288 Dr. Franz Pfeiffer 1. ÜBER MEIER HELMBRECHT. I. Unter den Denkmälern unserer alten Literatur, die es immer wieder von Neuem bedauern lassen, dass unsere Dichter, statt die Heimat, das eigene Volk, zum Gegenstand ihrer poetischen Dar stellungen zu machen, ihre Stoffe zumeist aus der Fremde holten, nimmt die Erzählung vom Meier Helmbrecht von Wernher dem Gärtner eine hervorragende Stelle ein: das deutsche Mittelalter besitzt keine zweite Dichtung, die dieser frischen, lebensvollen und ergreifenden Schilderung aus dem Volksleben an die Seite gesetzt werden könnte. Wie ganz anders würde unsere Literatur aussehen, welcheThaten würde deren Geschichte zu verzeichnen haben, wenn dieser leuchtende Vorgang, diese erste wahrhaftige deutsche Dorf geschichte unter den Gebildeten der Nation Beifall und Nachfolge gefunden hätte! Eines so ausgezeichneten Gedichtes Heimat, den Grund und Boden festzustellen, auf dem es erwachsen ist, dürfte daher wohl einer neuen Untersuchung werth sein. Befragt man unsere literatur-historischen Handbücher (z. B. Gcrvinus 2\ 150. Koberstein l 4 , 227. W. Wackernagel 218), so wäre die Sache längst im Reinen, d. h. es wäre der Helmbrecht in Baiern gedichtet und später in Österreich umgedichtet.. Das scheint mir jedoch keineswegs so ausgemacht zu sein, und ich ver hehle nicht, die Ausführungen Haupt’s und Karajan's, auf denen diese Angabe ruht, stets mit Zweifel und Misstrauen betrachtet zu haben. Nähere Erwägungen haben mich zur Überzeugung geführt, dass meine Bedenken vollkommen berechtigt waren und dass die bisherige Ansicht von der Heimat des Helrnbrecht unrichtig und unhaltbar ist. Die einzigen Anhaltspuncte zur Ermittlung der Heimat, oder richtiger: des Schauplatzes der Erzählung, bilden drei im Gedichte seihst an zwei Stellen vorkommende örtliche Benennungen. Diese drei Namen lauten aber in den beiden Handschriften durchaus ver schieden.