
Auszuge. Sie überfielen die Triballer und Geten 81 ), und brachten
ihnen eine Niederlage bei. Später soll jedoch diese Abtheilung in
ihrer Unvorsichtigkeit dem Könige Antigonus Gonatas von Mace-
donien erlegen sein. Drei Jahre nachher schlugen die Kelten, aus
den anderen Ländern der grossen Halbinsel glücklich hinausgedrängt,
unter Führung des Coiriontorius bleibende Sitze in Thracien auf, und
bedrohten von hier die zwei nachbarlichen Continente. Ihr Räuber
stand am Fusse des Hämus, wird nach der Hauptstadt Tyle ge
nannt 83 ).
Schwer muss der Druck dieser unwiderstehlichen Nachbar
schaft s ») wie auf allen tbracischen Stämmen, so auf den Geten gelegen
sein; die Einigkeit, die ihnen vielleicht geholfen hätte, verschmähten
80 ) Diodor XXII, 8: 'Jüö raXatwv IlroXsfJiatos 6 ßaadeüc saydqvj xal -äaa >5
Maxeftovtx^ ouvajjug xarsxoTrvj xal diefpSapyj. Justin a. a. 0.
81 ) Müllenhoff a. a. 0. bezieht die Niederlage der Geten bei Justin. XXV, 1 auf die
Gallier von Tyle; anders Schmidt in: „Das olbische Psephisma im Rhein. Mus.
IS36, S. 273 ff.“, der aber gegen den Sieg des Antigonus als eine Fabel eifert.
Gewiss hat seine Untersuchung sich das Verdienst erworben, die Widersprüche der
alten Geschichtschreiber in der Erzählung der Galliereinfälle in helles Licht zu
stellen. .
82 ) Polyb. IV, 46, oevzov di xarc'pteivav dt.ee ro yikoyupriGat rolg xepl rd Bu£avuov
roKoig. ol xal xparyj navre g t&v Opax&v, xal xarao’xsuao'ap.svot ßccaiksiov rvjv
TuXvjv stg oXoayzpr) xtvöuvov ^*yov robg Bu£avrr'oug.
83 ) Schmidt, Olb. Psephisma a. a. 0.: „Wären nur die südlich en Thracier ihnen unter-
than gewesen, sie würden sicher eine andere Wahl getroffen und nicht ihre Haupt
stadt an die entfernteste Kante ihres Reiches hingebaut haben, wo sie in diesem
Falle nicht nur von anderen feindlichen Völkern im Norden begrenzt worden wären,
sondern auch den im Süden unterworfenen Völkerschaften und Städten, wie Byzanz
thörichter Weise durch die weite Entfernung um so leichtere Gelegenheit geboten
haben würden, sich von dem drückenden Joche frei zu machen“.
176
Di\ E. I! o e s I e r
sie und zogen es vor, der Tyrannei auszuweichen oder sie stumm zu
erdulden. Häufig sehen wir von jetzt an thracische Sold ner im Dienste
der ewig sich befehdenden Könige von Syrien 84 ) und getische Edle
sind Anführer fremder Heere 85 ).
Doch aller keltische Staatsbau hatte von jeher etwas Lockeres,
Haltloses, und entging nicht frühem Verfalle 8 «); auch die Herrschaft in
Thracien verfiel im Innern und widerstand bald nicht weiter dem
nationalen Befreiungsdrange der Thracier 87 ) (um 213). Durch die
Gallier von Tyle scheinen auch die letzten Trümmer des längst ge
schwächten getischen Gemeinwesens im Süden der Donau für immer,
sicher aber während der Dauer jenes Reiches verschwunden zu sein.
Hingegen im Norden desselben war des Volkes Kraft in diesem Zeit
räume noch aufrecht geblieben und mochte in den weiten Weide
steppen der jetzigen Walachei, auch Reste jener südlichen Bevöl
kerung um sich sammeln, welche das Leben unter keltischem
Schwerte verabscheuten. Doch auch hier genossen die Geten nicht
lange eines ruhigen Bestandes; ein neuer Menschenschlag warf sich
an ihre Seite und bedrängte sie mit ursprünglicher Wildheit, die
Bastarner ss ). Vom galizisch-polnischen Plateau her breiteten sie
sich gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. in südöst
licher Richtung aus, erschienen an den Donaumündungen, und ihre
Herrschaft umspannte weithin im Norden und Osten den hohen kranz-
84 ) Athenäus XIII, p. 593. — Polyb. V, 63. — Vgl. Schmidt a. a. 0. S. 379. — Miillen-
hoff a, a. 0. S. 436.
85) Polyän. IV, 16. — Vgl. Schmidt a. a. 0. S. 486, 487.
86) Mommsen, Röm. Gesch. III, 212 ff.
87) Polyb. IV, 46. — Schmidt a. a. 0. S. 393.
88) Zeuss, Die Deutschen und ihre Nachbarn S. 129: „Die Bastarner sind das erste
deutsche Volk, welches auf dem Schauplatze der Geschichte auftritt, in der ersten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr.“ „Auf dem nördlichen Ufer der Donau lag
ihre Heimat“, d. h. ihre erste im Tageslichte der Geschichte liegende Niederlassung.
Und auch nur dieses beweisen die angeführten Stellen aus Livius XL, 38: cetera
multitudo retro , qua venerant, transdanubianam regionem repetiit. 1. XLI, 19:
Bastarnae patrias sedes sepetere statuerunt; itaque ad Istrum regressi non sine
ingenti laetitia flumen alta concretum acie obfenderunt, quae nullum onus recusare
videretur. Ankömmlinge in der Nähe desPontus nennt sie noch der Vers des Scymnus
(v. 30 fr.) : Ovtol de 0p$xsg, Baorapvai z^in'cXvdeg.
„Die Sitze der Bastarnen erstreckten sich von den Ligiern an der Ostseite des
karpathisehen Gebirgszuges bis zu den Donaumündungen.“ Von der Rückseite der
nördlichsten Dacier, der dem Reiche des Vannius benachbarten Gebirgsdacier, nennt
sie Plin. IV, 12 adversa Basternae lenent aliique inde Germani.
Die Geten und ihre Nachbarn.
177
förmigen Gebirgswall der Karpathen und verschaffte ihm den Namen
der bastarnischen Alpen 89 ). Sie waren lauter Männer, die nicht Acker
bau, nicht Schifffahrt verstanden und nicht als Hirten von ihren Her
den, sondern einzig und allein vom Kriege lebten. Ihr Wuchs war
hoch, ihre Gewandtheit erstaunlich; aber auch ihr Hochmuth, ihr
Prahlen, ihnen gemein mit den Kelten, hatten eben so sehr einen
weiten verdienten Ruf 90 ). Mit diesen Bastarnern mussten die Geten
manchen harten und nicht immer glücklichen Kampf bestehen. Von
ihrem Ehrgefühle darin erzählt man uns ein redendes Beispiel. Der
König Oroles verurtheilte diejenigen, welche in einem Gefechte mit
den Bastarnern waren geschlagen worden, dazu, dass sie alle Dienste,
die sie bisher von den Weibern zu empfangen gewöhnt waren, von
jetzt an selbst verrichteten, auch in ihrem Bette den Kopf an die
Stelle legten, wo sie sonst die Füsse hatten, und dies so lange, bis
ihre Kriegerehre durch eine rühmliche That gereinigt wäre 91 )-
Wie lange diese Bekriegungen und das Wechselspiel von Sieg
und Niederlage währten, endlich erfuhr das Getenvolk eine Schwä
chung und Einschränkung seiner Herrschaft und es bildete sich in
denRäumen bis zumDniester hin immer mehr eine seltsame Mischung
der verschiedensten Volkselemente, ein Bild wie von zahlreichen
durcheinander geworfenen Gesteinschichten. Geten und Scythen,
Sarmathen und Bastarner und andere unbestimmte Horden und Völker
wellen wogten und hausten hier neben und durcheinander. Bald
tritt dieser, bald jener Stamm mächtiger, gebietender auf, und leiht
wohl auch der weniger kundigen Ferne gegenüber dem ganzen
Gewühle für eine Spanne seinen Namen. In gemeinsamer Lebensweise
69 ) Alpes Bastarnicae nach der Peutinger’sclien Tafel, welche Blastarni daneben setzt.
Auch die Bezeichnung: bei Ptolemiius, Ta ITeuxtva opyj, ITsuxvj opog, wird dasselbe
sagen, da die Peucini ein bastarnischer Stamm, oder sie selbst mit einem anderen
Namen sind. Tacit. Germ. 46. Über ihre Verwandtschaft mit einem der grossen
Hauptvölker gehen die Aussagen der Alten sehr auseinander. Für Deutsche er
klären sie Strabo (VII, 306), Plin. (IV, 14), Tacit. (Germ. 46); für Gallier
Polybius (XXVI, 9), Livius (XL, 58, XLI, 18, XLIV, 26). Plutarch (Aem. Paul. 9,
12, 13) und Diodor; für Scythen Dio Cass. (LI, 23). Natürlich sind nun auch
die Ansichten der Neueren getheilt. Vgl. Grimm, Gesch. d. d. Spr. 458. — Zeuss,
a. a. 0. — Diefenbach, Celt. 2, 211, 229.
90 ) Plutarch, Aem. Paul. c. 9 und 12. — Livius XL, 5.
91 ) Justin. XXXII. 3, 16. Ich merke hiebei an, dass hier zum ersten Male der Dacier
Erwähnung geschieht, also jedenfalls von norddonauischen Gegenden die Rede ist,
muss aber die Ansicht MüllenhofTs verwerfen , der diese Notiz Justin’a auf die
Geten am Hämus bezieht a. a. 0. 456.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. I. Hft.
12
178
Dr. E. Roesler
verwischten sicli viele der bisherigen Volksunterschiede und ehe
malige Gesittung gab sich dem allgemeinen Zuge zur Verwilderung
hin. So mochte es auch den Geten ergehen.
Die Bastarner aber folgen auch hierin keltisch-germanischem
Gebrauche, dass sie in häufiger Aussendung grösserer Heermengen
den Krieg in entferntere Gegenden tragen. Im Dienste eines fremden
Herrschers zu marschiren, ist ihnen ein erwünschtes Los. Eine
ihrer Heerfahrten auf thracischem Boden beschäftigt unser Interesse.
Nach dem unglücklichen Kriege, welchen der ehrgeizige Philipp von
Macedonien gegen die Römer geführt hatte (200 — 197), sann er
fortwährend auf eine Erneuerung desselben unter günstigeren Um
ständen; im Stillen rüstete und plante er unausgesetzt und warb auch
unter den Barbaren Söldnertruppen. So besprach er mit den Bastar
nern eine grosseUnternehmung voll drohender Gefahr für Rom. Seit
lange waren die Dardaner (im heutigen Serbien) eine häufige Geissei
und stete Bedrohung für Macedonien gewesen. Diese lästigen Räuber
nachbarn durch eine andere der raubenden Volkshorden zu schwä
chen oder gänzlich zu vertilgen, gemäss einer klugen Politik, welche
auf dieser Halbinsel das kaiserliche Byzanz später mit so manchem
Erfolge geübt hat, war die nächste Absicht König Philipp ’s. Die Ba
starner sollten über die Donau herüberkommen, die Dardaner an
greifen und vernichten. Wäre dies gethan, sollten sie, indess ihre
Weiber und Kinder in dem eroberten Dardanien zurückblieben, auf
dem gebirgigen Landwege mitten durch andere wilde Völkerreiben
(darunter die Skordisker) sich auf Oberitalien und in den Kampf mit
den Römern stürzen. Und von diesem hoflfte Philipp in jedem Falle
und bei jedem Ausgange Vortheil für Macedonien. Siegten die Ba
starner über die Römer, so siegten sie zumeist für ihn; dann war für
ihn der grosse Augenblick zu erneutem glücklicheren Losbrechen
erschienen; wurden sie aber geschlagen und aufgerieben, so fiel
ihm die von zwei Feinden befreite Landschaft Dardanien zu. Er ge
wann die bastarnischen Häuptlinge durch Geschenke, versprach der
Menge Zufuhr und ungehinderten Marsch durch die Gaue der am Wege
liegenden thracischen Völker und — der wilde Völkersturm brauste
in’sLand. Alles ging gut, bis dieNachricht voinTodePhilipp’s eintraf,
welcher unerwartet in der Fülle seiner Entwürfe aus dem Leben ge
schieden war (179 v. dir.). Nun fehlte das mächtige Haupt, die um
sichtige Seele; die Schwierigkeiten traten mehr und mehr hervor.
Die Geten und ihre Nachbarn.
179
Die Bastarner überhoben sich, wollten nicht Zucht und Ordnung
halten; Raub- und Gewaltthaten gegen die Thracier reizten diese
zur Vergeltung; es entspannen sich erbitterte Gefechte. Sie mochten
zum Vortheil der übermächtigen Bastarner sein. Da vereinigen sich
die Verzweifelnden insgesammt, verlassen Haus und Feld und be
setzen die Berge. Bei dem Angriffe auf eine der Anhöhen, sie hiess
Donuca, erleidet das bastarnische Heer, während zugleich ein uner
hörter Wolkenbruch niedergeht, ungeheure Verluste. Denn die Ver
wirrung, welche das tosende und krachende Gewitter hervorruft,
ist grenzenlos, die Verfolgung für die wegkundigen Eingebornen
leicht und voll blutiger Erfolge. Aber die Kraft der Bastarnen war
noch immer gross genug, die Dardaner in ihrem Lande in Bedräng-
niss zu bringen. Diese setzten hartnäckigen Widerstand entgegen,
und endlich verzagten die Bastarner, trotz der Bundesgenossenschaft,
die sie an den rohen Skordiskern gefunden hatten, dennoch an dem
Ausgange ihrer Unternehmung und beschlossen den Rückzug. Allein
der beimkehrende Schwarm fand seinen Tod in der Donau, deren
Eisdecke unter der Last einbrach aa ). König Perseus, der Erbe des
macedonischen Thrones und des Römerhasses, doch nicht zugleich
der Eigenschaften seines Vaters, warb in dem bald wirklich ausbre
chenden Kriege mit Rom einen anderen grossen Keltenschwarm,
unter dem Führer Clondicus. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch
Geten demselben sich änschlossen, da der ganze Zug einmal auch ein
getischer genannt wird #*). Doch verlief er gleichfalls ohne Erfolge.
Des Perseus Habgier marktete und mäkelte an dem gedungenen Solde
und die Barbaren zogen entrüstet über die Donau zurück. Die mace-
donische Monarchie aber erlag bald darauf an dem Tage von Pydna
dem Glücke der römischen Waffen zum zweiten Male und erlitt ihre
Auflösung. Durch diese nicht lange darauf auch als Provinz einge
richtete neue Erwerbung, trat die römische Herrschaft in unmittel
bare Berührung mit Thracien. Doch achtete man dessen zu Rom
soviel als möglich nicht und kümmerte sich nicht im Geringsten
um den Hader seiner Völker; selbst gelegentliche Grenzverletzungen
von ihrer Seite nahm man nicht so strenge. Das Regiment Roms in
92 ) Livius XL, 5, 87, 88, XLI, 19, die Berichte sind unvollständig, doch reichen sie,
den Zusammenhang erkennen zu lassen, aus.
93 ) Appian. de reh. Maced. XVI. Et? öe TeVag IVre/ztre robg üxep Tarpov. — l'sröjv
5k vdv 'Iavpov trspaadwoov. Vgl. Mommsen, Rom. Gesch. I, 745.
12*
180
Dr. E. Roesler
dieser Zeit war im Allgemeinen schwach und schlaff und heschied
sich mit dem allergeringsten Maasse von Thätigkeit nach aussen.
Es bedurfte erst eines äusseren Anstosses, um seine Energie in die
sen Landschaften zu stacheln und zu beleben ° 4 ). Und dieser erfolgte
im Jahre 114. Da nämlich brach wieder einer jener wilden Ver
heerungszüge auf, wie sie unsesshafte und ruhfeindliche Völker zum
Verderben der Culturländer unternehmen- Ein Gemenge thracischer
Völkerschaften drang hier bis Thessalien, dort bis Dalmatien vor; da
setzte das Meer ihren Schritten, nicht aber ihren Wünschen Grenzen;
sie schleuderten Speere in die rollenden Fluthen hinaus, sei es aus
Ärger über das für sie unwegsame und beuteleere Element, oder nm
durch einen prahlerischen Act ihre Herrschaft auch über dieses
anzutreten und zu erklären 95 ). Unter jenen raubenden Horden
erweckten durch grässliche viehische Grausamkeiten am meisten
Furcht und Entsetzen die bergbewohnenden Skordisker; vor Allem
widrig erscheinen ihre Gewaltthaten am weiblichen Geschlechte 96 ).
Diese Wüthenden überfielen den Consul G. Porcius Cato und hieben
sein Heer nieder. Er hielt es nicht für zu schimpflich, einem solchen
Tage zu entfliehen. Siegjubelnd ergossen sich die Barbaren jetzt nach
allen Seiten, wurden aber dennoch vom Praetor M. Didius, das
römische Gebiet zu verheeren, abgehalten. Seit den Momenten dieser
grossen Gefahr ging man zum nothwendigen Angriff über. Zuerst
M. Drusus (112). Er hinderte jeden feindlichen Übergang über die
Donau, welche damals zum ersten Male die römischen Feldzeichen
an ihren Ufern sah, unter deren Schutze allein die Cultur in diesen
M) Vgl. Mommsen, It. G. II, 1G7.
95 ) Derselbe Umstand findet sich auch anderwärts häufig berichtet. Der König Authnris
ritt bei Rhegium in's Meer hinaus und rief, indem er mit seinem Speere an eine
mitten in der Brandung stehende Säule schlug: Bis hieher das Reich der Lango
barden. Von Okba-, dem Feldherrn des Chalifen Muawija, erzählt man, dass, als
die Küste seinem Vordringen Schranken setzte, er in das Meer hinausritt, bis
das Wasser seinem Pferde bis an den Hals reichte. Nun kehrte er mit dem Aus
rufe um, dass nur der atlantische Ocean ihm Grenzen setzen könne. Kaiser Otto
der Grosse soll nach der Eroberung Jütlands den Speer in’s Meer versandt haben
zum Zeichen seiner Oberherrschaft auch über dieses. Der lilhauische Fürst Witowt
hat, nachdem er die Nogajer bis zum Dnjepr zurückgetrieben, und als er bis zum
Lakul Ovidului vorgedrungen war, sich mit seinem Pferde von einem vorspringenden
Felsen in die Meeresfluth gestürzt und ist eine halbe Meile weit geschwommen, um
anzudeuten, dass er in den Besitz der Gestade des Pontus getreten. (Vgl. Ermann,
Forschungen zur Gesell, d. südl. Russlands V, 197.)
96 ) Flor. 1, 38, partus gravidarum mulierum extorquere tonnenfls.
Die Geten und ihre Nachbarn,
181
durch tausendfache Räubereien geschändeten Ländern erblühen
konnte. M. Minucius übertraf und krönte die Erfolge seines Vor
gängers durch einen vernichtenden Sieg über die Skordisker, deren
Rolle nun ausgespielt erscheint 97 ). So versinken von da an auch
die Triballer in Vergessenheit 98 ).
, Die folgende Periode von dreissig Jahren weiss von häutigen
und wie es scheint blutigen Kämpfen an der macedonisch-thracischen
Grenze, welche durch Einbrüche der ungebändigten Thracier ent
standen und noch oft genug zu ihrem Vortheile ausschlugen. Ihre
einförmige Schilderung ist uns durch die Verluste genauerer Nach
richten erspart. In dem gefährlichsten asiatischen Kriege, den Rom
zu führen hatte, in dem mit dem pontischen Könige Mithridates waren
thraeische Stämme seine Bundesgenossen und mussten so die Waffen
seiner Gegner von Neuem wider sich reizen ”). Im J. 76 musste
Appius Claudius Pülcher gegen den Einbruch neuer Ankömmlinge
im Süden der Donau, die Sarmaten, zu Felde ziehen 10 °), und
nach seinem frühen Tode drang C. Scribonius Curio durch die Ge
biete der Dardaner bis Dacien vor (74); aber das Dunkel der tiefen
Wälder soll ihn von weiterem Vordringen abgeschreckt haben 101 ).
Im nächsten Jahre erhielt M. Lucullus den Oberbefehl in Macedo-
nien, wandte sich gegen die Besser, die Verehrer des Dionysos in
dem wilden Rhodopegebirge, schlug sie und eroberte ihre Stadt
97 j Ich folge hier der plausibeln Bemerkung Mommsen’s (Rom. G. II, 169), dass bei
Florus a. a. 0. statt Margus (Morava) Hebrus verschrieben sein müsse. Über diese
Kämpfe sehe man nochLivius epit. 63, 65, Frontin. Strateg. II, 4,3 und Onom. Tüll. VIII.
98) Sie treten im Jahre 109 zum letzten Male hervor. Eutrop. IV, 27. —Strabo 313—315,
317, 318.
") Einfälle der Dardaner, Mäder, Sinter im J. 104. S. Livius epit. 70 C. Sentius praetor
adversus Thracas infeliciter pugnavit. Cic. in Pison. c. 34. Denseletis, quae natio
semper obediens huic imperio, etiam in illa omnium barbarorum defectione Mace-
doniam C. Sentio praetore tutata est. . . Und in den Jahren 89—85. Livius epit. 74,
76, 81, 82, 83. —Eutrop. V, 7. —Appian. Mithrid. c. 13, 15, 41, 55, 57, 69. —
Plutarch, Sulla c. 23.
100) Fi or . i 9 38, Appius in Sarmatas usque pervenit. Eutrop. VI, 2, Ad Macedoniam missus
est Appius Claudius. Post consulatum levia proelia habuit contra varias gentes, quae
Rhodopam provinciam incolebant, atque ibi morbo mortuus est. Prägnant sagt Liviu»
edit. 91: Ap. Claud. proconsul Thracas pluribus proeliis vicit.
101 ) Florus a. a. 0. Curio Daciam tenus venit, sed tenebras saltuum expavit. Livius epit.
92, 95. Curio proconsul Dardanos in Thracia domuit. Fälschlich lässt Francke zur
Geschichte Trajan’s den Curio zuerst an die Donau gelangen. Triumph, a. 681
(v. Chr. 73) de Thracibus et Dardaneis.
182
Dr. E. Roesler
Uscadama. Von hier marschirte er an den Hämus, nahm das feste
Cabyle, erreichte die Donau und eroberte oder verband sich die
griechischen Städte an der Westküste des schwarzen Meeres 10 ~).
Während Asien von den ungleich grösseren Waffenthaten seines
berühmteren Bruders bewegt wurde, brach er dem römischen Wesen
die erste Bahn in einem wegen seiner Rauheit und Uncultur wenig
geschätzten Lande und sicherte die Ruhe der nachbarlichen Provinz
Macedonien. Auf diesembedeutenden Feldzuge erwähnt ein Geschicht
schreiber am südlichen Donauufer ein bisher unbekanntes Volk, die
Moesier, nach griechischer Lautung Mysier 103 ). Nichts zeigt mehr die
Zerstücktheit und Lückenhaftigkeit unserer Kenntnisse über die Völker
verhältnisse jener Zeit, als dass wir mitten in einer historischen Epoche
die Entstehung eines neuen Volksnamens von vielhundertjährigem
Gebrauche nicht zu beobachten vermögen. Unsere Theilnahme be
gleitet schon durch fünf Jahrhunderte die Schicksale der unteren
Donaulandschaften, aber das unsichere Halbdunkel, in dem wir am
Anfang vergeblich nach scharfen Umrissen spähten, liegt ungemin-
dert noch jetzt darüber. Wir erfahren in jener Zeit von keiner gewalt
samen Veränderung im Süden des Ister, und man könnte dieVermu-
thung ergreifen, dass ein bisher unansehnlicher Gauname Thraciens
sich zu Ansehen gehoben und in den Vordergrund gestellt habe.
Nicht zu tadeln wäre eine andere Ansicht, dass die Moesier ein Misch-
volk seien aus allerhand Resten durch freivvillige und gezwungene
Wanderungen und die Zuchtlosigkeit eines raubenden Lebens ver
wilderter Leute. Doch beachten wir noch Einiges, und eilen nicht mit
dem Urtheile.
Nirgend berühren sich Europas und Asiens vielgekrümmte Ge
stade näher und inniger, als wo die Berglande Thraciens den geseg
neten Gefilden Kleinasiens gegenüberliegen. Daher hat Herrschaft
loa ) Livius epit. 97 zu stark: M. Lucullus Tbracas subegit. Appian. de reb. Illyr. 30. —
Eutrop. VI, 10. — Oi'osius VI, 3. — Mit grosser Übertreibung lässt Florus a. a. 0.
den Lucullus den Krieg bis au das asowische Meer spielen, lin Jahre G82 (71 v. Chr.)
Triumph, de liesseis in Orelli Onomasticon VIII.
i° 3 ) Appian. Illyr. 30: Muuoü? öi Mäpxog piv AevxoXkog — xarsTtpaps Kai ig röv
Korap.äv ipßaXo'iv, siatv 'EXXvjvtSeg eig KoXzig, MvaoXg xäpoixot. Dazu
Servius ad Aeneid. VII, 604. Getarum fera gens etiam appd maiores fuit; nain ipsi
sunt Mysi quos Sallustius a Lucullo dicit esse superatos. Vgl. überdies Strabo 29ä.
— Ptolem. III, 8. — Plin. III, 29; IV, IS. — Müllenhoff a. a, 0.
Die Geten und ihre Nachbarn.
183
und Volk die engverschwistecten Ufer stets zu einem Ganzen zu ver
binden gestrebt. Nie fehlte es zwischen ihnen an Austausch, Verkehr,
Vermittlung. Griechen waren und sind noch wohnhaft an den Gegen
ufern, die den Hellespont beengen. Die Osmanen herrschen hüben
wie drüben, in Brussa wie in Gallipoli. Die Persermonarchie des
Darius verlangte nach Thraciens Küsten, Alexander der Grosse ging
über den Granicus, als ihm sein Vater die Seestädte der Propontis
hinterliess. Von Nikomedia in Bithynien beherrschte man Europa,
vom thraeischen Byzanz Asien. Aber der unausgesetzte Zusam
menhang reicht noch weiter zurück. Schon durch die Dämmerungen
der vorgriechischen Geschichte brechen Lichter, die ihn bezeugen.
Thracien heisst mit Recht die grosse Burg der Kriege i» 4 ); sie gehen
häufig von da aus, und Asien erfährt die nächsten Schläge. Die zahl
reiche thracische Bevölkerung i° 5 ) in dem mässig fruchtbaren Lande
war schon in früher Periode in wandernder Bewegung und über den
Nordwesten Natoliens trieben ihre lauten Wellen hin 106 ). In vor
trojanischen Tagen kamen thracische Teukrer und Mysier bis zum
Flusse Peneus in Griechenland i° 7 ); die Päonier am Strymon sind
teukrische Colonisten 10S ), an demselben Strymon, wo auch das Volk
der Strymonier Sitze hatte. Diese Strymonier zogen nach Asien, da
sie von den Teukrern undMysiern fortgetrieben wurden und hiessen
dort Bithyner 10 °). Die Mysier aber sind zuverlässig ein thracischer
104) Appian de reb. Maced. IX, i : 0pdcxvjv [xi'/a oppjr^ptov.
105 ) Herodot. V, 3; OpvjfxMv de s'Svoc p.syiaräv i<Jrt ptsrä '/s ’Ivöoüs iravrcov
ävS'pd17TCOV.
106) vgl. Zeitschrift der deutschen morgenliindischen Gesellschaft, ßd. X, S.3G4 ff. Lassen
über die alten kleinasiatischen Sprachen, der aber mehr einer Auswanderung der
Thracier aus Asien, als einer Einwanderung dahin das Wort redet, ohne jedoch viel
Beweisendes vorzubringen. Denn sein vornehmstes Argument können beide Ansich
ten für sieh in Anspruch nehmen. „Fiir die Einwanderung der Thraker aus Asien
Hisst sich geltend machen, dass an der nordwestlichen Kiiste Kleinasiens zwischen
der Ausfahrt aus der Propontis in das schwarze Meer hei der Stadt Byzantion und
Herakleia ein ©päxvj iv ~rj ’Affta von Xenophon erwähnt wird.“ Das Vorkommen
des Namens Thrake in Asien ist damit wohl constatirt, doch nicht mehr; die Thracier
können darum ebensowohl Asiaten als Europäer sein; ja die Folge der eitirtenNotiz
ist dein Gegentheile dessen günstig, was der gelehrte Sprachkenner beweisen
möchte. „Die Bewohner werden von Xenophon die thrakischen Bithyner
genannt.“
i° ? ) Herodot VH, 20.
108) Herodot V, 13.
108) Herodot VH, 70.
184
Dr. E. Rotsler
Stamm gewesen. Homer kennt und benennt sie so ««). Die fabeln
den Genealogien bestätigen es. Thynus und Mysus heissen Söhne
der Arganthone, einer thracischen Frau; dann wieder ist Thynus
zugleich mit Bithynus ein Sprosse des Odrysus, des Stammvaters
eines unbezweifelt grossen thracischen Volkszweiges m). Frühe
müssen die Mysier, Thynern und Bithynern und Phrygiern nach Asien
nachgewandert sein na). Epoche wie Gründe derWanderung bleiben
unbekannt. Noch haftet eine zeitlang ihr Name an der berühmten
Strasse des Bosporus: er heisst mysischer Sund ns). Dann ver
schwindet er in Europa. Aber ethnographische Spuren hie und dort
reden noch von der Verwandtschaft Mysiens und Thraciens, In Phry-
gien ist eine Stadt Artake und Artaci heisst eine Völkerschaft Thra
ciens. Die Einwohner einer thracischen Gegend heissen Astiker, und
Astakier die einer Stadt Bithyniens ll4 ). Den Phrygiern in Asien
stehen Briger in Thracien gegenüber, und Bryken ist ein anderer
thracischer Volksname 115 ). Auch die Sage lässt die alte Gemein
samkeit nicht sogleich fallen. Sie meldet von einem lydischen Könige
Alyattes, der bei Sardes eines Tages ein Weib sah, dessen vielfache
Beschäftigung ihm auffiel. Auf dem Kopfe trug sie freischwebend
ein Gefäss voll Wasser und um ihren Gürtel war ein Halfterhand
befestigt, an welchem ein Pferd ihr nachschritt. Indessen lenkten
ihre Hände unablässig Rocken und Spindel und wurden nicht müde
ii°) Homer II. XIII, 4. — Strabo 295, — Vgl. Bessell de reb. Gct. S. 59.
ii‘) Aman fragm. hist, graec. 111,593, 594: Myaoi £m rw Mwjöi eivopoca.^jjo'av
— yj aird roO <puroö rv5s (Ultras roö puaoö (ä[i<poTepo>g 'jap Xe'/erai) oVep
zYjv ö^uvjv drjXoi xarä rvjv ylwairav rSiv Auöcöv, <5>g xai 6 'jewjpatpog
(Strabo 572) pvjaiv. — Ou pövov Eüpojiraioi Muaoi äXXä xai ’Aaiavoi u. s. w.
112 ) Strab. XII, 541, 3: Oi pev ouv Bi^uvoi dion xporepov Muaoi ovrsg perwvo
pacrSvjiTav oi/Tojg and rojv OpaxSiv rfiiv ejroixvjaävrtov, Bijöuvebv re xai ©uvdiv,
öpoXo'/etrat Trapa roiv jrXeiarenv, xai aYjpeia n'Äevrat roö pev rüv Bi.S’pvthv
eSpovg rö pe’xpi vöv e’v rp 0'jäx/p Xi'jeajal rtva? Bc^uvoö;, roö de reöv ©uvchv
rpv ©uvcäöa äxrpv rpv npdg ’AnroXXoma xai SaXpuöyjairÄi.
ll3 J Strabo XII, 565: Aiovöoroj ö Tag xziaeig awjff&tpag üg ra xarä XaXxvjöova xai
Bu£ävriov arevä ä vöv 0p<;ixios Bo'ajropos xaXetrat, nrpörepo'v tpxjai Möffiov
Böairopov npooa'jopeveaäai und Arrian. fragm. III, 593, 35: iropSpo's 6 xara
XaXxvjööra xai ßuijävnov. o jrore Mucrtoj.
rt<*) Steph.Byz. s. b. v.
115 ) Ilerodot. VII, 73. — Strabo VII, 295 oi Opu-yeg ßpi’yej eioi und X. 471 oi Qpd'jeg
©paxtöv a'7roixoc e’iarv. Steph. ßyz. s. v. Bej3püxat. Nach Hesychios unter dem
Worte Bpi'jsg bedeutet ihr Name frei.
zu spinnen. So thätig zog sie ihres Weges. Hochverwundert be
trachtet sie der König und er fragt, woher sie sei. Und sie nennt
sich eine Mysierin aus einer kleinen Stadt Thraciens und bescheidet
den Herrscher, dass ihre Landsleute sämmtlich so fleissig seien.
Das gefällt dem Alyattes über die Massen und er sendet an den thra-
cisciien König Kotys, ihm jene Leute zu überlassen. Er erhält sie
und sie kommen, Männer, Weiber und Kinder zur Ansiedelung
nach Asien 116 ).
Wir hörten der mysische Name sei in Europa verschwun
den. Sicher begegnen wir ihm wieder im ersten Jahrhunderte
n. Chr. bei den Römern in der Form Moesi an dem Südufer der
unteren Donau, weit von jenen Ursitzen der asiatischen Mysier, und
Strabo« belehrt uns, dass die SO.000 Dacier, welche von Aelius
Catus auf die rechte Stromseite verpflanzt wurden, seither die Be
nennung Mysier führten 117 ). Diese Behauptung bestätigen auch die
klaren Worte des Cassius Dio „die Dacier wohnen auf beiden Ufern
des Ister“ und „der Theil derselben auf dem rechten Ufer und gegen
die Triballer hin, heisst auch Mysier, nur nicht bei den Einheimi
schen selbst“ 11S ).
Wir entnehmen daraus , dass der Name Moesier , der uns so
lange unbekannt und unbezeugt geblieben war, sich forterhalten,
dass es noch Moesier gab, welche jene fremden Ansiedler, die das
Schicksal unter sie verschlagen hatte, wohl von sich unterschieden.
Wie dies aber möglich geworden, dass die Bezeichnung eines so
alten und ansehnlichen Volkes für so lange Zeit sich völlig verlor,
erfahren wir aus einer gelegentlichen Äusserung des Cassius Dio.
„Einige von den mysisclien und getischen Stämmen hätten im Ver
laufe der Zeit ihren Namen geändert“, also specielle Namen geführt.
So hatte denn der moesische Volksname an Umfang eingebüsst, und
erst die Römer setzten ihn wieder in seine alten Rechte ein , weil
ihnen in dem Gewirre vielfacher Benennungen, die sie im Lande
antrafen , bei der Ähnlichkeit und Gemeinsamkeit der gesammten
Volksart die Nützlichkeit eines generellen Namens einleuchten
mochte: ja es umfasste ihre politische Bezeichnung Moesia bald
1,fl ) Nicolaus Dnmascen. in fragm. hist, graec. III, 413.
ll7 ) Strabo 303: xat vöv otxoütrtv ävvoäi Moiffoi xa).oüf;.EVo(.
11S ) Dio Cass. LI, 22: xai Mutrot, rrXijv irapä rot; sVt^topt'ot; övopajovrat.
186
Dr. E. Roeiler
auch einige nichtmoesische Stämme Thraciens, wie die Triballer
und Dardaner n°).
Übrigens fielen dieMoesier den Römern durch Trotz und Wild
heit auf. Sie müssen öfter Aufstände gewagt haben. Vor Beginn
einer Schlacht rief ein moesischer Anführer die römische Linie an
mit den Worten: Wer seid ihr? Sie entgegnete ihm: „Wir sind die
Römer, die Herren der Völker.“ „Ihr werdet es sein, wenn ihr uns
besieget“ schallte es zurück. Vor dem Kampfe opferten sie Pferde
und thaten das Gelübde, nach dem Siege die feindlichen Anführer
opfern und von ihrem Fleische essen zu wollen. Nicht weniger
grausam jedoch erwiesen sich die Römer; alle Rache häuften sie auf
die unglücklichen Gefangenen: sie hieben ihnen die Arme ab und
Hessen sie dann verschmachten. Dadurch scheinen die römischen Waffen
solchen Schreck bei dem Volke hervorgerufen zu haben, dass sie
bald in das Verhältnis von Bundesgenossen traten 12 °). Doch bot
auch dieses bei der bekannten Gewissenlosigkeit römischer Statt
halter in diesem Zeiträume nicht die gewünschte Sicherheit.
Notorisch war die Schwäche und Charakterlosigkeit des Consuls
G. Antonius, des Collegen Cicero’s in jenem berüchtigten Jahre der
Verschwörung Catilina’s. Seinem finanziellen Ruine sollte die ein
trägliche Provinz Macedonien, wohin er im J. 62 abging, aufhelfen.
Er hoffte durch Kriege in der Nachbarschaft seine Absicht noch
besser zu fördern. So fiel er die Dardaner an; trieb Beute fort. Doch
als sie zur Abwehr ausrückten, entfloh er, liess seine Soldaten im
Stich, welche geschlagen wurden und unter Verlust des Gewon
nenen zurückkehrten. Nun ging es gegen die moesischen Bundes
genossen. Sie aber riefen die Bastarner von jenseits der Donau, lie
ferten ihm bei Istros eine Schlacht, und trieben ihn gleichfalls in die
Flucht im), (j. 60 v. Chr.)
* 19 ) De reb. lllyr. c. 6. S. oben, ln demselben Sinne erscheint die Äusserung Sallust’s:
(fragm. ed. Gerlach I, 258) Getae sunt Mysi, quos Sallustius a Lucullo dicit esse
superatos. Darüber sehe inan Plin! h. n. III, 26. 29. — Ptolein. III, 9, 10. — Appiah,
lllyr. c. 29. — MiillenholF a. a. 0. — Artikel Thracien in Pauly’s Encyklopädie. Vgl.
über das Ganze auch ßessell a. a. 0. 58—62.
*20) Flor. 11,26. Seine rhetorisch gefärbte Anekdote wird mit dem Feldzuge des M. Crassus
im Jahre 30 n. Chr. in Verbindung gesetzt: höchst unzeitgemäss , nachdem die
Römer so vielfache Berührungen mit den Moesiern gehabt hatten.
i2i) Dio Cass. 48, 10. Livius epit. 103 C. Antonius proconsul in Thracia parum prosper e
Die Geten und ihre Nachbarn.
187
Um dieselbe Zeit erfährt die römische Welt den Namen eines
neuen Donauvolkes, dessen Art den Typus eines Barharenstaates
nicht verleugnet, aber durch kräftiges Auftreten weithin tiefen Ein
druck hervorruft und bei unverkennbarer Verwandtschaft mit den
Geten doch diese an Cultur übertrifft. Es sind die Dacier. Während
die Geten, nachdem sie ihre Wohnsitze im Süd-Donaulande verloren,
auch die Sesshaftigkeit aufgegeben haben und in dem trüben Völker
brodel und Wirrsal im walachischen Tieflande zum Range eines in
Gemeinschaftmitanderensarmatischen, germanischen und scythischen
Stämmen raubenden und heerenden Schwarmes herabgesunken sind,
tritt uns die dacische Nation zuerst vor Augen, sesshaft, mächtig
durch die königliche Leitung eines bedeutenden Mannes und durch
die starken Hebel eines tiefwurzelnden Glaubens, und erinnert so an
die glücklichere Periode der Geten am Beginne ihrer Geschichte.
Zuweilen werden Inseln durch verborgene Kräfte aus dem
Meere emporgehoben, sinken wieder unter, erheben sich dann wohl
auch wieder zu bleibendem Bestände. So war unter den Agathyrsen,
die wie Nebelbilder vor uns verschwammen, das siebenbürgische
Hochland in unseren Horizont gerückt. Lange war es mit jenen
versunken und vergessen, nun taucht es von Neuem auf, der Haupt
sitz des dacischen Volkes.
Verzeichnis* der elngegfangenen Druckschriften.
189
VERZEICHNISS
DER EIN GEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(OCTOBER 1863.)
Academy, The American, of Arts and Sciences : Memoirs. N. S.
Vol. VIII, Part 2. Cambridge & Boston, 1863 ; 4°. —
Proceedings. Vol. V, Pag. 385 — 457. (Schluss.) Vol. VI,
pag. 1 — 96. 8°.
Accademia, Reale, delle scienze di Torino : Memorie. Serie 2 d \
Tomo XX. Torino, 1863; 4°.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Preuss., zu Berlin:
Monatsbericht. Juni & Juli 1863. Berlin; 8°.
— der Wissenschaften, Königl. Bayer., zu München: Sitzungs
berichte. 1863, I. Heft 3. München; 8°. — Abhandlungen der
math.-physik. Classe. IX. Band, 3. Abtheilung. München, 1863;
4°. — Cornelius, Über die deutschen Einheitsbestrebungeu
im 16. Jahrhundert. München, 1862; 4°. —Liebig, Freih. v.,
Rede gehalten in der öffentl. Sitzung der k. b. Ak. d. W. am
28. März 1863 zur Feier ihres 104. Stiftungstages. München,
1863; 4°. — Martius, C. F. Phil, v., Denkrede auf Job.
Andreas Wagner. München, 1862; 4». — Seidel, Ludwig,
Resultate photömetriseher Messungen an 208 der vorzüglich
sten Fixsterne. Mit 1 Steintafel. (Abhandlungen der k. b. Ak.
d. W. IX. Bd., 3. Abth.) München, 1862; 4°. — Wagner,
Andreas, Monographie der fossilen Fische aus den litho
graphischen Schiefern Bayerns. II. Abtheilung. (Abhandlungen
der k. b. Ak. d. W. IX. Bd., 3. Abth.) München, 1863; 4».
American Journal of Science and Arts. Vol.XXXVI, No. 106. New
Haven, 1863; 8°.
190 Verzeichntes
Andrew, John A., Address to the Legislative of Massachusetts,
January 9, 1863. Boston, 1863; 8°.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. X. Jahrgang,
Nr. 6. Nürnberg, 1863; 4°.
Basel, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1862—1863. 4» & 8®.
Breslau, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1862/63. 4» & 8».
Documents inedits sur l’histoire de France: Cartulaire de
l’Abbaye de Redon en Bretagne. Par M. Aurelien de Courson.
Paris, 1863; 4°. — Negociations, lettres et pieces relatives ä la
Conference de Loudun. Par M. Bouc bitte. Paris, 1862; 4°.
Ellero, Pietro, Giornale per l’abolizione della pena di morte. VII.
Bologna, 1863; 8°.
Ferdinandeum für Tirol und Vorarlberg: Zeitschrift. III. Folge,
XI. Heft. Innsbruck, 1863; 8». — Rechnungs-Ausweis und
Personalstand am 1. Jänner 1863. 8°.
Gesellschaft, allgemeine geschichtsforschende, der Schweiz :
Schweizerisches Urkundenregister. I. Bd., 1. Hft. Bern, 1863;
8°. — Anzeiger für schweizerische Geschichte und Altertliums-
kunde. VIII. Jahrgang, No. 2, — 4. 8°.
— geschichtforschende, von Graubüuden: Mittheilungen, (llä-
tia.) I. Jahrgang. Cur, 1863; 8°.
— der Wissenschaften, Oberlausitzische: Neues Lausilzisches
Magazin. XL. Bd., 2. Hälfte. Görlitz, 1863; 8».
Graham, J. I)., Report on Mason and Dixon’s Line. Chicago,
1862; 8°.
Hammelitz. III. Jahrgang, Nr. 23—33. Odessa, 1863; 4°.
IIanssen, G., Die Gehöferschaften (Erbgenossenschaften) im
Regierungsbezirk Trier. (Abhandlungen der K. Preuss. Ak.
d. W. zu Berlin, 1863.) 4°.
IIelsingfors, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften
aus dem Jahre 1862—1863. 4» & 8°.
Hochegger, F., Das System der Bifurcation (Zweitheilung des
mittleren Unterrichtes) in seiner geschichtlichen Entwickelung.
(Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1863, Heft VII.) Wien, 1863;
8®.
der eingregangenen Druckschriften.
191
Istituto , R., Lombardo di scienze, lettere ed arti: Atti. Vol. III,
Fase. 11-14. Milano, 1863; 4». — Memorie. Vol. IX. (III. della
Serie II.) Fase. 3. Milano, 1863; 4°.
— I. R., Veneto, di scienze, lettere ed arti: Atti. Tomo VIII 0 ,
Serie 3% Disp. 8’ e 9“. Venezia, 1862—1863; 8«.
Jena, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
ersten Halbjahre 1863. 4° & 8».
Kennedy, Jos. C. G., Preliminary Report on the eighth Census.
1860. Washington, 1862; 8°.
Köhler, Antwort auf die Einwürfe gegen die Untersuchung über
den Sard, den Onyx und den Sardonyx der Alten. Leipzig,
1802; 12°. — Zwei Aufschriften der Stadt Olbia. St. Peters
burg, 1822; 8°. — Geschichte der Ehre der Bildsäule bei den
Griechen. (Aus den Denkschr. der k. Akad. der Wissenschaften
zu München für 1816 und 1817.) München, 1818; 4°. —
Masken, ihr Ursprung und neue Auslegung einiger der merk
würdigsten auf alten Denkmälern, die bis jetzt unerkannt und
unentdeckt geblieben waren. Mit 1 Kupfertafel. St. Petersburg,
1833; 4 Ü . — Erläuterung eines von Peter Paul Rubens an
Nicolas Claude Fabri de Peiresc gerichteten Dank
schreibens. Mit 1 Kupfertafel. St. Petersburg, 1833; 4°.
Lepsius, Richard, Das ursprüngliche Zendalphabet. Mit 3 Tafeln.
Iclem. Über das Lautsystem der persischen Keilschrift. (Ab
handlungen der K. Preuss. Ak. d. W. 1862.) Berlin, 1863;
4«.
Mission de Ghadames (Septembre, Octobre, Novembre & Decem-
bre 1862). Rapports officiels et doeuments ä l’appui. Alger,
1863; 8».
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale. VIII. Jahrgang, Nr. 8 — 10.
Wien, 1863; 4».
— aus J. Perthes’ geographischer Anstalt. Jahrgang 1863,
VII. - IX. Heft. Gotha; 4».
— aus dem Gebiete der Statistik. X. Jahrgang, II. Heft. Wien,
1863; Kl. 4».
Monumentos arquitectönicos de Espana. Cuaderno XIII—XVIII.
Madrid; Fol.
192 Verzeichnis«
Musee public de Moscou : Copies photographiees des miniatures
des manuscrits grecs conserves äla bibliotheque synodale, autre-
fois patriarcale de Moscou. l re Livraison. Moscou, 1862; Folio.
Pest, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1862— 1863. 4» & 8».
Pimentel, Francesco, Cuardo descriptivo y comparativo de las
lenguas indigeuas de Mexico. Tome I™. Mexico, 1862; 8°.
Programme und Jahresberichte der Gymnasien zu Bistritz, Bri-
xen, Iglau, Böhmiseh-Leipa, Leutschau, Neuhaus, Pilsen, Prag,
Schässburg; des akademischen Gymnasiums, des Gymnasiums
zu den Schotten und der k. k. Theresianischen Akademie in
Wien und des Obergymnasiums zu Zengg; dann der Ober-
Realschule zu Klagenfurt, für das Schuljahr 1862 — 1863. 4°
& 8«.
Ritschl, Friedr., Priscae latinitatis epigrapliicae Supplemen-
tum /., II., III. Bojmae, 1862 cj 1 ' 1863; 4°.
Schmidl, A. Adolf, Das Bihar-Gebirge an der Grenze von Ungarn
und Siebenbürgen. (Mit Unterstützung der k. Akademie der
Wissenschaften in Wien.) Wien, 1863; 8°.
Schüller, J. K., Magister Hissmann in Göttingen. (Archiv des
Vereins für siebenb. Landeskunde VI. Bd., 2. Hft.) Kronstadt,
1863; 8".
Society, of Antiquaries of London : Arcbaeologia : or Miscellane-
ous Tracts relating to Antiquity. Vol. XXXIX. London, 1863;
4°. List. On the 23 rd April, 1863; 8°.
— The Anthropological, of London: The Anthropological
Review. No. 2. London, 1863 ; 8°.
— The Asiatic, of Bengal: Journal. N. S. Nr. 1. 1863. Cal-
cutta, 1863; 8°.
— The Royal Geographica!, of London: Proceedings. Vol. VII,
No. 4 & 5. London, 1863; 8°. .
— The Royal, of London : Philosophical Transactions. Vol. 152.
London, 1823; 4». — Proceedings. Vol. XII, No. 51—56.
London, 1862— 1863; 8°. — The Royal Society. l at Decem-
ber 1862.
Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie. N. F. IV. Bd.,
1. & 4. Heft. Wien, 1862; Folio.
der eingegangenen Druckschriften.
193
Trendelenburg, Adolf, Friedrich der Grosse und sein Gross-
kanzler Samuel von Cocceji. (Abhandlungen der K. Preuss.
Ak. d. W. zu Berlin, 18G3.) 4°.
Tryon, George W., Publications of Isaac Lea on recent Con-
chology. January 1, 1861; 8».
Upsala, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1862 — 1863. 4« & 8».
Verein, historischer, der fünf Orte I^ucern, Uri, Schwyz, Unter
walden und Zug: Mittheilungen. Der Geschichtsfreund. XIX.
Bd. Einsiedeln, New-York und Cincinnati, 1863; 8°.
— für Kunst und Alterthum in Ulm und Oherschwaben: Verhand
lungen. XIII. Veröffentlichung. (XII. Bericht. Der grösseren
Hefte 8. Folge.) Ulm, 1860; 4°.
Weinhold, Karl, Alemannische Grammatik, Berlin, 1863; 8°.
Sitzb. (1. pliil.-hist. CI. XLIV. Bd. I. Hft.
13
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHIL OS OP II IS CII-II IS TO RISCHE CL ASSE.
XLIV. HAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1863. — NOVEMBER.
14
SITZUNG VOM 4. NOVEMBER 1803.
Der Classe werden vorgelegt:
a) Ein Dankschreiben des Herrn Professor Sembera für die
erwirkte Unterstützung der k. Akademie von 300 fl. ö. W. zur
Herausgabe der von ihm verfassten : „Grundzüge einer böhmisch-
slaviscben Dialektologie“;
b) Ein Manuscript des Herrn Matthias Koch, enthaltend
einen Theil der von ihm verfassten „Geschichte des deutschen
Reiches unter der Regierung K. Ferdinand’s HI.“, mit dem Ersuchen,
die Herausgabe dieses Werkes zu unterstützen.
Keu-tsien, König von Yue, and dessen Haus.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 14. October 1863.)
Von dem w. M. Dr. August Pfizmnicr.
In seiner Abhandlung über die Geschichte des Königslandes U
hat der Verfasser auch dem Königslande Yue, insoweit es für das
Verständniss der Beziehungen zu U notlnvendig war, eine Stelle
gewidmet. Die Geschichte des für U so verhängnisvollen Yue
wurde jedoch in der gedachten Arbeit bei dem Zeiträume, in wel
chem die Vernichtung des erstgenannten Königslandes erfolgte,
abgebrochen.
Die gegenwärtige Abhandlung, in welcher die Nachrichten
über Yue in ihrem Zusammenhänge wiedergegeben werden, ergänzt
die in der Geschichte von U enthaltene Erzählung der Ereignisse,
indem sie dasjenige, was bis zum Untergange des Landes (333 vor
uns. Zeitr.) noch verzeichnet wird, in den von den Quellen gebote
nen kurzen Umrissen aufnimmt.
14*
1 98
Dr. P f i z m a i t r
Die Geschichte kennt im Ganzen acht Könige von Yue, unter
welchen Keu-tsien, der Gründer der Macht dieses Landes, der
zweite. Nach Keu-tsien machte sich nur noch Wu-khiang, der
letzte König von Yue, durch Tliaten bemerkbar, wesshalb die
Geschichte Keu-tsien’s und seines Hauses eigentlich sich auf zwei
Könige beschränkt. Ausserdem werden die Schicksale des berühm
ten Fan-li, Landesgehilfen von Yue, welche derselbe nach seiner
Auswanderung erlebte, in einem Anhänge erzählt.
Der Vorfahr des Königs Keu-tsien von Yue war einer der
Nachkommen des Königs Yü von Ilia und ein unberechtigter Sohn
Schao-khang's, des sechsten Königs des Hauses Hia. Der
selbe wurde mit dem Gebiete des Berges / ^ v Kuei-ki belehnt
und hatte die Verpflichtung, die Darbringung für den König Yü,
der auf dem genannten Berge gestorben und begraben worden, auf
recht zu halten. Die Bewohner des Landes bemalten ihren Leib
mit Farben, schnitten sich das Haupthaar ab und halten ihre Städte
iii der Wildniss, indem sie sich durch Strauchwerk und Unkraut
Wege bahnten.
Auf den Sohn Schao-khang’s folgten in dem Lehen Kuei-ki
ungefähr zwanzig Fürsten, deren Namen in der Geschichte ebenfalls
nicht angegeben werden. Der erste Landesfürst, dessen Name in
der Geschichte angegeben wird, ist Yün-tsch’hang. Der
selbe legte sich die Königsbenennung bei und führte mit Kö-liii,
König von U, mehrmals erbitterte Kämpfe. So ward Yue im fünften
Jahre des Königs Kö-liii (K10 vor uns. Zeitr.) durch U ange
griffen und geschlagen. Als U im zehnten Jahre des Königs Kö-liii
(bOö vor uns. Zeitr.) die Hauptstadt von Tsu erobert hatte und gegen
ein von Thsin zur Rettung dieses Landes ausgesandtes Hilfsheer
in den Kampf verwickelt war, richtete Yue einen Angriff gegen die
südlichen Marken von U, was, in Verbindung mit noch einigen
anderen Umständen, die Räumung des Gebietes von Tsu durch Ü
zur Folge hatte.
König Yün-tsch'hang starb im achtzehnten Jahre des Königs
Kö-liü von U (49S vor uns. Zeitr.) und hatte zum Nachfolger seinen
Sohn ^n] Keu - tsien. Derselbe nannte sich König von
Yue. Im ersten Jahre des Königs Keu-tsien (496 vor uns.
Zeitr.) beschloss König Kö-liii von U, der den Tod des Königs
Keu-tsien, König- von Yue, und dessen Ilaus.
199
Yün-tsch’hang erfahren, einen Angriff auf Yue. Die Heere beider
Länder begegneten einander auf dem Gebiete ^ Tsui-li i).
Der König von Yue liess den Feind durch drei Sehaaren todes-
muthiger Krieger zum Kampfe herausfordern. Als diese Krieger
den Schlachtreihen von U gegenüberstanden, schnitten sie sich
unter lautem Rufen den Hals ab. Das Heer von U betrachtete die
Dahinsterbenden und lockerte seine bisher undurchdringlichen
Schlachtreihen. Yue drang bei dieser Gelegenheit gegen das Heer
von U, welches im raschen Angriffe geschlagen wurde. König
Ko-liü von U erhielt eine Wunde durch einen Wurfspiess.
Während das Heer von U sich zurückzog, starb König K5-
liü an seiner in der Schlacht von Tsui-li erhaltenen Wunde. Vor
seinem Tode ermahnte er seinen Sohn und Nachfolger Fu-tschai,
niemals auf Yue zu vergessen und den Tod des Vaters an Keu-tsien
zu rächen.
Im dritten Jahre seiner Lenkung (494 vor uns. Zeitr.) erfuhr
König Keu-tsien, dass Fu-tschai, der neue König von U, seine
Krieger Tag und Nacht in den Waffen übe und sich an Yue zu
rächen gedenke. Keu-tsien wollte daher dem Lande U, welches
seine Streitkräfte noch nicht ausgesandt hatte, durch einen Kriegs
zug und Angriff zuvorzukommen. Jg Fan-Ii, der Landes
gehilfe von Yue, widerriet!) dies, indem er sprach : Es kann nicht
geschehen. Ich habe gehört: Die Waffen sind Werkzeuge des Un
heils, der Kampf steht im Gegensatz zu der Tugend, der Streit ist
die letzte der Angelegenheiten. Im Geheimen zu Rathe gehen über
das, was im Gegensatz steht zu der Tugend, Freude finden an dem
Gebrauche der Werkzeuge des Unheils, sich versuchen in dem, was
das Letzte, der höchste Allhalter verbietet dies, und es ausüben, ist
nicht von Nutzen. — Der König von Yue erwiederte: Ich habe es
bereits beschlossen.
Keu-tsien liess sofort sein Kriegsheer aufbrechen. Als der
Koni g von U dies erfuhr, entsandte er alle seine auserlesenen
Streitkräfte zum raschen Angriffe auf Yue, weichesauf dem Gebiete
l ) Im Süden der Hauptstadt des heutigen Unterkreises Itia-hing, der in nächster
Nähe der Hauptstadt des gleichnamigen Kreises Kia-hing in Tsche-kiang, hetindel
sieh die Feste Tsui-li.
200
Dr. P f i z m a i e r
Fu-tsiao 1 ) eine grosse Niederlage erlitt. Der König von
Yue rettete sich mit fünftausend Kriegern, welche ihm nach seiner
Niederlage verblieben waren, auf den Berg Kuei-ki. Daselbst wurde
er von dem Könige von U, der ihn verfolgte, eingeschlossen.
In dieser Lage sprach Keu-tsien zu Fan-li : Weil ich dir nicht
Gehör gegeben habe, ist es so weit mit mir gekommen. Was wird
sich jetzt thun lassen? — Fan-li erwiederte: Wer das Volle erfasst,
richtet sich nach dem Himmel 2 ). Wer das Schiefe gerade stelU,
richtet sich nach dem Menschen 3 ). Wer die Angelegenheilen durch
die Zeit beschränkt, hält sich an die Erde *). Mögest du mit
demülhigen Worten und grossen Ehrenbezeigungen alles überlassen.
Wird dies nicht zugestanden, so werde der Leib mit in den Kauf
gegeben 5 ).
Keu-tsien willigte in diesen Vorschlag und befahl dem grossen
Würdenträger Tsch’hung, sich auf den Weg zu machen und
mit U Frieden zu schliessen. Der genannte Würdenträger ging auf
den Knien einher und sprach mit zu Boden gesenktem Haupte zu
dem Könige von U: Keu-tsien, der in der Verbannung lebende
Diener des Gebieters und Königs, heisst mich, den beigesellten
Diener Tsch’bung, es wagen, die Meldung zu bringen dem untersten
Leiter der Geschäfte. Keu-tsien bittet, dass er selbst ein Diener
werden dürfe, seine Gattinn eine Magd. — Der König von U wollte
den Frieden gewähren, aber U-tse-siü, der als Flüchtling in U
lebende Sohn eines Grossen von Tsu°), wendete dagegen ein:
Der Himmel macht Yue an U zum Geschenk. Man möge es nicht
bewilligen. — Der König von U schlug daher das Friedensgesuch
des Königs von Yue ab.
t) Das Gebiet Fu-tsiao befand sich in dem heutigen Unterkreise U nächst der Haupt
stadt des Kreises Su-tscheu in Kiang-nan. Dasselbe ist eigentlich das in dem
grossen See (Thai-hu) gelegene Eiland Tsiao-san.
2 ) Voll sein, aber nicht aus den Ufern treten, ist dem grossen Wege angemessen.
3 ) Bescheidenheit und Niedrigkeit ist dem Wege des Menschen angemessen.
4) Wenn die Zeit noch nicht gekommen, können Entstehung und Wachsthurn nicht
erzwungen werden Wenn die Angelegenheit nicht zur Reife gediehen, kann die
Ausführung nicht erzwungen werden.
5 ) Der König möge seine Geräthe, sein Land und sein Haus und, wenn es nöthig sein
sollte, auch sich selbst dem Feinde überlassen.
6 ) Die Ereignisse, welche die Flucht U-tse-sUi's aus Tsu veranlassten , sind in der
„Geschichte des Königslandes Tsu“ erzählt worden.
Kea-tsien, König- von Yue, und dessen Haus.
201
Als der grosse Würdenträger Tsch’hung zurückkehrte und dem
Könige von Yue über den Erfolg seiner Sendung berichtete, wollte
Keu-tsien sein Weib und seine Kinder tödten , seine kostbaren
Geräthschaften verbrennen und sich in den Kampf stürzen, um zu
sterben. Von diesem Vorhaben hielt ihn der grosse Würdenträger
Tsch’hung zurück, indem er sprach: Poei, der grosser Hausdiener
von U *)> ist habsüchtig, man kann ihn verlocken durch den Nutzen.
Ich bilte, unbemerkt mich auf den Weg begeben und mit ihm spre
chen zu dürfen.
Der grosse Würdenträger Tsch'hung überreichte jetzt im Auf
träge des Königs Keu-tsien dem grossen Hausdiener Poei von U auf
unbemerkte Weise eine Anzahl kostbarer Geräthe. Poei nahm das
Geschenk an und verschaffte Tsch'hung eine Zusammenkunft mit dem
Könige von U. Tsch’hung sprach mit zu Boden gesenktem Haupte:
Es ist meine Bitte, dass du, o grosser König, verzeihest Keu-tsien’s
Verbrechen. Er überbringt dir alle seine kostbaren Geräthe. Ist er
aber so unglücklich, dass er keine Verzeihung erhält, so wird
Keu-tsien tödlen seine Gattinn und seine Kinder, verbrennen seine
kostbaren Geräthe und mit sämmtlichen fünftausend Kriegern sich
stürzen in den Kampf. Dies wird ganz gewiss eintreffen.
Poei sagte hierauf zu dem Könige von U: Yue unterwirft sich
und wird unser Diener. Wenn wir ihm Verzeihung angedeihen lassen
wollten, wäre dies der Nutzen des Landes. — Der König von U
war Willens, die Bitte zu gewähren. Dagegen machte U-tse-siü
wieder Vorstellungen und sprach: Wenn wir jetzt Yue nicht ver
nichten , so werden wir es später bereuen. Keu-tsien ist ein weiser
Gebieter, Tsch’hung und Li sind vortreffliche Diener. Wenn sie in
ihr Land zurückkehren, werden sie Unruhen erregen. — Der König
von U gab diesen Worten kein Gehör und entschloss sich endlich.
Yue zu verzeihen. Das Heer von U stellte sofort die Feindseligkeiten
ein und zog in die Heimat ab.
Zur Zeit, als Keu-tsien sich in einer hoffnungslosen Lage auf
dem Kuei-ki befand, klagte er und rief: Ich beschlösse hier mein
Leben! — Tsch'hung beruhigte ihn, indem er auf andere Fürsten,
welche sich ebenfalls in bedrängter Lage befanden, hinwies und
l ) Der grosse Hausdiener Poei, auch Pe-poei genannt, war ebenfalls ein Flüchtling
aus Tsu und ist in der „Geschichte des Königslandes Tsu“ vorgekouimen.
202
Dr. Pfizmaier
sagte: Thang ward mit Stricken gebunden auf der Erdstufe der Hia.
König Wen ward in ein Gefängniss gesetzt in Yeu-li. Tschung-ni
von Tsin floh zu den nördlichen Fremdländern. Siao-pe von Tsi
floh nach Kliiü. Sie alle wurden zuletzt Könige oder Obergewaltige.
Betrachtet man die Sache von dieser Seite, warum sollte daraus
nicht eilends das Glück entstehen?
Nachdem U endlich von Yue abgelassen, kehrte König Keu-tsien
in sein Land zurück. Daselbst quälten ihn jedoch schmerzliche
Erinnerungen. Um seinen Unwillen zu nähren, liess er in seinem
Wohnzimmer an verschiedenen Orten Gallenblasen aufstellen und
blickffe bei jeder Gelegenheit, er mochte sitzen oder liegen, zu den
Gallenblasen empor. Ebenso liess er seine Speisen und Getränke mit
Galle vermengen und rief immer: Vergissest du denn die Schande
des Kuei-ki? — Dabei bearbeitete er in Selbstheit die Felder,
befasste sich, was sonst nur eine Beschäftigung der Weiber, mit
Weben, verwendete für seine Speisen kein Fleisch, und schätzte bei
seinen Kleidern keinen Farbenschmuck. Er zeigte sich demüthig
gegen weise Männer, empfing die Gäste mit den grössten Ehren
bezeigungen, unterstützte die Armen und trauerte um die Verstor
benen. Im Allgemeinen theilte er mit den Geschlechtern des Volkes
alle Beschwerden.
Zugleich wollte der König den Würdenträger Fan-li mit der
Lenkung des Landes' betrauen. Dieser Würdenträger bemerkte
dagegen : In Sachen der Angriffswaffen und Panzer vermag Tsch'hung
nicht so viel wie ich. Wo es sich darum handelt, zu beruhigen Land
und Haus, zu befreunden und anhänglich zu machen die hundert
Geschlechter, vermag ich nicht so viel wie Tsch’hung. — Hierauf
wurde der grosse Würdenträger Tsch’hung mit der Lenkung des
gesammten Landes betraut, während Fan-li und der grosse Würden
träger Tsi-ki den Abschluss des Friedens bewerkstelligten
und sich als Geissein nach U begaben. Nach zwei Jahren schickte
indessen U den Würdenträger Fan-li nach Yue zurück.
König Keu-tsien war bereits sieben Jahre vor dem Kuei-ki
heimgekebrt, die Kriegsmänner und das Volk, mit aller Rücksicht
behandelt, verlangten, dass man sie verwende und an U Rache nehme.
|pj Fung-thung, ein Grosser des Landes, war jedoch der
Meinung, dass ein Vorgehen gegen U noch nicht an der Zeit sei,
und er sagte in diesem Sinne zu dem Könige: Das Land war unlängst
Keu-tsien, König von Yue, und dessen Haus.
203
erst zerflossen und zu Grunde gegangen. Wenn es jetzt wieder
anwächst, sich ausbessert, rüstet und den Nutzen vorbereitet, so
wird U gewiss in Furcht gerathen. Geräth es in Furcht, so wird das
Unheil gewiss uns nahen. Wenn ferner Raubvögel angreifen, so
bergen sie ihre Gestalt. Jetzt hat U mit seinen Streitkräften über
zogen Tsi und Tsin, es wird auf das Äusserste gehasst von Tsu und
Yue. Dem Namen nach hat es eine hohe Stellung in der Welt, in
Wirklichkeit verursacht es Schaden dem Hause der Tscheu. Seiner
Tugenden sind wenige, aber seiner Kriegsthaten sind viele: es wird
gewiss das Muss überschreiten und hochmüthig werden. Die beste
Berathung für Yue ist: sich verbinden mit Tsi, sich befreunden mit
Tsu, sich anschliessen an Tsin, und U überaus ehren. Sobald die
Absichten von U weitgehend , wird es für leicht halten einen Kampf.
Auf diese Weise legen wir uns an seine Wagschale. Wenn die drei
Fürstenlhümer es angreifen und Yue beiträgt, es zu erniedrigen,
kann es überwältigt werden.
König Keu-tsien hiess diese Rathschläge Fung-thung’s gut.
Zwei Jahre später (48ä vor uns. Zeitr.) war der König von U
gesonnen, das Fürstenland Tsi anzugreifen. Tse-siii widerrieth
dies dem Könige, indem er sprach: Es ist noch nicht ausführbar.
Ich habe gehört: Keu-tsien schätzt bei den Speisen nicht den
Geschmack, er theilt mit den hundert Geschlechtern Mühsal und
Freude. So lange dieser Mensch nicht gestorben, ist er ein Ge
genstand der Besorgniss für das Land. U ist behaftet mit Yue wie
mit einer Krankheit des Bauches und des Herzens. Tsi ist für U ein
Ausschlag der Haut. Ich würde wünschen, dass du, o König, loslas
sest Tsi und dich früher befassest mit Yue.
Der König von U liess diese Warnung unbeachtet. Er richtete
sofort einen Angriff gegen Tsi, schlug dessen Heer in I-ling
und kehrte mit den Heerführern der Geschlechter |S. Kao und |§5
Kue f) von Tsi als Gefangenen in die Heimat zurück. Der König
stellte nach diesem Erfolge Tse-siü zur Rede. Dieser erwiederte:
Du, o König, hast keine Ursache, dich zu freuen. — Der König war
über diese Worte erzürnt. Tse-siü wollte sich hierauf selbst tödten,
*) Sonst wird nur der Heerführer
Kuc-schu von Tsi genannt.
204
D r. P f i z m a i e r
wurde jedoch von dem Könige, der diese Absicht seines Dieners
erfuhr, zurückgehalteri.
In Yue sagte unterdessen der grosse Würdenträger Tsch’hung
zu Keu-tsien: Ich sehe, dass die Lenkung des Königs von U bereits
liochmüthig. Ich bitte, dass wir mit ihm einen Versuch machen,
indem wir von ihm Getreide entlehnen und dadurch Aufschluss über
seine Angelegenheiten erhalten. —Yue stellte hierauf an U die Bitte
um Verabfolgung von Getreide. Der König von U war Willens, die
Bitte zu gewähren, wogegen jedoch Tse-siü Vorstellungen machte.
Dessenungeachtet überliess endlich U das verlangte Getreide an
Yue, worüber dieses Land im Stillen sich freute.
Aus Anlass dieses Zugeständnisses sagte Tse-siü zu dem
Könige zu U: Du, o König, hast meinen Vorstellungen kein Gehör
gegeben. Nach drei Jahren ist U ein* Erdhügel! — Der grosse
Hausdiener Poei war schon mehrmals mit Tse-siü wegen des Ver
haltens gegen Yue in Streit gerathen. Als er jetzt den obigen Aus
spruch Tse-siü's hörte, verleumdete erdiesen bei dem Könige, indem er
sprach: U-yün *) ist scheinbar redlich, aber in Wirklichkeit ist
er ein hartherziger Mensch. Auf seinen Vater und älteren Bruder
wurde von ihm keine Rücksicht genommen, wie könnte er Rücksicht
nehmen auf dich, o König? Du, o König, wolltest vordem angrei
fen Tsi. Yue machte dagegen Vorstellungen mit Gewalt, und du
hattest, nachdem er dies gelhan, kriegerisches Verdienst. In Folge
dessen ist er wieder aufgebracht gegen dich, o König. Wenn du,
o König, dich nicht vorsiehst gegen U-yün, wird dieser gewiss
Unheil stiften.
Der grosse Hausdiener Poei verleumdete übrigens Tse-siü
hei dem Könige im Einverständnisse mit dem oben vorgekommenen
Fung-thung von Yue, dem an der Entfernung Tse-siü's gelegen war.
Der König von U liess anfänglich diese Reden unbeachtet und
schickte Tse-siü als Gesandten nach Tsi. Nach kurzer Zeit erfuhr
man jedoch, dass Tse-siü seinen Sohn unter den Schutz des Ge
schlechtes Pao von Tsi gestellt habe. Diese Nachricht versetzte den
König in den heftigsten Zorn, und er rief: U-yün betrügt mich also
wirklich und will sich empören!
*) U-tse-siü wird, wie in der »Geschichte des Königslandes Tsu“ angegeben worden,
auch U-yün genannt.
Keu-tsien, König' von Yue, und dessen Haus.
205
Sofort schickte der König an Tse-siü durch einen Abgesandten
ein Schwert von Stahl und zugleich den Befehl, sich mit diesem
Schwerte zu tödten. Tse-siü lachte bei Empfang dieser Botschaft
und brach in folgende an den König von U gerichtete Worte aus:
Ich liiess deinen Vater die Obergewalt üben, ich habe ausserdem
dich eingesetzt. Du warst anfänglich Willens, zu theilen das Land
U und die Hälfte mir zu geben. Ich aber habe es nicht angenommen.
Jetzt verhängst du wieder aus Anlass der Verleumdung über mich die
Hinrichtung. Wie kläglich! wie kläglich! Ein einziger Mensch ist sicher
nicht im Stande, sich allein einzusetzen. 1 —. Zu dem Abgesandten
sagte er noch: Du musst meine Augen nehmen und sie aufstellen
vor dem östlichen Thore von U, damit ich sehen könne den Einzug
der Kriegsmacht von Yue. — Nachdem Tse-siü sich das Leben
genommen, betraute U den grossen Hausdiener Poei mit den
Geschäften der Lenkung.
Drei Jahre nach dem liier erzählten Ereignisse (483 vor uns.
Zeitr.) beschied König Keu-tsien den Lanckesgehilfen Fan-li zu sich
und sagte zu ihm: U hat bereits getödtet Tse-siü. Diejenigen, die
einander den Weg zeigen als Wohldiener, sind die Mehrheit. Ist
es jetzt möglich? — Fan-li erwiederte: Es ist noch nicht möglich.
Im Früblinge des nächstfolgenden Jahres (482 vor uns. Zeitr.)
veranstaltete derKönig vonüin dem fernenNorden eine Versammlung
der Lehensfürsten auf dem Gebiete Hoang-tsch’hi in Wei. Die aus
erlesenen Streitkräfte von U waren dem Könige an den Ort der
Zusammenkunft gefolgt und nur die alten und knabenhaften Kriegs
leute mit dem zur Nachfolge bestimmten Sohne zur Verteidigung
des Landes zurückgeblieben. König Keu-tsien fragte jetzt nochmals
Fan-li, und dieser erwiederte, dass der Angriff auf U stattfinden
könne.
Yue entsandte hierauf alle Gattungen von Kriegern, nämlich
zweitausend Si-lieu „an den Fortzug Gewöhnte“, vier
zigtausend db fA Iliao-sse „gelernte Kriegsmänner“, sechs
tausend Kiün-tse „Söhne des Gebieters“ *), eintausend
) Nach Einigen eine Benennung- im Sinne von „Weisen und Vortrefflichen“, nach An
deren Kriegsmänner, welche der Gebieter gleich Söhnen ernährte.
206
Dr. Pfixmniei'
Tschü-yii „königliche Leibwachen“, und begann den An
griff auf U. Die Kriegsmacht dieses Landes wurde .geschlagen und
der zur Nachfolge bestimmte Sohn des Königs von U durch die
Feinde getödtet.
U wandte sicli an seinen König um Hilfe. Dieser König, der
eben die Lehensfürsten in Hoang-tsch'hi um sich versammelt hatte,
fürchtete, dass die Welt seine Niederlage erfahren könne und ver
heimlichte das Vorgcfallene. Sobald der Vertrag von Hoang-tsch’hi
beschworen worden, schickte der König von U eine Gesandtschaft
mit dem Aufträge, dem Könige von Yue die grössten Ehren zu
erweisen und um den Abschluss des Friedens zu bitten. Yue erkannte,
dass es für den Augenblick U nocli nicht vernichten könne und ver
stand sich dazu, mit diesem Lande Frieden zu schliessen.
Vier Jahre später (478 vor uns. Zeitr.) unternahm Yue noch
mals einen Angriff auf U. Die vorzüglichen Männer und das Volk
dieses Landes waren ohne Thatkraft, das leichte und schwere
Kriegsvolk hatte theils in Tsi, theils in Tsin den Tod gefunden.
Die Macht von Yue brachte daher U eine grosse Niederlage hei,
verblieb sofort in dem Lande und schritt zuletzt (473 vor uns.
Zeitr.) zur Belagerung von dessen Hauptstadt. Nach drei Jahren
(473 vor uns. Zeitr.) war das neu gesammelte Heer vonU geschlagen
und König Fu-tschai durch Yue auf dem Berge Ku-su
eingeschlossen.
Der König von U schickte den Fürstenenkel Mk Hiung, einen
Grossen seines Landes, in das Lager von Yue. Dieser Abgesandte
ging mit enthlössten Schultern auf den Knieen vorwärts und bat den
König Keu-tsien mit folgenden Worten um Frieden: Dein verwaister
Diener Fu-tschai wagt es, darzulegen den Bauch und das Herz. In ver
gangenen Tagen hatte er sich eines Verbrechens schuldig gemacht
vor dem Kuei-ki. Fu-tschai wagte cs nicht, zuwider zu handeln dem
Befehle, es ward ihm möglich, mit dem Gebieter und König Frieden
zu schliessen, und er kehrte zurück. Jetzt hat der Gebieter und
König erhoben den kostbaren Fuss und straft den verwaisten Diener.
Der verwaiste Diener gehorcht unbedingt dem Befehle. In seinen
Gedanken trägt er sich ebenfalls mit dem Wunsche, dass du in ähn
licher Weise, wie es vor dem Kuei-ki geschehen, verzeihest die
Verbrechen des verwaisten Dieners.
IUS9R&
Keu-tsien, König- von Yue, und dessen Haus.
207
Keu-tsien brachte es nicht über sich, weiter zu gehen und
war geneigt, den Frieden zu gewähren. F 1 an-li widerrieth dies mit
folgenden Worten: Zur Zeit des Ereignisses des Ivuei-ki hat der
Himmel Yue als ein Geschenk bestimmt für U, aber U nahm das
Geschenk nicht an. Wenn jetzt der Himmel U zum Geschenk
bestimmt für Yue, kann Yue zuwiderhandeln dem Willen des Him
mels? Wenn ferner für den Gebieter und König frühzeitig abge-
schafft wurden die Feierlichkeiten an dem Hofe, geschah dies nicht
wegen U? Etwas, worüber man zu Rathe gegangen durch zweiund
zwanzig Jahre, eines Morgens aufgeben, ist dies wohl thunlieh ?
Wenn ferner der Himmel gibt und man nicht nimmt, so ist uns hin
wieder Unglück bestimmt. Beim Zimmern des Hackenstieles ist das
Vorbild nicht fern. Hast du, o Gebieter, vergessen die Gefahr des
Kuei-ki ?
König Keu-tsien erwiederte: Ich möchte deinen Worten
Gehör geben, aber ich ertrage nicht diesen Abgesandten. — Fan-li
liess jetzt die Krieger unter Trommelschlag vorrücken und rief:
Der König hat die Lenkung übertragen mir, dem Führer der
Geschäfte. Der Abgesandte möge sich entfernen. Thut er dies
nicht, so werde ich eines Verbrechens schuldig. — Der Abgesandte
von U verliess endlich weinend das Lager.
Keu-tsien hatte Mitleid mit dem Abgesandten, und er liess dem
Könige von U sagen: Ich bestimme dir, o König, einen Wohnsitz
in Yung-tung *) und ernenne dich zum Gebieter von hundert Häu
sern. — König Fu-tschai entschuldigte sich und sagte: Ich bin
bereits alt und nicht im Stande, zu dienen dein Gebieter und
König. — Hierauf tödtete er sich selbst. Von dem Gedanken erfasst,
dass er in der Unterwelt mit Tse-siü Zusammentreffen werde, ver
hüllte er im Sterben sein Angesicht und sprach: Ich bin nicht fähig,
Tse-siü von Angesicht zu sehen. — Keu-tsien sorgte hierauf für
die Bestattung des Königs Fu-tschai und liess den grossen Haus
diener Poei von U hinrichten.
Nachdem König Keu-tsien das Land von U in Besitz genommen,
zog er mit seiner Kriegsmacht nach Norden, übersetzte den Fluss
Hoai und versammelte um sich die Lehensfürsten, unter ihnen Tsi
p|-| Yung-tung: hiess ein Eiland des Meeres, östlich von dem früheren
Kreise Keu-tschang, dem heutigen Ning-po, gelegen.
und Tsin, in ijijij Siü-tscheu. Zugleich brachte er den gebüh
renden Zoll an Tscheu. Yuen, König von Tscheu, beschenkte dafür
den König Keu-tsien mit dem Fleische der Darbringung aus dem
Ahnenheiligthume der Tscheu und ernannte ihn durch einen höchsten
Befehl zum Obergewaltigen der Lehensfürsten.
Keu-tsien verliess hierauf die nördlichen Gegenden und zog
wieder nach dem Lande im Süden des Hoai, indem er das Gebiet
dieses Flusses an Tsu überliess. Ausserdem gab er das durch U
eroberte Gebiet von Sung dem rechtmässigen Besitzer zurück und
schenkte Lu das im Osten des Flusses Sse gelegene Land, dessen
Umfang hundert Weglängen betrug. Um dieselbe Zeit durchzog die
Kriegsmacht von U die östlichen Gebiete des grossen Stromes und
des Hoai von einem Ende zum anderen, wobei sämmtliche Lehens
fürsten jener Gegenden dem Könige Kieu-tsien Glück wünschten
und ihm die Benennung „obergewaltiger König“ beilegten.
Nach den hier erzählten Erfolgen des Königs Keu-tsien ent
fernte sich Fan-li aus Yue und begab sich nach Tsi. Von diesem
Lande schickte er an den grossen Würdenträger Tsch’hung das fol
gende Schreiben: Wenn die fliegenden Vögel vertilgt sind, werden
die trefflichen Bogen geborgen. Wenn die listigen Hasen todt sind,
werden die schnellfüssigen Hunde gesotten. Der König von Yue ist
ein Mensch mit einem langen Halse und dem Schnabel eines Raben.
Man kann mit ihm theilen Sorge und Beschwerde, man kann mit ihm
nicht theilen die Freude. Warum entfernst du dich nicht aus dem
Lande?
Nachdem Tsch’hung dieses Schreiben gelesen, meldete er sieb
krank und erschien nicht mehr an dem Hofe. Indess gab es Jeman
den, der Tsch’hung verleumdete, als ob dieser die Absicht habe,
Aufruhr zu erregen. Der König von Yue schenkte Tsch’hung ein
Schwert und liess ihm Folgendes sagen: Du hast mich gelehrt sieben
Künste des Angriffes auf U. Ich habe Gebrauch gemacht von deren
dreien und geschlagen U. Deren vier wohnen dir inne. Mögest du
in meinem Namen dich gesellen zu den früheren Königen und die
Künste versuchen. — Hiedurch ward dem grossen Würdenträger
Tsch'hung bedeutet, dass er sich zu den Vorfahren des Königs in
die Unterwelt zu begeben habe. Tsch’hung tödtete sich sofort mit
dem ihm übersendeten Schwerte.
Keu-tsien, König von Yue, und dessen Haus.
209
Auf König Keu-tsien folgten in Yue sechs Könige, von denen,
mit Ausnahme des letzten, in der Geschichte nur die Namen ange
geben werden. Nach dem Tode Keu-tsien's ward dessen Sohn
Tschi-yü zum Könige von Yue eingesetzt. Auf Köni ;
Tscln-yü folgte desseit Sohn König s*(\ Pu-seheu. Der Nach
folger des Königs Pü-scheu war dessen Sohn König Ung. Auf
König Ung folgte dessen Sohn König I. Auf König I folgte
dessen Sohn König Tschi-lieu. Als König Tschi-heu starb,
folgte ihm dessen Sohn >jÖj 4ßE VVu-khiang. Zu den Zeiten die
ses Königs liess Yue ein Kriegsheer ausrücken und bekriegte im
Norden Tsi, im Süden Tsu, indem es um die Macht in dem Mittel
lande stritt. Zuerst hatte Yue einen Angriff gegen das in seinem
Norden liegende Tsi gerichtet, was sich in den ersten Lenkungs
jahren des Königs Wei von Tsu *) ereignete. Wei 2 ), König von
Tsi, schickte einen Gesandten s ) nach Yue mit dem Aufträge, dieses
Land zu bereden, dass es von Tsi ablasse, hingegen Tsu angreife.
Der Gesandte von Tsi sagte folgendes zu dem Könige von
Yue: Wenn Yue nicht angreift Tsu, so hat es von den grossen
Dingen nicht die Königsgewalt, von den kleinen Dingen nicht die
Obergewalt. Erwägt mau, warum Yue nicht angreift Tsu, es
ist, weil es nicht gewonnen hat Tsin 4 ). Han und Wei setzen
zuversichtlich keinen Überfall in’s Werk gegen Tsu. Wenn Han
den Überfall in’s Werk setzt gegen Tsu, zu Boden wirft dessen
Kriegsheer, tödtet den Heerführer, so sind Sehe 5 ) und Yang-
thi«) in Gefahr. Wenn Wei ebenfalls zu Boden wirft dessen
Kriegsheer, tödtet den Heerführer, so sind Tschin und Schang-
tsai 7 ) in Unruhe versetzt. Wenn daher die zwei Länder von Tsin
1) Das erste Lenkungsjahr dieses Königs ist das Jahr 339 vor unserer Zeitrechnung.
2 ) Die damaligen Könige von Tsu und Tsi führen beide den Namen Wei.
3 J Dieser Gesandte war nach einer anderen Nachricht Tien-ying, der Vater des
berühmten Landesfürsten von Meng-tschang.
4 ) Die aus dem früheren Tsin entstandenen drei Königsliinder, hier vorzugsweise Han
und Wei.
5 ) Das heutige gleichnamige
Sehe, Kreis Nan-yang in Ilo-nan.
Yang-tht ist das heutige Yii-tscheu, Kreis Khai-fung in Ho-nan.
7 ) D. i. das obere Tsai.
210
Dr. P fi z m a i e r
dienen Yue, so kommt es nicht so weit, dass sie zu Boden werfen
Kriegsheere, tödten die Heerführer, eine Kraftanstrengung, gross
genug, dass ein Pferd schwitze, wird nicht ersichtlich. Was ist es,
was du so hoch schätzest bei der Gewinnung von Tsin?
Der König von Yue erwiederte: Was ich hegehre von Tsin, ist
nicht einmal, dass es abstumpfe die Klingen, zusammentreffe mit
den Angrilfswaffen, um wie viel weniger, dass es unternehme den
Angriff auf Festen, die Belagerung von Städten! Es ist mein Wunsch,
dass Wei seine Sehaaren sammle unter den Mauern von Ta-liang.
Es ist mein Wunsch, dass Tsi die Waffen versuche in Nan-yang,
auf dem Gebiete von Khiü und dabei die Schaaren sammle an
den Marken von Tschang 1 ) und Tan 3 ). Dann gehört, was jenseits
des Fang-tsching 3 ), nicht zu dem Süden 4 ), was zwischen dem
Iloai und dem Sse, nicht zu dem Osten 3 ), Schang und Yü G ), Si 7 ),
Li 8 ), das Gebiet von Sung und Hu 9 ), was zur Linken des Weges
nach Hia i0 ), genügen nicht, um gerüstet zu sein gegen Thsin. Der
Süden des Stromes, das Flussgebiet des Sse genügen nicht, um zu
erwarten Yue. In diesem Falle setzen auch Tsi, Thsin, Han und
Wei ihre Absicht durch gegen Tsu. Hierdurch würden die beiden
Tsin, ohne zu kämpfen, das Land theilen, ohne das Feld zu bebauen,
würden sie ernten. Wenn dieses nicht geschieht und sie die Klingen
abstumpfen in dem Lande zwischen dem Flusse und den Bergen, in
dessen Tsi und Thsin gebrauchen dasjenige, womit man erwartet,
>) j 1 )) Tschang- ist E m Tschang-yT, welches das heutige Yü-tai, Kreis Thsi-
n ; ng in San-tung.
2 ) Tan ist das bekannte ehemalige Fürstenthum.
3 ) Fang-tsching ist das öfters erwähnte Gebirge im Norden von Tsu.
4 ) Die im Süden des Fang-tsching gelegenen Länder verbleiben nicht mehr bei Tsu.
5 ) Das Gebiet zwischen den Flüssen Hoai und Sse, welches im Osten von Tsu gelegen,
würde nicht zu diesem Lande gehören.
6 ) Das Gebiet Schang und Yü ist in der ^Geschichte des Königslandes Tsu“ vorge
kommen.
’> )/f
ST ist das heutige ST-tschuen, Kreis Nan-yang in Ho-nan.
LT ist das heutige Nei-hiang, Kreis Nan-yang in Ho-nan.
9 ) Das ehemalige Fürstenland Hu, welches sich in der Gegend des späteren Ju-
yin , des heutigen Ying-tscheu, in Ho-nan befand.
i°) Unter H* a lS ^ das spätere Kiang-hia, welches in unmittelbarer Nähe der
Hauptstadt des heutigen Wu-tsehang in Hu-kuang gelegen, zu verstehen.
Keu-tsien, König von Yue, und dessen ITaus.
211
auf diese Weise würden sie sich verfehlen in ihrer Berathung, und
wie könnte ich dadurch als König walten?
Gegen diese Darlegung bemerkte der Gesandte von Tsi: Es
Hesse sich von Glück sagen, wenn Yue nicht zu Grunde geht. Ich
achte es nicht besonders, wenn man Gebrauch macht von dem Ver
stände gleichwie das Auge sieht die Spitzen der Haare, aber nicht
sieht die eigenen Wimpern. Jetzt kennst du, o König, worin Tsin
sich verfehlt hat in der Berathung, aber du kennst nicht die Miss
griffe von Yue. Dies ist eine Überlegung des Auges. Was du, o
König, zu erwarten hast von Tsin, ist nicht eine Kraftanstrengung,
gross genug, dass ein Pferd schwitze, du kannst auch nicht mit
dem seinigen vereinigen das Kriegsheer und in ein gemeinsames
ßündniss treten. Du kannst von ihm erwarten, dass es theile die
Menge von Tsu. Aber die Menge von Tsu ist bereits getheilt: was
erwartest du also von Tsin?
Der König von Yue fragte: Was ist bei der Sache zu thun? —
Der Gesandte von Tsi antwortete: Die drei Grossen von Tsu breiten
neun Kriegsheere und belagern im Norden Ivhio-wo. In der-Mitte
kommt es so weit, dass nichts ist. Die Durchwege, die man ihnen
leiht, befinden sieb auf einer Strecke von dreitausend sieben
hundert Weglängen. Das Heer King-thsui’s >) sammelt sich im Norden
vor Lu, Tsi und Nan-yang. Gibt es wohl eine Theilung, die grösser
wäre als diese? Auch ist, was du, o König, begehrst, folgendes:
du willst handgemein werden lassen Tsin und Tsu. Aber Tsin und
r Isu werden nicht handgemein, die Kriegsmacht von Yue kommt nicht
zum Aufbruch. Dies heisst kennen die Zahlen zwei und fünf, aber
nicht kennen die Zahl zehn. Um diese Zeit unternimmt man nicht
den Angriff auf Tsu. Hieraus erkenne ich, dass Yue von den grossen
Dingen nicht hat die Königsgewalt, von den kleinen Dingen nicht
hat die Obergewalt. Fo-tsch’heu-pang 3 ) und Tschang-scha sind das
33
i) X »7T
M.
King-thsui war ein Heerführer von Tsu.
2 ) Eine StadtNamens j
Fö-tsch'heu-pang konnte von dem Verfasser
ungeachtet längeren Suchens nicht aufgefunden werden. Es gab jedoch eine Stadt
mjä Fö-yang, welche das heutige Thung-pe, Kreis Nan-yang in
Namens
Ho-nan. Bei dem Worte
Pang wird auch die Lesart
Tsch'hung angeführt,
woraus hervorgeht, dass der Name nicht zu bestimmen und schon den Auslegern
dunkel gewesen.
SiUb. d. pliil.-hist. CI. XUV. Bd. U. Hfl.
212
Dr. P fi zm ai er
Getreide für Tsu. King 1 ) und Tscln-ling») sind die Rohstoffe für
Tsu. Yue lässt hinüberblicken die Kriegsmacht und eröffnet den Ver
kehr nirgends. Diese vier Städte, welche ihm den Durchweg leihen,
bringen ihm keinen Zoll, sie widmen ihre Dienste Ying 3 ). Ich habe
es gehört: Wenn man sein Absehen auf die Königsgewalt richtet und
nicht als König waltet, so kann man in seiner Erniedrigung die
Obergewalt üben. Wenn man aber demungeachtet nicht die Ober
gewalt iibt, so ist der Weg der Könige verfehlt. Desswegen ist mein
Wunsch, dass du, o grosser König, im Umwenden den Angriff unter
nehmest gegen Tsu.
In Folge dieser Vorstellung liess Yue von Tsi ab und unternahm
einen Kriegszug gegen Tsu. Wei, König von Tsu, liess seine Streit
kräfte ausrücken und richtete seinerseits einen Angriff gegen Yue,
dem er eine grosse Niederlage beibrachte. In diesem Kampfe Hel
Wu-khiang, König von Yue. Der König von Tsu eroberte hierauf
das gesammte Land des früheren U bis Tsche-kiang. Zugleich rich
tete Tsu im Norden einen Angriff gegen Tsi, dem man vorwarf, dass
es Tsu durch die Absendung des Gesandten an Yue betrogen habe.
Die Macht von Tsi wurde auf dem Gebiete ^^Siü-tscheu ge
schlagen, was sich im sechsunddreissigsten Jahre des Königs Hien
von Tscheu (333 vor uns. Zeitr.) ereignete.
Das Königsland Yue wurde in Folge der hier erzählten Begeben
heiten zersplittert. Die Söhne der königlichen Seitengeschlechter
stritten mit einander um den Besitz des Landes, wobei einige sich
zu Königen, andere zu Gebietern aufwarfen. Diese kleinen Landes
fürsten wohnten südlich von dem grossen Strome an den Ufern des
Meeres und huldigten Tsu, an dessen Hofe sie erschienen.
Sieben Geschlechtsalter später, stand Yao, Landesfürst
von Min, den Lehensfürsten, welche sich gegen das Haus Thsin er
hoben, helfend zur Seite. Der Allhalter Kao von Han ernannte daher
Yao wieder zum Könige von Yue, womit er die Nachfolge in diesem
Lande erneuerte. Die späteren Gebieter des östlichen Yue und die
-§r King-ling, Kreis Ngan-
U D. i (i^ % King-ling, das heutige
lö in Hu-kuang.
2) Eine Stadt Namens Tschi-ling konnte von dem Verfasser ebenfalls
nicht aufgefunden werden.
s ) Die Hauptstadt von Tsu.
rl!» Mm9M<aäSSB*B92
Keu-tsien, König von Yue, und dessen Haus.
213
Gebieter von Min waren die Nachkommen des genannten Königs
Yao.
Über die ferneren Schicksale Fan-li’s liegen noch ausführliche
Nachrichten vor. Dieser Mann, der im Dienste des Königs Keu-tsien
Yon Yue die Beschwerden ertrug, alle Kraft anstrengte und mit
diesem seinen Gebieter durch mehr als zwanzig Jahre sich in weit
gehende Berathungen einliess, bis er endlich U vernichtete, die
Schande des Kuei-ki tilgte, hierauf im Norden mit der Kriegsmacht
den Fluss Hoai übersetzte, Tsi und Tsin überwachte, dem Mittel
lande Befehle gab und das Haus der Tscheu ehrte, ward, nachdem
Keu-tsien hierdurch zur Obergewalt gelangte, mit den Namen eines
obersten Heerführers belegt.
Nach Yue zurückgekehrt, war Fan-li der Meinung, dass es
schwer sei, unter dem Gedenkbau eines grossen Namens lange zu
verweilen, dass ferner Keu-tsien ein Mensch sei, mit dem man wohl
Sorge und Ungemach theilen, aber nicht leicht in gemächlichen Ver
hältnissen leben könne. Er verfasste daher ein Schreiben, worin
er Keu-tsien um den Abschied bat und sagte: Ich habe gehört:
Wenn der Gebieter Kummer hat, so gibt sich der Diener Mühe.
Wenn der Gebieter Schande hat, so gibt sich der Diener den Tod.
Einst hattest du, o Gebieter und König, Schande auf dem Kuei-ki.
Dass ich nicht starb, geschah wegen dieser Sache. Nachdem du jetzt
getilgt hast die Schmach, bitte ich, mich begeben zu dürfen zur
Hinrichtung wegen des Kuei-ki.
König Keu-tsien liess Fan-li sagen : Ich der Verwaiste werde
mit dir theilen das Land und es behaupten. Geschieht dieses nicht,
so werde ich über dich die Hinrichtung verhängen. — Fan-li ant
wortete; Der Gebieter erlässt die Befehle, der Diener thut seinen
Willen. — Sofort packte er seine leichten Kostbarkeiten, die Perlen
und Edelsteine, bestieg mit seinen ihm besonders zugethnnen
Knechten und Anhängern ein Schiff und segelte auf dem Meere fort,
um niemals wieder zurückzukehren. König Keu-tsien errichtete auf
dem Berge Kuei-ki eine Gedenkplatte, indem er die Gegend an der
Stelle einer Stadt seinem Diener Fan-li als Eigenthum bestimmte.
Nachdem Fan-li auf dem Meere eine Strecke zurückgelegt,
landete er in Tsi. Daselbst veränderte er seinen Namen und nannte
sich -J- ^ J]^ Tschi-I-tse-pi. Indem er sich in einer dem
Ufer des Meeres nahe gelegenen Gegend mit Ackerbau beschäftigte,
IS*
I
214
Dr. P fi zm a ier
unterzog er sich mit dem Aufvvande aller Kraft den Beschwerden
dieses von ihm gewählten Berufes. Nach nicht langer Zeit hatten
er und sein Sohn Erzeugnisse des Bodens im Werthe von tausend
mal zehntausend Geldstücken zu Stande gebracht.
Als die Kunde von der Weisheit Fan-li's zu den Machthabern
von Tsi gelangte, boten sie ihm die Stelle eines Landesgehilfen an.
Fan-li beklagte diesen Ausgang der Dinge und rief: Wenn ich mich
in dem Hause befinde, erwerbe ich tausend Gewichte. Wenn ich
mich in dem Amte befinde, bringe ich es zu einem Erlauchten und
Landesgehilfen. Dies ist die höchste Gipfelung der leinenen Kleider.
Für die Dauer theilhaftig werden eines geehrten Namens, ist
von schlimmer Vorbedeutung. — Sofort schickte er die Abdrucks
marke des Landesgehilfen zurück und vertheilte seine sämmtlichen
Güter unter seine Bekannten, Freunde und Hausgenossen. Indem
er hierauf seine Kleinodien zu sich nahm, verliess er auf Seitenwegen
das Land und Hess sich zuletzt in Tao 1 ), damals einem Ge
biete von Tsu, nieder.
Fan-li war der Meinung, dass in dieser Welt der gegenseitige
Austausch, der Verkehr auf den Wegen des Seins und Nicht
seins das Leben bedinge, und dass man durch Benützung dieser
Umstande Reichthümer erwerben könne. Er nannte sich jetzt
Tschü, Fürst von Tao, und beschränkte wieder seine Lebens
weise. Gemeinschaftlich mit seinem Solme befasste er sich mit
Ackerbau und Viehzucht, riss öfters seine Wohnstätte nieder, war
tete die Zeit ab, bewirkte schnelle Umsprünge des Gegenstandes
und verfolgte Vortheile, die in der Verzehnfachung eines Einzigen
bestanden. Nach kurzer Zeit hatte er sich ein Besitzthum im Werthe
von zehntausendmal zehntausend Geldstücken erworben. In der Welt
erwähnte man rühmend den Fürsten Tschü von Tao.
Während der Fürst Tschü sich in Tao befand, wurde ihm der
jüngste Sohn geboren. Als dieser jüngste Sohn das männliche Alter
erreicht hatte, tödtete der mittlere Sohn des Fürsten Tschü in Tsu
einen Menschen und ward in dem genannten Lande in ein Gefäng-
niss gesetzt. Der Fürst Tschü sagte: Einen Menschen tödten und
dafür den Tod erleiden, ist das gewöhnliche Gesetz. Ich habe je-
*) Tao ist das heutige Ting-tao, Kreis Yen-tscheu in San-tung.
Keu-tsien, König- von Yue, und dessen Haus.
2 15
doch gehört: Der Soli» eines Besitzers von tausend Gewichten stirbt
nicht auf dem Verkaufsräume. — Sofort trug er seinem jüngsten
Sohne auf, sich auf den Weg zu begehen und sich nach dem gefan
genen Bruder umzusehen. Zugleich packte er tausend Gewichte
Goldes in einen Bündel, legte diesen in ein Behültniss von Wollstoff
und lud das Ganze auf einen mit einem einzigen Binde bespannten
Wagen.
Als der jüngste Sohn abgesendet werden sollte, nahte der
älteste Sohn des Fürsten Tschü mit dringenden Bitten und äusserte
den Wunsch, seihst die Reise anzutreten. Der Fürst Tschü erhörte
diese Bitte nicht. Der älteste Sohn sagte hierauf: Wenn es in einem
Hause einen ältesten Sohn gibt, so heisst dieser: der Überwacher des
Hauses. Jetzt hat der jüngere Bruder sich eines Verbrechens schuldig
gemacht, der gereifte Mann wird nicht ausgesendet, sondern man
schickt den jüngsten Bruder. Dies ist so viel, als ich bin ein Ent
arteter. — Dieser Sohn empfand die Zurücksetzung so stark, dass
er sich das Leben nehmen wollte. Die Mutter der Söhne sagte dess-
halb zu dem Fürsten Tschü: Indem man jetzt entsendet den jüngsten
Sohn, ist es noch nicht gewiss, ob er im Stande sein wird, dem
mittleren Sohne das Lehen zu retten. Wenn man aber früher ohne
Nutzen zu Grunde gehen lässt den ältesten Sohn, wie könnte man
dies wieder gut machen?
DerFiirst Tschü wusste sich nicht zu helfen und schickte seinen
ältesten Sohn. Vorher verfasste er ein Schreiben für seinen alten
Freund läi Tschuang - seng in Tsu. Er verschloss dieses
Schreiben mit einer Abdrucksmarke und übergab es seinem, ältesten
Sohne mit den Worten: Sobald du angekommen sein wirst, über
reiche die tausend Gewichte in der Behausung Tschuang-seng’s.
Gehorche in Allem, was dieser veranstaltet. Nimm dich in Acht,
dass du nicht mit ihm in der Angelegenheit streitest.
Der älteste Sohn halte die Reise angetreten und war ebenfalls
zu seinem eigenen Gebrauche mit einigen hundert Gewichten Goldes
versehen. Als er in der Hauptstadt von Tsu ankam, fand er das
Haus Tschuang-seng’s in einer der Vorstädte und in einer Gegend,
wo sich der Fuss durch Wicken und Unkraut Bahn brechen musste,
um zu dem Thore zu gelangen. Es war ein äusserst ärmlicher
Wohnsitz. Gleichwohl zog der älteste Sohn des Fürsten Tschü das
Schreiben hervor und überreichte die tausend Gewichte Goldes, wie
216
1) r. P f i z m a i e r
ihm sein Vater aufgetragen. Tschuang-seng bedeutete ihm hierauf:
Du kannst schleunigst abreisen. Nimm dich in Acht, dass du ja
nicht verweilest. Sobald dein jüngerer Bruder in Freiheit gesetzt
ist, frage nicht, aus welcher Ursache dies geschehen.
Der älteste Sohn hatte sich bereits entfernt, ging aber nicht
mehr zu Tschuang-seng, sondern blieb heimlich in der Hauptstadt
zurück und schickte das von ihm mitgenommene eigene Gut als ein
Geschenk an einen angesehenen Mann von Tsu , der zu den Ge
schäften verwendet wurde.
Tschuang-seng war, obgleich er in einer elenden Gasse
wohnte, seiner Uneigennützigkeit und Rechtlichkeit willen in dem
Lande berühmt, und alle Menschen , von dem Könige von Tsu bis
zu den Niedrigsten, verehrten ihn wie ihren Lehrer. Als der Fürst
Tschü ihm das Gold überreichen Hess, war Tschuang-seng keines
wegs gesonnen, es anzunehmen. Er wollte vorerst die Angelegen
heit zum Abschluss bringen und hierauf das Gold wieder zurück
geben. Er betrachtete dasselbe nur als ein Unterpfand des Ver
trauens. Als daher das Gold ankam, sagte er zu seiner Gattinn: Dies
ist das Gold des Fürsten Tschü. Es hat damit dieselbe Bewandtniss
wie mit einer Krankheit; es darf nicht überNacht bleiben. — Diesen
Worten fügte er die ernstliche Ermahnung bei, das Gold später
wieder zurückzuschicken und es nicht zu berühren. Aber der älteste
Sohn des Fürsten Tschü kannte nicht die Absicht Tschuang-seng’s
und glaubte, dass derselbe durchaus nichts Ungewöhnliches thun
werde.
Unterdessen begab sich Tschuang-seng zu einer passenden
Zeit zu dem Könige von Tsu und sagte zu diesem, dass ein gewisses
Sternbild an einem gewissen Tage dem Lande Tsu Schaden zufügen
werde. Der König von Tsu mass diesen Worten vollen Glauben bei
und fragte, was sich unter den gegenwärtigen Umständen thun
lasse. Tschuang-seng antwortete: Durch Wohlthaten allein kann
man das Unglück entfernen. — Der König von Tsu sprach: Sei
hierüber beruhigt. Ich, der unbedeutende Mensch, werde sie üben.
— Sofort schickte der König einen Abgesandten und liess das Vor-
rathsliaus der dreierlei Geldstücke i) mit einer Abdrucksmarke ver-
schliessen.
*) Zu den Zeiten der Häuser Hia, Schang und Tscheu gab es drei Gattungen ehernen
Gutes, nämlich rothes, weisses und gelbes. Unter diesen war das gelbe Gut (Gold)
Keu-lsien, König - von Yue, und dessen Haus.
217
Bei der Kunde von dieser Verfügung des Königs erschrack
der oben .erwähnte angesehene Mann von Tsu, und er meldete sofort
dem ältesten Sohne des Fürsten Tschü: Der König wird begnadigen.
— Der Sohn fragte: Wie geht dieses zu? — Der angesehene Mann
von Tsu sprach: So oft der König begnadigen will, verschliesst er
immer das Vorrathshaus der dreierlei Geldstücke mit einer Abdrucks-
lnai-ke. Gestern Abends schickte der König einen Abgesandten und
liess es verschliessen >).
Der älteste Sohn des Fürsten Tschü glaubte, dass, wenn eine
allgemeine Begnadigung stattfinde, sein jüngerer Bruder zuversicht
lich in Freiheit gesetzt werden würde. Es war ihm leid um die
tausend Gewichte Goldes, welche er nutzlos weggeAVorfen, da, nach
seiner Meinung, Tschuang-seng nichts gethan habe. Er begab sich
daher nochmals zu Tschuang-seng. Dieser erschrack hei dem An
blicke des Besuchers und rief: Bist du denn nicht abgereist? —
Der älteste Sohn erwiederte: Allerdings bin ich es noch nicht. An
fänglich widmete ich meine Dienste dem jüngeren Bruder. Der
jüngere Bruder ermisst jetzt, dass er begnadigt wird. Desswegen
sage ich dir Lebewohl und reise ab. — Tschuang-seng merkte,
dass es der Wunsch des Fremdlings sei, wieder in den Besitz des
Goldes zu gelangen. Er sagte daher: Tritt.in das innere Haus und
nimm das Gold. — Der älteste Sohn trat sofort in das innere Haus,
nahm -das Gold und entfernte sich damit. Er empfand über diesen
Ausgang der Sache nur Freude und schätzte sich glücklich.
Tschuang-seng schämte sich, dass er von einem Kinde betro
gen worden. Er ging sofort zu dem Könige von Tsu und sagte zu
diesem: Ich sprach vorhin von einem gewissen Sterne. Du, o König,
das vorzüglichste, hingegen das rothe (d. i. kupferne Geldstücke) das
geringste.
*) Zu diesem Verfahren veranlasste den König die Sorge um seine Güter. Es wurde
nämlich der Fall vorhergesehen, dass Jemand die Absicht des Königs, alle Ver
brecher zu begnadigen , früher erfahren und die Güter entw'enden könne. Indem
der König das Vorrathshaus der dreierlei Geldstücke mit einer Abdrucksmarke
verschliessen liess, wollte er einer Beraubung dieses Hauses vorbauen. Ein Fall
von Missbrauch unter ähnlichen Verhältnissen ereignete sich , wie erzählt wird,
zu den Zeiten des Allhalters Ling aus dem Hause der späteren Ilan. Ein gewisser
Lehensfürst, der erfahren hatte, dass eine allgemeine Begnadigung statttinden
solle, verleitete seinen Sohn, einen Menschen zu tödten. Der Sohn dieses Lehens
fürsten wurde zwar festgenommen, aber nach sieben Tagen wieder in Freiheit
gesetzt.
218
Dr. Pfizmaier
sagtest, dass du durch Erweisen von Wohlthaten wollest das Böse
vergelten. Als ich aber von hier wegging, erzählte man allgemein
auf den Wegen , dass der Sohn des Fürsten Tschü, eines reichen
Mannes aus Tao, einen Menschen getödtet habe und gefangen ge
setzt worden in Tsu. Dessen Haus habe in grossen Mengen erfasst
Gold und Silber und bestochen die Umgebung des Königs. Wenn
du daher, o König, nicht im Stande bist, dich zu erbarmen des
Landes Tsu und Begnadigung zu verkünden, so ist dies wegen des
Sohnes des Fürsten Tschü.
Der König von Tsu ward über diese Nachricht sehr zornig und
rief: Bin ich auch nur ohne Tugend, wie könnte ich um des Sohnes
des Fürsten Tschü willen Gnade üben? — Sofort befahl er, dass
über den Sohn des Fürsten Tschü das Todesurtheil gefällt werde.
Am folgenden Tage, nachdem das Urtheil bereits vollzogen, ver
kündete er allgemeine Begnadigung und hiess den ältesten Sohn
des Fürsten Tschü endlich mit dem Leichname des jüngeren Bru
ders in die Heimat zurüekkehren.
Als der Leichnam in Tao ankam, äussertcn die Mutter des Hin
gerichteten und sämmtliche Bewohner der Stadt ihr Bedauern. Der
Fürst Tschü allein bewahrte seine Ruhe und sprach: Ich wusste
mit Bestimmtheit, dass er seinen jüngeren Bruder tödten werde. Es
ist nicht etwa der Fall, dass jener seinen jüngeren Bruder nicht
liebte, ich nahin Rücksicht darauf, dass es etwas gibt, was er nicht
über sich bringen kann. Er hat nämlich in seiner Jugend gemein
schaftlich mit mir gesehen leidenvolle Tage und ertragen die Be
schwerden des Lebens. Desswegen fiel es ihm schwer, die Güter
hinwegzuwerfen. Was den jüngsten Bruder betrifft, so sah er schon
bei seiner Geburt meine Reichthümer. Er bestieg feste Wagen,
sprengte einher auf vortrefflichen Pferden und verfolgte den listigen
Hasen. Wie konnte er wissen, woher die Güter gekommen? Dess
wegen fällt es ihm leicht, sie hinwegzuwerfen, er hätte damit nicht
gegeizt. Dass ich in früheren Tagen absenden wollte den jüngsten
Sohn, es war allen Ernstes desswegen, weil dieser im Stande, die
Güter hinwegzuwerfen. Aber der älteste war dies nicht im Stande,
desshalb hat er zuletzt getödtet seinen jüngeren Bruder. Dies ist die
Folgerichtigkeit der Dinge, man braucht sich darüber nicht zu
grämen. Ich habe Tag und Nacht mit Zuversicht erwartet die An
kunft seines Leichnams.
Keu-tsieu , König von Yue, und dessen Haus.
219
Von Fan-li wird gerühmt, dass er dreimal •) seinen Wohnsitz
verändert und sich jedesmal in der Welt einenNamen gemacht habe,
was mehr sei, als wenn er vorläufig das Land verlassen und nichts
weiter gethan hätte. Überall, wo er sich niedergelassen , habe er
unzweifelhaft seinen Ruhm begründet. Fan-li starb zuletzt hochbetagt
in Tao und erhielt in den Erzählungen des Zeitalters den Namen:
Fürst Tschü von Tao 2 ).
1) Nach der vorliegenden Erzählung ist Fan-li nur zweimal ausgewandert, das erste
Mal nach Tsi, das zweite Mal nach Tao. Bei der Erwähnung einer dreimaligen Aus
wanderung scheint sein früheres Verweilen in Tsi als Gesandter oder auch seine
Einschiffung auf dem Meere mit in Rechnung gebracht worden zu sein.
2 ) „Fürst“ ist übrigens eine Ehrenbenennung, welche in Tsu, wie heutiges Tages
überall, jedem angesehenen Manne beigelegt wurde.
220
I)r. Fr. Müller
SITZUNG VOM 11. NOVEMBER 1863.
Die Conjugalion des neupersischen Verbums.
Spraclivergleichend (largestellt
von Dr. Friedrich Müller,
Docent der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Wiener Uuiversität.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 7. October 1863.)
Ebenso wie ein genaues und richtiges Verständniss des Ver
bums einer oder der anderen von den romanischen Sprachen oder
des Neuhochdeutschen ohne Kenntniss im ersteren Falle des Latein,
im letzteren des Altdeutschen oder Gothischen nicht erlangt wer
den kann, ebenso ist auch ein einigermassen tieferes Eindringen
in den Bau des neupersischen Verbums ohne Kenntnisse des Alt-
baktrischen und Altpersischen nicht möglich. Das Neupersische ist
mit den romanischen Sprachen, dem Neuhochdeutschen, dem
Englischen eine Sprache, die zur leichten und sicheren Gedanken
darstellung sich vorzüglich eignet, aber trotzdem oder vielmehr
eben desswegen von den Formen, mit denen sie dies thut, kein
klares Bewusstsein hat. Sie gleicht der Frucht, die uns labt und
erquickt, mit der aber der Naturforscher nicht viel anzufangen
weiss, wenn er nicht zugleich der Blüthe habhaft zu werden in der
glücklichen Lage ist.
Überblicken wir die verschiedenen Formen des neupersischen
Verbums, so finden wir, dass die meisten derselben zusammenge
setzter Natur sind, und zwar mittelst einiger, immer als solche
unveränderter Elemente und selbst noch im Neupersischen als
solche gefühlter Verba gebildet werden. Scheiden wir von den
Die Conjugation des neupersischen Verbums.
221
ersteren alle jene Bestandtheile ab, die dazu dienen um ein Ver
bum als solches zu bilden, wie die Personalsuffixe etc., so gewin
nen wir nur zwei Formen, von denen die eine auf -ta, -da ausgebt,
während die andere bald die der ersten Form zu Grunde liegende
Bildung ohne dieses -ta, -da entweder unverändert oder in den
Endlauten verändert, bald eine von der Bildung, welche der ersten
Form zu Grunde liegt, abgeleitete, durch Anfügung eines oder des
andern Buchstabens vermehrte Form darstellt. Diese beiden Formen
und ihr Verhältniss zu einander lassen sich aber mit den Mitteln,
die das Neupersische darbietet, nicht genügend erklären; um dies
thun zu können, muss man tiefer zurückgehen und dieselben im
Altpersischen oder Altbaktrischen aufsuchen.
Was die erstere Form in -ta, -da anlangt, so gehört sie in
die Kategorie der Participialbildungen, und zwar entspricht sie dem
altindogermanischen Particip. perf. pass, in -ta, das aber schon im
Altbaktrischen sich im Sinne eines Particip. perf. medii und selbst
activi nachweisen lässt. Es stimmt diese Bildung mit dem lateini
schen Participium perf. pass, in -tus, -ta, -tum überein und spielt,
gleichwie dieses in der Conjugation des romanischen, ebenso in
der des neupersischen Verbums eine bedeutende Rolle *). Ur
sprünglich lautete diese Form durchgehends in -ta aus, wie sie
sich auch noch im Pehlewi findet 2 ); später aber wurde der Laut t
nach Vocalen, Liquiden und Nasalen in d herabgesetzt, so dass wir
im Neupersischen zwei Formen -ta und -da (wovon letztere überall
in den eben angegebenen Fällen) davon vorfinden.
Nebst diesem aber nehmen wir an dieser Form ta auf neuper
sischem Gebiete noch eine andere Veränderung wahr. Wir finden
nämlich dieses Element bald in der eben angegebenen Gestalt mit den
an dasselbe tretenden und es zum Verbalausdrucke stempelnden Pro
nominalelementen zusammenschmelzen, bald aber durch ein echt-
eränisches Suffix -/ca (neup. nach Abfall des auslautenden a und
1 ) Schon im Altbaktrischen und Altpersischen wird diese Form ohne alles bestimmte
Zeitwort als Tempus finitum gebraucht. (Vgl. Spiegel, Keilinsehriften S. 169.)
2 ) Vergl. Pehlewi (dätann) = neupers. (dddan); Pehlewi pjTTJÖ
(murtann) == neupers. ij (murdan); Pehlewi pflJO (kuntann) = neup.
(kardan).
222
Dr. Fr. M ii 1 I e r
fortgesetzte Aspiration des k zu h verflüchtigt) erweitert *) sich
lose mit einem dazu tretenden Hilfsworte Zusammenschlüssen. Diese
anscheinend nur rein lautliche Differenz hat aber im Conjugations-
system eine tiefere Bedeutung. Sie dient dazu, um im letzteren
Falle die participiale Bedeutung als die ein Vollendetes, Abge
schlossenes Darstellende festzuhalten, während im ersteren Falle
durch den unmittelbaren Zusammenschluss des Particips mit dem
Pronominalsuffixe nur der Begriff des im Participium liegenden
Zeitmomentes zum Ausdruck gebracht wird.
An diese alte Participialform in -ta lehnt sich in Betreff der
gleichartigen Verbindung desselben mit dem Verbaltheile der Infi
nitiv an, der in -tan, -dan (letzteres unter denselben Bedingungen
wie die Participialformen -da, -dah) auslautet. Da diese Form in
den Wörterbüchern als Grundform angegeben wird, und als solche
eine gewisse Wichtigkeit in praktischer Beziehung erlangt hat, so
wollen wir dieselbe, obschon sie strenge genommen gar nicht in
den Bereich der Conjugation gehört, gleich hier anscliliessen. Die
Bildung tan hat im Altbaktrischen, das wir zumeist bei Vergleichung
der neueren Sprache mit der alten herbeiziehen, kein entsprechen
des Urbild, wohl aber in dem uns freilich nur bruchstückweise in
den Keilinschriften erhaltenen Altpersischen.
Dort entspricht nämlich unserem -tan die an mehreren Stellen
vorkommende Endung -tanaiy 2 ), wahrscheinlich nichts anderes als
der Local einer Bildung in -tana, die zwar nicht in der Bedeutung
eines Infinitivs, wohl aber eines Adjeclivs, sowohl im Altindischen
als im Lateinischen sich nachweisen lässt. Dass aber der Infinitiv
seiner inneren Sprachform nach nichts anderes als der Casus eines
Nomens ist, braucht wohl nach den von mehreren Seiten darüber
gepflogenen Untersuchungen und gemachten Bemerkungen hier
nicht ausführlicher dargethan zu werden.
Vgl. cartanaiy = kar-tanaiy = neup. (kar-dan); thagtanaiy von thah,
sprechen.
Die Conjugation des neupersischen Verbums.
223
Was nun die zweite Form, die der Conjugation zu Grunde
liegt, anlangt, so fällt sie, wie wir oben bereits andeuteten, in
vielen Fällen mit dem nach Ablösung der Zeichen -ta, -da übrig
bleibenden Wurzelelemente, entweder unverändert, oder mit eini
gen am Ende stattfindenden Consonanten-Veränderungen zusammen;
— in anderen Fällejj dagegen bietet sie mehr, in anderen weniger.
— Wir können also nach diesem weder die zweite Form noch die
nach Abzug des Participzeicbens -ta oder der Infinitivendung -tan
aus der ersten entstandene für die der Verbalconjugation zu Grunde
gelegte Wurzel nehmen, sondern diese muss tiefer liegen. Zur
näheren Erklärung des wahren Sachverhaltes müssen wir etwas
weiter ausholen.
Die Conjugation des indogermanischen Verbums, als dessen
Typus wir das altindische, altbaktrisehe, altgriechische hinstellen
wollen, liegt, wie jener des semitischen Verbums, ein Gegensatz
zu Grunde, nämlich der der voll endeten, abgeschlossenen,
und der nicht vollendeten, sich e n t w i c k e 1 n d e n Handlung.
Zur Darstellung der ersteren gebraucht die Sprache die Wurzel
unmittelbar, während sie im letzteren Falle an der Wurzel gewisse
lautliche Veränderungen, die eine Erweiterung der Form zum
Zwecke haben, vornimmt. Alle Formen, in denen es darauf an-
kommt, die Handlung in ihrer Entwicklung zu zeigen (Präsens,
Imperfectum, sammt den damit zusammenhängenden Modis, wie
Imperativ, Conjunctiv, Optativ), gehen auf die letztere Form zu
rück, während die erstere überall dort, wo die Handlung als
solche schlechthin, mithin vom Standpuncte des aussagenden
Subjectes als bereits abgeschlossen bezeichnet werden soll, ange
wendet wird. Dahin gehören auch natürlich die Participien der
Vergangenheit.
Für die letztere Gruppe der Verbalformen hat nun das Neu
persische das von uns eben beschriebene Participium in -ta, das in
Verbindung mit Hilfsverben alle jene Zeiten und Arten bildet, zu
deren Darstellung der älteren Sprache noch einfache Formen zu
Gebote standen. Für die erstere Gruppe besitzt es aber nicht eine
überall unveränderlich eintretende Form, sondern hat nur Trümmer
der der älteren Conjugation zu Grunde gelegenen Bildungen auf
zuweisen. — Diese zeigte in diesem Puncte gleich der altindischeu
eine grosse Mannigfaltigkeit. — Es waren ebenso wie dort in Rück-
• 'Q.\HkLk feüs*
224 Br. Fr. Müller.
sicht der sogenannten Specialtempora zehn Classen vollkommen
ausgebildet vorhanden. Aber ebenso wie wir in der späteren
Periode der indischen und griechischen Sprache ein Überhand
nehmen der vocalischen (biudevocalischen) besonders abgeleiteten
(denominativen) Verbalelassen gegenüber den in der älteren Periode
der Sprache noch zahlreicher vertretenen consonantischen (binde-
vocalloseri) wahrnehmen können, ebenso sind wir berechtigt, nach
dem im Neupersischen vorhandenen Inventare ein Ähnliches auf
dem eränischen Gebiete zu vermuthen. Denn wir finden liier von
starker, sowohl älterer consonaritischer als vocalischer Flexion eine
begrenzte Anzahl von Fällen; das übrige Gebiet ist ganz von der
die Sprache beherrschenden abgeleiteten (zehnten) Conjugation in
Besitz genommen. — Die regelmässigen (organischen) Verba sind
nicht zahlreich vertreten, die unregelmässigen (anorganischen)
dagegen erscheinen in grosser Anzahl vorhanden. Freilich erschei
nen die ersteren als die nach bestimmten Lautgesetzen in den beiden
Formen geänderten und nicht eben zahlreichen, dem Neuperser als
die unregelmässigen, während die letzteren als die nach einem
ganz einfachen mechanischen Gesetze gebildeten und zahlreichen —
natürlich! weil sie die Majorität für sieb haben — als die regel
mässigen sich darstellen. So für den Neuperser; keineswegs aber
für den Sprachforscher.
Indem wir nun im folgenden zur Darlegung der Classen des
Verbums übergehen, werden wir dabei die zur Bildung der Conju-
gationsformen nothwendigen Elemente: das Participium perfecti oder
statt desselben den Infinitiv und den Präsensstamm in jedem ein
zelnen Falle darlegen..
Wir theilen die Verba dabei in zwei Gruppen, von denen die
erste alle jene Verba umfasst, die nach der älteren Conjugation
gehen, während in die zweite Gruppe alle jene Verba fallen, die nach
der jüngeren Conjugation abgewandelt werden. An die erste Gruppe
schliessen sich auch jene wenigen Fälle, wo in der einen Form
eine Zusammensetzung der Verbalwurzel mit dem Verbum substan-
tivum stattfindet oder wo der Flexion in den zwei Formen (Stamm
des Particip. perf. und Präsensstamm) zwei verschiedene Wurzeln
zu Grunde liegen.
Was nun die erste Gruppe betrifft, so fallen in dieselbe die
alten zehn Classen, wobei aber im Neupersischen der Unterschied
I
Die Conjugalion des neupersischen Verbums.
22S
zwischen Classe I, IV, VI (VII) und X aufgehoben erscheint, indem
alle vier in eine einzige zusammenfallen; ebenso stellt sich Classe
V, VIII, IX als eine einzige dar, indem die hier besonders den
Gegensatz bewirkende vocalische Differenz u (Classe V und VIII)
und a (Classe IX) verschwunden ist. — Die zweite Classe, schon
im Altindischen und Altbaktrischen ohnehin nicht mehr zahlreich
vertreten, erscheint hier gar nicht; die dritte Classe dagegen bietet
noch nennenswerthe Überbleibsel dar.
Ehe wir jedoch zur Darstellung dieser Verbalclassen übergehen,
erscheint uns noch einPunct einer näheren Erörterung werth, näm
lich der in Betreff der einfachen oder zusammengesetzten Natur
der neupersischen Verba.
Nicht alle Verba, die dem Neuperser als einfach erscheinen,
sind es in der Wirklichkeit. Viele von denselben sind mit Präpo
sitionen, die als solche zwar nicht mehr im Neupersischen, wohl
aber in der älteren Sprache gefühlt werden, zusammengesetzt.
Wir geben im Nachfolgenden eine Übersicht vorzüglich der
jenigen unter ihnen, die auf dem Gebiete des Neupersischen gar
nicht mehr zu erkennen sind, also auch bisher in den Grammatiken
*
eine nicht genügende Erklärung gefunden haben.
ä = altbaktr. ■“> (d), altind. d, z. B. (d-wurdan)
„herbeitragen“ = (d-\-bere), altind. d-\-blir;
(d-madanj „herzukommen“ == altind. d-\-gam.
af = altbaktr. (ahoi), altind. abhi, z. B. (af-
rölchtan) „anzünden“, (aiwi. raocayeili) „er
zündet an“.
d, u — altbaktr. (aiwi), altind. abhi, z. B. O-ital (u-ftd-
danj „niederfallen“, Pärsi (oftadari), altbaktr. <?"e)
(aiwi-\-pat).
an = altbaktr. (häm), altind. sam, z. B. 1 (an-
bdstanj „sammeln, füllen“ = fjf) -exey (hum -f- bere), vergl. arm.
(kam-barel).
par — altbaktr. (pairij, altind. pari oder altpers. pard?
z. B. (^>-1^y (par-ddklitan) „vollenden, beschäftigt sein“ — altp.
pard -f- tac ? altb. (pairi-\-tad), (par-wardati)
„fortbringen, ernähren“ = tfi) (pairi-\-bere).
220
Dr. Fr. M ü 11 e r
pai = altbaktr. (paiti), griech. nori, z. B. jjjw (pai-
mudan) „zumessen“, “6 •*?“() (paiti-\-mä), (pai-ivastan)
„anbinden“ = •*<?>“*« (paiti-\-band'). Eine vollständigere
Form des Suffixes paiti liegt noch im Neupers. im Verbum y
(padi-raftan) „annehmen“ eigentlich „entgegengehen“ vor.
far = altbaktr. -“W (fra), »Itind. pra, z. B. (far-
müdan) „befehlen“ == -“6 (fra-\-mä).
ga = altbaktr. *!? (vi), altind. vi, z. B. (gu-stardun)
„ausstreuen“ = altbaktr. .(» (vi -)- gtere), OS>j> (gu-
zidan) „auswählen“ = altb. •*!? (m-\-ci). 1 &(gu-d&khtan)
„schmelzen“ = altbaktr. -elf (vi-\-tac).
ni = altbaktr. (ni), altind. ui, z. B. (ni-hädan)
„niederlegen“ = (ni-\-dha), (ni-säst an) „nieder
sitzen“ = altbaktr. ni-\-shad (had), altind. sad. — (ni-
vistan) schreiben, altpers. ni-\-pis.
na, nu = altbaktr. >(* (anu), altind. anu, z. B. if-ijc
(nu-mudan auch na-mudan) „zeigen“, Pärsi t^c»; (namudan),
altbaktr. “S ->pi (anu-\-ma).
I. Starke Oonjugation.
a) Classelll. (da-dan) „geben, stellen“, praes. p*. js
(dih-am), Parst (da-dhan) e u ey^ (dali-am) = altb.
(dadhdmi) vereinigt die beiden altindischen dadämi und dadliämi,
griech. oiooipi und riSripi in sich.
(istä-dan) „stehen“, praes. ^>\ (ist-am), vergl. altb.
(histämij „ich stehe“, (histaili) „er steht“,
altind. tishtati; neup. istä-dan, wofür auch oft (sitä-dan)
vorkommt, steht wohl für stä-dan, während ist-am für liist-am.
b) Classe.V, VIII, IX. (äfiri-dan) „lobpreisen,
schaffen“, praes. ^sl (äfirin-am) vgl. altbaktr. (äfri-
ndmij CI. IX.
(ci-dan) „sammeln“, praes. (ein-am), vgl. altind.
cinomi. CI. V.
Die Conjugation des neupersischen Verbums.
227
jjo/ (guzi-dan) „aussammeln, auswählen“, praes.
(guzin-am) = altbaktr. ‘r •*!? (vi-j-ci).
O Juj (ri-dan) „alvum exonerare“, praes. (rin-am), vgl.
altbaktr. (iri-ta) Yend. V.
O Jy~^ (sunü-dan) „hören“, praes. (sinaw-am), vgl.
altind. grnömi CI. V. Der Verlust des r ist ebenso zu erklären wie
im .if (kiin-am), altpersisch ak'unaus etc. gegenüber altbaktr.
(kerenaomi). Was dm Übergang des Präsenszeichens in
den Infinitiv und das Particip. perfecti betrifft, darüber vergleiche
man Pehlewi prUD (kun-tann) — neup. (kar-dan) praes. ^
(kunam).
(kar-dan) „machen, thun“, praes. (hin-am), vgl.
altp. a-k'u-md, ak'unavam etc. und altbaktr. (kerenaomi)
CI. V.
c) Classe I, IV, VI (VII), X, üJy (bur-dan) „tragen“,
praes. (bar-am), Parst (bnrdan), (baret) „er trägt“,
altbaktr. (baraiti), vgl. altind. blir CI. I., griech. <psp-,
latein. fer-.
(awur-dan) „herbeitragen“, praes. (dwar-am),
altbaktr. &) (a-\-bere).
O ijjy (parwar-dan) „aufziehen, ernähren“, praes.
(parwar-am) — altbaktr. S^J) (pairi-\-bere).
O.x, (khFan-dan) „rufen“, praes. (khFein-am),
vgl. altind. svan CI. I.
(kiiFar-dan) „essen, trinken“, praes. (khFar-
am), vgl. altbaktr. (qaraiti) „er isst“. CI. I.
O jyj> (gustar-dan) „ausstreuen“, praes. ^jüS(gustar-am),
altbaktr. sV* ■*!? (vi-\-gtere). CI. V und IX, weicht also im Neu-
persischen ab.
OJ-'f (kan-dan) „graben“, praes. (kan-am), altbaktr.
(kan). CI. II. Altind. Khan. CI. II.
(kus-tan) „tödten“, praes. ^ (kus-am), altb.
(kushaiti) „er födtet“. CI. I, VI.
Sitzb. ,1. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. II. Hfl.
16
22S
Dr. Fr. Möller
OJüU (män-dan) „bleiben“, praes. (mdn-am), vgl.
griech. pivctv, latein. manere.
Veränderungen durch Verlängerung oder Verkürzung.
In einigen Fällen tritt in einer oder der anderen Form eine
Veränderung ein, die entweder in Längung des Vocales oder in
Abwertung eines Consonanten oder Vocales oder in der Vereinigung
beider Erscheinungen besteht, z. B.
Jj (padiraf-tan) „empfangen“, praes. (padi-
ram) statt padirawam von paiti-\-hrap (= altind. srp).
OJ^js- (khirt-dan) „kaufen“, praes. ^js- (khir-am), vgl.
altbaktr. (kliri), altind. kri.
O J>j (za-elan) „schlagen“, praes. (zan-amj, altbaktr.
(zan). CI. I und II. Altind. han. CI. II.
(girif-tan) „ergreifen“, praes. ^ (gir-am), Pärsi
(gereiftan) — (girern) altbaktr. (gdrew). CI. IX,
I und IX vereinigt und CI. X. Altind. grbli, goth. greipan.
j(mur-dan) „sterben“, praes. ^ru (mir-am), Pärsi
(miret) „er stirbt“ = altbaktr. (men;). CI. IV. Altind. mr.
Manchmal liegt dem Infinitiv und Particip, [ierf. die mit dem
langen Vocal nach aussen gedehnte Wurzel zu Grunde, während
die Form des Präsens die einfache auf einen Consonanten ausge
hende zeigt, z. B.
Jotal (uftä-dan) „niederfallen“, praes. (uft-am) vgl.
altbaktr. (pat) I. und besonders griechisch: tü-ktoj = m-niren
und ni-TCTO)-/.a.
Veränderungen durch Anwendung bestimmter Lautgesetze.
Bei den auf einen Guttural (respective Palatal), Dental oder
Labial auslautenden Stämmen, denen das Infinitivzeiehen und also
auch das Zeichen des Particip. perfect, unmittelbar angehängt wird,
waltet das Lautgesetz ob, dass vor dem t nur die stummen Aspiraten
der entsprechenden Lautgruppe eintreten können. Es wird dann
also der Guttural (Palatal) in Ich, der Dental in s, der Labial in f
Die Conjugation des neupersisclien Verbums.
229
verändert. Vor den vncalisch anlautenden Personalsuffixen im Prä
sens etc. dagegen müssen die entsprechenden Laute herabgesetzt
werden; es tritt im ersteren Fallej (seltener u b), im zwei
ten (n) d,h, y, im dritten b, v ein.
a) Verba, die auf einen Guttural (Palatal) aus gehen.
(afrökh-tan) „anzünden“, praes. (afroz-am),
Peldewi prinilDN, iniBN, Pärsi (aioarozet), althaktr.
->«Vh> Qaiwi-raocaijeiti). Causal(Cl.X) von ruc „leuchten“.
(afrdkh - tun) „erheben“, auch (afras-
tan), praes. \ (afrdz-am).
(dmekh-tan) „mischen“, praes. Cdmez-am) von
p.ey-, nach Classe X.
(dmökh-tan) „lernen“, praes, (dmoz-am), vgl.
litauisch molcitis lernen, mökslas Wissenschaft, vielleicht altind.
muc. CI. X.
1 (äwekli-tan) „aufhängen“, praes. (dwez-am)■
(bäkh-tan) „spielen“, praes. ^ (bdz-am).
(bekh-tanj „sieben“, praes. (bez-am), vergl.
altind. vic.
C>vs£ (pukh-tan) „kochen“, praes. (paz-am), vgl. altb.
(pacaitij „er kocht“. CI. I.
(tdkli-tan) „eilen“, praes. (tdz-amj, vgl. altb.
(tacj. CI. VI.
(ddkh-tan) „zusammennähen“, praes. (doz-am).
(rekli-tan) „giessen“, praes. (rez-am) vgl. Pärsi
(rezetj „er giesst aus“, altb. (raedayeiti) von
ric. CI. X.
oro-L (säkli-tan) „bereiten, schaffen“, praes. (sdz-am),
von gac nach CI. X.
(sakh-tan) „wägen“, sonst auch (sang-idan)
praesens ^ (sang-am).
16,*
230
Dr. Fr. Müller
(sokh-tan) „verbrennen“, praes. j>Jy> (söz-arn), vgl.
r>" fyucj. Ol. I und X.
&(gudakh-tan) „schmelzen“, praes. ^j \ (guddz-amj,
altb. (vi-\-tacJ, vgl. Vend. II. „Schmel
zung des Schnees“.
Co irekh-tan) „fliehen“, praes. j (girez-am).
Folgende Verba machen von der im Präsens beliebten Herab
setzung der Consonanten eine Ausnahme.
(pekh-tcm) „drehen“, sonst auch (peö-idan),
praesens (pec-am).
(dokh-tan) „melken“, praes. (dös-am), vgl.
altind. duh — dugli.
(furokh-tan) „verkaufen“, praes. f&jjS (furos-am).
y^>~lü (sinakh-tan) „erkennen“, praes. (sinäs-am),
Pärsi (snäzel) „er erkennt“, vgl. altpers. khnacätiy
Behistdn-Inschrift I, S2. In den drei letzten Fällen ist ^
auf der Stufe des armenischen a (vgl. meine Beiträge zur Lautlehre
der armenischen Sprache II, S. S) stehend zu betrachten.
In (khds-tan) „aufstehen“, p r aes. (Ichez-amJ,
vgl. altb. scheint das vor t, statt ^ wegen
des vorhergehenden eingetreten zu sein.
(gwdkK-tan) „brechen“, praes. (gusil-am) ist
wahrscheinlich = vi-\-grg eine Erweiterung von pF. — Während
im Infinitiv etc. das g unversehrt erhalten wurde und r ausfiel,
behauptete sich hinwiederum im Präsens das r unter Abfall des
auslautenden g.
Chis-tan) „lassen, herablassen“, praes. ( U> (hil-ain) ist
offenbar altbaktr. ^!ev (herez), altind. srg. Der Infinitiv etc.
bewahrt das (/als ^, während das Präsens etc. das r als J
geschützt hat.
Die Conjugation des neupersischen Verbums.
231
b) Verba, die auf einen Dental ausgehen.
J (bas-tan) „binden“ = bad-tan, praes. (band-am),
vergl. altb. band und altind. badh nach CI. VI.
(sikas-tan) „brechen“ = sikad-tan, praes.:
(sikan-am) = sikand-am, von altb. (skend), altind. öliid,
nach CI. VII., griech. ajjto-, latein. scind-o.
(nisäs-tan) „niedersitzen“ = nisad-tan, praes.
(nisin-am) = nisind-am, mit Verlängerung des Vocals wie in
(mir-am), altb. had, ni-shad. CI. VI.
\y>- (kliFas-tan) „wünschen“ -khFad-tan, praes.
(khfah-am), vergl. altind. svdd-.
(gas-tan) „springen“, praes. ^ (gali-am), vgl. altb.
Vend. II. i).
Cj<^ 1 j 1 (äräs-tan) „bereiten, zieren“ = äräd-tan, jrljl
(drdy-üm), vgl. altind. rdulli.
(pairas-tan) „schrflücken“ = pairad-tan, praes.
(pairdy-am), vgl. armen. (pat-rast) = 1j\> (pai-
-v ^
rast all).
(gus-tan) „wünschen“ = gud-tan, praes. <cy>- (guy-
am), vgl. altpers. gad.
(rus-tan) „wachsen“ = rud-tan, praes. (roy-am),
vgl. altb. (raoday-) und altind. rudh.
(sus-tan) „waschen“ = sud-tan, praes. (soy-am),
vgl. altb. ytny) (klishud).
(giris-tan) „weinen, klagen“ — girid-tan, praes. xjT
(giriy-am), vgl. altb. e^?(e (geredh) und ^<55 (gerez), Erwei
terung von gr.
*) vor * = altem li (s) 3 wie im altpersischen thag-tanaiy, Infinitiv von tliah
(altind. gams).
232
Dr. Fr. Müller
c) Verba, die auf einen Labial ausgeben.
I (amf-tan) oder (asof-tan) „beunruhigt sein,
zürnen“, praes. (äsöb-am), vgl. altb. Ichshufg und altind.
ksliubli.
(täf-tan) „anzünden“, praes. (täb-am), vgl. altb.
ätäpayeiti) und altind. tap.
(suftan) „bohren", praes. ^ (sunb-am), vgl. altb.
(9*0-
(sitäf-tan) „eilen“, praes. (sitab-am).
(fireft-an) „täuschen, betrügen“, praes. (fircb-
am), vgl. altind. rip-u „Feind“.
('kof-tan) „schlagen“, praes. (köb-am), vgl. arm.
r t ni/,ir L (kophel).
O^sb (yäftan) „erlangen“, praes. ^rb (yäb-am), im Pärsi
(ayaftan), von altb. ei" (aiwi-\-ap), latein. acl-ip-
iscor.
C ra f-t an j »gehen“, praes. (raw-am), Pärsi
(raf-tan), (raivul) „er geht“, wahrscheinlich altind. srp.
— griech. epn
In (darü-dcm) „mähen“, praes. (diraw-am) vgl.
griech. Spin-w, dpin-avov, ist das w aus dem Praesens in den
Infinitiv etc. hinübergenommen und in den entsprechenden Halb-
vocal aufgelöst.
In einigen Fällen geht das f des Infinitivs etc. auch in das
Praesens etc. über.
(bäf-tan) „weben“, praes. ^sb (bäf-am), vgl. altind.
vup-, unser „weben“ und griech. btp-cdvco.
(käf-tan) „graben“, praes. (käf-am), vgl. altslav.
KOndTH und griech. xonr-Tto.
i_A 3 (sikäf-tun) „spalten“, praes. (sikuf-am), vgl.
griech. axxn-ru,
,jKsi> (guf-tan) „sprechen“, praes. (goy-am), altpers.
gilb, wirft den Labial im Praesens ganz aus.
Die Conjugation des neupersisclien Verbums.
233
Verba, die auf r ausgehen.
Diejenigen Verba, welche auf r auslauten, verändern dieses
vor dem t des Infinitivs und Participium perfecti in s, z. B.:
J> (das-tan) „halten“, Pärsi (dag-tan) = dar
inn , praes. (dar-am), Parst (claret) „erhält“, vergl.
(dere), altind. dhr.
O^LJ I (anbds-tan) „füllen“ = anbar-tan, praesens ^ Lil
(anbar-am), von altb. kam + bere, vgl. armen. ^Jpu> P lr L (ham
bar el).
