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sieh von den Juden-Rabbinisten noch dadurch, dass sie mit diesen
in keine wie immer geartete Verbindung treten, mit denselben
nicht einmal an einem Tische essen oder unter demselben Dache
schlafen dürfen. Sie verachten die Träume der Seelenwanderung,
glauben an ewige Belohnung und Strafe, erwarten aber gleich den
übrigen Juden den Messias und in ihm einen zeitlichen König und
Eroberer. Ihr Religionsvorsteher, Weiser, Chacham genannt, voll
zieht die Eheschliessung und Beschneidung, schlichtet alle Familien-
und Rechtsstreitigkeiten, wofür zuZeiten der polnischen Könige das
den begünstigten deutschen Ansiedlern zugestandene magdeburgische
Recht massgebend war.
Die Karaiten sind nach der Meinung Domhrowski’s *) noch vor
dem 6. Jahrhundert aus Assyrien in die Krim eingewandert, von
da im 13. Jahrhundert zur Zeit des lithauischen Herzogs Witold,
welcher von seinen Feldzügen 324 Familien aus der Krim zur Colo-
nisirung mitnabm, nach Lithauen und unter dem Herzoge Daniel
nach Rothreussen, dem jetzigen Galizien, gekommen, wo sie sich in
Halicz und später 2 ) in Kukizow ansässig machten.
Dieses Völkchen führt in allen Ländern, wo es Wohnsitze
gefunden, ein friedlich eingezogenes und sittliches Leben, fremd
von allen politischen Wirren. Überall und zu jeder Zeit hat sich
dasselbe durch Treue und Redlichkeit und besonders durch leichte
Anschmiegung an die Landessitten und Gebräuche die milde Für
sorge der Regierung und die Liebe der Eingeborenen erworben. So
haben sie es verstanden, auf der Halbinsel Krim mitten unter Tar-
taren lebend, bei allen politischen Wirren und bei dem häufigen
Regentenwech.se] der tartarischen Chane, ein friedliches Leben zu
führen und ihre strenge Rechtlichkeit zu bewahren, so dass sogar
Karaiten zu dem Amte eines Directors der chanischen Münzstätte
erhoben wurden; gleichwie sie unter der Regierung der polnischen
Könige ob ihrer Rechtlichkeit, und ihrer vorwiegenden Neigung zum
Ackerbau durch besondere Vorrechte vor den übrigen Juden ausge
zeichnet und unter den Schutz besonderer Privilegien gestellt wurden.
*) Dombrowski: Die Karaimen in der Krim. Simpheropol, 1848. (Russisch.)
2 ) Unter der Regierung des Königs Johann III. (Sobieski). welcher ihnen die Ansiedelung
auf seinen Erbgütern im Zolkiewer Kreise gestattete und mittelst eines Privilegium«
vom Jahre 1692 zehn steuerfreie Jahre und Gleichstellung mit den übrigen christ
lichen Landesbewohnern gewährte.