(gudas-tan) „überschreiten, verlassen“ = gudar-
tan, praes. (gudar-am), von altb. ■*!> (vi-\-tere).
(gumas-tan) „übergeben“ = gumar-tan, praes.
(gumär-am), vgl. armen. ^„uJiu ( ,L L (gumarel).
\)j (nigds-tan) „zeichnen, malen“ = nigdr-tan, praes.
Pj\X, (nigdr-am), vgl. arm. (nkar) „Bild“.
Verba, die auf ä, ü ausgehen.
Eine eigene Classe bilden die Verba mit auslautendem d oder
u, die im Neupersischen in eine einzige Corijugation zusammen
fallen. Der Infinitiv und das mit demselben zusammenhängende
Participium perfecti verwenden das u, das Praesens das d zu seinen
Bildungen. Auf Ursprünglichkeit weder des einen noch des anderen
Lautes, kann keine Bildung ausschliesslichen Anspruch erheben.
(dmu-dan) auch O-iH (dmd-dan) „bereiten“, praes.
xLI (dmdyam), vergl. altb. -6 (md) und altpers. dmäta, amahy.
(afzu-dan) „vermehrt werden, wachsen“, praes. ,r
(afzäyam), vgl. Pehlewi pmtDM (afzutann).
(azmu-dan) „versuchen, prüfen“, praesens
(dzmdyam), wahrscheinlich altb. -“6 (haca-\-ma).
OJ^jsj (paimü-dan) „messen, zeigen“, praes. ^Uj (pai-
mäyam) = altb. "C (paiti-\-md).
(farmu-dan) „befehlen“, praes. (faramdyam),
Pärsi (framäyam), von altb. (fra-\-md).
Dr. Fr. Müller
234
j>j>jc (namu-dan auch numü-dan) „zeigen“, Pärsi
(namüdan), praes. ^rlc (namdyatn), Pärsi cxj“«*) (namäyam)
wahrscheinlich altb. ->j" (ann-\-md).
i>•>(sutu-dan) „loben, preisen“, praes. (sitäyam),
Pärsi GW“?” (gtäyam), altb. ><?” (gtu), altind. stu.
(surü-dan) „singen“, praes. (saräyam), altb.
(grävayeiti), Causal von gru.
Dieser Gegensatz zwischen dem u des Perfects und dem ä des
Präsens hat sich auch bei einigen in r auslautenden Denominativ
verben geltend gemacht, wo er gewiss nur in differenzirender Be
deutung zu fassen ist.
O1 (ä-zur-dan) „beleidigen“, praes. ^j\j\ (d-zär-am),
von altind. ghr (har).
(afsur-dan) „zerquetschen“, praes. 1 (afsär-am),
vgl. altind. sphar, sphur, als Causal gefasst.
(supur-dan) „übergeben“, praes. (sipär-am).
(sumur-dan) „zählen“, praes. (sumär-am),
vergl. Pehlewi pmiatstist (osmurtann) und neup. j> Ui> (sumdr)
„Zahl“, von altind, smr.
Verba, die im Infinitiv etc. mit zusammengesetzt sind.
An die starken Verba sind auch jene anzuschliessen, welche
im Infinitiv und Participium perfecti die Verbalwurzel mit dem
Hilfszeitworte (hastan) zusammensetzen, während das Prä
sens etc. einfach, ganz regelmässig conjugirt wird J ), z. B.
Diese Bildungen finden sich besonders in den neupersischen Dialekten häufig; sie
ähneln in gewisser Beziehung den in anderen Sprachen mit „thun“ zusammen
gesetzten Zeitwörtern. Folgende Fälle aus dem MAzandarani mögen hier Platz
finden:
<X***J -X^ y <X*A»^ = .X^^VaaJ y <XvJ) === y
V * v * * *
w 7." ,.
^ AÄavJ ■ ■ ■ Ju ^Xa) Lc j —■ «Xj W y
, Z'trs
<X**»a->0 -Xa-X.^ y b>*A+.O^Ai -Xy = «Xay
ln allen diesen Fällen ist die Endung Aaa>] = neup. *—^ \ durch rückwärtsge
hende Assimilation entstanden.
Die Conjug-ation des neupersischen Verbums.
235
(zistan) „leben“, Parst (ziv-astan), eigentl.
zw-liastan „lebend sein“, praes. xj (ziy-am), von altb. ziv-, altind
Ijiv-.
(sdyistan) „sich geziemen", praes. (say-ad),
vgl. altb. (khshi).
U (ddnistan) „wissen“, praes. \ j> (dän-am), von altb.
■*«>! (da), vgl. griecli. os-ö'aw?, nach CI. IX.
(mänistan) „gleichen“, praes. jfU (man-am), vgl.
altb. (mänayen).
1y (tuwänistan), „vermögen“, praes. jr \y (tuwän-am),
vgl. altb. ><? (tu).
Verba, in denen zwei Stamme gemischt vorliegen.
Ferner sind jene wenigen Fälle hieher zu beziehen, in denen,
gleichwie beim altindischen pag- und drg-, beim griechischen
'ipypycu und rfkäov, beim lateinischen fero und tuli zwei grund
verschiedene Wurzeln zusammengeflossen sind.
OJ-«! (dma-dan) „ankommen“, praes. (äyam), Parst
(dyat) „er kommt an“. — Dem Infinitiv liegt die Wurzel gam,
(gma) mit der Präposition d zu Grunde, wobei g vor m ebenso
ausgefallen ist, wie in (hangamana) —
(hangaghmana). — Das Präsens etc. geht auf die Wurzel i
„gehen“ zurück.
O-XO (di-dan) „sehen“, vgl. Pärsi g^ (dit) „er hat gesehen“
= .xo, praes. ^ (bin-am), vgl. Parst g^k (vinet), altb.
(vaenaiti). — Auf die dem Infinitiv etc. zu Grunde liegende Wurzel
di geht altbaktr. (doithra) „Auge“, armen. tL J'(dem), neup.
.c-x (dim) „Antlitz“, zurück.
236
Dr. Fr. Müller
II. Schwache Conjugation.
Ein viel weiteres Gebiet als die bisher beschriebene Conju
gation, welche die Zeichen des Infinitivs und Participium perfecti
(-tan, -dan; -ta, -da) unmittelbar an den Verbalstamm an-
schliesst, und die wir deshalb die starke genannt haben, nimmt
eine andere ein, welche zwischen den Verbalstamm und die oben
angegebenen Zeichen ein i einschiebt, die man daher mit Recht die
• schwache nennen kann. — Das Zeichen dieser Conjugation -i- ent
stammt unserer Ansicht nach dem Charakter der altindischen zehnten
Conjugation -aya- und es ist diese Classe mit den griechischen
Verben in -äw, -e'w, -oco in Parallele zu stellen. — Freilich ist die
Bedeutung dieses Zeichens im Neupersischen nicht immer dieselbe
wie im Altindischen, wenn gleich ein gewisser Zusammenhang
beiderseits sich nicht in Abrede stellen, ja sogar die Bedeutung, wie
sie im Neupersischen sich darstellt, sich aus der im Altindischen
herrschenden recht gut ableiten lässt. — Jedoch die Bildung als
solche ist eine specifisch neupersische und ist mit der alten Causal
und Denominativbildung im Altbaktrischen nicht ganz zu vergleichen.
Denn manches Verbum, welches im Altbaktrischen sich als zur
zehnten Classe gehörend deutlich verräth, tritt dennoch im Neu-
• persischen stark conjugirt auf, während andererseits Verba, die
im Altbaktrischen oder Altpersischen stark flectirt auftreten, im
Neupersischen nur in der schwachen Form sich nachweisen lassen.
So geht ,(afrokhtan) „anzünden“, im Altbaktrischen
(aitvi. raocayeiti) „er zündet an“, wörtlich: „er macht
erglänzen“, nach der zehnten Conjugation, während es im Neu
persischen stark conjugirt wird. Ebenso (soklitan) „ver
brennen“, altb. »«)<!«»» (gaoc'ay-), (rekhtan) „ausgiessen“,
altb. ««i'Kj.d (raecay-) etc. Andererseits aber sind ö(tar-
sidan) „sich fürchten“, (rasidanj „wohin gelangen“, im
Altbaktrischen und Altpersischen starke Verba: erstens = “tW
(teregj, part. perf. - u s 3j o'W (tarsta) = neup. (tarsidali),
letzteres = rag, vgl. aragam etc., während sie im Neupersischen
nur schwach conjugirt werden.
Die Conjugation des neupersischen Verbums.
237
Vom Standpuncle des Neupersischen können wir in dieser Con-
jugationsform mit Fug und Recht nichts anders erblicken, als den
Ausdruck jener Neigung der Sprache nach Vereinfachung und Uni-
formirung der Bildungen, wie sie auch besonders in der Declina-
tion der Substantiva, bei denen wir die sogenannte Pronominal-
declination immer mehr und mehr überhandnehmen sehen, sich
geltend macht. — Dies können wir schon daraus entnehmen, dass
es mehrere Verba gibt, welche bald nach der starken, bald nach
der schwachen Conjugation gebildet werden können, z B.
(sakh-tan) und O-X-s^ (sang-i-dan) — (täkh-tan) und O-Xj^
(täz-i-dan) — (pekh-tan) und ü-X-«^ (pec-i-dan) —
(liis-tan) und 0-X-~x (liis-i-dan) — ( jxiy (nos-tan) und ö_x.iy
(nös-i-dan) — (khuftau) und (klifdb-i-dan), —
jCilt (nigds-tan) und (nigav-i-dan) etc.
Diese Conjugation bringt unstreitig eine gewisse mecha
nische Regelmässigkeit in den Bau des neupersischen Zeitwortes;
auf den Namen einer organischen, im tieferen Wesen der
Sprache begründeten, kann sie aber keineswegs Anspruch machen.
Neben dieser Bedeutung birgt diese Conjugationsform noch
eine andere in sich, nämlich die der denominativen. In dieser
Beziehung entspricht sie den altbaktrischen und altindischen For
men in -aya. Sie fällt in Hinsicht ihrer Bildungen tlieils schon in
eine ältere Sprachperiode; meistens ist sie aber neueren, oft
sogar ganz neuen Ursprungs.
Obgleich eine Aufzählung der hieher gehörigen Verba eigent
lich nicht nothwendig erscheint, da einestheils die Zahl derselben
ziemlich unbeschränkt ist — es lässt sich von jedem im Gebrauch
befindlichen arabischen Infinitiv nach Analogie unserer meditiren,
studiren etc., leicht ein Verbum bilden — anderestheils die Flexion
des Verbums keinen Lautgesetzen unterworfen ist, so will ich
dennoch die wichtigsten Formen, und zwar besonders j ene, die
aus dem alten Sprachschätze mit Sicherheit erklärt werden können,
hersetzen.
O-Xjj^ 1 (amurzidan) „vergeben“, praes. ^»1 (dmurz-am),
altbaktr. d-\-merez- und vergl. griech. ö-yopy-wgi.
238
Dr. Fr. Müller
(bakhsidan) „schenken“, praes. (baklis-am),
altb. (bakhsh) und armen. (baskhel).
(pursidan) „fragen“, praes. (pur s-am), altb.
(pereg), vgl. armen. har^-anel).
OX.*>y (tarsidan) „sieb fürchten“, praes. (tars-cim),
vergl. altb. (tereg).
O (caridan) „weiden“, praes. (car-am), altbaktr.
1 u y (car).
(camidan) „spazieren, stolz einbergeben“, praes.
p=*- (cam-am), vgl. armen. (öemel).
O_x~oly>- (khirämidan) „umherstolzieren, stolz einher
schreiten“, praes. (kliiram-am), altind. kram.
i_> (khurosidan) „aufschreien“, praes. (khuro-
s-am), altbaktr. klirug, altind. krag.
O (darridan) „zerreissen“, praes. (darr-am), altb.
(dere), altind. dr.
(rasidan) „anlangen, wohin kommen“, praes.
(ras-am), altpers. rag.
(kasidan) „ziehen“, praes. ^ (kas-am), altb.
(keresh), altind. krsh.
(warzidan) „thun“, praes. (warz-am), altb.
(O (verez) , arm. ^A/.y (gorg-el) und griech. fsp7-.
Ziemlich häufig sind auch die Denominativverba, sowohl die von
echt persischen, als auch die von arabischen Substantivformen
abgeleiteten.
a) Von persischen Formen abgeleitete Verba.
(arzidan) „werth sein“, von (arz-dn), altb.
(areza), von altind. arh (argli).
ö->-jy (boidan) „duften“, praes. ( ry (boy-am), vgl. altb.
-“^y (baodha), neup. jty (bei) Geruch.
O-X'jlj (bäridan) „regnen“, praes. (bdr-am) von yl<
(bar), ältere Form für 0b (bäran) „Regen“, altb. (vdra),
altind. vetri.
Die Coujiigatii>ii des neupersischen Verbums.
239
OjJl (pdidan) „fussen“, praes. f rlj (pdy-am), von
(pcn), altb. -“a“« (pädha).
L>^‘j> (paridan) „fliegen“, praes. ^ (par-am), von_/ (pur)
„Flügel“, altb. -"^-“spej (ptara), vgl. griech. nrepov.
O j.j \j->~ (khfabidan) „schlafen“, praes. jV 1 y>- (khfab-am),
von (hilf ab), altb. ^“^(qafna).
(duzdidan) „stehlen“, praes. ^->j-> (duzd-am) von
(duzd) „Dieb“, altb. (duzddo).
(rangidan) „zürnen“, praes. (rang-am) von
(rang) „Arger“, von rag.
Oi-iJ (gdsidan) „hören“, praes. (gös-am) von
(gos) „Ohr“, altb. -"^"55 (gaosha).
ö-X~olj (nämidan) „nennen“, praes. (ndm-am), von ^
(ndm) „Name“, altind. ndma.
(faramosidan) „vergessen“, praes. (fard-
mos-am), von (faramos) „Vergessenheit“,altb. framarsta.
b) Von arabischen Formen abgeleitete Verba.
O(raqsidan) „tanzen“, praes. (raqs-am), von
(raqs) „das Tanzen“.
OJuJiU (talabidan) „suchen“, praes. (talab-am), von
(talab) „das Suchen“.
(fahmidan) „verstehen“, praes. (falim-am), von
(fahm), „das Verstehen“.
Nebst diesen zwei im Vorhergehenden von uns besprochenen
Formen , nämlich des Präsensstammes und des Particip. perf. pass.,
deren Verhältniss zu einander wir hiemit erschöpfend dargethan
zu haben glauben, hat die Sprache aus der älteren Periode noch
die Personalsuffixe überkommen, deren Einfachheit zu dem übri
gen Typus der Sprache vollkommen passt. Es ist nur eine Form
derselben vorhanden, während bekanntlich die ältere Sprache
derselben mehrere, je nach den verschiedenen Zeiten und Arten
kannte. Diese verschiedenen Formen, einer einzigen älteren ent
sprossen, sind bekanntlich später durch Verlust des vocalischen
240
Dr. Fr. Müller
Auslautes, wieder zu einer einzigen zusammen geschmolzen. Die
tiefere Erklärung sowohl der Urform als der verschiedenen aus ihr
entstandenen Suffixgruppen gehört in die vergleichende Grammatik
der indogermanischen Sprachen und wir können sie hier füglich um
so mehr übergehen, als wir davon bereits anderwärts gesprochen
haben. — Die Personalsuffixe des Neupersischen sind :
j>^_ (am) jT“ (im)
(0 (ed)
(ad) (and)-
Dieselben lauten im Pärsi:
(am) 6! (em) Pehlewi: z. B. D’jhl (warg-im)
w (e) ^ (et)
^ GO (enQ.
Von diesen Formen entsprechen am (em) e, ad (eQ, and
(ent) den altbaklrischen ämi, alii, aiti, enti (abiti). In den For
men im, ed (eQ stecken offenbar die alten Suffixe mahi und tha
aber mit vorhergehendem Causalcharakter — aya — , der hier ganz
unorganisch ist, sich aber, wie aus dem Pehlewi erhellt, schon
frühzeitig festgesetzt haben muss.
Mit Hilfe dieser Personalelemente und der oben entwickelten
zwei Formen des Präsensstammes und des Participium perfecti wer
den nun die neupersischen Verbalformen gebildet. — Die Suffixe
schliessen sich stets unverändert in der oben angegebenen Form an
die Stämme, nur mit der kleinen Ausnahme, dass dem Aorist, der
auf das Participium perfecti zurückgeht, in der dritten Person
singulär, der volle Ausdruck der Persönlichkeit mangelt, hier also
das Zeichen der dritten Person ganz weggelassen wird J ).
*) Wie auch im Altindischen in der dritten Person Singul. Dual, und Plural, des Fu
turum periphrast.; z. B. data, dätärau, dätäras. Ebenso fehlt dem semitischen
Verbum in jener Form, die ein Abgeschlossensein der Handlung bezeichnet, in
der dritten Person die äussere Bezeichnung' der Persönlichkeit, z. B. arab.
Cyatala), \^1*3 (qatalü).
Die Conjugation des neupersisehen Verbums.
241
Praesens.
Singular.
I. ^ (kun-am), Parsi si)>3 (kun-em), altb. (kerenaomij.
II. ^y (purs-e), Parsi »^>o (purs-e), altb. *ey""S 1 tö (peregahi).
III. Xsj (purs-ad), Parsi(purs-et), altb. (peregaiti).
Plural.
I. ,cjjj (warz-im), Pehlewi D’ihl (warg-im), altb.
(verezyämah i).
II. y (purs-ed), Parsi (purs-et), altb. (pere-
gatha).
UI. jJwy (purs-and), Parsi (purs-ent), altb.
(peregainti).
Aorist.
Singular.
I. jT(girift-am), Parsi 6"s>A»I»(b (girift-am), vgl. altb.
(gereptu) und (ahmt).
II- (girift-e).
III. J>jt’(kard), Parsi J)^3 (kard), vgl. altb. Wt^ (kereto).
Plural.
I. (girift-im).
II. xtäjf (girift-ed).
III. 33) (girift-and).
Solche einfache Bildungen, wie die eben angegebenen beiden,
bilden aber unter den Verbalformen des Neupersisehen die Minder
zahl;'die bei weitem grössere Zahl derselben wird durchZühilfenahme
gewisser Elemente gebildet. — Diese Hilfselemente, die zur Bildung
der verschiedenen Formen des Verbums herbeigezogen werden
müssen, sind:
I. Das Verbum substantivum zur Bildung jener Zeiten, die eine
vollendete Handlung bezeichnen, deren Vollendung sich in die
Gegenwart erstreckt.
242
Dr. Fr. M ii 11 e r
II. Das Verbum oxy (budan) zur Bildung jener Zeiten, die
eine vollendete Handlung bezeichnen, deren Vollendung sich in die
Vergangenheit erstreckt. — Das alte Futurum dieser Wurzel bavis-
= neup. (bas) dient zur Bildung der Conjunctivformen.
III. Das Verbum (kh Fast au) zur Bildung der zukünf
tigen Zeit.
IV. Das Verbum JjJj (Sudan) zur Bildung des Passivums.
Nebstdem gebraucht das Neupersische noch einige Partikeln, wie
' 0 Jl ) ’ c? C m, '0’ (harne), um gewisse Modificationen der
Handlung zur Anschauung zu bringen.
Was nun diese Elemente im Besonderen betrifft, so möge dar
über Folgendes hier Platz finden.
Das Verbum substantivum ist die durch alle indogermanischen
Sprachen mehr oder weniger verbreitete Wurzel as (griecb. ia-,
latein. es), deren s auf eränischem Sprachgebiete nach einem hier
geltenden Lautgesetze in h übergehen musste. — Die Flexion dieses
Verbums lautet im Neupersischen also:
I (am) jvl (im)
y\ (e) J-j \ (cd) vgl. Parst (hlt)
I (ast) -U 1 (and).
j.1 ist das altpersische amiy, altb. *£? (ahmi); JS \ (e),
(ast) entsprechen altpers. ahy, altb. (alii) und altpers. actiy,
altb. (agti). Ebenso finden wir die Form \ (and), PärsI
elfter (hent), in dem altpersischen hantiy, altbaktr. (henti)
wieder. Unorganisch sind (siehe oben) (1, AjI, gegenüber dem
altpers. amahy ('für ahmaliy), altb. (hmahi) und altb.
(gta), (für as-tlui).
Das Verbum Oxy (bu dan) entspricht der alten indoger
manischen Wurzel bu, altind. bhü, altbaktr. y (bu), griech. yu-
latein. fu-, die sich innerhalb des Kreises der modernen eränischen
Sprachen noch im Ossetischen als $a\[h nachweisen lässt. — Das
Präsens davon ^y (bav-am), altb. (bavdmi) ist aber nicht
so häufig im Gebrauch als die vom Particip. perfeeti abgeleiteten
Die Conjilgation des neupersisehen Verbums.
243
Formen (Aorist-Perfect, — Plusquamperfect) und die aus seinem
alten Futurstamm bavis — (bas) entstandenen Bildungen. Im
Übrigen weicht seine Flexion von den anderen Verben nicht ab.
Was das Verbum y>~ (khfästan) anlangt, das zur Bildung
des Futurums dient, so ist nichts Wesentliches darüber zu bemer
ken. Seine Flexion| — der Präsensstamm lautet zl_p- (khfdh) —
bat nichts Wesentliches. Die Anwendung dieses Verbums zu diesem
Zwecke darf nicht befremden; bekanntlich steckt auch im alten
Charakter des Futurums sya eine Wurzel, die ursprünglich „ange-
hen, wünschen“ bedeutet.
Das Verbum jii (sudan) das in seinen verschiedenen Formen
zur Umschreibung des Passivs dient, bedeutet ursprünglich „gehen“.
In dieser Bedeutung finden wir es im Pärsi (Spiegel, Pärsigramm.
S. 85) und auch in den älteren Stücken der neupersischen Literatur,
ebenso im Ossetischen als naifti. Wurzelhaft fällt es mit dem Alt-
baktrisehen (shu) und dem altpersischen siyu, die beide
„gehen“ bedeuten, zusammen. — Was nun die Art und Weise der
Anwendung dieses Verbums zur Umschreibung des Passivs anlangt,
so fällt sie mit der des Hindüstäni, Bangäli und anderer moderner
indischen Sprachen zusammen; ja selbst der alten indogermani
schen Passivbildung mittelst ya liegt nichts anderes, als der Begriff
„in einen Zustand hineingehen“ zu Grunde.
Die Partikel (bi) (aoristische Bedeutung ohne Nebenbe
griff einer bestimmten Zeit) finden wir im Pärsi in der Form
2) (ba) und y (be) wieder. Letztere Form scheint die orga
nische zu sein; denn einestheils lässt sich aus ihr (bi) durch
Verkürzung des e in i erklären, andererseits fällt durch sie auf
Formen wie juoL (biy-dmad), Job» (biy-dyad) Licht, während
bei der anderen Form ba sich beiderseits bedeutende Schwierig
keiten entgegenstellen ‘).
Die Partikel (me), ^ (harne) --ein Zeichen der Dauer —
finden wir im Pärsi in der Form (hame) wieder. Wurzelhaft
fällt sie mit dem altindischen sma zusammen, obwohl sie dem Ge-
’) Anderseits bietet aber wieder das Ossetische die Formen ;j\a, ifie, die vollkom
men dem Pdrsi (ba) entsprechen.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLiV. Bd. II. Hft.
17
244
Di*. Fr. Müller
brauche nach von demselben abweicht. Während dieselbe nur in
der einen Form {(“ty im Pärsf immer dem Verbum vorhergehen
muss, kann die Form ^ im Neupersischen — in der Poesie —
demselben auch folgen.
Wenn das Verbum mit einer Präposition zusammengesetzt ist,
oder demselben die Negation vorangeht, treten diese Partikeln
zwischen das Verbum und das vorausgehende Element. Bei der
Negation finden sich jedoch auch Ausnahmsfälle.
An diese Partikeln ist noch das Affix (c') anzusehliessen, das
an das Particip. perfecti (der Aoristform) in der ersten und dritten
Person Singular und dritten Person Plural angeschlossen, eine
Form der Erzählung bilden hilft. Es heisst dieses Zeichen desswegen
bei den persischen Grammatikern l.5o- A> (F« der Erzählung),
vgl. Sädi’s Bostän I. 403, den Commentar in Gratf’s Ausgabe. Ob es
mit der Partikel ^ oder zusammenhängt — wie behauptet
wird — wage ich nicht zu entscheiden; jedoch ist mir das Gegen-
theil wahrscheinlicher.
Mittelst dieser Elemente nun wird das neupersische Verbum
aufgebaut, dessen ßildungsprineip und Paradigma ich im Folgenden
darlegen will.
A. A c t i v u m.
I. Dauerform der Gegenwart. (Präsens). Mittelst Prä
sensstammes unter Vortritt der Partikel ^ oder
J
J
(me purs-am)
(me purs-e)
(me purs-ad)
oder:
(hame purs-am)
^ (hame purs-e)
^ (hame purs-ad)
y (me purs-im)
j (me purs-ed)
j; (me purs-and)
jh (hame purs-im)
(hame purs-ed)
^ (hame purs-and)
Die Conjugation des neupersischen Verbuius.
245
oder:
(purs-am hame) jf* ^>y (purs-im hame)
^ j?»y (purs-e hame) ^ x^y (purs-ed hame)
^ X»y (purs-ad hame) ^ X^y (purs-and hame).
Die Formen ^y { j, ^ etc. können auch als ein Wort
} etc. geschrieben werden.
II. Unbestimmte Form der Gegenwart. (Aorist der
Gegenwart.) Mittelst Präsensstammes unter Vortritt des Partikel i_>.
(bi-purs-am) (bi,-purs-im)
(bi-purs-e) x^jp (bi-purs-ed)
x_jp (bi-purs-ad) S^>jp (bi-purs-and).
In der Poesie kann auch diese Form durch Nachselzung von
jh verstärkt werden. Es wird dadurch eine sich öfter wieder
holende Handlung zur Anschauung gebracht, z. B. -> Xsü
(bi-Jchandad hame) „er lächelt“, d. h. er lächelt einem zu, so oft
er sich z. B. gegen einen wendet.
III. Dauerform der Vergangenheit. (Imperfectum.)
Mittelst des Participiums perfecli unter Vortritt der Partikel ^
oder
o
y (me pursid-am) ( X^y j> (me pursid-im)
j; ji (me pursid-e) xx^y j; (me pursid-ed)
x~jy y (me purstd) X X»>y ^ (me pursid-and)
oder:
^X*y (hame pursid-am) elc.
oder:
^ ^X^y (pursid-am hame) etc.
Form der Erzählung.
Xo>y (pursidam-e)
,_S x^y (pursid-e) y X x»>y (pursidand-e).
17*
246
Dr. Fr. Müller
IV. Unbestimmte Form der Vergangenheit. (Aorist.)
Mittelst des Participium perfecti entweder ohne oder unter Vortritt
der Partikel i_>.
j. X~>y (purstd-am)
j> y^y (pursid-S)
Ju-jy (pursid)
(y~»y (pursid-im)
y> (pursid- ed)
y> Xyy (pursid-and)
oder:
V. Form der Vollendung in der Gegenwart. (Per-
fectum.) Mittelst des Participium perfecti in der mittelst des
Suffixes ka erweiterten Form und des Präsens des Verbum sub-
stantivum:
Neben dieser Form bestellt noch eine zweite, die stets mit
dem Verbum substantivum und dem Verbum (hastan) zusam
mengesetzt ist und hierin der Pärsfform mit (egtädan)
entspricht. (Spiegel, S. 89.) Sie kommt aber selten vor.
VI. Form der Vollendung in der Vergangenheit.
(Plusquaniperfeetum.) Mittelst des Participium perfecti in der mit- «
feist des Suffixes ka erweiterten Form, und des Aorists des Ver
bum ö ->y.
^yy iy**>y (pursidah-budam) ^ yy 4y^y (pursidah budim)
yy t, y.^jy (pursidah büde) y> yy t>y^>y (pursidah büded)
yy U-Jji (pursidah büd) y > yy 4y^y (pursidah büdand). i
Die Formen j>yy etc. können auch besonders in der Poesie
etc. geschrieben werden.
*) Gewöhn). j>
Die Conjugation des neupersischen Verbums.
247
VII. Form der Vollendung in der Zukunft. (Futurum
exactum.) Mittelst des Participium perfecti in der mittelst des
Suffixes kn erweiterten Form und des alten Futurums von öiy.
li i x^y (pursidnh bdsnm) (pursidnh bdsim)
U-iy (pursidnh base) (pursidnh bäsed)
Xm\> iX^y (pursidnh bnsnd) £Jh\> t>X^> (pursidnh bdsnnd).
VIII. Bestimmte Form der Zukunft. Mittelst der Präsens
form des Verbum und des abgekürzten Infinitivs des be
stimmten Zeitwortes.
X»>y (khfdhnm pursid) X*y (kliFdhim pursid)
X*y ^ (klifdlie pursid) X*y x&\y~ (khFtihed pursid)
J-^iy X* 1y>. (kliFuhnd pursid) X^y ajükly>~ (khFdhnudpursid).
IX. Unbestimmte Form der Zukunft. (Aoristisches
Futurum.) Fällt mit der unbestimmten Form der Gegenwart
zusammen.
Was nun den Subjunctiv betrifft, so fällt er im Präsens und
Futurum mit dem Indicativ zusammen und ist dabei nur aus den
betreffenden Partikeln ersichtlich; dasselbe gilt auch vom Perfectuib ;
jedoch findet sich hier noch eine zweite Form, die darin besteht,
dass man der ersten und dritten Person Singular und der dritten
Person Plural ein e anhängt, z. B.
^jX-^y (pursidam-e) ) X*>y (pursidim)
x^y (purside) X x*>y (pursüled)
^Xoiy (pursid-e) ^xx^y (pursidnnd-e).
Der Imperativ kann im Neupersischen nur vom Präsensstamme
gebildet werden 1 ).
Da das Neupersische die ältere starke Flexion eingebiisst bat,
so begreift sich leicht, dass der zweiten Person Singular — gleich
wie im Althaktrischen bei den Verben, die nach der sogenannten
*) Dass der Imperativ die Wurzel selbst ist, ist ein zwar alter lrrthum, der aber
in unserer Zeit, in der die allgemeine Sprachwissenschaft als eine Wissenschaft
bereits anerkannt ist, nicht mehr wiederholt werden sollte.
.» i
248
Dr. Fr. M ii 11 er
Bindevocal-Conjugation gehen — der Ausdruck der Person abgeht.
— Die zweite Person des Plural fällt mit derselben Person des
Indicativs zusammen.
Nebstdem treffen wir eine dritte Person des Imperativ an, die
im Optativen Sinne gebraucht wird. Diese Form gehört streng
genommen nicht zum Imperativ, sondern ist der Überrest jener >
älteren Conjunctivbildung, wie sie im Altindischen, Altbaktrischen,
Griechischen auftritt, als deren wesentliches Kennzeichen der Laut a
vor den Personalzeichen angesehen wird.
Von den Verben, die auf ä-dan ausgehen, findet sich diese t
Form nicht vor, wahrscheinlich um nicht mit der dritten Person
Singular des Aorists verwechselt zu werden.
Die Formen des Imperativs stellen sich also dar:
u <y (f ürs) X^y (pursed)
Ly (pursäd) — altb. (peregditi).
Was nun die Formen des Passivs anlangt, so werden sie mit
telst des immer unveränderten Parlicipium perfecti — das hier die
passive Bedeutung beibehalten hat *) — und der Zeitformen des
Verbum ögebildet. Die Conjugation ist von der activen Formel >
nicht verschieden; man darf nur nach Analogie der Activformen
solche von ödem Participium perfecti anhängen, so hat man
die entsprechende passive Conjugation gebildet.
B. P a s s i v u m.
I. Dauerform der Gegenwart. (Präsens.)
j t>x*y (pursidahme saw-am) y ix~>y (pursidahme
saw-im)
y &X~>y (pursidah me saw-e) Xy 4Ju-y (pursidah me
saw-dd)
y a_x~y (pursidah me saw-ad) X y bXZy (pursidah me
saw-and)
i) Dies geht besonders aus dem Pärsf hervor, wo zur Bildung des Passivs einfach
(estädan), wörtl. „stehen“ = neup. (istädan), dann wie in
den romanischen Sprachen = „sein“ ('vgl. französ. etre, span, estar, latein. Stare)
■
Die Conjugation des neupersischen Verhun
249
oder:
pii bj-^y (pursidah hame saw-am) (^ ^ bX-^y (pursidah
harne saw-im)
ijpii ^ (pursidah harne saw-e) ^ bx^,> (pursidah
harne saur-ed)
Jjjj ^ (pursidah harne saw-ad) J-> ( j A “ b(pursidah
hame saw-and).
II. Unbestimmte Form der Gegenwart.
(pursidah bi-saw-am) bX.^>y (pursidah bi-
saw-im)
bX-^y (pursidah bi-saw-e) X4-X*-i;■> (purdisah bi-
saw-ed)
bX»>y (pursidah bi-saw-ad) Xjl> iX-j,/ (pursidah bi-
saw-and).
Hl, Dauerform der Vergangenheit.
j> bX*>y (pursidah me sud-am) ( X^ bX^y (pursidah me
sudim)
Jii 'j bX^y (pursidah me sud-e) X -Xi> y bX*>y (pursidah me
suded)
-Xi> bj.~jjj> (pursidah me sud) X -Xi ^ bX^y (pursidah me
sudand)
oder:
^-Xi> ^ bX^y (pursidah hame sudum) etc.
IV. Unbestimmte Form der Vergangenheit.
bX**y (pursidah sudam) <c X^ bX^y (pursidah sudim)
i_S-X.ii i1ä,i (pursidah sude) Ji »(pursidah suded)
-Xi* bx^y (pursidah sud) -Xi-Xi* bX^y (pursidah sudand)
oder:
^•-X-li bJ.~yi (pursidah bi-sudam) etc.
gebraucht wil d. Dasselbe wird aber auch zur Bildung des Perfecfs im Activ ver
wendet. Diese beide Formen unterscheiden sich also nur durch die active oder
passive Bedeutung des Participium perfecti.
l
250
Dr. Fr. Müller
V. Form der Vollendung in der Gegenwart.
4Ji (purstdali sudah am) 4ji< (purstdali su-
dah im)
,_$! ajj 4 (pursidah sudah e) ') J>1 4J.i 4j-.jy (purstdali su
dah ed)
4Jii4J„^y (pursidah sudah ast) jd 4J.ii 4j~y (purstdali su
dah and).
VI. Form der Vollendung in der Vergangenheit.
4_xii 4ju«Ojj (purstdali sudah budam) ()y 4J^> 4j..y (pursi-
dali sudali hüdim)
j;j>y 4J^j 4J-vj_,j (pursidah sudali bade) JiJy 4jii 4j~*y (pursi
dah sudali büded)
jy 4jii 4j-.-y (purstdali sudali büd) JjJy 4ji jjy (pursi
dah sudali budand).
VII. Bestimmte Form der Zukunft.
jii 4Jj^,j (pursidah klifdliam sud) Ji< (pursi-
dali khFdhtm sud)
jii (pursidah khfdhe sud) Ji< j-4>]y- 4j~-y (pursi-
dali klifdhed sud)
jii j&ly»- 4Ju^i)j ^purstdali khfahad sud) Ji< Jlkly- 4 J«*y (pursi-
dali klifäliand sud).
Subjunctiv.
4ji> 4j*-yj (pursidah sudali basam) 4jii 4 J..y (pursi
dah sudali bdsim)
( _yi»L AJij 4jy (pursidah sudah base) JuiA 4Ji> 4 J~y (pursi
dah sudali bdsed)
jid< 4jj 4 J.^y (pursidah sudah bdsud) Jlil> 4jj 4j„.^y (pursi-
dali sudali bdsand).
Zum Schlüsse sei noch der Participien gedacht. Obwohl das
Participium strenge genommen nicht in den Bereich des Verhums
fällt, so will ich dennoch, nachdem das Participium perfecti als ein
*) Gewöhnl. * & »Xw
Die Conjugation des neupersischen Verbums.
251
der Conjugation des neupersischen Verbums zu Grunde liegendes
wesentliches Element besprochen worden, auch jenes des Präsens
hersetzen.
Das Participium praesentis, dessen Bildung auf den sogenann
ten Präsensstamm zurückgeht, kommt in drei verschiedenen Formen
vor, deren Suffixe andah, an und d lauten. Davon entspricht
6.xi 1 - (andah), PehlewI *pj - (andak), dem'alten Participialsuffixe
-ant, altb. (ent), das aber später in ein vocalisches Thema,
vermehrt mit dem echt-dänischen Suffixe -/ca (gleich dem Particip.
perf. s. oben), verwandelt erscheint >). Die zweite Bildung in an
ist ursprünglich medialer Natur; denn sie entspricht dem alten äna,
das dem mana, griech. -psvo gleich gilt, und vorzüglich hei den
Verben II, III, V, VIII, IX. Classe angewendet erscheint. Im Neu
persischen ist es aber dem Gebrauche und der Bedeutung nach von
andah gar nicht verschieden, und rein activ. — Das dritte Zeichen ä,
im Pehlewf -jfct (d/c)*), scheint ursprünglich nichts anders als eine
einfache Adjectivbildung zu sein.
Beispiele:
i(purs-andah), plur. öl(purs-andag-än)
ölj (purs-än) Ly (pursä).
Von der ersten und zweiten Form des Participiums kann durch
Anfügung des Verbum substantivum eine Dauerform der Gegen
wart gebildet werden, die sich von der gewöhnlichen dadurch unter
scheidet, dass durch dieselbe mehr ein Zustand bezeichnet wird,
während diese mehr die Handlung als solche hervorhebt. So
1 ) Im PArst (dihent) — neupers. t> J (dihandah), (v&rint)
— neup. (bärandah). Auch im Neupersischen haben wir von dieser
alteren Bildung noch einige Formen, ß. Jj ,t>- (carand) „weidend“, Jj,j
•S ... '"v
(parand) „fliegend“. (Vullers 174.)
2 ) Vgl. Pehlewi (ddndk) „weise“ = neup. 1 3 (dann); (wenäk)
„sehend“ = neup. (bind). Höchst wahrscheinlich haben wir in dem y, das
im Neupersischen im Plural dieser Formen zwischen das Wort und das Plural
zeichen geschoben wird, z. ß. ö lt l» IJ (ddnä-y-dn), PArsi (dänä-
y-dn), ölillj (binä-y-dn), ein Überbleibsel dieses k, das hier zu g oder y
werden musste. Der Übergang von y oder y in y lässt sich aber im Neupersi
schen wohl belegen. Vgl. meine Beiträge zur Lautlehre d. neupersischen Sprache.
1. S. 22.
252
Dr. Fr. Müller, Die Conjugution des neiipersischen Verbums.
«i (pursandah am)
,_s1 4(pursandah ej etc., gewöhnlicher
oder:
(pursän-am)
(pursdn-ej etc.
Von der zweiten Form des Participiums in an werden im Neu
persischen die Causalverba gebildet und zwar mittelst des alten
Zeichens dieser Kategorie -aya — neup. i, welches aber auch wie
bei vielen alten Verben, die ehemals nach der X. Classe gingen,
ganz schwinden kann. So erhalten wir Causalverben in dn-i-dan
und dn-dan, z. B. O(mur-dan) „sterben“, Ob^ (mir-an)
„sterbend“, davon (mir-dn-i-dan) „sterbend machen“ —
„tödten“ oder (mir-än-dan); (lihfardan) „essen“,
(khfar-dn) „essend“, davon O -Xu b(khfar-dn■ i-dan)
„essend machen“ == „speisen“, oder ö -X* b(khfar-dn-dan).
Die Verba in dn-i-dan werden schwach flectirt, während die in
dn-dan unter die starken Verben unter lit. e zu beziehen sind.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 21)3
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des
ungrischen Berglandes mit Sprachproben und Erläuterungen.
Von Director K. J. Schröer.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 20. Mai 1863.)
EINLEITUNG.
Eine Arbeit wie der vorliegende Versuch einer Schilde
rung der deutschen Mundarten des ungrischen Berg
landes, kann dem nicht entgehn, zumal in unsern Tagen, in einein
Lande, wie mein engeres Vaterland Ungern ist, von der politischen
Seite angesehn zu werden. Und wie es denn auch thatsächlich der
Fall ist, daß meinen Arbeiten, das deutsche Volksthum in Ungern
betreffend *), diese Seite des Gegenstandes allerdings nicht so fern
gelegen ist, so sei es einmal auch gestattet, es auszusprechen, daß
allerdings eine aufrichtige Neigung zum deutschen Volke, daß der
Stolz ihm anzugehören, daß das Gefühl, daß wir Deutsche in
Ungern ein woler worben es uraltes Recht ansprechen
4 ) Z. B. Beitrag zur deutschen Mythologie aus dem Volksleben der Deutschen in Un
gern. Presburg, 1855. — Ein Weihnachtsspiel aus Kremnitz. Weimar. Jahrbuch,
111. Bd. 391—419, 1855. — Deutsche Weihnachtsspiele aus Ungern. Wien, Brau
müller 1858. — Wörterbuch der Heanzen-Mundart in Frommann’s Zeitschrift „die
deutschen Mundarten“ VI. Bd,, 1859. — Beitrag zu einem Wörterhuche der deutschen
Mundarten des ungrischen Berglandes. Wien, 1858 (Sitzungsberichte der Akademie
der Wissensch. philos. Classe, XXV. und XXVII. Bd.). — Nachtrag dazu. Wien, 1859.
(Daselbst Bd. XXXI.) — Presburger Sprachproben. Frommann a. a. 0. V. Bd. 1858
u. a. in. Deutsche Sprachproben aus verschiedenen Gegenden Ungerns in Firme-
nich’s Germaniens Völkerstimmen III. Bd., 8. Lieferung, S. 623 — 635.
254
S c h r ö e r
dürfen, als Vollbürger im Lande angesehen zu werden, daß diese
Gefühle und Gedanken mich überall und so auch hier leiteten.
Sie haben mich geleitet die Spuren deutschen Lehens in mei
nem Vaterlande mit Liebe zu verfolgen, und ich glaube, daß mir
dies von den Edlen im Lande, die gleiches Recht für Alle wahrhaft
wollen, nicht verdacht werden wird, umsomehr als ich für Leistun
gen und Vorzüge unserer madjarischen und slavischen Brüder deshalb
nicht stumpf geblieben bin, worüber gedruckte Zeugnisse vorliegen.
Dies in Bezug auf meine Stellung zu der vorliegenden Ar
beit hervorzuheben, veranlaßt mich auch noch der Umstand, daß mir
die Bedenken sehr wol bekannt sind, die von Seiten der geacli-
tetsten Gelehrten auf dem Gebiete deutscher Sprachwissenschaft
gegenüber den Mundartforschern, die von lebenden Mundarten aus
gehn , in den meisten Fällen mit Recht gehegt werden. Über neu
ere deutsche Mundarten schreiben wollen, ohne ihre Entwicke
lung zu kennen, ohne die Geschichte der germanischen Spra
chen vor Augen zu hallen und fleißig zu Rate zu ziehen, das ist
allerdings ein Unternehmen von mindestens zweifelhaftem Wert.
Die Armut an älteren .Sprach denk malen *) der deutschen
i) Armut an älteren Sprachdenkmalen der deutschen Mund- k
arten des ung rischen Berglandes. Die wenigen Sprachdenkmale
älterer Zeit, die mir zugänglich sind, sind meist schlechte Abdrücke. Wie unzuver
lässig Fejer's cod. dipl. ist, ist bekannt. Orts- nnd Personennamen sind daselbst
oft ohne weiteres in neuungrischer Schreibung gegeben, die in dem betreffenden
Zeitalter gar nicht denkbar ist. Die Abdrücke des Schemnitzer Stadt- und ßerg-
1 rechts (durch Wenzel und Kachelmann, siehe das Wortverzeichnis Seite 293) sind
auch nur Abdrücke zweier verschiedener späterer und schlechter Handschriften, die
einander wol vielfach ergänzen, aber nicht gestatten, den Wortlaut der Urschrift
des 13. Jahrhunderts mit Sicherheit zu erschließen. Dasselbe ist zu sagen von der *
Zipser willekur, die in Wagner’s Anal. Scep. und in Michnay-Lichner’s
Ofner Stadtrecht abgedruckt sind. — Die schöne Bestätigungsurkunde der
Zipser Freiheiten von 1312, widerbestätigt 1328, welche Wagner Anal. Scep. I,
196—200 deutsch mittheilt, ist, wenn sie auch ursprünglich latein abgefaßt
war (seltsam ist, daß nur der deutsche Text erhalten ist!), immer auch ein älteres
Denkmal der Zipser Sprache. Wagner scheint freilich eine schlechte Abschrift, etwa
des 18. Jahrhunderts, vor Augen gehabt zu haben, dennoch verrät sich in einigen
Formen seines Abdruckes 1. daß die Urschrift des deutschen Textes aus der Zips I
• stammt, 2. daß sie gewiss vor «lern 17. Jahrhundert, wahrscheinlich vor der Refor
mation abgefaßt ist.
Ersteres zeigt die Stelle: derselhig gro w, der zur zeit g e s a t z t
wird d a s he r n ente zwenpfenig (Hormayer emendiert daß hei ne me
zwen p f e li i n g). Die Urschrift hatte etwa : derselbic g r ö w e (= mhd
g r Ä v e) der zur (= z u o r - z e der) z x t g e f a z t w i r t d a z her n e m e
a
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 255
Mundarten des ungrischen ßerglandes nun, dazu die Unzugänglich-
2wen p f e n n i n c und der Abschreiber verstand das Zipsische h e r für e r nicht
mehr. D i n s t 1 i b p r i s t e r g u 11 (d. i. d i n s t 1 i b p r i s t e r gut) für
bochdeutsch dienst lieb priester g u o t sind dem Md. der Zipser Sprache
angemessene Abweichungen von der hochdeutschen Schreibung. Ebenso die Form
eigenannte n für egenant.e n.
Das Wort der h a 11 e r t, die Weichbildgrenze, Grenze einer Gespanschaft,
ist vollends bezeichnend für die Mundart der Zips, es kömmt in dieser Form gerade
nur im ungrischen Bergland und etwa in Siebenbürgen vor (in Presburg, Pest heißt
es schon h o 11 e r, s. wtbch 69a).
Zweitens sind Formen wieb.ete (in der Bedeutung bitte) und gebe für
Gabe nach Luther kaum mehr nachzuweisen. In der Rechtssprache kömmt bethe
und b e d e wol bis in unsere Zeit vor, ebenso in der Bedeutung für Rosenkranz,
Betschnur bei Hoffmarinswaldau und heute noch in Österr. Mundart; aber für bitte
nicht. Gebe scheint nachdem 16. Jahrhundert von der gleichfalls alten Form
gäbe völlig verdrängt worden zu sein. Ebenso alterthiimlich klingt an’ (an al
ein sd e z [not?] g e b i u t e t), außer, ohne. Ebenso die Schreibung S 1 a k en
do r f f (neben Schperendorff, Schtadt) wellen: wollen. G r 6 w e w 6 g d 6 z u
Grafe wage darzuo; das altnd. inwoner neben nhd. e i n w o n e r u. s. f.
Nicht wegen der in derselben zugesicherten Rechte, sondern zur Hebung des
erloschenen Selbstgefühls dieser edlen Stämme, wäre die Auffindung älterer Hand
schriften und die Herausgabe derselben mit einem geläuterten Text höchst wünschens
wert. Es sind wahre Adelsbriefe der Deutschen des ungrischen Berglandes. — Das
Schemnitzer Recht klingt stellenweise ziemlich unverdorben und läßt sich mit
ganz geringen Berichtigungen der Schreibung herstellen (wir gesworne
von der Sebniz von besuu dir lieber bevelung [— bevelhunge]
und e gunst des aller d u r c h 1 ü c h t i g i s t e n fürsten u n d e herren
Bein k u n i g s zuHungern etc., s ö wir eigenlich betrachtende
gesagt haben diu gemeinen stat recht nü zimtuns und ist
n 6 t zu bescheiden u n d e zu s e z z e n diu bercrecht, dereigen-
schaft nach irmewesen wir her nach erzein wollen, .sd der
bercunde stolle soll gerne zzen werden nach lächterunde
leben etc.).
Der Zipser willekur ist auch noch in der Sprache ziemlich wo
erhalten, nur ist an den Vocalen soviel durch das Abschreiben geändert, daß
die ursprüngliche Form nicht immer zu ermitteln ist (Der schöne Eingang wäre
etwa zu schreiben 1. d a z uns Zipser kein man (heute sagt man in Kes-
mark selbst keinmand) zu laden hat kein ho ve in keinerlei Sachen,
von ersten an hab wir die gnade und daz recht von allen kunigen von Hungeren
Von anbeginne daz uns Zipser kein man oder nimant uinb keinerlei sach zu hove
hat zu laden, sonder er sol sin recht suchen vor des kuniges grdven (graven,
greven? jetzt: greuven) der buregräf ist in deine Zipse und vor deine laut grdven
und vor den richteren und vor den eidisten di zu dem rechten gesworn haben;
einem i z I i c h e n manne ein r e c h t e z recht zu t ü n ä n f e 1 d e (d. i.
vael - de Jeroschin : s u n d i r vel) nach unserem I a n t r e c h t als
wir haben von alters als der Zips gestift ist und als uns
di k u n i g e von alters und bizherbegenöt (begenadet) h a b e n.
Die Sprache kömmt nahe der Jeroschins, aber nicht durchaus. Das I für E
in: r e g i n , t e m p i I, b a n d i n u. s. f. Siehe Pfeiffer’s Jer. LIX war hier wol
256
S chr6er
keit dieser Sprachinseln *) , hätte mich daher wol abschrecken
können, die Darstellung derselben überhaupt zu versuchen, da vor-
nie so häufig (wenn es auch zuweilen auftritt in: besundir-; eldisten , durchlüch-
tigisten , was aber eher die bewahrte alte Form des Superl., als ein I für E ist).
Die Niederlausitzer Mundart hat diese I für E noch heute, wie bei Jeroschin
(siehe ßronisch Mundart in der Niederlausitz. Neues Lausitz. Magazin Bd. XXXIX,
Seite III); in unserer Mundart findet sich jetzt keine Spur davon.
Am erhebendsten miiste aber klingen jene Bestätigungsurkunde von 1312,
wenn die Worte des Königs in der alten Zipser Sprache erhalten wären, wo ihre
alten Rechte erneuert werden „d arumbe (so etwa klang der Text) d a z wir
haben erkant ir truwe undedinst di si uns von unser kint-
h jft i t g u t w i 11 i c e r w l s e t haben, b e i d e z demüteclichen und
b e g i r I i c h e n in s t r i t e n , di wir beten wider Mateum von
Trent schin unde Demetrium und wider Omodeus s u n u f d e m
f e 1 d e b i R o z g o n unt di selben Zipser, u u s e r g e t r u 6 n, men-
lieh s t r i t e n und schoncten n i c h t i r guter (= güeter) noch
eigener person sonder sich vor unser k unig 1 i c he r m a j e s t a t
dar gehen haben in f e r t i g k e i t und blfttvorgizen b i z in den
t o d. so wellen wir (si vor) i r g e t r u e n d i n s t und blutvor-
g i z e n und vor (d. i. für) den tdd i r fr unde m i t b e h e g e I i k e i t
begaben, — w i w o 1 d a z s i m e r w i r d i c wären, s ö si nt wir
doch bereit (d. i. obwol es zuwenig ist, so wollen wir doch mindestens)
di eigenanten frietea vor gut zu haben und zu bestätigen
in h i n d e r n u s k u n e c 1 i c h e r rechten und ander et c.“
Diese Urkunde ist abgedruckt Wagner Anal. Scep. I, 196 ff., daraus wieder
abgedruckt in Fejer’s cod. dipl. VIII, 1, in Schlözer’s Gesch. der Deutschen in
Siebenbürgen, Seite 303 ff. Ilormayr hat sie ohne Quellenangabe mitgetheilt im
Taschenbuch von 1827. Durch eine nicht immer emendierende, sondern oft bloß
irreleitende barbarische Schreibung (z. B. tzins Wagner hat z i e n s) täuscht
Hormayr, so daß man glauben könnte, er habe eine Handschrift benutzen können.
Zum Glück hat der Abschreiber oder Setzer (bei Hormayr) vor den Worten köp e-
reu rn i t s a m b t h der s c h t a t Wylkostorff ein k) stehen gelaßen,
womit bei Wagner eine Anmerkung citiert ist, was hier nun die künstlich
verhüllte Quelle verrät! Vieles ließe sich wol noch gewinnen in * Stadt- und
Parochial-Archiveu (Deutsches aus dem 14., 13., 16. Jahrhundert; älteres wol kaum,
jüngeres ist weniger belangreich, weil da alle Eigenthümlichkeiten meist schon
verwischt sind) der Zipser, Scharoscher, Abaujwärer, Gömörer , Liptauer, Bar
scher, Neitrer und Thurdczer Gespanschaften; aber kaum zu erwarten ist ein so
glücklicher Zufall, daß Männer, die zu Auszügen geschickt und geneigt wären,
in den einzelnen Orten je sich finden, oder durch jahrelange Bereisung der
Orte die Arbeit vornehmen werden.
i) Die Unzugänglichkeit der deutschen Sprachinseln. Darüber
habe ich mich ausgesprochen im Nachtrag zum Wörterbuch der deutschen Mund
arten des ungrischen Berglandes Seite 8 (230). Ich bin seither noch um eine
Erfahrung reicher geworden. Wo es mir gelang Männer zu gewinnen , die sich
zu Aufzeichnung von Sprachproben einer Mundart, in der sie aufgewachsen waren,
bereit zeigten und in der Darstellung der Laute von mir unterrichten ließen,
machten sich nach meiner Abreise Einflüße geltend, die sie abhielten, ihrem Ver-
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. ti 7
auszusehon war, daß dieselbe in einer Vollkommenheit wie Schmel-
ler's Arbeiten über die baierischen Mundarten, Weinhold’s Arbeiten
über die Schlesiens, einerseits selbst wie Schmeller’s Arbeiten
über die Mundarten der deutschen Sprachinseln Italiens und Schlei
ch er’s Darstellung der Mundart von Sonneberg, mir nicht mög
lich sein wird •). Das unter den in den Anmerkungen dargelegten
Umständen noch Mögliche zu versuchen, dazu konnte mich nur der
Gedanke an die geschichtliche Bedeutung dieser Ansiedelungen
ermutigen, an den Ruhm und die Ehre des deutschen Namens in
diesen Gegenden, den wir ihnen danken, und den sie auch heute
noch verdienen: ein Zeugnis zu gehen von ihrem ungebrochenen
und ungetrübten volkstümlichen Leben, daß sie im Ungerland be
wahrt und entwickelt haben, und noch bewahren und entwickeln;
wenn auch ihr Bewustsein darüber erloschen, ihr Selbstgefühl ge-
sprechen, mir ihre Aufzeichnungen zuzustellen, nachzukommen. Davon machten
eine rühmliche Ausnahme! nur der Lehrer Jos. Richter in Deutschpraben und
Professor Dr. Erasmus Schwab in Kaschau, die durch Zusendung von Sprachproben
sowol, als durch stets bereitwillige schriftliche Beantwortung aller meiner Fragen
und Bedenken mich zu aufrichtigem Danke verpflichteten.
Einen glücklichen Zufall muß ich es nennen, daß der in der Zips wolbekannte
Dichter in Zipser Mundart Ernst Lindner, der für Echtheit mundartlicher Ausdrucks
weise und Richtigkeit der Darstellung der Laute ein seltenes feines Gefühl und
große Sicherheit besitzt , ein Wiener geworden ist und mir mit seinem Rat
immer bereit zur Seite stand, wofür ich ihm nicht weniger als den obengenannten
Herren zu danken habe. — Ich muß hier nochmals hervorheben, daß das
Deutsch des ungrischen Berglandes keineswegs das
Deutsch der Deutschen in Ungern überhaupt ist. Die deutschen
Gebiete und Sprachinseln Ungerns von Presburg bis Ödenburg, Wieselburg, Stein
amanger, Güns, in und um Pest-Ofen, in den Gespanschaften: Tolna, Baranja,
Bartsch und iin Banale sprechen insgesammt Oberdeutsch. Siehe meine
Weihnachtsspiele aus Ungern, Seite 4, 6, 7, 204. Fromann V, 301 ff. VI, 21, 179,
330 fl’. 321. Mitteldeutsche Mundarten, wie im ungrischen Berglande, hört
inan nur in Siebenbürgen. Zu dieser Bemerkung veranlaßt mich unser herrliches
Wörterbuch der Brüder Grimm. Wilhelm hat im zweiten Bande meinen Beitrag
zu einem Wörterbuch des ungrischen Berglandes fleißig angeführt. Er bezeichnet
die Mundart aber so, daß es misverstauden werden kann z. B. II, 1732: „d eutsch-
u n g a r i s c h“, 1760 zweimal, 1767 einmal „Schröer d e,u tsc h-u ngarisches
Wö rterbuch“, 1767 zweimal „Schröer ungarisch-deutsches Wörterbuch“, 1731
sogar einmal „in Deutsch-Ungar n“. Nur 1367 finde ich „im ungari
schen B e r g 1 a n d“.
Was nämlich die Menge gut niedergeschriebener Sprachproben aus der lebenden
Mundart betrifft. Ich habe bei einer jeden der Mitgelheilten in dieser Hinsicht
das Nötige angemerkt.
258
Schröer
brocheu ist. Hoffentlich wird das Mitgetheilte doch auch iu anderer
Hinsicht nicht resultatlos erscheinen.
Was sich im Ganzen aus meinen Untersuchungen ergeben hat,
ist erstens, daß die Deutschen des ungrischen Berglandes als
Eine Familie zu betrachten sind, insofern als sie Einen Dialekt spre
chen, der in verschiedene Mundarten zerfällt, unter den
Dialekten eine selbständige Stelle ein nimmt (wiederder
Siebenbürger Deutschen, der auch in Mundarten zerfällt) und zu
den mitteldeutschen Dialekten gezählt werden muß.
Zweitens, daß dieser Dialekt durch gewisse Hauptzüge und
eine Anzahl von Wörtern, dem der Siebenbürger Sachsen näher
steht als irgend einem andern. Dieses Gemeinsame deutet auf einen
gemeinsamen Ursprung hin, und es liegt die Vermutung nahe, in
demselben ein Zeugnis für die Sprache der ersten ursprünglichen
Ansiedler zu vermuten, die im ungrischen Berglande durch den
Einfall der Tataren so sehr zu leiden hatten. Es ist weiter unten
wiederholt von diesem Puncte die Rede und sei hier nur erwähnt,
daß das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Zipser und Sieben
bürger „Sachsen“, ein Verkehr zwischen beiden (der zwischen
ihnen und anderen deutschen Colonien im Lande, die zum Theil
ebenso nahe und näher wohnen, nicht besteht) zu allen Zeiten wahr
zunehmen und noch heute nicht ganz erloschen ist.
Dieser Zusammenhang, der sich auch in alten Sagen ausspricht
(s. Friede. Müller’s siebenbürg. Sagen Nr. 274, 291), läßt sich
nicht aus den Einwanderungen nach dem Tatareneinfall, aus näher
gelegenen Gegenden Mitteldeutschlands, erklären. Das mundartlich
Gemeinsame weist in die Gegend zwischen Aachen und das Sieben
gebirge an den Rhein, wo die Siebenbürger Sachsen zu Hause sind.
Einzelnes ist aber Niederländisch (in der Siebenbürger und Zipser
Sprache) und dieß läßt vermuten, daß wenn dort und da schon
frühzeitig Teutoriici und Flandrenses genannt werden, unter letztem
Niederländer, unter erstem Rheinländer aus der bezeichneten
Gegend zu verstehen sind. Die Auswanderungen jener Zeit giengen
eben von der Mitte des Rheines bis an seine Mündung aus.—Dieses
Gemeinsame zwischen Zipsern und Siebenbürgern (das zum Theil
auch noch einzelne deutsche Orte Galiziens und österr. Schlesiens zu
theilen scheinen) ist derart, daß diejenigen, die für Sprachen ein
feines geübtes Ohr haben, z. B. den Schemnitzer oder den Zipser,
Versuch einer Darstellung 1 der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 259
wenn diese die Schriftsprache reden, für Siebenbürger Sachsen
halten oder umgekehrt. Daß dieß von anderen Deutschen Ungerns
nicht gilt, ist schon oben aus einer Anmerkung zu ersehen. Ausdrück
lich muß ich hier hervorheben, daß es auch von den md. Mundarten
Deutschlands nicht durchaus gilt. Am meisten nähert sich dieser
ganz eigenen Aussprache der Schriftsprache, die aus jener bezeich-
neten Gegend am Rhein. Sonst hat sich der Zipser Dialekt von
dem Aachener bereits sehr weit entfernt, indem ihm das Sieben
bürgersächsisch noch sehr nahe steht (s. Wtb. 22 [232]). Der
Stand der Vocale und Consonanten des Zipser Dialekts steht seit
dem Ende des XIII. Jahrhunderts (soviel sich aus den vorhandenen
Sprachdenkmälern entnehmen läßt), der Sprache Jeroschin’s, unter
den neueren Mundarten der Schlesiens, der Lausitz und Obersach
sens (die, wie oben bemerkt, jene Eigenheiten der Aussprache der
Schriftsprache nicht durchaus theilen), die Griindener und Häu-
dörfler Mundart der Mundart von Franken und Türingen näher, als
dem Siebenbürger Dialekt. Nur der äußere Umriß, die Physiogno
mie des Dialekts, die Art, wie die Sprachwerkzeuge gebraucht
werden, sowie eine Anzahl von besonderen Ausdrücken, verbinden
wie gesagt Siebenbürgen, Zipser und Aachener näher; ich halte diese
Merkmale für älteste, trümmerhafte Zeugen ursprünglich gemein
samer Herkunft.
Wenn man nun die Deutschen des ungrischen Berglandes als
Einen Stamm ansehen darf, der in allen den vielen Sprachinseln, in
die er zerstreut ist, noch etwas hinüber genommen hat, das von den
ursprünglichen Ansiedlern herrührt, der dort und da durch spätere
Zuwanderungen wol verschiedene Färbungen annahm, immer aber
noch wie ein zusammengehöriges Volk zu betrachten ist, das für das
ungrische Bergland von gröster, ja von maßgebender Bedeutung
ist, dann gewinnt das Gesammtbild dieser Deutschen ein ganz anderes
Ansehen als bisher, wo immer nur von 26.000 Krickerhäuern (Häu-
dörflern, Handerburzen), von SO.000 Zipsern, von 6000 Metzen
seifern und S000 Dopschauern die Rede war. Ihr Zusammenhang
war nicht nur nicht nachgewiesen, er ward selbst schon mehrfach
in Abrede gestellt.
Daß auch die Kaschauer in Abaujwar, die Zebener, Eperiesser
und Bartfelder in Scharosch, die Rosenauer, Eltscher, Großrauschen
bacher (Nagy-Röczer) in Gömör, die Bewohner der ungrischen Berg-
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. II. Hft. 18
260
S ch r5 er
städte Schemnitz, Neusol zum großen Theil (in sofern sie eben noch
Deutsche sind), bis auf Kleinigkeiten den echten Zipser National
charakter zeigen, wie dies thatsächlich der Fall ist, finde ich nir
gend angemerkt.
Zu den sogenannten Häudörflern oder Krickerhäuern sind nun
auch die Pilsener und Lorenzer in der Honter Gespanschaft hinzu
gekommen. Im Barscher Comitat: Paulisch, Hochwies, Prochetzhäu
(von denen man bisher nur die slavisehen Namen kannte), ferner
Blaufuß, Berg, Kremnitz. In der Turzer (Thuröez) Gespanschaft
die beiden Stuben, die beiden Turz und Münichwies. In der Neitrer
Gespanschaft die Zeche und Betelsdorf; Fundstollen war nur unter
dem Namen Chvoinicze bekannt und galt für slavisch. Es dürfte
sich nun herausstellen, daß die Deutschen des ungrischen Berg
landes nicht 87.000 sporadisch vertheilte deutsche Ansiedelungen
verschiedenen Ursprungs sind, sondern ein zusammenhängender
Stamm von etwa ISO.000 Seelen , der die wichtigsten Puncte des
ganzen Gebietes inne hat. Hätte die Adelsherrschaft im Lande, die
das Gemeindeleben und die politische Bedeutung der Städte und
Märkte erdrückt hat, das nationale Selbstgefühl der Deutschen hier
nicht endlich völlig geknickt, es mäste um den Wolstand und das
Gedeihen dieser Gegenden besser stehen. Man muß es ihnen nicht
zu sehr verargen, daß sie sich insgesammt zur madjarischen Nation
hinneigen. Wenn man in einem Lande, das von verschiedenen Natio
nalitäten bewohnt ist, lebt, wo die politische Mündigkeit nur Einem
Stamme zusteht, so wird wol die immer gedankenlose Menge sich
diesem Stamme zuwenden und sich wo möglich ihm anschließen,
um politisch mündig zu werden. Ansehen und Stellung ist davon ab
hängig, wer kann erwarten, daß ein Volk dem auf die Länge wider
steht? Die nah verwanten Siebenbürger Sachsen haben gezeigt,
wie befähigt der Deutsche ist für Selbstverwaltung und wie er sein
Volksthum hochhält, Jahrhunderte hindurch, wenn ihm dabei sein
politisches Leben gewahrt bleibt.
Es ist hier am Platze die Frage zu berühren, ob die Entnatio
nalisierung dieser Deutschen zu befürchten ist?
Sowie das Privilegium Andreanum der Siebenbürger Sachsen
vom Jahre 1224 sagt unus sitpopulus und auf Sachsenboden nur
einem Deutschen das Bürgerrecht gestattet (s. Schlözer
a. a. 0. S. 6S6), so fühlten die Schemnitzer „Sachsen“ sich noch
Versuch einer Darstellung 1 der deutschen Mundarten des ung 1 . Berglandes. 261
im XIV.Jahrhundert mit den deutschen Orten bis an die Theiss
als Ein Volk (siehe Wortverzeichnis aus Schemnitz unter Tische)
und verbot Bela IV. 1254 den Zipsern von der terra Sumugh
etwas an einen andern als an freie Deutsche zu verkaufen, 1255 den
Neusolern: jura civitatis extra Germanos genuin os illos adire
nemini permittentur. Bis 1611 konnte ein Nichtdeutscher beim Magi
strat in Karpfen nicht angestellt werden (s. Wtb. 67) *). Karpfen
ist heutzutage fast ganz slavisch, die Ausschließungsgesetze anderer
Nationen sind langst nicht mehr in Ausübung und der Zusammenhang
der deutschen Sprachinseln des ungrischen Berglandes lebt nur in
der Sprache, in einzelnen Gebräuchen und Überlieferungen.
In Karpfen waren es eigenthümliehe Verhältnisse, die die Ent
nationalisierung nach sich zogen. Der Landadel flüchtete sich in den
Unruhen des XVII. Jahrhunderts in solcher Zahl in die befestigte Stadt,
daß er alle Bürger aus den Magistratsämtern verdrängte, wodurch
die Stadt bald ein fremdes Ansehen gewann und die Nationalität der
Bürger jeden Anhalt verlor. Unter solchen Umständen geht denn
auch (unter Mitwirkung von Kirche und Schule) das nationale Leben
einer Gemeinde bald unter.
WosolcheaußergewöhnlicheEinflüssenichtbeitragen, behauptet
sich oft eine einzelne Gemeinde, wenn sie nicht gar zu klein ist,
unter den widerwärtigsten Verhältnissen erstaunlich lange. Lorenzen
(Vämosch Mikola), ein Marktflecken im Flonter Comitat, von etwa
900 Seelen, hat das umwohnende madjarische Element, wahrschein
lich erst in diesem Jahrhunderte (s. die Sprachprobe von da) fast
völlig madjarisiert. Nur die Alten sprechen „in der Beichte“ noch
deutsch 2 ). Das unweit gelegene Pilsen, das schon weit über tausend
Seelen zählt, ist noch, obwol ganz von Madjaren umgeben, ganz
deutsch, und wird es wol bleiben. Die meisten Pilsener sprechen
wol recht geläufig ungrisch, übersetzen ihre Namen in’s Ungrische,
sprechen aber ihre Mundart und singen ihre deutschen Volkslieder
ohne einen Hauch fremden Einflusses. Hier ist denn auch der Gottes-
*) Es darf diese aus dem Selbsterhaltungstrieb hervorgegaugene Ausschließlichkeit
nicht allzusehr befremden, sie kömmt bei Colonisten sehr häufig vor. Wachten
ja selbst die Sekler ängstlich darüber, daß ja kein ungrischer Edelmann unter ihnen
Fuß faßte (s. Schlözer 712).
Ein Fremder kann wochenlang daselbst weilen, und wird kein deutsches Wort hören;
freilich wenn man bekannter wird, entdeckt man, daß ein sehr großer Theil der
Bevölkerung die alte Mundart noch recht gut spricht.
18*
262
S c h r 6 e r
dienst und die Predigt (hei Protestanten und Katholiken) noch
deutsch. Schlimmer ergeht es den armen Miinichwiesern.
Im Wörterbuch der deutschen Mundarten des ungrischen Berg
landes Seite 4 [214] und 125 [231] ist aus einem lateinischen Werke
von 1808 und den vaterländischen Blättern Einiges über sie mitge-
theilt. Daß ihr Deutsch so unverständlich ist 1 ), und daß sie den hoch
deutsch Bedenden nicht verstehn, wie daselbst angegeben wird , ist
unwahr. Daß sie aber slovakisch zu beichten genötigt werden
und daß die wenigsten verstehen, was sie slovakisch Vorbringen
müßen, ist buchstäblich so wie damals, auch heute noch wahr, und
an Ortund Stelle die allgemeine Klage.
Als ich im August 1858 von Kloster (Znio Väralja) aus nach
Munich wies kam, versammelte der Notar von Kloster die Ältesten
des Ortes (der nun über 1700 Seelen zählen soll) und veranlaßte
sie, sich über ihre Lage auszusprechen. Der Ort ist, wie andere
„Häudörfer“ auch, auf gebirgigem, steinichtem Boden angelegt; die
vereinzelt stehenden dunklen Blockhäuser dehnen sich, in Wald und
Fels zum Theile rechts und links an dem Bache Vritza, unüber
sehbar lang aus. Die Äcker sind meist auf Anhöhen angelegt, wenig
ergibig und außerordentlich schwer zu pflegen. Die Erde muß
zum Theile hinaufgetragen werden in Bütten, und dann kömmt oft
ein Wolkenbruch und schwemmt die Kartoffeln sammt der Erde und
allem Erntesegen wieder herunter. „Unsere Weiber sind ünsere
Rösslein“, klagten sie, „sie müßen den Pflug ziehen“. Einige Greise
versicherten, daß sie, so alt sie geworden, doch nie Fleisch ge
gessen haben. -Selbst die Hühner (und Eier), die sie ziehen, tragen
sie zu Markte, aus allzugroßer Armut. Die Männer gehn im Som
mer zum großen Theil in’s Ausland und überlassen die Feldwirt
schaft den Weibern. Sie handeln mit Heilkräutern, die sie auf den
* Bergen sammeln und gelten für Heilkünstler, wie die Aberanten oder
Laboranten in Schlesien (s.Nachtr.31. Hpnderburz). Der große Ort
gehört dem Fundus studiorum, und doch haben sich die Armen zu
*) Dort wird ihre Mundart eine sehr widrig- klingende und sehr faul gesun
gene Sprache genannt. Ähnliche Urtheile hört man überall im Lande über Dop
schauer, Krickerhsiuer, Pilsener, Gründener u. s. f., so daß man sich eine ganz un
günstige Vorstellung von diesen Deutschen macht. Man ist daher nicht wenig über
rascht, wenn man die Orte besucht, und von dem Fleiß, der Reinlichkeit, der Freund
lichkeit dieser Leute und ihrer Mundart, die jedenfalls viel feiner klingt, als bair.-
österreichisch, ganz eingenommen wird.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. ßerglandes. 263
beklagen, daß sie, wie sie versicherten seit 80 Jahren, ihre Kinder
in die slavische Volksschule des benachbarten Ortes schicken
mäßen, wo der Lehrer kein Wort deutsch zu ihnen spricht. Der Un
terricht geht für sie dadurch fast ganz verloren, denn sie lernen
ihre Muttersprache weder lesen noch schreiben; slavisch lernen die
Männer wol im Verkehr, die Mädchen erlernen es gar nicht. Was
sie lernen ist die slavische Beichtformel und slavische Gebete, die
sie nicht verstehen: selbst der Pfarrer ihres Ortes verkehrt mit ihnen
nur slavisch, betet und predigt slavisch. Die Folge davon ist, daß
sie in allen religiösen und sittlichen Begriffen vollständig verwildert
sind. Treu und gutmütig sind sie noch immer; ad furandum ineptis-
simi, sagt Belius von ihnen, grundehrlich, aber ihr ganzes We
sen macht den Eindruck eines auf der Kindheitsstufe zurückgeblie
benen Stammes, wie etwa die Wilden auf den Freundschaftsinseln.
Vor städtisch gekleideten Menschen fallen sie, wenn sie etwas
bitten, auf die Knie, streicheln einem die Wangen, wollen einen
küssen u. dgl. Dabei besteht aber in den geschlechtlichen Bezie
hungen (um den gelindesten Ausdruck zu gebrauchen) eine ganz
unerhörte Naivetät unter den Weibern, die eben nur aus der gänz
lichen Verwahrlosung der Volkserziehung zu erklären ist, da doch
z. B. bei Krickerhäuern im Puncte der Keuschheit eine Reinheit der
Sitte herrscht, die kaum ihres gleichen finden dürfte. So war es
in Münichwies 18S8. Es besuchten mich im Herbste dieses Jahres
noch drei Münichwieser in Presburg, die mich ersuchten, bei
der Statthalterei für sie Schritte zu tliun, daß sie eine deutsche
Schule bekommen. Es geschahen deshalb auch, soviel ich weiß,
Nachfragen an maßgebender Stelle, und da wurde denn erwie-
dert: das Deutsch, das dort gesprochen werde, sei so schlecht,
daß es leichter ist, mit den Münichwiesern slavisch zu verkehren;
übrigens sei, wie ein beifolgendes Namensverzeichnis ausweise,
die Bevölkerung der Mehrzahl nach slavisch. Das Namensverzeich
nis gestattete allerdings eine solche Vermutung, aber die Behörden
und Pfarrämter schreiben eben seit vielen Jahren den Namen
Krabesz: Räk, Neupauer: Nowisedliak u. s. f. und die Träger
der Namen können nicht schreiben. Auch dieser Umstand wurde
amtlich constatiert; so viel ich weiß aber mit sehr geringem Erfolge
für das Wol der Münichwieser. Entnationalisieren konnte man sie
wol nicht, und wahrscheinlich wird das auch künftig nicht gelingen,
264
S c h r ö e r
aber man entzieht sie der Theilnahme an ihrer nationalen Cultur und
richtet sie sittlich zu Grunde.
Dies ist ein vereinzelt herausgehobener Fall, den ich Vor
bringen zu müßen glaubte, damit man es begreiflich finde, wie
die Nationalität ganzer Orte verleugnet und verborgen bleiben
kann (Münichwies beißt bei Korabinsky ganz kurz „ein slovaki-
sches Dorf“), und weil die Folgen solcher und ähnlicher Verhält
nisse, wenn auch nicht immer so grell, in Bezug auf alle Deutschen
in Ungern doch im Wesen dieselben sind.
Wenn man selbst zugeben wollte, daß es wünschenswert
wäre, daß die Deutschen in Ungern sich entnalionalisieren, dort
Slaven, da Madjaren, dort Walachen werden; so müste doch früher
die Frage beantwortet werden, ob dies wahrhaft und nicht nur zum
Schein durchzuführen ist.
Ersteres muß aber entschieden verneint werden; es ist nicht
durchzuführen, auch wenn es die Deutschen selbst wollen. Eine
deutsche Gemeinde von einigermaßen größerem Umfange kann,
wenn nicht besondere Umstände einwirken (wie oben bei Karpfen),
nicht entnationalisiert werden. Man kann beinahe sagen, daß alle
unsere Kinder der Wolhabenden in den deutschen Städten vor der
Schulzeit durch madjarische Kindsmägde madjarisch erzogen werden;
wie sie aber in die Schule kommen, wo die Lehrer doch in der Regel
dem Madjarischen günstig sind, verlernen sie wieder in der
umflutenden deutschen Bevölkerung das Ungrische vollständig
und reden Deutsch. Das habe ich als Lehrer an tausenden von
Beispielen beobachtet.
Kann aber die Entnationalisierung nicht durchgeführt werden,
dann ist es ein doppelt schweres Vergehen gegen unsere Deutschen,
wenn sie dem Culturelemente entfremdet werden, das ihnen natur
gemäß alle geistige Nahrung zuführen müste; sie versinken haltlos
in sittliche Verwahrlosung und sind schlimmer daran, als Nationen,
die der deutschen Cultur ferner stehn.
Ich wage es nicht mich noch weiter von meinem Gegenstände
zu entfernen, sonst könnte ich noch eine andere Seite des Bildes,
das uns eben vor Augen stand, hervorheben und eine Reibe von
wahrhaft erhebenden Charakterzügen vorführen, durch die die
übrigen Häudörfler, wenn auch fast Halbwilde, sich von ihrer Um
gebung unterscheiden. Ihre geistige Begabung, das Talent zur
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 265
Selbstverwaltung, das sich in ihrem Gemeindeleben zeigt, ihr außer
ordentlicher Fleiß, ihre Besonnenheit und Biederkeit, weisen auf die
großen Eigenschaften ihres Stammes hin, wenn sie auch kaum mehr
wissen, daß sie Deutsche sind.
Ein Kärtchen, das die Lage der Häudörfer veranschaulicht,
mit großer Genauigkeit von meinem Freunde Prof. Dr. Kornhuber
gezeichnet, lege ich bei.
Was nun die in dem Nachfolgenden geschilderten Mundarten
anlangt, verdient besonders hervorgehoben zu werden: das lebendig
schaffende Sprachgefühl, das sich in vielen Wortbildungen und
Sprachformen zeigt, die bei diesen Deutschen in ihrer Abgeschie
denheit entstanden sind. Von fremdem Einfluß ist dabei nur an ein
zelnen Orten ganz Weniges zu verzeichnen und selbst da ist Vor
sicht geraten, denn, wie auch Weinhold erfahren, es zeigt sich
bei genauerer Untersuchung das Fremdscheinende oft als ganz
echt. So war ich anfangs versucht das in Gölnitz übliche — rasen für
mal (zwei, drei rasen) für das slovakische räz, der Schlag zu
halten, das ebenso gebraucht wird in jeden räz, dwa räz. Da es aber
im Sing, ein räs, im Plur. zwei räsen heißt, da mhd. EI in Göl
nitz A lautet (also reise: räs) da nl. ene, twe rees einmal, zwei
mal ist (und entschieden Niederländisches zeigt die Mundart viel), da
in Baiern auch auf de räs dieses Mal bedeutet, so zeigt sich, daß hier
die Rei se zu verstehen ist; wie mhd. diu vart J ), hundert vart,
schwed. en gang auch für mal angewendet wird. So war ich
versucht, die Interjection leut! ecce in Schmölnitz aus dem mad-
jarischen lät, er sieht, zu deuten; doch haben es die Deutschen in
Ghiazza auch (s. Firmenich III., 434 lauts! seht) es ist das
oberpfälzische 16 u leuts schau, schaut, das auf lugen zurückzu
führen ist. Auch das Pronomen kocke, das ich für siavisch hielt,
und das zu kockeber, kockebitter erweitert wird, hat sich in
Gott gebe, Gott gebe wer qualis cunque aufgelöst. Fremd sind
nur einige Flüche und Schimpfworte hier und da und in der Zips
einige Deminutivendungen. Sonst ist es merkwürdig, wie die eige
nen Wortbildungen, die sich hier finden, doch ganz in den Spuren
germanischer Sprachen gehn, namentlich oft an Altnordisches er-
l ) Noch erhalten in Gotschee, wo es der Mundart angemessen, wert laulet, nicht
von „mhd. wart — Ereignis“, wie es Herr Prof. Elze «Weiten wollte.
266
S ch rö e r
innern, mit dem ein unmittelbarer Zusammenhang freilich ebenso
wenig, als mit dem neuern Schwedischen anzunehmen ist.
Hiezu nur einige Beispiele.
Um die abgeschliiFenen Formen zur Bezeichnung des Genitivs
zu ersetzen, scheint das Genitiv S der Masculina auch auf die Femi
nina übergegangen, z. B. der nachprenns Schmölniz näch-
p erns Käsmark. Da küs, der Kuh. Es ist dies S aber nicht das Ge
nitiv S; der vorausgesetzte Artikel beim Masculinum in Mzsf. zeigt,
daß das Substantiv im Dativ steht: en vätas, da mota, en
kends dem Vater sein, der Mutter sein, dem Kind sein. Dies bestä
tigt noch mehr die in Prb. übliche Form: s'kendsn liänd, s’gu-
ten wraindsen, s’gutn kends n, wo sich SN als Contraction
aus sein zeigt, obwol hier wieder der Artikel im Genitiv vorgesetzt
ist, nicht wie in Mzsf. und im Österreichischen: dem Kind seine
Hand, sonderndes Kind seine Hand, eine Form, die an das
Altnord, erinnert, wo das Demonstrativ inn in itt an das Subst.
suffigiert wird in könungsins des Königs, s. Grimm Gr. IV. 374 f.
So heißt in Krh. des Morgens wrüs, in Prb. s fris. — Merkwür
diger noch sind die Genitive des Plurals, wo ein S an die Dativ
endung angeliängt wird. En vsetans, en motans, en kendans,
der Väter, der Mütter, der Kinder. En männans, enküens, enrös-
sans der Männer, der Kühe, der Rosse in Mzsf. Der Dativ des Artikels
der bat, wie es scheint, im Masculinum noch etwas von der ahd. Form
bewahrt: mo kn echt, mo hros, dem Knecht, dem Ross, wol ge
kürzt aus ahd. demo. So in Krh. So hat der Accus, von er in der
Zips, scheint es, die alte Endung ’nan aus ahd. inan. Ich hab nan
gesehen, habe ihn gesehen. Diese Form ist nun freilich auch (wie
so oft in Mundarten der Accus.) in den Dativ vorgedrungen. —
Wo die Dativendung fehlt, ersetzt die Mundart in Praben
den Mangel, indem sie ein a vorsetzt, das ursprünglich aus den ent
sprungen ist, das dann auch für dem steht. Amainkend, meinem
Kinde, a nlmet, Niemandem. Völlig vergessen ist der Ursprung die-
se,s Artikels aber, und er ist zu einem Vorgesetzten Casuszeichen
geworden, im Femininum: a der kü, der Kuh. — Der Genitiv von
wer ist wens, bens, wessen, und erinnert wieder an das schwedische
dens, dessen. Von sie ist der Genitiv: inens; man hört daberauch
wensthalb, weshalb, inenstbalb, ihrethalben u. dgl. Jener hat in
Krh. jessen in Prb. jassen.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung, Berglandes. 267
Diese Genitivformen, die in der österreichisch - baierischen
Mundart völlig fehlen , beurkunden in ihrer Zusammensetzung zum
Theil das Streben, die durch Zuwanderung eingedrungenen österr.
Dativformen, die den Genitiv ersetzen sollen, mit den Genitivformen
zu vermählen. Am wenigsten und wenigste ns verschmilzt in
embenegstens; der länge und längs in derlä n gs u. dgl.
Einen merkwürdigen Zusatz erhält der Accusativ mich, dich
in Schmölnitz, wo man hört: midien, dichen. Ebenso zur Decli-
nation stellen läßt sich daher eine den accusativischen Adverbien
mit N nachgebildete Adverbform, EN :
üb er allen, überall,
woheren, woher,
frailichtan, freilich,
hiheren, von hier,
verstehlichen (auch versteinlich, ver-
st ein dich, Ksm: vaschteling) verstohlen, in Schmölnitz.
Eine noch seltsamere Erscheinung, die zur Conjugation über
leitet, ist folgende. — Die Einschaltung eines S nach Conjunc-
tionen vor der II. Person des Verbums: ob ds ge st, wäns dwilst,
Fromm. Zeitsch. VI. 39, 47, 271, 7, V., 126, 24, 31S, III., 107,
176, IS, 18q, 3, 192, 89, 240, III. u. ö. könnte als ein ursprüng
lich genitivisches es oder des aufgefaßt werden (wenns dwilst
wie: wenn dessen du willst, sowie sein sen zum Flickwort gewor
den ist: hin wil ich sen gän u. dgl. s. Fromm. VI. 187).
Aber dagegen spricht, daß diese Einschaltung nur in der II. Pers.
Sing, vorkömmt, noch mehr, daß in der II. Pers. Plur. statt dessen
ein T eingeschaltet wird: öbsda, ob du; öbter ob ihr (so in
Türingen Schleicher, Sonneberg Sl).
In Baiern an der Nab hat sogar die III. Pers. Plur. in diesen
Fällen die Einschaltung N Schmell. §. 722, und damit bestätigt
sich denn, daß das noch unerloschen schaffende Sprachgefühl im
Deutschen die Personalendungen der Zeitwörter lostrennt und an
deren Wörtern anhängt. — Vgl. auch Schmell. §. 723. Die Zipser
Mundart hat nun diese Formen in seltener Vollständigkeit:
268 Sehr bel
eih ich gei, ob ich gehe u. s. f.
eibst de geist
eib ei- geit
eib bei 1 gein
eib ter geit
eibn se gein;
ebenso mit daß, wenn, wail, wt, wü u. s, w. aber auch mit dem
Relativ: werst de bist, wer der said, wäsen se sain
u. dgl. in.
Wo eine Form ganz bis zur Unkenntlichkeit sicli abstumpft,
keimen neue Sprachformen hervor. In Geidel, Praben, wo das R in
war, waren ganz unhörbar ist, bildet sich für wir waren: bie
banden, bie wanden; in Schinölnitz: ech bäa, de bäast,
der bäat; bie bäaten, der bäat, di bäaten.
Merkwürdige Formen des Adjectivs entstehen, indem die Par-
ticipendung END mit der Adjectivendung IC an Substantiva undAd-
jectiva angehängt werden z. B. nicht nur aus Zeitwörtern: bücken-
deng, wütendigen, Krh., kochendich Käsmark, sondern auch
die reiselndijen wangen, d. i. die röselendigen, rosigen Wan
gen Ksm. Ja sogar kleinwinzendich und kleinutschendich
für kleinwinzig u. dgl. m., Bildungen, die an Ähnliches in Schlesien,
Franken, Türingen mahnen.
Ungewöhnlich vielfältige Formen hat das Pronomen ange
nommen.
Aliquis, aliquid heißt: ewer, ewäs in den Gründen aber,
a bäs, d. i. ein wer, ein was. Mit dem österreichischen halt ver
schmolzen, wird es zum Adjectiv mit einer höhnischen Bedeutung,
wie: ein Elender! etwas Elendes! und lautet: hält abea. hältabäs,
halt ewer, hält ewäs. Qualis lautet bitter, better, witter,
wetter, bittener, aus wietäner, e bitter, ein wietäner, ein
welcher. — Mit halt in obiger Bedeutung: halte bittener oder
hältebitter, haltein wietäner!
Dazu kömmt in Krh. koke, gocke, wie immer, in der Zips
gottche aus Gott gebe zusammengesetzt: gockeber, gockebäs,
quiseunque, quidcunque, aliquis aliquid. Mit bittener dürfte auch
ein go ckebittener nicht fehlen.
Daneben ist für was für ein in Ltsch. zu hören wäspere.
In Ksm. notierte ich sogar ein der wasprije, qualis. In den Grün-
Versuch einer Darstellung-der deutschen Mundarten des ung. ßerglandes. 269
den bäfean, zusammengezogen bäffa, bäffan, worin man kaum
mehr die Form was für ein erkennt.
Für welcher scheint sich aber auch aus dem Stamme von
wer, was, wie, ein (in der Schriftsprache gleichsam) weiger erhal
ten zu haben, das in Prb. bega in Schml. becha klingt.
Daneben steht ein secher, gleichsam ein söiger, ein sol
cher in Schmöl. und in Krli. ein doger, diser, davon in Metzen
seifen der dege, diser u. s. f. — Daß es an einem settener,
Setter, solcher nicht fehlt, wird man schon vermuten.
So verdient Erwähnung das aus altem sösama entsprungene
zum, ebenso wie, Krh. zimt Prb. —
Reichhaltig ist besonders die Zipsersprache im engeren Sinne
an Deminutivendungen. Das nd. — KE findet sich nur mehr verein
zelt (rosinken, stirke, jerlce, bseke u. dgl.). Dafür sehr häufig
— CHEN. Meist wird (und oft unrichtig) die Pluralendung — ER
eingeschoben: schätzerchen, kenderchen, kälberchen,
kierchen (Kühe), maiderchen, Ketterchen, Käthchen.
Die Femininendung — INNE, in Ksm. — enne in: maidenn-
chen, Kettennchen; dazu auch noch Plur. maidennerchen.— ELEINin
Jeiselai neben! Jesuleinchen; — EL äigelchen (zuweilen Plur.
äiglerchen), besselchen, bißchen. Diese Fälle von Deminutiv
endungen, die der Zipser fortwährend gebraucht, werden noch ver
mehrt durch die zwischengeschobenen aus dem Slavischen einge
drungenen Endungen: iz, uscb, utsch und u 11: sühätzusch,Ket
tusch, maidus eh; schätzuschchen, Kettuschchen, mai-
duschchen, bessuschchen, beschutschchea, ja selbst
b es cb utsch -k e-1 -cb e n (mit vierfacher Deminution) bißchen.
Kettizchen, Kettizu sch sehen, Kettullchen u.s. f. — Sogar
das Adjectiv wird ergriffen: winzuschich, e winzuschijes,
winzig, ein winziges und das schon angeführte kleinutschen-
dich.
Aufmerksamkeit verdienen die Übereinstimmungen mit dem
sog. „Ci mb rischen“, die weiter unten nachgewiesen
sind. Eine merkwürdige Übereinstimmung der Mundart von Gott
schee und der Niederlausitz wird in der Anmerkung, unten S. 27S,
gezeigt.
Auf alles Einzelne, z. B. die eigenthümlichen Erscheinungen
des Consonantismus B für W, W für F, U (im Anlaut selbst) für L,
270
S c h r ö e r
die dem Altnord, ähnlichen IAR für ER, gehe ich hier nicht ein, weil
darüber in der Lautlehre ausführlich gesprochen wird.
In diesen vorläufigen Bemerkungen soll einstweilen nur hin
gedeutet werden auf den Reichthum eigenthümlicher interessanter
Bildungen, die diesen Dialekt kennzeichnen; andererseits werden
aber auch schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie verschieden- - '
artig die Mundarten des .Dialektes auseinandergehn (man ver
gleiche bäffan Schmölnitz, mit wäsprich Käsmark. Ewer Käs
mark mit aber Schmölnitz. Gocke Krickerhäu mitgottche Zips),
indem doch gemeinsame Zusammensetzungen zu Grunde liegen und
dieselben Eigenheiten des Gebrauchs der Wörter durch alle Mund
arten des Dialekts hindurchgehn.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 271
I. DIE ZIPSER MUNDART.
Unter Zipsersprache kann man zweierlei verstehn:
1. das mundartliche Deutsch, das in der Zipser Gespanschaft *)
überhaupt gesprochen wird, und dies ist die Zipsersprache oder der
Zipser Dialekt im weitern Sinn, zu dem ich auch die anderen
Mundarten des ungrischen Berglandes zähle; und
2. die Sprache der älteren Ansiedlungen in der Zips, deren
Niederlassungen vor dem Einfall der Tataren stattgefunden haben,
und die sich noch immer ausnahmsweise als die eigentlichen Zipser
Sachsen betrachten, im Gegensatz zu den Gründenern, die sich
nach dem Tatareneinfall, wol von den ungrischen Bergstädten her,
in der Gespanschaft angesiedelt haben, mit den andern vielfach
vermischt und verschwägert sind, im Ganzen auch wol denselben
Dialekt sprechen, dies jedoch mit einigen kennzeichnenden Ver
schiedenheiten, welche sie mit den meisten der Krickerhäuerorte
theilen (s. unten die Einleitung zu den Sprachproben in Grün
den er Mundart). Dies ist nun in Hinblick auf die Gründener
Sprache die Zipser Mundart im engern Sinne*"*).
*) Im Zipserland, — Ländchen, in der Zips, in Zipsen (heutzutage da« Zip so*,
ehedem der Zips s. Wtb. 107») , wie die Gespanschaft (das Comitat) gewöhn
lich genannt wird. — Korabinsky nennt die Zips einen alten „Rheinplatz, wo
Polen und Ungarn Weide, Felder, etc. gemein hatten, bis zu den Zeiten Karl I.,
wo die Polen ihre Rechte völlig an Ungarn abtreten“.
**) J. Grimm G. D. S. 827 gebraucht das Wort Dialekt für „große“, das Wort Mund
art für „kleine Geschlechter.“ Ich nenne die Mundarten des ungrischen Berg-
273
S c h r ö e r
Die ungrischen Bergstädte sind der Sage nach — und ich glaube,
daß die Sage hier recht hat — gleichzeitig mit der Zips und wol
auch von demselben deutschen Stamme gegründet, der die Zips bevöl
kert hat, woraus die uralten steten Beziehungen zwischen den Berg
städten und der Zips und die Übereinstimmung der Mundarten zu
erklären sind. Die eingetretene Verschiedenheit im Einzelnen kömmt
wol gröstentheils auf Rechnung späterer Zuwanderungen, beson
ders in die Bergstädte aus auswärtigen und österreichischen berg
bauenden Orten, wie sie der Bergbau durch Wanderungen der
Häuer mit sich bringt.
Diese Zipser Mundart im engeren Sinne nun wird der allge-
gemeinen Meinung nach am schönsten in den Städten Leu tschau
(in der Leutsch)*) und Kesmark (Keisenmark)*) gesprochen;
dort hat sie nämlich die derberen Formen mehr abgelegt und sich der
Schriftsprache genäliert, obwo! der Charakter der Mundart immer
noch zu erkennen ist, wie die Sprachprobe Wtb. 115 und das
unten folgende Zipserlied zeigen mögen. Neudorf (madjarisch Iglo,
vgl.' Iglau in Mähren), das südlich zwischen Leutschau und Wagen
drüssel liegt, scheint schon von der Gründener Mundart angezogen
zu haben und auch, wie diese, von österreichischem Einfluß nicht
frei zu sein. Nördlich zwischen Kesmark und Pudlein in ßela beginnt
eine derbere Mundart, die, wenn sie gesprochen wird, auf den
Dörfern westlich am Fuße der Hochkarpaten, nämlich in Rochus,
Walddorf (Leszna), Großlomnitz und Großschlagendorf, den Spott
namen des Garstvogeldialekts erhält s. Wtb. 53 a , der sich in den
benachbarten Städten des Oberlandes: Matsdorf, Felk,Georgen
berg (Szombathely), Michelsdorf (Sträzsa), Deutschendorf (Poprad)
wieder etwas mildert.
landes einen Dialekt, als eine Gruppe von Mundarten, die im Ganzen mit
keiner andern so viel gemein haben als unter einander. Wenn zwischen den Aus
drücken Dialekt und Mundart immer genauer unterschieden würde , so möchte
ich die Mundarten des ungrischen Berglandes Zipserdialekt nennen und unter
demselben auch Gründener, Metzenseifer, Dopschauer und Pilsener verstehn.
*) Die Form Leutschau ist nur in der Schriftsprache üblich und der zweite
Theil des Namens weder als au (mhd. ouwe) noch als schau (mhd. schouwe)
aufzufassen; die urkundliche Form ist Leucha (früher vielleicht Liucha).
Kesmark ward als Kaisersmarkt und Käsmarkt gedeutet; dagegen spricht die
volksübliche Form Keisenmark , die mehr auf einen Personennamen hindeutet der
in dem ersten Theil des Wortes enthalten scheint.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung\ Berglandes. 2/3
Eine eigene Gruppe, auch mundartlich, bilden wieder nordöst
lich die Orte des Nieder landes Bauschendorf (Bussöcz), Hollom-
nitz (Hollolomnitz „Holumz“), Toporz und Pudlein.
Ganz eigenthümlich erscheint an der äußersten nordöstlichen
Grenze der Gespanscliaft die Mundart von Hopf'gart oder Ilopgaard,
s. die Sprachprobe Seite 43. — Es wäre zu wünschen, daß uns die
deutschen Sporaden im benachbarten Galizien näher bekannt wären,
die zu dem schlesischen (dem Kuhländchen in Mähren, dem deutsch
böhmischen etc.) die Brücke bilden müßen, wie die pannonischen
„Wasserkroaten“, in so lerne sie Deutsch sprechen*), von den
Krickerhäuern, Deutsch-Pilsenern (s. die Sprachproben von da)
hinüberleiten zu den Kärntnern, Krainern, Gottschewern**) und den
VII und XIII comuni Italiens.
*) Die „Wasserkrobaten“, die inmitten der großen deutschen Sprachinsel in den
Wieselburger, Oedenburger, Eisenburger Gespanschaften etc. wohnen, siehe
Czoernig Ethnographie II, 162, sind zum Theil ganz deutsch, zum Theil sprechen
sie deutsch und croatisch , aber ersteres ohne fremden Accent, viel besser als
die Slovaken, die beidsprachig sind. Ihre Mundart erinnert an das Deutsche in
Krain. W im Anlaut wird B wie in Krain, den VII Communi , in Krickerhäu und
in den Gründen. S. Wtb. 102 ff. Selbst einzelne Ausdrücke der Wassereroalen
stimmen überein: peten (beten) in der Bedeutung lesen. Vgl. Nchtrg. 17, soll
wie in Münichwies, — dem Krickerhiiuerorte im Thuroczer Comitate — bei. ihnen
gebräuchlich sein. — ich bil (will) für ich werde als Hilfszeitwort ist ganz so
üblich in Krickerhäu, wie bei den Wassercroaten. Bei näherer Bekanntschaft mit
letzteren dürfte sich wol noch mehr ergeben.
**) Die Gotschewer Mundart hat manche merkwürdige alte Formen und Ausdrücke
bewahrt, was sich schon aus den geringen Aufzeichnungen erkennen läßt, die
bekannt sind (zuletzt aus dem Aufsatze Gotschee und die Gotschewer von
Theod. Elze III. Jahresheft des Vereins des krain. Landesmuseums 1861. — Klun
im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1854. Nr. 3 in Frommann’s Zeit
schrift: die deutschen Mundarten 1856, im Laibacher Taschenkalender für 1855,
in Brockhaus Blättern f. literar. Unterhaltung 1859. Nr. 44 [Überarbeitung von
C. Ullepitsch’s — „Jean Laurent“ — Aufsatz „das Herzogthum Gotschee“ im illyr.
Blatte s. 153 ff.]. — Elze und Klun kannten nicht die Aufsätze von Richter und
Rudesh in Max Schottkys „Vorzeit und Gegenwart“ 1823. I. Bd., 3. Heft, Seite
257 — 278 das Herzogthum Gottschee mit Sprachproben etc., den ich in dem
Nachfolgenden gleichfalls benutze).
Ich hebe bervor die volle Form des Doppellautes IU in der Flexion des Adjectiv
und Pronomen (nom. fern. sing. nom. acc. neutr. plur.), die wol in e u über
gegangen ist und wahrscheinlich AI gesprochen wird:
schoniu, kaltiu, kurziu, liehtiu, wiaiu, siu, diu lauten in
Gottschee:
scheaneu, kalteu, kurzeu, liechteu, waiszeu, scheu, deu.
In der in manchem übereinstimmenden Sprache in den VII Comuni ist
sogar die reine Aussprache dieses EU noch erhalten in zbeu m'id. z \v i u (da-
i I
a
274
S c h r ö 0 r
Über den Ursprung der Zipser Colonien ist wenig zu ermitteln.
Die Angabe der Chronisten, daß nach den ungrischen Bergstädten
selbst wird das EU, sowie auch in Krickerhäu, ausgesprochen wie AÜ — ähnlich,
wie in Franken, zwischen Uffenheim und Iphofen am Schwamberg. Frommann
Zeitschr. VI. 161, Nachtrag Seite 23 f.)
Daß dieser Doppellaut das mhd. —IU ist und nicht ein nhd. — El, welches
aus mhd. — I, wie ich anfänglich vermutete, als mir zuerst nur die Form schai
sie auffiel, die wol aus mhd. si entspringen konnte (ich entdecke eben daß
Fr. Stark in Pfeiffer’s Germania VI, 490 das mundartliche sai für sei, d. i. sie
im Böhmerwalde gleichfalls aus einem alten si erklärt, was aber kaum anders
als das gothschewische schai zu beurtheilen sein wird, zumal nähere Verwant-
schaft der Mundart von Gottschee mit der des Böhmerwaldes und beider mit der
Oberpfalz nachgewiesen werden kann) das beweisen die obigen Beispiele. In der
Österreichischen Mundart hat sich — I ungebrochen erhalten und das — U ist
abgefallen: sehen i, kaldi, kurzi, liachti, weiszi, si, di (im Plur. se
de aus dem Neutr. welches in späteren Schriften auch seu, deu geschrieben vor
kömmt. di heißt im Sing, auch de, wie ahd. zuweilen deo, si im sing,
immer si).
Die Form — EU ist in Gotschee aber vom Nom. fern, auch auf den Acc. und im
Plur. vom Neutr. auf alle drei Geschlechter übergegangen , wie im Österreichi
schen das — J.
Alt ist ferner das Gotschewische: kidi (= kid ich? quidu ih) sage ich
ka i t (= kit) sagt er, Rudesh a. a. 0. Seite 267.
Alterthümlich sind die Adjectivbildungen auf — EIN. für mhd. — IN, was sonst
nhd. —EN, N geworden ist. schilbrain = silberin
schaidain = sidin ;
ja sogar rdschain : von Rosen, wie mhd. bluomin, von Blumen, erscheint
in der Zusammensetzung roschain gart, wo mhd. der gen. pl. steht r Ösen
garte (vgl. übrigens ein rosin färb es k 1 e i d meine Weihnachtsspiele
Seite 46). — Ein fehlerhafter Gebrauch dieser Bildungssilbe ist es, wenn sie nicht
unmittelbar an die Wurzel, sondern an ein der Wurzel angehängtes L hinzutritt,
welches nicht einmal als Deminution zu erklären ist:
sc haibla in rund mhd. schibaleht (gleichsam sc hi bei-in).
teiglain (mhd. tegelich) täglich (gleichsam tägel-in).
Ob hier eine adjectivische Weiterbildung des Adverb, tegelichen — (tegeli-
[che]n) mit einem Ausfall des CHE, anzunehmen ist, gestattet die mangelhafte
Kenntnis der Mundart noch nicht auszusprechen.
Höchst merkwürdig scheinen aber Zeitwortbildungen mit dem Bildungsvocal —
AI. oder EI., — die aji die III. Classe der schwachen Verba im got. und ahd. er
innern (wo namentlich Notker im Conjunct. Formen, wie: habeiest u. dgl. auf
weist).
Beispiele:
stengait, er steht, hevait an, er hebt an. derchöreit, erhöret, gi
nn gait, ergeht (oder er gieng?). w e cka it, er wecket, ste cko it, sta ckai t
er stecket, fassait, faßt, failait, fällt, ließait, läßt (ließ?), gerigait,
gefalten.
Ob die alten Formen des Conjunct. II. Pers. sing, und I. II. III. Pers. pl. (—es,
— eines, — es, — en) hier übergegangen sind in den Indic. (analog dem
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 275
sowol als nach Siebenbürgen und in die Zips unter Geysa II. um 1141
und 1143 diese Deutschen eingewandert sind (Magazin für Geschichte
und Staatsrecht der österreichischen Monarchie, Seite 229, Czoernig
Ethnogr. II, 211, 224) ist mindestens ein Beweis, daß ein ursprüng
licher Zusammenhang zwischen den Zipser, Bergstädter und Sieben
bürger Colonisten schon frühzeitig angenommen ward (vgl. auch
Schläfer, Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, Seite 277),
ein Zusammenhang, der noch heute durch die Mundarten und Wech
selbeziehungen dieser Deutschen untereinander beurkundet wird.
Dies fällt besonders auf, wenn man mit dem regen Verkehr die
ser Colonisten untereinander (der auch mit Österreichiseh-Schlesien
und den deutschen Colonien Galiziens besteht) das Verhältnis ver
gleicht, in welchem sie zu den andern deutschen Sprachinseln
Ungerns stehn.
Die Hochdeutschen von Großmarosch in der Honter Gespan
schaft sind den Mitteldeutschen von Pilsen (Nemet Börzsöny) in der-
Mundartlichen ich sei: ich bin und andern ähnlichen Erscheinungen) und dann
das ganze Zeitwort ergriffen haben, dieß muß wol bis jetzt noch unentschieden
bleiben. Daß EI für Ä würde wol auf Rechnung der Gotschewer Mundart kom
men. Wichtig ist, daß in Gotschee diese seltene Form starke und schwache Zeit
wörter ergriffen hat, so daß auch erstere häufig schwach conjugiert werden;
meines Wissens kömmt sie außer Gotschee nur in zwei Mundarten vor, in der
Zipser und der Niederlausitzer Mundart (s. Wtb. 31. Nachtr. 16 und Bronisch
laus. Magazin XXXIX, Seite 188 f.), wo sie sich aber auf Zeitwörter beschränkt,
die entlehnt sind.
Die oben angeführten Aufzeichnungen aus Gotschee sind nun freilich sehr un
genau. Rudesh schreibt einmal schinget, singet, ein andermal schingait,
stäket und s t a k a i t, g i a t und g i a n g a i t, was wol auf Ungenauigkeiten
beruht. Daß obige Form auch die II. schw. Conjugation der ahd. Verba ange
nommen, und dann noch weiter um sich griff, ist nicht unmöglich , heißt ja doch
auch (ahd ? s e 1 b 6 s t) selbst: schaubaist.
Es wäre wol wünschenswert, wenn gute Aufzeichnungen von Sprachproben,
so lange es noch Zeit ist, gemacht würden. Es dürfte diese Mundart nach dem
was bisher bekannt ist, mehr sprachgeschichtlich lehrreiche Erscheinungen auf
weisen als irgend eine andere.
Aus den vorhandenen Aufzeichnungen wird nicht einmal ersichtlich, ob die
anlautenden W alle B , ob die F, V wie W ausgesprochen werden oder nicht,
weil dasselbe Wort einmal so, einmal so geschrieben wird. Wurt, mal, das Elze
von ahd. wurt ableitet, ist gewiss nichts anderes als mhd. diu vart (alle
vart = allemal immef) , denn A wird U und V, F wahrscheinlich W. So heißt
in den Gründen ras: mal d. i. Reise, was obigem mhd. vart, dem schwe
dischen gang, dem nd. nl. ene reis, twe reis völlig entspricht. Siehe
oben Seite 265 die Anmerkung.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XL1V. ßd. II. Hft.
19
276
SchrÖer
selben Gespanschaft (obwol nicht einmal drei Meilen weit von ihnen
entfernt) so fremd, als ob sie in einem andern Lande lebten und
einer andern Nation angehörten, hingegen zwischen andern Gemein
den unserer mitteldeutschen Colonien, die oft 20 — 40 Meilen von
einander getrennt sind, über dazwischen wohnende Millionen anderer
Nationen weg, das Gefühl der Zusammengehörigkeit oft in über
raschender Weise anzutreffen ist, wenn in Münichwies z. B. die
Meinung herrscht, nur in Siebenbürgen finde man Leute desselben
Stammes, wie in Münichwies; das Namenbuch wird darüber weitere
Aufklärungen bringen. Hier hebe ich nur als Beispiel hervor, wie
gewisse Ausdrücke, die in den ungrischen Bergstädten, in den
Krickerhäuerorten, in der Zips in den Gründen und in Siebenbürgen
verstanden werden, in den Städten mit oberdeutscher Bevölke
rung Ungerns (Pest, Ofen, Presburg, Ödenburg, Bust u. a.) ebenso
wenig bekannt sind, als sonst wo in Deutschland*)
Ich wähle unten in der Anmerkung nur solche auffallende Wörter
heraus, die diesen Mundarten besonders eigenthümlich sind, die aber
nun auch zu sichern Zeugen für die nahen Beziehungen dieser Colo
nien werden, zu Zeugen, die die uralten Sagen von der ursprünglichen
Zusammengehörigkeit derselben und ihrer gleichzeitigen Einwan
derung als geschichtliche Thatsachen erscheinen lassen.
Zwei Hauptanhaltspuncte hatte das deutsche Element des ungri
schen Berglandes: die Zips (im engern Sinn mit Ausschluß der
Gründe) und die ungrischen Bergstädte. Von diesen Mittelpuncten
aus verbreitete sich das deutsche Element in den benachbarten
Gespanschaften und entwickelte, nicht ohne Einfluß) späterer deut
scher Zuwanderungen, Eigentümlichkeiten der Sitte und Sprache.
*) Solche Ausdrücke sind z. ß. sich bedren = Platz haben (in Siebenbürgen, den
ungrischen ßergstädten , der Zips und den Gründen üblich); die handlech
honklich, ein den Zipsern und Siebenbürger Sachsen eigenthümliches Gebäck,
s. Wtb. 58; garz garzich ranzig und garzen im Halse brennen (Zips, Sieben
bürgen Wtb. 33) ; d as 1 ebert, 1 ae we t, laweud, eine art Suppe (Krickerhäu,
Zips,Siebenbürgen, Nachtr. 38) matzen, mazen, Wtbch. 80, 82: küssen (Deutsch
Pilsen, Krickerhäu, Siebenbürgen) das merauge, ein grundloser Bergsee (in
Krickerhäu, der Zips, Siebenbürgen, Nachtr. 44); die scheibe der Holzteller
(Krickerhäu, Zips, Siebenbürgen, Nachtr. 35); zoppern, verwirren, zerzausen
ebenso s. Wtbch. 106. b. — der Hunds rück Berg bei Hermannstadt und Pilsen,
Wtb. 61,— der türpel die Schwelle (Nachtr. 22) u. a.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 277
Erstens solche, die die Zipser und Bergstädter miteinander ge
mein haben und die auch bei den Siebenbürger „Sachs'en“ gefunden
werden und als Zeugnisse für die ältere Ansiedlung angesehn wer
den müßen, dann solche, die beide Theile von einander unterschei
den (die wol erst nach dem Tatareneinfall aufgetaucht sind), nach
denen die bergbauenden Gründner in der Zips den ungrischen Berg
städten näher stehn als den ursprünglichen Zipsern.
Was der Vergleich der Mundarten vor allem wahrscheinlich
macht, ist, daß die ersten Ansiedelungen in den Bergstädten, der
Zips und Siebenbürgen, gleichzeitig geschehn und einer Strömung
von Auswanderern zuzuschreiben sind, die vom Rheine her sich bis in
slavische Gebiete hinein ausbreiteten (in Obersachsen, der Lausitz,
Schlesien, Polen, im ungrischen Bergland und Siebenbürgen). Diese
Strömung erhielt vielleicht ihren ersten Anstoß von den Flandern
und Holländern, ergriff aber die Rheingegenden bis Köln und
Aachen, das Siebengebirge und den Hundsrück. Ob die Kreuzzüge
oder Überschwemmungen diese Auswanderlust veranlaßt und ihr
die Richtung gegeben? daß sie im 12. und 13. Jahrhunderte vor
handen war, ist bekannt. Und die Auswanderer waren Flandrenses
und Teutonici (in Siebenbürgen und Ungern), und das ist gewiss
wörtlich zu nehmen: die sprachlichen Eigenheiten, die alle unsere
Colonien gemein haben, weisen auf die Gegend zwischen Köln und
Aachen, aber zum Theil auch ganz bestimmt in niederländisches
Sprachgebiet hinauf; die Einwanderer aus ersteren Gegenden waren
die Teutonici, die aus letzterem die Flandrenses.
19
278
S e h r ö e r
Spraehproben.
Zep s erlid*).
Anmerkung. Drei Strophen davon sind mit der Singweise
in Steindruck herausgekommen, in Pest bei Röszavölgyi & Comp. In
dieser Ausgabe steht über der Begleitung „schein pomeelich
(schön langsam).“ Vgl. Wtb. 32.
i. E jeder Idubt 3 ) sain Vaterland,
drom leub ichs mer hält J ) euch 3 ),
und ess es aich noch nech 2 ) bekant
sä kenders an der spreuch 3 ).
3. Ich ben aus Zepsen, ja ferwär
schauts 4 ) mich e meul nor an:
das ess e liindchen! is häts 4 ) gär
noch kein begreff dervon 5 ).
3. Met weinich 6 ) geld lebt man sich deu
ser gutt das ess bestirnt;
drom ess der arme man recht freu
wenn en di Zeps er kirnt 7 ).
4. Gruiln 8 ) sain bai uns di schwäre meng,
es fressen se di schwain,
di äppelbäim veul iippel häng 9 )
wenn se gere'uden sain.
B. Erps, dschuckeni°) und Such häselnSsz
gets vil bai mainer seil!
und ’s allerbeste bräitel ess
em ii) e pär kraizer feil.
6. Euch es ia ) gesäif ess bai uns gutt,
wain trenkt der Zepser geren,
drom hat er euch gär hetzich blutt
und sptlt ser laicht en i 2 ) heren.
7. Of putz get 1 3 ) er gär we'inich aus
doch keift 1 4 ) er sich dervar,
wenn er nor kän sain wirtschaftshaus
und denkt: ich ben kein narr.
8. Euch äcker keift er sich derzu
zu hän vors haus sain breut
der J5 ) rackert 16 ) äne rast und rd
fercht 1 7 ) sich vor keiner neut.
*) Dieses Lied ist in derZips allgemein bekannt und handschi iftlich verbreitet. Ich schrieb
es in Kesmark nach verschiedenen Abschriften mit Feststellung der Schreibung nach
der Aussprache nieder; es hat vorwiegend den Charakter der Leufschauer Hundart.
Versuch einer Darstellung: der deutschen Mundarten des ung. Berglande«. 279
9. Di maiderchen hän euch gelert 18 )
di Wirtschaft, und das recht
gein gern zun waschtreugund zun herd
und kochen gär nech schlecht.
10. Und hepsch sain se dei’bai, o lierr!
es lacht ein s herz en laib,
drom wenn ich hairät, nem ich mer
nor aus der Zeps e waib.
11. Zwar sain se deu bis däto nech
seu apgedräit wi hi
doch laß du eine nor en stech
di schenkts der sicher ni.
12. Di gaffen nech neu jeden mann
der vor en fenster ziht
vil über schaun se en di fann
daß die enbrenn 19 ) nech verbrit 20 ).
13. On sonntdch zihn se sich schein an
und gein wi sichs gebirt
schein en di kirch, denn deu nor hän
se’s meiste profitirt.
14. Di eitern wi di kender sain,
glaubt mers, bai uns recht from,
und das gewess nech nor zun schain
und doch derbai nech tom.
15. Der Zepser ess en erlich blutt
du känst nen 21 ) kin 22 ) vertraun
was er versprecht das heit er euch
und of sain wort känst baun.
16. En Zepsen wird e fremder ni
wi hi bai aich geschnirt 2S )
deu wirt er ni eseu wi hi
geprellt und ängesehmirt 24 )
17. Hat hi e fremder mei kein geld
sä jagen se nen 21 ) weck;
ganz anders ess di Zeps bestellt
man helft nen 21 ) aus en dreck.
18. Drom blaibts 4 ) mer weck med aiern Win,
hi wer ich nimals freu;
zereck ens Zepsen 25 ) well ich zihn,
und einst euch sterben deu.
*) hält: halte ich, glaube ich. S. Gr. gr. III. 240, S90, 593. Möllenhoff zum
Quickborn S. 296. Schmell. II, 184. Fromm. I, 274.
a ) nech, nech, necht, nicht, in Sm. Stoß. Mzsf. I.cutschau, net, net, ni.
Krh. Frb. Wagendrüßel.
280
Sehröer
s ) 0, OU und A der altern Sprache (mhd.) wird £u, wobei das E scharf betont
wird. Vgl. darüber die Anmerkung unten in der Lautlehre unter A. 9) und 12).
4) is ihr, findet sich in Leutschau, Iglo (Neudorf), Smöln, (s. Kalibe 19); in Käsm.
nicht. Vgl. Nachtrag 34 b Wtb. 132.
5 ) d er von aus darvon, davon; ebenso dervar, davor, derzü, dazu, derbai,
dabei. S. die Anmerkung zu der Sprachprobe aus Deutsch-Proben. 6.
6) Die Silbe -ig im Ausgang der Beiwörter klingt hier -ich: hetz ich, hitzig,
wein ich etc. in den Gründen. (Smöln. Mzsf.) ik, ek (wie mhd.). Wenn bei
Verlängerung des Wortes ein Vocal darauf folgt, erweicht sich das CH zu J
hetzi j e u. s. f.
7 ) kirnt = kümt, kaum das mundartlich oberdeutsche kirnt für körnt (md. Form
für bd. kümt, mhd. kümet ahd. kumit). Ich bemerke dies ausdrücklich,
weil das in Ofen, Pest, Ödenburg, Presburg übliche ich kim, pl. wir kernen,
wol davon zu unterscheiden ist. Bestirnt sollte besternt heißen und ist hier
nur des Reimes halber nach der Schriftsprache mit I geschrieben.
8 ) grull f. („die grulle“) die Kartoffel. Die Form grulli, wie Wtb. 56 nach Genersich
angegeben ist, scheint, mindestens gegenwärtig, nicht mehr vorzukommen; wol aus
geru 11, g e rüll: gerö 11, aus der Bergmannssprache entlehnt; das Adject. grull
bröckelicht, körnicht, das Stalder I, 479 unter grieselet anführt, mag verwant sein.
9 ) Im Friesischen verliert der Infin. sein N nur wo er (z. B. von den Verbis sollen,
wollen etc.) abhängig ist; es ist darauf zu achten, ob in Mundarten, wo das N
de3 Infin. wegfällt Ausnahmen gestattet sind. Über das Friesische s. Ehrentraut
im Fries. Archiv I, 28 f. 32. Vgl. daselbst 290. Wan T unt N unt R — sint
von den Franken ferr — an manges Wortes ende — sagt Hug von
Trimberg. Vgl. Hahn mhd. gr. I, 76, wo ferner Beispiele stehen. Hier fällt EN der
1. und 3. Pers. Plur. eben so ab, wie im Infinitiv.
i°) dschucken eßbare Erdnüsse (Latyrus tuberosus ?) vgl. das tschöggli in
der Schweiz=Eberwurz „deren junge Blumenboden gegessen werden“. Stalder 1,320.
Wol aus ar t i s c h o k e ; die weiße Eberwurz heißt auch wildeArtischocke.
11 ) em für iim : um. Vgl Nachtrag 49 a .
12) ’es das; ’en den. Schlesisch ’S, ’r, ’n für das, der, den. S. Weinh. Dial. 140.
13 ) Mhd. git gibt wurde gekürzt in git get; so schon oben str. 5, 2 . Vgl. Wtb. 53b.
14 ) keifen in Dpsch. kefen (so auch schles.) ist die md. Form käufen (mhd.
keufen ahd. theoretisch: choufjan, neben mhd. koufen ahd. choufön).
15 ) Sowie e r oft für der finden wir in der Zips häufig der für das pers. geschl. Pron. e r.
1G ) rackern hat sonst das Refl. sich; über das Wort s. Schmell. III. 38 f. zu nd.
racker, Abtrittfeger, verwant rechen.
17 ) ferchten ( =md. förchten) fürchten.
18 ) leren gilt für lernen und lehren auch in Mzsf. Prb. Lrz. Krh., wie nd. und
nl. leeren, was von da auch in md. Mundarten übergegangen ist. S. Nachtr.
39 a , sowie in die Schweiz auch. S. Stalder II. 164* In der bair-österr. Mundart
wird im Gegentheil wieder lernen für lehren und lernen gebraucht. S.
Schm. II. 490. In den Marienlegenden (Stuttgard 1846) steht (25, 18) leren
für lernen, umgekehrt lernen f. leren in Seb. ßrant’s narrenschiff mehrmals,
altd. Blätter I, 304. Hätzlerin II, 85, so citiert. mhd. Wtb. I. 966 b .
19 ) ei nb rennen bedeutet farinam butyro tostam cibo admiscere. S. Gr. Wtb.
III. 157, daher österr. bair. e i n b r e n n f. Dies Gemisch von Mehi und Fett, das
der Speise beigemengt wird. S. Schm. I. 260. Da das ein — mhd. i n — ent
spricht, müste die Mundart, in der Obiges abgefaßt ist, eigentlich ei n b renn sagen.
20) bruen ist im ungr. Bergland brennen und hat dieses fast ganz verdrängt,
s. Nachtr. 4 b . keulenbrier m. Kolenbrenner.
Versuch einer Darstellung 1 der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 281
21 ) nen steht eigentlich für den Accus, aus mhd. inen (Hahn gr. I. 109), ahd.
inan, wird aber nun in der Zips für Dativ und Accus, verwendet, s. Wtb. 49.
22 ) kuen ist auch in den Gründen häufig für keck und als Adverb für immer
hin gebräuchlich. Der österr. Mundart fehlt das Wort.
2S ) schnüren übervortheilen, auch in Baiern. Schm. III. 495.
24 ) anschmüren, betriegen, bair. anschmirben, ebenso. Schm. III. 474.
Vgl. Gr. Wtb. I. 446.
25 ) Die Zips (ehedem der Zips) oder das Zipserland, das Zipsen
sagt jetzt der Sprachgebrauch; aus der Zips, aus Zipsen, nach Zipsen,
in die Zips; vulgärer klingt, wenn man, wie oben , sagt im Z e p s e n ; s.
Wtb. 107. — Im Meisnerland erhielten flandrische Ansiedler 1154 eine villa Coryn
et pro justitia quae cip vocatur 30 nummas persolvunt. s. Haitaus, 212: cip
annona, cipkorn: tres modio3 tritici & avenae vocant. — Haitaus leitet das
Wort von dem slovenischen zepish ab, doch dürften die Flaudrer das Wort
kaum von den Slovenen haben ; eher wäre lat. c i p p u s anzuschlagen, so hieß
unter andern auch im Ma. eine Art hölzernen Beckens für Opferspenden, z i p-
p e r n Ertrag abwerfen, mhd. Wtb. III. 902, wäre wol unter Zip zip körn
daselbst 901 a . einzutragen gewesen. Vgl. Gr. R. A. 100: zippen eßbares.
Frisch zippe und zibbe. In der Altenburger Mundart scheint dies Meisnersche
Cipkorn fortzuleben in den Wörtern s i p p e n s , Viertelscheffel, sippmaß
Ullrich Volksklänge in Altenburger Mundart. Zwickau 1861, ‘Seite 193. Ob damit
nun der Name der Zips verwant ist, das ist wol noch nicht erwiesen. Anonymus
Belm notarius nennt Cap. XXXII nur eine silvam Zepus.
Ijcutsckan (ans der leutsch) *).
Der älde häufhund 1 )-
E pauer 3 ) hat en träin 3 ) hund gehät, der hat Sultan gelieis-
zen 3 ). der war alt geworen 4 ); seu, daß er niseht mei 7 ) nech hat
gekent 5 ) derweschen. da ess der pauer einmeul met sainer fräun 6 )
geständen und hat gesägt: „en alten Sultan derschisz ich morgen 4 );
der ess zu niseht mei nech nutz.“ der fräun häts em hund leid
geteun und so hat se gesägt: „der hat uns seu länge jär 4 ) gedint
däß her nen kenn es gnädenbreud gen,“ — „ei vväs“, hat der män
gesägt, du best necli recht geschaid! der hat kein zant mei en maul 3 )
und kein dib färcht 8 ) sich nech mei vor nen, wenn er uns gedint
hat, so hat er sain guttes fressen dervar gekrigt. jez teugt er niseht
mei und kän öbgein. der hund der nech wait dervön ess gelegen,
ess derschrocken, däsz morgen sain letzter täg sain sol. der hat
en gutten fraind gehät; dos wär der wulf. zu den ess er eubends en
wald räußer 3 ) gegang °) und hat nen derzäilt wäs for e 10 ) schecksäl
nen bevörsteit. „mäcli der keine 3 ) sorgen“, sägt der wulf, „ich
*) Diese Leutschauer Sprachprobe ist wol aus Leutschau und mir als „durchaus zuverlässig “
zugesant, doch hält sich dieselbe nicht überall streng in der Mundart; vgl. Anui. 1 u. fi‘.
282
S c h r ö e r
weiß 3) en gutten reut, morgen frf geit dain herr met sainer fräun
ens hai und di nemm fr kleines kend met. das leigen se bai der
orbt 11 ) hender di heck en schatten, deu Ieig*dich derzü, als wennst
de’s wollst bewachen, dann we 12 ) ich ausen wäld kom und es kend
stein, du must mer neuspreng met aln kräften, als wennst’s mer
objägen wollst. ich losz es fälln und du brengst s wider, dann glau
ben se däsz du’s hast gerett und sain vfl zu dänkbör der ewäs 1S )
zu tun 14 ). en geigenteil, du kirnst en vellije gnäd und es wet 12 )
der nischt nech feiln. der önschleug hat en liund gefalln und
wf se nen hän ausgedöcht, seu hon se nen euch ausgeffrt. der pauer
kraischt 15 ) wi er en wulf met sain kend durchs feld leufen sflit,
wf’s ober der alte Sultan wider zereckgebröcht hat, da wärer fre'u,
hat nen gestreichelt und gesägt: dir soll 16 ) nischt beises nech
widerforen, du sollst 16 ) es gnädenbreud hän seu langst de lebst;
dernächend hat er zu sainer frau gesägt: gei glaich enheim und koch
en alten Sultan e kubische, di brauch 17 ) er nech ze knospern 18 )
und main tffl schenk ich nen euch zun läger. von jez än 19 ) häts
der alte Sultan seu gutt gehät wf er sichs nur hät gekent wint-
schen. der wulf hät nen besucht und hat sich gefrait däsz es nen
seu gutt gelüng ess. — „harch 26 ), ländsmän“, sogt er, „du west 12 )
doch e eug zudrecken, wenn ich dain herrn e fett scheuf wegholn
komm? es wirt ein haitzutäg schwer sich durchzuschleun.“ —
'Nein’, hät nen der liund geantwört: 'main herrn benn ich träi; dos
kän ich nech zugen’. der wulf endess hät gemeint däsz däs kein
ernst ess und ess en der nöcht gekom en gutten bessen abzu-
höln; ober der träie Sultan hät en herrn älls ängezäigt, seu däsz nen
der en der schaier ofgepasst und nen grailich di här gekämt hät.
Kin d ersprucli.
Wenn der brüder Mechel wct enheim kom
sackt der sol e beszchen z’ uns kom;
kirnt er euch nor schon e beszchen
gebernen c handvoll neszchen.
!) Der Hof heißt in Kesmark he'ub und Hofhund: heubhund. S. Nachtr. 32j,.
Die Schreibung- heuf mit f in Ltsch. ist nur eine Concession an die Schriftsprache,
wie dergleichen Erscheinungen in den Städten der Zips sehr häufig sind.
2 ) A für mild, u, iu und ou, wie es liier vorkömmt, hört man in Kesmark nicht; dort
klingt Mhd. ü ganz rein au und mild, ou beinahe du oder eu S. Wörterb.
29a und From. VI. 249 1 .
3 ) Mild, ei ist in der Zips ei (in Krh. wie österr. A) hingegen Mhd. i kling! ai;
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarien desung. Berglanfles. 283
4 ) Die Dehnung des o, die auch im Schlesischen (und im Md. frühzeitig) vorkömmt,
scheint nd. Ursprungs. S. darüber Weinh. dial. 51.
5 ) geken nt (= gekonnt) für gekünnt, s. Nachtr. 35* unter kann und vgl. Zipsl
Anm. 7 und 17.
6 ) frAen dat. sing, frauen, die alte schwache Biegung, die sich aber auch noch
bei Goethe findet; über den Vocal a = ou. S. oben Anm. 2.
7 ) me und me'i schon mhd. gekürzt me (aus mer) ist in der Zips häufig. Dieser
Wegfall des R findet sich außer im Mhd. auch noch im Altfries, (ma neben mAr)
und angelsächs (m A).
8 ) fürcbt fürchtet; ä für ö, so wie in var für vor: es scheint hier ein altes forah-
tan (für forahtj-an) forchten , erhalten, das Mhd. schon vürhten lautete.
Spätere Beispiele eines praes. vorhte scheinen md. oder altertümlich. S. Diemer
305, 5. Ludw. Kreuzf. 5835. vorte Rother 2014. Diut. III. 106. Gr. gr. IV, 35.
Mhd. Wtb. III. 386.
9 ) gegAn gegangen, ist eine Zusammenziehung, die auch Mhd, vorkömmt. Gr. gr. I 3 .
945. Frommann zu Herbort 6774, Seite 280, und was dort weiter citiert ist. Diemer
20 u. a. Mhd. Wtb. I. 463*.
i°) wasfore, qualis, aus was für ein.
1A ) öerbt f. arbeit. Vgl. Lausitzisch: arbten, arbeiten, Anton III, 4. schlesisch Arbt,
arbeit, Weinh. dial. 33.
12 ) we west wet werde, wirst, wird. S. Wtb. 104. Nachtr. 49.
13 ) ewas, etwas, ein was (mit dem Ton auf der zweiten Silbe), in Schmöln. eb8s
(0— f ) vgl. h Aid eher, haldebas, halt ein wer, halt ein was, hAldebittener
halt ein wie taner. Nachtr. 18. 33.
14 ) kraischen für Schreien, hier allgemein. S. Wtb. 73**
15 ) seil (soll) soll. Die Mehrzahlform süllen scheint auf den Selbstlaut der Einzahl
gewirkt zu haben, das anfangs s ii 11 und daraus dieser Mundart gemäß s ö 11, s e 11 ward.
16 ) b reu eh braucht. Dieser Abfall des T der III. pers. ist hier häufig. Es findet sich
in Rheinfränk. Mundart. Fromm. III., 272: hilf = hilft.
17 ) knospern, im schlesischen knaspern, knispern und knuspern Weinh. 4 4.
18 ) von j er an, von jener (Zeit) an; seit jeher.
19 ) nurt nur; eine Erweiterung der bekanntlich aus ne wAre entsprungenen Form
(Gr. gr. III. 245. 726. Lachmann zu N. b. s. 363). In Frankfurt n 4 orzt.
20 ) harch, horche.
Einiges aus Kesmark*).
alst alles, wü alst klein ess, wo alles klein ist. alst für als führt
Grimm im Wtb. I. 262 als liennebergiseh und hessicli an, einmal
wird es auch bei Luther gebraucht. Für alles daselbst 246.
bedräng, beengt, nhd. und mhd. kömmt sonst in ähnlichem Sinne
nur ged ränge, ged rang vor.
beß, besser, ich reut der beß, ich rate dir besser. Vgl. mnl. bet
agls. bet.
— eben, Deminutivendung, siehe — ke.
*) Aus Kesmark haben wir schon Wtb. 115 eine längere Sprachprobet Derknrfun-
kelturm von E. Linduer kennen gelernt.
284 Sc h rö er
der, er. di, sie. — densthalben (neben destbalben) deshalb,
vgl. inenst halben, wenst halben. — der wasprije,
quis qualis, di wasprije f. was fürige.
derentkeigen, hingegen. Vgl. herentgegen Schmoll. II, 21.
einwer, einwas, einwie, einwo, einwenn, siehe ewer.
— en fällt immer weg in Fällen, wie: nem se, nehmen sie, ne m-
ber, nehmen wir, eß her, essen wir. Vgl. Zpsl. 9.
— endic, eine Erweiterung des Part. Präs., hier sehr beliebt. Vgl.
Naclitr. 19 unter hükendeng (= wüetendigen) in Kesmark
wird gesprochen: — endich bei Verlängerung des Wortes —
endijer. z. B. koehendich, kochend, di reisein dijen
wangen (roselendigen) die rosigen Wangen. Sogar: klüin-
winzendicli, kleinwinzig und kleinutschendich, s. utsch.
etwu, irgendwo, s. it jeder und ewer (o—').
ewür, irgend einer (= ein wer); ewäs (o—') irgend etwas, ewi,
irgendwie; ewu irgendwo, ewenn, irgend wenn eweter
(ein wie tan er), irgend welcher, ewasperer, ewasprijer,
irgend was für einer, neben ewäs vorer, siehe was. —So wird
ein vorgesetzt in ejeder, einjeder; epär, ein paar, einigeu. s. f.
femb, fembe, fünf zuweilen nur fern; aber femweckich fünfeckig,
greuße, f. (=die große), die Großmutter. Vgl. groscha, grosel,
grulla, gruväter. Nachtr. 30. Schles. grula, niederhessisch
gräuteke Gr. Gr. III, 677.
hügern, hocken, kauern. Vgl. darüber Wtb. 61\ di zitzerchen
(Brüste) hügern in dem müeder.
j — erscheint euphonisch für CH in durjen, durch den.
— ic, — ec, die Adjectivendung (in Sm. wie mhd.) klingt in Kesmark
— ich, bei Verlängerungen ijer, — ij e, —ij e s, Vgl. — endic.
jederer, jedweder, jedwederer, jeder s. itjedrer.
inensthalben, ihrethalben (Plural.)
itjedrer, jeder,
kaum, wenigstens.
— ke, die Deminutivendung. Vgl. Wtb. 68 b stirke, jerke, rosinken.
Sonst — chen, siehe Wtb. 44 b 76 83. Nachtr. 20 b . Deminutiva
mit — eh en, wie b eßehen , schetz chen, finden sich selten
rein. Meist wird eine andere Silbe zwischen geschoben, z. B. die
Pluralendung — ER: sclietzerchen, ken de rohen, kelber
chen, kl-erchen (Kühe), maiderchen, Ketterchen (Käth-
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 285
dien); die Femininendung — inne, in Kiismark — enne: mai-
dennchen, Kettenchen (Käthelien); die Deminutivendung—
eiein: J’eiselainchen (Jesuleinchen); — el: äi gelegen,
besselclien, bißchen; — eler: aiglerchen; oberdeutsche
Formen, wie: schetzelain, Kettelain sind seltener, wenn
auch nicht unerhört. Diese Fülle von Deminutivendungen wird
noch vermehrt durch slavische Endungen, die eingedrungen sind,
wie— iz, — utsch, — usch und ull. Man hört s chätzuseh,
Kettuseh, maidusch; schätzuschchen, Kettuseh-
clien, maiduschchen, beßuschchen, b eß uts chchen,
ja sogar bessutschkelchen, was immer noch soviel bedeutet
als bißchen; Kettizehen, Kettizusch, Kettulle, Ket-
tulchen. Sogar das Adjectiv wird ergriffen: winz- usch-
ich, e winzuscliijer winzig, ein winziger; kleinutschen-
dich, siehe -endic.
keinmand, niemand. Schon in der Zipser willekur §. 1: keinman.
mainstwegen, meinetwegen.
manchter, manichter, mancher.
nischt, nichts; nech, nicht. Vgl. Zpsl. 2.
ob, eib, ob.
pls-chen n. kätzehen. Es hat geschmeckt, so kann er izt von
pis-clien sichs maul lecken lossen g<5in. nd. s. Wtb. 42.
sai: bin. saiwi schlecht, wie immer (aus es sei wie immer);
hi setzt siclis niicli saiwi, hier sitzt sichs nicht schlecht,
sai wer quiseunque, sai was, quidcunque.
-sehe, der nachbarsche stolz, der b eamtensche garten,
seter, selcher, sileher, (-sülcher), sotaner, solcher,
söu gern: so gerne (wie im schlesischen), österreichisch a so! d. h.
was weiß ich! si sägens nor seu gern, sie sagen es nur im
Scherz, es ist ihnen nicht Ernst.
sich, in hi setzt sichs nech saiwi (s. d.), lii me eilt sichs.
hier macht es sich, ist es angenehm,
teile, d. i. einige von vielen, of Micliöile heizen teile, of
Galle höizen alle,
tschweschen, zwischen.
täglich, spr. tiglich, sehr. Das Gesicht glüht tiglich.
-utsch,:Deminutivendung, siebe unter -ke.
verp ü st, verstaubt. Vgl. p ü s i ch t. Wtb. 42-
I
286
S c h r 8 e r
was, für der, die, das, wird eigenthümlieh gebraucht, indem er, sie,
es dem darauffolgenden Subject noch ergänzend nachfolgt: der
juann was ich nen deu se, der mann den ich (ihn) da sehe,
di fr au was ich se deu se, die Frau, die ich (sie) da
sehe, es kend, was ich’s deu se, das Kind, das ich (es) da
sehe; was er, was se, was es, erscheint auch so häufig für
demonstratives der, die, das, Genitiv; was sain, was ir, Dativ:
was nen, wäser; Accus, was nen, was se; ich, der-wird aus-
gedrückt mit ich was ich, und so fort: du, der - du wästda,
er was er, hir wäsher (wir, die), ir was der, si wäsen se.
wäsperer, wäspere, wasperes, qualis, wasvore, was für ein.
was voreiner, was für einer, ewäsperer, ewäsprijer,
der wasprije.
weter wietaner.
westhalb und wenstlialb, weshalb.
Eigenthümliehe Ausdrucksweise,
au hi wet für ach, hier wird — au g6in s e! für gehn sie nur! au
guttchen! gut, gut! aujuichen! ach! — Dies au ist nicht auch;
es entspricht eher dem schlesischen o ck bei Jeroscliin o g. — Hast du
mich lieh? Antwort: und hä ich dech necli? für: und wie sehr! —
Als Beispiel der Vorliebe für Deminutiva stehe hier eine Strophe
eines „studentenlides“ von E. Lindner.
vil beß als bai aich schennerchen (schinder)
aus aiern lausijen heftereben
ler bir bai di maidennerchen
all aire wissenschäfterchen.
Klein - Lomnitz*) im Niederland.
Der botreugene 1 ) Taibel.
Wi di bauern s’fald 12 ) bosset hän 2 ), ess der Taibel geschwend
zu se gän 8 ), an 4 ) hat gesägt: di halbe walt i2 ) ess maine, ant ich
well euch B ) von der arnt 12 ) main teil krigen. di bauern wären aber
geschaid, bä 6 ) si hän en di undere halft 12 ) zu gän 12 ) vorschprö-
chen; äber der Taibel häl di eubere halft 12 ) gewollt. — si hän nont
müren ens ganze fald gesät, ant wi di teilung hät sollen sain hän
*) Von der nachfolgenden Sprachprobe, die mir ebenso eingesandt ist, gilt dasselbe,
was Seite 279 zu der aus Leutschau bemerkt wurde.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 287
se di müren var 9 ) sich hehalden ant en Taibel sain di gälen '*)
blatter 13 ) übrich gebliben. wis ofs andere jäa ess kom, hat der Taibel
en veulen s ) zorn gesägt: „itzern 10 ) well ich di undere halft hän!“
— da hän di bauern weizen ant körn gesät, ant wi zum andern
meul 5 ) diteilung 11 ) hat sain 11 ) solln, hän sich di bauern di ärn
genumm ant en Taibel sain di stoppeln ibrich gebliben met wetten
(wie tänen, Nachtr. 18) er di hall 12) gebeizt hät.
*) Unser be — ahd. pi lautete daneben auch im 8., 9., 10. Jahrhundert zuweilen
b a-, p a-, p o-, Graff. III, 5. Aber „selbst Nhd. läßt sich in älteren Urkunden
zuweilen noch b o- für b e blicken“. Grimm. Wtb. I. 1202. Es wäre den Gegen
den nachzuforschen, wo es am längsten haftete. In Krh. p o- ebenso „cimbr.“
Wtb. 33.
2 ) Bemerkenswert ist, daß wir hier die zusammengezogene Form h a(be)n (Mhd.
hän h an Mhd. Wtb. I. 595. Hahn gr. I, 75.) finden, bei welcher das B wie im
mhd. und in den md. und alemann. Mundarten ganz ausfällt (s. z. B. Weinhold dial.
129. Stalder I, 47 u. a. Schmell. §. 954), indem wir in den Gründen das ost-
lechische h ä m (= h ä b n) antreffen, welches das B nicht ausgeworfen, sondern
mit dem N verschmelzt hat (Schm. §. 954).
3 ) gän, ist das mhd. gegän (für das sonst übliche gegangen) s. Fromm, zu
Herbort vers 6774 andere stellen mhd. Wtb. I, 463.
4 ) ant und, nähert sich der ältesten ahd. Form a n t i. Da in Klein-Lomnitz a sehr
oft für e und e steht (s. unten Anm. 12) kann es auch für ent (ahd. e n t i, in t i)
stehn. Dem hochd. unta, später u n d e, u n t, und steht es jedesfalls fern und
näher dem Altfries, an de, and Angelsächs. engl, and, Altsächs. endi mnl. en.
5 ) Das e u unserer Mundart, dessen Aussprache manchmal einem o u nahe kömmt,
steht für mhd. ou (d u c h) für ä (meul) und für unorganisch verlängertes o
(zu 6: veul, e ubere, betreuge n). Vgl. Wtb. 29 (wo es au geschrieben
ist). Nachtr. 43a.
6 ) b ä: denn s. die kalibe Anmkg. 100. Vereinzelt steht hier schon ein B für W,
das in den Gründen so allgemein um sich gegriffen hat.
7 ) S. oben 5 ).
8 ) nont: nur s. die kalibe Anmkg. 13.
9 ) Vgl. die Zündrute, Anmkg. 5.
10 ) mhd. iezunt, iezent aus iezuo, ieze in Nürnberg e i z, eizct. Fromm. I.
131, Gr. gr. W, 120, 217. I; 528 wird hier zu itzern. In der österr. Mund
art (auch in und um Presburg) hört man die bemerkenswerten Formen,
h i a z a, hi a z, h { a z t und h { a z t e n (Vgl. goth. h it a: aprt Gr. III. 120.
Angels, geta?) Fromann I, 290, 10, II. 140 V. 505 u. s. w.
A1 ) Das e i ist zu sprechen wie es geschrieben ist (also nicht — a i) es nähert sich
dem e in Schlesien, Obersachsen, md. nd. Gr. gr. I s , 258, 284. Weinh. dial. 34
Schm. §. 14—151. Daneben entspricht ai mhd. i (was westlich des Lech fast
umgekehrt der Fall ist) s. Wtb. 65 a .
12 ) a für e, ä zeigen hier die Wörter hall, amt, halft, blatter (Hölle,
Ernte, Hälfte, Blätter). Dies altursprüngliche a hat aber auch a für e neben sich,
f a I d, walt g al e n, gän (f e 1 d, weit, gelben, geben). Vgl. Weinh.
dial. 22. f.
288
Schröer
bäsgäge, f. Basgeige.
houi n. Heu. In Waldorf hui. Nachtr. 33. nnl. hooi.
Morgentag m. Marientag.
r een: regnen,
schwadern: plaudern.
tuek: schau; sonst kuck, auch hennebergisch tuek s. Fromm. 11.448.
Kniesen im Niedcrland (eingcsant).
Gib a ditchen i) en di bromme 3 ) , dann wäber 8 ) alle zwiine
(zwei männer) met fuijain 4 ).
Gimra beszchen stenke 5 ), dann wäber 8 ) ens Seneblä“) met
schlättern 7 ).
Frau neupern (nöpern), hait 8 ) mer aire findelinde») durch de
floite i»); laiht mer aire tippetappe “) ant (en) schiß zinüben! i 3 ),
!) ditch en n.: Groschen, Deutchen, nd. d ü t j e n, s. Wtb. 44b und Gr. Wtb. II. 1767.
2 ) bromme f. Baßgeige, Brummbaß. Vielleicht schon mhd. Gr. Weistümer II. 164.-
b rum me. Bei W. Scherffer (-{-1674) aus Oberscblesien: die große bromme
From. IV, 166, in Krickerhäu, Kremnitz bromm. Nachtr. 19&.
3) So wie in Krh. und Dpsch. ist der Stammlaut von werden A geworden (wie
schles. Weinh. dial. 124); ech wA, war (Krh. ba Dpsch. harr), wir
waren (b a n) : werden, s. Nchtr. 49 b ber wir, auch schles. Weinh. dial. 76.
4 ) fui-ja-en: tanzen? Vgl. allenfalls madjar. fuj, er bläst, woher sl. fugäk:
Wind, f u g a r a große Pfeife der Schat.iirten. Jungmann I. 636.
5 ) stenke n. etwa für stampchen, ein kleines Maß von Trinkbarem („ein
Pfiff«) Nachtr. 48*>.
6 ) „Neu-Lublau.«
7 ) schlittern, im Kote waten. Vgl. ahd. slöte f. der Schlamm Graff VI, 792
in Baiern schlott, schlutt, schluet f. der Schlamm, Schlotten»
schlottern, damit zu schaffen haben. Vgl. Nachtr. 46s schlieten.
8 ) h a i e n, werfen. Vgl. g e h e i e n. Schm. II, 132.
9 ) findelinde f. Der Haspel, Andere Ausdrücke dafür, wie: gippe f. t e r r e-
fere f. tod m. sind schon Wtb. 44 angeführt.
*°) floite f. Bodenwand, etwa die Fallthüre oder die Öffnung der Decke zum Dach
bodenraum Vgl. schles. fleute f. viereckige Wolltafel. Weinh. 223.
41 ) Vgl. Wtb. 44».
l2 ) Schieße zum ofen (d. i. in den Ofen) n. in Schlesien die schosse.
Weirb. 87. Ofenschüppe zum Broteinschießen.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 289
Pudlein im Niederland*).
Nischt 4 ) und a was 1 ).
S’wären 9 ) ameul 2 ) zwe beider 4 ), von dann 8 ) hat 3 ) einer 7 )
nöch 4 ) gewollt orpen 5 ), wail 7 ) nen’s 0 ) geld nech 4 ) glaich 7 ) en’s 4 )
maul 2 ) gefleugen 2 ) ess 4 ). dar 8 ) hat 9 ) en 4 ) ein 7 ) steck 4 ) gesägt:
wü 13 ) nischt 4 ) ess 4 ), kan 9 ) euch 2 ) nischt 4 ) derzükomm 10 ). er
ess 4 ) sain 7 ) ganz 9 ) laben 8 ) läng 9 ) der orme 9 ) brüder Wunischtes
gebliben 4 ), wail’s’nen 8 )nech 4 )en 4 ) kopp gän 10 ) ess 4 ), met 4 ) klein 7 )
an 11 ) änfäng 9 ) zu machen 9 ), em 4 ) bald 9 ) a 71 ) greszer derspär
ness 9 ) zusäm 9 ) zubreng 10 ). a se'u 2 ) hat der jengere 4 ) nech
gedacht 9 ) dar hat vorstandiger 13 ) als 9 ) der aldere 8 ) geredt; „was
nech ess, das kan wären, dar hat met klein ängefän 10 ) und l4 ) hat
das beszchen was er vom väter gekrickt 15 ) hat, schein 16 ) hingelegt
und aufgehoben, und durch sain sparsam laben genug vil zusäm-
gebrächt. n’ anfang ess es pomahlich gän aber dar 17 ) hat sich an
sain sprecliwört 18 ) gehalden 19 ), was nech ess, kän wären! und das
hat nen fort en der orpt nai bostarkt 20 ). hernächen 31 ) ess es baßer
gän und durch sain flaisz häters a seu wait gebrächt daß er a raicher
man es woren und hat die kender von sain brüder 14 ) Wunischtes,
dar salber nischt zu baiszen und zu knägen 21 ) gehät, dernärt.
*) Eingesant wie die Sprachprobe aus Leutschau s. d. Anmerk. *) Seite 281.
1 ) a was: etwas. In den Gründen a b ä s, a b e a, ein was, etwas, einwer, etwer
(irgend wer), h a 11 a b a s haltein was; halt a b e a, halt ein wer; haltabitter,
haltabittener, halt einwietaner, d. i. ein übelgetaner, beschaffener. Nachtr.
18. Wtb. 104, 55. Zur kalibe Anmkg. 48. Vgl. From. VI, 265, 13: a wei —
ein wie?
2 ) mhd. ou ist e u: euch (ouch); hingegen ü: au maul (mül); ebenso ä, ö:
a meul, a seu einmal [einso ?] also; bemerkenswert ist, daß bei den Wörtern
der Ton auf der zweiten Silbe ruht, wie auch bei n was, n b e a Anmkg. 1; für urspr.
kurzes o: gefleugen.
3 ) hat, gedacht sollten heut, gedeucht heißen und sind Ausnahmen, denn
mhd. a ist e u. Alle übrigen a werden zu ä, a; reines a steht nur wo ä, e, e
stehen sollte (zuweilen auch für ei in a: ein).
4 ) e steht hier überall für i oder ü; außerdem nur in vor und Bildungssilben oder
einsilbigen Wörtern, die nicht hoch betont sind (der aldere; aber: dar
hat); eine Ausnahme macht beredt, das fast wie b e ri d t klingt und gelegt,
5 ) orpen orme — ärpen ilrme. Vgl. Anmerk. 3.
6 ) nen: ihn und ihm; urspr. wol nur für ihn und aus mhd. inan, inen zu
erklären? — Auch in Kesmark s. Wtb. 49 a ,
7 ) mhd. 1 immer AI, hingegen EI: El. S. Sprachprobe aus Kleinlomnitz. Anmerk. 11
290
S c h r ö e r
8 ) e ä e ae betonter Stammsilben werden zu a bei Verlängerung (in mehrsilbigen
Wörtern, wo nicht Position die Kürze veranlaßt) a vgl. Anmkg. 3.
9 ) Vgl. Anmkg. 3.
l0 ) der zükom, zusämzubreng für darzukommen, zusammenzubringen, neben
beliben scheint zu zeigen, daß das en nur nach position bildenden Consonanten
(auch kommen, indem es nhd. 'nicht zu körnen wurde, gehört hielier. Vgl. kann
Wtb. 29 a ) wegfällt. Doch würde ich angefän und gän für angefangen, gegan
gen nicht durch den Wegfall des gen erklären , sondern aus den md. Formen
gevan. Bei Jeroschin 103 a s. mhd. Wtb. III. 202 und ge gän s. Sprachpr. aus
Klein-Lomnitz Anmkg. 3.
“) Vgl. Anmkg. 3.
ia ) em für um: um s. Nachtr. 49. — i steht nur vor Position (nischt nech) und
für üe: brider: in tonlosen Silben: — lieh — sich.
13 ) ü für a ist md. Weinh. dial. 37, 13. vor — für älteres vur — (mhd. ver—)
ist allgemein md Weinh. dial. 31, 6.
14 ) u — ü bleibt hier unverändert: und, durch, brüder in den Gründen wird es
meist o in Knh. eo.
15 ) k für g sonst in Krh. kegen, in der Zips kucken, in den Gründen ver-
laken (gegen, gucken, läugnen).
16 ) 6 wird e, ei: greszer schein.
17 ) dar, der, häufig für er auch in den Gründen.
18 ) wärt auch schles. md. wol schon bei Herbort s. vers 2384 Weinh. dial. 32.
19 ) Vgl. oben der aidere; die Erweichung des d nach 1 auch schles. Weinh. dial. 63.
vgl. Gr. gr. I 2 , 393 f. 409.
20 ) Zu bo vgl. die Sprachpr. aus Klein-Lomnitz Anmkg. 1.
21 ) knagen: nagen, ist nd. Auch in Aachen. Müller Weitz 113. Schwed. g n a g a,
ahd. g i n a g e n. GrafT II, 1014, mhd. md. genagen, gnagen, mhd. Wtb.
II, 296. Weig. Schmitth. II, 239.
\
Schelte:
Nain kriminaid! du verfluchter kerl, nain zentnerschwärer doner
sol dich derschleun. ’s krempchen! di an (?) sol dich sehitteln,
schmaisen, warfen! brech hals und gebein! solst krepiern wi a hund!
Du Kropok, Supok (Pole)!
du leinerner Jeisop (Joseph)!sagt manzu einemmatten Jüngling.
Hansel, schmück de gale ai di mängel (Hüfte) daß se louschte
(links) wet anzihn. S. unten „einzelne Ausdrücke“.
Namen:
Äde Adolf.
Hansel, Honsel Johannes.
Jax, Jakobus.
Jeisop, Joseph.
Kettchen, Käthchen.
Lüde, Ludwig.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 291
Einzelne Ausdrücke:
bawi; wie denn nicht! ja wol! ha ja: ja, aus was wie, was ja, wie
mlul. waz dar, mnl. wattar, mundartlich warne, wa gilts
(schweizerisch). Fromman V, 403, VI. 90.
belemmert: betrunken. Ygl. belempern Wtb. 77\
beschaigelt: betrunken.
euter f. Eidechse. Ygl. hennebergisch: ederess, f. Fromm.VI, 472.
Daneben die alten Nebenformen audex f. in Bern: eutaclis n.
Fromm. YI, 474 f. vocab. von 1420 audechse. ags. ädhexe.
femmel, m. Blindsclileiche, blender fernmel!
heup m. Hof. So auch in Ksm. Nchtr. 32 b das f (= nd. f) wird zu p
auch in schepp, schab: schief, im Westerwald. Schmidt 173.
„kackelake f. Fichtenrinde.“ kockalatsche, kockelouzen,
Tannenzapfen. Kesm.
kolende f. So nennt man das Zeichen CMB (Caspar, Melchior, Balt
hasar), welches die um Weihnachten und Dreikönig singend um
herziehenden, milde Gaben einsammelnden Cliorschiiler (auch im
Gefolge des Schulmeisters) an den Thüren zurücklassen. Eine
Sitte die aus einer Zeit herrühren mag, wo sie als die ausnahms
weise Schreibkundigen betrachtet wurden, die mit diesem segen
verleihenden, gespennsterbannenden Zeichen sich für erhaltene
Gaben dankbar zeigten. Im Slavischen heißt bekanntlich koleda
die Sitte dieses Umzuges selbst und hier berührt sich das Wort
mit slav. kolo Rad, radförmiger Kuchen (Sonnensclieibe?).
Palkowitsch erklärt das slovakische koleda: Neujahrsgabe,
Kalende, Neujahrsumgang der Pfarrer, Dankovszky das mad-
jarische koleda: benedictio domorum circa festum trium
r egu m. Sonst madj. k o 1 e d ä 1 er bettelt, sammelt,
louschte links. Vgl. Wtb. 78 b luetscli und madj. lusta, träge,
mängel, mongel f. Hüfte; zu mhd. anke f. gelenk?
more m. der Alp, slovakiscli mura f. bei Palkowitsch incubus.
papulle f. Wange, zu pappen, essen, Nachtr. 16 b schon lat. pap-
pare die sl. Endung -ulle auch in pitschulle. Wtb.
36 b . Weinh. 10: bitschole.
parchen m. kleiner Garten längs der Stadtmauer; eigentlich Umzäu-
mung, Pferch, Park in Schlesien, s, Wtb. 32.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XUV. Bd. II. Hft.
20
292
S c h r o e r
parsehke f. die Schnauze.
scherze f. Brotanschnitt. Vgl. Schmell. III. 405.
schlamp er dien f. Messerchen.
sein: ich sai (bin) s. auch MzfT. du best, er ess, wir sain
saider, se sain, ich sai gewäst, gewäsen,
scharre, tscharre f. die Rassel. Vgl. tscharrom, rasple.Wtb.46“
zu ahd. skirran, skerren, scharren Gr. gr. II. 39 er 428,
Graff VI, S38 (daselbst auch skerra f. strigilis). Schm. III.
386, 389.
werden: ich wa, du west, erwet, wir wan, erwat, se wan.
wulperchen n. Heidelbeere. Vgl. Schm. IV, 53. Wth. 105 b in Aachen,
wolber Weitz. 263.
Zahlen:
2 zweine, zwu, zwä
5 fenf, fenbe
6 sex
16 sachzen
10 zän
11 elf, elbe
12 zwelf, zweihe.
Aus der Bäil (Bela).
An der Grenze zwischen Niederland und dem Garstvogeldialekt.
Beiler stecket*).
Nach vorrichtteri) orbt es a Beiler en wald' gän 2), em zu
sän 3 ) was er am ändern tag zu tun hat. Wi er eseu 4 ) geit hat er
offem beum (boum) Goterchen 5 ) gesen 3 ). dar 6 ) hat itzern 7 )
riech gewost was das fär veigel sain 8 ) und hat se fär bailige 8 )
*) Die Beier sind die Schildbürger der Zips. Ähnlich sind die Böeler, DittebüIIer in
Schleswig verspottet. S. Müllenhoff, s. 91 f. Ein Stadtnotär in Käsmark, Namens
Thomas Gosler aus Holstein (um 162.7), konnte diese Schleswig’schen Scherze
kennen und den benachbarten Beilern, durch die Ähnlichkeit des Namens verleitet,
angeheftet haben. Übrigens wird auch die Geschichte aus der Eiflergegend Firme-
nich III., 243, von dem Stier, der das Gras auf dem Backofen (in Bela auf dem
Thurme) abfressen soll, mit einem Strick um den Hals hinaufgezogen und erwürgt
wird, von den Beiern erzählt. Über Erzählungen ähnlicher Art von Schiltbürgern
Krähwinklern u. a. s. Gödecke Grundriß Seite 424. f. — Das Obige ist wol aus
Bela, jedoch nicht mit der erforderlichen Strenge mundartlich gehalten; die
Schriftsprache hat überall eingewirkt, ich unterstreiche die bedenklichsten Formen.
Versuch einer Darstellung (1er deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 293
gehälden. der jäckt °) en di Beil und häts flucks en magisträt der-
zäilt däsz en wald haiiige veigel off en bäum ir nest hän. di Beiler
han glaich 8 ) a leiter 5 ) genom t») und sain endam«) se di leiter
derleings getragen bau, in wald gän. Wi se aber zon wald kom,
hän se se nech gekont wattersch trägen, bä 11 ) de beim hän vorge-
hälden. Die hacken izt alle beim aus und hän aseu 4 ) schir en ganzen
wald vornfcht *)• Of di lazt 12) sain se baim beum änkom wu di
veigel wären und hän di leiter an beum ofgestellt; äber si wär vil
zu kürz, izt han se di leiter of di sait gelegt und sain einander off de
köpp gestän 1S ) biß der eiberste es nest derreicht bat. wi der
eibere schund di band neu’s 1 4 ) ausgestrackt hat, kraischt er far
lauter fraid: „ich hä 15 ) se schund!“ und der mderste, em se am
boschwendsten 1(i ) zu sän, es hervorgsprong eips 17 ) wär es, däsz er se
schund bat. wi der underste waggesprong es, sain alle einer offen
andern geflogen und nond 1S ) der eiberste hat sich an a zwonke
derwoscht 20 ) und es bahn 21 ) gebliben. Däsz se nen räpper krigen,
schmessen se beil ant 22 ) ax off nen un hän nen ganz zuhäckt. doch
es er hernächer runte gefalln, wail man nen di händ met a beil ab
gehackt hat. si hän nen genum und euch di leiter und sain met nen
gän en di stät Beil.
!) vor — ver — s. die Anmerkung; 13 zur Pndleiner Sprachprobe.
2 ) gan, gegangen. S. Leutschauer Sprachpr. Anm. 9. Kleinlomn. Anm. 3.
3 ) sahn, sehn, mit unhörbarem H mhd. sehen; hingegen weiter unten part. praet.
gesen, wo gleichfalls das II unhörbar ist (in der öst. Mund, segn, gsegn) aber
IS für A (ein Fehler des Aufzeichners?) was aus mhd. gesen (ja selbst gesin
Wackern. I. 775, 7 ein mnd. Bruchstück des 13. Jhs.) zu erklären wäre.
4 ) es eu und weiter unten a s eu. Dies ist nun schon deutlich eine Ungenauigkeit des
Aufzeichners (obwol mir die Aufzeichnung als „durchaus zuverlässig“ zugeschickt
wurde). In Mzsf. sagt man asou oder aseu in Krh. asü Smln. asö. Plsn. es öd e
Wtb. 97 zu mhd. iesa? s. Schm. III. 176: pfälz. uese.
5 ) Göterchen. Dies soll in B. Benennung einerLerchenart sein (?), wodurch obiges
doppelsinnig wird. Schmeller führt II, 82 aus p. Abraham auf: götl f. elster. Ich
kenne nur den öster. Namen a 1 s t e r k a d 1 f. Elster, was eine deutende Umstel
lung der Laute von alid. akalastra scheint.
6 ) dar (der) er, s. Zpsl. Anm. 15, Pdl. 17. A für E weiter unten in endam. vgl.
Kleinlomn. 12. Wtb. 48.
7 ) itzern, vgl. Kleinlomn. Anm. 9.
8 ) sain sind, glaich, leiter, heilige (mhd. sin [conjunct. Form für indic.]
glich, leiter, heil ec), so hätte der Aufzeichner wol, nach Analogie s. Leutsch.
Anm. 3 schreiben sollen; er schrieb aber laiter, haiiige, was ich zu ändern
mir erlaubte.
20*
294
S c h r ö e r
9) jäckt, jagt. Jagen biegt in solchen Mundarten, welche vom nd. oder vom md.
beeinflußt sind, stark: du jagst etc. ich jug, nd. ich jöck ul. jo eg (spr.
jug) hingegen ahd. jagota mhd. jagete, jagte etc.
10) genom, Wegfall des — EN, s. Zpl. Anm. 9. Pdl. Anm. 10.
11) bä (aus mhd. wa, wo)'denn Smk. Anm. 100. Kleinlomn. G.
12) of di lazt (= auf die letzt) für zuletzt, die letze ist mhd. Ende, Abschied;
z ein er letzte geben, s. Schm. II. 529, könnte auf lat. laetitia ahd. lezzn,
goth. latjan zu erwägen sind erinnern, wenn auch hier eher vgl. Schm. II, 518,
G31: letitzel, litzel etc. — Auf die letzte (sc. Zeit) gilt jetzt auch
in anderen Mundarten (neund. u p et lest), sowie überhaupt letzt statt 1 e t s t
für lest (aus le[zi]st) auch im Oberdeutschen durch das md. aus dem nd. ein
gedrungen ist.
iS) gestan, gestanden für gestiegen, vgl. Wolfram : s i h a b t e n sinen steg-
reif: sus mu'oser von dem orse sten (= steigen).
14 ) neu, nach, Wegfall des H und CH ist schon besprochen. Nachtr. 30 b .
1 5 ) ha, ich habe. Österreichisch laßt das B nie weg : h ab, hingegen schweizerisch
ha. Stald. I. 47. mhd. (d. h. alemannisch) ich han, md. lindet sich bei llerbort
sogar (3 Mal reimend) h a für den Conjunct., s. Fromann zu Herb. 3755. Gr. gr.
12. 966.
16) boschwend geschwind, bo — po — für be findet sich auch sonst. S.
Kleinlomn. Anm. 1. Hier steht es für g e.
1 7 ) öp ob, schlesisch eb. Weinli. dial. 37 scheint für üb ahd. ubi (Versetzung von
ibu Dativ von iba Zweifel) zu stehen.
16) nond, nur, auch in Kleinlomn. Stss. Smln. Mzsf. Sink. 87, 99.
i'9) z w 0 n k e f. der ast. Etwa = z w e i s e 1 der Bedeutung nach.
20 ) derwoscht, erwischt. Die Nebenform wüsche, wusch e, kömmt schon mhd.
vor mhd. Wtb. III. 764.
21) hAhn hangen. Das II unhörbar, vgl. 3, mhd. hähen ahd. hähan.
Garstvogelsprache.
Katt rack har as lapp*), ech gä der a schmatz,
haber häber haber euch gald, aber häber kein häber, häber
euch kein gald.
l) la p p, Neutr. in Käsm. läpp (nicht lepp), Neutr. L ip p e ist aus dem nd. einge
drungen für hd. 1 e f z e. Altfries. 1 i p p a ist masc. vergl. schwed. 1 ä p , masc.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 295
Dopgaard.
A. Sonklar von Innstädten theilt eine mundartliche Sprachprobe
von da mit in seinen „Reiseskizzen aus den Alpen und Karpathen“
Seite 146 ff.
„En Meteu a ) hot dedjint i) 4 ) Mischkes Mecheu 2 ) baim Gou-
dainernen 3 ); dou hot dedjint ouch eine ous Kjismark 4 ) fer 6 )
a kechen, die hot deheißen Kjattusch 4 ). En äufang (oonfong) hon
se sich nond 6 ) a sü an deuuekt 7 ), 2 ) dann hon se eins zu s ondere
de uaeht a ). of die uatzt 2 ) hon se sich ouch dewout. Arne 8 ) a su
lange 2 ) as se dö wör, wor sn a su gut, a sü frülich. Wie se ofs
neue jör es anheim degang, worein asü bang a sü ueid 2 )! en wenter
hot er zu er nech dekunt komm, en sommer hot er sich nafza 9 )
ofdemacht end es deuufen 2 ) bis ens 10 ) Kjismark zu er. en der nacht
um eube, zweube 2 ) eser zu er dekom. Kam 1J ) hot er mit er deret,
hot er schun demust hdim gm 12 ) etc.“
Das die Mundart „verdorben und mit slavischen Articulationen
durchsetzt“ sei, wie Sonklar a. a. 0. angibt, das scheint nach dieser
Probe nicht richtig.
Sonklar hebt noch hervor, als besonders bemerkenswert, die
„butterweiche“ Aussprache des R, die ich Nachtr. 43 zu schildern
suchte.
x ) de für ge zeigt eine kindliche Sprache, wie Siebenbürgisch zuweilen tlinkig,
tin zig für klinzig, tlidchen für Kleidchen. Fromm, V. 368. Hennebergisch
tle klein, tladle, Kleidchen, tlippertle, klipperklein, tann, kann. Fromm.
II. 497. Ferner tuck, guck, vgl. oben S. 288, troß, treif, groß, greif, daselbst
498. Auch in Obersachsen hört man tleich, gleich. Ähnlich tl und tn für gl und
gn am Mittelmain, Oberisar, Oberinn, Rottal, Ilz* Schmell. §. 476. ln Häufler’s
Sprachkarte finde ich noch bemerkt, daß man im Leitmeritzer Kreise d für g
höre. — degang zeigt, daß das anlautende g in der Stammsylbe bleibt; das
Nachtrag 43 b angeführte de = dang scheint demnach unrichtig.
2 ) Das L scheint überall im An-, In- und Auslaut zum Vocal U geworden. Meclieu
Michel, g o u d, wout, Gold, wollt, deuuekt, uatzt, uaeht, gelugt, letzt,
lacht; dies sind Beispiele, so auffallend, daß man die Verwandlung aller L für
möglich ihält. sü lange sieht unwahrscheinlich aus neben di uatzt; es soll
wol auch sü uange heißen, frülich für früuich könnte bei alledem stehn,
da hier das L den Anlaut einer tonlosen Bildungssilbe bildet und in diesem Falle
vielleicht weniger der Erweichung unterliegt. — Der Übergang des L in U er
scheint bei Niederländern (Grenznachbarn der Franzosen) und Südslaven (Grenz
nachbarn der Italiener) im In- und Auslaut. Gr. G. D. S. Seite 319 f. im schle
sischen Weinh. Dial. 66. Fromm. II. 600. Im Anlaut ist die Erscheinung wol
296
Schröer
unerhört und erinnert nur an halbwegs Ähnliches im Schwedischen, wo Ij us =
jus klingt, also L im Anlaut wegfällt, oder j atzt in D. Praben = herz, wo
das h vom Vocal verschlungen wird.
8 ) goudainerne, der Pfarrer, halte ich für ein erweitertes g o 1 d a i n e mhd.
der guldine, der goldene. Durch mundartlichen Misbrauch ist an die nicht
mehr verstandene Adjectivendung — ain, eine weitere (und zwar gleichfalls
aus einem verirrten Sprachgefühl entsprossene) adjectivische Endung — ern an
gehängt worden (wie in beinern, steinern) und so entstand dies gol
den e r n e. Vielleicht ergibt sich für die, die mit den Localverhältnissen von
Hopgaard näher bekannt sind, eine Erklärung, wie es gekommen, daß dort der
Pfarrer der goldene genannt wird. Vgl. diu guldin nöne, diu guldin messe
Schmell. II., 34.
4 ) Kjismark, dedjint, Kjattusch, zeigen eine Art der Präjotierung, die auf
die an das altnordische erinnernden Gesetze, die den Nachtr. 33 f. angeführten
Fällen zu Grunde liegen, nicht zurückzuführen sind.
5 ) fer a, für eine = statt einer, findet sich auch sonst in der Zips.
6 ) nont, nur, findet sich auch in Bela, Kl. Lomnitz und in den Gründen. S. Schmöln
kalibe. Anm. 87.99.
7 ) lucken, lugen, ist in der Zips und in den Gründen allgemein. S. Wtb. 78 b .
8 ) ame, aber — aberne? Vgl. frailichtan.
9 ) n aff za, hernach, wie offa. aus anfangen. Nachtr. 43a aus: anzufangen.
10 ) K e s m a r k ist Neutrum.
lx ) kam, kaum hat österreichisch. Vocalstand.
12 ) gin, gehen, so auch schles. VVeinh. Dial. 43 md. Schmell. §. 208.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 297
II. DIE GRÜNDENER MUNDART.
I)ie vorzüglich bergbautreibenden Gegenden der Zips werden
daselbst die Gründe*), als Landschaft mit einem gemeinsamen
Namen in den Gründen bezeichnet, s. Wtb. S6 b ; von letzterem
Dativ das Substantiv der Grün den er, d. i. der in den Gründen
wohnende. Die Mundart des Gründener unterscheidet sich merklich
von der der übrigen Zips (des Zipser Oberlandes, des Garstvogeldia
lekts, des Zipser Niederlandes und der Städte Leutschau, Neudorf
und Umgebung), wenn auch nicht so wesentlich als bisher ange
nommen wurde**).
Es sei daher gestattet, die Mundart der in Klammer bezeichneten
Gegenden zum Unterschiede von der in den Gründen gesprochenen,
ausnahmsweise die Zipser Mundart (nicht Zipser Dialekt, so
nenne ich lieber mit einem Gesammtnamen alle Mundarten des ungri-
schen Berglandes) zu nennen, so wie der Sprachgebrauch in der
Zips auch gründnerisch und zipserisch unterscheidet. Ein
Zipser belehrte mich: „die Wagendrüsseier sind Gründner, spre
chen aber wegen ihres Verkehres mit der Zips mehr zipserisch.
Krompach, nahe zu Wallendorf, spricht schon ganz zipserisch. Das
echte gründnerisch findet sich in den Orten: Schmölnitz,
Schwedler, Stooß, Einsidel, Gölnitz; aber auch in Metzenseifen und
Dopschau, die zwar benachbart sind (die Stooßer besuchen die
Märkte von Metzenseifen), aber nicht mehr zur Zips gehören***).
*) Der Grund, das Seitenthal an Hauptthälern, ist ein auch im Salzburgischen übli
cher Ausdruck. Schmell. II. 115; in der Schweiz wird grund und grat als
Gegensatz gebraucht, wie Berg und Thal. Stalder I. 485. In der Zips heißen
die Seitenthäler an der Kunnert (1299 noch latein. Conrada germanice Chun-
nerth. Wagn. I. 318, 394) oder Kundert (raadjar. Hernad), dem gegen Kaschau
zu fließenden Fluße: die Gründe.
**) S. Wtbcli. 15, wo aus der Ethnogr.. der Österreich. Monarchie von Freih. v.
Czoernig die Ansicht angeführt ist, daß die Zipser westfälisches Niederdeutsch,
die Gründner Oberdeutsch sprechen; Beider Sprachen aber sind Mitteldeutsch.
***) „Die Gründener Mundart wird namentlich in den berghauenden Orten (der Zips)
gesprochen, die zu dem Schmölnitz er Oberamt gehören, das sind Schmölnitz,
Einsidel, Gölnitz, Krumpach, Wagendrüßel, Metzenseifen.“ Korabinsky 680.
298
S c h r ö e
Das Gründener Deutsch wird dem Zipser besonders auffällig
durch die Verwandlung des W in B (durchaus im Anlaut) und durch
ein stärkeres Beigemisch von österreichischer Mundart, der hier
im Durchschnitt nahezu ein Drittel des Wortvorrats und anderer
mundartlicher Erscheinungen zufällt. Dies letztere, so wie die Ver
wandlung des W in B haben die Gründener mit den Krickerhäuer-
orten gemein; die auffallende Verwandlung des F in W bei den
Krickerhäuern kennen die Gründener nicht. Die Verwantsehaft der
Gründener und Krickerhäuerorte erklärt sich daraus, daß beide von
den Bergstädten aus bevölkert sind; das W für F hat vielleicht eine
Zuwanderung (aus Kram?) zugebracht, die nach den Gründen
nicht gekommen ist.
Wenn man den Stand der Voeale ins Auge faßt, so theilen sich
die Gründener Mundarten in solche, in denen das A vorherrscht
(Metzenseifen) und die der Sprache des Ortes Krickerhäu selbst
näher stehn,und in solche, in denen das E vorherrscht (Dopschau)*)
und der Sprache des Krickerhäuer Ortes Deutsch-Praben und der
Zips näher stehn. Die Siebenbürger Sachsen wollen finden, daß die
Mundart des Burzenlandes in Siebenbürgen der Zipser Mundart
am nächsten steht; das lasse ich dahin gestellt sein, bemerke nur,
daß die starke Neigung, das W in B zu verwandeln, die Mundart
im Burzenlande der Gründener und Krickerhäuer Mundart näher
bringt.
Sonst sind die Laute der Siebenbürger Sachsen von denen der
Mundarten des ungrischen Berglandes heutzutage wol schon sehr
verschieden. Ich möchte die ersteren in Rücksicht auf ihre ungetrübte
Eigenthümlichkeit mit starkem ungefälschtem Wein vergleichen,
wogegen die letzteren zum Theil mit anderm Wein stark gemischt,
zum Theil gewässert erscheinen. Das gemeinsame beruht auf Eigen-
thiimlichkeiten des Ausdruckes und auf jener eigenen Färbung der
Sprache, die sich noch zeigt, wenn Zipser, Gründner, Bergstädter
(Schemnitzer, Kremnitzer), Krickerhäuer (auch deutsche Galizier,
österreichische Schlesier) die Schriftsprache reden.
Ein näherer Zusammenhang zwischen Dopschau und Deutsch-
Pilsen ist Nachtr. 49 vermutet worden. Vgl.Czörnig a. a. 0. II., 200.
*) Dopscliau scheint 1326 von ßania (Schemnitz) aus colonisiert und mit Karpfener
Recht begabt worden zu sein. Wagner Anal. Scep. 1. 448 f.
Versuch einer Darstellung- der deutschen .Mundarten des ung. Berglandes. 299
Die Colonisierung der Gründe geschah wol von den Berg
städten her, im XIV. Jahrhundert. 1332 erbaute König Robert
Schmölnitz, urkundlich Smu 1 n u ch-b a nia *). Der erste Theil des
Namens rührt von dem Flüßchen her, das schon 1243 Sumulnuk,
so wie die Gölnitz (das Flüßchen) Gylriuch, Gulnuch, Gul-
nyeh heißt. Fejer IV. I. 290. XI, 403 f. ubi Sumulnuk cadit in
Gulnuch. Einsidel (Eremitae) ward 1338 den Schmölnitzern ge
schenkt; desgleichen Stellbach 1333 (es heißt 1344 noch s. Wag
ner Anal. Scep. I. 204, in vulgari iassyu patak in theutonico Stil
bach = d. i. der stille Bach); Wagendrüßel (Wagendruzel) und
terra Millbach halten von Ladislaus IV. dem Rumänen (1272—
1290) dieZipser Freiheiten erhalten, wie aus einer spätem
Bestätigungsurkunde von 1358 (Fej. IX. 11. 678 f.) hervorgeht.
Gölnitz (Gylnuchbania; zum Jahr 1280 findet sich bei Rey-
naldus **) Gviylnychbana Wagn. I, 193) genoß für sich und
sieben umliegende Orte ein Privilegium von Ludwig dem Großen.
Fejer IX, IV. 364.
Metzenseifen wird zuerst 1376 genannt. Czörnig II. 198, dann
1399, Fejer X. II. 652 f., wo es Meczenzeff und Meczen-
zeffen heißt. Letzteres enthält wol die rechte Form, und ist zu
lesen Metzensefen für Metzensifen (die Form sife kommt
in unseren Gegenden auch noch vor, z.B. 1284: a rivo qui coclien-
sife dicitur s. Kalchelmann II. 150).
[Anmerkung über das slavische Wort baue, madjarisch
hänya.
Das Wort banya bedeutet madjarisch: die Grube, besonders
das Bergwerk, und wenn nun die deutschen Bergorte Schmölnitz,
Gölnitz, Kremnitz, Schemnitz u. s. w. Szomolnokbänya, Gölnicz-
hänya, Körmöczbäny a, Selmeczbänya heißen, so scheint das ganz
natürlich, als ob man im Deutschen sagte: Bergwerk an dem Flüß
chen Schmölnitz, Gölnitz, Schemnitz etc. oder Kremnitzgrube,
Schmölnitzgrube u. s. w.
Anders stellt sich die Sache, wenn man nach dem Ursprung
des Wortes fragt, das zunächst slavisch baue heißt, in allen
slavischen Mundarten verschiedenartige Gefäße bezeichnet, und —
*) 1338; Smulnuch- und Sumulnuch-banya und Gylnuch-banya. Wagner Anal. Scep. 203.
**) In einer Urkunde von 1284 heißt es ähnlich Hekul civis Quilnichbaniä
(„Gwylniczbania“), was die Form Quilnich (Quellunaha ?) bestätigt.
300
S c h r ö e r
nach einer gütigen Belehrung des Herrn Professors Miklosich —
nicht slavisch, sondern auf das deutsche Wort wanne lat. van-
nus zurückzuführen ist. Bergwerk bedeutet es nur in Ungern,
und diese auffallende Erscheinung trifft nun mit einer zweiten
zusammen, die eine die andere stützen. Schemnitz, der älteste
Bergort Ungerns, hieß vor dem Einfall der Tataren wahrscheinlich
nur Wania (nach ungrischer Aussprache vergröbert Bania)*),
wenigstens ist nur dieser Name für die älteste Zeit beglaubigt. Der
Name Sebnitz (bei Kachelmann I. 3. 76 : 13S2 civitas de Sebenich
vocata. 1408 auz der Schebnitz), Schemnitz, ist wol durch neue
Einwanderer nach der Verwüstung der Stadt durch die Tataren
aufgekommen; vgl. z. B. Sebnitz an der Sebnitz im Meissnerlande.
Wenn nun ein neugegründeter Bergort einen Namen erhält,
der mit dem Namen Wania oder Bania zusammengesetzt ist — wie
Schmölnitz: Smulnuch bania — und im madjarischen ist das bei den
Namen vieler Bergorte der Fall — so heißt das so viel, daß der Ort
ein anderes Schemnitz genannt wird, wie Auswanderer den Namen
ihrer Heimat oft auf eine neue Ansiedlung übertragen; der bei
Schmölnitz, Gölnitz beigesetzte Name (Smulnuch, Gulnuch) be
zeichnet ohnehin ursprünglich bloß das Flüßchen, an dem das neue
Wania gegründet ist. Smulnuch-bania wäre also ein Wania an der
Schmölnitz, wie man sagt Halle an der Saale, Frankfurt am Main,
Neusladt an der Orla.
*) „prisca aetate Bana (iiomen urbis est), cives Banenses adpellabantur, dum Sebe-
nicia primum, Schemnizium postea.“ Bel notit. IV. 565 f. Er citiert darauf eine
Urkunde von 1275, wo die Stadt W a n a, die Bewohner Banenses heißen. Auf
einer alten Mauerinschrift in Schemnitz heißt es: Schebnitz, die zuvor Bana
geheißen. Bel. a. a. 0. Germanorum ore Wana sagt Bel in Bezug auf die Ver
schiedenheit des Anlauts. In einer Urkunde Bela des IV. (1235—1270) Fejer IV,
III, 546 (aus dem Original ab ged ruckt) heißt es Wania. In einer
von 1217 Fejer III. 1. 205, freilich wieder Bana (wenn der Abdruck verläßlich
ist; die neue ungr. Wortform hat so vielfach Fejer’s Abdrücke beeinflußt).
1239 erscheint Girardus plebanus de B a n y a, Wagner Anal. Scep. I. 293.
Madjarisch B für deutsches W kömmt sonst auch vor: bognar, Wagner
(mhd. wagenajre, ahd. waganari); baj goth. vai wehe; bilikum: willkom;
bindjd („bingyö“) wintrübe; büköny, wicke u. a. Die rein ahd. Form Wania
um 1250 müste allerdings befremden, wenn man in Ungern nicht annehmen
dürfte, daß solche Formen im Ungrischen , Slavischen , Lateinischen oft länger
fortleben, als in der Ursprache, vgl. Conrada germanice Chunerth um das Jahr
1299, oben Seite 297. So lebt das mittelhochdeutsche hahaere der henker, im
madjarischen höhe r (geschrieben hoher), das mhd. t ü b e, die Taube, in
dem Lockruf mit dem der Magyar die Taube ruft: tübi! u. dgl. m., heute noch fort.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 201
Ich glaube kaum, daß je ein anderer ungrischer Bergort Wania
oder ungrisch Bania ohne Zusatz genannt wurde*); dies ist
ausschließlich der alte Name von Schemnitz, worin mir
allein schon der Beweis für die Richtigkeit meiner Annahme zu liegen
scheint. — Und so muß denn wol angenommen werden, daß dieser
Name, den viele ungrischen Bergorte in ungrischer Sprache mit
einem die Örtlichkeit bezeichnenden Zusatz annehmen, endlich für
den Begriff eines Bergwerkes überhaupt verwendet wurde. Im Slova-
kischen lehnte sich das Wort an das vorhandene Fremdwort bane
an, das eine Wanne bedeutete, nun aber in Ungern zur Bedeutung
„Grube“, „Bergwerk“ modificiert wurde. Der alte Name Wania
scheint aber ein deutsches Wort, und findet sich in alter Zeit in den
selben Gegenden am Rhein, wo die ersten Ansiedler der Bergstädte,
der Zips und Siebenbürgens her sind, als Bestandtheil von Orts
namen. — Die ahd. Form Wania, Wanja erscheint in dem Namen
Wanienhüsen (um das Jahr 776, siehe Förstemann Ortsnamen
1473 f. aus Monum. boica), dessen Örtlichkeit ich wol nicht ange
ben kann, aber das spätere Wanna findet sich 1072 in zwei Orts
namen auf dem Hundsrück, in Wannenbach und Wann e n-wfläri,
s. Förstemann a. a. 0. (neben vielen Wanesbach, Wanesheim, Wa-
nesdorf, Weningoa, die ich aber von den mit wanja, wanna zu
sammengesetzten Namen trennen möchte), was eher zu der Ablaut
reihe got. vinja pascuum, agls. vunjan habitare, altnord, van de-
fectusu.s. w. anzureihen sein wird, als zu wanne, lat. vannus.]
Leider ist Schemnitz, die alte Wanja, der Hauptort unter den
ungrischen Bergstädten, sehr zurückgegangen in neuerer Zeit und
fristet beinahe nur ein künstliches Leben, das gröstentheils durch
nicht eingeborne Beamte, Professoren, Akademiker u. s. w. hervor
gerufen wird. Die eingebornen Gewerken sind lange nicht mehr
maßgebend, die umwohnenden Slaven drängen in die Stadt herein
und repräsentieren das Volksleben in den unteren Classen. Von der
Schemnitzer Sprache, die uns so wichtig sein müste, wenn sie in
alter ursprünglicher Fülle einer selbständigen Mundart als die
Stammmutter der Gründener Mundarten noch lebte, läßt sich nicht
viel sagen. Daß Trümmer davon in der Mundart der Kremnitzer,
„Häudörfler“ und Gründener leben, ist gewiss.
*) Siehe das nachfolgende Wortverzeichnis unter Wania.
302
S c h r ö e r
Es sind diese Ortschaften meist von den Bergstädten aus colo-
nisiert, und ist ihre Sprache auch wirklich mit der der Bergstädte
so übereinstimmend, daß letztere eben nur vereinzelt enthält, was
erstere vollständig und im Zusammenhang nachweisen.
Statt zusammenhängender Proben der lebenden Sehemnitzer
Sprache möge daher nachfolgendes Wortverzeichnis aus Sehemnitzer
Schriften meist älterer Zeit dienen. Es sind Wörter aus dem Schem-
nitzer Stadt- und Bergrecht (nach den beiden gedruckten Ausgaben,
die das Quellenverzeichnis angibt); ferner einzelnes aus dem Sehem
nitzer Stadtarchiv von Kachelmann in seiner Geschichte der Berg
städte mitgetheilt. Dieser begabte und belesene Mann konnte mit
seinem Werke leider nicht durchdringen, weil es ihm nicht möglich
war, den reichen Stoff, den er gesammelt (und für sich wol
auch beherrscht), so zu verarbeiten, daß auch anderen damit ge
dient ist. Wie er aber lebt und webt in seinen Sehemnitzer Urkun
den und in seiner Bergmannssprache, so muste auch sein Stil —
an dem sonst nicht leicht Jemand Geschmack finden dürfte — recht
erzhaltig werden für den, der die Sehemnitzer Sprechweise sucht.
Ich habe daher auch Eigenthümlichkeiten seiner Ausdrucksweise ver
zeichnet. — In Körabinsky’s geographischem Wörterbuche von
Ungern ist unter Schmölnitz ein ausführlicher Aufsatz über den
dortigen Bergbau enthalten, der so die Schmölnitzer Bergmanns
sprache wiedergibt, daß man über seinen localen Ursprung nicht
zweifeln darf; er findet sich hier gleichfalls citiert. — Manches er
innerte mich wieder an die Zipser willekur, und wenn ich daraus
nun einige bemerkenswerte Stellen eingereiht habe, so steht überall
die Quelle dabei und ist nicht zu besorgen, daß sie, indem sie
streng genommen nicht bergstädtisch sind, Verwirrung bereiten.
Es wird in diesem Wortverzeichnis bedeutsam erscheinen,
wenn unter dem Artikel Tische, der Theissfluß (der lat. Tiscia
heißt, nicht Tibiscus = TemeSch s. d. W.), sich ergibt, daß der
Sehemnitzer Stadtrichter einen Mörder verbannen konnte aus allen
Bergsiädten bis an die Theiss; was demnach auf einen innigen Zu
sammenhang der ungrischen Bergstädte hindeutet. Wie das in das
Slavische übergegangene Wort handel, d. i. Bergbau, von jeher
als ein den Deutschen bezeichnendes Wort in diesen Gegenden an
gesehen ward. Wie die unter ächvart, gotteswec, reinfart
(rinvart) üblich gewesenen Wallfahrten nach Köln und Aachen
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des nng. Berglandcs. 3.03
einen alten Zug nach der ursprünglichen Heimat verraten, wie
aber auch eine Erinnerung an das Meer, dem die ersten Ansiedler
der Bergstädte, der Zips und Siebenbürgens einst am Rheine sich
näher fühlten, noch durchschimmert. Siehe m e r. Wie eine in
Siebenbürgen und hier bemerkbare Beimischung von niederlän
dischem Elemente (Flandrenses et Teutonici) sich noch verrät in
der hin und wieder auftauchenden Schreibung des Z im Anlaut und
Inlaut für S (zo: so, zol: soll, waze: base) u. a., wie sich aus
dem älteren Deutsch des ungrischen Berglandes auch madjarische
Wörter erklären, s. höuer, reif, zeche, wie auch das madja
rische zum Theil auf das Deutsche zurückgewirkt hat, s. birsche;
wie Eigentlnimlichkeiten der älteren Rechtssprache der Bergstädte,
mit denen der Zipser Rechtssprache übereinstimmen, s. camper
wunde; wie endlich die gegenwärtigen Mundarten des ungri
schen Berglandes viele ihrer Eigenheiten auch in der älteren
Sprache dieser Gegenden zeigen, siehe envor, vorändern,
k egen (unter gegen), glöuben, keufen, keinman, leuken,
laege, lähter, leinaker, lehen, schiebt, schramm, sife,
snürche, sumendic u. a.
Wortverzeichnis
aus der ungrischen Bergmannssprache älterer und neuerer Zeit*).
Abkürzungen: anal, seepus. = Analecta Scepusii sacri et
profani collegit Carol. Wagner Vienna 1774. 3 Bände. — Cod.
germ. mon. = Codex germanicus monacensis. Auszüge aus
Münchner Codd. von der Hand Schmeller’s, die ich benutzen konnte.—
Kchlrn. = Geschichte der ungrischen Bergstädte von Johann Kachel
mann, 2 Bände, Sehemnitz 1853, 1855. — Korabinsky = Korabinsky
geographisch-historischer Lexikon von Ungern. Presburg 1786. —
*) Die mhd. (eigentlich mittelmitteldeutschen!) Quellen entnommenen Wörter sind
in mhd., die nur in nhd. Quellen vorkommenden in nhd. Schreibung aufgeführt.
Die ersteren fehlen der Mehrzahl nach im mhd. Wörterbuch; die wenigen
Wörter, die schon dort angeführt sind, wurden hier als bezeichnend für die Mundart
aufgenommen. — Das Meere vom Feldbau er das Pfeiffer Germania I, 346—356
mittheilte, gehört der Mundart nach zu unseren Mundarten und ist vielleicht in den
ungrischen Bergstädten entstanden, vgl. Vers 60—61 ; daz man beginnet da von
sagen zuo Vnberc unt zuo Ungern.
304
SchrSer
M. v. F. = Msere vom Feldbauer s. die Anmerkung der vorher
gehenden Seite. — Nachtr. = Nachtrag zum Wörterbuch der deut
schen Mundarten des ungrischen Berglandes von K. J. Schröer. Wien
1859. Gerold.—Ofner Stadtr. = Ofner Stadtreclit von 1244—1421
herausgegeben vonMichnay und Lichner. Presburg 1844. —Schemn.
str. = Schemnitzer Stadtrecht, abgedruckt hei Kaclielmann a. a. 0.
und durch Wenzel in den Wiener Jahrbüchern der Literatur, Band
104.— Schemn. br. = Schemnitzer Bergrecht, ebendaselbst.—
Schwartner de scultet. = M. Schwartner’s de scultetiis. Budael815.
— vocab. 1420 = Latein, deutsches vocabular von 1420, herausg.
von Schröer Presburg 1859.—Wenzel, sieheSchemn. str.— Wtb. =
Mein Beitrag zu einem Wörterbuch der Mundarten des ungrischen
Berglandes. — Z. w. oder Zips. willek. = Zipser willekur in der
schon angeführten Ausgabe des Ofner Stadtrechts abgedruckt.
Außerdem werden die Sammlungen bergmänn. Ausdrücke von
Gätzschmann. Freiberg 1859 und von Scheuchenstuel, Wien 1856,
citiert.
abtreiben. Blei durch Feuer vom Silber scheiden, „mögen sie
das Blei fürgeschlagen, geschiden, angefris eilt
und abgetriben hab en“. Kachelm. II. 171.
ächvart f. Bußfahrt nach Aachen als Strafe. S. Nachtr. 15“; im
Schemnitzer Stadtbuche zum Jahre 1377 erwähnt. Der ev. Pfarrer
Peter Bornemisza (schrieb vor 1582 seine enekek: Gesänge)
sagt: „mit fntunk Römäba, böldog aszonyhoz Colo-
niäba“
„was laufen wir nach Rom, zur lieben Frauen nach Köln ?
„onnat a nagy A'gba ?
„von da in das große Aachen — — ?
Als ob selbst in der protestantischen Welt die Sitte solcher
betevarten und buozvarten noch angedauert hätte; obige
Worte, in einer Zeit, die der Trennung der Kirche so nahe stellt,
können übrigens wol direct auf das katholische Publicum ge
meint sein. Der äclivarten gedenkt auch Schmell. I,, 566 unter
kirchfart.
aneval. m. Was einem erblich zufällt. Welcher frouwen weisen
von irem manne bliben und er oder sie vorendert
sich wider und die weisen als 6 junc waeren und un-
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 305
vornunftic sind, daz sie iren anfal nicht verwesen
mügen. Zips. willek. 17.
anfrischen. Die glätte s. d. zu Blei machen, siehe abtreiben,
anherre m. Der großvater (Zips willek. 9) in D. Pilsen noch änhe,
m. s. Wtb. 3fr 1 ’ voc. 1420: abauus der anherre.
aneloufen, einen: ihn überfallen. Anldufer, der einen Anfall ausübt.
— Wer den andern anloufet — daz sich der wert und
denanlöufer ze töde siecht und bewaeret daz man
in an ge 1 offen hat. Schemn. str. 27.
ane werden , verkaufen, „daz tarf er nit verkoufen noch an-
werten an sin er hüs fron wen willen. Schemn. str. 2. Vgl.
Schmell. IV, 140.
asclihert, stm. der Aschenherd zum Abtreiben (s. d.) des Silbers
s. Gr. Wtb. I, 583. So lese ich in M. v. F. Vers 239: asch-
herde für ascherde.
aufschneiden. „Die Bergrechnung pflegte auf lacliter - langen
Stäben einer der Aufseher aufzuschneiden“, daher „der Aufschnei
der.“ Kachelm. II. 171.
auslängen, ein Erzlager der Länge nach ausbeuten. Kachelm. II. 172.
au sri eilten, ein Bergwerk öffnen, für den Betrieb herrichten, das
Lager in seinem Umfang bloßlegen. Kachelm. II. 170.
belegung f. Zutheilung von Arbeitskräften für ein Grubenwerk, ein-
männische belegung. Kchlm. II. 175.
bereden sich: rechtfertigen. Wil sieh der beklagte des be
reden. Sch. str. 39.
berghandel, m. Bergwerk, Bergbauarbeit. „(Gott) der aufberg-
läuftige (s. d.)Weise rede un d allerlei Gezähe (s. d.)und
Arbeit des schmelze ns, treibens (s.getribe) wasch ens
undvieler anderer Berghändel gedenke.“Kehlm. II. 171.
bergläuftig, in der Bergmannsspraehe üblich; s. Berghandel,
b e stän : betreten, verurtheilen, mit etwas verfallen. So ist er be
standen mit der hant (seine Hand ist der Strafe verfallen, er
verliert die Hand) oder er löse sie mit zehen marc. Sch-
str. 39. Der den frid brich et — der ist bestanden mit
sinem hals. Sch. str. 33.
beuzen (be uz an, buzan, büzen alul. rnlid. —Kein. nh. deutsches
baußen Gr. gr. III, 263) außerhalb. In dem lande oder
beüzenlande. Zips. willek. 36. Vgl. beuben oberhalb. Ksm.
306
8 c h ro er
birsche f. Gebür, Geldbuße: Der sol dem rieht er dri mare
birsclie (als Strafe) geben. Z. will. 30. — Madjariscli bir er
trägt, vermag, reicht aus, besitzt, könnte das deutsche ih bir:
trage (mild, sin herze tugende birt ungriscli: a’ szive
erenynyel bir) sein. Davon das ungrische birö der Richter
(Gerichthalter), birö sag, das Richteramt. Obiges birsche
dürfte die biröische gäbe, die dem Richter verfallene Gabe
sein. Neben mild, birec, berhaft, fruchtbar, wäre nicht un
denkbar ein ber^chaft f. das Erträgnis, ein Besitz, der etwas
abwirft, was sich an obiges Wort anlehnte in dem Ausdruck bir-
scheft und hirscheft (mhd. herschaft, Herrschaft) im
Ofner Stadtr. 244: ein Richter mag richten in Sachen, die sin
birscheft und hirscheft nichten anget, und der er
nit richter ist.
blütrunst f., eine Wunde, aus der Blut rinnt; s. kamperwunde.
Jac. Ayrer sagt, daß manfürjedebluotrunstiJOpfund
zu zalen hat. Grimm. Wtbcli. II. 189.
brechen, der Richter soll schwören, daz rechte gerieht weder
durch cid noch durch list noch durch forcht noch
durch gäp zu brechen. Sch. str. 7.
brötelinc m., so viel als gebröt, s. mhd. Wtb. L 264 unter bröte,
der eines Andern Brot ißt, ist sein brötling. Zips. will. IS.
brucli m., eine mit Schutt gefüllte, durch Einsturz veranlaßte Öffnung
im Bergbau. S. ganz.
brüejen transit. Einen auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Einen
falschen Spieler soll, man brüen. Zips will. Sl. Charakteri
stisch für die Mundart. Siehe darüber Nachtrag 19 1 ’. prün und
Wtb. 40.
brunst f., Feuersbrunst. Wer in prunst stilt daz da G pfen-
nine wert ist, den sol man hengen. Sch. br. 19.
bußhäuer m. , Häuer, der aus Strafe um geringeren Lohn schwerere
Arbeit verrichtet. — posshäuer. Kclilm. I, 77.
darren m., das Glühen der Erzgemische in Darröfen beim seigern
(s. d.) in Kupferhütten. Kclilm. II, 171.
däsic: beschirmunc den dasi gen die nu leb en. Schemn.
str. I. Einleitung*).
*) Wenn Kachelmanri*s Vorlage auch nur dem 16. Jahrh. angehören sollte, so ist
diese Form doch immer nahezu unglaublich s. Gr. gr. If, 29.‘>, 391. Gr. Wtb .
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 307
dr is tunt, dreimal, dreistunt pfa n t ford ern an dreien tagen.
Z. w. 24.
doben, da oben, vorhin als unser recht dob en spricht Z. w.
54.
d r ü u w e n, drohen, so i m a n d r o i t e. Z. w. 49. D a z er im g e d r o i t
bat. Z. w.50. Dieses oi= öu erinnerten Jeroschin s. PfeifFer’s Aus
gabe LX1I. Williram. s. Gr. gr. I 3 , 114. .letzt in Ksm. dräin.
E im Auslaute; statt sun filius bat die Zipser willekur die mil. Form
sone. Artikel 14, u. ö. Ähnliches bei Jeroschin bemerkt PfeilFer
LVIJI.
edel, von der Ergibigkeit des Erzes. Die Gänge streichen oft
eine ziemliche Strecke unedel fort. Schmöln. Kora-
binsky 080.
engenzen, die genze anbrecben. Österreichisch: angenzen;
baieriseh: ungenzen. Schm. II, 59. ein percdernie enge n-
z et i st. Sch. br. 3.
envor, zuvor, einem iglielien kinde entfor als vil heruz
geben, als — Z. w. II.
einbrechen, von Stein und Erzadern. Quarz macht den Anfang
der in den Gang einbrechenden Erzlager. Kora-
binsky. 680.
ertag m., s. tag.
erlich, gesund, integer, in der unter gerüerlich angeführten Stelle.
erzliäu er m., die Erzliäuer werden auf die Strossen (s. d.) angelegt.
Korabinsky 681. s. gedinghäuer.
erzkram in., siehe kram. Der königliche Erzkräm hieß
ehemals das Amt in Schmölnitz, wo der flauer
sein Erz ablieferte. Korabinsky 680.
ez, es, no.cb 1378: iz (ys), Kelilm. I, 76.
ezzund, von Gütern, deren Aufbewahrung Kosten verursacht. Al
ezzunde pfant sol man halten an den dritten tac.
Sch. str. 40. Über die Endung -und siehe -und.
—■ et in gescliwistert (s. d.). Eine besonders in der bair. üsterr.
Mundart im XIV. und XV. Jahrhundert vorkommende Form. Vgl.
809. Ursprünglich stand dafür wol daic. Wenzel hat: den dagen (da-igen)
die no leben n, was auch bemerkenswert!! ist, da auch diese Form in dieser
Zeit sonst nicht vorkömmt. Wenzel setzt seine Hs. in den Anfang des
XIV. Jahrh.
Sitzh. d. phi 1 .—hist. CI. XLIV. Bd. II. Ilft.
21
308
S c h r ö e r
Daz si zu einem chnab en nicht railr p ersö n nemen
zu gevatreiten dann zwcn man u. ain froun und zu
den maidlein zwo fraun und ain man, gesehwistert
die erst sipp, g e s c li wis tr ei t chind die ander sipp.
— Cod. germ. mon. 757. fol. 19.
vaelde , fehle f., der Fehl. Z. w. 1. vgl. gehrüde und hei Jero-
schin , erm d e u. dgl.
vallen,niederfallen, sich senkrecht vertiefen s. m a r c s c h e i d e.
— „rechtfallende Klüfte, im Gegensätze zu den wider
sinnigen sind diejenigen, die das eigentliche Streichen und
Verflachen behalten.“ „Man hat angemerkt, daß einerechtfal
lende Kluft den Gang ins Li gen de, eine widersinnige Kluft aber
den Gang in’s Hangende wirft.“ Korahinsky 080.
v arun d guo t, bewegliches Gut. No ch sol keiner unser ampt-
1 i u t e keinem g e w a 11 an sinem g u o t f a r u n d oder
unfar unde hegen. Sch. str. Einltg. siehe - und.
feine f. (mhd. fine) das fein oder reinmachen des Kupfers. Die
garfeine oder kupferfeine Kor. GSü s. gar.
ver-, siehe unter vor-.
verflachen n. Die Ausdehnung eines Erzlagers in einer gewissen
Richtung, wie das streichen. Kchlm. II., 175. s. fallen,
verschießen, schwv. verkeilen, befestigen. Das ligende, han
gende und die first mit schwarten (s. d.) verschießet
Kchlm. II., 170. vgl. schießer.
vcrzelen, verbannen. Wer umb einen tötslacverzeiet wirt>
der sol an alle w iderre d üz der s tat sin ei n j a r. Sch. str.
31. HenselGrall a u z der Hod rusch vorschriben und
verzalt ist von hinnen undvon allen pergwerchpizan
die Teische von eimfrevellichen tötslac, des er be
gangen hät, in der Hodrusch an einem frommen man
Hans Scherer genant. Schemn. Stadthuch 1418 Kchlm. I. 76 f-
fertef. für tagevart, frist. Über die in den nom. vorgedrungene
Umlautform des Dativ, Genitiv, siehe Sehmell. §. 808. — Ab sine
Widersacher wollen die ferte (Tagsatzung) in dem
ersten jär haben, so sol er desgeldesin daz ander
jär tac (Frist) haben. Z. w. 52.
fezz er. f. Fessel (ahd. fezura), scheint neben v ezz el, fezil, die im
md. besonders übliche Form (bei Jeroschim, im Passional), daher
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 309
fezzeren, fesseln, fezzeren oder unter ein büt stür
zen. Z. w. 51. Vocab. 1420 eompes ein wessir.
feu ersetzen, n. qnarzhartes Gestein wird durch großes Feuer ge-
wiiltigt und mürbe gemacht; das nennt man das Feuersetzen.
Kchlm. II. 171.
fimmeln und federn pl. Beides sind Keile zum Abtreiben klüftigen
Gesteines. Kchlm. II. 172.
fin. fein, ital., span, fino, aus lat. finitus; ist ursprünglich soviel als
gar, vollendet; so noch in der Bergsprache, s. gar und feine,
first f. und furst, die Decke eines Ganges. Sch. br. II. fwrsten,
fyrsten Sch. br. 20 bei Kchlm. first br. 11 bei Wenzel,
flach in: der flache ganc, der horizontale Gang. s. marcscheide.
flößen: es flöszet das Klein den Gang ins Ligen de. Ko-
rabinsky. 080.
folger, in der Folge? daz man tac bit folger in zu zihen,
daß man Frist bittet in der Folge in zu zeihen. Z. w. 20.
voll ei st f. Hilfe. Sch. str. 39.
vor- steht in diesen Mundarten sehr häufig für ver-. s. Nachtr. 30 unter
wo prün.
vorendern, sich 1) Heuraten. Zips. willek. 4.6.7. ff. Noch üblich. —
Vgl. Wtb. 30 1 '. Ist aber daz diu luls frouwe sich voren-
dert, Sch. str. 1. 2) vom Christenthum sich abwenden: wer
einem menschen s i n e n s u n oder tocliter verrat daz
er verkoufet wirt oder vorend ert wirt an sin er fri-
unde willen. Sch. str. 27.
vor richten, sin gelt zurückzahlen. Z. w. 19.
vor s ehr ib en, verbannen. Z. w. 14. Vgl. das Beispiel unter v er z el en.
freihof m. „ein Freihof sollte ein Lehen (s. d.) breit sein; bald
gehörten dazu 28, bald 40 Joche und zu einem aratrum 120
Joche.“ Kchlm. II. 164.
fr ei leben, n. Abgabenfreies Lehen, s. leben; ein verliehenes Gut
laneus maß 12 ruten (s. d.) Kchlm. II. 164.
fride m. In den Bedensarten zuo dem ge ma inen fr ummen und
fride str. 4 mit frid und gemach str. 1.
friunge f. Freiung, Freiheit ein Bergwerk nicht zu bauen, ohne das
Recht darauf zu verlieren. Scliemn. br. 13. Siehe schürf,
fürbazer statt vurbaz, ferner; dermac oncli f ii rb az er n im an
umbe die sache beklagen. Sch. str. 37. Vgl. folger.
21 •
310 S c h r ö e t
ganc, m. Erzhaltige Schichte, welche ein Gebirg durchzieht. Schemii.
br. 3.
gang m. im Bergwerk. In Schmölnitz zählt man 3 Gänge: 1. der
mittlere, 2. der äußerste liegende, 3. der äußerste hangende Gang.
Korabinsky G80.
gangart f. „Die Gangart dieser Gänge ist ein dunkelgrauer Thon, der
öfters mit Quarz, sehr selten aber mit Spat vermengt ist“. Kora
binsky 680.
ganz f., siehe genze.
gar f., der letzte Schmelzprocess des Kupfers: „die ganze Gar, die
Garfeine“. „Das Kupfer wird auf dem Garhammer
auf die ganze Gar getrieben, auf die G a r f e i n e g e-
sp ließen“ etc. Korab. 684.
gar gemacht, vom Silber und Blei rein geschieden und fein (s. d.)
gemacht.
gebrüde (?) n. Einmaliges brauen, gebräude. Das kein man
mir hoppen koufen sol — wenn ze einem gebreut.
Z. willek. 69.
ged in ge, n. Vertragsmäßige Arbeitsleistung. „Die Häuer sind
Gedinghäuer und Erzhäuer; die Gedinghäuer arbeiten auf
Stollen oder Strecken, wo keine Erze brechen.“ Kor. 681. Siehe
h ö u w e r, e r z h ä u e r.
ge fälle n. Der Abfall, kleine Stücke im Bergbau, abgehauene Mine
ralien. Kchlm. II, 173.
kegen, gegen. Eine Form, die mundartl. md. lange vorgehalten hat
und zum Theil noch zu spüren ist; in Ksm. jetzt noch keigen.
S. Naclitr. 33".
gehöcht, (ge höh et, geh öh et) vornehm. Kein landricht er
noch geh Achter man. Schemn. slr. I.
gülden, Schulden zahlen. Ab ez q u® m e daz einer — scliu 1 di c
wier und — niht gelden wolt. Z. willek. 28.
gelottn. (geloete) Gewicht. Welich menseh — mit Unrech
ter m ä z f u n d e n w i r t, sie s i treue oder feucht oder
mit Unrechter wäc oder gelott. Schemn. br. 3.
geniezen, für genesen, in der Rede: des kindes genesen
(das, so wie nhd., auch schon mhd. vorkömmt): biz an die
zit (sol die frouwe kein morgengöbe haben) daz si got be-
raet daz si des kindes genizet. Z. w. 13.
Versuch einer Darstellung' der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 311
genze f. oder ganzez n. Das ganze eines Erzlagers; die ganze zu
sammenhängende Stein-oder Erdschicht des Ganges. Einer
kaem durch ganzez ein läliter, es schürfte einer in der
genze eine lachter tief fort. Ez sol noch kan keiner dem
andern sinen schacht oder Stollen abloufen (s. louf)
zuo heiligen ziten nachticlich oder tagelich ez si
durch ganz oder durch pruch. (Es soll keiner des anderen
Bergwerk sich aneignen, etwa zu einer Zeit, wo nicht gearbeitet
wird; durch ganz, indem er weiter baut, durch bruch, indem
er von einer Seite herein durchbricht.)
gepel m. Hebewerkzeug, göpel. ouch wo derstickt und er
trunken zechen s i n t die kein r a d noch g e p e 1 g e-
weldigen kan. Schern, br. 6.
gerinne n. Wasserleitung im Bergbau, Fluder. Beim Schürfen,
Röschen , Gerinn und Gestäng (s. d.) legen. Kehlm. 172.
ff er öl 1 n. „Lockere abgerundete Steine.“ Scheuchenstuel; in der
Zips gerel n. in gröberer Aussprache auch wol grull, woher
die Kartoffel: „die grull e“, ihren Zipsernamen zu haben
scheint. S. Wtb. S6 1 '.
gerüerlich, beweglich. In der Rechtssprache ein gerüerlich glit.
Wer dem andern ein gerüerlich glidvorsnidet oder
ab siecht oder abwirft als: ein ore oder nasen (!)
oder ein hant oder ein finger oder ein füz oderein
ander erlich glid. Schemn. str. 38. Die Überschrift des folgen
den Paragraphs zeigt, daß von Muskellähmung eines beweglichen
Gliedes die Rede ist; wenn auch auffällt, daß dabei auch die Nase
in Betracht kömmt. Der nächste Paragraph ist überschrieben:
mer von lerne (Lähmungen). Jetzt geririch beweglich Ksm.
gescheften. Das Testament. Geschefttuon von sinem frien
guot. Testament machen. Schemn. str. 1.
gesell ick, das Gefälle (s. d.) ein Stück. Kehlm. 11., 17S.
gesetzt, verpfändet. Silberiniu („sylbereyne“) pfant, hiuser
(hewser), hutten, nullen und ander erb die gesezt
werden, die sol man haldenjär und t a c. Str. 40.
gestänge n. Die Sole des Stollen ist in Zwischenräumen (Spuren)
mit Balken gedielt; diese Balken bilden das Gestänge. Kehlm. 11.172.
geschwistert n. Die Geschwisterschaft Zips. willek. 5. 9. u. s.
baierisch : Geschwistreit, geschwistergit. Schmell.
312
S c h r ö e r
I. , 129 Schmell. gramm. §§. 1032. Götteit 1429. göttet
1433. Schm. II. 83. S. — et.
getribe n. Damit in brüchigem Gebirge der Ban nicht einstürzt, haut
man mit Getribe, d.i. indem mau Holzpfähle vorschieht. Kchlm.
II. 170.
ge werke m. ln den ungrisclien Bergstädten heute und schon vordem,
der Grubenbesitzer, Mitlehner, concultor. Daz sollen die ge-
werken dem perkmaister kunt tuon. br. 3. verleigen
(ver 1 ihen) wir den erbern 1 euten Jakusch Hense 1
mit dem erz, Hensei Pheffel mitirem gewerchen
zwei lehen. — ob ieman quaeme zuo den vorgenanten
gewerchen. Urkunde von 1378 bei Kchlm. I., 73.
gezöuwe n. jetzt gezäh, d. i. geze (für gezäu) Werkzeug, s.
herghandel.
gippe f. Der Haspel. Vgl. nl. gijp f. der Kloben woran die Seegel
befestigt werden.
glätte f. Bleioxyd, zur Töpferglasur. Kor.
gleißner m. der auf seiner Tagesarbeit auf den Halden (s. d.) das
glimmernde und glitzende . oder gleißende sammelt. Kchlm. II.
174. Zu mhd. glizen, also glizenaere verschieden von
gleisner, mhd. glichsensre, geliehesaere. \
gl ö ub en, glauben md. mundartlich auch bei Luther gl e üben; in der
Zips jetzt gleiben, in Schlesien glühen,vgl. lel),loube, geze ge-
zäue, Wtb. 100 keufe kaufen u. a. lenken, lougen etc.;
— mitzwen erbarn mannen den ze gleuben ist. Z. w. 4.
glimmern. Katzensilber, Glimmer. „Die Gebirge zu Schmöl-
nitz bestehn aus einem blaulichten mit Glimmer
gemischten Tohn schiefer.“ Kor ab. 680. glimmericht,
s. glimmicht.
glimmiclit. — „Die in glimm erichten Schiefer einge
sprengten Erze werden hier g 1 i m m i c h t e Erze g e-
nennet und brauchen zur Abschwefelung weniger
Zeit.“ Körab. 680.
gottes gewalt. Wassers not, „Wassersnot, eigentl. Überfluß, hieß
Goftesgewalt (bei den Schemnitzer Bergleuten).“ Kcldm. II. 171.
gottes wec m. Wallfahrt. Welich men sch willen hat zuo
ziehen üfgotes wec, als gen Rom, zuoSt. Jacob gen
Compostel in gottes fert etc., vgl. ächvart; mer.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 313
graupe f. Ein größeres Erzkorn, Erzstück. „Sollte ich aus der
ungrischen Vorzeit ein leidliches Gräuplein Erz
aufgeklaubt haben.“ Kchlm. II. 174.
haldef. Das vor der Grube am tage aufgehäufte Gestein; ein
Haufe von zertrümmertem Gestein, sonst lialde f. Bergab
hang. — In österreichischer Mundart (Presburg) ist lialde
der Weideplatz und die weidende Schaar: a bald gäns, antn,
s.chäf eine Schaar, Gänse, Enten, Sehaafe. Daher hälder, der
Hirte. Dies Wort ist von obigem zu trennen und mhd. halte f.
pastura, lialtaere, m. pastor zu got. haldan hüten, weiden.
— Hier „Hügel, auf welche die Bergleute ihre nicht scheidwir-
digen Erze stürzen“. Korabinsky 682. s. d. f. Wort.
Halden Wäscherei f. waschwerk, das sich mit nochmaliger
Prüfung verworfener Stufen abgibt. Kor. 682. Zu mhd. lialde
abliang, verwant mhd. bald, holt, hui de.
handel m. Eine Bergwerksunternehmung. S. Schm eil. II. 207, Gätzsch-
mann Sammlg. bergmänn. Ausdrücke Seite 13. herghandel =
grübe, zeche. Vgl. Sclieuchenstuel s. 122. — In diesem Sinne
findet sich das Wort in den ungrischen Bergstädten allgemein
und ist auch in das Slovakische übergegangen. — „Der Handel
bestand i m D i n g e n (s. gedinge) mit denBergarbeitern
und anderseits mit den Goldverlegern und Abneh
mer n, d er unte r d ie Ge w er ke n g e theil teil Erz e.“ Kchlm.
II. 132. Der slaviselie Name des Wortes Kriekerhäu n. ist
Handiowa; ja handelkowati heißt: unverständlich deutsch
reden. Palkowitsch 332.Vgl. auch Handerburzm.Nachtrag31\
hangunde. n. Im Bergbau das oberhalb befindliche. Im Sehemn. br.
Siehe - und und marcscheide.
haut f. Die Hand. Ze stunden unde ze haut anwesend, vorhan
den; in liant, in: wie oft daz geschieht, daz in einem
gesleelit ze stunden und ze liant zwen prüeder oder
ein gesell wistert ist und in liant, in dem andern ge
siecht geswistert 12 sient. Zips. will. 3. — mit der liant
antworten in manus et potestatem tradere. Ab ez quaeme
daz einer einem ein marc schuldic waer ader mer
und er im nicht gelden (s. d.) wolt und im nicht pfant
bete ze setzen so sol man in (den Schuldner) im (dem
Gläubiger) mit der haut antworten. Zips. willek. 28.
314 Schröer
liattert m. Die Grenze eines Ortes, einer Gespanschaft. Ich finde es
schon in derZips gebraucht 1312. In der Zipser willekur (1370) :
in welches dorfes hattert daz geschehe 43. madjar.
liatär, slow, chotär, zu ahd. kataro gatter? S. Wtbch. 39“.
hau er, s. höuwer.
heimsueher (-suocher) m. Der in ein Haus einbricht; daz man
einen {glichen heimsueher ent ho übten sol. Schemn.
str. 29.
heischen, uz heischen, fordern. Z. w. 30: wenn zwen mit
einander zu krig werden und einer dem andern üf
sin hus get und in üzheischt mit frevelem müt und
er im zu swach ist.
hekel n. (?). Eine Waffe, ein Messer (zu mild, hacke, heckelin?)
von hekclen und mezzern. wir wollen ouchdaz
z e einem rechte haben daz kein man in steten noch
in merkten noch in dörfern nit hekel tragen sol,
wenn driu (drei) viertel einer eilen lanc und ah
im an ein lenger mezzer tragen wolt, wenn die
rechte maz ist, daz sol im der richter mit büi'ger-
hilfe nemen. Z. w. 33.
lieiszgratig, leichtflüßig. Speisige (reiche) und heißgrätige
Erze. Kchlm. II, 172. S. marc.
helbelinc m. Halber Pfenning. Z. w. 2.
her, er. Schemn. stdtb. 1418. Siehe Nachtr. 33“. Auf den Dörfern in
der Zipz : h a r.
hoppe m. Der Hopfen. Z. w. 69. Hopgaard heißt das letzte Zipser
Dorf gegen Schäroscli zu. Korabinsky schreibt Hobgarten,
hob gart. In einer Urkunde von 1313 übergibt comes Nicolaus
haeres de Lublow dem Nieolao de Petrivilla sculteto silvam ex-
stirpandam villam quoque quae Hop hegarten nuncupatur cum
60 laneis collocandam. Schwartner de scultetiis pag. 149. s.
Ygl. Hobgard 1332. Wagn. I, 430.
höuwer m. Der Häuer, Bergarbeiter. Im Schemn. br. hei Wenzel
he wer (bei Kchlm. haier), daher madjarisch he wer (geschrie
ben he ver), der Bergknappe, was aus der deutschen älteren
Form höuwaere entsprungen scheint, wie madj. h ö her, der
nenker aus mhd. hähaere. Slowakisch hawyr Häuer steht der
Form ohne Umlaut (höuwer) näher.
Versuch einer Darstellung; der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 315
„Die Häuer sind Gedinghäuer und Erzhäuer.“
Siehe gedinghäuer, erzhäuer.
jär unde tac, d. i. ein Jahr, 6 Wochen und 3 Tage. Schemn.
stadtbr. Einleitung. Vgl. Grim HA. 222.
kamp erwun de, für Kämpferwunde. Z. w. 54. daz von einer kamz
perwunden (den zweiten gröfen gefellet) 5 mark und von
einerblütrunst 12 grosclien. Z. w. 90. In Schemn. 1392 : cam-
pirwunde Naclitr. 35\ Also in der Zips und in den Bergstädten
üblich. Kampferw uiult. Ofner Stadtr. , s. das folgende Wort,
keinman, niemand, jeszt keinmand , oben S. 285.
kempe m. Der Kämpe, Kampfheld, sonst mhd. kempfe. wenn daz
zwene miteinander fechten umb einen toten oder
nmli ein kamperwunden, so so 1 der kempe sinen
schilt und sinen kolben haben. Z. w. 54.
kerwe f. der Kerbslock? M. v. F. 141. Vgl. aufschneiden und
Wtb. 69 a . Schmell. II, 326 : ein kärm oder reitliolz voc. 1419.
keufen, kaufen (sonstmhd. koufen). vorkeufen, verkaufen. Z.w.6.
killiouwe, f. Keilhaue im Berghau, s. kratze. „Keilhaue, Werkzeug
für weniger hartes Gestein.“ Korabinsky 681.
kirchenbruchel m. Der Kirchenräuber. Ein tgllcher kirehen-
p nie hei der dö stilt in einer ki reiten. Schemn. str. 21.
kisstock m. Schwefelkieslager. S. nester.
klein n. pl. kleine „Ahlösung oder Veränderung der Steinlagen,
welche durch eine andere stunde (s. d.) auf den Gang herein
kömmt, heißt man hier (in Sclimölnitz) Klein. Uber diese
Kleine hat man durch langwierige Beobachtung von der dadurch
erfolgten Verrückung der Gänge folgende Begeht gemacht.
Wenn ein Klein von morgen kömmt, flößet es den Gang ins
L i g e n d e ; kömmt solcher von Abend, so rücket er den Gang
in’s Hangende, folgendes ist der verschobene oder wol gar
verlorne Gang daselbst aufzusuchen“. Korabinsky 680.
kluft f. Schmaler Gang im Bergwerk. „Zwischen diesen Gängen
reißen sich einige Klüfte ab. — Klüfte, die in disem
Gebirge streichen“. Korabinsky. 680 f.
knaurig, knorrig, hart. „Die knorrigen Gänge, woran kein
Stahl haftete“. Kclilm. vgl. Naclitr. 36 1 ’. Form und Bedeutung
steht näher dem ahd. kniurig, fest, stark, als dem schriftdeut
schenknorrig; vgl. die Formen knor, knjurn, knaura, Nachtr. 36 1 '.
316
S c I) r ö e r
kolungf. Holzkohlenerzeugung. „Die hiesige Kolung (in
Schmölnitz) wird von einem Weidamt verwaltet.“ Kor. G84.
„kra ge f. Hacke, Haue.“ Mhd. Wörterb. 1,873 ist kein deutsches
Wort. Die dort citierte Stelle ist verschrieben oder verlesen,
s. kratze.
kram m. Eine Hütte für Gerät u. dgl. Zeugkram, für Erze, Erz
kram. Kchlm. II. 168. kramzerung für bergmännische Er-
getzlichkeit. Kchlm. II. 168.
krampe f., bergmännisches Werkzeug. Kratzen (s. d.) und
Krampen. Kelilm. II. 172.
kratze f. Eine Harke im Bergbau. Waz er mit einer kratze
(so bei Kachelmann, nicht krage, wie Wenzel liest) oder kil-
houwen linder sich gehouwen mac. Scbemn.br. 3.
kriuze n. Sich auf dem Kreuz entschuldigen = mit einem Eide.
Des b e r a e t sich ein man a 1 eine ü f dem c r i u z e. Es
bedarf keiner Zeugen, ein Mann ganz allein kann mit einem Eide
seine Unschuld beweisen. Daz der heimsücher sich ent
schuldigen wil üf dem kriuze. Schemn. str. 28, 31.
kutten, aufkutten: sammeln. Ob imLigenden oder Han
genden ich was aufgekuttet. Kchlm. 11, 175. in Scliem-
nitz kömmt im Stadtbuclje anno 1381 eine Kutnerin und
s o n vor.
laege (leg) scbraeg. S. die Stelle unter marcscheide. Überdas
Wort, das auch jetzt in der Zips üblich ist, s. Wtbch. 76 1 '.
Iaht er n. bergmännische Klafter. So der berc und Stollen sol
gemezzen werden nach läliter und leben (s. d.) so
ist zu wizzen daz daz berc1ähter b ehe11 unser s ta t
eilen 3; und 7 läliter behalden ein Iüben bei Sclimell.
II. 59: „vierthalb bergklafter ist ain leben gering
um sich, est ist perg, wasser, 1 u ft und auch ganz.“
Die länge des Vocals wird bestätigt durch die Aussprache in der
Zips, wo es mundartlich läuchter heisst. Siehe läuchter.
län n. oder länaker m. Ein zu einem Hause gehöriger Acker. S.leben,
läuchter n. Lachter, s. läliter. Daher läuchtern, mit ausge
spannten Armen messen, aber auch ausholen, auslangen, z. B.
zum Wurf, in der Zips.
lehen n. Siben lahter behalden ein 1 ehen. Schemn. br. Ein
leitung. Das Wort lebt noch im Volksmunde, wo man in Praben
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 317
unter „das lähn“ den zum Hause gehörigen Acker versteht.
Schwartner de scultetiis Seite 33 spricht sich weitläufig über das
in die lateinische Rechtssprache übergegangene Wort laneus
aus, und sagt unter anderm: „agri certe, qui arese seucuriae
adscriptusaliquando fuerit, apudScepusiosadhuc
(hodie) usque cognomen Lanacker, retentum est, quem
passim etiam, originis obliti, Leinacker nonnulli, rectius hof
acker nuncupant. “ Zawacki in flosculis legum Polonorum
(Schwartner 1. c. 35) de inensura lanei franco nici: quilibet
laneus debet habere in longitudinem jugera 30, in latitudine
unum jugerum alias Morg. jugerus unus habet — tres zonas
alias Sznury. zona — virgas decem etc.—L e h e ns c ha ft f. ein
verliehenes Gut. s. ort. fr eil ehe n n. ein verliehenes Gut, in der
ungrischenRechtssprache laneus, „maß 12ruten(s.d.) “Kchlm.
II. 164. Vgl. hier Meitzen Urkunden schles. Dörfer S. 59 f.
leinacker m., siehe leben. In der Oberzips, um Eesmark, auch um
Leutschau gibt es Felder, die früher von der Pflicht, zeitweilig
brach zu liegen, frei waren; sie heißen leinfei der, was irr-
thümlich von lein abgeleitet wird, weil daselbst lein gebaut
werden kann. Es sind lehenfelder, lehenäcker in Praben:
län s. d.
Ieuken, leugnen (vgl. Wackern. Leseb. II. 14, 7.) wie keufen
s. d. leukent 3. pers., leugnet. Z. w. 94. leukenung Z. w. 91.
Noch jetzt K für G : lenken laken; s. Schmöln. Kal. S9.
ligund n. Das liegende, ln daz hangund ein leben und in
daz ligund ein lehen. Siehe -und. Das Liegende im
Gegensatz zu das Hangende (s. d.) Korabinsky 680.
lichtloch n. Ein Loch zur Beförderung des Luftwechsels im Berg
bau. Schemn. br. 5.
lie cht will e f. üf unser frouwen tac der Iichtwic ist jähr
lich Richterwahl. Schemn. str. 7. Der Tag scheint in md. Gegen
den besonders wichtig. S. mhd. W. III. 618. Meitzen a. a. 0. 210.
litgebe m. der Schenk. „Ieykeb" str. 22. Iit, noch jetzt erhalten in
Compositis, so wie mhd. iithüs litkouf etc., s. Nachtr. 38 1 ’.
lönm. In lidlön m. Miete für ein Pfand. Alle pfant wie diu
ge heizen sint, die an lidlön gesezt werden, diu sol
man ha Iden also lanc biz einer mac ungezzen sin.
Schemn. str. 40.
318
8 c h r ö e r
lösunge f. Erlös, Abgabe. Kchlm. II, 168: „Mit den Bürgern
schooßen oder Steuer und Losung tragen.“ — Losunga
exactio in Schemnitz 1373. S. Nachtrag 39 1 ’ und unter schoßen,
lotte f. „Durch eine hölzerneLotte oder Rinne wird (in Schmölnitz)
der Ofen angezündet.“ Kor. 683. Vgl. Nachtr. 39 1 ’ lot; höl
zerne lotten Kor. 684.
loup m. Erlaubnis. Mit des richters loube. Z. w. 24. daz erz
mit loube habe, mit des Grafen Zustimmung daselbst 87. —
Das Geschlecht ist zwar nicht gewiss, ich denke aber an urloup
und weniger an das stf. laube mhd. Wtb. 1. 1 017“, wofür nur
Eine Belegstelle angeführt ist.
manschaft f. Lehendienst. Ab einer manschaft tut Z. w. 33.
marcscheide f. Grenze zwischen Scliurfberechtigten im Bergbau.
Die flache marcscheide, eine Grenze zwischen dem obern
und untern Stockwerk eines Baues. Wo ein schacht nider-
f eil et (senkrecht sich vertieft) üf einen flachen ganc (auf
ein wagrechtes Erzlager), wie wo 1 daz er nutz bringet (wenn
er auch erzhaltig ist) und kumbt ein ander üf daz han-
gund (ein zweiter schürft oberhalb), und kumbt er und
untertiufet den und wichet im ein leben als recht
ist, daz bringet die flache marcscheide; so hat der
rieht sch acht die sol und der leg (Iaege, der seitwärts
kommende) die first. Schemn. br. 11.
markscheidestempel, m. Pflock zur Bezeichnung der marc
scheide. Schemn. br. 12.
mäze f. („mas, maas, inos“) 1. Ein Längenmaß (in Wieliczka 35
Decimalzoll); 2. ein zum Bergbau verliehenes, zugemessenes
Gebiet. Ob das Erz der Maas wert sei (der behördlichen
Zumessung). Kclilrn. 11. 168. wer püwet — und iez fund
erz, die der möz wert sint. Schemn. br. 3.
in er n. Das Meer ist bei den sog. „Häudörllern um Kremnitz“, den
Kunesehhäuern, Krickerhäuern etc. derart im Volksmunde, als ob
sie eine Erinnerung bewahrten, einst dem Meere näher gewohnt
zu haben. Einen Weg in den dritten Ort, also einen weitern Weg,
nennen sie iiber’s Meer. Kchlm. 1, 73. fm Schemn. str. Art. 3:
kan ein hüsfrouwe iren man wol hindern zu ziehen
üf gots wec, als gen Rome etc. an (nur nicht) über
mer al eine als da ist gen Jerusalem. Den Erdapfel, als
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 319
weithergebracht, nannten sie meerappel, siehe Naehtr. 41 a .
Das Ungeheuer bol wes eh, dessen urspr. Bedeutung man in
Krickerhäu nicht mehr zu kennen scheint (da doch der mit der
Mundart vertraute Pfarrer Korez mit mir sich vergeblicli bemühte,
das Wort zu deuten). S. Naehtr. 19 a , ist nichts anders als bäl-
wesch, das ist Walfisch. Doch gehören diese Erinnerungen
an das Meer zu jenen ursprünglichen Eigenheiten der Häudörfler,
die nicht eine spätere Einwanderung zugebracht hat: sie haben
sie mit den Z i p s e r n und S i e b e n b ii r g e r S a c h s e n g e-
mein; alle nennen einen Bergsee, ein tiefes Wasser: me er
äuge. S. Naehtr. 41\ Aus der mir geläufigen österreichischen
Mundart Presburgs ist mir das Wort meer gar nicht erinnerlich,
außer in der allgemein verbreiteten Zusammensetzung meer
ferkel (miafä'’l) Meerschweinchen,
morg, der Morgen, jugerum, in polnischer Bechtssprache, siehe unter
lohen. Vgl. Meitzen a. a. 0. 49.
muoten, muten, ein gefundenes Erzlager anmelden; den Besitz an
sprechen. M u tung f. Aufsuchung, Anmeldung. Kchlm. II, 168. Sol
auch nichts anderes muten noch begeren. Schemn. str. 13.
Das gemutete, begehrte. Kchlm. II, 171.
vormuten, vermuten. Wo er sich vormut dö sin liabcsi.
Z. w. 33.
nächvart f. eine nachträglich zu bestimmende Tagsatzung. Wil der
zinser daz pfant nicht loesen so sol er (der Pfänder)
mit des rieht er s wizzen und der geswornen daz
pfant verkummer n u n d in ft f die nächvart wlsen.
Schemn. str. 36. Vgl. fart, unter ferte.
nester von Kis : „Schwefelkieslager in Schmölnitz, auch Kiesstöckc
genannt.“ Kor. 681.
not f. sechs ehafte not können als Entschuldigungsgrund für
ein Versäumnis vor Gericht gelten. Der Artikel 37 im Schemn.
str. ist in Wenzefs Ausgabe ganz unverständlich; nach Kachel-
mann’s Ausgabe läßt er sich herstellen: ez sint mich sechs
eh a ft e not, da mit einer s ine s rechtens nicht v er-
linset („verlewset, verleuret“), der zu gesezten recht
tagen vor dem lichter zum rechte nicht komben
mac. Die rechtlich anerkannten Verhinderungsgründe werden
nun aufgezählt: 1. Verhinderung durch den Landesherrn; 2. durch
320
S c h r ö e r
Feuer, Wasser; 3. Krieg; 4. Gefängnis, Raub; 5. Krankheit;
6. Todesfälle.
not t wen gen, notzüchtigen, wer ein meit oder ein wip
not zw engt. Schemn. slr. 23.
nötic, in not. Z. w. 31 noch üblich, s. Wtb. 84 1 '.
oeme m. Oheim. (Sonst öheini, oeheim, hoeme, nihil. Wtbch.
II, 435). Z. w. G3.
ort n. ein {glich er gemezzener herc (ein Bergwerk in der
Hand eines Besitzers) — sol von recht zum minsten 3
sc liecht haben und in i glichen) leben 3 orter (sieben
leben im Umfang muß er haben, und jedes leben drei Endpunete,
die den Besitz begrenzen) — und in iglfcher 1 ehe lisch a ft
ein ort (hier scheint unter Lehenschaft der ganze Besitz ge
meint, der einen Endpunet haben muß).
p e u s c h e 1 m. Großer Hammer. Kchlm. II. 172 zu mild, b lisch m. Schlag.
Polka f. Apollonia s. Palkowitsch sl. Wtb. Polka Polce. ich bete
im s e li t e P o 1 k en almnosen geben. M. v. F. 245, wird viel
leicht aus einer Legende von dieser Heiligen zu deuten sein.
p u dien, klein machen. Kchlm. II, 171.
quarz m. Steinart. „Quarz nimmt und bringt Erz“, Sprich
wort in Schmölnitz. Korabinsky G80 s. einbrechen.
redekorp m. ein Sieb zum „rätteru“ oder reitern der Erze , Rätter
sieb. M. v. F. 385. braucht nicht in rederkorp emendiert zu
werden; vgl. mhd. redebi utel, redesip mhd. Wtb. II, 696.
Schm. III, 52.
reif m. Ein Längenmaß, daz gewant reifen, Tuch abmessen,
Zips. willek. 40 vgl. „ein stück leinwand zum reif tragen
damit der reifer dessen lenge mezze.“ Schmell. III, 60.
Daher madj. ref (ref), Nebenform, röf, die Elle.
reifen, abmessen, vom Tuch, Kleiderstoff, waz man gewant in
disem lant macht daz sol auch gereift werden. Zps.
w. 40. S. das vorige Wort.
rheinfarten, nach Aachen oder Köln in den Protokollen der ungr.
Städte erwähnt. S. Ofner Stadtrecht eil. Michnay et Lichner. Seite
185, Anmerkg. und achvart.
abreißen, sich.: „Zwischen disen Gängen reißen sich
einige Klüfte ab, die aber nicht von besonderer Ergibigkeit
sind“. Korab. 680.
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarten des ung-. Berglandes. 321
reitgabel f. „Beim Seifen des Goldes die Reitgabel führen.“ —
Kchlm. II, 171; reit- wahrscheinlich = rede - in redekorp
s. d.
rennen. Das Eisen rennen, „das ist in Rennfeuern schmelzen.“ Kchlm.
II. 171.
richtschacht m. Senkrechter Schacht. Schemn.br. 11.
rösch, grob, vom Gestein; röschen, aufgraben Kchlm. II, 171.
rösten, in: Kupfer rösten, am Feuer entschwefeln. Kchlm. II, 171.
rüte f. in der Rechtssprache virga. Sechzehn Ellen und eine
Spanne. Kchlm. II, 104, s. lehen und Nachtr. 44' 1 , siehe auch
fr eilelien.
S wird im Anlaut zuweilen nach nl. Schreibung (die sich auch bei Ma
djaren und Slowaken findet) mit Z geschrieben : die z o 1, die
sole. Scliemn. br. 11. S. Wtbch. 89. 107. Nachtr. SO und mein
Vocab. von 1420, Seite 61.
Sachen, eine Sache - einen Rechtsstreit - vor Gericht bringen,
wo d a z rjuaeme d a z I i u t e mit einander z e Sachen
heten. Z. w. SS.
sagersere m. sacrarium. In der Zips ehedem Wahlversammlungsort.
Z. w. S8.
(
salb für selb in salbsecliste. Z. w. SS. salb dritt. Z. w. 19.
sau f. Versiulelte Zeuge (Erze), taubes Gestein. Kchlm. II, 172.
schacht m. pl. sehecht, eine vom tage aus senkrecht gehende
Schürfung. Alle percwerch, ezsien scheeht o der Stol
len. Schemn. br. 2. richtschacht s. unter R.
schaffen swv. 1) Vermache d. i. legiere, wie im Münchner und
Brünner Stadtrecht inhd. Wtb. I!, 73 a . Ist daz ein fremder
stirbet, und von sinem gut nichts schaffet Schemn. str.
1. Waz der mit sinem gut schaffet vor ersamen und unvor-
spro dienen liuten. str. 1.-2) verfügen, verordnen, befehlen,
waz die geswornen setzen und schaffen. Schemn. str.
4. Diese alte Bedeutung des schwachen Verb schaffen, die
in der österr. Mundart noch lebt, findet sich auch bei Goethe,
Faust, Hexenküche, fragt die Hexe: Nun sagt ihr Herren,
was ihr schafft (was ihr befehlt)! Mephistopheles: ein
gutes Glas von dem bekannten Saft!
Scharung f. „Das Zusammenlaufen zweier Gänge im Streichen unter
einem spitzen Winkel: scharen.“ Gätschmann 64. — Dies
i
322
S c h r ö e r
erklärt, den von Kchlm. II, 163 gebrauchten Tropus: Haben sich
ihre (der ungr. Ritterschaft) Gänge (die Familienlinien) beson
ders mit den deutschen zu guten ungr. Scharungen gepart
und reiche Nebentrümmer abgesetzt.“ — U eher schar f. br. 3,
s. mhd. Wtb. II, 133.
scheidgadem n. Das Scheidhaus, wo das taube von dem erzhal
tigen Gestein ausgeschieden wird. Schemn. br. 17.
scheidwirdiges er/,, welches ausgeschieden zu werden verdient
und nicht bloß auf die Waschhalde gestürzt wird. Kor. 681.
schfhellich, rund, im Umkreis, in Pis. tschaibet, scheibieht
krumm, Wtbcli. 46. s ö hät ein i e d e r m an recht zu p ü w en
— üfz us Iahen sch ib etliche leben, d. i. ein Lehen im
Umkreis. Schemn. br. 3. Das mhd. Wtbeh. schreibt schibelec.
Die Ausgaben haben scheyblich.
Schicht f. 1) Das Tagewerk, Schicht m aclic n, vollenden, schiebt-
ler, Taglöhner im Bergwerk. Nachtr. 45. Wtbcb. 92. Vgl. Gätz-
sehmann, Scheuchenstuel. — 2) Die Gewerken (s. d.) eines
Bergwerks werden getheilt in 4 Schichten; so im Schemn.
br. 15: ist oder daz die dri schiebt dar kumen und
die vierde nicht oder 5 achtel nicht, die vierde
schiebt oder die 5 achtel miigen nit gehindern,
die andern miigen si verlihen, wem sie wellen. Nach
Gätzschmann ist die schiebt der achte Theil einer Eigenlöhner
grube, soviel als 16 Kuxe; was zu obiger Stelle insofern stimmt,
als auch Achtel angenommen werden, in die das Ganze vertheilt
ist, freilich ein Achtel der Gewerken,
schießer m. Pochstempel. Gätschm. schreibt schüsser. Kchlm.
poch schießer. Verschießen schwv. einstampfen, mit
schießern, Stempeln, Brettern zudecken. Kchlm. Gätzsch
mann schreibt verschiesen.
schimmertat f. Der blinkende Schein, Schein der Tliat, etwas
(ein Schimmer) das die That verriet. S. Wtbeh. 43“. Gr. Rechts
altert. 637 f. fint man darüber schimmertot pi im,
man sol in h engen. Z. w. 34.
schlich m. Durch Waschen gereinigtes Erzmehl, Schlamm. Gätzschm.
„Das ganz unhältig scheinende wird in den Pochwerken zer
malmt und zu Schlich gezogen.“ Korab. 682.
schnür f., s. snnor.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 323
scliolt, sollte, 1408. Schemn. Stadtb. s. Kaclielm. 1, 76. Vgl.
Wtbcli. 94 a . Im Neusoler Stadtarchiv noch 1393: her schall.
schoßen, Steuer zahlen. „Mit einem Hause in der Stadt zu Rechte
wohnen und mit den Bürgern schoossen oder Steuer und
Losung (s. d.) tragen.“ Kclilm. II, 168. Dazu vgl. voc. von 1419 :
beschossen exactionare; schosser, exactor. Sehmell. HI, 410.
schräg f. Einschnitt in das Gestein mit spitzen Eisen, verseil rae-
men. „Zu Zeiten macht sich der Bergmann einen tiefen Ein
bruch und verschriemt den Gang.“ Kor. 681. Ygl. schrimsen
Wtbcli. 93.
schroten, mit dem Hammer theilen; „Eisenklumpen geschrottet“.
Kchlm. II, 171.
schürf m. Eröffnung des Erdbodens im Bergbau, mer haben wir
gesezt daz ein schürf friung (s. d.) habe biz an den
dritten tac, und wi rt er denn nicht gep i'i wet, so
mac man in vergeben mit rechte wer da kumbt und
in begert. Schemn. br. 13.
schwappen, schlendern. Schmöln. Vgl. schwapp ein, trinken, in
Dopseh. Nachtr. 46\
schwarte f. Ein Baumstück mit der Rinde. Kclilm. II, 171.
schwefelblS f. Schwefelblüte. Korab. 683. bliie = blute ist
bairisch-österreichisch. Im Vocab. von 1419 öpflplüe, rubi-
cula. Schmell. 1,233. Gr. Wtbcli. führt es auch aus Schrift
stellern aus andern Gegenden auf; aus älterer Zeit nicht.
Sebnitzf. Schemnitz. W i r geswornen von der Sebnitz.
Schemn. br. im Eingang, nach Kaehelmann's Lesart. Wenzel hat
Schebnitz. Ersteres ist wol die ältere Form, wie sie unlang nach
KönigBela’s Tod(1270), als das Bergrecht abgefaßt ward, lautete.
Eine noch ältere ist Wania s. d.
sei ge f. Jene Einrichtung der Stollensole, durch die die Grubenwässer
ausfließen können, ist daz der, der den stollen püet
sin wazzerseige recht und bescheidenliche üffüe-
ret. Schemn. br. 5.
scigern, Kupfer mit Blei vom Silber scheiden. Kchlm. II, 171.
seigerwirdig, sagt man von silberhältigen Erzen. Kor. 681.
seil n. Das Grubenseil zum Emporziehen und Niederlassen von Ge
genständen. Kumbt der laege schacht e daz im (dem
Richtschacht d. i. dem, der ihn baut) sin seil näehfolgen
Sitzl). d. pliil.-liist. CI. XL1V. Bil. II. HU. 22
324
S c h r ö e r
mac, so hat der richtschacht (s. d.) sin miieje und
arbeit verloren. Scliemn. br. 11.
sife f. Bächlein. Über die Bächlein seifen im ungr. Bergland, siehe
Wtb. 96 b , Nachtr. 45“. Vom Jahre 1589 sind mir 3 seifen mit
beigesetzter Übersetzung aus Kesmark bekannt, 1. visfalu (d. i.
vizfalu: Wasserdorf): dorfseifen, 2. ydesviz (d. i. edesviz :
Süßwasser) : liebseifen und 3.saarpataka (d. i. sarpataka:
Kotbaeh) krumbseifen. Man sieht zwar, daß die Übersetzung
nicht wörtlich ist, sie stellt aber die Bedeutung des Wortes
seifen über allen Zweifel klar heraus. Die Form sife erscheint
. noch in einer Urkunde von 1284 in cochensife, einem Bache,
der in die Gölnitz mündet. Siehe Kacheln). II, 150. ßärdossy 118,
333 (vielleicht wie chochen, Brunnen, mlul. Wtb. I, S92 1 ', ein
kockenseifen? Jetzt heißt der Bach, so wie ein daran liegen
der russnakiseher Ort Koischö). Vgl. Wackern. Wtb. unter
/sife. mhd. Wtb. 11, 204.
sinter. „Wenn durch die schiefen Löcher kein Schwefel hervor
sintert.“ Kor. 683. sinter m. , ist sonst die Schlacke ahd.
sintar. Graft'. VI, 265. Obiges sintern stimmt in der Bedeutung
eher zu suttern. Schmell. III, 293. sickern. Schmell.
III, 197.
Siegel m., der Schlägel des Bergmannes. Siegel unde isen.
Scliemn. br. 8: wo zwen stollen zuhouf kumen, mit
durchslegen, die wem sich mit drien vierteln eines
lächters, daz einer dem andern wichen müz. Dar
nach houwet (Wenzel huvet) ein iglicher wider an
und waz er gewinnet mit s 1 ege 1 unde isen — daz
beheit er mit dem rechten.
snürche f., die Schnur (nurus) Z. w. 8. vgl. Wtb. 95“: scliuu-
rich. Am Unter-Main schnörch. Schm. III, 495.
snuor f., snür. Ist zunächst die bei Vermessung der mar esc beide
gebrauchte Schnur; dann ein Längenmaß; latein. ebenso: zona.
in der poln. Rechtssprache hat ein Morgen drei Schnüre
und zehn Ruten. S. 14h en.
sole f., die Bodenlläclie in der Grube, so bat der richtschacht
die zol (nl. Schreibung vgl. S) und der leg die first
Scliemn. br. 1 1.
sp eisig, erzhaltig. Sp eisiges Erz, reiches Erz. S. heißgrätig.
Versuch einer Darstellung; der deutschen Mundarten des ung-. Berglandes. 325
spleißen* st. schwv. spalten, gespleißt: das Kupfer gespalten,
gesplittert, in Scheißen gerissen. Kchlm. II, 171. „Das Kupfererz
wird auf die Garfeine gespließen.“ Kor. 084. Vgl. die splisse.
Wtb. 98".
spur f., Zwischenräume im Gestänge (s. d.) heißen Spuren. Kchlm.
II, 172.
st ah ein, stählen, gebraucht noch Kchlm. II, 171.
stamelen, stottern, stammeln, ez. waer denn daz er nicht
volk omen waer an sin er rede, daz er s tarn 1 et. Z. w.
67
stechen m. , den häuern nächstechen, nachsehen, ob sie ü f
irer arbeit sint. So Kchlm. II, 168, als ob er Worte eines
alten Schriftstückes citierte. „Von dem in der Grube nicht ange-
trolfenen Häuer sagte man: er sei erstochen“. Daselbst; vergl.
aufs teeben, verklagen. Schm. III, 607.
Stempel m., s. marcscheid-stempel.
stolle m., die wagrechte Schürfung. S. schacht, pl.-die Stollen
Kor. 681.
streichen n., 1) die wagrechte Ausdehnung eines Erzlagers. Kchlm.
II. 175. Siehe v er flächen. — 2) gestrichen solen? —
welch schüster gestrichen solen zu markte p ring et
der bestet an des landes büze. Z. w. 72.
striffm., so in beiden (von einander unabhängigen) Ausgaben des
Schemn. br. 20: so zwen soll echt sien üf einem ganc
und einer quaem durch ganzez ein 1 äcliter, ez waer üf
dem gauc durch firsten (fürsten) oder durch s triff und
quaem dem andern in sin z ech und f unde niema ji
därinne. Augenscheinlich ist hier die wagrechte Richtung, das
Streichen (s. d.), der Strich gemeint und steht vielleicht auch
s tri ff, für strich. Doch findet sich auch in den sette communi
ein Subst. Strif: Streifen. Schmeller eimb. Wtb. 175. — Dies ist
kaum ein mhd. strif (denn mhd. i ist cimbr. ai) und diese
Mundart steht der unserer Bergstädte sehr nahe. S. Nachtr. 24.
Vgl. den Wechsel zwischen eh und f in krachen (= kraften)
stärken. Wtb. 73 (wo diese Ableitung nicht hätte angezweifelt
werden sollen) u. a.
strosse f., eine Abstufung im Berghaue, die entsteht, wenn man nicht
auf ebener Sohle weiter baut. Vgl. Gätzschmann 78. „Diese Gattung
22 *
S o h i* ö e v
326
Arbeiter (die Erzhäuer) wird auf die Strossen angelegt.“ —
„Zwei solche auf einer Strosse arbeitende Bergleute“. Korab.
681. Vgl. nl. strote, Gurgel, stress f., Kehle. Schmeller III.
6S9. Wozu weiter s tr u tz en, s tr ü t z e 1 u. s. f. Vgl. Kellerhals,
struben, starren, einporsteben (von Haaren) mit zustrubeten (zer-
strawbten, K., zustrowbten W.) hären. Schemn. str. 23.
Vgl. Ofner str. 284: der einer junefrouwen nutzigt
(ndtzogt), wirt si von im beschämet balde und von
i m k u m b t und 1 o u f e t zu klag mit zu sträbelte m
liär und mit plütigem gewant. S. Anmerkg. das. Seite 156.
stunde f., die Bichtung nach dem Stundenringe des ßergeompasses,
s. Scheucbenstuel 239. Lehrreich auch Gätzschmann 79. — „Oie
Schmölnitzer Gänge streichen in der sechsten S t u n d nach Morgen
und verfläclien sieh von Mitternacht gegen Mittag auf ungefähr
75 Grade.“ Kor. 680. „Diese Ablösung oder Veränderung der
Steinlager, welche durch eine andere Stunde auf den Gang herein
kommt,- heißt man hier Klein.“ (s. d.) Kor. 680. „Klüfte die
in diesem Gebirge Stund 9 und 21 streichen“, s. wider-
s i n n i g.
stürzen, einen zur Strafe unter ein but stürzen. Z. w. 51.
suoclien in süchstollen m., der Schürf zur Aufsuchung von
erz lagern, wo ein süchstollen üfges lagen wirt in
einem ganzen perc. Schemn. br. 9.
sümendee, versäumend, vernachläßigend. Über dieses -endec
s. Seite 284. Ist daz ein perc den andern hindert mit
wa zzers not: daz s u 11 en die g e w erken dem geri c h te
u n d de m peremeister d r i tage vestecliche k u n t t ü n
und als die dri tac end haben und und er ne men sie
ez nicht, so ei gen t man den sümendigen (sa mm en
digen W. , saumenden K.) perc mit recht dem perc
zu, den er gehindert hat. br. 5.
sweer (f. sw eher) m., Schwiegervater. Z. w. 9.
T, eingeschaltet in oberth,alben und ni derth alben. Zips
w. 14.
tac s. jär. „ertaeh m.“ das in älteren Schriften des nng. Berglandes
als ein Ackermaß, gleich Tagwerk, vorkömmt, und noch in der
Zips in Gebrauch isl, wird wol hielier gehören (vgl. mhd. ern
ararc und tac). „der ertaeh wurde zu 1600 □ Klafter gcreeh-
Versuch einer Dnrstelliiiig der deutschen Mundarten des urig. Herglandes. 327
net.“ Genersich Geschichte der Stadt Kesmark [. lid., Seite 10.
„Jo. Schmidt kauft einen ertach im fordersten liell“ (Name einer
Feldmark.) „per II. 5 denar 30“ wisbueh der Stadt Kesmark von
1554—1619. tag'edinc s. ledingen.
tedin gen (tagedingen) gerichtlich verhandeln. Wenn eine witwe
vor einem rechten zu tedin gen hat. Z. w. 38, vgl. 3.
Wie das Wort noch erhalten ist in Knneschhäu, s. Nachtr. 21 :
tädeng, in der Zips t artig und tädigen Wtb. 42 b f.
Tische f., die Theiß, der Fluß; lat. Tiscia (madj. Tis za, scldovv.
Tisa). Auf einen Städtebund der ungrisclien ßcrgstädte deutet
hin eine Bemerkung von 1418 (Schemnitzer Stadtarchiv), wo ein
Mörder von allen Bergwerken piz an die Teisehe verbannt
wird. Hi ist zu merken daz Hensel Grall auz der Ho
rt r u s c h (bei Schemnitz) vorscbriben und v o r z a 11 i s t v o n
binnen und von allen perkwerk piz an di Teisehe,
von eim frevelischen tötslac, des her pegangen
hot in der Hodruseh an einem frommen man Hanns
Scherer genant. Kclilm. I, 77. Kachelmann bemerkt dazu:
eine ähnliche Hindeutung auf den Städtebund kömmt vor 1366,
wo zwei ko ler von Königsberg, die den Hodritzer Ulrich
Tailer beraubten unter Vorsitz des Schemn. Stadtrichters
Hain zmann verurtlieilt wurden. Zu bemerken ist: der lat. Name
der Theiß ist Tiscia, nicht Tibiscus. Ersterer Name findet
sich in allen älteren Schriften bis in s 13. Jahrhundert. Erst später
tritt die Verwechslung mit Tibiscus ein, welches der alte Name
der T rmescli ist. — T e i ß h o 1 z n. heißt das Holz des Eibenbau
mes taxus liaccata, ungrisch tiszafa (Theiß-Baum). — Der
Name des Ortes Theißholz (magyar. T i s z ö I e z, slowak. T i s o w c e
latein. Taxovia) in der Gömörer Gespannschaft, wird von diesem
Baum abgeleitet, der ehedem dort häufig war (Bartholomäides
comit. Gömöriensis II. 711 sagt: prout ex radicibus, huedum
elfodi solitis ac subinde dimidium pedem latis, colligere licet),
tu g e n d ha ft e n. Der Erzgehalt. — „Galt ihnen Gott allein als der
wahre Erzmacher, der das Edle und Tugendhafte in die Gänge
hineintröpfele.“ Kachelmann II., 171.
trüge, trocken; mnd. und md. (12. Jahrhundert) setzt Weinhold im
schles. Wtb. 100. Die* trüge mag im 13. Jahrhundert in triuge
iiberge.gangen sein, woraus freu ge, wie in md, Schriften des
328
S c li r ö e r
14. Jahrhundert geschrieben wird. —si si triug (Ausgaben:
trewg treug) oder flucht Sehemn. str. 5. — treugen,
trockenen. Sehemn. hr. 6. auch jetzt noch s. Wtb. 43 l> .
unart f. Die bösen und übelriechenden Dämpfe? „haben beim rösten
(s. d.) der sp eisigen (s. d.) und heißgräti gen (s. d.) Erze
nur die böse Unart und die giftigen Kise auszudampfen, matt
und taub zu machen und zu tode zu brennen geglaubt.“ Kchlm.
II. 171 f.
-und. Die Bildungssilbe Partie. Praes. -end, hat seihst in den
stark verneudeutschten Ausgaben des Sehemn. str. u. br. noch
Formen wie farund oder unfarund. str. I. ezzunde pfant.
str. 40. daz hängende und daz ligunde, br. 3. Es sind
überall technische Ausdrücke, die eine alterthümlich aussehende
Form festhalfen. Eigentlich echt alterthümlich sind diese Formen
nicht, viel eher als beeinflußt anzusehen von dem lat. Gerundium
(das ja auch auf eine ungrische Bildungssilbe des Verbs, so wie auf
die deutsche Bildung -ende für -enne, Dativ des Infinitiv, Einfluß
hatte) mit Erinnerung an verba zweiter schw. conj. wie wei-
nönter, plorans (vgl. mhd. mit weinenden ougen. Nib. 2073
hs. A.) s. Hahn mhd. gr. I. Seite 101.
unvorsprochen, sui juris, unbescholten; von Zeugen Sehemn. hr. 1:
also vern als sie unvorsprochen Hut sin. Zips. willekur:
wer dö in den 24 steten wirt zu einem richter, der sol
ein unvorsprochen man sin. Vgl. Ofner str. Seite 109
und 312.
urbar f. Zins br. 16. „urbaren“ = roden. Kchlm. II., 107. „u rb e d e
urbür = bergfrohne. urbürer = zehentner“. Kchlm. II. 167.
V. s. unter F.
W im Anlaut wird B in der Wenzel’schen Ausgabe des Schemnitzer
Stadtrechtes: bar: war 11, 12, 17, 23, 27, 31, 33. belicher:
welicher 13. bir: wir 22. bo: wo 3, 9 (daneben häufig wer,
wir, wo); vgl. Wtb. 102. Naclitr. 49 h .
Wania der ältere Name der Stadt Schemnitz s. Seite 299 f. und Seite
323 unter Sebnitz. — Die älteste beglaubigte einer Original
urkunde entnommene Form scheint Wania s. S. 299 f. —
Kachelmann I, 16 leitet den Namen auf den quadischen König
Vannius zurück. Daß das Dorf St ft e in graben im Eisenburger
Comitat ungrisch nun auch Bänya genannt wird, berührt meine
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. n 9
S. 48 ausgesprochene Ansicht nicht. Bänya ist liier weder Berg
werk noch ein altes Wania, sondern nur eine Übersetzung des
deutschen Namens nach dem jetzigen ungr. Sprachgebrauche.
waze (spr. wase) f. Die Base. Z. w. 63. mild, base ahd. basa.
Die Form wase ist nd. S. brem. Wtb., Schütze holst, idiot.
Richey idiot. hamburgense. Es findet sich auch bei Herbort, s.
Frommann zu 2568. Die obige Schreibung mit Z ist. nl. vgl. oben
so] e und mein vocab. 1420 S. 61. Dieses Vocabular schreibt
auch: 102 amita dy waze. Siehe die Anmerkung dazu S. 38.
willekur f., ein } gl ich er gast hat fri willekur, daz er
sich I;et begraben wo er wil. Schemn. str. 1. „Wille
kur der Sachsen in dem Zips.“ beißt der Zipser Land
recht von 1 370.
wellen. „Mögen sie das Eisen gegraben, gepucht, gereimt (s. d.)
gewellt, geschrcetet (s. d.) und gestahelt (s. d.) — —
haben.“ Kchlm. II, 171.
widersinnige, Klüfte: „Klüfte, die in diesem (Schmölnitzer) Ge
birge Stunde 9 und 21 streichen, ihr Verflachen aber gegen Mor
gen oder Mitternacht haben, werden widersinnige Klüfte genannt.“
Kor. 680. s. rechtfallend.
wisbücli n. ein Grundbuch, welches den Grundbesitz eines Ortes aus
weist s. unter ta c.
Witterung f. Einen Erzgang „mit derRute nach Witterung, Geschüben,
Fällen und Geschicken ausrichten.“ Kchlm. II, 170.
wizze f. Kunde, Wissenschaft, mit des riehters wizze. Zips.
willek. 28.
Z für S. siehe sole (zol), waz e. Zö wol wirz lihen. Sehemnitzer
Urkunde von 1378 bei Kchlm. 75.
zeche f. Ein Bergwerk, das mehrere gemeinschaftlich besitzen.
Die Zeche heißt auch ein ganzer deutscher, bergbauender Ort
im Neitraer Comitat, der unter dem slavisierten Namen Cach
oder Czach gewöhnlich genannt wird. •— u nd arbeit ieman
in einem stollen mit des rätes und p e r km eiste r s
g u n s t und k u m b t an einen g e in e z z e n p e r k oder in
ein zech. Schemn.br. 5. — Erstickte zechen, die vom
Wasser angefüllt sind, ouch wo derstickt und ertrunken
zechen sint die kein rad noch gepel geweldigen
330
S c h r ö e r
kan oder gewinnen Schemn. br. (5. Daher madjar. zeh
(czeh) die Zunft, Zeche.
z e h o u f, zusammen wo zwenstollen zehonf qns m e n. Schemn.
br. 8. noch jetzt gebräuchlich vgl. zäfNachtr. U 0*.
Zips m. nach unserem 1 antrecht, als wir haben von
alters, als der Zips g e s t i f t ist und als uns die k ü n j g e
von alters und bizher begenädet haben. Zipser wille
kur. 1. Vgl. Seite 281. — Eine Urkunde (Wagner anal. scep. I,
314) von 1327 von Joanes dux Oswiecimensis nennt unter den
ihm untergebenen Orten Zator, Laut, Wadowicz auch einen Ort
Zipsa, was mich daran erinnert, daß Häufler’s Sprachkarte im
Wadowiczer Kreise eine der Krickerhäuer verwarte Mundart
findet.
zücken, notzüchtigen, ez q nie me einer und zücte die wilwe
ad er juncfrouwen mit gewalt. Z. w. 14. Vgl. s trüben,
not twengen.
zuc m., der Verzug, Aufschub, der ime den zuc lozen (läzen),
wil, des ist er geweldig. Z. w. 19.
zwir, doppelt. Z. w. 37: ab einer ein pfant zwir vorsezte.
Krompach *).
Am Kunnertflusse [Herndd s. Anmerkung “) Seite 297] an der Grenze der
Griindener Sprache.
Von drai raibern.
Ich häb en ein büch gelesen däsz drai raiber hän en e wald 4 )
e s) haus gehat; und von den raiberhaus war nech wait e mil. en
der mil hat geweunt 0 ) e miller und der hat e tochter gehat. als das
di raiber geliert hän, hau sich di raiber scheine 7 ) kläder 8 ) ange-
zeugen°) und sain als grüsze herrn en di mil gekoin i). der miller
und di millern hän di drai raiber schein begiiszt und hän euch ge
sengt 0 ) di soln deu °) nächten blaiben. di raiber sain euch den
nächten gebhhen und han sich euch en di millerstoehter verlibt
euer 8 ) von di drain hät sich gär ser en se verlibt, so däsz der (=er)
*) Ringesmit wie die Leulschauer 'Sprncliprobe Seite 28!.
Versuch einer Darstellung; der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 331
hät gesengt der 7 ) wet se hairäten. es ess euch seu gesehen und di
zwei hän sich zusäm gehaii'ät, nämlich di millerstochter und einer
von di drain. jez hän di drai raiber iber di millerstochter geseugt:
si sol sich fertig machen, daß se mit inen kann 4 ) zu sam kastil
(vgl. VVtb. 68) fären. denn das kastil stet nur ganz ellein und so
wollt 2 ) se neeh treffen (würde sie den Weg nicht finden), di millers
tochter ess met inn werklich metgegän 3 ). als se en halben weg
wären so hän se schund met ir angefäi) 5 ) ser greub») zu reiden 7 ).
si hät euch 6 ) schund wolln zureck emkeren, äder si hän se nech
gelässen. und als se schund ganz neu 6 ) (nahe) bei der kastil wären,
so hän se iber se geseugt 6 ); daß si drai raiber sain und hän er
euch geseugt: wenn se di gesetz, welche se ir gehen hän, über
treten wet 7 ); so wern se glaich se teut schleun. en andere tag sain
di raiber of di jag (?) gän 3 ) und hän er gesägt: di kann en alle
stob (alle Zimmer) gen, nur en eine necli. und en der stub äber
wären alle lait, was se hän schund tot geschlän.
1) Die Mundart, obwol Krompneli näher den Gründen liegt, ist sehr nahe der des
Zipser Niederlandes verwant. Vgl. Sprachprobe aus Pudlein überhaupt und hier
namentlich. Anmerk. 10.
2 ) wo II te = würde, vgl. Sprachprobe aus Gölnitz. Anmerk. 2.
3 ) Siehe Sprachprb. aus Pudlein. Anmerk. 10.
4) Das durch Position geschützte kurze a behalt den reinen Klang wie in Kiismark.
VVtb. 29 a in Pudlein ist auch dies a zu a geworden, indem dort das reine a für iiee
eingetreten ist ; a vor einfachem Consonanten ist oben überall a oder eu.
5 ) Vgl. Sprachpr. aus Pudlein. Anmerk. 10.
6 ) Mhd. A a o (vor einf. Tons.) o u wird eu, s. Spracbpr. aus Pudlein. Anmerk. 2.
ei für eist niederrheinisch: reiden. Tundalus 33. 56. Gr. gr. I 3 , 185 md. nord-
schles. Riickert Ludvv. 161. Weinh. Dia]. 46. das ähnliche ei für oe in sehe i n auch
in Schlesien, Weinh. d. 46, 10.
8 ) wet, wird in den Gründen, in Dpsch. Kh. u. s. w. bet, b i t, sonst in der Zips
wet, wit S. Nacht 49 b VVtb. 104.
9 ) Mhd. ei ist hier e e in e: ein, euer: einer; hingegen ei in kl Ad er; ersteres wie
in Krh., letzteres wie in Kiismark. Die Neigung zu e in eil ein für allein ist be
merkenswert; fränkisch hennebergisch eile, siebenbiirgisch ejlin. Fromm. V, 271,
8) 7. — VI, 508.
An merk. Vollständiger findet sich das Märchen in Hessen Grimm (Hausmär
chen 40: der Räuberhräutigam), auch in nd. und obd. Gegenden und dänisch. Grimm.
Hausm. III. 40; es ist auch in das Madjarische übergegangen, (bei Stier*) 45) wo das
Itäuberhnus, das oben noch Paslel heißt, schon ein Palast von drei Stockwerken ist.
*) Ungrische Märchen und Sagen, übersetzt von G. Stier, 'Berlin 1830.
332
S c h r ö e r
Wagendrüssel.
Eingesant wie Seite 281.
Dasz Terprochenc') Hufaise 3 ).
en 3 ) pouer 4 ) es 5 ) mit 6 ) ßainem 3 ) ßön 5 ) Tümas 4 ) lwers feld
gekan ün 8 ) ünerm 8 ) we 9 ) hän se e steck hufaise gefön 10 ). „tä lait
e steck hufaise 10 ) üf ter sträsz; hebs üf un stecks en.“ hat te vater
gesät, „ei“ hat were n ) te Tumas gesät „taß ess net 5 ) ter mii wert
sich trüm ze pücke.“ Te vater hat stell ufgehob 10 ) un en te
sack gestoch 10 ). em näxte torf liäts te vater tem schmid ver-
khaft um drai pfening ün hat vor das kelt 7 ) khersche khäft. alle
z wei sen waire 1_1 ), äwer ti sunn hat ser heiß 3 ) geschaint 3 ), wait
un pret 3 ) war khen hous 4 ), khen päm 4 ) ün khen kwel ze ßin < 3 ).
Tumas es pall 8 ) vor turst verschmacht ün hat kär ne me khönne tem
vater nakhüme. jetzt hat te vater en khersch falle läße. Tümas hüb
se klaich 2 ) bekirich üf, alz 1S ) wi wenn se küldich 14 ) waer ün hat
se klaich enz moul gestoch. alz se e phär schrett waire, hat, te
vater were en falle geläß 15 ); Tümas hat se were üf gehüb. ün sü
hat te vater alle khersche falle läße 15 ) ün Tümas hat se all üfgehüb.
Alz awer te khersche. all wäre und Tümas ti lezt gekess hätt 16 )
lämälz hat te vater sich ümgetret un gesät: „kuck, haste 17 ) lieh en-
mäl wolle üms hufaise pücke, sü haste tich net uin ti khersche hunnert
mal gepreicht 1S ) pücke!“
verp rechen wird auch mhd. für zerbrechen gebraucht, namentlich im
Passional. (mhd. YVtb. I. 246), aber schon in der altfriink. Übersetzung des Isidorus
Hispalensis de nativitate domini heißt es isenine grindila (i h) firbrih-
h u : vectes ferreos confringam. Vgl. auch noch gesworneeide — stedeunde
unvirbrochen ze haldene. Wackernagel Leseb. I 2 , 724, 19—22.
2 ) Der Wegfall des N in h u f a i s e, w A r e, ist mehr west- als o s tlechisch (mehr
alemannisch als bair. österr.) S. Schmell. Gramm. §. 592, Anmerkung ; aber auch in
Aachen, Westerwald etc. Der Unterschied zwischen AJ und EJ (= mhd. I und
El): aise, heiß etc. ist schon besprochen. Ltsch. Anm. 3. Kleinlomn. 11,
Bela 6, 8. in wait und pret (wit unde breit) wird mhd. EI zu lil wie nd. md.
schles. Gr. gr. I 3 , 258, 284, Weinh. dial. 34.
3 ) Ä were, wieder; das auffallende E der Endsilbe läßt sich aus dem mhd. Adv.
widere erklären ; w a i r e adv. weiter (w 1 t e r) erinnert an schwed. vi dare, dän.
videre, wo die Neutr. Adjectivform das Adverb ersetzt, als ob got. viddzd,
ahd. w i t ö r a, mhd. w i t e r e statt vldös, witor, witer stünde, s. Gr.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 333
III., 599. f. Neben diesen Beispielen von angehängten E hat der Aufzeichner des
obigen auch ene pouer, ein Bauer geschrieben. Ich bezweifle die Richtigkeit
der Aufzeichnung, stelle diese Lesart aber zu were und wair e, weil sich aller
dings auch hier eine Neigung der Mundart zu verraten scheint das Wort vocalisch
zu erweitern.
4 ) Mhd. Ü wird EU oder OU wie in Ltsch. (euf, eus, mhd. uf uz) Mzsf. s.
Kleinlomn. Anm. 5. Pudl. Anmk. 2. mhd OU wird A in p a m, wie östr. Bald diesem
OU ähnlich, bald wie ein einfaches, dem Ö sich näherndes U klingt das in Wagendr.
vorkommende u. Vgl. mnd 0 = U und AU Haupt Ztschr. III, 61.
5 ) Das E für I kömmt vor in Mundarten des Hausruck, Odenwaldes, Hessens, Türin
gens, des Eichsfeldes, Altenburgs, Schlesiens Weinh. Dial. 36. schon mittlnd. Haupt.
III, 60. h e r d e n , Hirten, w e r d i c h würdig (wirdig), w e r d i g e n , veh e
vieh und v e e (v e).
6 ) So wie die Mitlaute in Wagdr. überhaupt verschärft werden: G wird K (ohne H),
B wird P, P wird PH u. s. f. So erhält seihst S im Anlaut eine Verschärfung.
7 ) g e k a n, gegangen, vgl. gegan, Kleinlomn. 3. Ltsch. 9.
8 ) N D , L D werden assimiliert wie im Hennebergischen u. a. md. Mundarten. Vgl.
darüber namentlich Stertzing und Frommann, hei Froinmann II, 45, 50, 95, 350,
399, 402.
9 ) w e , weg, Wegfall des G. Vgl. Weinh. Dial. 84.
10 ) Über Wegfall des E N vgl. Zpsl. Anm. 9. Pdl. 10. s t e c h e n st. v. für stecken
schwv. Richey Hamburg. Idiot. 290 bemerkt: „s t e k e n bedeutet stecken und ste
chen. Daher ist bei Unwissenden, wenn sie hochdeutsch reden, die Vermengung
beider Formen sehr gemein.“
*1) Vgl. 3.
1 2 ) ßi n , sehen. J für E ist nd. Gr. gr. I. 3 235. Weinh. Dial. 39. (Schröer lat.
deutsch Vocah. s. 61.)
13) L Z für L S. s. Wtb. 89“ .
14 ) Küldich, goldig; scheint in der ältern Sprache nicht vorzukominen. Das U
(auch in m ii g I i c h, künig, M ii n i c h w i e s) halten unsere Mundarten fest.
15 ) ge laß, lasse; daß die Participformen lassen und gelassen nebenein
ander Vorkommen (wie auch ahd. lazan und k i I a z a n) ist nicht auffallend,
wol aber, daß die Eine Form (g e I a ß) hier EN abwirft, - die andere nur das
N (lasse). Vgl. Zpsl. 9. Pudlein. 10.
16 ) hätt’ hatte, schon mhd. bäte für habete. Die Prät. Formen im Indic. sind in
unseren Mundarten sonst schon gröstentheils den üblichen Umschreibungen , wie
im Österreichischen, gewichen.
17 ) häste (hast de): hättest du, eine Zusammenziehung, die wie gesät, gesagt,
auch schlesisch vorkömmt. Weinh. 84, 129, 136. Österreichisch sagt man wol
auch häst (ohne E), für hättest du, aber ge sagt, klingt k sagt, das G
fällt nicht aus.
18 ) gep reicht (=gebräucht) ist eine unserer Mundart eigene Beumlautung,
die nd. nl. Ursprungs ist. Vgl. nl. b r u i k e n , spr. b r e u k e n.
334
S c h r ö e r
Göluitz.
Zündrute z 11 r Sprengung des Branntweinfasses oder
die beiden Nachbarn, ein Branntweintrinker und ein
Mäßigkeitsfreund; ein Gespräch in Gölnitzer Mundart auf
Kosten des Gölnitzbänyaer (Gölnitzer) Mäßigkeitsvereines, lieraus-
gegeben von Samuel Fux in Gölnitz. Kaschau, gedruckt bei Kai l
Werfer 1846.
Molto: da Hannes trinkt es plappabassa f) gean
da Mechel bell en plappamän ') pokean.
Anmerkung. „Das den Wurzellaut bezeichnende kleine r
(da% gea r n) bleibt beim Aussprechen weg.“ So im Druck. Ich habe
es ganz weggelassen, so wie überhaupt die Schreibung durchaus
berichtigt, und mit den andern Spachproben mehr in Überein
stimmung gebracht. Außer dem Druck benützte ich auch eine Hand
schrift, mir durch Güte des Prof. Dr. Bidermanu in Kaschau mit-
getheilt, die zum Theil richtiger geschrieben ist, als der Druck.
Hannes.
Bits paukt*) da Koritnäky 3 ) aus?
ich bäh neeh gut geheat;
mi'e scbaints om Pellegrad a haus
duot ess es neeh vil beat.
M e chel.
Na, neeh so, ie irrt enk sea, 5
ganz andas sägt tnai mad:
* da publich'et a gute iea
fa’n 5 ) schenk von kometat.
de pranntwaintrinka sen geschlagen,
da schenk teff nisebt me pöagen
und pöagt a, teff a nindats-klägen,
das inecht 4l ) den saufan söagen.
II a n n e s.
Bäs is das fa an naiigkeit
das is doch undaheat (-un-der-hört).
10
Versuch einer Darstellung' der deutschen Mundarten des ung. Berglandes.
335
Me c h e I.
Ond docli es das fa ä ) onsa !ait J5
heat, nächpa, sea vil beat:
es trinken nemmt stark ibahand,
da pranntwain gelt izt sea,
de lait versaufen en vastand
ond klagen: es get en schbea! 20
ja frailicli kans nech andas gen,
benn men 10 ) lägteglich trinkt,
daß men« 1 ) kaum of an füß kän sten
ond bi an narr remspringt.
da tag vaget, niseht biat«) gemacht 25
de ganze libe zait
als bi getrunken ond gelacht
geziffat ond gospait 8 ).
Ond ge ens haus, duet lindst ka prot
ond ach ka stäba 9 ) mel; 30
de äamen kenda laiden not,
da vata schmiet de kel.
ond kimls zo zäln de portion,
da nemmen se en baib
fa den versoffnen prannlwaininän 35
de khida noch von laib.
das ess a schand, das ess a spott!
ja aus au seehen haus
ziht geld, gesondheit, ea ond gott
ond gleek fa. imma aus. 40
seht, darom läßt es kometät
en schenk es pöagn (fast pöang) vasägn.
daß men 10 ) nech söval pranntwain sol
me aus en schenkhaus trägen.
Hann es.
Na, nächpa, ie redt mie kurjos, 45
ich meak schon bäs a beit:
i e beaft mi'e's trinken of de näs;
ich trink nond fa mai geld!
redt ie 11 ) maintbegen bäs a beit 11 ),
enk 11 ) get däs gäa niseht an; 50
ich trink en pranntwain fa mai geld
ie sait a käaga män!
ie reißt’s 11 ) enk äb von ägen maul
ond sammelt nond es geld;
bäs hdt men äeh, benn men nech trinkt 55
of dcara harrgottsbell •-) ?
386
Schifte r
Mechel.
Bäs hat men? ja mai liba fraind
men hat doch hi sea vil!
ie sait en irrtum, benn a maint
es leben ess jux ond spil. 60
Bäs hat da farra ons gesägt
flux frü en naien jäa?
ich gläb ich häb enk doch gesen
en onsra ki'ech am koa.
Hannes.
Ich ge gott nech sea vil za last, 65
ich halt ki'ech ach daliäm;
bäs hea ons gebn bei, kirnt ons fast
von selba ach en träm
Mechel.
Halt ie von ki'echgen ach nech vil,
sä gläbt a doch an gott; 70
bea däs nech titt 18 ), fakennt sai zil
ond bi'ed zo schand ond spott!
Hannes.
Na, nächpa, bäs däs änpolangt
ich gläb ja ach än gott
ond häb om 14 ) öftas schon gedankt 75
fa’n (für den) pranntbain ond fa’s prot.
Mechel.
Doch nech duoch nichtansain ond mi,
däs haßt, nech mit da tat;
ie diet enk em en pranntbain hi
bi em de ax 15 ) es räd. 80
a secha lG ) mensch, fabäa 17 ) dea ess
of deara beit nischt beat,
da kault 1S ) sich bi de leehreng neß
rem of da kälen eat.
ond gottes straf, kirnt se auch spaet, 85
de plaibt doch kämäl aus;
denn bea am acka unkraut säet
eant testein fa sain haus!
Hannes.
Straffällig sai ba alle lait,
de reichen bi de äamen; 90
men sai bi Sälaino geschaid.
gott hat met ons dapäamen.
Versuch einer Darstellung; der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 337
denn onsa harrgott ess ja gut
hea hat ons alle gean
ond bit ons ja em Kristi plut
nech aso streng vahean (verhören).
de schlechtste sai 1B ) ich ach nech hi.
es gibt noch andre knecht,
di raich bean äne plag ond mi
durch schennen 20 ); ess das recht?
das häb pai gott ich ni getan!
ich häb zbäa oft an rausch,
doch saich 19 ) ka räba, ka Zigän,
ich mach ni a geplausch.
drom gläb ich onsa harrgott kän
den fela ma vazaihn,
hea nemt sich onsa gnädig an
drom gib ich fleißig ein.
M eche 1.
Mio schaints inet da religiön,
di ons Kristus geleat
kirnt ma pai enk nech sea gut an,
i'e kent nech gut i'en beat.
drom läßt a böat noch met enk ren
vlaich bid enk däs pokean:
benn nech, äft kint a trinken gen
ich be’s enk nech vabean.
i'e sait a pirga en da stät:
pelt i'e enk drof bäs ain,
däß a pai onsan magisträt
kint frai von deresch 21 ) sain?
Hannes.
Dariba muß sich jeda frän, ( s . Schmöin. tat.
bäs bea das far a man!
däß men izt nech me schlägn ond hän
an äamen pirga kän 22 ).
Mechel.
Nech bäa, de fraiheit ess vil beat,
däs set a selbast 23 ) ain;
es ess doch schön, of gottes ead
frai ond nech knecht zo sain!
Hannes.
Das bell ich gläbn! mai pirgarecht
geh ich nech fa vil geld.
ond paua, ontatän ond knecht
bea ich niich fa de beit.
95
100
105
110
115
120
Anm. 25)
125
130
Mechel.
Je sait za fraihait ausaköan 34 ).
ich seli pai enk ess noch
nech hoppen ond nech malz valoan,
ie dult am hals ka joch.
drom pitt ich enk, sait ase gut
poantwöat ma di fragen,
doch met geläßnem kälden plut
äft bi ich enk abäs sägen.
Benn äna sägt: du pist mai knecht,
du tefst ka pirga sain,
ond schlägt ond hat enk ach noch recht,
bäs hent. ie of däs ain ?
135
140
Hannes
Däs bit sich kämt untasten,
däs bäa sai letzte stund;
inen Kssen holl 25 ) ich of om : *) gen,
bi of an raidegen hund.
Me chel.
Ont toch ess Ana, gläbt es mie,
noch selba lädt a’n ain,
dca enk pofllt ont schlaegt, ont ie
mißt laiden ont stell noch sain.
i e lacht ont toch häb ich hi recht,
da prantwain ess da harr. - 7 )
ie sait sai“ ontatän, sai“ knecht
sai" paua ont sai" narr!
H a n n e s.
Es get ma scho“ a lichtal 3S ) of,
di saeli ess bi'eklich bäa;
ie schlägt Am nägel öantlich rof
ont treft en of a bäa!
Mechel.
Graift enk a dtp en hösenscheb 29 )
ont nemt es geld enk raus,
bäs tut a den, benn a en fangt
in euerm eignen haus?
Hannes.
Ich pack den keadel pain genick
ont schlagen of de eat;
a secha hund und galgenstrick
es gäa nischt pessas beat.
145
150
155
160
165
Nil, seht! da prantbain ess dea dip
out ie häbten noch gean! 170
ann sechen hundsbut so) habt a lip?
bäs bit aus enk noch bean?!
Hanne s.
Nä enka ren (reden) senil ka geplausch,
ie redt ma ens gebissen,
ich be halt tocb en prantbeinrausch 173
noch endlich lassen missen.
Mech el.
Bonn ana kirnt en enka haus
ond scbelt und flucht of enk,
ond sehlaegt enk plo, ond bi'eft enk raus,
macht ie den a geschenk? 180
Hannes.
Barum denn nech? met deara faust
a tichtegs hentas (böntas) da,
daß es em hup om prumt ond saust
enbenegstens a jäa.
M echel.
Ond doch hat enk en ägen haus 183
da pranntbain schon geschlagen
ond ie macht enk ann taibel drauß, S1 )
da get nech amäl klagen.
posoft'ena, ich baß noch gut,
hapt a enk angeschlagen, 190
daß näs ond maul enk harn geplutt,
en enkan haus am schrägen.
Bea hat enk denn aso gestaucht?
H ann es.
Da prantbain, das ess bäa!
das häb ech bieklich nech gepraucht, 193
ich trink kän ach a jäa!
M e c h e 1.
Ond gibt enk ana ibas hap
a hapsleck S2 ) met da hand
daß a enk balzt ond kault en stab
ond gel beat bi de band: 200
bäs tut a nächpa den?
H a n n e s.
Den hundsbut boll ich of da stell
hi es geneek vadren!
Sitzb. d. phil.-hist. Ct. XL1V. Bit. II. Hfl. 23
i
340
S c li r 6 e r
Me c h e I.
Men maul sait ie a faina man,
doch benn cs kirnt za tat: 20b
ta hängen se cnk taschen 33 ) an
ond pigen eng bi ann drät.
Bea hat enk denn es häp geschlagen
ond ie habt stell gehalln 34 ) ?
da prannthain paitelt enk pain kragen 210
bi kän enk das gefalln?
Hannes.
Na, seche ren di gelln 34 ) abäs 35 ),
hi geh ich enk de hand:
vaflucht sai pranntbainfhisch ond glas,
ich sai schon pai vastand! 215
Me chel.
Noch ans muß ich enk, niichpa sägen,
aft kint a baita gen,
ich bell 3(i ) enk nech me länga plägen,
ie schaint mich zu vasten.
mishandelt tuen enk baib ond kend 220
ond precht es häp enn ain
ond schlaegt se läm ond schlaegt se plend,
hedt stell dapai ie sain?
Hannes.
Das bäa doch a vafluehte sachl
mai hatz ess nech von stän! 225
den keadel schläg ich paitelhäch
ond prech om hals ond pan!
Mech e I.
Ond doch — ich schbaig — ich bell nischt sägen,
es bäa enk schi'e nech recht?
benn enk da harr es baib geschlagen 230
bäat imma ie sai kneclit.
ja enka harr hat se geschlagen,
da prantbain, dea barbar!
ach ! benen 37 ) soll di iiame klagen,
da emän ess a narr 1 235
of bifel läsen 3S ) habt a schon,
ie migt es selba sägen,
selbst met geleam t, benn aus da tonn
da Spiritus ’s baib gesehlägen?
Es grainen 39 ) hat enk nech geriet, 240
ie habt bi a haiduck 40 )
of harrs pofel en sträcli gefiet
Versuch
*
liner Darstellung der deutschen Mundartendes ung. Rerglandes. 341
das mecht 4f ) da prantbainkrug! 42 )
de äamen kenda häm ka prot,
de motta bat ka kläd, 24b
da prantbain schlägt se noch halb tot
das ess a hatzenläd!
Hannes.
Sä bäa ich leb, ich schbea es bait,
ich trink kan prantbain 42 ) me,
daß ichs getan paß 42 ) of de zait 250
das titt 4s ) main batzen be.
a secha harr ess gäa nech beat
daß men sai knecht sol sain,
dea ann nisebt guttes 44 ) baist ond leat,
vadämt sai da prantbain! 255
ich bäa sai skläv, 45 ) ich bäa sai knecht,
ich bäa sai ontatän;
de fraibait bäa ma gäa nech recht,
bäs häb ich narr getan?!
da hät mich alle tag postöln
oft lebaplä 4o ) geschlagen;
ich häb, du taibel sol on hdln!
met fräden sai joch getragen,
da hät mich äam ond krank gemacht
ond baib ond kend geschlagen;
ond hett mich en a kuozen zait
ach palt zo grab getragen!
da hät main geist ond main vaständ
of grond ond poden gericht,
sä lang a mich än saina händ
gehet, dea püsebiehl!
ich bäa a gotvageßna krist;
bi kän mie got vazaihn?
doch sä bäa got en bimmel ess 47 )
ich bell es nech ine sain!
beck (weg), prantbain, heck! ach dain gerüch,
du heida kuffenmän 4s ),
vadinst noch gottes zöan ond huch
fa das bäs du getan!
M e c h e I.
Däs ess a män, dea asd redf, 280
ond bäs a sägt ach hält!
bann ie danach ach lern izt hedl
sait a da groeste held.
260
265
270
275
23°
342
8 cb rö e r
denn laichta ess es mit gebalt
a ganz land zo pokrlgen, 285
als bi ann alten päm en bald
zo kremmen ond 7.0 p'gen.
Hannes.
Ma vöasatz stet am Affenstän 4ö )
on nech paim Bea 60 ) am sand.
mai belln ess hat (hart) bi stahl ond pan, 290
mai bächta da vastand.
noch ans kän ich ma nech dakliian
borom es kometat
es prantbain prm 51 ) nech bell vabean?
das biia mai graste frad ! 293
M e c h e 1.
A gutlat 52 ) biia es fa de beit,
doch seht, de gutten hean,
di kinnen ane landtäg das
en grondhean nech vabean.
doch glüht es 5S ), benn bie drof posten, 300
met eanst and met vastand,
es mus da prantbein untagen
en ganzen Ungerland
Hannes.
Of beche 54 ) äat?
M e ehe I.
bie trinken kan;
bäs tun si äft damet, 305
ausa di trinken en allan;
geht ohacht 55 ) auf mai red 1
Hannes.
Bi’s ima ess, ich trink kän me,
hi ess mai rechte hand,
sa bäa ich leb ond voa enk ste 1 310
M echel.
Got geh enk den vastand!
1) p 1 a p p a 11 (= plappern) scheint demnach wie blödem, plaudern
(s. Gr. Wth. II, 141) nicht nur bUterare (Gr. Wtb. II, 66), sondern auch wie
plätschern, das schallende Anschlägen der Wellen u. dgl. zu bezeichnen, wie in
der Schweiz p lappen Stald. I, 180, was dann tropisch, wie in Dopschau
sch w a p p e 1 n für saufen (s. nachtr. 47), gebraucht werden mag. Vgl. auch läp
pern, helappern, schlappem hei VVeinh. 60 1 ; 83 1 ;
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 343
s ) pauken für trommeln ist der in der Zips gewöhnliche Ausdruck. Das Vocab.
von 1420 hat tympanum püeke; tympanistra pukerynne; mhd. pikke und
bouke. Das Zeitwort püken mhd. VVtb. II, 541; mhd. kommt gleichfalls das
Zeitwort trummein, trommeln, noch nicht vor, wenn auch die trumb e,
trummel für trommel schon bekannt ist. mhd. VVtb. III, 122.
3 ) Eine in Gölnitz stadtbekannte Persönlichkeit; Stadthaiduk.
4 ) Ein Stadttheil von Gölnitz.
5 ) fa (= far, so Wth. 101? oben unter U) der Bedeutung nach für (ahd. furi),
der Form nach aus vor entstellt, das mnd. für: vür steht und vor nnl. voor
lautet; auch md. vor immer für f ü r bei Jeroschin. Pfeiffer’s Ausg. 267.
6 ) b i a t aus b i a r t, eine ostlech. Form (= w fad); so (b i a t b i a r t) müste es
auch „cimbrisch“ heißen, wenn diese Mundart wirklich von keiner andern, als
denen „des benachbarten obern Deutschlands, _ namentlich Tirols, ßaierns und
Österreichs“ beeinflußt wäre (wie Sehmell, „über die sogenannten Cimbern“
Seite 703, noch der Ansicht ist. vgl. VVtb. Seite 18 ff.). Cimbrisch sagt man jedoch:
ar bert = er wird (s. 110. ar b o r t ?) wie in md. Mundarten: er wert
(e für i durch nd. Einfluß s. Weinh. 31). Unsere Mundarten haben sonst überall,
außer Gölnitz, w e t, b i t = wird. s. VVtb. 104.
7 ) g e z i f f e r t ist sonst = geziert VVtb. 107? hier scheint ziffer n saufen
zu bedeuten, etwa = sifern oder süffeln Schm. III, 203.
8 ) Schwache Form mhd. spiwen ahd. s p ü w a n , östr. speihen slv.
9 ) ein Stäuber? vgl. stibala Nachtr. 48.
lü ) men für m a n schon Kön. Rother 20, 26. s. Wackern. Les. I (2. Ausg.) 228, 20.
893, 14 931, 19. ebenso nl. men: man (neben man: mann).
11 ) i a r beit sagt man auch in Krh., in Dopschau ist das Pron. noch iar, das Zeit
wort hat schon das ostlechische S (iar schlats ihr schlagt), in Käsmark Ir
schlagt in Ltsch. i s c h 1 a g t , in Schmöln. is schlagt; Gölnitz ist, wie
oben ersichtlich, von beiden Formen rein, dafür hat es den gen. dat. e n k.
12 ) h a r r g o 11s b e 11 wird gewöhnlich nur im Zorn, in weltverdrossener Stim
mung gesagt, so wie der Ausruf: hergottsdonnerwetter
*3) s. Nachtr. 49? Wth. 47.
14 ) o m ihm, auch in Schmölnitz, sonst alttiiringisch. Riiekert. Ludw. 139.
15 ) ii x in Krh. ii x t nachtr. 16?
16 ) Diese Form s e c h a (= s e c h e r) für solcher, die auch im Kuhländchen vorkömmt,
wird von Weinh. Dial. 141 f. aus söget an (Gr. gr. III, Schm. 764) gedeutet
Sie kömmt auch in Schmölnitz vor. Zur Seite steht ihm bega, welcher, in Krh.
(ähnlich sege, solche in Kämt. From. V, 233 f.). Da daneben in derselben
Mundart, das aus sotaner entstandene sittener, seltener, setter (so wie auch wit-
tcner, weiter, welcher) vorkömmt, dürfte die Erklärung aus solcher (vgl. wecher
Schm. IV, 61 ; oder aus seiger?) denn doch die richtige sein. Vgl. S. 362, 34.
,7 ) Vgl. 3.
18 ) Ursprünglich kault: kugelt, hier wälzt. S. VVlb. 68i>.
19 ) ich sai; ich bin; saich: bin ich. s. Wtb. 96b. Diese Conjunctivform an der Stelle
des Indicativ ist aus dem nd. hin und wieder in das md. eingedrungen; so in
Luxemburg: ech se, ich bin. Firm, I, 337 in der Wetterau II, 106. Zwischen
Wetzlar und Gießen: aich sein (ich bin), de s.eist (du bist), er benn (er ist),
mer benn (wir sind), de bidd (ihr seid), se benn (sie sind) Firm. 11,94. Seltsam
ist bei dieser Sprachprobe allerdings daß im Text bist du: histe [nicht
seiste] und ist: is nicht benn heißt. So dürfte auch jenes bien Wtb. 104-
sind (I. und Ilf. Pers.) i.\\ verstehen sein. Das B für P kann ungenaue Schreibung sein.
344
S c h r ö e r
20 ) schennen zeigt NN für N D. Vgl. Naclilr. 42 Wtb. 42j,. 132 auch „cimbr.“
winnen CW. 43. sonst md. nd. altnord. s. Fromm II, 44 fff. 330
21 ) Nur der leibeigene Bauer durfte vor 1848 geprügelt werden; die Strafbank heißt
madj. de re sch (geschr. de res), slovak. der es, was übrigens aus dem Madja-
rischen entlehnt scheint.
22) Vgl. 21.
23 ) sei hast vgl. Schmölnitz die kalibe, Anmerkung 94. — Im Österreichischen da
g r eß a s ti (größerste) , d a sc h wie zas t i (sohwiirzerste) u. dgl. — Es mag
eine alte Form selpast, sei post noch halb fortleben indem aus Mißver
ständnis vom Comparat. ER abgeleiteten ERST.
24 ) Schwerlich ein der Mundart geläufiges Wort, sonst wäre auch zu erwarten: aus
dakdan (ausderkoren). Dies der hat nämlich in der Gründner Mundart das
er völlig verdrängt. Es kömmt wol seit dem XII. Jahrhundert meist in hair.
u. friink. Mundarten vor. Schm. §. 1039. Wtb. I, 389, Gr. gr. II, 819, 1019, GralF
V, 203. mhd. Wtb. I, 312; Weinhold alemannische Grammatik Seite 279. Die
Stelle aus Tatinn : t h o t h e r s t i g u n sine b r u o d e r — ut autem ascen-
derunt fratres ejus — welche die Entstehung dieses Wörtchens zu lehren scheint
GrafF. a. a. 0. wird wol gelesen werden miißen : thoth erstigun etc. Es
findet sich aber im XIII. Jahrhundert nicht nur in den Nibelungen, der Klage,
sondern auch bei Konr. von Wirzburg, Wolfram, deren Mundarten schon zu den
md. Mundarten hinneigen. Im XIV. Jahrhundert bei Jerosch. PfeilF. Ausg. LXV,
ferner in Schlesien Weinh. Dial. 116. Henneberg, Reinwald I, 21. 184. II, 17 in
Nürnberg und Umgebung. Fromm. I, 123 u. s. f.
25 ) boll (=w o I I: wollte) läßt sich meist mit würde übersetzen; so auch in
Schmölnitz, siehe die kalibe unter 34.
26 ) om: ihm alttüringisch s. Rückert. Ludw. 139 oben 14.
27 ) harr für herr ist md. durch nd. Einfluß s. Gr. gr. 13. 234. Weinh. Dial 23.
Am Mittelmain Schm. 183. Für ausgesprochen oberdeutsch dürfen wir es deshalb
nicht halten , weil es am Oberlech, Inn und am Regen vorkömmt. Schm. §. 183,
wo schon manches aus der Oberpfalz Eingang gefunden hat.
28 ) Eine solche Wortform (ostlechisch liachtal) sieht für den der Ostlechmundart
Kundigen ungeschickt vornehm aus , als ob ein der Schriftsprache gewohnter
sich bemühte mundartlich zu sprechen. Denn das md. licht der Schriftsprache
für liecht, passt nicht zu dem AL, das aus den steirisch - tirolisch-bairischen
Alpen stammt, s. Gr. gr. III, 673. Dies AL kennt auch Schlesien. Weinh. Dial.
122. 29.
29 ) S. Wtb. 91 : sch ebb.
30 ) hundes but, urspr. cunnus canis, muß aus dem Oberdeutschen zuerst in das
Kriekerhäuische gekommen sein, wo es hund&wüt hieß. vgl. h u n ds witisch.
Wtb. 64. Von da kam es in die Gründe, wo das W wie gewöhnlich in B verwandelt
wurde, als ob es ein Ursprüngliches W wäre. So mag aus Misverständnis das W
zuweilen zu F werden, s. kalibe 117.
Ich scheere mich den Teufel drum, mache mir den Teufel oder einen Teufel aus
einer Sache, ich kümmere mich nicht darum; weitverbreitet.
32 ) So die Handschrift; der Druck hat k op steck, Kopfstück.
33 ) tasche f. Backenstreich, s. Wtb. 43 a -
34 ) hallen, gellen für halten, gelten, boll für wollte sind Assimilationen gleich
NN für N D, s. oben 20. In Krh. hatte ich schon halln, schelln, spei In für
halten, schelten, spalten angemerkt. Naehtr. 31. spellen mag mit spalten wol
verwant sein, gehört aber zu spellen, s p i 11 e n (aus s p i I d en ? Schm. III, 363).
Versuch einer Darstellung; der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 345
Schm. III, 560, 562. vgl. im ganzen Weinh. Dial. 65. From. II, 47, 50. (fränkisch
henneberg, und Koburg). 96, 16 (nordwestfal.) 350 f (nordisch).
Wahrscheinlich ein was, sowie abea, was auch im Gebrauch ist, ein wer.
Diese Zusammensetzung fehlt nhd. mhd. ahd. und unsere Mundart führt uns schon
wieder in’s Altnordische (möglich daß hei größerer Bekanntheit der deutschen Mund
arten sich die Brücke vom Nordischen durch das Friesische nd. oder nl. in das md.
und in unsere Mundart angeben ließe!) vgl. altnord, einhverr. slg rtc, schwed.
enhva r, dän. e n h ver; wird verglichen dem gotischen ai n h v a r j i z uh:
Gr. gr. III, 38.
3G ) bell (= will) für Hilfsztw. werde und holl (wollte) für wurde ist in Schmölnitz,
Gölnitz u. s. w. gleich üblich, so wie in Deutsch-Pilsen: ich schall (= soll) die Zu
kunft ausdrückt. Im ahd. findet sich in der Mundart Tatians scal trincan, scal sin
für wird trinken, sein; es findet sich auch hei Williram (nicht hei Notker, der auch nicht
die Form skal, sondern sol hat). Endlich in muspilli, hei Olfried, Isidor. Gr. gr. IV,
179. Es findet sich frühzeitig im Altsiichs. und Angelsächs., so wie jetzt noch im Engl,
nd. nl., so auch altnord., schwed.. dän. Gr. gr. IV. 180. In alter Zeit findet sich auch
schon willih für werde ich und woldich (mhd.) für würde ich. Gr. gr. IV, 180,
184, 171, mhd Wth. III, 659 im Schwäbischen Fromm. IV, 100, im nd. (wolle,
würde) Fromm. II, 179, 18.
37 ) henen für wem und wen. Ähnlich den altnordischen suffigierten Pronomen ersetzt
unsere Mundart das Casusmerkmal durch ein verkürztes Pronomen z. B. d a m o t-
tas kend, eil mottans kenda, der Mutter (sein) ihr Kind, der Mutter (sein)
ihre Kinder, wens (wem sein), wessen. Es dürfte daher wol auch wenen aus
wen ihm etwa zu erklären sein? Vgl. altn. gen. dagsins u. s. w. nur daß im altn.
das suffigierte Pron. ein anderes (inn in it jener) ist. Doch kann hier auch an
den alten Accus, huenan erinnert werden; vgl. ’m o = demo in Krh. ’nan
= im n in d. Zips.
38 ) r a s e n, ein merkwürdiges Zusammentreffen der Laute mit dem s(av. r a z, der Schlag
und mal in jeden raz (einmal) etc. Vgl. hott ii, der Schlag und mal CVV
113, könnte verleiten, Entlehnunganzunehmen und doch ist hier die Heise der
Gang, die Fahrt, gemeint, e n e, t w e re i s ist nl. einmal, zweimal: auf de raas
bairisch, für dieses mal (im Schwd. wird ähnlich en gang für einmal ge
braucht j Schm. III, 127. nd. reis, Fromm. VI, 287. mhd. ein v a r t, alle vart
z w e i h u n d e r t vart für : einmal, allemal, zweihundertmal. mhd. Wth. III, 252.
39 ) Also auch hier ist (md.) die Bedeutung weinen geblieben (wie auch nl. g r i j n e
vorherrschend diese Bedeutung hat) und die ostlechische. schelten, zanken
ist nicht eingedrungen , s. Nachlr. 30 a * In Hamburg: wei neu in Westfalen:
lachen Ricliey 80. Vgl. unten S. 362, 37.
40 ) h a i d u c k m. (mit dem Ton auf der zweiten Silbe) : madj. h a j d u ; ehedem v e I e s,
miles expeditus (noch bei Pariz Papai), jetzt: der nach Art eines ungr. Kriegers
gekleidete Diener der Stadt oder Comitatsbehörde, Büttel. Das K ist aus dem madj.
Plural hervor gegangen, s. Wth. 68.
41 ) du machst, er macht, auch an der Nab, Pegnitz, Rezat, am Main, Westlech;
östl. vor den Alpen, an der untern Donau, am Inn. Schm. §. 947. vgl. Wtb. 79 a .
42 ) Meistens geschrieben prantwein. — S. Wth. 39 a - poß.
43 ) Vgl. Naehtr. 49a. unter U und Wtb. 47.
44 ) Über die Verkürzung des mhd. UO zu U s. Gr. gr. I (2. Ausg.) 359. Fromm, zu
Herhort Vers 425 (die Reime in Pfeiffer’s Jeroschiu LX1 s.) schles. gutt. Weinh.
Dial. 55.
346
Schröer
45) sclave (mittelhochdeutsch slnve): der rechtlose, leibeigene Knecht, kömmt
in Mundarten auch auf dem Lande vor. z. B. im Österr. in der Form kschlAv
(i p i j s\ nid t a i k s c h 1 a v! Presburg).
46) 1 eh erb 1 au könnte sich auch auf die blaue Blume ([anemona hepaiic.a) beziehen ;
vgl. leber. Schm. II, 414.
47) „doch so boa 1 ' du e n h i m 1 p i s t“ Druck ; doch so boa* E a r e n h i m e 1
ess“ Handschrift; erstere Lesart rettet den Reim, klingt aber gezwungen.
48) kufe ist in der Zips das Faß , s. Wtb. 74 b . Sonst gewöhnlich ein tieferes bottich
artiges Gefäß mhd. k u o f e, -en, f. Faß, Wanne (ahd. chuofa lat. cupa)
nl. k u i p wird auch zuweilen mit Faß übertragen.
49) Ein Fels.
50 ) Eine Örtlichkeit.
51) prin (= brühen), steht durchaus für brennen, welches letztere ganz ver
drängt ist, vgl. Nachtr. 19 b . Wtb. 40. vgl. ferner nl. de lucht broeit, die
Luft ist heiß (brennt) Gr. Wtb. II, 425. So auch in Schlesien. Weinh. 12. ln der
Bedeutung abbrühen: mit heißem Wasser übergießen, wol auch oberdeutsch, aber
für brennen (trans. und intrans.) wol nur md. (und etwa in gewissen alemannischen
Gegenden?) bei Frauenlob, Veldecke und in dem Lobgesang auf Maria nach
mhd. Wtb. 1, 266. Ich bin nicht in der Lage, die daselbst angeführten Stellen
nachzuschlagen. Wenn aber brüejen für brennen im Lobgesang vorkömmt,
so hätte Pfeiffer auch dies als Beweis anführen dürfen, daß der Lobgesang
nicht von Gotfried ist. Hug v. Langenstein aus dem Höwgau hat brüejen, auch
ein paar Mal.
52) G u t t a t = Wolthat. Vgl. Schm. I, 461.
53 ) Druck: g 1 a b t ma.
54) In Kärnten heißt sege : solche Fromm. V, 253 f in Krickerhäu hege: welche;
hier seche beche vgl. oben 16. Schm. IV, 6 * hat wecher = welcher.
55) „die obacht, sehr gangbarst, acht, obacht geben“ u. s. w. Schm. I,
21. gib obacht, ’shatglattcist! Deutsche Weihnachtsspiele aus Ungern
s. 83, aber auch nd. in Pommern holl gode obacht halte gute Aufsicht; in
Westfalen : in obacht niemen = genau beobachten. Kosegarten I, 65.
Gespräche, Schelte u. s. w. aus Gülnitz.
a) pipä’st du noch nech?
b) nä, bä da döhan, fadret ma es liäp.
a) banfa, bäs pist du far a man? rnie scheint, du holst ach
am end noch spain!
b) das bol noch.
a) hanta, bei baß ob nech?
b) Ta bett ba.
a) no ta em bäs?
b) em a tascli i), äda bei se gebennt dei krigtse. — —
aj das mäda (d. i. mädal) hat schon an junka.
b) äba mie schaints, du häst ach schon a jungfre.
fi) c * 11 holst 2 ) das gein belln bessen?
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarten des ung.'Berglandes. 347
bj das vastet sich!
u) ta, ond barom?
b) daß ich es boll maine schbesta sägen kinnen, daß se of
ta nech harrn soll.
a) pist sclion feitik ?
b) chö! (ach ja!)
Scheitworte und dgl.
Vafldchfa hältabea, eavagessene kanäli! ’s schbeare halte (harte) kranken sol
dich teten! Da Dunna sol dich prätschlägen, du hundsgezill*), flux krickst a
freß, a tasch (Backenstreich s. Seite 344, 33)! mai häße zea ben dich schlagen!
Scherzrede.
Mai väta und dai väta bäan zbe~ mena.
de häm sich paim buesehkessel ausgekennt!
und bäan gute bainkena!
Einzelne Ausdrücke.
batta: also; no batta, nun also, in Dopschau batr. Wahrscheinlich
aus was da, was dar, mhd. waz dar Fromm. VI, 90.
da, ta: da. Oft als Flickwort für: siehe u. dgl. z. B. ta, nu kommt a,
da sieh mal, jetzt kommt der Langerwartete u. dgl. vgl. Gr.
Wtb. II, 648, S.
fäg: scheu, schüchtern, sai nechd asü fäg, sei nicht so schüch
tern, vgl. Schmell. I, S14. mhd. veige, ahd. feigi, dem Tode
verfallen, nlxd. furchtsam. Im Österreichischen mir nicht vorge
kommen.
feltscheira m. der Arzt, Feldscheerer, Scheerer. ahd. scerari:
tonsor, Gralf VI, S26; im Felde, beim Heere,
fingalain n., der Bing am Finger, mhd. ahd. fingerlin in der
selben Bedeutung.
föateck n. Schürze, Vortuch. In Schmöln. kal. 18: vöatich.
von für aus in: von die kan bas bean, aus dir kann etwas
werden.
gebämb n. das Eingeweide, „gewämbe“; got. vamba, ahd.
wamba, mhd. wambe : Bauch.
*) liundsgezill vgl. zolin, zell e I das Excrement von Thieren, Menschen,
Schm. IV, 288.
348 Sehi-öer
gebulken n. Wolken, ahd. wolclian, vgl. bairisch gewilk, ob
der Enns g'wölkat, unter der Enns gwirk, im Kuhländchen
g e w e i 1 k e r.
lianta: ei! je! siehe! aus hano und ta: nu da vgl. Schmöln. k. S. 355 :
bano ta! Nachtr. 16: an6, 42: n6, im Westerwald enno,
no. Schmidt 42. ahd. inu, eno, altnord, hano etc. -ta, s. oben,
häp n. Haupt, Kopf. Letzteres kömmt nur in der alten Bedeutung fiir
Kanne vor. S. kop. — drehäpeck: schwindelig, betrunken,
drehhäuptig. vgl. Wtb. 59. Nachtr. 31: haüp in Dopschau: hep
Nachtr. 33. ostlech. happ. Schmell. II, 223. Fromm. VI, 183.
in Presburg auch die happen neben das happ, happel.
harren, immer für warten. S. Wtb. 58' 1 .
liemb n. pendelhemb, Hemd s. Wtb. 34, 59.
heal n. der Hiigel. es hoal ess kauleck, der Hügel ist kugel
förmig, rund.
hoch: ich haue,, ich hoch dich lcbaplö: ich haue dich leber
blau. Vgl. Schmöln. käl. Anmerk. 27: schacht schaut,
iclie: ich, auch schles. Weinh. Dial. 136. Jerosch. 67“. 162“.
„jüjäaadv. firn e, vorjährig“ ; in Schlesien jessjärig Weinh. 38“,
vgl. mhd. jensit, jenlialp, jenseits. Die Analogie von ahd.
liiurü (heuer) aus liiujärü zu der Form jüjär ließe, wenn die
Aufzeichnung richtig ist, eine instrum. Form, jenü järü als
Grundlage vermuten.
kä f. plur. kän, der Schornstein, känkerer m. Schornsteinfeger, in
der Zips käu, käukerer, s. Wtb. 68 in Krh. koch Nachtr. 36
f. in Dopscliau käkcadel m. (kaukehre ll l = kau-kehrer 1)
Schornsteinfeger, vgl. k a u e f. nd. k o j e, nl. k o o i, siebenbg. k ii p,
schwed. koja etc. aus cavea (woher auch käfich, ahd. chevja,
mhd. kevje, kebje). Die hölzerne Hltc über der Schachtein
fahrt Schmell. II, 273. Weinh. 42. M. v. F. 142: diu kouwe.
ko pp, Kanne. Wie mhd. köpf s. häp.
laicht, ohne Wert, e laichta man, ein Mann ohne Bedeutung;
vgl. Wtb. 76”.
genäsch n. obst. nhd. mhd. naschen, ahd. naseön, zu got.hnas-
qus, weich? mhd. geneschen. Leckerheit.
okolären pl., Brillen, lat, oculare.
pauk f. die Trommel, s. Zündrute. Anmk. 2.
puln pl. Bohlen, Dielenbretter s. Gr. Wtb. II, 223.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des uug. Berglandes. 349
ofgeraimt: unzufrieden, aufrührerisch, di piega sain ofge-
raimt iha das ; sonst bedeutet aufgeräumt so viel als heiter
s. Gr. Wtb. I, 6S6.
schel schän: schielen. Vgl. mnd. schel, nnl. scheel, oberdeutsch
schelch.
scblibern, selillban, sich—: auf dem Eise glitschen, alul.
sliphan, daher schlipfern, schlipfezen, auf dem Eise
gleiten. Schm. III, 456. rüseln, rlseln, rollen, schabeien
sch 1 ai fen, schinzeln, Schindern, schlendern, schlot
tern, schlickern, zescheln, zindelieren, g1andern,
bleiern. Fromm. VI, 197, 342. In Aachen kinz eie, ißele,
Müll. Weitz. 95, 107. schleichen, schurren, schleistern,
Gangler Luxemburger Sprache 306. nl. ijzelen, slippen, slih-
b eren.
zea pl. zähren. ahd. zahari, also zeha = zäher mit Ausfall des h.
mai liaße zea ban dich schlagen: meine heißen
Thränen werden dich schlagen!
zeckik, zeckek: an das Saure rührend, d. i. zickend, säuerlich,
s. ziehen, anzicken Sehmell. IV, 223. Gr. Wtb. I, b'2C.
Sckmölnitz („Sckmfilenz“ f.).
De kälibe hentan roten parg.
a fax en an ofz.ug.
geschrlm von ana schlappschuhfreule 1 ) of der Schmelenz; en jar tausend acht
hundert an und viezich.
Es personal:
Jakobe.
Evaraari e, sai baib.
Lenka 1, fnens tochta.
H a n s j i r k, deras junka.
Vröne, de nochpren. Stefan, i'e sun.
Tresal )
Ma ntscha I > da Lenkais kamerätennen.
Rosal )
Es tiäter schät aso aus bi es grendal hentan roten parg, ganz
heilten of da rechten sait siht men üba a bis an steig, baßa aus da
stat kimmt. of da linken sait stet Jakobes haus, vöan es a grulnland
350
S c h r ö e r
ond ponem a grüße kalibe. — Jakobe kirnt durch de straich
hentan grulnland ond schat sich abivelmä! ein; men pomeakt daß
a trunken es, bä da tir-ekelt a peßel. —
I (erste pos). *)
Jakobe:
Also benn de mich daschlägst, da bas ich nech bofan 2 )
beg däß ich sai 3 ) anhäm 4 ) kommen, mie sehaints ich sai doch a peßl dreha-
peck! — nischt das! gestan bäat 5 ) ja Ioun (leun, so auch in Kuneschhiiu) !
Also Ich bäb mich ach asd besoffen bi mai kämeräten; äba
benn mich mai aide bol °) se asd, di bol °) sich bida beln met ma bädan.
libest ge ich ach nech rain. äba a peßl bol ich mich doch gean nidalegen.
— A je bäs ! ich leg mich In va de ti'e of de ead. — da kan ich ach
flux acht gern das ma ka mensch es gras vom land stijt äda de kfl zoschläft
(da kault sich ni da). E läncos adta 7 ) (spr. e länzosch ädfä)! hi tagt es
nischt, de sunne schaint hi asd haß, daß se an menschen bald bol zu a grip
pregeln! (Zu Grieben schmoren vgl. Wlb. SG. Nachtr. 190.)
(da probiet ofz osten, es bei nech flux gen, äft klaubt
da sich doch met not auf).
Mai Sex! 8 ) ech krich en de kalibe; du'et es cs gut feil. Also
ond du-et fent mich äeh mai aide nech flux. richtig! itz kimfs ma eascht
zu sinn: de Ewemari'e hat ja gesägt, ich sol ja acht gern, benn ich anhäm
komm daß de Lenka niieh bida men Hansjirk sich poret (^_—); äba ich bäß
schont nech bärom 1 — Also (da bei ende kalibe gen — staucht 9 )
men häp a bivelmäl an cs steinpal 10 ) an, ond äft fligt ta rain
hi a sack).
II (zweite pos).
(Steffen ond de Vrone kommen den beg (weg) aus der stät, alle
zwä en sontechklädan.)
Vrone.
Ich säg da mai soun, a bessa baip krigst nech bi de Lenkal! asd
äabethaftek, asd just! ond bäs se va schene kläda hat! a saiden vöatich, an
kamelotrok ond i"e mäadapelz siet me bi dreißig guln. — es haus plaipt
da äch benn de alden ste'am ond ach es land. Fabäa! de biiast nech gschait
benn de se nech bolst beln.
S teff a n.
Da bäs u ) bol ich se denn nech beln!? mie gefallt se äch selba, de
es jä a öantlich mädel ond recht prakesch. la ) äba nont IS ) das änzie
(— ^ w ) benn der graüland 1 4 ) nech bäat i5 ) dea Hansjirk, mie schaint da
kirnt noch zu se of de frai.
V r d n e.
Ano 1 8 ) frailichtan! äba nech facht dich nischt mai soun. — ie motta
bit sa schon de faxen vafraim, de muß om 1 7 ) es läfzedel gern, äba gut
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 351
bolst 6 ) doch tun, benn de holst ®) a piissel acht gern, heut es sontich :
kün miglich sain daß a aus da veschpa bida rof kirnt.
S t eff an.
En da veschpa baat a nech, ich hüb überül mich emgeschüt, üba ich
hüb en nindats 1S ) nech gesen. na, da solet ma na komen, ich bol om 17 )
schon baisen büs düs ess!
Vr d n e.
Gut tist Steffan! benn a ach greßa ess bi du, nech facht dich
nischt voar om!
Steffan.
Ta bas? ts 19 ) gedenkts 10 ) schieich facht mich? no— (siht sich
fachtrich em) sol a ma na of de passe 30 ) komen!
V r ö n e.
Aso aso, mai soun! plaib na hi, ond laua of om. ich ge anhüm, mich
uszihn ond üft geber stante pede alle zba za uacbpren ond bea baß es nech
noch beut vatrinken (get lieg).
IH (dritte pos).
(Steffan allan; Jakobe en da külibe.)
Jakobe.
t Halt de gosch, baip! du gedenkst schie ich sai pesoffen? (guckt
aus da kalibe) de es ja nech hi! es bat mich schi'e nont getramt (legt
sich bida rain).
S teffan.
(hat sich dabail überäln emgeschat, kimmt itzt poß an de kalibe).
Na leut 31 )! benn ich en bol atrapien , ich bol om ja en letzten an
auslüßen (men siht en Hansjirk pümaehlich aa ) henta’n strai-
, chan anvoa 33 ) kommen ond kegen Jakobes haus gehn). — Mai
üme sei! du'et kirnt a. Nä, bu dich alle taibel soln hdln (vasteckt sich
geschwind henta de kalibe). Ich facht mich bol nischt vor om, üba ich
muß schan, büs a tit (da Hansjirk bieft an stan of es dach; of
das kirnt de Lenkal rausgejegt ond left om ankügen).
IV (vi'erte pos).
Lenkal, Hansjirk, Steffan (vastcckt). Jakobe (en da külib c).
Lenkal.
Hansjirk bist du? Jesek 3l ), aso lang hüb ich schon of da geharrt,
H an sj irk.
Da, benn ich mich nech hüb getraut zo komen liegen da geslrien ba-
tüli. büs hat enk denn gefalt? ich fra 3ä ) mich schond de ganze hoch am
i
I
352
S c li r ö e r
sonänd 20 ), ond bi ich kom, da gest rem bi daschlägen; dai motta schacht 27 )
finsla bi a feld voll taibel ond he ich sai beg ganen pist ma amäl niieh
komen es gelät gern.
Lenkal.
Ano, heach na, Hansjirk, du hast ach noch nischt, bäs mai motta met
ma bida voa hat: bei se ja häm, ich sol den grondgraiIi"en keadl, hi da
nächprens 28 ) Stepfko 29 ) haireten.
Hansjirk.
Bäs? den kromfüßi"en spitzpup? no, bu dich nainonnainzig taibel
soln zoraiß»n 32 ) ! no harr! kom du mi unta maihänd: ich schlag dich nida
bi an hund, du haltabea 3i ) du.
(Steffan hat denn ons benn 3 «) iha de kälibe anvöa ge
kuckt; izt hockt a sich ganz nida, daß ma om nech daplecken
sol).
Len ka 1.
Aba ich hab maina mottan flux gesägt: ich hell en nech, ond benn se
mich of kraut zohackt 32 ). ich kän ach gäa nech biissen bas a es aipkomen. —
enta bäast du sa recht, ond itze bi dea te”achte Stoff es 33 ) von Telkobäne
komen, hat sai motta didege s4 ) engsti ,- e kutelfrä, asö lang tuni-et 35 ) poß
se ach mai motta hat ongefi"et. Jesus ich häb schond unmiglich 36 ) vil gegrinen 37 ).
Hansjirk.
Nä, bäs bolst erseht grainen! das tef ja niieh sain. Zaiten 38 ) ich leb
nech — äda bäs sägt denn dai väla?
L en käl.
Oje, mai väta! das es ach a secha nemtudom S9 ), benn a a saitel prant-
wain hat, da kän mai mota tun bäs i"e hatz 40 ) valangt, alle 41 ) ich bol in
doch noch pitten.
Hansjirk.
Nä da, maintswegen; äda benn däs nech bald andas bit, ta bei ich
niieh lang komedi spiln, ich ge zum Steffel ond bei den leachten keadl
schon mores lean.
Lenkal.
Sai motta kimmt ma emma dazeln daß a so gut vadint ond daß se
bit gen en vor an Pajatzo pitten 42 ), äba maintswegen soll a ach bessa vadl-
nen bi du, Hansjirkusch 4S ), ich praueh en doch nech ond benn a ach juste
ment Pajatzo bid; mai junka 44 ) bid a schon niieh sain.
H a nsj irk.
Dä darom säg ich jä ach nech vil, ich baß: du bist mai liatzes Len
kusch 4s ); kom hea, daß ich dich poss 45 ).
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 353
Lenkäl.
Ach, Jesseck, main motta bid va gebiss nech bait sain. de cs na of es
grulnland gangen; geba a piißel schän, ob se schon nech kirnt, bä! benn
se dich bol sen, da bol se ma bida main text gern.
H an sj i rk.
NA, da geba halt (gen beg).
V (fömfte pos).
Jakobe (hat schon bi di zbä noch h i bäaten 46 ) dennonsbenn
vasteling aus da kälibe gekuckt ond zugeschät. izt steckt
a es häp bida raus. — Steffan hat ach gäa anväa 47 ) geschät,
äba bi sich a b e a 4s ) hat emgedret, hat a sich bida gesell bind
nida gehoucht. 49 ) Izt gense, iz muß ich mich gesehbind vastecken —
(springt ainlich 50 ) kegn de kälibe ond staucht met sain bäp
grausam sea stark an ’en; Jakobe fäat zereck). Jebem ci 5 i)!
(fügt fast em). Nä, boffan kranken 53 )! ge du teachta schalaputa 53 ), bä
benn ich dich datapp, da mach ich di -, e flux es end! bist schi-e posoffen?
daß du nech sihst.
S tefan.
Saids na stel , liba nächpa, ich bei na a peßl acht gern of de
Lenkal.
Jakobe.
Acht gern? also... ich geh ja ach acht, äba benn du holst acht
gern, — da leg ich mich bida nida.
(legt sich bida in de kälibe; da Steffan krieht henter om).
VI. (sexte pos).
(Di zbene 54 ) vaschteckt. äft 55 ) komen Lenkal, Rosal,
Mantschal ond Lisal. s# ) men heat schon vounbaiten a gelechta
ond a gequit sch von di mäd e 1 n)
L e nkal.
Nä, daß eng es gehünd sol holn; izt komen di Einspigel 57 ) on
ich häb desbegn gemust en Hansjirk begschicken!
Rosal (noch von baiten).
Hoho, 5S ) Lenkal, bu pist?
Lisal.
Sihst jä, du -- et stet so.
Lenkal (get inen ankegen 59 ).
Buchean f >°) knmts, mädeln ?
Mantsch al.
Aus da stät. Mach nont just, Lenkal, ba sain dich koumen rilfen; of
da maut tanzen se, hi"e gen raus, da solst ach met komen.
354
S c h r ö e r
Lisal.
Na furtiklain 01 )' schfez da es voatich 62 ) voa ond mach!
Len kal.
Ich kän ja nech komen, mädeln!
R o s a 1.
Ta izt! bärom nech? ge du klapsche 6S )! aus den grendal ° 4 ) M
hean e5 ) ri”et se sich schon gäa nech.
Mantsch al.
De harrt halt schie of i'en junka. Aha nech facht tich , du teachte,
denn bi"e häm en pogent. da leßt dich sehen grißen ond du solst dich äch
fidan 68 ).
Lenkal (vaschte 1 ick).
Bi das gehind zigänt! (laut) ta, ich boll ja gen, äba es ess ka
mensch dahäm, de motta is om krautgäaten und da votta pai sainen kämc-
räten, mech häm se dahäm gelassen pai da kü, bä de tuni'et se’a, hail ha
eascht gestan häm es kelhal abgetan.
Rosa).
Bai ha halt a peßel harrn piß dai motta kirnt.
Lisal.
Chjä, chjä! « 7 )
Mantschal.
Maintfegen, 68 ) ach ich frag nischt danach!
Lenkal (stell).
Aubi jai ! 69 ) iz plaim se jä gäa hi.
Mantsc hal.
Ta bas mach ba dabail? spil ba tepsche 70 ).
Lenkal.
Ich häb äba kän alden top.
Mantschal.
Hi stet jä äna.
L ä n k a 1.
Den läß gen, hä 71 ) met den rächat da olde harr de moldbiema 72 ).
Rosal.
Sing ba lida.
Lisal.
Ach, chjä! bäst Lenkal, de solst mich aso noch däs lid lean „ach
schönster schätz, verzeih es mir.“ 73 )
Rosäl.
Ache je! iz 71 ) met dain lid, das ess a set zozartes, übest sing ba
däs: „da seh ich ein mädchen von ferne stehn, die war so ganz bezaubernd
schön“ 75 ).
Lisal.
Of däs kän ich nech en ton 76 ).
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. ßerglandes. 35S
Man t schal.
Ta das! „die rosen die blühen im garten“ 77 )
Alle.
Chja, chja !
Mantschal.
Ano , da komts! — setz ha sich däa, of de pank vor de ti'e (de gen,
setzen sich schön nida ond fangen an aus helln hals zu gbit-
sehen):
Alle (singen).
Die rosen die blühen im garten,
ja, ja im garten,
und wenn der sommer ankömmt etc. 77 ).
VII (simte pos).
De voari"en. Ewemari'e.
Ewemari’e (kraischt von baiten).
Ho, Lenkal! Lenkal ho 58 ) (kirnt nenta). Bis setzt se hl met ganza
komoditet ond singt sich daß da bald schalt ond du, äama motta, läf rem,
matta dich äb, daß da schi'e gäa es flasch von pänan fält, si fregt nischt
danach, si setzt sich In, bl a laus en grend, daß se sich setzt 7S ).
Lenkal.
Hano ta ! bis belts denn daß ich sol tun? häs feit eng denn scho
bida, bäs?
Ewemari'e.
Tabaä? du bist mie noch nuschen 79 )? Nä , du grob schbain du! du
bolst na gean hl a fraile schbiln ond ich muß of mai alte tag heen rof
und runta jagen, oft hab ich noch far main sauen schbäß den dank unta-
schldliche reden ze dafäan, daß an menschen flux of da stell boll de gall
zeplatzen, daß se äm zeplatzcn boll 78 )!
Rösal.
Ane, Ewemarlchen, da sägts na schon, bäs hat eng denn aso ofge-
prächt.
Ewemar i"e.
Je no fregts mich nech, mädeln : izt boll enk das nöch eagan ? ich kom
of es krautland, stet a vamäledaite ku — gott vazaih ma mai send! — meften en
kraut, beklaubt me de schönsten hapa ond zetrampelt ma alle flanzen. Ich
fang an aus hellen 80 ) hals zu kraischen 81 ), datap 82 ) an kiem 8S ) und bei
se raus jagen, kirnt mai gute kü, bi a lev of ma geschossen ond bet mich
schie gäa ofgerennt, benn nech ze main scheusten glick bäat da Hansirk
vabaigangen ond mich nech hett von se pofrait.
Lenkal.
Da Hansjirk?
Sitzt), d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. II. Hft.
24
356
S c h r ö e r
Ewemarfe.
Vabäa, es hat mich i\ch vaflucht elektridt 84 ) bi ich en häb daplcckt,
äba bail a es justament zu didege 84 ) batäli kommen, fa häb ich doch
nischt danach gefragt.
Li s al.
Na leut! 31 ) bens es ach di ku gebest?
Ewemari’e.
Bens? ano hi maine nächprcns, da Vrönens. Da Hansjirk hat se ja
schon anhäm gefi"et, ich häb se nech flux dakent, bä de hät se east vabe-
chen 8 5 ) von Sant Anne 86 ) geprächt. Abe ich bei da Vrönen äch mai
eplikazion (so) sägen! de sol of i”e vih acht gern. Ich bei mai kü of Johanni
schon acht jäa harn, benn se ma onsa harrgot va schän ond unglick pohitt,
äba mai lebtäch bäat se kan menschen en sainn länd, daß se nech bäat 78 ).—
VIII (uclite pos).
(De voari 'en omi de Vrdne.)
Vrdne.
And, nächprenn! da, is gedenkfs scbi-e daß mai ku en enkan land es
gebest, äda hät schi-e dea schwatzhapi"e Hansjirk non 87 ) gezigänt?
Lenkal.
Oje, nächprenn! benn äch da Hansjirk schbatshapick es, fabäa da
zigänt doch nech.
Ewemari e.
(Pomit sich de häa ze vastecken ond staucht de liaup
von äna sait of de andere.) Stell, Lenkal! halt dei nusch! 70 )—
Hanta 88 ) freilich, mai libc nächprenn, bäat enkre schbatze en main land;
es hat mich äch a peßel gfuxt! Bäs holl ich east sägen? äamut ond krank-
heit leßt sich nech valäken 89 ), ich häb däs än;i"e krautgäätnal, ta prauch
ich äch main flaiß, daß ich en prauch.
Vrdne.
Ano, 88 ) nischt däs, 90 ) Ewemari’e! es kraut bau jä schon aso onsa
kenda zusammen essen.
Lenkal (vasteling).
Nä, dai teachta Stoff bid sich schon de bajussen 91 ) äbfraigen 93 ) von
dem kraut, bäs ich met om bei essen!
Ew e m ari’e.
Benn ach glaich! es muß de lait halt doch eagan, benn i"e saura
schbäß aso nottom pottom 93 ) get.
Vrdne.
0 je! desbeng bats noch genug kraut häm, es bäat om jä äch so
schon ’splätten not. «
Versuch einer Darstell ung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 357
Ewemarfe.
Bäs? es plätten? ich bäß schon äch selbast 94 ), benn cs not tit es
kraut ze plätten; ich platt es ma schon äch allän, äne enka ku, daß ich es
ma plätt. —
Vron e.
Ano, desbeng prauchs enk ja nich zu dareiban, nächprenn; bäs kän denn
ich dafar? gets, hädats enk met da ku!
Ewemarfe.
Ta bäs!? ich sol mich gen met da ku hädan? tä, is gedenkts schice, is käns
ma komen pofeln met benen daß ich mech so! hädan? ich kän mech hädan met
benen daß 95 ) ich bei, daß ich mech kän 78 ).
Vron e.
Ach ta! ich frag ja nischt danach, hädats enk met benen daß es beit 95 )!
äda boll enk mai Steffan hean, dea boll sich schi"e podenken ob a sol enka än
(Eidam) bean äda nech.
E wemarfe.
Podenken? bäs? ta 96 ), hab ich en ma gepeten, daß a sol mei Lenkal
liaireten? de bit schon ann män krigen, Ach äne deinn kromfißi"en Steffel,
hast!—
Vrone (met untageste mp elfen h linden).
Bi? bi liäbs is gesägt? mai Steffan es kromfissig? no ich säg enk, enka
gelsichtrc tochta kcnt’sich alle zen finga äblecken, benn se en boll krigen.
Ewemarfe (äch aso).
Benn mai tochta äch gelsichtig bäat, ta boll es dich nischt not angen 97 ),
du aide tschattre 9S ) du! no benn nont") mai Jakobe dahäm bäat! da boll di -, e
schon baisen, daß a da boll!
Vrone.
Du gedenkst schi-e ich facht mich va dain män? dea sehufleck! boll dich
nont 99 ) mai soun bean, dea boll di”e schon baisen — daß a da boll! (da
Jakobe ond da Steffan häm dennonsben aus da käÜbe gekuckt,
Ana den And an gestaucht ond gepempt, äba daß men se nech
sol sehn, nont ema en da kälibc. Iz fangen se sichänzepassain
(s. Wtb. 33“). Of ämäl falt de ganze kälibc ain, ond di zwenc
quitschen zw eschen tänreisan anvoa. Di m Adeln fängen An
zc quitschcn ond ze 1 Achen.)
Evemari'e.
N'ä schä, schä! bi es jä dai Steffan!
Vrone.
Hi zappelt jä äch dai hatza lo0a ) män; iz baba flux än öat sain.
Evemarie.
Bovan taibel stellst du hi An, Jakobe?
Steffan (stet of).
Seids stell, bä 1001 ’) ich häb na gehelt acht gern.
24*
358
S c h r ö e r
Jakobe.
(Hat a bivelmäl 101 ) probiet afzesten, es äba emma zereek ge-
klascht 102 ), de Lenka helft om doch of de füß). — Ge beg! —
du gedenkst schi'e ich sai posoffen ? ich säg da, ich bäß alles. — Näehprenn
(t u r k e 11 [Wtb. 48] gegen deVro ne) harts, benn ts enk noch ämäl
untastets en Steffan ens kraut ze lassen, ond de ku zu de Lenkal of de
frai ze schicken, da bit da pesen äabet häm.
Vrone.
Na, bea boll sich eascht met den grobian vamegen. 10S )
Steffan, hast geheat bi se dich hat zeteckeliet?
Steffan.
Ja frailichtan! 104 ) äba iz bei ich inen ja eascht gern (Get emma
nenta zu de Ewernari’e, fackelt 105 ) sa men faisten unta da näs
rem. Si spuckt such en de hiind ond get om kun ankegen).
E wemarl'e:
Komm na, komm du heagelaffene keadel! 106 )
Steffan.
Nä, jebemci! bäs komts ts mich zu nämen io 11 )? benn ich enk datapp
(steit sich emma nenta zu s e).
Ewemarf'e (baicht pomelich aus).
Bäs? du pist ja nont a seclia pottom 108 ) ond gedenkst ach noch ich
acht mich vöa da, du greuland!
Steffan.
Nä, du alt fei, benn ich dich pograif! 10 °)
IX (nainte pos).
(De voari'en) Hansjirk:
Hoho Stefko (Vergl. zu 29), iz baba sich eascht poren!
(Steffan läßt sich de kuräsche vagen ond dret sech em)
ta, bist flux sehn.
Ewemari e.
Heach 110 ), ta bit schon nech, daß a nech bit 78 ).
Jakobe (tu"ekelt zum Steffan).
Also komm met ma of de passe ! 411 )
Vrona.
0 je, mai soun, kom läß di gehinda me frid, du bist noch genug
baiba krigen, ach äne di zotzarte 113 ) Ldnkal.
Steffa n.
Nä, ich prauch se jä ämäl nech!
Han sj irk.
Nischt däs, 00 ) Stefko, benn de ach nech i'e praitcher hist, i'e praut*
fira känst doch noch sain.
~r —TT~
Versuch eiuer Darstellung der deutschen Mundarten desung. Berglandes. 359
Lenkal.
0 je, da sol ma na kommen!
S teffa n.
Du, du sai na stell, du schnätast na äch das, bäs de hina n 3 ) gäkan;
inet die hüb ich niseht zu tun (get beg).
V r 6 n e.
Lachts! —ta bü n 4 ) äch nech? (get beg).
X (zente pos).
Di voari en äne Steffan ond Yröne.
H a n s j i r k.
Gut häbts getan Ewemari"e; nä dea keadel seheckt sich ja gäa nech fa
enkan an (Eidam); nemts Iiba mich!
E w e m a r i"e.
Hanta, schä Hansjirk, ich holl ja äch zbäa niseht danach fragen, äda magi
man.
Lenkal.
Je 115 ), da väta hit schon heln!
Ewemari e.
Du hast jä äch noch nit de jäa!
Hansjirk.
Of Micheile häh ich se schond.
Lenkal.
Dabail Schafts enk es gedrückte i16 ), motta, brouchts äft nech alles of
ämäl ze käfen.
Jakobe.
A je ns), aide, ich gedenk, bä gern se om! kän äch flux vatrinken sain.
Ewemar i"e.
Nä da meintfegen li7 ), benn es gottes belln es, da soll halt of Micheile
enka hochzet sain!
Hansjirk (datapt de Lenkal).
Julie!
De m ä d e 1 n.
Lenka, bi'e körnen da ein es oppa 118 )!
R o s a I.
Mich must var a krenzeljungfre pitten.
Man t schal.
Ach michen 119 ).
L i s a 1.
Und main junka var an hochzetpurscht.
Lenkal.
Chjö, chjo! motta, ond da Eieck muß kommen spilen.
Jakobe.
Ond a kuf bain baba of de hochzet käfen.
a
360
S c h r ö e r
E w e m a r i"e.
Maintfegen, deia kolzi”en 121 ) Vrone und i"en varoekten soun ze trotz
sol das a scche hochzet sain, daß’s nont recht bid haßen: von allen bid
multum sain ond si ban ach ka steckutschkal * 22 ) davon kosten, daß se
nech ban.
Jakobe.
Also . . . vatrinken muß ha ja ach häm, aide hiß doch pranlfain 117 )
holen.
E w e m a r f'e.
Nä, ge halt, Lenkal!
Lenkal (zupat 12S ) keng es haus).
Flux, motte ! nont es krigal bei ich holn.
Jakobe (kraischt sa anach).
Aba auf de maut must gen, bä du'et häba es robeschal 124 ).
E w e m a r i"e.
Ich bei dabail geschbind a sleckal flasch pregeln.
Jakobe.
Chjö, chjö, Eivcmariusch 126 ) ! — nä, da nont furtiklain, mai tochta*
fida 127 ) dich! ich boll schond gean of dai gleck trinken. Also
Ende.
Anmerkung: In der Handschrift des Lustspieles di kälibe
heißen die Auftritte „erste pos, zweite pos“ etc. Auf eine
schriftliche Anfrage über dies Wort kam zuerst die Auskunft, daß
es soviel bedeute als „Posse“; auf meine wolbegründete Beden
ken gegen diese Erklärung wurde mir wieder die Auskunft pos f.
bedeute „Stückchen, bischen, z. B. ech bäa a pos pai
em, ich war ein wenig bei ihm“. Solange jedoch das Wort nicht
weiter beglaubigt ist, möchte dies a pos wol aus a bäs (= ein
was) zu erklären sein. S. unten Seite 393.
Das weibliche die Posse, für Scherz, Spiel kommt nicht vor
Gottsched vor Gr. Wtb. II, 263. Die ältere Form der bosse
bedeutet ursprünglich Schnörkel, bildhauerisches Beiwerk, aus ital.
bozza, und dieses wieder aus ahd. pozan, tundere. S. Gr. Wtb.
II, 261.
i) Darunter versteht man Fräuleins, die sich städtisch, aber vernnchläßigt kleiden,
die vornehmer thun, als ihnen gemäß ist.
3 ) b of r a, Zusammenziehung aus was für ein: bofre, was für eine: b ofres, b o fas.
was für eines: ho fr an, hofan, was für einen, einem u. s. f.
3 ) ich sai, ist in Schmölnitz ganz in nd. Weise, ich hin aber auch sonst in der Zips
s. Wtb. 97. Zwischen Wetzlar und Gießen aich sei, de seist, er benn.pl.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 361
mer benn, de bids, se benn; Firm. II. 94, ähnlich in Gota, der Wetterau.
s. Firm II, 106, 127 u. a. Vgl. oben Seite 343, Anm. 19).
4 ) anham: heim, ganz wie in Deutsch-Praben und der Umgebung, s. Nachtrag 31.
Fromm. VI. 279
5 ) b ä a t: er war, b ä a t: ich und er wäre, b aa te n wir, sie waren vgl. Nchtr. 47: b i e
bauten.
6 ) bol, bolle, \#>llte, wird hierüberall für würde gebraucht, so wie sol fiir das
Hilfszeitwort der Zukunft (werde). So auch in Nürnberg: dei wollten (die
würde n) Fromm. VI, 263, 55. vgl. Gr. gr. IV, 181.
7 ) Er fängt ungrisch zu fluchen an, wörtlich: ei der gekettete gab (es, dich) !
Der Gekettete oder mit Ketten Beladene 13t wol der Teufel Ipolyi magyar.
Myth. 50.
8 ) Eine weitverbreitete Belheuerungsformel, wol für meiner seel! wenn picht die
Waffe der Sachsen (sahs) oder gar Sahsnut dahinter steckt, wie Schmell.
III, 193, 194 Schleicher Sonneberg 85 vermutet wird.
9 ) stauchen, stoßen, auch im Westerwald Schmidt 233. Schmeller III, 606 hält
es fiir eine Verstärkung von stauen; in Aachen : stacke. Müller-Weitz 239.
i°) d er sterapen, kurzer pflock u. s. w. Schmell. III, 638, vgl. nl. st am per,
Rammblock.
u ) Vgl. Wtb. 32. Da, Ta in : da was, was da! bäs, bä da! ist hier sehr häufig.
12) prackesch, wacker, tüchtig. Vgl. engl, brackish, salzig, 11I. brakwater Salzwasser
und brackisch. Gr. Wtb. II, 291.
13) nont nur, aus einer Erweiterung von niuwan, zusammengezogen. Pfeif, myst. 264,
35 hat niuwant und Herbort Vers 15, 246. ich enmac niuwent eine, wird wol das
selbe sein, obwol Frommann zu 2916 es zu niowiht stellt.
*4) graun bedeutet in Deutsch-Praben ekeln Nachtr. 30; in Schlesien der graun: Ekel.
Weinh. 29. ebenso in der Lausitz Anton I, 12. Ein Gräuland wird demnach einer
sein, der in diesem Sinne Grauen erregt. Vgl. mhd. griuwelinc.
15 ) Wäre vgl. 5.
lß ) A n o ! Vgl. Seite 355 : hano ta ! Seite 348 : h a n t a !
17 ) 0 m fiir ihm ist altthüringisch. Dort findet sich o m, 0 n, or seihst s 0 b e n, d o s s i r
für ihm, ihn, ihr, sieben, dieser, Riickert Ludw. 159.
,8 ) n i n d a t s = n i n d e r t s, Wtb. 66. (unter in d e r t, das schon in der Zipser wille
kur vorkömmt, daselbst). 115 letzte Zeile.
19 ) In Krickerhäu: (i e), aiier, aiich und die II. Pers. Plur. des Verb ohne S ; in
Dopschau: iar aber die II. Pers. pl. des Verb, mit S; in Leutschau schon: is.
Wtb. 132 Nachtr. 25 a . Hier haben wir schon (beinahe ganz y bair. österr.) is
gedenkts (bair. österr. es denkts), nur das ge- verrät die md. Mundart.
20 ) auf die passe kommen, scheint zurückzufiihren auf zu passe kommen
Gr. Wtb. I. 1156 unten; vgl. übrigens passain, ringen Wtb. 33* und 111.
3l ) Gewöhnlicher Ausruf fiir: hört!' wartet nur ! „cimbrisch“ 1 a u t z s. oben S. 265; in der
Oberpfalz lou: ei, sieh doch, I o u ts: seht doch : ebenfalls als Interjection im Gebrauch
(Schm. 11,457) und gewiss dasselbe. Es ist die oherpfälz. mundartliche Aussprache von
lu eg(mhd. luoge!) I ue ge t; was um so deutlicher diese Form als einen Eindring
ling bezeichnet, da lugen in den Gründen allgemein I ucken klingt. Wtb. 78.
22 ) In Koburger Mundart pumala Fromm. II, 432, schlesisch. Weinh. 72; unsere
Formen: pemaehlich (in Stooß) , p a m e I i c h , p 0 m e I i c h Wtb. 32.
Nachtr. 19, lehnen sich (p 0 fiir b e i sahen wir oben in ponem: bei ihm S. 350)
näher an mählich als an das sl. po ma l e an; noch deutlicher geschieht
dies in den älteren schles. Formen bei m ä h e I i c h e n, allbeimählih, be
inah lieh die Petter’s bei Fromm. V, 476 nachgewiesen hat.
■
362
Schrfier
23) anvor: hervor, hinvor vgl. a n ä c 1». Sprachpr. aus D. Praben Anm. 8. Zips. willek.
envor s. oben S. 307. anheim und ä s ö gehören wol jedes auf ein anderes Blatt.
24 ) Jesu-chen, das Diminutive nd. ken ist zu k zusammengeschmolzen, wie im
österr. bair. lein zu 1. In D. Pilsen findet sich in rigi-k-al (Hügel) ein ober
deutsches (aus den Alpen stammendes) -a 1 angehängt; ähnlich hier Len-k-al.
25 ) fr an, freuen (=eig. frauen) ohne Umlaut, ist im XII. Jahrhundert gewöhnlich:
vrouwe; im Mittel-mitteldeutschen tritt der Umlaut ö u %ft gar nicht ein..
Athis 15. Gramm. I 3 , 196. Daher bleibt md. vrouwen neben mhd. vrüuwen
s. mhd. Wtb. III, 415. Daher in Prab. wrad (=f r o u d e für yröude) s.
Nachtr. 26.
a6 ) Sonnabend. Vgl. Nachtr. 21.
27 ) Vgl. Schm. §. 501, 504, 486, 686. Schm. Wtb. 302 cimbr. schau gen Wtb.
165, 337. Vgl. auch ahd. skükar: speeulum, got. skugqva eiaonrpov»
Graff. VII, 522. Ulfilas, Korinth. 13, 12. — In Gölnitz hach: haue.
28 ) S. die Anmerk, über die Declination oben Seite 264.
29 ) Sie slavisiert seinen Namen, wol mit Hindeutung auf seine Herkunft; er ist, wie sich
weiter ergibt, aus Telke-Bänya, einem ungr. slovak. Orte des Abaujvarer Comitats.
30 ) Das euphonische S nach N (vor T, D das hier ausgefallen ist), auch schles.
Weinh. Dial. 81. Vgl. Schm. gr. S. 148.
34 ) Vgl. Wtb. 104, wo die Form holdrbear aus Dopschan angeführt ist: die Er
klärung aus halt ein wer oder halter wer s. d. und Nachtr. 18».
32 ) zo=zu; zu für ze und zer ist alt und md. Mundarten eigen. S. Athis 14. Rii-
ckert Ludwig 160, mein Vocab. von 1420 s. 59. Nachtr. 50b.
33 ) Stoff eigentlich Christoph, für Tölpel in Schm., in Baiern ebenso: Steffel.
Schm. III, 619.
34 ) didege s. Nachtr. 21. Im Schemn. Str. oben S. 306 f.: daic (dag). In Tirol
dai’g, dasig From. IV, 337. In Villach (Kärnten) ist der 8 egene und der
doigene: dieser und jener. Vgl. oben Seite 343, 16.
35) Vgl. Holtei: und wie ich so t u rn i er e n tu und mit mir selber märe
in s. schl. ged. gänseblimel. Das alte turnieren fr. tournoyer bedeutet
urspr. mit dem Rosse wenden; aber schon Gregorius 1412: sö turnierte min
gedanc. Iwein. 146: ez turnieret aller min sin. mhd. Wtb. III, 135.
36) Sehr. S. Wtb. 101.
3?) Geweint. S. Nachtr. 30. — In Mw. bedeutet es lachen. Vgl. S. 345, 39.
38) et 8aidenn = außer, S. Nachtr. 50.
39 ) Ungr. = ich weiß nicht, also hier: ein unschliißiger Mensch.
40 ) In Aachen hatz, in Prb. jatz s. Nachtr. 34.
44 ) Alle, wol slovak. ale für &de; aber.
42) Bitten, daß man ihn als Bajazzo engagiert, ein etwas unvolksmäßiger Einfall, der
übrigens die betreffenden auch mit als curiose Leute bezeichnen soll.
43) Über diese Endung — lisch s. Wtb. 102.
44) Geliebter. S. Nachtr. 34.
4 5) Küsse. Vgl. Wtb. 39.
46) Waren. Vgl. oben Anmerk. 5.
47) anvoa Vgl. oben 23; hingegen an ach, S. 378, 29.
48 ) abea, irgend wer, S. 345,34; in Krh. kockeber (Gott gebe wer) s. Nachtr. 29.
48) hauchen = hocken, spricht für die angezweifelte Verwantschaft zwischen
hocke, kröte und hocken, ln Krh. heißt die Kröte erdhauch. S. Nachtr. 24.
50) Eilig. So wie unsere vorliegende Mundart die genäselten N meidet und zu deutlichen
n herstellt (a n h A m = e h e i m , e^heim) , so geht sie hier noch weiter und
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 363
fügt hier nach Doppellaut vor L ein N ein. Vgl. Schm. §. 554. Weinh. dial. 70
Gr. G. D. S. 538.
51 ) Geflucht wird häufig slovakisch und ungrisch.
52 ) Das kranken, die kränke. Vgl. Wtb. 73.
53 ) sch a la puta ; scheint slavisch; vgl. slovakisch issarapata m. «Narr, Stocknarr,
• Fatznarr, Hanswurst“ Palkowitsch 2331—2332.
54 ) Fast alle Mundarten unterscheiden noch die Geschlechter von zwen, zwö, zwei,
so wie der Unterschied von einzelnen Dichtern bis in unser Jahrhundert herein
noch festgehalten (zuweilen wol von Abschreibern und Setzern verwischt)
wurde; doch beobachten ihn die Aufschreiber von mundartlichen Sprachproben oft
nicht. Vgl. Nachtr. 50.
55 ) Hier erscheint das österr.-bair. aft (Schm. I, 54, Wtb. 30) ganz deutlich in Form
und Bedeutung; daneben ist das alemannische Wörtchen offet, offa (in Form und
Bedeutung ähnlich) zusammengezogen aus an fangen auch in der Gegend zu
finden ; s. Nachtr. 43.
56 ) Mädchen erhalten durchaus die Deminutivendung AL; Weiber nennt man Lene, Hose,
Mantsche.
57 ) Eulenspigel, einer der etwas unpassendes, ungelegenes tut (zur Form vgl. 50).
58 ) h o, hoho ist ein üblicher Anruf aus der Ferne. In Münichwies hört man das
Kind den Vater aus der Ferne rufen: nana h ö! Vgl. näa,tschull-ö Nachtr. 42. 23.
59 ) e n t g e g e n, s. Weinh. Dial. 82. Vgl. an = in im Wortregister und 23).
60 ) ßu-chea-n : woher. Zu dem CII für H. vgl. Wtb. 42. b. Zu dem N am Ende vgl.
f r a i I i c h t a n 104). Nach Analogie der Adverbia auf en (ahd. u n ), die vermutlich
schw. accus, sind, ferro n, n a hu n, gesteron (zwar schon lat. liesternus)
u. s. w. Gr. gr. III, 96, gebildet. Im Madjarischen werden die meisten Adv. aus Adj.
durch an — en gebildet.
61) f u r t i k 1 a in, schnell, sogleich aus für t-h i n (hinfort)-g 1 a i n (mhd. g e li m e.
knapp)? vgl. Schmell. II. 92. CW. 125 a .
62) v o r-f ü r t u c h, östr. f f a t a; hingegen schürzen ist nicht österreichisch.
63) k I a p s c he f. altes Mütterchen ; so wird mir die Bedeutung angegeben. Bs könnte
wol urspr. die kl a ff er in sein (eine ähnliche Bildung wie tepsche unter Anm.
70), die sich zurückzieht und über andere übel nachredet, wie nl. klappej f.
k I a p s p a n m. k 1 a p s t o k m. in der Zips k l a p s a f f e m. Wtb. 69. mhd. k lap
pe r t es c h e, k I a p p e r m i n n e. Das nl. klappe n, schwätzen lebt in unsern
Mundarten noch. S. Nachtr. 36.
64) grundm. ein Thal, namentlich mit Bergbau, s. Wtb. 9. 56 6 . daher grend al n.
oben S. 349.
66) h i e h e a-n, vgl. buche» n 60.
66) Beeilen. Vgl. Wtb. 50 b. und Gr. Wtb. III, 1893.
67 ) zusammengesetzt aus der lnterjection c ha! und ja: ja; c h a für h a ist schon Wtb.
42« angemerkt. Mau hört auch chaja! ei ja! was tiiringisch ist, vgl. ha jaa!
Schleicher Sonneberg 68.
68) F für W. So die Ils; meine sehriftl. Nachfragen deshalb blieben erfolglos. Wenn dies
F für W wirklich vorkömmt, so könnte es aus einer Zuwanderung von Pilsen oder
Krickerhäu erklärt werden, wo F zu W wird, was, im Bestreben diesen Lautwandel zu
vermeiden, wie Ähnliches oft geschieht, daher auch das Umgekehrle|zuweilen veranlaßt.
69 ) Vgl. au wie ,1 e i c h e n Wtb. 31 a . a u w i kömmt am nächsten dem Türingischen
a uwic h für a u w e S. a u w e h, a uwei h. Gr. Wtb. I, 1045. vgl. a u b i j a und
a u b i und a u b e i a (hei Fischart) daselbst 598.
70 ) Das Spiel mit einem gebrochenen Topf. Denselben wirft eines dem andern zu bis
ei einem in der Hand zerfällt. In dessen Hand er zerbricht, der verfällt einer Strafe.
364
S c h r Ö e r
Wir hatten oben Anm. 63 schon ein ähnliches Wort: die k 1 a p s c h e, wie dort ver
mutet ward, von klappen abgeleitet, wie dieses t e p s c h e von t o p.
71 ) ba: wo, als Pron. relat., wird hier, wie schon oben Seite 287, 294 u. ö. in der
Bedeutung von denn gebraucht s. 100) u. 114).
72 ) m o I d bu e m : Maulwurf in der Zips maul twur m, Maulwurm m.s. Wtb. 80.
73 ) Wol das Lied : „ach schönster chatz verzeih es mir (daß ich so spät bin kommen), das
hat gethan die finstre Nacht, die hat mich eingenommen“ u. s. w. 7 Strophen; so in
Schlesien. Hoffmann und Richter, Seite 97.
74 ) So wie oben einmal alle (für aber), wird hier ein slovakischer Ausdruck in die
Rede eingeschoben , was das Eindringen von slavischen Elementen in die deut
schen Colonien bezeichnet, idz für i d’: geh ! die slovakische Form in den Mund
arten, die schon dem Polnischen sich nähern.
75 ) Es ist das Lied das auch in Pilsen gesungen wird. S. Wtb. 89b: »als ich einst im f,
külen tau J im grünen wald im schatten saß | sah ich ein mädchen ferne stehn—
sie war ja so „be säubert“ schön“ etc. Für besäubert habe ich a. a. 0. richtig
auf bezaubernd geraten. Dieser Ausdruck bezeugt aber nähern Verkehr
zwischen Pilsen und Schmölnitz. In den Fassungen, die Hoffmann (schles. Volksl.
Seite 135) kennt, kömmt er nicht vor; wol aber in Schwaben. Meier, schwäb.
Volksl. Seite 237.
76 ) tön wie mhd. dön für Singweise in Krh. bais f. Weise. Wtb. 33 a .
77 ) Das Lied fängt sonst an: „nichts schöners kann mich erfreuen“ und ähnlich. Im
Voigtland hörte ich es singen mit dem Anfang: „Es blühen drei röslein im garten |
Soldaten die zogen ins feld | Ade nun mein liebchen, du feine, | ja ja du feine |
die mir von herzen gefällt“ etc. Vgl. Erlach 1, 50. HII, 155, 200, IV, 100, 241.
Herder Stirn, d. Volk. V. Buch 8. Wunderhorn II, 17. Fiedler Volksreime 157.
Vgl. S. 179. Meier schwäb. Volkslieder 192. Im Kuhländchen Meinert Seite 146.
Vgl. Wunderhorn I, 282. Pröhle. Volksl. Seite 8. ^
78 ) Eine Art die Aussage durch Wiederholung zu verstärken, die weiter verbreitet
sein muß, denn ich kenne es aus dem Munde älterer Personen in Presburg auch,
dessen bair. österr. Mundart doch sonst mit der des ungr. Berglandes nichts ge
mein hat. In Presburg ist die Wiederholung, die meist eine gehässige Handlung
zur ßeschämuug des Gegners recht deutlich an's Licht ziehn oder sonst etwas
Ärgerliches anschaulich machen soll, zuweilen sogar eine dreifache: da platsch
sa si (=setzt sie sich breit) her, wiara laus in grind und so p rätscht
sa si, daß sa si pratscht u. dgl. Vgl. Fromm. VI, 120 oben, 2. Zeile. —
In der hennebergischen Mundart findet ähnliche Redeweise statt: „wenn man
fürchtet, der andere habe auf unsere Rede zu wenig Acht gehabt, wiederholt man
einen Satz so: „es ist kalt, daß es kalt ist. Es ist ein böser krieg,
daß ein böser krieg ist.“ W. F. II. Reinwald, henneberg. Idiotikon Seite XIII.
79 ) im 8 c h f. Das Maul, Wtb. 83a. Daher mischen: maulen, sonst auch mau lat
schen, maulenzen. Nachtr. 40.
80) Vgl. Wtb. 59.
si) VgL Wtb. 73.
82) ertappt. Vgl. Wtb. 43a. ^
83) in Prb. ke-eck der Knüttel. S. Münichwieser Wortverzeichnis S. 435.
84 ) Ein Ausdruck, der in obiger Bedeutung in Schm, gewöhnlich sein soll, wie mir
auf mein schriftlich ausgesprochenes Bedenken erwiedert wurde; doch konnte ich
die anderen Formen dieses Wortes, das doch nur ein Particip eines Verbum elek-
tri**en (für elektrisieren?) sein miiste, nicht erfahren. So unwahrscheinlich die
Volksmäßigkeit des Ausdruckes elektrieren, das unmittelbar von vjXexrpov
abgeleitet wäre, ist, so weiß ich doch keine andere Deutung.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 365
85 ) vabechen: verwichen, für unlängst, ist auch schlesisch: verwichen jör
war sch och a s u. Holtei schles. Ged. 3. Ausg. 172. So wie österreichisch; wer
kennt nicht das Lied : als i pin va wichen zu mainn deandl gsch liehen?
86 ) St. Anna, ein Dorf bei Jooß.
87 ) non: nur; für nun nun aus mhd. niuwan. Die Form nun schon spät mhd.
s. mhd. Wtb. III, 486. Vgl. Anm. 13.
88 ) hanta aus and, hand (Wtb. 83, Nachtr. 16): sieh da! also! ei nun! und: ta
(=da) , das auch in bata = was da! ei was! (aber nicht in baita: weiter
Wtb. 52 a ) enthalten ist. Vgl. 96).
89 ) valAken: verleugnen. S. oben Seite 317. Von ahd. loukana, die Leugnung (von
ahd. liokan lügen). Das k hat sich md. erhalten bei Herrn, v. Fritzlar louken,
Luther (im Osterlied) : das wort gots man sie leuken hieß, s. Wackernagel
Wtb. unter lougenen, louken. Im Westerwald leikein, Schmidt, 103. In der
Oberlausitz, im Oberharz und in Schlesien läuk*el n, lekeln, laekein. Weinh. 52a.
90 ) nischt das! für, es macht nichts, thut nichts! ähnlich im Böhmenvald: ’sis
ninx! — gib ma d'händ, ’sis ninx, samma guat. Jos. Rank, s. 47 u. 222
(wo dieselbe Geschichte noch einmal erzählt wird).
91 ) Ungr. bajusz (sl. bagauz, faus, poln. was, russ. us), der Schnurbart.
92 ) abtreigen (=abtreugen, vgl. Weinh. 100 a . treuge altmd. trüg, nl. droog,
nd. dreeg) nl. afdrdgen nd. ufdrogen, im mittlern Deutschland, Thüringen
etc. für abtrocknen. Gr. Wtb. I, 143 f. — Man sagt ich kann (er kann sich)
mir den Mund ab wischen, wenn man bei einem Mahle leer ausgeht; in dem
Sinne ist oben auch schnurbart ab treu gen ironisch gemeint.
93 ) Entstellt aus dem sl.: o tompotom: von dem, nach diesem d. i. davon ein
andermal, wodurch ein Gegenstand auf die Seite geschoben wird.
94 ) Nicht wie ahd. ,j ungast, z e i z A s t (f. j u n g ö s t, z e i z 6 s t) als ein sel-
p Ast (f. s e I p ö s t) aufzufassen , sondern als entstanden aus einem unorgani-
nischen s e I b e r s t.
95 ) daß für als steht hier wie in Verhältnissätzen nach dem gesteigerten Beiwort:
je tiefer daß man gräbt u. dgl. Grimm Wtb. II, 824, 18.
96 ) Wiederholt sind wir schon diesem ta oder da begegnet; hier deutlich an der
Stelle des Ausrufes ei! oder ei seht doch! — Es ist doch nur das demonstrat.
räumliche Adverb: da, das oft ohne weitere Bedeutung nur als Verstärkung vor
kömmt, wie auch bei Frage und Verneinung (wasda? woda? nichts da! ja
da!), als Ausdruck des Staunens, Schreckens zur Bezeichnung von etwas Uner-
w'arteteni. S. Gr. Wtb. II, 647, 648. Das sl. da: aber, Jungmann I, 323 ist nicht
herbeizuziehn. Die Ausdrücke „baita, bata, ta: also“ Wtb. 32 a , sind zu er
klären aus: was weiter! was da! da! Vgl. oben 88), 114).
97 ) es get mich ndt an (für es geht mich an, betrilTt, belangt mich) klingt
recht alterthümlich, denn es erinnert an mhd. des gienc in not an für: er
muste , Not zwang ihn dazu. Das Gegentheil es get mich (ihn) nichts n dt
an, bedeutet daun: ich bin dazu nicht gezwungen, man hat es mich nicht ge
heißen = „es geht mich nichts an.“ — Luther sagte: „und was gienge
mich not an in eins andern Sachen“ (=was gehn mich eines andern
Sachen an)? S. Gr. Wtb. I, 340.
98 ) Vgl. engl, chat, chatter: plaudern, chatterer: plauderer. Ferner das ge-
schätter (=gschade): geschwätz; „die schätterhätz oder alster, pica.“
Schmell. III, 413. schättern, laut lachen, schreien wie die Elster etc. das näher
noch steht. Schweizerisch: die tschädere: die Klapper, schwatzhafte Person,
tschii d e rn, tschä 11ern, tschudern; von dem Ton einer gesprungenen Flasche»
366
S c h r ö e r
eines Regengusses, fallender Schlossen. Stalder. Vgl. k adern, guttern Schmell. II,
87, 283, was auf lat. gutta rium, schweizerisch gutte re mhd. gutrel, kute-
rolf etc. = die Flasche, zurückzuführen ist, sowie wieder obiges t schildern,
tschättern mit magyar. csutora, slov. cutora (serb. cutura), hölzerne
Weinflasche, verwant scheint. Vgl. 112).
") Vgl. oben 87. Die Ansetzung eines t an niuwan md., schon Pfeif, myst. 264,
35: niuwent.
io° a ) Das Adj. herze, s. Wtb. 60 a , das mhd. ahd. (herze, herzt) in Zusammen
setzungen (armherzt u. dgl. angels. auch allein: heorta) vorkömmt,
io Ob) ba ist = wo, urspr. Pron. relat., das hier in der Mundart sehr gewöhnlich in
die Bedeutung der Conjunction denn (nam, quum) übergeht. Vgl. 114), 71).
i°i) bifel (bivel, mit dem Ton auf der ersten Silbe), cimbr. hiwel CWtb. 120,
wie viel, abifel: einige, einwjeviel; a bifel mal: ein wievielmal = einigemal.
i° 3 ) k laschen, wie platschen, klatschen, das schallende auffallen einer breiten,
besonders einer näßen Fläche bezeichnend. Vgl. englisch to clash, zusammen
schlagen. In der österr. Mundart bedeutet kl eschen mit der Peitsche knallen,
schnalzen. S. meine Weihnachtssp. Seite 83 zu 390. — Schmell. II, 464.
lo3 ) Sich mit einem vermegen (=vermügen): sich mit ihm einlassen, messen»
es mit ihm wagen, ihm gewachsen sein, wie ähnlich im md. Passional (ed,
Köpke 505, 27): uf daz er an dutungen sich dedte baz vermochte:
quo magis valeat in scripturis (in diversis linguis) interpretandis.
i° 4 ) frailicht in Prb. wrait, Nachtr. 27 a erhielt die Erweiterung -an, analog
dem mhd. - en in -liehen (vrilichen) gebildet oder wahrscheinlicher
noch die noch unpassendere mit -ern. Vgl. Gr. gr. II, 179. Denn -an in
der Endsilbe verlangt in dieser Mundart ein urspr. A oder ein ausgefallenes -ER.
i° 5 ) fackeln, in der Schweiz: facken, fackeln = sich hin- und herbewegen;
der fäcken, fäkten, der Flügel (nl. vagt, vacht, Wollenflocke, Pelz) Vgl.
w äch e I n; fächeln; der wächel, der Fächer. Schm. IV, 9 (was Gr. Wtb« I, 773
unter aufwach ein, wo poln. wachlowäc angeführt ist, übersehen wurde);
fächeln, nd. fakkeln, zaudern, ist wol unverwant.
106 j Stephan ist kein Eingeborner, wie wir schon wissen (s. 29), er ist ein pottom
(s. 108); ein „Hergelaufener“ sein, ist eines der grösten Verbrechen beim Volk;
ihm gegenüber fühlt sich der Eingeborne wie ein erbgesessener Adel. Auch im
Hildebrandslied scheint schon reccheo kein Ehrenname.
,07 ) mhd. namen, bair. nämeln: einen Schimpfnamen geben.
l0s ) einer der p otom sagt (potom: nachdem, vgl. 93), der sich Zeit läßt, ein Slawe?
,09 ) begreifen für ergreifen, wie in Pis. betappen für ertappen; s. Wtb.
43 a , wo betappa fangen, kriegen heißt.
110 ) heach (=höreh) eine bemerkenswerte Form für horche. Vgl. angels. hear-
enjan, engl, hearken (hören angels. hyran, altnord, heyra; ahd. höre-
chen). — Als Interjection scheint es die Bedeutung gib acht! zu haben
und wird mit dem hich hich! um Kremn. s. Nachtr. 33. eins und das
selbe sein,
m) Vgl. Anm. 20.
1I2 ) Höchst wahrscheinlich das bairische zozet: lumpicht von zozel, zozen f. m.
=zote (womit noch das bair. zassel, Schm. IV, 286 und zosseln 289 zu
vergleichen ist). Es wäre demnach zozet = ahd. zatoht, zotticht, wo dann
das R in zotzart als unorg. mundartlich, vgl. Nachtr. 10, zu erklären ist; doch
vgl. auch ahd. zotarjan und zaturra, zatara, zatre, meretrix Graff V,
633; tschattre, Plaudertasche oben 98, hat wol nur äußerlich einige Ähnlichkeit,
Versuch einer Darstellung’ der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 367
n3) Das Huhn, die Hühner klingt jetzt im Österreichischen sehr vornehm und
fremdartig, weil die Einzahl verloren und nur mehr heana (aus hüener) üblich
ist, das den fehlenden Plural von die henn (= henne), daher heunel, hen
de 1) vertreten muß (ehedem war huon in Österreich wol üblich; so bei
Helbling, Neidhart u. a.). In der Zips hingegen hört man liun , hinchen, hin-
ner, weniger Henne.
n 4 ) ta bA (= da wo): warum?— Hier darf wol an das altsächsische huö: quomodo
(für ahd. huieo), mnl. hoe erinnert werden; es erinnert an holen er für
belcher (welcher) in Dopschau, im Siebenbürgischen wol: welch s. Wtb. 104
Nachtr. 18. Über ta vgl. 97).
115 ) j ( e allein und mit A, 0: aje, oje, entspricht im Gebrauche nicht dem Je
(Jesus), der Schriftsprache, sondern vielmehr dem ausrufenden ja, j a r i a. Gr
gr. II, 290, 296, wobei zu erinnern daß auch das nachgesetzte ja in Krh.je
ist. S. Nachtr. 34 a . Tn der Schweiz steht jä für ei! und in ähnlicher Bedeutung
Stalder II, 71.
li(i ) Darunter ist die blaugedruckte Leinwand mit weißen Blumen zu verstehen, wor
aus das Bettzeug bereitet wird; ein Hauptgegenstand zur Aussteuer einer Braut.
117 ) Vgl. oben die Anmerkung 68.
118 ) Man pflegt in der Kirche bei Hochzeiten etwas zu „opfern“, ein Geldstück
zu geben.
119 ) Vgl. frei lieh tan , Anmerkung 104. So wie die adverbbildende Accusativendung
in unserer Mundart zum Überfluß gebräuchlich ist, so hängt sie sich hier auch an
den Accusativ an. Vgl. benen: wen S. 345, 37.
12 °) Eie k ist die ungrische Form des Taufnamens Alexius; es heißt so in Schm, ein
Stadtmusikant. Die Benennung mit einem Taufnamen in ungr. Form läßt in ihm
einen Zigeuner vermuten.
121 ) hs. kotzlich für kotzig, s. Wtb. 72 b unter kotzen. Ko tz lin g : der Unge
kämmte, daselbst; kotzig: zerrauft, ist auch in Gömör (Eltsch, Groß-Rauschen-
bach- [Nagy-Röcze] etc.) üblich.
122 ) -utseh ist eine eingeschobene slavische Deminutivform; vgl. -uscli, Wtb. 102.
123 ) zupat (= zuppert), obwol ahd. zabalAn z a p a 1 ö n, ostlech, zä p el n , ze-
perln, zur Seite steht, ist hier doch eine Entlehnung unmittelbar aus dem Slav.
anzunehmen. Vgl. cupäm: ich stampfe mit den Füßen u. dgl.
124 ) Zu rohescli, Kerbholz. Vgl. ro wasch Wtb. 88. In Prb. gebraucht man dafür den
Ausdruck r A t e. Nachtr. 44 b f.: hrut.
125 ) p rege In, praegeln. Vgl. Wtb. 40 a : preseln, p regeln. Nachtr. 19: prae-
g e l n : b r ä g e 1 n lat. f r i g e r e s. Gr. Wtb. II, 291, 313.
126 ) Den Ausbruch seiner gröslen Zärtlichkeit bezeichnet das Deminutiv, wozu vg
Wtb. 102.
127 ) fördere dich, vgl. Wtb. 50 b Fromm. V, 179, III, 417, 392.
368
S c h r ö e r
AusStooß*).
(In den Gründen näher zu Schmölnilz als zu Gölnitz.)
Der alte Sultan.
(Nach Gr. Kinder- und Hausmärchen 48.)
Es hatt 4 ) a paua an traien liund, dea hat 4 ) Sultan gehäßen;
dea ess alt böan, aßö daß a nischt me recht hat packen gekint.
da stet amäl da paua met sain baih önd sägt: „en alden Sultan schiß
ich möagen tot, da ess ze nischt me nöz.“ en baib bäar es em en
hund lad önd di sägt; „da hat ons so vil jäa gedint, daß har om a )
es gnädenpröt gern kenten.“ — e 3 ), bäs! sägt da man, du pist nech
recht geschaid, da hat kän zant me en maul önd ka räba facht sich
vöar om. hat a ons gedint, ta hat a sai gut fressen davöa gekrigt
iz lägt a nischt me, ta kän a ähfäan. — Da hund, dea nech bait davon
gelegen ess hatt das alles metängeheat, ess daschrocken önd bäa trau-
rich daß möagn sai Iezta täg sain sol. da hatt 4 ) aha an guten fraind,
dea bar da bolf. ze den get a zämd raus en bald önd dazelt häs om far
a scheksal pevöastet. „mach da ka söag 4 ), sägt da bolf, „ich baß an
guten rät. möagn fri get dai harr 5 ) met sain baih ens hai önd de nemen
i ,- e klän kend met. Däs legensepai da äabethenta 6 ) de hek 6 ) en 6 )
schatten, du leg dich danem, glaich als heim de's pebachen holst
beln. 7 ) äft bai ich aus en bald körnen önd 'es kend stein, du must
ma nächspringen met alla macht, als benn de’s ma bida abjägen
holst beln 7 ). ich läß es fallen önd du prengst es bida. äft denken se
du liäst es gerett önd send nech aso undankpäa di e-r-abäs ze tun.
du kirnst göa en velliche gnäd önd es bit da nischt feien. — da än-
schläg hat en hund getälln önd bi gedächt aso getän! — Da paua
kraischt bi a en bolf met sain kend duech es feld läfen siht; bf es
äba da aide Sultan bida zerekprengt, es a frö, straichelt en önd sägt:
„di ‘e soll nischt schlechtes bidafäan, du solst es gnädenprut häm, a so
lang de lebst!“ — äft sägt a ze sain haib: „läf anhäm önd koch en
alden Sultan an prai, den prauch 8 ) a nech ze paißen önd main ffl ,J )
schenk ich öm a ) ach ze sai pett. von nön 10 ) än hatt’ es da Sul
tan aso gut bi a sich nönt ll ) bentschen la ) lcont. da bolf pesucht
en önd frait sich däß es aso gut gelung es: heach 13 ) landsmän“
*) Wie Seite 281 eingesant. Vgl. daselbst dasselbe Stück.
Versuch einer Darstellung 1 der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 369
sägt a „du bist doch a äg zudreken benn ich dain harr a fett schuf
begträgen kän? es bi"et 14 ) an haitzetäg schbäa sich du ,- echzeschlä-
gen.“ — „Nä“ sägt da hund, „main harr sai ich trai, das kan ich
nech zügem.“ Da bolf äba mänt das bäa ka eanst, önd kirnt en
da nächt en guten pessen abzuholen, äba da traie Sullän hatt en
harr alles voräten, asö <•) daß dea en da schaia ofpasst 4 ) ond en
bolf tichtich es fei beit I5 ).
*) aßö, so ; das scharfe S als Inlaut vor dem Vocal der hochhetonten Silbe, das hier mit
ß angedeutet ist (indem der Aufzeichner ein zweites Mal a s ö schreibt) ist bezeich
nend. Im Österreichischen sagt man auch aßö mit scharfem S, so wie hier (im
Österreichischen) überhaupt das anlautende S scharf gesprochen wird, nicht wie in
Mitteldeutschland. Diese österreichische Aussprache scheint in Stooß zuweilen her
vorzutreten, was unserem Aufzeichner, einem Zipser, der das linde S gewohnt ist,
auffällig war.
2 ) ö m, ihm, ist türingisch. RückertLeben Ludw. 159. S. oben Seite 361, 17.
3 ) e! ah! Eine Interjection, die Gr. W-th. III, 35 und auf dem Umschlag der ersten
Lieferung (wo es aus Kaisersberg nachgewiesen ist), für französischen Ursprunges
gehalten wird. Das dürfte noch bezweifelt werden. Es ist auch Österreichisch und
klingt da nicht nur e, a h, sondern auch ä e h, ech, z. B. ä c h, g e b t s m a-r-a n
f r l d ! ä c h, las t’s in i a u s ! ä c h , w-a s ge t tas m l fi n ! Vgl. mhd. aln?
4 ) hatte; das Prät., das in unseren Mundarten schon selten ist, hat sich namentlich
von haben erhalten.
5 ) h a rr, Herr, vgl. Bela. Aum. 6.
7 ) pebachen holst beln (bewachen wolltest wollen) für bewachtest. Vgl. Krh.
1. Sink. 6. 18. 30.
8 ) prauch für braucht: s. Wagendr. Anmerk. 18.
9 ) ft I, siehe das Wortverzeichnis unten unter p fü I.
lü ) nön, nun, das U (in nü-u) wird 0 wie Pdl. spr. Anm. 14; vgl. Wgdr. 4.
u ) nön t, nur, auch in Smln. S. Sink. Anm. 87, 99, 8, 34.
12 ) b e n t s c h e n, wünschen; das eingeschaltete T nach N auch bei Opitz, Gryphius.
S. Weinh. Dial. 83.
13 ) h'each, horche heachen ist wol dem engl, hearken den Buchstaben (nicht
der Aussprache) nach ähnlich, aber dieser Form doch ferner als ejner anzuneh
menden Übergangsform hör chen, aus hör eben, ahd. hörechen aus hörjen.
14 ) bi et, bit, wird; ein Metzenseifener will bemerkt haben, daß erstere Form nur
in besonderen Fällen angewant wird; wahrscheinlich, wo das Wort mehr be
tont wird.
15 ) lieln, das Fell h. = durchbleuen. Leider vermag ich das Wort aus unseren
Mundarten durch kein zweites Beispiel der Anwendung zu belegen, und so muß es
denn dahin gestellt bleiben, ob es zu holen Schm. II, 173 oder etwa zu hei
ligen zu stellen ist.
Einzelne Ausdrücke aus Stooß.
aftan, hernach. Wtb. 30, Naclitr. 42.
äg-; n. Aug-e, in Ksm.: äug, eug. Das A für OU auch im schles.Oppa-
land, vgl.-Weinh. dial. 28.
370
S c li r ö e i*
aldemäsch m. 1. Festmahl, welches den Arbeitern nach Beendi
gung einer mehrtägigen Arbeit von dem Arbeitgeber geboten
wird. 2. Bestätigungstrunk. Altmadjarisch bei Anonym.
Belae notar. cap. XVI, XXII. al da mas, aldomas: heidnisches
Opfermahl; im XV. Jahrh. (Tatroser cod.) aldomas: sacrifi-
cium. siebenb. sächsisch: a Im es eh Wtb. 30“, vgl. almasium
seu mercipotus wlnkouf tibi significat. Haupt V, 413,
mhd. Wtb. I, 867 b vocabular von 1432 allm asium: leytkauff.
Fromm. VI, 291. Dieflenbach glossar: allmasium: almeys;
woraus ersichtlich ist, daß die siebenbürgische deutsche Form
schon alt ist.
ämes f. Ameise. Wtb. 30. Nachtr. 16.
äntresch: bange, Wtb. 30 b , bair. öster. Form Schm. I, 77.
Andresal, Tresal: Andreas. Wtb. 30’’.
auspauschen: 1. haken (s. Gr. Wtb. I, 1080); 2. wie Wtb. 33 b .
„ausräten: schaden“? Es ist wol zunächst an raten zu denken, das
schon mhd. im üblen Sinne machinai'i, moliri bedeutet, vgl.
rätönte sontes, nocentes Sclimell. II. 147, unrät ungeraete,
das. 146.
ax, f. Axt in Krh. äx, Nachtr. 16 b , Wtb. 31 a .
babi: wie, warum; aus was wie, s. Wtb. 33.
pankhart m. bankert Wtb. 32: pankhert im XV. Jahrhundert pan-
ch art. Weigand-Sehmittlienner I, 102, Gr. Wtb. I, 1111, auch in
das Slavisclie übergegangen. Jungmann. III, 23.
parr m. Geräusch, Getöse, parren, poltern, lärmen, Wtb. 32 b . in der
Schweiz barren: krachen, brummen. Stald. I, 136, harren,
clamare more ursorum. Henisch 192. Gr. Wtb. I, 1127.
pedren sich: Platz haben. Nachtr. 17“, Wtb. 33 b .
pekan = pek, spielen. Wtb. 34.
bekroschein sich: neu beleben, erholen, Wtb. S4. Nachtr. 30 1 ’.
peitsch f. plur peitschen: ein weicher kuchen; twäakpelts ch:
Quarkkuchen. Wtb. 34. Nachtr. 17. sich a. p. machen, sich
besudeln.
beliban, beliebern. Nachtr. 17. Wtb. 77, Gr. Wtb. I, 1449.
pemaehlich: allmählich. Nachtr. 19“. Vgl. oben Seite 361, 31.
peneschpat: betrunken 84“.
pent f. Die pinte. nl. pint f. aus franz. pinte 4 / 5 preuß. Quart; wol
zu piugere und urspr. (pinta) == Zeichen. •
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 371
pepreipeln: ungehalten über etwas sprechen, brummen, Wtb. 39 b .
Fromm. III, 132. II, 464.
peschlekate Milch, Schlickermilch s. Wtb. 93".
peßusch-chen n. bißchen. Wtb. 35“ vgl. -useli. Wtb. 105\
beta n. Wetter, namentlich vom Zustande der Luft im Bergwerk,
s. Wtb. 104 b .
putschen, zwicken. Wtb. 35“; auch siebenb. sächsisch,
pfül, tfül fil m. Kopfküssen. Wtb. 35“.
bi bein, wir werden. Zu diesem Ztw. s. Kesm. Anm. 3. Ltsch. Anm. 12,
Nachtr. 49\
bibi! weh weh! in der Kindersprache. Wtb. 35 b , auch siebenb. säch
sisch; französisch: bobo!
piske m. ein Spielzeug, s. Wtb. 36. schlesisch heißt dasselbe kitsch-
kerle n. wie mir Dr. Er. Schwab in Kaschau mittheilt,
bistmilch f. s. Kr aste.
plattich, glatzköpfig. Neugebildetes Adj. aus platte f. mhd. blate,
ahd. blattä pr. TrXarvj. Die Endung ig wird demnach in Stooß
ich (?). Vgl. Zpsl. Anm. 6 in Mzlf. ik, -ek.
blaumein : baumeln, taumeln. Wtb. 37“.
plempleng m. der Schweinsmagen. Wtb. 37“.
p lentsehelmaus f. 1. der fim Spiel) mit verbundenen Augen die
Andern fangen soll; 2. das Spiel selbst, sonst blentschebacke.
Wtb. 31 b ; in Presburg: plindsmaisel, blindes Mäuslein. plent-
s che ln, schielen. Mzsf.
plonda m. in bäs da plonda, bäs da gaia! was der Plunder! was
der Geier!
pönnen: binden. Wtb. 38 b .
poß: bis, scheint hier nicht üblich, obwol es in Schmölnitz vor
kömmt. Wtb. 39“.
pöß = wärts in rofpoß, runtapoß s. Wtb. 39“.
possen : küssen. Wtb. 39 b .
poetleng m. der Verhüttete s. Wtb. 39\
praln : plärren in Mzsf. plärren, in der Schweiz brallen. Gr. Wtb.
II, 292; hingegen blarren, blerren. Wtb. 37” nl, blaren,
ahd. blärren. Gr. Wtb. II, 66.
prän m. brodem. Wtb. 39\
prautcher m. Bräutigam. Wtb. 40.
pretschen, mit der Pritsche schlagen. Wtb. 40 b .
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. ßd. II. Htt
2a
372 S c hr ö e r
brinse f. Schafkäse, welcher in hölzernen dosen (s. Gr. Wtb.
II, 1310) versendet wird; walachisch brinze caseus friatus;
slov. mähr. poln. brynza, caseus pressus vulgo burenda
Jungmann I, 193. Gr. Gesell, d. d. spr. 1008. Mit Bries hat
dies Wort nichts gemein, obwol J. M. Wagner bei Fromm. IV,
372 es mit so großer Sicherheit annimmt, und sich dabei auf
mich beruft, der ich dergleichen an der angezogenen Stelle nicht
behauptet habe.
pröckeln, wählerisch thun. Vgl. Wtb. 40: breckcn.
prudeln : brodeln. Wtb. 40, Weinh. 73. Gr. Wtb. II, 396.
püse f. Katze. Wtb. 42.
bütnich, trägnich, wütend, trächtig; s. Nachtr. 19 b .
dajücht: erzürnt. Vgl. im Westerwalde j uclit f. Angst. Schmidt. 76.
teppal n. Töpfchen. Die tirolische Deminutivendung-al (s. Gr. gr.
III, 673), die auch im scliles. Gebirge üblich ist (Weinh. Dial.
122) angefügt an eine nd. md. Wortform, in Ksm. t epp cliem
siebenbürg, däppen, Wtb. 44".
terrefere, Haspel; s. Wtb. 44.
tettan : tändeln, Wtb. 44.
t i ’e i ch t: thöricht, Wtb. 44.
dönen pl.Dielen. In der Wetterau: Zimmerdecke, sonst Brett; s. Gr. Wtb.
II, 1220.
Donner! in neun Donner! s. Wtb. 44.
donst m. Gerstenmehl. Wtb. 47.
töacht tun: tändeln, s. Wtb. 44 b .
töran: es wagen, s. Wtb. 44 b .
trauschlich: faltig. Wtb. 45".
drieschacker m. ungebauter Acker. Wtb. 45 b . Gr. Wtb. II, 1408.
tschutschen. der Hund; Kinderspr. Wtb. 47“; sieben!), t s eh u t-
schü: schön, in Presb. tschetsche: schön; Kindersprache, aus
schönschön ?
düba: oben. S.auchinPrb, denna, dausen = darinnen, daraußen.
tulox m. Ochse. Wtb. 47 b , madjar. tulok, der junge Ochse; Plur.
tulk-ok.
duoch : immer. Wtb. 47".
eben: recht; es ist ihm nichts eben. Wtb. 48 b .
elts m. Iltis. Wth. 48\
ömich: oemig; s. Wtb. 85.
Yersucb einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 373
estrich m. der mit Tohn bestrichene Fußboden. Wtb. 49*.
vasierlich: wunderlich, seltsam, s. Wtb. 30 b .
freßbretal n. der Teller. Dies Wort auch hier nicht bekannt, s.
Nachtr. 27“, Wtb. 52 ; sondern dafür schaibla n. vgl. Nachtr.
45 b , Wtb. 91. — „in Schlesien gleichfalls: so asst doch
gevatter, asst! ir hat ja euer sch. noch gär nicli
beschissa !“ Er. Schwab,
gaben: beschenken; die praut g. vgl. Wtb. 52 b .
gchaien: betriegen. S. Wtb. 59 b . Ich stelle einige Citate aus hand
schriftlichen Auszügen Schmeller’s her, die den Übergang der
Bedeutung von hiwen, nubere, coire in: quälen, ärgern, schädi
gen zeigen: ein juncfrou die man behügen (behugen?)
wolt, darüber steht nötigen. Cod. germ. monacens. 630 f. 67.
verheit: erzürnt. Cod. germ.m. 713 f. 42, 174 aber: er freit
umb mich ein deine zeit, in einer stund er mich
dreimal verheit! Cod. germ. m. 713 f. 243 b . gange zu
swester Seyen, die last sich gerne nacht und tage
keien. Cgm. 817 f., 843 f., 116“. Dagegen im Fluch und in der
Scheltrede: du verlieitcr boswicht und murder! hei
daß euch botzleichnam gehei! So Hans Hirsmann (aus
Augsburg) 1463 in Karajan’s kleinere Quellen zur Geschichte
Österreichs, S. 43 , 44. In unterennsischer Mundart heißt
unkeit so viel als ungeschoren, und dort klingt die Formel
gotterkeit: gottunkeit (= gott ungeheit), d. h. ohne Gott zu
behelligen. Vgl.Schmell. 11,84. Fromm. III, 304. V, 438. YI, 293 f-
geküen n. Getreidekorn aller Art; s. Wtb. 34.
gluntsch f. Wasserblase. Wtb. 33.
liecht m. der verschlagene, schlaue Mensch, e fainer hecht, ein
feiner Kopf; vgl. Schm. II, 148.
hea, der: das Männchen; die si: das Weibchen. Wtb. 60“.
himmeln: fluchen, den Himmel anrufen, himmeldonnerwetter
u. dgl. sagen. Ähnlich heißt wettern (in Krh. bete’n), don
nern (in Krh. döne'n): fluchen; s. Nachtr. 22 b . Ersteres auch
im Westerw. Schmidt. 327.
kbitscheu: quitschen, weinen,
kraste f. Biestmilch.
kutsch-chen, n. Ferkel; vgl. Wtb. 37. In Presb. gütseh-fä'I.
gutschifarl n. Ygl. fr. cochon.
25*
374
S c h r ö e r
lucken: lugen. Wtb. 78”. Vgl. unten S. 377, 22.
lüdan: lodern. Wtb. 78 b .
luetsch: link. Wtb. 78 b und slurzig. voe. 1420. S. 54.
marexeln: sterben, im Scherz. Wtb. 81“: merixeln.
mitschen: weinen.
müakel: wenig; vgl. Wtb. 81 b minkel, müakel. In ersterem ist
enthalten der Stamm von minder: min, an den sieh wie an
wenig ein adjectivischcs K (urspr. -AC) angehängt hat, das
dem russ. sehe in men’sche (minder) entspricht, dem wie
der das Deminutiv EL angehängt ward. Vgl. österr. a wenga’l
(=e minkel). In müakel für mirkel mag die Doppel-
deminution ’REL (wie in Lenkal) s. Schmöln. Spracliproben
S. 362, 24) auch unmittelbar einmal an min, dann an minre
angehängt worden sein, wobei das N ausfiel und I zu Ü wurde,
näbiker m. Borer. Vgl. Wtb. 84“ nekber. Mzsf. genebegar.
räteln: das Scheitholz am Wagen befestigen. Vgl. rätel (fränk.)
reidel (Bair.) m. der Prügel. Schm eil. III, 50.
s a i b e a (d. i. sei wer) m. der Taugenichts, wie haldabüas. Naclitr. 18.
schätzen in beg sch. einen als Schuldner anklagen. Wtb. 103 b .
Vgl. an schätzen einen: ihm Hab und Gut gerichtlich ver
steigern. Schm. III, 420.
schmand m.Milchrahm. nd. s. Wtb. 93 b ; in Lief- undEstland schmant
m. idiot. der deutsch. Spr. in L. u. E. Biga 1705. S. 208.
segmes n. die Sense, ist nicht ganz aus alid. segansa, s. Wtb. 97
zu erklären und scheint mes mnl. Messer zu enthalten,
springen: kerzen springen, hoch springen. Wtb. 98“.
werst-büascht f. Werkstätte. Wtb. 104 b werscht.
wit-bitmänm. Witwer. Wtb. 104 b wiedmann.
wol-bollaia pl. Ostereier. Nachtr. 19" böla. weulei, mölein etc.
von wälei s. Mzsf. Wortverzeichnis.
z äf f. Seife. Über 1 für S, siehe Nachtr. 50", unter 1 und Wtb. 89, 1Ö7.
zeb f. Zehe. S. Nachtr. 50 b : zeip. luxenburgisch: z ew Gangler 491.
zankes n. Taufschmaus. Dieses Wort, das wir schon aus Dopschau
kennen, wo es Wtb. 108: zonkes lautet, und dieselbe Bedeu
tung hat, ist auch in das slovakische der Gömörer Gespanschaft über
gegangen. S. Czörn. Ethnogr. II, 312, wo es ebenfalls Taufschmaus
bedeutet. Damit stimmt nun bairisch zanken käs m. Käse, der
bei der Taufe namentlich eines Knaben aufgetischt wird, überein.
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 375
Schmell. IV, 272. Merkwürdig ist, daß das Geschlecht zu unserm
Worte nicht stimmt, und zankenkäs dürfte möglicherweise
bloß Umdeutung eines nichtverstandenen Wortes sein. Im Wester
wald heißt z a n k e i s e n. eine Zanksüchtige, in Ulm ein in Milch ge
backener Kuchen. Schmidt 3 33, schwäbisch, Sclimid 132, und hier
stimmt nun das Geschlecht zu unserm Zankes.
Aus Metzenseifen*).
Tüts püten J ).
Es ess 2 ) ämül üf *) da s ) grüßen 7 ) landstrüß a 4 )
risen 5 ) gebandat 8 ). üf ämül ess a onpekanta 7 ) man 8 ) liegen om»)
gesprungen ond 7 ) sägt°) asü *): „ste stell 3 ), ka schritt baitra s )“.
„bas 8 )?“ sägt da risen 5 ) „dü, doge «>) ich 2 ) zböschen 10 ) fingan 2 )
zedröcken )0 ) kän 8 ), du bellst mi-e en n) beg vasparn 3 )? bea 12 )
pist 2 ) du, laß du asü keck ren teafst 8 )?“
„ich sai 13 ) da tüd 1)“ sägt da andra 6 )“ mi'e bidastet nimarit ond
ach dü must mi"e folgen!“ Da risen oba hät om niischt 14 ) däa ge-
hoecht 1 5 ) ant ,8 ) hät men tüd ä gefangen °) zu rangen 17 ). es bäa a
langa 8 ) ond pöisa 18 ) straft; zalezt äba bäa da risen stärka and hät
en tüd met ta faust nidageschlägen, täß a neben an stän zehäf 10 )
gesunken ess. Da risen ess sain beg gangen ond da tüd ess üba-
bonnen 28 ) düet gelegen, ond hatt 21 ) ka gebalt me täß a sich bida
üfgehüben hätt 31 )* bäs S <>I drauß been 12 ), sägt hea 22 ), benn ich hi
an(indem)binkel ligen plaip? es sti"ept ka mensch me üf da beit end
si bit men leuen asü ä geföllt been täß se kan platz me been hän
nemanda ze sten. Ontadessen ess a junga mensch doge beg gangen,
fresch ond gesond, hät a lid gesungen ond hät hin ond hea ge
juckt 2a ). bi a en halb änmächtege depleckt hat, hät a sich saina
dapäamt, hät em üfgehüm, hät em aus saine flasch an trunk ain ge-
flöizt 23 ) ond hät gebäat päß 24 ) a bida ess ze kräften kommen.
„hast du neclit“, sägt da fremda, bi a sich üfgericht hät, „bea
ich sai? ond ben du üfgeholfen häst?“
„Nää 25 ) (zweisilbig)“, sagt da jüngling,“ ich kenn dich nechl“.
„ich sai da tüd“ sägt a, ich vaschön nimannen ond ich kän
ach mit di”e kan ausnäm machen, täß te äba sihst, täß ich dankbar
sai, ta vasprech ich ti'e taß ich dich necht onvahofta iibafallen bea.
*) Leidei- habe ich auch von Metzenseifen, wo die Sprache der Gründner am rein
sten hervortritt, keine bessere Sprachprobe. Obiges und Seite 378 f. ist eingesant wie
Seite 281.
376
S c h r ö e r
ich bell di-e eascht main pulen schecken, pevoa ich komen ond dich
abhulnbea“. — »gut’* sägt da jüngleng,“ ach abäs 20) gehonnen, täß
ich bäß benn du körnst ond ich benegstens asü lang vor di--e sicher
sai“. — da ess baitra gangen, böa losteg ond hat sich gut ge
letzt 27 ). äba de jungen jäa ond de gesondheit häm necht lang ge-
dauat. es sai* krankheiten ond schmeazen komen di en geplugt 28 )
häm. „Steam be ich necht“ sägt a ze sich selbst, „denn da tüd bet
zaeaseht sain puten schecken. ich bölt non beln täß da krankheits
pöisen tag vorüba bäan!“ — bi a gemeakt hät täß a gesond ess,
hät a bida ängefangen losteg ze lern, en an tag hät cn abea uf de
scholdan geschlagen ond bi a sich ömgedret hät, ess da tud henta
om gestanne ond sägt asü: „kom ma anäch 29 ), de stond ess schon
ln 30 ), du must vän da beltschän“. „Bi?“ sägt da mensch,“ du belst
necht böat halln 31 ? häst du mi'e necht vasproehen daß du mi- - e
pevoa du komen bist daine puten schecken belst? ich hä kann ge-
sehn“. — „schbaig“ sägt da tüd „hä ich da necht änn puten üban an-
nan gescheckt? ess necht esfYisen 32 ) komen ond hät dich nidage-
hoafen? piste necht drehäpeg hoan? hat dich necht de gicht en allen
glidan gepetscht 33 ) ? hät’s da necht en öan gesaust? häm de necht de
zent be getan? bäa's ta necht tunkel vöan ägen? hät dich necht üba
däs alles mai laiplicher prüda, da schlüf (schlouf) alle ämnd an mich
erinnert? piste necht en da nächt gelegen as benn de schon geslöam
bäast?“ da mensch büst 34 ) (boust) äm niischt ze anpaten, hät sich
en sain geschick dageben ond ess men tüd metgangen.
i) Wenn ein Selbstlaut in einer Mundart consequent in einen und denselben andern
verwandelt wird, z. B. jedes o, 6 in u, ü, so darf man in der Regel erwarten, daß
an seinen ursprünglichen Platz (hier also an die Stelle des verdrängten 0) ein an
derer getreten ist (hier wird u zu o ; a A zu a, a. vgl. Anm. 6, 28) mhd. u Ado
(vor einfachem Mitlaut) wird hier in der Regel u. Dieses u wird aber so eigen-
thümlich gedehnt, daß es manchmal wie o u klingt (wo es dann den Übergang des
mhd. u in nhd. a u zeigt) und dadurch dem e u in der Zips (s. Pudleiner Sprachpr.
Anmerk. 2), das ebenso für mhd. o u, A, o steht, gleichkömml. Wir sehen hier dem
nach gleichsam im Entstehen diese eigenthüinlichen Doppellaute, die im Schlesischen,
Altschwäbischen, am Mittelmain, im nd. zu finden sind. Weinh. Dia!. 61. f. Gr. gr. I 3 ,
182. Wackernagel vocab. opt. S. Schm. §. 322. Haupt Ztsch. III, 61 u. s. f.
*) Das md. nd. e für i (s. darüber Weinhold. Dial. 31 f.) ist hier nur theilweise zu
finden, und wird e in ess, stell, rechteg, necht (ist, still, richtig, nicht),
daneben stiebt, bida, bi, pist, hin, ich, sich, mie, fingan (stirbt
wieder, bist, hin, ich, sich, mir, fingern) ; s. Sprichwörter.
3 ) er wird a, vgl. Weinh. Dial.2. Hieher zu zählen ist auch da für dir das früher zu
der wurde.
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 377
4 ) a ein, in Krompach schon e (s. Krompacher Sprachpr. 8), ebenso kl an, klein, nicht
nur ostlechisch, sondern auch mitteldeutsch. Weinh. Dial. 28. auch im schles. finden
sich in andern Gegenden e für ei. Weinh. Dial. 34.
5 ) risen m. Riese ahd. riso mhd. rise schwm. vgl. Schm. §. 839 Fromm. V, 312. Die
Form des genit. ist in den nom. vorgedrungen.
<>) a vor Position: a, vor r und sonst a, auch man k an (man, kan); aber auch sagt.
Vgl. Anmerk. 28.
7 ) u wird o (md. nd. Weinh. Dial. 49 f.) lostig, ond u. s. w. aber jungen,
gesprungen.
8 ) w eiter gleichsam in weiterer, erweilert, oder ist hier ein w e i t e rh e r anzu
nehmen, wie Schm. §. 1012 außer her, aßere.
9 ) om ihm, auch in Schmölnitz. Türingisch. S. Seite 361, 17.
,0 ) ü für ii geht neben o für u parallel. Weinh. Dial. 54. für i, einzböschen, doge.
Dieses Wort in Krh. dege. Dies scheint eine Erweiterung des Artikels, etwa wie
das Oberpfälzische deie = dieser. Schineli. I. 349. Andere Analogien s. Smk. 34.
1 1) en, den, in Schles. n. Weinh. Dial. 140.
t‘ l ) bea:wer, gekürzt b a. Österr. wea. Diese Form scheint eingedrungen, denn
werden ist nicht beadenbean, sondern b een; mehr nicht mea (wie üstr.),
sondern m e.
13 ) saibin, siehe die kalibe, Anmerk. 3. Gölnitzer Sprachpr: die Zündrute An
merk. 19.
,4 ) n lischt, nichts, vgl. Wtb. 84 b . Gr. gr. III, 67. — nech. Wtb. 84 a .
l5 j gehorcht, gehorcht. Vgl. engl, hearken, angels. hearenjan. Kalibe
Anm. 110.
1G ) an t, und vgl. Sprachprobe aus KI. Lomnitz Anm. 4.
17 J rangen, ringen. Ebenso md. bei Herbort Vers 1472, s. dazu die Anm. Frommanns;
nd. rangen. Fromm. V, 159 1. spätinhd. Schm. III, 1087, auch sonst in der Zips,
in Münichwies, s. Wtb. 86 6 . Mhd. Wtb.. II, 715.
,8 ) In der Unterscheidung des e und ö, i und ü, ai und e u, stehn die Mundart von
Metzenseifen und die von Krickerhäu unter denen des ungr. Berglandes voran; mhd.
ö ist ö; 6 aber öi, was den Übergang zu dem sonst üblichen ei für d (in der Zips
und Schlesien, Weinh. Dial. 46, 10) bildet.
,y ) S. Nachtr. 50. zaf, oben S. 330, zehouf.
20 ) assimiliertes D nach N, wie Nachtr. 42a .
3l ) hatt, hatte, woust, wüste sind hier seltene Beispiele des Präterit. die aber
bezeugen, daß es früher allgemeiner angewendet wurde.
22 ) locken, lugen ahd. luogen mhd. luogen, was zur nhd. Form stimmt. Unser
mundartliches I u c k e n steht fast näher dem angelsächs. 16 c i a n, engl. I o o k. Es ist
in den Gründen allgemein gebräuchlich; eine seltene Form dieses Wortes wurde
zur kalibe, Anmerk. 21 besprochen. Mundartliches k für g sahen wir schon in laken,
leugnen zur kalibe 89, alt leuken, Seite 317.
33 ) ain f 1 öi zen für einf 16ßen (mhd. v lozen, ahd. f 1 öza n), bair. flötzen vor
1513; fletzen. Schmell. 1, 595. Es erinnert an das „Cimbrische“ z für ß (ja
seihst für s) CW. 46, 63 f. 70 in lazen, (mhd. lAzen aßen). Wegen ö i, vgl. 18.
24 ) Vgl. Wtb. 39 poß bis.
25 ) S. Nachtr. 42: nein A. Vgl. S. 363, 58.
2(i ) abas etwas. Vgl. die Anmerkg. 35 zur Gölnitzer Sprachprobe die Ziindrute.
a7 ) letzen (mhd. letzen, ahd. 1 e z z a ii, goth. 1 a t j a n) in der Bedeutung sich ergetzen,
das Leben genießen, schon bei Veldecke, dann im Bairischen üblich, mhd. Wtb.I,
943. Sc hin. II, 529.
378
S c h r ö e r
28 ) Das kurze A tonloser Silben, einsilbiger Wörter vor zwei Consonnnten, vor CH bleibt
A: dankbar, kann, machen, lang; die Betonung bewirkt oft einen Unterschied
des Vocals. taß tas (daß das), bas oder bas. Die mhd. lang gewordenen A:
sagen, tragen werden a. mhd. a wird ou, ü, z. B. p 1 a g e n = p 1 o u g e n, p I ft g e n,
in Ksm. pleugen. Das Wort ausnam scheint (mhd) name, eine Ausnahme zu
machen, es sollte ausnoum, ausnum klingen. Vgl. Amnerkg. 1, 6.
29) anach (’an-nAch), schlesisch andch, From. 111,250, vgl. VI, 350, vgl. mhd.
hinnach mhd. Wtb. II, 288 6 . Die Formen ’nauf, ’n a b, ’nan u. s. w. (hinauf
hinab, hinan) Schmell. II, 199 sind ähnliche Kürzungen, nur daß bei anach wegen des
Anlautes, der das erste N unhörbar machen würde, ein Vocal vorausgehn muste.
30) hi schon mhd. ahd. gekürzt hie aus hiar, md. hi; in der österreichischen Mund
art unüblich.
31 ) halln, halten, ebenso Krh. Im schlesischen haln Weinh. Dial. 05 eine Assimilation
gleich dem Wechsel des LD mit LL, ND, mit NN, im Schwedischen halla = halten
u. s. w., so sagt man in Krh. schell n, schelten, vgl. sclnvd. skällsord: Schelt
wort. vgl. Gr. gr. I 2 552. 160, 307.
32 ) es fr Isen, das Fieber. Das Fieber heißt beim Volke häufig d a s k a 11 e ; ’skalde,
hate krank en: Die kalte harte Krankheit in den Gründen; kolde im dänischen,
frossa schwedisch; kalte sucht, kalt siecht u o m , daz kalt, kaltwe
Dieffenb. glossar. 121, magyar. hideg-leles (spr. hideg Jeliesch) das
kalte Befinden, sl. zymnice (von zyma Kälte). Das fliesen = frieren, Kälte
empfinden, für Fieber, kömmt vor in dem Über ordinis rerum von 1429, Haupt VI,
394. friezen, Fieber vocab. von 1445. Schmell. I, 619. Die Schreibung mit z beur
kundet md. Orthographie, s. mein vocal/ von 1420, Seite 60. In Thüringen war das
Wort auch schon frühzeitig im Gebrauch, di krankheit di man nennet daz
frisen, leben Ludw. ed. Rückert, Seite 96, Zeile 26, jetzt in Sonneberg frora, Schüttel
frost. Schleicher 66; in Baiern scheint nur das nhd. frisel im Gebrauch. Schmell.
a. a. O. hingegen in Aachen das frese: Das kalte Fieber. Müll. Weitz , 59.
Wtb. 52.
33 ) petschen: zwicken, kneipen, Vgl. Wtb. 5 a , 46b*
34 ) wüste kommt vor in der Creseentia in Prosa altd. Blätter I, Seite 302 (die
Handschr., daraus sie entnommen, hat auch häufig z für s u. a. Eigenheiten md
Mundart). Ein wüsten: losten führt an Hahn mhd. Gram. I, 72 dem ent
spricht obiges wouste.
Sprichwörter und Redensarten aus Metzenscifcn.
(Gleichfalls eingesant.)
1) da kroug get asou lang zes (zu das, zu mit Accus.) bassa poß
a necht 1 ) en hals brecht 1 ).
2) je älda de ku desto me leat se dazu.
3) beade (wer da) benek (wenig) necht acht, est vil necht beat
(wert).
4) muß ess a grousa man, kannicht (kann nicht) ess noch a gi'öüßra
(größerer).
Versuch einer Darstellung; der deutschen Mundarten des ung. ßerglandes. 379
5) asb? (alswie = wie) de da (du dir) petst (bettest) asou bist,
(wirst) de ligen.
6) asbi d’es ta (alswie du es dir) machst asou hast es.
7) asbi de säest asou bist de aineaten (Ernten).
8) met becha.(mit welcher) mouß (Maß) du ainmeßt, met deara
bit (wird) di e (dir) ausgemessen.
9) naüe pesen kean gut.
10) omsüst (umsonst) 10 ) eß da toud.
11) pessa en souma men rechen,
ben de pimsen H ) stechen,
asbi en benta men sal (Seil)
„hapts riech hai fal?“
12) icklaia denkt saine es de schönste.
13) vasprechen ond haln es zwäla (zweierlei).
14) stelle baßa gronnen (gründen) iif,
bou (daß) da taübel kan poun (Boden) silit.
15) neclit spreeli: hop! poß de neclit duban (drübern, d. i. driiber-
hin) pist.
16) peßa a vogel en da band
asbi zene ain land.
17) onkraut vadeipt neclit.
da taübel halt (holt) sai laiit riecht.
IS) glaicli ond glaich gesellt sich gean.
asbi da taübel men kolan (mit den Köhlern).
19) a n lachen dakent men en narn.
20) vil haüsa vil praücha
vil köppa ß ) yil sinn.
21) da vabrüta hütt sich fa’s faüa.
22) ben men von bolf sprecht setzt a hentan zän (Zaun).
23) da hat feaschtengelt gern.
24) da singt fart 24 ) es aide lid.
25) duich 25 ) schän 25 ) (Schaden) bit man gschaid.
26) met spek fängt men maüs.
27) de zig ze an gäatna machen.
28) da hat a gut mondstöck.
29) icklaia kop 29 ) nach sain gesinn
30) bi gebonnen asou zeronnen.
31) vil hond sain hasens toud.
380
S c h r ö e r
32) de must noch vil knol 35 ) eßen.
33) stelle baßa raißen tife grem (Gräben).
34) ben men en esel am mark schekt bits bohvel (wolfeil).
35) Tile koch vasalzen de souppe.
36) baßa ens mea trägen.
O I wird in der Stammsilbe fl: zbelleng, Zwilling, in den Silben -ig, -ling E:
früleng, jüngleng. benek, mächtek. — Ebenso bell, bellst, stell,
piekt, schekt, sprecht, met, wo überall nach dem Auslaut der Stamm
silbe ein E abgefallen ist. Aber auch rechtig, fr e sch, tesch, fesch, es s,
gegrefen, en, necht (frisch, Tisch, Fisch, ist, gegriffen in, nicht; daneben
n lischt, nichts). Gegenüber diesen & E für I besteht letzteres in: vil, bida,
zig, ligen, schrit, ich, sich, sicha, uf ge rieht, siht, mischen, pist,
»ihn, hin, erinnan (viel, wieder, Ziege, liegen, Schritt, ich, sich, sicher, auf
gerichtet, sieht, mischen, bist, Sinn, hin, erinnern). Vor NT wird I zu E: henta,
henta (Winter, hinter), vor NG NK hleibt I: singt, singen, finga, bin-
kel. Ebenso vor R: die, mi’e, stiebt (dir, mir, stirbt) bit (wird). Aus
nahme: vadeipt (verdirbt). Auffallend ist Ö für I in: bössen, geböst,
(wissen, gewust, vgl. wüssen bei H. Suso. Wackern. I; 877), und das (alttürin-
gische) 0 für I in: om (ihm, ihn). S. Seite 361, 17.
i°)omsüst, umsonst; siist ahd. sus. Bruder ßerthold noch im XIII. Jahrhundert
u in h sus. Wackern. I 2 , 672, 21 ; im Sclnvahenspiegel schon umbesust das. 727.
2. Schmell. III, 288 hat die Form um me s lischt. In der Schweiz umsuss,
umsiiss, um sus t. Stald. II. 420.
ii) „pimsen“, Binsen (?).
2 *) immer, vgl. Wtb. 60 a .
25 )duieh könnte für durich stehn, da in Sclunölnitz auch tö'icht, te’icht,
für töricht gesagt wird, durich aber ist kaum das ahd. durih (durah,
duruh, d u r c h), sondern eher aus dem ostlechischen duri, aus durchhin
(Schm. I, 393), das auch in Presburg duri klingt, in der Ileanzenmundart in
duridaritzer Fromm. VI, 31, erhalten ist, in der Gründener Mundart (da das
ostlechische immer etwas Fremdes hat) weiter gebildet.
* 5 ) Ausfall des D und T ist hier häufig zu bemerken z. B. laüen, äaben (in Fallers
leben arbeien, From. V, 47 und part. geAabet, das -tet des schw. part praet.
in T auslautender verba wird überhaupt zu T: gefacht, gehust, gefürchtet, ge
hustet) schan, knoel etc, (Leuten, arbeiten, Schaden, Knödel) Weinh. Dial.
77. f. Gr. gr. I 2 , 409 f. Schm. §. 446 f. in Aachen hüll, heute!, sa I Sattel u. dgl.
Müll. Weitz, 188. und From. V, 46 f. — Auch der Wegfall des D durch Assimilation
hinter A findet in Mtzsf. statt: penn en, geponnen, fennen, g efon neu, ge-
stannen (binden, gebunden, finden, gefunden, gestanden), vgl. sehwd. fin n a, fin
den, häufigere Beispiele noch altnord, Gr. I 2 , 306 f. nd. z. B. um Fallerslehen.
From. V, 47, in Westfalen, From. II, 96, frank, henneb. From. V, 266 f, II, 46 f. 40
360 fT. 399. Auch in Iglau gefun ne, gestan ne. Fromm. V, 211.
29) Der Kopf heißt sonst hier gewöhnlich hap und kop ist wie mhd. k o p h i), Trink
gefäß 2 ) Schrepfkopf. — Hier stellt es für Haupt und hat den pl. k ö p p a (köp =
f e r) was den, wol durch östr. Einfluß hier aufgekommenen Mehrzahlformen:
p ä n a , s t a n a , h e m b a , p ä u c h a (=p a n e r etc.) Beine, Steine, Hemden,
Bäuche, nachgebildet ist.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 381
Das Zahlwort.
ans, eins, äna, äne, einer, eine, älf, albe, eilf, eilfe.
zbäzwei, zbe, zbene, zween,zweene,zbü zwo, zbelf zbelbe
zwelf, zbäzek 20.
drai drei, draie, neutr.dreu, draü in draüzeni3; draißek30.
vir vier, vire, vizen (so) 14, vizek 40.
fo rn f 5, föm b e, fö ü fz en 15, föüfzek 50.
sex 6, sexe, sechzen 16, sechzek 60.
sim 7, simne, simzen 17, simzek 70.
acht 8, echte, achtzen 18, echtenzbäzek 28, acbt/.ek 80.
naün 9, naüne, naünzen 19, naünzek 90.
zen 10, zene. —
zbäzek 20, änenzbäzek 21, zbenen zbäzek 22 u. s. f.
echtenzb. 28.
hundat 100, zbäh. 200 etc. tauend (so) echt hundat naünen
föüfzek 1859.
Es ist lohnend diese Zahlwörter mit den Nachtr. 2 mitgetlieilten
zu vergleichen. Sie stehn denen des fernen Krickerhäu näher (ja
selbst denen der VII coinuni) als denen des näherliegenden Dop
schau. Vgl. acht echte, achtzen echtenzbäzek achtzek
(Mzff.) mit acht echta ächtzegena echtezba- zek acht
zek (Krh.) und ächta ächtzan (acht und zwenzik ächtzik
Dpsch.) u. a. 1, 11, 3. Nachtr. 24 — Auffallend ist hier der Ausfall
des S in tauend 1000.
Ähnliche Bemerkungen gewähren:
Die Wochentage.
1 mätek, 2 denstek, 3 mitboch, 4 donaschtak, 5 fraitak,
6 sonnampt, 7 sonntek. Der Ausgang -tek (-tag) in 1, 2, 7,
stimmt zu -tik in Knh. Krh. (D. Pilsen -tich inmai-tich) aber auch
zu -tig in Tirol. S. Nachtr. 20 f. — 6. stimmt mehr zu Käsmark,
Dopschau.
Die Jahreszeiten.
sind: fruleng, summa, heabest, benta.
382
S c h r ö e r
Grüße ti. dgl.
n) zbel kom pais (pai ons)! Willkommen!
b) schön dank!
a) plaibts gesond!
b) in gotes nämen !
Wenn man einen bei Tische anlrifTt:
a) got gesegen’s enk (euch)!
b) komt eßt met ons:
Bei der Arbeit:
aj saits flaißik?
b) häbts enk raus gern? — Habt ihr euch heraus begeben (ins Freie)?
Schelte u. dgl.
täß dich da Teubel houlet! — Da donakei a l bit ganst 1 ) nai
schlagen! — vafluchta keVl! — vaflucht gehönd! (geluinde) —
— daine motte de zbibelsuppe ! du kälbel! — täß de
verreckest!
Lieblingstaufnamen.
Annemi-'e, Annemarie; Demin: Amutsch vgl. Mirel.
Binzel, Vinzentius.
Dresel, Andreas.
Embrich, Emmerich.
Gusti, Augustus und Gustav.
Hiinsel, Johannes.
Jousop, Josephus.
Jüög, Georg, Görg.
Käräl, Karl, madjar. Käroly, mlat. Carolus aus ahd. charal.
Ivlemet, Clementinus.
Lene, Magdalene, Helene; in Smln. Lenka, Lenkal.
Loanz, Lorenz.
Loisel, Aloysius.
Mertel, Martin.
Mirel, Marie, in Smüln. Mantsch al; in Stooß Annemarie: Am mal.
Näzel, Ignatius.
Oatain, Dorothea. Vgl. „Ortain, Orten: Artis, corrupter weib
licher Name“, so Genersich, s. Wtb. SS 11 .
») e « n s t, sogleich, auch in Krh. s. Nachtrag 28.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 383
Paltsa, Balthasar.
Päatel, Bartholomäus.
Söfel, Sophie.
Tom es, Thomas.
Traindel, Katharina, Katrein.
Tresa, Theresia.
Eine seltsame Mischung md. und oberdeutscher Formen, wie in
der ganzen Mundart. Binzel, Päatel (Bartei), Dresel, Loisel,
Mirel, Näzel, Traindel stammen aus der Ostlechmundart; die
übrigen in dieser Form gewiss nicht. Der Umlaut in Hännsel, Mer
tel (= Märtel), Söfel sind mit mitteldeutschem Munde gebildet
und klingen dem Österreicher vornehm. Ebenso das E der zweiten
Silbe in Klemet, Tömes, Lene am Ende von Anneml-e, das P
für F in Jousop; der Mangel des Deminutiv EL in Jüög (Jürg),
Löanz (Lorenz), Tresa; die volle Endung in Embrich, Käräl, in
Ostlechmundarten käa r l; nur Gusti, Paltsa (Baltser) sind zweifel
haft, weil weitverbreitet. Dorothea heißt bair. österr. Durl, Du-
rede’l, Schm. I, 390; die Form Oatain (Ortein), die das seltene
Deminutivsuffix - ein (mhd. - in vgl. magedin. Nib. 2, 1) zeigt,
ist wol auch md.
Es wären demnach von 23 üblichen Taufnamen 7 in öster
reichisch mundartlicher Form vorhanden, 14 in für uns fremdartiger,
2 in allgemein üblicher Form, ln so ziemlich ähnlichem Verhältnis
dürfte die Metzenseifer Sprache zwei Drittheile mitteldeutscher Be-
standtheile enthalten.
Wortverzeichnis aus Metzenseifen,
äaben, part. geäabet: arbeiten.
abäs: etwas, abea: irgend einer; aus einwas, einwer. S. 362, 48.
einan (d. i. ernen) ernten. DieForm ernten fürernen scheint erst
im 15. Jahrhundert aufgekommen. S. Weigand Schmitthenner I, 305.
ampaten: antworten.
*
an, ans: ein, eines. Artikel: a ann: ein, einem, einen,
änpröstel n. Amboß.
B s. unter W.
peacheng in tent peacheng: Tintenbeerchen, Heidelbeere,
pet n. Das Bette, das Bettuch, der Bettlaken.
384 Schröer
pratsch f. vulva. In lg!au brotsch unförmlich dickes Gesicht
Fromm. V, 463.
chö chjö ! ja, aus cha (ha) und ja zusammengesetzt. Vgl. Smk. 67.
dämmerai f. Brotladen. Vgl. die almerai. Wtb. 30. siebenb. (in
Schäsburg) ärmeroa, franz. armoire.
dajena: jener, aus der jenere.
ding n. In gebiss ding machen (gewiss Ding machen), Verlo
bung feiern.
drehäpek: drehhäuptig, verrückt, schwindelig, betrunken.
e f. Ehe; zer e gen: heiraten.
enekel m. Enkel; 6. Nachtr. 24 1 ’: enenkel.
-eng die Deminutivsilhe -ing im nd. (mann, männing) Gr. gr.
III, 683. im Nordschles. -ang (menscliang) Weinh. Dial.
122. In dem Fremdwort: gatjeng aus madj. gatya, Unterhose
und pearcheng: beerchen (doppelte Deminution? ch—eng),
tapaschüecheng s. d.
fachten part. gefacht: fürchten, fachtrig, furchtsam. Suchen
wirt 41, 1473 hat: varcht, Furcht. Ben. Müll. III, 384 ober-
pfälz. farchti furchtsam. Schm. II, 360.
feaseht f. Ferse in Krh. wiascht. Nachtr. 26“. Ostlechm. fersten
Schm. §. 680. — Über diesen Zutritt des T s. Weinh. Dial. 77.
Sehmell. §. 680 f. Graif V, 283. Hahn mhd. gr. I, 33.
faazen (schw. v.): pedere. In Prb. gilt noch die ursprünglichere
starkeForm wie ze (mhd. virze, varz), wuez m. mhd. vorz.
S. Nachtr. 27.
fendan (fendern): schelten, Wtb. 30.
flegel m. Flegel.
fleichen, sich flüchten, mhd. vlohen. mhd. Wtb. III, 346. nhd.
flöhen (flehhen, flehhnen) Schmell. I, 387, schon ahd.
gaflöht, Graff III, 768 fugatus.
frailicht, freilich. Über den Zutritt des T vgl. oben zu föascht.
füebet (=Fürwert?) m. Frühling; s. Nachtr. 27 a .
gäkeln = kaukeln Wtb. 68“.
gäna m. Genserich.
ganst, sogleich, nahebei; s. Nachtr. 28“.
graegel f. altane; vgl. graegel f. Weinh. 29“.
grainen, weinen; s. Nachtr. 30".
grätschein, grätschen, mit zerspreiteten Beinen gehn.
I
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 385
grep f. enges Thal, Graben, grepel n. Prb. in Aachen gräpp, nl.
greb, greppel.
grent m. (Grind) Narbe.
greuland, graüland m. jedes ekelerregende Ding. Mzsf. ekelhafter
Mensch. Schmölnitz.
grif f. plur. griven; s. Wtb. 56: griebcn.
grullen pl. Kartoffeln. Die Form grulli, Wtb. 56 1 ’ist nicht mehr
bekannt.
grünen, aufwachsen; s. Wtb. 57.
giipel m. Brotanschnitt.
bald ab 6 a, haidabas m. Schimpfname aus: halt ein wer (s. alias,
abca), halteinwas. Ebenso sagt man in Stooß: saibea aus
sei wer S. 374. Vgl. Wtb. 57 f. 104, Nachtr. 18\
handlich f. Brötchen; s. Wtb. 58. Schon diese Form zeigt, daß das
Wort (sieb, hanklich) nicht von anke abzuleiten sei; handlich
muß in Siebenbürgen hangdlicb, hanklich, honklich und
hunklich klingen, umgekehrt wird die Zips ein aus anke ent
standenes hanklich nicht in handlich, wie übereinstimmend
hier überall gesagt wird, umwandeln,
hi in dahi, deahi, dieser, aus der hier (vgl. mhd. dirre guote
fürste hie Barl. 16, 38. u. dgl.) aus dem Demonstr. (hir)hiu
(hiz) wie schles. dahoie Weinh. Dial. 141. Vgl. dege.
hübelm. der Friedhof.
ieklek (irkel-ig), stumpf, in dem Sinne wie irkel Wtb. 66 b .
icklaia, jeglicher, md. iclicher fürieclieher ahd. öoealiher.
Der Ausfall des CH von -lieh bei Verlängerung des Wortes ist
hier gewöhnlich wie das G von -ig. Bemerkenswert ist hier
aber noch das AJ aus der Länge des alten J in —lieh, vgl. mog
ieich, Wtb. 77 1 ' unter -lieh. In der Zips sonst iklichcr
Wtb. 66.
isehig, ischik: irgend Wtb. 66 11 . Daselbst ist schon auf mhd. ich-
tesilit, ihsit etc. hingewiesen, aber trotzdem S. 134 die
Frage aufgeworfen, ob eine Mundart dies isehig aufweise?
Fromm. VI, 91 erinnert an md. iss et, isehten etc.; wenn eine
näher verwante Form mit -ig nicht gefunden wird, so gehört
dies Wort wol zu den im Ungerland entstandenen Bildungen,
käaschten m. der zweizurkige Karst. Vgl. der räfen, derrisen,
Mzsf. S. 377, 5. da doana (pl. döana), Reifen, Riese, Dorn.
386
S c h r ö e r
kbätschen, im Nassen gehn,
kbitsehen, quitschen.
keuchel n. Küchlein, nl. kuiken = keuken.
kieines f. Kirchweihfest. Vgl. Nachtr. 36. schles. kirmst. Wcinh.
dial. 77.
kneulf. Knödel.
knöüzen, kneten. Vgl. knorz, knorzen Wtb. 71 b .
kobelf. Stute. Wtb. 72“.
kolainka f. die Nagelschmiede. Vgl. kolung? S. 316.
kolenda f. dasK. M. B.(Kaspar,Melchior, Balthasar) schreiben. S. S. 291.
kompen m. Krippe, der Futtertrog; s. Wtb. 72\
krebes m. der Krebs, mhd. krebez; s. nachtr. 37“.
kroug m. Krug.
kröük (in Stooß krek), Krücke. Wtb. 73.
küepel m., großer Schuh; Vgl. x.prin't$ crepida sl. krpec. s.
Nachtr. 36 b .
kuf f. Kufe, Faß s. Wtb. 74 h .
kurter m. Jacke, s. Wtb. 75“.
kuschchen n. das Ferkel. Wtb. 37“ guschchen. Vgl. frz. cochon.
In Presburg lockt man das Schwein: g ü t s c h, g u t s c h, g ü t s c h!
— das gütschfarl, guts chifarl: Das Ferkel,
laegleg, schief; s. Wtb. 76 b .
laibel n. Leibchen, Wams.
lain f. die Berglehne. Sonst gebraucht man dafür im Bergland das
Wort leite f. Wtb. 77“.
langsam, s. lenksama.
lät f. die Truhe, Lade.
lebet n. *) Eine besondere Art von Suppen; in Mzsf. besonders die
metzelsuppe; das Wort scheint gebildet wie kochet n. eine
Kochportion, westerwäld. Schmidt 83, und ähnlich gebildete Aache
ner Wörter s. Wtb. 38. Etwa aus beleveren (in Aachen) nl.
levern: gerinnen: de zupp es belevert. Müll. Weitz. 13.
Wtb. 77 b . Nachtr. 38.
*) e und e für i haben unsere Mundarten selbst vor zwei Consonanten: est n e c h t,
(ist nicht). Der Geschlechtswandel (fein, fiir neutr., in der Zips wird es als fern
angegeben Wtb. 76) findet sich hier besonders häufig vgl. k n ö ii 1, k n eul f.
für der und das Knödel. Das se für de r und die Sec. Letzteres auch schles.
Wcinh. Dial. 134. So di c Salate, für der Salat. Weinh. Dial. 134. Ln sieh.
W..-.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 387
lechzen, lechen; s. Wtb. 76 b .
leicht, schlecht; s. Wtb. 76 b .
belemmert, betrunken; vgl. Wtb. 77 a lempern.
lenksama (langsamer), später; vgl. Schmell. II, 481 (lank-
sam), spät, siebenbürg. Iänzem: spät Fromm. V, 40, 68.
letschacben pl. (—litscli -er -chen), Snppen-Mehlspeise; vgl.
lets c liehen Nacbtr. 30\ In Mähren sind luks e, Nudel; cechiscli
lokes, ein Kuchen. Jungmann II, 347.
1 ucken, 1 üken, lugen, vgl. Wtb. 78 b .
mangelt, das Mangelholz, die Mange, Glättrolle für Wäsche, nl.
mangel m. mhd. mange aus iJ.dyya.vov.
matten f. Topfe, nl. md. matte, geronnene Milch, im Westerwald
aber matten: Topfe Schmidt 110. Dadurch daß das Subst. nun
in der Mundart gefunden ist, wird die Vermutung Wtb. 80 b
mattige milch, wäre auf geronnene, käsige Milch zu deuten,
bestätigt. Zuletzt wird das Wort 1470 angeführt, lebt jetzt noch
in der Wetterau, Lothringen, s. Dielfenbach’s Wörterb. 108.
mezen, miauen. Vgl. ital. micia undWeigand Schmitth. unter Mieze,
möa’l n. Baumrinde,
möre m. der Alp. S. oben S. 291.
mörld, möald f. die Möhre. Walpert Pflanzennamen (Magdeb. 1852)
führt S. 23“ auch die Formen: mörle und möhrte an.
müakel, mürkel, wenig. S. Wtb. 81 b .
unmüglich, sehr.; s. Wtb. 101 b . Bei Bruder Berthold ganz ähnlich.
Schmell. II, 558, mhd. Wtb. II, 10 b .
nää, nein; s. Nachlr. 42 a .
ND wird zu NN gestanne, zönnen etc.
genebega m. Bohrer.
nemli in, dea nemlia (der nämliche): derselbe vgl. icklaia.
ont dann, hernach; s. Naclitr. 43.
oufzan hernach. Aus anzufangen (ä-zfän, durch Versetzung von
säclis. ist 1 A w e ii d, läwend (Haltr. 74, Schüller 20) Neutrum (Mag. I, 274) und
dies ist das richtigere. — lebet wird auch neutral gebraucht z. ß. in dem Vers
Wtb. B3 : p o ß s e’s puonlebct hat o in g e k i e t bis sie das Bohnenlebert
hat umgekehrt. Überall erscheint leb ert als eine dickere, belieherte, leber
artige Suppe. Vgl. nd. libbe, (ebbe, Ii b b e r i g Ilichey 1S2.—In Siebenbürgen
gibt es .e n d ii n n und e n d ii c k läwend. Haltr. 74. Über das sieb. - e n d für
ert vgl. Nachtr. 10.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XL1V. Bd. II. Hft.
26
388
Sehrohr
Z F) ? Vgl. Nachtr. offa, äffet und Fromm. III, 215; ferner
ebezeun henneberg. Reinwald 24. engl, oftsoons-
paehen m. Speckseite; s. Gr. Wtb. I, 1061.
packenöüzel f. die Hutzel, gedörrte oder gebackene Apfelschnitte,
Birne, mhd. hiitzel f. aus backen ( = gebackene)
-li ü t z e 1 ?
pasch m. das Schwein. S- Wtb. 33“.
petschen, kneipen; s. Wtb. 35“.
pi ’ed f. plur. pi’en: Birne; vgl. feaseht.
pfan-fankoch n. Pfannkuchen.
pfarr-tfarrof, farrouf m. der Pfarrhof, die Pfarrerswohnung,
so auch in Krh.
pimanöß n. Gallapfel, pimanößl n. Vgl. Wtb. 34. Nachtr. 18.
pisen, „dem Zauber entgegen wirken.“ = büezen?
plasch f. nachläßiges Frauenzimmer. Vgl. Nachtr. 18.
plentscheln, schielen. Nachtr. 18.
pleu'lm. der Bleuel. Nachtr. 18.
pregeln, wie Nachtr, 19“praegeln.
preschen, hetzen. S. Nachtr. 19 b .
pruda m. Bruder. In Metzenseifen bezeichnen prüda und sclibesta
alle Verwantschaftsgrade.
prün, bi’ennen, s. Nachtr. 19 1 ’.
pünf. der Dachboden. S. Nachtr 19 11 .
puesclit m. Bursche; s. Nachtr. 20. nl. borst Gr. Wtb. II, 551; im
Böhmerwalde: das bursehat, junges Volk beiderlei Geschlechts.
Jos. Rank 246.
raff f. Raufe. In der Zips ref, s. Wtb. 87 (=kefen leb fürkoufen
loube). Doch hört man in Mzsf. auch refzant s. Wtb. 87 b und
w'esterwäld. zänref Schmidt 335.
räflek m. wie in Prb. Nachtr. 43, was man in Presburg feuer
flecken nennt. — rafleek ist = Rauchfleck, weil dieser
Brotteigkuchen vor dem Brotbacken, bevor das Feuer im Back
ofen ausgebrannt und herausgenommen ist, im Vordergrund des
Ofens, unter Flammen und Rauch des Hintergrundes, rasch gebacken
wird. Er wird sogleich mit Fett bestrichen und backwarm ver
zehrt; ungr. längos lepeny, Flammenkuchen,
ragen, starren, verrägen, erstarren; s. Wtb. 86 11 . Nachtr. 43“.
mhd. rigen, regen, ragen. - Die Formen ragen und recken
—WB
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 389
sind in unseren Mundarten sehr üblich und berühren sich in der
Bedeutung's. Nachtr. 44: wer ecken,
rangen, ringen; s. Wtb. 86 b .
rompelen, rumpeln; s. Schmell. III, 90. Hier namentlich ein Spiel:
das rumpeln, wobei eines auf dem Walgerholz sitzend hin- und
hergezogen wird.
rem f. (—reben) Rippe; s. Nachtr. 44.
reuter n. die Reiter, grobes Sieb. ahd. ritra, rltera. Vgl. S. 320:
rede-.
rötsche m. (-rütscher) was Wtb. 88retsche in Presb. rid-
scliat ( = rütschert) Graupe mit Erbsen als Gemüse. Vgl.
Schm. III, 172: rütsch, 57: rödel 141: ruschi 174:retzel,
145: röster zu ahd. rostjan, torrere, fricare. Gralf II, 552.
„varrussan (verrussern), verrottet.“ rost m. aerugo ist schon
ahd. rost, schwed. rost, dän. rust, nnl. roest. Vgl. aber
auch ahd. rosa mö, rosen na, aerugo, Ientigo Gratf II, 348.
rosig: rostig Schm: II, 136.
rürig, von stinkenden Eiern; s. Nachtr. 43.
sai: bin; ech sai, du pist, der ess, birsain, sai der, se
sain; ech war, ech sai gewäst oder gewäsen: bin
gewesen.
sack in pendelsack m. für pendeIhemb (s. d. Wtb. 34b): ein
Hemde, das in der That nur ein oben und unten offener Sack ist,
der durch Bänder über den Achseln festgehalten wird,
sappen, treten; s. Nachtr. 45 a . Wtb. 89.
schaipf. der Teller,
schbesta f. s. prüda.
schbalmen f. Schwalbe; vgl. Nachtr. 47“.
schbutzen, den Durchfall haben. Nachtr. 47“.
schedelin häpseliedel m. Ein Schlag auf den Kopf; das Wort
scheint für den ersten Blick ein sinnloser Pleonasmus: capitis
cranium (Hauptschädel); doch genügt eine solche Erklärung
bei obiger Bedeutung nicht. Vgl. etwa das schaiten hä uh
lein (scliaenh aibl), eine Art Kopfbedeckung. Schm. III, 414.
Die Namen für Kopfbedeckungen werden oft tropisch für Backen
streich u. dgl. gebraucht. S. Wtb. 67 b unter abkappern, 93,
unter schlepal.
scliközen, laufen (zu sl. skociti, springen?).
26*
390 Schröer
schlaunen, sich befinden; wie schlaunts, wie geht es? vgl.
Nachtr. 45.
schlihan (=s chlibern) , auf dem Eise zum Vergnügen gleiten.
So auch in Gölnitz. vgl. nl. slibberen, glitschen. Vgl. auch
„slipperig lubricus“. Vocab. 1420:1339.
schlotan, tünchen. Zu ahd. slöte f. nhd. schlott, schluet.
Graff VI, 792. Schmell. III, 4G1 : Schlamm, Lehm (schwedisch
sagt man für Tünchen: hvit 1 imm e, weiß leimen), dö (got)
in (Adam) zesamine gevuocte, duo bestreich er in
mit einer slöte, diu selbe slöte wart ze dere hüte.
Graff. a. a. 0. In Pilsen bedeutet sclflieten (=schlüeten)
ausgießen Nachtr. 46 a , namentlich durch ausgießen, besudeln,
wie ich es gebrauchen hörte. Schwab. Schweiz, schlotern,
schlodern. Stalder II, 330; in Baiern: schledern Schm. III,
434; in Presburg: das geschleder, schlechtes Getränk,
in Schlesien geschläter n. Gesindel s. Weinh. 84 1 ’.
schloufa m. (==sch 1 ö fer) Schmetterling, vgl. ahd. slophari
circumcellio; wie man den Schmetterling auch Schwärmer
S 4
nennt?
schlöüzen (= schlörzen), schlürfen; vgl. schlotzen, saugen.
Schmell. III, 462 und schlutz Nachtr. 46. schweizerisch schlur-
zen mit Flüssigkeiten sudeln. Stald. II, 333.
schmetten f. Sahne, s. Nachtr. 46“.
schnakra (schnackerer) n. Messer; vgl. bair. Schnackelmesser
„Messer, welches zuschnappt.“ Schm. III, 482. Aber auch dies
Wort konnte einst eine Bedeutung haben, die jetzt nicht mehr ge
fühlt wird; „aus holz gesehneckert“ heißt geschnitzt.
Schwed. snikra, Tischlerarbeit machen, snikare Tischler
(vgl. nl. snip peraar, Schnitzler), schottisch to sneck ab
hacken. S. Schmell. III, 483. Nachtr. 46 b . schnackal.
schnepp f. der Zipfel, die Spitze am Haupttuch; s. Wtb. 39“ vgl.
dän. snip, schwed. snibb, der Zipfel; vgl. Wtb. 94“ unter
schnappe.
schöaz m. die Rübe, Möhre.
scholda f. 1. Schulter; s. Wtb. 95". — 2. Der Schinken.
speakenm. Rinderbraten.
spellrädel n. der Wirtel, Spindelring.
s p r ö i z e n , s p r ö ü Z e n, spritzen; beschprö ii z e n: sprengen,
Versuch einer Darstellung 1 der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 391
sprenzen s. Wtb. 98“ (letzteres ist nicht .gerade als hairisch
zu bezeichnen), öi, ö ü für ü, wie in kröük, Krücke u. a.sprüt-
zen hat auch Hebel (z. B. in „die Überraschung im Garten“),
Stalder II, 387 f.Schm. III, 592; ahd. spruzza clepsedra (d. i.
hier wohl Trichter? Spritze?) Grad'. VI, 400.
sehr out m. die Holzwand, der Zaun; s. Wtb. 96“ unter sehr öd.
schüeschait m. das Schürscheit; Holz zum Anschüren des Feuers,
wie mhd. schurfsen, Cod. germ. roonac. und vocab. von 1429
bei Schmell. III, 397; md. (1420) schorfsen, mein voc. 809:
emunctorium.
sippan (=sipp ern), in kleinen Zügen trinken; s. Wtb. 97 b : sip-
peln. Der Marner sagt: supfen schlürfen (supf üz? Waekern.
1, 693, 33), ebenso supfen, supfeln. Schm. III, 278 madj.
s z o p n i, saugen ; sippan dürfte daher für s ü p p e r n (s ü p f e r n)
stehn und nicht unmittelbar mit mnl. sipen, mhd. sifen Gr. gr.
I 3 , 414 Zusammenhängen.
söüfleng m. der Säufer; s. Wtb. 97 b , söfel Anton YIII, 12: süff-
lich, söffling etc.
tasch f. der Backenstreich; s. Wtb. 43“.
tapaschüecheng n. die Preiselbeere, Taubenschühercben ? Vgl. -eng.
tbielel m. der Quirler. In der Zips tfirler, twirler, pfirler;
s. Wtb. 35“, 85" unter 9.
toll f. vulva vgl. mhd. Wtb. III, 127: tülle 2) „Röhre, womit die
Schneide des Pfeiles am Schafte befestigt wird?“ Gr. Wtb. II,
1509 wird die dii le: eingedrückte Vertiefung, Loch, für das
selbe Wort gehalten. Schmeller trennt das tüll III, 442 von die
duelen, wozu er aus dem VIII. Jahrh. die Form: tuolla aus
dem IX.—XII. tuillilin anführt. Vgl. Graff V, 397: tuolla
vailicula, tuillil ebenso. Das nhd. da Ile, teile f. in D. Pilsen
tellel n. aus ahd. talili, telili, Graff V, 397 wird gleichfalls
mit vailicula übersetzt. Norwegisch ist das verwante döle:
eine kleine Rinne und kommt unserem obigen Wort in Form und
Bedeutung nahe. Vgl. im Ganzen dalle. Gr. Wtb. II, 699.
trohn f. der Sarg; mhd. truhe ahd. truha: die Truhe; auch schon
in der Schlacht von Ravenna für Sarg s. Wackern. Les. I, 805, 5.
Ebenso ahd. in dieser Bedeutung zuweilen Graff V, 511.
trougschalf. Trogscherlein, der Rest vom Brotteig,
ironischen, fallen.
392
S cb r5 er
b ets cheigeit, betrunken.
tsehögelesta (=schägelester) m. die Elster; s. Wtb. 47“, auc^ 1
das mnl. ekster, Elster ist masculinum.
tüepel n. die Thürschwelle, sonst m.; s. Nachtr. 22.
du kan (düke.rn), von dem Ton hart auffallender, wiederabsprin-
gender Steine. Vgl. nd. das Hei’z ducket: pocht. Fromm. III,
530. Dies ducken, düken, nl. duiken (vw. mit tauchen)
scheint hier erweitert zur Bezeichnung eines wiederholten Pochens-
tunke f. 1. Sauce, 2. eine besondere Speise; s. Wtb. 47.
tu tan (=tutern), tuten; s. Wtb. 48“. Gr. Wtb. II, 1767.
waeger, baege (baeger), besser, eimbr. begor mhd. waeger,
s. Nachtr. 17“ unter bega.
baisa n. Zeiger an der Uhr, Weiser.
wallern, ballan, römballan, Herumwandern; s. Wtb. 103 von
mhd. wallaere, der Waller, Wanderer,
wät bout f. Kleidung; s. Wtb. 103\
we-becha (=becher), welcher; Nachtr. 17°.
werden: ech ba, du best, d erbet, birban, irbat, siban.
wäl-boulaia: waleier, rote Ostereier. Yon walen, wälzen
(sl. wälit) Schm. IV, 32, weil man diese Eier im Spiel wälzt.
Vgl. mhd. wälen, spielen mhd. Wtb. III, 468“. die wäle Farbe
zum Eierfarben, ist davon abgeleitet; vgl. Nachtr. 19" Wtb.
82, 103, in der N. Lausitzt: walen, waleien, walkeien : wälzen,
„bezeichnet besonders das Spiel mit Ostereiern“ Broniscli in N.
Laus. Magaz. XXXIX, 189.
worf-buefen, worfen; s. Nachtr. 18. Wtb. 103.
worg-wurg-buogen (=w u r g e n) : schlingen, schlucken,
würgen mhd. worgen, intransit. — hüegen (= würgen),
würgen, drosseln, mhd. würgen, transit. — buogen, intrans.
auch in Krh. Nachtr. 20“ mhd. Wtb. III, 742. — Auch in Presb.
wüagen intrans. d a w 1 a g e n trans.
zäf f. Seife, über Z für S im Anlaut s. Wtb. 89, 107, Nachtr. 30.
Sehmell. §. 638. Eine Verschmelzung mit dem Artikel (d’säf)
darf nicht angenommen werden wegen zöclia, zöta s. d., wo
eine solche Annahme nicht mehr ausreicht,
zankesn. der Taufschmaus, in Dopschau zonkas Wtb. 108. Das
Wort ist bei den slavisiertenDeutschen derGömörer Gespanschaft
auch in slavischer Rede in dieser Bedeutung üblich. Czörnig
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 393
Etlinogr. II, 123. Tn München wird der zankenkäs (auch zan
tenkäs) ein Käse genannt, der bei Taufen, namentlich von
Knaben, aufgetischt wird. Vielleicht ein Käselaib mit zanken, wie
der ostepok bei den Bergslovaken ; zank en käs (=zerreisse
den Käs mit den Zähnen) ist kaum anzunehmen. Daß das Wort
hier neutr. ist, brachte mich zuerst auf den Gedanken es aus zu-
sammengeesse (zsamg’ess) zu erklären. Vgl. S. 374.
zems f. das Mehlsieb; s. Wtb. 107. Nachtr. 50.
zengs, zengst, zegens, zegenst f. die Sense; vgl. Wtb. 97
und oben zäf.
zöcha (=zöeher), solcher, aus soll ch, solch. Uber den An
laut S oben zu zäf. Hier ist eine Verschmelzung desselben mit
dem Artikel (d’söcha) nicht anzunehmen, der solche mäste
zu da suche, d’s 6che nicht zu d’s6 cha (=s ö e h er) werden ;
vgl. zöta, wo dasselbe gilt.
zöppen, springen (vgl. sappen, auftreten, mit dem Fuße stoßen.
Wtb. 89, bair. sappen, zappen, langsames Gehn des Pferdes
u. dgl. Schmell, IV, 27, 6, III, 275 f.), wenn zöppen für söp-
pen (in dieser Mundart =siippen, süpfen) steht (s. zäf),
so erinnert das Wort an den von Wüste Fromm. V, 345 bemerkten
Wechsel der Anlaute H und S (^Z), denn süpfen stünde für
hüpfen. Vgl. die Beispiele dieses Wechsels in allen Sprachen.
Gr. GDS. 299 *).
zöta (=söter), solcher, sotaner; vgl. settener, setter, Wtb. 97,
Nachtr. 47“ und oben zäf, zöcha.
zw-zbeine, zbü, zbä; zweene, zwo, zwei. Vgl. Nachtr. 50 b .
*) Daselbst heißt es: „Sanskrit, Latein, deutsche, slavische und irische Sprache
pilegen S zu setzen, wo zendische, persische, griechische und welsche H; im
Deutschen tauchen nur hin und wieder Spuren des H neben S auf.“ Steht hier
unsere Mundart griechisch und welsch gleich, so wäre dies auch von der Aspira
tion des R in Krh. zu bemerken gewesen. Wtb. 86.
394
S c h r ö e r
III. MUNDART VON KRICKERHÄU UND UMGEBUNG.
Jünger als die Niederlassung zu Deutsch-Praben (siehe unten
Seite 412) ist die zu Krickerhäu, einem sehr ausgedehnten Markt
flecken der Neitraer Gespanschaft, der von den Bewohnern in neue
rer Zeit mit Vorliebe „Stadt“ genannt wird, ohwol er nur aus
einzeln stehenden stockhohen Blockhäusern besteht, die endlos im
Walde zerstreut liegen.
Wie der Name schon sagt, ist der Ort ein Hau, d. i. ein Aus
hau im Walde, eine mit theilweiser Ausreutung des Waldes ent
standene Anpflanzung, wie : Beneschhäu (slav. Maizel), Glaserbäu
(Skleno), Hanneschhäu (Honcsay, Liicska), Käserhäu (Jassenove),
Kuneschhäu, Neuhäu (Uj Lehota), Prochetzbäu *) (Prochot),
Schmidshäu (Tuzsina), Trexelhäu (Jano Lehota**).
Diese Niederlassungen in gebirgigen steinichten Waldungen sind
geschehn, als das offene Land schon bevölkert war; es sind Nieder
lassungen auf dem Gebiete, z. B. Einer der Bergstädte, die von da
aus durch einen Unternehmer, der dafür dort das erbliche Schul
zenamt zugesichert erhielt, gegründet und bevölkert wurden.
Ein solcher Unternehmer war 1360 dominus Glazer tllius Ger-
hardi, dem eine populanda silvosa possessio als scultetia heredi-
taria, von Kremnitz aus verliehen wurde, die nach ihm bald darauf
Glazirshaw genannt wurde , s. Nachtrag 32. So soll 1342 durch
einen Kunus (Kuno?) Kuneschhäu gegründet sein, so ist 1364
durch einen Grykher oder Kriker: Krickerhäu gegründet, siehe
Nachtrag 32. Solche Häue sind zum größeren Theile auch jene,
Nachtrag Seite 6, Anm. 2 angeführten Ortschaften, deren Name es
nicht andeutet, z. B. Hochwies, Paulisch, Stuben, Turz u. s. w.
Ihre Mundart ist im Ganzen eine und dieselbe mit der, welche in
den „Gründen“ der Zips gesprochen wird und welche wol ehemals
*) In einer Urkunde von 1449 finde ich unter andern Bürgern von Sillein („Zylina“)
auch den Namen Nicolaus Propheta, wenn es hier ein Name ist? Schwartner de
Scultetiis 156.
**) Das Treselhaj oder Teresiendorf, das neben Trexelhäu in der österr. Ethnogra
phie Czoernig’s II, 201 angeführt wird, existiert nicht.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 395
in allen ungrischen Bergstädten gehört wurde, jetzt aber nur mehr in
Kremnitz zu Hause ist. Über die Gründener Mundart im engeren
Sinne, siehe S. 297 f. die Vorbemerkung zu den Gründener Sprach-
proben. Was hier hervorzuheben ist, das sind die Abweichungen
von der Gründener Mundart, die wir hier antreffen und die theils
auf Zuwanderungen aus Böhmen, theils aus Franken, theils aus Tirol,
ja selbst auf nähere Verwandtschaft mit den Bewohnern der VII. und
XIII. comuni deutlich hinweisen.
Dali die Kremnitzer 1328 die Freiheiten von Kuttenberg ver
langten und erhielten, deutet wol auf nähere Beziehungen hin
zwischen den Einwohnern beider Orte, Der unseren Deutschen des
ungrischen Berglandes um Kremnitz, Praben, Krickerhäu eigene
Abschiedsgruß: „Bleibt in Gottesnamen!“, der sich meines Wis
sens nur in der deutschen Mundart Nordböhmens wiederfindet, ist
hier hervorzuheben; ich vermute nämlich, daß Kuttenberg im
XIV. Jahrhundert jener deutschen Sprachgrenze näher lag als jetzt;
jedesfalls dürfte anzunehmen sein, daß die Deutschen in Kuttenberg
ähnlich denen an der Grenze des Leitmeritzer und Bunzlauer Kreises
gesprochen haben. Vergl. zu dem Gespräch aus Geidel und Münich-
wies Anm. 7, Seite 433.
So muß Deutsch-Pilsen seinen jetzigen deutschen Namen
durch eine starke Zuwanderung aus Pilsen in Böhmen erhalten
haben. Es heißt im Jahre 1417 in einer Urkunde: Bersen, noch
jetzt magyarisch: Börzsöny. Wenn wir die unleugbare Verwant-
schaft der Mundart der sette comuni mit der von Deutsch-Pilsen
erwägen, so möchten wir diesen Namen von Pergine, zu deutsch
Persen in Tirol herleiten, von wo aus deutsche Leute im Xtl. Jahr
hundert in die sette comuni ausgewandert sind. S. Cimbr. Wtb.
Seite 33 (90).
Aus Pilsen dürfte außer dem Ortsnamen noch herzuleiten sein
die Form schollen (= sollen), das den Deutsch-Pilsenern beson-
' ders eigen ist*). Daß es in Pilsen in Böhmen, wenn auch jetzt die
deutsche Mundart daselbst schon alles Eigenthümliche eingebüßt
haben sollte, einmal üblich war, schließe ich aus der Nachbar-
*) Im Neusoler Stadtarchiv fand ich bei der Jahrzahl 1393: her s c h a 1 = er soll.
Doch war damals die Form mit SCH wol überhaupt häufiger. 1408 linde ich auch
im Schemnitzer Archiv noch: scholt’ sollte. Jetzt wird man in den ßergstädten
überall nur hören: her s ü I, sei oder er sol.
i
396
S c h r ö e r
schaft der Oberpfalz, wo das seltene nd. (nicht ul,J schollen zu
Hause ist s. Scjjmell. III, 349.
Aber auch auf die Mundart von Krickerhäu seihst hat eine fränki
sche Mundart einerseits und jene „cimbrische“ Mundart andererseits
deutlich erkennbaren Einfluß gehabt und so mehr oder minder auf
die meisten sogenannten Krickerhäuer Orte (nur etwa Schmidshäu,
Geidel, Müniclnvies ausgenommen). Sie haben mit der Grüudener
Mundart namentlich gemein die Verwandlung des W in B, wodurch am
kennbarsten die letztere von der Zipser Mundart unterschieden wird;
hingegen die Verwandlung des F, V in W, welche den Krickerhäuer
Mundarten eine so eigenthümiiche Färbung leiht, kennen die Griin-
dener Mundarten nicht, so wie überhaupt es unter allen deutschen
Mundarten nur in Gotsehee*) und in den VII. und XIII. comuni
vorkömmt.
Was nun die Mundart des Ortes Krickerhäu vor allen beson
ders auszeichnet (und auch in den Gründen nur der Metzenseifer
Mundart eigen ist, die überhaupt der Mundart von Krickerhäu sein-
nahe steht) ist die Unterscheidung von: Ü, Ö und I, E, so wie der
Doppellaute EI und EU (ÄU). Die Aussprache des letzteren wie AÜ
findet sich nur in einem gewissen Theile von Franken, s. Fromm.
VI, 161 und in den VII. comuni cimbr. Wtb. 40, 26; vgl. Fromm.
VI, 249").
Der Mundart von Krickerhäu stehen nun von den sogenannten
Krickerhäuer Mundarten vor allen sehr nahe (ohne jedoch obigen
Vorzug zu theilen) die Mundarien von: Moraben (Morovno), Neuhäu,
Proehetzhäu, Paulisch und Hochwies. Sie unterscheidet sich von
denen um Deutseh-Praben durch das HRfürR***) (das 1, das wieder
Deutsch-Praben eigen ist, kennen sie nicht), das nur in Kremnitz
wieder vorkömmt und indem sie Kirbe (Kirchweihe) nicht Kirmes
*) Sonst steht die Mundart von Gottschee durch ein alemannisches Beigemisch , das
sich in den Krickerhäuer Mundarten nicht wieder findet, ferner als die der VII.
und VIII. comuni.
**) Ähnliches findet sich in einigen Gegenden Tirols, wo theils alemannischer, theils
fränkischer Einfluß anzunehmen sein mag. S. Fromm. III, 20 f. 97 u. s. f. So
unterscheidet sich auch in Schlesien die tiefe Aussprache des EU in Schweidnitz,
Mittelwalde, Glogau von der sonst in Schlesien üblichen Ausprache. Weinh.
Dial. 63.
***) Über die Gegenden, wo dieses HR herstammt, s. Wtb. 86; doch hätte dort noch
ausdrücklich der Böhmerwald genannt werden sollen.
Versuch einer Darstellung 1 der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 397
(Kirchmes.se, wie Prb. und die Zips) sagen; jener für janer
u. dgl, m.
Krickerhau.
1. Naüj är sbu ns eh.
(1., 2., 3. nach einer Bauernhandschrift.)
„Bunsch. Bail hie sech bellen ze erinnern daß bie häbn zaiten
derlebt ont öbalebt: da hälige ailbentzeit ont ach di gepurt Jesu
Kristi ont liäben derlebt das naüa jäa so boll ech aücb nje bön-
scheri daß bie das net nje etza beten derlebt, äda bie boln hält
noch ineara jäa könna derleben ont öbaleben met gute gesond, ond
änikät: daß ba ach böln wo got, ont nach dem leben, daß bie
boln könna ai~ge ai da ebiga wraid ont selekät.
Antwort:
Got schenks ont laß es tälbäftek bean!
2. Ein an des.
Ech bönsch aeüeh (so geschrieben) a dem naüen jäa den lim
gasond, wrid ont änikät, den segen gottes ont nach dem zaitiechen
leben da ebiga wraid ont selekät.
A nt wort.
Got bols geben!
3. ßunschderkinde.
Jesses Kristes! öm a naüjäa! (um ein Neujahrsgeschenk)
hät a net wel (viel) gets (geht es) äl gäa.“
4. Grüße, Artigkeitsformeln.
Jesses Kristes! — ’n ebekät!
Got geb ich gelöck! (Zuruf an Arbeiter)
Gobolls geben.
Gogesegn’s ich! (Zuruf an Essende)
Kommt met halln (mit halten-essen)
Eßt nje in gots nätna! (Ablehnung obiger Einladung)
Etzt podänk ech rnech schon öm äldes!
Neml wolib! — nüscht bäht mer worübel!
Etza plait en Gots näma! (Lebt wol! vgl. Seite 395). —
Wogelts Got!
398
S c h r ö e r
Das Volkslied aus Deutsch- Pilsen,
welches Wtb. 125 mitgetheilt ist in Krickerhäuer Mundart. Vgl.
die Übersetzung in die Mundart von Proben Seite 424.
1. ’s get a mädel häselnöß klaubn
wrus schia l ) am tä (im Thau).
bäs hat se gewonna 3 ) neben heg?
ann grünn häselnußstrauch.
2 Ai häselnuß, ai häselnuß
zwe pest du asu grü~? —
ech ste inda am külen tu
jesbeng 3 ) pe~ ech asu grii~!
3. Ai jonkfrä mai~, ai jonkfrä mai~
zwe pest tu asu scho~? —
ech äß es wläsch ont trink na bai~
jesbeng pe~ ech asu seho~.
4- Ai jonkfrä mai~, ai jongfrä mai~,
bä bilst dech däa tommein? —
ech ha stolze prudela
zo den ba 4 ) ech mecli tommein.
8. Ker nje zohröck 5 ), ker nje zohröck,
de hast pai cm geschlafen,
alle dain traü ond alle dain ea
hast pai em geläßen. —
6. Ai häselnuß, ai häselnuß,
net worächt mi"e mai~ ea:
ech hä drai stolze prudela
dei ban 4 ) dech ä hä~ (ahhauen)!
7. Ai hä~ s mech am 5 ) benta ä
am wüebeta 6 ) ba ech bida gru~ sai~.
ont benn a jonkfrä ie ea woläust 7 )
krigt se’s nüscht 8 ) mea! —
8. Ont benn a päm ’s läb wolaüst
trauen alle äst:
ai jonkfrä mai~, ai jonkfrä mai~,
hall du dai~' kränze! wäst! —
9. Bi soll ech’s denn etza wäst halln,
es bill me je net plaim:
ai hätt ech nje a haübela
wo samet ont wo said!
J) f r ii m o r geus wird liier übersetzt init: zeitlichfrü, schia = bald, w r u s.
in Prb: ’s fris: Morgens. Schmell. I, Ü99 führt an ein: das friie = die Frühe,
wovon dies dann ein Genitiv ist.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes 399
2 ) gefunden in Prb. gewunden. Die Assimilation des D, namentlich nach N
die zuerst im altnord, auftaucht. Gr. gr. I, 306 f. ist aus dem plattdeutschen
hin und wieder in md. Mundarten eingedrungen, in das Türingische (vormals
Niederdeutsche) mehr noch als in das Fränkische. Fromm. II, 50. Vom Frank,
jedoch mit andern fränk. Eigenheiten zum Theil in ostlechmundarten Schmell. 1, 477,
in das Hildesheimische Fromm. II, 44 1F. V, 266, Vr, 422. Koburg: II, 50 f. Nürn
berg: II, 50. Auch in Iglau in Mähren V, 211. Niederd. überall Fromm. II, 95, 178,
420, V, 46 f. u. s. f.
3 ) deshalb, in Praben; j a s t b e n g. Vgl. Nachtr. Seife 34.
4 ) ba: werde, bau werden, vgl. schles. war: werde. Weinh. Dial. 27, 124. Fränk.
henneb. war. Fromm. V, 269. Türing. waar. Schleicher Sonneberg 5; in Praben:
be vgl. Nachtr. 49. Seltsam daß umgekehrt Krickerhäu (wie schles. Weinh. Dial.
141) jener, Prb. j a n e r hat, vgl. Nachtr. 34.
5 ) das HR findet sich nur hier und in Kremnitz und der nächsten Umgebung. S. darüber
Wtb. 86. zohröckkeren klingt jedoch nicht gut mundartlich, besser o~k er e n
= umkehren.
8 ) der Frühling in Krh. wfiebeter in. in Prb. w i e b e t m. s. Nachtr. 27.
7 ) verliert, in Prb. w e r I a i s t vgl. Nachtr. 39. Schmell. II, 499.
8 ) nicht und nichts. Wtb. 84, Nachtr. 42.
Umgebung von Krickerhäu.
I. Trcxclhiiu.
Volksreinre.
1.
A ’s patres gäaten, a ’s pätres gäaten
setzt a wogel tfoifen,
a hat ka wlugel, a hat ka wlügel,
siht mer em de soiten.
2.
Der kuckuck setzt of em äst,
kirnt a regen macht ne näß,
kirnt a bäama sunneschai",
troigen em kukuck de wedelai'*'.
3.
Pi"en wäl, äpel will,
muter bad er enk käfen (Mutter wird ihrer — davon euch kaufen),
hä kan tfenig hä kan tfenig
kän mer käne käfen.
4.
Zwe'“' gescheckta uxen
unt e pucklechta ku,
däs schenkt me mai~ wate
wän ich heireten tu.
(Wol österreichischen Ursprungs, jedoch auch in Türingen gesungen.
Schleicher Sonneberg Ul.)
400
S c b r 5 e r
Mädelain, lustig!
trink prüda, ’s durscht mich,
mstdel häl dai~ krug ’rain
häl pi"e ont häl b»in.
6. (Wiegenlied.)
Sclilouf, Maritzel, schlouf!
am gäaten bade di hrous,
de schbäazen ont di baißen,
bans Maritzel paißen.
Vgl. Wtb. 123. Andere Liedchen aus Trexelbäu stehen noch Nachtrag
Seite 17 unter liega, Seite 25 unter walz und Seite 30 f. unter H.
Beklagung. (Die Oattinn.)
Ach du mai god, ach du raai god: bas bar i machen! igesel
maina! bä hast du mich geläßen? ach du mai god, kum mich huln
metsam main kindan! — Bäa di*-e mai haus zu klan? lämech net lang
da soen! — ä! bä schmeazen hastu geliden! — Ach tu mai god,
ach, ich kans nicht laßen: mächts grab of daß ech ach nai kumm!
Einladung.
Der wette (Vetter) hat mi geschickt en enke erliche behausung,
her hat ich wlaißig lä grüßen unt an guten tag sägn unt ä schön
piten däß er beit ow a kläns mittägsmäl züsprechen.
II. Pleuhäu.
Die zugesicherten Spracbproben von da sind ausgeblieben.
Obwol näher zu Krickerbäu als Trexelbäu gelegen, so scheint doch
die Mundart von beiden letzteren Orten sich gegenseitig näher zu
stehn, als die von Neuhäu, welche etwa mehr der von der Zeche
und Fundslollen nahe steht. Sie verwandelt nämlich das auslau
tende L der Deminution in einen Vocal (-a); als Schibboleth gilt:
Krb.Trxb. sagen: saitel, pägel, hingegen Neubäu; saita, päga (Seitei,
Bäugel). — Vgl. Seite 414.
Versuch einer Darsteilung; der deutschen Mundarten des ung;. Bestandes* 401
I'aulisch und Hocliwies.
Diese beniichbarten vereinzelten zwei Orte gehören zwar nicht
mehr zur Umgebung von Krickerhäu, gehören jedoch der Mundart
nach dahin. Hochwies wurde schon 1390 den patribus St. Pauli
eremitae de Elefant im Neitraer Comitat verliehen, denen dann
'auch Pauliseh gehörte. Die Mundart dieser Orte hat (wie die von
Trh.) oi für eu (und mhd. i ?) und fällt auf durch die Flickwörtchen
glä und mä~t Nachtr. 29, 40, so wie durch die Deminutiven
dung-ale wo man sonst ela hört: strechale, Strichlein, Krh.
strechela u. dgl.
1. Bei der „biersuppe“ d. i. heim Vorgang der Frau
ges ungen.
Komber ge~, komber ge*:
de zait körnt scho zu,
das 1 iclite steandalain (s(eandaie)
kreicht schon in den bald nain.
Komber ge*, komber ge~!
de zait körnt scho zu.
2. Brautlied.
Hrous, präutel, hrous (vgl. Wtb. 122)
aus deina muta haus,
wia daina muta tia
bäxt a beda do -, cn (ein Wetterdorn ?),
wia daina schwigamutta tia
bäxt a scho*s hrosel wia.
Hreinnitz und Umgebung.
Kremnitz ist eigentlich der mächtigste Krickerhäuer Ort und
hatte auf die Krickerhäuer Orte von jeher den grösten Einfluß. Daß
man die Krickerhäuer Mundart nicht Kremnitzer Mundart nennt, ist
wol daher zu erklären, daß in einer Stadt wie Kremnitz eine große
Anzahl von Bürgern und Honoratioren nach Kräften die Mundart
(die zwar immer durchschlägt) verleugnet, indem man in den hin
terwäldlerischen Blockhäusern der „Stadt“ Krickerhäu nur die
reine Mundart hört. Kremnitz erhielt 1328 die Freiheiten von Kut
tenberg; Alt- und Neu-Stuben, Ober- und Unter-Turz und Glaser-
häu gehören zu dem doininio Häuensi und jure perenni zu Kreinnitz,
402
S c h r ö e r
von wo aus sie wie Kuneschhäu, Blaufuß, Berg, Deutsch-Litte und
Hanneschhäu wol colonisiert worden sind.
Kmiinitz.
Die Mundart von Kremnitz ist schwer zu charakterisieren, weil
der Mittelstand bemüht ist, die Schriftsprache zu sprechen und die
ärmere Classe stets mit einem bedeutenden Contingent aus allen
Krickerhäuer Orten und auch weiterher derart untermischt ist, daß
nur der Eingeborne bei einer Conversation der Leute des Soler
Grundes oder im Legendel das echt Kremnitzsische (das manche
wieder in verschiedene Mundarten eintheilen) zu erkennen ver
mag*). Als besonders bezeichnend hebe ich hervor, daß die Krem-
nitzer Mundart mehr als die aller andern Krickerhäuer Orte vom
Österreichischen beeinflußt ist, was sich schon dadurch bezeichnend
kundgibt, daß weder der niederrheinische noch der fränkische Aus
druck für das Kirchweihfest (Kirmes, Kirclipiesse, Kirbe, Kirch-
weihe, s. Nachtr. 36), wie sie in der Zips, in den Gründen, in allen
Krickerhäuer Orten üblich sind, in Kremnitz angewendet wird, son
dern statt dessen das österreichisch-bairische: kirichtäg.
Die Einladung zu dem Kremnitzer Weihnachtspiel (s. weimar.
Jahrbuch III, 391—419) klingt im Munde eines Kremnitzers wie
folgt:
1. Hoi~t bolln be a komoidi agetire von grausame tihrännische
kinig Hehrodes (manche sprechen auch Hereodes). Des stick is geot,
di prob (preob) ist ach geot ausgafälln. De hean zaln nach pulibn,
klän fretzal das hälbete.
Der Spruch aus Kesmark Nachtr. s. 20 klingt in Kremnitz:
Krem, a sti'enal bi a pienal
Kstn. e stienchen wi e bienchen
a aigal bi a vegal
e äigelchen wi c veigelchen (Vögelchen)
a naesal bi a haesal (nase-base)
e näischen wi e hiiischen
a mailal bi a vaigal
e mäilchen wi e Veilchen.
*) Man hört Einen dem Andern nachrufen: spi zkerl (= Spitzbube)! worauf uns
der Kremnitzer gleich belehrt: der ist aus der Litte (Deutsch-Litla) ; oder ein An
derer ruft: p 1 u t s c h a 1 m a 1 a! (ßlutseheim , ein ähnlicher Schimpfname) „der
ist aus Glaserhäu“ !
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten desung. Berglandes. 403
Kremnitz und Kunesclihäu.
Kremnitz: di plürne plin, de himmel is pläb, des grfts is gri~,
de scliene gäatn, bäs pedaitt denn das?
Kuneschhäu: di pleoma ploin. de himmel is pleob, des greos
is groin. de schoine gauetn (geoatn), bas pedoitt denn des?
Kuneschhän.
Yolksrcime.
1.
Ist i\lls ä~s, ist älls ä~s,
hä-I-i geld äbe hä-l-i kä~s !
hä-l-i gekl sä trink ech bai~
hä-l-i kä~s sä lä iichs sai'“.
2.
Droi binte, droi summe, droi äppel afn päm
itze kumme di älden säldäten anhäm.
3.
Streodel, neodel äß i gain,
soin su Iängi zeoten ;
po main sehiitzel schleof i gain
is me nit vebeoten.
4.
Schoini, grini hstdelpi'e,
schoini, grini finken:
jungi mädel tänzen gain,
aldi boibe hinken.
Erzählende Volkslieder.
1. Der vorlaute geselle.
1. Es bären droi jonggesellen
se linden bä se bellen
se essen ont trinken, poß auf ain halbe näeht
poß de frau bi eten den keller zumächt.
2. Der aine bär ser trunken
her nichts veschboigen künde:
„gestern abends hät mich ain mädloin ängehredt
’aß ech sol poi am schlafen in seinem pett.“
3. Das mädel under (hinder?) der bände
es hört soine ägene schände:
„hilf mir der loibe gdd zu moin jungfraunstand,
daich krlg den götwoläsen putschten ander main händ !“
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XL1V. Bd. II. Hft. 27
404
S c h r ö e r
4. Abends kommt er gehreden
voas schhifkämmerloin getreden,
er klopft so lois an mit sein goldnen bring:
„schlafet äder wichet moin auserbiilt kind?“
5. „Ich schleofe nicht, ich wache,
heroin ich dich nicht lasse,
ge du nur woiter ho du hergereden („getreten“) pist,
kan schon in dich schleofen
ach benn du po mir nicht pist.
6. Vor der tür sten droi höche linden
dort kanst du dich aufhiingcn *)
dort pinde doin hross an den lindenbaum
dort kanst du schlafen äne traufti.“
„hätt ich moi~ plippelplappel goschen stell geschbigen
so hätt ich poi moin schätz in federpett könne ligen!“
Anmerkung zu den Volksliedern.
Es überrascht, wenn man erwägt, wie diese Krickerhäuer Orte,
die so unbekannt sind, daß von manchem bisher weder der richtige
Name des Ortes, noch die Nationalität der Bewohner constatiert war,
von denen daher Deutschland keine Ahnung haben kann (sind sie ja
für uns Presburger selbst wie ein Märchen, von denen nur einige
Irrthümer, die Mundart und Gebräuche betreffend, im Umlauf sind):
daß diese Orte doch einen so regen Verkehr mit Deutschland unter
halten, wie dies aus den Volksliedern ersichtlich ist.
Wenn man z. B. die Münichwieser in ihrer urthümlichen Klei
dung von braunem Kotzentuch, die wie Samojeden aussehn, und
die man dem Aussehn nach nimmermehr für Deutsche halten möchte,
die vor einem Vornehmem bald auf die Kniee fallen, bald wieder
ihm mit beiden Händen in’s Gesiebt greifen, um ihm die Wangen
zu streicheln oder ihn wie ein Kind zu liebkosen, wenn man diese
Hinterwäldler betrachtet, so kommen sie einem vor wie ein Völk-
lein, das seit Jahrhunderten verschollen ist, und auf einer einsa
men Insel etwa, ohne Verkehr mit dem Mutterlande, fortbesteht.
Aber wie die Pflanzen- und Thierwelt auf wunderbare Weise über
Meere hinweg sich ausbreitet und allmählich die einsamsten Inseln
*) Soll wol ursprünglich heißen: dort kanst du dein ross anbinden .
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 405
belebt, so werden Sagen, Märchen und Volkslieder hin- und her
getragen und dringen bis in diese vereinsamten Orte, so daß auch
diejenigen, die kaum mehr wissen, daß sie Deutsche sind, die
durch Kirche und Schule ihrem Volke methodisch entfremdet wer
den (s. Nachtrag Seite 17 unter peten) doch noch durch ein
geistiges Band an den geistigen Gütern des Stammvolkes theil-
nehmen und an dasselbe geknüpft sind. Es ist wol gewiss, daß ein
großer Theil von Sagen, Märchen und Liedern von unseren Ansied
lern schon mitgebracht wurde, wenn man aber nur im Vorbeige
hen dieselben näher betrachtet, so wird man sich der Täuschung
nicht hingeben, daß diese Kleinode des schaffenden Volksgeistes,
wie sie hier sich darbieten, sich etwa 5 oder 7 Jahrhunderte, von
dem Stammlande unbeeinflußt, ursprünglich erhalten oder selb
ständig umgestaltet haben. Die Volkslieder, die als älteren Ur
sprungs nachweisbar sind, erscheinen hier mit Veränderungen der
ursprünglichen Gestalt, die erst nach dem XVI. Jahrhundert ein
getreten sind und zwar mit denselben Veränderungen, die sie auch
anderwärts erlitten haben. Dies ist alles natürlich nur im Allge
meinen bemerkt und soll nicht in Abrede stellen, daß im Einzelnen
allerdings manches Altertümliche, so wie in der Mundart, so auch
in der Volksdichtung sich hier reiner erhalten hat als draußen
mitten im Strome der modernen Welt.
Die Vermittler des Verkehrs mit dem Auslande sind leicht zu
erraten. Erstens führt der Bergbau aus ober-, mittel- und selbst
niederdeutschen Gegenden fortwährend neue Elemente herbei, dann
ziehen in vielen Krickerhäuer Orten die Männer auf Arbeit aus,
manche selbst als Heilkünstler nach Deutschland, s. Nachtrag
Seite 31, handerburz. — Einzelne Mädchen dienen wol auch,
und nicht nur in den Bergstätten, sondern selbst in Pest, Ofen und
Presburg, wo sie manche österreichisch-bairische Volksweisen
kennen lernen und mit in die Heimat zurückbringen.
Zu dieser Bemerkung veranlaßt mich obiges Volkslied, das im
Kuhländchen Meinert 86 f. in Franken Ditfurt II, öl, in Türingen
Schleicher, Sonneberg 122, in Schlesien Hoffmann und Richter 135
(wo noch andere Fundorte angegeben sind) und merkwürdiger
Weise am übereinstimmendsten mit obiger Fassung in Schwaben
Meier 324, gefunden wird. Im Ganzen hat unsre Lesart aus Kunesch-
häu manches Beachtenswerte.
27*
406
S c h r ö e r
So findet sich das Wtb. Seite 39 mitgetheilte Lied pranpe
(Brombeere) in Türingen, Schade 44 f. am Siebengebirge, Simrock
311, in Sonneberg Schleicher 124, in Schlesien Hoffmann 204, in
Schwaben Meier 304. Das Lied von der Hasel, Wtb. 120 f.,
worüber sich Seite 126 weiterer Nachweis findet, steht etwas ver
ändert auch bei Schleicher Seite 113. Die Nachtigal, Wtb. 127,
findet sich auch in Simrock’s Sammlung S. 222, in Schwaben
Meier S. 88. Das Lied vom Mädchen, das ins Mühlenrad
fiel, findet sich, sowie in Deutsch-Pilsen, so auch in Dessau,
Schlesien u. s. w., s. Wtb. Seite 128. Ferner im Odenwald Wolfs
Zeitschrift für Myth. I, 99. in Franken, Ditfurt 11, 38. Heimliche
Liebe Wtb. 131 in Schlesien (s. weiteren Nachweis a. a. 0.),
außerdem in Thüringen Schade Seite 65; in Franken, Ditfurt II,
Seite 72. Das sehr verstümmelte Scheidelied Wtb. 91% findet
sich, mit dem Anfang: ietzun'd reis ich weg von hier (alias
morgen r. i. w. v. h.) Wunderhorn HI, 31. Wolfs Halle der Völker
II, 169 f. Kretschmer I, SOI. Erk. IV, 46 f. Hoffmann schles. Volks!.
S. 241 f., Meier schwäb. Volksl. S. 13S. Ditfurt fränk. Volksl. II, 98.
Andere Volkslieder kommen vor in Schmölnitz s. kälibe, die
Anmerkungen 13, 75, 77, Seite 354, 364.
Der dramatische Wechselgesang Kampf des Sommers mit
dem Winter, der in Kuneschhäu noch gesungen wird, ist schon
Nachtrag 47 ff. mitgetheilt und besprochen.
Schneiderlied.
Der sehnoider, der maister, ziht soin hembloin voran,
Die katze di schoißt em e schoine spitz daran.
Ei wunderschoines tir!
Der sehnoider ist ain dib.
Der sehnoider, der maister, fangt mit den mädchen an,
zu scherzen von herzen. —
Der sehnoider, der maister
der fleckeldtb, so heißt er,
der zipp zipp zipp, der hopp hopp hopp
der meck meck meck meck me!
Wird mehrmals wiederholt, indem nur in der ersten Zeile
immer ein anderes Kleidungsstück genannt wird, als: sain hose-
lain, di steiwel (Stiefel), das loibl (Leibchen), der hrock,
der hüt.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 407
Beklagungen.
Die Mutter.
Peob, Ioibe, peob moina (schlägt mit der Hand auf den Sarg)!
loibs kend, mors, heazige soil moine!
oder
Tu heazige tochta, moi mädel!
Tu loibs keind! tu loibs keind!
Die Gattinn.
Du loiba , moi “man! bi kirnst den deo (dou) mi e etza wie.
Du kirnst mer etza alles andes wi"e bi fö a! — Benn deo (dou)
pist vom leon komma bä je doi sack noi lea! bä je inda a kolätschen
obe a morbän (kuchen, sl. mrvän) dinne! o tu loibe moi man!
Einzelnes.
Die Mundart von Kunescbhäu ist sehr reich an Doppellauten
und Diphthongen, die schwer durch die Schrift wieder zu geben
sind, z. B. (namentlich a ä, o 6 vor r) beoef m. Sensenstielhand
habe, Wurf, Werb, Warb, Schmell. IV, 139, 181. beowen:
worfen, Getreide durch Emporwerfen reinigen. In Prb. bjofenin
Krh. buofen, s. Nachtrag 18. weoen fahren, geoeten m. Gar
ten, jeoa n. Jahr, keoen n. Korn, eoen Ohren. Diese Erschei
nung erinnert an das au im Alemannischen, in Franken und Schle
sien. Gr. I 3 , 182. Wackernagel vocabul. optim. Seite 8. Schmell.
§• 113. Weinhold Dial. 61. — i, i, ie, üe, u, 6, e klingt oi:
P 0 i n Biene, doine dienen, mo im e 1 Mühmchen, in Krh. mümel, s.
Naclitr. 42, in Kremnitz sogar (ganz österreichisch) mäm f. moid-
boeh Mittwoch; mhd. ie wird ei in d eins tag Dienstag; mhd.
uo und 6 wird eo (vergl. ahd. ao für ö): hreo m. Ruhe (gib an
hreo! Laß mich in Ruhe!), teon thun, geot gut, k e o Kuh,
peona Bohne, leon Lohn; mhd. ei = a: baß (weiß), pan
(bein), wläsch, wläsche (Fleisch, Fleischer); daneben baiß
(mhd. wiz), pain (mhd. pin); mhd. ou ist ä; ach (auch), ag
(Auge), hä, liäen (Hau, bauen), gl ab (Glaube); daneben paun
(büen), mauer (müre), vergl. Wtb. 29.
408
Schröer
0 wird u kumm, summe, komme (hier kann das u auch alt
und echt sein wie im östr.) Sommer. Er wird ai, in gain gerne; EN
wird A plüma Blumen.
Besondere Ausdrücke.
ploden (plodern) mingere vgl. Nachtr. 18. drimern pol
tern. Kremnitz; in Kuneschhäu: droimen s. Nachtr. 23. Das dort
übersehene R der zweiten Silbe, das, da ich nur die Infinitivform
gehört hatte, mir entgangen war, erscheint: net droimer eso
poltere nicht!—tschälen mingere vgl. tschulolo Nachtr. 23,
wozu noch pullo oder tullo machen, mingere, zu vgl. ist.
Weinh. Dial. 73, das^gleichfalls jenes Nachtr. 23 besprochene 6
enthält, kn eien (knerren) sich: drücken, quetschen, wehethun;
baim trägen häb ich mich gekneät, auch in Kremnitz s.
Nachtr. 36.
Deutsch-Pilsen (Börzsöny) und Lorenzcn (Vämos Mikola).
Der ältere Name jvon Deutsch-Pilsen war wol Bersen (siehe
oben Seite 395) was hier vielleicht eine Beziehung zu Pergine,
Persen in Tirol andeutet, von wo aus im XII. Jahrhundert deutsche
Leute in die VII comuni ausgewandert sind ; denn die Mundart
von Pilsen besitzt Eigenheiten, die entschieden auf eine Verwarit-
schaft mit jenen Deutschen in Italien hinweist, s. z. B. Nachtr. 21.
— Andere Eigenheiten hat die Mundart von Pilsen mit der des ent
fernten Dopschau gemein (s. Nachtr. 49), was ich daraus erklären
möchte, daß Karpfener, welche zum Theil nach Dopschau übersie
delt sind, zum Betrieb des Bergbaues auch nach Pilsen gekommen
sein mögen, s. Wtb. Seite 126. — Eine Zuwanderung aus Pilsen
in Böhmen mag diesen letzteren Namen aufgebracht haben. In der
Mundartprobe ist eine Sage über die Entstehung von Pilsen mitge-
theilt, die aber wenig Aufklärung gibt. Ich konnte hier und in Loren
zen nur Weniges aufzeichnen und schied mit Bedauern von dem
Orte, wo viel zu sammeln wäre, und das Volk in seinem Wesen
sehr viel Anziehendes hat.
Deutsch-Pilsen.
Die im Folgenden vorkommenden Idiotismen sind bereits im
Nachtr. zum Wtb. verzeichnet und erklärt.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 409
Nach ei nem Gespräche 1858 aufgezeichnet.
Moine aide hurzelpank (Schnitzbank) is zschlitzt, bir meisen
se bide noi machen. Das brett is noch gott, sei is a backers bret,
nur das rössel is gepröchen; dei zung is auch gott. — Benns so
weil bit reignen, so schullen bir dei binterarbet herwornem, dei
wrucht bit al ausbaxen bewor sei ausgetreten ist. Bir haben kane
schoien nech in Pilsen; ligt alles noch own wäld. — In binte
schullen se nach Pilsen körnen, benn di dernle spinnen da geben
dei froinde zäf und komen zäf*und erzälen wo dei webenschenna
prinzen und prinzessenen und singen gaistloch und beltloch und dei
knäwen und knecht hdren zu und bir alden hören bald auch zu. —
Im fasebang 1 ) Bälden dei jungen loite gotten tag. Da meisen zbe
oder droi knecht, dei gott dudelsack tfoifn können mit inen durch
den ort gen und da singen se und sain lustig. — Dei dernle tragen
bei uns zbai hemben, das oin ist das midal, sei ist nur bi e loibal
mit ärmal und auch so kurz, das anner ist das underhemb. — Dei
ärmal sain gestickt mit boken, das hoißen bir bi'emal (Würmlein;
Zierat von roter Wolle gestickt) ode di großen hoißen päm (Zierat
in Form von einem Baume).
Unsere pergwerk haben droi hoier eröffnet, dei soin wo boit
hergekom. Der oin hat gehoißen: Wläschke äbe Fleischer; de
annere Keveperg; der dritte Pilsner. Dei haben gold und silber
gewunne. — Es bil nicht aufhörn zu reignen und banns nicht reigent,
so sivert es doch stets furt. — hanö! bit nu das hoi baxen und das
gauschäch (s. Nachtr. 28)!
Di Pilsener sinn Sachsen und sinn gar bait her gekomn. auf
dem rigikal 2 ) bei Lorenzen bas bir noch den Wrauliof hoißen, dort
ist zuerscht Pilsen gestanne. Da siht man noch aldes gemoier. Das
hat alles einer wrau gehört, darum lioißt es Wrauliof.
Möte, Mute! bir liabn wisch bekommen won Gänach (madjari-
scher Ort in der Nähe); — weimwzen stück backere wischal! bir
£ ) Faschang; (eben so zuweilen auch mhd. Schmitthenner Weigand I, 324) gilt
hier für die ganze Faschingszeit von hl. drei König bis Aschermittwoch, der got te
tag ist wol der Tag vor diesem, der eigentliche Carnevalsjubel vor den Festen.
2 ) Der Hügel heißt in Praben rege! m. deminutiv regala n., in Pilsen rigikal
eine Doppelverkleinerung mit K und AL, die merkwürdig ist. Es erinnert an die
alten Formen huonichlin, tübiclin, hanchli (Tatian altmitteldeutsch)
Schmell. §. 883. Gr. gr. III, 681 , aber das -AL stammt von den Alpen. Gr. gr.
410
S c h r ö e r
schulln sei packen; fl ei äipelsupp häft sich mir nicht (d. i. sättigt
mich nicht; der Bursche hatte zum Mittagmal Äpfelsuppe gegessen,
war aber noch hungrig).
In Lorenzen heißen se di suppe lebet und die bässersuppe:
bassergeschnjell, und gereibenes gerschtel in der suppe: lemmel-
wetzel. Du schollst die supp nicht ausschliten! harr harr! ich bil
dich mucken, ich bil dich nidepaschen! Wlugs bil ich dich be-
tappen! Der herr wate ist grob, das dernal ist lideloch. bir spre
chen pilsnerusch, bail bir nur so schlechta menschen sind.
Kinderlied.
Moin hennal
ist mir estickt
am kaldenberg
im nußkenal.
Hat gewiß Bezug zu einem Märchen. Vgl. das hessische Mär
ehen: Der Tod des Hühnchens Grimm Hausmärchen Nr. 60 und
weiterer Nachweis III, Seite 128 tf. Das Märchen vom Hähnchen
und Hühnchen. Firmenich Germ. Völkerstimmen III, 269, wo das
Hühnchen auf einem hohen Berge an einem Kern erstickt. Diese
Fassung ist aus Hergershausen im Kreise Offenbach am Main.
Bemerkung über die Pilsener Mundart.
Es lassen sich die verschiedenartigen Bestandtheile der
Deutsch-Pilsner Mundart deutlich erkennen. W für F und Bfür W hat
dieselbe wie die von Praben und Kriekerhäu mit dem „cimbrischen“
gemein. Die Endung -usch für -isch, die sich sonst nur in Dop
schau findet, stimmt gleichfalls überein mit „cimbrisch“ os, — us
für—isch. CW. Seite 143 und 152 (wozu der Wechsel zwischen
U und I im md. und nd gegenwärtig am Main, in Anhalt, ober
deutsch in Steiermark zu vergleichen ist. Gr. gr. D, 257. Rückert
Ludw. 160. Weinh. Dial. 57 etc). Ganz eigen der Deutsch-Pilsener
Mundart (unter denen des ungrischen Berglandes) ist die Substan
tivendung — ach in gauschäch, ätäch, Gänäch (vgl. Nachtr.
28), die wol zunächst mit anderem Übereinstimmenden aus dem
„cimbrischen" sein wird CW. 105. Sie findet sich ebenso in Kärn-
then, Steiermark und Tirol. Aus den Alpen stammt wol auch —
lach für — lieh, das im St. Gallischen — lech, im Turgäu —
lach gesprochen wird. Stalderl, 30. ln diese Kategorie gehören
die Pilsener Ausdrücke paschen: niederwerfen Wtb. 33. mucken
schlagen Wtb. 82. liderloch: kränklich 78 in Kärnten. Fromm.
III, 312, Althaiern, Franken, Schm. II, 440. harren: warten. CW.
128 (im ösferr. baier. nicht üblich). Hieher gehört Airächtag
(Dienstag), Tfinztag Donnerstag Nachfr. 21. —Hingegen aus
Pilsen in Böhmen, aus der Oberpfalz mag stammen: schollen
sollen, das Pilsen besonders eigen ist. Ebenso deutet auf md. nd.
Einfluß das Pilsenische gott: gut; möte: Mutter; backer:
wacker. Das tf für p f im Anlaut hat Pilsen, so wie vieles andere, mit
den Krickerhäuer, Gründener und Zipser Mundarten gemein.
Lorenzen (madjarisch Yiiinos Mikola).
Ein völlig madjarisierter Ort; Niemand spricht mehr deutsch,
außer die Alten, und die nur in der Beichte. Das Folgende ist einem
Gespräche mit einem fünfzigjährigen Weibe nachgeschrieben, die
jedoch, weil sie lesen und schreiben konnte, „besser“ als mundart
lich zu sprechen bemüht war.
Of der boin ‘) ist das hoi, in der wörderstüb ist wate un mute,
in der hinnerstüb sin dei kinner un in der kämer ist das puongau-
schäch und krumpiral. — etze tragen dei dernle schnfrl of den
zeppala bi dei ungrischen dernlen, äbe röte schu tragen se nicht
mer. bir baiwer tragen oin midal ebers hemb. bi das aide normal
buch ist wepöten born, da haben dei kinner auch nicht mer doitsch
kalerf. main sun habt noch a pissal kalert. ich her auch pumelech
ald. der stül ist noch wo main wate, zänt äßen ber krautlebet äbe
presenlebet 2 ). presen krumpir äßen ber gern, eck liäb es mit
maine an gasen un mit moine üen gahert. de tia ist gaschlossen äde
das tua ist offen, ech pin wimwzeg jär und ech pin dei praut un de
mute von mainen man, sei ist de hauswrä.
Anmerkung. So nahe Lorenzen zu Deutsch-Pilsen liegt, so
weit beide von den anderen Krickerhäuer Orten entfernt sind (siehe
das Kärtchen), so hatte Lorenzen mit den letzteren doch manches
gemein, was Pilsen nicht hat, z. B. lebet und die III. pers. sing,
her habt; vgl. Nachtrag 31“, 38“.
') Sühne für Dachboden ist der gewöhnliche Ausdruck in allen Mundarten des ungr.
Berglandes.
~) Bas Zeitwort presen und p res ein in der Zips praegeln: schmoren und
einbrennen, das ist: farinam hutyro tostain cibo admiscere. Gr. Wtb. III, 31)7 unter
i
412
S c h r ö e r
Mundart von Deutsch-Praben
(So wird der Ortsname an Ort und Stelle, z. B. auf dem Weg
weiser zwischen Schmidshäu und Deutsch-Praben u. dgl. geschrie
ben; Bel, Korabinsky schrieben Praben; urkundlich ist die älteste
Form Prouna; amtlich ist die madjarische Form des Namens
Nemet üblich, Prdna slovakisch Nemecke Pravvno), und der
nächsten Umgebung.
Diesem freundlichen, schönen Marktflecken von städtischem
Ansehen (mit nahe an 3000 rein deutschen Einwohnern), in der
Neitraer Gespanschaft gelegen, steht jenseits der nahen Grenze
der Türotzer Gespanschaft, ein Windisch- oder Ungrisch-Praben
zur Seite, das noch zu Bels Zeiten zur Hälfte deutsch war. Siehe
dessen notitia Hungariae II, 362. Er scheint den Ort gleichfalls
für ursprünglich deutsch zu halten, mindestens findet er den Bei
satz Windisch nur aus der Notwendigkeit, es von dem andern
gleichnamigen Orte zu unterscheiden, gerechtfertigt.
Die Umgebung von Windisch-Praben ist ganz slavisch, indem
die von Deutsch-Praben deutsch ist, was zur Slavisierung des erste-
ren und zur Benennung von beiden der Grund sein mag. Für eine
mit den ersten Anbauern der Zips, der Bergstätte und des sächsi
schen Siebenbürgens gleichzeitige Ansiedelung in Windisch-Praben,
vom Rheine her, sprechen die alten Ortsnamen von Rudno und Borz-
dorf oder Borczfalva, zwei Orte, die nachweislich schon im XIII.
Jahrhundert (und daher wol auch von ihrer Gründung an) zur terra
Prouna, wie das Gebiet (s. Bel a. a. 0.) von Windisch-Praben in
älteren Urkunden genannt wird, gehört haben. Ich denke bei Borz-
dorf nämlich an die Villa Burz bei Lacombl. Urk. 1. Bd., S. 88
Note. Bourcy zwischen Luxemburg und Lüttich; Bourzen süd
lich von Lüttich (dasselbe?); Bourcithum, Burcium (jetzt ent
stellt Burtscheit) bei Aachen, Förstemann II, 236. Ferner an die
terra Borza in Siebenbürgen (a. 1211 als es Andreas II. den
cruciferis de hospitali S. Mariae verliehen): das Burzen-Land
(bei Peter von Dusburg territorium Wurza, wonach bei Jeroschin
153: ein gebit in Ungirlande W urtzä).
e i n b r e n n e n 3 ). Dies Beigemisch heißt österreichisch - bairisch : die Ein-
I) r e n n. Damit wird in Ermangelung- von Fleischbrühe, Enb renn suppe berei
tet; aber auch Zugemüse, wie Kartoffeln, Kohl u. s. f.
i
■
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 413
Rudno erinnert an das siebenbürgische alte Rodna und Ro-
denau am Rhein, siehe Kachelmann Geschichte der ungr. Berg
städte II, 53.
Die ältesten Urkunden, in denen jedoch von der ursprüng
lichen Ansiedlung auf der terra Prouna, wo Deutsch- und
Windisch-Praben entstanden sind, kaum mehr eine Kunde enthal
ten war, sind zum Theil in Deutsch-Praben verbrannt, zum Theil
verloren. Wir wissen nur, daß Ladislaus Cuman us (1272—1290)
Windisch-Praben dem Grafen Rechk verliehen habe, welches Lehen
der Familie 1293 auf’s Neue mit einem königlichen Diplom bestä
tigt wurde. Bel not. Ilung. 11, 362*). Schedius Zeitschr. für Ungern
II, 43. Feßler Gesch. von Ungern 11, 707.
Ebenso daß Deutsch-Praben von demselben Könige Pri
vilegien erhielt, die Andreas III. gleichfalls (was bemerkens
wert ist) 1293 erneuerte. S.Korabinsky Lexikon Seite 677. Hespe-
rus von 1817. II, 361. Daraus geht hervor, daß Deutsch-Praben
schon damals mit Privilegien begabt, wol schon damals auch die
bedeutendere Ansiedlung war, vielleicht der Stammort. Daß der
Name Prouna aus dem slavischen präwne herzuleiten sei, be
zweifle ich, so sehr auch der jetzige slavische Name Prawno sich
jener slavischen Wortgestalt (die auf die deutsche Form wie sie
geschrieben wird: Praben, Proben, Einfluß hatte) nähert;
mundartlich klingt er jetzt noch Praun, Pröun*).
Jedesfalls ist Deutsch-Praben die älteste aller deutschen An
siedelungen im Neitraer Comitat, die noch bis zu unseren Tagen
deutsch geblieben sind **). Es ist auch seiner Lage und Anlage
nach eine Uransiedlu ng, aus einer Zeit, wo noch die schön
sten Gegenden zum Theil unbevölkert waren, ganz verschieden
*) Die Schreibung' Prouna kann 1293 österreichisch-mundartlich für Brun aha,
Brunä stehn , was nhd. Braune, in der Prabener Mundart Praun klingen muß.
Ob die Örtlichkeit den Namen Braunwasser rechtfertigt, und zwar für die Zeit, als
der Name gegeben wurde, vermag ich nicht zu entscheiden, ob wol es nicht un
wahrscheinlich ist; an einem Flüßchen, Lehmboden, einem in der Wiese verlaufen
den Bach fehlt es nicht.
**) Neitra selbst mag früher schon deutsche Einwohner neben Slaven gehabt haben, von
noch älteren Quaden zu schweigen, ln einer Urkunde von 1236 (abgedruckt Bel not.,
H. IV, 383) werden bei Ghymes: summitates montiuin qui Berch vocanlur, erwähnt
u. dgl. Vgl. Nemes-Pergh, ein Dorf der Neitraer Gespanschaft.
414
S c h r o e r
von den Hauen, die auf steinigem Boden in den Wäldern im XIV.
und XV. Jahrhunderte angelegt wurden, als schon alles ebene Land
vergeben war, s. Krickerhäu. Wenn nun auch von diesen späteren
Colonien nahverwanten Stammes nicht unbeeinflußt, so erhielt
Deutsch-Praben doch mit dieser Verschiedenheit seiner Entstehung
auch manches Eigenthümliche in der Mundart, wodurch es der
der fernen Zips näher steht, als z. B. des nahen Krickerhäu.
Die deutschen Orte, welche in unmittelbarer Nähe Deutsch-
Praben umgeben, sind: Fundstollen, Sehmiedshäu, Gei-
del, Beneschhäu, Betelsdorf und die Zeche; siehe das
beigegebene Kärtchen. Sie gehören der Mundart nach paarweise
zusammen, wie folgt:
Sclimidshäu (Neutrum) und Geidel (Femin.). In beiden
Orten verwandelt sich ausnahmsweise F nicht in W, ebenso in
Munich wies, dessen Mundart der von Geidel, welcher Ort
benachbart ist, sehr nahe kömmt. Geidel zeichnet sich aus durch
sein ä für ä. Siehe Nachtr. 28. Sclimidshäu, Geidel haben auch
mentik Montag, siehe Nachtr. 21 a . Sclimidshäu hatte 1393 Kar-
pfener Recht, Bel IV, 441 f. wie Dopschau, mit dem es das F ge
mein hat.
Beneschhäu (Neutr.) und Betelsdorf (Neutr.), deren
Gründung mit der von Krickerhäu älteren Datums sein soll, als die
von Sclimidshäu. Czoernig Ethnogr. II, 190. Dehnung des kurzen E
(kenn wenn, u. dgl.) und Assimilierung des D nach N (wie in Kri
ckerhäu und in den Gründen) bezeichnen diese Mundart.
Fundstollen (die, plur.) und die Zeche (Fern.). Ein
Diplom für Poruba von 1473 (das die Bewohner Teutonicos
nennt) und ein ähnliches gleichzeitig für die Zeche, auf denselben
Namen ausgestellt Bel. IV, 440, bezeugen, daß diese Orte die jüng
sten der Ansiedlungen um Deutsch-Praben sind. Ihre Mundart
steht nabe zu der von Deutsch-Praben; das ät, das Deutsch-Praben
besonders eigen ist, wird hier völlig zum Vocal ä, wie in Neubau,
s. Seite 400, eine Eigenheit, die in der örtlich so sehr entfern
ten Hopgaarder Mundart noch weiter ausgebildet ist, s. d. oben
Seite 293.
Versuch einer Darstellung’ der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 415
Märchen aus Deutsch-Praben.
Mitgetheilt durch Joseph Richter, Schullehrer daselbst.
1. De a"Jde kroscha.
Amääl bäa’ a kroscha (Großchen, Großmutter) unt ja - kro
scha hat galiät zwa kender: a pibala unt a mädala unt hät si sa an
en kästen ai - gaspert unt hat sa met nußkjen gawittet (mit Nuß
kernen gefüttert), amäät hät sa gasägt: „reckt rauß ’s we - gala
(Fingerlein), e be schä ~ o-r-e schu ~ (ich werde schauen ob ihr
schon) pasch 3 ) sait“. unt hän sa rauß gareckt a heälzala, si hät
ader beder gasägt: „’swe~gala reckt rauß!“ unt hän sa’senn
ägaschnetten unt hät sa sa rausgaläu unt hät gasägt: „a sait sclni~
pasch“ unt hät sa an üwn ai - gahäzt unt hät sa a baegnala (Wä
gelein) ganumma unt hät gasägt: „setzt üf, e her e (ich werd'
euch) ruf unt nä wi’en.“ (auf und abfahren), unt hän sa gasägt:
„setzt i e üf, äälda kroscha, hi e heu e ruf unt nä wien unt est sa
ufgasessen unt hän sa sa ruf und nä gawi et unt hän sa an üwn nai. —
unt bi hea anhäm kuinma est, i e mä ~, hät ar em gawodet zum essen,
unt hän sa-r-em ge wo der kroscha da händ unt hät a sa gessen unt
hät ar gasägt: „das est guts, get mer no!“ unt hän sa-r-em nö ge;
po'-r-e 4 ) schu - da ganza kroscha hatt gawressen. unt hat ar em
’s baib gawodet unt hän sa an stomp 5 ) ä - gazogen unt hän’s em däa 6 )
ge! unt bi-r-a sa hät be ä tn emschlinga est sa-r-em emgewä s In unt
sai ~ jä~ 7 ) zwä kender galäfen unt hät hear enn gabo ä It anä 8 ). da
kender sai~ebe’s basser galäfen unt hi hea ebe'n steg hät gaboält,
est a nai gawä ä In. Vgi. Grimm. Hausmärchen III, 2S (Nr. 18).
Mythol. 898. Bis ins Einzelne übereinstimmend wird das Mär
chen erzählt bei den Siebenbürger Sachsen mit unwesentlichen
Veränderungen. S. Müller siebenbürg. Sagen, Seite 8.
4 ) Vergl. über das I in Praben Nachtr. 37 und From. VI, 2o0. Dieses 1 kömmt vor
in der rhönfränkisch hennebergischen Mundart (wo es auch herslammen wird)
From. VI, 420, in nördlichen Gegenden Schlesiens, Weinh. Dial. 65 , im sieben-
bürg.-säehsischen. Fromm. IV, 401*, 5, in Gotschee. Fromm. IV, 396. Auch in
Westlech-Mundarten findet sich jedoch : feäld, geäld u. dgl. Schmell. gr. §. 533 ;
vgl. noch die Übergänge des L in I und J Schmell. gr. §. 522—525.
2 ) Vgl. g r ö s c h a Nachtrag 30 und gräutecke: Großchen an der Diemel in
Niederhessen. Gr. Gr. III, 677. Das sch wird hier gesprochen wie franz. j in
jamais = slav. z, madj. zs.
416
S c h r ö e r
3) pasch: fett, s. Nachtrag 17, in der Schweiz heißt bischer: kurz und dick.
Stalder I, 139. Vielleicht hieher das unklare: tristan— von dem rukke
(des Hirsches) schriet: den panzen und den pas (das Fett?).
4 ) po’-r-e: bis er, poß für: bis, usque s. Wörtb. 39. Es kömmt im
Luxemburgischen vor in der Form baß, ebenso im Schlesischen und
in der Mundart Nordböhmens Weinh. Dial. 24; zu trennen scheint mir die
Form was, wos: bis Schmell. IV, 169. Wegfall des auslautenden ß (abge-
sehn von dem allgemein verbreiteten lau für lAzen) findet sich im Henne-
bergischen, aber auch, und sehr häufig, in Ostlech-Dialekten s. Fromm.
III, 107, 108, 129. Schmell. §. 662. — Die Einschaltung des euphonischen R, hier
sehr häufig, scheint ostlechischen Ursprungs. Schmell. §. 635. Weinh. Dial. 66.
Fromm. III, 392, 35, 391: 1, 187, 29, 173, 132, 99, 44, 6, 45, 26 I, 290; 2.
Vgl. Gr. Gesch. der d. Spr. 312.
5 ) stomp m. (vgl. holländ. stomp f.) der Stumpf, truncus arboris, ahd. st u mph.
m. basis? GrafF VI, 685, adject. mancus das. Das Wort wechselt in Form und
Bedeutung mit strunk (vgl. truncus) und strumpf, vgl. Wtb. 100; strem p-
chen, Nachtr. 48: stümpchen. Weinh. Wtb. 95: strumpf: stumpf. Schmell.
III, 460. stumpf: strumpf etc. 686: strumpf u. s. f. Vgl. S tr u tt e n =
stufe, Kuländchen. Meinert. 374.
6 ) Diese Anwendung des alten dar, in Pr. so häufig, s. Nachtrag 21, findet sich
namentlich im Westerwald. Schmidt 44: ge dar (gehe hin); geste etz
dar (gehst du jetzt hin)? — Im Süden der Donau nicht, aber häufig im Norden
(Ob er pfalz): ge dar, lauf dar, thu es dar Schmell. I, 388.
7 ) Das Pronomen jener, jene, jenez, das in der bair. Mundart gar nicht vor
kömmt, s. Schmell. II, 268 ist hier sehr häufig; s. Nachtr. 34. Ja es vertritt
sogar den Artikel, wie oben. Im Schlesischen ist die Ausdehnung von jerr,
jene, jeß nicht selten und kömmt jenn öhend für gestern Abend vor.
Weinh. dial. 141. Im Kuländchen leben die Formen j e r r, jenn e, jeß Meinert
403. — A für E unterscheidet hier die Mundart von Pr. von der von Krickerhäu,
s. Nachtr. 34. Es findet sich dies A für E in Türingen Schleicher, Sonneberg.
Seite 5, im Oberharz, Meissen, Erzgebirge, Voigtland, der Lausitz, Schlesien.
Weinh. Dial. 23. Im Ilennebergischen Fromm. V, 266.
Am Mittelmain, theilweise auch im Nab- und Rhöngebiet, Schmell. §. 183.
Die Fälle, wo es am Regen zwischen dem Lech und Inn gehört wird. Schm,
a. a. 0. dürften zu jenen Erscheinungen gehören, welche eine Beimischuug aus
Mitteldeutschland verraten. Die ältesten Beispiele eines A für E sind mnd. bare:
ursus, start: cauda, hart: cor. Gr. gr. I 3 , 254.
8 ) ana. nach, mit dem Ton auf der zweiten Silbe; so auch in Dopschau z. B. ana
schna ib ein nachsprechen. Nachtr. 46 unter's chnaibeln. Es ist eine Zusammen
setzung wie anheim, nach Hause. Fromm. VI, 249 f., wo ich es aus in heim
deutete, wofür ich mhd. enheim und Gr. gr. III, 154 hätte anführen sollen.
Schmell. 1,60 löst es auf in an-heim (was hei der Urverwantschaft von in
und an, die in diesen Formen noch durchzuschimmern scheint, eben nicht weit
gefehlt ist), und führt es an in der Form eheim aus der Oberpfalz I, 60. II, 193.
Ebenso in der Zips, Wtb. 48, ah eim 59. a n ä schlesisch : anaeh, Fromm. III, 250,
54, aus hi nnach. S. oben Seile 378, 29.
2. Das Mickaschelmackaschel 1 ).
Amäl bäa (war) a Mickaschelmackaschel unt est af an päm
gastegen, hat em seäln 2 ) kjestn (Kirschen) flecken unt hät's
em’s paichala zutrennt unt est gänga zum schuster und hät’s em
gewodet (gefordert) a draetel unt hat der schuster gesägt: „ge
mer pjastn (Borsten), be der draetel ge“. unt est gänga zo
der sau: „sau, sau, ge mer pjastn, e pjasten schuster ge, schuster
mia draetel ge, e mia mai Mickaschelmackaschel paichala zu nae~“.
da sau hät gasägt. „ge mer mengsei!“ unt der Mickaschel est
gänga zo der melnerenn: „melnerenn, mellnerenn, ge mer mengsei,
e mengsei sau ge, sau mia pjasten ge, e pjasten schuster ge,
schuster mia draetel ge, e mia mai Mickaschelmackaschelpaichala
zunae-“. unt hät da mellnerenn gasägt: „ge mer basser“. unt est
gänga zum bässermä~: „bässermä-, bässermä-, ge mer bässer, e
bässer melnerenn ge, melnerenn ma etc. etc. unt hät der bässermä*
gasägt: „ge mer mele“ (milch), unt est gänga zo der ku. „ku ku, ge
mer mele, e mele etc. etc.“ unt hät da ku gasägt: „ge mer gräs.“ unt
est gänga zom gräs und häts gefleckt, unt hät's a der 3) ku ge. da
ku hät em mele ge, da mele häts em bässermä- ge, der bässermä-
hat em bässer ge, s’bässer hät’ sa der melnerenn ge, melnerenn
hät em mengsei ge, s’mengsel hät’s a der sau ge, da sau hat em
pjaschten ge, da pjaschten häts am schuster ge, der schuster hät
em draetel ge unt hät’s em sai Mickaschelmackaschel paichala zu
ganaet.
Vgl. Grimm. Hausmärchen Nr. 30 Anmk. III, 57. Kuhn &
Schwartz nordd. Sagen, Seite 358 f. vgl. Seite 509. Firmen. Völ-
kerstimm. II, 62. Fiedler Volksreime 32. Hoffmann schles. Volksl.
Seite 83 f. Wunderhorn 3, Anhang 49 f. Erdelyi magy. nepmesek etc.
*) Dieser Name wurde mir in Praben, als der eines Kobolds bezeichnet, Jungmann
bemerkt zu der cechischen Namensform Mikes: Nix, Niclas, was hier in Betracht
kommen mag 1 .
3 ) seefn (=söln für süln, in Pilsen: schollen) ersetzt in diesen Mundarten
oft werden als Hilfszeitwort des Futurums ; es hat auch hier etwas vom Futu
rum, für: war im Begriff.
8 ) a der ku:derku;a d er me Ine renn, der Müllnerin. Vgl. dera, dereu. s. w.
(= ahd. dero) schweizerisch Fromm. V, 258. Nürnberg. Fromm. IV, 121, ober-
bair. From. III. 175. Koburg II. 432.
i
d
418
S ehr S e
3. Da töta kechenn.
Auiääl bäa a schuälmäster und a pater unt hat jäner schuälmäster
gehät asu weät kender unt nischt hat er en'n gahätzum essen zum ge.
unt da pater hat gawittet (gefüttert) zbä schbai- unt ja schbai- bauten
schu asu sea wäst (feist) unt est em der schulmäster ä~s gange
derstecken po der nacht, unt ’sfns, bi da mäd est gänga witten, est
sa nai galäfen unt hat sa gasägt: „herr, a sehbai-est es (ist uns) wo
reckt.“ unt hat hea gasagt: „sei nä est gänga a Zigän 3 ), ge gasch-
bönd, riff na, der sei s’ em nema. unt af jä~s est der schulmäster
kumaunthätheagawregt: „bä es ?“ (wasists?) unthäthea’s em gasagt.
unt hat der schulmäster gasagt: „überkinte”s(könnet ihr es) je mie
ge!“ unthatderpätergesägt: „getasagaschbend untrifftsazureck unt
nemt i e se-(sen f. sein), unt hat der schulmaster gasagt: „kocke 3 ),
bei es nit essen, mai kender be’ns schu eßn!“ unt hat hea’s’ em
ganumma unt est er anhäm gänga damet. unt hat da kechenn gasagt
zum päter: „der seiet era a gläserena älinrai läßn machen unt si
bol djat nai setzen unt seletn sa Zuschüßen unt seletn sa zum schulmä
ster ’nem trägen und seletn sägen: dä-I-ebölüfmjakenuntersele nischt
ri'en (anrühren): dut denna 4 ) liätt er sea taiera pichet unt er seilet
üf mjaken da s’em nit betn 5 ) da mais wreßn. Unt hat em der schut
mäster’s zämt 6 ) lä än wläscher riffn unt hat er ein sehe lä machen 7 ) jä
schbai-, bjescht hat er em lä machen und äldes gut, zim 8 ) benn e
hätt’ asu a schbai gaschlächt. — untdakechenn hät djat denna ä der
älmrai gaheet (gehorcht); si hät gadächt da sa bä boln °) reden wo jam
schbai-; äder si bän nischt garet. — bi sa wjateg bantn 10 ), unt n)
hän sa-r-enn bjescht gaprätn unt hän sa geßn älla. unt hät da
kechenn a wluch 13 ) gepeßen djat denna unt hät si se kräzt unt hat
der schulmaster gasägt: „get gaschbend jä zunder, dä sai- mais!“
— unt hän sa-r- em ge. unt hät hea jän zunder ä-gazunden unt
hät a na nai- gareckt unt est da kechenn dasteekt unt hän sa da
älmrai anhäm ganumma unt bi sa sa hän üfgamacht da älmrai: unt < 16 )
est da kechenn tuter rausgawaln. unt hät da päter geschbend gascheckt
an schulmäster riffen. bi der schulmäster est kuma unt 11 )hät derpäter
gasägt: „nn, nje 1S ) stell, herr schulmäster, a 14 ) nimet nischt sägt! e
ber e (ich werde euch) schu ge hundet wjatel gati'äd; tit ma sa nje bu
werpoti en! 15 ) unt hät sa der schulmäster ganuma unt hät sa of sain
Versuch einer Darstellung' der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 419
eben i«) gaträgen. unt bi-r-e schu hatt's gaträd gahät, unt hat er da
kechenn po der nacht wom eben rä ganumma unt hat sa zu 3 ) pates
oxen däa gastellt. Bi der kneeht s’fris est gänga witen, est er nai~
galäfen zum pater unt hat gasägt: „e kä je net witen, djat stet unser
kechenn!“ unt hat der pater an schuJmaster läßn riffn unt hat gasagt:
„hi hat a sa denn werpotti’et? dausn stet sa beder penoxn!“—unt hät
der schui’mäsfergasagt: „ehäse je a’s bässer naigabjoffn unt etza essa
schu beder da! wrait 17 ) bei sa no da-r-e me (daß ihr mir) ja oxnselt
ge?!“ — Unt hat der pater gasagt: „sei, nemt se wjat zom taixel! unt
werpotti’et ma sa!“ Unt hat he (da schutmäster)sa beder own eben ge-
trägn. po da nacht hat a sa beder rö ganuma. unt sai nakber hat gahat
a der scheu- bäz. — unt hat a sa a (hat er sie in) ja scheu~naigaträgn.
an sack unt a keedt (einBrotkärlein, Sümperlein) hat ar a (hat er ihr)
a da händ ge. — Bi da nakber sfris est a da scheu- gänga unt hat
a baib pom bäz ste gase-, hat er gasagt; „aha, ätda zauk 18 )! hä
de schu etza, inda hast mer an bäz gastotn, etza hä de häi doch
schu amät gawänga!“ unt hätara äs ge (und hat er ihr eines, einen
Schlag, gegeben); essa emgawätn; unt est er dersc’nrocken unt hat
gasagt: „ach du mai got! etza hä-I-e da kechenn derschlägen, ba
bei e (was werde — will — ich) etza mächen?“ unt est hea gänga
zum schutmäster: „e her e ge liundet gelda unt äch hundet wiett
bäz, tit se nje bu werpottien!“ unt hät hea se beder own eben ga-
trägn unt po da nächt hät a sa ganuma unt hät sa an än säck ai~
gasäckt unt hät a’s em of da äxeln ganuma unt est a gänga met
ara. unt est er kuma zu anem deenerstrauch. a jam Strauch hät
gaständen a säck wut spek, bä da räber hattn gastotn. unt de
kechenn am säck hät a djat däagastett bu der spek hät gastanden.
unt hi da räba sai~ anliäm kuma, hän sa an säck ausgaschettett unt
stäts an spek est da kechenn rausgawäätn. unt hän sa gasagt: „bä
sei ber etza met da kechenn mächen?“ unt hän sa a plendes rös an
a baegnala aUgaspannt unt hän sa da kechenn üfgasetzt unt da
gäßl hän sa-r-a a da händ ge unt äch’s lätsal. unt set bäa just jäam-
reck. unt hän sa jas plenda rös läßn met ara ge~; jas rös est gawäan
zbeschen da tepp unt ja baiber, bä 20 ) da tepp hän werkäft hän ga-
sehrin: ale mladä pani, nech näm tolko skody ne narobjä!
— unt jas rös est hääJ gawäan zbeschen ja gänzen tepp unt hän sa
gaschrin:
cineved’ä slovensky?
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. II. Hft.
28
420
Sehrohr
Unt hau sa deutsch gaschrien: „äder junga wrä, net machen
sa-r-es süwet schaden!“' — Unt hän’s ’ara ans ge. unt essa um-
gawääln. unt bäa sa beder tut. unt hau sa sa ganuma unt hän sa sa
pograben.
1) a s u, so. In der Nähe des Siebengebirges: asu Firmenich I, 511, 3 im Fichtelgebirge
(Sechsämter Mundart) ; asua Fromm. V, 133, 11, 26. In den VII comuni asö cimbr,
Wtb. 172. Fromm. IV, 241, 5. Oberösterr. as o Fromm. VI, 44, 11, II, 92. 47 schle
sisch. as u: Weinh. 7 Fromm. III, 230, 44 in Leipzig ä s u. Firm. II, 238, 8 in Kob
lenz, an der Eifel : e s u, I, 324, I, 502. In Siebenbürgen e s i Fromm. V, 509. In der
Oberpfalz u. s. a —s e Schmell. III, 183 = anse, ich glaube, weil die Form, die ich auf
ahd. e o so: sicut, velut Gr. gr. III, 226 zurückführen möchte (vgl. wio mag wesan
thaz io sö: wie mag das sein „es<V‘? Graff VI, 15) zuweilen mit einem einso
(in dem Mundartlichen ein so ein guter, a so a guter u. dgl.) verwechselt wird. —
2 ) Zigan, Zigun, der Zigeuner, im ungr. ßergl. und bei den Sieb. Sachsen (in säehs.
Regen Zigu, in Schässburg Zegun) steht für Zigan gleich mhd. Polan (der Pole),
dem russ. poln. sl. c i g a n , madj. c z i g ä n y (sprich z i g A n j ’ zweisilbig. nj=franz.
gne). Sonst würde unser Zigeuner wol ein altes Z i g i u n e vermuten lassen.
Die Zigeuner kommen aber erst 1417 in’s Land (erhielten auch 1423 ein Privilegium
vom König Sigmund. Fejer cod. dipl. X. VI, 432) als die Deutschen im ungr. ßergl.
und in Siebbg. schon da waren; wären sie später eingewandert, so würden sie, wie
die Oberdeutschen an der österr. Grenze, die mit Deutschland stets in ungestörtem
Zusammenhänge waren , oder die später eingewanderten Deutschen im Lande,
Zigeuner sagen. —
3 ) koke ist zusammengezogen aus gottgebe, s. Nachtr. s. 29. Gr. gr. III, 74, 772
und bedeutet: nur, manchmal, mit dem Pronomen wer (kockeber) bedeutet es
quicunque. Hier scheint kocker (Zusammenziehung aus k ockeber) und
Wegfall des R (der in dieser Mundart so häufig vorkommt) anzunehmen zu sein.
Also kocker Jemand, irgend einer, kocke — n i t (wie oben) Niemand.
4 ) d e n n a; drinnen. Die Zusammenziehung aus da-inne für das gewöhnlichere d a-
r i n n e kommt vor in der f r ä n k i 8 e h-h e n n e b e r g i s c h e n Mundart Fromm.
111,404,11. II und im alemannische n. Fromm. IV, 543, II, 4. vgl.d Obe, dauß e
(fränk. Henneb.) Fr. II, 172. Wolfram scheint der Form d a i n n e, d i n n e, für
drin ne den Vorzug gegeben zu haben. Parz. 232, 437, 438, 465. In Sonnebei'g
sind beide Formen üblich. Schleicher 59. —
5 ) beln: wollen , drückt hier das Futurum aus.
6 ) szämt. Abends in Krickerhäu zämt. S. Nachtr. 15. —
7 ) sehe ~ li\ machen: schön lassen machen, heißt hier wol soviel als über
brühen, von Borsten säubern und aus weiden, d. i. zum eigentlichen Zerschneiden
herrichlen.
8 ) zim als, in Krh. zum ebenso wie, Nachtr. 50 b .
9 ) wollen, als Hilfszeitwort des Futurums. S. 5.
10 ) bauten waren, s. Nachtr. 47 a .
41 ) unt: dann. Nachtr. 49; es ist schwer zu unterscheiden, wo es und und wo es
dann bedeutet; entschieden in letzter Bedeutung steht es noch einmal unten bei
der Ziffer li b .
12) wlüch, Floh, mhd. vlöch (vgl. lat. p u 1 e x, cechisch blucha, blecha,
b 1 c h a ; russ. b 1 o c h a; poln. pich a, madj. b o I h a : mit fliehen kaum ver-
want , gewiss davon nicht unmittelbar abzuleiten); in der Zips weiblich wie im
altnord, und mhd. bei ßoner s. Wtb. 51.
Versuch einer Darstellung- der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 421
lS ) ner: nur; sonst in Prabe. n j e.
*4) a nimet: Niemandem, scheint aus dem niemand entstanden zu sein, indem da
für (wie so oft in Mundarten) den niemand, ’en niemand, a niemand
wurde (a für ’an, den ist s c h 1 e s is c h. Weinh. Dial. 140). Schwerer (wenn
nicht durch Vermittlung dieses Vorganges) zu erklären ist, das in dem ersten
Märchen, Anmerkg 3, angeführte a der k u, a der melneren, der Kuh, der
Müllnerin.
15 ) werpo li e u (= verpöti-en das letzte E kaum hörbar, w-'-'w), verbergen, ist
zunächst aus dem cechischen pota g j m, ich verheimliche von t a g i t i, verhehlen,
ableugnen, madj-.tagadni (lat. tegere?); Lat. tacere ahd. dagen stimmt
wol nur in der Bedeutung dazu.
16 ) eben (=öbern)f. Dachboden, vgl. Schmell. I, 13. die ober n; der obere
Lagerplatz für Heu und Getreide in der Scheune.
17 ) w r a i t wrailet, ist mir einst in Praben mit freilich erklärt worden, s. Nachtr.
Seite 26. Hier bedeutetes: vielleicht, wofür die Aachener Mundart verlits hat
Müller Weitz Seite 253.
18 ) k e e d X n. die Brotform von Holz (aus Einem Stück wie die Mulde), die man, wenn
sie von Stroh geflochten ist, in Österreich Simp erl, in Baiern Sumper, S ii m-
m e r, Bachsumper (ahd. sumber) nennt. Schm. 111, 249. Ich halte keedf für
ein Deminut. von mhd. kar (nhd. cha r, goth. k a s) in b i n e n k a r, k ä s e k a r
u. s. w. und erlaubte mir daher in der Übersetzung die Bildung B r o t k ä r 1 e i n
(slov. wird k e e d l in der Umgebung von Proben mit waha n [urspr. Wagsehale],
bei Bösing mit opälka [urspr. Futterschwinge] übersetzt).
19 ) zauk f. Hüudinn , ist ober- und mitteldeutsch neben zaupe s. YVtb. 106. Es
kömmt wol allenthalben auch als Scheltwort vor Weinh. 107. Es mag hier und
in Schlesien ein bair.-österr. Eindringling sein, da in Franken, am Rhein, im Rhön
gebiet, in der Pfalz, in Hessen, in Türingen (Schleicher272), die dem nd. nl. teef,
dän. t a e v e, nähere Form zaupe üblich ist (dem alemann. bair. zauke steht alt,
nord. schwed. norw. tik näher).
20 ) ba kann hier für bäs (was, als relat. pron. für alle drei Geschlechter) und für
ba (wo; wie was in Mundarten häutig pron. relat. für alle drei Geschlechter)
genommen werden. Vgl. Schmell. IV, 5, Grimm, gr. III, 183.
21 ) a s u w e r=österr. a s 6 v ü I ist kaum in ein so viel aufzulösen, und mit dem oben
1) besprochenen as u (s. d) zusammengesetzt.
Rednerisches.
1. Das Abdanken nach einem Leichenbegängnis eines
Kindes (vom Vater gesprochen).
Je i) Iibeu watten (Gevattern)! i'e liben nägbern unt alla guta
wraind! i'e wenvänten unt pokänten, bä-l-i’e a main kend hat
helfen ’s letzta ea galätt ge. be bi'e sieh nit kenna pozo ä iu, so
bit’s got am lieme 3 ) pozoätn!
2. Spruch des Todtengräbers von Deutsch-Praben (aus
seinem Munde von mir selbst aufgezeichnet).
Bail bi’e 3 ) bessen da bi'e steäblecha lait sain unt got bat of
diseu menschen di krankhet gescheckt unt si hat nischt 4 ) ä ganüma
sonden 5 ) wa tag zo tag inda stjäcka zu ganüma! sä hät’s gatauet
28 *
422
S c h r ö e r
poß Kristus der herr met saina he ä If ess komma unt hat na gewi"t
a da ebiga wraid unt seligkait! — Je liben watten, i'e liben nagben
unt alla guta wraind! i'e werwänten unt pokänten, di i e a dam äga-
stuobn hat helfen as lezta eägalatt ge: asä bi bi "'s äner am anden
of der beit nit kinna ädinn, so hoffen bi e po got unsen lün zo win
den 6 ). — unt bail bi e beßen da ber sindiga lait sain of der be“tt,
sä mechtech peten, es meg sain gaschen bessentlech äder ubessent-
löch aß er mecht ben hä polädigt: sa pet ech en näma saina djoch 8 ) ta
wimw 9 ) bunden Jesu Kristi, wom e a Itsten paß am jingsten, wom
klensten paß ofs gresta: er bo !i It aso gut sai~ unt’s em werzaihn.
t) i'e, ihr. wird einsilbig' gesprochen, aber so, daß das E, welches liier eine Er
weichung des R ist, gehört wird.
2 ) lieine, Himmel; die Aussprache des iil (h e m e ä L) wird vor Consonanten oft so
zart (vocalisch), daß man es gar nicht hört.
*) b i 'e, wir, wird gesprochen, wie i 'e s. *).
nischt, nicht und nichts; in Krickerhiiu n lischt; im Westerwalde nischt,
n e u s c h t; im Rhöngebiet nischt; ebenso in der Zips. Nur scheinbar slavisch.
s. Wtb. 84, zuvergl. ist ischt, is c ht ik, etwas. Nachtr. 34 in Siebenbürgen äst,
das. in der Zips ischik. Wtb. 6G.
5 ) sonden, sondern; das völlig ausgefallene R vor N, T, das hier überall in den
Nebensilben Auftritt (g a t a u e t gedauert: unsen, unsern; n ä g b e n , nachbern
witen, füttern) bewirkt nur eine deutlichere Aussprache des Yorhergenden e. In
betonten Stammsilben wird er, ärr zu ja (stjacka; gjaten stärker gärten;
tj aff: darf, mundartlichd ä r f; b jaff e n; jat z; nj e: werfen, Ilerz, nurmundartl. n er.
Im Auslaut wird R bei Stammsilben E : i'e, b i ’e (ihr, wir), bei tonlosen Nebensilben er
fast = a: ber (wir), wer (ver), -or (-er). Zu erwähnen ist noch ea (ehren)
und ee in sterblich (wol als Wörter, die sonst nicht üblich sind, in der Mundart
anzusehn). Aber auch fort ist wj a t (von mhd. vür ahd. furi eine älternhd. Form
fürt, die in unserer Mundart fert = wjat wurde); neben dem d u t: dort (ahd-
dara-ot, darot, aber schon frühzeitig deret, wie gegenwärtig md. d ert,
alemann. dort) auffallend ist. Kuneschhäu hat auch d j u t und folgt damit mehr den
mundartl. Formen, djoscht, bjoscht (Durst Wurst) verlangen ein mundartl.
dorst, wo ist; Vgl. 8), werde wird nicht bjad sondern bejwird =: bit;
s. Nachtr. 33, 49.
6 ) lün, lohn; in Kuneschhäu 1 e on (got. altn. laun angelsächs. leän, ahd. lün),
winden, sonst auch (in Prab.) wenden; linden. Dagegen in Betelsdorf und
Beneschhäu (auch in Krh.) und in den Gründen wen na s. Wtb. 42 6 , Nachtr. 42.
7 ) peten, bitten , fällt hier in der Form mit b e t en (ahd. p e t ö n pitjan; cf. got.
bidan, bidjan) zusammen.
8 ) djoch, durch (ahd. d u r ah, d u r i h, du r u h neben d erh). Nicht von diesem
ahd. der h, sondern einem mundartlichen d o rch (zu erwarten wäre d ö r c h aus
ahd. durih mhd. d iircli z. B. in der nid. Crescentia Wack. Leseb. 1, 993, 2. wie
djarr aus dörr, dürre) entstand dies djoch. Die alte Bedeutung, wegen,
um, willen kömmt auch sonst mundartl. vor, Schmeil. I, 393.
9 ) wi in w: fünf, in Krh w ö m w: s. Nachtr. 24.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 423
Aus dem Leben; alltägliche Redeweise.
Von einem Deutseh-Prahener aus der Mundart von Lorenzen (S.4Ü) übersetzt.
Ovvn hsesta ä t est s hm. a der weden stüb est water unt muter.
a der henden stüb sain da kinder unt a der kämer estY wiso ä ün
kraitech unt krumpen. — etza trägen de mädet (mä ril f) schnied ä i
own zeppala bi de ungresclien mädel; äder rüte schuh trägen sa net
mea; bi e baiber trägen a nudala oben hemb. — bi's ä ä lda normal-
pichel est werpöten buen, se :i l hän de kinder ä net mea daitsch ga-
leert <)• Mai sun hat nö grimpät (pessäl) galeert. e be a pumelet
ä ä lt. — der stü ä I est nö wo main wäter. — ’s z’äbend 2 ) (s’zämt)
äßen bi’e krautlebet 3 ) aber presensuppeu; gapresena 4 ) krumpen
äßen bi e geen.
e hä’s met main ägen gasen unt met main üen gaheet.
e pe wufzek jäa unt e pe de praut, unt de muter wo main mä~,
dega est de housfrä. mai ros est staek äde schu~ ä ä lt.
Volksreime.
l.
Schläfj Sefala, schlaf,
dai water est a graf,
dai muter est a edetfrä •
si get net geen zum Sefala sch;\;
schlaf, Sefala, schlaf. Vgl. Wtb. 123.
Gelernt und gelehrt ist in diesen Mundarten: gelehrt. In der bair.-österr.
Mundart wird umgekehrt lernen für discere und docere gebraucht. Schmell. II,
488. Hingegen leren für lernen im nl., von da es in die md. Mundarten überge
gangen ist. Vgl. Schmell. a. a. 0. (an der Pegnitz etc.); im Westerwald, kelohrt
(gelernt). Schmidt 347, in Aachen: liere (lernen und lehren), Müll. Weitz. 141.
— leren für lernen im mhd. (in den Marienlegenden, Stuttgart 1846); lernen
für leren (im Liederbuche der Hätzlerin u. s. w.), s. mhd. Wtb. I, 966.
2 ) In der Mundart von Krickerhäu wird des Morgens mit fris £=friihs) über
setzt; in Praben mit Vorsetzung des Artikels (des) mit: ’sfris. Ähnlich heißt des
Abends in Krickerhäu zabend (wohl nicht aus des [ds = z] entstanden, sonst
müste es z abends heißen), d. i. zu Abend, in Prb. 'sz abend.
s ) 1 ebet (= 1 e b e r t, s. Nachtr. 38) ist eine Art Suppe, die beliebert (s. Gr.
Wtb. I, 1449) ist, vgl. dänisch levret, geronnen, kliimprig. S. S. 386.
4 ) In Aachen bedeutet brösele: durch einanderkochen. Müll. Weitz. 26, bei Schmell.
I, 263. b re sein: brodeln, gelinde kochen. Daselbst ist bröseln: sengen.
424
S c h r ö e r
2.
Schlaf, kobitzef, schlaf,
am gäeten bän da ros
da schbatzn unt da baißen
ben mai Sefala paißen
schlaf, kobitzet, schlaf! Vgl. Wtb. 123.
3.
Am Weihnachtsabend von armen Kindern in Praben vor den
Fenstern gesungen.
Jesulain siß
’sfraist mech a da wiß
e kä net läng ste~
e mu zum nächber ge~
4.
Unser Mechet
met der sechei
get am bäel'd
holz hän;
bat an am knjuen
get anhäm muen,
legt sech of da uwnpänk
lset an wuez
poß am Tucz (Turz, Ortschaft).
5.
Wetter Mechef
komt met der wedel’ (Fiedel),
lät da säten klinga
unt da püben springa
unt da mädn tanzen
bam schena bänzen 1 )!
Übersetzungen.
t. Das Volkslied aus Deutsch-Pilsen, welches Wörterbuch
Seite 125 f. mitgetheilt ist, übersetzt in Deutsch-Prabener Mundart.
Vgl. dasselbe in Krickerhäuer Mundart Seite 398.
Vielleicht eine Erweiterung von brüejen; auf andere ähnliche Formen ist verwies
sen Nachtr. 19. Hier heißt presen (= brosen für brusen?), einbrennen, d. i.
farinam butyro tostam cibo admiscere, vgl. Gr. Wtb. III, 157. So wird die Suppe
(in Ermanglung von Fleischbrühe) „eingebrennt“, so Gemüse, Kartoffeln u. s. w.
*) bänzen plur. Hier die weiblichen Brüste, wird in Praben auch für wanst
und wamme gebraucht. Die Wanze für der wanst (ahd. wanast) deutet
wol auf einen Einfluß des italienischen pancia (aus lat. pantex S. Diez
I, 302).
Versuch einer Darstellung der deutsche» Mundarten des uug. Berglandes. 4<2 O
1. ’s get a mädel häselniiß klauben
’s wris schi-e am tä (im Tau);
bäs hat se gawunden am beg?
ann grinn (einen grünen) häselneßstrauch.
2. Ai häselnuß, ai häselnuß
zbe (weshalb?) pest tu asu gri~ ?
E ste inda am kilen tä (im kühlen Tau)
jä~stbeng (desshalb, jeneswegen) pen ich asu gri~.
3. Ai jonkfrä mai ~, ai jonkfrä mai~,
zbe pest tu asu sehe”?
Ech iiß es wläsch unt trenk na bai~
jä~stbeng pen ech asu sche~.
4. Ai jonkfrä mai~, ai jonkfrä mai~,
bu bcl'st dech däa tumel'n ? (wo willst d. i. wirst du hineilen)
Ech hä stotza pridala
zu den be (werde) ech mech tumel'n.
ä. Ker nje o~, ker nje 6 ~ (kehr nur um)!
tu hast painem (bei ihm) geschlafen
äl dai~ träi unt äl dain ea (Ehre),
häst tu painem galäßen!
6. Ai häselnuß ai häselnuß,
nit worächt (verachte) mer main ea:
ech hä drai stolza pridala
di ben (werden) dech ä hä* (abhaun)!
7. Ai bäens mech am (im) hinter ä
am (im) wiebet (fürwärt==FrühIing) be (werde) ech bide gri sai
unt benn a jonkfrä ir ea werlaist (verleust, verliert)
krigt se’s nimer mea!
8. Unt benn a päm s’läb (Laub) werlaist
so trauen (trauern) alle äst;
ai jonkfrä mai~, ai jonkfrä mai~,
häl x ) (halte) tu dain krenzel wäst (fest)!
9. Hi sei echs denn wäst haln
es biil me je net plai ;
ai hätt ech nje e haibel
won samet unt won said!
l) Sowol in Krickerhäu als auch in Praben gilt fiir halten; haln. Da die Assimi
lation des I in Praben sonst nicht vorkömmt, ist vielleicht anzunehmen, das Wort
halün, holün habe die Stelle von halten eingenommen, wie nilid. beholn.
zuweilen die von behalten.
426
S c h r ö e r
2. Der Deutsch-Uriger.
Dieses Gedicht ist in der Presburger Zeitung vom 5. Februar 1860
in Presburger Mundart erschienen und von J. Richter in Deutsch-
Praben in die dortige Mundart übertragen worden. Obwol die Pres
burger Mundart mit denen des ungrischen Berglandes nichts gemein
hat (sie ist wie die von Pest, Ofen, Ödenburg, Güns u. s. w. die
bairisch-österreichische), so setze ich zum Vergleich das Original
gedicht in berichtigter Schreibung bei; dies um so lieber, als der
Vergleich beider Mundarten durchaus lehrreich ist:
1. Bi e sai~ je Ungen, ’s est je bäa
mia saun ja Ungern, ’s is ja wäa
unt sai ~s schu su we ä J hundet jäa
und sanns scho so vül hundet jäa;
nje reden tu her jäs est gabess
ner reden tammer, des is gwfs
bi uns der schnäbet gabäksen est
wia-r- uns da Schnäbel gwäksen is.
2. E denk der säch gär wc“tmä s t nach:
i teng’ ta säch gäa viilmäl nach
ungresch est gabess a schena sprach:
ungrisch is gwis a selieni sprach:
b e n n ä d e r ä n e r a f in e s c h e ä \ t
wann äwar äna' auv ini sehült
bail e a Sehbäb pe: bi'e (werde)-l-e (ich) be»ld!
wail i a Schwab pin: wir i wüld.
3. Mordelement: e pe a Sehbäb!
Muad öllament: i pin a Schwab!
gläbt mes dä-le ni zigä — t hä
glaupts mias das i’s nia glaugent häb
unt be äch ni zigän’ gläbt mer das
und wia’s nia launga glaubts ma das
beßet, mai se a t net we bäs?
wüst, maina söl a nid fia wäs!
4. Bie hän uns dä schu gaäebet gnug
Mia häm uns dä seho gäawat kmui
zu dem sägt i'c wrailet nischt dazu
dä sägts es fralli nix dazui.
i) zigän m. zigänenn f. der Zigeuner, die Zigeunerinn, vgl. das 3. Märchen: die tote
köchin, Anmerkimg 2. — Daher zigo~en = zigäen: lügen, wie ungrisch
ciga’nykod: er betrügt, slov. ciga’nit: lügen. Ich glaube, daß eben dieser
Ausdruck für leugnen wol nicht glücklich gewählt ist.
Versuch einer Darstellung; der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 427
g e t an an bai ~ gjaten 2 ) seht’s ä ~
gets in an wai — chat schauts (engs) a ~
bä unser ä n e r machen k ä ~ !
was unser äna mächa kä ~ !
b. Wregt bea di sehlessa gamauet hat
frägts wea di kscldessa gmauat häd
bea gapaut hat pida stät?
we’a paut häd bald (d. i. beinahe) an iadi stad
— deräeget sai — mist er net — am ganzen länd
— häab sai measts net — in ganzen länd
da daitscha wlaiß, da daitscha händ!
da taitschi Hais, di taitschi händ!
6. Da teschler, Schlosser, zemmelait
ti tischla, schlossa, zimmalaid,
da bai~ gjalner sai ~ daitscha lait
ti haua sann älls taitschi laid
hu de he sihst ider hämp reger
wo’st (wo du) hf — schaust iada händwerksmä ~
redt daitscb, bai-r-es (weil er es) am pesten kä ~
redt taitsch, wall a’s am pesten kä —.
7. Best er be de 3 ) da pesten pich er macht
wists wer ti pesten piacha macht,
bea’s krestentum hat a's länd gaprächt?
weas kristentum ins länd häd prächt
wo b em er äch’s ä b e c e hat ga 1 e t?
vo wem’s äs äbace (—-—) häbts gleant?
wo uns, drem haber’s (dessen, dafür) lob w erd int
vo-n-uns drum bäm ma lob vateant.
8. E hä an mädjär ember ge en
i häb in (den) mädjer emba gean
su geen bi main ägenstee’n;
so gean — als wia main augenstern;
me kriinkts net benn er eber uns lächt
mi kränkts nid wann ar {war uns lächt
su läng dä-r-e uns net werächt.
so läng äls ear uns nid veräeht
9. Su läng’s net haßt: werwluchter Schbäb
so lang’s nid haßt: vafluchta Schwäb.
2 ) Sonst hörte ich im Sing, gäaten, Plur. gjaten.
S J be de wer da, in Metzenseifen bea de s. daselbst.
etza 3 )bjefst dai waten an stän als grab!
hiatzt 2 ) wiafst dain vädan an stä~ aufs grab!
ba 3 ) da ea ä~ graift ponam setten boet
was d’ea ä~ graift pai sä ann wäat
da gaschits 4 ) am (dem) menschen je asujat(jaso hart)
da gschiachts in (dem, einem) menschen gleiwel (gleichwol) häat.
10. Mai water cst schu läng net mea
mai vädar ist scho läng nid mea
hea spiets net, trest na unser herr;
ea gschpiats nid, tresten unsa hea!
ä d e r h ä 1 e g e s t m e r, j ä’s e s t b ä a
äwa hälich is mia, des is wäa
an em ach ids 5 ) hea a l häa 6 )
an eam ä an iads hä d l häa.
11. Sai gabänt, sai gase, sai red, sai gäng
sai gwänt, sai gscbau, sai red, sain gäng
wergess e mai lebtag net
vagis i nid mai leben läng
unt bensch mer äf der beult nischt mea
und winseh mar af da wöld nix mea
äs zu reden: just asü bi hea_
als z’reden: just aso wia ea.
12. ia beit, e sei me wi'er em Schema?
es wölts das i mi saina scbämm
sei wertauschen sain daitschen näma?
vatauschen sol sain taitschen nämm?
werläken bea mai water bäa
verlaugna wea mai väda wäa?
a mädjär been? barum net gäa!
a mädja wean? warum md gäa!
13. Benn a mädjär ember sagt:
wann ia (je, mit vocalischem Anlaut) a mädjarember sagt:
. 2 ) etza; jetzo für mH. itzu ahd. mhd. iezuoetc.
s ) ha: was. Die Ableitung’ des ba in bawie (was wir) aus dem slav. Wtb. 33 ist
aufzugeben.
4 ) Bezeichnend für beide Mundarten sind die Formen; gaschits, gschiachts.
5 ) Ahd. iowedarer, iowedariu, io wedaraz, wird schon mhd. zu i e d e r,
dafür md. ider, ider (Jeroscb. hat noch iqueder aus dem vollständigeren
ahd. eokawedar), österr. gewöhnlich a n i a d e r (ein jeder ; wobei i rein
vocalisch ist). Die Ableitungssilbe e r (ahd. a r) fällt ganz aus, so daß i o we
daraz zu ids, iads wird.
6 ) Jedes Härlein seiner Haare.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes 429
„ick bin äin däitscher“ benn bei- wregt:
„ick bin Sin dä'tscher“, wämmän (wenn man ihn) fragt,
sa säg ech g abess: der est wer reckt
so säch i gwis: dear is varruckt
unt hat schai ts mer an narr wersclileckt!
und häd schai~ts mia an näan g’schluckt!
14. Unt asii denk e hält a (in) main s e~
und so teng 1 häld in main sinn
benn e werläken bä-l-e pe~
wann i valaugen was i pin
su geschits mer recht benn ider lacht
so gscbiachts ma recht wann iada lacht
unt me af da letzt no gäa weräeht
und mi af d’letzt no gäa varächt
15. An Unger pe-l-e, jäs estra* (rein, klar),
An Unger pin i, des is rai~,
lät me a däitscher Unger sai~;
lästs mi a taifscher Unger sai~" ;
sai je Schläwäcken A am (im) länd
sann ja Schläwäcken a im länd
untjas est no in da ka schänd
und des is imma no kn schänd.
16. Sai älla Ungen, sestje bäa
sann (wir sind) älli Ungern, s’ is ja’ wäa
unt sai’s sehn su weel h und et jäa
und sann’s scho so vül hundet jäa,
hän älla sc hu mem Tjek garäft
häm älli scho min Ti'aken (mit dem Türken) grafft
hän uns jästbeng (trotz dem „jeneswegen“) no ni werkäft
häm uns glaiwel (gleichwol) no nia vakafft.
17. Mädjär, Schläwäck, get da händ
Mädjär, Schläwäck, gebts (hea) di händ
hä“l be nj e zuhäf dä am länd:
häld ma nea zsämm (präv) tä in länd:
legt mer maina red net ebel aus,
legts ma mai red nid iwel aus,
’s plait zbeschen uns, ba sai~ je zhausl
s plaibt untar uns, mia sann ja zaus.
430
S c h r ö e r
Umgebung von Deutsch - Praben,
Beneschhäu.
Beklag ungen.
1. Die Mutter beklagt ihr Kind.
Ach engala mains, kinn mains!
du schena plüm maina!
älla plum sain ufgaplüt!
unt nje tu pist mi - -e zugaplüt!
ach tu mai~got, mai~ got, mai~ göt!
Vgl. Nachtrag 18 unter plum ela, wo ein ganz Ähnliches aus
Krickerhäu mitgetheilt ist, woraus auch ersichtlich wird, wie sich
gewisse stehende Redeblumen typisch fortpflanzen.
2. Desgleichen.
Ach Palla mai~s! träijatzegs kend mai~s! bl sei e de wer-
geßen? ach, benn e pe wo bü anhäm kumma hat e~s glai gasägt:
„ach, muter maina! hu bäät er denn? bü sait er denn rem ganga?“
ach Palla mains, tu laichter 1 ) näma mainer, bä mi-’e asü laicht bäa
zum nenna! Ach e~s hat se mer je genug gebent, wä äner sait of
da annara, paß of da letztastund unt e hä-r-em net kina helfen, paß
da himelväter ess kuma unt da himelmuter! ach e~s hat haal sain
kraiz met gedold getragen! Bi sei e me wan em raißen! bi sei e
me wän em schaiden? ach Palla mains, du guts kend mai~s! ba e
de nimer be wergeßen. Benn e be anhäm kuma bei e mai-Palla
sichen, äder njent wenna! ach du träijatzega plum maina; bä du
mi-e asü schi- - e pest werplit!
Diese Beklagung steht schon abgedruckt in Frommann’s Zeit
schrift VI, 248 (mit Anmerkungen von mir). Wegen einiger ver
wirrender Schreibfehler, die daselbst abgedruckt sind, habeich das
Stück berichtigt hier aufge nommen.
leicht scheint hierfür geläufig-, wolhekannt, traut, gebraucht zu werden. Vgl.
zu dem Ganzen meine Anmerkungen bei Frommann VI, 250.
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes- 431
3. Desgleichen.
Jegala, Jegala mains !
E hä der biwel mal gasägt: du seist ti wi-em rimläfen bitten,
A
unt tu hast mi nit gewolgt! Es hat biwelmal djochs loch 1 ) beln
krichen, unt ’s bäarem inda zo klä: äder das bit em etza schü ganug
groß sai ~!
Ach Jegala mai~, Jegala main! da’ de po got mai wi-epitta!
bist sai~!
E be anhäm kome; e be sen an ans binkel an ändes binkel; an
drittes binkel; an wi -, etes binkel unt be mai Jegala njent mera se~
Schmidshäu.
Volksreime.
1. Schni tt erli ed.
Da hast gasägt, da holst me nerna
bem her ben hä— geiischt gaschneten,
geäscht gaschneten üf gapunden;
da hast gaschneten uf gapunden,
häst me do net ganumma.
2. Wiegenlied.
Hutschi kiind, hutsehi kend
da de net der bolf fend
benn er de boll fenden
bol e de verschlenken (versohlenden ?).
3. Desgleichen,
hutsehi baia längä
der tüd setzt a der stangä
bat a baiß kitala än
hea bei mai kend hä».
Geidel und Münichwies.
Gespräch eines Münichwies ers mit ein e m G ei dl er.
M. Wü wäater dje, vetter Ändräsch ?
G. Da war ech njer am Klüster am vimak (am Viehmarkt im Klo
ster slov. Klastor, madjar. Znio Varallya, Marktflecken nahe
bei Münichwies).
J ) Etwa das Loch in der Mauer eines Hofes zum Abfluß des Unrates, oder dgl. Die
trauernde Mutter ist von der directen Anrede des Toten in II. Person, nach einer
432
S c h r ö er
M. Hat er ischt gakäft ?
G. Ju, mai liba vetter Mäz!
M. Wi täier hat er gazält di oxen?
G. Mai über frai~d, di kosten vel, jas wolt e mer ämäl net wein
gläben da di via (zweisilbig) hundet gelda kosten.
M. Unner derschlä me! jäs ist ju sea täier! e ha am vergangen
wenter am Daitschpraun em zwä hundet unt vjetzeg gelda
oxen gakäft; äder jäs wanten häl oxen! ka settana hat er
gawess nö net gasä~.
G. E freg riet vel dernäch, witte oxen das sai~, wenn es njer
oxen sai, da her r) wet kinna äcken.
M. Ban uns braucht her häl da oxen weneng 3 ) zum sfeld ba-
äabeten (ba-o a beten äs nje ischt zum derhandeln.
— West es do, veter Ändräsch, ban uns wit sfeld nje gahackt.
G. Anu, wäs e’s do, \us bän aich get! — aubi 3 ), äder jäs mü
scliu ä a schlemma habet sai, da ganzen äcker hacken.
M. Anu glä! 4 ) — umi jäuÜ 3 ) — jäs est sette habet, das bold am
wol grau»! °).
Pause, indem sie sich nun erzählend an die Umstehenden wendet, in die III. Person
übergegangen.
*) Das unpersönliche Fürwort man hatte schon mhd. neben man die Formen men,
min, me mhd. Wtb. II, 31. Aber auch wan und (bei ßoner) w e n mhd. Wlb. III,
31 b . Grimm gr. 111,8. Schmeller gr. Seite 124, Anmerkg. hält das mundartliche in er
(=man) für etwa entstellt aus dem Pron. wer. So könnte auch obiges däber
( = daß man) auf eine Übergangsform daß wer zurück weisen. Es erinnert an
schles. ber = wir. Weinh. Dial. 75.
2 ) weneng für wenig, ist mitteldeutsch (Jeroschin. weninc andere md. Schriften
s. mhd. Wtb. III, 559); so wie g e n u ng für genug am Mittelrhein (15 Jahrh.) bei
H. Sachs ; Rosenplut u. s. w. Goethe.
8 ) mhd, o u w i, o u w e; o w i, owe (ahd. a u ! Graff I, 1150) ist nhd. o weil auweh
und a u w e i h geworden. Um Kremnitz hört man häufig auboi! In der Zips au wi
(in auwi Jeichen ! Wtb. 65). Es ist hier überall sowol Ausruf des Schmerzes als
auch der Verwunderung. Auffallend ist, daß mhd. J nicht, wie sonst in diesen Mund
arten, zu A I geworden ist.
4) Vgl. Nachtr. 16, 29.
5 ) u m i, als interj. vor j e u (= ja) ist schwer zu deuten ; etwa entstellt aus ahd. a h
mich! heu me! mhd. ach mich! Gr. III, 297. oime daselbst 296 wird kaum
je populär gewesen sein.
6 ) Schmell. 11,97, findet grauen im Dialekt weniger üblich. Stalder führt das Wort
nicht auf. Es scheint auch schon in früherer Zeit mehr bei md. Schriftstellern
üblich. Vgl. mhd. Wtb. I, 584. In unseren Mundarten bedeutet es E k e l e m p f i n d e n,
grauen, Abscheu fühlen ; vgl. Nachtr. 30.
Versuch einer Darstellung - der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 433
G. Blait an gotts näma 7 ), vetter Mäz!
M Geit scho ä an gotts näma!
Idiotismen aus der Gegend Prabens.
peterseileg m. Petersilie, österreichisch (auch in Pest, Presburg):
p edas öl m.
bjaffen, werfen, sowie stjacka: stärker, j atz: Herz. Denn ER wird
gewöhnlich in betonten Silben zu JA, UR zu JO: dj o s clit: Durst
djoch: durch; bjoscht: Wurst u. s. f.
pleden, plaudern. Vgl. koffen Wtb. 68 1 ', obwol mlid. nur bludern,
plödern, kein ploudem bekannt ist. Es steht für plodern
p lodern und stammt aus Tirol s. Fromm. III, 323.
Brös, das Dorf Brjesztya im Turotzer Comitat. Der Name Bre-
stenhäu Nachtr. 6 kömmt nur in Büchern vor. Der Name ist
vielleicht gleichen Ursprungs mit dem von Bersen (Bürzsöny)
und dem von Briesen.
de ge', dieser (kurzes E, reines G nicht J oder CII). Damit ist zu vgl.
das oberpfälzische: dei, plur. deie Schmell. I, 349.
dj oscht m. Durst. Prb. s. oben bjaffen.
dremel plur. Kopfputz der Frauen aus feiner Leinwand (mlid.
drürnel); nicht so vornehm als die kokal s. d.
tscliibala n. kosewort für kleine Hunde. Prb.
fert wjatt, fort, hinweg, vgl. bjaffen.
fink, wink m. Der Finke.
Wundschein plur. Fundstollen, Chvognice, ein deutscher Ort bei
Praben; W n n d s c h 1 e r m. der Fundstollner.
gälet, golet f. Gallerte (bair. österr. gewöhnlich sulze), besonders
dick geronnene Thierstoffe (Schweinsknöchelchen u. s. w.), mhd.
g all-ei de, roman. galatina.
grain, grai~, der gewöhnlichste Ausdruck für weinen, vgl. raunzen,
zänna und Nachtr. 30.
7 ) Das Lebewol ist hier überall gleich : bleibt in Gottes Namen ! Vgl. Wtb. Seite
122. Es ist diese Grußformel in der obersächsischen Mundart, an der Grenze des
Leitmeritzer und Bunzlauer Kreises Nord-Böhmens zu Hause. S. Firmenich II, 37G 6 :
bleibt a i gotts n o m. Ich vermag nicht zu entscheiden, ob diese Grußformel
aus dein slavisehen (cech.) zustäwejte spane m Bo hem! übersetzt und
herübergenoimnen ist. Vgl. S. 395.
434
S c h r ö e r
gürtel (spr. gjatel) m. rote Gürtel trugen ehedem die jungen
Meister als Sargträger und Fackelträger bei Leichenbegängnissen;
vor SO Jahren die Magistratsräte in Praben.
Heb eg, Hedvig, Hadwiga, deutsches Dorf in Turotz.
liörnlein, heänala n. das Hörnchen; in Pest, Ofen, Ödenburg,
Presburg, Wien u. s. w.: Kipfel,
keäblkraut n. Kerbel, scandix cerefolium Linne.
kibalatzala n. das Füllen. Prb. vgl, Wtb. 72: kobal.
kokal n. die Silberhaube, Goldbaube der vornehmen Frauen in Pra
ben. Manche hat deren mehrere, obwol sie ziemlich kostspielig
sind, doch dauern sie auch mehr als ein Menschenleben aus. Vor
SO Jahren war wol die Mode solcher Goldhauben noch eine weit
verbreitete (da gab es welche unter den Namen Linzer, Pres-
burger Hauben u. dg].). Obiges Wort ist wol = gugel, mhd.
gugele, kugel, kogel, alid. chugela, mlat. cuculla.
län n. Gesammtname der Acker, welche zu den Häusern von Deutsch-
Praben gehören. Ursprünglich = lehen, alid. lehan; vgl.
jäner für jener in Praben u. dgl. m. In der Urkunde, welche
auf die Gründung von Dopschau bezogen wird, heißt es (1326)
possessio quae more teutonico laan dicitur magnum — dann: f ;
duas Iaanas terrae. Wagner I, 448 f. Vgl. oben S. 316.
raunzen, weinen; selten gebraucht, aus dem österreichischen einge
drungen. Vgl. raunzen. Sehmell. III, 98.
sauramm. Sauerampfer, alid. ampfero, mhd. surampfer; sau-
ram ist wol gekürzt aus surampfer.
scheckermelich f. und schleckermelich f. Schlickermilch
Prb. vgl. Wtb. 93 unter schleckern. j
sei, dort, damals. Prb. vgl. Wtb. 97: sei, selb,
speäber m. Sperber. Prb.
stretzet n. geflochtenes Backwerk; in Pest, Ofen, Presburg, Wien.
strizel; vgl. Wtb. 100: strützel.
weisen, pobaisen, bezaubern. Da gewisse fahrende Heilkünstler, die
1827 in der Zips noch in Ehren standen, die Weisen genannt I
wurden s. Wtb. 103% so mag dies Wort damit Zusammenhängen,
weclier bege' (langes e der Stammsilbe, reines g; vgl. oben de ge')
welcher; vgl. weche' Schmell. IV, 61.
zannen, zänna, weinen; nur selten in Gebrauch. Prb. in Münich-
wies = lachen. Vgl. Wtb. 106.
■
Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ung. Berglandes. 43S
zeller m. Sellerie ; in Presburg, Wien: zölla'; bair. zellerer.
Schmell. IV, 250.
Diesen Orten aus der Umgebung von Deutsch-Praben schließen
sich außer Münichwies noch andere drei Orte der Turotzer Gespanschaft
an: Käserhäu (Jassenowe), Brestenhäu (Brjesztya) und Hedwig
(Hadviga). Die Mundarten dieser Orte verhalten sich zu den obenange-
fülirten ganz wie cs ihre geographische Lage vorzeichnet. Käserhäu
hat die Mundart von Beneschhäu; Hedwig und Brestenhäu
stehen näher der Mundart von G ei del; so wurde ich in Deutsch-Praben
belehrt.
Aus Müiiickwiesen s
backen, backen. Die Aussprache des B unterscheidet die Miinich-
wieser selbst von den Geidlern; denn auch hier sagt man packen,
beten, lesen; s. Nachtrag 17, wo fälschlich peten steht,
pritschinkala n. Schublade, slovakisch zu precin, pfecinka,
pfjhrädka Jungmann III, 458.
büchs, biieks f. die Büchse, d. li. das Feuergewehr, die Flinte,
de dje, denn (?), dar (?) : wu wäat er dje, in obigem Gespräch.
flc~,weinen,auchschles. flennen, österr.bair. flena, mhd. vlennen.
fre f. Frau; vgl. kefen, kaufen. Wtb. 68.
gä, geben,
gäscht f. Gerste.
grob, groß, iar schulmäster, ia sait a grober ke-eck
(zweisilbig: ihr, Schulmeister, ihr seid ein großer Knüttel:
tropisch für großer Mann). So sagte man in Mw. zu dem hoch
gewachsenen Schullehrer J. Richter aus D. Praben ; vgl. Naclitr. 30.
ho, angehängt, wie mhd. ä-s. nana.
keeek m. 1. der Knüttel, Prügel, 2. großgewachsener Mann, aus
slav. kygjk Dem. von kyg, keg: die Keule, der Prügel u. s. w.
Jungmann II, 244 f.
ku da ha, e sei ischt met der kausen: komm da her, ich
werde („soll“) etwas mit dir reden!
lesf. die Schrift, Lectüre; was man lesen kann. Vgl. oben beten,
nana m. der Vater; grünana: Großvater; nanahö! so hört man
Kinder aus der Ferne den Vater rufen. Über das Wort vgl. Wtb. 83.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLIV. B d. II. Ilft. 29
436 Schröer, Versuch einer Darstellung-der deutschen Mundarten u. s. w.
sälgut m. der Soldat.
schotten f. trinkbare Schafmolke. In Baiern ist schotten : Quark;
in der Schweiz eine Nachmolke Schmell. III, 416. Ferneres über
den Ausdruck s. Grimm. Gesch. d. deutschen Sprache 1007 f.
länna, lachen, daß man die Zähne sieht, ahd. zannen, die Zähne
zeigen. Graif. V, 673; österreichisch ist zäna weinen; so Pest,
Ofen, Üdenburg, Presburg, Wien. Vgl. oben S. 433: grain.
Abkürz
Bnh. Beneschhäus. S. 414. 430.
Dpseh. Dopschau. S. Wtb. 120.
GdI. Geidel. S. 414. 431 f.
Gin. Gölnitz. S. 299.
Gin. zdr. Gölnitzer Zundrute; ein Ge
spräch in Versen in den Sprach-
proben. S. 334.
Glsh. Glaserhäu. S. 394. 402.
Hw. Hochwies. S. 401.
Knh. Kuneschhiiu. S. 394. 403 f.
Kns. Kniesen. S. 288.
Kremn. Kremnitz. 401 f.
Krh. Krickerhäu. S. 394 ff.
Ksm. Kesmark. S. 283.
Lrz. Lorenzen. S. 409.
Ltsch. Leutschau. S. 281.
Mw. Münichwies. S. 262. 404. 414.
435.
ungen.
Mzsf. Metzenseifen. S. 375 ff.
Nachtr. Nachtrag zum Wtb. der Mund
arten des ungr. Berglandes. S. 253.
Pdl. Pudlein. S. 289.
Pis. Pilsen. S. 408.
Plsch. Paulisch. S. 401.
Prb. Praben. S. 412 ff.
Schemn. Schemnitz. S. 299.
Smh. Schmidshäu. S. 414.
Sm. Smk. Schmölnitzer k äl i b e, Lust
spiel aus Sm. in den Sprach-
proben. S. 299. 349.
Stss. Stooß. S 368.
Trh. Trexelhäu. S. 399.
Wgdr. Wagendrüssel. S. 332.
Wtb. Wörterbuch der deutschen Mund
arten des ung. Berglandes s. S. 253.
Zps. Zips. Zpsl. das Zipserlied. S. 278.
Berichtigungen.
Zu Seite 234, Zeile 18 v. u. statt Seite 293 lies : 303.
* „ 2S3 „ 14 „ „ B a r t s c h lies : B a a t s c h.
„ „ 303 „ 16 „ „ ungr. Bergmannssprache lies: d eut 8 c hu n g ri s c h e B.
„ „ 306 bi rsche S. Wtb. 36.
Nil'/.iinosb.ii. k^Akatl.il \V. philos. histor.fl. XLIV.Bd. 1863.
Phillips, Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
437
SITZUNG VOM 18. NOVEMBER 1863.
Der Präsident der Classe Herr v. Karajan theilt eine Note
des hohen Curatoriums mit, worin angezeigt wird: „Dass bis zum
1. Jänner k. J. das Curatorium der Savigny-Stiftung zu Berlin seine
Wirksamkeit damit beginnen könne, dass es der kais. Akademie
der Wissenschaften in Wien die Zinsen des Stiftungsvermögens für
das laufende Jahr zur Verfügung stellt.
Vorgelegt:
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
Ein Beitrag zur Geschichte der vorgratianischen Rechtsquellen.
Von dem w. M. Hofrath Phillips.
Einleitang.
§• 1.
1. Beschreibung der Handschrift.
Die Pergamenthandschrift, welche die Bibliothek des Benedic-
tiuerstiftes von St. Peter zu Salzburg unter der Signatur IX. 32
(ehemals X. 28) aufbewahrt, enthält eine nicht unbeträchtliche
Anzahl kirchenrechtlicher Quellen aus der vorgratianischen Zeit.
Unter diesen ist die jüngste dasConcilium vonErfurt vom Jahre 932.
Der Codex selbst gehört, wenn nicht dem Ausgange des zehnten,
so doch spätestens tem Anfänge des eilften Jahrhunderts an und
ist von verschieden Händen, durchweg sehr leserlich und deut
lich geschrieben. Der Umfang der Handschrift ist nicht unbedeu
tend; sie zählt achtundzwanzig Quaternionen zu acht Blättern in
29*
438
Phillips
einem kleinen Folioformat. Die Quaternionen sind, jeder an seinem
Ende , mit I — XV , und dann in einer neuen Reihenfolge, hieran
anschliessend, mit I — XIII beziffert. Abgesehen von andern Grün
den, kann man sich schon aus jener Doppelreihe von Quaternionen
davon überzeugen, dass hier zwei ursprünglich für sich bestehende
Codices mit einander zu einem Ganzen vereinigt worden sind. Leider
fehlen in der ersten jener Reihen zwei Blätter, nämlieh das vierte
und fünfte des dritten Quaternio, wodurch eine erhebliche Lücke
entsteht. Auch in der zweiten Reihe zählt ein Quaternio , nämlich
der zehnte, statt acht nur sechs Blätter; auf den ersten Anblick
scheint hier Nichts an dem Inhalte zu fehlen, eine nähere Betrach
tung belehrt jedoch von dem Gegentheil. Es beläuft sich demnach
die Gesammtzahl aller Blätter auf 220 (statt 224); es sollen jedoch
im Nachfolgenden die fehlenden Blätter: 20, 21, 195 und 197 mit
gezählt und die Rückseite der einzelnen Blätter durch Hinzufügung
des Buchstabens a bezeichnet werden. Fast hat es den Anschein,
als ob man in der Zerlegung der Handschrift in mehrere Codices noch
weiter gehen und annehmen dürfe, dass auch der erste jener beiden
Bestandtheile aus der Vereinigung zweier verschiedenen Hand
schriften hervorgegangen sei; dies müsste dann aber vor der Be
zifferung der Quaternionen stattgefunden haben. Es wird sich wei
ter unten Gelegenheit bieten, auf diesen Gegenstand zurückzu
kommen. Noch möge bemerkt werden, dass die Handschrift bisher
noch nicht benützt worden ist, ausser dass in neuester Zeit Hin-
schius in seiner Ausgabe des Pseudo-Isidor ')> auf Grund einer Mit
theilung Kunstmann’s darauf Rücksicht nimmt; es beschränkt sich dies
jedoch auf die darin enthaltenen Capitula Angilramni. — Verzweifelnd
und über die monatlange vergebliche Arbeit betrübt, hatte vor etwa
sechzig Jahren der fleissige Ordensmann, welcher damals den
Katalog der Handschriften des Klosters von St. Peter verfertigte,
den Codex bei Seite gelegt, dessen Autor und Inhalt ihm räthsel-
haft geblieben waren. Sehr viel Zeit, ebenfalls Monate, habe auch
ich auf diese Handschrift verwendet, und wenn es auch nicht gelang,
jedes Räthsel, welches dieselbe bietet, zu lösen , so konnte doch,
da der Wissenschaft jetzt weit bessere Hilfsmittel geboten sind, als
damals, viel Interessantes ermittelt werden.
i) Diese konnte hier noch nicht benützt werden.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32..
439
§• 2.
Titel der Handschrift.
In neuerer Zeit, wohl erst vor wenigen Decennien, ist diese
Salzburger Handschrift auf einem auf dem Rücken des Einbandes
geklebten Papierstreifen mit dem Titel:
Cresconii Opera
versehen worden; jedenfalls nicht zutreffend, da Cresconius zwar
verschiedene Werke geschrieben hat, von diesen aber nur seine
Concordia Canonum auf unsere Zeit gekommen und auch nur diese
in unserer Handschrift enthalten ist. Ausserdem führt der Codex
eine vermuthlich aus dem fünfzehnten Jahrhunderte herrührende
nur mit Mühe zu entziffernde Aufschrift; sie ist ebenfalls auf einem
Papierstreifen auf die Vorderseite des Einbandes geklebt und lautet:
Decreta presulum romanorum conciliorumque generalium atque
specialium floseuli Cresconii ferrendique laudanda opuscula.
Diese Bezeichnung der Handschrift ist aber nur ein Auszug
des Inhaltes ihres Titelblattes, auf welchem mit rother Tinte
geschrieben steht:
Hie libellus continet floseulos ex deeretis ceu vernantibus pratis
presulum romanorum conciliorumque generalium nee non et specia
lium apostolica auetoritate roboratorum vel etiam quorundam ortho-
doxorum patrum dictis defloratos ob varia huius quoque temporis
incommoda humane imbecillitati imminentia quid cuique in ecclesiasticis
sit agendum faciendumve negotiis dosignantes; non minus quoque cres
conii ferrendique ut dicunt laudanda continens opuscula ad commoditatem
legentium utilitatemque minus intelligentium pariter inscripta.
§• 3.
Kurze Übersicht des Inhaltes.
Ausser der Concordia Canonum des Cresconius enthält die Hand
schrift von St. Peter noch eine Anzahl anderer kirchenrechtlicher
Quellen, aus denen hier zunächst folgende hervorgehoben werden
mögen: Eine Sammlung spanischer und gallischer, beziehungsweise
fränkischer Concilienschlüsse; mehrere Briefe des Rhabanus Maurus
und verschiedene Auszüge aus Werken einzelner Kirchenväter und
aus päpstlichen Decretalen; eine andere Sammlung von ausschliess
lich gallischen (fränkischen) Concilienschlüssen; der Pittaciolus
des Hinkmar von Laon, in welchen aber noch verschiedene andere
Stücke eingeschaltet sind; hieran wird dann noch eine grosse
Menge anderer Canones, im Ganzen ziemlich unsystematisch an-
440
Phillips
gereiht. Darunter befinden sieii mehrere die Ehescheidungs-
sache Lothar’s II. und die Angelegenheit der beiden Erzbischöfe
Günther von Cöln und Theutgaud von Trier betreffende Stücke,
viele Capitula Angilramni, nicht minder werden auch hier, wie an
anderen Stellen der Handschrift, manche Canones der Concilien von
Melun (845), Rouen (?)und Tibur(895) mitgetheilt, die sich in den
bisher bekannten Sammlungen nicht vorfinden; unsere Handschrift
tritt hierin, wie in manchen anderen Puncten, demCod. Darmst., wel
chen Wasserschieben (Beiträge zu den vorgratianischenRechts
quellen) benützt hat, sehr nahe. Dem letzten Canon der Handschrift,
den sie einem toletanisclien Concilium entnommen hat, geht merk
würdiger Weise eine Anleitung zum Gebrauche der Runenschrift
voraus. Den Schluss des Ganzen bildet die bekannte Regula for-
matarum: „Graeca elementa literarum etc.,“ während schon auf
der Rückseite des Titelblattes sich eineFormata des Bischofs Ruod-
hert von Metz an den Erzbischof Wilibert von Cöln findet; da jener
seinen bischöflichen Stuhl von 883 — 905 einnahm , dieser das
Amt des Metropoliten von 870 ■— 889 bekleidete, so muss diese
Formata zwischen 883 und 889 verfasst sein.
Die nachstehende Erörterung der verschiedenen Bestandtheile
dieser wichtigen Handschrift wird es im Einzelnen mit folgenden
Stücken zu thun haben:
§. 4—7.1. DieConcordia Canonum desCresconius (fol. 2—94).
§. 8—14. II. Sammlung von Canones spanischerund gallischer
Concilien (fol. 95 —120).
§. 15. Anhang. Excerptum Bedae (fol. 120").
§. 16—19. III. Liber Canonum (aus Rhabanus Maurus; fol.
121—153).
§. 20. Anhang. Ein Can.Tribur. u. Epist. Joann. X. (fol. 153").
§. 21. IV. Sieben Excerpte aus Augustinus und Gregorius
(fol. 154—156).
§. 22. V. Zwei oder drei Canones Triburienses (fol. 156).
§. 23. VI. Canones Synodi Romanorum ad Gallos episcopos
(fol. 157—161").
§. 24-25. VII. Diversae sententiae Canonum (fol. 161"—170).
§. 26. VIII. PraeceptaS. Clementis Episcopi (fol. 170—171").
§. 27. IX. Excerpte aus Isidor (fol. 171"—172").
§. 28. X. Ex decretis Vigilii papae (fol. 172").
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32. 441
29. XI. Der Pittaciolus des Hinkmar von Laon (fol. 172"
bis 194“).
§. 30—32. XII. Ex dictis sanetorum Patrum etc. (fol. 194”
bis 198). — 27 Capitel (Capit. Addit. I; fol. 198 — 204“).
§. 33. XIII. Conventus Ticinensis (fol. 204“—208).
§. 34—36. XIV. Capitula Angilramni (fol. 208—212).
§. 37. XV. Eine Decretale Hadrian’s II. (fol. 213).
§. 38—45. XVI. Eine Sammlung von 61 Capiteln (fol. 213
bis 224).
§. 46 XVII. Ein Runenalphabet (fol. 223“).
I. Die Coucordia Canouum des Cresconius.
(fol. 2—94.)
\. Fcrrandus und Cresconius— Breviatis und Concordia
C a n o n u m.
Auf Veranlassung eines afrikanischen Bischofs, welcher in un
serer Handschrift Liberius, sonst meistens Liberinus genannt
wird, verfasste Cresconius oder Crisconius, dessen Amts
bruder, etwa um das Jahr 690 sein als „Concordia Canonum“ be-
zeichnetes Werk. Diesem war in der Hälfte des sechsten Jahrhunderts
eineArbeit desDiakons Fulgentius Ferrandus oder Ferrendus
(wie er hier genannt wird): Breviatio Canonum oder Breviarium
canonicum vorangegangen. Dem zuerst genannten Bischöfe schien
diese aus dem Grunde ungenügend zu sein *), weil darin die Texte
der citirten Concilien nicht auch mitgetheilt waren. In der That hat
Ferrandus nur ein nach Materien geordnetes Verzeiehniss geliefert.
Ein solches hat Cresconius seiner Concordia ebenfalls vorangestellt;
dasselbe gehört aber als Inhaltsverzeichniss zu dieser und ist, wie
auch unsere Handschrift zur Genüge zeigt, nicht als ein selbststän
diges Werk von ihr zu unterscheiden. In dem vorliegenden Cod.
Salisb. zählt jene 301 nicht 300 Titel; ersteres ist das Richtige,
indem sich deutlich wahrnehmen lässt, dass nach der gewöhnlichen
i) Cod. Salisb. fol. 3. — Quamobrem antefati viri laude praelata necessarium duxi
profectui subserviens parvulorum iuxta vestrum imperium cuncta ecclesiastiea ut
dictum est, constituta quae ad nostram noticiam perveneruut in hoc opere sub
titulorum Serie praenotare et ea condiscere valentibus et volentibus dubitationis
ambagem auferre , ut eorum plena instructio non ex difficultate scriptoris sed ex
dissidia iam dependat lectoris.
442
Phillips
Zählung der Titel 288 unserer Handschrift nicht mitgerechnet, son
dern dem Titel 287 angehängt wird. Leider fehlen in dieser, wie
oben bemerkt wurde 1 ). zwei Blätter, auf welchen ausser einem
Stücke des dritten Titels, der vierte bis neunte und der Anfang des
zehnten Titels sich befanden 3 ).
§• s.
2. Varianten des Codex Salisburgensis.
Bekanntlich hat Cresconius Nichts mehr gethan, als die Samm
lungen des Dionysius Exiguus systematisch verarbeitet. An mehre
ren Stellen, an welchen der Text des Cresconius bei Justeau sich
von Dionysius entfernt, hat unsere Handschrift meistens die Dionysi
sche Lesart 3 ), doch weicht sie auch hin und wieder von beiden ab;
so hat sie im Titel 18 in dem Decret Leo’s (Epist. 14. ad Anastas.
cap. 9. De clericis transfugis 4 ); s. Migne Tom. LIV, col. 674),
welches den Bischöfen verbietet, fremde Kleriker zu weihen , die
viel bessere Lesart allicere für abjicere. Es zeigt sich dasselbe auch
bei den Briefen anderer Päpste, in welcher Hinsicht Tit. 60. Ex
decretis Papae Innocentii. tit. 57 (Epist. 17. cap. 4; vergl. Cap.
Veniam. 5. C. 35. Q. 9), noch als Beispiel dienen möge. Dagegen
stimmt unser Codex wieder mit Dionysius darin überein, dass er in
Tit. 109 die in dem gedruckten Texte nur von dem Herausgeber
eingeschalteten Worte aus dem Conc. Sard. c. 11 (requirat et
illud etc.) ebenfalls wiedergibt; andererseits hat er in Tit. 195 mit
jenem Texte in dem zunächst an die Bischöfe Campanien’s, Picenum’s
und Tuscien's gerichteten Briefe Leo’s des Grossen, ebenfalls die
Überschrift: et per universas provincias constitutis (episcopis).
§• 6.
3. Eingeschaltete Capitel.
Bemerkenswerth sind aber auch einige Einschaltungen , die
sich in unserm Codex im Gegensätze zu der gedruckten Ausgabe
vorfinden:
1. Unmittelbar nach dem gewöhnlichen Titel des Cresconius
(Hie habetur Concordia Canonum Conciliorum infra scriptorum prae-
!) S. oben S. 437.
2 ) Bibliotheca juris canonici. Tom. I. App. p. XXXIII. Rin Wiederabdruck bildet sich
bei Migne, Patrolog. Cursus complet. Tom. LXXXVIII. col. 829 sqq.
3 ) Z. B. in Tit. 3 Decr. Siric. statt nec saltu hat die Handschrift mit Dionysius: nec
statim 6altu.
4 ) Vergl. Can. Alienum. 1. C. 19. Q. 2.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
443
sulum etc.) lässt unser Codex folgen: Responsio Athanasii Alexan-
drini Episcopi de sua fide. Patrem et filium et spiritum sanetum
deitate potestate magnitudine. Natura unum esse confiteor. Nee ali-
quid in hoc trinitate novum extraneumve ac si antea non fuerit
postea vero adiectum sit assero, sed ut dicimus eam naturae uniusque
substantiae credo. Hieran schliessen sich folgende Distychen:
Concilium sacrum venerandi eulmina iuris
Condidit ct nobis congrua frena dedit
Ut bene fundatus iusto moderamine possit
Intemerate gerens clericus ordo regi
Pontifices summi veterum praecepta secjuentes
Planius haec monitis exposuere suis.
Hinc fidei nostrae se pandit semita et omnes
Errorum dampnant dogmata sancta vias
Quisque dei famulus fuerit christique sacerdos
I-Ioc sale conditis duicia mella fluit.
2. Im Tit. 2. folgt auf das Decret. papae Coelestini ein Capitel
unter der Inscription: De electione episcopi ex Decr. Leonis c. 36,
und zwar die Worte: Metropolitana vero defuncto bis ex diaconis
optimus eligatur. Dasselbe kommt auch bei Dionysius vor!).
3. Hieran reiht sich eine kurze Stelle aus dem Briefe des hei
ligen Hieronymus an den Nepotianus (Epist. 52. cap. 6. Migne,
Tom. XXII. col. 533): Gloria episcopi pauperum opibus (al. inopiae)
providere, ignominia sacerdotis propriis studere divitiis (vergl. Can.
Gloria. 71. C. 12. Q. 2); an diese schliessen sich dann die be
kannten Worte an: noverint se episcopos esse, non dominos. Scitum
est illud oratoris dominici: cur ego te habeam ut principem, cum tu
me non habeas ut Senatoren!.
4. Im Tit. 3 folgt auf die erste Decretale des Papstes Gelasius,
welche mit dem Worte „devotio“ endet, ein ebenfalls bei Dionysius
befindliches Capitel-), welches die Überschrift hat: De electione
sacerdotis ex decretis Leonis Papae, cap. 49, und zwar die Worte :
Miramur (\) i o n. Mirantes) tan tum apud vos bis si quod requiritur
in corpore, non invenitur in capite, und dann mit Auslassung eines
beträchtlichen Stückes : Unde si qui episcopi bis immerito praesti-
terunt 8 ). Das nunmehr folgende Capitel hat trotz dieser Einschal
tung die Überschrift: Ex decretis papae ejusdem tit. 4, was sich
jedoch nicht auf Leo , sondern auf Gelasius bezieht, wodurch die
Interpolation um so kenntlicher gemacht wird.
*) Migne. Tom. LXVII. col. 294. 3 ) Migne 1. c. col. 298. 3 ) Migne 1. c. col. 305.
fl
444
Phillips
5. Im Tit. 96 folgt auf das dem Co ne. Anti och. entnommene
Capitel die Epistola Leonis Papae de privilegio chorepiscoporum
siYe presbyterorum; ad universos Germaniae atque Galliae eccle-
siarum episeopos. Es ist dies der bekannte unechte Brief Leo’s *),
der hier nur in einigen unerheblichen Puncten vom Pseudo-Isidor 3 )
abweicht; wichtig ist nur folgende Verschiedenheit: Pseudo-Isidor
hat seinem Briefe bei den Worten: nee plebem utique exhortari
einen Bestandteil des echten Briefes Leo’s über die Causa Lupicini,
beginnend mit den Worten: in eos specialius et propensius commo-
vendi, angehängt; dagegen lässt der Cod. Salisb. nach einer
kleinen Umänderung jener Worte in: nec plebem exhortari firmiter
sancitum est, Nachstehendes folgen: Unde in epistola Anacleti
Papae sic scriptum reperitur. Episcopi apostolorum, preshyteri vero
LXXta discipulorum locum tenent et amplius quia isti duo ordines
sacerdotum nec nohis collati sunt, nec apostoli docuerunt. Diese
Worte finden sich in dem pseudo-isidorischen Briefe Anaclet’s
Benedictus Deus wieder 3 ), ohne dass darin die Chorbischöfe,
obschon sie angedeutet sind, genannt werden. Immerhin bleibt es
auffallend , dass die einzige aus dem Pseudo-Isidor entnommene
Interpolation sich auf die Chorbischöfe bezieht, gegen welche ge
rade um die Mitte des neunten Jahrhunderts der allgemeine Angriff
gerichtet wurde; doch möge bei dieser Gelegenheit daran erinnert
werden, dass jener unechte ßridf Leo’s schon älter ist als der
Pseudo-Isidor.
§ ?•
4. Der Cod. Salisb. enthält kein Werk desFerrandus.
Während auf dem Titelhlatle des Codex die Werke des Cres-
conius und des Ferratidus erwähnt werden, heisst es auf fol. 94“
am Ende: Explicit über eoncordiae canonum Cresconii ad Liberium,
ohne dass von Eerrandus irgend weiter die Bede wäre. Es ist kaum
anzunehmen, dass de Abschreiber das Inhaltsverzeichnis des Cres-
conins für d e Breviatio Canonum des Eerrandus gehalten habe; er
würde dann auch den letzteren zuerst genannt haben. Es entsteht
daher die Vermuthung, dass der Codex ursprünglich nach der Con-
cordia des Cresconius au- h noch die Arbeit des Eerrandus enthalten
habe. Soviel ist mindestens al« gewiss anzunehmen . dass zwischen
') Mjgne. Tom. LV. col 7Ü7. 2) M i g n e. T CXXX. eol. 880. 3 ) M i g n e 1 c. eol. 76.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
445
dem Schlüsse des Buches des Cresconius und dem nunmehr nach
folgenden zweiten Bestandteile der Handschrift eine Lücke ist.
II. Sammlung von Canones spanischer nnd gallischer, beziehungsweise
fränkischer Concilien.
(fol: 95—120.)
§. 8.
t. Lücke in der Handschrift. — Die Buchstaben De H. S.
Ohne alle Überschrift reiht sich in unserer Handschrift mit
fol. 95 an Cresconius eine andere Canonensammlung an; nur am
Rande befinden sich die Buchstaben De R. S. Die Sammlung beginnt
mit folgendem Capitel: Si quis de uno pago vel episcopatu etc. Das
erwähnte Blatt lässt, indem es stark abgegriffen und viel gelber als
die vorhergehenden und die nachfolgenden ist, eben aus diesen
Spuren vermuten , dass es eine Zeit lang selbst das erste und
äusserste (aber wegen jenes Anfanges doch wiederum ursprüng
lich nicht das erste) einer von dem den Cresconius enthalten
den Codex verschiedenen Handschrift gewesen ist. Es liegt daher
die Vermutung nahe, dass schon die erste Abtheilung des Codex
Salisb. aus zwei ursprünglich verschiedenen Codices zusammen
gesetzt sei. Der zweite Codex würde dann bis fol. 120 gereicht
haben; die Rückseite dieses Blattes ist wie die Vorderseite von
fol. 95 gelber und abgegriffener als die andern. Man hat daher hier
eine Sammlung vor sich, die in Folge des Verlustes ihres Anfanges
unvollständig ist. Über die Bedeutung der Buchstaben De R. S. lässt
sich nur eine Vermutung aufstellen. Der Verfasser des etwa vor
sechzig Jahre angefertigten Handschriftenkatalogs von St. Peter hat
an De ReScriptis gedacht; eher noch könnte man auf De rebus
sacris oder synodalibus verfallen; viel wahrscheinlicher aber ist es,
dass hier der Gedanke an eine Romana Synodus vorgeschwebt hat.
§. 9.
2. Eintheilung der Sammlung.
Nicht blos zur leichteren Übersicht ist hier diese Sammlung,
die im Ganzen 190 Capitel zählt, in drei Theile zu zerlegen, son
dern sie besteht wirklich aus drei wesentlich von einander zu
unterscheidenden Bestandteilen. Diese sind:
A. Cap. 1 —14,
B. Cap. 15 — 140,
C. Cap. 141 — 190.
446
Phillips
Von diesen dreien Bestandteilen entsprechen sich der erste
und dritte viel mehr unter einander, als jeder von beiden dem zwei
ten; darin unterscheiden sie sich aber wiederum einer vom andern,
dass in dem ersten Abschnitte die Capitol (mitAusschluss des ersten)
nach der Quelle bezeichnet werden, aus welcher sie geschöpft sind,
während dem Abschnitte C nur Eine Überschrift vorausgeht; der
Abschnitt B enthält mit Ausnahme einer Interpolation keinen Canon,
der jünger als das zehnte Concilium von Toledo (636) wäre, wäh
rend in A und C sich zum grossen Theile nur Canones des neunten
Jahrhunderts finden.
§■ io-
A. Der erste Tlieil der Sammlung.
Die vierzehn Capitel des Abschnittes A sind folgende:
1. Das erste Capitel hat kein Bubrum , welches, wenn sich
nicht die Buchstaben De B. S. hierauf beziehen, am Ende des muth-
masslich verloren gegangenen Blattes gestanden haben möchte,
foi. 9ä Si quis de uno pago vel episcopatu in alium pagum vel epis-
copatum adveniens incestuose polluerit vel aliud aliquid scelus
commiserit, potestatem habeat episcopus, cuius illa parroechia est,
peccantem coercere ad poenitentiam. Es ist dies in etwas veränder
ter Gestalt der Canon, welchen Wasserschieben, „Beiträge zur
Geschichte der vorgratianisehen Bechtsquellen“ S. 179. Nr. 23 aus
einem Darmstädter Codex mitgetheilt hat. Darnach gehört er als
eines der früher nicht bekannten Capitel der Synode von Triburvom
Jahre 893 an. Es ist daher um so mehr zu bedauern, dass der An
fang dieser Sammlung verloren gegangen ist, indem man sonst viel
leicht noch Einiges hätte finden können, was zur Erläuterung der
Conciliengeschichte des neunten Jahrhunderts gedient hätte.
2. ConciiioAncyrano Titulo XXXIII.
Convenit in ecclesiastico sicut et in humano haec tria obser-
vari iudicio, id est ut accusatores et defensores et iudices propriis
sint contenti negociis; ut ne accusatores vel defensores ordine con-
fuso iudicum aut iudices accusatorum et defensorum quaerant agere
vicem. Ideo sciat populus synodico ad hoc obligatus sacramento
divinorum canonicorumque praeceptorum transgressores se prodere
et accusare debere , non ex sententia divinorum voluminum reos
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
447
diiudicare aut eis poenitentiam imponere, quod tantum in ecclesiasti-
cis negociis specialiter sacerdotum constat esse officium, quibus
datum est nosse mysterium regni Dei. Qui etiam quo moderamine
reos repelies vel poenitentes debeant tractare, cognitione sacrorum
canonum decretorumque patrum sunt imbuti; Quique soli ligandi
atque solvendi divinitus concessa auctoritate in sancta ecclesia iudi-
ciariae dignitatis eminent gubernaculo. Nec mirum in hoc mundo
sacerdotes haberi iudices, cum dominus apostolis , quorum nunc
sacerdotes obtinent locum, in futuro quoque seculo iudices esse
promittat, ubi dicit: In regeneratione cum sederit filius hominis in
sede maiestatis suae sedebitis et vos super sedes XII iudicantes XII
tribus Israel. Unde seculares modulo suo sint contenti et suorum
sacerdotum tantum se esse cognoscant auditores, nec de sibi incertis
praesumant fieri iudices.
Es ist ersichtlich, dass dies Capitel nicht dem Conciliurn von
Ancyra angehören kann; doch ist es bisher nicht gelungen, seinen
Ursprung zu ermitteln.
3. De incestuosis.
Dieses Capitel, welches mit den Worten: episcopi incestuosos
puriter investigare studeant anfängt, gehört zum Theil dem Co nc.
Mogunt. ann. 813. cap. 13 (Hardouin, Concil. Tom. IV.
col. 1016), zum Theil dem Conc. Turon. ann. 813. cap. 41
(ebend. col. 1028) an. Vergl. Conc. Wormat. ann. 86S. col. 79
(Hardouin, Concil. Tom. V. col. 748). Capit. Lib. V. cap. 151
und Additio III. cap. 92.
4. Ex cap. CXI.
Statutum est, ut quae cum controversiae etc. Dieses seinem
Ursprünge nach nicht nachweisbare Capitel findet sich bei Regino,
de synodal, caus. Lib. II. c. 111, wo es den Capitularien zugetheilt
wird. Dasselbe weist mit seinem Citat auf den Zusammenhang dieser
Sammlung mit Regino, wie denn auch
5. De ecclesiastico iuditio CXIII,
schon in seinem Rubrum mit Regino II. 113. übereinstimmt. Das
selbe ist einem Briefe Nikolaus II. vom Jahre 867 (s. Migne,
Tom. CXIX. col. 1142. Jaffe, Regesta Rom. Pontif. n. 2174) ent
nommen.
448
Phillips
6. Ex epistola Alexandri papae.
Si quis autem legationem vestram — quia eorum bona avertit;
ein pseudo-isidorisehes Capitel; s. Migne, Tom. CXXX. col. 97.
7. Item sanctus Johannes Constantinopolitanus.
Haeretici facie tristes etc., ein kurzes Capitel von drei Zeilen,
welches mit dem folgenden in Verbindung steht.
8. De haeresi et scismate.
foi. 96 Haeresis graece etc. Diese Anfangsworte sind indirect aus
Hieron. Comm. in Epist. ad. Titum. cap. 3 (Migne, Tom. XXVI.
col. 597) entlehnt; direct gehört aber die ganze Stelle Isid. Etymol.
Lib. VIII. cap. 3. an (s. Migne, Tom. LXXXII. col. 296).
9. Ohne Rubrum.
Daemonas a Graecis dictos ajunt etc. ist eben daher Lib. VIII.
cap. 11 entnommen (s. Migne 1. c. col. 315).
10. Ohne Rubrum.
De eo, quod non spoliandae sunt ecclesiae, quamvis mali sint
principes earum. Hieronymus ait: quamvis mali sint principes semet
ipsos destruunt, Dei vero ecclesia sine culpa manet. Romana synodus
dicit: nemo audeat nudare ecclesiam, qualis fuerit princeps ejus.
Idem inlibro 1. etc. Dieser Idem ist aber nicht der heilige Hieronymus,
sondern Augustinus, aus dessen Werk de civitate Dei Lib. I, cap. 18
(Migne, Tom. XLI. col. 32), die nachfolgende Stelle von den
Worten: An vero si aliqua femina mente corrupta — etiam corpore
intacto hergenommen ist. Hierauf folgen dann die Worte: Idem
contra eos, qui variis modis sua nitantur exeusare peccata, und aber
mals eine Stelle aus Augustin, de continentia cap. 4, n. 13 sq.
(Migne, Tom. XL. col. 357), beginnend mit den Worten: namque
cum dixisset (wo in der Handschrift David supplirt wird) bis —
jedoch mit einigen Auslassungen — furore blasphemi.
11. Ex decretis Alexandri papae.
Dominum extraneo parrocchiano dare nolentes de omnibus,
quae in terra humano sudore laborantur, tarn ab illo, cui iniustitiam
faciunt quam a proprio episcopo ecclesiastica priventur communione,
quo usque dare cogantur. Dieses Capitel findet sich nicht im Pseudo-
Isidor.
Der Godex SalisbüVgensis S. Petri IX. 32.
449
12. Ex decretali Johannis papae.
De pervasoribus quippe rerum ecclesiasticarum , quos sacri
canones spiritu Dei eonditi et totius mundi reyerentia consecrati et
decreta pontificum sedis apostolicae sub anathemate usque ad regu
lärem satisfactionem esse debere constituerunt, sed et de raptoribus foi. 97
quos apostolus Christo in se loquente regnum Dei non possidere
testatur et cum huiusmodi omni veraeiter christiano nec cibum
sumere praecipit, quamdiu in ipso crimine permanent, per virtutem
Christi et iudicio sancti spiritus decernimus, ut si easden res, quas
quique usurpatores iniusti pervaserunt ecclesiis suis regulari satis-
factione non restituerint, a communione corporis et sanguinis Christi
usque ad restitutionem rerum ecclesiasticarum et satisfactionem
alieni habeantur, et sacri episcopalis ministerii et excommunicationis
ecclesiasticae contemptores secundum evangelicam et apostolicam
auctoritatem ab episcopis quorum res interest commoniti, si regula-
riter satisfacientes non resipuerint, anathematis vinculo innodati
usque ad satisfactionem permaneant; et si in ipsa pertinacia perma
nentes obierint, nemo corpora illorum cum hymnis et psalmis sepe-
liat, nec memoria illorum ad saerum altare inter fideles mortuos
habeatur, Dicente apostolo et evangelista Johanne: Est peccatum ad
mortem, pro illo non dico, ut quis oret. Peccatum enim ad mortem et
perseverantia in peccato usque ad mortem et sacri antiquorum patrum
canones, de his qui sibi mortem volontariae inferunt et qui pro suis
sceleribus puniuntur, sancto inspirante spiritu decreverunt, ut cum
hymnis et psalmis eorum corpora non deferantur ad sepulturam.
Quorum decreta sequentes ea quae praemisimus de pervasoribus et
raptoribus rerum et facultatum ecclesiasticarum, si non resipuerint
iudicio spiritus sancti decernimus sicut beatus decrevit Gregorius
dicens: Quia tales christiani non sunt, quosque et ego et omnes
catholici episcopi, immo universalis ecclesia anathematizat.
13. Concilio Agatensi. Titulo LXXIII.
Quicunque episcopalem parvipenderit bannum praecipue sacer-
dotum iudicio quacunque ex causa factum; per quem se cognoverit
aut ab ecclesia eliminatum aut observatione ieiunii obnoxium , sciat
in huiusmodi praesumptione non episcopum sed dominum sperni
dicentem: Qui vos spernit, me spernit. Non enim huismodi temeritas foi. 97n
levi plectenda est poenitentia , etiamsi imponentis videatur iniusta
450
Phillips
esse sententia, cuipropter dominum tarnen obtemperari debetur. Nee
leve quicquam aut contemptibile videri oportet, quod episcoporum
promulgatur sententia, quorum linguae claves coeli facti sunt. Quibus
etiam dominus dicit: Non enim vos estis, qui loquimini, sed spiritus
patris vestri, quiloquitur in vobis. Undeeiusdem sancti spiritus iudi-
cio sancimus, post secundam vel tertiam huiusmodi temeritatis cor-
reptionem anathematis gladio feriendum. Quod etiam evangelica
auctoritate iustum rectumque esse roboratur, ubi dicitur: Quicunque
non receperit vos, nequeaudieritsermones vestros, exeuntes de domo
vel de eivitate , excutite pulverem de pedibus vestris. Amen dico
vobis: ToIIerabilius erit Sodomorum et Gomorreorum in die iudicii
quam civitati illi.
Dass dieses Capitel nicht dem Concilium von Agde (506) an
gehören kann , ersieht man schon aus seinen ersten Worten; der
Ausdruck bannus episcopalis möchte schwerlich vor dem Ausgange
des achten Jahrhunderts üblich gewesen sein. Es erinnert dieses
Capitel an Conc. Tribur. ann. 895. cap. 8 (Hardouin, Concilia
Tom. VI. P. I. col. 441) und an Reg in. II. 425, wo für eine ähn
liche Stelle des heil. Fructuosus, der im Jahre 665 verstorbene Erz
bischof von Braga , als Verfasser angegeben wird; der auch hier
vorkommende Ausdruck bannus episcopalis möchte diese Autorschaft
zweifelhaft machen.
14. De iniuria clericorum. Concilio Agatensi. cap. XXIII.
Si quis inreverens etc. Auch dieses Capitel ist kein Beschluss
des Conciliums von Agde, sondern findet sich mit einer Variation
am Schlüsse wörtlich wieder in Conc. Trib. cit. cap. 20. col. 445.
In unserer Handschrift lautet nach den Worten iustitiaeque consen-
foi. 98 tire detrectaverit, der Schluss also: iusto anathemate mucrone
apostolici sermonis abscidatur, quo ait: Tradite huiusmodi satanae in
interitum carnis, ut spiritus salvus fiat in die domini. Et iterum; cum
huiusmodi non cibum sumere.
B. Der zweite Theil der Sammlung.
§. 11.
1. Die hier benützten gallischen und spanischen Concilien.
Mit dem nunmehr folgenden fünfzehnten Capitel betritt man
einen ganz andern Boden. Es beginnt eine Reihenfolge von 126
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
451
Capiteln, welche mit ganz geringen Ausnahmen aus gallischen und
spanischen Concilienschiüssen genommen sind. Keineswegs sind
hier aber alle Concilien, die sich in der Hispana oder beim Pseudo-
Isidor finden, sondern nur folgende benützt:
1. Gallische: Arles I (314),
Orange I (441),
• Vaison I (442),
Arles II (443),
Agde (806),
Orleans I (Sil),
Orleans II (III; 533),
Auvergne I (535),
Orleans Y (549).
2. Spa nische: Elvira (305),
Toledo I (398),
Tarragona (516),
Lerida (523),
Toledo II (531),
Braga I (563),
Braga II (572) nebst den Cap. Martini,
Toledo III (589),
Sevilla II (628),
Toledo IV (633),
Toledo VI (638),
Toledo VII (646),
Toledo IX (655),
Toledo X (656).
§. 12.
2. Zusamm enli a n g mit der Collectio Dacheriana und mit Regino.
An dem Rande unseres Codex sind die meisten der einzelnen
zu diesem Theile der Sammlung gehörenden Capitel mit Zahlen
versehen , welche , indem sie zuerst von XIII — CXXI zwar mit
vielen Unterbrechungen fortlaufen, noch zweimal in einer neuen
Reihe beginnen; so folgt auf jene Marginalzahl CXXI wiederum als
nächste II, und dann , nachdem diese ebenfalls vielfach unter
brochene Reihe bis CXVII fortgesetzt wird , eine neue mit XXXII,
welche mit CLVII endet. Diese Marginalzahlen geben aber einen
Sitzl>. d. phil.-liist. CI. XLIV. Bd. II. Hft. 30
S
452
Phillips
wichtigen Fingerzeig; sie lassen nämlich erkennen, dass diese
Capitel, mit Ausschluss der letzten sechs, sämmtlich der aus dre
Büchern bestehenden Collectio Dacheriana (s. D’Achery Spicilegium.
edid. Mansi. Tom. I. p. 506 ff.) geschöpft sind, unsere Sammlung
also ein Excerpt aus dieser ist. Jene hat auch Regino benützt, jedoch
stimmen die Lesarten des Cod. Salisb., so wie auch die Capitel-
zahlen beinahe vollständig mit der Coli. Dächer, zusammen, nvas bei
jenem nicht der Fall ist.
Folgende Tabelle möge zur Übersicht des Ganzen dienen:
fol. 09
fol. 100
fol. 101
fol. 102
Capit.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
23
26
27
28
29
30
(15)
(16)
(17)
(18)
(19)
(20)
(21)
(22)
(23)
(24)
(25)
(26)
(27)
(28)
(29)
(30)
(31)
(32)
(33)
(34)
(35)
(36)
(37)
(38)
(39)
(40)
(41)
(42)
(43)
(44)
Codex Salisb.
Conc,
Arel. 26
Tolet. 8
Helib. 23
Agat. 17
Arel.
Vasens. 2
Tolet. 7
Elib. 13
Agat.
Araus. 6
Elib. 57
Aurel. 2
Elib. 8
- 9
Agat. 76
Elib. 4
Tolet. 17
Elib. 47
- 48
- 12
— 20
— 27
ßrac. 64
Herd. 4
Tolet. 5
Agat. 62
Brac. 20
— 71
— 72
— 73
Orig.
II. 25
VI. 8
38
15
11. 22
I. 2
VI. 7
22
60
I. 1
54
I. 2
8
9
25
14
I. 17
47
69
12
70
78
Cap. Mart.
4
II. 5
61
Cap. Mart. 71
- - 72
- — 74
- - 75
76
Nurn.
marg.
13
38
60
72
75
76
77
79
81
82
83
85
86
87
88
90
91
92
94
95
96
97
Collect.
Dächer.
7
8
10
13
23
24
31
32
38
60
72
75
76
77
79
81
82
83
85
86
87
88
90
91
92
95
96
97
98
Regino
I. 319. 320
- 294
- 307
- 115
- 324
II. 151
— 101
- 102
- 110
- 150
- 99
- 136
- 137
- 141
- 139
- 140
- 184
- 185
- 186
- 355
- 373
- 374
- 375
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
4S3
Capit.
31 (45)
32 (46)
33 (47)
34 (48)
33 (49)
36 (50)
37 (31)
38 (52)
39 (53)
40 (54)
41 (55)
42 (56)
43 (57)
44 (58)
45 (59)
46 (60)
47 (61)
48 (62)
49 (63)
50 (64)
51 (65)
52 (66)
53 (67)
54 (68)
55 (69)
56 (70)
57 (71)
58 (72)
59 (73)
60 (74)
61 (75)
62 (76)
63 (77)
64 (78)
65 (79)
66 (80)
67 (81)
68 (82)
69 (83)
70 (84)
71 (85)
Codex Salisb.
Conc. Elib. 5
- - 6
— Brac. 16
— Agat. 35
- — 63
— Aurel. 3
— Agat. 31
- Herd. 7
— Agat. 3
- Elib. 35
- Tolet. 31
— Aurel. 20
— Elib. 21
— Agat. 20
- - 73
— Brac. 81
— Tolet. 3
- Elib.
- Vas. 8
Arel. 24
— Tolet. 40
- Elib. 74
— Tarrac. 4
- - 10
- Tolet. 31
— Aurel. 31
- Tolet. 28
— Tarrac. 13
— Arel. 18
— Vas. 6
— Agat. 4
- Tolet. 11
— Agat. 35
— Aurel. 13
- Tolel. 19
— Brac.
- Tolet.
— Aurel. 11
— Tolet. 89
— Agat. 46
Orig.
5
6
I. 16
37
62
I. 3
31
7
Conc. Gangr.
35
IV. 32
I. 25
21
18
63
Cap. Mart. 83
X. 3
73
I. 7
II. 24
VI. 11
74
4
10
IV. 31
III. 32
JV. 28
13
II. 18
I. 4
4
I. 11
35
■ I. 17
III. 19
II. 1
II. 2
VII. 4
I. 15
IX. 1
45
Num.
marg.
102
103
104
105
106
110
111
113
114
115
116
117
118
119
120
121
2
19
20
22
25
26
27
29
42
51
52
53
59
60
61
62
67
69
71
72
76
90
Collect.
Dächer.
II.
103
104
105
106
107
108
110
Hl
113
114
115
116
117
118
119
120
121
2
19
20
22
25
26
27
29
42
51
52
53
59
60
61
62
67
69
71
72
73
76
89
Rcgino.
II. 58
— 82
- 91
- 12 i. f. II. 394]
- 26
App. I. 14
II. 381
— 327
296
392
393
391
394
- 344
App. I. 58
I. 396
II. 387
- 389
— 36
- 362
— 363
fol. 103
fol. 104
fol. 108
fol. 10G
fol. 107
fol. 108
30
454
Phillips
fol. 109
fol. 110
fol. 111
fol. 112
Capit,
Codex Salisb.
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
(86)
(87)
(88)
(89)
(90)
(91)
(92)
(93)
(94)
(95)
(96)
(97)
(98)
(99)
86 (100)
87 (101)
88 (102)
89 (103)
90 (104)
91 (105)
92 (106)
93 (107)
94 (108)
95 (109)
96(110)
97 (111)
98(112)
99 (113)
100 (114)
101 (115)
102 (116)
103 (117)
104(118)
105 (119)
106 (120)
107 (121)
108 (122)
109 (123)
HO (124)
Hl (125)
112(126)
Orig.
Cone. Agat. 47
- 56
- — 57
— Tolet. 67
_ — 68
_ - 72
— Aurel. 21
— Tolet. 15
- - 23
_ Elib. 76
- Ilerd. 8
— Araus. 19
— Elib. 24
— Tolet. 4
- — 73
— Tarrac. 2
— Agat. 2
- — 6
- Tolet. 5
— Herd. 11
— Agat. 9
— Elib. 18
— Agat. 27
— Tolet. 24
— Agat. 42
- - 40
- Tolet. 31
- - 47
— Brac. 64
- Tolet. 7
Ex ep. Mart. 23
44
Conc. Anguirit. 9
— Agat. 56
— Araus. 2
- Vas. 3
— Hispal. 5
- - 7
— Brac. 17
— Agat. 45
46
51
56
IV. 67
— 68
— 72
I. 26
III. 15
— 23
77
9
I. 14
24
IV. 54
— 73
2
2
5
I. 5
11
8
19
26
IV. 24
41
39
IV. 29 •
— 45
— 46
Cap. Mart. 65
X. 6
Cap. Mart. 23
— - 43
Ancyr. 9
55
I. 2
I. 3
II. 5
- 7
II. 17
44
Num.
marg.
91
92
93
94
95
96
100
101
102
111
112
117
32
33
34
46
48
49
50
52
53
54
55
57
58
59
61
.66
72
73
73
76
78
87
90
91
92
93
96
Collect.
Dächer.
II. 89
i.f.
— 90
— 91
— 95
— 96
— 97
— 106
— 107
— 112
III. 32
— 33
— 34
— 46
— 48
— 49
— 50
— 52
— 53
— 54
— 55
— 56
— 57
— 58
— 59
— 61
- 66
- 72
— 73
- 74
- 76
— 78
— 87
— 90
— 91
— 92
- 93
- 96
- 97
Regino
I. 364
— 366
— 367
— 368
— 369
— 370
App. I. II
I. 392
— 270
— 271
— 406
I. 229
— 101
— 184
— 170
— 230
II. 390
I. 135
— 335
- 270
App. III. 3
I. 178
— 79
- 78
fol. 113
455
:
Der Codex Snlislmrgensis S. Petri. IX, 32,
Cnpit.
113 (137)
114(128)
11S (129)
110(130)
117(131)
118 (132)
119 (133)
120 (134)
121 (135)
122 (136)
123 (137)
124 (138)
125 (139)
126 (140)
Codex Ssilisb.
Conc. Brac. 1
Epist. Leon.
Conc. Aurel. 13
— — 20
— - 20
— Aurel. 6
— Agat. S3
— — 38
— Aurel.
— — 13
— — 16
- — 17
— — 18
lluic Concilio in-
terfueruntepis-
copi LXXV.
Orig.
Num.
marg.
Cap Mart. 1
Ep. L. ad
Diosc. c. i.
I. 16
— 31
Conc.Carth.1V.
20
I. 7
32
38
V. 13
— 13
— 16
— 17
— 20
Arvern I. 3 u.
Aurel. III. 12
i. f.
137
Collect.
Dächer.
III. 108
— 127
— 129
— 136
— 137
— 133
— 136
— 157
Itegino
— 439
App. III. 41
— I. 18
fol. 114
fol. II .’i
Über das Verhältniss unserer Sammlung zur Collectio Dache-
riana sind noch einige Worte hinzuzufiigen. Die Absicht des Ver
fassers jener Sammlung war offenbar dahin gerichtet, aus der
Collectio Dacheriana die gallischen und spanischen Coneilienschlüsse
zu excerpiren und sie als ein Ganzes hinzustellen. Es ist daher wohl
als blosses Versehen anzunehmen, wenn dennoch einige orientalische
Canones, nämlich Cap. 39 (53), welches dem Concilium von Gangra
und Cap. 105 (119), welches dem von Ancyra angehört, und dann
eine Stelle aus einem Briefe Leo’s des Grossen an den Dioscurus in
Cap. 114 (128) mit hinübergenommen worden sind. Daneben findet
sich auch ein Canon des Conc. Carth. IV. als einer des Conc. Aurel. I.
vor; dies beruht darauf, dass in der Coli. Dacheriana dieser Canon
als „ex Concilio quo supra“ entnommen bezeichnet wird, womit aber
nicht das unmittelbar vorausgehende Concilium von Orleans, sondern
die ganze Reihenfolge der vorhergehenden carthaginensischen Canones
gemeint ist. Dagegen ist Cap. 112 (126) von dem Verfasser richtig
dem Conc. Agath. zugeschrieben, während es in der Coli. Dächer,
dem gedachten Concilium von Carthago beigezählt wird. Von den
jenigen Canones der Coli. Dächer., welche nach demPrincip desVer-
456
Phillips
fassers in seine Sammlung hineingehört hätten , sind zwei, wohl
auch nur aus Versehen , ausgelassen , nämlich : Conc. Araus. I. 4
(Coli. Dächer. I. 26) und Excerpta Martini c. 26 (III. S). Dagegen
fehlt in der Coli. Dächer, ausser den sechs letzten Capiteln der
Sammlung des Cod. Salisb. auch noch das Cap. 3 (17), welches aus
dem Conc. Elib. entnommen ist. — Was die Lesearten anbetrifft,
so weicht bisweilen unsere Sammlung von der Coli. Dächer, ab; es
würde zu weit führen, alle diese Varianten anzuführen; als Beispiel
möge das Concilium von Agde (S06) dienen.
Conc.
Agath.
Cap. 2
— 3
— 13
— 18
— 28
— 26
— 31
— 33
— 38
— 39
— 41
ex rec. Bruns.
Coli. Daclier.
Codex Snlish.
commumonem
necatores
quousque
Juvenibus etiam
Natale
consortium culpa
episcopos comprovinciales
sancto populi coetu
reddat-privetur
Mi etiam
sollicitatis traditoribus
diutina
privantur
par sententiae forma
plura
saltibus
mysteriis
subdendum
excommunicationcm
negatores
quorumque
Juvenibus autem
Natalem
consortium nulla culpa
episcopum provincialem
sancti populi coetu
| reddant-privontur
Hi iiutem
| sollicitati a traditoribus
diuturna
priventur. Symmachus *) etc.
praesentis sententiae forma
plurima
saltationibus
| ministeriis
dandum
§• 13.
3. Eingeschaltete Stücke.
Der Verfasser unserer Sammlung hat aus der Collectio Da-
cheriana auch mehrere in diese eingeschaltete Stücke mit hinüber
genommen. Hierher gehört:
1. In Cap. 60 (74) ist nach dem Vorgänge von Coli. Dächer.
II. 9 in das Conc. Vas. I. c. 4 eine Stelle aus August. Exposit. in
Joann. Tract. SO (Migne, Tom. XXXIV. col. 17S8) aufgenommen.
>
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
457
2. In Cap. 63 (77) ist dem Conc. Agath. ean. 35 eine
Stelle aus Symmach. Epist. 9 (10) ad Caesarium (Migne,
Tom. LXII. col. 66. Igitur quemadmodum—ecclesiastiea disciplina)
angehängt. S. Collect. Dächer. II. 62.
3. Der Zusatz , welchen die Coli. Dächer. III. 92, zu dem
Conc. Hisp. cap, 5, die Chorbischöfe betreffend, hat, findet sich
ebenfalls wieder in dem Cap. 109 (123) unserer Sammlung.
Ausserdem hat diese in Cap. 25 (39) bei dem Conc. Toi et.
II. 5 ganz im Gegensätze zu Regin. II. 185. der diese Stelle be
deutend abkürzt, noch einen Zusatz von beträchtlichem Umfange,
der von der wegen zu naher Verwandtschaft nichtigen Ehe handelt;
die Coli. Dächer. (I. 91) hat diesen Zusatz nicht. Auf die dem Con-
cilium von Toledo ungehörigen Worte folgt zunächst:
Tarn diu enim ut christiana religio et auctoritas sanctae eccle-
siae sancit coniugia inter proprinquos vitanda sunt, quamdiu necessi-
tudinum nomina perseverant, quia nunquam convenit christianis ut
duae aut tres necessitudines, sicut beatus ait augustinus in uno
liomine fiant; auctoritate quippe sanctae ecclesiae, quam ab apostolis
sibi traditam creditur observare et mundanae legis censura, nec non
et ipsius naturae honestissimo online perdocetur, proprinquitatis
coniugia usque in septimum gradum difl'erenda et tune, ut idem
beatus augustinus in libro de civitateDei dicit, ne ipsa proprinquitas
longius abeat et esse desistat, hanc matrimonio vinculo rursus obli-
gari et quodammodo fugientem revocari.
Diese Stelle findet sich im Conc. Duziac. II. ann. 873 praef,
(Hardouin, Concil. Tom. VI. P. I. col. 146) mit geringen Ver
schiedenheiten wieder; unter Anderm wird hier hinter „creditur
observari“ noch eingeschaltet: cui refragari fas non est, und
statt „usque in septimum gradum“ gelesen: usque ultra septimum
gradum.
An obige Stelle schliesst sich dann weiter an:
Beatus quoque papa gregorius in decretalibus suis inter cetera
eos, qui de propria de cognatione uxores ducunt, apostolico ana-
themate percellit dicens: Si quis de propria cognatione aut quam
cognatus habuit duxerit uxorem, anathema sit. At si quis obiieere
uoluerit aliter beatum gregorium de gradibus propinquitatis A. an-
glorum episcopo scripsisse, nouerit illum non ut auctoritati eccle-
siasticae contra iret, sed pocius ut eidem rudi populo consuleret.
1
488
Phillips
id feeisse; filii etiam, qui et (leg. ex) tali coniugio nascuntur in
hereditatem secundum mundanae legis censuram non admittuntur.
§. 14.
C. Der dritte Theil der Sammlung. (Cap. 143 — 190.)
(fol. US—120.)
Die fünfzigCapitel des dritten Theiles unserer Sammlung haben
keine besonderen Überschriften, sondern werden nur durch die
grossen rothen Initialen kenntlich gemacht. Nur dem ersten Capitel
geht die allgemeine Überschrift voraus:
Ex Concilio Romano tempore Karoli Imperatoris et Leonis papae.
Die hier zusammengestellten Capitel werden bis auf die beiden
letzten, sämmtlich auch hei Regino angetrotfen, und zwar in drei
sich an einander anschliessenden Reihen, nämlich: 1—26; 27—33
und 34—48. Die Capitel der ersten Reihe sind mit wenigen Aus
nahmen aus demConc. Meid. ann. 843. Nachstehende Tabelle
gewährt eine Übersicht:
fol. 116
Codex Salisb.
Cap. 1 (141)
2 (142)
3 (143)
4 (144)
5 (148)
6 (146)
7 (147)
8 (148)
9 (149)
10 (ISO)
11 (181)
12 (182)
13 (183)
14 (184)
18 (ISS)
Fon
Conc. Meid. 34
28
63
— Mogunt. a. 813. c. 41 . . . .
Capit. in Theod. villa a. 808. c. 8 . .
Conc. Meid. 62
— — 48 und Conc. Aquisgr.
ann. 816. c. 18 . . . .
Cap. incertum cf. Conc. Meid. 36
Conc. Meid. 72
37
49
43
78
30
Regino.
1 cf. Gr eg. IX.
Decr. Lib.
I.Tit.2.c.l
4
8
24
30
31
81
73 (77)
84)
124
177
238
240
248-
264
■280
■
Der Codex Salisburgensis S. Petri IX. 32.
459
Codex Salisb.
Cap.iß (laß)
17 (157)
18 (158)
19 (159)
20 (160)
21 (161)
22 (162)
23 (163)
24 (164)
25 (165)
26 (166)
27 (167)
28 (168)
29 (169)
30 (170)
31 (171)
32 (172)
33 (173)
34 (174)
35 (175)
36 (176)
37 (177)
38 (178)
39 (179)
40 (180)
41 (181)
42 (182)
43 (183)
44 (184)
45 (185)
Fons.
Ilincm. Capit. 3
Conc. Meid. 52
— — 64
— - 68
— - 69
— — 74
— — 61
— — 60
Karlom. Cap. ad Vermer. a. 884.
Synod. Pist. ann. 862. c. 4
Capit. I. 94
Synod. ep. S. Medard, c. 53
Conc. Wormat. a. 829. c. 10
Capit. a. 829. App. (P er tz, M. G
III. 335)
Conc. Wormat. a. 829. c. 3
Capit. Aquisgr. a. 809. c. 10
Conc. Tribur. (Wassersch 1 eb‘en,
Beitr. S. 116) cf. c. 9. C.10. Q.l
Conc. Wormat. a. 868. c. 3
Cap. inc. (Conc. Rom.? cf
D. 1. d. cons.) .
— — (Conc. Rem.? cf
D. 1. d, cons.) .
— — (Conc. Turon.?)
— — (Conc. Aurel.?)
— — (Conc. Rem.?) .
Hinein. Capit. 11 ....
Conc. Mogunt. a. 803. c. 43
Cap. inc
Conc. Wormat. a. 829. IV. 8. (Pertz
1. c. p. 342. cf. Reg. Chrodeg,
77); Hardouin, Concil. IV
1208; Conc. Paris. VI. c. 48
(ibid. col. 1325.)
— Rotom. ann. 878. e 2 . . .
c. 45
c. 45
R e s i n o
II.
274 (wo Conc.
Meid, citirt
wird).
401
428
156
237
264
288
289
290
291. 292
294
13
14
19
22
40
49
74
I. 12
— 23
- 68
69
71
72
81
' 82
121)
132
(-
193
202
fol. 117
fol. 1 IS
fol. 119
460
Phillips
fol. 120
Codex Salisb.
Cap.46 (186)
— 47 (187)
— 48 (188)
— 49 (189)
— SO (190)
Fons.
Hinein. Capit. 14 cf. ean. 7. D. 44;
c. 3S. D. 8. d. cons
Hincm. Capit. 18
Capit. I. 140
Conc. Tribur. a. 895. c. 32. (Was
serschieben a. a. 0. S. 184.)
— Aquisgr. ann. 789
R e g i n o
— 216
— 222
— 242
Anhang. Exccrptnm Bcdae.
(fol. 120a.)
§. IS.
Auf der Rückseite von fol. 120 findet sich von 'einer von der
bisherigen durchaus verschiedenen Hand unter der Überschrift
Excerptum Bedae presbyteri de canonibus das sehr bekannte Ca-
pitel De remediis peccatorum, und zwar im Ganzen ziemlich über
einstimmend mit dem Abdrucke bei Wasserschieben (DieBuss
ordnungen der abendländischen Kirche, S. 220). Die erheblichsten
Varianten sind fast sämmtlich die nämlichen, welche der Codex
*
Andagin. bei Martene, Amplissima Collectio Tom. VII. col. 37
bietet:
Wasserschiebe u:
lin. 1 ex
— 3 compations
— 5 notata
— 7 discernet
— — et haee
— 8 est
judicet
—' 10 psalmos
— 13 corrigens
cuncta
— 14 judicis
Codex Sali si..
de
compatientis
annotata
discernat
et secundum haee
fuerit
diiudicet
vel psalmos
corrigere
universa
iudicii.
Es bildet dies Excerpt gleichsam den Übergang zu den nun
mehr folgenden Stücken.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
461
111. Liber Canonuin.
(fol. 121—134.)
§• 16.
Übersicht.
Mit dem bekannten Briefe des Rhabanus Maurus an den Bischof
Heribald von Auxerre (ad Heribaldum Alcedronensis ecclesiae epis-
copum) beginnt die zweite (oder dritte) Abtheilung*) des Cod.
Salisb. An diesen Brief reihen sich dann mehrere andere Schrift
stücke an, und endlich heisst es auf der Rückseite von fol. 153:
Finit Liber Canonum feliciter Dei gratia. Die Hauptbestandtheile
dieser Sammlung sind folgende:
1. Epistola Rhabani archiepiscopi ed Heribaldum Alcedronensis
ecclesiae episcopum (fol. 121—138).
2. Incipiunt alia capitula sequentis operis (fol. 138 —146),
unter denen sich ebenfalls Mehrer.es von Rhabanus befindet. Dasselbe
gilt auch von dem folgenden Stücke.
3. Incipiunt capitula sequentis operis (fol. 146—149).
4. Sermo beati Gregorii ad consaeerdotem (fol. 149). Vergl.
Greg. M. Opera. Append. ad epist. n. 6 (Migne, Tom. LXXVII.
col. 1339).
3. Incipit epistola sancti Hormisdae papae ad universas pro-
vincias (fol. 150—151).
6. Qualiter synodus sit (fit?) ah episcopo cum presbyteris
(fol. 151 i. f. bis fol. 153) nebst den dazu gehörigen Capitula solis
presbyteris apta.
Auf diese folgen dann die oben angeführten Worte: Finit Liber
Canonum, in Betreff deren es allerdings zweifelhaft bleiben mag,
ob sie sich auf die letzteren oder auf alle sechs vorausgehenden
Stücke beziehen. Die drei ersteren desselben enthalten vorzugs
weise Busscanones und sind zum grössten Theile dem Werke des
Rhab anus entnommen; unter den übrigen ist vornehmlich der Ordo
synodi von Interesse.
l ) S. oben §. 1, S. 438
462
Phillips
§. 17.
1—3. Die Busscanon es.
(fol. 121—149.)
Hinsichtlich des Briefes des Rhahanus an den Heribald, welcher
hei Harz heim, Concil. Germ. Tom. II. p. 190 sqq. und Migne',
Tom. CX. col. 467 sqq. abgedruckt ist, wäre nur noch zu bemer
ken, dass in unserm Codex das Cap. 33. De Eucharistia, welches
mit den Worten: „Quod autem interrogastis, utrum Eucharistia
postquam consumitur et in secessum emittitur“ beginnt (Harz heim,
1. c. p. 210), gänzlich ausradirt ist.
Das zweite Werk, dem wie jenem ein Verzeichniss der Capitel
vorangestellt ist, umfasst deren zwölf, und zwar:
Cap. 1—7. Epistola Rabani archiepiscopi ad Reginaldum epis-
copum (Migne, CX. col. 1187—1196).
foi - 141 Cap. 8. Epistola Rabani archiepiscopi edHumbertum episcopum
(Migne 1. c. col. 1083—1096).
Cap. 9. Epistola Nicolai papae ad Carolum archiepiscopum
sanctae Maguntiacensis Ecclesiae. S. Jaffö, Regesta Roman. Pontif.
f°i. t43 n . 2046. Wasserschieben, BeiträgeS. 16S. gibt einen Ab
druck dieses Briefes, den derselbe für verdächtig hält, aus einem
Darmstädter Codex, mit welchem überhaupt dieser Bestandtheil des
Cod. Salisb. vielseitig übereinstimmt. (Vergl. Wasserschieben
a. a. 0. S. 13.) Die Varianten unserer Handschrift sind folgende:
Cod. Darrast, bei Wasser sc hieben:
Cod. Salisb.
S. 166 lin. 7 possitis
quaesitae
vesperum
sacrorum
ae
erratibus
obruantur
homicidue autem post
quinquennii
matrimonio
tempus a sacro
abstinent a
ergo
alioruinque trium
circula
concubitum
praesulatui
—■ 12 vesperam
— 16 sacrarum
— 18 et
— 26 evratis
— 29 corruantur
homicidae post
— 32 triennii
S. 167 — 1 matrimonii
— 1 tempus sacro
-— 4 abstinant autem a
— 7 vero
— 8 aliorumque per trium
— 9 curricula
— 11 coneubitu
— 19 praesulatu
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
463
Cod. Darmst. bei Wasser sc hieben:
God. Salisb.
S. 167 ]in. 20 pcrfecli usque
— 21 jurante
— 22 studemus-procureinus
perfectiusque
iuvante
studebimus-procurabimus.
Cap. 10. De his, qui sacramento se obligant, ne ad pacem foi. ue
redeant; entnommen aus Conc. Herd. ann. 523. cap. 7. Vergl.
Rhabani, Poenit. Lib. ad Otgar. c. 20 (Migne, 1. c. col. 1414).
Cap. 11. De muliere, quae infantem suum incaute oppresserit.
Vergl. Conc. Magunt. ann. 852 (851), cap. 9. bei Pertz, Monum.
Germ. hist. Tom. III. p. 411.
Cap. 12. De incestis. Si quis incestum occulte commiserit et
sacerdoti occulte confessionem egerit, indicetur ei remedium canoni
cum. S. Burchard. Worm. Decret. Lib. XIX. c. 36 (ex dictis
August; s. Migne, Tom. CXL. col. 987).
Das dritte Werk besteht aus siebzehn Capiteln, die sich zum
Tlieile aus dem von Rhabanus für Otgar verfassten Pönitentiale, zum
Theile aus Mainzer und Wormser Concilienscldüssen nachweisen
lassen, nämlich:
Cap. 1. De illis, qui noxia sacramenta conficiunt; s. Rhabani
Poenit. cap. 21 (Migne, Tom. CXII. col. 1415).
Cap. 2—4. Ebendaselbst cap. 22. col. 1416. foi. H7
Cap. 5. cap. 36. col. 1422.
Cap. 6. cap. 23. n. 4 u. 5. col. 1417.
Cap. 7. Conc. Magunt. ann. 852. c. 11 (Pertz, 1. c.
р. 412) bis zu den Worten: „de carne tantum abstinent“ mit einigen
unerheblichen Varianten.
Cap. 8. „Si maritus uxorem“ etc. Vergl. Regino II. 73. wo
dies Capitel ebenfalls einem Mainzer Concilium zugeschrieben wird.
Cap. 9. „Si quis episcopus“ etc. Vergl. Conc. Agath.
ann. 506, c. 55. Conc. Magunt. cit. c. 6. p. 410. — Regino
I. 178.
Cap. 10. „Ut ad mensam episcopi“ etc. S. Rhabani Poenit. foi. 14S
с. 28. col. 1419.
Cap. 11. De avaritia; s. ebend. c. 32. col. 1420.
Cap. 12. Si quis clericus postquam se Deo voverit, iteruin ad
saecularem habitum sicut canis ad vomitum reversus fuerit aut
uxorem duxerit, ainbo X annos poeniteant; tres ex ipsis in pane et
aqua et nuiriquam postea in coniügium copulentur. Quod si noluerint,
464
Phillips
tune sancta synodus et sedes apostolica separat eos a communione
et convivio catliolicorum. Similiter et mulier postquam se Deo
voverit, si tale scelus admiserit, pari sententiae subiacebit.
Cap. 13. „InConcilioHilerdensi“ etc.; s. Rliaban. 1. c. cap. 31.
col. 1420.
Cap. 14. „Qui sacerdotem“ etc.; s. Conc. Worraat. arm. 868.
c. 26 (Hardouin, Concil. Tom. V, col. 741).
Cap. IS. „In Concilio Toletanensi“ etc.; s. Rhaban. 1. c. cap.
30. col. 1420.
Cap. 16. „Saepe contingit tir etc.; s. Conc. Wormat. cit.
cap. 29. — Regino II. 17. — Vergl. Can. SO. D. SO.
Cap. 17. „Nobis igitur ratio“ etc.; s. Conc. Wormat. cit.
cap. 43. col. 743.
§• 18.
4. Gregorii Sermo. b. Hormisdae Epistola nebst Anhang.
(fol. 149—151.)
foi. 149 Während die oben §. 16, S. 461 angegebene Rede des heiligen
Gregorius keiner weiteren Erwähnung bedarf, ist wenigstens mit
foi. 150 einigen Worten des Briefes des Papstes Hormisdas zu erwähnen.
Derselbe beginnt mit den Worten „Ecce manifestissime“ und findet
sich bei Mansi, Concil. Tom. VIII. S27. abgedruckt. Man hat
schon längst an seiner Echtheit gezweifelt, wesshalb ihn auch
Jaffe, Regesta Romanorum Pontificum p. 934, unter die Literae
spuriae sub Nr. CCVII gestellt hat. S. noch Can. Si quis dia-
conus. 29. D. SO und dazu die Note von Richter. An den Brief des
Hormisdas schliesst unser Codex noch einige andere Sätze an,
foi. 151 nämlich:
A Deo data continentia , sed petite et accipite. Tune autem
tribuitur, quando Dominus gemitu interno pulsatur. Praelata est
virginitas nuptiarum foedere; hoc enim bonum, illud Optimum;
coniugium concessum est, virginitas admonita tantum non iussa;
sed a Deo tantum admonita , quia nimis excelsa. Geminum bonum
, est, quia in hoc mundo solicitudinem saeculo amittit et in futuro
aeternum castitatis premium percipiat. Virginitas felicior est in vita
aeterna, Isaia testante»): Haec dicit Dominus eunuchis: „Dabo eis
Is. LVI. 5.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
465
domum in muris meis , locum et nomen melius a filiis et filiabus,
noinen sempiternum dabo eis, quod non peribit“. Hoc dubium, quod
qui perseverant ac virgines, angelis Dei efficiantur aequales, omne »
tarnen peccatum per poenitentiam recipit sanitatem, Virginitas
autem si labitur, nullatenus repparatur. Nam quamvis poenitendo
fructum recipit, incorruptionem vero nullatenus recipit pristinam.
Virgo carne non mente nullum premium habet in repromissione.
Unde et insipientibus virginibus salvator in iudieium veniens dicit:
„Amen dico vobis, nescio vos“. Ubi enim iudicans mentem corruptam
invenerit carnis procul dubio incorruptionem damnabit. Nihil prodest
incorruptio carnis, ubi non est integritas mentis. Nihil valet mun-
dus esse corpore, qui pollutus est mente.
§■ 19.
• 6. Qualiter synodus sit ab episcopo cum presbyteris.
(fol. 151 i. f. bis 153«.)
Dieser Ordo synodi, an welchen sich noch zwanzig „Capitula
solis presbyteris apta“ anreihen, bietet manche Eigenthümlichkeiten
dar, welche noch eine anderweitige Berücksichtigung verdienen.
Jener Ordo, welcher bisher noch nicht gedruckt zu sein scheint, ist
vielleicht derselbe, dessenFloss in seinem Prospectus eines Supple-
mentum Conciliorum Germaniae p. 3 als in einem Darmstädter Codex
enthalten gedenkt. Derselbe lautet:
Qualiter Synodus sit ab episcopo cum presbiteris.
Presbiteri cum ad synodum evocati conveniunt, primo post fraternam
episcopi salutationem legendum erit in consessu sacerdotali initium fol. 152
et pars aliqua libri curae pastoralis, aut certe omelia de evangelio:
„designavitDominus a )“et faciendusad eos sermo, quo eis ostendatur
pondus et periculum simul officii dignitas sacerdotalis et demon
strandum erit quoque ipsius vocabulum, unde etscilicet qua ex causa
presbiteri vel sacerdotis appellatio constet. Deinde ponendi erunt
per distinctiones archipresbiterorum magistri et inquisitores, qui
separatim cum archipresbiteris vel cardinalibus urbis ipsius presbi
teris [p] residentes vicanorum et reliquorum presbiterorum scien-
tiarn cognoscere studeant, quique per distincta capitula qualiter
quisque officium suum implere valeat percontentur ita tarnen ipsi
>) Matth. XXV. 12.
2 ) Luc. X. 1.
460
Phillips
qui minoribus president archipresbiteri coram episcopo vel eius
misso rationem sui officii faciant et ita demutn cum probati fuerint
• alios inquisitione ratiouabili examinent. Episcopus vero dum pres-
liiteri requiruntur, in loco cougvuo cum arcbidiaconibus et reliquo
clei'o residens, de vita presbyterorum ac fama tractent de singulis,
quantum eritpossibile, cuius sint apud suos opinionis inquirens. Inter
haec etiam concurrentes undecumque vel presbiterorum inter se
sive adversus laicos, yel laicorum adversus presbiteros reclamationes
et excusationes causasque examinandas episcopus audiet , ut sive
de homicidis sive de incestis sive de quibuslibet criminosis sibi
relatis aptam sententiam ferat et presbiteros, qui accusati erunt
canonice requirens emendet. De illis vero qui a magistris de propria
scientia requiruntur, si qui inventi erunt nimis in sui officii scien-
tia ignari et indocti, aut certo tempore aut spatio in urbe et apud
doctores residere compellat, donec melius instruantur, aut si ita
videbitur, ab officio cessare precipiat. Postquam fuerit ea examinatio
liabita et de singulis episcopo fuerit intimatum, cuncti qui aderunt
sacerdotes libros et vestimenta, missalia reliquumque instrumentum
sui ministerii episcopo praesentabunt, ut in hac maxime parte quid
probandum, quid corrigendum improbandumque sit, poscit agnosci.
Hoc sane observandum erit ut cotidie sub praesentia episcopi pres-
biteris ipsis post diei ortum convenientibus, sefmo aliquis aut lectio
congruens fiat et ita demum ad quaelibet examinanda inquisitio
foi.i32a studiosa praecedat. Postquam fuerint omnia haec ordinabiliter adim-
pleta et causae singulae terminate, benedictione ab episcopo postu-
lata et accepta, in propria sua recedant, nisi forte necesse erit,
aliquos pro sui emendatione in urbe retineri. I. Requirantur etiam de
psalmis quomodo eos memoriter teneant. II. De lectionario, qualiter
epistolas vel evangelicam legant. 111. De canone missae secretae
utrum memoriter teneant et si illam intellegant. 1III. D e cantu anti-
plionarii quantum vel qualiter canere sciant. V. De baptisterio
quam bene et districte faeere noverint. VI. D e poenitentiali qualiter
illum impleant et qualem sequantur, utrum eum, qui in canonibus
est, anillum quembedae nomine titulant. VII.De computo, qualiter
feriam, Lunam et terminos Pascliae septuagesimae, quadragesimae,
rogationum et pente cosles mensiumque initia et praecipuas festivi-
tates in anno. VIII. Qualiter pnpulum doceanf diebus dominicis et
in sanclorum festivitatibus.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
407
Item Capitula solis presbiteris apta.
I. Sicut sancta synodus Nicena interdicit, nullus unquarn pres-
biter in domo sua habitare secum permittat mulierem extraneam,
praeter matrem et sororem atque amitam vel malerteram vel etiam
ad secretum cubiculi ire permittat. Quodsi fecerit post haec, sciat se
ab honore presbiteratus deponi, quia hoc frequenter secunduin
canonicam institutionem prohibentur et pleniter a presbiteris obser-
vatum non fuit. Ideoque precipimus ut qui gradus honoris sui retinere
vult, omnibus modis a familiarilate extranearum mulierum se absti-
nere studeat, ut nulla occasio pateat inimico suggerendi peccatum
et famam malam a populo nullus eorum incurrat.
II. Ut nullus presbiter derelicta sua ecclesia sanguinem
minuere praesumat ad domum quamlibet ullius feminae vel Deo
dicatae vel laicae, sed ad domum ecclesiae suae unusquisque suam
opportunitatem agat, ut ibidem in ecclesia semper inveniatur expe-
tentibus aliquam ministerii ejus causam.
III. Sicut dudum jam interdiximus et sancti canones prohibent,
nullus presbiter arma portare audeat.
IV. Ut nullus presbiter tabernas ingredi audeat ad bibendum,
nec se commisceat in tali conventu saecularibus hominibus , ubi
turpia verba audiat aut loquatur, aut contentiones ibi aliquas audiat
aut intersit sicut sepe contingere solet.
V. Ut nullus presbiter pro baptizandi causa et comrnunionem
tribuendi aliquid precium exactare facial, nec in minimo nec in
maximo, quia gratis accepimus, gratis dare debemus , quia nec
vendere debent donum Dei et gratiam Dei quae gratis datur. Quod &>!. 103
si fecerit et ad nostram notitiam pervenerit, sciat se post haec a
gradu ordinis sui periclytari.
VI. Ut presbiteri vocati ad convivium a quolibet fidelium con-
tenliones inter se non habeant de ulla re nisi caritatis et sobrietatis
verba, et Deo placabilia et conlinentiam honestam, ut decet
sacerdotes.
VII. Ut nullus presbiter super alium basilicam suam petat et
nullus presbiter aliam ecclesiain accipere audeat infra parroechiam
nostram ad missam celebrandam, nisi illam, ubi ordinatus est, absque
licentia et permissione episcopi.
VIII. Ut unusquisque presbiter omni hora sive diesive nocte ad
officium suum explendum paratus sit, ut si fortuitu aliquis infirmus
Sitzb. d. phil.-liist. CI. XUV. lfd. II. Hft. 3 j
468
Phillips
ad baptizandum venerit, pleniter implere possit officium suum, ut
ab ebrietate se caveat, ut propter ebrietatem non valeat adimplere
officium suum neque titubet in eo.
VIIII. Unusquisque secundum possibilitatem suam cercare faciat
de ornatu ecclesiae, scilicet in patena et calice, planeta et alba,
missale, lectionario, martyrologio, poenitentiali, psalterio vel aliis
libris quos potuerit, cruee, capsa velut diximus secundum possibili
tatem suam.
X. Uf qui homicidium confessi fuerint, iubeat eos presbiter
abstinere XL diebus ab ecclesia et communione antequam ab epis-
copo reconcilientur aut episcopus eos presbiteris reconciliari
iusserit.
XI. Ut omnis presbiter cura et sollicitudine agat, ne aliquis in
infinnitate positus ad extremum veniens sine viatico de hoc seculo
exeat ad quod ipse accedere potuerit. Quod si exinde neglegens
fuerit, periculo sui honoris subiacebit.
XII. Ut unusquisque presbiter in sua ecclesia admonitionem
aliquam et exhortationem faciat ad populum, ut unusquisque se
corrigat ab iniquitate et transeat ad meliora, sicut scriptum est:
Declina a malo et fac bonum.
XIII. Ut in sacratione corporis et sanguinis Domini semper aqua
rnisceatur in calice.
XIIII. Ut nullus presbiter suam pecuniam ad usuram donet, nec
a quoquam plus recipiat, quam commodaverit.
XV. Ut unusquisque presbiter si veneritad infirmum et ille iam
privatus fuerit officio loquendi, si testes assunt qui eum audierunt
dicere, quod confessionem suam voluisset facere, omnia circa eum
expleat secundum ministerium suum , sicut circa penitentem adim
plere debet 1 ).
XVI. Ut presbiter negotiator non sit, nec per ullum turpe lucrum
pecunias congreget.
XVII. Ut nullus presbiter alicubi fideiussor existat.
XVIII. Ut nullus presbiter ullum clericum accipere praesumat
de aliena parrocchia.
XVIIII. Ut presbiteri, quando ad infirmum accedunt, cum oleo
consecrato veniant, et oleo sancto unguant eum in nomine Domini
Vergl. Leon. Eplst. 106. — Reglno I. 112.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32. 469
et orent pro ipso et oratio fidei, sicut scriptum est, salvet infirmum
et allevet eum dominus et si in peccatis fuerit dimittentur ei.
XX. Ut presbiter sine chrismate et oleo sacrato sicubi non
proficiscatur, neque sinesacrosacrificio ut ubicunque contigerit suum
ministerium circa infirmos implere possif, et ipsum oleum et crisma
atque sacrificium cum omni custodia et reverentia atque religione
custodiat, ne per ebrietatem aut per aliquid neglectum suum in-
honoratum fiat sacrum illud supradictum.
§• 20.
Anhang.
(fol. 153a.)
Auf das letzte jener zwanzig Capitel folgt die oben erwähnte
Bemerkung „Finit Liber Canonum“ u. s. w. Von derselben Hand
werden aber noch zwei Capitel angehängt, nämlich ein Canon des
Conc. Tribur. und ein Brief Papst Johann’s X. Jener lautet:
Quia secundum canonicam diffinitionem ecclesiasticis iusiura-
tionibus implicitis cura accusandi et proclamandi [scelera •)] commit-
titur quae infra omnem parroechiam illam cuius dioecesanei sunt per-
petrantur, summa diligentia observandum est, ut nullus divinae legis
transgressor licet alterius conditionis vel parroechiae sit in synodica
stipulatione reticeatur. — Das Capitel macht sich hier nicht ausdrück
lich als einen Canon des gedachten Conciliums kenntlich; dasselbe
kommt aber nachher noch einmal vor 3 ), wo es ausdrücklich als
solches bezeichnet wird.
Der Brief des Papstes Johann X. ist an Hermann, den Erz
bischof von Cöln gerichtet; es ist derselbe, welchen Floss (Leonis
P. VIII. Privilegium de investituris Ottoni I. imperatori concessum
p. 107) aus einem Trier'schen Codex herausgegeben hat, doch sind
im Cod. Salisb. die ersten Sätze „Littere fraternitatis“ bis „iurgia
inessent“ weggeblieben, so dass der Brief hier mit den Worten:
„De hoc, quod consulendum“ etc. beginnt. Zum Schlüsse ist noch
beigefügt: Deo gratias semper. Accusator unius eiusdemque rei
iudex esse non potest in ecclesiastico iuditio, worauf dann eine mehr
als handbreite Lücke folgt, die wohl dazu bestimmt war, den ange-
Dieses Wort ist in der Handschrift ausgelassen.
2) S. §. 22, S. 471.
31«
■
47 0 Phillips
fangenen Gegenstand fortzusetzen, und in der That findet sich
jener Satz auf fol. 154 mit seiner Fortsetzung als ein Tribur'scher
Canon wieder.
IV. Sieben Excerpte aus Augustinus und Eregorius.
(fol. 134 — 157.)
§. 21.
Ganz am Ende der Vorderseite des fol. 154 findet sich nach der
oben bemerkbar gemachten Lücke das Rubrum: Sermo sancti
Augustini de hoc quod propheta dicit: immundum non tetigeritis.
Cap. XXVIII. Die betreffende Stelle ist aus Augustin. Sermo 89.
c. 20 (Migne, Tom. XXXVIII. col. 551) entnommen. Mit ihr beginnt
auch wiederum eine ganz andere Hand an dem Codex tliätig zu sein.
Diesem ersten Excerpte folgen noch mehrere andere nach, nämlich:
foi. 155 2. Augustinus in epistola ad Vincentium vel ad Bonefacium
(Epist. 103. cap. 3; Migne, Tom. XXXIII. col. 322).
3. Gregorius in libro moralium VI. (Gregor, in libro moral.
VI. c. 45; bei Migne, Tom. LXXV. col. 726).
4. Idem in libro IX. (Lib. IX. cap. 34. col. 899).
foi. 136 5. Idem in libro XX. (Lib. XX. cap. 5; Migne, Tom. LXXVI.
col. 143; s. Can. Disciplina. D. 45).
6. Idem in libro XXVIII. (Lib. XXVIII. cap. 7. col. 485).
7. Idem in libro pastorali (Lib. pastor. P. III. cap. 25, admon.29;
Migne, Tom. LXXVII. col. 97).
V. Canones der Synode von Tribur vom Jahre 895.
(fol. 157.)
§. 22.
Von der nämlichen Hand, wie die oben erwähnten Excerpte,
folgen auf dieselben drei Canones, und zwar:
foi. 157 1. Unter demRubrum: InTriburiensiConcilio. cap. XXII.
zunächst 1 ): Accusator unius eiusdemque rei iudex esse non potest
in ecclesiastico negotio non propter sacerdotium iudicium sed
accusatoruin testimonium saeculares exleges fieri poterunt. — Auch
Wasserschieben, BeiträgeS. 178, hat einen Canon „ex Con-
cilio Tribur. cap. XXII.der aber von einem andern Gegenstände
1) S. oben §. 20, S. 469.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
471
handelt; die Vermuthang des Herausgebers (ebend. Note 3), dass
dieser letztere Canon eigentlich die Ziffer XII. führen sollte, wird
durch dieses Rubrum bestätigt.
2. Item de eodem Concilio. ca p. XXIII.
Dies ist das oben i) angegebene Cap. Quia secundum canonicam
diffinitionem; das dort fehlende Wort „scelera“ findet sich hier.
3. Decretum Leonis Papae,
Quicunque ergo clerici vel laici contumacia, quod absit inflati
sacri pontificalis banni praesentialiter praesumtuosi transgressores
exstiterinf, placuit ut sacri (1. sacra) synodus decrevit, ut tales sub
ipsa inobedientiae hora ad potestatem episcopi spirituali anathematis
gladio feriantur, veluti proprii oris sententia condemnati, teste evan-
gelista, qui ait: „ex ore tuo te iudico“ 2 ).
Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass dieser Canon
kein Leoninischer ist; er gehört wohl ebenfalls zu den Protokollen
der Synode von Tribur.
VI. Canones Synodi Romanorum ad ftallos episcopos, nebst Anhängen.
(fol. 157—161«.)
§. 23.
Diese römische Synode, deren Canones nunmehr der Cod.
Salisb. folgen lässt, ist die unter Papst Siricius im Jahre 384 ge
haltene; sie ertheilte auf verschiedene Anfragen gallischer Bischöfe
die Antwort. Abgedruckt findet sie sich beiCoustant, Epistolae
Romanorum Pontificum, Tom. I. col. 685 sqq. und bei Bruns,
Bibliotheca eccles. Tom. II. p. 274. Nach richtiger Eintheilung
besteht diese Synode aus sieben Capiteln , deren Überschriften in
dem Cod. Salisb. mit denen des Cod. regius übereinstimmen
(s. Bruns. 1. c. p. 275. not. 3). Auf einige Varianten möge noch
aufmerksam gemacht werden; die Lesarten des Cod. Salisb. sind
an den nach dem Texte bei Coustant zu bezeichnenden Stellen
folgende:
Coustant: Cod. Salisb.
Cap. 1. coj. 606. lin. 8: . . laboris sollicitudine ut quae
— — — — — 10: . . precibus investiganda notiora. Quae vero
— — — 687. lin. 9: . .et quod non erat manifestum in sensu
— — — — — 13: . . idem reveletur rogando
1) s. 8. 20, s. 33.
-) S. Luc. XIX. 469.
472
Phillips
fol.161«
col. 688. lin. 4: traditiones. — lin. 12. wird die Leseart furtim
bestätigt. — lin. 34: coelitus praecepti non servaverit morem,
properante libidinis caecitate. — lin. ult.: quod für quos. —
col. 689. lin. 8: si continuisset. — lin. 32: Im Cod. Salisb.
fängt das Cap. 2 bei den Worten „De episcopis“ an; wahrscheinlich
aber sollte es schon statt: „Id de sacerdotibus“ heissen: „II. De
sacerdotibus.“ — col. 691. lin. 17: Quamohrem mihi cum huismodi
hominibus für: Quamobrem, mihi carissimi, huiusmodi hominibus.—
lin. 33: immunem esse potuisse. — col. 693, lin. 14: commissum
für eommissuri. — col. 693. lin. 87: hier ist dem Schreiber des
Cod. Salisb. ein arges Versehen begegnet, indem er eine weiter
unten hingehörige Stelle, die er nachmals auslässt, ohne allen ge
hörigen Zusammenhang bei den Worten denuo sociantes (woraus
er „denuo societates“ macht) anreiht und dann den ganzen Rest,
das Cap. 5 n. 13 weglässt.
Angehängt sind hier noch folgende Stücke:
1. Non licet presbytero super uno altare etc., entnommen aus
Con c. Antissio d. can. 19. (Bruns. 1. c. Tom. II. p. 239.)
2. Ex decretis Vigilii papae. Si motum fuerit altare etc.
— Vergl. Egbert, Excerpt. 139. u. Can. 19. D. 1. d. cons., wo
dieser Canon dem Papste Hyginus zugeschrieben wird.
3. Ex epistolaDamasi papae ad Paulinum episcopum
Tesalonicensem; dieser Paulinus ist nicht Bischof von Thessalo-
nich, sondern vielmehr von Antiochien; die betreffende Stelle findet
sich wieder bei Coustant 1. c. Epist. Damas. ep. 3 n. 3. col. 313.
4. Augustinus dicit: Ille episcopatum desideret etc.
S. Augustin. De Civit. Dei Lib.XIX. cap. 19. (Migne, Tom.XLl.
col. 647.)
5. Gregorius dicit: Semper in sacerdotali pectore cum
rigore etc. s. Gregor. Homil. in Evang. 17. cap. 12. (Migne,
Tom. LXXVI. col. 1143.)
6. Ex decretis Gelasii: Si viduae sub nulla benedictione
velatae etc., ist die Überschrift desDecret. Gelas. 23 in derHispana
(s. Migne, Tom. LXXXIV. col. 804). Am Rande ist ebenfalls die
Zahl XXIII angegeben.
Die Worte „Explicit Synodus Romanorum“, welche schon vor
dem ersten Anhänge hätten stehen sollen , finden sich vor dem
Decret des Gelasius.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
473
VII. Diversae sententiae Canonum.
(fol. 161« - 170.)
§• 24.
i. Die Collectio Herovalliana als Quelle dieser Sammlung.
Die oben sub II. B. geschilderte Sammlung i) enthielt gallische
und spanische Coneilienschlüsse; hier folgt eine andere, die mit
ganz wenigen Ausnahmen nur gallische, und zwar 125 Canones um
fasst. Diese sind aus folgenden achtzehn Synoden entnommen:
Arles 1(314), Valence (374), Orange (441), Arles II (443),
Agde (506), Orleans I (511), Epaon (517), Lyon I (517),
Vaison II (529), Orleans II (531), Auvergne I (533), Orleans III
(538), Arles V (554), Lyon II (567), Macon I (581), Lyon III
(583), Macon II (585) und Autun (670). Ausnahmsweise kommen
aber auch hier einige orientalische Canones (s. unten §. 25. Cap. 18
und 118) und neun Capitel aus den Statuta ecclesiae antiqua theils
als afrikanische, theils als Canones der Synode von Agde vor
(s. unten §. 25; Cap. 20—23; 67, 68 und 93—95). Es lässt
sich daher auch wohl hier vermuthen =), dass eine andere Samm
lung zu Grunde liege, aus welcher der Verfasser dieser Diversae
sententiae Canonum seiner eigentlichen Absicht nach nur gallische
Canones excerpiren wollte, daneben aber dann doch auch noch einige
andere aufgenommen hat. Die Entlehnung dieser Sammlung aus
einer andern wird auch dadurch kenntlich gemacht, dass der
Cod. Salisb. hier, wie bei jener aus der Coli. Dacheriana entnom
menen Sammlung mehrere Marginalzahlen hat, die sich aber immer
nur an solchen Stellen finden, wo in dem Texte Titelüberschriften
Vorkommen; es ist offenbar, dass der Verfasser nicht alle solche
Inscriptionen , die sich auf die betreffenden Capitel bezogen , mit-
getheilt hat, sondern ohne Auswahl nur einige; man gelangt auf
diesem Wege zu dem Resultate, dass diese Sammlung in 36 Titel zu
zertheilen wäre und zunächst aus einer andern geschöpft ist, welche
deren 52 oder 53 zählt. Ausserdem findet sich hier die Eigenthüm-
lichkeit, dass die einzelnen Canones der verschiedenen Concilien
i) S. §. 11 u. ff. S. 450.
*) Vergl. §. 12, S. 455.
474
Phillips
nicht mit Canon oder Caput, sondern mit dem griechischen Worte
Hera *) bezeichnet werden. Es steht daher zu vermuthen, dass dies
in der Quelle, aus welcher hier geschöpft wurde, auch der Fall
war. Durch diesen Umstand wird die Aufmerksamkeit auf den von
Jakob Petit in seiner Ausgabe (Lut. Paris 1677. 4. p. 97—276)
des Theod. Cantuar. veranstalteten Abdruck derCollectioHerovalliana
gelenkt, derbeiMigne, Tom. XCIX. col. 989 —1086 wieder
gegeben ist; eine nähere Beschreibung dieser Sammlung von den
Ballerini findet sich bei G all and i, Sylloge, Tom. I. p. 611 sqq. Aus
dieser Sammlung ist auch der Cod. Vindob. Jur. can. 81, welchen
Theiner, Disquisitiones p. 143 beschrieben hat, geschöpft, und
man könnte glauben , der genannte Codex habe unserer Sammlung
zum Grunde gelegen; allein dies ist unwahrscheinlich, weil die Mar
ginalzahlen von der Titelzahl im Cod. Vindob. und ebenso die Titel
überschriften abweichen , so wie auch die genannte Handschrift
64 Titel hat, während die Zahl des Cod. Salisb. sich auf 36 be
schränkt. Es ist also anzunehmen, dass unserer Sammlung die
92 Titel zählende Collectio des Dominus d’Herouval nicht unmittel
bar, sondern indirect durch eine andere aus ihr geschöpfte Samm
lung, die aber nicht die des Cod. Vindob. Nr. 81 ist, zum Grande
liegt, wobei noch zu bemerken ist, dass der Verfasser der im Cod.
Salisb. befindlichen Sammlung eine beträchtliche Zahl der in der
Coli. Herovalliana enthaltenen gallischen Canones nicht aufgenom
men hat.
Unsere Sammlung schliesst mit den Worten: Finita sunt statuta
canonum ex diversis conciliorum libris excerpta.
§. 25.
2. Tabellarische Übersicht.
Die nachfolgende Tabelle vergleicht die Sammlung des Cod.
Salisb. mit der Collectio Herovalliana und dem Codex Vindob.
Nr. 81; aus diesem lassen sich die in jener fehlenden Titelüber
schriften ergänzen; die 36 Titel unserer Sammlung sind mit den
Ziffern (I)—(XXXVI) bezeichnet, zugleicji auch die Marginalzahlen
in einer besonderen Columne angegeben.
1 ) -Cod. Vindob. jur. can. LXXXI. erklärt; Fiera i. e. domina.
Cod. Salisb.
Orig, ex edit. Bruns.
(0
(io
Cap. 1 Conc. Epaon. 3
— 2 — Arel. 33
— 3 — — 17
(HI)
— 4 — Agat. 36
— 5 — Epaon. 8
.(IV)
— 6 — Arel. 35
(V) De peregrinis episeopis et clericis
Cap. 7 Conc. Arel. 18
(VI)
— 8 — Agat. 35 1
— 9 — Epaon. 6
— 10 - Aurel. 17
11. 54
I. 17
38 i. f.
9
II. 55
I. 19
38
6
III. 15
Collect. Herovall.
Cod. Vind.
Num.
mare’.
VI. Quales ad sacros ordines venire
non possunt
VII. Quales vel qualiter ad sacros
ordines accedant et ubi ordinentur
- 4
XIV. De presbyteris, qui diversis
ecclesiis ministrant
- 2
XV. Ut de uno loco ad alium non
transeat episcopus etc.
— 2
XVI. D. p. e.
— 1
XVII. De formatis peregrinorum et
clericis sine literis ambulantibus
— 6
— 7
— 8
III.
IV.
22
VI. 1
XI.
2
3
XII.
— 2
XIII.
- 1
XIV.
6
7
8
fol. 163
fol. 164
Cod. Salisb.
Orig, ex edit Bruns.
Collect. Herovall.
Cod. Vind.
Num.
marg.
fol. 165
(XIV) Ut festivitates praeclarae nonnisi
in civitatibus-teneantur
Cap. SO Conc. Agat. 51
(XV)
— 51 — Matisc. 4
(XVI)
— 52 — Agat. 13
53 — Matisc. 6
(XVII) De praedicatione
Cap. 54 Conc. Arelat. 1
— 55 Conc. Matisc. 11
(XVIII) De decimis
Cap. 56 Conc. Matisc. 5
(XIX)
— 57 — — 12
— 58. — Aurel. 12
— 59 — Lugd. 5
(XX)
— 60 — Aurel. 10
— 61 — — 11
— 62 — — 14
(XXI) Ut res quae sacerdos clericis
dederit. successor eius non auferat
Cap. 63 Conc. Lugd. 5
21
II. 4
18
II. 6
Conc. Vas. II. 2
II. 11
• •
II. 5
II. 6
I. 16
III. 6
I. 14
-15
—17
II. 5
XXIX. Dehocquod offertur in altare
- 1
XXX. De communione
- 2
- 3
XXXI.
- 1
XXXII. De hospitalitate
— 3
XXXIII.
— 1
XXXIV. De viduis, pupillis etc.
— 4
— 5
— 6
XXXV. Qualiter res eeclesiae epis-
copus dispenset
- 1
- 2
- 3
XXXVI.
- 1
XXIV.
1
XXV.
5
XXVI.
4
5
XXVII.
1
XXVUI.
2
XXIX.
1
XXX.
4 .
5
6
XXXI.
3
4
5
XXXII.
XXII.
XXX.
fol. 166
fol. 167
(XXII) De rebus quae ecclesiis dantur
Cap. 64 Conc. Aurel. 5
— 65 — Agat. 5
— 66 — Epaon. 13
(XXIII) De rebus eeclesiae abstractis aut
contradictis
Cap. 67 Conc. Afric. 50
(XXIV)
(XXV)
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
— 86
Aurel. 25
— 13
— 25
Lugd. 2
Matisc. 4
Epaon. 7
— 16
- 17
Agat. 4
— 22
- 31
Aurel. 35
Matisc. 10
— 8
- 18
Agat. 7
— 85 — Arelat. 14
Cap. 86 Conc. Matisc. 10
— 87 - — 11
III. 5
6
14
Stat. eccl. ant. 32
— - - 95
III. 23
- 12
- 22
II. 2
I. 4
8
17
18
4
33
32
III. 32
II. 10
I. 7
-18
8
II. 14
I. 10
- 11
XXXVII.
- 1
- 2
- 3
XXXVIII.
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
- 7
- 8
- 9
- 10
- 11
- 12
XXXIX. De causantibus et judicibus
- 8
- 9
- 10
- 11
- 12
XLI. De clericis usurariis, ebriosis etc.
- 5
XXXIII.
1
2
3
XXXIV.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
XXXV.
9
10
11
12
13
XXXVI. 8
XXXVI.
9
10
11
XXXI.
XXXII
4- ( 8 Phillips Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32. 479
fol. 168
t ol. 1G9
fol. 170
Cod. Salisb.
Orig:, ex edit. Bruns.
Collect. Herovall.
Cod. Vind.
Num.
raarg'.
(XXVI)
Cap. 88
— 89
— 90
— 91
(XXVII)
92
93
94
95
96
97
Arelat. 3
Agat. 11
Matisc. 3
Arel. 4
Agat. 39
— 75
— 80
— 45
— 20
Matisc. 5
(XXVIII) De venationibus
Cap. 98 Conc. Matisc. 13
— 99 — Gpaon. 4
(XXIX)
— 100 — Agat. 40
— 101 - Arel. 20
(XXX)
102
103
104
105
— Augustod. 1
— - 7
— - 6
— — 5
II. 4
11
I. 3
III. 4
39
Stat. eccl. ant. 51
- - - 70
- - — 53
Agath. 20
I. 5
II. 13
4
42
Aurel. I. 30
1
8
6
5
XLI1I. Ut non habitet clericus cum
extraneis mulieribus
- 3
- 4
- 5
- 6
XLIV. De episcopis vel regulis cleri-
corum et vestibus eorum.
- 37
- 38
XLV.
- 1
- 2
L. De sortibus et auguriis
- 3
- 4
LI. De clericis, monachis vel abba-
tibus
- 10
_ 11
- 12
- 13
XXXVII.
4
5
6
7
XL.
- 20
- 21
XLI.
- 1
- 2
XLIII.
- 3
— 4
XLIV.
XLVI. 2
XXXIX
Cap. 106
- 107*
(XXXI)
- 108
- 109
- 10
- 15
Epaon. 21
- 39
— 110 Conc. Matisc. 17
- 111 —
(XXXII) De expositis
Cap. 112 Conc.
(XXXIII) De libertis
Cap. 113 Conc.
- 114 -
- 115 -
- 116 -
- 117 -
(XXXIV) De iudaeis
Cap.118 Conc.
- 119 -
- 120 -
(XXXV)
(XXXVI)
- 121
- 122 —
Cap. 123 Conc.
- 124 -
- 125 -
Agat. 30
Arel. 31
Agat. 27
Araus. 6
Epaon. 7
- 38
Araus. 5
Lugd. 33
Matisc. 13
- 16
Arvern. 3
- 6
i
Matisc. 4
- 5
Lugd.
10
15
20
38
I. 17
31
II. 51
29
1.7
8
39
I. 5 u. 6
Laodic. 29
I. 13
I. 16
I. 3
- 6
II. 4 i. f.
-5 -
I. 6
LI. 14
- 15
LII. De Deo sacratis puellis et mo-
nasteriis earum
LVI. De falsariis, perjuris etc.
— 2
- 14
LVII.
- 1
LVIII.
- 1
- 2
- 3
- 12
- 13
LIX.
— 1
- 2
- 4
LXV1. De exsequiis mortuorum
- 2
- 3
LXIX. De his qui contra canon. faciunt
- 5
- 6
— 7
XLVII.
4
5
L
2. De discor-
dantibus
LI. 5
LII.
1
LIII.
1
2
3
LIV. 3
4
LV.
1
3
4
LIX.
1
2
LXII.
5
6
7
XLIX.
480 Phillips Der Codex Salisburgensis S. Petri IX. 32. 481
482
Phillips
VIII. Praeccpta sancti Clementls Episcopl.
(fol. 170—171«.)
§. 26.
Dieser Brief, dessen Überschrift sich ganz unmittelbar an die
oben §. 24, S. 474 angegebenen Schlusswortejder zuvor betrachteten
Sammlung anreiht, beginnt mit den Worten: „Quoniam sicut a beato
Petro apostolo accepimus“. S. Pseudo - Isidor bei Migne,
Tom. CXXX. col. 37.
IX. Excerpte aus Isidor.
(fol. 171«—172«.)
§. 27.
Die einzelnen hier aufgenommenen Stücke sind folgende:
1. De dilectione Tullii Ciceronis Lelius; s. Isidor. Sentent.
Lib. III. c. 28 (Migne, Tom. LXXIII. col. 702).
fol. 172 2. De fictis amicitiis Fannius; s. Isid. 1. c. cap. 29. col. 702.
3. De amicitia munere orta; s. Isid. 1. c. cap. 30. col. 703.
\
X. Ex dccrcto papae Vigilii cap. 31.
(fol. 172«.)
§• 28.
Diese dem Papste Vigilius zugeschriebene Decretale gehört
offenbar einer späteren Zeit an. Sie lautet:
Scire oportet eos, qui synodalia iudicia canonice facta falsifi-
cant vel negant ratione convictos excommunicatorum sententia esse
plectendos, id est, ut VII XLmas in pane et sale et aqua sibi impo-
sitas ieiunent, quia re vera contemptores decretorum syuodalium
ab omnibus sunt conciliis anathematizati et ideo aequum est, con
temptores et raptores sacrae scripturae tot XLmas ieiunare, quot
pro septena negligentia induciarum legitime eonstitutarum in sua
absolutione excommunicati praecipiuntur observare.
XI. Der Pittaciolus des Hinkmar von Laon.
(fol. 172«—194«.)
§. 29.
Bekanntlich besteht der Pittaciolus des Hinkmar von Laon oder
vielmehr das Pittaciolum, wie Hinkmar von Rheims seinen Neffen
Der Codex Salisburgensis S. Petri IX. 32.
483
corrigirt (s. Hin cm. Rem. Responsio metrica bei Migne, Tom.
CXXVI. col. 287), aus einer Zusammenstellung einer beträchtlichen
Anzahl falscher und einiger echter Decretalen. Die Päpste, unter
deren Namen jene falschen Decretalen aufgeführt, sind, werden darin
auch nach ihrer Entfernung von Petrus bezeichnet; es tritt jedoch in
unserm Codex eine Divergenz von dem gedruckten Texte hinsicht
lich einiger Zahlen hervor, indem Alexander I. nicht als der fünfte,
(Migne, Tom. CXXIV. col. 1101), sondern als der siebente,
Sixtus I. nicht als der sechste , sondern als der achte Papst von
Petrus bezeichnet wird; hingegen ist Hyginus gleichmässig der zehnte,
worauf dann Anicetus im Cod. Salisb. als der zwölfte, in dem
gedruckten Texte als der dreizehnte, Victor I. wiederum in beiden
als der fünfzehnte Papst erscheint; weitere Verschiedenheiten
kommen in dieser Beziehung nicht vor. Wegen der weiter unten 1 )
zu besprechenden Capitula Angilramni möge bemerkt werden, dass
der Cod. Salisb. in der auf der Rückseite von fol. 180a gegebenen
Inscription mit dem gedruckten Texte (Migne, 1. c. col. 1006)
übereinstimmt (Ex grecis et latinis canonibus et synodis Romanis
atque decretis presulum ac principum Romanorum a ’papa Adriano
Ingilranno Mediomatricae Urbis episcopo prolatis, quando pro sui
negotii causa agebatur). Ebenso heisst es fol. 186: Item ex Grecis
et Latinis superius praetaxatis (Migne, 1. c. col. 1014: Item ex
Grecis et Latinis canonibus) und auf fol. 190a: Item ex supra scriptis
capitulis (Migne, 1. c. col. 1020). Die beiden Sätze, welche den
Schluss des Pittaciolum bilden, finden sich nicht an der Stelle, wo
sie im gedruckten Texte stehen , sondern erst nach einer Menge
anderer eingeschalteter Stücke, indem es nach diesen auf fol. 204a
heisst: Ecce hic evidentissime ostenditur etc.“ und „Haec succincte
quidem excerpsi etc.“
XII. Mehrere In das Pittaciolum eingeschaltete Stüeke.
(fol. 194«—198.)
§. 30.
1. Aufzählung derselben.
Auf das letzte Excerpt des Hinkmar von Laon folgt in dem Cod. foi.194«
Salisb. die nachstehende Überschrift: Ex dictis sanctorum patrum
S. §. 34—36.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XL1V. Bd. II. Ilft.
32
484
Phillips
sanctaeque apostolicae sedis pontificum ab Adi*iano papa Carolo
Caesari Magno solemniter directa sub die tertia decima Kalendarum
Octobrium. Am Rande daneben finden sieb die Buchstaben D. A. P.,
welche vielleicht „Dicta Adriani Papae“ bedeuten sollen. Sehr auf
fallend ist die Übereinstimmung des Datums , welches sich in allen
Inscriptionen der Capitula Angilramni wiederfindet. Ohne weiteres
Rubrum, ausser dass auf dem Rande die Bezeichnung Cap. 1 ange
geben ist, folgt nunmehr:
1. Nachstehendes Capitel: „Quia ex iussione Domini et meritis
beati Petri apostoli singularis sanctae apostolicae sedis congregan-
dorum conciliorum auctoritas data est sanctorum Canon um veneran-
dorumque patrum decretis privala ac multiplex tradita est potestas,
super quibuslibet criminibus audiendis v«l discernendis ligandis sive
solvendis in cunctis pie quaerentibus vel vim patientibus summa.
Quicquid igitur aliter praesumptum in orbe a quibuslibet sine ipsius
decreto vel consensu fuerit, in vanum deducatur quod egerint, nec
inter ecclesiastica iura ullomodo reputabuntur, neque ullas habebit
vires quicquid obviaverit, quoniam eademsedes testante veritatis voce
ab initio primatum obtinuit, Domino largiente, qui ait i): „Tu es
Petrus et super hane petram aedificabo ecclesiam meam.“ Quisquis
ergo contra statuta praesumpserit, gradus sui periculo convictus
merito subiacebit. — Man erkennt hierin leicht das dritte Angilramni-
sche Capitel (Hardouin, Concil. Tom.III, col. 2063), welches sich
auch in der Addit. IV. cap. 24 der Capitularien wiederfindet. Vergl.
darüber noch Wasserschieben, Beiträge zur Geschichte der
falschen Decretalen. S. IS.
foi. 196 2. Hierauf folgt das Rubrum: Gregorius Romanus Ponti
fex ad Johannem Defensorem de restitutione Laurentii
episcopi, welches Capitel entnommen ist aus Greg. M. Ep ist.
Lib. XIII. ep. 4S (Migne, Tom. LXXVII. col. 1294), nur mit dem
Unterschiede, dass in dem gedruckten Texte, wie überhaupt in den
Werken Gregor’s des Grossen, von keinem restituirten Bischöfe Lau
rentius, sondern von zweien anderen, Januarius und Stephan, welche
sieb in dieser Lage befanden, die Rede ist; auf letzteren bezieht sich:
3. Das Rubrum: Item ad eundem similiter de repa-
ratione Stephani episcopi. (Greg. M. ep. cit. col. 129S.)
D Matth. XVI. 17.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
485
4. Inquisitio atque definitio ac renunciatio prae-
dicti defensoris et causis praedictorum; dieses Capitel
stimmt mit der Sententia Joannis defensoris beiMigne, 1. c. col.1300
überein.
5. Ex Concilio Carthaginiensi cap. XL; s. Cod. Canon, foi. 198
Eccl. Afric. cap. 17 bei Bruns, Bibliotheca ecclesiastica, Tom. I.
p. 162. Dieses Capitel handelt davon, dass Mauritania Sitifensis,
von Numidien losgetrennt, ihren eigenen Primas haben solle.
6. Granthemio subdiacono cap. XL; soll heissen: Gre-
gorius Anthemio subdiacono. S. Greg. M. Epist. Lib. IX. ep. 50
(Migne I. c. col. 982), wo von dem Processe des Bischofs Bene-
natus vonMisenum die Rede ist, in welchem der Papst die endgiltige
Entscheidung übernahm.
7. Ex decretis sancti Anastasii Papae, quod eos,
quos post damnationem suam vel baptizavit vel ordi-
navit Acacius nulla portio laesionis attingat. cap. VII;
s. Dionys. Exig. bei Migne, Tom. LXYII. col. 313. — Regino,
Append. III. 16. — Can. Secundum. 8. D. 19. Die Ziffer VII., mit
welcher dies Capitel bezeichnet ist, bezieht sich nicht darauf, dass
dieser Abschnitt der siebente dieser Zusammenstellung, sondern
darauf, dass dieses unter den Decreten des Papstes Anastasius das
siebente ist. Hieran schliesst sich
8. ohne alles Rubrum mit dem Capitel „Hoc admonendum vel
denunciandum“ diejenige Sammlung an , welche sich in Capit.
Additio II wiederfindet. Sie besteht hier aus 27 Capiteln und hat
auch in ununterbrochener Reihenfolge die Marginalziffern I—XXVII,
bei der letzten ebenfalls am Rande auch das Rubrum De usura;
sie enthält jedoch auch manche andere Capitel, während einige der
Additio II fehlen. Auf jenes Capitel De usura folgen dann die oben
angegebenen Schlusssätze des Pittaciolum.
§. 31.
2. Zwei Lücken in der Handschrift.
Es hat nach unserer Handschrift den Anschein, als ob alle diese
vorhin aufgezählten Stücke noch Bestandtheile des Pittaciolum des
Hinkmar von Laon seien, und in derThat würde man auch die ersten
sieben Abschnitte dazu zählen dürfen, wogegen der Inhalt der
Additio secunda in gar keiner Beziehung zu dem Rechtsstreite jen es
32 *
486
Phillips
Bischofs steht. Es muss daher der Schreiber der Handschrift sich
hier eines Versehens schuldig gemacht haben ; eines solchen darf
man denselben wohl um so mehr zeihen, als sich hier ohnedies
noch eine anderweitige grosse und bedauerliche Verwirrung nach-
weisen lässät. Das vierte jener Stücke, die Inquisitio atque definitio
des Defensor Johannes geht von der Rückseite des einen auf das
nächste Blatt hinüber, und bei diesem Übergange ist auch der Zu
sammenhang vollkommen hergestellt; wenn man aber näher zusieht,
gewahrt man, wie auf dem vierten Blatte des zehnten (fünfund
zwanzigsten) Quaternio nur Eine zu jenem Stücke gehörige Zeile
steht, mit welcher mitten im Satze gänzlich abgebrochen wird, so
dass sich von der eigentlichen Sentenz des Defensors nicht eine
Sylbe findet. Untersucht man die Handschrift näher , so entdeckt
man eine unverkennbare Spur, dass hier einBlatt (fol. 197) heraus
geschnitten ist 1 ), und dass der Abschreiber, der vielleicht sich ver
schrieben hatte und zu träge war, nochmals ein grösseres Stück
abzuschreiben , sich damit geholfen hat, das Blatt zu vernichten
und nur nothdürftig den Zusammenhang mit dem früheren herzu
stellen. Einen eben solchen Ausschnitt kann man aber schon vor
dem voraufgehenden Blatte bemerken, wo der Zusammenhang doch
wenigstens in soweit hergestellt ist, als das Capitel „Quia ex ius-
sione“ zu Ende geschrieben ist, worauf dann jener Brief Gregors
des Grossen an den Defensor Johannes folgt; vor diesem befindet
sich aber ein -J-, welches anzudeuten scheint, als habe eine Lücke
ausgefüllt werden sollen, was aber nicht geschehen ist. Das ausge
schnittene Blatt (fol. 19S) hat aber allem Anscheine nach viel mehr
enthalten, da auf jene Marginalziffer Cap. I neben dem Cap. Quia ex
iussione keine andere mehr folgt, das Cap. VII bei dem Decrete
des Anastasius sich hierauf aber nicht bezieht.
§.32.
3. Verhäl tniss derSammlungvon27Capi telnzuCapit. AdditioII.
Das Verhältniss der mit dem Capitel „Hoc admonendum“ begin
nenden Sammlung zu der Additio II wird am Leichtesten durch fol
gende Tabelle veranschaulicht.
1) S. oben §. 1, S. 438.
foI.198a
Cap. 1 Hoc admonendum
fol. 199
fol. 200
fol. 201
Codex Salishurgensis
2 De eo etiam instruendos
3 Quid sit abrcnuntiare .
4 Ut episcopi . . ,
5 Ut presbyteri . ,
6 De presbyteris .
7 Visum etiam notis
8 Inter caetera ....
9 Illud etiam ....
10 Quia ergo
11 Siiniliter et de puellis
12 Deprehendrinus . .
13 Nihilominus etiam
14 De nobilibus feminis .
15 Ut inlicitus accessus
Addit. II.
K o n s.
16 De ecclesiis destructis
17 Item de ecclesiis einendandis
18 Praeterea volumus, ut praeeepta ecclesiarum
2 Ut extra
3
4
5 Inter nos
6
7
8
9
10 Saepe namque
11
12
13
14
15
16
17
18
19 Quia etiam
Conc. Worm. a.829. beiPertzTom.III.p.341
c. 5 -
- 6-
p. 342
10-
-11-
-12-
13-
-14-
_ 15
_ _ 16
_ _ 17
_ 18-
_ — 19-
Hloth. Capit. a. 832. c. 1. -
p.343
- p. 350
- p. 360
^ il
Der Codex Salishurgensis S. Petri. IX. 32. 487
488
Codex Salisburg-ensis
Cap. 19 Ut nullus laicorum presbyterum vagantem . . . .
— 20 Statuimus, ut si quis oblationes ecclesiarum
— 21 Statuimus, ut nullus ex ordine sacerdotali
— 22 De cartis , qune a quibusdam personis falsae
appellantur
— 23 In sacris cannnilxis praefixum est, ut deeimae . .
— 24 De decimis, ut dentur
— 25 Item censuimus atque praecipimus. ut nullus prae-
sumat conimatrem suam
— 26 De incantationibus et auguriis
— 27 De usura. Quia ergo in multis modis
Addit. II.
Fons.
Vergl. Capit. Langob. anu. 803. e. 13. P ertz p. 110
Ludov. II. Conc. Ticin. III. ann. 855. c. 5.—p. 438
Ludov. II. Conc. Ticin. II. a. 885. c. 11. —p.432
Capit. Langob. a. 803. c. 19. — p. 111
20
)21
(22
,23 bis zu den Wor
ten: corrigenda
esse consuevistis
(al. censuistis)
Leg. Luitpr. c. 34
Stat. Rhispac. c. 15.
Conc. Wormat. ann. 829. c. 20.
— p. 78
p. 343-345.
fol. 201
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
489
XIII. Convcntus Ticinensis.
(fol. 204a—208.)
§■ 33.
Ohne alle Überschrift reiht sich an die angegebenen Schluss
worte des Pittaciolum jener Bericht über eine Synode zu Pavia an,
welcher bei Harzheim, Conc. Germ. Tom. II. p. 327 und bei
Mansi, Concil. Tom. XV. p. 7S9 abgedruckt ist; in seinem Pro-
spectus des Supplements zu den Conc. Germ. p. 9. verheisst Floss
bei dem Jahre 868 aus einem Darmstädter Codex einen verbesserten
Abdruck, sowohl der Synodus Ticinensis, als auch der Epistola
synodica PP. Ticinensium ad Nicolaum P. I. Wir haben schon bei
einer andern Gelegenheit auf eine Übereinstimmung unserer Hand
schrift mit jenem Cod. Darmst. hingewiesen ') und mag einstweilen,
bevor aus diesem der Abdruck vor sich geht, wenigstens jene
Synodus Ticinensis nach dem Cod. Salisb. hier ihre Stelle finden;
„Nuper circa septuagissimani sive sexagesimam sanctae quadra-
gesimae collecta est synodus multorum episcoporum iussu piissimi
imperatoris hludovici in urbe ticinensi, quae etiam papia nuncu-
patur, in concilio inter aliapianegotia, quae ibi sunt tractata, ventilata
est etiam fratrum Teotgaudi atque Guntarii causa, ubi et a domino
apostolico innotuit, quod erga ipsos fratres suam per ecclesiasticam
pietatem benivolentiam salubriter vellet exhibere, Guntario sane
in eodem concilio in sua et praedicti fratris causa assistente. Qui
tarnen cum licentia et consilio ipsius pontificis a roma regressus ad
synodum ipsam devenit. Quem fraterna caritas admodum compatiendo
mox recepit et in suum conventum introduxit consolationis et spei
hortamenta alflicto et humiliato fratri proponens. Epistolas sacer
conventus praedictorum pro causa sanctissimo praesuli direxit con-
ferens etiam haec capitula atque retractans quae subsecuntur“.
Bekanntlich erregt diese Synode von Pavia hinsichtlich ihrer
Echtheit manche Bedenklichkeiten; schon früher hatte darauf
Binterim, deutsche Concilien Bd. 3. S. 127 u. ff. aufmerksam
gemacht, und in neuester Zeit ist von He feie, Coneiliengeschichte
Bd. 4, S. 293 u. ff. dieser Gegenstand ausführlicher besprochen
worden; die Synode kann nicht in der Faste des Jahres 867
i) S. oben §. 3, S. 439.
490
Phillips
gehalten sein, weil Nicolaus I. noch am 30. und 31. October des
selben Jahres die Sentenz über die Bischöfe Theutgaud und Gun
thar aussprach und sowohl den König Ludwig den Deutschen , als
auch die Erzbischöfe und Bischöfe seines Reiches ermahnt, sich
nicht weiter für jene zu verwenden (Jaffe, Regesta Rom. Pontif.
n. 2184 u. 218S); sie kann aber auch nicht in der Faste des
Jahres 868 gehalten sein, weil Nicolaus I. am 13. November 867
gestorben ist. Will man aber auch von der Fastenzeit absehen und
die Synode in den November 867 selbst verlegen , so steht ent
gegen , dass jene beiden Bischöfe erst nach dem 31. October 867
nach Rom kamen, Günther mithin auch wiederum unmittelbar mit
Genehmigung des Papstes nach Pavia gereist sein müsste; man gewinnt
auch nicht viel, wenn man noch einige Tage zugeben wollte, welche
die Nachricht vom Tode des Papstes Nicolaus gebraucht hätte, um
nach Pavia zu gelangen.
Der Brief der zu Pavia versammelten Bischöfe, welcher im
Cod. Salisb. zunächst nur Cap. I.* zur Überschrift hat, ohne dass
eine weitere Bezifferung folgte, beginnt mit der Erörterung des in
den Anfangsworten ausgedrückten Thema’s; diese lauten: Sanc-
tissimi pontifices romani multos episcoporum seu reliquorum cleri-
corum, qui pro suis culpis erant abiecti suoque gradu privati, post
foi.aoi dignam satisfactionem cum fraterna et coepiscopali unanimitate
pristinis saepe officiis reformasse noscuntur. Es folgen dann meh
rere Auszüge aus den Briefen der Päpste Leo I., Hilarus und Gregor I.,
denen ein Stück „ex historia ecclesiastica“ beigemischt ist; der
foi. 204 letzte Brief ist: Gregorius Sabiano episeopo Labertino (soll heissen
Sabiniano ep. Jadertino).
XIV. Capitula Angilramni.
(fol. 208—212.)
§• 34.
1. Sammlung von zweiundzwanzig Capiteln. (fol. 208—209a.)
Auf den Brief der angeblich zu Pavia versammelten Väter
folgen unter der Überschrift:
Haec capitula ex sacris canonibus ad adiutorium Christianorum sunt
excerpta
zweiundzwanzig derjenigen Capitel, welche sonst in der Reihenfolge
der sogenannten Capitula Angilramni aufgeführt werden. Mit Aus-
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
491
schluss des ersten ist jedes von ihnen mit einer Marginalziffer ver
sehen, welche nach dem Gebrauche des Cod. Salisb. auf eine andere
Sammlung, aus welcher sie entnommen sind, hinzuweisen scheint*).
Nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht:
Codex Salisburgensis
Cap. Angilr. ex
edit. Hardouin
Conc. Tom. III.
col. 2061 sqq.
Variae lectiones
Num.
marg.
Cap. i Constitutiones
2 Omnis qui falsa . .
3 Ut laici contemptores
4 Qui in altei'ius fama
5 Si quis iratus ....
6 Qui crimen obicit ....
7 Ut qui non probaverit . .
8 Caveant iudices ecclesiae
9 Eius qui frequenter . . .
10 Si quis contra suam pro-
fessionem
11 Si quis episcopum . . .
12 Accusationes adversus
episcopos
13 Fecithos gradus s. Silvester
14 Testimonium laici . . .
15 Non licet imperatori . .
16 Placuit ut nullus servus .
17 Placuit ut nullus episco-
porum
18 Primo semper vita et persona
19 Hi qui non sunt bonae con-
versationis
20 Hi qui in aliquibus . . .
21 Appellantem non debet .
22 Placuit ut eiectos ....
39
41
48. 49
SO
51
52
52
53
54
61
62
71
72
cf. Capit. 1.133
73
76
21
22
15
16
17
36
13
decrevit chri-
stianusordo, ut
fama. — con-
finxerint. — et
qui primus.
teneatur
ut ibi causa
percipiat
qui culpis suis.
— criminantur
episcoporum
fides, vita et
libertas
PI. ut eiectos
atque
XXXVIII
XL1V.
XLV.
XLVI.
XLVII.
XLVIII.
XLVIIII.
L
IIII.
V.
XII.
XIII.
XIIII.
XVI.
XVIII.
XVIIII.
XII.
XIII.
XIIII.
XXXIIII.
X.
fol.208a
*) Vergl. oben §. 12 und §. 24.
492
Phillips
fol. 209«
fol. 210
fol. 211
§. 38.
2. Sammlung von zweiundvierzig Capiteln.
(fol. 209«—212.)
Auf jene, zweiundzwanzig Capitel folgt nunmehr die übliche
Inscription der Capitula Angilramni:
Ex Grecis et Latinis canonibus etsynodis Romanis atque decre-
tis praesulum ac principum Romanorum haec capitula sparsim col-
lecta sunt et Angilramno Mediomatricae urbis episcopo Romae a
beato papa Adriano tradita sub die XIII Kalendarum Octobrium
indictione nona quando pro sui negotii causa agebatur.
Unter dieser Überschrift werden zweiundvierzig Capitel be
griffen , welche mit Ausschluss des letzten mit Marginalzahlen ver
sehen sind. Zur Vergleichung möge folgende Tabelle dienen 1 ):
Codex Salisburgensis
Cap. Angilr.
ex edit Hard.
Conc. III. 2061
sqq.
Num. in arg.
Cap. 1 Dei ordinatione ....
— 2 Plaeuit, ut si quneciimque
— 3 Plaeuit, ut semper . . .
— 4 Sancta synodus Romana .
— 5 Si quis putaverit ....
— 6 Accusationis ordinem . .
— 7 Si quis elericus ....
— 8 Salvo romanae ecclesiae .
— 9 Ultra provineiae terminos
— 10 Peregriua iudicia ....
— 11 Si quis episcopos ....
— 12 Sunt nonnulli
— 13 Si elericus vel laicus . .
— 14 Plaeuit eorum accusandi .
— IS Plaeuit ut aecusato . . .
— 16 Non est credendum . . .
— 17 Si quis iudicem ....
— 18 Clericus sive laicus . . .
— 19 Liceat etiam in eausis . .
— 20 ln criminalibus eausis . .
1
2. 3
4
5
6
7
8
9
10—12
19
24
27
28
31
32
33
34
35
37
38
I.
II.
III.
IIII.
V.
VI.
VII.
VIII.
VIII1.
XVI.
XXI.
XXIIII.
XXV.
XXVIII.
XXVIIII.
XXX.
XXXI.
XXXII.
XXXIV.
XXXV.
1) Die Varianten bedürfen hier keiner näheren Bezeichnung, da Herr Prof. Hinschius
in Halle diesen Tlieil unserer Handschrift bei seiner Ausgabe des Pseudo-Isidor,
womit auch die der Capitula Angilramni verbunden ist, benützt hat.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
493
Codex Salisburgensis
Cap. 21 ln clericorum causa
— 22 Omnis qui falsa
— 23 Ut provincialis synodus ....
— 24 De his, qui in accusatione . . .
— 25 Si qugndo in causa capitali . . .
— 26 Placuit, ut a quibuscunque . . .
— 27 Si quis metropolitanus
— 28 De accusationibus episcoporum .
— 29 Judex criminosum
— 30 Irritam esse iniustam
— 31 Pulsatus ante suum iudicem . .
— 32 Hi qui iuventi fuerint
— 33 Ut nullus episcopus
— 34 Ut si quis quemlibet exspoliaverit
— 3ä Ut nullus clericus
— 36 Homicidae, malefici
— 37 Qui crimen intendit
— 38 Nemo clericum quemlibet . . .
— 39 Pi ovidendum est
— 40 Iniusfum iudicium
— 41 Sic odit Deus eos
— 42 Item generali decreto
Cap. Angilr.
ex edit. Hard.
Conc. III. 2061
sqq.
40
41
42
43
44
43
46. 47
33. 36
37
38. 39
60
63
64
63
66
67
68-70
74. 73
77
78
79
80
Num. marg.
XXXVII.
XXXVIII.
XXXVIIII.
XL.
XLI.
XLII.
XLIII.
LI.
I.
II.
III.
VI.
VII.
VIII.
V1III.
X.
XI.
XV.
XVII.
XVIII.
XVI1II.
fol. 212
§. 36.
3. Verhältniss der beiden Sammlungen zu einander.
Die beiden voranstehenden Sammlungen ergänzen sich gegen
seitig, nur ein Capitel, „Omnis qui falsa“, könnte in der ersten
Sammlung als Cap. 2, oder in der zweiten als Cap. 38 fehlen. Beide
zusammen bringen nicht vollständig die in den bisher gedruckten
Texten vorhandenen Capitel; es fehlen nämlich nach der gewöhn
lichen Zählung die Cap. 14. 18. 20. 23. 25. 26. 29. und 30.
Aus den beigefiigten Marginalziffern ist ersichtlich , dass beide
Sammlungen gemeinsam geschöpft sind aus einem Originale, welches
die Capitula Angilramni in zwei Büchern gab. Von diesen beiden
Büchern umfasste das erste die ersten 56 Capitel des gedruckten
Textes bei Hardouin und Mansi in 51 Capiteln, das zweite die
24 übrigen in 20 Capiteln. Selbst nach den höchst verdienstlichen,
494
Phillips
bis auf die Gegenwart fortgesetzten Untersuchungen Wassersch-
leben’s über die Angilramnischen Capitel ist doch noch sehr Vieles
in Betreff derselben rätbselhaft geblieben; vielleicht gelingt es dem
neuesten Herausgeber dieser Capitel, Herrn Professor Hinschius
in Halle, manchen dunkeln Punct aufzuhellen. Schon oben wurde
auf den auffälligen Umstand aufmerksam gemacht, dass in unserer
Handschrift das Datum der Übergabe der Canones an Karl den
Grossen (natürlich nicht die oben §. 48 angegebenen) und der
Capitel an Angilramnus identificirt wird. Ausserdem möchte zu be
merken sein, dass gegen die Annahme, das Cap. 5, Sancta Romana
synodus, sei ein späteres Einschiebsel, die Überschrift der Capitel
zu sprechen scheint, die sich ausdrücklich auf die römische Synode
bezieht. Was endlich die Verschiedenheit betrifft, dass einige
Handschriften diese Capitel nicht von Hadrian I. dem Angilramnus,
sondern von diesem dem Papste übergeben lassen , so ist in den
Cod. Salisb. eine Nachricht aufgenommen, welche durch die Paral
lele, welche sie zwischen Hadrian I. und Hadrian II. zieht, wenig
stens beweist, dass der Verfasser dieser Notiz, der unter Hadrian II.
lebte, der Überzeugung war, Hadrian I. habe die Capitel an Angil
ramnus übergeben.
XV. Eine Decrctale lladrian’s II.
(fol. 213.)
§. 37.
Die eben angegebene, auf die Capitula Angilramni in unserer
Handschrift folgende Notiz, welche sich nach einer gefälligen Mit
theilung des Herrn Professors Hinschius in dem Cod. Corbej.
mbr. 4. und Cod. Trevir. 1362 ebenfalls im Anschlüsse an Angil-
ramnische Capitel findet, lautet also:
Sed et praesentis dominus papa adrianus temporis istius eius-
demque adriani tarn nominis quam merito sui praecessoris aptus
executor et persecutor haec exempla nuper ad Salamonem Ducem
Brittanorum destinata sui suorumque officii non immemor observanda
mandavit et cunctis imitanda exercuit pro loco, quo ait etc. Der
Cod. Corbej. gibt diesen Passus folgendermassen wieder: Sed et
praesens domnus papa Adrianus haec exempla nuper ad Salamonem
Der Codex Salisbui'gensis S. Petri. IX. 32.
495
ducem Brifannorum destinavit sui suorumque officii non immemor
observanda mandavit et cunctis imitanda exercuit, worauf dann Aus
züge aus den pseudo-isidorischen Decretalen folgen. Der Cod. Trev.
liest: Sed ex praesenti dominus aptus executor et prosecutor
haec ex epistola sua ad S. Br. d. destinata observanda man
davit ac mandata nobis obsequenda propinavit et cunctis etc. —
In diesem Codex, wie auch in unserm Salzburger folgt nunmehr die
Decretale selbst oder vielmehr ein Bruchstück aus derselben; sie
lautet in letzterem:
Sacerdotes vero vobis vicinarum dioceseon super se alios
deplorant superpositos sacerdotes britannicos; si tarnen sacerdotes
et non magis pervasores et sacrilegos tales dixerim, qui etiam si
quaedam habent negotia, non ad concilia episcoporum occurrere
permittuntur , sed contra sacros canones et venerandas leges ad
saecularium (Cod. Trev. saecularia) tribunalia pertrahuntur, nec
suscipiunt episcopale instrumentum (Cod. Trev. institutum), sed
illatum contra regulas populäre incurrunt iudicium et ipsis morte
praeventis rapitur , si quid remanserat subsidium. ludicantur etiam
episcopi a lectoribus (Cod. Trev.: latoribus) et laicis hominibus,
quos oportuit canonicis legibus (Cod. Trev.: quos non oportuit, nisi
canonicis legibus) et metropolitanis aut nobis praesentibus saltim
examinari, dicente Domino per proplietam 0: „Nolite tangere chri-
stos meos et in prophetis meis nolite malignari“ et iterum 2 ): „Qui
vos tangit, quasi qui tangat pupillam oculi mei“.
Es ist dies vielleicht der Brief Hadrian’s II., auf welchen sich
dieser Papst in seinem Schreiben an Gerard von Tours (Martene,
Thesaurus Tom. III. Col. 865; s. Jaffd, Regesta Romanorum Pontif.
n. 2203) bezieht; da dieses vom 8. März 868 datirt ist, so müsste
das Schreiben an Salamon in die Zeit zwischen November 867 und
März 868 fallen.
i) Psalm. C1V. IS.
*) Zachar. II. 8.
496
Phillips
XVI. Sammlung von einundsechzig Capiteln.
(fol. 213—223.)
§. 38.
1. Tabellarische Übersicht.
Unter Vorbehalt einer sorgfältigen Sichtung mögen die nun
mehr noch erübrigenden Bestandtheile des Cod. Salisb., mit Aus
schluss eines gar nicht hieher gehörigen Stückes auf der Rückseite
fol. 223, einstweilen tabellarisch, und zwar im Vergleiche mit
Regino, zusammengestellt werden.
fol. 213
fol. 214
fol. 213
Codex Salisburgensis
Iiegino
Cap. 1
— 2
— 2
— 4
— S
- 6
— 7
— 8
— 9
- 10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
„Si cui utriusque sexus nobili personae“
„Si quis episcopus cum presbytero“
„Item si maior cum inferiore“
De accusatis vel accusatoribus
Ex Concilio ad S. Medardum de eadem re ...
De eadem re. Ex lege Romana
Item unde supra
Item de eadem re
De eadem re
Ut femina de adulterio inculpata si cum marito
debet inire certamen legale suae potestati debet
restitui ex epistola Nie
De lege Romana. Constantinus imp. dicit ....
Ex Concilio quod factum fuit ad Vermeriam tem-
poribus Pippini regis
Ex eodem
De eodem
De eodem
De eodem
Ex lege Romana
Ut supra (Cone. Verm.)
De eodem
Ex decreto apad Coinpendium. Cap
Ex eodem
Ex eodem
Ex lege Romana
Ex eodem
App. I. 21
— -22
— —23
— —24
- -2S
- -26
II. 11S
— 116
— 117
— 118
— 119
— 120
— 121
- 122
— 123
— 124
— 12S
— 126
— 127
— 128
— 129
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
497
Codex Salisburgensis
Regino
Cap. 25
- 26
27
28
29 —
— 30 —
31
32
33
34
3b
36
37
Num. mnrg.
38
39
40
41
42
43
44
4b
46
47
48
49
50
51
52
53
Ex Concilio Lamnetensi
De eo quod in Concilio synodali propinqui invi-
cem accusare debeant. Ex lege Theodosiana.
lib. VIII
Concilio Meldensi. Tit. LXXX. „Scelerosi“.
— Rodomacensi. Tit. XXXV. „Ubi in uno
episcopio“.
Vermariensi. Cap. XXII. „Quicunque pro
conteinptu banni episcopalis“.
Mamnetensi. Cap. XXI. „Homicidae ab
introitu“.
De decimis. Conc. Meldensi. Cap. XVIII. „Tempore
autumni“.
„Sicut enim episcopus“ ....
„Dictum est nobis“
„Si servus absente“
„Omnibus ministris“
„Si laici clericos“
„De servorum ordinatione . . .
„De rebus“
„Ceterum“
„De ecclesiarum vero“ . . .
„Similiter“
„Auctoritas“ .......
„Qui debitum“
„Instruendi“
„Non solum autem“
„Hoc etiam volumus
„Imperator Constantinus“ . . .
XXIV.
XXV-
XXVI.
XXVII.
XXVIII.
XXVIIII.
XXXVI.
XXXVII.
XXXVIII.
XXXVIIII.
De poenitentia homicidarum. Ex Concilio Triburiensi
Quid in primo anno observare debeat
Quid in duobus aliis annis debeat observari . . .
Quid in reliquis quatuor annis debeat observare .
Ex Concilio Ancirano. „Qui voluntarie homicidium“
Ex Concilio Pariensi. „Si quis homicidium sponte“
Ex Concilio Mamnetensi. „Itaque censuimus“ . .
In Triburensi Concilio. De novalium decimis
Cap. XVII. „Si quis autem in affinitate“.
De his, qui duabus sororibus nupserint
Cap. XLIIII. Si quis eum qualibet fornicatus fuerit
De bauno episcopali Concilii Niceni. Cap. VII.
II. 130
I. 143
I. 257
II. 265
I. 404
— 405
— 407
— 408
— 409
— 410
— 411
— 412
— 413
— 414
— 415
— 416
— 417
— 418
II. 6
— 7
— 8
— 9
— 10
— 11
— 12
cf. II. 228
cf. — 208
fol. 210
fol. 217
fol. 218
fol. 219
fol 220
fol. 221
498
Phillips
fol. 222
fol. 223
fol. 224
Codex Salisburfrensis
Regino
Cap. 54 De eo, si frater fratris uxorem violaverit. Conc.
Tolet. cap. VI
— 55 De incestuosis
— 56 In nomine Domini incipit epistola ducis et regis
Karalmanni.
— 57 De usuris. Omnis enim homo.
-— 58 Kal. Jul. anno domini incarnat. DCCCCXXXII.
„Quando synodus in erfesfurt“.
— 59 Concilio Heliberit. tit. LXXV.
— 60 Ex Concilio Toletano. tit. XI
— 6t Incipit regula formatarum
cf. II. 246
II. 299
I. 449
Aus dieser Tabelle ist zunächst ersichtlich, dass die hier
zusammengestellten Capitel sich zum grossen Theile bei Regino
wiederfinden , namentlich Cap. 4 — 9 (App. I. 21—26), Cap. 10
bis 25 (Reg. II. 115-130), Cap. 26 (Reg. I. 143), Cap. 32
(I. 257), Cap. 33 (II. 265), Cap. 34—41 (1.404. 405. 407—418)
und Cap. 42—48 (II. 6 —12). Aus den Marginal Ziffern lässt sich
weiter schliessen, dass mit Ausschluss des zuletzt erwähnten
Abschnittes (Cap. 42—48) die mit Regino übereinstimmenden Ca-
piteln aus einer Sammlung entnommen sind , die diese gerade in
der Reihenfolge, in welcher man sie imCod. Salish. findet, enthielt.
Das Cap. 32 wird nämlich in margine als Cap. XXIV. bezeichnet,
diesem gehen 23 Capitel voran, welche mit Regino zusammen-
stimmen. Auf den ersten Anblick scheint es , als ob die Marginal-
ziffern nicht zu einander passen, indem Cap. 37 als Cap. XXVII1I,
Cap. 38 aber als Cap. XXXVI bezeichnet wird; allein die Samm
lung, aus welcher der Cod. Salish. schöpfte, hat wie Regino die in
der Tabelle angegebenen einzelnen Bestandtheile des Cap. 37 als
selbstständige Capitel mitgezählt („De rebus“ ist Cap. XXX u. s. w.).
Ob diese Sammlung mehr als 39 Capitel gehabt hat und ob vielleicht
Cap. 42—48 des Cod. Salish. in ihr mit den Zahlen XL—XLVI ent
halten war, muss dahingestellt bleiben. Da für die Kritik aller von
Regino aufgenommenen Capitel Wasserschieben vollständig Genüge
gethan hat, so kann von diesen hier Umgang genommen werden.
Es erübrigt daher nur noch einiges Nähere über die Cap. 1 —3, 27—31
und 49—61, zum Theil aber auch diese Capitel selbst mitzutheilen.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
499
§. 39.
2. Die Capitel 1—3.
(fol. 213.)
Ohne irgend ein Rubrum schliessen sich diese Capitel an die
DecretaleHadrian’s II. an, mit welcher sie wohl schwerlich in einem
Zusammenhänge stehen. Sie scheinen nicht gedruckt zu sein und
lauten folgendermassen:
1. Si cui utriusque sexus nobili personae aliquid crimen obiici-
tur, quo se purgare desiderat, testes non quoslibet ac coniuratores
se adhibere cognoscat, sed consanguinitate proximos ac fidei vitaeque
probitate praeditos. Verus si quidem testis tribus probatur causis:
sexu , conditione scilicet et vita , si vir non femina , si über non
servus. Nam saepe servus metu dominantis testimonium supprimit
veritatis. Vita vero, si innocens et integer actu. Nam si vita bona
defuerit, fide carebit. Non enim potest iustitia cum scelerato habere
societatem. Huiusmodi ergo XII esse oportet, nec aetate inferiores
quam duoderines. Testimonium enim pueri non admittatur, sicut nec
mulieris propter levitatem et procacitatem eius naturae.
2. Si quis episcopus cum presbytero diacono vel subiectis
gradibus quodcunque ventilandum putaverit, antequam cognitores
adfuerint, iustum est, ut non ipsius sessio episcopi inter iudices
habeatur, cuius pro tempore agitatur sententia, sed antiqua servefur
regula, quia sic scriptum est: „Si contendi iudicio servo meo“ et
terum: „sive servi sive liberi, in Christo unum sumus".
3. Itemsi maiorcum inferiori negotium habuerit stantes uterque
dent vel accipiant. Item placuit, ut si quis senior cum inferiori ante
primatem causam suae sententiae adfirmare voluerit, litigans omnino
omnino non sedeat; quia si honore praecellit, altercandi quoque
aequale debet habere Stadium.
§. 40.
3. Die Capitel 27—31.
(fol. 216—217«.)
Diese fünf Capitel unterbrechen die Reihenfolge der mit Regino
zusammenstimmenden Capitel. Zwei derselben werden dem Con-
cilium von Meaux, die drei übrigen den Concilien von Rouen, Ver-
mery und Nantes zugeschrieben; sie werden aber sämmtlich in den
vorhandenen Acten dieser Concilien nicht angetroffen.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XL1V. Bd. II. Hft. 33
i
500
Phillip»
foi-216 Concilio Meldensi. Tit. LXXX.
Scelerosi et in capitalibus vieiis quae animae inferunt mortem
obstinati et incorrigibiles et sanctorum canonum statutis rebelles in
synodicis sunt accusandi conciliis. Quod praecipue ab illis fieri
oportet, qui eis sunt carnis affinitate proprinquiores. Qui a cognatis
praecepto dominico ita sunt diligendi, ut eorum non diligantur
errores, et dum in eo amandi sint quod sunt execrandi tarnen in eo
quod male faciunt. Huismodi enim sicut ethnicos et publicanos Domi
nus praeeipitabhominari. Domino autem iudignus iudicatur a quocum-
que ipse in consanguinitatis amore postponitur, illo attestante, qui
ait 1 ): „Qui amat patrem aut matrem aut fratres aut sorores aut
uxorem aut filios plusquam me, non est me dignus“. Ne quis crudele
aut inbumanum estimet proximos delinquentes accusando persequi,
intellegat quod ipsa veritas dicat 3 ): „Si scandalizat te oculus aut
manus vel pes tuus, erue eos et proice abs te“. Eruendus et
abscindendus est ante satisfactionem a eommunione unius euiusquam
christiani hominis, qui Christi reluctatur mandatis, non solum extranei
verum etiam cognationis propinquissimi. Propter quod se Dominus
venisse testatur 3 ): „Veni enim separare hominem adversus patrem
et filiam adversus matrem suam“ etc. Cum quibus etiam apostolus
nec cibum sumere mandat et iterum 4 ): „tradite buiusmodi satanae
et in interitum carnis, ut spiritus salvus fiat in die Domini“. Sed
haec secundum apostolum non odio sed eorum amore agenda sunt,
saltim ut coacti ad viam redeant et salvi tiant. Unde in Levitico 5 )
dicitur: „Nec oderis fratrem tuam in corde tuo, sed publice argue
foi.210« eum, nec habeas super illo peccatum“. Cuiuscunque autem increpa-
tionis instantia proximus a pravitate sua resipuerit et perversae con-
versationi renunciaverit, quam magnae sit mercedis et retributionis
audiat Jacobum apostolum dicentem 6 ): „Qui converti fecerit pecca-
torem ab errore viae suae, salvabit animam eius a inorte et operit
multitudinem peccatorum“. Quapropter sancimus nolentessacramento
constringi, ut peccantes proximos quos amant periurii timore celare
1) Matth. X. 37.
2) Matth. XV11I. 8. 9.
S) Matth. X. 33.
■») 1 C o r. V. 5.
5) Levit. XIX. 17.
6) J a c o b. V. 20.
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
SOI
non praesumant. Nec sit quisquam in episcopatu laicus testimonio
admittendus, qui non sit huiusraodi sacramentis implicatus: „Ex hac
hora deinceps , quidquid contra divinam et christianam legem in
diocesi praesentis tempoi'is episcopi commissum veraciter scio aut
a veracibus divulgatum comperero, Quando ab ipso in synodo aut
parroecbiaü conventu vel a suo archidiacono aut archipresbytero in
illorum ministerio interrogatus fuero non gratia alicuius vel odio id
me celatarum, ut ita me Deus et ista sanctorum adiuvent patrocinia“.
Der liier mitgetheilte Eid der Sendzeugen ist von dem bei
Regin o II. 2 vorgescbriebenen verschieden. Regino entlehnt seine
Eidesformel nach seiner Angabe einem Concilium von Rouen. Sie
gehört sicherlich wie Dove, Untersuchungen über die Sendgerichte
(Zeitschrift für deutsches Recht. Bd. 19, S. 344), wohl mit Recht
hervorhebt, nicht in das siebente, sondern mindestens in das neunte.
Sehr merkwürdig ist nun Cap. 28 unserer Sammlung, welches
ebenfalls dem Concilium von Rouen zugeschrieben wird; dasselbe
stimmt in einzelnen Bestandtheilen mit dem von Amann (Praesfan-
tiorum aliquot Codicum MSS. qui Friburgi servantur ad jurispruden-
tiam speclantium Trib. 1837 Notitia. Fase. 11. p. 63 sqq.) zuerst
herausgegebenen und neuerdings von Dove a. a. 0. S. 382 als
„Sendrecht der Main- und Rednitzwenden“ erläuterten Monumente <)
überein, welches sich in einer Handschrift findet, die nicht jünger
ist, als das dritte Jahrzehnt des eilften Jahrhunderts. Im Cod. Salisb.
lautet nun das dem Concilium von Rouen zugeschriebene Capitel also
Co n eil io Rodomacensi. Cap. XXXV.
Uhi in uno episcopio suh unius pastoris censura inultorum
populorum nationes diversas et linguas et tribus synodalibus conti-
gerit permisceri conventibus, licet secundum ius humanum legum
differentiam discrepent, decreto tarnen Niceni concilii sancitum est,
ut nequaquam ah catholicae matris ecclesiae privilegiorum diversa
quispiam consuetudine discordet. Sicut enim una fides , unum
baptisma, unusque omnihus Christicolis Deus est, ita etiam evan-
*) Dieses findet sich nunmehr aus einem ehemals Eichstätter Codex auch in den
Monum. Germ. hist. Tom. XV. 486 als siebzehnte Additio zu der Lex Baiu-
variorum. Der Abdruck bei Amann I. c. , ist hier unbemerkt geblieben, denn die
Variante „lege salica“ statt „lege sancta“ wäre als die unstreitig richtige Lesart
hervorgehoben worden.
33*
502
Phillips
gelicorum canonicorumque cunctos uniformis praeceptorum con-
nectat observantia. Quod ut examussim fieri possit, Iaicos omnes,
qui christiano nomine censentur et praecipue quos generis nobilitas
cuiuscunque nationis sint idoneos testimonio probaverit, statuimus
in episcopalibus conciliis iurare uniyersaliter compelli, quatenus
quaecunque evangelicis atque canonicis dogmatibus mandatisque in
episcopio unde oriundi sunt, contraire atque obviare persenserint,
quando a suo episcopo vel ab eius ecclesiasticis ministris synodice
fuerint ammoniti publice in medium proferre nullaque ex industria
cognita vel comperta celare. Quod si quis ....
Da mit den zuletzt erwähnten Worten die Übereinstimmung
unseres Capitels mit dem Sendrechte bei Amann und Dove beginnt,
so möge auf die in diesem voraufgehenden Bestimmungen auch
einige Rücksicht genommen werden. Dasselbe fängt mit dem Satze
an: Statutum est, qualiter sclavi et caeterae nationes, qui nec pacto
nec lege salica utuntur, post perceptam baptismi gratiam constrin-
gendi sint, ut divinis sacerdotumque suorum obtemperent praeceptis.
Hierauf folgt dann jenes Capitel, „Quia secundum canonicam diffini-
tionem“, welches oben als dem Conc. Tribur. ann. 895 angehörig
bezeichnet worden ist J ). Hieran schliessen sich dann die im Cod.
Salisb. mit den zuvor angegebenen Worten beginnenden Sätze an:
Quod si quis cuiuscunque sit nationis (Cod. Frib. sit gentis,
foi.217 nationis) vel linguae contempto Dei omnipotentis timore, ita inre-
verens deprehensus fuerit post huiusmodi sacramentum ut iurata per
quodcunque ingenium sive excusationem aut dissimulationem notitiae
violare praesumat a cuiuscunque nationis vel linguae viris tantum
nobilibus et numero testimonio congruentibus periurii (Cod. Frib.
periurii vel alicuius criminis) impetitus fuerit noxa, penitus a ) quia
unius legis et gentis non sunt 3 )obiectioneremota aut vindicta periurii
subiaceat, aut se ex impetita suspicione igniti ferri iudicio expurget.
Quod si quis temeritatis obstinatia in neutro sanctae ecclesiae satis-
facere voluerit, a Iiminibus et communione eiusdem sanctae Dei
ecclesiae habeatur exclusus (Cod. Frib. disclusus)et exlex, quousque
resipiscendo canonicis obtemperaverit statutis (Cod. Frib. institutis).
1 ) S. §. 20. S. 33. Sollte also vielleicht ein Zusammenhang' dieses ganzen Stückes
mit dem Conc. Tribur. anzunehmeu sein ?
2 ) Pertz: fuerit: noxae penitus.
®) Pertz liest für non sunt: censentur.
MW ^7
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32. 503
Hiermit sehliesst in dem Cod. Salisb. das Capitel, während in dem
Freiburger noch mehrere andere Anordnungen, z. B. über die
Beobachtung der Festtage und der Fasten folgen.
Concilio Vermariensi. Cap. XX. II.
Quicunque per contemptum banni episcopalis ab ecclesia elimi-
nantur et ex hac distinetione poenitentiae subiciuntur XLmam in
pane, sale et aqua ita ieiunent ante foras eeclesiae, nudis pedibus,
aneis induti, communione priyati, sicut solent homicidae quando
eiunant. Similiter omnes qui publica impetitione periurii deprehen-
duntur aut qui legitimo matrimonio copulati adulteria post semel
actam poenitentiam iterant, vel qui de periurio vel adulterio crimi-
nati non ex bona conscientia sed spe maleficii, quo se expurgent,
iudicium appellant eodem ordine poeniteant.
Concilio Mamnetensi. Cap. XXI.
Homicidae ab introitu eeclesiae et a mensa et ab osculochristia-
norum se abstineant, qnousque prima XLma in pane , sale et aqua
secundum canonicam diffinitionem ieiunent, tune ad mensam et ad
oscula admittantur et post triennium in V feria coenae Domini ab
episcopo cum benedictione introducti demum sanctae matri eeclesiae
reconcilientur.
De decimis. Concilio Meldensi. Cap. XVIII.
Tempore autunni post collectionem frugum sic moderentu
iudutiae a presbyteris in suis barrochiis, ut ultimaesintin die festivi-
tatis sancti Martini et quicunque illas neglexerit indutias et non f 0 i.2i7»
dederit vel quod iuste dedisset sacramento probare noluerit aeccle-
siastica communione usque ad satisfactionem privetur.
§• 41.
4. Die Capitel 49 —S5.
(fol. 220a—221a.)
Diese sieben Capitel sind, wenn sie sich auch theilweise anders
bezeichnen, bis auf eines (Cap. 51) sämmtlich dem Co n c. Tribur.
ann. 895 entnommen, und zwar, finden sich Cap. 49 und 50 in
Cap. 14 der gedachten Synode wieder; Cap. 52 ist = 43; Cap. 53
= 8; Cap. 54 = 41 und Cap. 55 = Cap. 44 und 45, doch ist an
letzterer Stelle im Cod. Salisb. das Conc. Neocaes. cap. 2 nur
citirt, nicht wörtlich mitgetheilt. Was das Cap. 51 anbetrifft, so
504
Phillips
gehört dieses seinem Ursprünge nach dem Conc. Wormat. ann. 861.
can. 33 (Hardouin, Conc. Tom. V. col. 742) an. Es sind dies
übrigens die nämlichen Canones, welche bei W a ss er s ch 1 eb en,
Beiträge zu den vorgratianischen Rechtsquellen, S. 21 , aus dem
Darmstädter Codex (Harzheim’s Katalog N. 118) unter den Num
mern 22—23 zusammengestellt werden.
§. 42.
5. Die Capitel 56 und 57.
(fol. 221a—222.)
Das Capitel S6 ist das „CapitulareKaralmanni“ vom Jahre 742,
welches in den Monum. Germ. hist. Tom. III. p. 16. sqq. abgedruckt
ist. Unser Codex hat manche Varianten (zum Theile auch Aus
lassungen und andere Wortstellungen) und namentlich in dem ersten
und zweiten Capitel deren so viele, dass es kürzer ist, den voll
ständigen Text zu geben.
In nomine domini. Incipit epistola ducis et regis Karalmanni.
Ego Karalmannus, dux et princeps Francorum cum consilio servorum
Dei et optimatum meorum, qui in regno ineo sunt, episcopi scilice
et presbiteri et alii, concilium et synodum pro timore Christi con-
gregavi cum bonifacio archiepiscopo et purchard o episcopo,
et aliis pluribus episcopis, ut mihi concilium darent,
quomodo lex Dei et ecclesiastica religio recuperaretur, quae in
diebus principum priorum dissipata corruit, et qualiter populus
christianus ad salutem animae pervenire possit, ut per falsos sacer-
dotes deceptus non pereat et constituimus super eos Bonifacium
archiepiscopum, qui missus est sancti Petri et statuimus per sin-
gulos annos synodum congregare , ut nobis praesentibus canonum
decreta et ecclesice iura restaurentur et religio christiana emen-
detur. Et pecunias fraudatas ecclesiarum ecclesiis reddidimus et
falsos presbiteros et adulteros, fornicatores diaconos et clericos de
ministeriis ecclesiarum abstulimus et degradavimus et ad poeni-
tentiam coegimus. — (Cap. 2.) Servis Dei peromnia armaturam por-
tare prohibuimus et in hostem ire, nisi illos, qui pro hostili
neeessitate pergant pro missis celebrandis et sanc-
torum patrociniis deportandis et confitentibus poeniten-
tiam imponendo. Nec non et illas venationes et silvaticas vaga-
tiones cum canibus Omnibus servis Dei interdiximus, ut accipitres
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
S05
et falcones non habeant. (Cap. 3.) Ut unusquisque presbiter in sua
parrochia habitet etc.
M. G. H. p. III. p. 17. lin. 10: ad confirmandum popul um. —
lin. 12. quaerat et [Cap. 4] supervenientes et ignotos episcopos
vel presbiteros ante probationem in ecclesiastieum ministerium non
admittant. (Cap. 5.) Ut. —lin. 18. habeat. — lin. 22. confessorum
Domini et suos sanctos. — lin. 23. niedfires. — (Cap. 6) lin. 25.
Post hanc synodum quisquis. — lin. 26. fuerit, in. — lin. 27. pres
biter fuit. — lin. 28. permaneat. Ante flagellatus. — lin. 30. ver
teilte anno. — (Cap. 7) lin. 32. Ut presbiteri. — lin. 34. Benedicti
vivere. — Zum Schlüsse folgt noeli (gleichsam als achtes Capitel)
Adulteria et incesta matrimonia quae non sunt legitima prohibeantur
et emendentur episcoporum iudicio et mancipia christiana paganis
non tradantur, woran sieb dann weiter ein Capitel anreibt, welches
auf diesen Verkauf sich zu beziehen scheint, aber die Rubrik „De
usuris“ hat; dasselbe lautet:
Omnis enim homo, qui alium in corpore persequitur prius ipse
in corde persecutionem sustinere cognoscitur. Nam si etiam ille
quem persequitur aliquid de substantia sua tulerit, maiorem (!) sibi
ipse dispendium facit. Quia nemo habet iniustum lucrum sine iusto
damno; et ibi damnum , lucrum in arca , damnum in conscientia.
Tulit vestem et perdidit fidem, adquirit pecuniam et perdit iustitiam.
Sed hoc hoinines faciunt, quia diem riovissimum attendere nolunt.
Si enim diem mortis suae cogitare iugitpr vellent animum suum ab
omni cupiditate et malitiacobiberent. Haec omniaiudicio episcoporum
emendentur.
§■ 43.
6. Das Capitel S8.
(fol. 222a-223.)
Dieses Capitel enthält das Erfurter Concilium vom Jahre 932;
dasselbe findet sich abgedruckt bei Pertz, Monum. Germ. hist.
Tom. IV. p. 18 und in den „Quellen zur bayerischen und deutschen
Geschichte“, Bd. 1. S. 410. Der Cod. Salisb. stimmt mit dem
zuletzt erwähnten Texte überein, fügt aber noch einige recht
merkwürdige Bestimmungen hinzu. Zunächst bestätigt er das Datum
der Synode; die Varianten sind im Ganzen nicht erheblich, und
506
Phillips
zwar mit Beziehung auf den genannten Abdruck folgende: p. 410.
lin. 6. pro sua religione. lin. 13. utrum für quique; ferner: Tum in
tertia die. — lin. 22. In eodem statutum est concilio. — p. 411.
lin. 4. „nequeat persolvere“ für „non habeat“. Auf die Worte: „Domi
nus pro eo reddat“ folgt dann: et unusquisque in dominico die ante
eandem feriam prout valeat eleemosynis se redimat. Item ut nullus
ab initio XL usque ad octavam paschae vuadiare nee ad mallum
cogatur ire , nisi causa reconciliationis aut magnae necessitatis.
foi. 223 Similiter et septem dies ante riatalem domini et sancti Johannis
baptistae decretum est fieri. Item in eodem statutum est concilio, ut
nullus qui homicidium auf periurium convincitur perpetrasse ante
inter christianos habeat communionem, quam ad veram veniat satis-
factionem. Item ut missae, quae inrationabiliter a quibusdam et
canunturet ordinantur, utpute missa s. micbahelis, quae canitur causa
victoriae, ut penitus relinquantur, nisi ad eandem ad quam primitus
inventae sunt constitutionem. Similiter et de candtelis, quas quaedam
in modum crucis in terra ponentes accendunt, u super candelabra
positae incendantur ammonitum est. Item ut nullus sacerdotum
mulieres secum in una domo sub nomine simul habitandi liceat habere
vel saltem matrem aut sororem, ne forte inde occasio aliarum oriatur
introducendi mulierum. Sollte die hier erwähnte Messe zu Ehren
des heiligen Michael, dessen Banner Heinrich I. sich im Jahre darauf
in der Schlacht bei Merseburg vorantragen liess, in Beziehung auf
den über die Ungern zu erflehenden Sieg stehen? Oder liegt darin
eine Hindeutung auf den in mittelalterlichen Dichtungen geschil
derten Kampf des heil. Michael und des Teufels um die ausfahrende
Seele? (s. Grimm, Mythologie. S. 796).
$■ 44.
7. Die Capitel S9 und 60.
(fol. 223—223<t.)
Unter diesen beiden Capiteln wird das erstere dem Concilium
von Elvira, das letztere einer toletanischen Synode zugeschrieben.
Beide werden aber nicht unter den erwähnten Concilienschlüssen
angetroffen, und wie das letztere gewiss, so gehört auch wohl
das erstere dem neunten Jahrhunderte an; auch findet sich in
dem Verzeichnisse der vorgratianischen Canones bei Theiner kein
Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32. 507
Capitel, welches mit den Worten dieses Canons beginnt. Dasselbe
lautet:
De ecclesiis ab episcop© non consecratis et tarnen earum
possessoribus ut sint consecratae contenderitibus, non saeculares
personae sed sacerdotes, ministri scilicet altaris et ecclesiae et
illius consecrationis cooperatores et solemnis diei et officii actores
id probent et adprime hi, qui ex illa vicinia parroecchias tenent,
ubi ecclesia est de cuius ambigitur consecratione. Hi ergo cum
ceteris Omnibus in synodali concilio ab episcopo pro suo sunt con-
lestandi sacerdotio, si illorum temporibus vel antecessorum suorum
sciant illius ecclesiae dedicationem die vel officio umquam fuisse
celebrem. Quod si affirmando in hoc concordant, non fiat iniuria
aecclesiae Iegitimae vel suo defensori. Sin autem in arbitrio sit
episcopi claudere seu operire eam.
Der vermeintliche Canon eines Conc. Toi et. gehört dem Conc.
Laur. ann. 843. cap. 1. (Conc. Meid. ann. 843. cap. 13; bei
Hardouin, Concilia. Tom. IV. col. 1485) an; schon oben ist auf
die Aufnahme dieses Canons bei Regino verwiesen.
§■ 4S.
8. Das Capitel 61.
(fol. 224.)
Das letzte Blatt enthält die Regula Formatarum , ziemlich
übereinstimmend mit der bei Regino. I. 449. Die Varianten des
Cod. Salisb. sind mit Beziehung auf Wasserschleben’s Ausgabe
des Regino folgende:
lin. 1: nuraeris. — lin. 5: Nicea. — lin. 8: ast für id est, ut.
in. 11: numeros. — lin. 12: numerum. — lin. 14: fehlen die
Worte: accipientis tertia. — lin. 16: est id temporis. — atque his.
lin. 18: fehlt das Wort collecta. — lin. 20: numeros, quis. —
lin. 21: significatur. Amen. Die übrigen Worte, welche Regino
noch hat, fehlen. Zum Schlüsse die Worte Explicit feliciter
Amen; aus den unleserlich gewordenen Schriftzeichen lässt sich
aus den schwachen Andeutungen noch etwa herausbringen : can. u.
men. Mit dieser Regula formatarum möge die Formata auf der
Rückseite des Titelblattes in Zusammenhang gestellt werden; sie
entspricht mit Änderung der Namen so ziemlich der Formata bei
Regino. 1.450. Sie lautet:
i
508
Phillips
LXXX. CCCC. I. LXXX. C. CCCC. V. CCC. I. XL. VIII. L.
n. Y. A. n. P. Y. E. T. A. M. H. N.
DCCCC. D. LX. V.
^ 3. E. Indictione VI. ICCCCLV.
Reverentissimo cultuque almifluae religionis sincerissimo vuilli—
berto sanclae Agripinae sedis episcopo Ruotbertus reverendae
mettensis ecclesiae ac plebis ipsius humilis famulus, in Christo
pastorum principe mansuram cum gaudio prosperitatis et perpetui-
tatisgloriam etc. Die im Folgenden vorkommenden Varianten sind mit
Bezug auf Wasserschiebeu’s Ausgabe des Regino a. a. 0. nach
stehende: lin. 8: paternitatem. — lin. 10: cuidam diacono nostro
Stephano für „presbytero etc.“ — lin. 12: canonice für ecclesia-
stice. — lin. 13: diaconatus für presbyteratus. — lin. 16: zwischen
die Worte „liceat illumque“ schaltet der Cod. Salisb. ein: et ut eum
si morum probitas et doctrinae dignitas suppetit ad presbyteratus
ordinem promoveatis fideliter annuimus. — lin. 21 fehlen die Worte
von „interventu“ bis „commissum“ est. —lin. 23: diu conservare
dignetur incolomem. Zum Schlüsse folgen dann wieder genau die
obigen Zahlen und Buchstaben.
XYH. Ein ßunenalpliabet.
(fol. 223 Rückseite.)
§• 46.
Zwischen die beiden zuvor i) näher angegebenen Capitel 59
und 60 ist ein Runenalphabet, nebst einer Anweisung dasselbe zur
Geheimschrift zu gebrauchen, von der nämlichen Hand geschrieben,
eingeschaltet. Man könnte wohl dafür halten , dass es sich hier an
völlig ungehöriger Stelle befinde, wenn nicht etwa es ebenfalls zum
Gebrauche bei den Formaten empfohlen werden soll, was aber doch
immer unwahrscheinlich sein möchte. Nicht nur stimmt das Alphabet
mit dem ersten des bei Willi. Grimm, Uber deutsche Runen,
S. 106 u. ff. beschriebenen des Cod. Sangall. 270, p. 52 überein,
sondern ein Theil des dasselbe begleitenden Textes ist dem Inhalte
nach den Bemerkungen entsprechend , welche in dem gedachten
Codex auf die beiden Alphabete folgen und bei Grimm a. a. 0. S. 110
U §. 44.
Der Codex Salishurgensis S. Petri. IX. 32* 509
in der Note abgedruckt sind. Die betreffende Stelle im Cod. Salisb.
lautet wie folgt:
Notum sit omni litterarum, quaerunae dicantur, scientiam habere
uolenti, quia in quattuor versus vel oi'dines dividuntur. Primus ordo
continet litteras VIII. Secundus itidem VIII. Tertius similiter VIII.
Quartus quattuor. Primo ordini hae deputantur (s. das Facsimile).
De bis litteris tres sequestrantur quibus singulis totum quod velis
seribere potes, id est [iset?]lago et hagal; quod per i solam scribitur,
Isruna vocatur, quod per lago lagoruna, quod per hagal liagalruna.
Ergo si per i vel 1 seribere volueris, primum breviori i vel 1 ordinem
notabis, longioribus vero litteram, quod si perhagal seribere volueris,
in sinistra parfe quotus sit ordo, In dextera, quota sit littera notabis
et ob facillitatem scribendi partem eiusdem litterae ablatam vel
mutatam scito. Est et strophruna, quae solis punctis constat, quae
hae ratione scribitur, ut superius ordo inferius litterae designentur,
et ut facillius intellegatur, quod dicitur, promptumponamusexemplum.
Amen. Wegen des Weiteren s. das Facsimile. — Der Cod. Sangal.
nennt die zuletzt erwähnte Rune Stofruna und fügt in Betreff der
selben hinzu : sed aliquando mixfim illas faciunt, ut supra sint puncti,
qui litteram significant et subter ordo versus. Die nämliche Hand
schrift hat noch den Zusatz: Clofruna (offenbar Klopfrune) dicuntur,
quae pulsu efficitur distinctis personis et litteris, ita ut primum inei—
piatur a personis postea a litteris.
Der Cod. Salisb. gibt das Beispiel, wodurch er über den Ge
brauch der Geheimschrift helehren will, nicht an , sondern man
erlangt nur aus den gebrauchten Runen und Strichen dazu, dass das
dazu dienende Wort „racco“ ist. Der Cod. Sangall. hingegen sagt
zuvor, dass er an dem Worte „corvi“ die Geheimschrift deutlich
machen wolle; Grimm a. a. 0. S. 112 ist nun der Meinung, dass
der Verfasser jener Erklärung sich auf das erste der vorstehenden
Alphabete bezogen habe; allein dazu passt das Beispiel nicht und
das Wort corvi kommt nur dann heraus, wenn man, wie er es thut,
annimmt, dass in dem Beispiele selbst mehrere Fehler gemacht
worden seien. Daher hat Lauth (das germanische Runen-Fudark,
S. 66) die Vermuthung aufgestellt, jene Erläuterung der Geheim
schrift beziehe sich nicht auf das Sanct-Galler Alphabet, sondern auf
das in dem Pariser Codex des Isidorus befindliche , bei dessen An
wendung denn auch wirklich das Wort corvi ermittelt wird. Dieses
510
Phillips, Der Codex Salisburgensis S. Petri. IX. 32.
Isidorisehe Alphabet (s. Grimm a. a. 0. S. 137 und Tab. II.)
stimmt aber in seiner Eintheilung (3mal 8 -j- 4) zu dem im Cod.
Salisb. enthaltenen. Das durch diesen vermittelte Wort racco liegt
indessen dennoch von dem „Raben“ des Cod. Sangall. nicht so
ferne, sobald man berücksichtigt, dass krack (unser: Krähe;
s. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Bd. 2. S. 380), womit
Graculus zu vergleichen, ebenfalls diesen Vogel bedeutet.
Was nun die einzelnen Runen anbetrifft, so gibt der Cod.
Salisb. ausser den drei zuvor genannten leider keine Namen, sondern
nur die betreffenden lateinischen Buchstaben, mit denen sie sich
decken. Hinsichtlich der Zeichen ist die Übereinstimmung unsere.
Cod. Salisb. mit dem Cod. Sangall. offenbar grösser, als mit dem
Isidorischen Alphabet, wenn auch mit jenem kein vollkommenes
Zusammentreffen stattfmdet. Wenn Cod. Salisb. die siebente Rune
scheinbar mit s bezeichnet, so ist dies doch nur ein verschobenes g
und dieRune „gebo“ aus dem Zeichen deutlich erkennbar. Die Rune
hagal des Cod Salisb. weicht von der der beiden andern Codices
bedeutend ab; sie kommt der eines andern Cod. Sangall. 878 (bei
Grimm, Tab. II) um vieles näher. Die dreizehnte Rune (inc) wird
in unserm Codex, gleich hagal, als h erklärt; es ist wohl ih gemeint
Cod. Sang. 270. hat k). Die vorletzte Rune gibt unser Cod. Salisb.
mit q wieder, worüber Lauth. a. a. 0. S. 63 zu vergleichen ist.
NACHTRAG.
Die S. 449 angegebene Decretale Johann’s VIII. gehört dem
Conc. Tr icas s. II. ann. 878. an. (S. Ha rdouin, Concil. Tom. VI.
P. I. col. 195.)
Phillips. Der Codex Saiisbuig'ensis IX. 59.
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fxT opdo lncipxTepa^ cjnor^jvo Ivrrepa/ noTabvj'. & ob-paxilltTax^ jept
b z ncii/. |>apTt^ e?de' litrp. abLxä TmwTarvt fciro. EfV. & ffropKun*.
•cpue joUj’^nttünf c(bat . cjtv^hac fcrvbrt. 'Vrj'npppxuj'. or
do inpe^taj* IxTTerjp dejx^nenT. &vrr-fVvciUiu{ anxdlec^vp. c|dckctx.
^ m, j>Tvvm pcnamif exenxpWxnv. Xmei~i.
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E.Streber soripsii
/bropbr un ^
Sitmn^b.d k AkaiLil.W! philos.histor. CI .XUT Bd
bis d. 1c. Jc.llof. u.Staal3dmcJ | cei'ei.
Dr. Pfizmaier, Die HeerführerLi-khuang und Li-ling.
Sil
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling.
Von dem w. M. Dr. August Pfizmaier.
(Vorgelegt in der Sitzung am 14. October 1863.)
Unter den auswärtigen Ereignissen des die Lenkung des All
halters Hiao-wu von Han umfassenden langjährigen Zeitraumes
(140 — 87 vor uns. Zeitr.) nehmen die Kriege gegen den im ganzen
Norden des Mittellandes waltenden Volksstamm der Hiung-nu’s eine
hervorragende Stelle ein. Obgleich auf weit vorgeschobene Marken
im Nordwesten gestützt und durch sehr ausgedehnte Eroberungen
im Westen die Hiung-nu's gleichsam überflügelnd, kämpfte Han
damals im Norden meistentheils noch unglücklich und sämmtliche
Angriffe, welche mit grossen Mengen von Streitkräften, unter ihnen
als neue Erscheinung viele Zehntausende von Reitern, gegen die
Hiung-nu’s in’s Werk gesetzt wurden, endeten mit verlustvollem
Rückzuge.
Die zwei Heerführer, welche der Gegenstand dieser Abhand
lung, konnten zwar, da sie nur verhältnissmässig kleine Heeres
abtheilungen befehligten, dieses anfängliche Missgeschick der Waf
fen von Han nicht verhüten, allein aus der Erzählung ihrer oft
kühnen und ungewöhnlichen Thaten lässt sich ein tiefer Einblick in
die jenen Ländern eigenthümliche Kriegführung, zum Theil auch in
das Leben und öffentliche Wesen des keineswegs in dem Masse,
wie sonst vermuthet werden dürfte, rohen und unmenschlichen
Hiung-nu-Stammes gewinnen.
Reide Männer erfuhren übrigens die äusserste Widerwärtigkeit
"des Schicksals. Li-khuang, im Leben von allen seinen Kriegern
geliebt, im Tode von allen Bewohnern des Landes beweint,
512
Dr. Pfizmai e r
verirrte sich auf einem Zuge durch die Wüsten und starb, um nicht
dpn Gerichten Rede stehen zu müssen, durch seine eigene Hand.
Li-ling, der Enkel Li-khuang's, ergab sich nach langen und vergeb
lichen Kämpfen den Hiung-nu’s, von denen er jedoch, da die Um
stände eine Rückkehr nach Han nicht gestatteten, in vorzüglichen
Ehren gehalten und zu einer der höchsten Würden des Landes,
mit welcher selbst die Königsbenennung verbunden war, befördert
wurde.
Li - k h u a n g.
Li-khuang war in » js* Tsching-ki <), einer
Stadt der ehemaligen Landschaft ß|j| Lung-si, geboren. Sein
Vorfahr war /|=j ^ Li-sin, der zu den Zeiten von Thsin als
Refehlshaber einer Heeresabtheilung den Nachfolger Tan von Yen
verfolgte und einholte. Li-khuang batte von den vorhergegangenen
Geschlechtsaltern seines Hauses die Kunst des Pfeilschiessens
ererbt.
Im vierzehnten Jahre des Allhalters Hiao-wen (^166 vor uns.
Zeitr.) machten die Hiung-nu’s einen starken Einfall durch den
Durchweg lär Siao»). Li-khuang folgte mit den trefflichen Leuten
seines Hauses dem Heere von Han und betheiligte sich an dem
Angriffe auf Hu. Durch seine Geschicklichkeit im Pfeilschiessen
gelang es ihm, viele angesehene Feinde zu tödten. Für diese Dienste
wurde er zum Leibwächter ernannt, in welcher Eigenschaft er
gewöhnlich zur Seite des Himmelssohnes einherritt. Er begleitete
den Allhalter mehrmals zu Schiessübungen und auf Jagden, wobei
er reissende Thiere erlegte. Der Allhalter Wen sagte von ihm: Es
ist schade, dass Khuang nicht zu der angemessenen Zeit geboren
wurde. Gesetzt, er lebte in dem Zeitalter Kao-tsu, so wäre ein
Lehenfürstenlhum von zehntausend Thüren für ihn kaum werth der
Erwähnung.
*) Tsching-ki ist das heutige Thsin-tscheu, Kreis Rung-tschang in Kan-sü.
2 ) Der Durchweg Siao befand sich nördlich von der oberen Landschaft (Schang-
kiün), welche ihrerseits der nördliche Theil des heutigen Schen-si zunächst
Yen-ngan und Sui-te.
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling.
513
Bei dem Lenkungsantritte des Allhalters King (156 vor uns.
Zeitr.) wurde Li-khuang zum Anführer der berittenen Leibwachen
ernannt. Zur Zeit des Abfalles von U und Tsu (154 vor uns. Zeitr.)
begleitete er in der Eigenschaft eines Tu-wei der tapferen Reiter
den „grossen Beruhiger“ Tscheu-ya-fu und kämpfte unter den
Mauern vor Tschang-yi, wodurch er seinen Namen berühmt machte.
Nach seiner Rückkehr erhielt jedoch Li-khuang keine Belohnung,
was aus dem Grunde geschah, weil der König von Liang ihm die
Abdrucksmarke eines Heerführers eingehändigt hatte.
Li-khuang ward jetzt Statthalter von Schang-ko <) und bestand
als solcher zu wiederholten Malen Kämpfe mit den Hiung-nu's. Der
mit den Angelegenheiten der Nebenländer betraute jjj'P jj^. ^
Kung-sün-hoen-ye sprach zu dem Himmelssohne unter Thränen von
dem Werthe Li-khuang’s, indem er besorgte, dass man diesen Mann
verlieren könne. Er sagte nämlich: Die Fähigheiten und der Geist
Li-khuang's sind in der Welt ohne Gleichen. Gestützt auf seine
eigene Kraft, hat er mehrmals mit den Gefangenen 2 ) gerungen. Ich
fürchte, dass wir ihn verlieren werden. — Der Himmelssohn
ernannte hierauf Li-khuang zum Statthalter der im Nordwesten
gelegenen oberen Landschaft.
Um diese Zeit machten die Hiung-nu’s einen Einfall in die
obere Landschaft. Der Himmelssohn entsandte die angesehenen
Männer des Inneren mit dem Aufträge, sich Li-khuang anzuschlies-
sen. Zugleich gab er Befehl, die eingeübten Kriegsscharen vor
wärts zu führen und die Hiung-nu’s rasch anzugreifen.
Die angesehenen Männer des Inneren, welche das Heer beglei
teten, befanden sich in den Vorderreihen an der Spitze einiger
Zehende von Reitern, als sie dreier Hiung-nu’s ansichtig wurden,
mit denen sie sich in einen Kampf einliessen. Die drei Hiung-nu’s
verwundeten indessen die angesehenen Männer des Inneren durch
Pfeilschüsse und tödteten deren Reiter, worauf die angesehenen
Männer des Inneren, welche nahe daran waren, gänzlich aufgerieben
zu werden, wieder zu Li-khuang zurückflohen.
*) Das heutige Schiin-thien in Pe-tsehT-li.
a ) Unter den „Gefangenen“, einem häufig vorkommenden Ausdrucke, werden die
Iliung-mrs verstanden.
514
Dr. Pfizmaier
Li-khuang sagte: Dies sind gewiss Adlerschützen 1 ). — Sofort
setzte ersieh, von hundert Reitern begleitet, zu Pferde und ver
folgte die drei feindlichen Männer. Die drei Männer entfernten sich,
während ihre Pferde im Schritt gingen. Nachdem sie mehrere
Zehende von Weglängen fortgezogen, befahl Li-khuang seiner Rei-
terschaar, den rechten und linken Flügel auszubreiten. Er selbst
schoss hierauf nach den drei Männern, von denen er zwei tödtete
und den dritten lebend gefangen nahm. Derselbe war wirklich ein
Adlerschütze der Hiung-nu’s.
Nachdem man den Gefangenen gebunden und eine Anhöhe
erstiegen batte, gewahrte man in der Ferne eine Schaar von mehre
ren tausend berittenen Hiung-nu’s. Als diese die kleine Schaar
Li-khuang’s erblickten, hielten sie dieselbe für Reiter, welche dazu
bestimmt seien, den Feind in einen Hinterhalt zu locken. Sie ritten
erschrocken eine Anhöhe hinan und stellten sich in Schlachtreihen.
Die hundert Reiter Li-khuang’s wurden von grosser Furcht
befallen und hatten den Wunsch, eiligst nach dem Lager zurückzu
sprengen. Li-khuang sagte zu ihnen: Wir sind entfernt von dem gros
sen Heere mehrere Zehende von Weglängen. Wenn wir jetzt auf diese
Weise entfliehen, werden die Hiung-nu’s uns nachsetzen, gegen uns
die Pfeile entsenden und uns auf der Stelle aufreiben. Wenn wir
aber verweilen , werden die Hiung-nu's uns gewiss halten für eine
verlockende Schar des grossen Heeres und uns nicht angreifen.
Li-khuang befahl hierauf: Vorwärts! — Noch zwei Weglän
gen von den Reihen der Hiung-nu’s entfernt, liess er halten und
befahl wieder : Steigt alle von den Pferden und nehmt die Sättel
herab! — Die Reiter bemerkten dagegen: Der Gefangenen sind
viele. Wenn wir auf diese Weise die Sättel herabnehmen und
augenblicklich bedrängt werden, was würden wir beginnen? —
Li-khuang sagte zu ihnen: Die Gefangenen glauben, dass wir ent
fliehen werden. Wenn wir jetzt die Sättel herabnehmen und zeigen,
dass wir uns nicht entfernen, bewirken wir dadurch, ^ass fest
erscheint dieser Entschluss.
Ein auf einem weissen Pferde reitender Anführer der Hiung-
nu’s sprengte jetzt hervor, um seine Krieger zusammenzuhalten.
*) Die besten Schützen wurden beauftragt, den grossen schwarzen Adler zu
schiessen.
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling. SIS
Li-khuang stieg mit zehn Reitern zu Pferde, erschoss in schnellem
Laufe den auf dem weissen Pferde reitenden Anführer und kehrte
wieder in die Mitte seiner hundert Reiter zurück. Dieselben nahmen
die Sättel herab, Hessen die Pferde frei herumgehen und legten
sich nieder.
Unterdessen war der Abend gekommen, die Hiung-nu’s staun
ten fortwährend über das Renehmen ihrer Feinde und wagten keinen
Angriff. Um Mitternacht endlich waren die Krieger von Hu in der
Meinung bestärkt, dass Han ein seitwärts in dem Hinterhalte liegen
des Heer habe, welches sie bei nächtlicher Weile aufzuheben
gedenke. Diese Meinung bestimmte sie, sofort abzuziehen. Bei
Tagesanbruch kehrte auch Li-khuang zu seinem grossen Heere
zurück. Daselbst war man in Unkenntniss darüber, wohin sich der
Führer begeben, wesshalb man ihm nicht nachgezogen war.
Später ward Li-khuang als Statthalter nach Lung-si, nach
Pe-ti, nach Yen-men und endlich nach Yün-tschung versetzt. Nach
dem Lenkungsantritte des Allhalters Hiao-wu (140 vor uns. Zeitr.)
ward Li-khuang von der Umgebung dieses Himmelssohnes als ein
berühmter Heerführer namhaft gemacht und in Folge dessen in die
Hauptstadt in der Eigenschaft eines Jyjj' (i|y Wei-wei (Beruhigers
der Leibwache) des Wohnsitzes Wei-yang berufen. Um
dieselbe Zeit war auch jjg]£ üjjjg Tsching-pü-tschi der Wei-
wei des Wohnsitzes Tschang-lo. Beide Männer nahmen
(134 vor uns. Zeitr.) als Statthalter der Markungen und als Heer
führer eine Aufstellung im Norden und schritten zum Angriffe auf
das Land Hu.
Auf diesen Zügen bildete Li-khuang seine Reihen ohne Abthei
lungen und Bruchtheile 1 ). Er begab sich an die Orte, wo gutes
*) Die Befehlshaber der Heere bewerkstelligten die Führung vermittelst der Abthei-
lungen und Bruchtheile. Der oberste Heerführer besass für sein Lager fünf Ab
theilungen, deren jeder ein „Hiao-wei der Abtheilung“ Vorstand. Den
-iA
Pu
„Abtheilungen“ untergereiht waren die
m
Khio „Bruchtheile“, deren jedem
Kiün-heu „Späher des Heeres“ Vorstand. Li-khuang liebte in der
daher,
Kriegführung die Beschränkungen und Veränderungen, er verschmähte
in seinen Feld/.iigen Abtheiluugen und Bruchtheile aufzustellen.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XLIV. ßd. II. Hft. ' 34
516
Dr. Pfizmnier
w asser und Gras zu finden war. Daselbst pflegte er Halt zu machen
und dem Heere Ruhe zu gönnen, ein Vorgehen, in Folge, dessen
jeder Einzelne sich behaglich fühlte. Dem Schutze seinen Wachen
vertrauend, liess er kein „Sclnvertnössel“ ') schlagen. In seinem
Versammlungshause der Zelte 3 ) hedienle man sich wenig des
Buchstabenschmuckes und der Aufsätze. Dessen ungeachtet ermass
und erspähte er auch in der Ferne und hatte noch kein Missgeschick
erfahren.
Tsching-pü-tscln hingegen hielt sich streng an die Abtheilun
gen und Bruchtheile, hatte auf seinen Zügen die Genossenschaften
von fünf Männern und umwallte das Lager. Er liess ferner das
„Sclnvertnössel“ schlagen und seine Angestellten verfertigten die
beschriebenen Rohrplatten des Heeres. Sein Heer fühlte sich bis
zum Anbruch des Tages nicht behaglich. Tsching-pü-tscln pflegte
daher zu sagen: Der Heerführer von dem Geschlechte Li treibt aus
die Spitze die Beschränkungen und Veränderungen. Gleichwohl,
wenn die Gefangenen gegen ihn anstürmen, weiss er ihnen dief
nicht zu wehren, und seine Kriegsmänner sind dabei leichtfertig
und freudig, indess sie für ihn sterben. Mein Kriegsheer ist zwar
belästigt und gequält, aber die Gefangenen können auch nicht gegen
mich anstürmen.
Um diese Zeit waren sowohl Li-khuang als Tsching-pü-tscln
berühmte Heerführer in den an den Marken gelegenen Landschaften
von Han. Allein die Hiung-nu’s fürchteten vorzugsweise Li-khuang
und viele Kriegsmänner und gemeine Streiter folgten ihm mit Freuden
während sie gegen Tsching-pü-tscln Widerwillen empfanden. Der
letztere hatte zu den Zeiten des Allhalters Hiao-king mehrmals auf
gerade Weise Vorstellungen gemacht und war zu einem Grossen der
„grossen Mitte“ ernannt worden. Derselbe war übrigens ein
uneigennütziger Mann, der sich mit Eifer auf die geschriebenen
Gesetze verlegte.
1) Das M- 77 Tiao-teu „Schwertnössel“ war eine mit einer Handhabe ver
sehene kupferne Pfanne, welche ein Nössel fasste. Am Tage wurden in ihm
Speisen gekocht, in der Nacht wurde es von den Reihen der Krieger in den
Händen gehalten und geschlagen. Ein solches Werkzeug befand sich später in
dem Rüsthause von Yung-yang.
2 ) Die Krieger haben in einem Feldzüge keinen bestimmten Wohnsitz, wesshalb das
ßefehlshaberamt des Heerführers sich mitten unter den Zelten befinde
Die Heerführer Li-khuang- und Li-ling.
517
Im folgenden Jahre (133 vor uns. Zeitr.) wollte Han auf den
Rath TJI Wang-khuei's den Schen-yü in eine Falle locken,
indem es ihm die Zugänge der Stadt Ma-yi eröffnete. Han legte ein
von Han-ngan-kue, Li-khuang und Wang-khuei befehligtes Heer
seitwärts von Ma-yi in den Hinterhalt. Der Schen-yü merkte jedoch
den Anschlag und hielt sich fern, worauf die ganze Heeresmenge
von Han, welche dreihundert tausend Krieger zählte, unverrichteter
Dinge abziehen musste. Durch den Ausgang dieses Unternehmens
wurde Wang-khuei, der Urheber des Anschlages, eines Verbrechens
schuldig und tödtete sich seihst.
Vier Jahre später (130 vor uns. Zöitr.) befehligte Li-khuang
in seiner Eigenschaft als Beruhiger der Leibwachen ein Kriegsheer,
mit welchem er von der Landschaft Yen-men auszog und die Hiung-
nu’s angriff. Der Feind war jedoch an Zahl überlegen, das Heer
von Han wurde geschlagen und Li-khuang gerieth lebend in die
Gefangenschaft der Hiung-nu’s. Der Schen-yü, zu welchem der Ruf
von der Weisheit Li-khuang"s gedrungen war, hatte nämlich seinen
Kriegern aufgetragen: Wenn ihr Li-khuang in eure Gewalt bekommt,
so müsst ihr ihn lebendig zur Stelle bringen.
Als die Reiter von Hu den Heerführer Li-khuang fingen, war die
ser verwundet. Man legte ihn daher zwischen zwei Pferde, indem man
den Raum mit Werg ausfüllte und ihm ein Lager bereitete. Nach
dem man ungefähr zehn Weglängen geritten, stellte sich Li-khuang
todt. Indem er in diesem Zustande seitwärts blickte, gewahrte er,
dass ein Kind neben ihm ein vortreffliches Pferd ritt. Augenblicklich
schwang er sich auf das Pferd des Kindes von Hu. Hierauf nahm er
das Kind in die Arme, hieb das Pferd und sprengte in südlicher
Richtung mehrere Weglängen fort, bis er die Überbleibsel seines
Heeres erreichte. Mehrere hundert Hiung-nu-Reiter verfolgten ihn.
Li-khuang ergriff iin Laufe den Bogen des Kindes und erlegte fort
während die ihn verfolgenden Reiter mit Pfeilschüssen, wodurch
ihm das Entkommen möglich wurde.
Als Li-khuang nach Han zurückkehrte, ward er daselbst den
Gerichten übergeben. Die Gerichtsbeamten rechneten es ihm zum
Verbrechen an, dass er bedeutende Verluste erlitten, viele Fehler
begangen und von den Feinden lebendig gefangen worden. Als er
jedoch, seiner Schuld gemäss, enthauptet werden sollte, ward
34*
518
Dr. P f i z m ai er
es ihm vergönnt, sich von der Strafe loszukaufen, wobei er zum
gemeinen Menschen herabgesetzt wurde.
Li-khuang verweilte jetzt durch einige Jahre bei dem Enkel
des ehemaligen Fürsten von Ying-yin 9 in einer abgeschiedenen
Wildniss nächst Lan-tien, wo er sich in dem südlichen Gebirge mit
Pfeilschiessen und Jagen beschäftigte. Daselbst begab er sich einst,
von einem einzigen Reiter begleitet, in der Nacht zu einem inmitten
der Felder wohnenden Manne, in dessen Gesellschaft er Wein
trank. Auf dem Rückwege gelangte er zu dem Einkehrhause von
Pa-ling. Der „Beruhiger“ (Befehlshaber) von Pa-ling, der sich im
Zustande der Trunkenheit befand, schrie Li-khuang an und gebot
ihm, still zu stehen. Der Li-khuang begleitende Reiter sagte: Es ist
der ehemalige Heerführer von dem Geschlechte Li. — Der „Beruhi
ger“ erwiederte: Die gegenwärtigen Heerführer, welche in Ansehen
stehen, dürfen nicht in der Nacht herumwandeln. Was ist hier die
Ursache? — Hiermit hielt er Li-khuang an und liess ihn in dem Ein
kehrhause übernachten.
Nach einiger Zeit drangen die Hiung-nu's in die Landschaft
Liao-tung, tödteten den Statthalter und schlugen den Heerführer von
dem Geschlechte Han. Dieser Heerführer, der bekannte Han-ngan-
kue, wurde später nach ¥ At # Yeu-pe-ping versetzt,
wo er starb. Der Himmelssohn berief jetzt Li-khuang zu sich und
ernannte ihn (128 vor uns. Zeitr.) zum Statthalter von Yeu-pe-
ping. Li-khuang erbat sich, dass der „Beruhiger“ von Pa-ling mit
ihm zugleich ahgesendet werde. Bei dem Heere angelangt, liess
jedoch Li-khuang den „Beruhiger“ enthaupten und richtete hierauf
an den Himmelssohn ein Schreiben, worin er die Sache auseinander
setzte und sich wegen seines Verbrechens entschuldigte.
Der Himmelssohn gab Li-khuang die folgende Antwort: Der
Heerführer entspricht den Nägeln und den Zähnen des Landes. In
der Kriegskunst des Vorstehers der Pferde wird gesagt: Wenn er
den Wagen besteigt, stützt er sich nicht auf das Querholz 3 ). Wenn
!) Der bekannte Hoaiuying, Fürst von Ying-yin.
2 ) Yeu-pe-ping- (d. i. das Pe-ping der Rechten) ist das heutige Tsün-hoa, Kreis
Schün-thien in Pe-tschi-li.
3 ) Das an dem Vordertheile des Wagens befindliche Querholz. Wenn derjenige, der
in dem Wagen sitzt, Jemanden seine Ehrfurcht bezeigen will, so steht. er auf,
bückt sich und stützt sich dabei auf das Querholz.
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling.
519
er die Trauer zu begehen hat, trägt er nicht die gebührende
Kleidung. Er hält zusammen die wandernden Schaaren, beruhigt
das Kriegsheer und unternimmt Eroberungszüge gegen diejenigen,
die sich nicht unterwerfen. Er besitzt den an der Spitze von drei
Kriegsheeren stehenden Geist, die den kämpfenden Kriegsmännern
gemeinschaftliche Kraft. Wenn daher sein Zorn Ausdruck bekommt,
so ist ein Land im Umfange von tausend Weglängen erschreckt.
Wenn seine Macht Erschütterung bewirkt, so fallen die zehntausend
Dinge zu Boden. Somit bricht der Klang seines Namens plötzlich
hervor unter den Fremdländern des Ostens und Nordens, seine
Macht und Grösse versetzen in Furcht die benachbarten Fürstenlän-
der. — Üben die Vergeltung, beseitigen den Schaden, verletzen
und verderben, entfernen und tödten, dies ward von mir, dem Hirn
melssohne, anheimgestellt dir, o Heerführer. Dass du abnehmest die
Mütze, barfuss einherschreitest, zu Boden neigest die Stirn und bit
test wegen deines Verbrechens, wie könnte dies liegen in meiner,
des Himmelssohnes, Absicht? Mögest du, o Heerführer, dich stellen
an die Spitze des Heeres, nach Osten gerichtet die Schwangbäume,
rastlos umherziehen in Pe-tan <) und dir Bahn brechen zu dem voll
kommenen Herbste von Yeu-pe-ping 3 ).
Während Li-khuang sich in der Landschaft befand, nannten
ihn die Hiung-nu’s den fliegenden Heerführer von Han. Sie mieden
ihn und überschritten durch mehrere Jahre nicht die Markungen.
Von Li-khuang wird erzählt, dass er, als er eines Tages auf
die Jagd gegangen war, zwischen den Gräsern einen Stein erblickte,
den er für einen Tiger hielt und nach welchem er schoss. Er traf
ihn, und die Pfeilspitze versenkte sich in dem Stein. Als er nachsah,
fand er, dass es nur ein Stein sei. An einen anderen Tage schoss
er nochmals nach jenem Steine, war aber durchaus nicht im Stande,
den Pfeil eindringen zu machen. -
Wenn Li-khuang erfuhr, dass in einer der Landschaften, wo
er wohnte, sich ein Tiger befinde, schoss er diesen gewöhnlich
1) ; f’ EH J^I| Pe-ttin ist der Name eines zu Yeu-pe-ping- g-ehörenden Kreises.
2 ) Im vollkommenen Herbste sind die Pferde wohlgenährt, und es ist zu fürchten,
dass die Hiung-nu’s Raubzüge unternehmen. Der Himmelssohn heisst daher seinen
Heerführer sich Bahn brechen und das Unglück abwehren.
520
Dr. P fi zm a ie r
selbst. So schoss er auch während seines Aufenthaltes in Yeu-pe-
ping einst einen Tiger. Der Tiger sprang auf ihn und verwundete
ihn, was ihn jedoch nicht abhielt, auch diesen Tiger zu erschiessen.
Als l|j| Sclu-kien, der Befehlshaber der Leibwache,
starb, ward Li-khuang an den Hof berufen und mit der Stelle des
Verstorbenen bekleidet. Im sechsten Jahre des Zeitraumes Yuen-so
(123 vor uns. Zeitr.) trat Li-khuang wieder als Heerführer auf,
indem er mit dem obersten Heerführer Wei-tsing und Anderen von
^ S Ting-siang •) auszog. Alle übrigen Heerführer bekamen
viele angesehene Hiung-nu's in ihre Gewalt und erwarben sich
dadurch Anspruch auf die Belehnung mit Fürstenthümern. Das von
Li-khuang befehligte Heer allein verrichtete keine Thaten.
Drei Jahre später stellte sich Li-khuang in seiner Eigenschaft
als Befehlshaber der Leibwache an die Spitze von viertausend Rei
tern und brach von Yeu-pe-ping auf. ßß fj-j| Tsch’hang-khien,
Fürst von 3^ “|fp Po-wang, war an der Spitze von zehntausend
Reitern mit Li-khuang zugleich, jedoch auf einem verschiedenen
Wege, ausgezogen. Nach einem Zuge von einigen hundert Weg
längen erschien der „weise König der Linken“ *) an der Spitze von
vierzigtausend Hiung-nu-Reitern und umringte das HeerLi-khuang's.
Sämmtliche Kriegsmänner dieses Heeres befiel Furcht. Li-khuang
ertheilte seinem Sohne Kan den Auftrag, aufzubrechen und
gegen den Feind loszusprengen. Der Sohn Kan, von einigen Zehen
den von Reitern begleitet, bohrte sich gerades Weges in die Reiter-
schaaren von Hu, drang zu beiden Seiten wieder heraus und kehrte
zu dem Heere zurück, wo er seinem Vater meldete: Mit den Gefan
genen von Hu ist leicht auszukommen! — Die Kriegsmänner des
Heeres von Han fanden sich bei diesem Worte beruhigt.
Li-khuang stellte jetzt sein Heer in eine runde Schlachtreihung,
welche überall nach auswärts gekehrt war. Die Macht von Hu
schritt indessen rasch zum Angriffe, ein Regen von Pfeilen über
schüttete die Krieger von Han, von denen bald mehr als die Hälfte
!) Das heutige gleichnamige Ting-siang, nordöstlich von Hin-tscheu, Kreis Thai-
yuen in Schan-si.
2 ) Der höchste Würdenträger der Hiung-nu’s, der gewöhnlich der zur Nachfolge
bestimmte Sohn des Schen-yü selbst.
i
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling.
521
den Tod fand, während bei den Übriggebliebenen der Vorrath der
Pfeile beinahe gänzlich erschöpft war. Li-khuang befahl seinen
Kriegern, die gespannten Bogen mit aufgelegtem Pfeile, ohne zu
schiessen, in den Händen zu halten. Er selbst handhabte eine grosse
gelbe Armbrust und erschoss einen niederen feindlichen Heerführer
nebst mehreren Anderen. Der Angriff der Hiung-nu's begann all
mählich nachzulassen.
Als der Abend kam, hatten die Anführer und Kriegsmänner von
Han in ihrem Entsetzen nicht mehr das Aussehen von Menschen.
Li-khuang hingegen befand sich in seiner gewohnten Gemüthsstim-
mung. Er suchte die Tüchtigkeit seines Heeres zu vermehren,
indem er die Abtheilungen umwandelte und die Reihen zurecht
stellte. In dem Heere beugte sich alles vor seinem Muthe. Am fol
genden Tage ward nochmals mit Anstrengung gekämpft, und da
gleichzeitig auch das Heer des Fürsten von Po-wang eintraf, theilten
sich die Sehaaren der Hiung-nu’s und zogen ab. Das Heer von Han
war indessen so erschöpft, dass es den Feind nicht verfolgen konnte.
Das von Li-khuang befehligte Heer, welches mit genauer Noth
dem Untergange entronnen, war in diesem Augenblicke kampfun
fähig und kehrte nach Han zurück. Daselbst wurde gegen den Für
sten von Po-wang, weil er zu spät eingetroffen, das Gesetz ange
wendet. Als er jedoch den Tod erleiden sollte, erhielt er die
Begünstigung, sich loskaufen zu dürfen und wurde zu einem ge
meinen Menschen herabgesetzt. Bei Li-khuang ward in Betracht
gezogen, dass er von den Hiung-nu’s besiegt worden und dieselben
auch besiegt habe, daher Verdienst und Verschulden sich bei ihm
das Gleichgewicht halten. Es wurde ihm somit keine Belohnung
zuerkannt.
In früherer Zeit war Li-khuang zugleich mit seinem Neffen
jsk: Li-tsai Leibwächter gewesen, in welcher Eigenschaft
beide dem Allhalter Hiao-wen dienten. Zur Zeit des Allhalters
Hiao-king hatte Li-tsai vielfältige Verdienste und gelangte zu der
Stufe eines Angestellten der zweitausend Scheffel. In dem Zeit
räume Yuen-so ward er von dem Alihalter Hiao-wu zum Heerführer
„der leichten Wagen“ ernannt. In dieser Eigenschaft begleitete er
den obersten Heerführer bei dem Angriffe auf den „weisen König
der Rechten“, wobei er sich durch seine Kriegsthaten Anspruch aut
522
Dr. Pfizmaier
ein Lehen erwarb und demgemäss zum Fürsten von ^ Lo-
ngan ernannt wurde. Im zweiten Jahre des Zeitraumes Yuen-sclieu
(121 vor uns. Zeitr.) endlich ward Li-tsai an die Stelle des mit
Tode abgegangenen Kung-sün-hung zum Landesgehilfen erhoben.
Li-tsai stand hinsichtlich seiner Fähigkeiten auf einer niederen
Stufe, und auch sein Ruf kam demjenigen Li-khuang’s bei weitem
nicht gleich. Dessen ungeachtet erhielt Li-khuang weder eine
Lehensstufe noch eine Stadt, und auch in dem Amte brachte er es
nicht höher als bis zu einem der drei Erlauchten, während die
Angestellten und Kriegsmänner seines Heeres manchmal Stellen
von Lehensfürsten in Empfang nahmen.
Li-khuang hatte einst eine Unterredung mit ißjj ^ Wang-so,
einem Manne, dessen Geschäft es war, durch Beobachtung des Wet
ters Glück und Unglück zu bestimmen. Zu diesem sagte er: Seit
Han Angriffe ausführt gegen die Hiung-nu's, ereignete es sich noch
niemals, dass ich nicht dabei gewesen. Aber die Fähigkeiten und
Gaben sämmtlicher unnützer Beruhiger des Vordaches erreichen
nicht einmal die Mittelmässigkeit, und diejenigen, welche wegen
ihrer Thalen bei dem Kriegsheere in Empfang genommen haben
Fürstenthümer, sind mehrere Zehende. Ich war keineswegs ein
Nachzügler, dass ich aber dessen ungeachtet immer ohne das Ver
dienst eines Fusses oder Zolles, dem gemäss ich hätte belehnt wer
den können mit einer Stadt, warum ist dies? Wie sollte, was man
an mir beobachtet 1 ), nicht entsprechen einem Lehensfürsten? Es
wird zuverlässig das Schicksal sein.
Wang-so fragte: Wenn du, o Heerführer, nachdenkst, sollte
es da etwas geben, das du zu bereuen hättest?
Li-khuang erwiederte: Als ich Statthalter von Lung-si war,
empörte sich einst Kiang 2 ). Ich verleitete das Land, sich zu erge
ben. Die sich ergaben, waren achthundert Menschen, und ich töd-
tete sie durch Trug an einem einzigen Tage. Bis zu dem gegen
wärtigen Augenblick bereue ich nur dieses Einzige.
*_) Damals pflegte man häufig die Gestalt eines Menschen zu beobachten und dem
gemäss dessen Schicksal zu bestimmen.
2 )
Kiang
war ein von westlichen Fremdländern bewohntes Land.
Die Heerführer Li-khuang und Li-Iing.
523
Wang-sö sprach: Kein Unheil ist grösser, als diejenigen tödten,
welche sich ergeben haben. Dies ist die Ursache, wesshalb du, o
Heerführer, kein Fürstenthum erlangst.
Li-khuang war durch vierzig Jahre abwechselnd Statthalter
von sieben verschiedenen Landschaften gewesen. So oft er während
dieser Zeit Belohnungen oder Geschenke erhielt, vertheilte er sie
ohne Weiteres an die unter seiner Fahne dienenden Krieger. Ebenso
batte er Speise und Trank mit seinen Kriegsmännern gemein.
Obgleich er einen Gehalt von zweitausend Scheffeln bezog, besass
er in seinem Hause kein erspartes Gut, und dabei sprach er auch
niemals von Erwerb und Wirthschaft. Li-khuang war ein Mann von
hoher Gestalt und mit nachlässig hängenden Armen 1 ), so dass die
Geschicklichkeit im Pfeilschiessen bei ihm auch etwas Angeborenes
war. In dieser Kunst konnten ihm selbst seine Söhne und Enkel,
so wie andere Menschen, welche sich auf dieselbe besonders ver
legten, nicht gleichkommen.
Li-khuang war ferner ein Mann von schwerfälliger Rede und
wenig Worten. Wenn er sich in Gesellschaft befand, zeichnete er
auf den Boden die Schlachtreihungen des Heeres. Wenn Leute sich
bei ihm zum Trinken versammelten, suchte er die Weite und Enge
des Kreises seiner Gäste dadurch zu bestimmen, dass er mit Pfeilen
schiessen hiess, indem er nie ein anderes Spiel veranstaltete als das
Pfeilsehiessen. Dabei hielt er das Weingefäss in der Hand und gab
denjenigen, welche nicht als Sieger hervorgingen, zu trinken.
Wenn er seine Kriegsmacht an Orten befehligte, welche wenig
oder gar kein Mittel zum Unterhalte boten, und man zufällig auf
fliessendes Wasser stiess, näherte er sich diesem Wasser nicht
eher, als bis alle seine Krieger getrunken hatten. Ebenso kostete
er früher keine Speise, als bis die Seinigen Mahlzeit gehalten
hatten. Dabei war er grossmüthig, nachsichtig und quälte die Leute
nicht mit Kleinigkeiten. Er gewann dadurch die Liebe seiner Kriegs
männer, welche sich mit Freuden von ihm verwenden Hessen.
*) Dem für diesen Ausdruck gebrauchten Worte Yuen wird von Einigen die
Bedeutung yj-Ä— Yuen „der langarmige Affe“ beigelegt und dabei angenommen,
dass die Arme Li-khuang’s gleich denjenigen dieses Affen mit den Schultern in
Verbindung gestanden wären.
524
Dr. Pfizm ai er
Bei dem Pfeilschiessen halle er eine besondere Gewohnheit.
Wenn er nämlich sah, dass der Gegner sich nicht in einer Nähe von
einigen Zellenden von Schritten befand, glaubte er, dass er ihn nicht
treffen werde und er schoss den Pfeil nicht ab. Wenn er aber den
Pfeil abschoss, so stürzte der Gegner in dem nächsten Augenblicke
nach dem Geräusche der Sehne. Dieses Verfahren war indessen
Schuld, dass er als Heerführer mehrmals in Verlegenheit gerieth und
Schande erlitt. Aus gleicher Ursache soll er auch, wenn er reissende
Thiere schoss, öfters Wunden davongetragen haben.
Im vierten Jahre des Zeitraum! s Yuen-scheu (119 vor uns.
Zeitr.) unternahmen Wei-tsing, der oberste Heerführer, und Hö-
khiü-ping, der Heerführer der raschen Reiter, einen grossen Angriff
gegen die Hiung-nu’s. Li-khuang stellte zu wiederholten Malen die
Bitte, an diesem Feldzuge Thcil nehmen zu dürfen, was ihm je doch
der Himmelssohn, der ihn für zu alt hielt, nicht bewilligte. Erst nach
längerer Zeit willfahrte ihm der Himmelssohn, indem er ihn zum
vordersten Heerführer ernannte.
Als der erste Heerführer Wei-tsing aus den Versperrungen zog,
fing er einige Hiung-nu’s, von denen er den Aufenthaltsort des
Schen-yü erfuhr. Er eilte sofort mit einer auserlesenen Kriegs
macht diesem Orte zu und befahl Khuang-li, mit dem Heere des
Heerführers der Rechten vereint, auf den östlichen Wegen aus
zurücken, Der östlichen Wege waren indessen wenige, dieselben
waren überdies voll Windungen und von ungewöhnlicher Länge.
Ein grosses Heer fand auf seinem Zuge daselbst wenig Wasser und
Gras, die Beschaffenheit des Bodens war demnach eine solche, dass
sich auf ihm keine Schaaren ansammeln konnten.
Li-khuang weigerte sich, dem Befehle zu gehorchen und sprach :
Ich bin unter den Abtheilungen der vorderste Heerführer und jetzt
heisst der oberste Heerführer mich wegziehen und ausrücken auf den
östlichen Wegen. Auch habe ich geknüpft das Haar und befinde mich
mit den Hiung-nu's im Kampfe, es ist mir jetzt einmal vergönnt mit
dem Schen-yü zusammenzutreffen. Es ist mein Wunsch, zu verbleiben
an meiner Stelle als Vorderster und mich früher dem Tode auszu
setzen wegen des Schen-yü. — Der oberste Heerführer hatte im
Geheimen von dem Himmelssohne Weisungen erhalten. Er war der
Meinung, dass Li-khuang als ein bejahrter Mann vereinzelt stehe
und man es bei ihm nicht auf ein Zusammentreffen mit dem Schen-yü
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling.
525
ankommen lassen dürfe, indem zu befürchten sei, dass ein solcher
Heerführer nicht erreichen werde, was er wünsche.
Kiung-sün-ngao eben erst
Um diese Zeit war
seines Fürstenthumes verlustig geworden und bekleidete die Stelle
eines mittleren Heerführers. Der oberste Heerführer, der im Begriffe
war, mit demSchen-yü zusammenzutreffen, wollte zudem, dass Kung-
siin-ngao hieran theilnehme, wesshalb er Li-khuang wegschickte.
Li-khuang, der dies erfuhr, beharrte bei seiner Weigerung, der
oberste Heerführer gab ihm jedoch kein Gehör und hiess den älte
sten Vermerker ein Schreiben mit einer Abdrucksmarke verschliessen,
dasselbe Li-khuang einhändigen und diesen nach dem Hauptviertel
der Zelte führen. Daselbst sprach Wei-tsing: Begib dich schleunigst
zu deiner Abtheilung nach dem Wortlaute des Schreibens.
Li-khuang erhob sich sofort und ging weg, ohne sich bei dem
obersten Heerführer zu entschuldigen, während seine Züge heftigen
Zorn ausdrückten. Er begab sich hierauf zu seiner Abtheilung, liess
seine Kriegsmacht vorrücken und zog, nachdem er sein Heer mit
demjenigen Tschao-I-khi’s, des Heerfüh rers der
Rechten, vereinigt, auf den östlichen Wegen aus. Er verirrte sich
jedoch auf seinem Wege und blieb hinter dem obersten Heerführer
zurück.
Unterdessen liess sich der oberste Heerführer Wei-tsing mit
dem Schen-yü in einen Kampf ein, in welchem dieser den Streit
kräften von Han entkam. Da Wei-tsing den fliehenden Hiung-nu-
König nicht einholen konnte, trat er den Rückzug an. Erst im Süden
beim Zuge durch die Sandwüstei) begegnete er den beiden Heer
führern. Nachdem Li-khuang sich dem obersten Heerführer vorge
stellt, kehrte er wieder zu seinem Heere zurück. Wei-tsing über
sandte durch den ältesten Vermerker getrockneten Reis und unge-
läuterten Wein für Li-khuang. Dabei liess er diesen und Tschao-I-khi
fragen, auf welche Weise sie den Weg verfehlt hätten. Zugleich
liess er in seinem Namen hinzusetzen: Ich möchte ein Schreiben
emporreichen und dem Himmelssohne melden, dass ich mich verfehlt
habe und dass das Kriegsheer gebrochen.
Die unter dem Namen Scha-mö bekannte Sand wüste.
TTTwiSBiSMiii uiuwiüBBBB
S26 Dr. Pfiimiier
•
Li-khuang hatte dem obersten Heerführer noch nicht geantwor
tet, als der älteste Vermerker von ihm mit Ungestüm verlangte, dass
er sich zu dem Hauptviertel der Zelte begebe und die auf das Ereig
niss bezügliche Schrift überreiche. Li-khuang erwiederte: Sämmt-
liche Beruhigen des Vordaches sind von Schuld frei geblieben, da
geschah es, dass ich mich auf dem Wege verirrte. Ich werde jetzt
in Selbstheit das Rohrbret überreichen.
Als Li-khuang zu dem Hauptviertel der Zelte gelangte, sagte
er zu den unter seiner Fahne dienenden Kriegern: Ich habe
geknüpft das Haar und gekämpft mit den Hiung-nu’s grosse und
kleine Schlachten mehr als siebenzig an der Zahl. Jetzt war ich so
glücklich, mich anschliessen zu dürfen dem grossen Heerführer und
auszurücken, um zusammenzutreffen mit den Streitkräften des
Schen-yü, aber der grosse Heerführer schickte mich fort und hiess
mich ziehen mit meiner Abtheilung auf gewundenen und ausgedehn
ten Pfaden. Ich verirrte mich überdies auf dem Wege: wie wäre
dies nicht die Fügung des Himmels! Auch bin ich über sechzig Jahre
alt, ich bin durchaus nicht im Stande, nochmals zu antworten den
Angestellten der Messer und Rohrbüschel 1 ). — Mit diesen Worten
zog er sein Schwert und schnitt sich den Hals ab.
Die vorzüglichen Männer, die Grossen des Landes und alle
Krieger des Heeres beweinten Li-khuang. Als die Kunde von seinem
Tode sich unter dem Volke verbreitete, vergossen Alle, sowohl die
jenigen, die ihn kannten, als die ihn nicht kannten, Greise und
Männer über dieses Ereigniss Thränen. Tschao-I-khi ward jetzt allein
vor die Gerichte gestellt. Als er den Tod erleiden sollte, erhielt er
jedoch die Begünstigung, sich loskaufen zu dürfen und wurde zum
gemeinen Menschen erniedrigt.
Li-khuang hatte drei Söhne, deren Namen J3 ^ Thang-hu,
Tsiao und Kan. Dieselben bekleideten die Stellen von
Leibwächtern. Als einst der Himmelssohn mit dem als Schmeichler
bekannten Han-yen ein Spiel spielte, zeigte sich dieser
nicht im Geringsten nachgiebig. Li-thang-hu versetzte dem Günst
ling einen Stoss und veranlasste ihn dadurch zur Flucht. Der
4 ) Damals bediente inan sich sowohl der Messer als der Rohrbiischel zum Schreiben.
Die Heerführer Li-khuang und Li-Iing*.
527
Himmelssohn traute daher diesem Sohne Li-khuang’s Thatkraft zu.
Li-tharig-hu starb indessen frühzeitig, und der Himmelssohn ernannte
Li-tsiao, den zweiten Sohn Li-khuang’s, zum Statthalter der Land
schaft Tai. Beide Söhne starben übrigens noch vor ihrem Vater.
Li-kan, der jüngste Sohn Li-khuang's, befand sich zur Zeit, als sein
Vater sich bei dem Heere den Tod gab, in dem Gefolge des Heer
führers der raschen Reiter.
In dem nächsten Jahre nach Li-khuang’s Tode (118 vor uns.
Zeitr.) ward dessen Neffe Li-tsai in seiner Eigenschaft als Landes
gehilfe in Anklagestand versetzt. Es war ihm nämlich in Folge einer
höchsten Verkündung ein Grund für einen Grabhügel in Yang-ling
zum Geschenk gemacht worden, dem gemäss ihm zwanzig Morgen
Landes gebührt hätten. Allein Li-tsai eignete sich dreihundert Mor
gen an, welche er verkaufte und daraus vierzigmal zehntausend Geld
stücke löste. Nebstdem hatte er sich einen Morgen des ausserhalb
des göttlichen Weges, d. i. des Grabmales des Allhalters Hiao-king,
zwischen dem Ahnenheiligthume und der Ringmauer gelegenen
Landes angeeignet und auf demselben Grabstätten errichtet. In dem
Augenblicke, als er für diese Verbrechen verhaftet und in Unter
suchung gezogen werden sollte, tödtete er sich selbst.
Li-kan, der als Beruhiget’ des Vordaches dem Heerführer der
raschen Reiter bei dem Angriffe auf den weisen König der Linken,
den höchsten Würdenträger von Hu, gefolgt war, kämpfte mit dem
Aufgebote aller Kraft, erbeutete die Fahne und die Trommel des
weisen Königs der Linken und schlug eine Menge feindliche Häup
ter ab. Er erhielt für seine Thaten den Rang eines Lehensfürsten
innerhalb des Durchweges, wobei ihm als Stadt der Einkünfte zwei
hundert Thüren des Volkes zugewiesen wurden. Zugleich wurde er
an der Stelle seines Vaters Li-khuang zum Befehlshaber der Leib
wache ernannt.
Bald erwachte jedoch in Li-kan der Groll wegen des Schick
sals seines Vaters, den der oberste Heerführer Wei-tsing zum Zorne
gereizt und dadurch in den Tod getrieben hatte. Er benützte daher
die nächste sich darbietende Gelegenheit, um dem obersten Heer
führer eine Stichwunde beizubringen. Wei-tsing verheimlichte den
Vorfall und vermied es, sich irgendwie darüber auszusprechen.
Nach kurzer Zeit begab sich Li-kan in Gesellschaft des
Himmelssohnes nach 2p Yung und gelangte zuletzt zu dem
S28
Dr. P fi z m a i e r
Wohngebäude von Kan-tsiuen, wo eine Herbstjagd abgehalten wurde.
HÜ-khiü-ping, der Heerführer der raschen Reiter, empfand grossen
Unwillen darüber, dass Li-kan den obersten Heerführer verwundet
batte. Dieser Unwille trieb ihn so weit, dass er Li-kan mit einem
Pfeile erschoss. Ho-khiü-ping war um diese Zeit ein angesehener
Mann, der sich der besonderen Gunst des Himmelssohnes erfreute.
Der Himmelssohn überging daher die That mit Stillschweigen und
Hess das Gerücht verbreiten, dass ein anprallender Hirsch Li-kan
getödtet habe. Ein Jahr später (117 vor uns. Zeitr.) starb Ho-
khiü-ping.
Li-kan hatte eine Tochter, welche zur mittleren Gemahlinn des
Nachfolgers von Han bestimmt und von diesem geliebt und begünstigt
wurde. Ebenso stand aucli Yü, der Sohn Li-kan’s, bei dem
Nachfolger in Gunst. Dieser Enkel Li-khuang’s war indessen eigen
nützig, nebstdem aber auch muthig. Eines Tages trank Li-yü in
Gesellschaft eines in dem Inneren aufwartenden angesehenen Man
nes Wein. Bei dieser Gelegenheit beleidigte er auf gröbliche Weise
den angesehenen Mann, der aus Furcht nichts erwiederte, jedoch
später bei dem Himmelssohne Beschwerde führte. Der Himmelssohn
berief Li-yü zu sich und hiess ihn zur Strafe einen Tiger erstechen.
Li-yü ward jetzt, an einem Seile hängend, in den Zwinger hinab
gelassen. Er hatte jedoch noch nicht den Boden erreicht, als der
Himmelssohn den Befehl gab, ihn wieder heraufzuziehen. Li-yü
durchhieb von dem Wickelbande aus, in welchem er sich befand, mit
seinem Schwerte das Seil und wollte den Tiger erstechen. Der
Himmelssohn bekam eine hohe Meinung von der Thatkraft Li-yü’s,
er brachte ihm sofort Hilfe und verhinderte ihn an der Ausführung
seines Vorhabens.
Li-thang-liu hatte einen nachgebornen Sohn, Namens
Liner- Dieser bekleidete seiner Zeit eine Heerführersstelle in dem
Feldzuge gegen das Land Hu und ergab sich nach der Niederlage
seiner Streitkräfte den Hiung-nu’s. Nach diesem Ereignisse machte
Jemand die Anzeige, dass Li-yü damit umgehe, das Land zu ver
lassen und sich seinem Vetter Li-ling anzuschliessen. Demgemäss
ward Li-yü in gerichtliche Untersuchung gezogen und erlitt
den Tod.
Die Heerführer Li-khunng und Li—ling-.
529
namen
Li-liug.
Li-ling, der EnkelLi-khuang’s, führte den Jünglings-
n fn /> Schao-king. In seiner Jugend bekleidete er die
Stelle eines Aufwartenden im Inneren und Beaufsichtigers des
höchsten Wohngebäudes lßjj Kien-tschang. Er war ein vor
trefflicher Reiter und Bogenschütze, dabei menschenfreundlich,
bescheiden und unterwürfig gegen'die vorzüglichen Männer. Er
erlangte bald einen sehr grossen Ruf, und der Allhalter Wu glaubte
von ihm, dass er den Geist Li-khuang’s besitze.
Der Himmelssohn übertrug Li-ling den Befehl über achthundert
Reiter. Mit dieser Schar drang Li-ling im Aufträge seines Gebie
ters tief in das Land der Hiung-nu’s, das er auf einer Strecke von
zweitausend Weglängen durchzog. Seinen Weg über 7/TF HL
Khiü-yen i) nehmend, erforschte er das Land, ohne irgendwo einen
Feind zu sehen. Nach seiner Rückkehr wurde er zum Beruhigen
der Hauptstadt für die Reiterschaaren ernannt. In dieser Eigenschaft
befehligte er fünftausend tapfere und entschlossene Männer, welche
er in den Landschaften Jsl yjttj Tsieu-tsiuen 3 ) und
Tsch’hang-yi 8 ) im Pfeilschiessen unterwies und zur Deckung gegen
Hu gebrauchte.
Als nach einigen Jahren (104 vor uns. Zeitr.) Han den Heer
führer von
Angriffe auf das grosse Wan
ausschickte, befehligte Li-ling die Streitkräfte von fünf Hiao (Unter
befehlshabern). Nachdem er diese Macht, welche als Nachhut diente,
bis zu den Versperrungen geführt und mit dem Heere des Ni-sse
*) Ursprünglich ein Sumpf, zu den Zeiten der Han eine feste Stadt der im äusser-
sten Nordwesten auf dem Gebiete der Fremdländer gelegenen Landschaft
Tsch’hang-yT.
2 ) Tsieu-tsiuen, westlich von Tsch’hang-yT auf dem Gebiete der Fremdländer gele
gen, ist der heutige Kreis Sö-tscheu, nordwestlich von Kan-sü.
3 ) Tsch’hang-yT, auf dem Gebiete der Fremdländer gelegen, ist der heutige Kreis
Kan-tscheu, nordwestlich von Kan-sü.
■i) Ni-sse war eine feste Stadt des grossen Wan, welche dieser Heerführer einst
erobert hatte und von der er seinen Ehrennamen erhielt.
530
Dr. Pfizmaicr
vereinigt hatte, kehrte er wieder zurück. Li-ling erhielt jetzt von
dem Himmelssohne ein Schreiben, in Folge dessen er die Angestell
ten und Kriegsmänner zurückliess, mit fünfhundert leichten Reitern
über Tün-hoang 1 ) ausrückte und, nachdem er die salzigen Gewäs
ser 2 ) erreicht, dem Ni-sse entgegenzog s ). Nach der Rückkehr
lagerte das Heer wieder in Tsch’hang-yi.
Im zweiten Jahre des Zeitraumes Thien-han (99 vor uns. Zeitr.)
zog der Heerfüher von Ni-sse mit dreissigtausend Reitern, welche
unter seinem Befehle standen, aus Tsieu-tsiuen und richtete einen
raschen Angriff gegen den weisen König der Rechten auf dem
Gebiete des Thien-san. Der Himmelssohn beschied Li-ling zu sich,
indem er die Absicht hatte, ihn den Befehl über die gedeckten
Wagen in dem Heere des Ni-sse übernehmen zu lassen.
Li-ling erschien vor dem Himmelssohne in der Vorhalle von
Wu-tai 4 ). Daselbst stiess er mit dem Haupte an den Boden
und trug die folgende Bitte vor: Die zusammengezogene Macht, die
ich befehlige an den Markungen, besteht durchaus aus muthigen
Kriegsmännern von King und Tsu, aus Menschen von wunderbaren
Gaben , Gästen des Schwertes. Sie sind von einer Stärke, dass sie
festhalten einen Tiger. Bei dem Pfeilschiessen wird der Ort, auf
den man deutet, von ihnen getroffen. Es ist mein Wunsch, dass mir
zukomme eine Sehlachtreihe, dass ich gelange zu dem Süden der
Berge von Lan-kan 5 ) und dadurch theile die Streitkräfte des
Sehen-yü. Man heisse mich nicht ausschliesslich zugewendet sein
dem Heere des Ni-sse.
Der Himmelssohn bemerkte: Wie würdet ihr von einander in
Abhängigkeit sein? Ich habe ausgesandt zahlreiche Kriegsheere,
ich habe keine Reiter, die ich dir geben könnte.
1) Die neue unter den Fremdländern gebildete Landschaft Tün-hoang lag in bedeu
tender Entfernung westlich von SÖ-tscheu.
2 ) Vermuthlich die in den Salzsumpf, d. i. den See Pu-tschang, sich ergiessenden
Gewässer oder dieser selbst.
3 ) Aus anderen Stellen der Geschichte geht hervor, dass der Heerführer von Ni-sse
diesmal gegen das grosse Wan nichts ausrichtete und sich zurückziehen musste.
4 ) Dieselbe befand sich in dem Gebäude Wi-yang.
Lan-kan war ein Kreis der Landschaft Lung-si und befand sich auf
dem Gebiete des heutigen Kreises Kung-tschang in Kan-sii.
Die Heerführer Li-kliuang und Li-ling.
531
Li-ling erwiederte: Ich bedarf keiner Reiter. Ich möchte mit
den Wenigen den Schlag führen gegen eine Menge und mit Fuss-
gängern fünftausend hinübersetzen zu dem Vorhofe des Schen-yü.
— Der Himmelssohn hielt Li-ling für einen thatkräftigen Mann und
gewährte ihm die Bitte.
In einer höchsten Verkündung ward jetzt befohlen, dass
jtp" ^u-pö-te, der Beruhiger der Hauptstadt für die star
ken Armbrüste, sich an die Spitze einer Kriegsmacht stellen und
dem Heere Li-ling's auf halbem Wege entgegenziehen solle. Lu-pö-te
war indessen der frühere Heerführer
schämte sich auch, Li-ling nachzustehen. Er sträubte sich gegen
diese Zumuthung und richtete an den Himmelssohn eine Eingabe,
worin er sagte: Im Herbst sind die Pferde der Hiung-nu’s wohl
genährt, man kann den Kampf noch nicht aufnehmen. Es ist mein
Wunsch, dass man zurückhalte Li-ling. Bis zum Frühlinge würden
wir zugleich befehligen Reiter von Tsieu-tsiuen und Tsch’hang-yi
ein Jeder von uns fünftausend und vereint den Schlag führen gegen
den östlichen und westlichen Tsiün-khi 2 ). Dann kann der Feind
gewiss gefangen werden.
Als dieses Schreiben vorgelegt wurde, ward der Himmelssohn
sehr böse, indem er vermuthete, dass Li-ling, seine Zusage bereuend,
nicht ausrücken wolle und daher Lu-pö-te angeleitet habe, das
Schreiben am Hofe einzureichen.
Sofort erfolgte eine für Lu-po-te bestimmte höchste Verkün
dung, welche lautete: Ich wollte Li-ling Reiter geben, aber er sagte,
er wolle mit den Wenigen den Schlag führen gegen eine Menge.
Jetzt sind die Feinde eingedrungen in das Gebiet des westlichen
*) Über die Bedeutung dieser Ehrenbenennung Lu-pö-te’s konnte bisher nichts aufge
funden werden.
2 ) Das Gebirge Tsiün-khi, bei welchem man ein östliches und ein west
liches unterschied, befand sich nördlich von der damaligen Landschaft
Wu-wei, welche ihrerseits dem heutigen Kreise Liang - tscheu in Kan - sü
entspricht. Zur Zeit dieser Begebenheiten hatte sich die Macht der
Hiung-nu’s getheilt und hielt die zwei mit dem Namen Tsiün-khi belegten Berge
besetzt.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XLV. Bd. lI. 'Hft.
35
532
Di*. Pfi z m a i er
Flusses. Führe vorwärts die Kriegsmacht und eile zu dem westlichen
Flusse, verlege den Weg von Keu-ying 1 ).
Die höchste Verkündung an Li-ling lautete: Mit dem neunten
Monate des Jahres rücke hervor aus der Schutzwehr von Sche-lu 3 )
bis zum Süden des östlichen Gebirges Tsiün-khi und an die Ufer
der Flüsse von Lung-li s). Indem du umherziehst, beobachte die
Gefangenen. Siehst du für den Augenblick nichts, so folge dem
alten Wege Tschao-po-nu’s, Fürsten von Tsiö-ye 4 ), kehre zurück
über die Feste von Scheu-kiang 5 ) und gönne den Kriegsmännern
Ruhe. Durch Aufstellungen von Reitern °) gib mir Nachricht. Was
hast du in deiner Unterredung mit Pö-te gesagt? 7 ) Reantworte dies
zugleich in dem Schreiben.
Li-ling stellte sich jetzt an die Spitze seiner fünftausend Fuss-
gänger und zog von der Feste Khiü-yen aus. Nachdem er dreissig
Tage in nördlicher Richtung fortgezogen, gelangte er zu dem Ge
birge Tsiün-khi, wo er Halt machte und sich verschanzte. Er entwarf
hierauf einen Abriss von den Bergen, Flüssen und allem Lande, zu
welchem er auf seinem Zuge gekommen, und schickte einen unter
■) Hu benützte den Weg durch das Gebiet
‘Mk
Keu-ying, um Han zu scha
den. Lu-pö-te-sollte dein Selien-yü diesen Weg verlegen.
2) ]ßi ^ Sche-lu ist der Name einer sogenannten Schutzwehr ( cpP Tschang),
Eine solche Schutzwehr befand sich an den Versperrungen und war eine steile,
unzugängliche Anhöhe, welche mit Mauerwerk versehen war und auf der man
besondere Späher aufstellte. Somit geschützt und gedeckt, erwartete man den
Feind.
gp Lung-IT war ein Kreis der Landschaft Tün-hoang.
Tschao-po-nu, Fürst von »JE Tsiö-ye, der einer der
namhaften Heerführer von Han gewesen, befand sich damals in der Gefangen
schaft der Hiung-nu’s.
R ) Die jenseits der Versperrungen gelegene Feste *5^* Scheu-kiang war im
ersten Jahre des Zeitraumes Thai-thsu (104 vor uns. Zeitr.) durch Kung-sün-ngao
erbaut worden.
6 ) Aufstellungen ♦von Reitern sind Stellreiter, durch welche Sendungen befördert
werden.
r ) Wie bereits angegeben worden, hatte der Himmelssohn den Heerführer Li-ling
in Verdacht, dass dieser den Heerführer Lu-pö-te angeleitet habe, au dem Hofe
ein Schreiben überreichen zu lassen, in welchem verlangt wurde, dass beide
Heerführer erst im Frühlinge nach Westen ausrücken sollen.
Die Heerführer Li-khuangf und Li—ling*.
533
seiner Fahne dienenden Krieger, Namens $j|s # ül Tschin-
pu-lö, in die Heimat zurück mit dem Aufträge, dem Himmelssohne
Nachricht zu geben. Als Tschin-pu-lo an den Hof beschieden ward
und vor dem Himmelssohne erschien, sagte er unter anderem: Li-ling
• als Anführer befehligt die Kraft von Kriegsmännern des Todes. —
Der Himmelssohn, über die Botschaft hoch erfreut, ernannte Tschin-
pu-lo zu einem Leibwächter.
Unterdessen wurde das Heer Li-ling's in dem Augenblicke, als
dasselbe die Berge Tsiün-khi erreicht hatte und dem Schen-yü
gerade gegenüber stand, durch ungefähr dreissigtausend feindliche
Reiter eingeschlossen. Das Heer, welches eine Stellung zwischen
den beiden Bergen eingenommen hatle, baute Verschanzungen aus
grossen Wagen. Li-ling führte die Kriegsmänner vorwärts, trat aus
den Verschanzungen heraus und bildete die Schlachtreihung. Die
Krieger der Vorderreihen hielten in den Händen Speer und Schild,
die Krieger der nachfolgenden Reihen hielten in den Händen Bogen
und Armbrust. Der Befehl an die Krieger lautete: Wenn ihr die
Trommel hört, so lasst euch freien Lauf. Wenn ihr die Schelle hört,
so haltet inne.
Als die Hiung-nu’s sahen, dass das Heer von Han nur wenig
zahlreich sei, drangen sie gerade vorwärts und näherten sich den
Verschanzungen. Li-ling begann sofort den Angriff, indem er sich
in ein Handgemenge einliess. Von tausend Armbrüsten wurde zu
gleicher Zeit der Pfeil entsandt, und die Feinde stürzten in dem
nächsten Augenblicke nach dem Geräusch der Sehne. Die Hiung-nu’s
(lohen zurück und erstiegen die Berge. Das Heer von Han verfolgte
jedoch die Fliehenden und tödtete in raschem Angriffe mehrere tau
send Feinde.
Der Schen-yü, über diesen Ausgang des Kampfes in grossen
Schrecken versetzt, rief die Streilkräfte der zu seiner Rechten und
Linken gelegenen Landstriche herbei, worauf mehr als achtzigtau-
send Reiter das Heer Li-ling's mit Heftigkeit angriffen. Li-ling zog
sich, abwechselnd kämpfend und seine Krieger führend, in südlicher
Richtung zurück und gelangte nach einigen Tagen in ein von hohen
Bergen umschlossenes Thal. Daselbst kämpfte er wieder ununter
brochen. Diejenigen unter seinen Kriegern, welche von Pfeilen
getroffen waren und drei Wunden erhalten hatten, wurden in Hand-
33 *
534
Dr. Pfizmaier
wagen gesetzt. Diejenigen, welche zwei Wunden erhalten hatten,
leiteten die Wagen. Diejenigen hingegen, welche nur einmal ver
wundet worden waren, ergriffen die Waffen und nahmen an dem
Kampfe Theil.
Li-ling sagte jetzt: Der Muth meiner Kriegsmänner ist noch
wenig gebrochen, wie kommt es aber, dass er bei dem Klang der
Trommeln nicht wächst? 1 ) Sollte es wohl in dem Heere Weiber
geben? — In der That waren zur Zeit, als das Heer ausrückte, die
an die äussersten Marken versetzten Weiber und Töchter der Räu
ber des Landes im Osten des Durchweges dem Heere gefolgt und
waren die Gattinnen der Krieger geworden, von denen sie sorgfältig
in den Wagen versteckt wurden. Li-ling stellte jetzt Nachforschun
gen an und liess sämmtliche Weiber, welche er fand, mit dem
Schwerte enthaupten.
Am folgenden Tage erneuerte er den Kampf, iri welchem
dreitausend gefallenen Feinden die Häupter abgeschlagen wurden.
Hierauf führte er die Streitkräfte in südöstlicher Richtung weiter
und fand sich, nachdem er längs dem alten Wege von jjj
Lung-tsching 3 ) durch vier oder fünf Tage dahingezogen war, an
einem grossen Sumpfe, mitten zwischen Schilfrohr und Rinsen. Die
Hiung-nu’s legten an das Schilfrohr in der Richtung des Windes
Feuer. Li-ling rettete sich dadurch, dass er seinen Leuten Refehl
gab, das Schilfrohr neben ihnen ebenfalls anzuzünden, in Folge
dessen das von den Hiung-nu’s gelegte Feuer sich nicht bis zu dem
Heere von Han verbreiten konnte.
Indem das Heer jetzt seinen Zug nach Süden fortsetzte, gelangte
es an den Fuss eines Berges. Der Schen-yü befand sich aber schon
auf der Höhe dieses südlichen Berges und gab seinem Sohne Befehl,
an der Spitze der Reiter Li-ling anzugreifen. Das Heer Li-Iing's
kämpfte zu Fusse zwischen den Bäumen des Bergabhanges und
A ) Nach Einigen hat das hier gebrauchte Wort Khi „sich erheben“ Bezug auf
die Krieger selbst. In diesem Falle gäbe der Satz den Sinn: „wie kommt es
aber, dass sie sich nicht erheben?“ — Die Krieger hätten nämlich, wie sogleich
gesagt werden wird, Weiber bei sich, wesshalb sie sich, wenn sie den Klang
der Trommel hören, nicht rechtzeitig erheben.
2 ) Lung-tsching, „die Feste des Lindwurms“, ist der Ort, an welchem die Hiung-
nu’s dem Himmel (laben darbraöhten.
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling.
535
tödtete wieder mehrere tausend Feinde. In diesem Kampfe schossen
die Krieger von Han mit „dicht an einander gereihten Armbrüsten“ i)
nach dem Schen-yü, der von dem Berge herabstieg und entfloh.
An dem Tage dieses Kampfes machte das Heer mehrere
Hiung-nu’s zu Gefangenen. Von diesen erfuhr man, dass der
Schen-yü sich folgendermassen gegen die Seinigen geäussert habe:
Dies sind auserlesene Streitkräfte von Han. Indem wir gegen sie
losschlagen, können wir sie nicht bewältigen. Wenn sie Tag und
Nacht weiter rücken und wir im Süden uns nähern den Versperrun
gen, sollten wir da nicht eine im Hinterhalte liegende Kriegsmacht
treffen? — Die den Namen P g Thang-hu 3 ) führenden Wür
denträger und die „Ältesten der Gebieter“ hätten hierauf Folgendes
erwiedert: Der Schen-yü befehligt in Selbstheit mehrere Zehntau
sende von Reitern und richtet den Angriff gegen einige tausend
Menschen von Han. Wenn er nicht im Stande ist, sie zu vernichten,
so hat er fernerhin keine Aufträge zu geben den Dienern an den
Markungen und er bewirkt, dass Han immer mehr verachtet die
Hiung-nu’s. Mögen wir wieder mit Anstrengung kämpfen inmitten
der Gebirgsthäler, die noch vor uns auf einer Strecke von vierzig
bis fünfzig Weglängen. Wenn wir erreichen das flache Land und
nicht im Stande gewesen sind, den Feind zu zertrümmern, so mögen
wir zurückkehren.
Um diese Zeit gerielh das Heer Li-ling’s in immer grössere
Bedrängniss. Die Reiter der Hiung-nu’s begannen häufig den Kampf,
und es erfolgten an Einem Tage mehrere Zehende von Zusammen-
stössen. Die Krieger von Han tödteten wieder zweitausend Feinde.
Die Hiung-nu’s, welche sahen, dass sie nichts ausrichten, waren
gesonnen, abzuziehen.
Da traf es sich, dass ein in dem Heere Li-ling’s dienender „Spä
her“ 8 ), dessen Name Kuan-kan, von einem Iliao-wei (Beruhi-
*) „Dicht an einander gereihte Armbrüste“ sind nach Einigen dreissig Armbrüste
mit einer gemeinschaftlichen Sehne. Nach einer richtigeren Erläuterung jedoch
sind dies dreissig gespannte Stricke mit einem gemeinschaftlichen Arme. Der
Gegenstand wäre demnach eine zusammengesetzte Armbrust.
2 ) Bei den Hiung-nu’s gab es einen Thang-hu der Linken und einen Thang-hu der
Hechten.
3 ) Ein „Späher des Heeres“ war, wie in den Nachrichten über Li-khuang angege
ben worden, einem den „Abtheilungen“ des Heeres untergereihten „Bruchtheile“
vorgesetzt.
536
Di*. Pfizinaier
ger des Vordaches) schimpflich behandelt wurde. Der Beleidigte ent
floh und ergab sich den Hiung-nu's, zu denen er Folgendes sagte:
Das Heer Li-Iing’s hat keinen Rückhalt. Die Pfeile, mit denen er
schiesst, sind im Begriffe auszugehen. Bios die Leute unter der Fahne
des Heerführers und.die Iliao 1 ) des Fürsten yoii Tsching-ngan, jeder
mit achthundert Menschen , bilden die Vorhut, sie tragen die gelbe
und weisse Farbe auf ihren Fahnen. In dem Augenblicke, wo man
auserlesene Reiter sie mit Pfeilen beschiessen lässt, sind sie sofort
zersprengt.
Der von dem Überläufer Kuan-kan erwähnte Fürst von fctr
Tsching-ngan war tjijg Han-yen-nien, ein Eingeborener
seiner Zeit Landesgehilfe des Königs von Thsi-nan, hatte einen
kühnen Angriff gegen das südliche Yue unternommen und war in
dem Kampfe gefallen. Der Allhalter Wu ernannte hierauf Yen-nien,
den Sohn Han-thsien-thsieu’s, zum Lehensfürsten. Dieser Sohn war
dem Heerführer Li-ling in dem gegenwärtigen Feldzuge in der
Eigenschaft eines Hiao-wei gefolgt.
Der Schen-yü hatte grosse Freude, dass Kuan-kan ihm zu Theil
geworden. Er entsandte Reiter, welche das Heer von Han angriffen
und in kurzen Zwischenräumen riefen: Li-ling und Han-yen-nien,
ergebt euch auf der Stelle! — Bald hatte der Feind dem Heere
Li-ling's den Weg verlegt, während er seine ungestümen Angriffe
fortsetzte. Das Heer von Han befand sich in einein Thale, die
Hiung-nu’s standen auf den Anhöhen und beschossen das Heer von
allen vier Seiten, so dass die Pfeile gleich einem Regen hernieder
fielen.
Das Heer von Han, welches unter solchen Umständen seinen
Zug nach Süden fortsetzte, hatte noch nicht den Berg 1
Ti-han erreicht, und sein Vorrath von Pfeilen, deren es in einem
Tage fünfzigmal zehntausend verschoss, war jetzt gänzlich erschöpft.
Die Kriegsmänner, noch über dreitausend an der Zahl, Hessen sofort
die Wagen zurück und hieben blos die Speichen ab, mit denen sie
ihre Hände bewaffneten. Die Angestellten des Heeres hielten in den
i) Es gab zwei Hiao (niedere Befehlshaber), einen der Linken und einen der
Rechten.
537
Die Heerführer Li-khuang und Li-Iing.
Händen schuhlange Messer. Auf diese Weise gelangte man wieder
zu einem Gebirge und trat in ein enges Thal. Der Schen-yü schnitt
hier dem Heere den Rückzug ab, während die Hiung-nu’s zu den
hervorspriugenden Ecken der Anhöhen emporstiegen und auf die
Krieger von Han schwere Steine herabwälzten. Unter den Kriegs
männern Li-ling’s fanden viele den Tod, und die Übrigen waren
ausser Stande, weiter zu ziehen.
Am späten Abend trat Li-Iing, mit einem kurzen Hauskleide
arigethan, allein und zu Fusse vor das Lager hinaus. Er bedeutete
den Leuten seiner Umgebung, welche ihn begleiten wollten, zurück
zubleiben und ihm nicht zu folgen. Dabei sagte er: Ich als ein
einzelner Mann werde den Schen-yü gefangen nehmen. — Nach
langer Zeit kehrte er zurück und rief seufzend: Die Krieger sind
geschlagen, sie sind des Todes!
Einer der Angestellten des Heeres sagte zu ihm: Du, o Heer
führer, hast mit Schrecken erfüllt die Hiung-nu's, doch der Befehl
des Himmels ward nicht erlangt. Mögest du später aufsuchen die-
Wege und in die Heimat zurückkehren gleich dem Fürsten von
Tsio-ye J ), der von den Feinden zum Gefangenen gemacht wurd e,
hierauf entfloh und heimkehrte. Der Himmelssohn begegnete ihm
wie einem Gaste, um so mehr wird er dies thun bei dir, o Heer
führer. — Li-Iing erwiederte: Du hältst mich zurück. Wenn ich
nicht sterbe, bin ich kein tapferer Kriegsmann.
Hierauf hieb man die Fahnen von den Stangen ab und vergrub
sie sammt den kostbaren Gegenständen in die Erde. Li-Iing rief
dabei klagend aus: Erlangte ich nur wieder einige Zehende von
Pfeilen, es wäre hinreichend, um zu entkommen. Wenn wir jetzt
ohne Waffen den Kampf erneuern, so sitzen wir mit Tagesanbruch
fest und sind in Bande gelegt. Wenn wir einzeln gleich Vögeln und
wilden Thieren uns zerstreuen, so wird es noch immer Einige geben,
denen es gelingt zu entkommen, heimzukehren und dem Himmels
sohne die Meldung zu bringen. — Er befahl hierauf, dass jeder
Krieger seines Heeres zwei Mass 2 ) gerösteten Getreides und eine
1) D. i. Tschao-po-nu, der in der Verkündung des Himmelssohnes an Li-Iing erwähnt
worden.
2 ) Eigentlich zwei Sehing, ein Betrag, der zehn Hö oder einem
Betrage von zehn Löffeln voll entspricht. Die angegebenen zwei Mass oder
„Sching“ sind daher zweihundert Löffel voll geröstele Getreidekörner.
538
Dr. Pfi zmaie r
Scholle Eis, welches letztere, da es eben Winter war, zur Stillung
des Durstes diente, mit sich nehme. Als Ort der Vereinigung, wo
man sich gegenseitig erwarten solle, bestimmte er die Schutzwehr
von Sche-lu, dieselbe, von welcher das Heer, dem Befehle des Him
melssohnes gemäss, anfänglich ausgerückt war.
Um Mitternacht schlug man die Trommeln und weckte die
Krieger, wobei man jedoch den Klang der Trommeln dämpfte.
Li-ling und Han-yen-nien stiegen gemeinschaftlich zu Pferde und
verliess n, von ungefähr zehn tapferen Kriegsmännern begleitet, das
Lager. Eine Schaar von mehreren tausend feindlichen Reitern ver
folgte sie. Han-yen-nien fiel in dem Kampfe mit diesen Reitern,
Li-ling aber sagte: Ich habe nicht das Antlitz und das Auge, dass
ich die Meldung bringen könnte demjenigen, vor dem ich stehe unter
den Stufen. — Hierauf ergab er sich den Hiung-nu’s.
Die Krieger in dem Heere Li-ling’s theilten sich und wurden
zerstreut. Diejenigen, welche entkamen und die »Versperrungen
erreichten, waren etwas über vierhundert Mann. Der Ort selbst, an
welchem Li-ling die erzählte Niederlage erlitt, wür von den Ver
sperrungen ungefähr hundert Weglängen entfernt.
Als sich das Gerücht von dem Unglücke der Waffen von Han
an den Versperrungen der Marken verbreitete, hoffte der Himmels
sohn , dass Li-ling wenigstens in dem Kampfe gefallen sei. Er
beschied daher die Mutter und die Gattinn Li-ling’s zu sieh und trug
einem mit der Beobachtung der äusseren Gestalt des Menschen sich
beschäftigenden Manne auf, sie in Augenschein zu nehmen. Der
Menschenbeobachter entdeckte in den Zügen dieser Angehörigen
des Heerführers nichts, woraus auf die Trauer um einen Todten
geschlossen werden könnte.
Als später die Nachricht eintraf, dass Li-ling sich den Hiungr
nu’s ergeben habe, zürnte der Himmelssohn heftig und liess Tschin-
pu-15, denselben, der einst günstige Nachrichten von Li-ling über
bracht hatte, zur Rede stellen. In Folge dessen nahm sich Tschin-
pu-lö das Leben, die übrigen Würdenträger jedoch wälzten alle
Schuld auf Li-ling.
Der Himmelssohn fragte hierauf den „Anführer der grossen
Vermerker“, den berühmten Geschichtschreiber Sse-ma-tsien.
Dieser besprach ausführlich die Angelegenheit Li-ling’s und sagte
unter anderem: Li-ling ist freundschaftlich, voll Elternliebe und
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling,.
539
seinen Kriegsmännern treu. Er raffte sich beständig auf, nahm keine
Rücksicht auf sich selbst und eilte hinzu bei der Bedrängniss des
Landes und Hauses. Dies hat er im Allgemeinen sich erworben und
gesammelt, er bat die Sitten eines Kriegsmannes des Landes. Jetzt
ist er bei der Unternehmung einer Sache einmal nicht glücklich
gewesen, die mit dem Leibe unversehrt bleibenden, ihre Weiber und
Kinder bewahrenden Diener gehen hinter ihm her und treiben durch
Gährungsmittel zur Höhe seine Mängel. Es ist dies in Wahrheit
schmerzlich!
Auch bat Li-ling ausgehoben Fussgänger nicht volle fünftau
send. Mit ihnen hat er betreten in den innersten Tiefen der Streit
rosse Land, niedergedrückt ein mehrere Zehntausende zählendes
Heer. Die Feinde hatten nicht Zeit, zu Hilfe zu kommen den Ster
benden, zu stützen die Verwundeten. Man schickte in’s Feld gänzlich
das den Bogen spannende Volk, damit es in Gemeinschaft ihn über
falle und einschliesse. Er stritt im Umwenden auf einer Strecke
von tausend Weglängen. Die Pfeile waren zu Ende gegangen, der
Weg war abgeschnitten. Die Kriegsmänner spannten leere Bogen
sehnen, sie stürzten entgegen blossen Klingen, stritten, nach Norden
gewandt, mit todesmuthigen Feinden. Indem er gewann der Men
schen sterbende Kraft, wird er hierin selbst von den berühmten
Heerführern der alten Zeit nicht übertroffen. Zwar gerieth er in
Fallen und wurde geschlagen, aber dasjenige, was er zertrümmert
hat und geschlagen, verdient ebenfalls, dass es an die Sonne
gebracht werde in der Welt. Wenn er nicht gestorben ist, so wird
er wohl erlangen wollen etwas, das seine Schuld ausgleicht, damit
er es melden könne nach Han.
Der Himmelssohn hatte ursprünglich, nachdem er den Ni-sse
ausgesandt und das Hauptheer in’s Feld gerückt war, Li-ling nur
ungern den Auftrag zur Führung eines Hilfsheeres ertheilt. Als jetzt
Li-ling mit dem Schen-yü handgemein wurde und der Ni-sse wenig
ausrichtete, liess der Himmelssohn an Sse-ma-t^ien, in Betracht,
dass dieser durch Lüge und Täuschung den Ni-sse verkleinern
gewollt und hinsichtlich Li-ling’s ungereimte Dinge gesprochen
habe, die Strafe der „Verderbniss“ *) vollziehen, ein Verfahren, über
*) Durch diese Strafe wird „der Weg des Menschen abgeschnitten“, d. i. das Zeu
gungsvermögen vernichtet, daher die hier angeführte Benennung.
S40
Dr. Pfizm aier
dessen Sehmählichkeit und Ungerechtigkeit die Männer der Wissen
schaft, namentlich Puan-ku, der Verfasser des Geschichlswerkes der
früheren Han, laute Worte des Unwillens äusserten.
Nach längerer Zeit reute es den Himmelssohn, dass er Li-ling
ohne Hilfe gelassen. Er suchte jedoch sein Gewissen durch den
Hinblick auf seine früheren Verfügungen zu beruhigen, indem er
sagte: Als Li-ling ausrücken und die Versperrungen überschreiten
sollte, erliess ich eine höchste Verkündung an den Geruhiger der
Hauptstadt für die starken Armbrüste 1 ) und hiess ihn entgegenzie
hen dem Heere. Ich habe gemacht und im Voraus es verkündet. Der
Erfolg war, dass ich hiess einen greisen Heerführer Anlass geben
zur Entstehung von Verrath und Trug 2 ). — Hierauf entsandte er
Leute mit dem Aufträge, diejenigen Krieger, welche von dem Heere
Li-ling’s noch übrig und glücklich entkommen waren, zu begrüssen
und zu beschenken.
Nachdem Li-ling bereits über ein Jahr sich bei den Hiung-
nu's befunden, entsandte der Himmelssohn (97 vor uns. Zeitr.) den
mit der Benennung eines Heerführers von j|v]- |Jj Yin-yü«) beleg
ten ^ Kung-siin-ngao, dem er den Befehl gab, an
der Spitze der Streitkräfte weit in dem Lande der Hiung-nu’s vor
zudringen und Li-ling abzuholen. Das Heer Kung-sün-ngao’s rich
tete indessen nichts aus. Nach seiner Rückkehr sagte dieser Heer
führer: Wir fingen einige Feinde lebendig, welche aussagten, dass
Li-ling lehrt den Schen-yü die Waffen führen und Vorbereitungen
treffen gegen das Heer von Han. Aus diesem Grunde haben wir
nichts erlangt.
Als der Himmelssohn diese Worte erfühl 1 , verhängte er über das
Haus Li-ling’s die Ausrottung der Verwandtschaften. Die Mutter,
die jüngeren Brüder, die Gattinn und die Kinder dieses Heerführers
wurden sämmtlich der Mitschuld geziehen und in der Landschaft
Lung-si hingerichtet. Die Kriegsmänner und Grossen des Landes
1) Der oben vorgekommene Lu-pö-te.
2 ) Lu-pö-te, der Beruhiget* der Hauptstadt für die starken Armbrüste, wäre ein
greiser Heerführer gewesen. Nachdem er von den Versperrungen ausgezogen,
hätte er nicht den Ort seiner Bestimmung erreicht, wesshalb Li-ling den Unter
gang gefunden habe.
3 ) Yin-yü hiess ein Gebiet des Landes Hu.
Die Heerführer Li-khuang und Li-Iing.
541
schämten sich jetzt des Geschlechtes Li, weil dessen Haupt Li-ling,
nach ihrer Meinung unfähig zu sterben, die Angehörigen seines
Hauses in Schuld verwickelt hatte.
Später schickte Han einen Gesandten zu den Hiung-nu’s. Li-
ling sagte zu diesem Gesandten: Ich befehligte im Aufträge von Han
Fussgänger fünftausend, ich durchzog nach seiner Breite das Land
der Hiung-nu’s. Weil man mir keine Hilfe brachte, wurde ich geschla
gen. Was habe ich gegen Han verbrochen, dass es die Angehörigen
meines Hauses hinrichten liess? — Der Gesandte antwortete: Han
hat erfahren, dass Li-sehao-king *) lehrt die Hiung-nu’s die Waffen
führen. — Li-ling entgegnete: Dies ist Li-tschü, ich bin es nicht.
Der hier genannte Li-tschü war ursprünglich ein in
den Diensten von Han stehender jenseits der Versperrungen wei
lender Beruhiger der Hauptstadt, der seinen Wohnsitz in der Feste
von Hi-heu hatte. Von den Hiung-nu's angegriffen, ergab
er sich an diese und ward von dem Schen-yii gastlich aufgenommen,
bei dem sich sein Sitz gewöhnlich höher in der Reihe als derjenige
Li-ling’s befand.
Li-ling schmerzte es, dass die Angehörigen seines Hauses um
Li-tschü’s willen hingerichtet worden. Er liess daher Li-tschü durch
ausgesandte Leute erstechen, worauf die grosse Yen-tschi, d. i. die
Mutter des Schen-yü, ihrerseits wieder Li-ling zu tödten beabsich
tigte. Der -Schen-yü verbarg indessen Li-ling in den nördlichen
Gegenden seines Landes, von wo dieser erst nach dem Tode der
grossen Yen-tschi wieder zurückkehrte.
Der Schen-yü hielt Li-ling für einen tapferen Mann und gab ihm
seine Tochter zur Gemahlinn. Zugleich erhob er ihn zum Hiao
(Befehlshaber) der Rechten mit der Benennung eines Königs, wäh
rend Wei-lio, ein anderer Flüchtling aus Han, zum
Könige der ||| T Ting-Iing, eines besonderen Stammes der
Hiung-nu’s, ernannt wurde. Beide Männer standen in Ansehen und
wurden zu den Geschäften gezogen.
Der Vater des oben genannten Wei-lio war ursprünglich ein
Hiung-nu und befand sich unter dt-n im Dienste von Han stehenden
*) Schao-king war, wie früher angegebeu worden, der Jiinglingsname Li-ling’s.
542
Dr. Pfizmaier
und auf dem Gebiete J|| Tschang-schui lagernden Reiter
sehaaren seines Volkes. Dessen Sohn Wei-liö war in Han geboren
und aufgewachsen, wo er zu / £p ^ Li-yen-nien, dem
Beruhiger der Hauptstadt für Hia-lio 3 ), in freundschaft
lichen Beziehungen stand. Auf die Empfehlung Li-yen-nien’s wurde ,
Wei-liö als Gesandter zu den Hiung-nu’s geschickt. Er war eben
von seiner Gesandtschaftsreise zurückgekehrt, als die Angehörigen
Li-yen-nien’s wegen eines diesem zur Last gelegten Verbrechens in
Gesammtheit zur Verantwortung gezogen wurden. Wei-liö, der
fürchtete, mit seinem Beschützer zugleich hingerichtet zu werden,
verliess das Land und kehrte zu den Hiuog-riu’s zurück, denen er
sich ergab. Er wurde bald bei diesem Volke beliebt und befand
sich beständig unter den die Umgebung des Schen-yü bildenden
Würdenträgern. W enn während der Abwesenheit Li-ling’s wichtige
Angelegenheiten verhandelt werden sollten, trat Wei-liö in das Innere
und nahm an den Berathungen Theil.
Unterdessen starb in Han der Allhalter Hiao-wu, und dessen
Sohn, der Allhalter Hiao-tschao, wurde (86 vor uns. Zeitr.) zum
Himmelssohne eingesetzt. Der oberste Heerführer Hö-kuang und
* t ± Schang-kuan-khie, der Heerführer der Linken, wur
den die Stützen der Lenkung. Diese zwei Männer, welche einst
gute Freunde zu Li-ling waren, entsandten j]^( Jin-li-
tsching aus Lung-si, einen alten Bekannten Li-ling's, nebst zwei
anderen Würdenträgern mit der Weisung, sicli gemeinschaftlich
zu den Hiung-nu’s zu begeben und Li-ling zur Rückkehr einzuladen.
Als diese drei Männer in Hu ankamen, Hess der Schen-yü
Wein auftragen und betheilte sie als Gesandte von Han mit Geschen
ken. Li-ling und Wei-liö waren bei dem Empfange gegenwärtig
und um die Sitze der Versammelten beschäftigt. Jin-li-tsching und
dessen Gefährten hatten Li-ling zwar gesehen, aber noch nicht
i) Dieses Gebiet lag im Osten des heutigen Nebenkreises
Hu, Kreis Si-ngan,
in Scben-si.
2 ) Die Benennung Hia-lio scheint von einer Örtlichkeit entlehnt zu sein, über deren
Lage von dem Verfasser bisher nichts aufgefunden wurde.
Die Heerführer Li-khuang und Li-ling.
«43
Gelegenheit gefunden, mit ihm ohne Zeugen zu sprechen. Sie mach
ten daher Li-ling durch Blicke aufmerksam, drehten hierauf zu
wiederholten Malen den Ring ihres Schwertes und griffen an ihre
Füsse, wodurch sie ihm zu verstehen geben wollten, dass er nach
Han zurückkehren könne.
Später schafften Li-ling und VVei-liö die Rinder und den Wein
herbei und bewillkommneten die Gesandten von Han, worauf das
allgemeine Trinken stattfinden sollte. Die beiden genannten Männer
trugen die Kleidung von Hu und hatten das Haupthaar in Gestalt
einer Mörserkeule zusammengebunden. Jin-lf-tsching erhob jetzt
seine Stimme und sprach: Han hat bereits eine vollständige Ver
zeihung verkündet. In dem mittleren Lande walten Sicherheit und
Freude. Der Gebieter und Hochgestellte ist reich an Frühlingen und
Herbsten 1 ). Ho-tse-meng 3 ) und Schang-kuan-schao-scho 3 ) werden
verwendet zu den Geschäften. — Durch diese Worte wollte der
Gesandte, Anderen unbemerkt, die Gedanken Li-ling’s aufregen.
Dieser schwieg anfänglich und erwiederte nichts. Endlich griff er
mit bedeutungsvollem Blicke nach seinem Haupthaar und entgegnete:
Ich trage bereits die Kleidung von Hu.
Nach einer Weile erhob sich Wei-lio und entfernte sich, um
seine Kleider zu wechseln. Jin-li-tsching sagte jetzt zu Li-ling:
Es heisst, dass es Schao-king 4 ) sehr schlecht gebt. Hö-tse-meng
und Schang-kuan-schao-scho lassen sich nach dir erkundigen. — Li-
ling fragte: Wie geht es den Männern von Hü un d Schang-kuan? —
Jin-li-tsching erwiederte: Sie lassen Schao-king bitten, dass er
heimkehre in sein Geburtsland und unbesorgt sei wegen Reichthum
und Ehre. — Li-ling entgegnete, indem er Jin-li-tsching bei des
sen Jünglingsnamen nannte: Schao-kungs)! Heimkehren wäre woli
leicht, wenn ich aber wieder beschimpft würde, wie könnte ich mir
helfen ?
D D. i. der Ilimmelssohn ist noch jung.
*> ^ ¥ Tse-meng ist der Jünglingsname Hö-kuang’s.
Schao-scho ist der Jünglingsnaine Schang-kuan-khie’s.
4 ) Dies der Jünglingsname Li-ling’s.
Schao-kung ist, wie so eben angedeutet wurde, der Jünglingsname
Jin-lT-tsching’s.
r? 44
Dr. Pfizmaier. Die Heerführer Li-khuang- und Li-ling-.
Li-ling hatte noch nicht ausgeredet, als Wei-lio in die Gesell
schaft zurückkehrte. Er hatte die letzten Worte einigermassen
gehört und sagte zu Li-ling: Li-schao-king! Der Weise wohnt nicht
blos in einem einzigen Lande. Fan-li *) «-änderte nach allen Seiten
umher in der Welt. Yeu-yü 2 ) verliess die westlichen Fremdländer
und begab sich nach Thsin. Warum sind jetzt deine Worte so
freundschaftlich?
Als der Empfang zu Ende war und man sich entfernte, ging
Jin-lT-tsching hinter Li-ling her und sagte zu ihm: Bist du es noch
Willens? — Li-ling erwiederte: Ein Mann lässt sich nicht zweimal
beschimpfen.
Li-ling verblieb ungefähr fünfundzwanzig Jahre bei den Hiung-
nu’s und starb zuletzt, in dem ersten Jahre des Zeitraumes Yuen-
ping (74 vor uns. Zeitr.) an einer Krankheit.
A ) Die Schicksale Fan-Ii’s sind in der Abhandlung': „Keu-tsien, König' von Yue, und
dessen Haus“ ausführlich erzählt worden.
a ) Yeu-yü, von Geburt ein westlicher Fremdländer, trat in die Dienste des Fürsten
Mo von Thsin.
Verzeichnis!! der eingegangenen Drueksehriften. 545
VERZEICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(NOVEMBER 1863.)
Academie Imperiale des Sciences, arts et belies-lettres de Dijon:
Memoires. 2° Serie. Tome X% Annee 1862. Dijon & Paris,
1863; 8°.
— Imperiale des Sciences, belies-lettres et arts de Lyon: Memoi
res. Classe des Sciences: Tomes IV C , XI 0 & XII 0 . Lyon et Paris,
1854, 1861 & 1862; 8°. — Classe des lettres: N. S. Tomes
P & X°. Paris & Lyon. 1851 & 1861—62; 8».
Accademia Virgiliana di scienze, belle lettere ed arti. Anno 1863-
Mantova. 8°.
Akademie der Wissenschaften, Ungarische zu Pest: Bericht über
die Thätigkeit der ungar. gelehrten Gesellschaft im Jahre 1837,
nebst Rechenschaftbericht. Ofen, 1838; 8°. — Bericht. I. Jahrg.
184L Nr. 3, 4 & 5; IV. Jahrg. 1843—1844. No. 1—7; 8».
— Philosophisch-juridisch-historische Classe: Mittheilungen.
N. R. Bd. I. 1860; Bd. II. 1861; Bd. III. 1. & 2. Heft.
1862; 8°. — Philologische Classe: Mittheilungen. N. R. I. Bd.
1860; II. Bd. 1861 — 1862; 8°. — Monumenta Hungariae
liistorica. I. Abtheilung, Bd. I—IX. Pest, 1857—1862. 8°; II.
Abtheil., Bd. I—VI, IX, XV. Pest, 1857—1860 und 1863; 8».
— Historische Monumente der türkisch - ungarischen Zeit.
I. Abtheilung. Bd. I. & II. Pest, 1863; 8°. — Ungarisches Ma
gazin für Geschichte (Magyar törtenelmi tär). Bd. IX—XII.
Pest, 1861—1863; 8». — Leveies tär. Bd. I. Pest, 1861; 8«.
— Mittheilungen der philologischen Commission. I. Bd. 1,—3.
Heft. 1862; II. Bd. l.Heft. 1863; 8°. — Altungarische Sprach
denkmäler. Bd. I—III. Pest, 1838, 1840, 1842; Bd. IV. I. Ab- .
theilung, 1846; 4». — Archäologische Mittheilungen, Bd. I &IJ.
Pest, 1859 & 186 I ; 8°. Mit 1 Atlas in 4«. — Codex graecus
m
546
Verzeichniss
quatuor Evangeliorum. Pestini, 1860; gr. 4°. — Statistische
Mittheilungen. Bd. I. Heft 1 & 2. 1861; Bd. II. Heft 1 & 2.
1861; Bd. III. Heft 1 & 2. 1862; 8«. — Jahrbücher. Bd. X.
Heft 1, 3—14. 1860 —1863; 4°. — Budapest! szemle. Heft
41 — 57. Pest, 1861—1863; 8°. — Historische Preisschriften.
1. & 2. Heft. 1841 & 1842; 8°. — Philologische Preisschriften
1. & 2. Heft. Ofen, 1834 & 1839; 8°. — Philosophische Preis
schriften. Heft 1. 1835; 8°. — Juridische Preisschriften.
1. & 2. Heft. Ofen, 1841 & 1844; 8°. — Franz Kazinczy’s
Original-Werke. I. & II, Bd. Ofen, 1836 & 1839 ; kl. 8°. —
Ungar. Provinzial-Wörterbuch. Herausgegeben von der ungar.
gelehrten Gesellschaft. Ofen, 1838; 8°. — Gegö, Alexius,
Von den ungarischen Colonien in der Moldau. Ofen, 1838; 8°.
— Mocsi, Michael, Physiologische und psychologische Be
trachtungen. Ofen, 1839; 8°. — Erdy, Job. Detabulis ceratis
in Transilvania repertis. Pest, 1856; 8°. — Das System
der ungarischen Sprache. Ofen, 1847; 8°. — Kiss, Karl,
Johann Hunyady’s letzter Kriegszug in Bulgarien und Ser
bien im Jahre 1454 und Belgrads Entsatz im Jahre 1456. Pest,
1857; 8°. —Hunfalvy, Johann. Ladislaus Magyar’s süd
afrikanische Briefe und Tagebuchs-Auszüge. Mit 1 Karte. Pest,
1857; 8°. — Item. Ladislaus Magyar’s südafrikanische
Reisen in den Jahren 1849—1857. Bd. I. Mit 1 Karte und 8
Tafeln. Pest, 1859; 8°. — Knauz, Leander, Geschichte des
Staatsrathes und der Landtage 1445—1452. Pest, 1859; 8°.
— Abuska. Übersetzt von Arnim Vämbery. Pest, 1862; 8°.
— V a s s, Jos., Das inn- und ausländische Schulwesen unter
den Arpadern. (Gekrönte Preisschrift.) Pest, 1862; 8. —
Teleky, Graf Joseph, Die Zeit der Hunyady in Ungarn.
VI. Bd„ 1. Theil. Pest, 1863; 8°. — Mätray, Gabriel,
Melodien ungrischer historischer Gesänge des 16. Jahrhunderts.
Pest, 1859 ; 4°.
A m b r o s o I i, Franc., Commemorazione di Camillo Vacani. (Dagli
Atti del R. Ist. Lomb. Vol. III.) 8°.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. X. Jahrgang,
Nr. 7 & 9. Nürnberg, 1863; 4».
Bericht des k. k. Krankenhauses Wieden vom Solar-Jahre 1863.
Wien; 4».
der eingegangenen Druckschriften.
547
Conestabile, Giancarlo , Second Spieilegium de quelques monu-
ments ecrits ou epigraphes des Etrusques. Paris, 1863 ; 8°.
Czaczko wski, J. , Versuch der Vereinigung der Wissenschaften.
Wien, 1863 ; 8».
Dudik, B., Mährens allgemeine Geschichte. II. Bd. Briinn, 1863. 8«-
Fenicia, Libri quinto e sesto della politica. Napoli, 1863; 8°.
Freiburg, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus den
Jahren 1861 —1863 ; 4° & 8°.
Gachard, Don Carlos et Philippe II. Tomes I & II. Bruxelles,
1863; 8»
Gesellschaft, Sehleswig-Holstein-Lauenburgische, für vaterländi
sche Geschichte : Jahrbücher für die Landeskunde der Herzog-
thümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Bd. IV. Heft 1—3.
Kiel, 1861 ; 8».
— der Wissenschaften zu Leipzig: Joh. Gust. Droysen, Die
Schlacht von Warschau 1656. (Abhandlgn. der philolog.—hist.
Classe. Bd. IV. Nr. 4.) Leipzig, 1863; 4°. — Bericht über die
Verhandlungen der philol.-historischen Classe. Bd. XIV. 1862.
Leipzig; 8».
— deutsche morgenländische: Zeitschrift. XVII. Bd., 3. & 4. Heft,
Leipzig, 1863; 8°. — Indische Studien. Von Albr. Weber.
VII. Bd. 3. Heft. Berlin, 1863 ; 8».
Gesetze vom 9. Februar und 2. August über die Gebühren von
Rechtsgeschäften , Urkunden , Schriften und Amtshandlungen
etc. Wien, 1863 ; 4°.
Hameiitz. III. Jahrgang, Nr. 34 & 35. Odessa, 1863; 4°.
Jahresbericht, Neunter, des germanischen Nationalmuseums zu
Nürnberg vom 1. Jänner bis 31. December 1862. Nürnberg,
1863 ; 4».
Lepsius, C. R., Standard Alphabet for reducing unvvritten Langua-
ges and foreign graphic Systems to a uniform Ortography in
European Letters. 2 ä Edition. London & Berlin, 1863 ; 8°.
Martin (Rene) d’Angers , Memoire sur le Calendrier Hebrai'que
precede d’un chapilre sur le Calendrier des Chretiens etc. Avec.
64 tableaux. Angers, 1863 ; 8°.
Mittbeilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale. VIII. Jahrgang, Nr. 11. Wien,
1863; 4».
Sitzt, d. phil.-hist. CI. XLIV. Bd. III. Hft.
36
548 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
Mittheilungen aus J. Perthes’geographischer Anstalt. Jahr
gang 1863, X. Heft. Gotha; 4°.
Mommsen, Theodor, Verzeichniss der römischen Provinzen, auf
gesetzt um 297. Mit einem Anhänge von Karl Müllenhoff.
(Abhandlgn. der k. Preuss. Akad. d. W. zu Berlin 1862.) 4°.
Nicolucci, Giustiniano, Di alcune armi ed Utensili in pietra e delle
popolazioni ne’ tempi antestorici della Penisola Italiana. Napoli,
1863; 4°. — Di un antico eranio fenicio. Torino, 1863; 4°.
Pichler, Georg Ahdon , Salzburgs Landes-Geschichte. VIII. Heft.
Salzburg, 1863; 8°.
Radies, P. v., Die Schlacht bei Sissek. Mit 1 Tafel. Laibach,
1861; 4».
Schindler, Karl, Die k. k. Forstlehranstalt zu Mariabrunn. Eine
Festgabe. Wien, 1863; 8°.
Schott, Wilhelm , Die estnischen Sagen von Kalewi-Poeg. (Ab
handlgn. der K. Preuss. Akad. d. W. 1862.) Berlin, 1863; 4°.
Schüller, Job. Karl, Maria Theresia und Freiherr von Brucken
thal. (Mit dem Abdruck der Handschrift Maria Theresia's und
Bruckenthals, und dem Portrait des Freiherrn.) Hermannstadt,
1863; 8».
Snellaert, F. A., Alexander’s Geesten von Jacob van Maerlant.
II. Deel. Brüssel, 1861; 8°.
Stern, M. E., Kochbe Jizchak. 29. Heft. Wien. 1863. 8°. — Ozar-
ha-Millin, ein vollständiges kurzgefasstes talmudisch-aramäisch-
chaldäisches Handwörterbuch. Wien, 1863; 8°.
Society, The Asiatic, of Bengal: Journal. N. S. Supplementary
Number. (Vol. XXXII.) Calcutta, 1863; 8». — Bibliotlieca
Indien: Nr. 186—195 und New Series. No. 31—37. Calcutta,
1862 & 1863 ; 8».
Verein, für Geschichte der Mark Brandenburg: Märkische For
schungen, VIII. Bd. Berlin, 1863 ; 8°.
V i a g g i o intorno al globo della fregata austriaca Novara,
negli anni 1857, 1858, 1859. Tomo II. Vienna, 1863; gr. 8°.
W o 1 n y , Gregor, Kirchliche Topographie von Mähren. I. Abtli.
V. Bd. Brünn, 1863 ; 8».
549
SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Pli [LOS OP III SC II-II IS TO RISCHE CE ASSE.
XLIV. «AND. III. HEFT.
JAHRGANG 1863. — DECEMBER.
551
SITZUNG VOM 2. DECEMBER 1863.
Herr Jonathan Friedländer überreicht der Classe seine
Ausgabe des germanischen Werkes „Maase Efod“, des spanischen
Juden Perifot Duran, mit dem Ersuchen, für den Druck derselben
eine Unterstützung von der Akademie erwirken zu wollen.
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 11. November 1863.)
Von Dr. Friedrich Müller,
Docent der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Wiener Universität.
Gleichwie die Conjugation des armenischen Verbums jener des
neupersischen gegenüber sowohl einen bedeutenderen Umfang an
Formen als eine grössere Kraft im Gebrauche derselben aufweist,
ebenso bietet auch die Declination des Nomens im Armenischen
gegenüber dem Nomen im Neupersischen eine viel grössere Ursprüng
lichkeit und Fülle der Formen dar. Denn während das Neupersische
auf eine und dieselbe Weise mittelst bereits dem sprachlichen
Bewusstsein ganz und gar dunkler Elemente, die man mit Fug und
Recht Partikeln nennen kann, durch blos mechanische Anfügung
derselben an das Nomen Casus und Numerus bildet, und hierin auf
der Stufe jener Sprachen steht, die keine eigentliche Flexion
besitzen, hat sich das Armenische noch die alten Elemente bewahrt,
die, wenn sie gleich von dem Sprachbewusstsein nicht mehr als
solche gefühlt werden, dennoch mit dem Npmen innig verschmolzen
auftreten und als echte Flexionselemente betrachtet werden können.
Aber obschon dieselben in der ältesten Periode der Sprache nur
eine waren, und auch an die Themen der verschiedenen Nominal-
formen sich ohne wesentliche Veränderung der letzteren anschlossen,
I
552
Dr. F r. Mülle r
haben sie sich in jenem Zustande, in dem wir die armenische Sprache
kennen, differenzirt, und haben auch durch ihre grössere oder
geringere Schwere in den Themen, an welche sie sich anschlossen,
manche Veränderungen hervorgebracht. Dadurch erscheinen sie
eben wie mit den letzteren zusammengewachsen.
Ich will es in der folgenden Skizze versuchen, eine Übersicht
und sprachwissenschaftliche Erklärung der Casus- und Numerus-
Suffixe des armenischen Nomens zu geben und darauf eine Einthei-
lung desselben in Declinationen, nach den ursprünglichen Charakter-
lauten der Themen geordnet, zu bieten.
Nominativ.
Der Nominativ des Singular hat im Armenischen kein bestimm
tes Zeichen. Das ursprüngliche Zeichen dieses Casus (s oder beim
Neutrum m) ist überall spurlos abgefallen. Die consonantischen
Themen sind nach Abfall des Nominativzeichens in ihrer schwa
chen Form unverändert geblieben, z. B. (astp) „Stern“ ==
vedisch stär (str), griech. darnp statt äorip-g, altb. ^(ctarej,
während die vocalischen Themen ihren thematischen Ausgang ver
loren haben, z. B. (mard) „Sterblicher“, neup. ^ (marcl'),
altb. -"gsfe (mesha) statt martn, altind. mrta, griech. ßporö-f,
ph (argath) „Silber“ = altb. (erezala), altind. rafjata,
piu/uui (bakht) „Glück, Zufall“ = altbaktr. (bakhti) — u.ir.p,
(tepi) „Ort, Stelle“ = einem älteren Thema tal-ya, vgl. altind.
tala. — Die Themen in u lieben sich mit dem Determinativsuffixe
ra ') zu beschweren, so -ßyc (meprj „Honig“ = altb. (madhu),
altind. madhu, gr. yiSv (vgl. Sanskr. madhu-ra).
Das Zeichen des Nominativ pluralis ist (q), das meist un
mittelbar an die Form des Nominativ singularis — nicht an’s Thema
und nur bei mehreren consonantischen Stämmen an letzteres — sich
anschliesst, z. B. •uuu.ir,^ (astep-qj „die Sterne“, altb.
(gtdrag-öa) „und die Sterne“, »die Väter“, altb.
(pitarag-caj „und die Väter“, (aklit-q) „die
Leiden“, alt. (akhtayag-ca) „und die Leiden“ —
(mard-q) „die Sterblichen“, altb. (mcshäiihag-ca)
*) Kommt auch bei a-Themen, jedoch meist mit dem Determinativsuffixe n = neup.
an verbunden vor; z B. Ibnhi (tynern) „Winter“, altb. (zimaj, auch
(zemaj, luJiunfh (’amarn) „Sommer“, altb. -uG-^O 1 (hdmaj.
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens.
55 3
„und die Sterblichen“. Die Themen in u nehmen ein n (wie im
Altindischen die Neutralthemen in i und u, z. B. vdri-n-ä, väri-n-e,
väri-n-i; tälu-n-ä, tdlu-n-e, tälu-n-i) zwischen Thema und
Endung, z. B. iruliiaA^ (ganu-n-q) „die schweren“ von <V„//y,
(gan-r), Thema ganu = altind. guru = garu (mit Übergang des
r in n).
Was die Erklärung des Pluralzeichens^ anlangt, so entspricht
es dem altbaktrischen Suffix ciq (vor ca, sonst ö) — altind. as (bei
consonantischen und i- und jt-Themen) oder dnhd — altind. äsas,
aso (bei Themen in ci). Es ist wie sonst Übergang des alten s in li
und Erhärtung des lelzteren in ^ anzunehmen, für welches Laut
gesetz sich in meinen Beiträgen zur neupersischen Sprache (S. 7)
hinreichende Fälle verzeichnet finden.
Genitiv.
Das Zeichen des Genitivs singularis war bei den consonanti
schen Themen und den Themen in i und u -as, bei «-Themen aber
lautete es -asya. Ersteres ist bei den consonantischen nun ganz
abgefallen, hat aber seinen Einfluss nachwirkend auf das Thema
geltend gemacht, z. B. ........(astep) „des Sternes“, gr. ecarip-og,
(herinj „der Last“ = beran-as, Genit. v. pi.L% (bernj
— heran (= altind. bhara mit dem Determinativsuffixe ana,
neup. (ui). Bei den vocalischen Themen auf i und u hat sich nach
Abfall des Genitivzeichens das reine Thema erhalten , Z. B. uifutnft
(akhti) „des Leidens“, Genit. von •ul,,... (akht), altb. ■><?</>*“ (akhti),
(mepuj „des Honigs“, Genitiv von .fl-.g. (mepr), altb. ><j^g
(madhuj-
Was das zweite Zeichen, das bei den Themen in a zur Anwen
dung kommt, nämlich -asya, betrifft (das im Armenischen, welches
bekanntlich einen grammatischen Gesehlechtsunterscliied gar nicht
kennt, auch auf die Feminina übergegangen ist), so hat sich in
manchen Fällen sein s als £ noch jetzt erhalten, z. B.
(tepvosh) „des Ortes“, Gen. v. .„/r./J, JtepiJ = tal-ya, vgl. altind.
tala. /J'.'l (knosh) „des Weibes“, Gen. v. (hin), vergl. altb.
•»)i^(ghena) oder m \%j(ghn&), altind. gnä. Sonst ist das s gewöhn
lich in a übergegangen, z. B. «y..p....u.u,, (Jrdata-hJ, Gen. v. «y,^......
(trdatj, Tipiddrvg — i/?,y,y.<v (Jnardo-hJ „des Mannes“, Gen. von
(mardj, Thema mardo, z. B. altind. mrta, griech. ßporö-g. —
554
Dr. Fr. Müller
(tepvo-h) „des Ortes“, Gen. v. Qtepi), Thema tepyo
und (mit Wechsel des y und v) tepvo = altind. tala -f- ya. In
manchen Fällen hat sich nj in »<*. verdumpft, und es fallen dann diese
Themen mit jenen in u vollständig zusammen, z. B. (gan&ij
„des Schatzes“ von (ganC), altind. ganga „Schatzhaus“ und
altpers. y«£a, verglichen mit Jkqnt. (mepu) „des Honigs“ von
•H"LP (meprj.
Das Zeichen des Genitiv pluralis ist#, das bei den consonanti-
schen Themen unmittelbar an die Themaform, seltener mit Hilfe
eines a (z. B. *uum[r,^u, g (astepaz) = stellarum), bei den voeali-
schen aber an das unveränderte Thema antritt, z. B. iu„u,b^ g
(astep-7,) „der Sterne“ von tu„.„r L (astp), ptrn-u/iy (beran-2,) „der
Lasten“ von pL^% (bern) = heran, J^up^ng (mardo-%) „der Men
schen“ von ifivpq. (marcl), lull Afi i_ij (ganQu-%) „der Schätze“ von
rpu/hi (ganC), altind. ganga. -l-nfa (akhti-%) „der Leiden“ von
(aklit), altb. (akliti), t -'u/u,„[, g (bakhti-%) „der Gliicks-
fälle“ von p um [um (bakhtj, altb. J <?c(bakhtij.
Die Themen in u nehmen auch hier ein n zwischen Thema und
Endung an, z. B. A uihntllitj (gana-n-^J „der schweren“ von A utitp
(gan-r) vom Thema ganu = altind. guru — garu.
Was die Erklärung des Pluralsuffixes g anlangt, so halte ich es
aus dem s der Endung sdm f ) entstanden, welches als g im Armeni
schen sich insofern erklärt, als ihm der Vocal e (= altb. w") vorher
ging. Eine Übertragung des Suffixes sdm, das ursprünglich nur dem
Pronomen zukam, im Latein und Griechischen sich abef schon über
die Themen in ä ausgedehnt findet, auf alle Themen im Armenischen
erklärt sich auch hier aus dem Überhand nehmen der Themen in ä,
die bekanntlich innerhalb jederS prache in späteren Perioden immer
mehr und mehr an Terrain gewinnen.
Dativ.
Der Dativ, sowohl Singularis als Pluralis, fällt im Armenischen
im Ganzen mit dem Genitiv zusammen, welcher Vorgang bekanntlich
schon in den Keilinschriften sich ausgeprägt findet 2 ) und im Sanskrit
bereits vorbereitet ist, wo oft der Genitiv statt des Dativ eintritt. In
!) m ist hier ebenso abgefallen, wie in Accus, sing. Nach Abfall dieses ward auch
jener des d nothwendig. Vgl. weiter unten beim Accusativ.
2 ) Vgl. Spiegel, Keilinschriften S. 153.
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens.
S55
manchen Fällen bietet der Singular die Form -um *), z. B. iftupr^nuiP
(mardum) „dem Menschen“ von (mard), worin ich einen
Überrest der alten Pronominalendung srndi (= sma-\-e) erblicke.
Ein Übergreifen dieser ursprünglich nur dem Pronomen dritter
Person zukommenden Endung auf das Gebiet des Substantivs erklärt
sich gerade so, wie oben beim Genitiv pluralis die Endung - säm 3 ).
Accusativ.
Der Accusativ singularis enthält das Thema in derselben Form
wie der Nominativ 3 ), mit dem Präfixe ^ verbunden, während der
Accusativ pluralis <» statt des nominativen mit demselben Präfixe
darbietet, z. B. tjiuuimj (z-astp) „den Stern“, ijuiuuitr rju (z-astep-s)
„die Sterne“, (z-mard) „den Menschen“, t^ifiufi'J- 1 ' (z-mard-s)
„die Menschen“, tjtufuui (z-akht) „das Leiden“, tjiu[uuiu (z-akht-s)
„die Leiden“, (z-ganr) „den schweren“, n-h-mudua (z-ga-
nu-n-s) „die schweren“.
Das Suffix <> des Accusativ pluralis ist offenbar Stellvertreter
des alten Accusativsuffixes ans (altb. ding), und scheint das s
dem Nominativ gegenüber, der^> — älterem s bieteL durch das vor
hergehende n geschützt worden zu sein 4 ).
Was das Präfix das den eigentlichen Charakter der armeni
schen Accusativformen darstellt, so halte ich es mit der Pehlewi-
partikel \^(ghan) verwandt, die zur Bildung des Dativs verwendet
und von Spiegel (Huzväreschgrammatik S. 67) mit dem kurdi
schen ghan (soll wohl ghal, d. h. J.Ü heissen) zusammengestellt
wird. Vgl. die germanische Präposition gegen, und die Endung
des germanischen Accusativs mik, thuk, als Richtungscasus (Dat. und
Accus.) 5 ). Freilich sollte man den Lautgesetzen zufolge im Pehlewf
zan erwarten; aber es scheint hier, wie in noch anderen Fällen 6 ),
die Verwandlung des alten g, resp. gh in * unterblieben zu sein.
!) Gleich dem Ossetischen, z. B. HoaueN, Dativ von HCAt = neup. j 1 ^ (nd m J
2 ) Vgl. Bopp, vergleich. Gramm. I, 359.
3 ) Wonach also das alte Zeichen m wie im Griechischen bei den consonantischen
Themen (7rat&a = Tratöa-pi.) abgefallen erscheint; nach Abfall des schliessen-
den m musste auch später wie im Neupersischen etc. der demselben vorherge
hende und nun zum Schlussvocal gewordene Vocal abfallen.
4 ) Vgl. Bopp, vergleich. Gramm. I, 472.
5 ) Lautlich unmöglich ist die Erklärung Bopp’s vergl. Gramm. I, 473.
6 ) Vgl. aItbaktr.£7.u@^Zj (dughdharc) „Tochter“ =altind. duhitar, aber armen.^„uumfi
(dustr) statt duztr; -»»Ji^jCghena) „Weib“ = altind. gnä aber neup. (jj (zan).
556
Dr. Fr. Müller
Ablativ.
Zeichen des Ablativs singularis ist das Präfix [; j und das
Suffix,/, das bei Themen in a unmittelbar an dieselben tritt,
während Themen in i und u durch Erweiterung in Themen in a
übergehen, wobei dann i spurlos ahfällt J ). Dasselbe thun auch die
Themen, welche auf einen Consonanten enden, z. B. fr uipij_.tuuiuy
(i-trdata-li) von (trdat) Ttptdarv??; fr lUupijjij (i-mardo-hj
von (niarägr. ßporä-s; fr <V«,7„,l£ (i-ganove — i-ganova-j)
von (ganr), Thema ganu; fr p‘»fr u ‘"b (i-bakhte — i-bakhtya-jj
von piufuu,(bakht), Thema bakhti; ju,„ U ik y4(y-astepe — y-astepa-j)
von lumn'i (dstp), fr pi.iL„A4 (i-beranc = i-berana-jj von pL„‘h
(bernj, Thema heran.
Merkwürdig ist die Form fr »#«£-yt-.,£4 (i-tepvoslie = i-tep-
vosha-j), in welcher die Form des Genitiv unorganisch
als Thema zu Grunde gelegt erscheint a ).
Das Ablativsuffix j, das auch im Ossetischen 3 ) auftritt, ist
offenbar nichts anderes, als das t der alten Ablativendung at 4 ),
die im Althaktrischen noch vollständig (vgl.
g^up«c etc.) im Altindischen nur bei den «-Themen und
auch im älteren Latein (-ed, -ad, -odß) sich erhalten hat. Der
libergang des t in j ist ebenso wie in den Formen (hajr)
„Vater“ = altb. (patare), (majr) „Müller“ == altb.
(mdtarej, (epbajr) „Bruder“ = altb. (brii-
tarej, zu erklären 5 ).
Der Ablativ pluralis bat keine solche selbstständige Form wie
der Ablativ singularis, sondern wird durch die Form des Genitivs
ersetzt, z. B. (ßy-astcp-^J oder jluumbijuig (ßy-astepa-^J
„von den Sternen“ von L (astp), fr Jhipi-ng (i-mardo-9,) „von
l ) Anders Bopp, vergl. Gramm. I, 359.
a ) Über diese Erscheinung vergl. meinen Aufsatz : „Das Personal-Pronomen in den
modernen eranischen Sprachen“ a. m. 0.
3 ) Vergl. N0M8BJ, Abi. von noav = neup. ^>1» (näm); raAgej, Abi. von taa = neup.
Ojäop.
4) Vgl. Bopp, vergl. Gramm. I, 356.
5 ) Anders Bopp, vergl. Gramm. I, 357, der £ als Ersatzdehnung für den unter
drückten *-Laut erklärt.
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens,
557
den Menschen“ von </?"/"/ (mard), /• p-d« (i-bakhti-%) „von den
Glücksfällen“ von /■<«/""' (bakht), [< indimdug (i-ganu-n-oQ „von
den schweren“ von 5- tiilijt ((/am), Thema ganu.
Was nun das Zeichen der Ablativformen, nämlich das Präfix h<J
anlangt, so ist sein Ursprung schwer zu bestimmen, da es uns nicht
vergönnt ist, das Armenische über jenen Zustand hinaus, in welchem
es uns vorliegt, zu verfolgen, und andere Anknüpfungspuncte uns
mangeln. Ich habe starken Verdacht, dass wir in demselben eine
Verwandte der neupersischen Idäfatli, die bekanntlich dem Relativ
pronomen ya entstammt, zu suchen haben, welche Ansicht durch
den Umstand, dass das Suffix,/ sowohl dem Genitiv als Ablativ sin-
gularis zukommt (wie denn auch im Altindischen beide Casus im
Singular, mit Ausnahme der «-Themen, zusammenfallen) und im
Plural ein directer Ersatz des Ablativ durch den Genitiv stattfindet,
bedeutend an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen scheint.
Instrumental.
Als Zeichen des Instrumental singularis tritt bei den consonan-
tischen Themen p auf, z. B. nn'—/.,g± (astep-b) „mit dem Sterne“
von iiminij (astp), fZiupnuphlruiiTji (barutheam-b) „mit der Güte“
von p,upn,[(h/,,:i, (baruthiun). Dasselbe Zeichen nehmen auch die
Themen in ü und einige in « an, welche gleich den ersteren den
Nominativ singularis mittelst r erweitern. Dabei bekommen sie das
Determinativelement n, das dann von p in «/* sich verändern muss,
zwischen Thema und Suffix, z. B. (ganu-m-b) „mit dem
schweren“ von h-u/bp (ganr), Thema ganu; pu,pi.uJp (bar 'Ca-m-b)
„mit dem hohen“ von p- r Ap (barCr), vgl. altb. -»tfly(bereza).
Bei den übrigen vocalischen Themen geht p nach dem Thema-
vocale durch Erweichung in <- oder (nach u = a) in ( über, z. B.
mpipuiuuui. (irdata-v) von (trdat) Ttpjöarv??. p,,, L
(balchti-v) „durch den Glücksfall“ von pud"" (bakht), altb.
(bakliti), ti,(ganu = ganü-v) von (ganr), Thema ganu,
(ganCu — ganCu-v) von '/<«>'<5 (ganQ, Thema ganCu statt
ganCo (/aCy.), ifrujirj_.tr </ (mardo-iv) von </?«/<7 (mard), Thema
mardo = marda.
Der Instrumental pluralis wird von jenem des Singularis gebil
det, indem man an diesen das Pluralzeichen ^ anfiigt; dabei kann
bei den Formen in -^g Zusammenziehuug in «g stattfinden, welches
Dr. Fr. Müller
558
Verfahren auch bei den cousouantischen Themen, die hier nebst
der auf den Singular zurückgehenden Form in p^, die Form in
(durch Erweiterung eines consonantischon in ein a-Thema) anneh
men, gestattet ist. Bei letzteren sind also drei Formen, nämlich in
pp) ’ipp und qp möglich.
Beispiele: -unmt-qßg (astep-bqj, ummlrqjii^p (ßastep-avqj oder
uiuuibipip (astep-oq) von fjistpJ, u,pipiuu„uup> (trdata~vQß)
von utpipiuui (trdut) TtptdctTvjj, .A’.y/y r, '/.p (ßmardo-wq) von Jiuptp
(mard), gr. ßpozö-s, p"d"‘"f".p (bakhti-vqJ von fuu[u /// (balcht),
altb. (bakhti), (ganCu-q = ganCu-vij) von if.iubX
(ganQ, b-tuhnt-(ganu-q — ganu-vq) oder b„a,n,,r r p (ganu-m-bq)
von bidhp (ganr), Thema gann.
Was die Erklärung des Instrumentalzeichens p anlangt, so ist
es offenbar aus dem alten Präpositionselemente, altind. bhi, altb.
bi, griech. yt- entstanden, und stimmt vollkommen mit der litauisch-
slavischen Endung -mi, -mb überein. Das Pluralzeichen pp, aus p
und p zusammengesetzt, entspricht vollkommen dem altindischen
bhis, dem altbaktrisch en bis und dem litauischen mis.
Nachdem ich im Vorhergehenden eine hinreichende Skizze
und Erklärung der armenischen Casus- und Numeruszeichen gege
ben zu haben glaube, will ich sie an einigen Formen, im Vergleich
mit älteren Bildungen, der Übersichtlichkeit wegen noch einmal
vorführen.
Nominativ
Genitiv und
Dativ
Accusativ
Ablativ
Instrumental
Singular
lutitnrj
gr. dozr,p
- äazep-s
altind.
mrta-sya
ulrn
r U:"2_
altind.
tüla- sya
y f//#y/y.
gr. ncdoa
— xcddcc-[j.
Jt pL
ältb.
äthr-ai
oss. noiHffij
Ultimi, ji
lif. aki-rnl
Plural
lumnlrr^p
griech.
ÜGTip-eg
Ultimi.rjnet/
lat. stella-
rum =
stellasum
tjiunml.- rju
altb.
athrdng-
6a
runin/r/£ji t £>
lit.
aki-mis
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens.
SSO
Wie wir gesehen haben, sind die Zeichen der verschiedenen
Casusformen im Armenischen überall im Ganzen dieselben; die De
clination der Nomina ist also im Grunde nur eine einzige. Die Differenz
in der Flexion derverschiedenen Nominalformen ist nicht so sehr durch
die Flexionselemente, als vielmehr durch die Themen selbst beding!.
Denn je nachdem diese entweder auf einen Consonanten oder Y'ocal
enden, schliesst sich das Flexionselement verschieden an dieselben
an, und untergeht darnach manche lautliche Wandlungen. Es erge
ben sich somit zunächst zwei Declinationsgruppen: I. Consonanti-
sche, II. vocalische Themen. Beide sind wiederum entweder von
Alters her also, oder haben sich erst im Armenischen zu solchen
entwickelt. Die vocalischen Themen zerfallen wieder ihrerseits je
nach dem Vocale, der am Ende des Thema’s auftritt, a, i oder u,
in drei Abtheilungen. Da aber der Vocal a im Armenischen, gleich
wie im Griechischen, sich differenzirt, d. h. entweder als stehen
gehlieben oder in <•,[•, sich gespalten hat, so zerfällt wieder die
«-Gruppe ihrerseits in mehrere Unterabtheilungen. Von diesen
fallen zwar manche (i, u) mit den anderen ursprünglichen Themen
(in /' und zusammen; da es uns aber hier nicht so sehr um eine
praktische , sondern zunächst sprachwissenschaftliche Darstellung
des armenischen Nomens zu thun ist, so können wir auf diesen
Umstand vor der Hand keine Rücksicht nehmen, und glauben am
besten auf folgende Weise eine Eintheilung des armenischen Nomens
feststellen zu können.
A. Consonautische Themen, und zwar 1. ursprüngliche,
2. aus vocalischen Themen entstandene.
B. Vocalische Themen, und zwar 1. ursprüngliche,
a) Thema-Vocal a. <x. ß. •>, y. ^ rein, i mit "• ge
mischt, d. hl., b) Thema-Vocal i. cj Thema-Vocal u. —
2. aus consonantischen Themen entstandene.
A. Consonantische Themen. Zu den consonantischen
Themen gehören vorzüglich zwei Bildungen, nämlich die in ar
(aus älteren tar und vat entstanden) und in an. Erstere sind im
Vergleich mit letzteren ungleich seltener, indem mehrere von ihnen
in vocalische Themen übergegangen sind. Unter letzteren sind
zweierlei verschiedene Themen zu begreifen, nämlich einerseits
diejenigen, welche schon von Alters her als solche auftreten (alt-
33
560
indogermanische Bildungen), andererseits solche, welche erst auf
dem Gebiete des Armenischen als solche sich aus vocalischen
Themen entwickelt haben (armenische Bildungen). Die consonanti-
schen Themen haben alle das Eigenthümliche, dass bei ihnen der
Genitiv und Dativ singularis ohne alle äussere Zeichen auftreten
und nur durch die stärkere Form des Thema’s charakterisirt wer
den, während bekanntlich der Nominativ die schwächere Form des
Thema’s darstellt. Sie schliessen sich, wie Bopp, vgl. Gramm. I,
362, richtig bemerkt, an ähnliche Bildungen im Althochdeutschen
ganz genau an.
Beispiele.
I. Themen in r. y-«*.«uy, (dustr) „Tochter“. Gen.-Dat.
(dster), altb. (duglidhare), altind. duhitar.
,u,,.n'p(astp) „Stern“, Genitiv-Dativ m,(astep), griech.
darrip = durip-g.
(qojr spr. ijuirj „Schwester“, Genit.-Dat. .p">J-p (qover),
pp/Lp (qever) oder (qer), vergl. altb. ({janhare),
altind. svasar. Dem Nominativ liegt die Form qahhr, dem Genit.-
Dativ die Form qahhar (mit Ausfall des li) zu Grunde.
<%/> (majr) „Mutter“. Gen.-Dat. Jtuup (maur) oder durch
Contraction Jap (mär), altb. (mätare), altind. mätar. Jtujp
geht auf mätr (später mdtlir, mäsr, mähr, vgl. neup.^» (mihir) =
altb. -“^»6 (mithra), altind. mitra), </?«'/> auf die vollere Form
mätar ("durch mäsar, mähar) zurück. In der kürzesten Form des
Thema’s Jtup (mar) für Instrumental singul. und plural erscheinen
beide a in mätar in ein ursprünglich langes zusammengezogen.
J, ’ujp (hajr) „Vater“, Gen.-Dat. ^""-p (haur) oder <J<y, (hör),
kürzeste Form ^>»p, vgl. altb. (patarc), (pitare),
griech. narbp- Ist ebenso zu erklären wie *ßy/>. Im Genitiv-Dativ,
Ablativ und Instrumental plural. nimmt $>ujp zu der kürzesten Form
J,i“P auch das Determinativelement n (wie altind. täla, väri) zu
Hilfe, hat also die Formen ■>*»/»# (liar-oQ oder ,uA g (har-an-%),
^‘"pp.p (har-b-q) oder J,u,p,uJp^ (har-am-b-q).
hr'ijLiujp (epbajr) „Bruder“, Gen.-Dat. (epbaur) oder
b-qpop (epbor), kürzeste Form t^p-up (epbar), altb. (brätare).
Viele von den älteren Themen in r sind in vocalische Themen
übergegangen. Es sind dies meist alte Neutral-Themen in as,
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens. 561
z. B. ’/y (zar) „Kraft, Stärke“, altb. (zdvare), r!"r (biar)
„zehntausend“, altb. (baevare). Von diesen werden wir
weiter unten bei den vocalischen Themen näher handeln.
II. Themen in n.
a) ursprüngliche. »W. (’anun) „Name“, Gen.-Dat. iuImuiuIm
(anovan), vgl. altind. naman. Der Nominativ geht auf die Form
nämn (arm. anamn = anovn) zurück, während dem Gen.-Dat. die
ältere Form naman (armen, anaman) zu Grunde liegt.
(Mmn) „Grundlage“, Gen.-Dat. <£/»■Hifi, (Mman) nach
Bopp, vgl. Gramm. I. 363, wahrscheinlich = altind. siman in dem
Sinne „Verbindendes“.
^nilb (sun) „Hund“, Gen.-Dat. (san), altind. cvan. Die
Form inthi entspricht vollkommen der schwachen altindischen Form
Qun, während dem altindischen gvan, latein. can-is entspricht.
b) aus «-Themen entstandene. 7(dasti) „Bündniss, Pakt“,
Gen.-Dat. 7.«./.“/, fdasin), Instrum. 7Ju^uiJp. (dasam-b), altb.
(dasMna), altind. dakshina „rechte Hand“. Über die Bedeutung
vergl. meine Beiträge zur Lautlehre der armenischen Sprache.
III. S. 8.
Hieher gehören die mittelst des Determinativsuffixes n erwei
terten Themen, welches, wie ich bei Kuhn und Schleicher, Bei
träge III. bemerkt habe, dem neupersischen an entspricht, und aus
einem alt-indogermanischen Suffixe ana zu erklären sein dürfte.
•ulfU (ahn) „Auge“, Gen.-Dat. tul^iuli (ak-an), im Plural auch
.ulfndiip (ak-un-q), vgl. altslav. oko und latein. oc-idus. Es ist
keineswegs, wie Bopp, vgl. Gramm. I. 362, lehrt, mit einem alt
indischen akshan zusammenzustellen.
.uJiutun (ama-r-n) „Sommer“, Gen.-Dat. tu/mn-ufo (atnaran),
vgl. altb. -*C">ey (hama).
rj-nu.üh (dar-n) „Thür“, Gen.-Dat. ((dran), vgl. alt-
pers. yyy (duvara), altind. dvara.
(Qu-n) „Schnee“, Gen.-Dat. (Zean), altb.
(zydo).
iJHrn.% (Cme-r-n) „Winter“, Gen.-Dat. &Jhn-ufh (Qmeran), vgl.
altb. -*et( (zema), (zima), altind. hima.
ftknlu (ber-n) „Last“, Gen.-Dat. pb-njfb (herin), Instrum.
phn .uJ'f (bäram-b), altind. bliara, neup. (bar).
562
Dr. Fr. Müller
nm'h ot-nj „Fuss“, Gen.-Dat.' n,„/'h (othi), Instrum. nu„uJp
(otam-b), altb. -“<2^0 (pddha), gr. notig nod-6g.
Eine grosse Anzahl von hieher gehörigen Themen bietet das
Suffix -P-[>A (thiun), das ich aus thvan entstanden ansehe und mit
dem alten Suffix vedisch tvana, altb. thwana, gr. ativo = rtirn
zusammenstelle, z. B. (zdrutliiun) „Kraft, Stärke“ von
H2p (zörj, altb. (zävurej, Gen.-Dat. rp>p„,pL„!i, (zoruthean\).
Der Form qopm.pp'h liegt das Suffix tun-, gr. guvyi, zu Grunde,
während auf die vollere Form des Suffixes Ivan (tavan)
zurückgeht.
B. Vocalische Themen. Die vocalischen Themen sind
ebenso wie die eonsonantischen doppelter Art: I. ursprüngliche,
II. aus eonsonantischen Themen entstandene. Sie zerfallen nach
dem jeweiligen Vocaie, der den Charakter des Thema's bildet, in
drei Gruppen, nämlich in Themen in a, i, u. Die Themen in a
haben sich aber wieder ihrerseits, je nachdem der alte a-Vocal
auftritt, in mehrere Sippen gespalten.
a) Themen in a.
a) Themen in ««. Unter diese Classe, die den ursprünglichen
Cbaraktervocal rein bewahrt hat, fallen nur Eigennamen, sowohl
einheimische als fremde, z. B.
(arsak) ’ApaaMyg, Gen.-Dat. mp^^uy (arsaka-h),
Instrum, tup^uif/iuu (arsaha-v).
mpn-uiu, (trdat) TiptodrYig, Gen.-Dat. u,p^„,„„y (trdala-h),
Instrum, mpipuiuiun. (irdttia-v).
adam), mx (ädäm), Gen.-Dat. unpioJwj (ddama-h),
/z/^jy/ zz/ ^ zzz iP fahr ah am), DM“DN (dbrdhdm), Gen.-Dat. iuppu,< ) u,J'mj
(abrahama-h).
ß) Themen in «. Diese Themen bilden die bei weitem grösste
Anzahl; sie gleichen hierin ganz den Themen in o im Griechischen
und Latein.
,uptr.uP (argatli) „Silber“, Gen.-Dat. •up&.ufrnj (argatlio-h),
altb. (erezata).
VUL (gvV Gen.-Dat. i'ypn (gajlo-li), altb. -^eyW
(vchrka).
‘thL'U ('giser) „Abend, Nacht“, Gen.-Dat. ihz^py (gisero-li),
lit. vakaras.
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens. «63
•rJ h (g°in spr.gum) „Beschaffenheit, Art, Weise“, Gen.-Dat.
l-nJmj (gano-li), altb. -“^*<55 (gaona).
y-Y'tV (gorg) „Werk“, Gen.-Dat. (gorgo-li), altgrieeh.
Fepyo-v.
(hin) „alt“, Gen.-Dat. <£?'«/ (hno-h), altb. (hana),
gr. ivr t .
.pnuh (qun) „Schlaf“, Gen.-Dat. .('"y (qno-li), altb.
(qafna), gr. vnvo-g.
Hieher gehören auch jene Themen, die im Nominativ in [• aus
gehen und im Genitiv in t-nj, im Instrumental in i-u lauten. Sie
entsprechen den alten Themen in -ya, welches im Nominativ, nach
Abfall des schliessenden n, in ^ zusammengezogen erscheint (z. B.
(ctrgovi) „Adler“ = altb. (erezifya), altind. rgipya,
während es, wie in den eben besprochenen Fällen, im Genitiv als
vo = yo auftritt,
/■"’/'/' (hart) „gut“, Gen.-Dat. pmpuy (barvo-li), vgl. altind.
bliadra -f- Suffix -ya.
‘"/■'/b (tepi) „Ort“, Gen.-Dat. »•!.■£,y (tepvo-li), Instrumental
mhi^lriuL. (tepea-v), altind. tala -f- Suffix -ya.
(ppnG) „von Bronze gemacht“, Gen.-Dat.
inquiunj (ppnCvo-h) von up/poA -)- Suffix -ya.
(babela^i) „babylonisch“, Gen.-Dat. um£i Ir^iurj /. iij
(babelwzpoo-h) von pm P k- L -j- Suffix -tya, griech. uto-. Über y = s
vgl. meine Beiträge zur Lautlehre der armenischen Sprache II. S. 6.
7) Themen in />, und zwar:
X. reine: pmA (bun) „Ursprung“, Gen.-Dat. /*/' (bm),
Instrum. /-V"- (bni-v), altb. -"|>> (bnna).
q-iuhi (gan'Q „Schatz“, Gen.-Dat. (ganCi), Instrum.
y.nSbifu (gan-i-v), vgl. altind. ganga „Schatzhaus“, altpers. 7«£«.
lb‘i> (den) „Glaube, Religion“, Gen.-Dat. y/■'/(• (deni), Instru
mental '//.></" (deni-v), altb. (daena).
•iv°l_ (dros) „Fahne“, Gen.-Dat. -irv/' (drosi), Instrum.
’U'oil" (drösi-v), altb. (drafsha).
(zoh) „Opfer“, Gen.-Dat. (zohi), Instrum. </«>/><
(zohi-v), altb. (zaothra).
(thag) „Diadem, Krone“, Gen.-Dat. Rm.f) (thagi),
Instrum. (thagi-v), vergl. altpers. taka-bara = armen.
p-uiif.iui.np (tliaga-vor).
Sitzb. d. phil.-liist. CI. XLIV. Bd, UI. Uft.
37
564
Dr. Fr. Müller
Z'"n (ha%) „Brod“, Gen.-Dat. (haz;i), Instrum. ^ab u
(haqi-v), vgl. altphryg. ßsxo-g.
(snorli) „Gunst, Dank“, Genit.-Dat. (snorhi'),
Instrum. zL‘"i'ZI" (snorlii-z), altb. Jy (khshnaothra).
(ward) „Rose“, Gen.-Dat. '["‘i"lb (wardi), Instrum.
'l‘"l"lb'- (wardi-v), vgl. gr. pödo-v.
"•"^ J '(tolim) „Same, Geschlecht“, Gen.-Dat. (tohmi),
Instrum. uin^Jfu. (tohmi-v), altb. (taokhma).
3. gemischte: »^b""r^ (askharh) „Welt“, Gen.-Dat.
(askharhi), Instrum. ui^Juiu^i C^iuu (askliarha-v), altbaktr.
(khshathra).
ff- tu ui tu HUt lull (datastan) „Richtplatz, Gerichtshof“, Gen.-Dat.
qiuuiiuamiuhb (datastani), Instrum. jiom»minioW (datastana-v),
vgl. altb. (gtäna).
1-ir<- (dev) „böser Geist", Gen.-Dat. tb'-b (divi), Instrum.
>ib‘">‘ (diva-v), altb. -“»«*3 (daeva).
[3-.u. t iu,„ [ , (thagavor) „König“, Gen.-Dat. phiiyiu,^,/, (thaga-
vori), Instrum. fhu,^,uu„ { ,iuL (thagavora-v), altpers. takabara.
Jl.'i (meg) „Nebel“, Gen.-Dat. •//■'//' (migi), Instrum.
(miga-v), altb. (maegha).
(navasard) „Neujahr“, Name des ersten Monats im
altarmenischen Kalender, Gen.-Dat. ‘h>uL.uu,u L u t b (navasardi), Instru
mental (navasarda-v), altb. -“a? - !-“" (garedha), vergl.
jedoch Joannes Laurentius Lydus. mens. III. 14. veov oapdiv tö viov
trog hi y.cd vüv Xiyso^at rtjj nlr/Ssi avvopo^oyeiTca. iioi de, ol <ptxai
ry Auowv apyaic/. tpcovri röv iviavröv xccXetaSac aapdiv.
uf.u.nf/1,, (patker) „Bildniss“, Gen.-Dat. (patkeri),
Instrum. (patkera-v), altpers. patikara.
d) Themen in <«-. Viele von den Themen, die hieher gehören,
gehen nebstdem noch nach einer andern Declination; sie verrathen
theils dadurch, theils durch die Vergleichung mit den älteren For
men, deutlich ihren Ursprung.
(uv sh) „Bär“, Gen.-Dat. (arshu), Instrum.
(arsliu), auch Gen.-Dat. (arsho-h), Instrum. •u l ,p„p(arsho-w),
vgl. osset. apc, altind. rksha.
(ganZ) „Schatz“, Gen.-Dat. t£.iuh&nL. (ganZu), Instrum.
t/ju'hS.nu (ganZu), auch Gen.-Dat. y.«///<5/» (ganZi), Instrum.
(ganZi v), siehe oben altind. ganga, altpers. 7a£cc.
Beiträge zur Declination des armenischen Nomens. 565
„Stunde, Zeitabschnitt“, Gen.-Dat.(zamu),
Instrum. ff-iUlfilL. (zamu), vgl. altind. ydma.
nt-'U" (upt) „Kamel“, Gen.-Dat. «"/«»>'- (uptu), Instrum.
nuijtmiL. (uptu), vgl. altb. -*’V J ö > (ustra).
(sar) „Spitze, Haupt“, Gen.-Dat. <<«//»»*. (saru), Instrum.
•nupnu (saru), vgl. altb. (gara),
(waraz) „Eber“, Gen.-Dat. (warazu), Instru
menta] ■/"'[' tUt] HL. (ivarazu), altb. (vardza).
b) Themen in i.
Die Themen in i sind, wie im Altbaktrischen, bedeutend sel
tener; sie scheinen, wie dort i), häufig in Themen in a iibergegan-
gen zu sein, z. B. (get) „Fluss“, Gen.-Dat. ^tu-y (geto-h),
Instrum, geto-w) = altb. (vaidlii), lllllll]l. tu (aspet)
„Reiter“, Gen.-Dat. (aspeti), Instrum. turnt] Ir ui/ul. (aspe-
ta-v), altind. agvapati, — (arev) „Sonne“, Gen.-Dal. und
Instrum. •upbunu (arevu), altind. ravi. Es gehören zumeist hielier
nur die Themen, welche mittelst des alten Suffixes -ti, griech. -tu,
gebildet worden sind, z. B.:
tu [um (aklit) „Leiden, Krankheit“, Gen.-Dat. tu[uut[t (akhti),
Instrum. (gkhti-v), altb. ><?Jy u (akliti).
p,u[,,," (bakht) „Glücksfall“, Gen.-Dat. put/am/i (bakhti), In
strum. ]*tu[ltUl[lL. (bakliti-v), altb. (bakhti).
uu[uur (ukht) „Wunsch, Anrufung“, Gen.-Dat. ut-[utu[t (ukhti),
Instrum. Uu[uUl[tL. (ukhti-v), setzt ein altb. ukhti, altind. tikti voraus.
niuiiui (säst) „Strafe, Tadel, Gewalt“, Gen.-Dat. /««/«„,/, (sasti),
Instrum. IltUlllltJtL. (sasti-v), geht auch im altb. gägti, altind. gdsti,
zurück.
c) Tliemen in u.
Ebenso selten, wenn nicht noch seltener als die Themen in i,
sind die ursprünglichen Themen in u. In manchen Fällen hat hei
ihnen Übergang in eine andere Declination stattgefunden, wie z. B.
(deh) „Seite, Gegend“, Gen.-Dat. (dein), Instrum. y
(dehi-v) — altb. (daihhu), >“^5 (dagyu); meistens aber
haben die alten Themen in u sich mit irgend einem Determinativ-
*) Vergl. (kaua) = altind. kam; (acta) = altind. asthi; (väraj
= altind. väri; “(y (hakha) = altind. sakhi.
37»
566
Dr. Fr. Mülle r
suffixe beschwert, das dann häufig (seltener r) mit dem Thema in
Eins zusammenschmolz, wodurch das Wort in eine andere De-
clination eintrat, z. B. p.tutjnu J' (bazurn) „viel“, Genit.-Dat. piu v!t
(bazmi), Instrum. pmfJluL (bazma-v), altind. bahu. pui^nJ/ (bazuli)
„Arm“, Gen.-Dat. p^ihb (bazh), Instrum, /■'w/f/"" (bazlca-v), alth.
(bazu), altind. bahu.
Als unzweifelhafte hieher gehörende Fälle betrachte ich:
[iipuun (khrat) „Rath, Einsicht“, Gen.-Dat.^»/"""""- (khvutu),
Instrum. /-r mm hl. (khratu), altb. (khratu), altind. kratu.
•ll.’iu (mepr) „Honig“, Gen.-Dat. Jkqnt. (mepu), Instrum.
Jtqni. (mepu), vgl. altb. (madlm), altind. maclliu.
Aus consonantisehen Themen entstandene
vocalische.
Diese Themen sind aus den consonantischen entweder durch
Erweiterung mittelst des Suffixes -a (wie im Präkrit, in den neu
persischen, den romanischen Sprachen gegenüber dem Altindischen,
Altbaktrisehen und Latein häufig stattfindet) oder durch Abwertung
des schliessenden Charakterconsonanten (wie im Altbaktrisehen
(gara) gegenüber altind. eiras, griech. xipag und (vaega),
Gen. (vaegahe) gegenüber dem Nominat. (vaegö),
Thema xi u l? (vaeganh), alt-indogerm. vegas) entstanden. —
Den reichsten Zuwachs hat auch wieder hiebei die Classe der a-
Tliemen erhalten.
Beispiele:
,u P 2>un. (arshar) „Ochs“, Gen.-Dat. wpgwn.<>/ (arsharo-h),
Instrum, »/f»«(arsharo-w'), vgl. altind. vrslui — vrshant.
u.JUi (amp) „Wolke“, Gen.-Dat. (ampo-h), Instrum.
,u,r., l „^(ampo-iv), altind. ambhas. Über die Bedeutung vergl. altb.
(vära), neupers. oljb (bdrdn) „Regen“ = altind. vuri
„Wasser“.
puipi (barZ) „Polster“, Gen.-Dat. pmp&b (barZi), Instrum.
p,up2.f>u (barCi-v), altb. (barezis), altind. barhis.
/■/"/> (biur) „zehntausend“ Gen.-Dat. (biuro-li), In
strum. rf"i""L (biuro-w), altb. (baevare).
l
Beiträge zur Deelinatiou des armenischen Nomens.
567
(erivar) „Renner, Pferd“, Gen.- Dat. (eri-
vari), Instrum. i. L -[-nu L ,,u^ (erivara-v), altb. (aurvat), altind.
arvan = arvant.
l°r (zdr) „Kraft, Macht“, Gen.-Dat. (zürn), Instrum.
•jopnL. (zöru), altb. (zävare).
U'j" (lojs spr. luis) „Licht“, Gen. - Dat. p"""j (luso-h), In
strum. i>n-un( (laso-w), altb. V 3 -“^ (raocd), Thema (rao-
canh).
f/Lp.y (kerp) „Gestalt, Form“, Gen.-Dat. (kerpi), In
strum. f/(kerpi-v), altb. ■•ööjlt) (kerefs), Accus. SS0&5 (ke-
rep-em).
(hur) „Feuer“, Gen.-Dat. <y>"j (hro-h), Instrum. )<»>/
(hro-w), griech. nvp, goth. fiur.
iTtup'lfiu (marmin) „Körper“, Gen.-Dat. J'.u l ,äi„,j (marmno-h),
Instrum. (marmno-w), altind. marman.
"j<f- (ojz spr. uiz) „Kraft“, Gen.-Dat. nuJ-nj (uzo-h), In
strum. nL.J-n,[_(uzo-w), altb. (aogo), Thema (aoganh).
II
568
D r. Fr. Müll e r
SITZUNG VOM
. NOVEMBER 1863.
Das Personal-Pronomen in den modernen erdnischen
Sprachen.
Sprachvergleichend dar gestellt
von Dr. Friedrich Müller,
Doeent der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Wiener Universität.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 4. November 1863.)
Um die Personal - Pronomina in den modernen eränischen
Sprachen (zu denen ich vor allem das Neupersische mit seinen
Dialekten, das Armenische und Ossetische rechne) gehörig zu ver
stehen, ist es nothwendig, die Formen in den verschiedenen
Sprachen mit einander zu vergleichen und auf die älteren Bildungen
derselben, vor allem die des Altbaktrischen, zurückzugehen. Nur auf
diese Weise lassen sich die Formen genügend erklären, und kann
die eigenthümüche Entwicklung dieses in allen Sprachen eine sehr
wichtige Rolle spielenden Redetheiles begriffen und überschaut
werden.
Indem ich im vorliegenden Aufsatze diesen Redetheil in den
vornehmsten modernen eränischen Sprachen — dem Persischen,
Armenischen, Ossetischen — in Kürze zu erklären mich anschicke,
will ich eine Darlegung der Nominativformen vorausgehen lassen
und dann zu den übrigen Casus-Bildungen übergehen.
Erste Person.
Das Neupersische bietet für die erste Person Einzahl die Form
(man); das Tälis sowie die Kurden - Dialekte haben aber
nebstdem noch die Form j\ (azj erhalten. An dieses j\ lehnen
sich die in den beiden anderen modernen eränischen Sprachen
II
568
D r. Fr. Müll e r
SITZUNG VOM
. NOVEMBER 1863.
Das Personal-Pronomen in den modernen erdnischen
Sprachen.
Sprachvergleichend dar gestellt
von Dr. Friedrich Müller,
Doeent der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Wiener Universität.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 4. November 1863.)
Um die Personal - Pronomina in den modernen eränischen
Sprachen (zu denen ich vor allem das Neupersische mit seinen
Dialekten, das Armenische und Ossetische rechne) gehörig zu ver
stehen, ist es nothwendig, die Formen in den verschiedenen
Sprachen mit einander zu vergleichen und auf die älteren Bildungen
derselben, vor allem die des Altbaktrischen, zurückzugehen. Nur auf
diese Weise lassen sich die Formen genügend erklären, und kann
die eigenthümüche Entwicklung dieses in allen Sprachen eine sehr
wichtige Rolle spielenden Redetheiles begriffen und überschaut
werden.
Indem ich im vorliegenden Aufsatze diesen Redetheil in den
vornehmsten modernen eränischen Sprachen — dem Persischen,
Armenischen, Ossetischen — in Kürze zu erklären mich anschicke,
will ich eine Darlegung der Nominativformen vorausgehen lassen
und dann zu den übrigen Casus-Bildungen übergehen.
Erste Person.
Das Neupersische bietet für die erste Person Einzahl die Form
(man); das Tälis sowie die Kurden - Dialekte haben aber
nebstdem noch die Form j\ (azj erhalten. An dieses j\ lehnen
sich die in den beiden anderen modernen eränischen Sprachen
Das Personal-Pronomen in den modernen erlinischen Sprachen. S69
vorkommenden Formen, nämlich armen. (es) i), osset. a.3, m.s
an. Offenbar sind mit Rückblick auf die in den älteren Sprachen vor
kommenden Bildungen, altbaktr.jEf» (azem), altpers. yyy yy
(aclam), letztere beiden Formen die alterthümlicheren. Sie ent
sprechen dem in allen indogermanischen Sprachen älterer Bildung
für die erste Person vorkommenden Nominativ, so altind. aharn
(für agharri), griech. sywv, Iatein. ego, altslav. a.3x, der von dem
den anderen Casusbildungen zu Grunde liegenden Thema ma ver
schieden ist.
Was die neupersische Form (y> (man), dem im Parst die
Formen f"G (man) und jSG (men) entgegenstehen, so entspricht sie
formell der altbaktrischen Genitivform -"j^G (mana) 3 ).
Der Plural der ersten Person lautet im Neupersischen U (mä),
in den Dialekten Tatf, Tälis, Gilänf und Mäzandaräm auch Ul (ema).
Diese Dialektform schliesst sich unmittelbar an die Parstform ->g^
(ema) an. Offenbar haben wir einen Stamm vor uns, der mit
dem den alten Formen, altbaktr. (ahma) Acc. plur., gej«^
(ahmäkem) Gen. plur., (ahmaibyu) Dat. plur., altpers.
yyy Hfylf yyy <<W (amäkliam) zu Grunde liegenden Thema
zusammenhängt. Welche alte Casusform darin verborgen liegt, kann
uns nur das Ossetische zeigen. Dort lautet der Nom. plur. der ersten
Person Max, welches ich bei Kuhn und Schleicher, Beiträge III,
bereits erklärt, so wie dessen Verhältniss zur neupersischen Form
dargelegt habe. Das Armenische bietet (meq), welches als
Plural eines Themas me sich darstellt. Dieses me scheint aber nichts
anderes zu sein, als derselbe Stamm, den wir in dem neupersischen
Ul (ema), U (md) und dem ossetischen Max gefunden, und der,
wie wir oben gesehen haben, aus einem älteren ahma sich ent
wickelt hat. Wir haben also Jkp (me-q) als eine erst in späterer
Zeit entstandene nach Analogie der Nomina gebildete Form, dem
griechischen opLstj entsprechend, zu betrachten.
1) Durch alte Lautverschiebung aus ex entstanden (vergl. meine Beiträge zur Laut
lehre der armenischen Sprache. I, 4).
2) Das Altindische stellt dem altbaktrischen -ujn6 (mana) die Form mama gegen
über, die insofern für uns merkwürdig ist, als im Purst neben den Formen
| W G, |£G die sicher beglaubigte Form vorkommt.
570
Dr. Fr. Müller
Zweite Person.
Für die zweite Person Einzahl hat das Neupersische die Form
y (to), im Pärsi W (tlw), dem entsprechend das Armenische
i-'"- (du), das Ossetische ßv, fly, bieten. Letztere Formen sind
offenbar beide durch Herabsetzung des t zu d aus der alten Form,
altbaktr. (tum) = tvem, altpcrs. (tuvam),
altind. tvam entstanden, während das neupersische y (to), Pärsi
\o (ilw), des schliessenden Diphthongs wegen, auf den im altbaktr.
(tuen), altpers. (tava), altind. tava liegenden
Stamm, zurückzuführen sind.
Der Plural lautet analog dem der ersten Person im Verhältniss
zu seinem Singular. Das Neupersische bietet dafür die Form Uh
(sumd), dialektisch auch Uh (sumd, simd), im Pärsi (sumd),
das Ossetische aber civiax. Auch dabei zeigt uns das Ossetische den
richtigen Weg, die Formen zu erklären. Offenbar haben wir smakh
als persisch-ossetische Mittelform anzusehen und dasselbe auf den
im alten Genitiv (yushmäkem) vorliegender Stamm, mit
Abfall des anlautenden yu-, zurückzuführen.
Das Armenische bildet den Plural von der Singularform mittelst
des Pluralzeichens ^<. Die Form der zweiten Person Vielzahl lautet
nämlich (du-q).
Dritte Person.
Hier treffen wir eine merkwürdige Übereinstimmung aller
modernen eränischen Sprachen und eine vollkommene Harmonie
mit den alten ihnen zu Grunde liegenden Bildungen vor. Das Neu
persische bietet für die dritte Person Einzahl die Form ) (6),
<_S) (di), im Pärsi (oi); das Ossetische die Form yj, oj, je
(= jef); das Armenische die Form tu (ev), /■«- (iv) ‘). Offenbar
gehören sämmtliche Bildungen zu dem alten Stamme u, altbaktr.
Nomin. mascul. 6^ (uom) — avetn = av-cim (wie altind. ay-am
von i), Femin. •*»" (ava), Neutrum (avat), den man, wenn
er auch anderwärts sich wahrnehmen lässt (gr. m-röj), als den
eränischen Sprachen vorzugsweise zukommend, bezeichnen kann.
Nur aus den anderen Casus erschlossen.
Das Personal-Pronomen in den modernen eraniselien Sprachen. 571
Der Plural dieses Stammes ist im Ossetischen und Armenischen
ganz regelmässig. Wir finden in ersterer Sprache die Form y^oH,
Pluralform (oh = neup. öl (an) hei belebten Wesen) eines aus
den Stämmen u und ta zusammengesetzten Themas '), y^seTijse
wahrscheinlich = udon -f- thae mit doppelter Pluralbezeichnung
(thae = neup. U> (hä) bei unbelebten Wesen, vergl. Orient und
Occident, Bd. II.) und jeT,ae = yev-thae; im Armenischen
(iureanq), das als Zusammensetzung des Stammes u mit sich selbst
c= iur-ean-q) a ) zu betrachten ist.
Das Neupersische hat für die dritte Person Vielzahl die Form
ölöjl (Ssän), Pärsi (esän), in dem Niemand das an als Plural
zeichen verkennen kann. Was nun, nach Absonderung des an, den
übriggebliebenen Theil esa anbelangt, so ist er nichts anderes als
das altbaktrische -"gjw» (aesha), das aus den beiden Stämmen i
und sa zusammengesetzt ist, und mit u zu den demonstrativen
Stämmen dritter Person gehört.
Indem ich nun zur Declination dieser Pronomina übergehe,
will ich, der Übersichtlichkeit wegen, jedes derselben in seiner
Sprache besonders betrachten.
I. Neupersisch.
Die Flexion des Pronomens stimmt im Neupersischen mit jener
des Nomens in Allem vollkommen überein. Jener tiefgreifende, in
den alten Sprachen ausgeprägte Gegensatz zwischen Pronominal
und Nominal-Declination ist hier nicht mehr vorhanden.
Genitiv. Als Zeichen des Genitivs gilt die aus dem Relativ
stamme ya- verstümmelte s ) sogenannte Idafäth («JUsLol), welche
zwischen das Wort, welches den besessenen Gegenstand, und jenes,
welches die besitzende Person ausdrückt, zu stehen kommt, z. B.
^ (dast-i-man) „meine Hand“, wörtl. die Hand, welche
mein, altbaktr. (zagto. yd. mann), U (dast-
1) Vergl. griechisch: a*J-rund die einfache Form in Dig. yOH-eaia gegenüber
Tag. y^OH-MSe (Local, exter.).
2 ) Pluralform von iu-r-iu-n; s. weiter unten.
3 ) Vergl. Siegel, Parsigramm. S. 52-.
572
Dr. Fr. Müller
i-mä) „unsere Hand“, wörtl. die Hand, welche unser; y
(dast-i-tö') „deine Hand“, wörtl. die Hand, welche dein; Ui
(dast-i-sumäj „euere Hand“, wörtl. die Hand, welche euer etc.
Mit dieser Fügung stimmen auch die Fügungen der neupersi
schen Dialekte im Ganzen überein; nun finden sich neben den
selben da noch andere ausgeprägt. So hat z. B. das Mäzandaranl
neben dieser Form des Genifivs noch eine zweite, welche darin
besteht, dass das Pronomen jenem Worte, welches den besessenen
Gegenstand ausdrückt, vorgesetzt wird, wofür aber bestimmte For
men, die von den Nominativformen abweichen, ausgeprägt sind.
Diese lauten:
Singular. Plural.
I. Person. A* (mih) j; (nu) aJ famih) (amt)
II. Person. Aj (tili) y (ItJ Ari (simih, samihj (simi,
samt)
III. Person. Aij (wanih) ^3^3 (wusüni).
(wani)
Z. B.: a« (mih-dest) „meine Hand“, £ (tih-dest')
„deine Hand“, A^i (simih-dest) „euere Hand“ etc.
Das Talis bildet den Genitiv durch Zusammensetzung der im
Mäzandaränt für den Genitiv ausgeprägten Formen mit den als
Belativa gebrauchten Stämmen A=~ (öehj oder (is) = altb.
-"gvü“ (aeslia). Die Formen lauten also:
(ce-mi) „mein“, wörtl. „welcher mein“.
Ali! (U-ieh) „dein“, wörtl. „welcher dein“,
(ce-i) „sein“, wörtl. „welcher sein“ etc.
Endlich wird der Genitiv sowohl in der Schriftsprache als in
den Dialekten mittelst der Präposition (az), j\ (ez) = altb.
-“^ev (liaca) „von“ umschrieben, z. B. (ez-men) „mein“,
wörtl. „von mir“, Ui j\ (ez-simd) „euer“, wörtl. „von euch“.
Der Genitiv kann aber auch sowohl in der Schriftsprache als
in den Dialekten auf eine andere Weise ausgedrückt werden, näm
lich durch die sogenannten Pronominalsuffixe,
Das Personal-Pronomen in den modernen eränisohen Sprachen. 573
Diese Pronominalsuffixe, welche an das den besessenen Gegen
stand bezeichnende Wort im Sinne des Besitzers angehängt werden,
sind im Grunde nichts als verstümmelte enklitische Pronominal
formen, und scheinen sich überhaupt erst in späterer Sprachperiode
als solche festgesetzt zu haben. Ursprünglich sind sie dem indo
germanischen Sprachgenius fremd; für die eränischen Sprachen
lässt sich aber ein Ansatz schon in dem durch die Keilinschriften
auf uns gekommenen westeränischen Idiom nachweisen. Ich glaube
aber nicht zu irren, wenn ich den Hauptantheil an diesen Bildungen
den das Persische umgebenden und mit demselben immer in leb
haftem Verkehre stehenden semitischen (aramäischen) Sprachen
zuschreibe.
Diese Pronominalsuffixe lauten:
Ol» {man)
ö li {tan)
üli {sä n).
f ( m )
Werden diese Suffixe an ein Nomen angehängt, so muss zwi
schen sie und dasselbe im Singular der Laut a treten, der, wo das
Thema vocalisch auslautete, offenbar nichts anderes ist, als der alte,
nun abgefallene Auslaut der Substantiva (z. B. {clast) „Hand“
= altb.-*? 3 “^ {zagta), altind. hasta), welcher in diesen Fällen unter
der Form des kurzen Vocals e, weil im Inlaute stehend (vgl. jiwO
{daste-m) „meine Hand“, u ~Lo (daste-s) „seine Hand“), sich
noch erhalten hat.
Was nun die Suffixformen selbst betrifft, so sind j. und O
ganz klar. Sie sind nichts anderes als Verstümmelungen der alten
enklitischen Formen, altpers. |fy) yy {maiy), altb. (oc {me),
4c {moi), und altpers. -W yy y<h {taiy), altb. jo? {te),
{toi). Das Suffix ^ ist diesen Fällen analog offenbar aus dem in
den Keilinschriften vorkommenden enklitischen )) yy ]((>- {saiy)
entstanden (Genit.-Dativ), das dem altbaktrischen {she) ent
spricht.
Die Pluralformen {man), OL' {tan), {sein) sind auf
eine beim Nomen zur Anwendung gekommene Weise vom Singular
574
Di*. Fr. M ii 11 e r
gebildet, was als Beweis für die oben geäusserte Ansicht von dem
späten Ursprünge der Pronominal-Suffixe gelten kann. Dazu kommt
noch, dass man die Pluralformen in der Prosa fast gar nicht
gebraucht, und dieselben, vermuthlich wegen ihrer Schwere und
ihrer reinen Substantivform, als Substantiva angesehen, folglich mit
dem ihnen vorhergehenden Worte durch das Genitivzeichen ver
bunden werden.
Dativ-Accusativ. Als Zeichen des Dativ-Accusativ gilt die
Partikel \j (rä), eine Abkürzung für y\j> (räi), vgl. y\y und dem
altpersischen yyy yy y^>- (räcTiy) entstammend. Sie wird
dem Worte, zu welchem sie gehört, nachgesetzt. Über die Art ihrer
Verbindung ist noch zu bemerken, dass y* (man) und y (to') vor
dem \j (rä), das sie sich unmittelbar anfügen, verkürzt werden
und in den Formen (marä), \y (turä) erscheinen. Den übrigen
Formen fügt sich die Partikel ebenso wie den Substantiven an.
Wie im Genitiv können auch beim Dativ-Accusativ Suffixe zur
Anwendung kommen, welche mit denen des Genitiv formell identisch
sind. Sie werden demjenigen Theile, der im Satze als der wesent
lichste erscheint, nämlich dem Verbum, angefügt. Dieser nun ziem
lich feste Gebrauch ist aber ein relativ später. In den älteren Dialek
ten, z.B. dem Pärsi, können sie auch an andere Worte, z.B. Partikeln,
angehängt werden, ja dies geschieht sogar mit einer gewissen Vor
liebe. Spuren dieses Gebrauches, der gegenüber dem Usus der
correcten modernen Schriftsprache als Nachlässigkeit erscheint,
finden sich noch reichlich in den einzelnen Provinzial-Dialekten vor.
II. Ossetisch.
Wir finden hier manches echte Alterthiimliche vor. So ist
gewiss der Genitiv Einzahl für die erste Person m®h, MaH, für die
zweite Person ^sey auf die alten Formen altb. -*)"« (manu), altpers.
>-|fyy £r(yyy (mana)\ altb. -»»*<? (tava), zurückzuführen. Neben
msbh kommen auch die Formen m®, Ma vor, die aus den enklitischen
altbaktr. jo6 (me), ^6 (moi), altpers. s-jfyjf yy (maiy) entstan
den sind. Dasselbe gilt auch von den Formen der zweiten Person
Ä®, ßa, ßo, die augenscheinlich auf die alten Formen, altb. jo? (te),
(toi), altpers. *=M yy y<- (taiy) zurückgehen. Der Genitiv
Das Personal-Pronomen in den modernen estnischen Sprachen.
575
der dritten Person lautet yj, oj, je, ist also formell identisch mit
dem Nominativ. Wahrscheinlich sind diese Formen Verkürzungen
aus yij, oy, jej.
Der Genitiv der Vielzahl lautet für die erste Person Maxij,
Maxe, für die zweite Person CMaxy, CMaxe, für die dritte Person
yßOHVj, y^ser^vj, yomj, lauter analog dem Genitiv der Substantiv
formen angelegte Bildungen.
Merkwürdig sind die enklitischen Formen Hie, na, «ae, na,
welche ganz genau den alten enklitischen Formen, altb. (ho),
(vöj, altind. nas, vas entsprechen. Als aus letzteren abgeleitet
stellen sich die Formen Hsexy, Haxe, nmxij, Baxe heraus, nach
Analogie von Maxij, CMaxy von denselben, wahrscheinlich erst in
späterer Zeit, gebildet.
Dativ. Der Dativ Einzahl lautet für die erste Person MtenaiH,
MaHaH, für die zweite Person ßsemeH, ßaBaH, für die dritte Person
ymaiH, yoMaH. Die Formen der Vielzahl sind für die erste Person:
MaxseH, MaxaH, für die zweite Person: CMaxam, cMaxaH, für die
dritte Person: y^oHajH, yoHaen.
Die Formen der ersten und zweiten Person Einzahl sind offen
bar auf das im Genitiv hervortretende Thema zurückzuführen *)•
Neben diesen unorganischen Bildungen finden wir noch andere
enklitisch gebrauchte, für die erste Person MSeH, MaH, mhi, für die
zweite Person ^am, /pn, welche auf die Stämme ma, tva unmittel
bar zurückgehen, während wiederum in den Pluralformen 1. Person
hvh, hih, 2. Person byh, bih, Ableitungen von den Stämmen na und
va, die aus den enklitischen Formen nas und vas hergenommen
sind, vorliegen.
Was die Formen der dritten Person yMJEH, yonaH anlangt, so
sind sie in u-m-aen, uo-m-an abzutheilen und das in der Mitte
stehende m als Überrest des bei dritter Person gebrauchten stna,
altb. (hma) zu betrachten. Bekanntlich stellt schon das Alt
persische dem altbaktrischen lim ein einfaches m gegenüber, wenn
wir nicht schon im Altbaktrischen das Zeichen £, für einfaches, mit
einer schwachen Aspiration versehenes m anzusehen haben. Was
4 ) Solchen Bildungen werden wir im Verlaufe der Abhandlung noch öfter begeg
nen; sie kommen auch im Litauischen und Altslavischcn vor (vgl. Bopp, vergl.
Gramm. II, S. 107).
576
Dr. Fr. Müller
das Dativzeichen h selbst anlangt, so gehört seine Darlegung und
nähere Erklärung nicht hieher, sondern in den Bereich des Nomens,
worauf ich in einer speciellen Abhandlung zurückzukommen hoffe.
Local. Der Local für die Einzahl lautet: 1. Person: MaeMMse,
MüMMa, 2. Person: gteymie, ^ayaia, ^oyivia, gona, 3. Person: yiviae,
jeiua}, yoMa, jeivia; für die Vielzahl: 1. Person: Maxiuse, MaxMa,
2. Person: cMaxus, CMaxwa, 3. Person: y^oHMai, yoHeivia. Dabei
gehen wieder die Formen der ersten und zweiten Person Einzahl
unorganisch auf die Genitivform mich . maH, gaey zurück. Nebstdem
finden wir bei der ersten Person Vielzahl die Formen hsbms, navia,
die wieder auf den von der enklitischen Form nas hergenommenen
Stamm zurückgehen.
Über das Zeichen des Local Mae, Ma vgl. das Nähere unter der
Declination des Nomens.
Ablativ. Der Ablativ für die Einzahl lautet 1. Person: Mamaej,
aiaHej, 2. Person: gaeßaej, ßaßej, 3. Person: yviaej, yoiuaj, yoiwej,
oviej; für die Vielzahl: 1. Person: aiaxej, 2. Person: c.viaxej, 3.Per
son: ygoHej, youej, OHej. Offenbar gehen dabei wieder die Formen
der ersten und zweiten Person Einzahl auf die Genitivformen mich,
MaH, gaey zurück, während die Form der dritten Person Einzahl in
dem mittleren m einen Überrest des alten sma darbietet. Was das
Zeichen des Ablativ anlangt, so bemerke ich beiläufig, dass die
ossetischen Formen hierin mit den armenischen (&, = e-\-j-\- n,
e-\-j-\-nsh) vollkommen übereinstimmen.
III. Armenisch.
Genitiv. Der Genitiv Einzahl lautet für die erste Person [•J'
(im), für die zweite Person ($o), für die dritte Person /«-/<
(iur) od. fakuA (inrean). Davon ist höchst wahrscheinlich
nichts anderes als eine Zusammenziehung der alten Genitivform,
altb. -*»*<?> (tava) — tva = sva (vgl. griech. au). Dem analog muss
auch l-P (im) als Genitivform erklärt und kann dem ulten Genitiv
mama (vgl. Pärsf (mam) oben) gleichgestellt werden, /••f' steht
also statt mim mit Aphärese des anlautenden m. Schwieriger als
diese beiden Formen ist die Form /«-/> (iur) zu erklären. Sie scheint
gar kein echter ursprünglicher Casus, sondern eine von dem Thema
in = altb. (ava) abgeleitete Adjectivbildung zu sein ). Dies
D Vgl. Bopp, vei-gl. Gramm. II, it8.
Das Personal-Pronomen in den modernen eranischen Sprachen.
577
darf uns nicht im Geringsten auffallen, da ja auch die Formen alt-
ind. mama, altb. •*>)"« (mana), altind. tava, altb. (tava),
altind. asmäkam, yushmakam, altb. «£)■“£? (ahmakem), e
(yushmdkem) von Hause aus nichts als Adjectivformen sind. Als
echte Genitivform hingegen verräth sich [•LpLtu'i. (iurean), die
einen Nominativ fafiA (iu-r-iu-n) voraussetzt'). Letzteren halte
ich für eine Verdoppelung des Themas u = ava, ein Vorgang, der
in den Zusammensetzungen zweier Pronominalstämme mit einander,
wovon alle Stammsprachen des indogermanischen Kreises zahlreiche
Belege darbieten, seine Analogien findet.
Der Genitiv der Vielzahl lautet für die erste Person Jtp (mer),
für die zweite £l-p (Cer), für die dritte (iurean?). Die
beiden ersteren Formen verrathen sich durch ihre Endung und
Flexion als reine Adjectivformen gleich dem /"-p (iur) in der dritten
Person singul. Sie gehen als solche auf die Stämme ma, C,a zurück,
von denen ersterer dem alten Stamme der ersten Person plur. alima
(im Armenischen zu lima, ma geworden, vei’gl. die neupersische
Form L) entspricht, während ich in dem letzterenden Stamm yii-s
(in Betreff des £ — y, vgl. armen. iutuiujt (Cavar) „Spelt“ = altb.
■»»^C (yava), altind. yava) zu suchen geneigt bin 2 ). Die Form
f.uphui'hy (iur-ean-%) ist ganz klar; sie steht mit dem Genitiv fipL.ui,
(iurean) in genauem Zusammenhänge, und erscheint ganz regel
recht nach Art der Nomina flectirt.
Dativ. Im Dativ singul. finden wir die Formen, 1. Person:
fai (int), 2. Person: .p Li i (<(%)l bei der 3. Person wird der
Dativ durch die Genitivform ersetzt. In Betreff dieser beiden Formen
ist zu bemerken, dass ihnen der Genitiv — als Casus generalis —
als Thema zu Grunde gelegt erscheint (in-C — min-C, jez = qe-z,
wobei ir altem a gerade so entspricht wie nebstdem scheint £
statt durch das vorhergehende ^ herbeigeführt worden zu sein).
Als eigentliches Dativzeichen muss u £ (beide Laute entsprechen
bekanntlich altbaktrischem £) angesehen werden. Den Werth dieses
Elementes unzweifelhaft festzustellen, ist nicht möglich. Vor der
Hand ziehe ich die germanische Endung k und weiter die Pehlewi-
*) z. B. Instrum. ftupbiuu (iureav) von einem Thema inr-iv.
2 ) Vgl. ßopp, vergl. Gramm. II, 119.
578
Dr. Fr. Müller
Partikel ghan), welche dort zur Bildung des Dativ verwendet
wird, und die ich an anderen Orten dem Accusativ-Präfix gleichge
stellt habe, zur Vergleichung herbei *).
Der Dativ plural. bietet in Übereinstimmung mit den Singular
bildungen die Formen «Afy (me-z) und «U-y^ (te-z), die ganz regel
recht von den Themen mu (—alima) und (=yü) mittelst des
eben berührten Dativzeichens /y abgeleitet erscheinen.
Accusativ. Im Accusativ singularis finden wir die Formen,
1. Person: ■/(•" (zu) und 2. Person: y.y>/.y (zqez). Vergleicht man
sie mit einander, so wird es sehr wahrscheinlich, dass die erstere
Form, nämlich y/>" (zis), zunächst als y#w£ (zint), in letzter Instanz
als (z-min-'C) zu reconstruiren sei 2 ). Der Schwund des vor
y^ ist ebenso zu erklären wie im Accusativ pluralis •• — ans, und was
« = t anbelangt, so haben wir eine ähnliche Lautverschiebung wie
in <-/y/z/z (sirt) — zird (vgl. alth. 6«"©^ (zeredhaem), altind. hrd)
.j,,, ,.,.,/, (dustr) — duztr (vgl. altind. duhilar), "l'e'-L (sirel) — zirel,
vgl. altind. glir etc.
Die Formen ft* und ^?ty^ sind aber Dativhildungen und als
Accusative nur durch die ihnen Vorgesetzte Partikel y von denselben
unterschieden. Es ist dies ein Beweis für die Richtigkeit meiner
oben geäusserten Vermuthung der Verwandtschaft des Suffixes y, &
mit der Accusativpartikel y, welche Vermuthung noch mehr an
Wahrscheinlichkeit gewinnt, wenn man die Pluralformen, welche
r 'h ( z -mez), z/ä/z,y (z-iliiz) lauten, und ebenso wie die Singular
formen mit den Dativhildungen identisch sind, zur Vergleichung
herbeizieht.
Der Accusativ plural der dritten Person (z-iurean-s)
ist wie die anderen Formen dieses Stammes rein adjectivischer
Natur.
Ablativ. Der Ablativ singularis lautet für die erste Person
jdhiih (y-inen), für die zweite fe/fr (i-qen). Sie sind nach Analogie
der nominalen Ablativformen als y-ine-n, i-qe-n zu fassen und das
mittlere Glied derselben nach dem bei der Declination des Nomens
von mir Dargelegten in ine-j (d. h. mine-f) qe-j aufzulösen, minej,
i) Bo pp’s Erklärung- (vergl. Gramm. 1,422) ist lautlich unmöglich.
y ) Bo pp scheint (vgl. Gramm. II, 107, Anmerkung) •//"» = */Jru zu fassen, was des
Parallelismus mit wegen nicht wahrscheinlich ist.
Das Personal-Pronomen in den modernen eränischen Sprachen. 579
qej entsprechen aber vollkommen den alten Ablativformen mad,
tvad, nur dass bei der ersten Person statt des Stammes ma, der
zur Genitivform mama gehörige Stamm zu Grunde gelegt erscheint.
Merkwürdig stimmen damit die Pluralformen, 1. Person:
(i-viensli), 2. Person: (i-'Qmsh) überein. Verglichen mit
den Singularformen sind sie offenbar als i-me-nsli, i-t^e-nsh abzu-
theilen und ihre Mittelglieder als me-j, t,e-j zu erklären. Davon
entspricht mej vollkommen dem alten (ahmaQ, altind. asmat,
während bei £ej dem yushmat gegenüber das mittlere Element sma
fehlend erscheint. Dies darf uns aber gar nicht auffallen, wenn wir
bedenken, dass dieses Element gar nicht zum Stamme des Pronomens
gehört, sondern nur wie in den Formen altind. ta-sm-in, ta-smdi
(—ta-smu-e) ein Determinativ-EIement darstellt.
Es frägt sich nun noch um den Werth jener Elemente, mit
denen die alten Ablativformen beschwert erscheinen, nämlich des
"h und
Bedenkt man, dass im Armenischen oft das Suffix i an alte
Themen tritt, ohne die Bedeutung derselben zu verändern (z.B. »-A
(ot-n) „Fuss“ = altind. pada; (hern) „Last“ — altind.
bhara; .[_>/'/’•"!< (qirt-n) „Scliweiss“ = gr. fidptb? etc.), so ist es
nicht unwahrscheinlich, dass wir auch in dem % des Ablativ ein
ähnliches Suffix vor uns haben. Dabei darf man auch den Umstand
nicht aus den Augen lassen, dass die Casusformen, wie sie von der
älteren Sprache überliefert wurden, der neueren Sprache keines
wegs so durchsichtig und der Bedeutung nach klar waren, als sie
uns erscheinen.
Nachdem sich nun das ^ unorganisch an die Ablativform gehängt
hatte und mit derselben völlig verschmolzen war, so lag es nahe,
die Pluralform jener des Singulars gegenüber mit jenem Zeichen
zu versehen, welches die Formen des Ablativs gewöhnlich kenn
zeichnete , nämlich dem Zeichen des Genitivs pluralis g- Der
Wechsel aber zwischen £ und# ist kein seltener, wie ich in meinen
Beiträgen zur Lautlehre der armenischen Sprache II. S. S dar
gelegt habe.
Die Form des Ablativ pluralis der dritten Person jf-ugba/hg
Qyiurenn-%) ist wieder wie die anderen Casusformen ganz nominal
gebildet.
Sitzb. d. phil. hist. CI. XLIV. Bd. III. Hft. 38
580
Dr. Fr. Müller, Das Personal-Pronomen u. s. w.
Instrumental. Der Instrumental, sowohl Einzahl als Mehr
zahl, bietet eine vollkommene Übereinstimmung sowohl der Prono-
minalformen unter einander als mit den Nominalformen dar. Er
lautet für die erste Person sing, ftiikt. (ine-v), plur. J&up (me-v-tjj
oder JLo'g (me-d-q) statt mea-v-q; für die zweite Person sing.
(qe-v), plur. &hup (te-v-q) oder (Ce-o-q) statt teve-v-q;
für die dritte Person sing, /,uphu (iurc-v), /,upt,„u (iurea-t) oder
[,up 1.1,1 Jp (iuream-b), plur. (iuream-b-q).
Merkwürdig sind die Singularformen der dritten Person, von
denen fatu (iurev) ein Thema iur (— iura), liuphr.au (inreav)
ein Thema iur-iv, die letztere f,upt.uJp (■iureamb) aber ein Thema
iur-iu-n voraussetzen.
Pfizmaier, Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu's. 581
SITZUNG VOM 9. DECEMBER 1863.
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu s.
Von dem w. M. Dr. August Pfizmaier.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 4. November 1863.)
In den Nachrichten über den einer Stelle in der Ehrenhalle des
Himmelssohnes gewürdigten Su-wu werden die eigentümlichen,
übrigens nicht ganz unverdienten Leiden, welche eine Gesandt
schaft von Han bei dem Volke der Hiung-nu’s zu erdulden halte,
nebst den zu Grunde liegenden, ziemlich verwickelten Ereignissen
umständlich geschildert.
Obwohl eine Behandlung von Gesandten gleich der in Rede
stehenden, allem, was zwischen Völkern Sitte ist, zuwiderlaufend,
die Merkmale eines vereinzelten niemals wieder vorkommenden
Falles an sich trägt, geht doch aus vielen anderen Angaben der
Geschichte hervor, dass Ähnliches beinahe zu den Gewöhnlichkeiten
gehörte. Han und die Hiung-nu’s pflegten zu gewissen Zeiten sämmt-
tiche Gesandten, welche aus dem fremden Lande ankamen, zurück
zubehalten, und beide Mächte suchten es durch verschiedene Mittel
dahin zu bringen, dass diese Männer sich ihnen ergaben, d. i. zu
ihnen übergingen.
In der vorliegenden Abhandlung verfahren die Hiung-nu’s mit
den Gesandten von Han nicht anders als mit Bewohnern des eigenen
Landes, indem sie dieselben wegen des allerdings erwiesenen Ver-
rathes eines Mitgliedes der Gesandtschaft zur Rechenschaft ziehen
und zum Tode verurtheilen. Man begnadigt sie jedoch unter der
Bedingung, dass sie sich ergeben.
38*
582
Dr. P f i z in a i e r
Su-wu indessen, das Haupt der Gesandtschaft, weigert sich
beharrlich, zu den Hiung-nu’s überzugehen und wird, da keinerlei
Qualen ihn in seinem Entschlüsse wankend machen, durch neun
zehn Jahre in den Gegenden des äussersten Nordens zurückge
halten.
Als merkwürdige Thatsache erscheint es ferner, dass damals
sehr viele Eingeborne des Mittellandes, unter ihnen hochgesteifte
Männer, sich als Flüchtlinge bei den Hiung-nu’s befanden, was nur
zu Gunsten dieses Volksstammes gedeutet werden kann, während
onst auch durch nicht wenige Beispiele dargethan wird, dass das
Leben der grossen Würdenträger selbst bei den Hiung-nu’s ge
sicherter war als an dem Hofe von Han.
Manche besondere Aufschlüsse gewährt noch die Erzählung
von dem mehrmaligen Zusammentreffen des Gesandten mit dem
Heerführer Li-ling, über dessen Kampf, Niederlage und endlichen
Übertritt zu den Hiung-nu’s in der Abhandlung: „Die Heerführer
Li-khuang und Li-ling“ ausführlich berichtet wurde.
Su-wu, das Haupt der von Han ausgeschickten Ge
sandtschaft, stammte aus einem Hause, welches bei verschiedenen
Anlässen in der Geschichte genannt wird. Sein Vater fmF
Su-kien, in Tu-ling nächst Tschang-ngan geboren, be
theiligte sich im zweiten Jahre des Zeitraumes Yuen-so (127 vor
uns. Zeitr.) in der Eigenschaft eines Hiao-wei (Beruhigers des
Vordaches) unter den Befehlen des obersten Heerführers Wei-tsing
an einem grossartigen Angriffe gegen die Hiung-nu’s und erhielt
das Lehen eines Fürsten von Ping-ling. In seiner Eigen
schaft als Heerführer haute er hierauf zum Schutze der aus dem
eroberten Gebiete gebildeten Landschaft So-fang eine Mauer.
Im fünften Jahre des Zeitraumes Yuen-so (124 vor uns. Zeitr.)
wurde er als Beruhiger der Leibwache mit der Stelle eines „wan
dernden rasch angreifenden“ Heerführers bekleidet, und folgte dem
obersten Heerführer Wei-tsing bei dessen Auszuge aus So-fang.
Im nächsten Jahre (123 vor uns. Zeitr.) folgte er wieder als
Heerführer der Rechten dem obersten Heerführer Wei-tsing bei
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s. S83
dessen Auszuge aus Ting-siang. Su-kien vereinigte seine Streit
kräfte mit denjenigen des „vordersten“ Heerführers
Tschao-sin, Fürsten von Hfi), und begegnete der Macht des
Sehen-yü. Tschao-sin wurde geschlagen und ergab sich den Hiung-
nu’s. Su-kien verlor sein ganzes Kriegsheer und war unter Allen
der Einzige, der den Feinden entkam. Nach Han zurückgekehrt,
wurde er vor die Gerichte gestellt und verurtheilt. Als er enthauptet
werden sollte, erhielt er die Begünstigung, sich loskaufen zu dürfen
und wurde zum gemeinen Menschen erniedrigt. Später jedoch
wurde er wieder zum Statthalter der Landschaft Tai ernannt und
starb im Besitze dieses seines Amtes.
Su-kien hatte drei Söhne, deren Namen Kia, Wu
und ^ Hien. Von diesen Söhnen bekleidete Su-kia, der älteste,
die Stelle eines Beruhigers der Hauptstadt für die „angebotenen
Wagen.“ Su-hien, der jüngste, wurde Beruhiger der Hauptstadt
für die Reiterschaaren. Su-wu, der mittlere Sohn, war der berühm
teste von allen und führte den Jünglingsnamen Tse-king.
In seiner Jugend war er zugleich mit seinen Brüdern, denen der
Vater zu Anstellungen verhalf, ein Leibwächter des Himmelssohnes
und brachte es allmählich zu einem Beaufsichtiger des Marstalls
tjj ^ I-tschung.
Um diese Zeit richtete Han ohne Unterbrechung Angriffe gegen
Hu, wobei man mehrmals durch Gesandte mit einander verkehrte
und sich gegenseitig ausspähte. Die Hiung-nu’s behielten in ver
schiedenen Zeiträumen zehn Gesandtschaften von Han, unter ihnen
diejenigen Kö-ke’s und Lu-tsch'hung-kue 's,
in ihrem Lande zurück. Wenn dagegen Gesandte von Seite der
Hiung-nu’s ankamen , wurden sie von Han zur Wiedervergeltung
ebenfalls zurückbehalten.
Im ersten Jahre des Zeitraumes Thien-han (100 vor uns.
Zeitr.) war JE[ Tsiü-ti-heu-Schen-yü, der neue König
der Hiung-nu’s, nach dem Tode seines älteren Bruders zur Lenkung
1) Unter der Benennung » F ü rsl von Hü“ erscheint Tschao-sin
auch in dem Verzeichnisse der Lehensfürsten von Han. Übrig-ens war HT-heu auch
der Name einer Würde bei den Hiung-nu’s und Tschao-sin, ein geborner Hiung-nu
und Landesgehilfe bei diesem Volke, war in früherer Zeit zu Han übergegangen.
584
Dr. P f i z in a i e r
gelangt. Dieser Fürst hatte Grund, einen Kriegszug von Seite der
Macht von Han zu scheuen, und er sagte das Wort: Der Himmels
sohn von Han ist der Geleiter unserer Männer des Stabes*). —
Er schickte hierauf Lu-tsch’hung-kue und alle übrigen Gesandten
von Han, welche nicht iibergegangen waren, zurück. Der Allhalter
Hiao-wu belobte diese Handlungsweise und schickte den in der
Eigenschaft eines Anführers der Leibwächter des Inneren auftreten
den Su-wu mit dem Aufträge, eine Beglaubigungsmarke zu nehmen
und diejenigen Gesandten der Hiung-nu’s, welche in Han zurück
behalten worden waren, in ihr Land zurückzubegleiten. Bei dieser
Gelegenheit sollte der Gesandte den Schen-yü feierlich begrüssen
und dessen gute Gesinnung auf entsprechende Weise anerkennen.
Su-wu begab sich, von dem zweiten Anführer der Leibwächter
des Inneren jjijij: Tsch’hang-sching, dem „vorläufigen Gerichts
beamten“ 2 ) ^4=^ Tschang-hoei und anderen Angestellten,
endlich von ungefähr hundert gemietheten Kriegsmännern und Aus
spähern des Weges begleitet, auf die Reise. Bei den Hiung-nu’s an
gekommen, legte er die mitgebrachten Geschenke nieder und über
sandte sie dem Schen-yü. Unterdessen war dieser Fürst wieder
hochmüthiger geworden, was man in Han, da neu hinzutretende
Ereignisse hieran Schuld waren, nicht erwartet hatte.
Um dieselbe Zeit, als man in Han die Absicht hatte, die Ge
sandten der Hiung-nu’s durch Su-wu und dessen Gefährten in ihre
Heimath begleiten zu lassen, traf es sich, dass der König von
Keu s ) und der einst zu dem Lager von Tschang-schui 4 ) ge
hörende Yü-tschang nebst Anderen mitten in dem Lande
der Hiung-nu’s sich zu Abfall verschworen.
Der hier genannte König von Keu war der Sohn der älteren
Schwester des Königs von ^j-|j Hoen-ye und hatte sich zugleich
mit diesem Könige an Han ergeben. Später begleitete er Tschao-
*) Die ehrwürdigen und bejahrten Männer.
2 ) Ein Angestellter mit dieser Benennung wurde den Gesandtschaften zugetheilt.
8 ) Die sogenannten Könige waren bei den Hiung-nu’s nur besonderen Stämmen vor
gesetzt.
4 ) Dieses Lager bildeten, wie in der Abhandlung: „Die Heerführer Li-khuang und
Li-ling“ angegeben worden, die im Dienste von Han stehenden Hiung-nu-
Reiter.
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s. 585
po-nu, Fürsten von Tsio-ye 4 ) , auf dessen Zuge gegen die Hiung-
nu’s und verschwand gleich diesem Heerführer mitten in dem Lande
Hu, indem er sich nach der Niederlage seiner Streitkräfte den Fein
den ergab. Dieser Mann traf jetzt mit den übergegangenen Kriegern
von Han, an deren Spitze Wei-lio») stand, eine Verabre
dung, der gemäss man die Yen-tschi, Mutter des Schen-yü, durch
Waffengewalt zu bedrohen und nach Han zurückzukehren gedachte.
Als hierauf Su-wu und dessen Gefährten bei den Hiung-nu’s
ankamen, wurde die Gesandtschaft bald mit der oben erwähnten
Verschwörung in Verbindung gebracht. Yü-tschang war zur Zeit,
als er sich in Han befand, mit Tsch’hang-sching, dem zweiten An
führer der Leibwächter des Inneren, bekannt gewesen. Er machte
jetzt diesem Mitgliede der Gesandtschaft insgeheim seine Aufwar
tung und erbot sich, Wei-lio gegen eine angemessene Belohnung
auf die Seite zu schaffen. Er sagte dabei: Ich habe gehört, dass der
Himmelssohn von Han auf das Höchste erzürnt ist über Wei-lio. Ich
bin im Stande, im Aufträge von Han Armbrüste in den Hinterhalt
zu legen und ihn zu erschiessen. Meine Mutter und jüngeren Brüder
befinden sich in Han. Sie wären glücklich, wenn sie dafür Belohnung
und Geschenke erhielten. — Tsch’hang-sching ging auf diese Vor
schläge ein und beschenkte Yü-tschang mit Gütern.
Nach einem Monate begab sich der Schen-yü auf die Jagd,
während dessen Gemahlinn , die Yen-tschi, Söhne und jüngeren
Brüder allein zurückblieben. Diesen Augenblick wählten Yii-tsehang
und die übrigen Verschworenen, deren über siebenzig waren, zum
Losschlagen. Einer der Verschworenen entfloh jedoch in der Nacht
und machte die Anzeige. Die Söhne und jüngeren Brüder des
Schen-yü Hessen hierauf Bewaffnete ausrücken und kämpften mit
den Verschworenen. In diesem Kampfe fiel der König von Keu mit
seinen sämmtlichen Genossen, Yü-tschang hingegen wurde lebend
festgenommen.
Der Schen-yü liiess Wei-lio sich mit der Untersuchung dieser
Angelegenheit beschäftigen. Als Tsch’hang-sching dies erfuhr,
1) Tschao-po-nu ist in den Nachrichten über den Heerführer Li-ling mehrmals
erwähnt worden.
2 ) Wei-lio, der Sohn eines Hiung-nu und einst Gesandter von Han, war, wie in den
Nachrichten über den Heerführer Li-ling angegeben worden, zu dem Volke, dem
sein Vater entsprossen, übergegangen.
586
Dr. P f i z m a i e r
besorgteer, dass seine frühere Unterredung mit Yii-tschang ver-
rathen werden könne, und er theilte Su-wu den Sachverhalt mit.
Su-wu sagte: Wenn sich die Sache so verhält, so wird sich dies
bis zu uns erstrecken. Wenn wir betroffen werden und dann erst
sterben, so würden wir doppelt den Rücken kehren unserem Lande.
— Su-wu wollte sich somit tödten, wurde aber von Tsch’hang-sching
und Tscharig-hoei zurückgehalten.
Unterdessen wurde Tsch’hang - sching wirklich durch Yü-
tschang in den Vorgang hineingezogen. Der Schen-yii, der in Folge
dieser Entdeckung in Zorn entbrannte, berief die angesehenen
Männer zu einer Berathung, wobei er kundgab, dass er die
Gesandten tödten lassen wolle. Der die Stelle eines #■
I-tschl-tse i) der Linken bekleidende Würdenträger rietb zu einem
milderen Verfahren, indem er sagte: Wenn sie sich sofort ver
schworen hätten gegen den Sehen-yü, was könnte man noch ferner
über sie verhängen? 2 ). Das Angemessene ist, sie sämmtlich zur
Unterwerfung zu bewegen.
Der Schen-yü gab Wei-lio den Auftrag, Su-wu berbeizuholen,
ihm den Befehl hinsichtlich der Unterwerfung mitzutheilen und zu
hören, was er hierauf antworten werde. Su-wu äusserte gegen
Tschang-hoei und die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft: Wenn
ich meinen Muth beugen lasse und Schande bringe über den höch
sten Befehl, würde ich zwar leben, aber mit welchem Angesicht,
mit welchem Auge könnte ich zurückkehren nach Han? — Sofort
zog er das in seinem Gürtel hängende Messer und versetzte sich
einen Stich. Wei-lio erschrack und hielt Su-wu mit den Armen fest.
Er schickte hierauf um einen Arzt, durch den er in die Erde eine
Grube graben, dieselbe mit glühenden Kohlen ausfüllen und Su-wu
mit dem Angesicht darüber legen liess. Zugleich trat man dem auf
dem Boden liegenden so lange auf den Rücken, bis das Blut hervor
drang. Su-wu wurde ohnmächtig und begann erst nach einem halben
Tage wieder zu athmen. Tschang-hoei und die übrigen Gefährten
luden ihn wehklagend in eine Sänfte und kehrten mit ihm in das für
die Gesandtschaft bestimmte Lager zurück.
1) Diese Würde und deren Benennung waren den Hiung-nu's eigenthiimlich.
2 ) Wenn man die Gesandten desswegen tödten wollte, weil sie sich gegen Wei-lio
verschworen haben, so wäre dies eine zu strenge Strafe.
587
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s.
Der Sehen-yü hielt Su-wu dieser Standhaftigkeit willen für
einen starken und muthigen Mann. Er schickte zu ihm früh und spät
Boten mit dem Aufträge, nachzusehen und sich zu erkundigen,
während er Tsch’hang-sching aufgreifen und binden Hess.
Als Su-wu wieder hergestellt war, liess ihn der Schen-yü durch
einen Abgesandten hinsichtlich dessen, was erfolgen solle, verstän
digen. Da jetzt das Urtheil über Yii-tsehang gefällt wurde, gedachte
man, bei diesem Anlasse zugleich Su-wu zur Unterwerfung zu
bewegen. Yü-tschang ward demnach durch das Schwert enthauptet.
Wei-lio sagte hierauf: Tseh'hang-sching, einer der Gesandten von
Han, hat sich verschworen gegen das Leben eines dem Schen-yü
nahe stehenden Dieners 1 )- Jetzt, da er sterben soll, verlangt der
Schen-yü, dass, wenn er sich ergibt, ihm sein Verbrechen verziehen
werde. — Ein Hiung-nu erhob das Schwert und wollte gegen
Tsch’hang-sching den tödtlichen Streich führen. Der Bedrohte bat
in diesem Augenblicke um die Begünstigung, sieb ergeben zu
dürfen.
Zuletzt wandte sich Wei-lio gegen Su-wu und sagte: Der
zweite Anführer der Leibwächter ist eines Verbrechens schuldig.
Es gebührt sich, dass du zugleich mit ihm der Schuld geziehen
werdest. — Su-wu erwiederte: Ich habe im Grunde an keiner
Verschwörung Theil genommen, ich bin auch zu ihm kein naher
Angehöriger. Wie kannst du sagen, dass ich zugleich mit ihm der
Schuld geziehen werde? — Ein Hiung-nu erhob jetzt das Schwert
und mass Su-wu ab. Dieser blieb indessen unbeweglich.
Wei-lio versuchte nun den Weg der Güte und sagte zu Su-wu:
Gebieter des Geschlechtes Su! Ich Lio bin in früherer Zeit untreu
geworden Han und habe mich zugewendet den Hiung-nu’s. Ich habe
empfangen grosse Wohlthaten und Geschenke. Was meinen Ehren
namen betrifft, so nennt man mich König. Ich halte in den Armen
eine Volksmenge von mehreren Zehntausenden, meine Pferde und
mein Zuchtvieh breiten sich über die Berge. Dergestalt sind meine
Reichthümer und mein Ansehen. Gebieter des Geschlechtes Su!
Heute bewirkst du deine Unterwerfung, morgen ist es bei dir eben so
bestellt. Solltest du vergebens mit deinem Leibe düngen die Wild-
niss der Gräser, wer würde von dir wieder etwas erfahren?
!) Hier meint Wei-lio sich selbst.
588
Dr. Pfizmaier
Als Su-wu nicht antwortete, fuhr Wei-lio fort: Wenn du, o
Gebieter, jetzt durch meine Vermittlung dich unterwirfst, so sind
ich und du, o Gebieter, zu einander Brüder. Wenn du jetzt auf
meinen Rath nicht achtest, dann magst du später immerhin wün
schen, mich wieder zu sehen, aber wirst du noch dazu gelangen?
Auf diese Worte ergoss sich Su-wu in Schmähungen gegen
Wei-lio und sagte: Du warst ein Diener und ein Sohn unter den
Menschen und nahmst nicht Rücksicht auf Wohlthaten und Billigkeit.
Du fielst ab von dem Gebieter, kehrtest den Rücken den Angehörigen
und ergabst dich den Gefangenen auf dem Boden der Fremdländer.
Wozu brauchte ich dich zu sehen? Auch hat der Sehen-yü dir
Vertrauen geschenkt und heisst dich entscheiden über Leben und
Tod der Menschen. Du erfasstest nicht mit leidenschaftslosem Sinne
das Richtige, du willst im Gegentheil Zwietracht stiften zwischen
den beiden Gebietern und sehen das Schauspiel von Unglück und
Niederlagen. Das südliche Yue tödtete die Gesandten von Han: es
erfuhr die Niedermetzelung der Bewohner und ward verwandelt in
neun Landschaften 1 ). Der König von Wan tödtete die Gesandten
von Han: sein Haupt wurde ausgehängt vor der nördlichen Thor
warte 3 ). Tschao-sien tödtete die Gesandten von Han: es wurde zu
seiner Zeit gestraft und vernichtet 8 ). Bei den Hiung-nu’s allein war
dies noch nicht der Fall. Du weisst es, dass ich mich nicht ergeben
werde, mit Gewissheit, du willst bewirken, dass die beiden Länder
gegenseitig sich angreifen. Das Unglück der Hiung-nu’s nimmt bei
mir seinen Anfang.
Als Wei-lio sah, dass Su-wu sieh durchaus nicht einschüchtern
lasse, erstattete er dem Schen-yü Bericht. Es war jetzt noch mehr
der Wunsch dieses Fürsten, Su-wu zur Unterwerfung zu bewegen. Er
1) Im fünften Jahre des Zeitraumes Yuen-ting (112 vor uns. Zeitr.) tödtete Liü-kia,
Landesgehilfe des südlichen Yue, die Gesandten von Han. Im folgenden Jahre, dem
sechsten des Zeitraumes Yuen-ting (111 vor uns. Zeitr.) nahm der Heerführer Lu-
pö-te den neuen König Kien-te sammt dessen Landesgehilfen gefangen und bildete
aus dem Gebiete des südlichen Yue neun Landschaften von Han.
2) Im dritten Jahre des Zeitraumes Thai-thsu (102 vor uns. Zeitr.) unternahm der
Heerführer Li-khuang-li einen Kriegszug gegen das jenseits des Gebirges Thsung-
ling gelegene „grosse Wan“ und belagerte die Hauptstadt des Landes, deren
Bewohner ihren König tödteten und sich an Han ergaben.
3 ) Tschao-sien (Corea) unterwarf sich im dritten Jahre des Zeitraumes Yuen-fung
(108 vor uns. Zeitr.) an Han.
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s.
589
liess Su-wu in eine leere, zum Aufbewahren des Getreides bestimmte
Grube setzen und ihm weder Speise noch Trank verabreichen. Da
ereignete es sich, dass es schneite. Su-wu legte sich auf den
Boden der Grube, kaute den gefallenen Schnee und verschluckte
ihn gemengt mit Fasern eines groben Wollstoffes. So vergingen
mehrere Tage, ohne dass er gestorben wäre, und die Hiung-nu’s
hielten ihn endlich für einen Geist.
Man verurtheilte ihn hierauf zur Ansiedlung in einer menschen
leeren Gegend nächst den Ufern des nördlichen Meeres J ), wo man
hn die Widder mit dem Bedeuten hüten hiess, dass er zurückkehren
könne, wenn die Widder Milch geben würden. Durch das letztere
wollte man ausdrücken, dass er für immer verbannt sei 3 ). Tschang-
hoei und die Übrigen ihm im Amte zugetheilten Männer wurden jeder
einzeln an verschiedenen Orten untergebracht.
Als Su-wu in der Gegend des nördlichen Meeres ankam, wurden
ihm keine Lebensrnittel mehr zugesandt. Er grub die von den Feld
ratten bei Seite geschafften Samen der Gräser aus und verzehrte sie.
Als Stab beim Hüten der Schafe bediente er sich des Abschnitts
rohres von Han. Ob er sieh zur Ruhe begab oder aufstand, hielt er
es fest in den Händen, und der an demselben befestigte Kuhschweif
war gänzlich abgefallen.
Nachdem Su-wu auf diese Weise fünf bis sechs Jahre zuge
bracht, erschien der König von rjjrj- ^ Yü-kien , ein jüngerer
Bruder des Schen-yü, in der Gegend des nördlichen Meeres, um
daselbst mit Wurfpfeilen zu schiessen. Su-wu verstand es, Schnüre
für die Wurfpfeile und Hölzer zum Aufspannen der Bogen und Arm
brüste zu verfertigen. Der König von Yü-kien gewann ihn lieb und
beschenkte ihn mit Kleidern und Lebensmitteln. Als der König nach
drei Jahren erkrankte, machte er Su-wu Pferde, Zuchtvieh, grosse
bäuchige Krüge und Filzzelte zum Geschenk. Nach dem bald hierauf
erfolgten Tode des Königs brachen dessen Leute auf und zogen nach
einer andern Gegend. Im nächsten Winter ebschienen Bewohner
des Landes Ting-ling und raubten das Hornvieh und die Schafe Su-
wu’s. Dieser war jetzt wieder arm und in misslichen Umständen.
!) Die heutige See Baikal.
a ) Einen ähnlichen Sinn haben auch die dem Königssohne Tan von Yen in den Mund
gelegten Worte: „Wenn es einen Raben mit einem weissen Haupte gibt“, „wenn
einem Pferde Hörner wachsen“.
590
Dr Pfizmaier
Su-wu war in früherer Zeit gemeinschaftlich mit Li-ling,
Heerführer von Han, ein „Aufwartender im Inneren“ an dem Hofe des
Himmelssohnes gewesen. Das nächste Jahr nach der Gesandtschafts
reise Su-wu's ergab sich Li-ling den Hiung-nu’s. Der genannte
Heerführer hatte es bisher nicht gewagt, Su-wu aufzusuchen. Erst
nach langer Zeit erhielt er von dem Schen-yü den Auftrag, nach
den Gegenden des nördlichen Meeres zu reisen, daselbst Su-wu
mit Wein zu bewirthen und durch Aufführung von Klangspiel zu
erheitern.
Bei der jetzt stattfindenden Zusammenkunft verkündete Li-ling
den Zweck seiner Reise und erzählte die Schicksale, von welchen
seine und Su-wu’s Angehörige in der Heimat betroffen worden. Er
sagte zu Su-wu Folgendes: Der Schen-yü hat erfahren, dass zwischen
mir und Tse-king 1 ) ursprünglich ein Verhältniss der Hochschätzung
besteht. Er gab mir daher den Auftrag, hierher zu kommen und
mit dir zu sprechen. Du, dem ich stehe zu Füssen, trägst dich
mit leeren Gedanken und willst auf Andere warten: du wirst nie
mals zurückkehren können nach Han. Du erduldest vergebens Müh
sal in einem menschenleeren Lande: wo sollen deine Treue und
deine Gerechtigkeit zum Vorschein kommen?
In früherer Zeit schaffte Tsch’hang-kiün 3 ) herbei die Wagen.
Er gelangte im Gefolge nach Yung zu dem Gebäude Yü-yang 3 ). Er
leitete hinab den Handwagen zwischen den Thorschirmen, stiess
gegen eine Säule und brach ein Rad. Beschuldigt grosser Unehrer
bietigkeit, stürzte er sich in sein Schwert und durchschnitt sich den
Hals. Es wurde verabreicht ein Geschenk von zweihundertmal zehn
tausend ehernen Stücken, damit man ihn begrabe.
Ju-king 4 ) war unter den Begleitern zur Darbringung für die
königliche Erde des Landes im Osten des Flusses. Ein Reiter unter
den kleinen Dienern wetteiferte mit dem Beipferde des gelben
1) Tse-king ist, wie früher angegeben worden, der Jünglingsname Su-wu’s.
2 ) Kia, der früher genannte ältere Bruder Su-wu’s, führte den 'Jünglingsnamen
Yü-yang war ein Wohngebäude der Himmelssöhne von Han.
4) Hien, der früher genannte jüngere Bruder Su-wu’s, führte den Jünglingsnamen
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s.
591
Thores *). Er stiess es hinab in den Fluss, wo es ertrank. Der Reiter
unter den kleinen Dienern begab sich auf die Flucht. In einer höch
sten Verkündung ward Ju-king beauftragt, ihm nachzusetzen und
ihn festzunehmen , aber er erreichte ihn nicht. Voll Furcht und
Bangen trank er Gift und starb.
In der nächstfolgenden Zeit war die grosse Gemahlinn nicht
glücklich 3 ). Ich begleitete den Leichenzug und gelangte nach Yang-
lings). Die Gattinn Tse-king’s war jung, ich hörte, dass sie sich
bereits wieder vermalt hat. Du hattest nur noch zwei jüngere
Schwestern, zwei Töchter und einen Sohn. Jetzt ist es wieder über
zehn Jahre. Ob sie noch leben oder gestorben sind, konnte ich nicht
erfahren. Das Leben des Menschen ist gleich dem Thau des Morgens.
Warum erduldest du so lange diese Mühsal?
Als ich mich ergeben hatte, war ich anfänglich bestürzt und
gleichsam wahnsinnig, ich empfand Schmerz darüber, dass ich den
Rücken gekehrt hatte Han und dass man überdies meine alte Mutter
band in dem bewahrenden Gebäude. Indem Tse-king sich nicht er
geben will, wie könnte er es hierin mir zuvorthun? Auch sind die
Frühlinge und Herbste desjenigen, vor dem man steht unter den
Stufen, hoch, die Gesetze und Befehle sind ungewöhnlich, die gros
sen Würdenträger, welche, ohne dass sie etwas verbrochen hätten,
sammt ihren Geschlechtern ausgerottet wurden, gehören zu mehreren
Zehenden von Häusern, Sicherheit und Gefahr lassen sich nicht er
kennen: zu was sollte es Tse-king da noch einmal bringen? Ich
wünsche, dass du auf meinen Rath hörest und nichts wieder zu
sagen habest.
Su-wu entgegnete hierauf: Mein Vater und dessen Söhne
haben weder Verdienste noch Tugenden, diese sind sämmtlich das
Werk desjenigen, vor dem ich stehe unter den Stufen. Sie gelang
ten zu ihren Würden, standen in der Reihe als Heerführer, ihre
Rangstufe reicht zu derjenigen der Fürsten der Lehen. Meine Brü
der standen in vertrauter Nähe, es war immer ihr Wunsch, mit
Leber und Hirn zu bekleben die Erde. Jetzt war es ihnen gegönnt,
1) Das Beipferd des gelben Thores ist das Beipferd des Himmelssohnes.
2 ) Die Gemahlinn des Himmelssohnes war gestorben.
3) Yang-ling befand sich in dem damaligen Kreise Tso-fung-yT nächst
Tschang-ngan. Daselbst hatte, wie aus dem Zusammenhänge hervorgeht, Su-wu
seine Angehörigen zurückgelassen.
s
5
S92 Dr. Pfizmaier
sich zu tödten, sie haben es zu Stande gebracht. Wäre ihnen auch
bestimmt gewesen die Axt, oder der Kessel mit siedendem Wasser,
sie hätten in Wahrheit es mit Freuden erduldet. Der Diener dient
dem Gebieter gleichwie der Sohn dient dem Vater. Wenn der Sohn
für den Vater stirbt, so hat er keine Ursache sich zu kränken. Ich
wünsche, dass du nicht wieder davon sprechest.
Li-ling trank durch einige Tage in der Gesellschaft Su-wu’s
Wein. Endlich sagte er wieder: Möge Tse-king ein einziges Mal
hören auf meine Worte. — Su-wu entgegnete: Nach dem Loose,
das mir zu Theil geworden, sollte ich schon längst gestorben sein.
Du, o König i), willst mich gewiss zur Unterwerfung bewegen. Ich
bitte, dass ein Ende gemacht werde der Fröhlichkeit des heutigen
Tages und dass ich mir den Tod anthun dürfe in deiner Gegenwart.
Als Li-ling sah, dass es Su-wu mit seinen Worten vollkommen
Ernst war, rief er wehmüthig: Zu bedauern bist du, gerechter
Kriegsmann! Meine und Wei-lio’s Schuld reicht nach oben bis zu dem
Himmel! — Li-ling weinte so heftig, dass die Thränen den Brust
latz seines Kleides netzten. Hierauf trennte er sich von Su-wu und
reiste ab.
Li-ling widerstrebte es, Su-wu ein Geschenk zu machen, weil
er sich dadurch den Schein gegeben haben würde, als ob er mit den
bei den Hiung-nu's ihm zugefallenen Reichthümern prahlen wolle.
Er beauftragte daher seine Gattinn, Su-wu mit einigen Zehenden
von Rindern und Schafen zu beschenken.
Später kam Li-ling nochmals in die Gegend des nördlichen
Meeres, wo er wieder mit Su-wu sprach. Im Verlaufe des Gesprä
ches erzählte Li-ling, dass man in einem an den Marken von Han
aus Lehm erbauten Wohnhause einen Einwohner der Landschaft
Yün-tschung gefangen habe. Dieser Mann habe ausgesagt, dass in
der genannten Landschaft viele Menschen, von dem Statthalter bis
herab zu den kleinen Angestellten und dem Volke, in Weiss geklei
det seien und dass es heisse, der Himmelssohn sei gestorben. Auf
diese Kunde wendete Su-wu das Angesicht nach Süden und klagte
und schrie mit so lauter Stimme, dass er Blut brach, worauf er
früh und spät um den Todten weinte.
*) Li-ling bekleidete bei den Hiung-nu’s den Rang eines Königs.
Die Geschichte einer Gesandtschaft hei den Hiung-nu’s.
593
In Han ward nach einigen Monaten der Allhalter Hiao-tschao
zum Himmelssohne eingesetzt und wieder vergingen mehrere Jahre,
als endlich die Hiung-nu’s mit Han Friede und Freundschaft schlos
sen. Han verlangte jetzt Su-wu und dessen Gefährten zurück. Die
Hiung-nu’s gaben jedoch, die Wahrheit verschweigend, zur Ant
wort, dass Su-wu bereits gestorben sei.
Nach einiger Zeit schickte Han wieder einen Gesandten zu den
Hiung-nu’s. Tschang-hoei, ein Gefährte Su-wu’s, hat jetzt seine
Wächter, dass es ihm gestattet sei, mit ihnen in der Nacht den
Gesandten von Han zu besuchen. Bei der Zusammenkunft stellte er
die wahre Sachlage dar und gab dem Gesandten die Weisung, dass
er zu dem Schen-yü sage, der Himmelssohn habe auf dem Gebiete
Schang-lin mit Pfeilen geschossen und daselbst eine wilde Gans
erlegt, an deren Fuss ein Stück Leinwand mit einer Schrift gebun
den gewesen wäre. Diese Schrift hätte besagt, dass Su-wu und des
sen Gefährten sich in gewissen Sumpfgegenden befinden.
Der Gesandte von Han war über diese Mittheilung sehr erfreut
und stellte den Schen-yü mit den Worten, die Tschang-hoei ihn zu
sagen angewiesen hatte, zur Rede. Der Schen-yü blickte seine Um
gebung an und entschuldigte sich, sichtbar erschrocken, gegen den
Gesandten von Han, indem er sagte: Su-wu und dessen Gefährten
sind wirklich am Leben.
Als Su-wu jetzt die Erlaubniss zur Rückkehr erhielt, bewir-
thete ihn Li-ling mit Wein und beglückwünschte ihn, wobei er
sprach: Jetzt kehrst du, dem ich stehe zu Füssen, zurück in die
Heimat. Dü hast berühmt gemacht deinen Namen unter den Hiung-
nu’s, deine Verdienste sind offenkundig in dem Hause der Han.
Wären es selbst Thaten, die im Alterthum übertragen wurden auf
Rohr und Leinwand, die gemalt wurden auf Roth und Grün, wie
könnten sie übertreffen, was Tse-king gethan? So unbedeutend ich
bin und muthlos, ich bewirkte, dass Han einstweilen Nachsicht hatte
mit meiner Schuld, dass es am Leben liess meine alte Mutter, dass
es mir die Möglichke it verschaffte, hinwegraffen zu können die An
häufung einer grossen Schande. Meine Absicht war ungefähr das
jenige, was das Geschlecht Tsao that bei dem Vertrage von Ko 1 )-
Der öfters erwähnte Tsao-mö, Heerführer von Lu, bedrohte bei dem Vertrage von
Ko (681 vor uns. Zeitr.) das Leben des Fürsten Hoan von Tsi, und forderte
594
Dr. P f i z m a i e r
Dies ist es, was ich Ling in Ewigkeit nicht vergesse. Nachdem man
aber aufgegriffen und ausgerottet die Verwandtschaften meines
Hauses, nachdem man in dem Zeitalter ein grosses Gemetzel ange
richtet, worauf sollte ich da wieder Rücksicht nehmen? Doch dies
sind geschehene Dinge! Ich will nur, dass Tse-king kenne meine
Gesinnung. Wenn die Menschen verschiedener Markungen einmal
von einander scheiden, sind sie für die Dauer getrennt.
Hierauf erhob sich Li-ling und tanzte, während er die folgen
den Reime sang:
Die Fusswege zehntausend Längen!
Ich hatte gesetzt durch Scha-mu *)•
Der Führer von des Gebieters Heere!
Ich brach hervor bei den Hiung-nu.
Der Weg war zu Ende, war abgeschnitten,
Die Pfeile, die Klingen zersprangen.
Der Krieger Menge ward vertilgt,
Der Ruhm ist für immer vergangen!
Die alte Mutter ist todt!
Wollt’ ich auch dafikbar sein,
Wohin könnt’ ich gelangen?
Li-ling weinte zu wiederholten Malen und schied endlich vonSu-wu.
Der Schen-yü berief jetzt die zu dem Amte Su-wu’s gehören
den Männer zusammen. Von diesen waren einige zu den Hiung-nu’s
übergegangen, andere gestorben, so dass im Ganzen nur neun
Mitglieder der Gesandtschaft mit Su-wu nach Han zurückkehrten.
Su-wu traf im sechsten Jahre des Zeitraumes Yuen-schi
(81 vor uns. Zeitr.), zur Zeit des Frühlings in der Hauptstadt des
Himmelssohnes ein. Eine höchste Verkündung bestimmte, dass Su-
wu den Landesgöttern eine grosse Hürde, d. i. eine Gabe von
Rindern 3 ), darzubringen und sich in dem zu dem Grabmalsgarten
auf diese Weise die Zurückgabe des früher von Lu verlorenen Gebietes. Auf ähn
liche Weise wollte Li-ling, wahrscheinlich um seine Freilassung zu erlangen,
das Leben des Schen-yü bedrohen.
*) Die Wüste Scha-mö. In diesen Reimen Li-ling’s erhält das Wort Mo den Laut
Mu.
Lao „Hürde“, welche aus Schafen
2 ) Zum Unterschiede von einer kleinen
bestand. Für die Landesgötter des Himmelssohnes war eine grosse „Hürde“, für
die Landesgötter der Lehensfürsten eine kleine „Hürde“ bestimmt.
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s.
595
des Allhalters Hiao-wu gehörenden Ahnenheiligthume zu melden
habe. Zugleich wurde er zum ||| Jpi Jh. Tien-schö-kue, d. i. zu
einem mit den Angelegenheiten der unterworfenen Fremdländer
betrauten hohen Angestellten, mit dem Gehalte von zweitausend
Scheffeln ernannt und erhielt als Geschenk zweihundert Mal zehn
tausend eherne Geldstücke, ausserdem zweihundert Morgen öffent
licher Felder und ein Wohnhaus. Tschang-hoei, ferner -ffP
Siü-sching und ;jt{^ Tschao-tschung-ken , zwei andere
Mitglieder der Gesandtschaft, wurden zu Leibwächten des Inneren
ernannt und erhielten jeder ein Geschenk von zweihundert Weben
Seidenstoffes.
Die übrigen sechs Mitglieder der Gesandtschaft zogen sich, da
sie in Jahren vorgerückt waren, in ihre Häuser zurück und erhielten
jeder ein Geschenk von zehnmal zehntausend ehernen Geldstücken.
Zugleich blieben sie für die Dauer ihres Lebens jeder Dienstleistung
enthoben.
Tschang-hoei bekleidete in späterer Zeit die Stelle eines Heer
führers der Rechten und gelangte zu der Würde eines Lehensfürsten
der Reihe. Su-wu selbst hatte im Ganzen neunzehn Jahre in dem
Lande der Hiung-nu’s zugebracht. Derselbe war, nachdem er zum
Gesandten bestimmt worden, als ein kräftiger junger Mann ausge
zogen. Als er jedoch zurückkehrte, waren sein Rart und sein Haupt
haar völlig weiss.
Im ersten Jahre des Zeitraumes Yuen-fung (80 vor uns. Zeitr.),
ein Jahr nach der Rückkehr Su-wu’s, verschworen sich der Heer
führer der Linken J- Schang-kuan-khie, dessen Sohn,
der Heerführer der raschen Reiter Schang-kuan-ngan
und der oberste vermerkende Grosse ^ Sang-hung-yang
mit JeL Tan, König von Yen, und der an den Fürsten von
Kai vermälten ältesten Tochter des früheren Himmelssohnes gegen
die Lenkung von Han, wobei JpYuen, der Sohn Su-wu’s, mit Schang-
kuan-ngan ein geheimes Einverständnis unterhielt. Dies Sohn
Su-wu’s ward daher in Anklagestand versetzt und tödtete sich selbst.
Vordem hatten Schang-kuan-khie und Schang-kuan-ngan dem
obersten Heerführer Ho-kuang die Gewalt streitig gemacht. In Ver-
Sitab. d. phii.-hist. CI. XLIV. Bd. III. Hft. 39
596
Dr. Pfiamaier
folgung ihres Zweckes hatten die beiden erstgenannten Männer von
den Fehlern und Missgriffen Hö-kuang’s mehrmals Verzeichnisse
entworfen, welche sie später dem Könige von Yen übergaben, indem
sie ihn bewogen, in einem an den Himmelssohn zu richtenden
Schreiben das Vorgefallene anzuzeigen. Ausserdem war in ihren
Reden nebst Hö-kuang auch Su-wu erwähnt worden. Sie sagten
nämlich: Su-wu war Gesandter bei den Hiung-nu’s und hat sich
durch zwanzig Jahre nicht ergeben. Als er zurückkehrte, ernannte
man ihn zum Leiter der Angelegenheiten der abhängigen Länder.
Der älteste Vermerker des obersten Heerführers hat keine Ver
dienste, hat sich nicht angestrengt, und er wurde ernannt zum ge
treidesuchenden Beruhiger der Hauptstadt ‘). Ho-kuang hat aus
schliesslich im Besitz die Macht und handelt nach seinem Willen.
Als nach der Empörung des Königs von Yen die Häupter der
Verschwörung theils hingerichtet, theils unschädlich gemacht worden
waren und man jetzt auch die Untersuchung gegen die Mitschuldigen
einleitete, erinnerte man sich, dass Su-wu zu Schang-kuan-khie und
und Sang-hung-yang von jeher in freundschaftlichen Beziehungen
gestanden und dass der am Leben belassene König von Yen ihn
mehrmals vom Verdachte zu reinigen versucht habe. Der Sohn Su-
wu’s hatte überdies an der Verschwörung theilgenommen. Diese
Gründe bestimmten den obersten Richter, in einer Eingabe an den
Himmelssohn die Bitte zu stellen, dass Su-wu verfolgt und aufge
griffen werden dürfe. Hö-kuang unterdrückte jedoch diese Eingabe,
worauf Su-wu nur seines Amtes entsetzt wurde.
Als nach einigen Jahren (74 vor uns. Zeitr.) der Allhalter
Hiao-tschao starb, betheiligte sich Su-wu in seiner Eigenschaft als
ehemaliger Angestellter der zehntausend Scheffel an den Berathun-
geu, welche die Einsetzung Ping-ki’s, Urenkels des Allhalters Hiao-
wu, zum Zwecke hatten»). Nachdem Ping-ki, genannt der Allhalter
Hiao-siuen, zum Himmelssohne erhoben worden, erhielt Su-wu zum
Lohne für seine Dienste den Rang eines Lehensfürsten innerhalb
des Durchweges und bezog die Einkünfte von dreihundert Thiiren
des Volkes.
*) Dieser Würdenträger hatte die Aufsicht über die Getreidevorräthe des Landes.
2 ) Uber diese Einsetzung sind in der Abhandlung: „Das Ereigniss des Wurmfrasse*
der Beschwörer" viele Einzelnheiten enthalten.
Die Geschichte einer Gesandtschaft bei den Hiung-nu’s.
597
Nach längerer Zeit empfahl -jjjr Tsch’hang-ngan-schi,
der Heerführer der Leibwache J ), Su-wu als einen Mann, der in den
früheren Angelegenheiten bewandert, nachdem ihm eine Gesandt-
schaftsstelle verliehen worden, über den höchsten Befehl keine
Schande gebracht und zu dessen Gunsten der vorhergegangene
Himmelssohn einen Ausspruch hinterlassen habe. Der Allhalter
Siuen besehied jetzt Su-wu zu sich und hiess ihn in der Abtheilung
der kleinen Diener 3 ) auf die höchste Verkündung warten. Nachdem
Su-wu einige Male vor dem Himmelssohne erschienen, ward er zum
Tsao (Verhörsrichter) der Rechten und endlich wieder zum Tien-scho-
kue „Leiter der Angelegenheiten der abhängigen Länder“ befördert.
Da Su-wu als ein alter Diener von strenger Rechtschaffenheit
anerkannt wurde, hiess man bei den Versammlungen, welche an
dem Hofe den ersten Tag des Monats stattfanden, die Anwesenden
zu ihm emporblieken und gab ihm die Ehrenbenennung eines Mannes,
der den Göttern der Erde den Wein darbringt 3 ). Auf diese Weise
stand er bei dem Himmelssohne in ganz vorzüglicher Gunst.
Su-wu vertheilte alle Geschenke und Belohnungen, welche er
erhielt, an seinen Bruder und seine alten Bekannten, so dass in seinem
Hause keine überflüssigen Güter vorhanden waren. Die an dem Hofe
besonders angesehenen Männer: 'jiß J^'u =^j- Hiü-khuang-han, Fürst
von 2p Ping-ngen, welcher der Vater der ersten Gemahlinn des
Himmelssolmes, jjjpjjr Wang-wu-ku, Fürst von ^ 2p Ping-
tschang, Wang-wu, Fürst von ^ Lö-tscliang, beide
die Mutterbrüder des Himmelssohnes, ferner der Heerführer der
Wagen und Reiter tjjjp Han-tseng, der Landesgehilfe
Wei-siang und der oberste vermerkende Grosse Ping-ke 4 ) waren
gegen ihn ehrerbietig und schätzten ihn hoch.
4 ) Tsch'hang-ngan-schi ward im dritten Jahre des Zeitraumes Ti-tsie (67 vor uns.
Zeitr.) zum „Heerführer der Leibwache“ ernannt.
2 ) Die Abtheilung der kleinen Diener gehörte zu dem kleinen Versammlungshause,
welches sich seinerseits mit den Abgaben befasste. Die genannte Abtheilung stand
dem Himmelssohne nahe, wesshalb Su-wu angewiesen wurde, sich daselbst von
Zeit zu Zeit einzufinden und zu warten, bis ihm seine Beförderung verkündet
werden würde.
3 ) Man zeigte dadurch, dass mau Su-wu vor allen Übrigen ehre, da bei der Darbrin
gung in den Anbetungsorlen der Älteste und Geehrteste die Erde mit Wein besprengt.
4 ) Ping-ke ist in der Abhandlung: „Das Ereigniss des Wurrofrasses der Beschwörer“
Gegenstand eines besonderen Abschnittes.
39
598
Dr. Pfizmaier
Sa-wu war jetzt ein Greis. Sein einziger Sohn war schon
früher in Folge der Ereignisse in Anklagestand versetzt worden und
hatte sich getödtet. Der Himmelssohn empfand hierüber Mitleid
und äusserte dies einst gegen seine Umgebung, indem er sagte:
Su-wu lebte unter der Hiung-nu’s lange Zeit. Wie wäre es möglich,
dass er einen Sohn habe? — Su-wu Hess hierauf dem Himmels
sohne durch den Fürsten von Ping-ngen melden, dass vordem, als
er zu den Hiung-nu's ausgezogen, ein Weib dieses Volkes ihm
einen Sohn, Namens |||| Thung-kue, geboren habe. Dieser
Sohn habe, nachdem ihm seine Abstammung bekannt geworden,
angefragt, ob er nach Han kommen dürfe. Su-wu wünschte daher,
dass man durch einen Abgesandten den Hiung-nu’s Gold und
Seidenstoffe anbiete und diesen Sohn loskaufe. Der Himmelssohn
gab hierzu seine Einwilligung. Später kam Thung-kue, der Sohn
Su-wu’s, in Begleitung des Abgesandten nach Han, wo ihn der
Himmelssohn zum Leibwächter ernannte. Zugleich erhielt der
Bruderssohn Su-wu’s die Stelle eines Tsao (Verhörsrichters)
der Rechten.
Su-wu starb, über achtzig Jahre alt, im zweiten Jahre des Zeit
raumes Schin-tsio (60 vor uns. Zeitr.) an einer Krankheit.
Im dritten Jahre des Zeitraumes Kan-lu (5 t vor uns. Zeitr.)
erschien ein Schen-yü (oberster König der Hiung-nu’s) zum ersten
Male an dem Hofe von Han ‘). Bei dieser Gelegenheit erinnerte sich
der Himmelssohn der vortrefflichen Diener, welche ihm einst zur
Seite gestanden, und er Hess deren Bildnisse in dem gedeckten
Gange des Einhorns 2 ) anbringen. Über jedem Gemälde, welches
einen dieser Würdenträger vorstellte, befand sich eine Gedenk
platte mit dem Namen des Amtes, der Lehensstufe, dem Geschlechts
namen und dem Kindesnamen desselben.
Das erste dieser Bildnisse war dasjenige des Heerführers
Hö-kuang, und bei diesem allein war, um ihn besonders zu ehren,
der Kindesname Kuang auf der Gedenkplatte weggelassen worden
*) Dieser Schen-yii war Hu-hau-ye, dessen in der Abhandlung: „Tschin-thang, Fürst-
Zertriimmerer von Hu“, mehrmahls gedacht wird.
2 ) Der Allhalter Hiao-wu erlegte einst ein Einhorn, ein Thier, dessen Erscheinen
seit der ältesten Zeit für besonders glückbringend gehalten wurde. Er erbaute
daher den hier genannten Gang, in welchem das erlegte Einhorn abgebildet war.
Die Geschichte einer Gesandtschaft hei den Hiung-nn’s.
599
Es hiess daselbst: Der grosse Vorsteher der Pferde, der grosse
Heerführer, Lehensfürst von
Po-lo mit dem Geschlechts
namen : Seitengeschlecht Hö.
Bei dem nächstfolgenden besagte die Gedenkplatte: Der
Heerführer der Leibwache Tsch’hang-ngan-schi *), Lehens
fürst von 'g Fu-ping.
Der auf Tsch’hang-ngan-schi folgende Würdenträger hiess:
Der Heerführer der Wagen und Reiter Han-tseng 3 ), Lehensfürst von
^Ü" |j|| Lung-nge.
Der auf Han-tseng folgende Würdenträger wurde genannt:
Tcliao - tsch’hung - kue,
ft
Der Heerführer des Nachzuges
Lehensfürst von i^Ying-ping.
Der zunächst folgende hiess: Der Landesgehilfe Wei-siangs),
Lehensfiirst von ^ ÄH Kao-ping.
Der auf Wei-siang folgende Würdenträger hiess: Der Landes
gehilfe Ping-ke, Lehensfürst von Pö-yang.
Der nächste Würdenträger hiess: Der oberste vermerkende
Grosse JjW Tu-yen-nien , Lehensfiirst von 5p
Kien-ping.
Auf Tu-yen-nien folgte: Der Zurechtsteller des Stammhauses
Lieu-te, Lehensfürst von Yang-tsehing.
Der Lieu-te zunächst folgende Würdenträger wurde genannt:
„Das kleine Versammlungshaus“ 4 ) 'gf Jp Liang-khieu-ho.
Der nächste Würdenträger hiess: Des Nachfolgers grosser
Zugestellter Siao-wang-tschi.
Derselbe hatte, wie früher angegeben worden, Su-wu bei dein Himmelssohne
empfohlen.
2 ) Derselbe wird oben unter den gr ssen Würdenträgern genannt, welche Su-wu
hochschätzten.
3 ) Derselbe war ebenfalls einer der oben erwähnten grossen Würdenträger, welche
Su-wu hochschätzten.
4 )
Der mit dem Namen
Schao-fu „das kleine Versammlungshaus“ belegte
grosse Würdenträger befasste sich, wie bereits angedeutet worden, mit den Ab
gaben von den Bergen, Meeren, Teichen und Sümpfen.
600
Dr. P f i z m a i e r
Der letzte Würdenträger, dessen Bildniss in dem gedeckten
Gange des Einhorns angebracht war, hiess: Der Leiter der Ange
legenheiten der abhängigen Länder Su-wu.
Von den eilf hier genannten grossen Würdenträgern wurde
angegeben, dass sie sämmtlich Tugenden und Verdienste besessen,
dass ihr Name in dem gegenwärtigen Zeitalter bekannt geworden
und dass man sie desswegen durch Gedenkplatten verewigt
habe. Sie hätten es deutlich in das Licht gesetzt, dass der
grosse Weg der Könige sich in der Mitte erhoben *), sie wären
hierin die Stützen und Helfer des Gebieters gewesen und darin
in Einer Reihe mit Fang-scho, ^ Schao-hu und
i d| # Tschung-san-fu, den drei berühmten Dienern des
Königs Siuen von Tscheu, gestanden.
Man bemerkte übrigens, dass ausser diesen Männern, deren
jedem auch in der Geschichte eine besondere Stelle gewidmet
wird, Würdenträger wie der Landesgehilfe Hoang-pa, der
Beruhiger des Vorhofes Yü-ting-kue2), der grosse Vorsteher des
Ackerbaues 0 Tschü-yi, der das Amt eines Aufsehers der
Hauptstadt des Himmelssohnes bekleidende jpjjjr Tsch’hang-
tschang, der Fu-fung der Rechten ^ Yün-ung-kuei, fer
ner unter den Gelehrten Hia-heu-sching») und Andere
ebenfalls ein gutes Ende genommen und ihren Namen in dem Zeit
alter des Allhalters Hiao-siuen berühmt gemacht hätten, dass sie
aber dessenungeachtet sich nicht in der Reihe der in dem gedeck
ten Gange des Einhorns abgebildeten Diener befänden. Man erkannte
hieraus, dass bei der Aufnahme in die genannte Ehrenhalle eine
Auswahl getroffen worden.
!) König 1 Siuen von Tscheu bewirkte, dass der grosse Weg der Könige sich in der
Mitte erhob, wobei er von den Würdenträgern Fang-scho, Schao-hu und Tschung-
san-fu unterstützt wurde.
2 ) Yü-ting-kue ist in der Abhandlung: „Tsiuen-pu-J, Su-kuang, Yü-ting-kue und deren
Gesinnungsgenossen“ vorgekommen.
8 ) Der unter den eilf Würdenträgern bereits genannte Liang-khieu-ho gehörte eben"
falls zu dem Stande der Gelehrten.
Dr. Fr. Müller, Über die Harari-Sprache im östlichen Afrika. 601
i
SITZUNG VOM 16. DECEMBER 1863.
Über die Harari-Sprache im östlichen Afrika.
Von Dr. Friedrich Möller,
Doccnt der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Wiener Universität.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 2. December 1863.)
Das Harari, die Sprache der Stadt Harar (9° 20' n. Br.,
42° 17' ö. L.) wird von H. Bleek in seinem Werke: The library
of his excellency Sir George Grey. Cape-town 1858. 8. I. 2.
S. 255 mit dem Galla, Dankall, Somali zu der Semitic brancli,
East-African portion der Suffix-Pronominal languages, the sex
denoting family, North-African division gerechnet. Wahrscheinlich
nach demselben classificirt. auch Prof. Lepsius in der zweiten
Auflage seines Standard Alphabet S. 303 das Harari mit dem
Bisärf, Dankäli, Somali und Galla unter die äthiopische Classe
der hamitischen Sprachen. Auch Richard Burton, dem wir in
seinem trefflichen Werke: First footsteps in East-Africa or an
exploration of Harar. London 1856. p. 511 ff. eine grammatische
Skizze und ein Vocabular des Harari verdanken, hat eingesehen,
dass dieses Idiom, abgesehen von den in dasselbe gedrungenen
arabischen Elementen, mit noch anderen an dasselbe angrenzenden
Idiomen an die semitischen Sprachen angelehnt werden müsse. Er
spricht sich darüber S. 513 folgendermassen aus: „The Harari
appears, like the Galla, the Dankali, and the Somali, its sisters, to,
be a Semitic graft, inserted into an indigenous stock. The pronouns,
for instance, and many of the numerals are clearly Arabic, whilst
the forms of the verb are African, and not unlike the vulgär tongues
of modern India. Again, many of the populär expressions, without
which conversation could not be carried on (e. g. Labbay „here
JL
ja
602
Dr. Fr. Müller
I am“ in answer to a call), are pure Arabic. We are justified then
in determining tliis dialect to be, like the Galla, the Dankali, and
tbe Somali, a semi-Semite.“ Dass diese Behauptung im Ganzen und
Grossen auf einer richtigen Beobachtung basirt ist, will ich gerne
zugeben; dass sie aber viele Unrichtigkeiten enthält, wird sich im
Laufe der Untersuchung hoffentlich heraussteilen. Es wird sich —
um in kurzen Worten das Resultat meiner Untersuchung vorzu
führen — zeigen, dass das Harari keineswegs an das Arabische,
sondern an’s Geez und die davon abgeleiteten neueren Sprachen
(Amhariia, Tegre) sich anlehnt, das Zeitwort — die Seele der
Sprache — keineswegs afrikanisch, sondern ganz echt semitisch
ist, und man das Harari mit eben demselben Rechte, als man z. B.
das Amhariia eine semitische Sprache nennt, nicht als halb-semitisch,
sondern als semitisch überhaupt betrachten müsse.
Da das Harari als modernes Idiom nicht mit den semitischen
Sprachen älterer Bildung, wie Hebräisch, Aramäisch, Altarabisch,
Geez, in eine Linie zu stellen ist, sondern mit den neueren Formen
der semitischen Sprachen, wie Neuarabisch, Amhariia, Tegre etc.,
parallel betrachtet werden muss, so kann man auch folgerichtig die
Bildungen desselben, die sich oft ganz eigentümlich und unter
bedeutenden fremden Einflüssen entwickelt haben, nicht mit jener
Strenge messen, wie man dies bei jenen der alten Sprachen zu
thun berechtigt ist. Können wir ja auch die neueren indischen
Sprachen sanskritischen Stammes, wie Maräthi, Guzarätf, Pangäbi,
die bei weitem keine so tief greifende Einwirkung von Seite der
sie umgebenden stammfremden Idiome erlitten haben, wie die nach
Afrika verschlagenen semitischen Sprachen, im Verhältniss zum
Sanskrit nicht mit jenem Massstabe messen, wie etwa das Neu
hochdeutsche im Vergleich zum Gothischen oder die modernen
slavischen Idiome im Verhältniss zur altslavischen Kirchensprache;
denn die Bedingungen, unter denen diese Sprachen sich entwickel
ten, sind bei jeder andere; daher weichen sie auch in ihrem Typus
— dem Resultate einer langen, wandelbaren Geschichte — bedeu
tend von einander ab.
Ich will im Vorliegenden zunächst zur Darlegung der Formen
lehre übergehen und dann, zur Vervollständigung des Beweises,
eine kurze Untersuchung des Lexikons daran reihen.
Über die Harari-Sprache im östlichen Afrika.
603
I. Nomen.
a) Motion. Das Haran kennt beim Nomen, sowohl Substanti-
vum als Adjectivum, ein grammatisches Geschlecht. — Das Zeichen
desselben ist der Consonant t mit vorausgehendem i, also it, das an
consonantische Themen unmittelbar antritf, bei vocalischen den
Abfall des schliessenden Vocales bedingt, z. B.:
ili „Bruder“, arab. (ach-un), ili-it „Schwester“,
wasif „Sclave“, wasif-it „Selavin“,
arüs „Bräutigam“, arab. (ärüs-un), arüs-it „Braut“,
rägd „alter Mann“, räg-'it „altes Weib“,
bussi „Hund“, buss-it „Hündin“.
Was die Erklärung dieses Motionselementes it anlangt, so ist
es offenbar aus dem alten Feminincharakter at, der in fast allen
semitischen Sprachen noch jetzt deutlich zu erkennen ist (so arab.
[medik-at-un] „Königinn“, gegenüber dem Masculinum jIL)
entstanden.
Unter den semitischen Sprachen afrikanischen Zweiges besitzt
dieses Zeichen ungeschwächt nur noch das Geez *), während die
von denselben abgeleiteten Sprachen (Amharna, Tegre) den Ge
brauch desselben bei weitem nicht mehr so umfassend kennen. —
Wir haben daher das Motionszeichen it im Haran als ein Zeichen
von Alterthümlichkeit gegenüber den beiden eben genannten Idio
men äthiopischen Stammes anzusehen.
b) Numerus. Als Zeichen des Plurals tritt im Harari äs auf.
Es wird consonantischen Themen unmittelbar angefügt, während
bei vocalischen, die mit dem Vocale des Suffixes gleicher Natur
(a-Themen) sind, Verschmelzung mit dem Endvocal, bei Themen
ungleicher Natur (i-, u-Themen) Abfall des Endvocals eintritt,
z. B.:
wandag „Diener
abos „Mann“,
gär „Haus“,
gäfä „Sclave“,
kabri „Grab“,
Plural, wandag-äs,
„ abos-ds,
„ gdr-äs,
A £>A V
n gaf äs,
„ kabr-ds.
A ) Vgl. Dillmann, Äthiop. Gramm. S. 216.
604
Dr. Fr. Müller
Dieses Pluralzeichen As ist offenbar nichts anderes als das
amhärische Pluralzeichen ot' (sprich ötsch) *), das dem alten Fe-
minin-Pluralzeichen äthiop. dt, hebr. otli entspricht, z. B.:
(bet) „Haus“, Plural, (bet-öt),
: (led) „Kind“, „ Ag?f-; (led'-ot’) etc.
c) Casus. Das Harari unterscheidet — nach dem was Bur
ton bietet — formell nebst dem Nominativ drei Casus, nämlich:
Genitiv, Dativ, Ablativ.
Als Genitivzeichen finden wir xo „sein“, das dem Ausdrucke
des besessenen Gegenstandes, der dem des Besitzenden stets nach
folgt, angefügt wird; z. B.:
Alimed imämah-zo „Ahmed’s Turban“, wörtl. Ahmed Turban
— sein,
Sultan gär-zo „des Sultan's Haus“, wörtl. Sultan Haus — sein.
Manchmal wird das xo ganz weggelassen, wodurch die ganze
Construction das Aussehen eines Compositums gewinnt, ohne dieses
im mindesten zu sein ; z. B.:
Sultan gär „Sultan’s Haus“,
Amir liggay „Amir’s Sohn“.
Was die Erklärung des Genitivzeichens xo anlangt, so halte
ich es aus za-hu (huwa) „welcher — sein“ zusammengezogen,
und es stimmt diese Construction mit der im Äthiopischen gebräuch
lichen a ) vollkommen überein, nur mit dem geringen Unterschiede,
dass, während dort die beiden Ausdrücke des Besitzenden und des
Besessenen unmittelbar mit einander verbunden werden (z. B.
MUX: HfL'f': (egzie za-bet) „der Herr des Hauses“, wörtl. der
Herr, welcher (des) Haus(es), wo im Äthiopischen wahrscheinlich
Verlust des alten Genitivzeichens i anzunehmen ist), im Harari der
Ausdruck des Besitzers nach echt semitischer Art unabhängig an
die Spitze der Fügung gestellt und dann durch ein Pronomen an
seiner eigentlichen Stelle supplirt wird.
Wir sehen, dass auch in Bezug auf den Genitiv das Harari
sich an’s Geez anschliesst, gegenüber dem Amharna, das zu diesem
i) Isenberg-, Grammar of the Amharic language S. 38.
s ) Di lim ann, Äthiop. Gramm. S. 258 ff.
Über die Harari-Sprache im östlichen Afrika.
605
Zwecke nicht den Stamm za, sondern einen andern, nämlich ya,
anwendet ‘).
Als Zeichen des Dativs führt Burton (S. 520) lay an, vergl.
amir-lay „dem Amir"; höchst wahrscheinlich haben wir keine
stricte Dativform, sondern eine Zusammensetzung mit einer Prä
position vor uns, und dürfte das vorliegende lay an das amhärische
A.ß: (läi)*) anzuschliessen sein.
Als Zeichen des Ablativs finde ich bei Burton (ibidem) bay,
be, vergl. amir-bay oder amir-be „von Amir“. Ich getraue mich
nicht, das Zeichen sicher zu deuten, da alle wahrscheinlichen An-
knüpfungspuncte dazu mangeln. Vermuthlich dürfte es nichts
anderes als bayn = arab. sein; vergl. S. 533: sanduk bayn
hol „it is in the box" nifti bayn gadalü „he killed him with the
knife“.
d) Steigerung des Adjectivums. Was die Steigerung
der Adjective betrifft, so scheint für den Comparativ und Superlativ
eine bestimmte Form zu existiren, nämlich eine, welche dem ara
bischen JjöI entspricht, die sich auch im Geez in mehreren Spu
ren findet, im Amharna dagegen sich gar nicht nachweisen lässt,
z. B.:
yä-be yi igadri hdl (oder igadr ihal?) „dieses ist grösser
als jenes“, wörtl. „jenem — von dieses grösser ist“.
yi gammi-be igadri hdl „dieses ist von allen das grösste“,
wörtl. „dieses allen — von am grössten ist“.
Dass aber die Form igadr als Jjesl zu erklären ist, geht aus
dem Vocabular S. 552 great.... gidir hervor. Auch diese Er
scheinung ist ein gegenüber dem Amharna wesentlich hervorzuhe
bender Punct.
II. Pronomen.
Die Formen des persönlichen Pronomens lauten:
1. an
2. akhdkh
3. huwa
Singular.
Plural.
inn-äs oder iny-äs,
akhdkh-ds,
hiyy-äs.
i) lienberg S. 40.
*) Uenberg S. 186.
606
Dr. Fr. Müller
Von diesen Formen stimmt an mit dem äthiopischen M: (ana),
amhar. Xfc: (ene) ; akhdkh schliesst sich zwar an keine der ge
bräuchlichen semitischen Formen unmittelbar an, es ist aber in
demselben der Charakter der zweiten Person, besonders wie er in
der äthiopischen Conjugafion hervortritt (ha, ki), nicht zu ver
kennen; huwa stimmt vollkommen zum arabischen ys, es ist sogar
wahrscheinlich demselben entlehnt. Die Plurale sind nach Art
reiner Substantive von den Singulären mittelst des Pluralzeichens
ds gebildet, nur dass bei der dritten Person hiyy-äs nicht auf die
Pronominalform huwa, sondern auf hiyya (vgl. weiter unter S. 524
yi „dieser“) zurückgegangen ist. — Die possessiven Personalsuf
fixe sind;
Singular.
1. d
2. khd
3. zo, so
z. B.: gur-e „mein Haus“
gar-khä „dein Haus
gär-zo „sein Haus“
Plural.
zinya,
klio,
zinyo,
gdr-zinya „unser Haus“,
gdr-kho „euer Haus“,
gdr-zinyo „ihr Haus“.
Von diesen Suffixen entspricht e vollkommen dem amhärischen
e !), äthiop. eya 3 ); kliu entspricht dem äthiopischen x: (kn) ;
das Amharria hat hier das k bereits zu h abgeschwächt, denn es
bietet die Form (h), z. B. n,*^: (bet-h) „dein Haus“; zo, so
ist offenbar, wie ich bereits schon beim Genitiv bemerkt habe,
in za-\-liu aufzulösen und stimmt, was hu anbelangt, zu dem äthio
pischen in.- (hu). Ebenso wie zo für zahu steht, stehen auch
zinya und zinyo statt za-\-ana und zan -f- ho, wobei wieder
ana und ho dem äthiopischen (na) und i/oj.: (homu) vollkom
men entsprechen. Äusserst merkwürdig ist das Suffix der zweiten
Person Vielzahl klio, das, verglichen mit dem äthiopischen Vroa.:
(kemmü), arab. ^ (hum), ältere Form (kumu), noch deutlich
den «t-Vocal, der im Äthiopischen zu e geschwächt wurde, zeigt. —
Die amhärischen Suffixformen (vgl. Isenberg S. 49) stehen den
unseren an Alter bedeutend nach.
I
i
1) Isenberg S. 49.
2 ) D i 11 m a n n S. 278.
Über die Haran-Sprache im östlichen Afrika.
607
III. Verbum.
Der wichtigste und interessanteste Redetheil ist das Verbum,
und besonders dieses wird uns den augenscheinlichsten Beweis
alterthümlicher Bildung und innigster Verwandtschaft des Harari
mit den Sprachen semitischer Abkunft liefern. Es hat dieser Rede
theil im Harari wie in allen semitischen Sprachen zwei Formen;
eine Form, welche das Abgeschlossensein, und eine andere,
welche die Dauer der Handlung zur Anschauung bringt. Erstere
wird durch Suffixe, letztere durch Präfixe gebildet. Sowohl
das Material der beiden letzteren, als auch ihre Verwendung cha-
rakterisiren das Harari als mit dem Geez und Amhania innig ver
wandt. Diese beiden altsemitischen Bildungen treten aber hier als
Gegensätze nicht so rein auf, sondern letztere, die Dauerform,
wird stets in Verbindung mit dem Präsens des Verbums „sein“ ge
braucht, eine Construction, zu der sich bereits im Amharna Anfänge
vorfinden (Isenberg S. 63), und die auch im Salio, Galla etc.
sehr gebräuchlich ist.
Ehe ich aber zur Darlegung der Conjugation des Verbums
überhaupt übergehe, erscheint es als nothwendig, das Verbum sub-
stantivum näher in’s Auge zu fassen.
Ebenso wie im Amharna (vgl. Isenberg S. 64) AA: (ala)
= äthiop. TJA«: (halu) = IJAffi: (halawa) für die Dauerform und
M4 : (nabara), wörtl. „sitzen, stehen“, wie arab. öl*" = hebr.
jID für die Perfectform angewendet wird, ebenso finden wir im
Harari den Stamm heil für das Präsens, den Stamm nära *) für’s
Perfectum gebraucht.
Die Flexion ist folgende:
Präsens (Dauerform).
Amharna. Geez.
AAU-: (ala-liu) UA« 1 !!-: (kalö-kü)
aau ; (ala-li) UA«*n,: (halö-ki) fern.
AA: (ala) ua®: (halawa)
1. inyäs hal-na AA'i: (al-an) TJA«i; (halö-na)
2. akhdlchds hal-khü AA'-f-U-: (alä-fehu) IhVAcß.: (halo-kemmu)
3. hiyyds hal-ü AA-: (al-u) UA®-: (halaw-u).
Harart.
1. ein hal-ko
2. akhdkh hal-khi
3. huwa hal
l) Aus nabara durch Erweichung des b im Inlaute entstanden.
608
Dr. Fr. Müller
Vergleicht man diese Formen unter einander, so hat offenbar
das Harari in der ersten und zweiten Person sowohl Singular als
Plural von dem Amharna dem' Geez gegenüber mehr Anspruch auf
alterthiimliche Bildung und Anlage.
Perfectum.
ificu-: (nabar-hu)
(nabar-h)
(nabara)
Geez.
inert-: (nabar-kü)
inc*n.: (nabar-kü') fern,
ini;: (nabara)
(nabar-na) mci: (nabar-na)
Harari. Amharna.
1. an när-
kho
2. akhdkh
när-klri inGiJ:
3. huwa ndra inü;:
1. inyäs ndr-
na inci:
2. akhdkhas
ndr-lthu in^u--.(nabard-t’ehü) incVioa.: (nabar-kemmü)
3. hiyyds
när-ü i04,: (nabar-ü) in/„: (nabar-u).
Von beiden Formen, sowohl vom Präsens als vom Imperfec-
tum, führt Bur ton (S. 525 und 526) eine Negativform an, die
wie im Amharna durch Vorsetzung von al und Anfügung des m
gebildet wird.
Präsens.
1. an elkhüm — el-lml-kho-m
2. akhdkh elkhim = el-hal-khi-m
3. huwa elum = el-hala-m
1. inyds elnam = el-lial-na-m
2. akliakhas elkhüm = el-lial-khu-m
3. hiyyds elüm = el-hal-ü-m.
Perfectum.
1. an alndrkhüm — al-ndr-kho-m
2. akhdkh alnärkhim = al-ndr-klu-m
3. huwa alndrum = al-nara-m
1. inyds alndrnam — al-ndr-na-m
2. akhdkhas alndrkhüm = al-nar-khü-m
3. hiyyds ahiärüm = al-när-ü-m.
l ) Isenberg S. 1S3.
Über die Harari-Sprache im östlichen Afrika.
609
Vgl. Amharna: (al-mata-m) „er kam nicht“,
(al-matä-h-em) „du kamst nicht“ etc.
Was nun die Zusammensetzung der Hilfszeitwörter betrifft,
von denen zur Bezeichnung des Präsens hal immer, zur Bezeich
nung des Perfects nära seltener verwendet wird, so ist noch zu
bemerken, dass ersteres im Anschlüsse an das bestimmte Zeitwort
in seinen Schlussvocalen beeinträchtigt wird, insoferne als diesel
ben in der ersten und zweiten Person sing, abfallen.
1.
2.
3.
1.
2.
3.
1.
2.
3.
1.
2.
3.
Der Stamm let „gehen“ wird darnach folgendermassen flectirt:
P erfect.
an let-kho inyäs let-na
akhäkh let-klii akhäkliäs let-khü
huwa leta hiyyds let-ü.
Negativ.
an al-let-khü-m
aklidkh al-let-klii-m
huwa al-leta-m
inyäs al-let-na-m
akhäkliäs al-let-khü-m
hiyyds al-let-ü-m.
Präsens.
an iletakh — i-let-hal-klio
akhäkh tiletakh = ti-let-hal-khi
huwa yiletal = yi-let-lial
inyäs niletana = ni-let-hal-na
akhäkliäs tiletakhü = ti-let(u ?)-hal-lchii
hiyyds yiletalü = yi-let(u ?J-hal-ü.
Negativ.
1. an iletumekh = i-let-um-hal-klio
2. akhäkh tiletumekh = ti-let-um-hal-klu
3. huwa yiletumel = yi-let-um-lial
1. inyäs niletumena — ni-let-um-hal-na
2. akhäkliäs tiletumekhü = ti-let-ü-m-lial-khü
3. hiyyds yiletumelü = yi-let-ü-m-lial-ü.
Der Stamm käni „werden“ wird auf folgende Weise flectirt:
Perfect.
1. du i-käni när-kho inyäs ni-käni när-na
2. akhäkh ti-kdni när-khi akhäkliäs ti-käni när-kliü
3. huwa yi-käni nära hiyyds yi käni när-ü.
610
Dr. Fr. Müller
Präsens.
1. an ikdndkh — i-kdm-hal-kho
2. aklidkh tikdndkh = ti-kdni-hal-khi
3. huwa yikdndl = yi-käni-lial
\. inyds nikdndna — ni-kdni-hal-na
2. aklüikhds tikdndk.hu — ti-kdn(u?)-hal-khü
3. hiyyäs yikdnalu — yi-kän(u ?)-hal-ü.
Was dieses enge Verwachsen des Hilfszeitwortes lial mit der
flectirten Form des Verbum finitum betrifft, so steht das Harari in
der Reihe der modernen mit dem semitischen Sprachstamme zusam
menhängenden Sprachen nicht allein da; im Gegentheile stimmt
diese Bildung — bei sonstigen tiefgreifenden Unterschieden — mit
jener des Saho und Galla vollkommen überein. In ersterer Sprache
wird nämlich durch Zusammensetzung des Präsens mit dem Stamm
al eine präsentische Dauerform gebildet, während in letzterem
eine Zusammensetzung des Perfects mit dem Stamme al (hier
unter der Form ar) im Sinne eines dauernden Präteritums ge
bräuchlich ist.
Man vergleiche:
Saho.
betoliu = betu-aliu, ich esse
bettolitu = bettu-alitu
betole = beta-ale
bettole? = betta-ale
bennolinu = bennu-alinu
betton-alitin
beton-alon
Galla.
ademera = ademe-era, ich ging
fort
ademterta = ademte-erta
ademera = ademe-era
ademterti = ademti-crti
ademnerra — ademne-erra
(er-na)
ademtanirtu — ademtani-ertu
ademaniru — ademani-eru.
Merkwürdig ist — ganz abweichend von Harari — die Über
einstimmung zwischen dem Saho und Galla in Betreff der Bildung
des Präteritum und Präsens-Futurum, welche beide sich durch
nichts als die Suffixe, welche in der erstenForm in e (= a-f-z), in der
zweiten hingegen in a auS'gehen, unterscheiden. Man vergleiche:
Über die Harari-Sprache im östlichen Afrika.
611
Saho.
1. bete, ich ass
2. bette
3. m. bete
3. f. bette
1. benne
2. betten
3. beten
Präteritum.
Galla.
ademe, ich ging
ademte
ademe
ademte
ademne
ademtani
ademani.
Präsens-Futur um.
1. beta, ich esse, werde essen
2. betta
3. m. beta
3. f. betta
adema, ich gehe, werde gehen
ademta
adema
ademti
1. benna ademna
2. bettan ademtu (= ademtuni)
3. betan ademu (= ademwi),
ein neuer Beweis, wie das Harari selbst das Saho, dessen eigen-
thümliche und ziemlich alte Bildungsform Ewald aufgefallen ist,
an Alterthümlichkeit bedeutend übertrifft und also noch mehr An
spruch als dieses hat als Sprache äthiopischen Stammes gleich dem
Amhariia angesehen zu werden.
Nachdem uns, wie ich hoffe, aus der Formenlehre hinreichend
klar geworden ist, wohin wir das Harari einzutheilen haben, will
ich nun zur Untersuchung des Lexikons schreiten und daraus
einiges zur Vervollständigung meiner Skizze und Verstärkung des
Beweises hervorheben.
Dabei spielen unstreitig die Zahlenausdrücke eine Hauptrolle.
Diese sind im Harari folgende, denen wir der Vergleichung wegen
die des Amhariia und Geez gegenüberstellen wollen.
Harari.
1 ahad
2 kot
3 VA ViA
sisti
4 liarad
Amhariia.
XlF-. (and)
: (hülat)
(söst)
}\Zn'\-: (arät)
Sitzli. d. phil.-hist. CI. XL1V. Bd. 111. Hfl.
Geez.
AthA: (aliadü)
Vuh7vP: (kel’etü)
UJAfl'P: (salastu)
AC'iö-P: (arbatu)
40
612
Dr. Fr. Müller
8 hamisti
6 saddistt h.C’h : r :
7 satt
8 sot oder sut h^i^:
9 selitan Hm 1 ?:
10 assir ftFC
90 seht and HlM
(amest)
(sedest) hJP’ft®
(’sabat) ftmom
(säment) ctj'j-Ii
(zatan) ^hom
(asr) OUJCm
(zatanä).
(chamestü)
(sedestu)
(sab'atu)
(samantu)
(t es'atu)
(asartu)
Aus dieser Zusammenstellung sehen wir deutlich, worin das
Zahlwort im Harari mit dem amhärischen übereinstimmt und worin
es wiederum von demselben ab weicht.
Gemein mit demselben hat es die Zahlenausdrücke für vier
und neun, die nicht semitischer Natur sind; dagegen stimmt die
Bezeichnung für „eins“ und „zwei“ mit den äthiopischen ahadu,
kel'etu; ebenso ist die Endung ti bei den Zahlenausdrücken für drei,
fünf, sechs, sieben nichts anderes als das äthiopische -tu und dem
amhärischen nackten t gegenüber ein Stück Alterthum.
Neben den Zahlenausdrücken finden sich in dem, wenn auch
ziemlich mageren Glossare, das Burton S. 836—882 mittheilt,
einige Ausdrücke, die bestimmt nur auf eine Sprache äthiopischer
Abkunft bezogen werden können.
Solche Ausdrücke sind:
igir „Fuss“ = äthiop. MC: (egr); — raliab „hungrig“ =
äthiop. C'ifi: (recheba) „hungrig sein“, hebr. ajn; — warhay
„Mond“ = äthiop. ®C'*: (warch) „Mond“, hebr. nT; — assu
„Salz“ = äthiop. &,©■: (%ew); — nf, plural. uf-as „Vogel“ =
äthiop. iP4t: Cof), hebr. spy; — riihitk „entfernt“ = äthiop.
(reheqa) „entfernt sein“, hebr. pm; — inisti „ Weib, weiblich“
- äthiop. (anst); — nagdsi „Gouverneur“ = äthiop.
m»: (negüs) „König“; gisti „Königinn“ = äthiop. : (ne-
gest); — liariyya „Schwein“ = äthiop. : (hardwyä) etc.
Ich hotfe, aus dieser Skizze wird Jedermann klar geworden
sein, wohin wir das Harari einzutheilen haben. Olfenbar ist es
eine echt semitische Sprache, und schliesst sich, nicht wie
Bleek, Lepsius und Burton meinen, an das Dankäli, Somali,
Galla, sondern umittelbar mit dem Amhariia an das Göez an. —
Überhaupt ist man auf dem Gebiete der afrikanischen Linguistik in
613
Über die Harari-Sprache iin östlichen Afrika.
Betreff der sogenannten halb-semitischen Sprachen noch nicht ganz
im Klaren. Worin das Wesen und der eigentliche Charakter dieser
Sprachen besteht und wodurch sie sich von den im engeren Sinne
sogenannten semitischen Sprachen unterscheiden, — das werde ich
in einer folgenden Abhandlung <) näher zu zeigen versuchen.
1 ) Lottner’s Aufsatz in den „Transactions of the philological society u (in Lon
don) 1860—61, pag. 20 ff. und 112 lf., behandelt den Gegenstand im Ganzen
recht gut; nichts desto weniger scheint aber diese für die afrikanische Lingui
stik äusserst wichtige Frage einer nochmaligen, wenn nicht mehrmaligen Erör
terung unterzogen werden zu müssen.
40*
Verzeichniss der eing’eg'ang’enen Druckschriften.
615
VERZEIC1WISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(DECEMBER 1863.)
Academie Imperiale des Sciences de St. Petersbourg: Me-
moires. VII“ Serie, Tome IV, No. 10 —11. St. Petersbourg,
1862; 4°. — Bulletin. Tome IV, No. 7—9; Tome V»
No. 1 — 2. St. Petersbourg; 4°.
Accademia Pontificia de’ Nuovi Lincei: Atti. Anno VII. Sess.
3 a —5 a . 1854; Anno XV. Sess. 4 a —8 a . 1861 — 1862; Anno
XVI. Sess. l a —2 ä> . 1862 — 63. Roma; 4«.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Bayerische, zu München:
Sitzungsberichte. Jahrg. 1863. I. (Doppel-) Heft 4. München,
1863; 8°.
Almanach der österr. Kriegsmarine für das Jahr 1864; 8°.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. X. Jahrg. Nr. 10.
Nürnberg, 1863; 4«.
d’Avezac, Coup d’oeil historique sur la projection des cartes de
geographie. Paris, 1863; 8°.
Gesellschaft, Schlesische, für vaterländische Cultur: 40. Jalires-
Bericht. 1862. Breslau, 1863; 8°.
Hamelitz. III. Jahrg. Nr. 36 — 40. Odessa, 1863; 4 5 .
Hauchecorne, G., Carte generale des chemins de fer del’Europe.
Bruxelles, 1863. Folio.
Hoffmann, Friedr. Lorenz, Peter Lambeck (Lambecius) als bi
bliographisch - literarhistorischer Schriftsteller. Nebst biogra
phischen Notizen. Soest, 1864; 8°.
Kiel, Universität: Schriften aus dem Jahre 1862. Band IX,
Kiel, 1863; 4°.
Lüttich, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus den
Jahren 1860, 1862 & 1863. 8« & 4°.
616 Verzeichnis* der eingegangenen Druckschriften.
Mommsen, Theodor, Zeitzer Ostertafel vom Jahre 447. (Mit
2 Tafeln.) (Abhdlgn. der K. Preuss. Akad. d. W. zu Berlin
1862.) Berlin, 1863; 4».
Museum Francisco-Carolinum: 23. Bericht. Linz, 1863; 8°.
— Urkundenbuch des Landes ob der Enns. III. Band. Wien,
1862; 8°.
Mussafia, Adolf, Altfranzösische Gedichte aus Venezianischen
Handschriften. (Mit Unterstützung der k. Akad. der Wiss.
in Wien.) Wien, 1864 ; 8°.
Pertz, G. H., Über die Berliner und die Vaticanischen Blätter
der ältesten Handschrift des Virgil. (Abhdlgn. der K. Pr.
Akad. d. W. zu Berlin 1863.) Berlin; 4°.
Pichler, Georg Abdon, Salzburgs Landes-Geschichte. IX. & X.
Heft. Salzburg, 1863; 8°.
Programms del Ginnasio Vescovile di Belluno pubblicato alla fine
dell’ Anno scolastico 1863. Belhirio; 8°.
Rau, Karl Heinrich , Grundsätze der Volkswirthschaftspolitik.
II. Ahtheilung. Fünfte vermehrte und verbesserte Ausgabe.
Leipzig & Heidelberg, 1863; 8°.
Societät der Wissenschaften, finnische, zu Helsingfors: Acta
Totnus VII■ Helsingforsiae, 1863; 4°. — Öfversigt. V. 1857
—1863. Helsingfors; 8°.—Bidrag tili Finlands Naturkänne-
dom, Etnografi och Statistik. 8. & 9. Hättet. Helsingfors,
1863; 8°. — Bidrag tili Kännedom af Finlands Natur och
Folk. 5. & 6. Hättet. Helsingfors, 1862 & 1863; 8°. —
Förteckning öfver Finska Vetenskaps-Soeieteten Boksamling.
Ar, 1862; 8».
T o 1 d y , Franz, Geschichte der ungrischen Dichtung von den
ältesten Zeiten bis auf Alex. Kisfaludy. Aus dem Ungrischen
übersetzt von Gustav Steinacker. (Mit dem Bildniss des
Verfassers.) Pest, 1863; 8«.
Verein, historischer, für Niedersachsen: Zeitschrift. Jahrg. 1862.
Hannover, 1863; 8°. — 26. Nachricht. Hannover, 1863; 8°.
— historischer, für Krain: Mittheilungen. XVII. Jahrg. 1862. Lai
bach, 1862; 4°. — Marti A. S. Paduano bibliotheca Car-
nioliae. Laibach, 1862; 4°.
Würzburg, Universität: Akademische Gelegenheitsschrifteu aus
dem Jahre 1862—1863. 8° & 4°.
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